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German Pages 1744 Year 2015
Geimer
Internationales Zivilprozessrecht
Internationales Zivilprozessrecht von
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhold Geimer München unter Mitarbeit von
Dr. Ewald Geimer Notar in Boppard und
Dr. Gregor Geimer LL.M. (John Marshall Chicago) Rechtsanwalt und Steuerberater in München Attorney at Law (New York)
7. neu bearbeitete Auflage
2015
Zitierempfehlung: Geimer, IZPR, Rz. …
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Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-47088-3 ©2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
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Für Rolf A. Schütze in Freundschaft
Vorwort Schon in der letzten Auflage (2009) war von der zunehmenden Europäisierung des internationalen Zivilprozessrechts die Rede. Dieser Trend hat sich weiter verstärkt. Die am 10.1.2015 in Kraft tretende Neufassung der EuGVVO sollte nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission das autonome Zuständigkeitsrecht in vollem Umfang verdrängen; für „Restzuständigkeiten“ wäre dann kein Platz mehr gewesen. Das nationale Kompetenzrecht hätte dann nur für die internationale Zuständigkeit Bedeutung, soweit die Bereichsausnahmen des Art. 1 II EuGVVO (noch) nicht durch andere europäische Rechtsakte (EuEheVO, EuUnterhVO, EuErbVO, EuInsVO, demnächst EuEhegüterRVO, EuPartnergüterRVO etc.) ausgefüllt sind. Diesem Vorschlag ist der europäische Gesetzgeber zwar nicht gefolgt, er hat aber den Geltungsanspruch des europäischen Zuständigkeitsrechts in Art. 6 I EuGVVO nicht unerheblich ausgeweitet: Neben dem privilegierten Verbraucher- und Arbeitnehmergerichtsstand (Art. 18 I, Art. 21 II EuGVVO) soll nun auch Art. 25 EuGVVO universell gelten, der die Zulässigkeit und die Formanforderungen für Zuständigkeitsvereinbarungen abschließend auch dann regelt, wenn „eigentlich“ nationales Zuständigkeitsrecht zur Anwendung kommt. Dies stellt einen massiven „Einbruch“ in die bisherige Domäne der „Restzuständigkeiten“ dar. Andererseits verweist Art. 25 EuGVVO für Fragen der „materiellen Nichtigkeit“ der Zuständigkeitsvereinbarung auf das Recht am forum prorogatum einschließlich des dort geltenden Kollisionsrechts. Diese von Art. 5 I des Haager Gerichtsstandsübereinkommens (2005) übernommene „Rolle rückwärts“ ins nationale Recht wirft nicht wenige Abgrenzungsfragen auf und wird daher mancherlei Probleme bei der Rechtsanwendung bereiten. Wie dem auch sei, für das nationale Zuständigkeitsrecht bleibt nach wie vor gemäß Art. 6 I EuGVVO bzw. Art. 4 I LugÜ viel Raum, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bzw. des Lugano-Übereinkommens hat, und darüber hinaus für den einstweiligen Rechtsschutz auch im Anwendungsbereich des Unionsrechts (Art. 35 EuGVVO) bzw. des Lugano-Übereinkommens (Art. 31 LugÜ). Enger wird es dagegen bei Konkurrenzen von inländischen mit in Drittstaaten parallel anhängigen Verfahren. Anders als bisher Art. 27 ff. EuGVVO a.F. bringen Art. 33 und Art. 34 EuGVVO n.F. nun auch hierfür Regeln, die das autonome Recht weitgehend verdrängen oder zumindest überlagern. Das Anerkennungsrecht im weitesten Sinne (einschließlich der Anerkennung von „Rechtslagen“) schiebt immer mehr das klassische Internationale Privatrecht an den Rand; denn wo anerkannt wird, bleibt meist kein Platz mehr für kollisionsrechtliche Fragestellungen. Das autonome Anerkennungsrecht hat nach wie vor einen großen Anwendungsbereich, weil Art. 36 ff. EuGVVO die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und sonstigen Titeln nur aus anderen Mitgliedstaaten erfassen. Das Gleiche gilt für Art. 32 ff. LugÜ im (restlichen) Europäischen Wirtschaftsraum.
VII
Vorwort Die strikte Rechtsprechung des EuGH, wonach auf dem Gebiet des einstweiligen Rechtsschutzes für die grenzüberschreitende Durchsetzung von ex parte-Entscheidungen das Brüssel I-System nicht zur Verfügung steht, versucht Art. 2 (a) (ii) EuGVVO aufzulockern. Nun ist eine Vollstreckung von ex parte-Entscheidungen nach Art. 39 ff. EuGVVO möglich; verlangt wird allerdings die Zustellung der einstweiligen Maßnahme an den Antragsgegner vor Beginn der Vollstreckung. Damit ist der Überraschungseffekt dahin. Die zentrale Neuerung der Brüssel I-Reform ist die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens. Allerdings bleiben die bisherigen Versagungsgründe (Art. 34 und Art. 35 EuGVVO a.F.) unberührt; sie findet man in Art. 45 EuGVVO n.F. wieder. Die neue Verordnung bleibt mithin – zum Leidwesen der Europäischen Kommission – hinter dem Konzept der neueren Spezial-Verordnungen zurück, die Einwendungsmöglichkeiten fast ausschließlich im Ursprungsmitgliedstaat konzentrieren mit der Folge, dass im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsmitgliedstaat sogar der Einwand der ordre public-Widrigkeit ausgeschlossen ist. So kann z.B. im Anwendungsbereich der Europäischen Vollstreckungstitelverordnung Nr. 805/2004 der Schuldner über die in Art. 21 zugelassenen Einwendungen hinaus keine weiteren erheben. Die Verordnung verweist ihn vielmehr auf Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat. So kann er die Verletzung rechtlichen Gehörs wegen nicht erfolgter Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gemäß Art. 10 (b) nur vor dem Ursprungsgericht geltend machen; dieses widerruft auf Antrag des Schuldners (hoffentlich) die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel, wenn Art. 13 ff. zu Lasten des Schuldners fehlerhaft angewendet worden sind. Ebenso ist im Prinzip die Rechtslage auch im Anwendungsbereich der EuMahnVO Nr. 1896/2006, der EuBagatellVO Nr. 861/2007 sowie der Art. 17 ff. EuUnthVO Nr. 4/2009 (anders aber Art. 23 ff.). Die Versagungsgründe des Art. 45 EuGVVO sind in einem (von der Vollstreckung) gesonderten Verfahren (Art. 45 IV, Art. 47 ff. EuGVVO, § 1115 ZPO) auf Antrag eines „Berechtigen“ bzw. des Schuldners geltend zu machen (Art. 45 I bzw. Art. 46 EuGVVO). Nach dem Wortlaut der neuen Verordnung kommt eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung von Amts wegen nicht in Betracht. Gleichwohl ist eine solche praeter legem zulässig, wenn es um die Wahrung elementarer unmittelbarer Staatsinteressen des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaates oder um die Durchsetzung unverzichtbarer überindividueller Werte geht. Es muss sich allerdings um Extremfälle handeln, in denen die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung bzw. des sonstigen Titels für den Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaat schlechthin unerträglich ist. Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens gehört hierzu nicht; denn es geht insoweit „nur“ um Parteiinteressen. Jede Partei muss um die Wahrung ihrer prozessualen Rechte selbst besorgt sein. Sie kann sogar ein Interesse an der Anerkennung und Vollstreckung eines in einem (zu ihren Lasten) unfairen Verfahren zustande gekommenen Urteils haben, wenn sie letztendlich in der Sache siegreich war oder aus sonstigen taktischen Gründen die Anerkennung und Vollstreckung präferiert. Die vorstehend skizzierte Versagung der Anerkennung und Vollstreckung von Amts wegen praeter legem muss konsequenterweise auch im AnwendungsVIII
Vorwort bereich der vorgenannten Spezial-Verordnungen zulässig sein. Gleichwohl bleiben für Gläubiger diese europäischen Rechtsinstrumente nach wie vor attraktiv, weil sie im Anerkennungs- und Vollstreckungsstadium mehr Einwendungen ausschließen als Art. 45 EuGVVO. Neben den nationalen (vorläufigen) Sicherungssystemen stellt ab 18.7.2016 die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 – auf einem für die Praxis wichtigen Teilgebiet – einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung zur Verfügung, der die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen erleichtern soll. Dieser ist – ohne Vollstreckbarerklärung – in den übrigen EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs) nach Art. 22 vollstreckbar. Ab 17.5.2015 kommt die Europäische Erbrechtsverordnung Nr. 650/2012 zur Anwendung. Der verfahrensrechtlich relevante Teil folgt im Aufbau grosso modo dem üblichen Brüssel I-Schema (unter Beibehaltung des Exequaturerfordernisses) und führt in Art. 62 ff. ein europäisches Nachlasszeugnis mit weitgreifenden Vermutungen (Art. 69) ein. Für die Prüfung der Echtheit ausländischer öffentlicher Urkunden sollen gemäß Art. 59 II allein die Gerichte im Urkundsursprungsmitgliedstaat zuständig sein; dies ist eine Vorschrift, über deren Sinn und Zweck man ins Grübeln geraten kann. Jedenfalls bleibt von dem als Mantra allerorten beschworenen gegenseitigen Vertrauen auf die Gleichwertigkeit der Justiz aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union wenig mehr übrig. Ab 11.1.2015 wird die Europäische Schutzverordnung (EU) Nr. 606/2013 die gegenseitige Anerkennung und Durchsetzung von Schutzmaßnahmen (Betretungs-, Kontakt- und Näherungsverboten etc.) in Zivilsachen sicherstellen. Die mäandernde Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Fragen des internationalen Verfahrensrechts wird immer unberechenbarer, weil im Stratosphären-Flug über nahezu jegliche Dogmatik und Systematik befindlich. Sie greift immer mehr in das nationale Zivilprozessrecht ein, das gemäß Art. 81 AEUV eigentlich den Mitgliedstaaten vorbehalten ist. So steht z.B. die prozessökonomisch sinnvolle Vorschrift des § 184 ZPO (Notwendigkeit der Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten) am Pranger, weil angeblich unvereinbar mit der Europäischen Zustellungsverordnung. Der EuGH ist stolzer Erfinder der „europäischen Rechtskraft“ (im hochproblematischen Urteil vom 15.11.2012 – C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG et alii versus Samskip GmbH, Bremen): Diese soll – ohne Rücksicht auf die res judicata-Regeln des Ursprungsmitgliedstaates und damit in Abkehr von der tradierten Wirkungserstreckungstheorie – auch der Begründung der (prozessabweisenden) Zuständigkeitsentscheidung des zuerst angerufenen Gerichts zukommen, und zwar sogar im Verhältnis zu Lugano-Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, obwohl deren Gerichte an die Entscheidungen des EuGH nicht im strikten Sinne gebunden sind. Verweigern diese eine meritorische Entscheidung in dem ihnen vom EuGH zugedachten Forum, entsteht eine Rechtsschutzlücke, die der Text auch der neuen EuGVVO nicht schließt. Gleichwohl muss in solchen Fällen eine Notzuständigkeit aufgetan werden; dies gebieten sowohl Art. 6 I EMRK als auch Art. 47 II EuGRCh. IX
Vorwort Nachdem endlich der Durchbruch zum Unionspatentrecht – wenn auch mit mancherlei Kompromissen – gelungen ist und demnächst das Einheitliche Patentgericht mit Hauptsitz in Paris und Außenstellen in London und München seine Arbeit aufnimmt, wird sich nach der Übergangsphase sowohl für Bestands- wie auch für Verletzungsverfahren vieles ändern. Das seerechtliche Sonderverfahrensrecht im HGB wurde durch das Gesetz vom 20.4.2013 zur Reform des Seehandelsrechts weitgehend entrümpelt. Übrig geblieben sind § 618 HGB (einstweilige Verfügung zugunsten der Vergütungsansprüche eines Bergers), § 619 HGB (Zustellungsempfangsvollmacht des Kapitäns bzw. Schiffers) sowie §§ 30, 30a ZPO n.F. (Gerichtsstände für Klagen bei Beförderungen und bei Bergungen). In dem Bestreben, ja nur nicht die vom allgemeinen Völker(gewohnheits)recht gesetzten Grenzen zu überschreiten, ist die deutsche Rechtsprechung sehr immunitätsfreundlich; sie zieht ab und zu die Grenzen der Deutschland verbliebenen Gerichtsbarkeit – vor allem im Vollstreckungsstadium – enger als dies nach allgemeinem Völker(gewohnheits)recht geboten wäre. Diese übertriebene Vorsicht ist im Hinblick auf die dadurch entstehenden Rechtsschutzlücken problematisch. Die Hoffnung, angesichts der Neufassung des § 545 ZPO werde der Bundesgerichtshof zur generellen Revisibilität ausländischen Rechts übergehen, ist leider zerstoben. So droht in Deutschland weiterhin die Gefahr unterschiedlicher Anwendung ausländischen Rechts in manchem zentralen Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht nur im Ehe-, Familien- und Erbrecht, sondern auch im Wirtschaftsrecht. Die Vermeidung einer solchen Zersplitterung gäbe aber durchaus Sinn. All dies und manches mehr (wie z.B. der Übergang vom MSA zum KSÜ, die Neufassung des AVAG und des AUG, die Fortschreibung des 11. Buchs der ZPO, das in Vorbereitung befindliche Durchführungsgesetz zur EuErbVO) sowie die abundante Rechtsprechung in- und ausländischer Gerichte zu vielen neuen Detailaspekten des internationalen Verfahrensrechts haben diese Auflage notwendig gemacht. Die Materie bleibt weiterhin im Fluss; der Strom wird immer breiter und schneller. Daher ist ein aktueller Blick auf die websites des Europäischen Amtsblatts, des Bundesgesetzblatts und der Gerichte (allen voran EuGH, EGMR, IGH, BGH, österr. OGH, Schweizer BG, Corte di Cassazione, Cour de cassation, UK-Supreme Court [früher HL] etc.) nie verkehrt. Nobody is perfect. Anregungen und Kritik erbitte ich an reinhold.geimer@ jura.uni-muenchen.de oder [email protected]. Nur eines ist wichtig: Der Stein des Sisyphos bleibt in Bewegung. Wieder haben mich meine Söhne Ewald und Gregor tatkräftig unterstützt. Im Verlag hat Frau Rechtsanwältin Simone Forner mit viel Charme und Energie diese Neuauflage ins Werk gesetzt. Hierfür großen Dank! München, den 26. September 2014
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Reinhold Geimer
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Vorwort . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis . .
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. VII . XV . LXXV . LXXXIX
Erster Teil: Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Gegenstand und Begriff des internationalen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Verhältnis des internationalen Zivilprozessrechts zum internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Entscheidungsharmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht als Teil des internationalen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht und Grundgesetz . . . . . . . . 7. Kapitel: Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kapitel: Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Teil:
Lex fori-Prinzip oder System der kollisionsrechtlichen Verweisung auch im Prozessrecht? . . . . . . . . . . . . . . .
Dritter Teil: Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Begriff und Grenzen der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Befreiung von der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Immunität der Organe des völkerrechtlichen Verkehrs . . . . . . 5. Kapitel: Immunität von Truppen fremder Staaten . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel: Einschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf deutsches Auslandsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Immunität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . 8. Kapitel: Prüfung der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland in jeder Lage des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 6 28 40 52 132 160 170
179 195 196 244 269 326 345 347 349 355
XI
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Vierter Teil: Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Generalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Ausschließliche internationale Zuständigkeiten . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Autonome Regelung der internationalen Zuständigkeit in der ZPO und im FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Internationale Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht . . . . . . 6. Kapitel: Forum non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kapitel: Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung des autonomen deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kapitel: Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit . . . . . . . 10. Kapitel: Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit . . . . . 11. Kapitel: Prüfung der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 12. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Teil:
Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sechster Teil: Internationales Zustellungsrecht . . . . . . . . . 1. Kapitel: Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren . . . . . 3. Kapitel: Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke . . . . . .
357 358 372 395 418 423 433 444 454 490 597 664 689 702 713
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759 763 778
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802 818
Parteien und ihre Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
819
Achter Teil: Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht . . 1. Kapitel: Internationales Beweisrecht im Spannungsfeld zwischen lex causae und lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Internationales Beweisverfahrensrecht – Grundfragen . . . . . . 3. Kapitel: Auslandsbeweisaufnahmen für vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Beweisaufnahmen auf deutschem Territorium für im Ausland anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Ladung von Zeugen ins Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
850
Siebenter Teil:
XII
851 887 903 922 953
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6. Kapitel: Mitwirkung an einer (angeblich souveränitätsverletzenden) Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Nichtanerkennung ausländischer Entscheidungen, die auf einem völkerrechtswidrigen Beweisverfahren beruhen? . . . 8. Kapitel: Beweisaufnahme für schiedsgerichtliche Verfahren . . . . . . 9. Kapitel: Beweissicherung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Kapitel: Beweisaufnahme für Verfahren vor den Gerichten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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955 957 957
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Anwendung ausländischen Rechts durch die deutschen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Durchführung in Deutschland anhängiger Verfahren mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bedeutung eines im Ausland anhängigen Verfahrens bei Identität oder Konnexität des Streitgegenstands . . .
999
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Anerkennung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel . . . . . . . . . . . . . .
1029 1036 1189
Dreizehnter Teil: Internationales Zwangsvollstreckungsrecht . . . . . . . .
1267
Vierzehnter Teil: Internationales Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Deutsche Insolvenzverfahren mit Auslandsberührung . . 3. Kapitel: Anerkennung der Wirkungen ausländischer Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Insolvenzkollisionsrecht und insolvenzrechtliche Sachnormen für Fälle mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . .
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1303 1310 1341
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1362
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1380
Fünfzehnter Teil: Internationale Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1395
Sechzehnter Teil: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1401 1407 1413
Neunter Teil:
Zehnter Teil:
Elfter Teil:
Zwölfter Teil:
XIII
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3. Kapitel: Die Schiedsvereinbarung als Basis für die „Zuständigkeit“ des Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Das Verfahren vor dem Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel: Durchführung des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Schiedsgericht und internationales Privatrecht . . . . . . . . . 8. Kapitel: Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1432 1449 1453 1454 1458
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verzeichnis der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorwiegend zum EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . II. Hinweise zur Befreiung von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (§ 110 II Nr. 1 und 2 ZPO) und zur Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 109 IV FamFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . .
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1495
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1495
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Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1571
XIV
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis . .
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. VII . XI . LXXV . LXXXIX
Erster Teil: Grundlegung 1. Kapitel: Gegenstand und Begriff des internationalen Zivilprozessrechts . . . . . . .
1 3 4 5 5 5 6
I. Gegenstand der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lex fori-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Beschränkung auf bloße Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . IV. Ordre public im Kollisionsrecht und im internationalen Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strukturelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollisionsrechtlicher ordre public (Art. 6 EGBGB) . . . . . . . . . . . 3. Anerkennungsrechtlicher ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtshilferechtlicher ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Keine (räumliche) Fixierung auf eine Rechtsordnung . . . . . . . . . . . VI. Unterschiede bei den Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Vergeltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Internationale Fungibilität der Gerichte: eine Fiktion . . . . . . . . . . . X. Selbständigkeit des internationalen Zivilverfahrensrechts gegenüber dem internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6 7 7
I. Überblick . . . . . . . . . . . . II. Definitionsversuche . . . . . III. Auslandsbezogenheit . . . . IV. Kein internationales Recht V. Öffentliches Recht . . . . . . VI. Regelungsinhalte . . . . . . . VII. Kollisionsrecht . . . . . . . .
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2. Kapitel: Verhältnis des internationalen Zivilprozessrechts zum internationalen Privatrecht
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XV
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I. Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beachtung ausländischer Rechtsvorstellungen im inländischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung des Forums für den Ausgang des Prozesses . . . . . . . . . . 1. Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsklima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Judizielles Gesamtsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Prozessbeendigung ohne Sachurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einebnung der Unterschiede durch das Anerkennungsrecht . . . . . . . VI. Formeller Entscheidungseinklang bei mehreren (widersprüchlichen) Entscheidungen über den gleichen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . .
28 28
1. Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Reichweite der Verweisung der IPR-Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . 1. Keine Verweisung auf das Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht der lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Verweisung auf das Kompetenzrecht der lex causae . . . . . 3. Eigenständiges Verfahrenskollisionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenze zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht . . . . . XII. Priorität des internationalen Zivilverfahrensrechts? . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Entscheidungsharmonie
29 31 31 32 37 37 37 38 38 39 39 39
4. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht als Teil des internationalen Verfahrensrechts I. Bereiche des internationalen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahrensrecht der internationalen Gerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis zum internationalen Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . 1. Adhäsionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindung des Zivilrichters an Feststellungen des Strafrichters . . . . a) Keine Bindung im deutschen Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . b) Anerkennung ausländischer Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckung ausländischer Strafurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendung des § 190 StGB auch auf ausländische Strafurteile . . 5. Keine Beachtung des Prinzips „le criminel tient le civil en l’état“ . 6. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnis zum Verwaltungsstreitverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI
40 40 46 46 47 47 48 49 50 51 51 52
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1. Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52
5. Kapitel: Rechtsquellen I. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Achtung der Souveränität fremder Staaten – Gebietshoheit . . . . . . 2. Immunitätsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlen einer internationalen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . 4. Fremdenrechtlicher Mindeststandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Justizgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf angemessene Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mediatisierung des Menschen im klassischen Völkerrecht . . . . . d) Diplomatischer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unionsbürger der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Parallelität zum Gerichtsschutz nach innerstaatlichem Recht . . . g) Änderung des Kreises der Normadressaten durch Art. 25 GG . . . h) Kein konsistenter innerstaatlicher Anspruch Deutscher auf diplomatischen Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Klagerecht vor internationalen Gerichten oder Schlichtungsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflicht zur Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Völkerrechtliche Anerkennungs- und Vollstreckungsverbote . . . . . 7. Kein Verbot der Durchsetzung ausländischer öffentlich-rechtlicher Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Völkerrechtliche Schranken für Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Extraterritoriale Wirkung fremder Hoheitsakte – Pflicht zur Beachtung (Anerkennung)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Völkerrechtliche Voraussetzungen für die Anwendung eigenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit intensiverer Verknüpfung als für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschaffenheit dieser Verknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkurrierende Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Ermittlung ausländischen Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Völkerrechtliche Zulässigkeit der Verurteilung zum Handeln oder Unterlassen im Ausland, wenn der Aufenthalts- bzw. Heimatstaat (gegensätzliche) Verhaltensnormen aufgestellt hat . . . . . . . . . . . . . a) Wahrung des Bankgeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extraterritoriale Weisungen des Heimat- und Wohnsitzstaates . .
52 52 56 56 58 58 59 59 61 62 62 64 64 64 65 65 66 66 66 67 67 68 70 70 71 75 76 76
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c) Exportverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Devisenrechtliche Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige öffentlich-rechtliche Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Zuständigkeitsdurchgriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Gerichtsverfahren gegen völkerrechtswidrig Entführte . . . . . . . . . 17. Gegenstände, die völkerrechtswidrig ins Inland gebracht wurden . 18. Amtshaftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Comitas gentium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Völkerrechtliche Haftung für Gerichtsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstoß gegen Völkerrechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Fälle völkerrechtlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlurteile, die keine konkrete Völkerrechtsnorm verletzen bzw. ignorieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichthoheitliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Local remedy rule (Rule of the exhaustion of local remedies) . . d) Völkerrechtlicher Anspruch auf Aufhebung des völkerrechtswidrigen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einschaltung internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kassatorische Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Feststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Leistungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schadensersatz bei (innerstaatlichem) Fortbestand des völkerrechtswidrigen Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Innerstaatliche Wirkung völkerrechtswidriger Urteile . . . . . . . . g) Wiederaufnahmemöglichkeit nach deutschem Recht . . . . . . . . h) (Strafrechtliche) Verantwortlichkeit des handelnden Staatsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Keine Übertragbarkeit der International Dispute Settlement Rule auf Verfahren vor nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Reaktionsmöglichkeiten nicht (unmittelbar) betroffener Staaten auf Völkerrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Fehlende Rechte der Individuen: Können diese die Völkerrechtswidrigkeit staatlichen Handelns geltend machen? . . . . . . . . . . . . 25. Aufhebung und Abänderung von gerichtlichen Entscheidungen und sonstigen Hoheitsakten ausländischer Staaten . . . . . . . . . . . . 26. Aufhebung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Kriegs- und Besatzungsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. Zahlungsmoratorien wegen Staatsnotstands . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbehalte zu völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII
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a) Völkerrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innerstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt der Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Festschreiben eines internationalen Mindeststandards . . . . . . b) Schaffung von Einheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haager Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Völkerrechtliche Verträge der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fakultativ-Protokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Säulenwechsel“ durch den Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . 2. Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg . . . 4. Zuständigkeitsbereich der nationalen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorlagepflicht der nationalen Gerichte an den EuGH . . . . . . . . . . 6. Direkte Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen 7. Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und Garantie des gleichen Zugangs zu allen öffentlichen Dienstleistungen (Art. 56 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Nichtanwendbarkeit nationaler Präklusionsvorschriften . . . . . . . 9. Zurückdrängung des lex fori-Prinzips im Interesse der Gewährleistung der Marktgrundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Europäischer Wirtschaftsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kommission für ein europäisches Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . VI. Unidroit-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht und Grundgesetz I. Prinzip der offenen Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eröffnung internationaler Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Justizgewährungsanspruch des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtspflichtigkeit des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) No right not to be sued abroad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Minimum contacts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterschiedliche Behandlung von In- und Ausländern . . . . . 5. Sicherung des Zugangs zu Gericht: Überwindung der Kostenbarriere durch ausreichende Prozesskostenhilfe für In- und Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XIX
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III. Klagezustellungen aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zur Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an den Begriff „Gericht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Prärogative der Bundesregierung als Trägerin der auswärtigen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verhältnis von Verwaltung und Rechtsprechung in internationalrechtlichen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verkehr mit ausländischen Behörden zum Zwecke der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweiserhebung durch Konsularbeamte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beweisaufnahmen für im Ausland anhängige Gerichtsverfahren 4. Rechtshilfe als Aufgabe des Bundes gem. Art. 32 I GG . . . . . . . . 5. Entscheidungsmonopol der Justizverwaltung in Ehesachen . . . . VII. Innerstaatliche Geltung der Normen des Völkerrechts in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Pflicht zur Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . IX. Keine Bindung der Gerichte an die Rechtsmeinung der Regierung zu völkerrechtlichen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Feststellungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Kein Anspruch auf diplomatischen Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Grundrechtsschutz gegen nichtdeutsche Rechtsprechungsakte . . .
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7. Kapitel: Anknüpfungspunkte I. Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit . . . . . . . . a) durch Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) durch Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) durch Annahme als Kind durch einen Deutschen . d) durch Einbürgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit . . . . . . . . 4. Gleichgestellte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deutsche (Art. 116 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschleppte Personen und Flüchtlinge . . . . . . . . c) Heimatlose Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX
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I. Keine eigenständigen Qualifikationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zwischen Prozessrecht und Sachrecht . . . . . . . . . . . . . III. Auslegung der Begriffe in Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Asylberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kontingentflüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. In- bzw. Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anerkennungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Disponibilität des Verfahrens- und Beweisrechts
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8. Kapitel: Qualifikation
Zweiter Teil: Lex fori-Prinzip oder System der kollisionsrechtlichen Verweisung auch im Prozessrecht? I. Standpunkt der herrschenden Meinung: „forum regit processum“ . II. Dogmatische Begründung des lex fori-Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtanwendung deutscher Verfahrensnormen . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendung ausländischen Prozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Beurteilung ausländischer Verfahrensakte nach ausländischem Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Eigenes Verfahrenskollisionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbsthilfeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtet sich die Zulässigkeit der Klage auf Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung nach der ausländischen lex causae oder der deutschen lex fori? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fristwahrung nach § 167 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Prozesszinsen und Inflationsausgleich während des Prozesses . 9. Direktklage (action directe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Defences nach common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Geständnisfiktion im Versäumnisfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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13. Lex fori und contempt of court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Rechtshilfe für ausländische Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil: Gerichtsbarkeit 1. Kapitel: Begriff und Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stand der völkerrechtlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendung eigenen Rechts (jurisdiction to prescribe; legislative jurisdiction; compétence législative) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tätigwerden der eigenen Gerichte (jurisdiction to adjudicate; compétence judiciaire) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fehlen einer völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . IV. Verbot der Justizverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Minimalbezug zum Gerichtsstaat als Voraussetzung für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Keine Garantie bestimmter international gebräuchlicher Zuständigkeitsanknüpfungen durch das Völkergewohnheitsrecht und auch kein Verbot sog. exorbitanter Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Völkerrechtliche Grenzen für gerichtliche Anordnungen, Maßnahmen und Entscheidungen mit (faktischen) Auswirkungen auf das Ausland 1. Verurteilung zur Leistung bzw. Unterlassung im Ausland . . . . . . 2. Erzwingung eines Handelns im Ausland durch Zwang im Inland 3. Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Förmlich beurkundete Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übersendung durch die Post . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Übergabe an den Empfänger im Parteibetrieb unter Umgehung der Zustellungsorgane des Aufenthaltsstaates des Empfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unmittelbare Zustellung im Ausland durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Gerichtsstaats . . . . . . . . . . 5. Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Benachrichtigungen über das im Inland stattfindende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anordnung des persönlichen Erscheinens gegenüber Personen, die sich im Ausland aufhalten . . . . . . . . . . . . . . . 6. Telefonische Befragung von Auskunftspersonen (Parteien/Zeugen), die sich im Ausland aufhalten, und Videokonferenz . . . . .
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7. Schriftliche Befragung von Zeugen, die sich im Ausland aufhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anordnung der Vorlage von Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Beauftragung von Sachverständigen, die sich im Ausland aufhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Beweiserhebung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Beweisbeschaffung aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Tätigwerden eines vom deutschen Gericht beauftragten Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Anwesenheit deutscher Richter bei Erledigung eines (deutschen) Rechtshilfeersuchens durch das ausländische Gericht . . . . . . . 14. Ausübung mittelbaren Zwangs im Forumstaat, um Beweispersonen im Ausland zur Aussage vor (ausländischem) Rechtshilfegericht zu bewegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot der Anwendung von Zwangsmitteln . . . . . . . . . . . . . c) Handhabung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kautelen zum Schutz der von der diplomatischen bzw. konsularischen Beweisaufnahme betroffenen Personen . . . . . 16. Beweisaufnahme durch Beauftragte des Gerichts (Commissioners) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Sachverhaltsaufklärung im Ausland durch die Parteien bzw. deren Anwälte ohne Auftrag des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Informelle Stoffsammlung durch Anwälte (informal investigations) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Freiwillige Mitwirkung der Partei(en) an der pre-trial discovery auf deutschem Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ausländisches öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausländische Hoheitsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlich-rechtliche Streitgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewerblicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anweisungen an ausländische Standesbeamte . . . . . . . . . . . . . . 5. Versorgungsansprüche, die bei einem ausländischen Versorgungsträger entstanden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Justizakte . . . . . .
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2. Kapitel: Befreiung von der Gerichtsbarkeit I. Staatenimmunität als Ausgangspunkt der Immunitätslehre II. Immunitätsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organe des Völkerrechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatsorgane ohne besonderen völkerrechtlichen Status
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3. Erosion der Abgrenzungsmerkmale Immunität ratione personae et materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Klagezustellung und Ladung von ausländischen Staaten bzw. Immunitätsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verschiedene Ausgestaltung der Immunitätsbereiche . . . . . . . . . . V. Keine Relativität der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Befreiung von der Zeugnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Immunität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Kein Ausschluss der Immunität bei völkerrechtswidrigem Verhalten, auch bei schweren Völkerrechtsverstößen . . . . . . . . . . X. Drittwirkung der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Verzicht auf Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einseitige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkervertraglicher Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Umfang des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Schlüssiges Verhalten (implied waiver) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Widerruflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Immunitätsverzicht gegenüber Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Verzicht auf Vollstreckungsimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Feststellungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . XIV. Gerichtsbarkeit als Prozessvoraussetzung: Prüfung von Amts wegen XV. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Prozessabweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Innerstaatliche Wirksamkeit einer das Immunitätsrecht verletzenden deutschen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Versagung der Anerkennung eines ausländischen Urteils bei Überschreitung der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates . . . . . . . . . XIX. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile zu Lasten eines ausländischen Staates oder sonstigen Immunitätsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit der Erstreckung der Wirkungen des ausländischen (anerkennungsfähigen) Urteils kraft Gesetzes ohne Durchführung eines Anerkennungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Unzulässigkeit der Durchführung eines Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Feststellungsverfahren nach Art. 21 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen . . . XX. Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zur ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bzw. des Europäischen Gerichts 2. Völkerrechtliche Verträge über die internationale Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Beurkundung eines Prozessvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel: Staatenimmunität I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immunitätstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Deckungsgleichheit zwischen Immunität für Erkenntnisund für Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrechtliche Anerkennung des fremden Staates . . . . . . . . . 4. Anerkennung der fremden Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gliedstaaten und kommunale Gebietskörperschaften . . . . . . . . 6. Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . 7. VN-Übereinkommen über die Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . 8. Zurückdrängung des Grundsatzes der Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtshistorisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatenimmunität nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht . . . . 1. Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren (einstweiliger Rechtsschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Klagen gegen Amtsträger (Beamte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Staatsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zentralbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Deliktsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inlandsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslandsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Klagen in Zusammenhang mit schweren Völkerrechtsdelikten . . 11. Dingliche Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Erbschaftsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Klagen betreffend geistiges Eigentum und gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
Verzicht auf Immunität (Unterwerfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausländischer Staat als Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausländischer Staat als Widerkläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausländischer Staat als Widerbeklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitverkündung an ausländischen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . Nebenintervention des ausländischen Staates . . . . . . . . . . . . . Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtlosstellung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diplomatischer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Repressalie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustellung von Klagen gegen fremde Staaten . . . . . . . . . . . . . . Säumnis des beklagten Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Befreiung von der materiellen Rechtsordnung des Forumstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. Anhang: Haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten internationaler Organisationen . . . . . . . . III. VN-Übereinkommen über die Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . IV. Europäisches Übereinkommen über die Staatenimmunität . . . . . . . 1. Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Abgrenzung zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vom Übereinkommen akzeptierte Zuständigkeitsanknüpfungen 4. Vom Übereinkommen verpönte beziehungsarme Gerichtsstände 5. Mindeststandard für Prozesse gegen Vertragsstaaten . . . . . . . . . 6. Vollstreckungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anerkennungs- und Erfüllungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Gerichtsstaates . . . . . . a) Der ausländische Staat als Kläger/Antragsteller oder Intervenient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der ausländische Staat als Beklagter/Antragsgegner . . . . . . . 9. Fehlen der Immunität auch ohne Unterwerfung . . . . . . . . . . . . a) Gerichtsstand des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtsstand des Beschäftigungsortes in Arbeitssachen . . . . c) Gerichtsstand der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gerichtsstand der Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gerichtsstand für Patente und sonstige gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Forum rei sitae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Gerichtsstand der Erbschaft und Schenkung . . . . . . . . . . . . h) Gerichtsstand des Schadenseintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI
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10. Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Streiterledigung . . . . . . 11. Gerichtliche Vermögensverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Immunität der Staatsschiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen vom 29.5.1933 . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel: Immunität der Organe des völkerrechtlichen Verkehrs I. Staatsoberhäupter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regierungsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ständige Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diplomaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Diplomat als Kläger/Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsmittel gegen ein dem Diplomaten günstiges Urteil . dd) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Diplomat als Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Befreiung von der materiellen Rechtsordnung des Empfangsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Keine Exterritorialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Person des Diplomaten ist unverletzlich (Art. 29 WÜK) . . h) Rechtswidrige Angriffe, die von privilegierten Personen ausgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Regnicoles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Rechtsschutz im Entsendestaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Familienmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwaltungs- und technisches Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dienstpersonal der Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Private Hausangestellte von Mitgliedern der Mission . . . . . . . . 6. Von der Mission beauftragte Handwerker und Unternehmer . . . 7. Aufhebung der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Unterschied zwischen der Immunität des Personals diplomatischer Missionen und der Immunität des Personals internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ne impediatur legatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Archive und Schriftstücke der Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Kuriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Rechtsstellung der Diplomaten in dritten Staaten: Keine erga omnes-Wirkung der diplomatischen Immunität . . . . . . . . . . . . 13. Ende der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Nichtvertragsstaaten des Wiener Übereinkommens . . . . . . . . . .
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15. Verletzung der diplomatischen Vorrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Rechtsschutz durch den Entsendestaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Spezialmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsularische Vertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immunität nur für dienstliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeugnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urkundenvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Immunitätsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung zwischen konsularischen (dienstlichen) und privaten (nichtdienstlichen) Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben durch Konsularbeamte 7. Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch diplomatischen Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Honorar- und Wahlkonsuln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Unverletzlichkeit der Konsulatsräume und Archive . . . . . . . . . 10. Beschränkung der persönlichen Freiheit des Konsularbeamten in Ausführung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils . . . . . 11. Nichtvertragsstaaten des Wiener Übereinkommens . . . . . . . . . .
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5. Kapitel: Immunität von Truppen fremder Staaten . . . .
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6. Kapitel: Einschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf deutsches Auslandsvermögen . . . . . . . . . . . . .
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I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. NATO-Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deutsch-sowjetischer Truppenabzugsvertrag IV. Deutsches Streitkräfteaufenthaltsgesetz . . . .
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7. Kapitel: Immunität internationaler Organisationen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinte Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beamte der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonderorganisationen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . V. Sonstige internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Missionen und Delegationen bei universellen internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Internationaler Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Internationaler Strafgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Nicht staatliche (private) internationale Organisationen (International Non Governmental Organisations [INGOs]) . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 8. Kapitel: Prüfung der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland in jeder Lage des Verfahrens
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I. Prüfung nach der Inquisitionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine perpetuatio iurisdictionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierter Teil: Internationale Zuständigkeit 1. Kapitel: Generalia . . . . .
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I. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäisches Unionsrecht und völkerrechtliches Vertragsrecht . . 3. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Interessen erzwingen nicht internationale Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsanwendungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Eignung der inländischen Gerichte? . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendung „schwierigen“ Rechts nur durch inländische Richter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Kohärenz von Rechtsgang (Verfahrensrecht) und Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Souveränitätsinteressen des Inlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abwehr ausländischer Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Theorie von der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Beweis- und Rechtsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Begriff der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis zur Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis zur örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fehlen einer völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . V. Gegenstand der Normen über die internationale Zuständigkeit . . VI. Unterschied zwischen Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spiegelbildprinzip: Kongruenzregel des § 328 I Nr. 1 ZPO . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Konkurrierende internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ausschließliche internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . IX. Keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis in territorialer Sicht X. Keine Kognitionsbeschränkung bezüglich Vorfragen . . . . . . . . . . XI. Neutralität der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Ausschließliche internationale Zuständigkeiten
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III. Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kein Schutz des Jurisdiktionsinteresses dritter Staaten . . . . . . . . . V. Völkervertragliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alle beteiligten Staaten sind Vertragspartner einer Konvention . . 3. Der Erststaat ist gegenüber dem Zweitstaat völkervertraglich nicht gebunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beeinträchtigung der Justizgewährung im Inland durch Beachtung ausschließlicher internationaler Zuständigkeiten fremder Staaten . . 1. Unbeachtlichkeit des ausschließlichen Jurisdiktionsanspruchs fremder Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuweisung ausschließlicher internationaler Zuständigkeiten an fremde Staaten durch das deutsche Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Durchbrechung der Kongruenzregel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Autonome Regelung der internationalen Zuständigkeit in der ZPO und im FamFG I. Gesetzestechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Doppelfunktion der Gerichtsstandsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die örtliche Zuständigkeit indiziert die internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitsgerichtsbarkeit und freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . 4. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innerstaatlich nicht unterscheidungskräftige Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abänderungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abänderung deutscher Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abänderung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . c) Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögensgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterhaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Klagen der Prozessbevollmächtigten, Beistände, Zustellungsbevollmächtigten und der Gerichtsvollzieher wegen ihrer Gebühren und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . dd) Internationale Streitgenossenschaft hinsichtlich der Unterhaltsklage des Kindes gegen seine Eltern . . . . . . . 5. Örtliche Ersatzzuständigkeit über §§ 12 ff. ZPO hinaus . . . . . . 6. Ausschließliche internationale Zuständigkeiten . . . . . . . . . . .
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7. Zwangsvollstreckung und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verbreitung der Doppelfunktionstheorie in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationale Zuständigkeit zur Durchführung eines Mahnverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fehlen der internationalen Zuständigkeit entgegen §§ 12 ff. ZPO? . . 1. Ausgrenzung von Scheinproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermögenslosigkeit des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Feststellungsinteresse im Inland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Beachtung der Beanspruchung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit durch einen fremden Staat . . . . . . . . . 5. Deutsche internationale Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die Anerkennung des deutschen Urteils im Ausland . . . . . . . . . . . . 6. Deutsche internationale Zuständigkeit, obwohl sich (alle) Beweismittel im Ausland befinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Internationale Unzuständigkeit wegen Eigenart des Streitgegenstandes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Riezlers Lehre von der sachlichen internationalen Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließliche internationale Zuständigkeit des Auslands . . . . 3. Klagen aus ausländischen Patenten, Marken, Warenzeichen und ähnlichen Schutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Internationale Zuständigkeit im Gefüge der Prozessvoraussetzungen 1. Internationale Zuständigkeit als selbständige, von der örtlichen Zuständigkeit zu unterscheidende Prozessvoraussetzung . . . . . . 2. Prozessabweisung bei internationaler Unzuständigkeit Deutschlands – keine Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Heilung des Mangels der internationalen Zuständigkeit mit Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kein Verbot, ausländische Gerichte anzurufen . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Arglistiges Herbeiführen des Kompetenztatbestandes durch den Kläger: Erschleichen der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . IX. Internationale Zuständigkeit wegen schikanösen Verhaltens des Beklagten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Keine internationale Zuständigkeit aufgrund Zuständigkeitsverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund „Ordination“ durch den Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XIV. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel: Internationale Notzuständigkeit . . . .
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I. Internationale Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein positiver Gleichlauf: Kein Forum nur aufgrund Maßgeblichkeit deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Postulat eines generellen forum legis . . . . . . . . . . . . . . . . c) Forum legis (nur) für Gestaltungsklagen? . . . . . . . . . . . . . . . . d) Durchsetzung international zwingenden Rechts (ordre publicZuständigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Derogationsverbot zur (besseren) Wahrung des aus deutscher Sicht international zwingenden Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtswahlklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein negativer Gleichlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Die verschiedenen Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eröffnung eines inländischen Forums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verweigerung des Rechtsschutzes am forum prorogatum . . . . . 2. Nichtanerkennung des vom forum prorogatum erlassenen Sachurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nichtanwendung des § 328 I Nr. 5 ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notzuständigkeit aufgrund Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGRCh VI. Die „heilsamen Wirkungen“ des Vermögensgerichtsstandes . . . . VII. Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit IX. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . X. Rechtsvergleichendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitel: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
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6. Kapitel: Forum non conveniens I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Thesen Wahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auch keine executio non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Familienverfahren und Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit
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I. Wahl des für den Prozesssieg günstigsten Forums . . . . . . . . . . . . . . II. Abschaffung aller konkurrierenden Spezialgerichtsstände – ein unrealistischer Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Streitgegenstandsbezogene ausschließliche internationale Zuständigkeiten – eine Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wahlrecht des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Steuerungsmöglichkeiten des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rüge der internationalen Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbehaltlose Einlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abwehrstrategien des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präventive negative Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klage auf Unterlassung der Klageerhebung in einem international unzuständigen Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatzklage wegen ungerechtfertigter Verfahrenseinleitung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Forum fixing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatsangehörigkeitszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wohnsitz-/Sitzzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschleunigtes Verfahren im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens im Inland . . . 6. Scheitern der Auslandszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Adoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Andere Familiensachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsvergleichendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Unanwendbarkeit der forum (non) conveniens-Doktrin im Anwendungsbereich des Brüssel I- und II-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitel: Forum shopping
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8. Kapitel: Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung des autonomen deutschen Rechts I. Bewertung der Zuständigkeitsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der internationalen Urteilsanerkennung für eine vernünftige und ausgewogene Zuständigkeitspolitik . . . . . . . . . . . 1. Das Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die raue Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wohnsitz/Sitz des Beklagten als Ausgangspunkt der Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Ausnahme: Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Personenbezogene und sachliche (streitgegenstandsbezogene) Zuständigkeitsanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßgebliche Zuständigkeitsanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beklagten- und Klägergerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Keine internationale Streitgenossenzuständigkeit . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Internationale Zuständigkeit Deutschlands für reine Ausländerprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Hauptsäulen für die internationale Zuständigkeit Deutschlands, wenn der Beklagte keinen inländischen Wohnsitz/Sitz hat . . . . . . IX. Arbeitsrechtsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Versicherungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Verbrauchersachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Wettbewerbssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Kartellsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Gerichtspflichtigkeit des Beklagten/Antragsgegners . . . . . . . . . . . XV. Gerichtspflichtigkeit des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbeantwortete Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Garantieurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Erlass von Arresten, einstweiligen Verfügungen und einstweiligen Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendigkeit der Auslandsvollstreckung als ausreichender Arrestgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Prozessvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX. Vollstreckbare Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regelungsbereich des Art. 24 Nr. 5 der VO (EU) Nr. 1215/2012 und des Art. 22 Nr. 5 des Luganer Übereinkommens . . . . . . . . 5. Forderungspfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIV
460 460 462 462 463 464 464 464 465 467 470 471 471 472 472 472 472 473 473 473 473 473 475 475 475 476 476 478 478 479 479 479 480 480 481
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I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wohnsitz- bzw. Aufenthaltszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Universalistischer Ansatz der deutschen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersatzanknüpfungen bei wohnsitzlosen Personen . . . . . . . . . 3. Internationale Zuständigkeit trotz Wohnsitzes im Ausland für vermögensrechtliche Streitigkeiten aufgrund Aufenthalts im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Qualifikationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wohnsitzfiktion des § 15 ZPO und des § 9 BGB . . . . . . . . . . 6. Sitz als Zuständigkeitsanknüpfung bei juristischen Personen und parteifähigen Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . 7. Vorrang der Brüssel I-Verordnung und des Luganer Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Statusverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Streitgegenstandsferne der Wohnsitzzuständigkeit . . . . . . . . 10. Einschränkung der Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates durch ausschließliche internationale Zuständigkeiten fremder Staaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Keine Erweiterung der internationalen Wohnsitzzuständigkeit bei passiver Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Klagen im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung . . . . a) Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . b) Drittwiderspruchsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerspruchsklage im Zusammenhang mit dem Verteilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Feststellung, dass die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung im Inland anzuerkennen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Automatische Wirkungserstreckung (= Anerkennung kraft Gesetzes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschließlichkeit der internationalen Zuständigkeit? . . . . . 4. Anerkennungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts . . . . . . . . . . . . XXIV. Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels im Inland . . . XXV. Beweiserhebungen außerhalb eines Rechtsstreits . . . . . . . . . . . XXVI. Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII. Tätigkeiten der staatlichen Gerichte auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inländische Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausländische Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kapitel: Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
491 491
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12. 13. 14. 15. 16. 17.
Derogierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klägergerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . Faires Verfahren vor den Gerichten im Wohnsitzstaat nur einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Rechtsvergleichendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Rechtshistorisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht effektive deutsche Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Deutschen Staatsbürgern gleichgestellte Personen . . . . . . . . . . . 5. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Irrelevanz der Parteirolle: Keine Beschränkung der Anknüpfung auf die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners . . . . . . . . . . . . . 7. Frühere deutsche Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Erbstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Vormundschafts-, Pflegschafts-, Betreuungs- und familiengerichtliche Verrichtungen in Bezug auf Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Keine Derogierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Neutralität der Gerichte im Heimatstaat nur einer Partei . . . . . . . 13. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Exkurs: EuEheVO (EG) Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 . . . . . . . . IV. Gerichtsstand des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Zusammenhang mit dem Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . 4. Kritik der h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Legitimität der Belegenheitszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Klarheit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Keine Relation zwischen dem Wert des inländischen Vermögens und dem Wert des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Keine Beschränkung auf Kläger mit Wohnsitz/Sitz im Inland . . . 12. Keine Subsidiarität des Vermögensgerichtsstandes . . . . . . . . . . . 13. Kein Arrestgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Teleologische Reduktion des Vermögensbegriffs . . . . . . . . . . . . . XXXVI
497 497 498 499 499 501 502 502 502 502 502 503 503 503 503 504 504 504 505 505 506 506 506 507 507 507 508 508 509 509 509 510 511 511 512 512 512 513 514 514 515
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15. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Geschmacksmuster- und Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Irrelevanz der Nichtanerkennung des deutschen Urteils im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Klagen gegen ausländische Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Derogierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Anwendbarkeit des § 23 ZPO außerhalb des Erkenntnisverfahrens 22. Auswirkungen der EuGVVO (EU) Nr. 1215/2012 und des Luganer Übereinkommens auf § 23 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Staatsverträge über die internationale Entscheidungszuständigkeit 24. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 25. Rechtsvergleichendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Vermögensgerichtsstand im internationalen Insolvenzrecht . . . . . V. Unterwerfung des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausdrückliche Unterwerfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkludente Unterwerfung durch Unterlassen der Rüge der internationalen Unzuständigkeit in limine litis . . . . . . . . . . . . . 3. Prozesshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschließliche internationale Zuständigkeit fremder Staaten . . . 6. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Keine Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen bei Teilnahme des Beklagten am Rechtsstreit . . . . . . . . . . 8. Rüge nur der örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Mehrere Streitgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Passive Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Hilfsweise Einlassung zur Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Notwendigkeit des Festhaltens an der Rüge der internationalen Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Rechtsmittelinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Präklusion nach §§ 296 III, 532, 565 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Klage am forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Vorrang des Art. 26 EuGVVO und des Art. 24 LugÜ . . . . . . . . . . 18. Bedingte Einlassung für den Fall des Obsiegens . . . . . . . . . . . . . 19. Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . VI. Belegenheitszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitigkeiten über Mobilien, Forderungen und sonstige Rechte . . 3. Streitigkeiten über inländischen Grundbesitz . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mietstreitigkeiten bezüglich im Inland gelegenen Wohnraums . . . 5. Nachbarrechtliche Abwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Besitzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschließlichkeit des forum rei sitae? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Völkerrechtliches Vertragsrecht und EU-Recht . . . . . . . . . . . 9. Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Haushaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . VII. Gerichtsstand der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zweigniederlassung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klagegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbständige Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Scheinniederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Gerichtsstand des Abschlussortes . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kein Aktivgerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtsstand der Niederlassung eines ausländischen Kreditinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gerichtsstand des inländischen Repräsentanten . . . . . . . . . . 9. Gerichtsstand der inländischen Geschäftsstelle . . . . . . . . . . 10. Gerichtsstand des inländischen Heimathafens bzw. des inländischen Heimatortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Derogierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . IX. Fora für Klagen aus Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschlussort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ort der Übernahme des Gutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgangs- und Bestimmungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ablieferungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zahlungsort für Wechsel- und Scheckklagen . . . . . . . . . . . . 7. Ort der tatsächlichen Erfüllungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ort der Vermögensverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ort des Mietobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Wohnsitz, ersatzweise gewöhnlicher Aufenthalt des Kunden . 11. Betriebsort bzw. Sitz des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . 12. Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Gebührenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . X. Insbesondere: Gerichtsstand des inländischen Erfüllungsortes . . 1. Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae . . . . . . . 3. Maßgeblicher Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Klagen, welche das gesamte Vertragsverhältnis betreffen . . . . XXXVIII
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535 535 535 536 536 536 537 537 537 538 538 539 539 539
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540 540 541
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541 542 542 542 542 543 543 543 544 544 545 545 545 545 546 546 546 546 547 547 547 547 548 548 550 550
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5. Streit über Bestehen/Nichtbestehen des Vertragsverhältnisses . 6. Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Besonderheit des Art. 57 UN-Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vertraglich vereinbarter Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 13. Europarats-Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Ort der unerlaubten Handlung – Forum delicti commissi . . . . . . . . 1. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Alternative Anknüpfung an den Handlungs- und den Erfolgsort 4. Irrelevanz des Schadensortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Heranziehung des maßgeblichen Deliktsrechts bei der Abgrenzung des Erfolgsortes von dem kompetenzrechtlich unbeachtlichen Schadensort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . 7. Verletzung des Namensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verletzung von Urheber- und Markenrechten sowie sonstigen Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Verletzung gewerblicher Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Kartellsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge . . . . . . . . . . . 14. Fehlerhafte Kapitalmarktinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Vorbeugender Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Verbraucherschutzklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Kognitionsbefugnis der deutschen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . 19. Sondergesetzliche Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Amtshaftungsansprüche: Deliktische Haftung für hoheitliches Handeln auswärtiger Staaten bzw. auswärtiger Amtsträger . . . . 23. Exkurs: Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes für Schädiger und Kfz-Pflichtversicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Delikt auf deutschem Schiff oder in deutschem Luftfahrzeug . . 25. Keine Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Derogationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 28. Rechtsvergleichendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Inländischer Wohnsitz bzw. Aufenthalt des Klägers . . . . . . . . . . . .
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551 551 551 552 553 553 554 555 555 555 557 558 559 560
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563 565 568 568
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570 572 573 573 574 574 574 575 576 578 578 578 579
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580 580 580 580 581 582 582 582 XXXIX
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1. Grundsätzliche kompetenzrechtliche Irrelevanz des Klägerwohnsitzes/-aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmsweise Anknüpfung an den Klägerwohnsitz bzw. -aufenthalt im Anwendungsbereich des allgemeinen Zuständigkeitsrechts der §§ 12 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Internationale Annexzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebührenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterhaltsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Scheidungsfolgesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fortsetzung des Prozesses wegen (prozessualer) Unwirksamkeit/Nichtigkeit des Prozessvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsmittelzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrenseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfung der internationalen Zuständigkeit als Voraussetzung einer Sachentscheidung im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . d) Qualifikationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rückforderungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 9. Übergang vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatz . . . . . . 10. Entschädigungsrechtliche Rückzahlungsansprüche . . . . . . . . . 11. Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Überweisungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abänderung deutscher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abänderung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerklage gegen Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Derogierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Vom deutschen Recht nicht rezipierte Zuständigkeitsanknüpfungen 1. Streitgenossenzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsstand des Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtsstand der Gewährleistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtsstand am Ort des Entstehens der Verbindlichkeit (forum obligationis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtsstand am Ort der Eheschließung (Zelebrationskompetenz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XL
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6. Gerichtsstand des Zustellungsortes: Internationale Zuständigkeit nur aufgrund Zustellung während vorübergehender Anwesenheit – „tag jurisdiction“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtsstand der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Forum arresti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Internationale Zuständigkeit für Klagen von Inländern . . . . . . 10. Internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Inländer . . . . . . 11. Forum legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . .
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594 595 596 596 596 596 596
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10. Kapitel: Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit I. Einigung der Parteien als bestes Mittel für die Feinsteuerung der Zuständigkeitsinteressen für den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . II. Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Enger Anwendungsbereich des deutschen autonomen Rechts . . . 1. Reichweite des Art. 25 EuGVVO und des Art. 23 LugÜ . . . . . . 2. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gerichtsstandsnovelle 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 38 ZPO erfasst alle Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . 2. Kaufleute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtkaufleute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zuständigkeitsvereinbarung zwischen einem Kaufmann und einem Nicht-Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zuständigkeitsvereinbarungen, an denen mehr als zwei Parteien beteiligt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zuständigkeitsvereinbarungen in Zusammenhang mit Bürgschaften und Garantieversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kritik der lex lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Keine richterrechtliche Anpassung des § 38 ZPO an die Neufassungen des Art. 25 EuGVÜ bzw. Art. 23 LugÜ . . . . . . . . . 10. Doppelfunktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für Prorogationsund Derogationsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausschließliche internationale Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . VIII. Vorrang der europäischen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . IX. Möglicher Inhalt einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . 1. Prorogation und Derogation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsfreiheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Gleichberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mehrere Fora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XLI
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5. Maßgeblichkeit der Parteirolle (reziproke Gerichtsstandsklauseln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Begünstigung Dritter/zu Lasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Bestimmung des forum prorogatum durch einen Dritten . . . . . . . . XI. Internationaler Bezug der Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . XII. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Zuständigkeitsvereinbarung (§ 38 II ZPO) . . . . . 2. Abgrenzung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten . . . . . . 3. Anwendungsbereich der europäischen Zuständigkeitsordnung . XIII. Gerichtswahl und Rechtswahl (Zuständigkeitsvereinbarungen und Vereinbarungen über das anwendbare Recht) . . . . . . . . . . . . XIV. Selbständigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gegenüber materiell-rechtlichem Hauptvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Zustandekommen einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prorogations- bzw. Derogationsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkretisierung des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insbesondere: Zuständigkeitsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unsicherheiten bei der Bestimmung der Vertragspartei . . . . . . 6. Geschäfts- und Vertragssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zeitschranke des § 38 III Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Klage auf Feststellung der Wirksamkeit bzw. der Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Teilunwirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . XVII. Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungspflicht des Gerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichten der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Objektive Grenzen des Umfangs einer Zuständigkeitsvereinbarung 1. Maßgebend ist der Wille der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konnossemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Subjektive Grenzen der Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Wirkung nur inter partes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahme: Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten Dritter . . 3. Keine Zuständigkeitsvereinbarung zu Lasten Dritter . . . . . . . . .
XLII
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4. Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gegenüber dem falsus procurator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beitritt zu einer Zuständigkeitsvereinbarung? . . . . . . . . . . . . . XX. Aufhebung oder Änderung der Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . XXI. Unterschiedliche Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Ausschließlichkeit des forum prorogatum? . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Prorogation: Begründung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands durch Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruch auf Justizgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten . . . . . . . . 3. Maßgeblichkeit deutschen Rechts für die Begründung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands durch Parteivereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inlandsbezug nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollstreckungsmöglichkeit im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Annahme der Prorogation ohne Rücksicht auf Anerkennung der deutschen Entscheidung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . 7. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Selbständige Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV. Derogation der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit . . 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine forum non conveniens-Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslandsbezug nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands zum Zweck der Ausschaltung international zwingenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nichtannahme der Prorogation durch ausländische Gerichte . 6. Fehlen eines rechtsstaatlichen Mindeststandards am forum prorogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Nichtanerkennung des im forum prorogatum erlassenen Urteils in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Wechsel- und Scheckansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Derogationseffekt der Prorogation eines ausländischen Gerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Derogationsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands b) Gefahr der Nichtbeachtung von aus deutscher Sicht international zwingendem deutschen Recht durch das forum prorogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deliktische Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Derogationsfeste Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12. 13. 14. 15. 16. 17.
Wahl einer ausländischen Rechtsordnung als lex causae . . . . Widerklage am forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung am forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitverkündung am forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . Beweissicherung am forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . Derogationseffekt der Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Wirksamkeit der Derogation trotz Fehlens eines Prozesskostenhilfesystems bzw. trotz fehlender Kostenerstattung am forum prorogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV. Gerichtsstandsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI. Gerichtsstandsklauseln in Satzungen und Gesellschaftsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII. Kompetenzkonflikt im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Beurteilung der Wirksamkeit einer ausschließlichen Zuständigkeitsvereinbarung durch das forum prorogatum und das forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Negativer Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positiver Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII. Arbeitssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIX. Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX. Schiedsgerichtliche Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI. Erfüllungsortvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXII. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII. Internationale Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prorogation des Erststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Derogation der internationalen Zuständigkeit des Erststaates . a) Sachentscheidung des forum derogatum . . . . . . . . . . . . . . b) Klageabweisung als unzulässig durch forum derogatum . . .
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11. Kapitel: Prüfung der internationalen Zuständigkeit I. Zweck der Zuständigkeitsprüfung . . . . . . . . II. Terminanberaumung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. In Betracht kommende Hypothesen . . . . . a) Beklagter nimmt am Verfahren teil . . . . b) Beklagter nimmt am Verfahren nicht teil 3. Regelungsbereich des Brüssel I-Systems . . 4. Doppelrelevante Tatsachen . . . . . . . . . . .
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IV. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Zuständigkeitstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eintritt der Zuständigkeitsvoraussetzungen erst während des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortfall der Zuständigkeitsvoraussetzungen während des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Perpetuatio competentiae internationalis in der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Internationale Insolvenzzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Reihenfolge der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Gefüge der einzelnen Prozessvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entscheidung über die internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . 1. Endurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Verweisung ins Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Feststellung, welche(r) Staat(en) international zuständig wäre(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bindungswirkung gem. § 281 II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bindungswirkung gem. § 36 I Nr. 6 ZPO und § 5 FamFG . . . . . . 7. Prozessvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vollstreckbare Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Nachprüfung der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit durch die Rechtsmittelgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unanwendbarkeit von § 513 II und § 545 II ZPO bzw. § 65 IV und § 72 II FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des § 39 ZPO und des Art. 26 EuGVVO bzw. des Art. 24 LugÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abweichende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zur Zuständigkeitsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Klage auf Feststellung, dass Deutschland für einen bestimmten Rechtsstreit international zuständig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Keine Bindung an ausländische Zuständigkeitsentscheidungen . . . X. Heilung des Mangels der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . XI. Exkurs I: Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit XII. Exkurs II: Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Exkurs III: Weit gehende „europäische“ Bindungswirkung einer Prozessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit . . . . . . XIV. Exkurs IV: Prozessabweisung wegen Zuständigkeit eines Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 12. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts I. VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 (EuGVVO n.F.) . II. VO (EG) Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 (EuEheVO) . . . III. VO (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 (EuUnterhVO) . . . . IV. VO (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 (EuErbVO) . . . . . . V. VO (EU) Nr. 655/2014 vom 15.5.2014 (EuvKpfVO) . . . .
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13. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen I. Vorrang vor §§ 12 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normierung der internationalen Entscheidungszuständigkeit III. Brüsseler Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Lugano-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Völkerrechtliche Verträge, die Vorrang vor der europäischen Zuständigkeitsordnung haben gem. Art. 71 I EuGVVO bzw. Art. 67 LugÜ 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fünfter Teil: Justizgewährungsanspruch I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Liberalismus der deutschen Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . 2. Ehedem: Das Gegenkonzept der Art. 14 und 15 Code civil . . . . . . 3. Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht erforderlich . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verflochtenheit eines effektiven Rechtsschutzes mit nahezu allen Bereichen des internationalen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regeln für die internationale Entscheidungszuständigkeit . . . . . . 2. Zustellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beachtlichkeit ausländischer Rechtshängigkeit auf der Grundlage des Prioritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Immunitätsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verfahrensbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anerkennungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Justizgewährungsanspruch und Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . . .
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1. Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in der Sphäre des Beklagten als Hemmschuh für den Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitsanknüpfungen in der Sphäre des Klägers/Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschließliche internationale Zuständigkeit ausländischer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Intertemporales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Keine Beachtung von Verboten ausländischer Gerichte, im Inland zu klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verbot individuellen Rechtsschutzes durch Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens – vis attractiva concursus . . . . VII. Blockade individuellen Rechtsschutzes in Deutschland durch deutsches Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Justizgewährung ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatsangehörigkeitszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Justizgewährung für Ausländer in Statussachen . . . . . . . . . . . . IX. Keine Justizgewährung aufgrund Maßgeblichkeit deutschen Rechts X. Keine Rechtsschutzverweigerung bei fremder lex causae . . . . . . . XI. Forum non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Justizgewährung am forum prorogatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Ausschluss des Rechtsschutzes im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Zugang zu den deutschen Gerichten auch für ausländische Staaten und juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . XV. Ausschluss öffentlich-rechtlicher Ansprüche für Ausländer . . . . . XVI. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Wesenseigene Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Anspruch auf Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX. Justizgewährung nach Maßgabe der Ausgestaltung des deutschen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit der Einreichung einer Klageschrift . . . . . . . . . . 3. Verhandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Versäumnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Dispositionsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Pflicht zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Sicherheitsleistung für Prozesskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XXIV. Prozess- und Verfahrenskostenhilfe XXV. Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . XXVI. Einreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII. Sicheres Geleit . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII. Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sechster Teil: Internationales Zustellungsrecht 1. Kapitel: Rechtsquellen I. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haager Übereinkommen 1954 (HZPÜ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haager Übereinkommen 1965 (HZÜ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bilaterale Rechtshilfeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . II. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellungsverordnung VO (EG) Nr. 1393/2007 . . . . . . . . . . . 2. Vollstreckungstitelverordnung VO (EG) Nr. 805/2004 . . . . . . . 3. Mahnverfahrensverordnung VO (EG) Nr. 1896/2006 . . . . . . . . 4. Bagatellverfahrensverordnung VO (EG) Nr. 861/2007 . . . . . . . 5. Unterhaltsverordnung VO (EG) Nr. 4/2009 . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erbrechtsverordnung VO (EU) Nr. 650/2012 . . . . . . . . . . . . . 7. Kontenpfändungsverordnung VO (EU) Nr. 655/2014 . . . . . . . 8. Gewaltschutzverordnung VO (EU) Nr. 606/2013 . . . . . . . . . . III. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnis des völkerrechtlichen Vertragsrechts zum autonomen deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verdrängung des nationalen Zustellungsrechts durch das sekundäre Unionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Völkerrechtliche Schranken für Mitteilungen an Adressaten im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verfassungsrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . VIII. Völkerrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . IX. Gefährdung bzw. Vereitelung des Justizgewährungsanspruchs durch überlange Verzögerung der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 16 HZÜ . . . . . XI. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 19 IV und V EuZustVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Rechtsvergleichende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel: Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren I. Das deutsche Konzept: Grundsätzlich keine Zustellungsfiktion, sondern tatsächlich ausgeführte förmliche Zustellung im Ausland 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderregelung im deutsch-tunesischen und im deutschmarokkanischen Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustellungsreformgesetz vom 25.6.2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren nach § 183 I 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vereinbarungen über die Modalitäten der Zustellung . . . . . . . . . . IV. Heilung von Zustellungsmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vereitelung der Zustellung durch den Zustellungsadressaten . . . . VII. Öffentliche Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zustellung an Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Maßgeblichkeit der lex fori für Zustellungsverfahren . . . . . . . . . . X. Notwendigkeit der Auslandszustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Fiktive Inlandszustellung gem. § 184 I 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post . . . . . . . . . 3. Drohende internationale Entscheidungsdisharmonie wegen Gefahr der Nichtanerkennung deutscher Entscheidung im Ausland 4. Ermessensspielraum des Gerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Verhältnis zwischen Judikative und Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Rechtshilfebehörde . . . . XIV. Durchführung der Auslandszustellung nach § 183 I 2 ZPO . . . . . . XV. Zustellung durch die deutschen Auslandsvertretungen . . . . . . . . XVI. Fristwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Forderungspfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Immunitätsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellung an ausländische Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustellung an Personen, die Immunität genießen . . . . . . . . . . . XIX. Freiwillige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel: Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland I. Aktive Rechtshilfe für ausländische Staaten: Zustellung durch deutsche Rechtshilfebehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablehnung von ausländischen Zustellungsersuchen . . . . . . . .
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3. Keine Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustellungszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Passive Rechtshilfe: Dulden von Zustellungen durch ausländische Stellen (ohne Einschaltung deutscher Rechtshilfebehörden) auf deutschem Territorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellung durch konsularische oder diplomatische Vertreter . . . . 2. Zustellung aus dem Ausland durch die Post . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haager Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutsch-britisches Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zustellungsverordnung VO (EG) Nr. 1393/2007 . . . . . . . . . . . . 3. Direkte Beauftragung von Zustellungsorganen im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zustellung durch Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionen bei Verletzung der deutschen Justizhoheit . . . . . . . . . a) Keine automatische Nichtanerkennung der ausländischen Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine strafbare Amtsanmaßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke . . . . . . . . . . . . .
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Siebenter Teil: Parteien und ihre Vertreter I. Parteibegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parteiänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verweisung auf das materielle und/oder prozessuale Personalstatut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz des inländischen Rechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personalstatut juristischer Personen nach der Sitztheorie außerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit des AEUV und des EWR-Abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 6. Inländische Niederlassungen ausländischer Gesellschaften . . . . 7. Spalt- und Restgesellschaften trotz Löschung im Ausland . . . . . 8. Deutsch-amerikanischer Freundschaftsvertrag und deutschspanisches Investitionsschutzabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Bedeutung von Art. 49, 54 AEUV und Art. 31, 34 EWRAbkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Bedeutung von Art. XXVIII des General Agreement on Trade in Services . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L
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11. Relevanz der Gründungstheorie aufgrund von Art. 6 und Art. 14 EMRK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Parteifähigkeit der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Parteifähigkeit der hereditas iacens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Parteifähigkeit der Europäischen Wirtschaftlichen Vereinigung und der Europäischen Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Exkurs: Anerkennungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessuales Personalstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personenverbindungen und Vermögensmassen . . . . . . . . . . . c) Vertretungsbefugnis des Bundesamts für Justiz als Zentrale Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 4. Exkurs: Anerkennungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Postulationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwaltszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung des § 79 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auftreten ausländischer Anwälte bei Beweisaufnahme vor deutschem Rechtshilfegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Anerkennungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Prozessvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Inländischer Zustellungsbevollmächtigter für im Ausland domizilierte Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lex fori-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessführungsbefugnis aufgrund materiellen Rechts . . . . . . . . 3. Prozessführungsbefugnis aufgrund Prozessrechts . . . . . . . . . . . . a) Veräußerung der streitbefangenen Sache . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Versicherungsgeschäft der bei Lloyd’s vereinigten Einzelversicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslandsinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Exkurs: Anerkennungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Beteiligung Dritter am Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Achter Teil: Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht 1. Kapitel: Internationales Beweisrecht im Spannungsfeld zwischen lex causae und lex fori I. Abgrenzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Beweisverfahren als Domäne der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Kreuzverhör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweisbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einführung einer Urkunde in den Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Indizienbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zurückweisung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel . . 7. Beweisverfahrensarten (Strengbeweis, Freibeweis, Glaubhaftmachung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Beweiserleichterung nach § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweisfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beweiserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Beweisbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Offenkundige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Beweisvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unwiderlegliche Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerlegbare Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsächliche Vermutungen, insbesondere der Beweis des ersten Anscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Beweis ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Beweisthemenverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Beweisverbote des Estoppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollmachtsmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Estoppel by record . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Unsichere Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Beweishindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Richterlicher Augenschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Numerus clausus der Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz: Maßgeblichkeit der lex causae . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahme: Maßgeblichkeit der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Besonderheiten der angelsächsischen Rechtsordnungen: Aufgabenteilung zwischen Richter und Jury . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Pflicht zur Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel: Internationales Beweisverfahrensrecht – Grundfragen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haager Übereinkommen vom 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen . . . . . . c) Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland d) Deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Rechtshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . g) Andere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. EU-Beweisaufnahme-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel: Auslandsbeweisaufnahmen für vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren I. Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen in Betracht kommenden Rechtsebenen . . . . 2. Entscheidungsfreiheit des deutschen Gerichts . . . . . . . . . . . . . 3. Befugnisse des deutschen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schriftliche Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Telefonische Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Audiovisuelle Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anordnung der Vorlage von Urkunden, die sich im Ausland befinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beauftragung von Sachverständigen, die sich im Ausland aufhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ladung von Beweispersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwertungsverbot bei völkerrechtswidriger Beweisbeschaffung II. Beweisaufnahme für deutsche Zivilprozesse im Ausland . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussfassung über die im Ausland durchzuführende Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Verständigung der Parteien von dem Beweistermin im Ausland . . . 4. Kosten für die Teilnahme am ausländischen Beweistermin . . . . . . 5. Verfahren des deutschen Prozessgerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verwertung der Ergebnisse der ausländischen Beweisaufnahme . . 7. Nichterledigung des deutschen Beweisaufnahmeersuchens im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Absehen von einer Beweisaufnahme analog § 244 III StPO? . . . . . III. Beweisaufnahme durch deutsche Konsularbeamte . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befugnisse der deutschen konsularischen Vertreter . . . . . . . . . . . . 3. Überwachung der Beweisaufnahme des deutschen Konsularbeamten durch Organe des Beweisaufnahmestaates . . . . . . . . . . . 4. Teilnahmerecht der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beweisaufnahme durch ausländische Rechtshilfebehörden . . . . . . . . 1. Notwendigkeit der Inanspruchnahme ausländischer Rechtshilfe . . 2. Form und Inhalt des Ersuchens des deutschen Gerichts . . . . . . . . 3. Zuständiger Funktionsträger für die Beweisaufnahme im Ausland . 4. Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates . . . . . . . . 5. Teilnahme der Beteiligten an der ausländischen Beweisaufnahme . 6. Teilnahme deutscher Richter an der ausländischen Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Weigerungsrechte der Beweispersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. US-amerikanische pre-trial discovery für deutsche Prozesse? . . . . V. Anwendung deutschen Strafrechts für Eides- und sonstige Aussagedelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel: Beweisaufnahmen auf deutschem Territorium für im Ausland anhängige Verfahren I. Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweisaufnahme ohne Einschaltung deutscher Stellen (Direktmethode) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überwachung durch deutsches Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbot der Vernehmung deutscher Staatsangehöriger . . . . . . . . . 4. Keine Anwendung von Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Befugnisse der Konsuln und Gerichtsbeauftragten . . . . . . . . . . . 6. Schutz der Beweispersonen bei Beweisaufnahmen durch nichtdeutsche Stellen (Konsuln oder Beauftragte) . . . . . . . . . . . . III. Aktive Rechtshilfe: Erledigung ausländischer Ersuchen um Beweisaufnahme durch deutsche Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innerstaatliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LIV
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2. In Betracht kommende Rechtshilfehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtshilfe als Aufgabe des Bundes gem. Art. 32 I GG . . . . . . . . . . . . 4. Überblick über die fünf Abschnitte der internationalen Rechtshilfe . . a) Erster Abschnitt: Das ausländische Gericht ersucht um Rechtshilfe b) Zweiter Abschnitt: Entscheidung über die Gewährung deutscher Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritter Abschnitt: Durchführung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . d) Vierter Abschnitt: Rückgabe der Akten nach der Erledigung durch das Amtsgericht an die Rechtshilfebehörde (Prüfungsstelle bzw. Zentrale Behörde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fünfter Abschnitt: Rückleitung der Akten durch die Rechtshilfebehörde an den ersuchenden Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ablehnung des ausländischen Ersuchens durch die Justizverwaltung . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Ordre public“-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundrechtsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Staatliche Wirtschaftsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhältnis zu § 328 ZPO und § 109 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Pre-trial discovery of documents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Beweisaufnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht, auch wenn die gewünschte Beweisaufnahmemethode dem deutschen Recht unbekannt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Ablehnung im unmittelbaren Staatsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . i) Verfahren bei Ablehnung der erbetenen Rechtshilfe . . . . . . . . . . . 6. Innerstaatliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) gegen die Ablehnung der vom ausländischen Gericht erbetenen Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) gegen die Bewilligung der Rechtshilfe der vom ausländischen Gericht erbetenen Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfahren vor dem deutschen Rechtshilfegericht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei der Beweisaufnahme vom deutschen Rechtshilfegericht anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vernehmung in der erleichterten Form der schriftlichen Befragung (§ 377 III ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eidesabnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht . . . . . . . . . . e) Weigerungsrechte der Beweispersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Teilnahmerechte der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Anwesenheit des ausländischen Prozessgerichts . . . . . . . . . . . . . 8. Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Androhung und Anwendung von Zwangsmitteln nur nach der deutschen lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich der Zwangsmittel nach deutschem und US-Bundesrecht . aa) Vernehmung von Aussagepersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Duldung des Augenscheins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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cc) Vorlage von Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kosten und Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Kapitel: Ladung von Zeugen ins Ausland I. Ladung ohne Einschaltung deutscher Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übermittlung der Ladung des ausländischen Gerichts durch die deutschen Rechtshilfeinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freies Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitel: Mitwirkung an einer (angeblich souveränitätsverletzenden) Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Kapitel: Nichtanerkennung ausländischer Entscheidungen, die auf einem völkerrechtswidrigen Beweisverfahren beruhen? I. Verletzung der Justizhoheit Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verletzung der Justizhoheit dritter Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Kapitel: Beweisaufnahme für schiedsgerichtliche Verfahren . . . . . . .
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9. Kapitel: Beweissicherung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Kapitel: Beweisaufnahme für Verfahren vor den Gerichten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Neunter Teil: Anwendung ausländischen Rechts durch die deutschen Gerichte I. Pflicht zur kollisionsrechtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . II. Pflicht, den Inhalt des vom deutschen internationalen Privatrecht berufenen ausländischen Rechts zu ermitteln . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnormqualität ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Beweis“ ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versäumnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorläufiger Rechtsschutz – Notwendigkeit einer Eilentscheidung III. § 293 ZPO als Ausnahme vom Grundsatz „iura novit curia“ . . . . . . IV. Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ersatzrecht, wenn der Inhalt des ausländischen Rechts nicht festgestellt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Revisibilität ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage seit 1.9.2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LVI
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2. BGH: Irrevisibilität ausländischen Rechts auch nach neuem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unrichtige Anwendung des deutschen Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachprüfung des ausländischen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nachprüfung des § 293 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Keine Kostenvorschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rechtstatsächliches – Foralpraxis praeter legem . . . . . . . . . . . . . . X. Europäisches Übereinkommen vom 7.6.1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Exkurs I: Internationale Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Exkurs II: Vorlage der Auslegungsfrage zum ausländischen Recht an das jeweilige ausländische Höchstgericht . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zehnter Teil: Durchführung in Deutschland anhängiger Verfahren mit Auslandsberührung I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte . . . . . . . . . . . III. Aufteilung unter die verschiedenen Gerichtsbarkeiten . . . IV. Besondere Formen des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . V. Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Klagefristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Präklusionsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Gerichtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Abänderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Prozessvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Abfassung deutscher Entscheidungen im Hinblick auf ihre Verwendung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Folgen der Fehlerhaftigkeit eines Gerichtsurteils . . . . . . . XV. Klagebefugnis von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Gruppen- und sonstige Stellvertreterklagen . . . . . . . . . . . XVII. Kostenerstattungspflicht der unterlegenen Partei . . . . . . .
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Elfter Teil: Bedeutung eines im Ausland anhängigen Verfahrens bei Identität oder Konnexität des Streitgegenstands I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berücksichtigung der ausländischen Rechtshängigkeit nur bei positiver Anerkennungsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrecht und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Identität des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Identität der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konnexität beider Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Prioritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Früheres Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Kein Gegenseitigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Beachtung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Zwischenurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Präjudizialität des ausländischen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Relevanz der Beweisaufnahme in einem im Ausland schwebenden Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Positive Anerkennungsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Abgrenzung zur Anerkennung der res iudicata- und der Gestaltungswirkung der bereits im Ausland ergangenen Entscheidung . . XVII. Justizverweigerung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Negative Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Ausländisches Schlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX. Aufrechnung trotz Rechtshängigkeit im Ausland . . . . . . . . . . . . . XXI. Verjährungshemmung aufgrund der Klageerhebung im Ausland . . XXII. Familienverfahren und (sonstige) Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Ausländische Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV. Gleichzeitige Zwangsvollstreckung im In- und Ausland . . . . . . . . XXV. Eingeschränkte Durchsetzung des Prioritätsprinzips im Anerkennungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI. Bilanzierungspflicht hinsichtlich des Prozessrisikos . . . . . . . . . .
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Zwölfter Teil: Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen 1. Kapitel: Anerkennung ausländischer Entscheidungen
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I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Europäisches sekundäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis des anerkennungsfreundlicheren autonomen Rechts zum (strengeren) Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis des anerkennungsfreundlicheren nationalen Rechts zum (strengeren) europäischen Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkennungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung bedeutet Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Wirkungserstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materiell-rechtliche Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entscheidungen in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausländische Vollstreckungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Durchführung eines Anerkennungsverfahrens nicht erforderlich . 7. Zeitpunkt der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anerkennungsfähige Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Rechtskraft (Feststellungswirkung) . . . . . . . . . . . . . . 3. Präklusionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gestaltungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Streitverkündungs- und Interventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . VI. Nicht anerkennungsfähige Urteilswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Tatbestandswirkungen ausländischer gerichtlicher Entscheidungen aus deutscher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Anerkennung in dritten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Anwendungsbereich des § 328 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Streitgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Streitige Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Insolvenzrechtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Entscheidungen der Gerichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Entscheidungen völkerrechtlicher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . .
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X. XI. XII. XIII.
Verbürgung der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung gem. § 109 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung gem. § 343 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung nach dem Recht des Erststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Festlegung des Vorrangs bei Kollision mehrerer Entscheidungen über die gleiche Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit des Erststaates (= der Befugnis des Erststaates zur Entscheidung über den Streitgegenstand aus der Sicht des Zweitstaates) . a) Gerichtsbarkeit des Erststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Zuständigkeit des Erststaates (internationale Anerkennungszuständigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschränkte Überprüfung der Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . a) Überprüfung des ausländischen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . aa) Einleitung des Prozesses im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablauf des Verfahrens im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung der ausländischen Entscheidungsfindung . . . . . c) Skandalöses Verhalten einer Partei im Erstverfahren . . . . . . . . d) Prüfungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wirksamkeit der Fehlentscheidung des Zweitrichters zur Frage der ordre public-Widrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Anerkennung unmittelbar kraft Gesetzes ohne Durchführung eines Anerkennungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahme: Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Bedürfnis nach rechtskraftfähiger Klärung der Anerkennungs- bzw. Nichtanerkennungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unionale Anerkennungsfeststellungs- und -versagungsverfahren . 3. Verhältnis zwischen Feststellung der Anerkennungsvoraussetzungen und Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Anerkennungsfeststellungsverfahren für Entscheidungen in Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monopolisierung der Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen bei der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussetzungspflicht für die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nebenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Feststellungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anerkennungsprognose im Zusammenhang mit der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LX
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7. Einstweilige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wirksamkeit der ausländischen Entscheidung nach dem Recht des Erststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Deutsche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Nichtigkeit (= Unwirksamkeit) der Entscheidung der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Benachrichtigung des Standesbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Verwaltungsverfahren im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Entscheidung der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Antrag auf gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Abänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Haager Adoptionsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Haager Erwachsenenschutzübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Folgen der Versagung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtbeachtung der ausländischen Entscheidung . . . . . . . . . . 2. Rückforderung des aufgrund des ausländischen Urteils Geleisteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beweiskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Parteivereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Internationale Ersatzzuständigkeit zur Wiederholung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Internationale Zuständigkeit zur Aufhebung bigamischer Ehen . XX. Teilanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Aufhebung der ausländischen Entscheidung im Erststaat . . . . . . . XXII. Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Anerkennungsregime der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV. Europäischer Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel: Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel I. Nichtanerkennung der erststaatlichen Vollstreckbarkeit . . . . . . . . II. Streitgegenstand des deutschen Vollstreckbarerklärungsverfahrens III. Vollstreckbarerklärungsfähige Urteile und sonstige Titel . . . . . . . . IV. Vollstreckungstitel, für die eine Vollstreckbarerklärung nicht in Betracht kommt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exequaturentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsurteile, die aufgrund einer actio iudicati ergangen sind 3. Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. VII. VIII. IX.
Vollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Titeln . . . . . . . . . . . . Insolvenz im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckbarerklärungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung des Verfahrens nach § 722 ZPO . . . . . . . . . . . . 4. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 38 ff. LugÜ 2007 . 5. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 28 EuEheVO . . . . 6. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 26 ff. EuUnterhVO 7. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 43 ff. EuErbVO . . . 8. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 25 I 2 EuInsVO . . 9. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 71 II 2 EuGVVO n.F. 10. Vollstreckbarerklärungsverfahren auf Grund der deutschen Ausführungsgesetze zu den völkerrechtlichen Verträgen . . . . . 11. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 II FamFG . . . . . . X. Einwendungen gegen den dem Vollstreckungstitel zugrundeliegenden Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Verweisung des Schuldners auf die ihm offen stehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Erststaat . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Verletzung des Verbots der révision au fond . . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung im Vollstreckbarerklärungsverfahren . . . . . . 4. Berücksichtigung nach Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Grundlage für die Zwangsvollstreckung im Inland . . . . . . . . . . . . XIII. Ergänzungen des erststaatlichen Vollstreckungstitels . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Festsetzung von Zinsen und Mehrwertsteuer . . . . . . . . . . . . . . 4. Dynamisierte Unterhaltstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lohnquotentitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige nicht exakt formulierte Vollstreckungstitel . . . . . . . . . 7. Keine Umrechnung des auf ausländische Valuta lautenden Vollstreckungstitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Gleichstellung des für vollstreckbar erklärten erststaatlichen Vollstreckungstitels mit zweitstaatlichen Titeln . . . . . . . . . . . . . . XV. Nebenintervention und Streitverkündung im Vollstreckbarerklärungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Res iudicata-Wirkung der Entscheidung über den Vollstreckbarerklärungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Teilexequatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII. Leistungsklage aus ausländischem Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXII
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XIX. Kosten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . XX. Eventualleistungs- und Abänderungsklage/Abänderungsantrag aus materiellem Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Vollstreckungsgegenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Vollstreckung von Anordnungen und Beschlüssen aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV. Einstweilige Sicherungen vor deutscher Vollstreckbarerklärung . XXV. Klage auf Feststellung der fehlenden Exequaturfähigkeit des ausländischen Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI. VO (EU) Nr. 1215/2012: Abschaffung des Exequaturerfordernisses XXVII. VO (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII. VO (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIX. VO (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX. VO (EG) Nr. 4/2009 betreffend das Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . XXXI. VO (EU) Nr. 655/2014 betreffend die vorläufige Kontenpfändung XXXII. VO (EU) Nr. 1215/2014 betreffend die Neufassung der EuGVVO . XXXIII. VO (EU) Nr. 606/2013 betreffend die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIV. Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz . . . . . . . . . . . . .
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Dreizehnter Teil: Internationales Zwangsvollstreckungsrecht I. Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrechtliche Grenzen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . . . . . . . . c) Forderungspfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pfändung sonstiger Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Herausgabe von Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ersatzvornahme von Handlungen und Unterlassungen . . . . g) Zwangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Worldwide Freezing (Mareva) Injunctions – Allgemeine Verfügungsverbote mit globalem Geltungsanspruch . . . . . . i) Pfändung öffentlich-rechtlicher Forderungen eines fremden Staates gegen Inländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . a) Pfändung von beweglichen Sachen einschließlich Wertpapieren, Forderungen aus Wechseln und anderen indossablen Papieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pfändung von Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen . . . . . 3. Ne bis in idem in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anspruch auf Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwangsvollstreckung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Executio non conveniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Enforcement shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . X. Zustellung als Voraussetzung des Beginns der Zwangsvollstreckung XI. Pfändung von Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . . 1. Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustellung an den Vollstreckungsschuldner . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen eines Drittschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zustellung an den Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen für den Erlass eines Pfändungsbeschlusses . . . . 3. Zahlung des Drittschuldners an Vollstreckungsschuldner trotz (wirksamer) Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsstellung des Gläubigers gegenüber dem Drittschuldner . . . a) Vor Erlass des Überweisungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach Erlass des Überweisungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßgebliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Internationale Zuständigkeit für Klage des Gläubigers gegen den Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klagen vor inländischen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Internationale Zuständigkeit für Klagen gegen den Pfändungspfandgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zustellung der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Klage im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Pfändbarkeit, Pfändungsbeschränkungen und -erweiterungen . . . . . XIII. Schadensersatz wegen unberechtigter Vollstreckung . . . . . . . . . . . . XIV. Anerkennung ausländischer Vollstreckungsakte . . . . . . . . . . . . . . . XV. Vermögensauskunft und eidesstattliche Versicherung . . . . . . . . . . . XVI. Haftbefehl (§ 802g ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierzehnter Teil: Internationales Insolvenzrecht 1. Kapitel: Grundfragen
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I. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Istanbuler Übereinkommen des Europarates vom 5.6.1990 über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses . . . . . . . . . . . . 4. VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. UNCITRAL-Modellbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Autonomes deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Qualifikationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gegenstand des internationalen Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationales Insolvenzverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Insolvenzkollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gleichbehandlung in- und ausländischer Gläubiger . . . . . . . . . . . . V. Universalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung der insolvenztypischen Wirkungen ausländischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Partikularinsolvenzverfahren über das Inlandsvermögen . . . . . . . 4. Gefährdung des Anspruchs auf effiziente Gesamtvollstreckung durch einen utopischen Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht zur Herausgabe von Massegegenständen an den Verwalter a) Pflichten des Gemeinschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herausgabepflichten der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Anerkennungszuständigkeit nach dem Spiegelbildprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Masseprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anfechtungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prüfung der Anmeldung einer Insolvenzforderung und deren Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Priorität des deutschen Universalinsolvenzverfahrens? . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Relevanz ausländischer Insolvenzanhängigkeit . . . . . . . . . 3. Deutsches Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Koordination mehrerer Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befugnisse der Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teilnahmerechte der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzverwaltungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX. Kein Vergeltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Hilfs- und Rechtshilfeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel: Deutsche Insolvenzverfahren mit Auslandsberührung I. Umfang der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutsche Insolvenzverfahren, welche das gesamte (insolvenzfähige) Vermögen des Schuldners weltweit erfassen wollen . . . . 2. Deutsche Insolvenzverfahren, die sich auf das in Deutschland belegene Schuldnervermögen beschränken . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freiwillige Beschränkung des deutschen Insolvenzverfahrens? . 4. Fehlentscheidung des deutschen Insolvenzgerichts . . . . . . . . . II. Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anknüpfungspunkte für die Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . a) Universalinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Partikularinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) VO (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren . . . . . . . . . 2. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Zuständigkeitsvereinbarungen und keine kompetenzbegründende Einlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine kompetenzrechtliche vis attractiva concursus . . . . . . . . 5. Keine forum non conveniens-Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Prüfung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Perpetuatio fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Heilung von Zuständigkeitsmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Keine internationale Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 10. In Zusammenhang mit der Insolvenz stehende Einzelverfahren IV. Insolvenzfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Parteifähigkeit der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abwicklung des deutschen Verfahrens nach der deutschen lex fori VII. Vollstreckungsverbot während der Dauer des deutschen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zugriff auf das außerhalb Deutschlands gelegene Vermögen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Bestätigter Insolvenzplan – Zwangsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel: Anerkennung der Wirkungen ausländischer Insolvenzverfahren I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnung als Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwaltungsbehördliche Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung der ausländischen Insolvenzverwaltung und deren Handlungsbefugnisse nach der lex fori concursus . . . . . . . . . . . . LXVI
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V. Anerkennung ohne Verbürgung der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . VI. Voraussetzungen für die Anerkennung der Verfahrenseröffnung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit der ausländischen Insolvenzentscheidung nach dem Recht des Eröffnungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Extraterritorialer Geltungsanspruch aus der Sicht des Eröffnungsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtsbarkeit des Insolvenzeröffnungsstaates . . . . . . . . . . . . . 4. Internationale Zuständigkeit des Insolvenzeröffnungsstaates . . . . 5. Vorbehalt des ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vergleich mit den Anerkennungsvoraussetzungen des § 328 ZPO 7. Vorrang eines deutschen Universal- oder Partikularinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Teilanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Entscheidungen im Verlaufe des ausländischen Insolvenzverfahrens IX. Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Kein besonderes (konstitutives) Anerkennungsverfahren . . . . . . . . XI. Öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung im Inland und Eintragung der Eröffnung im deutschen Grundbuch . . . . . . . . . XII. Unterbrechung eines im Inland anhängigen (die Insolvenzmasse betreffenden) Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Einschränkung der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren durch Einzel- oder Gesamtvollstreckung in Deutschland . . . . . . . . . 1. Einzelzwangsvollstreckung während des ausländischen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtzwangsvollstreckung aufgrund eines deutschen Partikularverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anhang: Einzelzwangsvollstreckung nach Beendigung des ausländischen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Feststellungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollstreckbarerklärungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel: Insolvenzkollisionsrecht und insolvenzrechtliche Sachnormen für Fälle mit Auslandsberührung I. Reichweite der lex fori concursus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schwebende Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachnormen zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs . . . . a) Schutz dinglicher Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leistung an den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfügungen über unbewegliche Gegenstände, die im Inland belegen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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d) Verfügungen über bewegliche Gegenstände, die im Inland belegen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen zugunsten der „normalen“ IPR-Anknüpfung . . . . a) Miet-, Pacht- und sonstige Nutzungsverhältnisse . . . . . . . . b) Kaufverträge, Mietkauf- und Leasingverträge über unbewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aussonderungs-, Absonderungs- und sonstige besondere Rechte . III. Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Insolvenzaufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Insolvenzbedingtes Erlöschen von Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Insolvenzplan (Zwangsvergleich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Organisierte Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Pensionsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Schutz des Zahlungsverkehrs in einem System nach § 1 XVI des Kreditwesengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fünfzehnter Teil: Internationale Rechtshilfe I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäisches (sekundäres) Unionsrecht . . . . . . . . 3. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entscheidung über den Rechtshilfeantrag . . . . . . . . IV. Ausführung des ausländischen Rechtshilfeersuchens 1. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragslose Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sechzehnter Teil: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit 1. Kapitel: Rechtsquellen I. Völkerrechtliche Abkommen und Konventionen auf dem Gebiet der privaten Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäisches (Genfer) Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Übereinkommen auf Spezialgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Washingtoner Weltbank-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . b) Übereinkommen über den Internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere internationale Verkehrsübereinkommen . . . . . . . . . d) Internationale Übereinkommen über die deliktische Haftung für Großschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge . . . . . . . . . . . . . II. Übernahme des UNCITRAL-Modellgesetzes im neuen autonomen deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel: Grundfragen . .
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I. Abgrenzung zur völkerrechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . II. Problem der „Anbindung“ eines internationalen Schiedsverfahrens . III. Unterscheidung zwischen dem Statut des Schiedsverfahrens, der Schiedsvereinbarung und des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . IV. Perspektive des staatlichen Richters in Deutschland . . . . . . . . . . . . 1. Einwand der „Derogation“ der Zuständigkeit des staatlichen Gerichts durch Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Erledigung . . 2. Mithilfe des staatlichen Gerichts bei der Konstituierung des ausländischen Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hilfstätigkeiten der deutschen staatlichen Gerichte für ausländische Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches eines ausländischen Schiedsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Unterschiede zwischen der „Behandlung“ in- und ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Internationale Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitel: Die Schiedsvereinbarung als Basis für die „Zuständigkeit“ des Schiedsgerichts I. Prinzip der Freiwilligkeit der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . II. Auf die Schiedsvereinbarung anzuwendendes Recht (Statut der Schiedsvereinbarung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit der kollisionsrechtlichen Fragestellung . . . . . 2. Parteiautonomie als maßgebliche Anknüpfung . . . . . . . . . . . 3. Internationaler Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . 5. Reichweite des Statuts der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . 6. Selbständige Anknüpfung des Statuts der Vollmacht zum Abschluss der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang einer staatsvertraglichen Regelung der Formfrage . . . . b) Keine Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendung des § 1031 ZPO auch bei fremdem Schiedsvereinbarungsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtswahlvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Keine Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung bei Gefahr der Nichtbeachtung von aus deutscher Sicht international zwingendem Recht durch das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Favor validitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkungen der Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts . 1. Prozessrechtliche Wirkung: Ausschluss des Zugangs zu den an sich zuständigen deutschen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortbestehen der internationalen Zuständigkeit Deutschlands . b) Anwendung des § 1032 ZPO auch bei Maßgeblichkeit ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materiell-rechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umfang des Statuts der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Objektive Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausschließliche Zuständigkeit für das (hypothetische) Verfahren vor dem staatlichen Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Subjektive Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Subjektive Grenzen der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Unwirksamkeit der „abgenötigten“ Schiedsvereinbarung . . . . . . . . XII. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Kompetenz-Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Abgesonderte Entscheidung des Schiedsgerichts über seine „Zuständigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Verbot des venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Schiedsorganisationsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel: Das Verfahren vor dem Schiedsgericht I. Schiedsverfahrensstatut: Das auf das Schiedsverfahren anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarung der Parteien über das maßgebliche Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auseinanderfallen von Schiedsvereinbarungs- und Schiedsverfahrensstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Aufspaltung des Schiedsverfahrensstatuts auf einzelne Aspekte des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtswahl während des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 5. Formfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fehlen einer Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirkungen der Schiedsanhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessrechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materiell-rechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beurteilung durch ein staatliches Gericht in Deutschland . . . b) Beurteilung durch das (vereinbarte) Schiedsgericht . . . . . . . III. Keine Beachtung des Prinzips „le criminel tient le civil en l’état“ .
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I. Staatsangehörigkeit der Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Befangenheit der Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schiedsrichtervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Kapitel: Das Schiedsgericht
6. Kapitel: Durchführung des Schiedsverfahrens . . . . . . . . .
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I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Amiable compositeur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Feststellung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Partei- und Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aktorische Kaution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kognitionsbeschränkungen bezüglich Vorfragen . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussetzungspflicht nach § 107 FamFG . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Keine Vorlagebefugnis zum Bundesverfassungsgericht und zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) . . . . . . . . . . . . . .
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7. Kapitel: Schiedsgericht und internationales Privatrecht
8. Kapitel: Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Keine Rückgriffsmöglichkeit mehr auf anerkennungsfreundlicheres autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkennung auch ohne Verbürgung der Gegenseitigkeit . . . . . . . . IV. Anwendungsvoraussetzungen des § 1061 ZPO unter Weiterverweis auf das VNÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exequaturentscheidungen ausländischer staatlicher Gerichte . . . . . VI. Verurteilungen zur Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung trotz Aufhebung des Schiedsspruchs im Ausland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungshindernisse . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präklusion der Versagungsgründe, wenn von der Möglichkeit, die Aufhebungsklage im Ausland zu erheben, kein Gebrauch gemacht wurde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlen bzw. Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung . . . . . . . 4. Verstoß gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordre public-Widrigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens . b) Ordre public-Widrigkeit des Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . 5. § 826 BGB als ultimative Anerkennungsbremse? . . . . . . . . . . . . IX. Vollstreckbarerklärungsverfahren in mehreren Staaten wegen desselben Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Immunität als Einwand gegen die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Erfüllungsklage aus Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Gerichtliche Feststellung, dass der Schiedsspruch im Inland wegen Nichtanerkennung keine Wirkung entfaltet . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Materiell-rechtliche Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Anerkennung von Entscheidungen staatlicher Gerichte auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hilfstätigkeiten i.S. des § 1050 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ernennung und Ablehnung bzw. Abberufung von Schiedsrichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Festlegung des Schiedsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verlängerung der für die Fällung des Schiedsspruchs bestehenden Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorabentscheidung materiell-rechtlicher Fragen (statement of special case) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Feststellung der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung und deshalb Verbot an die Parteien, das Schiedsverfahren (weiter) zu betreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Feststellung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und damit der Zuständigkeit des Schiedsgerichts für einen bestimmten Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Aufhebung des Schiedsspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung in seinem „Heimatland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufhebung in einem dritten Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufhebung der deutschen Vollstreckbarerklärung nach (im Inland anerkennungsfähiger) Aufhebung im Ausland . . . . . d) Sachentscheidung eines ausländischen staatlichen Gerichts nach Aufhebung des Schiedsspruchs im Ausland . . . . . . . . 9. Abweisung der Aufhebungsklage als unbegründet . . . . . . . . . 10. Konstitutive Bestätigung eines Schiedsspruchs durch ein ausländisches (staatliches) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Versagung der konstitutiven Bestätigung durch das ausländische (staatliche) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs durch ein ausländisches (staatliches) Gericht . . . . . . . . . . . . . 13. Abweisung der Vollstreckbarerklärung als unbegründet durch ein ausländisches (staatliches) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Verurteilung der Partei(en) zur Zahlung des Schiedsrichterhonorars durch ein ausländisches (staatliches) Gericht . . . . . . 15. Nichtanerkennung der Sachentscheidung eines ausländischen staatlichen Gerichts, welches die Schiedsklausel glatt ignoriert hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Nichtvertragliche Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Schiedsvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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.
1495
.
1495
.
1511
.
1526
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1571
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verzeichnis der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorwiegend zum EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . II. Hinweise zur Befreiung von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (§ 110 II Nr. 1 und 2 ZPO) und zur Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 109 IV FamFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . .
LXXIII
Abkürzungsverzeichnis a.A. AAA A.A.A. Abk. ABl. abl. ABlAHK abw. AbzG AC AcP ADSp a.E. AEUV
AG AGB AGBG AGBGB AGGVG AHKG AktG All E. R. allg. M. a.M. AmJIntL amtl. Anh. Anm. AnwBl. AnwZ AO AöR AP App. ArbG ArbGG Arb. Int. ArchVR
anderer Ansicht oder: am Anfang American Arbitration Association Association des Auditeurs et anciens Auditeurs de l’Académie de droit international de La Haye Abkommen Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ablehnend Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland abweichend Abzahlungsgesetz Law Reports, Appeal Cases Archiv für civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (früher Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGV) Amtsgericht; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Aktiengesetz All England Law Reports allgemeine Meinung anderer Meinung American Journal of International Law amtlich Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Anwaltszeitung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Corte di appello oder: Cour d’appel Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbitration International Archiv des Völkerrechts LXXV
Abkürzungsverzeichnis art. AS AUG AuR AusfG AusfVO ausl. AuslG AuslInvestmG
AußStrG AVAG AVR AWD AWG BAG BAGE BAnz. BayObLG BayObLGZ BB BBG BEG begr. belg. BerDGVR bestr. betr. BFH BfJ BG BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ BinnSchG BJM BnotO BörsG BR LXXVI
article Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen (Schweiz) Auslandsunterhaltsgesetz Arbeit und Recht Ausführungsgesetz Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen, siehe nunmehr das Investmentgesetz (InvG) v. 15.12.2003, BGBl. I 2676 Außerstreitgesetz Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Außenwirtschaftsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen, Amtliche Sammlung Der Betriebsberater Bundesbeamtengesetz Bundesentschädigungsgesetz begründet belgisch Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht bestritten betreffend Bundesfinanzhof Bundesamt für Justiz Bundesgericht Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen Bundesjustizministerium Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundesrat
Abkürzungsverzeichnis BRAK-Mitt. BRAO brit. BSG BSGE BT BtG BurlG BV BVerfG BVerfGE BYIL BZRG
CA Can StIA Cass. Cc (cc) CIEC CIM CISG CIV Clunet CMLR CMR COTIF CPC (cpc) CPO CPR CR DAG DAR DAVorm DDR
BRAK [Bundesrechtsanwaltskammer] Mitteilungen Bundesrechtsanwaltsordnung britisch Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestag Betreuungsgesetz Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts The British Yearbook of International Law Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister Court of Appeal Act to provide for State immunity in Canadian courts (State Immunity Act) Arrêt de la cour de cassation (Frankreich oder Belgien) Code civil (Frankreich, Belgien oder Luxemburg) oder Codice civile (Italien) Commission internationale de l’état civil Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (United Nations) Convention on Contracts for the International Sale of Goods Internationales Übereinkommen über den EisenbahnPersonen- und -Gepäckverkehr Journal de droit international privé (auch zitiert Journal Clunet) Common Market Law Review Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr v. 9. Mai 1980, BGBl. II 1985, 130 Codice di procedura civile oder: Code de procédure civile Civilprozessordnung Civil Procedure Rules Computer und Recht Deutsches Auslieferungsgesetz Deutsche Außenwirtschafts-Rundschau; Deutsches Autorecht Der Amtsvormund Deutsche Demokratische Republik LXXVII
Abkürzungsverzeichnis DeuFamR DGVZ D.i.p. DIS Diss. DJ DJT DNotI DNotZ doc. DR DRiZ D. S. DtZ DVBl. DVO DZWIR
Deutsches und Europäisches Familien-Recht Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Droit international privé Deutsches Institut für Schiedsgerichtswesen e.V. Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsches Notarinstitut Deutsche Notar-Zeitschrift document Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Recueil Dalloz/Sirey Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EAGV
Vertrag über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft European Business Organisation Law Review (T.M.C. Asser Press) Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ehegesetz Einführung Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands Einleitung Entwurf einer Insolvenzordnung Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäisches Niederlassungsabkommen v. 13.12.1955, BGBl. II 1959, 998 Einheitliches Patentgericht Übereinkommen vom 19.2.2013 über das Einheitliche Patentgericht Encyclopedia of Public International Law
EBOR EG EGBGB EGGVG EGInsO EGKSV EGMR EGV EheG Einf. EinigungsV
Einl. EinsO EKG EMRK ENA EPG EPGÜ EPIL LXXVIII
Abkürzungsverzeichnis ERPL ErwSÜ ErwSÜAG
EU EÜ
EuGH EuGHE EuGrundrechtecharta EuGRZ EuGVÜ
EuLF EuR EuRAG EuÜStI EUV EuZPR EuZW EvBl. EVÜ EWG EWGV EWiR EWR EWS FamRÄndG FamRZ FernUSG FG FGB FGG FGO
European Review of Private Law, Europäische Zeitschrift für Privatrecht Haager Übereinkommen v. 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BGBl. II 2007, 323 Gesetz zur Umsetzung des Haager Übereinkommens v. 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BGBl. I 2007, 314 Europäische Union Europäisches (Genfer) Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.5.1961, BGBl. II 1965, 107 Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 19 EUV, Art. 251 ff. AEUV) Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs (vormals: der Europäischen Gemeinschaften) Charta der Grundrechte der Europäischen Union Europäische Grundrechtezeitschrift Brüsseler Übereinkommen v. 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen European Legal Forum Europarecht Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität Vertrag über die Europäische Union Europäisches Zivilprozessrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der Österr. Juristenzeitung) Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 16.6.1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht Familienrechtsänderungsgesetz Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fernunterrichtsschutzgesetz Festgabe; Finanzgericht; Freiwillige Gerichtsbarkeit Familiengesetzbuch der ehemaligen DDR Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung LXXIX
Abkürzungsverzeichnis FMFG Fragistas-Bericht
franz. FRCP FRES FS FSIA G g.E. GebrMG gem. GenG GesVO GG GmbHG GmbHR GNotKG GPR Gruchot GRUR GS GSZ GVBl. GVG GVGA GVO GVÜ
GWB HansRGZ HausTWG Hb. IZVR
LXXX
Finanzmarktförderungsgesetz Rapport explicatif: Convention sur la reconnaissance et l’exécution des jugements étrangers en matière civile et commerciale, in Conférence de la Haye de droit international privé, Actes et documents de la session extraordinaire 13 au 26 avril 1966: Exécution des jugements, 1969, 360 ff. französisch Federal Rules of Civil Procedure Entscheidungssammlung zum gesamten Bereich von Ehe und Familie Festschrift (United States) Foreign Sovereign Immunities Act Gesetz gegen Ende Gebrauchsmustergesetz gemäß Genossenschaftsgesetz Gesamtvollstreckungsordnung Grundgesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Geriche und Notare Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begr. von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Großer Senat in Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieherordnung Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 1982/84
Abkürzungsverzeichnis HBÜ
HGB HGÜ HKO h.L. h.M. HRR HS HZPÜ HZÜ
IAEA ICC ICCA ICJ Rep. ICLQ IGH IHR ILA ILC ILM ILR InsO IntFamRVG IntGesR InvG IPG IPR IPRax IPR-Gesetz IPR-ReformG IPRspr. IRG IRV
Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen v. 18.3.1970, BGBl. II 1977, 1472 Handelsgesetzbuch Haager Übereinkommen v. 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen Haager Landkriegsordnung herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Halbsatz Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1.3.1954, BGBl. II 1958, 576 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen v. 15.11.1965, BGBl. II 1977, 1452 International Atomic Energy Agency International Chamber of Commerce International Council of Commercial Arbitration International Court of Justice, Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders The International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Internationales Handelsrecht International Law Association International Law Commission International Legal Materials International Law Reports Insolvenzordnung Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz (im Gesetzgebungsverfahren) Internationales Gesellschaftsrecht Investmentgesetz v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2676 Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Schweizer Bundesgesetz v. 18.12.1987 über das internationale Privatrecht (SR 291) Gesetz zur Neuregelung des IPR, BGBl. I 1986, 1142 Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts Gesetz über die internationale Rechtshilfe Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen LXXXI
Abkürzungsverzeichnis IWB IWF IZPR IzRspr.
Internationale Wirtschaftsbriefe Internationaler Währungsfonds Internationales Zivilprozessrecht Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht
J. A. M. JbIntR JBl. JdT Jenard-Bericht
Juge aux affaires matrimoniales Jahrbuch für internationales Recht (österr.) Juristische Blätter Journal de Tribuneaux Bericht zu dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, unterzeichnet in Brüssel am 27.9.1968, Bundestagsdrucksache VI/1973 S. 52 ff. (danach zitiert) = ABl. EG C 59/79, 1 ff. Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Justizministerialblatt (österr.) Jurisdiktionsnorm Journal de droit international privé (auch zitiert Clunet) Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
JFG JMBl. JN Journal Clunet JPS JR JuS JW JZ KALG KG KGBl. KO KonsularG KSÜ KTS KUG KWG KWKG LAG LG lit. Lit. LJ LJV LM LMK LXXXII
Kapitalanlagegesetz Kammergericht Blätter für Rechtspflege im Bezirke des KG Konkursordnung Konsulargesetz Kinderschutzübereinkommen Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Kreditwesengesetz Kriegswaffenkontrollgesetz Landesarbeitsgericht Landgericht Buchstabe Literatur The Law Journal Landesjustizverwaltung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung
Abkürzungsverzeichnis LPartG LugÜ lux. LZ
Lebenspartnerschaftsgesetz Lugano-Übereinkommen luxemburgisch Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
m.a.W. MDR MittBayNot MittRhNotK MSA MüKo
mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Haager Minderjährigenschutzabkommen Münchener Kommentar
Nachw. NILR NIPR NJW NJW-RR NTIR NTS NZA
Nachweis Netherlands International Law Review Nederlands Internationaal Privaatrecht Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nederlands Tijdschrift voor International Recht NATO-Truppenstatut Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht
öGZ ÖJZ ÖRZ OGH OGHZ OLG OLGE OLGZ OR OVG
(österr.) Gerichts-Zeitung Österreichische Juristenzeitung Österreichische Richterzeitung (österr.) Oberster Gerichtshof Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone Oberlandesgericht Sammlung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Obligationenrecht Oberverwaltungsgericht
PatAnwO PatG Prot. PStG
Patentanwaltsordnung Patentgesetz Protokoll Personenstandsgesetz
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz Revue critique de droit international privé Recht der Arbeit Académie de droit international, Recueil des Cours Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenstand Revue critique de droit international privé
RADG RCDIP RdA RdC Recht Rev. crit. d.i.p.
LXXXIII
Abkürzungsverzeichnis RG RGBl. RGRK RGZ RHE Riv. dir. int. priv. proc. RIW ROW Rpfleger RPflG R. S. C. RuStAG Rz. RzW SA SAE Schengen II SchG SchiedsVZ SchKG SchlHA Schlosser-Bericht
sect. Sess. SGB SJZ Slg. Sp. SR StAG StAZ LXXXIV
Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtshilfeerlass Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Recht in Ost und West Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rules of the Supreme Court Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Randziffer Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Seufferts Archiv für Entscheidungen der Obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 14.6.1985, BGBl. II 1993, 1013 Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schweizer Bundesgesetz v. 11.4.1989 über Schuldbetreibung und Konkurs (SR 281.81) Schleswig-Holsteinische Anzeigen Bericht zu dem Übereinkommen v. 9.10.1978 (BGBl. II 1983, 802) über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, unterzeichnet in Luxemburg am 9.10.1978, ABl. EG Nr. C 59/79, 71 ff. = Bundestagsdrucksache 10/61 = Bundesratsdrucksache 373/82 section Session Sozialgesetzbuch Schweizerische Juristen-Zeitung Sammlung Spalte Systematische Sammlung des Schweizerischen Bundesrechts Staatsangehörigkeitsgesetz Zeitschrift für Standesamtswesen (jetzt: Das Standesamt)
Abkürzungsverzeichnis StGB StIA StIGH str. StVG Suppl. SZZP
Strafgesetzbuch (United Kingdom) State Immunity Act Ständiger Internationaler Gerichtshof streitig Straßenverkehrsgesetz Supplement Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht
TGI TranspR TRIPS
Tribunale de Grande Instance Transportrecht Trade-Related Aspects of Intellectual Property – Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums v. 15.4.1994, BGBl. II 1994, 1730 Teilzeitwohnrechtegesetz
TzWrG Ü UmwG UN UNCITRAL UNCITRAL-InsModG UNIDROIT unstr. UNTS UrheberG U.S. USC UVÜ
UWG v. VAG VerbrKrG VerglO VerschG VersR Vertr. VN VNÜ
VO Vorb. VuR
Übereinkommen Umwandlungsgesetz United Nations United Nations Commission on International Trade Law UNCITRAL-Modellgesetz für grenzüberschreitende Insolvenzen v. 15.12.1997 (unten Rz. 3357d) Institut international pour l’unification du droit privé unstreitig United Nations Treaty Series Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte United States Supreme Court Reports United States Code Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973, BGBl. II 1986, 826 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom Versicherungsaufsichtsgesetz Verbraucherkreditgesetz Vergleichsordnung Verschollenheitsgesetz Versicherungsrecht Vertrag Vereinte Nationen VN-Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen v. 10.6.1958, BGBl. II 1961, 122 Verordnung Vorbemerkung Verbraucher und Recht LXXXV
Abkürzungsverzeichnis VVG VwGO
Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung
WA WahrnG Warneyer
Warschauer Abkommen Wahrnehmungsgesetz Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts Washingtoner Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten v. 18.3.1965, BGBl. II 1969, 371 Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Wechselgesetz Die wichtigsten Gesetzgebungsakte in den Ländern Ost-, Südosteuropas und in den ostasiatischen Volksdemokratien Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v. 18.4.1961, BGBl. II 1964, 957 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen v. 24.4.1963, BGBl. II 1969, 1585 Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23.5.1969, BGBl. II 1985, 926
WBÜ WEG WG WGO
W.L.R. WM WRP WuB WÜD WÜK WuW WVRK
Yb YbILC
Yearbook Yearbook of the International Law Commission
ZAkDR ZaöRV
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zentralblatt für Jugendrecht (österr.) Zeitschrift für Rechtsvergleichung (schweiz.) Zivilgesetzbuch Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht
ZBlJR ZEuP ZEV ZfA ZfJ ZfRV ZGB ZHR ZIP ZIR ZLR ZLW LXXXVI
Abkürzungsverzeichnis ZNotP ZöffR ZOR ZPO ZRHO ZRP ZS ZSEG ZSR ZUM ZustDG ZVersWiss ZVglRWiss ZZP ZZPInt
Zeitschrift für die Notarpraxis Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Osteuropäisches Recht Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung in Zivilsachen, Neufassung v. 28.10.2011, Bundes-Anzeiger v. 7.3.2012 Nr. 38a Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht EG-Zustellungsdurchführungsgesetz (ersetzt durch §§ 1067 ff. ZPO) Zeitung für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
LXXXVII
Literaturverzeichnis Abegg, Die zwingenden Inhaltsnormen des Schuldvertragsrechts, 2004 Acocella, Internationale Zuständigkeit und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivilsachen im schweizerisch-italienischen Rechtsverkehr, 1989 Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985 Adam Muñoz, El Proceso Civil con elemento extranjero y la cooperación judicial international, 1995 Adamczyk, Die Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts durch den Bundesgerichtshof und das schweizerische Bundesgericht im Zivilprozess, (Diss. Freiburg/Br. 1997) 1999 Adelmann-Péntek, Das Prozesskostenrecht der ZPO im Vergleich mit den entsprechenden Regelungen in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, Spanien, England, Schweden und in der ehemaligen DDR, Diss. Erlangen-Nürnberg 2001 Aden, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit2, 2002 Aderhold, Auslandskonkurs im Inland, 1992 Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 2007 Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003 Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2015 Affaki, Faillite internationale et conflits de juridictions, 2007 Ahrens, Börries, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Diss. Rostock 2002 Ahrens, Hans-Jürgen (ed.), Der Wettbewerbsprozess7, 2014 Ahrens, Hans-Jürgen, Der Beweis im Zivilprozess, 2015 Albers, Die Begriffe der Niederlassung und der Hauptniederlassung im internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2010 Albert, Völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten gegen Gerichtszwang, Diss. Berlin 1984 Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996 Albrecht, Die Streitsache im deutschen und englischen Zivilverfahren, 2013 Alsina Naudi, Die Umsetzung des europäischen Zivilprozessrechts in Spanien: Zuständigkeit, einstweiliger Rechtsschutz, Anerkennung und Vollstreckung, 2005 Altenkirch, Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten – Ein Vergleich des deutschen und englischen Zivilprozessrechts und ein Vorschlag für das Schiedsverfahrensrecht, 2013 Althammer (ed.), Rom III/Brüssel IIa, 2014 Ambach, Reichweite und Bedeutung von Art. 25 EuInsVO, 2009 Ambos, Internationales Strafrecht – Strafanwendungsrecht, Völkerstrafrecht, Europäisches Strafrecht4, 2014 Amschewitz, Die Durchsetzungsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Recht, 2008 LXXXIX
Literaturverzeichnis Andenas/Heß/Oberhammer (ed.), Enforcement Agency Practice in Europe, 2005 Anders, Die Zwangsvollstreckung in Gesellschaftsanteile und die materiellrechtlichen und prozessualen Mittel zu ihrer Durchsetzung – eine rechtsvergleichende Studie zum deutschen und US-amerikanischen Recht, 2001 Andrae, Internationales Familienrecht3, 2014 Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen – Klagen von Bürgern gegen einen fremden Staat oder ausländische staatliche Funktionsträger vor nationalen Gerichten, 2007 von Arnauld, Völkerrecht, 2012 Arnold, Lex fori als versteckte Anknüpfung, 2009 Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschaftsund Wirtschaftsrechts, Bd. I, 2001 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005 Atali, Internationale Zuständigkeit im deutsch-türkischen Rechtsverkehr, 2001 Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis: Unter besonderer Berücksichtigung anerkennungs- und vollstreckungsrechtlicher Fragen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr der Schweiz, Diss. Bern, 2006 Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweizerischem Recht, 2007 Audit, Droit international privé4, 2006 Auer, Die internationale Zuständigkeit des Sachzusammenhangs im erweiterten EuGVÜ-System nach Artikel 6 EuGVÜ (Diss. Regensburg 1996), 1999 Auer, Christian, Deutsches internationales Deliktsrecht im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, Diss. Augsburg 2002 Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ: „Binnensachverhalte“ und Internationales Zivilverfahrensrecht in der Europäischen Union – Zur Auslegung des Art. 17 Abs. 1 S. 1 EuGVÜ, 1996 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa, 2008 Bachler, Situs-Regel, innerdeutsche und inneramerikanische Nachlassspaltung, 2007 Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994 Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs, 2005 Bäumer, Die ausländische Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale Zivilverfahrensrecht, 1999 Baier, Europäische Verbraucherverträge und missbräuchliche Klauseln: Die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland, Italien, England und Frankreich, Diss. Bielefeld 2004 Bajons, Zivilverfahren, 1991 Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozessrecht – Streitiges Verfahren12, 2009 Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren, Diss. München 2002
XC
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CXXXI
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CXXXVII
Erster Teil: Grundlegung 1. Kapitel: Gegenstand und Begriff des internationalen Zivilprozessrechts I. Überblick Schwerpunkte des internationalen Zivilprozessrechts sind die Jurisdiktion (Ge- 1 richtsbarkeit und internationale Zuständigkeit) auf der einen und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen auf der anderen Seite. Die Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen (Entscheidungs-)Zuständigkeit fokussiert die Frage, ob die Gerichte eines bestimmten Staates zur Entscheidung in der Sache berufen sind. Aus der Sicht des Klägers geht es um die Justizgewährung in dem betreffenden Staat (näher unten Fünfter Teil, Rz. 1906 ff.), aus der Sicht des Beklagten um seine (internationale) Gerichtspflichtigkeit. Das internationale Anerkennungsrecht gibt Antwort auf die Frage, ob die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung (res iudicata, Gestaltungswirkung etc.) für die inländischen Staatsorgane verbindlich sind (hierzu unten Zwölfter Teil, Rz. 2751 ff.). Gewissermaßen in der Mitte zwischen diesen beiden großen Themenkreisen des 2 internationalen Zivilverfahrensrechts steht die Frage der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit (hierzu unten Elfter Teil, Rz. 2685 ff.). Diese hat zu beiden vorgenannten Themen Berührungspunkte. Ist nämlich ein (früher anhängig gemachtes) ausländisches Verfahren im Inland zu beachten, so führt dies im Ergebnis zu einer Blockade der Sachentscheidung durch die inländischen Gerichte. Obwohl Deutschland sich für international zuständig hält, dürfen deutsche Gerichte im Hinblick auf die ausländische Litispendenz eine Sachentscheidung nicht erlassen. Andererseits hat die Frage der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit auch zum Anerkennungsrecht starke Bezüge, weil i.d.R.1 die ausländische Rechtshängigkeit nur dann beachtet wird, wenn mit einer Anerkennung im Inland zu rechnen ist (Rz. 2688). Von großer Wichtigkeit (insbes. für den Ausgang des Prozesses) ist das internatio- 3 nale Beweis- und Beweisverfahrensrecht (hierzu unten Achter Teil, Rz. 2260 ff.). Kann z.B. bei ausländischer lex causae nach ausländischem Beweisrecht verfahren werden oder ist immer das Beweisrecht des Gerichtsstaates anzuwenden? Stellt der Umstand, dass das Recht, nach dem das ausländische Gericht bei der Beweiserhebung zu verfahren hat, vom inländischen wesentlich abweicht, einen Grund dar, weswegen die Anerkennung des auf dem ausländischen Beweisrecht beruhenden ausländischen Urteils zu versagen ist? Diese Frage ist zu verneinen (Rz. 2962).
1 Ausnahme: Art. 29 EuGVVO (EU) Nr. 1215/2012 sowie Art. 19 EuEheVO (EG) Nr. 2201/2003, s. Rz. 245c.
1
Erster Teil
Grundlegung
3a Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnis, dass materielles Recht und Verfahrensrecht austauschbar sind. Idem est non esse aut non probari. Wenn der jeweilige Gesetzgeber den Nachweis von Tatsachen verbietet, erschwert oder erleichtert, kann er im Ergebnis das Gleiche erreichen, wie wenn er für ein Rechtsverhältnis ausgefeilte Normen aufstellt (Rz. 57). 4 Sehr bedeutsam ist weiter die Frage der prozessualen Behandlung ausländischen Rechts (hierzu unten Neunter Teil, Rz. 2570). Wie ermittelt der Richter des Forumstaates den Inhalt der ausländischen Rechtssätze? Muss er von Amts wegen vorgehen oder kann er es den Parteien überlassen, entsprechende Ermittlungen anzustellen? Hat ein ausländischer Rechtssatz überhaupt Rechtsnormqualität für den (inländischen) Richter (weil das inländische internationale Privatrecht auf das ausländische Recht verweist) oder ist aus inländischer Sicht die ausländische Rechtsnorm (nur) ein Faktum, das Gegenstand des Beweises ist? 5 Hinzu kommt das prozessuale Fremdenrecht (das viele Autoren nicht zum internationalen Zivilverfahrensrecht i.e.S. rechnen).2 Wie wirkt sich der Umstand, dass ein Kläger oder Beklagter, ein Zeuge, ein Sachverständiger oder sonst ein am Verfahren Beteiligter einem ausländischen Staat angehört, auf seine Rechtsstellung im inländischen Prozess aus? Insbesondere geht es um die Partei- bzw. Prozessfähigkeit von Ausländern (hierzu unten Siebenter Teil, Rz. 2200) und den Zeugniszwang gegen Ausländer bzw. die Zeugnispflicht von Ausländern3, aber auch um die Frage, ob und in welchem Umfang Ausländer hinsichtlich des Zugangs zu den deutschen inländischen Gerichten Inländern gleichgestellt sind (hierzu unten Fünfter Teil, Rz. 1906). 6 Gegenstand des internationalen Zivilverfahrensrechts ist auch die internationale Rechtshilfe (Rz. 2013, 2151, 2420, 3630), also die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang inländische Gerichte und sonstige Justizorgane bereitgestellt werden, um Verfahrenshandlungen, die im Rahmen eines ausländischen Prozesses notwendig werden, im Inland vorzunehmen (z.B. Zustellungen, Zeugenvernehmungen Rz. 2151, 2440), und vice versa um die Frage, wann inländische Gerichte verpflichtet sind, ausländische Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen (hierzu unten Fünfzehnter Teil, Rz. 3630). 7 Schließlich wird auch das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zum internationalen Zivilverfahrensrecht i.w.S. gerechnet. Dieses hat sich mittlerweile zu einer eigenen Disziplin entwickelt, die hier nur in Grundzügen (Rz. 3700) dargestellt werden kann. 8 Vor allem im internationalen Handelsverkehr weichen die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit aus. Grund sind das Misstrauen gegenüber den nationalen Heimat- bzw. Wohnsitzgerichten (Rz. 868i), mithin das größere Vertrauen in die Neutralität des Schiedsgerichts4, die Möglichkeit, einen Spruchkörper mit
2 Nachw. bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 72 ff. 3 E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 249; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 377 Rz. 13 ff. 4 OLG Frankfurt v. 24.9.1985 – 5 U 167/84, MDR 1986, 328 = NJW 1986, 2202.
2
Gegenstand und Begriff des IZPR
Erster Teil
besonderer Sachkunde zu wählen5 und die größere internationale Durchsetzbarkeit von Schiedssprüchen (z.B. §§ 1060 ff. ZPO) im Vergleich zu den Entscheidungen staatlicher Gerichte (z.B. im Hinblick auf das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit gem. § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG).
II. Definitionsversuche Alles in allem handelt es sich um einen bunten Strauß von internationalrecht- 9 lichen (verfahrensbezogenen) Fragen, die den Gegenstand des internationalen Verfahrensrechts bilden. Sie stehen auch untereinander in einer gewissen Beziehung; gleichwohl fällt es schwer, eine ausdrucksstarke allgemeine Formel zu finden, um das Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts randscharf abzugrenzen. Stimmig sind etwa folgende Formulierungen: – Gesamtheit der zivilverfahrensrechtlichen Normen, soweit sie Auslandsbeziehungen betreffen6, – alle verfahrensrechtlich bedeutsamen Tatbestände mit internationaler Beziehung7, – alle prozessualen Regeln für auslandsbezogene Sachverhalte8, – Summe der Einzelbestimmungen, die bei Fällen mit Auslandsberührung zum Tragen kommen9, – Gesamtheit aller inländischen Normen, die sich auf Prozessrechtsverhältnisse mit ausländischen Momenten beziehen10, – alle verfahrensrechtlichen Vorschriften, die internationale Sachverhalte, bzw. die Beziehungen der inländischen Gerichtsbarkeit zum Ausland betreffen: Verfahrenskollisionsrecht, nationale Verfahrensregeln für Sachverhalte mit Auslandsbezug (und zwar sowohl in Bezug auf Verfahren im Inland – sog. Befolgungsregeln, als auch für die Anerkennung ausländischer Verfahrensakte und Entscheidungen – sog. Beurteilungsregeln), internationales völkervertragliches Verfahrensrecht (ebenfalls für Verfahren im Inland und Anerkennung ausländischer Entscheidungen), inländische Rechtshilfe im Rahmen ausländischer Verfahren und umgekehrt11, – Gesamtheit der innerstaatlichen prozessualen Regeln, welche verfahrensrechtliche Tatbestände mit internationalem Bezug betreffen12, – Gesamtheit der Rechtssätze, die bei Verfahren mit Auslandsbezug Geltung erheischen13, 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens2, Rz. 1. Schütze, DIZPR2, Rz. 2. Riezler, Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 1. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 2. Staudinger/Firsching, BGB10/11, Rz. 609 vor Art. 12 EGBGB. Schack, IZVR6, Rz. 10. Sonnenberger in MüKo.BGB5, Bd. 10, IPR Einl. Rz. 429. Fasching, (Österr.) Zivilprozessgesetze2, 1. Bd., Einl. Rz. 117. Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 1 Rz. 1.
3
Erster Teil
Grundlegung
– alle prozessrechtlichen Vorschriften, welche auf auslandsbezogene Sachverhalte anzuwenden sind.14
III. Auslandsbezogenheit 10 Die Auslandsbezogenheit kann begründet werden durch die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz bzw. Sitz, den gewöhnlichen oder einfachen Aufenthalt einer oder beider Parteien, durch die prozessuale Ermittlung ausländischen Rechts, durch Probleme der internationalen Rechtshilfe, durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile, durch ausländische Rechtshängigkeit, durch Prorogation eines ausländischen Gerichts, durch die Belegenheit des Streitgegenstands, durch den Erfüllungsort für vertragliche Verpflichtungen und den Tatort einer unerlaubten Handlung etc. 11 Aber auch der Begriff der Auslandsbezogenheit hat fließende Grenzen. „Präzise Formeln … konnte man bisher nicht finden“. So kann sich ein „reiner Inlandsfall“ über Nacht in einen Fall mit Auslandsberührung entwickeln15: der Beklagte zieht ins Ausland, erwirbt eine ausländische Staatsangehörigkeit, verschiebt sein Vermögen ins Ausland, tritt in einen Vertrag ein, der eine ausschließliche Prorogation auf ein ausländisches Gericht enthält16 oder stirbt und wird von Ausländern bzw. Personen mit Wohnsitz/Sitz im Ausland beerbt. Auch umgekehrt kann vice versa ein Fall mit Auslandsberührung sich auf einen reinen Inlandsfall „zurückentwickeln“. Beispiel A17: Eine deutsche GmbH hat gegen eine andere deutsche GmbH einen Titel erwirkt. Die Schuldnerin ist jedoch dadurch zahlungsunfähig geworden, dass wesentliche Teile des Gesellschaftsvermögens auf einen Gesellschafter im Ausland (Frankreich) transferiert wurden. Beispiel B: Ein Straßburger und ein Münchener vereinbaren die internationale Zuständigkeit Deutschlands und die örtliche Zuständigkeit des LG München I. Nunmehr zieht der Straßburger auch nach München. Erst danach kommt es zum Prozess. Beispiel C: Zuständigkeitsvereinbarung zwischen zwei in Deutschland domizilierten Parteien. Rechtsnachfolger der einen wird eine Person mit Wohnsitz im Ausland, so dass aus der rein internen Zuständigkeitsvereinbarung nun eine „internationale Prorogation“ wird.18
14 Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 80. 15 Ähnlich auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 74 Fn. 3, 438. 16 So der Fall des OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, NJW-RR 1997, 638 = RIW 1997, 328. 17 EuGH v. 4.7.1985 – Rs. C-220/84 – AS Autoteile/Malhé, Slg. 1985, 2267 = NJW 1985, 2892 = IPRax 1986, 232 (R. Geimer 208). Hierzu auch Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 367 ff. 18 Vgl. den Fall des OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, NJW-RR 1997, 638 = RIW 1997, 328.
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Gegenstand und Begriff des IZPR
Erster Teil
Diese Beispiele zeigen, dass das Moment der Auslandsberührung einer zeitli- 12 chen Fixierung bedarf. Dieser Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein für alle Bereiche des internationalen Zivilprozessrechts bestimmen. Die vorgenannten allgemeinen Formeln haben deshalb nur geringen heuristischen Wert.
IV. Kein internationales Recht Das Wort „international“ im internationalen Zivilverfahrensrecht soll lediglich 13 die Auslandsberührung im vorbeschriebenen Sinne andeuten, jedoch nicht die Rechtsquelle. Das internationale Zivilverfahrensrecht ist – ebenso wie das internationale Privatrecht – nicht Völkerrecht und auch sonst kein überstaatliches Recht. Die Rechtsquelle ist also vielmehr nationales Recht. Hinzu kommt allerdings in immer stärkerem Maße das (sekundäre) Unionsrecht (Rz. 246a).
V. Öffentliches Recht Das internationale Prozessrecht ist Teil des Zivilprozessrechts und damit öffent- 14 liches Recht.19
VI. Regelungsinhalte Das internationale Zivilverfahrensrecht – schreibt dem inländischen Richter vor, wie er in Fällen mit Auslandsberüh- 15 rung zu verfahren hat. Es regelt insbes., ob der Umstand, dass eine Auslandsberührung vorliegt, aus inländischer Sicht überhaupt Relevanz hat, und stellt bejahendenfalls Regeln auf, nach denen der inländische Richter zu verfahren hat. Hält sich der Zustellungsadressat z.B. im Ausland auf, so gilt nicht das allgemeine Zustellungsrecht, vielmehr verlangt § 183 I Alt. 2 ZPO (grundsätzlich) die Einschaltung ausländischer Rechtshilfe. Hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Europäischen Union bzw. außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, so kann von ihm unter den Voraussetzungen des § 110 ZPO Prozesskostensicherheit verlangt werden (Rz. 2002); – regelt, unter welchen Voraussetzungen ausländische Verfahren, genauer, in- 16 wieweit die Wirkungen im Ausland anhängiger Verfahren bzw. die Wirkungen abgeschlossener ausländischer Verfahren (Urteilswirkungen, Rechtskraft, Gestaltungswirkung etc.) im Inland zu beachten sind; und – schreibt schließlich vor, ob und unter welchen Voraussetzungen inländische 17 Gerichte Hilfestellung für ausländische Gerichte zu leisten haben (Rechtshilfe).
19 Anders Schack, IZVR6, Rz. 12: weder Zivil- noch öffentliches Recht, sondern „selbständige Rechtsmaterie“.
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Erster Teil
Grundlegung
VII. Kollisionsrecht 18 Das internationale Zivilverfahrensrecht ist (auch) Kollisionsrecht in dem Sinne, dass es bestimmt, in welchen Fällen die Vorschriften der (i.d.R. für Inlandsfälle konzipierten) deutschen Zivilprozessordnung zur Anwendung kommen und wann nicht. In den Fällen, in denen dies nach dem Willen des Gesetzgebers nicht sein soll, verweist das internationale Zivilverfahrensrecht jedoch – anders als grundsätzlich das internationale Privatrecht – nicht auf ausländische Prozessgesetze, sondern stellt eigene Regeln (inländische Sachnormen für Verfahren mit Auslandsbezug) auf (Rz. 65).20 Gleichwohl gibt es aber auch Konstellationen, in denen das inländische Recht auf ausländisches Recht verweist, z.B. bei der Partei- und Prozessfähigkeit (Rz. 2202), bei Zustellungen und Beweisaufnahmen (im Rahmen der Rechtshilfe) für ausländische Gerichte auf deren Wunsch nach ausländischem Verfahrensrecht (Rz. 2153, 2466) oder bei der Berücksichtigung von Zeugnisverweigerungsrechten nach ausländischem Recht (Rz. 2509)21; hinzu kommen die Fälle, in denen die Wirksamkeit eines ausländischen Verfahrensaktes nach dem Recht seines Ursprungsstaates zu beurteilen ist (Rz. 329). 18a Das internationale Zivilverfahrensrecht ist als Teil des Prozessrechts vorwiegend Tätigkeitsrecht für die nationalen Gerichte. Es schreibt diesen vor, wie sie in Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsberührung zu verfahren haben. Da nach allgemeinem Völkerrecht der inländische Gesetzgeber ausländischen Staatsorganen keine Handlungsdirektiven geben darf (dies wäre eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines ausländischen Staates und damit eine Souveränitätsverletzung), kann der inländische Gesetzgeber nur inländischen Gerichten und Rechtsanwendungsorganen und dem inländischen Recht Unterworfenen (kraft seiner Personal- bzw. Gebietshoheit) Anweisungen geben.
2. Kapitel: Verhältnis des internationalen Zivilprozessrechts zum internationalen Privatrecht I. Gegenstand der Regelung 19 Im Gegenstand der Regelung ist also das internationale Zivilverfahrensrecht limitierter als das internationale Privatrecht. Zwar beansprucht das internationale Privatrecht – als staatliches Recht – auch nur Geltung für die inländischen Rechtsanwendungsorgane. Insofern ist die Situation gleich der im internationalen Zivilverfahrensrecht. Jedoch hat das internationale Privatrecht vom Gegenstand und Inhalt seiner Regelung her einen universalistischen Ansatz: Für alle
20 Zustimmend z.B. Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 1 Rz. 3. 21 Vgl. auch Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 71.
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Verhältnis des IZPR zum IPR
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auf dieser Welt auftretenden Rechtsverhältnisse bietet es durch das System der allseitigen Kollisionsnormen eine Lösung (aus inländischer Sicht) an. Anders das internationale Verfahrensrecht: Es will von vornherein nur für die inländischen Gerichte und Rechtsanwendungsorgane Vorschriften (für ihr Verfahren) geben. Regelungsgegenstand sind also lediglich die im Inland anhängigen Verfahren einschließlich der Wirkungen ausländischer Verfahren und deren Verfahrensergebnisse (Urteilswirkungen) aus inländischer Sicht.22
II. Lex fori-Prinzip Hinzu kommt das lex fori-Prinzip, das hartnäckig von der h.M. verteidigt wird: 20 Auf Verfahren vor inländischen Gerichten sei grundsätzlich nur die inländische Verfahrensordnung zur Anwendung zu bringen.23 Von abgrenzbaren Randbereichen abgesehen, erübrigt sich aus dieser Sicht die Ausbildung eines kollisionsrechtlichen Systems (Rz. 319). Die Theorie diskutiert dagegen über die Notwendigkeit eines kollisionsrecht- 21 lichen Systems im internationalen Verfahrensrecht. Die Diskussion nahm ihren Ausgang bei § 55 ZPO (Rz. 2202). Nach Pagenstecher24 verweist diese Vorschrift grundsätzlich auf ausländisches Prozessrecht. § 55 ZPO enthalte also eine echte verfahrensrechtliche Kollisionsnorm.25
III. Keine Beschränkung auf bloße Rechtsanwendung Beim internationalen Privatrecht geht es lediglich um Rechtsanwendung, näm- 22 lich um die Frage, welche Rechtsordnung beim Subsumtionsvorgang zum Zuge kommt. Dabei wird der Sachverhalt als feststehend vorausgesetzt. Anders ist es im internationalen Verfahrensrecht. Dieses schafft gewissermaßen erst die Voraussetzungen für die Ermittlung des Sachverhalts, insbes. durch die Regeln des internationalen Beweisrechts einschließlich des Beweisverfahrensrechts.
IV. Ordre public im Kollisionsrecht und im internationalen Zivilverfahrensrecht 1. Strukturelle Unterschiede Der anerkennungsrechtliche ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 23 FamFG, § 343 I 2 Nr. 2 InsO)26 hat ein weiteres Anwendungsfeld als der kollisi22 Zu den Unterschieden zwischen IZVR und IPR s. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 39 ff. sowie aus schweiz. Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 5. 23 Hierzu z.B. Stein/Jonas, ZPO23, vor § 12 Rz. 322. 24 Pagenstecher, ZZP 64 (1950/51), 249. 25 Weitere Beispiele bei Schack, IZVR6, Rz. 4. 26 S. auch Art. 45 I [a] EuGVVO n.F., Art. 34 Nr. 1 LugÜ 2007, Art. 22 [a], Art. 23 [a] EuEheVO, Art. 24 I [a] EuUnterhVO, Art. 40 [a] EuErbVO, Art. 26 EuInsVO etc. Nachw. zu ausländischen Rechtsordnungen bei Bruns, JZ 1999, 278; Staudinger/Voltz, BGB,
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Erster Teil
Grundlegung
onsrechtliche ordre public27 (Art. 6 EGBGB)28: Durch den anerkennungsrechtlichen ordre public wird auch das dem ausländischen Urteil vorausgegangene Verfahren auf seine Vereinbarkeit mit fundamentalen (aus inländischer Sicht unverzichtbaren) Grundsätzen der inländischen Rechtsordnung geprüft. Aber auch bei der Prüfung der ausländischen Urteilsfindung ist der Wirkungsbereich des ordre public größer und weiter als beim kollisionsrechtlichen.29 2. Kollisionsrechtlicher ordre public (Art. 6 EGBGB) 24 Der kollisionsrechtliche ordre public kommt nur dann zum Zuge, wenn vom inländischen Richter ausländisches Recht anzuwenden ist.30 Er hat eine ausschließlich negative Funktion.31 So ist nach Art. 6 EGBGB die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbes. mit den Grundrechten unvereinbar ist.32 Der ordre public schaltet die gem. der inländischen Kollisionsnorm anwendbare Rechtsordnung aus. Er eliminiert nach inländischem internationalen Privatrecht an sich anwendbare, aber in concreto als anstößig empfundene ausländische Rechtssätze. Der ordre public kann also im internationalen Privatrecht nur dann eingreifen, wenn der Richter nach seinem Kollisionsrecht an sich ausländisches Recht anzuwenden hätte. 25 Der kollisionsrechtliche ordre public ist nicht identisch mit dem unantastbaren Teil der eigenen Rechtsordnung. Wenn der Gesetzgeber eine Norm für so wichtig hält, dass diese unbedingt, also auch bei noch so starker Auslandsbeziehung anzuwenden ist, so wird er die Anwendung dieser Norm im Wege der Sonderanknüpfung auch bei ausländischem Sachstatut vorschreiben, so z.B. Art. 9 II
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2013, Art. 6 EGBGB Rz. 219 ff. Zur schweiz. Optik Girsberger/Mráz, IPRax 2003, 545 (549). S. auch Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 187; Feraci, L’ordine pubblico nel diritto dell’Unione europea, 2012. Hierzu auch R. Geimer, Der anerkennungsrechtliche ordre public, in FS 150 Jahre Areopag, 2007, 107 ff. S. auch Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 12 Rom III-VO, Art. 13 Haager Unterhaltsprotokoll, Art. 35 EuErbVO etc. Die hier akzentuierte Unterscheidung zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public wird von anderen Autoren weniger deutlich hervorgehoben. Vgl. z.B. die Beiträge von Basedow, Martiny und Sandrock in FS Sonnenberger, 2004, 291, 523, 615; Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren, 2005, 90 ff. Vgl. auch Kreuzer, IPRax 1990, 366. Anders die Lehre von der positiven Funktion des ordre public; diese geht zurück auf die romanische Doktrin von den lois d’ordre public international. Hierzu auch Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 9 ff. Das Gleiche gilt für die vorrangigen (Art. 6 EGBGB verdrängenden) kollisionsrechtlichen ordre public-Klauseln des europäischen Unionsrechts, z.B. Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 12 Rom III-VO, Art. 35 EuErbVO, Art. 13 Haager Unterhaltsprotokoll, Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 4 und 43 ff. Zu den ordre publicVorbehalten in den völkerrechtlichen Verträgen Voltz, a.a.O., Rz. 55 ff.
Verhältnis des IZPR zum IPR
Erster Teil
Rom I-VO33 im internationalen Vertragsrecht.34 und Art. 26 II Rom II-VO im internationalen Deliktsrecht. Der Grund für die Anwendung der für so wichtig erachteten inländischen Norm ist nicht der ordre public, sondern die auf das Inlandsrecht verweisende Kollisionsnorm. Nur auf den Gebieten, auf denen ein Staat sein Recht nicht als international zwingend betrachtet und daher nicht im Wege der Sonderanknüpfung auf seiner unbedingten und vorbehaltlosen Anwendung besteht, eröffnet er die Möglichkeit der Anwendung ausländischen Rechts. Erst dann ergibt sich ein Feld für den Einsatz des kollisionsrechtlichen ordre public: Er korrigiert die an sich gegebene kollisionsrechtliche Verweisung auf das ausländische Recht, indem er die Anwendung des berufenen ausländischen Rechts verbietet, wenn dieses zu Ergebnissen führt, die vom Standpunkt der inländischen Rechtsordnung aus schlechterdings unerträglich sind. Durchgesetzt werden mit dem kollisionsrechtlichen ordre public nicht bestimmte inländische Rechtsnormen des positiven Rechts – denn wären diese anzuwenden, so gäbe es eine Sonderanknüpfung –, sondern die hinter der positiven Rechtsordnung stehenden elementaren Rechtsprinzipien und staatspolitischen Ordnungsvorstellungen, auf deren Wahrung nicht verzichtet werden kann.35 3. Anerkennungsrechtlicher ordre public Weiteres Anwendungsfeld: Demgegenüber ist der Anwendungsbereich des aner- 26 kennungsrechtlichen ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG, § 343 I 2 Nr. 2 InsO)36 viel weiter.37 Der Anerkennungsstaat setzt über diese Klausel auch sein international zwingendes Recht durch, also jene Normen, die der inländische Richter – hätte er den Prozess anstelle des Erstrichters entscheiden müssen – kraft deren Geltungsanspruchs angewandt hätte, ohne den kollisionsrechtlichen ordre public zu bemühen. Aus dem Geltungsanspruch des in Deutschland geltenden Devisenrechts folgert z.B. der Bundesgerichtshof,38 dass die Anerkennung eines gegen die deutsche Devisengesetzgebung (im Ergebnis) verstoßenden ausländischen Urteils grundsätzlich am ordre public scheitert. Der Bundesgerichtshof wendet richtigerweise § 328 I Nr. 4 ZPO an, obwohl die Anwendung deutschen Devisenrechts durch deutsche Gerichte nicht über die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB, sondern mittels besonderer Kollisionsnormen (Sonderanknüpfungen) erfolgt. Dieser kardinale Unterschied zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public ist deutlich hervorzuheben, nicht zuletzt
33 Früher Art. 34 EGBGB (= Art. 7 II EVÜ). Hierzu z.B. Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 26. 34 Hierzu Hentzen, RIW 1988, 508; von Hoffmann, IPRax 1989, 264. Zur Phänomenologie der Eingriffsnormen ausführlich Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 11 Rz. 11, 26 Rz. 29. 35 BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, Rz. 29, SchiedsVZ 2014, 151, 153. 36 Vgl. oben Fn. 26. Zur Struktur des anerkennungsrechtlichen ordre public s. auch BGH v. 28.1.2014 – III ZB 40/13, NJW 2014, 1597 = SchiedsVZ 2014, 98 (Baumert 139) = MDR 214, 491 = LMK 2014, 356293 (Pfeiffer). 37 Zustimmend z.B. Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 113. 38 BGH v. 11.10.1956 – II ZR 305/55, BGHZ 22, 24 = NJW 1957, 61 = WM 1956, 1504 = IPRspr. 1956–1957 Nr. 191.
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Grundlegung
auch deswegen, weil er in den Kommentaren zu Art. 6 EGBGB und zu § 328 ZPO meist übergangen wird.39 Beispiel: Einem dänischen Urteil verweigerte das Reichsgericht40 unter Berufung auf den ordre public die Anerkennung, weil das dänische Gericht deutsches Devisen-, konkret deutsches Aufwertungsrecht, nicht berücksichtigt hatte. Hier handelt es sich um international zwingendes Recht, welches der deutsche Richter im Erkenntnisverfahren nicht aufgrund der kollisionsrechtlichen ordre public-Klausel, sondern aufgrund seines Geltungsanspruchs – eventuell via Sonderanknüpfung neben der ausländischen lex causae – angewandt hätte.
27 Geringere Angriffsintensität: Andererseits ist die „Angriffsintensität“ des anerkennungsrechtlichen ordre public geringer41 als die des kollisionsrechtlichen (Theorie vom ordre public atténué de réconnaissance)42: Die elementaren Rechtsgrundsätze, denen der Zweitrichter bei der eigenen Rechtsanwendung über seinen kollisionsrechtlichen ordre public Geltung verschaffen würde, wenn er anstelle des Erstrichters den Rechtsstreit zu entscheiden hätte, werden zwar auch gegenüber ausländischen Entscheidungen durchgesetzt, allerdings mit geringerer Intensität.43 Die Versagung der Anerkennung folgt nicht zwingend aus dem Umstand, dass der Zweitrichter in der Rolle des Ursprungsgerichts die Anwen39 Nicht überzeugend z.B. Kegel/Schurig, IPR9, § 2 IV, wo man außerhalb des § 328 I Nr. 4 ZPO „eine prozessuale Kollisionsnorm bilden“ will; ebenso wenig aufschlussreich Spellenberg in Stoll (ed.), Stellungnahmen und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, 1992, 186; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 462; Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen, 1997, 53; Schulze, IPRax 1999, 342 (344); Wagner, Prozessverträge, 1998, 66. Zur BGH-Rspr. Stürner in BGH-FS der Wissenschaft III, 2000, 677. Vgl. auch die Theorie v. ordre public international, welche der BGH vor allem für den Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit entwickelt hat, BGH v. 1.2.2001 – III ZR 332/99, NJW-RR 2001, 1059 = RIW 2001, 458 = MDR 2001, 645 = EWiR 2001, 395 (Kröll) = IPRax 2001, 580 (Sandrock 550, 556) = IPRspr. 2001 Nr. 202; BGH v. 29.1.2009 – III ZB 88/07, SchiedsVZ 2009, 176 Rz. 27; BGH v. 28.1.2014 – III ZB 40/13, NJW 2014, 1597 = SchiedsVZ 2014, 98 (Baumert 139) = MDR 214, 491 = LMK 2014, 356293 (Pfeiffer). 40 RGZ 114, 172. 41 Anders aber Pfundstein, Pflichtteil und ordre public, 2010, Rz. 540 ff. 42 Zusammenfassung des Diskussionsstandes bei Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 51 ff.; Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren, 2005, 105 ff., 130 ff.; Nachw. auch bei Othenin-Girard, La réserve d’ordre public en droit international privé suisse, 1999, 101, 195; Looschelders, IPRax 2005, 28; Mankowski, ZZP 114 (2001), 37 (55); Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 242; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 445; Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho Internacional Privado I, 2002, 299. 43 Zustimmend z.B. Böcker, Das neue Recht der objektiven Schiedsfähigkeit – Deutschland, Österreich, Spanien, 1998, 25. Ablehnend Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 (705 ff.); Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 93; Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995, 141; Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 118 ff. Wie hier nun auch BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999, 371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = IPRspr. 1999 Nr. 154: „Soweit es … um die Handlungsfreiheit des Schuldners geht, darf … nicht mehr nach dem Maßstab des § 138 Abs. 1
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Verhältnis des IZPR zum IPR
Erster Teil
dung der die ausländische Entscheidung tragenden ausländischen Norm abgelehnt hätte. Es sind vielmehr Fälle denkbar, in denen die Entscheidung des ausländischen Gerichts hingenommen werden kann, obwohl ceteris paribus der Zweitrichter im Erkenntnisverfahren den kollisionsrechtlichen ordre public bemüht hätte.44 Nicht der gesamte Normenbestand, den der Zweitrichter als international zwin- 28 gend – auch bei ausländischem Sachstatut – kraft Sonderanknüpfung anwenden würde, wenn er im Erkenntnisverfahren mit der Entscheidung des (tatsächlich vom ausländischen Richter entschiedenen) Falles befasst wäre, wird auch gegenüber ausländischen Urteilen (im Wege der Verweigerung der Anerkennung mittelbar) durchgesetzt. Es ist vielmehr eine Auswahl vorzunehmen (Rz. 2912): Nur dann greift der Versagungsgrund des ordre public ein, wenn die Nichtbeachtung des für den zweitstaatlichen Richter im Erkenntnisverfahren international zwingenden Rechts durch die ausländische Entscheidung aus der Sicht des Zweitstaates unerträglich und daher nicht hinnehmbar ist, also die grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen und die elementaren Machtinteressen des Zweitstaates die Verweigerung der Anerkennung notwendig machen. Erforderlich ist „a solicitous analysis of the extraterritorial value of state policy in relation to interstate and international needs.“45 So sieht es auch der Bundesgerichtshof:46 „Abzustellen ist dabei nicht auf den nationalen ordre public, den die deutschen Gerichte bei eigener Anwendung ausländischen Rechts zu beachten haben, sondern auf den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international. Mit diesem ist ein ausländisches Urteil nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter – hätte er den Prozess entschieden – aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint.“ Anwendung auch gegenüber deutschem Recht: Schließlich ist noch auf ein 29 (scheinbares) Paradoxon hinzuweisen: Der anerkennungsrechtliche ordre public BGB geprüft werden, ob gemäß deutschen Vorstellungen ein Leistungsurteil des vorliegenden Inhalts zu erlassen wäre.“ 44 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1588; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 830. Vgl. auch BGH v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70 = NJW 1986, 3027 = RIW 1986, 816 = MDR 1986, 917 = JZ 1987, 154 (Walter) = WM 1986, 982 = EWiR 1986, 835 (Schütze) = IPRspr. 1986 Nr. 198 sowie BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626, 628 = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (Gerfried Fischer 450, 452) = IPRspr. 1998 Nr. 185. Ähnlich aus schweiz. Sicht Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 353 sowie Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. IZVR, 1998, 49. 45 So in anderem Zusammenhang Rabel, Conflict of Laws, II2, 1960, 431. 46 BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626 (628) = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (Gerfried Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185.
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kann auch dann eingreifen, wenn der ausländische Richter inländisches Recht angewandt hat. Hierfür gibt es im internationalen Privatrecht keine Parallele.47 Hat z.B. der Erstrichter – bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts aus seiner Sicht – § 134 BGB oder § 138 BGB nicht angewandt, so ist der deutsche Zweitrichter durchaus befugt nachzuprüfen, ob das ausländische Urteil dem deutschen ordre public zuwiderläuft, und zwar auch dann, wenn der Erstrichter die genannten Generalklauseln zwar herangezogen hatte, aber zu dem Schluss gekommen war, in concreto kämen sie nicht zum Zuge. Jedoch führt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung zur Anwendung der ordre public-Klausel. Vielmehr muss hinzukommen, dass das Abweichen von der deutschen Rechtsordnung schlechthin unerträglich ist (Rz. 2912). 29a Maßgebend ist der Zeitpunkt der Anerkennung (Rz. 2798)48, nicht der der Entscheidung des inländischen Richters, wie dies die h.M.49 behauptet: Lag zum Zeitpunkt der Wirkungserstreckung auf das Inland kein Verstoß gegen den ordre public vor, dann kann die bereits eingetretene Anerkennung nicht rückwirkend beseitigt werden. Anders ist es bei der Vollstreckbarerklärung, da diese ex nunc durch richterlichen Gestaltungsakt für den deutschen Hoheitsbereich verliehen wird. Dies gilt auch bei einer Verbesserung der Anerkennungsmöglichkeiten: Dass die Vollstreckbarerklärung vor einer Änderung der Gesetzgebung oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung an §§ 723 II 2, 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG gescheitert wäre, schließt die Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung nicht aus; denn ein Ergebnis, das dem geltenden deutschen Recht entspricht, kann nicht mehr gegen den deutschen ordre public verstoßen, jedenfalls insoweit, als es um die Vollstreckbarerklärung ex nunc geht.50 Schwierig ist es jedoch, in solchen Fällen eine Anerkennung ex nunc oder ex tunc zu begründen, da das Vertrauen der Parteien, insbes. der unterlegenen, zu 47 Der kollisionsrechtliche ordre public (Art. 6 EGBGB) setzt voraus, dass ausländisches Recht zur Anwendung berufen ist, BGH v. 26.3.1998 – VII ZR 123/96, WM 1998, 1637 = IPRspr. 1998 Nr. 6. 48 R. Geimer, NJW 1974, 420; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1603; Frankenstein, IPR I, 1926, 237; Pollinger, Intertemporales Zivilprozessrecht, 1988, 235; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 483. 49 BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 (335) = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626, 628 = IPRax 1999, 466 (Gerfried Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 78/04, MDR 2005, 641 = NJW-RR 2005, 1071 = RIW 2005, 463 = EWiR 2005, 823 (Balzer) = ZIP 2005, 478, 480 = IPRspr. 2005 Nr. 12; OLG Hamm v. 4.12.1986 – 1 UF 475/86, FamRZ 1987, 506, zu § 16a Nr. 4 FGG (§ 109 I Nr. 4 FamFG): Zeitpunkt, in dem über Anerkennung befunden wird; Gerfried Fischer, IPRax 1999, 450 (453). Weitere Nachw. bei Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 145; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 485; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 246 ff. S. auch unten Rz. 2798, 2988. 50 BGH v. 26.2.1991 – XI ZR 349/89, MDR 1991, 752 = RIW 1991, 420 = IPRax 1992, 380 (Samtleben 362) = EWiR 1991, 559 (Koller) = WuB VII B 3 § 1044 ZPO 1.91 (Schütze) = IPRspr. 1991 Nr. 222; BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626 (628) = IPRax 1999, 466 (Gerfried Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185.
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schützen ist.51 Auf der anderen Seite wäre als Ergebnis auch nicht stimmig, dass eine Vollstreckbarerklärung möglich sein soll, obwohl die Anerkennung der res iudicata- oder Gestaltungswirkung am deutschen ordre public scheitert.52 4. Rechtshilferechtlicher ordre public Rechtshilfe für ausländische Gerichtsverfahren, z.B. Zustellungen oder Beweis- 29b aufnahmen, ist auch dann zu gewähren, wenn die Anerkennungsprognose negativ ist, d.h. wenn mit der Anerkennung der ausländischen Entscheidung nicht zu rechnen ist, die in dem Verfahren voraussichtlich ergehen wird, für welches die deutsche Rechtshilfe begehrt wird.53 Diese ist nur dann abzulehnen, wenn sie Beihilfe54 wäre zu einem völkerrechtswidrigen oder einem absolut unmoralischen Verfahren, das jeden – wie auch immer gearteten – Bezugs zur Rechtsidee ermangelt (Rz. 2158, 2488). Der rechtshilferechtliche ordre public ist also schwächer als der anerkennungsrechtliche.55
V. Keine (räumliche) Fixierung auf eine Rechtsordnung Die internationalprivatrechtliche Fragestellung zielt darauf ab, die räumlich 30 nächste Rechtsordnung zu bestimmen. Anders verhält es sich beim internationalen Zivilverfahrensrecht. Hier lässt sich eine einheitliche Antwort nicht geben, sondern nur jeweils für die in Betracht gezogene Materie, z.B. das Kompetenzrecht. Während es das Anliegen des internationalen Privatrechts ist, für ein Rechtsverhältnis eine (die räumlich nächste) Rechtsordnung festzulegen, also aus der Sicht eines bestimmten IPR-Systems in thesi immer nur eine konkrete lex causae in Betracht kommt, sind im internationalen Verfahrensrecht die Fälle selten, in denen nur ein Staat für die Beurteilung eines bestimmten Rechtsverhältnisses international zuständig ist. Gang und gäbe sind vielmehr konkurrierende internationale Zuständigkeiten (Rz. 861). Dies hat auch Rückwirkungen im Anerkennungsrecht. So lässt sich z.B. nicht 31 voraussagen, dass für einen bestimmten Rechtsstreit immer nur das Urteil eines bestimmten Staates zur Anerkennung anstehen wird. Aus der Akzeptierung konkurrierender internationaler Zuständigkeiten folgt, dass möglicherweise Urteile 51 S. auch Geimer, NJW 1988, 651. 52 Zu einfach in der Begründung Samtleben, IPRax 1992, 363, der hier den „allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundsatz“ bestätigt sieht, es komme stets auf den Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung an. 53 BVerfG v. 7.12.1994 – 1 BvR 1279/94, BVerfGE 91, 335 (340, 344) = CR 1995, 221 = IPRspr. 1994 Nr. 160b (S. 369); m.w.N. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 84, 125; Staudinger/Voltz, BGB, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 63 ff. 54 Zum völkerrechtlichen Beihilfebegriff s. Art. 16 der Resolution 56/83 v. 12.12.2001 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit, angenommen durch die Resolution des Generalversammlung, in dt. Sprache abgedruckt bei Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 325, 511. 55 Kritisch jedoch Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 99.
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aus verschiedenen Staaten für den gleichen Streitgegenstand sich um die Anerkennung im Inland „bewerben“. Dann müssen Regeln entwickelt werden, wie die Kollision zu lösen ist. Die Suche nach einem archimedischen Punkt ist also – anders als im internationalen Privatrecht – im internationalen Verfahrensrecht bereits im Ansatz verfehlt.56
VI. Unterschiede bei den Anknüpfungen 32 Differenzen bestehen schließlich auch bezüglich der Anknüpfungspunkte. Die Staatsangehörigkeit ist aus der Sicht des internationalen Privatrechts die stabilste Anknüpfung. Sie ist daher auch vom deutschen IPR-Reformgesetz vom 18.8.198657 – soweit wie verfassungsrechtlich möglich – beibehalten worden.58 Im internationalen Privatrecht ist sie die nach wie vor dominierende Anknüpfung.59 Ganz anders ist es im internationalen Verfahrensrecht. Im Kompetenzrecht ist die Staatsangehörigkeit der Parteien – anders als nach Art. 14, 15 Code civil und den vom französischen Recht beeinflussten romanischen Rechtsordnungen60 – grundsätzlich kein Anknüpfungspunkt (zu den Ausnahmen s. unten Rz. 1323). Auch im Anerkennungsrecht spielt die Staatsangehörigkeit im Grundsatz keine Rolle. Es ist denkbar, dass der Zweitstaat ausländische Urteile nur anerkennt, bzw. ausländische Titel nur dann vollstreckt, wenn diese eigenen Staatsangehörigen zum Vorteil gereichen. Ein solcher chauvinistischer Standpunkt wird aber von den meisten Rechtsordnungen abgelehnt. Insbesondere das deutsche autonome Recht (§§ 328, 722, 723 ZPO; § 109 FamFG) hat nie zwischen In- und Ausländern unterschieden. Das Gleiche gilt für die VO (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO n.F.) vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen)61, die VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung62, sowie für das Luganer Übereinkommen ebenso wie für die überwie56 R. Geimer, IPRax 1986, 87; R. Geimer in FS Sonnenberger, 2004, 357. 57 BGBl. I 1986, 142. 58 Zum aktuellen Stand s. z.B. Staudinger/Bausback, BGB, 2013, Art. 5 EGBGB Anh. I Rz. 6 ff. 59 Allerdings zunehmend verdrängt durch das (sekundäre) Unionsrecht. 60 Rechtshistorische Nachw. zur Verbreitung des Code civil bei Dölemeyer/Mohnhaupt/ Somma (ed.), Richterliche Anwendung des Code civil in seinen europäischen Geltungsbereichen außerhalb Frankreichs, 2006. 61 ABl. EU Nr. L 351 v. 20.12.2012, S. 1. Die VO (EU) Nr. 1215/2012 tritt nach Maßgabe von Art. 66 I ab 10.1.2015 an die Stelle der VO (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 (EuGVVO a.F.) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1), welche wiederum das Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) ersetzt hat. 62 ABl. EU Nr. L 338 v. 27.11.2003. Bis 28.2.2005 galt die VO (EG) Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
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gende Zahl der sonstigen Staatsverträge.63 Allerdings differenzieren die EU-Verordnungen sowie die Brüsseler und die Luganer Konvention zwischen Personen mit Wohnsitz/Sitz innerhalb der Europäischen Union und solchen „draußen vor der Tür.“ Dies gilt auch für die VO (EG) Nr. 1346/2000 (EuInsVO) vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren.64 Die stärksten Berührungspunkte zwischen internationalem Privatrecht und in- 33 ternationalem Zivilverfahrensrecht zeigen sich bei der praktischen Rechtsanwendung, besonders bei der Bestimmung der Anknüpfungsbegriffe: z.B. wird der Erfüllungsort i.S. von § 29 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 1 (a) (c) EuGVVO n.F. und Art. 5 Nr. 1 (a) (c) LugÜ 2007 nach der lex causae bestimmt.65 Ein eigener prozessualer Erfüllungsortsbegriff ist – außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 7 Nr. 1 (b) EuGVVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 1 (b) LugÜ 2007 – abzulehnen (Rz. 1482). Das Internationale Verfahrensrecht kennt auch keinen eigenen Wohnsitzbegriff. Lebhaft umstritten ist, nach welchen Regeln Zuständigkeits- und Schiedsgerichtsvereinbarungen66 kollisionsrechtlich zu behandeln sind. Die Mehrzahl der Senate des Bundesgerichtshofs67 spricht von einem materiell-rechtlichen Vertrag mit prozessualen Wirkungen und unterstellt deshalb die prozessrechtliche Vereinbarung dem Statut des Hauptvertrages. Dem ist jedoch nicht zu folgen (Rz. 1677, 3786). Das Gleiche gilt für den Prozessvergleich und für die vollstreckbare Urkunde (Rz. 1854b und 1854c). Die enge Verbundenheit zwischen internationalem Privatrecht und internatio- 34 nalem Zivilverfahrensrecht wird schließlich deutlich bei den Regeln über die Ermittlung ausländischen Rechts (§ 293 ZPO, hierzu unten Neunter Teil, Rz. 2570 ff.). Das internationale Privatrecht bestimmt die für die Beurteilung des Streitgegenstandes maßgebliche Rechtsordnung; deren (inhaltliche) Feststellung fällt aber in den Bereich des internationalen Zivilverfahrensrechts. Gelingt es in concreto nicht, Gewissheit über die ausländischen Normen zu erlangen, kommt wieder das internationale Privatrecht zum Zuge, um das maßgebliche Ersatzrecht zu bestimmen (Rz. 2598). Dieses zu ermitteln, ist erneut Aufgabe des internationalen Zivilverfahrensrechts (sofern nicht in concreto die lex fori anzuwenden ist). Hier tritt die Verzahnung von internationalem Privatrecht und internationalem Zivilverfahrensrecht in der praktischen Rechtsanwendung deutlich zu Tage; die dogmatische Trennungslinie zwischen beiden Bereichen ist
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Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 19. Vgl. z.B. Art. 1 des nach Maßgabe von Art. 66 LugÜ 2007 fortgeltenden dt.-schweiz. Abkommens v. 2.11.1929 (RGBl. 1930 II 1006): Danach besteht Anerkennungspflicht „… ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien …“ Näher R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1503. S. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 115. ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 1. Kritisch Kropholler/von Hinden in GS Lüderitz, 2000, 401. Diese haben für die Rechtsschutzgewährung große Bedeutung, sei es, dass sie eine an sich gegebene internationale Zuständigkeit derogieren oder eine an sich nicht gegebene Rechtsschutzmöglichkeit im Inland erst ermöglichen. Anders aber BGH v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85, BGHZ 99, 143 (147) = FamRZ 1987, 268 = ZZP 100, 452 (Schwab).
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aber klar zu erkennen, sieht man von konturenarmen Randzonen ab, wie z.B. der Frage, ob bzw. wie in Säumnis- oder in Eilverfahren der Inhalt ausländischer Normen zu erforschen ist (Rz. 2592).
VII. Gegenseitigkeit 35 Im Gegensatz zum internationalen Privatrecht spielt die Verbürgung der Gegenseitigkeit im positiven internationalen Zivilverfahrensrecht68 eine nicht unbeachtliche Rolle, zwar nicht im Kompetenzrecht (Rz. 1908) – das deutsche Recht kennt nicht den Gerichtsstand der Gegenseitigkeit (Rz. 1587) –, jedoch im Anerkennungsrecht (§ 328 I Nr. 5 ZPO; § 109 IV FamFG).69 Vgl. auch § 3 I Nr. 3 ZRHO, wonach Rechtshilfe „auf Grund gegenseitigen Entgegenkommens“ durchgeführt wird (Rz. 2447).70 35a Das Gegenseitigkeitsprinzip hat die IPR-Reform71 und auch die FGG-Reform72 überstanden, obwohl es von der Wissenschaft scharf kritisiert wird; es trifft immer den Falschen.73 Dagegen verzichtet § 343 I 2 InsO auf das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren. Hierzu führt die amtliche Begründung der Bundesregierung aus:74 „Dies entspricht der internationalen Gerechtigkeit. Die Anerkennung ausländischer Verfahren wird es erleichtern, den Wirkungsanspruch eines deutschen Verfahrens in ausländischen Staaten durchzusetzen.“
Dies ist auch „international-pädagogisch“ richtig: Man geht mit gutem Beispiel voran, anstatt – wie bei § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG – (meist erfolglos) darauf zu warten, dass die anderen den ersten Schritt tun.
VIII. Vergeltungsrecht 36 Im deutschen Recht wurden alle Retorsionsvorschriften ausgemerzt. Anlässlich der IPR-Reform 1986 wurde Art. 31 EGBGB gestrichen.75 Zwölf Jahre später wur-
68 Zu den Grundtendenzen des historischen Gesetzgebers Knöfel, Bismarcks Blaustift und das gesetzliche IZVR, ZfRV 2008, 273. – Zur Zurückdrängung des Gegenseitigkeitsprinzips im österr. Zivilverfahrensrecht Fasching, Zivilprozessgesetze2, 1. Bd., Einl. Rz. 125. 69 Bis 30.9.1998 auch bezüglich der Befreiung von Sicherheitsleistungen für Prozesskosten für ausländische Kläger, § 110 II Nr. 1 ZPO, Rz. 2005. 70 S. auch § 917 II ZPO: Ein Arrestgrund ist zu bejahen, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. 71 BT-Drucks. 10/504 zu § 328 ZPO. 72 S. § 109 IV FamFG. 73 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 33; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 60; Geimer in FS Ferid 80, 1988, 89; Stellungnahme des MPI zur IPR-Reform RabelsZ 47 (1983), 674. 74 BT-Drucks. 12/2443, 236. 75 Mit Wirkung zum 1.9.1986 durch Gesetz v. 25.7.1986, BGBl. I 1986, 1142. Hierzu z.B. Siehr, IPR, 2001, 497.
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de § 24 EGZPO aufgehoben.76 Auch früher konnte das Vergeltungsrecht nicht durch die Gerichte ausgeübt werden. Es bedurfte vielmehr einer Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 24 EGZPO77 (Rz. 502, 648). Vergeltungsmaßnahmen wurden jedoch auch nach altem Recht nicht ergriffen. Die InsO verzichtet auf ein Vergeltungsrecht im Gegensatz zu § 5 II KO.78
IX. Internationale Fungibilität der Gerichte: eine Fiktion Die Anwendung des Verfahrensrechts ist nach h.M. wertneutral und erfolgs- 37 unabhängig. Gerichtsverfahren seien austauschbar.79 Die Verschiedenheiten der Verfahrensordnungen seien angeblich nur rechtstechnisch bedingt.80 Dies ist allerdings nur eine Unterstellung (Rz. 2751);81 denn jeder weiß, dass es z.B. einen Unterschied macht, ob man einen Schadensersatzprozess vor einer Jury82 anhängig macht oder vor einem kontinentaleuropäischen Spruchkörper mit Berufsrichtern, ob die Beweiserhebung in einer cross examination erfolgt oder nach den Regeln des kontinentaleuropäischen Zivilprozesses.83 Die Austauschbarkeit der Verfahrensordnungen ist eine Fiktion (Rz. 99, 868c, 883).84 Hinzu kommt das geistige und soziale Umfeld, in welches das jeweilige nationale Zivilprozessrecht implantiert ist.85 (Vgl. auch Rz. 1049). Eine Parallele findet sich im Internationalen Privatrecht. Dort wird auch von der 38 (grundsätzlichen) Austauschbarkeit der Rechtsordnungen ausgegangen. Auf dieser Annahme basiert das klassische Internationale Privatrecht. Man beruft sich 76 Mit Wirkung zum 1.10.1998 durch Gesetz v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033. Hierzu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10871, 16. 77 Zur übergeleiteten Zuständigkeit Kegel/Schurig, IPR9, § 16 XVI; Blumenwitz in FS Ferid 80, 1988, 46 Fn. 8; Paal, Bundesrat und Außenpolitik, 1983, 210. 78 BT-Drucks. 12/2443, 236. 79 Z.B. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 5. 80 Hierauf stützt sich auch innerhalb der EU das Postulat des (vorbehaltlosen) gegenseitigen Vertrauens in die Justizsysteme der anderen Mitgliedstaaten. 81 Zustimmend z.B. Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010) II 1 A Rz. 21. 82 Zum US-amerikanischen Jurysystem in Zivilsachen Herrmann, Die Anerkennung USamerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 202 ff. sowie Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540. Das jury trial ist im Amendment VII zur US-Verfassung verankert: „In suits at common law, where the value in controversy shall exceed twenty dollars, the right of trial by jury shall be preserved, and no fact tried by a jury, shall be otherwise reexamined in any other court of the United States, than according to the rules of the common law.“ Ähnliche Formulierungen finden sich in den Verfassungen der US-Bundesstaaten. S. auch Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 118 f. 83 Zustimmend McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 19. 84 Nachw. bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 140. 85 Dies hat z.B. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 74, 81 eindrucksvoll für den amerikanischen Zivilprozess gezeigt.
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auf das Postulat der räumlichen, nicht der sachlichen Gerechtigkeit des Internationalen Privatrechts, das alle Wertunterschiede zwischen in- und ausländischem Privatrecht ignoriert und prinzipiell alle nationalen Privatrechtsordnungen gleich behandelt. Auch dieser Ansatz streift die Sphäre des Fiktiven.
X. Selbständigkeit des internationalen Zivilverfahrensrechts gegenüber dem internationalen Privatrecht 1. Kompetenzrecht 39 Es gibt keinen Gleichlauf zwischen anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit. Aus dem Umstand, dass nach deutschem internationalem Privatrecht in der Sache deutsches Recht zur Anwendung kommt, folgt nicht automatisch die internationale Zuständigkeit Deutschlands. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien die Anwendung des deutschen Rechts ausdrücklich vereinbart hatten. Umgekehrt folgt die internationale Unzuständigkeit nicht daraus, dass in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Haben die Parteien z.B. die Anwendung schweizerischen Rechts vereinbart, so heißt dies nicht, dass sie die sich aus Art. 2 ff. LugÜ bzw. §§ 12 ff. ZPO ergebende internationale Zuständigkeit Deutschlands derogiert haben. Fazit: Die Frage, ob die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu bejahen oder zu verneinen ist, ist selbständig und nach ganz anderen Kriterien zu beantworten als die Frage, welches Recht aus der Sicht des in Deutschland geltenden internationalen Privatrechts in der Sache Anwendung findet, sofern der Rechtsstreit von einem deutschen Gericht zu entscheiden ist (Rz. 1041 ff., 1674). 2. Anerkennungsrecht 40 Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen hat zur Folge, dass die Ergebnisse der Subsumtionstätigkeit des ausländischen Gerichts im Inland beachtet werden.86 Der Erstrichter entscheidet aber auf der Grundlage seines eigenen Rechts, insbes. seines eigenen IPR. Da die Kollisionsnormen außerhalb der Europäischen Union – von wenigen Ausnahmen abgesehen – international nicht vereinheitlicht sind und deshalb die einzelnen IPR-Systeme voneinander abweichen, ist es nicht selten, dass der Erstrichter auf der Grundlage einer anderen Rechtsordnung über die Hauptsache entschieden hat, als der Zweitrichter es getan hätte, wenn er mit dem gleichen Fall befasst gewesen wäre. Aber auch wenn in beiden Staaten (Erst- und Zweitstaat) das Kollisionsrecht übereinstimmt, besteht die Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen. Dies gilt insbes. für die Formelkompromisse der Rom I-III-Verordnungen. 41 Es kommt nun darauf an, welchen Rang der Zweitstaat dem internationalen Privatrecht zuweisen will. Misst er diesem eine so große Bedeutung bei, dass er sei86 Nachw. zu den verschiedenen Anerkennungsbegriffen z.B. bei Philipp K. Wagner, Abstimmungsfragen zwischen Internationalem Insolvenzrecht und Internationaler Schiedsgerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung der Anerkennung grenzüberschreitender Insolvenzen durch Schiedsgerichte, 2007, 22 ff.
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ne eigenen Kollisionsregeln auch international durchsetzen will, dann muss er ausländischen Entscheidungen die Anerkennung verweigern, wenn sie im Ergebnis die Regeln des zweitstaatlichen internationalen Privatrechts nicht beachten. Das Anerkennungsrecht wird also dem internationalen Privatrecht untergeordnet. Diesen Grundsatz hielt z.B. das französische Recht lange hoch. Man verlangte „conformité de la décision étrangère au système français de conflit des lois“.87 Den gegensätzlichen Standpunkt vertritt das deutsche Recht und nunmehr auch 41a das europäische Unionsrecht; man geht von der Selbständigkeit des internationalen Anerkennungsrechts gegenüber dem internationalen Privatrecht aus (Rz. 46, 2965). Spannungen und Brüche werden bewusst in Kauf genommen. Der Geltungsanspruch des eigenen internationalen Privatrechts wird auf ein realistisches Maß zurückgenommen. Es gibt nur dem Richter Anknüpfungsregeln, wenn er im Erkenntnisverfahren über einen bestimmten Rechtsstreit entscheiden muss, also nur „Normen für die eigene Entscheidung“.88 Es will aber kein Maßstab sein für die Beurteilung des Syllogismus ausländischer Richter. Angesichts der tief greifenden Unterschiede der einzelnen nationalen Kollisionsrechte erachtet man es als selbstverständlich (und daher keineswegs als Grund für die Versagung der Anerkennung), wenn der Erstrichter von einer anderen lex causae ausgegangen ist als (hypothetisch) der Zweitrichter.89 Für die Anerkennung eines ausländischen Urteils ist es ohne Bedeutung, ob nach 42 dem inländischen internationalen Privatrecht die Rechtsordnung des Urteilsstaates für die Beurteilung des Streitgegenstandes maßgeblich war oder nicht. Liegen die Anerkennungsvoraussetzungen nicht vor, so kann das ausländische Urteil auch dann nicht anerkannt werden, wenn auf den Streitfall das Recht des Erststaates nach dem internationalen Privatrecht des Zweitstaates anzuwenden wäre und wenn nach dem Recht des Erststaates die materiell-rechtliche Rechtskrafttheorie gilt, wenn also durch das ausländische Urteil neues Recht geschaffen worden ist. Hier zeigt sich klar die Trennungslinie zwischen dem internationalen Privatrecht und dem internationalen Verfahrensrecht: Liegen die Anerkennungsvoraussetzungen nicht vor, so darf der Zweitrichter die durch das auslän87 Holleaux/Foyer/de la Pradelle, Droit international privé, 1987, Nr. 967 S. 441; s. auch Mayer/Heuzé, Droit international privé10, Nr. 385; Fricke, IPRax 1989, 205. 88 von Bar, IPR I1, Rz. 399. Übereinstimmend im Ergebnis auch von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 139; Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts, 2004, 67. 89 Dies hat der deutsche Gesetzgeber anlässlich der IPR-Reform 1986 durch Streichung des § 328 I Nr. 3 ZPO a.F. verdeutlicht. Diese Vorschrift zählte einige Normen des deutschen IPR auf, von denen „zum Nachteil einer deutschen Partei“ nicht abgewichen werden durfte, ohne dass die Anerkennung in Gefahr geraten wäre. Auch nach altem Recht wollte nach richtiger Ansicht nicht etwa der deutsche Gesetzgeber sein kollisionsrechtliches Konzept (mittelbar) durchsetzen; es ging ihm vielmehr um die Beachtung bestimmter materiell-rechtlicher Grundsätze zugunsten einer deutschen Partei. § 328 I Nr. 3 ZPO a.F. war ein Unterfall der allgemeinen ordre public-Klausel, R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1394. Auch § 109 FamFG und § 343 I 2 InsO (vgl. BT-Drucks. 12/2443, 241) verzichten auf eine Kontrolle, Rz. 2965, 3515, 3923.
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Grundlegung
dische Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates geschaffene Rechtslage nicht anerkennen, ohne Rücksicht darauf, welche Qualifikation das Recht des Erststaates vorsieht (Rz. 2809).90 43 Ist nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht das Recht eines dritten Staates anzuwenden, ist also das Recht des Erststaates nicht zur Beurteilung des Streitfalls berufen, so hat dies für die Frage der Anerkennung des erststaatlichen Urteils keine Bedeutung. Auf den Standpunkt des dritten Staates, dessen Recht nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht zur Anwendung käme, wenn ein deutscher Richter über den Streitgegenstand zu entscheiden hätte, kommt es nicht an. Deshalb spielen auch die Gründe, weshalb der dritte Staat die Anerkennung verweigert, keine Rolle. Dass die nach deutschem internationalem Privatrecht91 ermittelte lex causae die Wirkungen eines ausländischen (erststaatlichen) Urteils nicht anerkennt, ist kein Grund, die Anerkennung im Inland zu verweigern, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung gegeben sind. Aber auch umgekehrt gilt: Wenn dem erststaatlichen Urteil nach deutschem Anerkennungsrecht die Anerkennung zu verweigern ist, dann bleibt es bei diesem Ergebnis auch dann, wenn die lex causae das ausländische Urteil anerkennt. Dass das inländische internationale Privatrecht auf die Rechtsordnung eines dritten Staates verweist, heißt nur, dass die deutschen Gerichte – wären sie mit der Entscheidung des Rechtsstreits befasst gewesen – nach dem Recht des dritten Staates geurteilt hätten. Zur Frage der Anerkennung trifft das internationale Privatrecht keine Aussage (Rz. 2814, 2848).92 44 Es gibt also keine kollisionsrechtliche Relativität der Wirkungen eines ausländischen Urteils.93 Dies gilt sowohl für die res iudicata-Wirkung (materielle Rechtskraft; Feststellungswirkung) als auch für die Gestaltungswirkung. Allerdings ist dieser Punkt lebhaft umstritten. Die Anhänger der Lehre von der kollisionsrechtlichen Relativität (Rz. 2647) wollen die Anerkennung der Gestaltungswirkung eines ausländischen Urteils von der Anerkennung durch die vom deutschen internationalen Privatrecht berufene lex causae abhängig machen. Maßgeblich sei diejenige Rechtsordnung, die auf das zu gestaltende Rechtsverhältnis nach dem deutschen internationalen Privatrecht Anwendung findet. Diese Ansicht führt zu einer ganz erheblichen Einschränkung des internationalen Zivilverfahrensrechts: Für die Anerkennung der Gestaltungswirkung eines ausländischen Urteils wäre § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG nur dann maßgeblich, 90 A.A. Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 274. Umfangreiche Nachw. z.B. bei Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 43. 91 Gemeint ist hier und in Folgendem das in Deutschland geltende internationale Privatrecht. Dabei ist zu beachten, dass das nationale Kollisionsrecht (EGBGB) in zunehmenden Maße durch (sekundäres) Unionsrecht ersetzt wird. 92 Anders z.B. Hausmann, a.a.O., 139 ff.: Um das „Gleichgewicht von IPR und IZVR zu wahren“, will er das prozessuale Anerkennungsrecht zugunsten der Beachtung des Standpunktes der vom deutschen. IPR berufenen lex causae zurückdrängen. 93 Zustimmend z.B. Kropholler, IPR einschließlich der Grundbegriffe des IZVR6, § 32 V, § 60 VI 2e; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 164; Rolf Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (745).
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Verhältnis des IZPR zum IPR
Erster Teil
wenn nach deutschem internationalem Privatrecht auf das zu gestaltende Rechtsverhältnis deutsches Recht anzuwenden wäre. In allen anderen Fällen wäre § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG ausgeschaltet. Über die Anerkennung würde das ausländische Sachstatut entscheiden. Dies würde bedeuten: Urteile des Staates des Sachstatuts, also des Staates, dessen Rechtsordnung auf das Rechtsverhältnis nach deutschem internationalem Privatrecht Anwendung findet, wären in Deutschland immer anzuerkennen, ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG, vorbehaltlich der Anwendung des ordre public. Urteile von dritten Staaten könnten in Deutschland nur dann anerkannt werden, wenn der Staat des Sachstatuts das Urteil des dritten Entscheidungsstaates anerkennt. Allerdings werden auch Modifikationen vertreten. Nach der gemischten Theorie 45 sind zunächst die Voraussetzungen des deutschen Anerkennungsrechts maßgebend, auch wenn auf das zu gestaltende Rechtsverhältnis ausländisches Recht (nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht) zur Anwendung kommt. Es ist jedoch zusätzlich zu prüfen, ob nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Rechtsordnung nach deutschem internationalem Privatrecht zur Anwendung kommt, die Gestaltungswirkung des ausländischen Urteils anzuerkennen ist. Nach dieser Ansicht beinhaltet also § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG keinen numerus clausus der Versagungsgründe. Neben den Voraussetzungen des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG setzt die Anerkennung voraus, dass auch die (vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmte) lex causae der ausländischen Entscheidung Gestaltungswirkung zuerkennt. Dies bedeutet praktisch, dass Urteile von dritten Staaten, also von Staaten, deren Rechtsordnung nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht nicht anzuwenden ist, in Deutschland nur anzuerkennen sind, wenn der Staat des Sachstatuts sie anerkennt. Nach richtiger Ansicht kommt es jedoch nur auf das prozessuale Anerken- 46 nungsrecht an.94 Dieses ist gegenüber dem internationalen Privatrecht selbständig und regelt abschließend die Frage, unter welchen Umständen die Wirkungen ausländischer Urteile im Inland anzuerkennen sind (Rz. 41a). Ob der Staat des nach deutschem internationalen Privatrecht ermittelten Sachstatuts das ausländische Urteil anerkennt, ist ohne Bedeutung. Auch vor Streichung des alten § 328 I Nr. 3 ZPO (s. Rz. 41a) war klar, dass die materiell-rechtlichen Theorien (Anerkennung nur bei Billigung durch die lex causae) dem geltenden Recht widersprechen. Wie auch sonst im internationalen Zivilverfahrensrecht gibt es keinen Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und materiellem Recht. Aus dem Fehlen dieses Gleichlaufs folgt die selbständige Anerkennungsfähigkeit von Urteilen aus dritten Staaten ohne Rücksicht auf die Haltung desjenigen Staates, dessen Recht nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht anwendbar wäre. Ist nach deutschem Recht der dritte Staat international zuständig, so bedeutet dies, dass er aus deutscher Sicht befugt ist, in der Sa-
94 Zustimmend z.B. Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 546.
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Grundlegung
che zu entscheiden. Der Vorbehalt, dass er ein Urteil fällt, das auch im Staate des Sachstatuts Anerkennung findet, wird dabei nicht gemacht.95 47 Die Selbständigkeit des Anerkennungsrechts ist auch eine logische Folge der Anerkennung konkurrierender internationaler Zuständigkeiten. Während das internationale Privatrecht immer für die Beurteilung eines Sachverhalts (aus inländischer Sicht) jeweils nur eine maßgebliche Rechtsordnung festlegt, erachtet das internationale Verfahrensrecht für die Entscheidung in der Sache meist mehrere Staaten als international zuständig. Bejaht man jedoch konkurrierende internationale Zuständigkeiten, so wäre es inkonsequent, die Anerkennung der in den maßgeblichen Foren erlassenen Urteile mit der Begründung zu verweigern, sie entsprächen nicht den Vorstellungen der lex causae.96 48 Das prozessuale Anerkennungsrecht sagt jedoch nichts über die materiell-rechtlichen Wirkungen eines ausländischen Urteils. Die Beurteilung der sog. Tatbestandswirkungen ist eine Domäne des Internationalen Privatrechts.97 Durch die (bloße) Existenz des Urteils ausgelöste Rechtsfolgen der materiellen Rechtsnorm nennt man Tatbestandswirkung. Diese wird ebenso wie die Gestaltungswirkung vom materiellen Recht hervorgerufen. Der Unterschied zur Gestaltungswirkung besteht jedoch darin, dass das Urteil nicht auf die Tatbestandswirkung abzielt. Sie wird daher auch nicht vom Gericht im Tenor des Urteils ausgesprochen. Z.B. verlängert sich nach § 197 I Nr. 3 BGB durch die rechtskräftige Feststellung des materiell-rechtlichen Anspruchs die Verjährungsfrist um dreißig Jahre. Einer Entscheidung hierüber im Tenor oder in Gründen des Urteils bedarf es nicht. Sie wird vielmehr automatisch vom materiellen Recht ausgelöst. Welche materiell-rechtlichen Folgen (Tatbestandswirkungen) ein (ausländisches) Urteil hat, entscheidet die vom internationalen Privatrecht bestimmte Rechtsordnung (lex causae, Rz. 2826).
XI. Reichweite der Verweisung der IPR-Kollisionsnorm 1. Keine Verweisung auf das Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht der lex causae 49 Die IPR-Norm legt nur das in der Sache anwendbare (materielle) Recht fest. Die Verweisung der IPR-Norm umfasst nicht das Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht (Rz. 319). 50 Beispiel: Die Parteien haben für ihren Kaufvertrag das Recht von New York vereinbart. Dies bedeutet nicht, dass eine Jury gebildet wird (Rz. 79, 322) oder dass das Verfahren nach New Yorker Recht abgewickelt werden müsste.
95 Ausnahme: § 98 I Nr. 4 FamFG (s. Rz. 78, 987, 1067, 1954). Diese Sondervorschrift ist jedoch nicht verallgemeinerungsfähig. 96 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1401. Zustimmend z.B. Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 546. 97 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 42. S. auch z.B. Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 378.
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Verhältnis des IZPR zum IPR
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Dem stimmt Kegel98 zu: „Das internationale Prozessrecht beruht auf dem Gedan- 50a ken, dass der ausländische Prozess dem inländischen gleichwertig ist. D.h. aber auch, dass der inländische Prozess dem ausländischen gleichwertig ist. Soweit ein ausländisches Recht Scheidung durch Gestaltungsurteil verlangt, ist daher, selbst wenn internationalprivatrechtlich sein Scheidungsrecht anzuwenden ist, der ausländische Prozess durch den inländischen ersetzbar, und, ob er zu ersetzen ist, bestimmt das internationale Prozessrecht, nicht mehr das internationale Privatrecht.“ Kegel meint weiter: „Die Bindung der internationalen inländischen Zuständigkeit an die Anerkennung des Urteils durch den Staat, dessen Recht anwendbar ist, engt das internationale Prozessrecht über die gewöhnliche Grenzlinie hinaus zugunsten des internationalen Privatrechts ein“. Dagegen hat Neuhaus99 eingewandt, die sog. Eigenständigkeit des internationalen Privatverfahrensrechts höhle angestammte Bereiche des internationalen Privatrechts aus. Schröder100 spricht zutreffend von einem logischen Patt, das nur teleologisch einer Lösung zugeführt werden könnte. 2. Keine Verweisung auf das Kompetenzrecht der lex causae Die Verweisung des Internationalen Privatrechts erfasst auch nicht das Kom- 51 petenzrecht der lex causae. Aus dem Umstand, dass im vorigen Beispiel New Yorker Recht (in der Sache) zur Anwendung kommt, folgt nicht (Rz. 1041 ff.), – dass aus deutscher Sicht New York international zuständig ist, – dass die Kompetenzfrage nach New Yorker Kompetenzrecht zu entscheiden ist, wenn ein deutsches Gericht angerufen wird. 3. Eigenständiges Verfahrenskollisionsrecht? Aus dem Umstand, dass die IPR-Norm nicht das Gerichtsverfassungs- und Ver- 52 fahrensrecht (mit-)umfasst, folgt nicht zwingend das lex fori-Prinzip. Denkbar wäre ein eigenes Verfahrenskollisionsrecht, das auf andere Anknüpfungspunkte abstellt als das internationale Privatrecht. Beispiel: Das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung wird nach dem Prorogationsstatut beurteilt, das (möglicherweise) divergiert vom Schuldstatut des Hauptvertrages (Rz. 1677).
4. Grenze zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht Die Trennung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht ist von eminenter 53 kollisionsrechtlicher Bedeutung. Sachrechtliche Fragen fallen in die „Zuständigkeit“ des internationalen Privatrechts, dagegen gilt für das Verfahren nach h.M. das lex fori-Prinzip (forum regit processum), nach einer im Vordringen befindlichen Meinung ein eigenes Verfahrenskollisionsrecht (Rz. 331). Die Diskussion 98 Kegel, Reform des deutschen internationalen Ehescheidungsrechts, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 1962, 131. 99 Neuhaus, JZ 1962, 417. 100 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 546.
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Grundlegung
kreist um die Frage, wo die Trennung zwischen Sach- und Verfahrensrecht verläuft. Wenn diese Trennlinie erkannt ist, werden nach h.M. alle verfahrensrechtlich eingeordneten Punkte ohne weiteres dem Recht des Gerichtsortes unterworfen.101 54 Die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht ist fließend geworden.102 Einig ist man sich, dass der Standort einer Vorschrift nicht entscheidend ist. So sind z.B. Schadensersatzregelungen in der ZPO materiellrechtlich zu qualifizieren.103 55 In der deutschen Diskussion104 betont man vor allem, dass die mit dem materiellen Recht in enger Beziehung stehenden Regelungen des Verfahrensrechts dem anwendbaren ausländischen Recht (lex causae) entnommen und vom deutschen Richter beachtet werden sollen. Dies diene der internationalen Entscheidungsharmonie und fördere die Anerkennung inländischer Urteile im Ausland. Zusammengehöriges soll nicht auseinandergerissen werden. Deshalb erscheint es sinnvoll, die materiell-rechtliche Verflochtenheit verfahrensrechtlicher Regelungen zu beachten. 56 Hinzu kommt noch ein ganz wesentlicher Punkt: nämlich die grundsätzliche (rechtstechnische) Austauschbarkeit von materiellem Recht und Verfahrensrecht. Der (nationale) Gesetzgeber kann seine rechtspolitischen Ziele in verschiedener Weise verwirklichen. Er ist nicht darauf beschränkt, die Rechtsbeziehungen der Parteien nur im rein materiell-rechtlichen Bereich zu normieren; er kann das gleiche Ergebnis auch durch verfahrensrechtliche Vorschriften erreichen (Rz. 77, 315, 355, 2293). 57 Wenn der Gesetzgeber den Nachweis einzelner Tatsachen erschwert, verbietet, erleichtert oder überflüssig macht, kann er damit Einfluss nehmen auf die Gestaltung der (materiell-rechtlichen) Rechtsbeziehungen der Parteien.105 Idem est non esse aut non probari. Dies bedeutet, dass dann, wenn das internationale Privatrecht die Maßgeblichkeit einer bestimmten ausländischen Rechtsordnung zur Regelung bestimmter Rechtsbeziehungen anordnet, alle zur Sachmaterie gehörenden Normen angewendet werden müssen, auch wenn sie systematisch dem Verfahrensrecht zuzurechnen sind.106 Damit wird aber auch und vor allem die kollisionsrechtliche Bedeutung der Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht erheblich relativiert. Denn es muss die funktionale Einheit
101 Nachw. bei Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 12; s. z.B. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., Rz. 31 ff. vor §§ 335 ff. 102 Z.B. Grunsky, ZZP 89 (1976), 246; Dölle, RabelsZ 27 (1962/63), 228; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, 304; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 54. 103 S. auch Tkatchenko, Anerkennung der Restschuldbefreiung nach der EuInsVO unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Reform der Restschuldbefreiung, 2009, 32. 104 Rechtsvergleichend Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 85. 105 Dies hat vor allem Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 132, 170 (für das internationale Beweisrecht) dargelegt. 106 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 20.
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einer rechtlichen Institution gesehen werden, ganz gleich, ob diese (positivrechtlich) mehr materiell-rechtlich oder verfahrensrechtlich ausgestaltet ist. Anpassungsfragen ergeben sich auch bei der Sachverhaltsaufklärung. Das 57a (bisherige) deutsche Recht107 favorisiert materiell-rechtliche Auskunftsansprüche.108 Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine Abkehr vom Grundsatz nemo contra se edere tenetur
107 S. aber § 142 ZPO und § 258 HGB. Hierzu z.B. Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 39. Materiell-rechtliche Auskunfts- und Vorlageansprüche haben strukturell die Besonderheit, dass ihrer Durchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes das Verbot der Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegensteht, McGuire, GRUR Int 2005, 15, 16. Art. 6 der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, ABl. EU Nr. L 195 v. 2.6.2004, S. 16 ff. (hierzu McGuire, GRUR Int 2005, 15) zur Umsetzung von Art. 43 TRIPS-Übereinkommens verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Verletzungsverfahren Vorlagepflichten für den Prozessgegner hinsichtlich von Beweismitteln einzuführen. Hierbei handelt es sich um prozessuale Vorlagepflichten, ohne Rücksicht auf das Bestehen materiellrechtlicher Vorlage- und Auskunftsansprüche. Einen solchen Auskunftsanspruch hat der Schutzrechtsinhaber gegen den Verletzer und gegen Dritte, welche die rechtsverletzende Ware in ihrem Besitz hatten oder die entsprechende Dienstleistung in Anspruch genommen haben, Art. 8 RL, Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen2, Rz. 91 ff.; Heß in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten, 2005, 121, 160. Zur weiten Auslegung des § 809 BGB durch den BGH im Lichte des Art. 43 TRIPS-Übereinkommen BGH v. 2.5.2002, GRUR Int 2002, 1046. Hierzu Ibbeken, Das TRIPS-Übereinkommen und die vorgerichtliche Beweishilfe im gewerblichen Rechtsschutz, 2004, 15 ff. Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei vom Gericht von Amts wegen zur Herausgabe von Urkunden etc. verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, BGHReport 2007, 982 (Laumen) = MDR 2007, 1333. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Durch dieses Erfordernis soll der Beibringungsgrundsatz gewahrt und eine Ausforschung von Amts wegen ohne entsprechenden Tatsachenvortrag einer Partei vermieden werden. Im Falle der Weigerung der Partei sieht § 142 I ZPO keine Beugemittel vor; vielmehr ist das Verhalten der sich weigernden Partei nach § 286 I ZPO frei zu würdigen. Weigert sich die beweisbelastete Partei, bleibt sie i.d.R. beweisfällig. Weigert sich dagegen die nicht beweisbelastete Partei, so können wegen Beweisvereitelung die gegnerischen Behauptungen zum Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden, Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3130); Laumen, BGHReport 2007, 984; Zöller/ Geimer, ZPO30, vor § 415 Rz. 15. S. auch Krapfel/Mann, Die Grenzen der Urkundenvorlage durch eine Partei – Eine Bestandsaufnahme zu § 142 ZPO, in FS Schütze 80, 2014, 431. 108 Nachw. z.B. bei Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 2007; Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 10 ff.; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 35; Schlosser, JZ 1991, 599; Isaak Meier in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 72 ff.; ähnlich das österreichische Recht, hierzu Bienert-Nießl, Materiellrechtliche Auskunftspflichten im Zivilprozess: Zugleich eine Untersuchung der prozessualen Mitwirkungspflichten der Parteien, 2003. S. auch Osterloh-Konrad, Der allgemeine vorbereitende Informationsanspruch, 2006; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der Zivilprozessordnung, 2008.
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lehnt die h.M. ab;109 dies sei eine Frage des materiellen Rechts.110 Dagegen postuliert das US-Zivilprozessrecht vorwiegend prozessuale Aufklärungs- und Informationsrechte bzw. (Mitwirkungs-)Pflichten.111 Auch kann der materiellrechtliche Auskunftsanspruch im ausländischen Zivilprozess der Amtsermittlungsmethode entsprechen.112 57b Da das common law „Auskunftsansprüche“ prozessual qualifiziert113, ist zu fragen, wie der Normenmangel zu beheben ist. Anders als bei der Verjährung, die vom common law (bisher) ebenfalls als Institut des Prozessrechts (Rz. 351) gesehen wird, lässt sich – aus Gründen der praktischen Ineffizienz – die Qualifikationsentscheidung der deutschen lex fori nicht durchhalten. Danach müsste man das ausländische materielle Recht und das Verfahrensrecht als Einheit sehen und den vom deutschen internationalen Privatrecht „angesprochenen“ Teil der Regelung des ausländischen Rechts „herauspicken“, mithin „den gedachten materiell-rechtlichen Kern der prozessualen Auskunftspflicht der lex causae anwenden“. Voraussetzungen, Umfang und Sanktionen prozessualer Aufklärungspflichten, vor allem nach FRCP 26–37, werfen aber so viele komplizierte Angleichungsprobleme auf, dass der inländische Richter bei einer solchen Methode „hoffnungslos überfordert wäre“, worauf Schack114 treffend hinweist: „In solchen Fällen wählt man besser den einfacheren Weg, der über die geänderte Wei-
109 Umfangreiche Nachw. z.B. bei Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 6; Prütting in FS Németh, 2003, 701, 704 ff. 110 Es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, einen solchen Anspruch praeter legem zu schaffen; denn keine Partei sei verpflichtet, ihrem Gegner erst die Mittel zum Prozesssieg zu verschaffen, BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, MDR 1991, 226 = NJW 1990, 3151; BGH v. 7.12.1999 – XI ZR 67/99, MDR 2000, 341 = NJW 2000, 1108, 1109. Zurückhaltender aber im Ergebnis BGH v. 17.2.2004 – VI ZR 429/02, BGHR 2004, 786 = MDR 2004, 898 = NJW-RR 2004, 989. Dagegen fordern eine generelle Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts immer mehr Stimmen in der Literatur im Anschluss an Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozess, 1976, 92 ff.; Nachw. bei Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 49, 106; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459 (468). Nach diesem Ansatz wäre auch die nicht risikobelastete Partei – ohne Rücksicht auf das Bestehen eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs – zur Urkundenvorlage verpflichtet. Allerdings kann die Vorlage auch nach dieser Meinung nicht unmittelbar erzwungen werden, sondern nur mittelbar dadurch, dass der unsubstantiierte Tatsachenvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei widerlegbar als wahr fingiert wird. 111 Zur funktionalen Vergleichbarkeit von pretrial discovery (FRCP 26) mit dem materiellen Auskunftsanspruch Schack, IPRax 1991, 350 Fn. 41; speziell für den deutschen Unterhaltsprozess Morweiser, IPRax 1992, 65. Vgl. auch Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public 2000, 185 ff.; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, Rz. 109 ff. 112 Basedow bei Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 152; OLG Frankfurt v. 2.10.1990 – 4 UF 4/90, IPRax 1992, 49. 113 Hierzu Nachw. z.B. bei Bareiß, Pflichtenkollisionen im transnationalem Beweisverkehr, 2013. 114 Schack, IPRax 1991, 350.
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chenstellung bei der Qualifikationsrückverweisung in die vertraute lex fori führt“. Man postuliert also „eine (hypothetische und versteckte) Qualifikationsrückverweisung der lex causae (= hier: common law) auf die lex fori und bricht diese im inländischen Recht ab“. So kommt man zu einem Auskunftsanspruch nach deutschem materiellen Recht auf einem dogmatisch anspruchsvollen Weg.115
XII. Priorität des internationalen Zivilverfahrensrechts? Müßig sind alle Versuche, eine Rangordnung zwischen internationalem Privat- 58 recht und internationalem Zivilverfahrensrecht aufzustellen. Gewiss hat das Verfahrensrecht – und damit auch das Verfahrenskollisionsrecht – eine „dienende“ Funktion, denn es ist (nur) Mittel zum Zweck einer möglichst vollständigen und exakten Anwendung und Durchsetzung der Normen des internationalen Privatrechts. Dies wird z.B. deutlich bei den Normen, die sich mit der Feststellung des Inhalts des (von der IPR-Norm berufenen) ausländischen Rechts befassen (vgl. § 293 ZPO). Andererseits tritt die Priorität, ja vielleicht sogar die Superiorität des internationalen Zivilverfahrensrechts klar zu Tage, wenn man erwägt, dass – das Kompetenzrecht (Eröffnung der internationalen Zuständigkeit) faktisch darüber entscheidet, welches internationale Privatrecht in concreto zum Zuge kommt (Rz. 94, 1924). Das internationale Kompetenzrecht ist also das Rechtsanwendungsrecht für das Internationale Privatrecht;116 – durch die Regeln über die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit der Zugang zu den inländischen Gerichten versperrt und damit die Anwendung des (inländischen) internationalen Privatrechts unmöglich gemacht wird (Rz. 1930); – schließlich durch das Anerkennungsrecht das (inländische) internationale Privatrecht überlagert wird (Rz. 43 ff.).117
115 Mit Recht stellt Schack, a.a.O., Fn. 44 die rhetorische Frage: „Kann es für einen Kollisionsrechtler etwas Schöneres geben als dieses kunstvoll konstruierte Gebilde (das im Ergebnis nichts anderes als die Geltung der lex fori bedeutet)?“. Ähnlich Morweiser, IPRax 1992, 66. Methodisch anders Eidenmüller, IPRax 1992, 356: Er wendet das materielle deutsche Auskunftsrecht an, weil es mit § 254 ZPO „verzahnt“ sei. S. auch Rz. 2524. 116 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 83; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, 188. 117 Zum „Eigenwert des Prozesses“ auch Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 139 und Schack, IZVR6, Rz. 23.
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3. Kapitel: Entscheidungsharmonie I. Kompetenzrecht 59 Die Bejahung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands ist nicht von der Billigung durch andere Staaten, die (auch) eine Beziehung zum Streitgegenstand haben, abhängig (Rz. 987). Ausnahme: § 98 I Nr. 4 FamFG (Rz. 78). 60 Das Gleiche gilt auch umgekehrt. Der ausländische Rechtsstandpunkt wird auch dann nicht beachtet, wenn es um die Verneinung der internationalen Zuständigkeit geht. Ist ein Kompetenzanknüpfungspunkt nach inländischem Recht nicht gegeben, so ist es ohne Bedeutung, dass nach Auffassung anderer Staaten Deutschland international zuständig wäre. Eine Zuständigkeitsverweisung wird nicht angenommen (Rz. 1018). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Deutschland eine Notzuständigkeit eröffnet, wenn Rechtsschutz im Ausland nicht zu erlangen ist (hierzu Rz. 1030).
II. Anerkennungsrecht 61 Den äußeren Entscheidungseinklang könnte man am effektivsten durch möglichst vorbehaltlose Anerkennung ausländischer Urteile erreichen. Die Versagung der Anerkennung ausländischer Urteile führt zur Gefahr widersprechender Entscheidungen.118 62 Dies gilt besonders für Gestaltungsurteile. Wird einem ausländischen Gestaltungsurteil die Anerkennung verweigert, so ist ein hinkendes Rechtsverhältnis unvermeidlich; während bei Leistungs- bzw. Feststellungsurteilen noch die Möglichkeit besteht, das durch die Nichtanerkennung entstandene Vakuum durch ein gleichlautendes inländisches Urteil auszufüllen, könnte ein neues Gestaltungsurteil nur dann den Entscheidungsmissklang vermeiden, wenn eine Gestaltung mit rückwirkender Kraft ab dem Zeitpunkt des ersten (nicht anerkannten ausländischen) Urteils möglich ist. Eine solche Rückwirkung ist jedoch de lege lata nicht vorgesehen. 63 In den vorgenannten Fällen wurde vorausgesetzt, dass die inländischen Richter genauso entscheiden wie die ausländischen. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht so. Divergenzen ergeben sich insbes. durch Unterschiede des internationalen Beweisrechts und des Internationalen Privatrechts. Dies führt in nicht wenigen Fällen dazu, dass das inländische Gericht anders judiziert als das ausländische (Rz. 94, 1925).
118 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 2.
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Entscheidungsharmonie
Erster Teil
III. Beachtung ausländischer Rechtsvorstellungen im inländischen Verfahren Wenn auch die inländischen Gerichte grundsätzlich ihr eigenes inländisches 64 Verfahrensrecht anwenden (lex fori-Prinzip),119 so wird doch üblicherweise das inländische Verfahren so gestaltet, dass die Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsfähigkeit der inländischen Entscheidung im Ausland möglichst gesichert ist. Es handelt sich dabei um echte Kollisionsregeln, die auf ausländisches Recht 65 verweisen,120 oder (häufiger) um inländische Sachnormen für Verfahren mit Auslandsbezug.121 Hierzu gehören z.B. §§ 274 III 2, 276 I 3, 339 II, 700 I ZPO: individuelle Fristbestimmung durch den 66 Richter für Einlassungs- bzw. Einspruchsfrist, wenn der Zustellungsadressat sich im Ausland aufhält; hierzu § 52 I ZRHO. Vgl. auch Art. 12 des schweizerischen IPR-Gesetzes: Fristen sollen so angesetzt werden, dass die im Ausland wohnhaften Personen ihre Rechte auch wahrnehmen können. Die deutsche Rechtsprechung ist aber nicht besonders „internationalistisch“ eingestellt: Sie plädiert für Nichtanwendung des § 339 II ZPO, wenn Zustellung nach § 184 ZPO erfolgt ist (Rz. 2116).122 Ein weiteres Beispiel für eine Sachnorm, die einen Sachverhalt mit Auslands- 67 berührung regelt, ist § 185 GVG, der die Zuziehung eines Dolmetschers vorschreibt, wenn eine Person die Amtssprache nicht beherrscht (Rz. 2652). Hierher gehört auch § 183 ZPO: Zustellung an Adressaten im Ausland (Rz. 2132). 68 Die siegreiche Partei kann trotz § 184 ZPO Zustellung des deutschen Urteils unter Einschaltung ausländischer Rechtshilfe verlangen, um die Anerkennungschancen im Ausland zu steigern.123 Das Gericht muss aber im Interesse der Verfahrensbeschleunigung daneben auch nach § 184 ZPO verfahren, wenn eine Partei dies beantragt (Rz. 1929, 1937, 2122). Einstweilen frei 69–73 Der deutsche Richter kann die Chancen für die Anerkennungsfähigkeit seiner 74 Entscheidung im Ausland dadurch steigern, dass er besonders sorgfältig Einzelheiten des durchgeführten Verfahrens im Tatbestand festhält, insbes. bezüglich der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Beklagten.124 Durch möglichst klare 119 Hierzu unten Zweiter Teil, Rz. 319 ff. 120 Hierzu Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 70. 121 Diese Alternative ist die häufigere, Rz. 18. Parallele im IPR: Sachrecht für int. Sachverhalte, Nachw. bei Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 93. S. auch Hess, EuZPR, 2010, § 1 Rz. 11 (S. 9). 122 Einlassungsfristen sind auch in den Fällen der §§ 521 II, 523 II, 553 II ZPO zu bestimmen. In diesen Prozessstadien ist allerdings eine Zustellung im Ausland im Hinblick auf § 184 ZPO i.d.R. nicht (mehr) erforderlich. 123 A.A. OLG München v. 30.12.1986 – 7 W 3138/86, RIW 1987, 153 = NJW 1987, 3086 = IPRax 1988, 163 (Hausmann 140) = IPRspr. 1986 Nr. 165; hierzu kritisch Schlosser in FS Stiefel, 1987, 692: „bedauerliche Enge“. 124 Vgl. auch §§ 30, 31 AVAG: Vervollständigung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe eines nach § 313a, b ZPO in verkürzter Form abgefassten Versäumnis- oder
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Erster Teil
Grundlegung
Schilderung der Prozessgeschichte wird dem böswilligen Beklagten die Möglichkeit genommen, die Anerkennung im Ausland zu verschleppen bzw. zu verhindern.125 75 Zur zweiten Kategorie (Sachnormen für Auslandsfälle) zählen auch Vorschriften, welche dem im Ausland domizilierten Beklagten einen prozessualen Mindeststandard sichern, so Art. 15 I, 16 Haager Zustellungsübereinkommen (Rz. 229), Art. 19 EuZustVO, Art. 28 II EuGVVO n.F., Art. 26 II LugÜ 2007, Art. 18 EuEheVO, Art. 11 EuUnterhVO, Art. 16 EuErbVO. 76 Besondere Probleme ergeben sich im Beweisrecht. Verbietet das ausländische Recht in Ehesachen eine Zeugenaussage unter Verwandten, so ist zur Vermeidung der Nichtanerkennung eine Rücksichtnahme darauf angebracht.126 Auch ist mit der Nichtanerkennung deutscher Vaterschaftsfeststellungen in Frankreich zu rechnen, wenn sie sich allein auf die Zeugenaussage der (nichtehelichen) Mutter stützen.127 77 Die Bereitschaft deutscher Gerichte, ausländisches Verfahrensrecht anzuwenden, ist vor allem durch die steigende Zahl der vor deutschen Gerichten anhängigen familien- und erbrechtlichen Streitigkeiten gewachsen, verursacht durch den wachsenden Ausländeranteil der Bevölkerung in Deutschland. Insbesondere bei der Ehescheidung und in erbrechtlichen Verfahren (die allerdings vorwiegend zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehören) ist die Verflechtung von materiellem Recht und Verfahrensrecht und die Austauschbarkeit der beiden Materien besonders deutlich. So kann z.B. der Gesetzgeber eheerhaltende Maßnahmen entweder durch materiell-rechtliche Vorschriften oder verfahrensrechtliche Sicherungen treffen.128 78 Die Notwendigkeit zur Beachtung verfahrensrechtlicher Regelungen des Auslandes ergibt sich positivrechtlich aus § 98 I Nr. 4 FamFG (früher § 606a I 1 Nr. 4 ZPO).129 Diese Vorschrift (Rz. 1067, 1954)130 fördert (mittelbar) die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts: Wenn nämlich ein deutsches Gericht nicht bereit ist, auch die materiell-rechtlich verflochtenen Verfahrensregeln des ausländischen Rechts mit anzuwenden, ist u.U. mit der Nichtanerkennung des deutschen Urteils im Heimatstaat zu rechnen. Dann entfällt aber auch die deutsche internationale Entscheidungszuständigkeit. Im Ergebnis würde dann vielen
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Anerkenntnisurteils bzw. eines Vollstreckungsbescheids, eines Arrestbefehls oder einer einstweiligen Verfügung. Hierzu OLG Frankfurt v. 27.4.2000 – 13 W 21/00, IPRax 2002, 35 (Rinne/Sejas). Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 143. Grasmann, ZZP 83 (1970), 217. – Allerdings setzt das Abweichen von der deutschen lex fori den Verzicht der beweisbelasteten Partei auf das Beweismittel voraus, wenn das Urteil im Instanzenzug Bestand haben soll. Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 145, II Rz. 304. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 151; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 93 ff. (Veröff. des Ludwig Boltzmann-Institutes, Bd. XI). Noch früher § 606b Nr. 1 a.F.; Vorläufer: § 606 IV = § 568 IV CPO; hierzu Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 190 Fn. 54. Der Anwendungsbereich des § 98 FamFG ist durch das Zuständigkeitsregime der EuEheVO stark eingeschränkt, Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 2.
Entscheidungsharmonie
Erster Teil
Ausländern der Zugang zu den deutschen Gerichten versperrt. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, befürwortet man die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts.131
IV. Bedeutung des Forums für den Ausgang des Prozesses Die Wahl des Forums entscheidet – angesichts der unterschiedlichen Gerichts- 78a und Verfahrensarchitekturen132 – in mehrfacher Weise über den Ausgang des Prozesses.133 1. Gerichtsverfassung So wird z.B. der anglo-amerikanische Prozess geprägt durch die Institution der 79 Jury (Rz. 37, 50): Den Laienrichtern ist die Feststellung des Sachverhalts und die Rechtsanwendung134 übertragen. In England ist seit 1933 die Jury im Zivilprozess nur noch selten tätig,135 und auch in den USA setzt die Beiziehung von Laienrichtern i.d.R. einen entsprechenden Parteiantrag voraus, FRCP 38 (b). Gleichwohl ist diese Einrichtung prägend für die Konzeption des US-Zivilprozesses.136 Aus der Bipolarität des Gerichts im common law-Bereich erklären sich viele 80 Abweichungen, insbes. im Beweisrecht. So gilt zwar auch dort der Grundsatz
131 BGH v. 6.10.2004 – XII ZR 225/01, BGHZ 160, 322 = MDR 2005, 149 = FamRZ 2004, 1952 (Henrich) = IPRax 2005, 346 (Rauscher 313) = NJW-RR 2005, 81 = LMK 2005, 8 (Finger) = IPRspr. 2004 Nr. 135. S. auch IPG 2000/2001 Nr. 26 Rz. 30 (Köln): Durchführung eines Sühneversuchs nach den Vorstellungen des tunesischen Rechts (Art. 32 II CSP). 132 Hierzu ausführlich Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 180 ff. S. auch Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familienund Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010) II 1 B Rz. 150. 133 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 488. 134 Dies gilt auch für die Anwendung ausländischen Rechts. Zu den daraus resultierenden Absurditäten in der praktischen Handhabung Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540 (1541). 135 Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen. Automobilindustrie, 1997, 113; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanische Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 202 ff. Ebenso in Kanada, Wittuhn, RIW 1989, 427 Fn. 61. 136 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 74, 94; Fleming, The American Tort Process, 1988, 101 ff.; Ebbing, RIW 1996, 993 (997); Rosengarten, Punitive damages und ihre Anerkennung und Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, 55 ff.; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 7 ff.; Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, 1999, 116 ff., 234; Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540. S. dagegen die vergleichenden Bemerkungen zur Rechtsstellung des Richters in Europa von Heß in Oberhammer (ed.), Richterbild und Rechtsreform in Mitteleuropa, 2001, 1; w.N. auch bei Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 136 ff.
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Erster Teil
Grundlegung
der freien Beweiswürdigung, andererseits wird die Beweiserhebung und die Zulässigkeit von Beweisen restriktiv gehandhabt, wegen der Befürchtung, die Laienrichter wären zur richtigen Würdigung nicht in der Lage.137 81 Große praktische Bedeutung für den Ausgang des Prozesses hat die Einschaltung der Jury auch für die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes.138 2. Verfahrensablauf 82 Die Verfahren in verschiedenen Staaten unterscheiden sich erheblich vor allem im Hinblick auf Schnelligkeit, Kosten,139 Kostenerstattungspflicht und Qualifikation der Richter. Ganz entscheidend für den Ausgang des Prozesses ist das Beweisverfahrensrecht, z.B. die Frage, inwieweit die Parteieinvernahme zulässig ist.140 Auch kann es für einen Kläger von großer Bedeutung sein, durch pre-trial discovery141 einen Ausforschungsbeweis zu führen, der im deutschen Prozess trotz § 142 ZPO n.F. nicht zulässig ist.142 Auf der anderen Seite kann er bei Wahl des US-amerikanischen Gerichts – anders als nach §§ 91 ff. ZPO (Rz. 2664)143 –
137 Beispiele bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 23 Fn. 64. 138 Hoechst, Die US-amerikanische Produzentenhaftung, 1986; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 75, 96; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 834. 139 Z.B. zur „gratuité“ (Kostenfreiheit) des französischen Zivilprozesses Fischer, Die Beschleunigungsmechanismen des französischen Zivilprozesses, 1990, 21. Allgemein Adelmann-Péntek, Das Prozesskostenrecht der ZPO im Vergleich mit den entsprechenden Regelungen in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, Spanien, England, Schweden und in der ehemaligen DDR, 2001. S. auch Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 73 ff. 140 S. auch Maesch, Vitamine für Kartellopfer – Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2006, 509 (510). 141 Es handelt sich um ein Beweisermittlungs- und Beweiserhebungsverfahren zwischen Klageerhebung und Hauptverhandlung: Der Prozessgegner und Dritte können zur Vorlegung von Urkunden und sonstigen Beweismitteln gezwungen werden. Hierzu z.B. Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 185 ff., 198; Trittmann/Leitzen, IPRax 2003, 7; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 92; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (805); Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 95 ff. 142 Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 24 ff. Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei v. Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, s. BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Weitere Nachw. z.B. bei Drenckhan, Urkundsvorlagepflichten im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach der ZPO-Reform unter besonderer Berücksichtigung der Neufassung des § 142 ZPO, 2007; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 10 ff. vor § 284. 143 Hierzu z.B. Mankowski, NJW 2005, 2346.
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Entscheidungsharmonie
Erster Teil
keine Erstattung der von ihm aufgewandten Anwaltskosten verlangen, auch wenn er voll obsiegt.144 Wichtig für den Prozessausgang ist auch die Handhabung der Dispositions- und 83 Verhandlungsmaxime (party presentation, autonomy, party prosecution).145 Dass die Parteien über den Streitgegenstand verfügen können, ist im Grundsatz in den meisten Prozessordnungen gleichermaßen anerkannt. Unterschiede ergeben sich aber vor allem im Ehe- und Kindschaftsrecht. Am stärksten können die Parteien im US-amerikanischen Recht Einfluss auf die 84 Sachverhaltsfeststellung und den Gang des Verfahrens nehmen. Wegen der strikt kontradiktorischen Gestaltung des Zivilprozesses (adversary-system)146 bestimmen die Parteien, was Verhandlungsgegenstand ist, welche Beweismittel benutzt werden und wie der Gang des Verfahrens sich entwickelt. Die Parteien haben auch die Beweismittel beizubringen und für die Anwesenheit der Zeugen und Sachverständigen (und deren Bezahlung)147 zu sorgen. Oft führen sie die Vernehmung selbst durch (Rz. 88). Die Rolle des Richters ist weitgehend passiv.148 (Vgl. auch Rz. 2266). Demgegenüber ist im deutschen und französischen Prozessrecht die Rolle des 85 Richters erheblich gestärkt worden.149 Vorstellungen, dass das Verfahren ein Duell der Parteien darstelle, in dem der Richter nur eine Schiedsrichterrolle habe oder in dem die Parteien die eigentlichen „maîtresses du procès“ seien, sind in den Hintergrund getreten. Die Befugnisse des Richters, von Amts wegen das Verfahren zu gestalten und auch von Amts wegen Beweise zu erheben, sind gewachsen.150 In England versucht man seit den Civil Procedure Rules 1999 eine
144 Zur „American rule of costs“ s. unten Rz. 2954; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 21; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 85 ff. Allerdings wird die fehlende Kostenerstattung für den Kläger durch die großzügigen pauschalierten Schadensersatzsummen kompensiert, welche die US-Gerichte zuzusprechen pflegen; diese übersteigen die realen Schadenshöhen um ein Mehrfaches. Evidente Nachteile bringt die American rule of costs dem siegreichen Beklagten. 145 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 79; Hartwieg, JZ 1997, 381 (389). 146 Junker, a.a.O., 75, 79, 86 – sporting theory of justice; Braun, Die Rolle des Federal District Court Judge im Verhältnis zu den Parteien, 1986, 25; hierzu Schack, ZZP 100 (1987), 347; Sobich, JZ 1999, 775 (776); Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 82 ff. 147 Junker, a.a.O., 134. 148 Nachw. bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 31; Junker, a.a.O., 67, 78; Stürner in FS Stiefel, 1987, 769. 149 Umfangreiche rechtsvergleichende Hinweise z.B. bei Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 182 ff. 150 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 32 Fn. 106, Junker, a.a.O., 83 Fn. 79; Schlosser, JZ 1991, 599. Umfangreiche Nachw. bei Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung, 1999, 99 ff. S. auch den rechtsvergleichenden Überblick von Rechberger in Gottwald (ed.), Aktuelle Entwicklungen des europäischen und internationalen Zivilverfahrensrechts, 2002, 1, 10.
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Erster Teil
Grundlegung
Abschwächung des traditionellen adversary procedure hin zum case management.151 86 Eine Schranke besteht im deutschen Zivilprozess nur für den Zeugenbeweis.152 Ansonsten hat der Richter darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich über alle erheblichen materiellen und prozessualen Tatsachen vollständig erklären. Im französischen Recht darf er sein Urteil sogar auf Tatsachen stützen, die nicht von den Parteien vorgetragen wurden, aber sich parmi les éléments des débats ergeben, Art. 7 II Nouveau Code de procédure civile.153 87 Besonders deutlich werden die Auswirkungen des Verfahrensablaufs auf den Ausgang des Prozesses, wenn man sich die Unterschiede zwischen kontinentaleuropäischem und US-amerikanischem Zivilprozessverständnis154 vor Augen hält: 88 Bis zum trial vor dem Richter ist die Sachverhaltsaufklärung (pre-trial discovery) allein Sache der Parteien, FRCP 26 ff.:155 Discovery does not need judicial attention. Ausnahme: FRCP 16; F.R.Ev. 614. Ein substantiierter und schlüssiger Sachverhaltsvortrag des Klägers ist nicht erforderlich, vielmehr können der klagebegründende Sachverhalt ebenso wie zur Verteidigung geeignete Tatsachen im pretrial erst erforscht werden (Rz. 1994).156 Anders die kontinentaleuropäische Konzeption vom Zivilprozess, die einen konkreten Sachvortrag und einen möglichst bestimmten Beweisantritt verlangt, bevor man mit der Wahrheitsermittlung beginnt; auch im englischen Prozess setzt pre-trial discovery regelmäßig „particulars“ der betreibenden Partei voraus: „fishing expeditions“ sind
151 Hierzu Andrews, ZZPInt 4 (1999), 3; Sobich, JZ 1999, 775 (776). Allgemein zur Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien in den verschiedenen Rechtssystemen innerhalb der Europäischen Union Stürner in FS Walter Gerhardt, 2004, 967. 152 Rückschluss aus §§ 144, 273 II Nr. 4, 287, 448 ZPO, § 128 I 3 FamFG. 153 Gleichwohl wird sowohl im deutschen wie auch im französischen Recht im Grundsatz an der Verhandlungsmaxime als Ausgangspunkt festgehalten. S. auch allgemein Schilling, Die „principes directeurs“ des franz. Zivilprozesses, 2002, sowie Sarbach, Die richterliche Aufklärungs- und Fragepflicht im schweiz. Zivilprozessrecht, 2002. 154 Hierzu z.B. Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 75 ff.; Subrin/Woo, Litigation in America, 2006; Heß, AG, 2006, 809 (810); Stürner, JZ 2006, 60 (62). S. auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (805). 155 Der Text der FRCP 26 n.F. wurde übersetzt von Junker, ZZPInt 1 (1996), 235, 261. Zur US discovery z.B. Haydock/Herr/Stempel, Fundamentals of pre-trial discovery, 1985; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 159, 286; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 185 ff.; Reufels, RIW 1999, 667; Trittmann/Leitzen, IPRax 2003, 7; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 92; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (805); Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, Diss 2010, 95 ff.; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen 2013, 69 und 117. 156 Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 101, 119. Vgl. auch Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 185 ff.; Reinhard, Klageerhebung und Beklagtenschutz nach US-amerikanischem und deutschem Zivilprozessrecht, 2006.
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Entscheidungsharmonie
Erster Teil
grundsätzlich verboten.157 Nach kontinentalem Verständnis braucht eine Partei – unbeschadet der prozessualen Wahrheitspflicht – ihrem Gegner nicht das für dessen Prozesssieg relevante Material liefern, über welches dieser nicht schon verfügt. Anders die US-amerikanische Sicht der Dinge: Danach ist es Zweck der pre-trial discovery „to make a trial less a game of blind man’s buff and more a fair contest with the basic issues and facts disclosed to the fullest practical extent.“158 Im Rahmen des US-pre-trial muss die Gegenpartei nach FRCP 33, 34 Fragenkata- 89 loge beantworten („written interrogatories“, FRCP 33),159 Dokumente vorlegen („production of documents“, FRCP 34),160 Augenscheinsgegenstände besichtigen lassen und die Durchsuchung von Räumen und Gebäuden nach Beweismitteln dulden.161 (S. auch Rz. 2515). Bei der Vernehmung von Auskunftspersonen wird nicht – wie im deutschen 90 Zivilprozess – zwischen Partei und Dritten unterschieden. Parteien und Dritte können schriftlich oder mündlich (im Kreuzverhör)162 vernommen werden (depositions).163 Es gibt zwei Formen: mündliche Antworten auf mündliche Fragen (depositions upon oral examination, FRCP 30) und mündliche Antworten auf schriftliche, vom Protokollführer verlesene Fragen (depositions upon written questions, FRCP 31). Der Richter wirkt nicht mit. Die Parteien können über die Förmlichkeiten der Vernehmung Vereinbarungen (stipulations) treffen, FRCP 29.164 Auch Dritte können nicht nur zur mündlichen Aussage (depositions, FRCP 30, 91 31), sondern auch zur Urkundenvorlage veranlasst werden (production of documents, FRCP 34).165 Im Übrigen besteht die prozessuale Pflicht zur Urkunden157 Junker, a.a.O., 62, 298 Fn. 56; Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 12; Schaaf, Discovery und andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung im englischen pretrial-Verfahren im Vergleich zum deutschen Prozess, 1983, 51 f., 103 ff.; Weigand, RIW 1992, 362. 158 United States v. Procter&Gamble Co., 356 US 677, 682 (1958). Umfangreiche weitere Nachw. z.B. bei Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 75 ff. 159 Hierzu z.B. Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, Diss, 2010, 116 ff. 160 Hierzu z.B. Mormann, a.a.O., 119 ff. 161 Martens, RIW 1981, 725 (726); Reufels, RIW 1999, 667 (668); Stürner in Habscheid, a.a.O., 12; Junker, a.a.O., 145, 165, 175. Ausführlich Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess, 2000, 2002, 41 ff.; Eschenfelder, IPRax 2006, 89 (90 ff.); Eschenfelder, RIW 2006, 443; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 66 ff. Zur Reform von 1993 Junker, ZZPInt 1 (1996), 235 und Rempp/Lienemeyer, ZVglRWiss 1994, 383. S. auch Stefan Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren am Beispiel der Dokumentenvorlage, 2008, 97. 162 FRCP 28(a), 30(c). 163 Hierzu z.B. Mormann, a.a.O., 122 ff. 164 S. aber auch für den englischen Zivilprozess CPR 32. 165 Wesentlich moderater ist die deutsche Parallelnorm in § 142 II ZPO i.V.m. § 273 III ZPO. Allerdings kann nach §§ 142 II 2, 390 ZPO auch in Deutschland Zwang gegen Dritte angewandt werden, jedoch nicht gegen die betroffene Partei. Die Nichtbefol-
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Erster Teil
Grundlegung
vorlage bereits ab tatsächlicher Verfügungsgewalt (custody or control); Muttergesellschaften haben Urkunden ihrer Töchter vorzulegen und auch nicht selten – z.B. bei Verflechtung der Organe (interlocking structure) – die Tochter Urkunden der Mutter.166 Dagegen richten sich nur gegen die Parteien (nicht Dritte) – Ortsbesichtigung (entry upon land), FRCP 34, – Fragebögen (written interrogatories), FRCP 33, – medizinische Untersuchungen, FRCP 35, und – Aufforderung(en) zum Geständnis, FRCP 36.167 92 Das Geschäfts- und Bankgeheimnis der Parteien oder von Dritten wird gering geachtet.168 Im pre-trial sind zwar „protective orders“169 möglich, im trial werden aber die Schutzmaßnahmen noch zurückhaltender gehandhabt.170 Anders dagegen das deutsche Recht, welches das Geschäfts- und Bankgeheimnis Dritter schützt, §§ 383 Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO. Die beweisbelastete Partei muss aber auch im deutschen Zivilprozess – will sie obsiegen – das Geschäfts- und Bankgeheimnis lüften; die nicht beweisbelastete Partei schuldet häufig Entbindung von der Schweigepflicht, Mitteilung an neutralen Dritten etc.171
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gung durch die Partei ist nach § 286 ZPO frei zu würdigen. Im Zweifel geht die Beweiswürdigung gegen die betroffene Partei: Verweigert die beweisbelastete Partei die Vorlage, so ist sie beweisfällig. Richtet sich die Vorlageanordnung des Gerichts an die Gegenpartei (die nicht die Beweislast trägt), so wird in vielen Fällen das Gericht in entsprechender Anwendung von § 427 ZPO wegen Beweisvereitelung die Behauptung der beweisbelasteten Partei als bewiesen betrachten, Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 145; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3130); Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 346; Stadler in FS Beys, 2003, 1625, 1631; zum Vergleich mit dem US-amerikanischen discovery-Verfahren Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3133) sowie Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 106 ff., 113 ff. Weitere Nachw. zu den Vorlagepflichten der §§ 142 ff. ZPO nach der Reform 2002 bei Gruber/ Kießling, ZZP 116 (2003), 305; Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 9 ff.; Schlosser in FS Sonnenberger, 2004, 135; Becker, MDR 2008, 1329. S. auch Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 2007; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der Zivilprozessordnung, 2008; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 10 vor § 284. Junker, a.a.O., 170, 390. Junker, a.a.O., 146, 175, 183. Schlosser, ZZP 94 (1981), 401; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 203; Junker, a.a.O., 124, 129, 304. Z.B. Mitteilung nur an einen Gerichtsbeauftragten; versiegelte Umschläge, über deren Eröffnung das Gericht entscheidet; Befreiung von discovery. Nachw. z.B. bei Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 122. Nachw. bei Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 15; Junker, a.a.O., 126, 136. Ausführlich Stürner, a.a.O., 15; Stürmer, JZ 1985, 454; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 117. Nachw. auch bei Götz, Der Schutz von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen im Zivilverfahren, 2014.
Entscheidungsharmonie
Erster Teil
Verweigert die Partei oder der Dritte die Mitwirkung, so führt dies zu einer 93 Bestrafung wegen contempt of court, FRCP 37 (b) (1) (2) D.172 Darüber hinaus haben die Prozessparteien Prozessnachteile zu gewärtigen (Geständniswirkung, Präklusion, Klageabweisung, Versäumnisurteil).173 Die Prozesspartei „haftet“ für ihr Führungspersonal (officer, director, managing agent): Wenn es die Mitwirkung verweigert, treffen die Prozesspartei selbst die Sanktionen, FRCP 30 (b) (6).174 3. Anwendbares Recht Maßgebend ist das internationale Privatrecht des Gerichtsstaates. Die Wahl des 94 Forums entscheidet somit mittelbar über das in der Sache anwendbare Recht (Rz. 1924). Dies hat z.B. Bedeutung für die Höhe des Schadensersatzes. So sind die Schadensersatzsummen, die aus dem Gesichtspunkt der product liability von US-Gerichten zugesprochen werden, um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Aber auch im „täglichen Leben“ der Menschen ergeben sich von Gerichtsstaat zu Gerichtsstaat nicht unerhebliche Diskrepanzen, wie etwa beim Pflichtteilsbzw. Noterbrecht.175 4. Ermittlung ausländischen Rechts Für den Ausgang eines Prozesses ganz entscheidend kann auch sein, nach wel- 94a chen Methoden das angerufene Gericht nach seiner lex fori ausländisches Recht ermittelt, auf welches sein internationales Privatrecht verweist. Atavistisch ist es, ausländisches Recht als Tatsache zu betrachten176 und daher dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast für den Inhalt ausländischen Rechts aufzuerlegen; dieser ist – sofern er vom Gegner nicht zugestanden wird – im normalen Beweisverfahren zu ergründen. Dies ist aber oft mit unerschwinglichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden, so dass der Justizgewährungsanspruch des Klägers auf der Strecke bleibt.177 5. Durchsetzbarkeit Eine große Rolle spielt auch die Frage der Durchsetzbarkeit der zu erwartenden 95 Entscheidung. Was hilft es dem Kläger, wenn er einen Titel erhält, den er nicht im Wege der Zwangsvollstreckung realisieren kann?178 172 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 190; Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 119. 173 Junker, a.a.O., 127. 174 Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 13; Junker, a.a.O., 193, 390. Allgemein zu den aus kontinentaleuropäischer Sicht horrenden Sanktionen bei Nichtbefolgung von Auskunftsverlangen Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 149; Kindler, ZZP 105 (1992), 377. 175 Beispiel z.B. bei Siehr, IPR, 2001, 481. 176 Vgl. unten Rz. 2577. 177 Sehr deutlich Kessel, RIW 1996, 293 und Schütze, RIW 2007, 801 (806). 178 Schütze, WM 1983, 1978. S. auch Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 68.
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Erster Teil
Grundlegung
6. Rechtsklima 96 Unabhängig von allen Unterschieden in der (positivrechtlichen) Ausgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens ist für den Ausgang eines Prozesses ganz entscheidend das „Rechtsklima“ im Forumstaat (Rz. 1102, 1927).179 Dieses wird u.a. nachhaltig beeinflusst von der dort vorherrschenden Rechtskultur, den Denkmodellen der Juristen im Allgemeinen und der Richter und Anwälte im Besonderen.180 So sind z.B. in den common law-Ländern die Strukturen des Zivilprozesses – stärker als im kontinentalen Europa – geprägt durch jahrhundertealte Traditionen. Institutionen, die zwar positivrechtlich weitgehend (seit dem 19. Jahrhundert) abgeschafft sind, beeinflussen das Rechtsdenken bis auf den heutigen Tag nachhaltig: „The forms of action we have buried, but they still rule us from their graves.“181 7. Judizielles Gesamtsystem 97 Der Justizkonflikt zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa hat die Erkenntnis zu Tage gefördert, dass das Gesamtsystem des Justizapparates zu unterschiedlichen Ergebnissen sowohl bei der Verfahrensgestaltung als auch bei der Rechtsanwendung und -durchsetzung führt.182
179 Zustimmend z.B. Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010) II 1 A Rz. 21. 180 Zum „Auswärtsspiel“ in einer fremden Rechtskultur nunmehr von Bar/Mankowski, IPR I2, § 3 Rz. 65. S. auch Maesch, Vitamine für Kartellopfer – Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2006, 509 (510). 181 Maitland, The Forms of Action at Common Law, reprint 1936, 65. Zum aktionenrechtlichen Denken englischer Juristen Schnitzer, Vergleichende Rechtslehre, II2, 427; Schwarz-Liebermann von Wahlendorf, The Forms of action at international law, 1981; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 296. 182 Gegenüberstellung des US-Systems mit dem deutschen z.B. bei Stiefel/Petzinger, RIW 1983, 244. Prägnant formuliert Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 13: „Viele – wenn auch nicht alle – Aufklärungsmittel sind dem europäischen und kontinentalen Verfahren durchaus nicht unbekannt; so etwa umfassendere Vorlage- und Einsichtsrechte gegenüber Parteien und Dritten, die im deutschen Prozess ungleich enger als bei europäischen Nachbarn geregelt sind; ferner das Kreuzverhör, das sogar im deutschen Strafverfahren zwar kaum praktiziert, aber möglich ist; endlich die Sanktionierung, die z.B. in Frankreich neben Prozessnachteilen neuerdings auch die astreinte mitbeinhaltet. Selbst die prozessuale Haftung für Mitarbeiter ist – allerdings sehr eingeschränkt – als prozessuale Beweisvereitelung denkbar, wenn z.B. eine Partei ihren Einfluss gegen eine Mitwirkung geltend macht. Der Unterschied zu den USA liegt oft wiederum weniger im isolierten Einzelphänomen als in dem geballten Rigorismus, mit dem alle Erforschungsquellen ausgenützt werden ohne jede Mäßigung im Aufklärungsanlass und ohne Rücksicht auf verbleibende prozessfreie Sphären.“ S. auch Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments: Trans-Atlantic Lawmaking for Transnational Litigation, 2003, 81 ff., 95. Zu der „demokratischen Errungenschaft“ des jury trial Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540 (1541).
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Entscheidungsharmonie
Erster Teil
8. Prozessbeendigung ohne Sachurteil Ein handgreifliches Beispiel für die Auswirkungen des judiziellen Gesamtsys- 98 tems auf die Prozessbeendigung bietet das US-Recht: Das pre-trial discovery-Verfahren (Rz. 88) übt einen starken Druck auf die Parteien aus, sich zu einigen. Dies ist sogar ein Hauptziel der discovery. So enden in den Vereinigten Staaten von Amerika die meisten Zivilprozesse durch Vergleich.183
V. Einebnung der Unterschiede durch das Anerkennungsrecht All diese Unterschiede, die den Prozessausgang (faktisch) beeinflussen, werden 99 durch die Fiktion von der internationalen Fungibilität der Gerichtsverfahren (Rz. 37, 883) dialektisch übersprungen und praktisch amalgamisiert durch das Anerkennungsrecht. Der Umstand, dass der inländische Richter, der über die Anerkennung zu befinden hat (Zweitrichter), den Rechtsstreit anders entschieden hätte als der Erstrichter, ist – solange nicht die Toleranzgrenze des ordre public (Rz. 26, 2910) überschritten wird – kein Grund, die Anerkennung zu verweigern. Dies gilt aber nur, soweit die Rechtskraftwirkung reicht; also i.d.R. nur, soweit 100 Identität des Streitgegenstandes und der Parteien gegeben ist. Das Dilemma tritt dagegen voll zu Tage, wenn in Nachfolgeverfahren über einen anderen Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien oder über die gleiche Sache zwischen anderen Parteien zu entscheiden ist (Rz. 2754). Anders war es aber nach Art. 18 IV EGBGB a.F.184 Danach wurde für die Abänderung von Unterhaltsentscheidungen das Prinzip der „perpetuatio juris“ eingeführt; maßgebend war für die Abänderung von Unterhaltsentscheidungen das tatsächlich vom ausländischen Gericht auf die Scheidung angewandte Recht.185
VI. Formeller Entscheidungseinklang bei mehreren (widersprüchlichen) Entscheidungen über den gleichen Streitgegenstand Werden in der gleichen Sache (über den gleichen Streitgegenstand) zwei oder 101 noch mehr Entscheidungen erlassen, z.B. im Inland und im Staat A oder im Staat A und im Staat B, so muss aus der Sicht einer bestimmten Rechtsordnung (z.B. der deutschen) im Interesse des „formellen“ Entscheidungseinklangs fest183 Zum Vergleichsdruck Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 37, 108; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 20, 55 m.w.N. 184 Art. 18 IV EGBGB war die innerstaatliche Umsetzung von Art. 8 I Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, BGBl. II 1986, 837. S. auch Staudinger/Hausmann, 2013, Art. 4 EGBGB Rz. 265. 185 Kartzke, NJW 1988, 105 Fn. 18. Anders aber bei Statutenwechsel (Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes) OLG Köln v. 20.7.2004 – 25 UF 24/04, NJW-RR 2005, 876 = FamRZ 2005, 534 = IPRspr. 2004 Nr. 175. Nachw. auch bei Riegner, Probleme der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts bei der Abänderung deutscher Unterhaltstitel nach dem Wegzug des Unterhaltsberechtigten ins EU-Ausland, FamRZ 2005, 1799; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 315 ff. (Anh. I zu Art. 18 EGBGB).
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Erster Teil
Grundlegung
gelegt werden, welches Urteil zu beachten ist. Dies regeln die Normen über die Beachtung der internationalen Rechtshängigkeit bzw. die Normen über die Kollision von mehreren (in- bzw. ausländischen) Urteilen über den gleichen Streitgegenstand (Rz. 2685).
4. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht als Teil des internationalen Verfahrensrechts I. Bereiche des internationalen Verfahrensrechts 102 Das internationale Zivilprozessrecht gehört systematisch zum internationalen Verfahrensrecht. Es ist sein wissenschaftlich am besten erforschter Teil. Zum internationalen Verfahrensrecht zählt man u.a. noch – das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit (juridiction gracieuse), §§ 97 ff. FamFG,186 – das internationale Strafprozessrecht, – das internationale Verwaltungsprozessrecht.
II. Verfahrensrecht der internationalen Gerichtshöfe 103 Im weiteren Sinne gehört hierzu auch das Verfahrensrecht der internationalen Gerichtshöfe, insbes. des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IGH), des Gerichtshofs der Europäischen Union in Luxemburg (EuGH)187 und des Einheitlichen Patentgerichts in Paris mit Außenstellen in London und München. 104 Dem Einheitlichen Patentgericht (Art. 71a II [a] EuGVVO n.F.) wird große Bedeutung auf dem Gebiet der Patentgerichtsbarkeit zukommen.188 Es wurde durch das noch nicht in Kraft getretene Übereinkommen vom 19.2.2013 über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ) errichtet.189 Vertragsstaaten sind Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Schweden, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern. Nicht beteiligt haben sich (bisher) Kroatien, Polen und Spanien.
186 S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 25. 187 Hierzu Herrmann in Handbuch des IZVR, Bd. I 1982, Kap. I; Knöfel, Judizielle Loyalität in der EU, EuR 2011, 618. 188 Hierzu z.B. Götting, ZEuP 2014, 349 (363 ff.). 189 ABl. EU C 175/1 v. 20.6.2013.
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IZPR als Teil des internationalen Verfahrensrechts
Erster Teil
Die internationalverfahrensrechtlich relevanten Passagen des Übereinkommens 105 lauten: Kapitel VI – Internationale und sonstige Zuständigkeit des Gerichts Art. 31 EPGÜ – Internationale Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit des Gerichts wird im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 oder gegebenenfalls auf Grundlage des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (Lugano-Übereinkommen190) bestimmt. Art. 32 EPGÜ – Zuständigkeit des Gerichts (1) Das Gericht besitzt die ausschließliche Zuständigkeit für a) Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten und ergänzenden Schutzzertifikaten und zugehörige Klageerwiderungen, einschließlich Widerklagen in Bezug auf Lizenzen, b) Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Patenten und ergänzenden Schutzzertifikaten, c) Klagen auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen und einstweiligen Verfügungen, d) Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten und Nichtigerklärung der ergänzenden Schutzzertifikate, e) Widerklagen auf Nichtigerklärung von Patenten und Nichtigerklärung der ergänzenden Schutzzertifikate, f) Klagen auf Schadenersatz oder auf Entschädigung aufgrund des vorläufigen Schutzes, den eine veröffentlichte Anmeldung eines europäischen Patents gewährt, g) Klagen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Erfindung vor der Erteilung eines Patents oder mit einem Vorbenutzungsrecht, h) Klagen auf Zahlung einer Lizenzvergütung aufgrund von Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 und i) Klagen gegen Entscheidungen, die das Europäische Patentamt in Ausübung der in Artikel 9 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 genannten Aufgaben getroffen hat. (2) Für Klagen im Zusammenhang mit Patenten und ergänzenden Schutzzertifikaten, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts fallen, sind weiterhin die nationalen Gerichte der Vertragsmitgliedstaaten zuständig. Art. 33 EPGÜ – Zuständigkeit der Kammern des Gerichts erster Instanz (1) Unbeschadet des Absatzes 7 sind die in Artikel 32 Absatz 1 Buchstaben a, c, f und g genannten Klagen zu erheben bei a) der Lokalkammer in dem Vertragsmitgliedstaat, in dessen Gebiet die tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist oder möglicherweise erfolgen wird, oder bei der Regionalkammer, an der dieser Vertragsmitgliedstaat beteiligt ist, oder b) der Lokalkammer in dem Vertragsmitgliedstaat, in dessen Gebiet der Beklagte oder, bei mehreren Beklagten, einer der Beklagten seinen Wohnsitz oder den Sitz seiner Hauptniederlassung oder – in Ermangelung derselben – seinen Geschäftssitz hat, oder bei der Regionalkammer, an der dieser Vertragsmitgliedstaat beteiligt ist. Eine Klage gegen meh-
190 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschehen zu Lugano am 30.10.2007 mit allen nachfolgenden Änderungen.
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Erster Teil
Grundlegung
rere Beklagte ist nur dann zulässig, wenn zwischen diesen eine Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft. Die in Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe h genannten Klagen sind gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe b bei der Lokal- oder Regionalkammer zu erheben. Klagen gegen Beklagte, die ihren Wohnsitz oder den Sitz ihrer Hauptniederlassung oder – in Ermangelung derselben – ihren Geschäftssitz nicht im Gebiet der Vertragsmitgliedstaaten haben, sind gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe a bei der Lokal- oder Regionalkammer zu erheben oder bei der Zentralkammer. Ist im betreffenden Vertragsmitgliedstaat keine Lokalkammer errichtet worden und ist dieser Vertragsmitgliedstaat nicht an einer Regionalkammer beteiligt, so sind die Klagen bei der Zentralkammer zu erheben. (2) Ist eine Klage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstaben a, c, f, g oder h bei einer Kammer des Gerichts erster Instanz anhängig, so darf zwischen denselben Parteien zum selben Patent keine Klage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstaben a, c, f, g oder h bei einer anderen Kammer erhoben werden. Ist eine Klage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a bei einer Regionalkammer anhängig und ist die Verletzung im Gebiet von mindestens drei Regionalkammern erfolgt, so verweist die betreffende Regionalkammer das Verfahren auf Antrag des Beklagten an die Zentralkammer. Wird bei mehreren Kammern eine Klage erhoben, die dieselben Parteien und dasselbe Patent betrifft, so ist die zuerst angerufene Kammer für das gesamte Verfahren zuständig und jede später angerufene Kammer erklärt die Klage im Einklang mit der Verfahrensordnung für unzulässig. (3) Im Fall einer Verletzungsklage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a kann eine Widerklage auf Nichtigerklärung im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe e erhoben werden. Die betreffende Lokal- oder Regionalkammer kann nach Anhörung der Parteien nach eigenem Ermessen beschließen, a) sowohl die Verletzungsklage als auch die Widerklage auf Nichtigerklärung zu verhandeln und den Präsidenten des Gerichts erster Instanz zu ersuchen, ihr aus dem Richterpool gemäß Artikel 18 Absatz 3 einen technisch qualifizierten Richter zuzuweisen, der über entsprechende Qualifikation und Erfahrung auf dem betreffenden Gebiet der Technik verfügt, b) die Widerklage auf Nichtigerklärung zur Entscheidung an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren auszusetzen oder fortzuführen oder c) den Fall mit Zustimmung der Parteien zur Entscheidung an die Zentralkammer zu verweisen. (4) Die in Artikel 32 Absatz 1 Buchstaben b und d genannten Klagen sind bei der Zentralkammer zu erheben. Wurde jedoch bereits bei einer Lokal- oder Regionalkammer eine Verletzungsklage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a zwischen denselben Parteien zum selben Patent erhoben, so dürfen diese Klagen nur vor derselben Lokal- oder Regionalkammer erhoben werden. (5) Ist eine Klage auf Nichtigerklärung im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe d bei der Zentralkammer anhängig, so kann gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels bei jeder Kammer oder bei der Zentralkammer zwischen denselben Parteien zum selben Patent eine Verletzungsklage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a erhoben werden. Die betreffende Lokal- oder Regionalkammer kann nach ihrem Ermessen gemäß Absatz 3 des vorliegenden Artikels verfahren. (6) Eine Klage zur Feststellung der Nichtverletzung im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe b, die bei der Zentralkammer anhängig ist, wird ausgesetzt, wenn innerhalb von
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IZPR als Teil des internationalen Verfahrensrechts
Erster Teil
drei Monaten nach Einleitung des Verfahrens vor der Zentralkammer bei einer Lokal- oder Regionalkammer zwischen denselben Parteien oder zwischen dem Inhaber einer ausschließlichen Lizenz und der Partei, die die Feststellung der Nichtverletzung beantragt hat, zum selben Patent eine Verletzungsklage im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstabe a erhoben wird. (7) Die Parteien können bei Klagen im Sinne des Artikels 32 Absatz 1 Buchstaben a bis h übereinkommen, ihre Klage bei der Kammer ihrer Wahl, auch bei der Zentralkammer, zu erheben. (8) Die in Artikel 32 Absatz 1 Buchstaben d und e genannten Klagen können erhoben werden, ohne dass der Kläger zuvor Einspruch beim Europäischen Patentamt einlegen muss. (9) Die in Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe i genannten Klagen sind bei der Zentralkammer zu erheben. (10) Die Parteien unterrichten das Gericht über alle beim Europäischen Patentamt anhängigen Nichtigerklärungs-, Beschränkungs- oder Einspruchsverfahren und über jeden Antrag auf beschleunigte Bearbeitung beim Europäischen Patentamt. Das Gericht kann das Verfahren aussetzen, wenn eine rasche Entscheidung des Europäischen Patentamtes zu erwarten ist. Art. 34 EPGÜ – Räumlicher Geltungsbereich von Entscheidungen Die Entscheidungen des Gerichts gelten im Falle eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet derjenigen Vertragsmitgliedstaaten, für die das europäische Patent Wirkung hat.
Hierzu korrespondieren Art. 71a ff. EuGVVO n.F.191: Sie integrieren das Einheit- 106 liche Patentgericht (Art. 71a II [a] EuGVVO) und den „Benelux-Gerichtshof“ (Art. 71a II [b] EuGVVO)192 in das Brüssel I-System. Art. 71a ff. EuGVVO sollen das Verhältnis der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 zu dem EPG-Übereinkommen und zu dem Benelux-Gerichtshof-Vertrag regeln. Das Einheitliche Patentgericht und der Benelux-Gerichtshof gelten jeweils als „Gericht“ (Art. 2 [a]) im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, um diese Gerichte in das Brüssel I-Kompetenzsystem zu integrieren und auf diese Weise Rechtssicherheit und Berechenbarkeit für Beklagte zu gewährleisten, die vor diesen beiden Gerichten in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen verklagt werden könnten, der nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vorgesehen ist. Als gemeinsame Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten können das Einheitliche Patentgericht und der Benelux-Gerichtshof – anders als ein Gericht eines Mitgliedstaats – gegenüber Beklagten, die ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat haben, in Abweichung von Art. 6 I EuGVVO keine gerichtliche Zuständigkeit auf der Grundlage nationalen Rechts ausüben. Die Kompetenznormen der Art. 4 ff. EuGVVO gelten daher in Bezug auf Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts bzw. des Benelux-Gerichtshofs fallen, auch für Beklagte, die ihren Wohnsitz in Drittstaaten haben.
191 ABl. EU L 163 v. 29.5.2014 S. 1. Hierzu Lüginbühl/Stauder, GRUR Int 2014, 885. 192 Belgien, Luxemburg und die Niederlande haben mit Vertrag vom 31.3.1965 den „Benelux-Gerichtshof“ errichtet und mit Protokoll vom 15.10.2012 Änderungen dieses Vertrags vereinbart mit dem Ziel, dem Benelux-Gerichtshof Zuständigkeiten für besondere Angelegenheiten zuzuweisen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 fallen.
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Erster Teil
Grundlegung
Ein gemeinsames Gericht ist in Verfahren, in denen wegen Verletzung eines Europäischen Patents innerhalb oder außerhalb der Union auf Schadensersatz geklagt wird, international zuständig gemäß Art. 4 ff. i.V.m. Art. 71b EuGVVO, auch wenn der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz nicht im geografischen Anwendungsbereich der EuGVVO hat. Eine solche subsidiäre Zuständigkeit besteht, wenn Vermögen des Beklagten in einem Mitgliedstaat belegen ist, der Vertragspartei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist, und der Rechtsstreit einen ausreichenden Bezug zu einem solchen Mitgliedstaat aufweist, etwa weil der Beklagte dort seinen Wohnsitz hat oder dort Beweismittel für den Rechtsstreit vorhanden sind. Dem Wert des betreffenden Vermögens ist dabei Rechnung zu tragen, er sollte so hoch sein, dass eine zumindest teilweise Vollstreckung der Entscheidung in den Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts sind, möglich ist. Art. 29 ff. EuGVVO sollen Parallelverfahren und miteinander unvereinbare Entscheidungen vermeiden; sie kommen gemäß Art. 71c EuGVVO auch dann zur Anwendung, wenn Verfahren vor einem gemeinsamen Gericht und vor einem Gericht eines Mitgliedstaats, in dem das EPG-Übereinkommen oder gegebenenfalls der Benelux-Gerichtshof-Vertrag nicht gilt, eingeleitet werden. Das Gleiche gilt, wenn während des im EPG-Übereinkommen vorgesehenen Übergangszeitraums Verfahren über bestimmte Rechtsstreitigkeiten einerseits bei dem Einheitlichen Patentgericht und andererseits bei einem nationalen Gericht eines Mitgliedstaats, der Vertragspartei des EPG-Übereinkommens ist, eingeleitet werden. Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts bzw. des Benelux-Gerichtshofs werden nach Maßgabe der Art. 36 ff. EuGVVO i.V.m. Art. 71d EuGVVO auch in einem Mitgliedstaat, der nicht Vertragspartei des EPG-Übereinkommens bzw. des Benelux-Gerichtshof-Vertrags ist, anerkannt und vollstreckt. Vice versa werden patentrechtliche Entscheidungen der Gerichte eines Mitgliedstaats, der nicht Vertragspartei des EPG-Übereinkommens bzw. des Benelux-Gerichtshof-Vertrags ist, in anderen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Art. 36 ff. EuGVVO anerkannt und vollstreckt. Gemäß Art. 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der EuGVVO und ist daher zur Anwendung der Art. 71a ff. EuGVVO nicht verpflichtet; es steht Dänemark jedoch gemäß Art. 3 des Abkommens vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Europäischen Union) und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen193 frei, die Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 anzuwenden. Artikel 71a EuGVVO n.F. (1) Für die Zwecke dieser Verordnung gilt ein gemeinsames Gericht mehrerer Mitgliedstaaten gemäß Absatz 2 („gemeinsames Gericht“) als ein Gericht eines Mitgliedstaats, wenn das gemeinsame Gericht gemäß der zu seiner Errichtung geschlossenen Übereinkunft eine gerichtliche Zuständigkeit in Angelegenheiten ausübt, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.
193 ABl. EU L 299 v. 16.11.2005, S. 62.
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IZPR als Teil des internationalen Verfahrensrechts
Erster Teil
(2) Jedes der folgenden Gerichte ist für die Zwecke dieser Verordnung ein gemeinsames Gericht: a) das mit dem am 19. Februar 2013 unterzeichneten Übereinkommen zur Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts („EPG-Übereinkommen“) errichtete Einheitliche Patentgericht und b) der mit dem Vertrag vom 31. März 1965 über die Gründung und die Satzung des Benelux-Gerichtshofs (im Folgenden „Benelux-Gerichtshof-Vertrag“) errichtete Benelux-Gerichtshof. Artikel 71b EuGVVO n.F. Die Zuständigkeit eines gemeinsamen Gerichts wird wie folgt bestimmt: 1. Ein gemeinsames Gericht ist zuständig, wenn die Gerichte eines Mitgliedstaats, der Partei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist, nach Maßgabe dieser Verordnung in einem unter die betreffende Übereinkunft fallenden Rechtsgebiet zuständig wären. 2. In Fällen, in denen der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat und diese Verordnung die ihn betreffende gerichtliche Zuständigkeit nicht anderweitig begründet, findet Kapitel II, soweit einschlägig, ungeachtet des Wohnsitzes des Beklagten Anwendung. Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen können bei einem gemeinsamen Gericht auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache die Gerichte eines Drittstaats zuständig sind. 3. Ist ein gemeinsames Gericht hinsichtlich eines Beklagten nach Nummer 2 in einem Rechtsstreit über eine Verletzung eines Europäischen Patents, die zu einem Schaden innerhalb der Union geführt hat, zuständig, kann dieses Gericht seine Zuständigkeit auch hinsichtlich eines aufgrund einer solchen Verletzung außerhalb der Union entstandenen Schadens ausüben. Diese Zuständigkeit kann nur begründet werden, wenn dem Beklagten gehörendes Vermögen in einem Mitgliedstaat belegen ist, der Vertragspartei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist und der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zu einem solchen Mitgliedstaat aufweist. Artikel 71c EuGVVO n.F. (1) Die Artikel 29 bis 32 finden Anwendung, wenn ein gemeinsames Gericht und ein Gericht eines Mitgliedstaats, der nicht Vertragspartei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist, angerufen werden. (2) Die Artikel 29 bis 32 finden Anwendung, wenn während des Übergangszeitraums gemäß Artikel 83 des EPG-Übereinkommens das Einheitliche Patentgericht und ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen werden, der Vertragspartei des EPG-Übereinkommens ist. Artikel 71d EuGVVO n.F. Diese Verordnung findet Anwendung auf die Anerkennung und Vollstreckung von a) Entscheidungen eines gemeinsamen Gerichts, die in einem Mitgliedstaat, der nicht Vertragspartei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist, anerkannt und vollstreckt werden müssen, b) Entscheidungen der Gerichte eines Mitgliedstaats, der nicht Vertragspartei der Übereinkunft zur Errichtung des gemeinsamen Gerichts ist, die in einem Mitgliedstaat, der Vertragspartei dieser Übereinkunft ist, anerkannt und vollstreckt werden müssen. Wird die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung eines gemeinsamen Gerichts jedoch in einem Mitgliedstaat beantragt, der Vertragspartei der Übereinkunft zur Errich-
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Erster Teil
Grundlegung
tung des gemeinsamen Gerichts ist, gelten anstelle dieser Verordnung alle die Anerkennung und Vollstreckung betreffenden Bestimmungen der Übereinkunft.
III. Verhältnis zum internationalen Strafverfahrensrecht 1. Adhäsionsverfahren 107 Die engsten Berührungspunkte mit dem Strafverfahren hat der Zivilprozess in Adhäsionsverfahren.194 Hier entscheidet der Strafrichter (auch) über die zivilrechtlichen Ansprüche (des Opfers gegen den Täter), vgl. §§ 403 ff. StPO.195 Die internationale Zuständigkeit196 ergibt sich in diesen Fällen nicht aus §§ 12 ff.,
194 Auch der Internationale Strafgerichtshof kann nach Art. 75 seines Statuts „den Umfang und das Ausmaß des Schadens, Verlustes oder Nachteils feststellen, der den Opfern … entstanden ist.“ Nach Art. 24 III seines Statuts kann der Strafgerichtshof für Jugoslawien die Rückgabe entzogener Vermögenswerte an die Geschädigten anordnen. Hierzu Heß, BerDGVR 40 (2003), 107, 166; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 371. 195 § 403 StPO bestimmt: Der Verletzte oder sein Erbe kann gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört und noch nicht anderweit gerichtlich anhängig gemacht ist, im Strafverfahren geltend machen, im Verfahren vor dem Amtsgericht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes. § 404 StPO: (1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten. Ist der Antrag außerhalb der Hauptverhandlung gestellt, so wird er dem Beschuldigten zugestellt. (2) Die Antragstellung hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit. Sie treten mit Eingang des Antrages bei Gericht ein. (3) Ist der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt, so wird der Antragsteller von Ort und Zeit der Hauptverhandlung benachrichtigt. Der Antragsteller, sein gesetzlicher Vertreter und der Ehegatte oder Lebenspartner des Antragsberechtigten können an der Hauptverhandlung teilnehmen. (4) Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden. (5) Dem Antragsteller und dem Angeschuldigten ist auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. § 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gilt mit der Maßgabe, daß dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll; dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Zuständig für die Entscheidung ist das mit der Sache befaßte Gericht; die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Hierzu z.B. Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO3, § 322 Rz. 93 ff.; Wilhelmi, a.a.O., 355 ff. 196 Der Begriff „internationale Zuständigkeit“ wird in der internationalstrafrechtlichen Literatur nur von wenigen verwendet, m.w.N. z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 7, 42. Gegen diese Abstinenz aber mit überzeugenden Argumenten Mankowski/Bock, Die internationale Zuständigkeit der deutschen Strafgerichte als eigene Kategorie des internationalen Strafverfahrensrechts, JZ 2008, 555.
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32 ZPO, sondern aus §§ 403 ff. i.V.m. §§ 7 ff. StPO.197 Auch Art. 7 Nr. 3 EuGVVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 4 LugÜ verweist auf das nationale strafprozessuale Kompetenzrecht.198 Adhäsionsurteile ausländischer Gerichte können nicht nur nach autonomem 108 Recht und Unionsrecht (Art. 2 [a] EuGVVO), sondern auch nach den meisten Staatsverträgen anerkannt und vollstreckt werden (Rz. 2871).199 2. Bindung des Zivilrichters an Feststellungen des Strafrichters a) Keine Bindung im deutschen Erkenntnisverfahren Bei der Bindung des Zivilrichters an die tatsächlichen Feststellungen des Straf- 109 richters handelt es sich um ein Beweismittelverbot, das in Deutschland durch § 14 II Nr. 1 EGZPO200 bereits im 19. Jahrhundert abgeschafft worden ist.201 Solche Bindungen kennt man jedoch noch in Frankreich, Italien und Luxemburg, nicht mehr in Österreich (§ 268 österr. ZPO wurde vom österr. Verfassungsgerichtshof kassiert).202 Auch in Deutschland wird derzeit über die Wiedereinführung einer solchen Bindung des Zivilrichters an die Erkenntnisse des Strafrichters über § 406 III StPO hinaus nachgedacht.203
197 Z.B. zum Gerichtsstand des Erscheinungsortes s. BGH v. 27.6.1997 – StB 8/97, NJW 1997, 2828. 198 Hierzu kritisch R. Geimer, ZIP 2000, 863 und in FS Kaissis, 2012, 287. S. aber auch Mankowski/Bock, Die internationale Zuständigkeit der deutschen Strafgerichte als eigene Kategorie des internationalen Strafverfahrensrechts, JZ 2008, 555 (556). 199 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1425. Zur besseren Unrechts-Bewältigung durch den Zivilprozess Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 303. 200 Jedoch muss sich der Zivilrichter mit den Feststellungen des Strafgerichts bei seiner Entscheidungsfindung ernsthaft auseinandersetzen. Hierzu z.B. OLG München v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06, OLGR 2007, 496; KG v. 2.7.2009 – 12 U 113/09, MDR 2010, 265. S. auch Zöller/Vollkommer, ZPO30, vor § 322 Rz. 12. 201 Hierzu Knauer/Wolf, 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 20.9.2003, NJW-Sonderheft 2004, 33 (34); m.w.N. bei Völzmann, Die Bindungswirkung von Strafurteilen im Zivilprozess, 2006. Aktuell wird § 14 II EGZPO als „gegenstandslos“ bezeichnet. Jedoch hat sich an der Nichtbindung nichts geändert, Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO35, § 14 EGZPO Rz. 1. 202 Österr. BGBl. 1990/706; zur Rechtslage nach Aufhebung des § 268 österr. ZPO Fasching, Zivilprozessgesetze2, 1. Bd., Einl. Rz. 42; Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts – Erkenntnisverfahren7, Rz. 903. Rechtsvergleichende Hinweise bei Perrot, Le droit à la preuve, in W. J. Habscheid, Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, 91. Zum französischen Modell der „Action civile“ im Kontrast zum „kränkelnden“ deutschen Adhäsionsverfahren Prinz von Sachsen Gessaphe, ZZP 112 (1999), 3 ff. 203 S. § 415a ZPO-E (Art. 1 Nr. 5 des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, BT-Drucks. 15/1508, [noch] nicht rezipiert v. 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004, BGBl. I 2004, 2198): § 415a Beweiskraft rechtskräftiger Strafurteile (1) Rechtskräftige Urteile über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begründen vollen Beweis der darin für erwiesen gehaltenen Tatsachen. (2) Auf begründeten Antrag einer Partei ist über diese Tatsachen erneut Beweis zu erheben.
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110 Ganz gleich, wie man dieses Beweismittelverbot dogmatisch einordnet, in keinem Fall ist der deutsche Richter an die tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters gebunden. Unterstellt man diesen Komplex der lex fori, ist die Nichtbeachtung klar (Rz. 319). Auch wenn man auf die lex causae abstellt, war bisher das Ergebnis gleich, weil der deutsche ordre public zum Zuge kommt. Der in § 14 II Nr. 1 EGZPO manifestierte Rechtsgedanke ist für die deutsche Rechtsordnung von so grundlegender Bedeutung, dass er auch international durchzusetzen ist. Anders wird es allerdings werden, wenn sich der deutsche „Reform“gesetzgeber für eine Wiedereinführung der Bindung des Zivilrichters an die Erkenntnisse des Strafrichters entschließen sollte.204 111 Historisch ist die Bindung des Zivilrichters an die Feststellungen des Strafrichters ein Überbleibsel polizeistaatlichen Denkens. Ein dem Gerechtigkeitsideal verpflichteter Zivilprozess ist nur denkbar, wenn der Zivilrichter nicht an strafrichterliche „Vor-Urteile“ gebunden ist.205 Eine solche Bindung ist auch verfassungsrechtlich untragbar, wie Walther J. Habscheid überzeugend dargelegt hat.206 b) Anerkennung ausländischer Urteile 112 Ist nun eine Bindung des Zivilrichters an die Feststellungen des Strafrichters aus deutscher Sicht so verpönt, dass sie auch im Anerkennungsstadium durchzusetzen ist? Wie ist zu entscheiden, wenn der ausländische Zivilrichter sich an die Feststellungen des Strafrichters gebunden gehalten und deswegen keine eigenen Beweise erhoben hat? Diese Konstellation ist klar zu trennen von der „direkten“ Anerkennung der (zivilrechtlich relevanten) Wirkungen eines ausländischen Adhäsionsurteils (Rz. 115b, 2871). 113 Aus dem Umstand, dass der deutsche Richter – wenn er den gleichen Rechtsstreit als Erkenntnisverfahren zu entscheiden gehabt hätte – den deutschen ordre public zur Anwendung gebracht hätte, folgt nicht mit logischer Notwendigkeit, dass auch die Anerkennung eines ausländischen Urteils am ordre public scheitert; denn es gibt keine völlige Kongruenz zwischen kollisionsrechtlichem und anerkennungsrechtlichem ordre public (Theorie vom ordre public atténué de réconnaissance, Rz. 27). Die Versagung der Anerkennung folgt nicht zwingend aus dem Umstand, dass der Zweitrichter die Anwendung der die ausländische Entscheidung tragenden ausländischen Normen abgelehnt hätte. Es sind Fälle denkbar, in denen die Entscheidung des ausländischen Gerichts hingenommen werden
204 De lege ferenda für Bindung an die Feststellungen der Strafurteile Völzmann, Die Bindungswirkung von Strafurteilen im Zivilprozess, 2006. De lege lata hat selbst ein Geständnis im Strafverfahren nur Indizwirkung im Zivilprozess, BGH v. 15.3.2004 – II ZR 136/02, BB 2004, 1248. 205 W. J. Habscheid, ZfRV 1985, 309; W. J. Habscheid, Droit judiciaire privé suisse2, 91. 206 W. J. Habscheid, Das Recht auf den Beweis und der Grundsatz der Effektivität der Rechtspflege, SJZ 1984, 381; W. J. Habscheid in Gilles, Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, VII. Int. Kongress für Prozessrecht 1983, 25.
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kann, obwohl ceteris paribus der Zweitrichter den kollisionsrechtlichen ordre public bemüht hätte.207 Gleichwohl ist das deutsche Verbot der Bindung des Zivilrichters an die Fest- 114 stellungen des Strafrichters auch gegenüber ausländischen Urteilen durchzusetzen und deshalb die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung unter Berufung auf den anerkennungsrechtlichen ordre public zu versagen. Man kann nämlich die Tatsachenfeststellung nicht losgelöst vom Verfahrensziel sehen. Es gibt keine abstrakte und isolierte „Wahrheitsermittlung“. Der Strafprozess verfolgt ganz andere Ziele als der Zivilprozess. Auch die Rechtsschutzgarantien sind nicht identisch, ebenso nicht die Parteien. Das ganze „Prozessklima“ ist ein anderes.208 Deshalb ist eine Verurteilung (zu Schadensersatz), die nicht auf eigener Beweiserhebung des Erstrichters beruht, sondern auf den als bindend erachteten tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts, nicht anzuerkennen.209 Das Gleiche muss vice versa gelten bei Klageabweisung, die sich darauf stützt, 115 dass der Strafrichter bereits die fehlende Kausalität, die Nichttäterschaft oder das mangelnde Verschulden etc. festgestellt habe. Hiervon zu unterscheiden, jedoch im Ergebnis gleich zu behandeln (Nichtaner- 115a kennung) sind die Fälle, in denen die Entscheidung des Strafrichters Rechtskraftwirkung entfaltet, z.B. kann nach Art. 28 Codice di procedura penale eine Zivilklage vor einem Zivilgericht weder erhoben noch erneut eingereicht werden, wenn durch ein Strafurteil geklärt wurde, dass der Beweis für das Vorliegen einer Straftat nicht ausreicht. Hierzu gehört auch ein Einstellungsurteil (Einstellung des Verfahrens; Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens). Dadurch werden zivilrechtliche Ansprüche nach italienischer Auffassung rechtskräftig aberkannt. Nur Ansprüche, die zeitlich nach Erlass des Strafurteils entstanden sind, können noch geltend gemacht werden.210 Die Rechtskraftwirkung dieser italienischen Entscheidung ist vom deutschen Richter nicht zu beachten, Art. 45 I (a) EuGVVO n.F. bzw. Art. 34 Nr. 1 LugÜ.211 3. Vollstreckung ausländischer Strafurteile Die Vollstreckung ausländischer Strafurteile richtet sich nach §§ 48 ff. des Geset- 115b zes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23.12.1982.212 Der 207 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1588; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1014. 208 W. J. Habscheid, ZfRV 1985, 309. 209 A.A. Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 229. 210 Art. 26 Codice di procedura penale. 211 A.A. LG Frankfurt/M. v. 12.2.1976 – 2/15 O 256/72, VersR 1977, 67 = IPRspr. 1976 Nr. 159, hierzu auch Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 438. 212 BGBl. I 1982, 2071; s. auch §§ 54, 55 BZRG. Hierzu BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462. In der EU soll das Übereinkommen v. 13.11.1991 (BGBl. II 1997, 1350) die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten erleichtern. Hierzu Borchmann, NJW 1998, 19 (26); Nalewajko, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, 2010. S. auch das Europaratsübereinkommen v. 21.3.1983 (BGBl. II 1991, 1006) über die Überstellung verurteilter Personen (Überstellungsübereinkommen). Auf der Basis des Art. 31 lit. (a) EUV strebt die Kommission die Ausarbeitung eines Übereinkommens
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Rahmenbeschluss des Europäischen Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (RB Geld – 2005/214/JI)213 wurde in §§ 86–87p IRG214 umgesetzt. Bewilligungsbehörde in Deutschland ist das Bundesamt für Justiz in Bonn. Wenn das Strafgericht jedoch im Adhäsionsprozess über zivilrechtliche Ansprüche (des Verletzten) entschieden hat, sind – außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts (Art. 36 ff. EuGVVO n.F.) – die zivilrechtlichen Wirkungen dieses Urteils nach § 328 ZPO bzw. dem einschlägigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag anerkennungsfähig (Rz. 2871, 2927e). Anders als in Deutschland, wo das Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) in der Praxis nur eine marginale Rolle spielt, wird vor allem in den romanischen Ländern in weitem Umfang von Strafgerichten auch über zivilrechtliche Ansprüche mitentschieden.215 So sind z.B. in Spanien Schadensersatzansprüche, die auf strafbaren unerlaubten Handlungen beruhen, gem. Art. 1092 CC grundsätzlich im Strafprozess mit geltend zu machen. Solange der Strafprozess anhängig ist, darf die „acción civil“ nicht getrennt davon in einem Zivilverfahren verfolgt werden. Vielmehr ist die Rechtskraft des Strafurteils abzuwarten (Art. 111 LECr, Rz. 115d).216 4. Anwendung des § 190 StGB auch auf ausländische Strafurteile 115c I.d.R. hat derjenige, der seine Behauptungen an den Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ausrichtet, seiner Recherchepflicht genügt, es sei denn, er weiß oder muss aufgrund der ihm bekannt gewordenen besonderen Umstände
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über die gegenseitige Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen an. Nachw. z.B. bei Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch dt. Gerichte, 2006, 130 ff., 247 ff. Kritisch hierzu Schünemann, ZRP 2003, 185 aus der dt. Grundrechtsperspektive zur „Kumulation der jeweils niedrigsten Eingriffsschwelle mit der geringsten Kautel“: „Nivellierung der Bürgerrechte auf das jeweils niedrigste Niveau im Querschnitt aller Mitgliedstaaten, was die Redeweise v. ‚Raum der Freiheit‘ zur Farce stempelt. Denn wenn in jedem Mitgliedstaat vollstreckbar und anzuerkennen ist, was irgendein Mitgliedstaat in Strafsachen vorsieht, so ergibt sich ganz von selbst auf europäischer Ebene das Prinzip der maximalen Punitiviät.“ Kritisch auch Gazeas, Die Europäische Beweisanordnung, ZRP 2005, 18 (21). S. auch Hess, EuZPR, 2010, § 5 Rz. 94 (S. 228) sowie Schaper, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts, 2009. ABl. EU Nr. L v. 22.3.2005, S. 16. BGBl. I 2010, 1408. Hierzu Karitzky/Wanneck, NJW 2010, 3393; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 208 ff. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 833. Font Serra, La acción civil en el proceso penal. Su tratamiento procesal, 1991, 9 ff.; Lobedanz, Schadensausgleich bei Straftaten in Spanien und Lateinamerika, 1972, 27 ff.; Karl in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 663.45 ff. Art. 1 Anm. VII Fn. 101. Zur französischen action civile im Strafverfahren Prinz von Sachsen Gessaphe, ZZP 112 (1999), 3 (20) sowie ZZPInt 5 (2000), 225.
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wissen, dass diese Feststellungen unrichtig sind. Dies gilt auch für ausländische Urteile.217 5. Keine Beachtung des Prinzips „le criminel tient le civil en l’état“ In den romanischen Ländern gilt als Grundsatz „le criminel tient le civil en 115d l’état“.218 Dies bedeutet: Der Strafprozess hat Vorrang vor dem (den gleichen Sachverhalt betreffenden) Zivilprozess. Die Anordnung einer solchen Blockade des Zivilprozesses ist nach der lex fori-Regel (Rz. 319) für den Richter im deutschen Erkenntnisverfahren ohne Bedeutung, und zwar auch dann, wenn nach dem in Deutschland geltenden Internationalen Privatrecht in der Sache z.B. französisches Recht zur Anwendung kommt. Wesentlich zurückhaltender ist dagegen das deutsche Recht, das in § 149 ZPO nur eine Aussetzungsmöglichkeit vorsieht (vgl. Rz. 116). 6. Europäische Union Der Vertrag von Lissabon hat mit Art. 67, 82–89 AEUV die (bisherige inter- 116 gouvernmentale) Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts („dritte Säule“)219 auf die supranationale Ebene transponiert.220 Als Vehikel der unionsrechtlichen Vereinheitlichung kommen daher nicht mehr Rahmenbeschluss und Übereinkommen221 in Betracht, sondern Richtlinie und Verordnung. Art. 82 I AEUV postuliert den „politischen“ Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen.222 Kritisiert wird das Fehlen eines klaren Konzepts der europäischen Rechtspolitik: „Schon jetzt ist die gerade bei der Kooperation in Strafsachen zu beobachtende patch-work-Herangehensweise als der Kern des Übels nicht mehr akzeptabel. Es kann nicht sein, dass in einem derart auf Homogenität und Wahrung der Balance angewiesenen hochsensiblen System der Kooperation in Strafsachen nach Lust und Laune bzw. Präsidentschaft bzw. Brüsseler Einflüsterungen gestern der Haftbefehl, heute der Opferschutz, morgen das Einfrieren von Vermögensrechten geregelt wird. Man möchte den Verantwortlichen … zurufen: Stop in the name of law! Weniger ist mehr!“223 217 So für Urteile der ehem. DDR, BGH v. 9.7.1985 – VI ZR 214/83, BGHZ 95, 212 = MDR 1985, 1014 = AfP 1985, 204. 218 Hierzu ausführliche Nachw. bei Wilhelmi, Vom Vorrang der Strafjustiz gegenüber der Zivilrechtspflege im französischen Recht und seiner Bedeutung für das internationale Schiedsverfahren, IPRax 2007, 348. 219 Art. 31 EU-Vertrag a.F. 220 Hierzu z.B. Benkelmann, NJW 2010, 2081; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, Einl. Rz. 80; Satzger in Streinz, EUV/AEUV2, Art. 82 AEUV Rz. 1. 221 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, vor § 48 IRG Rz. 2d ff. 222 Details bei Satzger in Streinz, EUV/AEUV2, Art. 82 AEUV Rz. 6 ff.; Frank Meyer, EuR 2011, 169. 223 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, Einl. Rz. 79.
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IV. Verhältnis zum Verwaltungsstreitverfahren 1. Kompetenzrecht 117 Die Frage der internationalen Zuständigkeit umfasst (einheitlich) alle staatlichen Tätigkeiten; denn Normadressat ist der Staat als Ganzes, nicht einzelne Staatsorgane, auch nicht die Gerichte (Zivilgerichte) in ihrer Gesamtheit. Die Zuweisung der Rechtsprechungsaufgaben an die Gerichte erfolgt normlogisch nicht durch die Normen über die internationale Zuständigkeit, sondern durch die (innerstaatlichen) Organisationsnormen. So ergibt sich in Deutschland die Trennung zwischen Verwaltungsangelegenheiten und Rechtsprechungsaufgaben durch das Prinzip der Gewaltenteilung, Art. 20, 92 GG; hinzu kommen die Normen über die Aufteilung in einzelne Gerichtsbarkeiten (Zivilgerichte, Verwaltungsgerichte etc.), die unter dem Stichwort „Zulässigkeit des Rechtswegs“ diskutiert werden. 2. Anerkennungsrecht 118 Wenn ein ausländisches Verwaltungsgericht über einen zivilrechtlichen Anspruch entscheidet, ist dessen Entscheidung nach § 328 ZPO bzw. dem einschlägigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag anerkennungs- und vollstreckungsfähig (Rz. 2871).
5. Kapitel: Rechtsquellen I. Völkergewohnheitsrecht 1. Achtung der Souveränität fremder Staaten – Gebietshoheit 119 Eine der fundamentalen Säulen des Völkergewohnheitsrechts224 ist der Grundsatz der Gleichheit aller Staaten.225 Aus der territorialen Souveränität über sein Gebiet folgt das Recht, eigene Staatstätigkeit in diesem Gebiet zu entfalten (Gebietshoheit). Dieses Recht ist ausschließlicher Natur.226 Daraus resultiert die Verpflichtung, die Souveränität anderer Staaten zu achten. Jeder Staat hat somit das
224 Ausführlich zum Geltungsgrund des Völkergewohnheitsrechts z.B. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 21 ff. Zur Staatenpraxis z.B. Hartwig, Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 2010, ZaöRV 2013, 735. 225 Art. 2 Charta der Vereinten Nationen. S. z.B. Bertele, a.a.O., 113; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 66. 226 Vorbehaltlich der aus der Personalhoheit anderer Staaten resultierenden Befugnisse, Rz. 2388. Insoweit kann die Territorialhoheit eines Staates mit der Personalhoheit eines anderen ins Gehege geraten, Geimer, ZfRV 1992, 321 (333). S. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 74 Fn. 265.
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Rechtsquellen
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Recht, von jedem anderen Staat die Achtung seiner Gebietshoheit zu verlangen (Rz. 371).227 Daraus folgt das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten auf fremdem Staats- 120 gebiet;228 dieses bedeutet aus der spezifischen Sicht des internationalen Zivilprozessrechts, dass deutsche Gerichte in dem Hoheitsgebiet fremder Staaten – ohne deren Zustimmung bzw. ohne ausdrückliche völkerrechtliche Ermächtigung (Rz. 372a) – nicht tätig werden dürfen,229 d.h. sie dürfen keine Hoheitsakte (Rechtsprechungsakte) setzen.230 Verboten ist z.B. die Vernehmung von Zeugen, die Einnahme von Augenschein und jede sonstige amtliche Tätigkeit231 im Ausland (Rz. 442).232 Reist z.B. ein deutsches Gericht (oder ein von diesem beauftragter Einzelrichter) in die Türkei, um dort – ohne Einschaltung der türkischen 227 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 310, 365; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 336. Zur Kritik Mann, RdC 111 (1964-I) 9, 51; 186 (1984-I) 13, 20. 228 Hierzu z.B. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788 = JZ 2000, 471 (Vassilaki); Sengstschmid in Fasching/Konecny, [österr.] Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 38 JN Rz. 45; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 49; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 78; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 154 ff.; Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89 (95); Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 130; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 77; Kälin/Epiney/Heim, Völkerrecht, 2003, 148; Matscher, Zum Begriff und zu den Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit, in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., vor Art. IX EGJN Rz. 9; SeidlHohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 877 ff. 229 Auch nicht in den Räumen der deutschen Auslandsvertretungen; denn diese sind nicht „extraterritorial“ in dem Sinne, dass sie nicht zum Staatsgebiet des Empfangsstaates gehörten, geschweige denn dem Entsendestaat Deutschland zuzuordnen wären, Rz. 780; Sengstschmid in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 38 JN Rz. 45. 230 Heß, a.a.O., 367 Fn. 320; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 6; Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlichrechtlicher Ansprüche im Inland, 1994, 135; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 106 Rz. 151. Umfassende Nachw. zur Staatenpraxis bei H. E. Folz, Die unmittelbaren Rechte der Staaten, in FS Verdross, 1980, 403, 417; Geck, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, in Wörterbuch des Völkerrechts2, 795; Mann, The doctrine of Jurisdiction after 20 years, in Further Studies in International Law, 1990, 34; Müller/Wildhaber, Praxis des Völkerrechts3, 415; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987, 169. 231 Bestritten ist, ob die Gerichte der EU für Beweisaufnahmen außerhalb ihres Sitzstaates der Einwilligung des betroffenen Mitgliedstaates bedürfen, Rz. 2543. Dafür Knöfel, Judizielle Loyalität in der EU, EuR 2011, 618. 630. Dagegen E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 8. 232 Kälin/Epiney/Heim, Völkerrecht, 2003, 148; Roloff, a.a.O., 136; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht10, Rz. 1506; E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 111; S. Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 37; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 33; Schomburg/Hackner in Schom-
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Grundlegung
Behörden – in seiner Eigenschaft als Richter Augenschein zu nehmen, so liegt darin eine Verletzung der territorialen Souveränität der Türkei. Daran würde sich nichts ändern, wenn der Richter als „Privatmann“ den betreffenden Gegenstand besichtigte. Dies wäre – wenn es in „Umgehungsabsicht“ geschähe – gleichwohl ein Völkerrechtsdelikt. Fraglich ist allerdings, ob das Völkerrecht (davon zu unterscheiden ist die Frage der Zulässigkeit nach deutschem Verfahrensrecht) es verbietet, dass der Richter seine als Tourist zufällig gemachten Wahrnehmungen später in amtlicher Eigenschaft verwertet (Rz. 444). Beispiel: Der Richter wird aus purem Zufall Zeuge eines Autounfalls (zwischen zwei Deutschen) in Istanbul.
121 Dass (deutsche) Gerichte im Ausland ohne die erforderliche Zustimmung (Rz. 442) Gerichtssitzungen abhalten oder dass (deutsche) Gerichtsvollzieher „Streifzüge“ in das benachbarte Ausland unternehmen, um dort (bewegliche) Sachen zu pfänden und in Besitz zu nehmen (§§ 808, 809 ZPO), ist – nach Abschaffung der Konsulargerichtsbarkeit233 – unwahrscheinlich.234 Von aktuellem Interesse ist jedoch die Frage, inwieweit deutsche Gerichte sich unmittelbar an Parteien, Zeugen, Sachverständige oder sonstige Beteiligte im Ausland – ohne Einschaltung ausländischer Rechtshilfe – wenden dürfen (hierzu Rz. 425 ff.). So wird z.B. die Auffassung vertreten, die an einen im Ausland befindlichen Zeugen gerichtete Ladung zu einem Gerichtstermin im Inland oder die an diesen Zeugen gerichtete Aufforderung, dem Gericht bestimmte Urkunden vorzulegen, sei völkerrechtswidrig. Das Einverständnis des Zeugen zu diesem Verfahren sei unerheblich, weil er über die staatliche Gerichtshoheit nicht verfügen könne.235 (Hierzu Rz. 437). 122 Dabei ist zu beachten, dass aufgrund der fortschreitenden internationalen Verflochtenheit der privatrechtlichen Beziehungen (verursacht vor allem durch die internationale Mobilität) viele Verfahren ohne Beteiligung von Personen, die sich im Ausland aufhalten, sinnvoll nicht abgewickelt werden können. Dem kann man nicht entgegenhalten, das jeweilige Gericht möge sich der Rechtshilfe in dem betroffenen Staat bedienen. Dieses Verfahren ist zu schwerfällig und in vielen Fällen auch erfolglos. 123 Es ist folgendermaßen zu differenzieren:236 Eine bloße Mitteilung an Personen, die sich im Ausland aufhalten (Parteien, Zeugen, Gutachter, Sachverständige
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burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, Rz. 12 vor § 68 IRG. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 327. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 25; vgl. aber auch Nachw. bei Siegrist, a.a.O., 153 (ein Richter des LG Bonn vernimmt Zeugen in Wien ohne Wissen der österr. Justiz). Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht6, § 61 II 2c. Enger die h.M., m.w.N. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 94 ff.; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 129 ff.; Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, 2004, 61 ff.
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Erster Teil
etc.), ist völkerrechtlich unbedenklich (Rz. 424 ff.).237 Dies gilt nicht nur für eigene Staatsangehörige (hier dürfte es wohl unbestritten sein, dass der Heimatstaat seine eigenen Staatsbürger von dem im Inland laufenden Verfahren unterrichten darf), sondern auch für Ausländer und Staatenlose. Etwas anderes gilt möglicherweise dann, wenn die im Ausland sich aufhaltende Person nicht nur von dem im Inland laufenden Verfahren informiert wird und sie auf mögliche (nach der inländischen Rechtsordnung eintretende) Rechtsnachteile hingewiesen wird, sondern wenn ihr ein Verhalten im Ausland (Heimatstaat, Aufenthaltsstaat) befohlen wird. Dies ist gegenüber eigenen Staatsangehörigen zulässig,238 nicht jedoch gegenüber Ausländern.239 So ist es völkerrechtskonform, wenn ein deutsches Gericht einen deutschen 124 Staatsbürger auffordert, vor einem deutschen Gericht als Partei oder Zeuge zu erscheinen. Denn die Personalhoheit (Rz. 128b, 427, 2388) erstreckt sich auch auf die im Ausland sich aufhaltenden eigenen Staatsbürger.240 Die Frage, in welchem Umfang die Staaten die Zustellung bzw. Mitteilung von 124a Schriftstücken im Zusammenhang mit einem im Ausland anhängigen Rechtsstreit/Verfahren dulden müssen (passive Rechtshilfe), ist lebhaft umstritten (Rz. 414, 2169). Man arbeitet daher mit der Fiktion einer Inlandszustellung, wenn Zustellungen nicht im Ausland möglich sind (§ 184 ZPO bzw. remise au parquet, Rz. 2082, 2087). Damit wird oft die Gewährung rechtlichen Gehörs unmöglich gemacht und das kontradiktorische Prinzip ad absurdum geführt. Die strikte Handhabung der Souveränität behindert den internationalen Rechts- 124b verkehr ganz erheblich. Beweisaufnahmen, die für den Prozessausgang von eminenter Bedeutung sein können, unterbleiben oder finden nur mit erheblicher Verzögerung statt (Rz. 2351). Der Rechtsstreit wird daher oft nicht aufgrund des wahren Sachverhalts entschieden, sondern anhand eines fingierten.
237 S. auch österr. OGH v. 20.4.1961, EvBl. 1961/448; LS auch abgedruckt bei Neuhold/ Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 93 S. 167. 238 Allgemein zur Befugnis der Staaten, ihren eigenen Staatsbürgern Weisungen für das Verhalten im Ausland zu geben, Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/ Schreuer, a.a.O., Bd. I, Rz. 750. 239 Ohne nach der Staatsangehörigkeit des Adressaten zu differenzieren, hält das Kammergericht die Androhung eines Haftbefehls gegen einen im Ausland befindlichen Angeklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung in einer Ladung, die ins Ausland zugestellt wird, für völkerrechtswidrig, wenn diese nicht mit dem Hinweis verbunden ist, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahme ausschließlich in Deutschland erfolge. Fehle es an einem solchen Hinweis, sei die Ladung unwirksam, KG v. 10.11.2010 – 3 Ws 459/10, 3 Ws 459/10 – 1 AR 1247/10, Rz. 2, mitgeteilt von Hartwig, Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 2010, ZaöRV 2013, 735, 738 bei Fn. 7. 240 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 87; Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 104 Fn. 117; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996, 33. S. auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 62.
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Erster Teil
Grundlegung
2. Immunitätsrecht 125 Ein fester Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts seit Jahrhunderten ist die Befreiung bestimmter Amtsträger von der Gerichtsbarkeit fremder Staaten. Die Grundsätze sind – was die Staatenimmunität sowie die Immunität der Botschafter, Gesandten und Konsuln anbetrifft – inzwischen kodifiziert. (Näher Rz. 471 ff.). 3. Fehlen einer internationalen Zuständigkeitsordnung 126 Dagegen fehlt eine völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung. Man streitet darüber, ob Minimalkontakte erforderlich sind, um von Völkerrechts wegen eine internationale Zuständigkeit eröffnen zu können (Rz. 373 ff.).241 127 Nach h.M., die jedoch durch die Staatenpraxis nicht ausreichend gestützt wird und deshalb z.B. von Matscher in Abrede gestellt wird,242 verbietet das Völkerrecht, dass ein Staat für alle Rechtsstreitigkeiten auf dieser Welt internationale Zuständigkeit beansprucht. Ein Minimalbezug zum Inland ist Voraussetzung hierfür.243 127a Dezidiert geht der theoretische Streit darum, ob die Gerichtsbarkeit der Staaten grundsätzlich unbeschränkt ist244 oder ob ein „positiver Titel“ erforderlich ist, d.h. dass ein Staat Jurisdiktion bezüglich einer Person oder Sache nur ausüben darf, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass zumindest ein „anerkanntes Anknüp-
241 Nachw. auch bei Escher/Reichert, SchiedsVZ 2007, 71 (73). 242 Matscher, Zum Begriff und zu den Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit, in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., vor Art. IX EGJN Rz. 5 ff. (beschränkt nur durch den int. Menschenrechtsschutz). S. auch Matscher in FS Schwind, 1978, 186; Matscher in FS Verosta, 1980, 221; Matscher, JBl. 1996, 277. 243 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 221 ff.; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 314 ff.; Gottwald in FS Habscheid, 1989, 130; s. auch Restatement (Third) of the Foreign Relations Law (1987) § 421 (1). A.A. (gegen jegliche völkerrechtliche Begrenzung) Kralik, ZZP 74 (1961), 2 (12); Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I. 1982, Kap. III Rz. 336; Rechberger in FS Nagel, 1986, 312; Schack, IZVR6, Rz. 215; Schack, JZ 1992, 54 f. (55). Zum Meinungsstand s. auch Bajons in FS Kralik, 1986, 11; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 324; Shaw, International Law6, 645, 651. R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 67, 104; R. Geimer, ZZP 85 (1972), 201; R. Geimer, ZfRV 1992, 333; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 370; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 766; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 126 ff.; Seber, ZfRV 24 (1983) 271 Fn. 5; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 161; Schütze, DIZPR2, Rz. 103; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1186; Mann, RdC 111 (1964 I) 1; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 63; Schack in FS Nakamura, 1996, 506; Kleinstück, Due Process-Beschränkungen des Vermögensgerichtsstandes durch hinreichenden Inlandsbezug und Minimum Contacts, 1994, 130 ff.; Rau, RIW 2000, 761 (772). 244 Nachw. bei Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 80 Fn. 49 und 50; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 6.
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fungsmerkmal“ gegeben ist.245 Das Bundesverfassungsgericht246 verlangt ein „Mindestmaß an Einsichtigkeit“. Die vom Völkerrecht aufgestellten Grenzen sind nach Auffassung vieler Inter- 128 nationalverfahrensrechtler von nur theoretischer Bedeutung. „Sie verlaufen irgendwo im Nebel praktischer Unbrauchbarkeit.“247 Zum Beispiel reicht die Anrufung eines deutschen Gerichts und das damit zum Ausdruck gebrachte Vertrauen in die deutsche Rechtspflege völkerrechtlich aus, um einen Minimalkontakt zum Inland zu bejahen.248 Allenfalls verboten ist die Inanspruchnahme internationaler Zuständigkeit in Ehesachen, „die auf ein Taschentuch des Beklagten im Inland“ begründet würde249 oder die Eröffnung der internationalen Insolvenzzuständigkeit aufgrund früherer physischer Präsenz des Gemeinschuldners im Eröffnungsstaat oder der Staatsangehörigkeit eines Gläubigers.250 Völkerrechtlich unbedenklich ist die kompetenzrechtliche Einbeziehung Dritter (für die eine „normale“ Zuständigkeitsanknüpfung fehlt) in den Prozess aus Gründen des Sachzusammenhangs. Dies gilt insbes. für die internationale Streit-
245 Nachw. bei Georgieff, Kollisionen durch extraterritoriale staatliche Regelungen im internationalen Wirtschaftsrecht, 1989, 24; Kramp, Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht, 1993, 28; Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988, 347 Fn. 357; Nordmann, a.a.O., 80 Fn. 51; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 237 ff.; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 219; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 1995, 151. 246 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137 (153) = MDR 1988, 199; BVerfG v. 15.5.1995 – 2 BvL 19/91, BVerfGE 92, 277 (320) = MDR 1995, 1047; BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = JZ 2001, 975 (Kadelbach). 247 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 766. Hierzu Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 325: „Die oft zitierte Behauptung Schröders … ist nach den hier gefundenen Ergebnissen richtig und falsch zugleich. Falsch ist sie, weil bei Anwendung des allgemeinen völkerrechtlichen Genuine Link Erfordernisses schon einige Gerichtsstände oder zumindest deren Anwendung im Einzelfall den Anforderungen nicht genügen und damit potentiell völkerrechtswidrig sind. Richtig ist die Aussage, weil die Völkerrechtswidrigkeit von den betroffenen Staaten nicht geltend gemacht wird. Die Duldung verhindert die Völkerrechtswidrigkeit.“ 248 Schack, IZVR6, Rz. 215; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 370; Nachw. auch bei Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 304 und Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 41. A.A. Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 171 Fn. 21 und 219 f. bei Fn. 239: Das Völkerrecht verbiete, dass deutsche Gerichte Klagen ausländischer Staatsangehöriger, die sich weder in Deutschland aufhalten noch Vermögen im Inland besitzen, annehmen. Schlosser, ZZP 79 (1966), 176 bejaht eine Völkerrechtsverletzung, „wenn es überhaupt an einem vernünftigen Anknüpfungspunkt für die nationalen Gerichte fehlt“. 249 So zutreffend Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 766 Fn. 3451. Weitergehend Wengler, Völkerrecht II, 1964, 947 und RGRK-IPR § 3b, § 14a. Vgl. auch Bosch, IPRax 1984, 132 Fn. 46; Rathke, RIW 1984, 273; Karen Ilka Mössle, a.a.O., 42. 250 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, 21.
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Erster Teil
Grundlegung
genossenzuständigkeit (Rz. 188a, 1160, 1292, 1578) und die Garantieklage (Rz. 1199, 2820).251 128a Die Befürworter (engerer) völkerrechtlicher Schranken für die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit haben die „Staatenpraxis“ gegen sich. Eine Liste der verpönten exorbitanten Zuständigkeiten findet sich z.B. in den Listen (Art. 76) zu Art. 5 II EuGVVO n.F. bzw. zu Art. 20 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 682).252 Gegen keinen dieser Gerichtsstände wurde jemals protestiert. Ihre Wirkung wurde sogar durch Art. 6 II, Art. 36 ff. EuGVVO n.F. bzw. Art. 4 II, Art. 32 ff. LugÜ 2007 verstärkt.253 128b Auch wird oft nicht deutlich genug herausgestellt, dass – wenn überhaupt – die Frage völkerrechtlicher Grenzen zulässiger Jurisdiktion nur bei reinen Ausländerprozessen auftauchen kann. Die Personalhoheit des Gerichtsstaats gestattet es nämlich nicht nur, alle Prozesse gegen einen eigenen Staatsangehörigen zur Sachentscheidung anzunehmen, sondern auch solche, in denen dieser Kläger ist (aktives und passives Personalitätsprinzip, Rz. 169).254 128c Die Gerichtszuständigkeit (= Befugnis, ein Verfahren zu eröffnen und zu führen) ist von der „Beweiszuständigkeit“ begrifflich klar zu trennen (Rz. 1206, 2382). 4. Fremdenrechtlicher Mindeststandard a) Justizgewährung 129 Das Völkergewohnheitsrecht gewährleistet einen fremdenrechtlichen Mindeststandard, insbes. was den Zugang zu den Gerichten und die Durchführung des Verfahrens zum Zwecke einer Entscheidung in der Sache (meritorischen Entscheidung) betrifft. Deni de justice ist verboten (Rz. 384, 1909). Das Völkergewohnheitsrecht gebietet jedoch nicht, Ausländer den Inländern hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten gleichzustellen.255 Es schreibt nur ein Mindestmaß an Justizgewährung vor, welches die Staaten Fremden zubilligen müssen. Das Maß, in dem das Völkerrecht Gerichtsschutz für Fremde fordert, muss dem Standard der zivilisierten Staaten in Zivil- und Handelssachen entsprechen.256 (Vgl. Rz. 385). 130 Im Übrigen sind die nationalen Gesetzgeber frei, zwischen In- und Ausländern zu differenzieren, soweit nicht Handels-, Freundschafts- und Niederlassungsver251 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 241. 252 Ebenso Art. 18 des Entwurfs zu einer Haager Konvention über die gerichtliche Zuständigkeit und die Wirkungen von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. S. auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 274 ff. 253 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 310, 1036. Gleichwohl stellt Bertele, a.a.O., 224 ff. die Völkerrechtskonformität z.B. des § 23 ZPO in Frage. 254 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1373; Bertele, a.a.O., 235. S. auch Wilhelmi, a.a.O., 9, 65 ff. 255 Gottwald in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts – die internationale Dimension, 1991, 13; R. Geimer, RabelsZ 60 (1996), 368. 256 Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 262.
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träge Inländergleichbehandlung vorschreiben; verboten sind nur unsachliche und willkürliche Differenzierungen, die mit dem Fremdenstatus nicht ausreichend begründet werden können (Rz. 1915).257 So war z.B. die (inzwischen überholte) Praxis der französischen Gerichte, aus Art. 14, 15 Code civil ein generelles Verbot von reinen Ausländerprozessen abzuleiten, völkerrechtswidrig (Rz. 1907, 1953). Zulässig ist auch die unterschiedliche Behandlung von Ausländern oberhalb des fremdenrechtlichen Mindeststandards (Rz. 1915). Das forum rei sitae ist völkerrechtlich nicht geboten (Rz. 394). Der Belegenheits- 130a staat ist daher völkerrechtlich nicht verpflichtet, Rechtsschutz zu gewähren. b) Recht auf angemessene Verteidigung Macht ein Gericht von einer völkerrechtlich zugelassenen Zuständigkeit (Rz. 128) 131 zur Durchführung des Zivilprozesses Gebrauch, so gebietet das Völkerrecht, den Beklagten von der Klage (oder der Absicht des Gerichts, von Amts wegen ein Verfahren einzuleiten) zu benachrichtigen. Wenn der Beklagte eine Vertrauensperson oder eine geschäftliche Niederlassung im Prozessstaat hat, muss der Versuch einer (u.U. nur symbolischen) Zustellung der Klage gemacht werden. Ist der Beklagte im Forumstaat persönlich nicht anwesend und hat er dort auch keine Wohnung oder geschäftliche Niederlassung oder einen zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigten Vertreter, so ist nach Völkerrecht auch eine öffentliche Zustellung258 der Klage im Gerichtsstaat genügend, und zwar auch dann, wenn eine persönliche Benachrichtigung des Beklagten, etwa durch Vermittlung von Behörden seines Aufenthalts- oder Wohnsitzstaates oder durch eine bloße Mitteilung über die Post durchführbar wäre. Doch muss neben der öffentlichen Zustellung eine Mitteilung durch die Post, wenn sie möglich ist, versucht werden.259 c) Mediatisierung des Menschen im klassischen Völkerrecht Nach klassischem Völkerrecht ist der einzelne Mensch nicht Völkerrechtssub- 132 jekt.260 Er hat – auf völkerrechtlicher Ebene – keine Rechte.261 Vielmehr hat der 257 Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, 101; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 144. 258 Grundlegend BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827 sowie BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, FamRZ 2003, 672 = NJW 2003, 1326. 259 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3b. Vgl. auch Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 191; s. auch unten Rz. 252, 418, 2087. 260 Nachw. z.B. bei Randelzhofer, The Legal Position of the Individual under Present International Law, in Randelzhofer/Tomuschat, State Responsibility and the Individual, 1999, 231; Zemanek/Hafner/Wittich in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 2797 ff.; von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 49, 65, 583. 261 Zur Erosion dieses rigiden Standpunkts in Richtung partielle Völkerrechtsfähigkeit des Menschen Marauhn, Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, Entwicklungen und Perspektiven, 2003; Schwarzmann, Private im Wirtschaftsvölkerrecht,
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Erster Teil
Grundlegung
Heimatstaat Anspruch, dass seine Staatsangehörigen völkerrechtsgemäß behandelt werden.262 133 Verletzt der Aufenthaltsstaat den fremdenrechtlichen Mindeststandard, dann ist aus dieser Sicht der Heimatstaat betroffen. Dieser hat Anspruch auf Schadensersatz, da unterstellt wird, dass die Beeinträchtigung bzw. der Schaden diesem zugefügt worden ist.263 Der einzelne Mensch wird also nicht als Objekt völkerrechtlichen Unrechts anerkannt. Zwar beziehen sich viele völkerrechtliche Unrechtstatbestände auf Schädigungen oder Beeinträchtigungen, die einem Menschen zugefügt werden, jedoch wird fingiert, dass dessen Heimatstaat (bzw. die internationale Organisation, in deren Dienst er handelte) geschädigt wurde. 134 Daher steht dem tatsächlich geschädigten Menschen auf der Ebene des Völkerrechts i.d.R. nicht das Recht zu, Schritte zur Ahndung oder Beseitigung der Folgen eines völkerrechtlichen Unrechts zu unternehmen, durch das er unmittelbar geschädigt worden ist.264 Da bei völkerrechtswidriger Behandlung eines Menschen nicht dieser, sondern sein Heimatstaat in der Person eines seiner Angehörigen als verletzt gilt,265 entscheidet dieser Staat (nicht die verletzte Person) über die Gewährung diplomatischen Schutzes sowie gegebenenfalls über die Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen.266 Die Fiktion, dass der Heimatstaat in der Gestalt seines Staatsangehörigen geschädigt ist, hat zur Folge, dass ein Staat keine völkerrechtlichen Ansprüche zugunsten einer Person geltend machen kann, die im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses noch nicht sein Staatsangehöriger war.267 Umstritten ist jedoch, ob ein Staat Entschädigungsansprüche zugunsten einer Person nicht mehr geltend machen kann, die zwar im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses sein Staatsange-
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2005, 148 ff.; Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, JZ 2005, 905. S. auch BVerfG v. 28.6.2004 – 2 BvR 1379/01, NJW 2004, 3257 (3258): Das Grundprinzip des diplomatischen Schutzes schließt nicht aus, dass das nationale Recht des verletzenden Staates dem Verletzten einen individuellen Anspruch gewährt, der neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt. Hierfür besteht jedoch keine Vermutung. R. Geimer, ZfRV 1992, 339; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 340; Schack, BerDGVR 32 (1992), 317. Umfangreiche Nachw. z.B. auch bei Stammler, Der Anspruch von Kriegsopfern auf Schadensersatz. Eine Darstellung der völkerrechtlichen Grundlagen sowie der Praxis internationaler Organisationen und verschiedener Staaten zur Anerkennung individueller Wiedergutmachungsansprüche bei Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht, 2009, 39 ff.; von Woedtke, Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen, 2010. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1639. AG Bonn v. 29.9.1987 – 9 C 362/86, NJW 1988, 1393 = IPRax 1988, 351 (Gündling 338) = ROW 1988, 305 = IPRspr. 1987 Nr. 26 (Tschernobyl-Fall). BVerfG v. 13.5.1996 – 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315; Tomuschat, IPRax 1999, 237 (238). Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 47, 1226 ff., 1300. Verdross/Simma, a.a.O., § 1302.
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höriger war, die aber zwischen diesem Zeitpunkt und der Zuerkennung der Entschädigungssumme dessen Staatsangehörigkeit verloren hat.268 d) Diplomatischer Schutz Die geschädigte Person kann einen Schadensersatzanspruch für völkerrechts- 135 widriges Verhalten im zwischenstaatlichen Verkehr mithin nur mittelbar geltend machen, nämlich dann, wenn ihr Heimatstaat269 diesen Schadensersatzanspruch aufgrund seiner Personalhoheit zu dem seinigen macht. Eine förmliche Abtretung (espousal of claim)270 an ihn ist nicht erforderlich, wird aber nicht selten durchgeführt.271 Es handelt sich um eine „völkerrechtliche Prozessstandschaft.“272 Doppelstaater können nicht gegen den Staat ihrer zweiten (bzw. weiteren) Staatsangehörigkeit geschützt werden.273 Staatenlose bleiben überhaupt ohne diplomatischen Schutz.274 Der Heimatstaat des Geschädigten kann den Antrag, Schritte zur Wiedergutma- 136 chung des völkerrechtlichen Unrechts zu unternehmen, mit der Begründung ablehnen, dass außenpolitische Interessen das nicht opportun erscheinen lassen. Sein Handlungsermessen ist im Falle Deutschlands zwar grundsätzlich nach Art. 19 IV GG gerichtlich überprüfbar. Die Gerichte lassen aber zu Recht der Bundesregierung bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum (Rz. 144).275 Der Heimatstaat kann auch später jederzeit ohne Zustim268 Seidl-Hohenveldern/Stein, a.a.O., Rz. 1705; Dahm, Völkerrecht III, 1961, 255. 269 Zur nationality rule Kokott in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 45. 270 Hierzu z.B. Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 139; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 708. 271 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 342 Fn. 163. 272 Heß, a.a.O., S. 346 Fn. 195; Ipsen, Völkerrecht6, § 5 Rz. 131; BGH, ArchVR 11 (1963/64), 331. A.A. Doehring in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völkerund Europarecht, 1996, 13: „Prozessstandschaft setze voraus, dass ein Anspruch des Verletzten bestehe; einen solchen Anspruch auf der Ebene des Völkerrechts könne aber nur ein Völkerrechtssubjekt innehaben und das sei der Einzelmensch eben nicht, jedenfalls nicht im Hinblick auf alle möglichen Missachtungen des völkerrechtlichen Fremdenrechts.“ Er bejaht allerdings für den einzelnen Menschen als partielles Völkerrechtssubjekt einen eigenen im Völkergewohnheitsrecht wurzelnden Anspruch auf Unterlassung bzw. Wiedergutmachung, wenn es um ein absolutes völkerrechtliches Menschenrecht geht. 273 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 158, 169. Zum diplomatischen Schutz bei mehrfacher Staatsangehörigkeit Hailbronner in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 27. 274 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1299. Zum diplomatischen Schutz für Gesellschaften/juristische Personen und deren Anteilseigner Seidl-Hohenveldern in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 115; Wildhaber, BerDGVR 18 (1978), 43. 275 R. Geimer, ZfRV 1992, 414; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 362. Zum Anspruch auf diplomatischen Schutz Doehring, Die Pflicht des Staates auf Gewährung diplomatischen Schutzes, 1959; Klein in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 125. S. auch die Nachw. bei Yousif, Die
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Grundlegung
mung des Geschädigten einen Vergleich schließen, der vom Geschädigten als unbefriedigend betrachtet wird. Innerstaatlich wird hierfür meist nicht einmal ein Aufopferungsanspruch zuerkannt.276 137 Da der Wiedergutmachungsanspruch als eigener Anspruch des Heimatstaates betrachtet wird,277 könnte dieser theoretisch eine Entschädigungssumme, die er zur Wiedergutmachung eines Unrechts erhalten hat, das einem seiner Staatsangehörigen zugefügt worden ist, für andere Zwecke als für die Entschädigung dieses Staatsangehörigen verwenden.278 Doch weist Seidl-Hohenveldern279 überzeugend darauf hin, dass bereits von Völkerrechts wegen – also nicht nur aus innerstaatlicher Perspektive – hiergegen Bedenken bestehen; denn der die Entschädigung zahlende Staat will mit dieser Entschädigungssumme die Wiedergutmachung des effektiven Schadens, der bei dem Privaten entstanden ist, bewirken. 138 Weil Privatpersonen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für völkerrechtliches Unrecht vor unüberwindliche Hindernisse gestellt sind, nimmt die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) für sich das Recht in Anspruch, für ihre Beamten, die in Ausübung ihres Dienstes Schaden erlitten haben, Entschädigungsansprüche gegen den Schuld tragenden Staat stellen zu können.280 e) Unionsbürger der Europäischen Union 138a Nach Art. 23 AEUV genießt jeder Unionsbürger im Hoheitsgebiet eines dritten Landes, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht vertreten ist, den diplomatischen und konsularischen Schutz eines jeden Mitgliedstaates unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates.281 f) Parallelität zum Gerichtsschutz nach innerstaatlichem Recht 139 Wenn auch die durch völkerrechtswidriges Verhalten eines fremden Staates geschädigte Privatperson (Mensch oder juristische Person des Privatrechts) mangels Völkerrechtssubjektivität keinen unmittelbaren völkerrechtlichen Anspruch
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extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, 2007. Seidl-Hohenveldern/Stein, a.a.O., Rz. 1697. Die Frage ist jedoch, ob dies auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes gilt, Rz. 142. Nachw. bei Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis der Staaten über Rechtsansprüche von Privatpersonen, 2006. BVerfG v. 13.5.1996 – 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315; Tomuschat, IPRax 1999, 237 (238). Nachw. bei Heß, a.a.O., 342 Fn. 164. Seidl-Hohenveldern/Stein, a.a.O., Rz. 1698. Gutachten des IGH v. 11.4.1949 (Bernadotte-Fall) Seidl-Hohenveldern/Stein, a.a.O., Rz. 1699. Hierzu z.B. Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV5, Art. 23 AEUV Rz. 2; Stein in Ress/ Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 96.
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Erster Teil
gegen den Schädigerstaat und auch gegen den eigenen Staat keinen Anspruch auf (effektiven) diplomatischen Schutz hat (Rz. 135, 574), so bleibt es ihr gleichwohl unbenommen, – entweder den innerstaatlichen Rechtsweg im Schädigerstaat zu beschreiten – oder im eigenen Heimat- bzw. Aufenthaltsstaat oder in einem dritten Staat (der sich für international zuständig hält) den fremden Staat gerichtlich zu belangen. Dies ist grundsätzlich möglich, soweit es sich um acta iure gestionis handelt (Rz. 575, 578).282 Zur völkerrechtlichen Ebene bestehen folgende Zusammenhänge:283 Der völkerrechtliche Schadensersatzanspruch setzt grundsätzlich voraus, dass 140 der innerstaatliche Rechtsweg im Schädigerstaat (= Staat, der völkerrechtlich zur Verantwortung gezogen werden soll) erfolglos ausgeschöpft worden ist (local remedy rule).284 Dabei ist bestritten, ob es sich nur um eine Verfahrensvoraussetzung handelt oder ein materiell-rechtliches Element des völkerrechtlichen Schadensersatzanspruchs (Rz. 199). Jeder Staat kann nicht nur auf eigene, sondern kraft seiner Personalhoheit auch 141 auf Rechte seiner Angehörigen gegenüber anderen Staaten und sonstigen Völkerrechtssubjekten verzichten.285 Er kann sich daher auch vergleichen. So kann der Heimatstaat des Geschädigten sich mit dem Schädigerstaat auf völkerrechtlicher Ebene verständigen (Rz. 136). Dann ist der Schädigerstaat auch innerstaatlich weder im Schädigerstaat noch im Heimatstaat des Geschädigten nach Erfüllung des Vergleichs regresspflichtig.286 Es ist vielmehr Sache des Heimatstaates, den Geschädigten zufrieden zu stellen. Insofern kann die Verständigung auf völkerrechtlicher Ebene den innerstaatlichen Rechtsschutz überrunden.287 Solange jedoch auf völkerrechtlicher Ebene keine Regelung gefunden worden ist, steht der Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche auf der Basis des (mitunter schwer feststellbaren ausländischen) Zivilrechts nichts entgegen.288
282 Zu eng Hoffmann, NJW 1988, 589 sub II 3a. 283 Vgl. auch Gündling, IPRax 1988, 339; Rest, NJW 1989, 2154; R. Geimer, ZfRV 1992, 338; Schack, BerDGVR 32 (1992), 317. 284 Nachw. z.B. bei Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (204). 285 R. Geimer, ZfRV 1992, 339; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 380 Fn. 1209. Zu Globalentschädigungsabkommen (lump-sum-agreements) s. Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 82 ff. 286 BGH, ArchVR 11 (1963/64), 331 (335); Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 354. 287 R. Geimer, ZfRV 1992, 339; Ress in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völkerund Europarecht, 1996, 83, 85 stellt allerdings die Frage, ob der völkervertragliche Ausschluss von Rechtsschutz menschenrechtliche „Mindestansprüche“ verletzt. 288 BGH v. 22.10.1996 – XI ZR 261/95, MDR 1997, 193 = NJW 1997, 324 = RIW 1997, 152 = IPRax 1997, 257 (R. Geimer 236) = LM § 23 ZPO Nr. 10 = IStR 1997, 127 (Goette) = IPRspr. 1996 Nr. 158. Unrichtig OLG Frankfurt v. 27.9.1995 – 17 U 165/94, NJW-RR 1996, 186 = RIW 1996, 1041 = IPRax 1997, 255 (R. Geimer 236) = IPRspr. 1995 Nr. 153.
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Grundlegung
142 Der Verzicht Deutschlands auf private Ansprüche kann innerstaatlich einen „Aufopferungsanspruch“ des Betroffenen auslösen.289 g) Änderung des Kreises der Normadressaten durch Art. 25 GG 143 Art. 25 GG gibt innerstaatlich den „Bewohnern des Bundesgebiets“, d.h. auch den Ausländern mit Wohnsitz bzw. gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland,290 ein subjektives Recht auf Einhaltung der Normen des völkerrechtlichen Fremdenrechts.291 h) Kein konsistenter innerstaatlicher Anspruch Deutscher auf diplomatischen Schutz 144 Ob die Bundesregierung tätig wird, steht in „ihrem Ermessen, das nur bei extremem Fehlgebrauch gerichtlich zu überprüfen ist“ (Rz. 136).292 i) Klagerecht vor internationalen Gerichten oder Schlichtungsinstanzen 145 Einzelne völkerrechtliche Verträge überwinden die Mediatisierung des Einzelnen im Völkerrecht, indem sie ihm auf völkerrechtlicher Ebene293 ein Klagerecht vor internationalen Gerichten oder Schlichtungsinstanzen einräumen.294 (S. auch Rz. 521 und Rz. 3715).
289 Heß, a.a.O., 157, 361. Einen solchen Anspruch hat der BGH im belgischen Truppenübungsplatz-Fall bejaht, BGH v. 30.5.1983 – III ZR 195/81, BGHZ 87, 321 = MDR 1983, 914; m.w.N. bei Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis der Staaten über Rechtsansprüche von Privatpersonen, 2006. 290 Hofmann, NJW 1988, 589. 291 BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462. S. auch z.B. von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 511. 292 BVerfG v. 16.12.1980 – 2 BvR 419/80, BVerfGE 55, 349 (364, 367) = NJW 1981, 1499; BVerwG v. 24.1.1989 – 7 B 102/88, NJW 1989, 2208; OVG Münster v. 21.12.1988 – 17 A 2618/85, NJW 1989, 2209 (2211); Oberthür, Der Anspruch des deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen und konsularischen Schutz, 1965; Klein in Ress/ Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 63. 293 Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 120; Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 169 ff. 294 Geck, EPIL 10 (1987), 110. Beispiele: Art. 25 des Weltbankübereinkommens v. 18.3.1965, BGBl. II 1969, 371 (betreffend Investitionsstreitigkeiten zwischen Staat und Investor, hierzu Oschmann, a.a.O., 324 ff.; Schlosser, Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit2, Rz. 94, 99; Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsgerichtsverfahrens2, Rz. 623) und die Deklaration von Algier, nach der vor dem Iran – United States Claims Tribunal in Den Haag private Gläubiger Forderungen über 250 000 US-Dollar einklagen dürfen (geringere Ansprüche werden vom Heimatstaat geltend gemacht), 20 I.L.M. 230 (1981); Heß, a.a.O., 346; Oschmann, a.a.O., 340 ff. Allerdings wird dadurch meist der Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten ausgeschlossen, Heß, a.a.O., 358. S. auch die Nachw. bei MacLaren, Rechte, Rechtsmittel und Rechtfertigungen im Völkerrecht, 2009.
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5. Menschenrechte a) Überblick Auch im modernen Völkerrecht295 gilt nach wie vor der bereits oben in Rz. 132 146 erörterte Grundsatz der Mediatisierung des Menschen. Doch wurde in vielen Teilbereichen der Einzelmensch zum Träger von völkerrechtlichen Rechten gemacht, die auch gegenüber dem eigenen Staat reklamiert und – dies ist für die Effektivität wichtig – durch Anrufung supranationaler Instanzen durchgesetzt werden können.296 Das wirkungsvollste Menschenrechtsschutzsystem kennt die Europäische Kon- 147 vention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950.297 Alle Menschen und nichtstaatliche Organisationen sowie Personenvereinigungen haben das Recht, wegen der Verletzung eines in der Konvention samt Zusatzprotokollen anerkannten Rechts durch einen Vertragsstaat beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde einzulegen, sofern der belangte Staat die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Individualbeschwerden anerkannt hat.298 Das Gleiche gilt nach den Fakultativprotokollen zu dem Internationalen Pakt 148 über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966.299 Danach können Einzelpersonen Mitteilungen (communications) über behauptete Verletzungen ihrer im Pakt anerkannten Menschenrechte durch die Vertragsstaaten des Fakultativprotokolls an einen Ausschuss für Menschenrechte (human rights committee) richten. Doch kann dieser Ausschuss darüber keine für den belangten Staat völkerrechtlich verbindliche Entscheidung treffen.300 Bei aller Euphorie über den Durchbruch zu völkerrechtlich anerkannten Men- 149 schenrechten darf nicht übersehen werden, dass diese zur Disposition der Staaten stehen; diese können die von ihnen geschlossenen Menschenrechtskonven295 Gegen Menschenrechte nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht aber Gusy, ZfVR 1989, 3; Randelzhofer in Randelzhofer/Tomuschat, State Responsibility and the Individual, 1999, 231, 235. Dafür aber z.B. Dörr, JZ 2005, 905 (907); Stein/v. Buttlar, Völkerrecht12, Rz. 1000. Allgemein zur Entwicklung der Menschenrechte im Völkerrecht Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1341 ff. 296 Z.B. nach dem WTO-Regelwerk; hierzu Schwartmann, Private im Wirtschaftsvölkerrecht, 2005, 148; m.w.N. bei Dörr, Privatisierung“ des Völkerrechts, JZ 2005, 905 (910). 297 BGBl. II 1952, 685, 953. Neufassung in der Bekanntmachung v. 17.5.2002, BGBl. II 2002, 1054. Hierzu ausführlich Matscher, RdC 270 (1997), 237 sowie Villiger, Handbuch der EMRK2, 1999 m.w.N. Zum geographischen bzw. persönlichen Anwendungsbereich der EMRK Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (200); Grabenwarter/ Pabel, EMRK5, § 17. Nachw. zu den anderen Menschenrechtspakten bei Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, JZ 2005, 905. 298 Art. 34 EMRK. 299 BGBl. II 1973, 1533. Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 140. 300 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 426; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 93 Fn. 32; Pappa, Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1996; Weissbrodt, The Right to a Fair Trial under the Universal Declaration of Human Rights and the International Covenant on Civil and Political Rights, 2001.
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tionen aufheben oder ändern. Hinzu kommt, dass die Eigentumsgarantie nicht in den Menschenrechtskatalog des Menschenrechts-Paktes der Vereinten Nationen aufgenommen worden ist.301 b) Effektiver Rechtsschutz 150 Zu den Menschenrechten gehört auch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 6 I EMRK).302 Dieser erzwingt in bestimmten Situationen die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit303 (Rz. 1922). c) Pflicht zur Anerkennung 151 Aus menschenrechtlicher Sicht ergibt sich auch eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Urteile.304 Nach Völkergewohnheitsrecht ist kein Staat verpflichtet, Entscheidungen, die von Gerichten anderer Staaten erlassen wurden, anzuerkennen und in seinem Territorium zu vollstrecken. So handelte ein Staat, der es prinzipiell ablehnen würde, ausländische Urteile anzuerkennen und zu vollstrecken, nicht völkerrechtswidrig (Rz. 165, 2757).305 Auch die comitas gentium (international comity) begründet keine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung. Etwas anderes gilt jedoch aus der Perspektive der Menschenrechte für gerichtliche Entscheidungen, die den Status einer Person betreffen. 152 Bejaht man z.B. ein im allgemeinen Völkerrecht wurzelndes Menschenrecht auf Eheschließung, so kann es nicht der Willkür der Staaten überlassen bleiben, ob sie ein Statusurteil anerkennen. Sie müssen das Scheidungsurteil akzeptieren und die Geschiedenen wieder heiraten lassen, wenn das Urteil dem internationalen Standard für gerichtliche Verfahren entspricht: ausreichender kompetenzrechtlicher Bezug zum Entscheidungsstaat, ordnungsgemäßes Verfahren und kein Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaates. Gleiches gilt für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung.306 6. Völkerrechtliche Anerkennungs- und Vollstreckungsverbote 153 Das Völkergewohnheitsrecht307 verbietet allen Staaten, gerichtliche Entscheidungen anzuerkennen und zu vollstrecken, die unter Verletzung der Regeln über 301 Zum Eigentumsschutz nach der EMRK, Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 25, und nach allgemeinem Völkerrecht Seidl-Hohenveldern in FS Ermacora, 1988, 191 und in Ress/ Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 115. 302 Hierzu z.B. Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 24. Bedeutsam auch Art. 47 II EuGrundrechtecharta. 303 R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 224; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 203 ff. 304 Zurückhaltender z.B. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 5. 305 Großfeld, BerDGVR 18 (1978), 144; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 191. 306 R. Geimer in FS Ferid 80, 1988, 89. 307 Zu den aus Art. 6 I EMRK abgeleiteten Anerkennungsverboten s. unten Rz. 2772; R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 213; R. Geimer, IPRax 2006, 233; Kofmel Ehrenzeller, Der vor-
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die Immunitäten, Exemtionen und sonstige Befreiungen von der Gerichtsbarkeit erlassen worden sind (Rz. 534). Hier stehen Souveränitätsinteressen auf dem Spiel. Die Einhaltung der Regeln über die Abgrenzung der Souveränitätsbereiche der einzelnen Staaten ist nicht nur ein Anliegen des im konkreten Fall betroffenen Staates, sondern der Gemeinschaft aller zivilisierten Staaten.308 Dies gilt jedoch nicht, wenn einzelne Verfahrenshandlungen in dem Verfahren, 154 das zu dem anzuerkennenden ausländischen Urteil geführt hat, (möglicherweise) als Eingriff in die Souveränität eines anderen Staates zu bewerten sind, wie z.B. Zeugenladungen, unmittelbare Zustellung etc. (Rz. 2768). Kontrovers wird im völkerrechtlichen Schrifttum die Frage behandelt, inwieweit 155 Urteilen die Anerkennung zu verweigern ist, wenn der Urteilsinhalt zwingendes Völkerrecht außer Acht lässt bzw. (bewusst) verletzt.309 (Vgl. Rz. 537). Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge begründen im Zweifel keine Ver- 156 pflichtung zur Verweigerung der Anerkennung, sie verpflichten die Vertragspartner nur zur Anerkennung (wenn kein Versagungsgrund vorliegt). Auch wenn ein Versagungsgrund vorliegt, besteht im Zweifel kein Anerkennungsverbot. Jeder Staat hat ein Interesse daran, dass seine Urteile möglichst überall, also auch außerhalb seiner Grenzen anerkannt werden (Rz. 915, 918, 2766). 7. Kein Verbot der Durchsetzung ausländischer öffentlich-rechtlicher Forderungen Nahezu weltweit verbreitet ist derzeit (noch) der sog. „Nichtdurchsetzungs- 156a grundsatz“ hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Forderungen (Rz. 1975). Dieser beruht jedoch nicht auf einem völkerrechtlichen Verbot.310 8. Völkerrechtliche Schranken für Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung Hier geht es nicht um das Verbot, Hoheitsakte auf dem Territorium eines ande- 156b ren Staates vorzunehmen (Rz. 120), sondern darum, inwieweit ein Staat auf seiläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 466 ff. So nun auch EGMR v. 20.7.2001 Pellegrini/Italien, Report of Judgments and Decisions VIII 355, 369. Hierzu Schlosser in FS Heldrich, 2005, 1007, 1010 und Kinsch, The Impact of Human Rights on the Application of Foreign Law and on the Recognition of Foreign Judgments, in Essays in Memory of Nygh, 2004, 197. S. auch D’Alessandro, ZZPInt 15 (2010), 171. 308 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1361. – Aus Art. 6 I EMRK lässt sich keine Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung herleiten, R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 213 (220); Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 75. 309 Für völkerrechtliche Pflicht, völkerrechtswidrige ausländische Staatsakte als nichtig zu behandeln: Mann, NJW 1961, 708; dagegen Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1491 (die jedoch auf innerstaatlicher Ebene den ordre public in Betracht ziehen wollen). 310 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (362): „Auch im Abgabenbeitreibungsrecht lehnen sie (die Staaten) es in der Regel ab, den ausländischen Abgabentitel im eigenen Hoheitsbereich zu vollstrecken – von Völkerrechts wegen verwehrt ist es ihnen freilich nicht.“ Weitere Nachw. bei Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 144.
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nem eigenen Territorium Maßnahmen treffen darf, die sich auf das Territorium bzw. auf die Souveränitätssphäre eines oder mehrerer anderer Staaten auswirken.311 Diese Fragestellung ist – wie für andere Rechtsgebiete (Kartellrecht, gewerblicher Rechtsschutz, Steuerrecht, Strafrecht,312 Enteignungsrecht)313 – auch für das (zivilgerichtliche) Verfahrensrecht einschließlich des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts bedeutsam.314 9. Extraterritoriale Wirkung fremder Hoheitsakte – Pflicht zur Beachtung (Anerkennung)? 157 Kein Staat ist nach allgemeinem Völkerrecht verpflichtet, die Vornahme und Durchführung von Hoheitsakten eines anderen Staates auf seinem Hoheitsgebiet zu dulden, Rz. 120. Erst recht ist er nicht verpflichtet, fremde Hoheitsakte selbst zu vollziehen, solange er sich nicht hierzu vertraglich verpflichtet hat (Rz. 2757).315 Vollstreckt ein Staat im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit einen fremden Hoheitsakt auch ohne vertragliche Grundlage, so handelt er nicht in Erfüllung einer völkerrechtlichen Pflicht, sondern aufgrund zwischenstaatlicher courtoisie (comitas gentium).316 158 Neben der Frage der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Vollstreckung i.e.S. (die klar zu verneinen ist) erhebt sich die Frage, inwieweit die Staaten fremde Hoheitsakte respektieren müssen, also ob die Feststellungs- bzw. Gestaltungswirkung, die der ausländische Akt nach seinem Recht entfaltet, zu beachten ist, wenn sie bei der rechtlichen Beurteilung grenzüberschreitender Sachverhalte im zweiten Staat als Vorfrage erheblich ist. Darauf konzentriert sich die Diskussion über die extraterritoriale Wirkung fremder Hoheitsakte im Völkerrecht. 159 Beispiel A: Darf die im Ausland vorgenommene Ehescheidung oder Regelung der elterlichen Sorge über ein Kind oder eine Volljährigkeitserklärung von deutschen Behörden als nicht existent behandelt werden, wenn nur Ausländer betroffen sind? 311 Zu dieser Unterscheidung sehr klar Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 49; Ipsen, Völkerrecht6, § 5 Rz. 69 ff.; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 12 vor Art. IX EGJN; Adolphsen, Das Territorialprinzip im europäischen Patentrecht, ZZPInt 11 (2006), 137 (139). 312 Nachw. z.B. bei Gärditz, Weltrechtspflege, 2006. 313 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Enteignung von Fremden z.B. Seidl-Hohenveldern/Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1303 ff. Zur Entschädigungsproblematik z.B. Hammes, Die Bemessung der Entschädigung enteigneter Investoren im Rahmen von Investitionsschutzabkommen, SchiedsVZ 2007, 169, m.w.N. bei Happ, Rechtsprechung der ICSIDSchiedsgerichte 2005–2007, SchiedsVZ 2008, 19 (21); Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 317. Zu dem weiten Spielraum für die Staaten BVerfG v. 4.9.2008 – 2 BvR 1475/07, WM 2008, 2035 = IPRspr. 2008 Nr. 21 (Belegenheit von Forderungen). 314 Nachw. bei Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 368 sowie bei Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 101 ff. 315 Nachw. z.B. bei Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 22. 316 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht6, § 63 I; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2, I 1, 84.
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Beispiel B: Im US Patent and Trademark Office ist zugunsten eines deutschen Unternehmens ein Warenzeichen eingetragen. Das OLG Hamm317 weigert sich (zu Unrecht, Rz. 465) als Vorfrage zu prüfen, ob dieses nach US-Recht formell und materiell wirksam ist: „Es besteht die völkerrechtlich allgemein anerkannte Pflicht zur Achtung fremder Hoheitsakte, die ihrerseits die Begrenzung in der Territorialität der Staatsgewalt finden.“
Zwei völkerrechtliche Prinzipien stehen im Widerstreit zueinander, nämlich
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– das Recht auf Achtung der souveränen Gleichheit (Rz. des handelnden Erststaates; dessen völkerrechtliche Zuständigkeit für seine „inneren Angelegenheiten“ darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass seine Hoheitsakte als nicht existent behandelt werden; – andererseits folgt aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit für den Zweitstaat, dass er nicht nur nicht zum Vollzug des fremden Hoheitsaktes i.S. der Vollstreckung i.e.S. verpflichtet ist, sondern auch eine Beeinträchtigung seiner eigenen Regelungsbefugnis für denselben Sachverhalt nicht hinzunehmen braucht. Der bisherige Stand der völkerrechtlichen Diskussion lässt sich wie folgt zu- 162 sammenfassen:319 Die Pflicht zur Achtung des fremden Souveränitätsbereiches durch alle anderen Staaten der Staatengemeinschaft gebietet, dass die Wirkungen eines fremden Hoheitsaktes nicht in Frage gestellt werden, wenn der fremde Staat völkerrechtlich zur Vornahme des Hoheitsakts ausschließlich zuständig war, also nur er einen sinnvollen Anknüpfungspunkt aufzuweisen hatte.320 Als Beispiel wird die im Heimatstaat (beider Eheleute) vorgenommene Ehescheidung angeführt. Kritik: In Scheidungssachen besteht nicht nur zum Heimatstaat eine sinnvolle 163 Anknüpfung, sondern vor allem auch zum Aufenthaltsstaat,321 möglicherweise auch zu dem Staat, in dem die Ehe geschlossen worden ist (Zelebrationskompetenz, Rz. 1583). Das Beispiel muss also auf die Fälle verengt werden, in denen nur zum Heimatstaat Kontakte bestehen, also kein Aufenthalt im Ausland und keine Eheschließung im Ausland vorliegen. Auch in diesen Fällen muss es dem Zweitstaat (Anerkennungsstaat) gestattet sein, seine Vorstellungen von Verfahrensgerechtigkeit und von materiell-rechtlicher Gerechtigkeit sowie seine grundlegenden staats- und wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen durchzusetzen. Er darf z.B. dem ausländischen Scheidungsurteil die Anerkennung verweigern, wenn dem Antragsgegner das rechtliche Gehör verweigert worden ist oder wenn die Ehe aus Gründen geschieden worden ist, die mit den grundlegenden Wertungen seiner Rechtsordnung nicht zu vereinbaren sind. Dies wird in der völkerrechtlichen Diskussion auch anerkannt: Kein Staat brauche die we317 OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141. 318 D.h. auf Unterlassung von Einmischungen. Hierzu z.B. m.w.N. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 113. 319 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht6, § 63. S. auch Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 85 ff.; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 879 ff. 320 Vgl. auch Herdegen, RIW 1989, 335. 321 R. Geimer, NJW 1986, 658.
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Grundlegung
sentlichen Grundsätze seiner eigenen Rechtsordnung gegenüber dem fremden (erststaatlichen) Hoheitsakt zurücktreten zu lassen. Dies folge wiederum aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten.322 164 Eine völkerrechtliche Pflicht zur Achtung fremder Hoheitsakte wird von den Völkerrechtlern immer dann verneint, wenn die erststaatliche Kompetenz zur Vornahme des Hoheitsaktes mit einer zweitstaatlichen Kompetenz konkurriert, weil der zu entscheidende Sachverhalt auch zum Inland eine genügend enge Beziehung hat. Die Pflicht zur Achtung des fremden Hoheitsaktes würde nämlich sonst zu einer faktischen Beeinträchtigung der inländischen Regelungskompetenz führen.323 165 Fazit: Die völkerrechtliche Diskussion zum Thema „extraterritoriale Wirkung fremder Hoheitsakte“ ändert nichts an der in Rz. 151 getroffenen Feststellung, dass eine allgemeine Pflicht zur Anerkennung nach Völkergewohnheitsrecht nicht besteht.324 Ausnahmen bestehen nur aus menschenrechtlicher Perspektive (Rz. 151). 10. Völkerrechtliche Voraussetzungen für die Anwendung eigenen Rechts a) Notwendigkeit intensiverer Verknüpfung als für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit 166 Intensivere Verknüpfungen als sie zur Begründung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines Staates zur Entscheidung über privatrechtliche Streitigkeiten genügen, sind nach Völkerrecht erforderlich, damit ein Staat auf einen Sachverhalt, der sich auf fremdem Staatsgebiet ereignet hat, sein Inlandsrecht oder ein von ihm gebildetes Spezialrecht anwenden kann (Rz. 374).325 167 Beispiel A: Die Tatsache, dass dem Beklagten die Klage bei einem zufälligen Inlandsaufenthalt persönlich zugestellt worden ist (transient rule des common law, Rz. 1584), genügt zwar, um eine internationale Zuständigkeit zu eröffnen, reicht aber nicht aus, dass der Gerichtsstaat sein Inlandsrecht oder ein von ihm gebildetes Spezialrecht für Auslandssachverhalte gegen den Willen des Beklagten durch seine Gerichte anwenden lassen darf.
168 Beispiel B:326 Selbst wenn die Ehefrau ihren Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann in dem Staat geltend machen kann, in dem dieser Vermögen hat, darf der Gerichtsstaat seine Gerichte nicht anweisen, auf den Unterhaltsanspruch oder gar auf die Vorfrage des Bestehens der Ehe einfach sein eigenes Recht anzuwenden, falls nicht noch andere Verknüpfungen vorhanden sind, die das rechtfertigen können. 322 Geiger, a.a.O., § 63 II 2d. 323 Geiger, a.a.O., § 63 II 3; KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, WuW 1984, 233 = IPRspr. 1985 Nr. 124. 324 Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 156; Kreuzer, IPRax 1990, 366 Fn. 15. Vgl. auch von Bar/Mankowski, IPR I2, § 4 Rz. 141. 325 Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 50; Nachw. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 117 ff.; de Vareilles-Sommières, La compétence internationale d’Etat en matière de droit privé, 1997; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 103. S. auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im int. Privat- und Strafrecht, 2007, 239 ff. 326 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3c.
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b) Beschaffenheit dieser Verknüpfungen Wie eng muss der Sachverhalt mit dem Forumstaat verknüpft sein, damit dieser 169 die Anwendung seines eigenen Rechts durch seine Gerichte anordnen darf? Die Grenzen zieht das Völkergewohnheitsrecht sehr weit, aber leider auch sehr unscharf.327 Unbestritten darf jeder Staat kraft seiner Gebietshoheit das Verhalten irgendwelcher Menschen auf seinem Staatsgebiet durch Ge- oder Verbote reglementieren, solange sie sich dort befinden, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit und ohne Anknüpfung an den inländischen Handlungsort. Darüber hinaus darf jeder Staat auch das Verhalten von Menschen außerhalb seines Staatsgebiets durch eigene Privatrechtssätze „zu steuern“ versuchen, wenn – eine persönliche Verknüpfung durch die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt natürlicher Personen bzw. den Register- oder Verwaltungssitz juristischer Personen und Gesellschaften328 gegeben ist (Nationalitätsprinzip)329 oder – eine sachliche Verknüpfung zum eigenen Staatsgebiet vorliegt.330 327 Nachw. bei Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3c; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 3 Rz. 8; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 33 Fn. 25, 321; Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 68; Gränicher, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung ausländischer Devisenmaßnahmen, 1984, 29 ff.; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 369 Fn. 326; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip im internationalen Strafrecht, 2002; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 62 Rz. 81, 101 Rz. 145 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1183; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 219. 328 Zum internationalen Geltungsanspruch des deutschen Übernahmerechts (§ 1 i.V.m. § 2 III und VII WpÜG) z.B. Hahn, RIW 2002, 741. 329 Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 73; Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 104; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1364; Witte, Der US-amerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 158. Zur Anordnung des persönlichen Erscheinens LG Hamm v. 8.2.1989 – 8 UF 72/88, NJW 1989, 2203 (R. Geimer) = FamRZ 1989, 991 = IPRspr. 1989 Nr. 202. Der Walsh Act stellte in den Vereinigten Staaten von Amerika die Einwohner (residents) den eigenen Staatsangehörigen gleich, Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 388. Hierzu der US Supreme Court in Blackner v. US, 284 US 421, 436–437 (1932). Auch im Ausland habe jeder Bürger Pflichten gegenüber seinem Staat, der ihn heimrufen dürfe, wenn das öffentliche Interesse dies verlangt (aktiver Personalitätsgrundsatz). Ob allerdings die Einbeziehung der residents völkerrechtskonform ist, hat der US Supreme Court nicht entschieden, Junker, a.a.O., 388. Vgl. auch OLG Stuttgart v. 5.4.1937, IPRspr. 1935–1944 Nr. 115 zur Anerkennung eines österr. Verwaltungsaktes, durch den die Übertragung des österr. Versicherungsbestandes von einem deutschen auf einen österr. Versicherer genehmigt worden war: Es müsse „der österr. Gesetzgeber seine Staatsangehörigen zwingen können, einer solchen Totalübertragung zuzustimmen.“ Anders wäre es möglicherweise, wenn es sich um einen deutschen Versicherungsnehmer gehandelt hätte. Hierzu Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 233 Rz. 289. Zu zurückhaltend OLG Dresden v. 6.7.1999 – 14 U 2912/98, IStR 2000, 189 = DStRE 2000, 328 = IPRspr. 1999 Nr. 120: Gebot des deutschen Gerichts beschränke sich auf das deutsche Territorium. 330 Nachw. bei Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 367.
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Grundlegung
Beispiele: Tat- oder Wirkungsort einer unerlaubten Handlung oder Abschlussort eines obligatorischen Vertrages.331 Die USA gehen besonders weit; sie stellen auch Verhaltensgebote für die ausländischen Tochtergesellschaften amerikanischer Konzerne auf, wenn die Tochtergesellschaft „is controlled in fact by [a] domestic concern“.332
169a Neben das traditionelle Territorialitäts- und Nationalitätsprinzip tritt mithin das Auswirkungsprinzip (effects doctrine). Dieses gestattet eine auslandsbezogene Rechtssetzung, wenn der zu regelnde, im Ausland zu lokalisierende Sachverhalt Auswirkungen im Inland333 hat (Rz. 375). Hinzu kommen das Schutzprinzip
331 Beispiel: Art. 88 brasilianische C.proc.civ. BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966 = IPRspr. 1996 Nr. 177. 332 50. U.S.C App. § 2415 Export Administration Act; vgl. Equal Employment Opportunity Commission v. Arabian American Oil Co., 499 US 244 mit einer Liste von Gesetzen, die extraterritoriale Wirkung beanspruchen; s. auch Foreign Corrupt Practices Act. 333 Ausführlich KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, WuW 1984, 233 (Kunig 700) = WM 1984, 1195 = AG 1984, 130 = IPRspr. 1985 Nr. 124; dazu Ebenroth, DB 1984, 597: Der Zusammenschluss zweier ausländischer Unternehmen darf vom Bundeskartellamt (WuW 1982, 483) nur hinsichtlich seiner Inlandswirkungen untersagt werden. (Der Zusammenschluss durch Anteilserwerb von Philip Morris Inc. an Rothmans Tobacco [Holdings] Ltd. [näher Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 127] durfte daher nur in Bezug auf die Verschlechterung der Struktur des inländischen Zigarettenmarktes verboten werden, nicht jedoch insgesamt). Vgl. auch KG v. 16.11.1995 – Kart 28/94, WuW 1996, 650 = IPRspr. 1995 Nr. 129 sowie BGH v. 7.10.1997, IPRax 1999, 106 (Zimmer/Rudo 89). Weitere Nachw. z.B. bei Kramp, Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach geltendem Völkerrecht, 1993; 60 ff., 178 ff., 194 ff.; Kress/Herbst, RIW 1997, 630 (634). Weiter Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 107 Rz. 152: „Das völkerrechtliche Erfordernis eines sinnvollen Anknüpfungspunktes verlangt von den Staaten nicht, dass sie bei Vorliegen eines solchen ihre Zuständigkeit auf den Inlandssachverhalt beschränken. Letzteres würde nämlich bedeuten, im Ausland befindliche Veranlasser von Marktstörungen nur soweit ins Recht zu nehmen, als sie – persönlich oder durch Vermögen – im Forumstaat vertreten sind. Eine solche Regel müsste zu unabsehbaren Vollzugsdefiziten führen.“ Er beruft sich auf das Schweizer Bundesgericht, BGE 108 Ib 286 (292): Völkerrechtlich nicht zu beanstanden sei es, wenn die schweiz. Versicherungsaufsicht „zum Schutz der schweiz. Versicherten … auch eine gewisse Kontrolle über das Auslandsgeschäft der in der Schweiz tätigen ausländischen Versicherungseinrichtungen ausübt.“ S. auch Schnyder, a.a.O., 363 Rz. 450 und Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 159. Zum Geltungsanspruch des deutschen UWG a.F. Schnyder, a.a.O., 402 Rz. 504; OLG Stuttgart v. 18.5.1990 – 2 U 191/89, RIW 1991, 588; BGH v. 15.11.1990 – I ZR 22/89, MDR 1991, 856 = IPRax 1992, 45 (Sack 24); Mankowski, IPRax 1991, 305. Die praktische Bedeutung der sog. Gran-Canaria-Fälle (Steuerung des Marktverhaltens im Ausland durch deutsches UWG a.F.) ist mit der spanischen Umsetzung der EG-RL 85/77 über den Schutz der Verbraucher bei außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Verträgen geschwunden, Jayme, IPRax 1992, 203. Zu den völkerrechtlichen Grenzen der extraterritorialen Anwendung des eigenen Devisenrechts (Beschränkungen des [laufenden] internationalen Zahlungsverkehrs und des internationalen Kapitalverkehrs) s.u.a. auch Restatement (Third) of the Foreign Relations Law § 822; hierzu Ebke, RIW 1991, 1 Fn. 9, 7 Fn. 104.
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und das Universalitätsprinzip.334 Das Schutzprinzip dient dem Schutz eigener Bürger oder inländischer Institutionen vor schweren Beeinträchtigungen durch Vorgänge aus dem Ausland. Hierauf darf sich der betroffene Staat nur in Extremsituationen berufen. Es muss eine „echte Bedrohung“ gegeben sein und die Regelung des sich auf das Schutzprinzip berufenden Staates muss das einzig verfügbare Mittel zur Abwehr sein.335 Nach dem Universalitätsprinzip kann jeder Staat tätig werden zur Abwehr, Vereitelung und Bestrafung besonders schwerer Straftaten, die von allen zivilisierten Staaten gebrandmarkt werden (z.B. Völkermord,336 Frauen-, Sklaven- oder Drogenhandel).337 In dem berühmten Lotus-Fall hat der Ständige Internationale Gerichtshof338 be- 169b reits 1927 hervorgehoben, dass die sachliche Regelungsbefugnis der Staaten sich keineswegs auf den Bereich ihrer Gebietshoheit beschränkt. Das Völkerrecht lässt vielmehr den Staaten in dieser Hinsicht große Freiheit, die allenfalls in bestimmten Fällen durch besondere Verbote eingeschränkt sein kann.339 Diese Entscheidung wird vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika sehr weit
334 Zum folgenden Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 69 ff. 335 Forwick, a.a.O., 78. 336 Zur Völkerrechtskonformität des § 220a I StGB BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); BGH v. 30.4.1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64 = JZ 1999, 1176 (Werle) = NStZ 1999, 396 (Ambos) und BGH v. 21.2.2001 – 3 StR 372/00, NJW 2001, 2728. 337 Hierzu z.B. Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 7, 70 ff., 114 ff. 338 StIGH v. 7.9.1927, PCIJ Series A Nr. 9 (1927), 18. Hierzu Bertele, a.a.O., 54, 79; Herndl, EPIL 2 (1981), 173; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze im internationalen Kartellrecht, 1975, 74; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 368; Forwick, a.a.O., 79; Kress/Herbst, RIW 1997, 630 (633); Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 102 Rz. 146; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 88. Der Lotus-Fall betraf ein strafrechtliches Verfahren. Im internationalen Strafrecht werden die völkerrechtlichen Grenzen für die Anwendung eigenen Strafrechts (vgl. § 5 StGB), d.h. die Steuerung des Verhaltens von Menschen und juristischen Personen im Ausland durch strafrechtliche Sanktionen im Inland, seit jeher intensiv diskutiert, Oehler, Internationales Strafrecht2, Rz. 111 ff., z.B. auch aus Anlass der Verschärfung der Strafvorschriften des (deutschen) Außenwirtschafts- und des Kriegswaffenkontrollgesetzes, Epping, RIW 1991, 461. So bestimmt § 35 des Außenwirtschaftsgesetzes i.d.F. v. 26.6.2006 (BGBl. I 2006, 385) lapidar: „§ 34 [betrifft die Straftaten] gilt unabhängig v. Recht des Tatorts, auch im Ausland, wenn der Täter Deutscher ist.“ S. auch die Nachw. bei Gärditz, Weltrechtspflege, 2006; Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, 2010, Art. 9 Rom I-VO Rz. 61 ff.; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 51; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 26 Fn. 83; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip im internationalen Strafrecht, 2002; Schwarze, Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht 1994; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 86 ff. 339 Nachw. in KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, WuW 1984, 233 (Kunig 700) = WM 1984, 1195 = AG 1984, 130 = IPRspr. 1985 Nr. 124; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 483; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 28.
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Grundlegung
ausgelegt.340 Man glaubt daraus ableiten zu können, dass ein Staat über die Territorialitätsanknüpfung hinaus seine Jurisdiktion nahezu beliebig ausdehnen dürfe, solange die unmittelbare Gewaltanwendung (Rz. 400) und sonstige Sanktionierung zur Durchsetzung des eigenen Rechts auf das eigene Staatsgebiet beschränkt bleibe.341 Aber auch in Europa wird angesichts der immer dichteren internationalen Wirtschaftsverflechtungen ein „neues Völkerrecht“ postuliert. Die neuen Grenzen für die Regelungsbefugnis der Staaten bleibt aber nebulös.342 169c Das Restatement (Third) of the Foreign Relations Law hält folgende alternativen Anknüpfungen für völkerrechtskonform:343 – objektives Territorialitätsprinzip – Auswirkungsprinzip344 – Aktives Personalitätsprinzip – Passives Personalitätsprinzip – Staatsschutzprinzip – Weltrechts- oder Universalitätsprinzip345 – Flaggenprinzip. Diese Anknüpfungen werden von den Vereinigten Staaten von Amerika besonders extensiv gehandhabt, z.B. durch den Helms-Burton-Act: Die von der kubanischen Regierung nach dem 1.1.1959 enteigneten US-Bürger haben einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen alle, die mit dem konfiszierten Eigentum Handel treiben, auch wenn dieses „trafficking“ zwischen Drittstaatsangehörigen auf Drittstaatenterritorien stattfindet.346 340 Zur „erosion of territorial limits on judicial jurisdiction“ Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 91. 341 Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 79. 342 Nachw. bei Forwick, a.a.O., 81; Spothelfer, Völkerrechtliche Zuständigkeiten und das Pipeline-Embargo, 1990, 31. 343 Hierzu z.B. Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 104 Rz. 150, 138 Rz. 174 ff. 344 Z.B. Gruson, RIW 2006, 241 (249). 345 Hierzu z.B. auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 70, 114. 346 Zu den völkerrechtlichen Argumenten gegen diese weite Ausdehnung des US-Rechts das Gutachten des Interamerikanischen Juristenausschusses v. 23.8.1996 sub 9a: „A prescribing State does not have the right to exercise jurisdiction over acts of ‚trafficking‘ abroad by aliens unless specific conditions are fulfilled which do not appear to be satisfied in this situation.“ und unter 9b wird allgemein konstatiert: „A prescribing State does not have the right to exercise jurisdiction over ‚trafficking‘ abroad by aliens under circumstances where neither the alien nor the conduct in question has any connection with its territory and where no apparant connection exists between such acts and the protection of its essential sovereign interests.“ Hierzu Kress/Herbst, RIW 1997, 630 (635); Reinmuth, Das US-Embargo gegen Kuba und internationales Recht, 2001. Die EU hat Gegenmaßnahmen ergriffen. Zur VO (EG) Nr. 2271/96 v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebender Maßnahmen (ABl. EG Nr. L 309 v. 29.11.1996) Jayme/Kohler, IPRax 1997, 391.
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Erster Teil
c) Konkurrierende Zuständigkeiten Da bei Sachverhalten mit Auslandsberührung meist zu mehr als einem Staat ei- 170 ne sinnvolle Anknüpfung vorhanden ist, sind mehrere Staaten für die Regelung des Sachverhaltes völkerrechtlich zuständig (z.B. bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit einerseits und an den gewöhnlichen Aufenthalt oder an den Ort der Handlung andererseits).347 Eine Hierarchie der Kompetenzanknüpfungen kennt das Völkerrecht nicht. Keine hat Vorrang. So kann z.B. der Aufenthaltsstaat kraft Gebietshoheit den Namen von Ausländern ändern.348 Gleichwohl werden im modernen Völkerrecht Schranken für die Ausübung der 171 einen oder anderen Kompetenz erörtert.349 Die Diskussion ist besonders weit fortgeschritten auf dem Gebiet des Kartellrechts. Meessen350 stipuliert eine völkerrechtliche Pflicht zur Interessenabwägung.351 Diese folge aus dem Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Eine solche liege aber vor, wenn kartellrechtliche Hoheitsakte die Ausübung staatlicher Funktionen durch einen völkerrechtlich zuständigen Staat in erheblichem Umfang stören. Der handelnde Staat müsse eine Interessenabwägung vornehmen. Er dürfe seine Kompetenz nicht ausüben, wenn die Interessen des betroffenen Staates an dem Ausbleiben der Störung sein Interesse am Erlass des kartellrechtlichen Hoheitsaktes überwiegen.352 Da aber eine völkerrechtliche Interessenabwägung häufig am Fehlen gemeinsamer Wertmaßstäbe scheitere, bleibe im Ergebnis nur der Ausweg einer Interessenausgleichung durch diplomatische Verhandlungen.353 Aufschlussreich z.B. Art. 7 der New Yorker Regeln der International Law Asso- 172 ciation (1972):354 „Falls bei konkurrierender Zuständigkeit zweier oder mehrerer Staaten ein Konflikt hinsichtlich des Verhaltens irgendeiner Person auftritt, – darf kein Staat ein Verhalten im Gebiet eines anderen Staates, das dem Recht dieses Staates widerspricht, verlangen,
347 Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 367. 348 S. auch Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 41 ff. 349 Nachw. bei Dlouhy, Extraterritoriale Anwendung des Kartellrechts im europäischen und US-amerikanischen Recht, 2003; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 365, 372, Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 153 ff. Rz. 192 ff., 190 ff. Rz. 241 f. sowie in den Kommentaren zu §§ 402 ff. Restatement (Third) Foreign Relations Law of the US, (1987). 350 Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, 1975, 198 ff.; Meessen, Kollisionsrecht der Zusammenschlusskontrolle, 1984, 26. 351 Nachw. z.B. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 119 ff. 352 Zum Postulat eines wirtschaftskollisionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 209 Rz. 260. 353 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1198. Vgl. Rz. 376 sowie Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 429 zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten auf dem Gebiet der „Beweiszuständigkeit“. 354 Übersetzung von Meessen, AWD 1972, 562 Fn. 22.
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Erster Teil
Grundlegung
– ist jeder Staat verpflichtet, bei der Anwendung seines eigenen Rechts auf das Verhalten in einem anderen Staat die bedeutenderen Interessen und die Wirtschaftspolitik dieses anderen Staates angemessen zu berücksichtigen.“355 173 In Deutschland ergibt sich die verfassungsrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus der Entscheidung des Grundgesetzes356 für eine internationale Zusammenarbeit.357 174 Eine Konkretisierung vorstehender Maximen für das internationale Verfahrensrecht, insbes. das internationale Zivilverfahrensrecht, fehlt im völkerrechtlichen Schrifttum.358 Auch ist höchst zweifelhaft, ob sie bereits geltendes Völkergewohnheitsrecht sind; denn in der Staatenpraxis (noch) dominierend ist der Satz, dass ein Staat auf Gebote oder Verbote eines anderen Staates (grundsätzlich) nicht Rücksicht nehmen muss (Rz. 176 ff.). d) Spezialgesetze 174a Die Einwirkung auf Rechtsverhältnisse, auf die nach allgemeinem Völkerrecht ausländisches Recht anzuwenden ist, durch inländische (zwingende) Spezialgesetze ist völkerrechtlich nicht verboten.359 11. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Ermittlung ausländischen Rechts? 175 Es ist völkerrechtlich unbedenklich, wenn ein Staat die (gerichtliche) Anwendung360 eines anderen als seines eigenen Rechts davon abhängig macht, dass eine interessierte Partei dies verlangt oder dass sie den Inhalt des ausländischen Rechts dem Gericht nachweist.361 Es gibt keine völkerrechtlich fundierte Pflicht (Art. 25 GG) zur „Gleichbehandlung ausländischer Rechtsordnungen“.362
355 S. Wildhaber, BerDGVR 18 (1978), 50 sowie Mozet, Internationale Zusammenarbeit der Kartellbehörden, 1991 (besprochen von Fuchs, RabelsZ 58 [1994], 170). 356 Präambel, Art. 23, 24 und 26 GG. S. auch die Nachw. bei Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (211); Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. 357 Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, 413; Tomuschat, IPRax 1986, 83 (84). 358 Vgl. z.B. Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 103 Rz. 149 ff.; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 197. 359 Beitzke in FS Smend, 1952, 15. 360 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 446. 361 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3c. Zu weitgehend Schnorr v. Carolsfeld in FS Beitzke, 1979, 701 Fn. 18. 362 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 38. S. auch unten Rz. 271a, 2625.
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Erster Teil
12. Völkerrechtliche Zulässigkeit der Verurteilung zum Handeln oder Unterlassen im Ausland, wenn der Aufenthalts- bzw. Heimatstaat (gegensätzliche) Verhaltensnormen aufgestellt hat Es ist völkerrechtlich zulässig, dass zu einem Handeln bzw. Unterlassen im Aus- 176 land verurteilt wird bzw. Rechtsverhältnisse, die zu einem anderen Staat eine (engere) Beziehung haben, rechtskräftig festgestellt werden (Rz. 396). Dieser Satz des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Aufenthalts- bzw. Heimatstaat der betroffenen Partei andere Verhaltensregeln aufgestellt hat, also das vom Forumstaat verlangte Handeln verbietet (Rz. 404), oder die zu unterlassende Handlung erlaubt.363 Eine solche Kollision von Verhaltenspflichten ist z.B. der eigentliche Grund für den „Justizkonflikt“ zwischen den USA364 und Europa,365 vor allem dann, wenn der europäischen Prozesspartei
363 Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 176. A.A. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1189. Vgl. auch Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 304; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 377. Zu eng OLG Dresden v. 6.7.1999 – 14 U 2912/98, IStR 2000, 189 = DStRE 2000, 328 = IPRspr. 1999 Nr. 120: Das Gebot des deutschen Gerichts beschränke sich auf das deutsche Territorium. Weitere Nachweise bei Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung, 2015; Domej in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 109, 112 ff. 364 US Supreme Court, Societé nationale Aerospatiale v. US District Court for the Southern District of Iowa, 482 US 522 (1987) = 107 S. Ct. 2542 (1987) = JZ 1987, 984 (Übersetzung von Stadler) mit Anm. Stürner 988; deutlich jüngst wieder US District Court for the Eastern District of Pennsylvania 6.3.2012 True Position Inc. v. LM Ericsson-Telephone Company, GRUR Int 2012, 474: Eine Beweiserhebung (discovery) braucht auch dann nicht nach den Regeln des Haager Beweisübereinkommens erfolgen, wenn in dem Herkunftsland der ausländischen Partei ein sog. Sperrgesetz (blocking statute) existiert, welches bei Nichtbeachtung des Haager Beweisübereinkommens Sanktionen vorsieht. Auch in solchen Fällen ist für US-Gerichte die exklusive Anwendung des Haager Beweisübereinkommens nicht erforderlich. Ob nach den Regeln des HBÜ oder (nur) des autonomen US-Prozessrechts (F.R.C.P.) zu verfahren ist, hängt neben den Konstellationen böser Absicht der die discovery verweigernden Partei und der Berücksichtigung unangemessener Härte für die der discovery unterliegende Partei von den vom Supreme Court in Aerospatiale festgelegten folgenden fünf Faktoren ab: (1) Bedeutung der offenzulegenden Dokumente bzw. Informationen, (2) Spezifität der Offenlegungsforderungen, (3) Belegenheit der Informationen, (4) mögliche alternative Informationsquellen und (5) Abwägung des Interesses der USA an der Anwendung US-Rechts gegenüber dem Interesse des ausländischen Staates an der Anwendung des Haager Beweisübereinkommens. S. hierzu die Zusammenfassung in GRUR Int 2012, 474. 365 Nachw. bei Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 100; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 10; Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 28.
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Grundlegung
durch ein sog. „blocking statute“366 unter Strafandrohung verboten ist, der discovery-Anordnung nachzukommen.367 a) Wahrung des Bankgeheimnisses 177 Gegen einen deutschen Hersteller von Dieselmotoren, der seine Produkte auch in den Vereinigten Staaten von Amerika vertreibt, wurde wegen Verdachts eines Wirtschaftsdelikts ermittelt. Im Rahmen dieses Verfahrens hat das Distriktgericht in Michigan,368 bestätigt vom Court of Appeals,369 die Deutsche Bank über ihre (unselbständige) Niederlassung in New York aufgefordert, umfassend über ihre bankmäßigen Verbindungen mit dem Hersteller Auskunft zu erteilen und die entsprechenden Unterlagen herauszugeben. Diese befanden sich vorwiegend bei der Hauptniederlassung in Frankfurt und der Niederlassung in Kiel. Der Bankkunde erwirkte eine einstweilige Verfügung des LG Kiel gegen die Deutsche Bank; dieser wurde verboten, der amerikanischen Verfügung nachzukommen.370 178 Der US-amerikanische Richter beharrte auf seiner Anordnung. Auch das LG Kiel blieb unbeirrt und gab der Klage in der Hauptsache statt.371 Dass das Verweigern der erbetenen Auskünfte und der Vorlage der verlangten Unterlagen vom amerikanischen Gericht als contempt of court angesehen und mit Strafen belegt werden könne, sei nicht erheblich.372 178a Das Recht der Europäischen Union stipuliert sporadisch blocking statutes. Ein solches sieht z.B. die gegen den Helms-Burton-Act gerichtete EG-Verordnung vom 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebender Maßnahmen vor.373 366 Übersicht bei Heidenberger, RIW 1986, 489 Rz. 5; Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988, 363. 367 Das deutsche Recht sieht ein solches generelles Verbot nicht vor. Zum Für und Wider de lege ferenda Heidenberger, RIW 1986, 493. Lediglich in Schifffahrtssachen kann nach § 11 SeeaufgabenG (i.d.F. der Bekanntmachung v. 18.9.1998, BGBl. I 1998, 2986; 2006, 2407) das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur durch Rechtsverordnung die Übermittlung von Unterlagen, die sich auf das Schifffahrtsgeschäft beziehen (insb. Verträge, Protokolle, Briefe, Studien, Marktberichte, Statistiken, Gutachten) und die Erteilung von Auskünften hierüber an Behörden und sonstige Stellen des Auslandes verbieten oder von einer Genehmigung abhängig machen, soweit dies erforderlich ist, um die deutsche Seeschifffahrt in der Freiheit ihrer wirtschaftlichen Betätigung zu schützen. Vgl. Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 129; von Hülsen, RIW 1982, 537. 368 In re Grand Jury 812, 550 F. Supp. 24 (W. D. Michigan 1982). 369 754 Fed. 2d 602 (5th Cir 1985). 370 Hierzu z.B. Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (807). 371 LG Kiel v. 30.6.1982 – 10 O 72/82, RIW 1983, 206 (Stiefel/Petzinger 242, 247) = IPRax 1984, 146 (U. Bosch 127) = ILM 1983, 740 = IPRspr. 1982 Nr. 131. Hierzu Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 11; Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 8, 31. 372 Nachw. auch bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1189. 373 ABl. EG Nr. L 309 v. 29.11.1996; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 1997, 391.
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b) Extraterritoriale Weisungen des Heimat- und Wohnsitzstaates Im Rahmen seiner völkerrechtlichen Befugnis zur Begründung von Verhaltens- 179 pflichten durch eigenes Recht aufgrund der Personalhoheit bzw. aufgrund der Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt kann ein Staat Privatrechtssubjekten auch Vorschriften über die Ausübung oder Nichtausübung von subjektiven Rechten im Ausland machen, selbst wenn diese nach ausländischem Recht zu beurteilen sind.374 So kann der Heimatstaat eigene Staatsangehörige unter Androhung von Strafen im weiteren Sinn (z.B. Zwangsgeld, § 888 ZPO) verpflichten, bewegliche Sachen im Ausland (die ihm nach dem Recht des Lagestaats gehören) in den Heimatstaat zu bringen. Der Heimatstaat des Eigentümers darf zu dessen Lasten die Verursachung einer Störung, die von der im Ausland belegenen Sache ausgeht, nach seinem Deliktsrecht als unerlaubte Handlung bewerten, auch wenn es sich hier nach dem Lagerecht der Sache um erlaubte Ausübung (z.B. eines Monopolrechts) handelt. (Vgl. auch Rz. 426, 1521). Der Sitzstaat einer Gesellschaft bzw. einer juristischen Person darf deren Organe 180 verpflichten, von ihrem Stimmrecht oder von Weisungsrechten in Bezug auf eine ausländische Tochtergesellschaft einen bestimmten Gebrauch zu machen. Umgekehrt versuchen auch US-amerikanische Gerichte vor allem bei der Beschaffung von Beweismitteln den Durchgriff von der Tochter auf die Mutter. Die in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Tochtergesellschaft wird unter Androhung von Beugestrafen aufgefordert, von ihrer in Deutschland ansässigen Muttergesellschaft Beweismittel zu beschaffen (Rz. 91).375 Ist das vom Heimatstaat gebotene Verhalten nach dem Recht des anderen Staates 181 nicht verboten, so entstehen völkerrechtlich keine Verwicklungen. Anders ist es jedoch, wenn der andere Staat dem Inhaber des Rechts ausdrücklich unter Strafandrohung verbietet, Weisungen aus einem anderen Staat nachzukommen. So kann die Vorlage von Geschäftsbüchern eines Unternehmens an die Behörden/ Gerichte außerhalb des Sitzstaates vom Sitzstaat verboten werden, gerade dann, wenn der fremde Staat das Unternehmen zur Vorlage verpflichtet. c) Exportverbote Der Heimatstaat darf vom Eigentümer die Entfernung einer Sache aus dem frem- 182 den Lagestaat auch dann verlangen, wenn dieser den Export solcher Sachen ohne seine Genehmigung verbietet.376 Eine (mittelbare) Erzwingung durch die Gerichte des Heimatstaates ist also völkerrechtlich nicht zu beanstanden.
374 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3c S. 21. 375 Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 13 ff. 376 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3c S. 21. Nachw. zum deutschen Recht z.B. bei Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, Art. 9 Rom I-VO Rz. 61 ff.
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d) Devisenrechtliche Anordnungen 183 Wohnsitzstaat des Eigentümers und Lagestaat von Devisenwerten können gegensätzliche devisenrechtliche Weisungen geben, ohne dass die eine oder die andere deshalb völkerrechtswidrig wäre.377 e) Sonstige öffentlich-rechtliche Verbote 184 Auch außerhalb des Bereichs des Außenwirtschaftsrechts erhebt sich die Frage, ob der Beklagte im Inland zu einer Leistung verurteilt werden darf, die am ausländischen Leistungsort durch das dortige öffentliche Recht verboten ist. Das Völkerrecht verbietet nach Wengler378 Maßnahmen einschließlich gerichtlicher Urteile, die in Widerspruch stehen zu Bestimmungen, die der Aufenthaltsstaat von Menschen und der Lagestaat von Sachen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung in diesem Staat erlässt (vgl. aber Rz. 176, 404). 185 Der Gerichtsstaat kann aber Bestimmungen erlassen und durch seine Gerichte durchsetzen, wonach die Verursachung der Unmöglichkeit der Leistung im Ausland durch „Anstiftung“ des fremden Gesetzgebers zum Erlass eines solchen Verbots als Verschulden zu gelten hat und der Beklagte mit seinem inländischen Vermögen für einen Schadensersatzanspruch haftet.379 (S. auch Rz. 584). 13. Durchgriffshaftung 186 Im US-Recht ist – bisher völkerrechtlich unbeanstandet380 – der Gedanke der Durchgriffshaftung von Muttergesellschaften für Verbindlichkeiten abhängiger Unternehmen viel stärker betont als im deutschen Recht.381 14. Zuständigkeitsdurchgriff 187 Dieser materiell-rechtliche Ansatz führt auf der Ebene des Verfahrensrechts u.a. zu einem sog. Zuständigkeitsdurchgriff. Es fragt sich, ob es hierfür völkerrechtliche Grenzen gibt.382 188 Aktuell ist die Frage angesichts der Rechtsprechung der US-amerikanischen Gerichte: Diese weiten die internationale Zuständigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika bzw. des jeweiligen Gliedstaates wie folgt aus: Die Präsenz einer amerikanischen Tochter führt zu jurisdiction über die ausländische Mutter, wenn „interlocking structure“ zwischen Tochter und ausländischer Mutter besteht oder sonst kein selbständiger Geschäftsbetrieb gegeben ist. Die ausländi-
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Nachw. z.B. bei Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 321 ff. Wengler, a.a.O., § 3c S. 21. Wengler, a.a.O., § 3c S. 21. Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 356. Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959; Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung, 1992, 72. 382 Verneinend Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 237 f.
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sche Mutter bzw. ihre Organe können Beklagte bzw. Auskunftspersonen in den USA sein.383 Art. 8 Nr. 1 EuGVVO n.F. bzw. Art. 6 Nr. 1 LugÜ 2007 (Rz. 1160)384 stipuliert eine 188a Kompetenzanknüpfung am Sitz der inländischen Tochter auch für die Klage gegen die im Ausland domizilierte Mutter und umgekehrt, sofern sie gemeinsam als Streitgenossen verklagt werden.385 Ausnahmen gelten aber für die in Art. 24 Nr. 2 EuGVVO n.F. bzw. Art. 22 Nr. 2 LugÜ 2007 aufgeführten Streitgegenstände. Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO n.F. und des LugÜ 2007 kommt § 23 ZPO zum Zuge; denn die Gesellschaftsanteile der Mutter an der Tochtergesellschaft sind im Inland belegen.386 In Betracht kommt auch § 21 ZPO (Kontrolltheorie, Rz. 1445).387 Für das deutsche autonome Recht verneint auf der innerstaatlichen Ebene der 188b Bundesgerichtshof388 einen Zuständigkeitsdurchgriff389 mangels gesetzlicher Grundlage, nicht jedoch wegen Überschreitung völkerrechtlicher Grenzen: Für den Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) könne das Vermögen einer Kapitalgesellschaft nicht mit dem ihres Alleingesellschafters gleichgesetzt werden.390 15. Gewaltverbot Gewaltanwendung nach außen: Das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 der Charta 189 der Vereinten Nationen391 betrifft Aktionen gegen fremde Staaten. So wäre z.B. 383 Marc Rich v. US, 707 F. 2d 663 (2d Cir. 1983), at 668; FTC v. Compagnie de Saint-Gobain-Pont-à-Mousson, 636 F. 2d 1300, 1324 (D. C. Cir. 1980); SEC v. Banca Della Svizzera Italiana, 92 F.R. 111 (S.D.N.Y. 1981) 112; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 152; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, Diss., 2010, 65 ff.; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 50 ff.; Welp, Internationale Zuständigkeit über auswärtige Gesellschaften mit Inlandstöchtern im US-amerikanischen Zivilprozess, 1982, 86 ff.; Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 20 Fn. 90; zu New York C.P.L.R. 301 Vorpeil, RIW 1991, 997. Vgl. auch Grothe, RabelsZ 58 (1994), 701. 384 Hierzu z.B. Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 2005; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014. 385 Staudinger/Ebke/Großfeld, Internationales Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2008, Rz. 263. 386 Staudinger/Ebke/Großfeld, a.a.O., Rz. 401. 387 Zum Zuständigkeitsdurchgriff im Verhältnis Staat und Staatsbetrieb Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 14 Fn. 63, 73 Fn. 294. 388 BGH v. 20.4.1993 – XI ZR 17/90, AG 1993, 469 = MDR 1994, 1146 = NJW 1993, 2683 = RIW 1993, 670 = IPRax 1995, 98 (Harald Koch 71) = EuZW 1993, 517 (R. Geimer 564) = EWiR 1993, 927 (R. Geimer) = LM Nr. 8 zu § 23 ZPO (Pfeiffer) = IPRspr. 1993 Nr. 138; BGH v. 12.6.2007 – XI ZR 290/06, NJW-RR 2007, 1570 = RIW 2007, 873 (875). 389 Rechtsvergleichend zum Zuständigkeitsdurchgriff Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 522. 390 BGH v. 12.6.2007 – XI ZR 290/06, RIW 2007, 873 (875). S. auch Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 146. 391 Nachw. bei Wengler, NJW 1986, 2995; Münchau, Terrorismus auf See aus völkerrechtlicher Sicht, 1994, 124; Neuhold in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Hand-
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die Eintreibung von Vertragsschulden mit Waffengewalt verboten. Vor dem Ersten Weltkrieg führte der Schutz des Eigentums von Fremden insbes. in Lateinamerika mitunter zu bewaffneten Interventionen durch deren Heimatstaaten. So haben z.B. 1904 Deutschland, Großbritannien und Italien die Küste Venezuelas blockiert, um Ansprüche ihrer Staatsangehörigen durchzusetzen.392 Diese „Kanonenboot-Diplomatie“ wurde teilweise schon durch die Drago-Porter-Konvention vom 18.10.1907393 verboten.394 190 Gewaltanwendung innerhalb des eigenen Staatsgebiets (Hoheitsgebiets) fällt nicht in den Anwendungsbereich des Gewaltverbots des Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen (Rz. 189). Die Staaten haben innerhalb ihres Territoriums freie Hand. Vollstreckungsbeschränkungen (speziell) gegen fremde Staaten haben ihre Wurzel woanders, nämlich im Immunitätsrecht (Rz. 589). 16. Gerichtsverfahren gegen völkerrechtswidrig Entführte 191 Es besteht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts395 keine Regel des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts, derzufolge die Durchführung des Gerichtsverfahrens gegen eine Person völkerrechtlich verboten ist, die unter Verletzung der Gebietshoheit eines fremden Staates396 in den Gerichtsstaat verbracht worden ist. Auf diesen Punkt kommt es zwar vorwiegend in Strafverfahren an, jedoch sind auch Zivilprozesse denkbar, in denen diese Frage entscheidungserheblich ist. Beispiel: Dem deutschen Gerichtsvollzieher in Schleswig „entkommt“ in letzter Minute der Schuldner mit seiner pfändbaren Habe ins benachbarte Dänemark. Der Gerichtsvollzieher fährt ihm völkerrechtswidrig als „Privatmann“ nach (Rz. 120) und überredet ihn mit einer List zur Rückkehr. Anschließend Pfändung in Deutschland. Vgl. auch Rz. 3204. Eine andere (für die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit im Entführerstaat bedeutsame) Frage ist, ob der völkerrechtlich Entführte dort Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese ist zu bejahen.
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buch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1798 ff.; von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 1006 ff. Das Gewaltverbot ist der Kerngedanke im System des Westfälischen Friedens von 1648; dessen Grundlage ist die Nichteinmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten der anderen souveränen Staaten. Der Einsatz von Waffengewalt ist ausschließlich zur Selbstverteidigung erlaubt gegen eine tatsächliche, nicht gegen eine (vermutete) potenzielle Bedrohung. Ein Präventivschlag ist daher nach klassischem Völkerrecht nicht zu rechtfertigen. Anders die US-amerikanische Politik, die Präventivmaßnahmen gegen „Schurkenstaaten“ mitunter für gerechtfertigt hält. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 235. S. auch Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 134 ff. sowie Paulsson, Denial of Jusitice in International Law, 2005, 13 ff., 228 ff. RGBl. 1910, 59. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1600. BVerfG v. 17.7.1985 – 2 BvR 1190/84, MDR 1986, 463 = NJW 1986, 1427; BVerfG v. 3.6.1986 – 2 BvR 837/85, NJW 1986, 3021 sowie BVerfG v. 19.10.1994 – 2 BvR 435/87, NJW 1995, 651; zustimmend Herdegen, NJW 1988, 595; kritisch Mann, NJW 1986, 2167; R. Geimer, ZfRV 1992, 337 Fn. 159. Ausführlich z.B. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 82 ff. Allgemein Wilske, Die völkerrechtswidrige Entführung und ihre Rechtsfolgen, 2000.
Rechtsquellen
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17. Gegenstände, die völkerrechtswidrig ins Inland gebracht wurden Was für völkerrechtswidrig entführte Personen gilt, gilt umso mehr für Sachen, 192 die unter Verletzung des Völkerrechts in den Gerichtsstaat verbracht worden sind. Dies kann z.B. im Zusammenhang mit dem Gerichtsstand der Belegenheit (§ 23 Satz 1 Alt. 2 ZPO, Rz. 1427) eine Rolle spielen. 18. Amtshaftungsansprüche Eine Regelung, die Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutsch- 192a land bzw. ein Bundesland bzw. gegen den Beamten von der Verbürgung der Gegenseitigkeit abhängig macht, ist völkerrechtskonform. Sie ist Ausdruck des völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsprinzips, das der Wahrnehmung eigener staatlicher Belange gegenüber anderen Staaten dient.397 19. Comitas gentium Die comitas gentium (international comity, courtoisie internationale) erzeugt kei- 192b ne völkerrechtlich relevanten Pflichten,398 insbes. nicht zur Duldung ausländischer Justizakte auf eigenem Territorium (Zustellungen, Beweisaufnahme, „passive Rechtshilfe“, s. aber Rz. 2174), auch nicht zur aktiven Hilfe (Gewährung aktiver Rechtshilfe, z.B. Zustellungen, Beweisaufnahme), des Weiteren nicht zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.399 Ein Staat kann auch nicht durch eine einseitige Erklärung, er verbürge die Gegenseitigkeit, den anderen zu einem bestimmten Verhalten zwingen. Denn die berühmte Frage von Lord Ellenborough:400 „Can the Island of Tobago pass a law to bind the rights of the world?“ ist mit einem eindeutigen Nein zu beantworten.401
397 BGH v. 28.2.1980 – III ZR 103/78, BGHZ 77, 11 = NJW 1980, 1513 = MDR 1980, 560 = IPRspr. 1980 Nr. 34; OLG Frankfurt v. 9.5.1985 – 1 U 193/84, VersR 1985, 1191 = IPRspr. 1985 Nr. 38. Nachw. bei Harald Mueller, Das Internationale Amtshaftungsrecht, 1991, 181 ff. 398 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 71; Wengler, Völkerrecht I, 1964, 176. 399 Sie ist nur „the old woman’s fable of a sort of international civility“, Read, Recognition and Enforcement of Foreign Judgements in the Common Law Units of the British Commonwealth, 1938, 52. 400 Zitiert bei Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 68. 401 A.A. Szászy, International Civil Procedure, 1967, 649, vgl. auch Dahm, Völkerrecht II, 1961, 435: Ein Staat könne bei Verletzung/Nichteinhaltung der comitas gentium die Retorsion als Antwort auf eine unbillige Härte anwenden; m.w.N. bei Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 127.
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Grundlegung
20. Völkerrechtliche Haftung für Gerichtsurteile a) Verstoß gegen Völkerrechtsnormen 193 Die Staaten haften für Handlungen aller ihrer Staatsorgane,402 also auch für völkerrechtswidrige Gerichtsurteile.403 Dies gilt insbes. bei déni de justice (Rz. 129, 384, 1909) oder bei Nichtbeachtung eines Staatsvertrages. Die subjektiven Intentionen des Gerichts – vorbehaltlich Rz. 194 – sind ohne Bedeutung. Auch eine auf entschuldbarem Rechtsirrtum beruhende Nichtbeachtung einer völkerrechtlichen Norm ist ein Völkerrechtsdelikt. Die Staaten können sich auch nicht auf die (innerstaatlich angeordnete) sachliche Unabhängigkeit ihrer Gerichte berufen; sie dürfen auch nicht unter Hinweis darauf Naturalrestitution (Beseitigung des Gerichtsurteils) ablehnen.404 Die deutsche ZPO eröffnet (partiell) eine Wiederaufnahmemöglichkeit in § 580 Nr. 8 ZPO (Rz. 217).405 b) Weitere Fälle völkerrechtlicher Haftung aa) Fehlurteile, die keine konkrete Völkerrechtsnorm verletzen bzw. ignorieren 194 Nicht jedes innerstaatlich rechtskraftfähige Fehlurteil, das gegen einen Ausländer ergeht, erfüllt den Tatbestand eines völkerrechtlichen Delikts. Hierzu gehört vielmehr die Absicht des betreffenden Richters, dem Ausländer wegen dessen Ausländereigenschaft schaden zu wollen.406 402 S. auch m.w.N. zu der völkerrechtlichen Zurechnung bei Klopschinski, Völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit und Rechte des geistigen Eigentums, GRUR Int 2010, 930. 403 Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, 2011; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1272; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 328; Meinhard Schröder in Graf Vitzthum, Völkerrecht5, 2010, 530 ff. jeweils m.w.N.; Paulsson, Denial of Jusitice in International Law, 2005, 38 ff. S. auch die Kodifikation des Völkergewohnheitsrechts durch die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (ILC) zum Thema Staatenverantwortlichkeit, angenommen durch die Resolution des Generalversammlung 56/83 v. 12.12.2001, in dt. Sprache abgedruckt bei Neuhold/ Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, 2004, Bd. II D 325 S. 511. 404 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 1272, 1295; Schlosser, ZZP 79 (1966), 182; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1666; Ress in J. Maier, Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, 240; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 830. A.A. Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 75. Offen gelassen in BVerfG v. 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425 (1426). 405 Anders (vor Inkrafttreten des § 580 Nr. 8 ZPO) OLG Naumburg v. 17.5.2005 – 11 U 135/04, OLG-Report 2005, 877: Keine Wiederaufnahme, wenn EGMR einen Verstoß gegen EMRK festgestellt hat. 406 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1638. Plastisch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1272: „Willkürliche Verletzungen des innerstaatlichen Rechts, die sich hinter der Maske eines Richterspruchs verbergen.“ Vgl. auch Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 183 (Absicht des Gerichts, dem Ausländer Beweismöglichkeiten abzuschneiden). Zu den weniger scharfen Konturen des Völkergewohnheitsrechts Dolzer, IPRax 1992, 137 (Besprechung der ELSI-Entscheidung des IGH, ICJ Rep. 1989, 14). Zur Haf-
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Rechtsquellen
Erster Teil
Ein Völkerrechtsdelikt wäre es, wenn sich die Gerichte weigern würden, Angrif- 195 fe auf die Person oder das Eigentum von Ausländern durch Erlass der beantragten Unterlassungs- bzw. Schadensersatzurteile zu ahnden, und zwar nur deswegen, weil Ausländer klagen bzw. der Schaden/die Beeinträchtigung durch Inländer zugefügt worden ist (Rz. 197).407 bb) Nichthoheitliches Handeln Es besteht keine direkte völkerrechtliche Haftung für nichthoheitliches Handeln 196 eines Staates.408 Beispiel: Ein staatseigener Betrieb weigert sich grundlos, einen ausländischen Lieferanten zu bezahlen. Der Tatbestand der völkerrechtlich verbotenen entschädigungslosen Enteignung ausländischen Eigentums ist nicht gegeben.409 Es liegt aber eine völkerrechtlich verbotene „schleichende Verstaatlichung“ vor, wenn sich (alle) Gerichte dieses Staates weigern, ein nach dessen Rechtsordnung unrechtmäßiges nichthoheitliches Handeln abzustellen. Geben sie der offensichtlich begründeten Klage des Lieferanten nicht statt, dann liegt darin
tung der EU-Mitgliedstaaten bei Verletzung des Unionsrechts durch ihre (obersten) Gerichte EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01 – Köbler/Republik Österreich, JZ 2004, 295 (von Danwitz) = ZfRV 2003, 228 (Schwarzenegger 236); EuGH v. 13.6.2006 – Rs. C-173/03 – Traghetti del Mediterraneo SpA/Repubblica Italiana, Slg. 2006, I-5177 = NJW 2006, 3337 = EuZW 2006, 561 (Seegers 564) = JZ 2006, 1173 (Haratsch). Hierzu s. auch Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR3, 2011, Vorbem. Art. 2 Rz. 24; Tsikrikas, ZZP Int 9 (2004), 123 (132). Viel dichter ist die Kontrolle des EGMR, vgl. z.B. EGMR v. 24.6.2004 – Caroline von Hannover/BRD, FamRZ 2004, 1455 = NJW 2004, 2674 (Heldrich 2634) = JZ 2004, 1015 (Stürner): Eigene (vom BGH und BVerfG abweichende) Abwägung von Persönlichkeitsschutz (Art. 8 EMRK) gegen Meinungs- und Pressefreiheit unter Betonung des Persönlichkeitsschutzes auch für Prominente; m.w.N. z.B. bei Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 22. 407 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1639. 408 Gusy, RIW 1986, 585. 409 Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948 spricht den Schutz des Eigentums an, jedoch nur sehr verschwommen (Schutz vor willkürlichen Eingriffen). Die VN-Menschenrechtspakte von 1966 schützen das Recht auf Eigentum nicht als Menschenrecht, sondern betonen das Recht aller Völker, für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer zu verfügen, m.a.W. das Recht auf Verstaatlichungen. Hierzu Hefti, La protection de la propriété étrangère en droit international public, 1989, 48 ff.; Neuhold in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 28. Weitere Nachw. zum völkerrechtlichen Enteignungsrecht bei Hefti, a.a.O., 71 ff.; Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 62 ff.; Martin Schäfer, Entschädigungsstandard und Unternehmensbewertung bei Enteignungen im allgemeinen Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung der jüngeren schiedsgerichtlichen Spruchpraxis, 1997; Martin Schäfer, RIW 1998, 199; Schill, RIW 2005, 330 (332); Seidl-Hohenveldern/Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer, a.a.O., Rz. 1303 ff.; Wendehorst in MüKo.BGB4, nach Art. 46 Anh. Rz. 9; m.w.N. bei Happ, Rechtsprechung der ICSID-Schiedsgerichte 2005–2007, SchiedsVZ 2008, 19 (21).
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Erster Teil
Grundlegung
ein völkerrechtliches Unrecht eines Organs des Staates (eine durch dessen Gerichte begangene Rechtsverweigerung).410
197 Der Staat haftet also insoweit für die Handlungen von Privatpersonen, als er von Völkerrechts wegen verpflichtet ist, deren Handlungen zu verhindern.411 Haftungsgrund ist hier, dass die staatlichen Organe ihrer Pflicht zur Sicherung des völkerrechtsmäßigen Verhaltens ihres Staates gegenüber Störungen durch Privatpersonen (durch Eingriffe in die Person oder das Eigentum des Ausländers) nicht nachkommen, z.B. können die Gerichte ihre Pflicht zum Schutz von Leben und Eigentum von Ausländern dadurch verletzen, dass sie keine Unterlassungsurteile oder Schadensersatzurteile erlassen, obwohl dies nach dem innerstaatlichen Recht (offensichtlich) möglich wäre. 198 Die indirekte Haftung des Staates ist aber auf die Höhe des zu schätzenden Schadens beschränkt, der durch das Untätigbleiben der Staatsorgane (Gerichte) entstanden ist. Sie umfasst nicht den Schaden, der gegebenenfalls auch dann eingetreten wäre, wenn die Staatsorgane ihre Pflichten einwandfrei erfüllt hätten.412 c) Local remedy rule (Rule of the exhaustion of local remedies) 199 Die völkerrechtliche Haftung des Gerichtsstaates setzt die erfolglose Ausschöpfung des innerstaatlichen (ordentlichen) Rechtsmittelzuges voraus (Rz. 1909).413 Umstritten ist, ob die local remedy rule eine Prozessvoraussetzung für internationale Verfahren ist oder ob sie dem materiellen Völkerrecht zuzuordnen ist.414 Nach letzterer Auffassung würde überhaupt kein völkerrechtliches Unrecht vorliegen, da der Verletzte die Beeinträchtigung durch Inanspruchnahme des innerstaatlichen Rechtsweges hätte abwenden bzw. korrigieren können.415
410 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1660; Herdegen, RIW 1989, 334 Fn. 66; enger Gusy, RIW 1986, 588. Vgl. auch Engel, RabelsZ 49 (1985), 108. 411 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 330 Fn. 63; Wolf, ZaöRV 45 (1985), 250. 412 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1672; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 1281, 1297. 413 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1306; Herdegen in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 63; Sandrock, IPRax 2001, 550 (551 Fn. 11 m.w.N.). Vgl. Art. 29 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten v. 29.4.1957, BGBl. II 1961, 81, 1026; Art. 3 I 2 des dt.-schweiz. Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrages v. 3.12.1921, RGBl. II 1922, 104, geändert durch Protokoll v. 29.8.1929, RGBl. II 506. Vgl. auch Art. 35 I EMRK; Schumann in FS Machacek und Matscher, 2008, 901, 903. 414 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 348 Fn. 207; Schack, BerDGVR 32 (1992), 318; Wengler, Völkerrecht I, 1964, 656. 415 Vgl. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, 247; Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 71; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1306 Fn. 42. Der materiell-rechtlichen Deutung schließt sich Art. 22 des ILC-Entwurfs zur Staatenimmunität an. Anders dagegen der IGH in Ellettronica Sicula S.p.A., 20.7.1989, ICJ Rep. 1989, 42: die Rechtswegerschöpfung sei Zulässigkeitsschranke („objection to the admissibility of the [present] claim“).
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Rechtsquellen
Erster Teil
Die local remedy rule gilt nur für „private individuals“, also nicht, wenn der 200 den Anspruch stellende Staat selbst oder eines seiner völkerrechtlichen Organe (Staatsoberhaupt, Regierungsmitglieder, Diplomaten, Konsuln oder ähnliche Amtsträger) verletzt wurden.416 Beispiel: Wurde die Immunität eines ausländischen Staates bzw. eines seiner Amtsträger durch ein deutsches Gericht verletzt, so kann ihm nicht die local remedy rule entgegengehalten werden, d.h. der völkerrechtliche Anspruch auf Aufhebung des Urteils entfällt nicht deswegen, weil der verletzte Staat es unterlassen hat, das deutsche Urteil durch Einlegung von Rechtsmitteln zu beseitigen.
Dies gilt nicht für nichthoheitliches Handeln. Hier wird der fremde Staat wie ei- 201 ne Privatperson behandelt. Eine völkerrechtliche Haftung kommt also nur dann in Betracht, wenn der betroffene Staat alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat.417 Die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges ist ferner per definitio- 202 nem unmöglich im Falle der totalen Rechtsschutzverweigerung. Die local remedy rule gilt nur bei Verletzung des Völkerrechts (Fremdenrechts) 203 im Gebiet des Verletzerstaates.418 d) Völkerrechtlicher Anspruch auf Aufhebung des völkerrechtswidrigen Urteils Der verletzte Staat (Rz. 134) hat Anspruch auf Naturalrestitution,419 somit auf 204 Aufhebung des völkerrechtswidrigen Urteils.420 (Vgl. Rz. 470a). Diesen Grundsatz stipulieren auch Art. 31 ff. der Resolution 56/83 vom 12.12.2001 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit.421 Dagegen kann der betroffene Staat sich nicht auf die (möglicherweise) auch vom 205 Völkerrecht geforderte Unabhängigkeit der staatlichen Gerichte berufen.422 416 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 333 Fn. 89, 349 Fn. 215; Herdegen in Ress/Stein, Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, 63. 417 Doehring, EPIL 1 (1981), 138. A.A. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1308; Heß, a.a.O., 349 Fn. 215. 418 Heß, a.a.O., 351: „Nur in diesem Fall kann es den Geschädigten zugemutet werden, die Gerichte vor Ort um Rechtsschutz zu ersuchen; angesichts des territorialen Bezugs der Rechtsverletzung ist es dem Heimatstaat auch zuzumuten, erst nach dem Fehlschlagen innerstaatlicher Abhilfe Ansprüche zu stellen.“ 419 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 215. 420 Schlosser, ZZP 79 (1966), 181. 421 In deutscher Sprache abgedruckt bei Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 325 S. 511. Zur Staatenverantwortlichkeit allgemein von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 371 ff. 422 Art. 32 der Resolution 56/83 v. 12.12.2001 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit. A.A., aber überholt Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 76: Bei völkerrechtsverletzenden Gerichtsentscheidungen könne nicht Naturalrestitution durch Aufhebung der Entscheidung als Unrechtsfolge verlangt werden, weil die Staaten einer solchen Pflicht – wenn sie bestünde – im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Gerichte und das in allen Kulturstaaten zu findende Institut der
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Erster Teil
Grundlegung
e) Einschaltung internationaler Gerichte aa) Kassatorische Urteile 206 Denkbar sind kassatorische Urteile internationaler Gerichte. Hier bestimmt das internationale Gericht nicht nur, welche Wiedergutmachungsleistungen der wegen des völkerrechtlichen Delikts verantwortliche Staat zu erbringen hat, sondern sein Spruch selbst bewirkt den Wiedergutmachungsakt: Das internationale Gericht hebt den für völkerrechtswidrig erkannten staatlichen Akt auf (völkerrechtliches Gestaltungsurteil). Solche kassatorischen Befugnisse sind jedoch selten. Entsprechende Urteile können nur dann ergehen, wenn dem internationalen Gericht ausdrücklich die Aufhebungsbefugnis zugesprochen worden ist.423 207 Beispiel: Art. 11 II der Anlage 4 zum Londoner Schuldenabkommen vom 27.2.1953:424 Kommen Gläubiger und Schuldner nicht zu einer Einigung, so entscheidet das zuständige deutsche Gericht. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung des deutschen Gerichts kann der Gläubiger nach seiner Wahl entweder die ihm nach deutschem Recht zustehenden Rechtsmittel einlegen oder innerhalb einer Frist von dreißig Tagen nach der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung das gem. Art. 17 gebildete Schiedsgericht anrufen. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist bindend.425
bb) Feststellungsurteil 208 Wenn ein internationales Gericht426 als zuständig vereinbart wurde, darf dieses im Zweifel nur ein Feststellungsurteil erlassen: Es stellt die Völkerrechtswidrigkeit des nationalen Gerichtsurteils fest. Dies gilt z.B. auch für die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Dieser hat keine kassatorischen Befugnisse.427 cc) Leistungsurteil 209 Möglich ist auch, dass dem internationalen Gericht die Befugnis zuerkannt wird, ein „Leistungsurteil“ zu erlassen. Es verurteilt den Verletzerstaat zu einer be-
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Rechtskraft nicht nachkommen können. Dagegen überzeugend Schlosser, ZZP 79 (1966), 182 ff. Wie hier auch für den Bereich des europäischen Unionsrechts, d.h. Haftung der EU-Mitgliedstaaten bei Verletzung des Unionsrechts durch ihre (obersten) Gerichte EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01 – Köbler/Österreich, JZ 2004, 295 (von Danwitz) = ZfRV 2003, 228 (Schwarzenegger 236); EuGH v. 13.6.2006 – Rs. C-173/03 – Traghetti del Mediterraneo/Italien, Slg. 2006, I-5177 = NJW 2006, 3337 = EuZW 2006, 561 (Seegers 564) = JZ 2006, 1173 (Haratsch). Zemanek/Hafner/Wittich in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 2755. BGBl. II 1953, 331. Vgl. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, 247; Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 112. Vgl. auch Art. 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte, Urbanek, a.a.O., 105, sowie zum EMRKSystem Matscher in FS Kohlegger, 2000, 351. Z.B. der IGH oder ein (völkerrechtliches) Schiedsgericht. Karl in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1539; Schumann in FS Machacek und Matscher, 2008, 901, 904.
Rechtsquellen
Erster Teil
stimmten Wiedergutmachungsleistung. Denkbar ist die Verurteilung zur Aufhebung des Urteils, doch kommt dies selten vor; häufiger sind die Fälle, in denen das internationale Gericht auf Ersatz in Geld erkennen darf. Ob die Kompetenz für ein Leistungsurteil besteht oder nur die Völkerrechtsverletzung festgestellt werden darf, muss der jeweiligen völkerrechtlichen Vereinbarung entnommen werden, auf welcher die Jurisdiktion des internationalen Gerichts beruht. Der (praktische) Unterschied zwischen völkerrechtlichen Feststellungs- und 210 Leistungsurteilen ist jedoch gering. Vollstreckungsmöglichkeiten für das Leistungsurteil sind – im Gegensatz zum innerstaatlichen Leistungsurteil – kaum gegeben. Das Leistungsurteil des internationalen Gerichts kann nur mit den primitiven Mitteln der Völkerrechtsordnung, notfalls durch Repressalien (die jedoch die Menschenrechte nicht antasten dürfen) durchgesetzt werden.428 e) Schadensersatz bei (innerstaatlichem) Fortbestand des völkerrechtswidrigen Urteils Die Fälle der Beseitigung des völkerrechtswidrigen nationalen Gerichtsurteils 211 durch Kassation des internationalen Gerichts (Rz. 205) sind in der Staatenpraxis selten. Aber auch die Fälle, in denen der verantwortliche Staat zur Aufhebung (Naturalrestitution) verurteilt wird, bilden die Ausnahme. Angesichts des Fehlens einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit 212 und der fehlenden Bereitschaft der Staaten, innerstaatlich eine Wiederaufnahme gegen völkerrechtswidrige Urteile zuzulassen, ist der völkerrechtliche Anspruch auf Naturalrestitution in den meisten Fällen nicht durchsetzbar.429 Der verletzte Staat begnügt sich meist mit Geldersatz.430 Nach Art. 46 EMRK sind 428 Hierauf weist vor allem Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 71 hin. Der einzige Unterschied liegt nach Urbanek darin, dass das völkerrechtliche Leistungsurteil nicht nur den Tatbestand der Völkerrechtsverletzung (Völkerrechtsdelikt) feststellt, sondern auch noch die völkerrechtliche Unrechtsfolge verbindlich feststellt (sozusagen ein doppeltes Feststellungsurteil), während bei einer bloßen Feststellung des Verletzungstatbestandes die Wiedergutmachungsfrage offen bleibt. Allgemein zu Gegenmaßnahmen von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 416 ff. 429 Die Verweigerung einer Wiederaufnahmemöglichkeit vor Inkrafttreten des § 580 Nr. 8 ZPO (Rz. 217) ließ das BVerfG (leider) unbeanstandet, BVerfG v. 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425. Ebenso BVerwG v. 4.6.1998 – 2 DW 3.97, NJW 1999, 1649 (kritisch Bausback 2483). Auch sonst will BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BVR 1481/04, FamRZ 2004, 1857 (Rixe 1863) = JZ 2004, 1171 (Eckart Klein 1176) = NJW 2004, 3407 EGMR-Urteile nicht „schematisch“ umsetzen, da EMRK innerstaatlich nur einfachen Gesetzesrang hat. Dies ist aber aus völkerrechtlicher Sicht keine ausreichende Rechtfertigung. Daher ist diese Entscheidung starker Kritik ausgesetzt, Pernice, EuZW 2004, 705; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15. S. m.w.N. Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 3 Rz. 6 ff. 430 Allerdings wird die „angemessene Entschädigung“ nach Art. 41 EMRK nicht dem betroffenen Staat, sondern dem geschädigten Individuum zuerkannt. S. die Nachw. bei Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, 1993, 188; Kadelbach, BerDGVR 40 (2003), 63 (83); Karl in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1540; Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15
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Erster Teil
Grundlegung
die Vertragsstaaten verpflichtet, das (endgültige) Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Die h.M.431 in Deutschland lehnte vor Einführung des § 580 Nr. 8 ZPO (Rz. 217) entgegen der hier vertretenen Meinung eine Wiederaufnahme des Verfahrens ab.432 213 Doch ist festzuhalten, dass er sich nach dem durch die Staatenpraxis gesicherten Völkergewohnheitsrecht nicht damit begnügen muss. Wenn auch der verantwortliche Staat sich im Hinblick auf seine innerstaatliche Gesetzgebung zur Aufhebung des völkerrechtswidrigen Urteils außerstande sieht, so bedeutet dies nicht, dass der Verletzerstaat nur mit einer Geldzahlung „davonkommt“. Er ist vielmehr zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet, soweit dies ohne Beeinträchtigung der Gerichtsentscheidung möglich ist. Wenn z.B. ein Zivilrichter die begründete Eigentumsherausgabeklage eines Ausländers aus offensichtlichem Übelwollen (Rz. 194) abgewiesen hat, dann muss der verantwortliche Staat sein Möglichstes tun, um dem Ausländer sein Eigentum zurückzugeben. Er muss dann versuchen, den fraglichen Gegenstand zu erwerben, wobei er auch höhere Aufwendungen nicht scheuen darf. Es wird sogar die Auffassung vertreten, dass er sich die Gegenstände notfalls im Wege der Enteignung beschaffen muss.433 214 Nur soweit eine (mittelbare) Naturalrestitution überhaupt nicht in Betracht kommt, ist Schadensersatz in Geld zu leisten. Dieser ist stets an den verletzten Staat (Rz. 134, 137) zu entrichten, niemals an eine Privatperson,434 mag diese durch das völkerrechtswidrige Urteil auch zunächst geschädigt sein.435 Abweichungen hiervon kann allerdings ein völkerrechtlicher Vertrag vorsehen.
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(18); Dörr, JZ 2005, 905 (910); Dörr in Grote/Mahrauhn (ed.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2005, Kap. 33 Rz. 105; Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 15. Z.B. Heldrich, NJW 2004, 2634 (2636). OLG Naumburg v. 17.5.2005 – 11 U 135/04, OLG-Report 2005, 877: Keine Wiederaufnahme, wenn EGMR einen Verstoß gegen EMRK festgestellt hat. Ebenso BVerwG v. 4.6.1998 – 2 DW 3.97, NJW 1999, 1649 (kritisch Bausback 2483). Auch sonst will das BVerfG EGMR-Urteile nicht „schematisch“ umsetzen, da EMRK innerstaatlich nur einfachen Gesetzesrang hat, BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, FamRZ 2004, 1857 (Rixe 1863) = JZ 2004, 1171 (Eckart Klein 1176) = NJW 2004, 3407; BVerfG v. 28.12.2004 – 1 BvR 2790/04, NJW 2005, 1105 = FamRZ 2005, 785 (Rixe); BVerfG v. 5.4.2005 – 1 BvR 1664/04, FamRZ 2005, 783 = NJW 2005, 1765. Dies ist aber aus völkerrechtlicher Sicht keine ausreichende Rechtfertigung. Daher ist diese Entscheidung starker Kritik ausgesetzt, Pernice, EuZW 2004, 705; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15. Urbanek, Österr. ZöffR 11 (1961), 81. BVerfG v. 13.5.1996 – 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315. Urbanek, a.a.O., 83 (Ausnahme: anderweitige völkervertragsrechtliche Vereinbarungen, z.B. Art. 41 EMRK, hierzu z.B. Karl in Neuhold/Hummer/Schreuer [ed.], Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1540; Tomuschat, IPRax 1999, 237 [238]; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 212; Habscheid in FS Beys, 2003, 473 [483]; Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 [17]; Grabenwarter/Pabel, EMRK5, § 15). Vgl. auch Art. 30 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten v. 29.4.1957 (BGBl. II 1961, 82), Nachw. bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1323; zu Art. 10 II des dt.-
Rechtsquellen
Erster Teil
f) Innerstaatliche Wirkung völkerrechtswidriger Urteile Das Völkergewohnheitsrecht nimmt zur Frage der innerstaatlichen Wirksamkeit 215 völkerrechtswidriger Urteile nicht Stellung. Das jeweilige nationale Recht bestimmt, ob solche Urteile wirksam sind oder nicht (Rz. 470a). Für das deutsche Recht gilt: Ein Gerichtsurteil ist nicht deshalb unwirksam, weil es gegen eine (allgemeine) Regel des Völkerrechts verstoßen hat. Für völkerrechtswidrige Urteile gelten nach deutschem Staats- und Prozessrecht die gleichen Regeln wie für sonstige fehlerhafte Urteile. Im Interesse der Rechtssicherheit (jeder Rechtsstreit muss einmal endgültig entschieden sein) nimmt die deutsche Rechtsordnung die Existenz fehlerhafter Gerichtsurteile in Kauf und verleiht ihnen trotz ihrer Mängel Rechtsverbindlichkeit, wenn sie unanfechtbar sind (vgl. auch Rz. 2661). Eine Ausnahme macht entgegen der hier vertretenen Auffassung die h.L. (Rz. 528) 216 für Urteile, die unter Verletzung der Immunität fremder Staaten bzw. deren sonstiger Immunitätsträger ergangen sind. Dadurch wird aber die Rechtssicherheit auf das Schwerste gefährdet (Rz. 529). g) Wiederaufnahmemöglichkeit nach deutschem Recht Eine Wiederaufnahmemöglichkeit gibt es erst seit dem 31. Dezember 2006 nach 217 Maßgabe von § 580 Nr. 8 ZPO.436 Doch war sie schon vorher mit Schumann437 und Schlosser438 zu bejahen, wenn die Völkerrechtswidrigkeit des Gerichtsurteils ihren Grund darin hat, dass der Richter bei seinen Entscheidungen eine einschlägige Regel des Völkerrechts übersehen hat. Hat das Gericht die einschlägige Völkerrechtsregel geprüft und darüber entschieden, dann muss es mit dem Urteil sein Bewenden haben. Ist dagegen die Völkerrechtswidrigkeit eines deutschen Urteils durch eine internationale Instanz verbindlich festgestellt (Rz. 208 ff.), dann ist und war439 die Wiederaufnahme auch dann zulässig, wenn das deutsche Gericht die mit dem gerügten Mangel zusammenhängenden Fragen bereits geprüft hat.440 Zur Erhebung der Wiederaufnahmeklage oder zur Stellung des Wiederaufnah- 218 meantrags sind befugt: der verletzte Staat selbst, und zwar unabhängig davon, ob er Partei des Ausgangsverfahrens war, sowie als Partei kraft Amtes der Bundespräsident und der Außenminister (Rz. 531). Beruht das völkerrechtswidrige Urteil auf einem völkerrechtswidrigen Gesetz, so 219 kann das Gericht im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 100 II GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen, wenn die verletzte Norm eine Regel des allgemeinen Völkerrechts i.S. von Art. 25 GG ist (Rz. 266, 274). Eine
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schweiz. Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrages v. 3.12.1921 (RGBl. 1922, 217) s. Peter, Umweltschutz am Hochrhein, 1987, 211. Hierzu z.B. Schumann in FS Machacek und Matscher, 2008, 901. Schumann, NJW 1964, 753; Stein/Jonas20, Einl. XIV D Rz. 684. Schlosser, ZZP 79 (1966), 198. Anders vor Einfügung des § 580 Nr. 8 ZPO die h.M., oben Rz. 212. R. Geimer, FamRZ 2004, 812; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 389 Fn. 470.
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Grundlegung
solche Möglichkeit besteht aber nicht, wenn die verletzte Völkerrechtsregel (nur) im partikulären Völkerrecht oder im Völkervertragsrecht441 wurzelt. h) (Strafrechtliche) Verantwortlichkeit des handelnden Staatsorgans 219a Dass das (die völkerrechtliche Haftung auslösende) Staatsorgan bereits im Anspruch stellenden Staat mit Zustimmung des haftenden Staates (soweit es sich um acta iure imperii handelt) strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist,442 lässt die völkerrechtliche Haftung des verantwortlichen Staates unberührt.443 21. Haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten internationaler Organisationen 219b Alle Mitgliedstaaten einer (eigennützigen) internationalen Organisation haften im Fall der Zahlungsunfähigkeit dieser Organisation einem außenstehenden mit Völkerrechtssubjektivität ausgestatteten Gläubiger (Rz. 133) für seinen Ausfall subsidiär, gesamtschuldnerisch und uneingeschränkt, sofern ihre Haftung nicht gegenüber dem Gläubiger rechtswirksam eingeschränkt worden ist.444 Aufgrund der Transformationsnorm des Art. 25 GG haben die „Bewohner des Bundesgebietes“ (Rz. 144) sowie die juristischen Personen des deutschen Rechts gegen die Bundesrepublik Deutschland (nicht andere Staaten) einen Ersatzanspruch. 22. Keine Übertragbarkeit der International Dispute Settlement Rule auf Verfahren vor nationalen Gerichten 219c Die International Dispute Settlement Rule besagt, dass kein Staat ohne seine ausdrückliche Zustimmung vor einem völkerrechtlichen Gericht gerichtspflichtig ist. Es gibt auf der völkerrechtlichen Ebene keine obligatorische Gerichtsunterworfenheit, also keine obligatorische Jurisdiktion des IGH, sondern nur eine Schiedsgerichtsbarkeit, die auf dem Konsens der betroffenen Staaten, vor allem dem des Beklagten, beruht, Art. 36 I IGH-Statut.445 Diese Regel strahlt nicht auf das Verfahren vor nationalen Gerichten dergestalt aus, dass in einem Zivilprozess zwischen Privaten (bei Verfahren gegen den betroffenen Staat kann sich dieser – was seine acta iure imperii anbelangt – ohnehin hinter seiner Immunität verschanzen) es von Völkerrechts wegen verboten wäre, vorfragenweise das Verhalten eines (am Rechtsstreit nicht beteiligten) Staates zu beurteilen.446 441 BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach). 442 Z.B. ein Richter wegen Rechtsbeugung. 443 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 311. 444 Hoffmann, NJW 1988, 585 m.w.N. 445 BGBl. II 1973, 503; m.w.N. bei Heß, a.a.O., 320; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 187. Der Text des IGH-Statuts ist abgedruckt z.B. bei Neuhold/Hummer/ Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 261 S. 405 ff. 446 R. Geimer, ZfRV 1992, 333. Anders Heß, a.a.O., 326, wenn es „in der Sache um die Feststellung einer Völkerrechtsverletzung des nicht beteiligten fremden Staates“ geht. Dann sei die Klage als unzulässig abzuweisen.
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Beispiel: Ein privater Galerist wird auf Herausgabe von Gemälden verklagt, die ihm ein ausländischer Staat als Leihgabe für seine Galerie überlassen hat. Der Kläger begründet seine rei vindicatio mit völkerrechtswidriger Enteignung. Es geht hier nach richtiger Ansicht nicht um die Zulässigkeit der Klage, sondern (allenfalls) um die Vorfragenkompetenz der nationalen Gerichte zu Fragen des Völkerrechts447 bzw. um die Frage der Anerkennung des Enteignungsaktes durch das Recht des Forumstaates.
23. Reaktionsmöglichkeiten nicht (unmittelbar) betroffener Staaten auf Völkerrechtsverletzungen Keine Popularklage: Das allgemeine Völkergewohnheitsrecht kennt keine Popu- 220 larklage, die ein nicht unmittelbar betroffener Staat zur Wahrung der völkerrechtlichen Legalität erheben könnte.448 Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des betroffenen Staates, der sich durch eine völkerrechtswidrige Maßnahme eines anderen Staates unmittelbar oder in der Person eines seiner Staatsangehörigen (Mediatisierung des Menschen, Rz. 132) geschädigt betrachtet, Schritte zur Beseitigung der Folgen des Unrechts zu unternehmen. Überprüfung ausländischer Hoheitsakte auf ihre Völkerrechtskonformität: An- 221 dere durch das betreffende Unrecht nicht verletzte Staaten haben die Möglichkeit, dagegen zu protestieren und den durch das Unrecht geschaffenen Tatbestand nicht anzuerkennen, Rz. 465. Eine Pflicht zur Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Akte wird überwie- 222 gend abgelehnt (Rz. 153 ff., s. aber auch Rz. 535). 24. Fehlende Rechte der Individuen: Können diese die Völkerrechtswidrigkeit staatlichen Handelns geltend machen? Den einzelnen Individuen fehlt die allgemeine völkerrechtliche Rechtsfähigkeit 222a (Rz. 132). Sie können die Völkerrechtswidrigkeit nicht unmittelbar auf völkerrechtlicher Ebene geltend machen.449 25. Aufhebung und Abänderung von gerichtlichen Entscheidungen und sonstigen Hoheitsakten ausländischer Staaten Eine Aufhebung und Abänderung von gerichtlichen Entscheidungen und sons- 222b tigen Hoheitsakten ausländischer Staaten mit Wirkung für die eigene Jurisdiktionssphäre ist völkerrechtlich unbedenklich. Völkerrechtswidrig wäre es nur, wenn die inländischen Gerichte auch mit Wirkung für die Rechtsanwendungsorgane des Ursprungsstaates oder dritter Staaten die Unverbindlichkeit (Wirkungslosigkeit) bzw. Änderung des betreffenden Urteils bzw. Hoheitsaktes vorschreiben wollten. Die Aufhebung bzw. Abänderung erfolgt aber nur für die 447 Diese ist nicht nur in dem in Art. 25 GG angesprochenen Umfang zu bejahen, Heß, a.a.O., 325 Fn. 33. 448 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1692. Ausnahme: Rz. 800a. 449 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 216 ff.; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 173 f.
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Erster Teil
Grundlegung
eigene inländische Rechtssphäre ohne Anspruch darauf, dass sie auch im Ursprungsstaat oder in dritten Staaten Beachtung findet. Ob das Aufhebungsurteil im Ursprungsstaat oder in dritten Staaten anerkannt wird, entscheidet die jeweils betroffene ausländische Rechtsordnung.450 26. Aufhebung ausländischer Schiedssprüche 222c Erst recht ist es völkerrechtlich nicht verboten, ausländische Schiedssprüche aufzuheben. Es besteht keine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Sitzstaates bzw. des Staates des maßgeblichen Schiedsverfahrensstatuts zur Aufhebung von Schiedssprüchen, auch wenn in der Staatenpraxis üblicherweise nur der Sitzstaat eine internationale Zuständigkeit zur Aufhebung seiner Schiedssprüche eröffnet (Rz. 1262a).451 27. Kriegs- und Besatzungsschäden 222d Das Völkerrecht gebietet nicht, die betroffenen Einzelnen für Kriegs- und Besatzungsschäden zu entschädigen.452 Dies gilt auch für völkerrechtswidrige Handlungen jeder Art. Eine Verletzung des Kriegsvölkerrechts begründet nach Art. 3 der Haager Landkriegsordnung keine Schadensersatzansprüche des betroffenen Einzelnen, sondern nur solche seines Heimatstaates bzw. der anderen kriegsführenden Partei.453 Dies gilt auch für eklatante Menschenrechtsverletzungen und sonstige Verstöße gegen das völkerrechtliche ius cogens.454 Auch auf innerstaat450 R. Geimer, RIW/AWD 1975, 84 (85). S. auch von Mohrenfels in MüKo.BGB5, Art. 17 EGBGB Rz. 173; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 317 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). 451 Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 184. 452 Nachw. bei Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (188). 453 Es handelt sich um ein klassisches Beispiel der Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht, Rz. 132 ff. 454 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 80 ff., www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf; hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (203). Ebenso schon BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 = MDR 2003, 1177 = NJW 2003, 3488 = LMK 2003, 215 (Geimer); bestätigt durch BVerfG v. 15.2.2006 – 2 BvR 669/04, NJW 2006, 2542 = EuGRZ 2006, 105 = IPRspr. 2006 Nr. 103, allerdings nur für Kriegsexzesse im 2. Weltkrieg (Dístomo-Massaker), die heutige Rechtslage offen lassend. Hierzu Siehr in FS Kerameus, 2009, 1293. Generell gegen eine Immunitätsausnahme bei schweren Völkerrechtsverstößen Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (210 ff., 218); Dörr, JZ 2005, 905 (910); Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225; Dutta, AöR 133 (2008), 191 (196); m.w.N. bei Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, 2007; Bankas, The State Immunity Controversy in International Law, 2005; Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (127); Kadelbach, BerDGVR 40 (2003), 63 (93); M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000, 292 ff.; Meierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts? Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 270 ff.; R. Stürner in FS Georgiades, 2005, 1299, 1307; Tomuschat, RGDIP 109 (2005), 51; Voyiakis, Access to Court v State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696. Umfangreiche Nachw. bei Stammler, Der Anspruch von Kriegsopfern
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licher Ebene verneint der Bundesgerichtshof455 im Ergebnis eine Amtshaftung nach § 839 BGB; der Krieg als völkerrechtlicher Ausnahmezustand suspendiere die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend.456 222e
Beispiel: Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Beihilfe457 zu NATO-Bombardierungen während des Kosovo-Krieges.458
Ob jemals der Einzelne ihm durch militärische Aktionen zugefügte Schäden in einem justizförmigen Verfahren gegen den Verletzerstaat vor dessen Gerichten mit Aussicht auf Erfolg wird geltend machen können, ist derzeit noch völlig offen; erst recht lässt sich nicht absehen, ob es in diesem Zusammenhang irgendwann einmal zu einer Erosion des Immunitätsschutzes (Rz. 626c) der Staaten kommen wird mit der Folge, dass die geschädigten Individuen auch vor den Gerichten ihres eigenen Heimatstaates bzw. loco delicti klagen können.459 Bis auf weiteres bleibt es bei der seit Jahrhunderten befolgten und bisher nie 222f ernsthaft in Frage gestellten Regel, dass die grausamen und ungerechten Folgen von Krieg und Besatzung nur auf völkerrechtlicher Ebene, also in Verhandlungen von Staat zu Staat bzw. mit sonstigen Mitteln der völkerrechtlichen Streiterledigung, einer Regelung zugeführt werden können. Vorstehendes gilt für alle Kriegshandlungen und sonstigen militärischen Aktio- 222g nen sowie für alle der Besatzungsmacht zuzurechnenden Maßnahmen im weitesten Sinne während der Okkupation.460 Deshalb kann man nicht zwischen den Kampf- und den Besatzungstruppen unterscheiden.461
455 456
457
458 459 460 461
auf Schadensersatz, 2009, 39 ff.; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305; von Woedtke, Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, 2010. S. auch Serranò, (ital.) Rivista di diritto int. privato e processuale, 3 (2009), 605. BGH v. 2.11.2006 – III ZR 190/05, BGHZ 169, 349 = JZ 2007, 532 = RiW 2007, 137. Für Anwendung des deutschen Amtshaftungsrechts (Art. 34 GG, § 839 BGB) mit eingehender Begründung Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (208). S. auch Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, ZaöRV 2006, 699. Zum völkerrechtlichen Beihilfebegriff s. Art. 16 der Resolution 56/83 v. 12.12.2001 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit, in dt. abgedruckt bei Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 325, S. 511. LG Bonn v. 10.12.2003 – 1 O 361/02, NJW 2004, 525 = JZ 2004, 572 (Dörr). Hierzu auch Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, JZ 2005, 905 (910). Zur Erosion des Immunitätsschutzes Kadelbach, BerDGVR 40 (2003), 63 (93); M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000, 292 ff. Nachw. bei R. Geimer, Dike international 33 (2002), 882. S. auch R. Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225. Ebenso im Ergebnis IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien, www.icj-cij.oorg/docket/ files/143/16883.pdf; hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201.
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Grundlegung
28. Zahlungsmoratorien wegen Staatsnotstands 222h Für das derzeit geltende Völkergewohnheitsrecht verneint das Bundesverfassungsgericht462 die Existenz einer Regel, wonach ein Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt sei, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweise zu verweigern. Auch nach Art. 25 des Entwurfs der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen kann ein Staat Notstand als Rechtfertigung für eine Verletzung bzw. Nichterfüllung einer internationalen Verpflichtung grundsätzlich nicht geltend machen. Eine Ausnahme gilt aber nach diesem Entwurf dann, wenn die Handlung, die mit einer internationalen Verpflichtung dieses Staates nicht in Einklang steht, „das einzige Mittel zum Schutz eines essentiellen Staatsinteresses gegenüber einer schwerwiegenden und unmittelbar drohenden Gefahr ist“.463 Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Staat zahlungsunfähig ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, z.B. dass wegen des Schuldendienstes (Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen aus Staatsanleihen einschließlich der Zinsverpflichtungen) grundlegende staatliche Funktionen (Gesundheitsvorsorge, Rechtspflege, Schul- und Bildungssystem) auch nicht mehr notdürftig aufrechterhalten werden können.464 Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. 222i Der Staatsnotstand führt nicht zur Unklagbarkeit der iure gestionis eingegangenen Verbindlichkeit; es entfällt weder die an sich gegebene Gerichtsbarkeit (Rz. 558, 616) noch die nach Art. 7 ff. EuGVVO n.F. bzw. Art. 5 ff. LugÜ 2007 bzw. §§ 21 ff. ZPO zu bejahende internationale Zuständigkeit Deutschlands; es geht nur um die materiell-rechtliche Frage, ob die Nichterfüllung der Verbindlichkeit rechtswidrig ist und welche Rechtsfolgen sich gegebenenfalls aus dem Verzug ergeben.
II. Völkervertragsrecht 1. Überblick 223 Die Zahl der völkerrechtlichen Verträge auf dem Gebiet des internationalen Verfahrensrechts nimmt ständig zu.465 Davon sind manche Übereinkommen (insbes. aus neuerer Zeit) self executing, d.h. sie sind so eindeutig formuliert, dass sie (nach ihrer innerstaatlichen Inkraftsetzung) von den Gerichten und Behörden unmittelbar angewandt werden können. Es bedarf keiner Ausführungsgesetze; Beispiel: Lugano-Übereinkommen.466 224 Grundsätzlich gilt: Die Art und Weise der innerstaatlichen Inkraftsetzung bestimmt der innerstaatliche Gesetzgeber.467 So ist z.B. das (mittlerweile durch die 462 BVerfG v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03, IPRax 2008, 427 (Stadler 405). 463 Näher hierzu Pfeiffer, ZVglRWiss 2003, 141 (171); Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 21 Rz. 107. 464 OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931 (2932). 465 Zusammenstellung der wichtigsten Übereinkommen z.B. bei Schack, IZVR6, Rz. 54. 466 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – EuGVVO Einl. Rz. 49. 467 Vgl. die Kommentare zu Art. 59 II GG (z.B. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 59 Rz. 25) und Ullmann, FamRZ 1987, 434; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1,
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Rom I-VO ersetzte) Römische Schuldvertragsübereinkommen so formuliert, dass es – in weiten Bereichen – keines Ausführungsgesetzes bedarf. Gleichwohl hat der deutsche Gesetzgeber den Inhalt dieser Konvention in ein nationales Gesetz umgegossen (Art. 27 ff. EGBGB) und die innerstaatliche Anwendung der Konvention ausgeschlossen. Ganz dezidiert bestimmt Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes:468 „Die Zustimmung erfolgt mit der Maßgabe, dass die in den Art. 1 bis 21 des Übereinkommens enthaltenen Vorschriften innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finden.“469 Ebenso wurde bei der Inkraftsetzung des – auch verfahrensrechtlich wichtigen – 225 Seehaftungsrechts, vgl. §§ 738 ff. HGB a.F. (Rz. 1794), sowie des TRIPS-Übereinkommens verfahren, das in Teil III detaillierte verfahrensrechtliche Regelungen (Art. 41 ff.) enthält.470 Viele Staatsverträge enthalten lediglich die Verpflichtung, das nationale Recht 226 nach bestimmten Grundsätzen und Regeln zu gestalten. Dann sind die Vertragsstaaten verpflichtet, (nationale) Ausführungsgesetze zu erlassen (Rz. 265). 2. Vorbehalte zu völkerrechtlichen Verträgen a) Völkerrechtliche Ebene Ein Vertragsstaat, der einen Vorbehalt zu einer bestimmten Vorschrift eines völ- 226a kerrechtlichen Vertrages gemacht hat, kann ihre Anwendung nur insoweit verlangen, als er selbst die Vorschrift angenommen hat.471 Der oder die anderen Vertragsstaaten, die keinen Vorbehalt erklärt haben, sind zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, sich auf den Vorbehalt zu berufen. Es steht ihnen frei, den Vorbehalt zu ignorieren und das Übereinkommen in der Fassung ohne den Vorbehalt anzuwenden.472 b) Innerstaatliche Ebene Nach der „Transformationslehre“ ist nur das deutsche Zustimmungsgesetz 226b (Art. 59 II GG) gegebenenfalls i.V.m. dem im deutschen Bundesgesetzblatt veröffentlichten Wortlaut des völkerrechtlichen Vertrages maßgebend; nach der „Vollzugstheorie“ stellt das deutsche Zustimmungsgesetz lediglich den „Vollzugsbefehl“ dar, der den (unveränderten) völkerrechtlichen Normen im Inland Geltung verschafft.473 Hat ein fremder Vertragsstaat einen Vorbehalt gemacht, kann Deutschland sich auf die Reziprozitätsklausel berufen, muss es aber nicht.
468 469 470 471 472 473
102, 104. Ausführlich Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, 1994, Kap. I Rz. 133, S. 42. S. auch Staudinger/Hausmann, 2013, Art. 3 EGBGB Rz. 31. BGBl. II 1986, 801. Einzelheiten bei Helene Boriths Müller, Die Umsetzung der europäischen Übereinkommen von Rom und Brüssel in das Recht der Mitgliedstaaten, 1997, 45, 101. Näher hierzu die Vorauflage. Art. 27 Europäisches Niederlassungsabkommen v. 13.12.1955 (BGBl. II 1959, 998); Art. 21 I Wiener Vertragsrechtskonvention. Beispiel unten Rz. 418. Nachw. bei Kaum, IPRax 1992, 19.
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Grundlegung
Auf dem Hintergrund der Vollzugslehre wäre es zumindest ratsam, dass – auf innerstaatlicher Ebene – Deutschland klar stellt, ob es, trotz des Vorbehalts, das Übereinkommen ohne Abstriche anwendet oder nicht. 3. Inhalt der Staatsverträge 227 Zu unterscheiden ist zwischen kollisionsrechtlichen und materiell-rechtlichen Regelungen (Normen für Sachverhalte mit Auslandsberührung). Meist werden nur Sachverhalte geregelt, die Berührung zum Ausland haben; für reine Inlandskonstellationen fehlt ein Regelungsbedarf. Hierbei ist wieder zu unterscheiden: a) Festschreiben eines internationalen Mindeststandards 228 Häufig wird zum Schutz des Beklagten oder der schwächeren Partei ein Mindeststandard international festgeschrieben. Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es jedoch überlassen, diesen Schutz noch zu verbessern. 229 Beispiel: Der Schutz des säumigen Beklagten nach Art. 15, 16 des Haager Zustellungsübereinkommens 1965.474 Art. 15 HZÜ will den Schutz des säumigen Beklagten gegenüber dem nationalen Zustellungsrecht (remise au parquet,475 öffentliche Zustellung, § 185 ZPO)476 verbessern.477
230 Art. 15 I HZÜ verlangt entweder Zustellung nach dem Recht des Aufenthaltsstaates des Beklagten (= der um Rechtshilfe ersuchte Staat) oder eine direkte Übergabe an den Beklagten oder eine Ersatzperson in seiner Wohnung. Der Begriff „Wohnung“ ist bei juristischen Personen i.S. von Geschäftsräumen zu interpretieren.478 Art. 15 I HZÜ soll sicherstellen, dass der Beklagte von der Einleitung des Verfahrens tatsächlich und rechtzeitig Kenntnis erhält; er erfasst daher nur prozesseinleitende Schriftstücke. Nach diesem Zeitpunkt (Benachrichtigung des Beklagten vom Verfahrensbeginn) ist ein weiterer (völkervertraglicher) Schutz des Beklagten während des laufenden Verfahrens nicht vorgesehen.479
474 BGBl. II 1977, 1375. Das Haager Übereinkommen diente als Vorbild für Art. 19 EuZustVO (Rz. 245c). 475 Das OLG Karlsruhe v. 12.3.1999 – 9 W 69/97, RIW 1999, 538 = IPRspr. 1999 Nr. 157 sieht sogar einen Verstoß gegen Art. 12 EG (nunmehr: Art. 18 AEUV), da von der Auslandszustellungsnorm typischerweise Ausländer betroffen seien. Hierzu Stadler, IPRax 2006, 116 (117 m.w.N.), Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig Rz. 2082. 476 Grundlegend BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827; v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, NJW 2003, 1326. 477 Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 137 ff. 478 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 151 Fn. 15. 479 Actes et Documents III (1965), 74, 93; Pfeil-Kammerer, a.a.O., 152.
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Ein Versäumnisurteil darf erst ergehen, wenn die Kautelen des Art. 15 I HZÜ ge- 231 wahrt sind.480 Ist gleichwohl ein Versäumnisurteil ergangen, so gibt Art. 16 HZÜ einen besonderen, durch die Konvention in das nationale Prozessrecht implantierten außerordentlichen Rechtsbehelf (Rz. 2091). Allerdings kann jeder Vertragsstaat diese Wartefrist auf sechs Monate begrenzen, 232 Art. 15 II HZÜ. Auch Deutschland hat nach langem Zögern am 19.11.1992 einen solchen Vorbehalt erklärt.481 (S. auch Rz. 2090). Der deutsch-tunesische Rechtshilfevertrag (Art. 17),482 der deutsch-marokka- 233 nische Rechtshilfevertrag (Art. 9 I) sowie Art. 20 II EuGVÜ/LugÜ 1988 bzw. Art. 28 II EuGVVO sowie Art. 26 II LugÜ 2007 enthalten Parallelvorschriften (Rz. 2097). b) Schaffung von Einheitsrecht Hier soll (für einen Teilbereich) eine für die Vertragsstaaten einheitliche Rege- 234 lung stipuliert werden. Z.B. Klageverbot nach Art. VIII des Internationalen Währungsfonds-Abkommens.483 Nach Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 des Abkommens über den Internationa- 235 len Währungsfonds, geschlossen in Bretton Woods zwischen dem 1. und 22.7.1944,484 kann aus Devisenkontrakten, welche die Währung eines Mitglieds berühren und die in Gegensatz stehen zu den von dem Mitglied in Übereinstimmung mit diesem Abkommen aufrechterhaltenen oder eingeführten Devisenkontrollbestimmungen, nicht geklagt werden. Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat devisenrechtliche Eingriffe eines anderen Mitgliedstaates in privatrechtliche Verträge grundsätzlich anerkennen muss, und zwar in dem Umfang, in dem der andere Mitgliedstaat im Rahmen dieses Abkommens selbst den Schutz seines Devisenbestandes durch Devisenkontrollbestimmungen in Anspruch nimmt.485 Das Übereinkommen erfasst aber nur Geschäfte des laufenden Zahlungsverkehrs; es gilt nicht für Kreditverträge im internationalen Kapitaltransfer,486 insbes. nicht für Forderungen aus Staatsanleihen einschließlich der in den Anleihebedingun-
480 BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer). 481 BGBl. II 1993, 704. 482 Arnold, NJW 1970, 1478; Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 87. 483 Hierzu Staudinger/Ebke, Internationales Vertragsrecht, 2011, Anh. zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 7 ff.; Marty, Ausländische Devisenkontrollregulierungen, 2009; Thode in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 672 ff. 484 BGBl. II 1952, 637, 728, I 1954, 240, II 1968, 1225, II 1978, 13, II 2000, 799. Hierzu z.B. Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, Art. 9 Rom I-VO Anh. II Rz. 9 ff. 485 BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337) = IPRspr. 1971 Nr. 116b. S. auch Gränicher, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung ausländischer Devisenmaßnahmen, 1984, 111 ff. 486 BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, NJW-RR 1997, 686 = RIW 1997, 426.
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Grundlegung
gen versprochenen Zinsen.487 Keine exchange contracts sind Kapitalübertragungen, z.B. zum Zwecke der Investition in eine Gesellschaftsbeteiligung.488 Im Übrigen ist der Begriff „Devisenkontrakt“ in den vorstehend dargelegten Grenzen weit auszulegen.489 Exchange contracts i.S. des Art. VIII Abschn. 2 (b) des IWF-Abkommens sind nicht nur Devisengeschäfte i.e.S., sondern alle vertraglichen Verpflichtungen, deren Erfüllung sich auf die Zahlungsbilanz eines IWF-Mitgliedstaates auswirken können.490 Entscheidend ist also die Möglichkeit einer Auswirkung auf die Zahlungsbilanz eines IWF-Mitgliedstaates.491 236 Zweck des IWF-Abkommens ist es, durch Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten die Stabilität ihrer Währungen zu fördern, geordnete Währungsbeziehungen aufrechtzuerhalten und in diesem Rahmen auch beim Schutz von Devisenbeständen gegenseitig mitzuwirken.492 Jedenfalls die gerichtliche Durchsetzung von verbotenen Devisenkontrakten ist untersagt (völkerrechtliches Verbot des Rechtsschutzes), möglicherweise sind die Vertragsstaaten auch verpflichtet, die betreffenden Verträge und sonstigen Rechtsvorgänge materiell-rechtlich als unwirksam zu behandeln.493 237 Die Pflicht zur Beachtung der (öffentlich-rechtlichen) Devisenvorschriften der Mitgliedstaaten des Internationalen Währungsfonds besteht unabhängig von dem privatrechtlichen Vertragsstatut;494 sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Vertragsparteien die Anwendung deutschen Rechts vereinbart haben. Der Verstoß gegen die Devisenbestimmungen eines Mitgliedstaates ist von Amts wegen zu beachten (dies bedeutet aber keine Amtsermittlung)495 und führt – wenn es nicht nur um eine Vorfrage geht496 – wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung zur Abweisung der Klage als unzulässig bzw. zur Nichtbeachtung der
487 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, RIW 1994, 151 (Ebenroth/Müller 269) = WM 1994, 54 (Ebke 1357) = IPRax 1994, 298 (Ebenroth/Woggon) = ZGR 23 (1994) 665 (Karsten Schmidt); OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931; Pfeiffer, ZVglRWiss 2003, 141 (171); Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 21 Rz. 107. 488 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, NJW 1994, 390. 489 Kohl, IPRax 1986, 286; Ebke, RIW 1991, 3; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619. 490 So BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, MDR 1970, 913 = NJW 1970, 1507 für die Eingehung von Wechselverpflichtungen; BGH v. 19.4.1962, MDR 1962, 563 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 163 für Provisionen eines Handelsvertreters; OLG Bamberg v. 5.7.1978, IPRspr. 1978 Nr. 127 für alle Geschäfte des grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehrs, wie z.B. Lizenzverträge. 491 Gold, RabelsZ 1954, 621; Mann, JZ 1953, 442 ff.; Coing, WM 1972, 841; BGH v. 27.4.1970, a.a.O.; OLG Frankfurt v. 27.2.1969, WM 1969, 508 f. = IPRspr. 1971 Nr. 116a; LG Hamburg v. 24.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 126. Offen gelassen von BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = NJW 1993, 1070 = EWiR 1992, 203 (R. Geimer). 492 BGH v. 27.4.1970, a.a.O.; Kohl, IPRax 1986, 285. 493 S. unten Rz. 239. S. auch Siehr, IPR, 2001, 333. 494 BGH v. 27.4.1970, a.a.O. 495 BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = RIW 1991, 513. 496 OLG Hamburg v. 4.9.1992, IPRspr. 1992 Nr. 171b.
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Erster Teil
Aufrechnung,497 lässt aber die Rechtswirksamkeit des Vertrages unberührt.498 Nach der Gegenmeinung ist das Tatbestandsmerkmal „unenforceable“ der völkerrechtlich allein verbindlichen englischen Fassung materiell-rechtlich zu qualifizieren: Mit Devisenbestimmungen nicht in Einklang stehende Devisenkontrakte seien unvollkommene Verbindlichkeiten, die keine durchsetzbaren Ansprüche begründen.499 Nach der prozessrechtlichen Theorie kann z.B. gegen Angehörige eines Vertrags- 238 staates in diesem auf Leistung in der Währung dieses Staates geklagt werden, wenn nach der lex causae Leistung auch in dieser Währung verlangt werden kann.500 Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage gehen zu Lasten der Klagepartei, welche die Prozessvoraussetzungen für das erstrebte Sachurteil darzulegen hat. Ist nur ein Teil der Klageforderung durch eine Devisengenehmigung des beteiligten Staates gedeckt, ist die Forderung im Umfang der erteilten Devisengenehmigung klagbar. Damit lockert der Bundesgerichtshof501 seine bisher gläubigerfeindliche Haltung auf. Auch die Bereicherungsklage ist nach Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 des Abkom- 239 mens über den Internationalen Währungsfonds unzulässig. Der Klagbarkeit eines Bereicherungsanspruchs, der in Betracht käme, wenn die Vereinbarung wegen Devisenverstoßes nichtig ist, aber bereits erfüllt wurde, steht Art. VIII Abschn. 2 (b) entgegen.502 Zweck der Bestimmung ist nämlich auch, vom Abschluss von Verträgen abzuschrecken, welche die Devisenkontrollbestimmungen verletzen. „Die Parteien würden ermutigt, häufiger zu versuchen, ihr Ziel durch solche Verträge zu erreichen, wenn die Risiken geringer wären, und das beste Mittel, das Risiko zu beschränken, wäre es, die Gewissheit der Parteien zu stärken, dass sie den zur Erfüllung des Vertrages gezahlten Betrag zurückerhalten, wenn der Vertrag deshalb nicht erfüllt wird, weil er wegen der Verletzung der Devisenkontrollbestimmungen nicht durchsetzbar ist.“503 I.d.R. liegt – da nach Ansicht des Bundesgerichts-
497 LG Karlsruhe v. 24.8.1984 – O 15/84 KfH II, RIW 1986, 385. 498 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, a.a.O.; OLG Bamberg v. 5.7.1978, IPRspr. 1978 Nr. 127; LG Hamburg v. 24.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 126; OLG München v. 25.1.1989 – 15 U 4470/87, NJW-RR 1989, 1139 = RIW 1990, 323 = JZ 1991, 370 (Ebke 335); OLG Düsseldorf v. 28.9.1989 – 6 U 258/88, NJW 1990, 1424 = RIW 1989, 987 = IPRspr. 1989 Nr. 171. 499 So in Übereinstimmung mit der Auslegung durch die common law-Gerichte Ebke, Internationales Devisenrecht 1991, 281 ff., 293; Thode, RabelsZ 56 (1992), 382 (385); Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 999. Offen gelassen in BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = NJW 1993, 1070 = EWiR 1992, 203 (R. Geimer); v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, MDR 1994, 1156 = RIW 1994, 151 (Ebenroth/Müller 269) = WM 1994, 54 (Ebke 1357) = IPRax 1994, 298 (Ebenroth/Woggon) = ZGR 23 (1994) 665 (Karsten Schmidt). 500 BGH IPRspr. 1979 Nr. 139; LG Karlsruhe v. 24.8.1984 – O 15/84 KfH II, RIW 1986, 385 (Löber) = IPRspr. 1984 Nr. 118A. 501 BGH v. 14.11.1991, RIW 1992, 144 = IPRax 1992, 377 (Fuchs 361). 502 KG v. 8.7.1974, IPRspr. 1974 Nr. 138; OLG Bamberg v. 5.7.1978, IPRspr. 1978 Nr. 127; LG Hamburg v. 24.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 26. 503 Hongkong Supreme Court v. 3.11.1949, zitiert nach Gold, RabelsZ 1962/63, 606 (619).
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Erster Teil
Grundlegung
hofs (Rz. 237) der Verstoß gegen Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Übereinkommen nur zur Unklagbarkeit, nicht aber zur materiell-rechtlichen Unwirksamkeit führt – keine Leistung sine causa vor.504 240 Auch aus unerlaubter Handlung kann ein klagbarer Anspruch nicht hergeleitet werden, jedenfalls dann nicht, wenn die unerlaubte Handlung im engen Zusammenhang mit einem Devisenkontrakt i.S. des Abkommens steht. Wollte man die Klagbarkeit eines solchen Anspruchs aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 oder § 266 StGB zulassen, würde letztlich doch die von den Vertragsparteien gewollte Umgehung von Devisenbestimmungen entgegen dem Schutzzweck des Abkommens anerkannt.505 241 Beispiel: Ein indischer Staatsbürger mit ständigem Aufenthalt in Kenia vereinbarte mit einem Schiffsunternehmer in Hamburg, dieser solle größere Geldbeträge von Kenia nach Deutschland verbringen und hier treuhänderisch für ihn verwahren. Der Inder verlangte Rückzahlung der Beträge.
Das LG Hamburg506 hat die Klage abgewiesen, da der Vereinbarung auf Verbringung von Geldbeträgen aus Kenia ins Ausland die Devisenkontrollbestimmungen Kenias entgegenstanden. Nach kenianischem Recht war es keinem Gebietsansässigen in Kenia gestattet, eigene oder fremde Währung ohne besondere Genehmigung der Devisenbehörden ins Ausland zu verbringen.507 242 Das LG Hamburg hat den Einwand nicht zugelassen, die Devisenbestimmungen Kenias führten zu dem unbilligen Ergebnis, dass die in Kenia lebenden, ständig von Ausweisung bedrohten indischen Staatsangehörigen bei Ausweisung ihr Vermögen nicht mitnehmen dürften. Eine Wertung der Devisenbestimmungen Kenias am Maßstab des Art. 6 EGBGB sei verboten, weil die Frage der Übereinstimmung der nationalen Devisenbestimmungen mit dem Abkommen nicht von den nationalen Gerichten, sondern vom Internationalen Währungsfonds selbst zu prüfen ist (dies war in concreto geschehen).508 243 Auch dem Einwand, der Beklagte verstoße mit dieser Verteidigung gegen Treu und Glauben, kommt keine Bedeutung zu. Denn es stehen staatliche Interessen auf dem Spiel (Schutz der Zahlungsbilanzstabilität), über welche die Parteien nicht disponieren können.509 244 Aus der Unklagbarkeit des Hauptanspruchs folgt auch die Unklagbarkeit des Anspruchs gegen den Bürgen.510
504 505 506 507
Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624. Differenzierend Rauscher in FS Lorenz, 1991, 471. LG Hamburg v. 24.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 126. A.A. Mann, JZ 1970, 711. LG Hamburg v. 24.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 126. Nunmehr wären auch die Vorschriften zur Verhinderung der Geldwäsche in Betracht zu ziehen. 508 Kohl, IPRax 1986, 286. 509 OLG Bamberg v. 5.7.1978, IPRspr. 1978 Nr. 127. 510 OLG Düsseldorf v. 16.2.1983 – 17 U 53/82, RIW 1984, 397 = IPRspr. 1983 Nr. 124; OLG München v. 17.10.1986 – 23 U 2762/86, IPRax 1987, 307 (Rehbinder 289).
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Erster Teil
4. Haager Konventionen Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht511 hat sich auf fast allen ih- 244a ren Sitzungen mit Fragen des internationalen Verfahrensrechts beschäftigt und eine große Zahl von Konventionen ausgearbeitet;512 zu erwähnen sind vor allem die Übereinkommen – über den Zivilprozess vom 1.3.1954 (Rz. 2071; = Neufassung des Abkommens vom 17.7.1905), – über die Zustellung im Ausland von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken vom 15.11.1965 (Rz. 2072), – über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18.3.1970 (Rz. 2354), – über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes der Minderjährigen vom 5.10.1961 (Rz. 2760);513 dieses Übereinkommen wird ergänzt durch das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980,514 – über die Zuständigkeit der Behörden, das anwendbare Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Adoption vom 5.11.1965,515 – über die Anerkennung von Scheidungen sowie Trennungen von Tisch und Bett vom 1.7.1970,516 – über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen vom 24.4.1966 samt Zusatzprotokoll vom 1.2.1971,517 – über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (UVÜ, Rz. 2760), – über einheitliche Regeln über die Gültigkeit und die Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25.11.1965 (Rz. 1795),518
511 Hierzu z.B. Hess, EuZPR, 2010, § 5 Rz. 38 (S. 9); Kreuzer/Wagner, EuIZVR in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q Rz. 3 ff. 512 Zusammengestellt bei Kegel/Schurig, IPR9, § 4 II 2; Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 und Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263; Sonnenberger in MüKo.BGB5, Bd. 10, IPR Einl. Rz. 289; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 454. Überblick auf www.hcch.net. 513 Dieses Übereinkommen wurde ersetzt durch das Übereinkommen v. 19.10.1996 – Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), BGBl. I 2009, 603. 514 BGBl. II 1990, 206. 515 Von Deutschland nicht in Kraft gesetzt. 516 Von Deutschland nicht ratifiziert. 517 Deutschland hat dieses Übereinkommen nicht in Kraft gesetzt, Rz. 2763. 518 Von Deutschland nicht ratifiziert. Hierzu Vrellis, The validity of a Choice of Court Agreement under The Hague Convention of 2005, Liber Amicorum Siehr, 2010, 763; Rolf Wagner, RabelsZ 73 (2009), 215; Wagner/Schüngeler, ZvglRW 2009, 401; Materialien in Hague Conference on Private International Law (ed.), Proceedings of the Twentieth Session, Tome III, 2010.
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Erster Teil
Grundlegung
– über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten vom 25.10.1980,519 – über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern – Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) – vom 19.10.1996. Dieses Übereinkommen soll das Minderjährigenschutzübereinkommen vom 5.10.1961 ersetzen,520 – über den internationalen Schutz Erwachsener vom 13.1.2000 – Erwachsenenschutzübereinkommen (ErwSÜ),521 – über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten vom 30.6.2005 (Rz. 1606, 1795).522 Die Arbeiten an einem weltweiten Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen („Welt-GVÜ“) begannen mit viel Verve,523 wurden aber nach einiger Ernüchterung auf der Arbeitssitzung vom 21.–27.4.2004 reduziert auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen.524 Das Ergebnis ist das Übereinkommen vom 30.6.2005.525 5. Völkerrechtliche Verträge der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 244b Der Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990526 regelt in den Art. 11 und 12 die Behandlung der völkerrechtlichen Verträge beider Vertragspartner. Art. 11 EinigungsV geht mit der überwiegenden völkerrecht519 Von Deutschland noch nicht in Kraft gesetzt, Rz. 2005a, 2761. 520 Von Deutschland noch nicht ratifiziert. Text: RabelsZ 62 (1998), 502. Hierzu Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464. 521 BGBl. II 2007, 323. Hierzu Gesetz zur Umsetzung des Haager Übereinkommens v. 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (ErwSÜAG), BGBl. I 2007, 314; Füllemann, Das internationale Privat- und Zivilprozessrecht des Erwachsenenschutzes, 2008; Helms, FamRZ 2008, 1995; Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, 2003. 522 Convention on Choice of Court Agreements, unter www.hcch.net. Hierzu Literatur unten vor Rz. 1596. 523 Hierzu z.B. Benett in Essays in Memory of Peter E. Nygh, 2004, 19; Philip in Essays in Memory of Peter E. Nygh, 2004, 299; Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments: Trans-Atlantic Lawmaking for Transnational Litigation, 2003; s. auch de Miguel Asensio, Pluralidad de jurisdiciones y unificación de las reglas de competencia, Revista Española de Derecho Int., Vol. LVIII (2006), 19; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100; Vrellis, The validity of a Choice of Court Agreement under The Hague Convention of 2005, Liber Amicorum Siehr, 2010, 763; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 89, 161, 185, 209, 267, 367; m.w.N. bei Schack, IZVR6, Rz. 133. 524 Arbeitsdokument Nr. 110 E, unter www.hcch.net; m.w.N. zur Vorgeschichte bei Heß, IPRax 2000, 342; von Mehren, IPRax 2000, 465; Wagner, IPRax 2001, 533; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 (506), Mayr/Czernich, EuZPR2, Rz. 14. 525 Hierzu R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 und 215. Kritisch zu einem neuen Anlauf Schack, ZEuP 2014, 824. 526 BGBl. II 1990, 885.
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Erster Teil
lichen Auffassung davon aus, dass die Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich mit Wirkung für das gesamte deutsche Staatsgebiet, einschließlich des Beitrittsgebietes, fortgelten, da die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt fortbesteht und insoweit der Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen gilt. So hat sich z.B. der geographische Anwendungsbereich des EuGVÜ am 3.10.1990 ohne weiteres auf das Beitrittsgebiet ausgedehnt. Weniger eindeutig ist Art. 12 Einigungsvertrag, welcher die Verträge der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik527 anspricht. Er konnte angesichts der diffusen Völkerrechtslage keine endgültige Rechtsklarheit ohne Mitwirkung der betroffenen dritten Staaten (Vertragspartner der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) schaffen, da es auch im Völkerrecht Verträge zu Lasten Dritter nicht gibt. Die einschlägigen Regeln des Völkergewohnheitsrechts sind strittig. Überein- 244c stimmung besteht nur in zwei Punkten. Einerseits geht man vom Erlöschen sog. politischer Verträge aus, andererseits aber von der Weitergeltung territorial verwurzelter Verträge (sog. radizierter Verträge wie etwa Grenzverträge). Im Übrigen reicht das Meinungsspektrum von der grundsätzlichen Fortgeltung der Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik über ihre Suspendierung bis zum Erlöschen.528 Die Vertragsparteien des Einigungsvertrages waren sich jedenfalls darüber einig, dass mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik deren völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen nicht automatisch erlöschen, sondern mit den Vertragspartnern der Deutschen Demokratischen Republik über ihre Fortgeltung, Anpassung oder ihr Erlöschen zu verhandeln ist. Dabei sollten u.a. neben dem Vertrauensschutz und der Interessenlage der Beteiligten auch die völkervertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden. Daraus ergibt sich, dass in den Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik mit dem gleichen Vertragspartner über den gleichen Gegenstand einen Vertrag geschlossen haben, der mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Vertrag vorgeht und der Vertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik über den gleichen Gegenstand suspendiert ist.529 Die Bundesregierung stellt laufend im BGBl. Teil II – nach Konsultation der je- 244d weiligen Vertragspartner – das Erlöschen bestimmter von der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik geschlossener Verträge fest. Diese Feststellungen sind – trotz Rz. 272 – für die Gerichte bindend.
527 Zusammengestellt z.B. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 75. 528 Drobnig, DtZ 1991, 79; Mansel, JR 1990, 442; von Hoffmann, IPRax 1991, 6; Dannemann, DtZ 1991, 131. M.w.N. bei Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 423 ff.; Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge mit besonderer Berücksichtigung des Endes der DDR, 1996. S. auch BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50, 54: Es besteht keine völkerrechtliche Verpflichtung für die BRD, die nach Art. 39 II 2 WÜD fortwirkende Immunität eines ehemals in der DDR akkreditierten Botschafters zu beachten. 529 Karl in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 663.45 ff. Einl. VII 4 Fn. 97.
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Erster Teil
Grundlegung
6. (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 244e „Um die Einhaltung der Verpflichtungen sicherzustellen, welche die Hohen Vertragsparteien … übernommen haben“, wurde in Art. 19 ff. der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (EMRK)530 ein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Sitz in Straßburg errichtet, dessen Aufgabe es ist, über die Einhaltung der in Art. 2 ff. EMRK und in vielen Zusatzprotokollen zugesicherten Menschenrechte zu wachen, Art. 32 EMRK. Die Vertragsstaaten sind – sofern sie Partei sind – gemäß Art. 46 I EMRK verpflichtet, das endgültige Urteil des EGMR zu befolgen, Art. 44 I EMRK.531 Ein Beurteilungsspielraum (margin of appreciation; marge d’appréciation) besteht nicht. Das Ministerkomitee überwacht gemäß Art. 46 II EMRK die Durchführung der EGMR-Urteile. Es kann jedoch keine (unmittelbaren) Zwangs- bzw. Beugemittel gegen den betreffenden Vertragsstaat einsetzen. Der EGMR selbst hat keine kassatorischen Befugnisse. Wiederaufnahme des deutschen Verfahrens ist nunmehr nach § 580 Nr. 8 ZPO möglich, wenn der EGMR die Verletzung der EMRK festgestellt hat (Rz. 217). Der EGMR verurteilt i.d.R. zu einer Entschädigung und Ersatz der Kosten nach Maßgabe von Art. 41 EMRK.532 Auch sind die Vertragsstaaten verpflichtet, innerstaatliche Abhilfe- bzw. Entschädigungsverfahren zu organisieren.533 § 839 II BGB ist im Lichte des Art. 6 I EMRK restriktiv auszulegen.534 244f Innerstaatlich hat die Menschenrechtskonvention in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes. Deutsche Gerichte haben EGMR-Urteile „gebührend zu berücksichtigen“, vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Schranken.535 Die Rechtslage wird sich ändern, wenn die Europäische Union nach Art. 59 II EMRK n.F. der Europäischen Menschenrechskonvention beigetreten sind wird.536 Davor gilt die EMRK zwar noch nicht unmittelbar für die Europäische Union. Gleichwohl „achtete“ diese die EMRK-Menschenrechte schon nach Maßgabe von Art. 6 II des Unionsvertrages a.F. Intensiver bestimmt nun Art. 6 III EUV n.F.: Die Grundrechte der EMRK sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Die an die EMRK gebundenen Vertragsstaaten sind auch dann vorbehaltlos für die Einhaltung der von ihnen in Art. 2 ff. EMRK garantierten Menschenrechte verantwortlich, wenn sie Hoheitsrechte an internationale Organisationen übertragen oder die Ausübung eigener Hoheitsrechte durch völkerrechtlichen Vertrag ein530 Neufassung BGBl. II 2002, 1054. Zum EMRK-Rechtsschutzmechanismus n.F. Matscher, FS Leipold, 2009, 1145. 531 Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen Cremer, EuGRZ 2005, 683; Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 322 Rz. 106. 532 Grabenwarter/Pabel, § 15 Rz. 5 ff. 533 EGMR – Kudla/Polen Nr. 30210/96, NJW 2001, 2694. 534 Heß in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen und privaten Gerichten, 2006, 121, 165. 535 BVerfGE 111, 307. 536 Zum angestrebten Beitritt der EU zur EMRK (Art. 6 II EUV) EU-Kommission EuZW 2010, 282; Grewe, EuR 2012, 285; Meyer-Ladewig, Hk EMRK3, 2011, Einl. Rz. 56; Philipp, EuZW 2010, 485; Ress, EuZW 2010, 841; Obwexer, EuR 2012, 115; Wolffgang in Lenz/Borchardt (ed.), EU-Verträge5, 2010, Art. 6 EUV Rz. 7.
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Erster Teil
geschränkt haben.537 Für die Europäische Union hat der EGMR538 jedoch entgegenkommenderweise die widerlegbare Vermutung aufgestellt, dass die auf das Unionsrecht gestützten Maßnahmen EMRK-konform seien, weil in der Europäischen Union ein der EMRK gleichwertiger Menschenrechtsschutz gewährleistet ist. Damit scheidet i.d.R. eine Kontrolle von EU-Recht durch den EGMR aus, solange in der EU effektiver Grundrechtsschutz besteht.539 Diese Gleichwertigkeitsvermutung greift jedoch nicht, wenn in concreto der im Unionsrecht vorgesehene Kontrollmechanismus nicht in vollem Umfang zum Einsatz gekommen ist, z.B. wegen Nichtvorlage an den EuGH (Art. 267 AEUV).540 Neben Staatenbeschwerden (Art. 33 EMRK) sind auch Individualbeschwerden 244g zulässig541:
537 EGMR – Matthews/VK EuZW 1999, 308 (Lenz). 538 EGMR v. 30.6.2005 – Bosphorus Hava Yollari Turizm/Irland Nr. 45036/98. 539 M. Stürner, GPR 2010, 43 (48); Bröhmer, EuZW 2006, 71; Geiger/Khan/Kotzur, EUV/ AEUV5, 2010, Art. 6 EUV Rz. 22. 540 EGMR 6.12.2012 – Michaud/Frankreich Nr. 12323/11 (hierzu Vondung, EuR 2013, 688). – Zur Kontrolle Europäischer Vollstreckungstitel Rauscher/Pabst in Rauscher, EuZPR4, Einl. Rz. 44, Art. 6 Rz. 37, Art. 23 Rz. 12; M. Stürner, GPR 2010, 43 (48). 541 Literaturhinweise: Adolphsen, Aktuelle Fragen des Verhältnisses von EMRK und Europäischem ZPR, in Renzikowski, Die EMRK im Privat-, Straf- u. Öffentlichem Recht, 2004, 39; Althammer, ZZP 126 (2013), 1, 10; Besson, Arbitration and Human Rights, ASA Bull 2006, 395; Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (EMRK/GG)2, 2013; Fawcett, The Impact of Art. 6 (1) ECHR on Private International Law, IntCompLQuart 2007, 1; Fischborn, Enteignung ohne Entschädigung nach der EMRK?, 2010; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3, 2010; Grabenwarter/Pabel, EMRK5, 2012; Grabenwarter, European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, 2013; Grote/Mahrauhn (ed), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, 642 ff.; Haas, Internationale Sportschiedsgerichtsbarkeit und EMRK, SchiedsVZ 2009, 73; W. Habscheid in FS Beys, 2003, 473; Halfmeier, RabelsZ 68 (2004), 653; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerde und Menschenrechtsbeschwerde3, 2013; D. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- u. Menschenrechte, 2005; Matscher in FS Kerameus, 2009, 807; Matscher in FS Posch, 2011, 495; Meyer-Ladewig, Hk EMRK3, 2011; Michl, Die Überprüfung des Unionsrechts am Maßstab der EMRK, 2013; J. M. Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz zwischen staatlicher Souveränität und menschenrechtlicher Europäisierung, 2009; T. Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz2, 2010; T. Schilling, IPRax 2011, 31; Thürer, Aktuelle Fragen zur EMRK, 2005; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 2002. – Zur Abfassung einer MR-Beschwerde bei Myjer/Mol/Kempees/van Steijn/Bockwinkel/ Uerpmann, MDR 2007, 505. – Zum Komplementärverhältnis zwischen BVerfG und EGMR Schumann in FS Spellenberg, 2010, 729; F. Kirchhof, Kooperation zwischen nationalen und europäischen Gerichten, EuR 2014, 267. – Zum auf Art. 6 I EMRK beruhenden Anspruch auf Prozesskostenhilfe (z.B. über § 116 S 1 Nr. 2 ZPO hinaus) Zöller/Geimer, ZPO30, vor § 114 Rz. 4. – Zu Art. 35 III (b) EMRK (de minimis non curat praetor) Matscher, GS Mayer-Maly, 2011, 333; Meyer-Ladewig, NJW 2011, 3126. – Zur Einschränkung der Anwendung ausländischen Rechts zur Wahrung der Menschenrechte Staudinger/Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rz. 87 ff. – Zum EMRK-Schutz des geis-
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Erster Teil
Grundlegung
Art. 34 Individualbeschwerden Der Gerichtshof kann von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch eine der Hohen Vertragsparteien in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden. Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, die wirksame Ausübung dieses Rechts nicht zu behindern. Art. 35 Zulässigkeitsvoraussetzungen (1) Der Gerichtshof kann sich mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung befassen. (2) Der Gerichtshof befasst sich nicht mit einer nach Artikel 34 erhobenen Individualbeschwerde, die a) anonym ist oder b) im Wesentlichen mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmt oder schon einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz unterbreitet worden ist und keine neuen Tatsachen enthält. (3) Der Gerichtshof erklärt eine nach Artikel 34 erhobene Individualbeschwerde für unzulässig, a) wenn er sie für unvereinbar mit dieser Konvention oder den Protokollen dazu, für offensichtlich unbegründet oder für missbräuchlich hält oder b) wenn er der Ansicht ist, dass dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist, es sei denn, die Achtung der Menschenrechte, wie sie in dieser Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind, erfordert eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde, und vorausgesetzt, es wird aus diesem Grund nicht eine Rechtssache zurückgewiesen, die noch von keinem innerstaatlichen Gericht gebührend geprüft worden ist. (4) Der Gerichtshof weist eine Beschwerde zurück, die er nach diesem Artikel für unzulässig hält. Er kann dies in jedem Stadium des Verfahrens tun.
tigen Eigentums Sebastian, GRUR Int 2013, 524. – Zum Einfluss der EMRK auf den Zivilprozess Schilling, IPRax 2011, 31. – Zu den Mängeln der Sachverhaltsaufklärung insbesondere der Beweiswürdigung Matscher in FS Gaul, 1997, 435. – Zum Einfluss der EMRK auf IPR und IZPR Matscher in FS Neumayer, 1986, 459 und FS Schwind, 1993, 71. – Zum Recht auf effektiven Zugang zu einem Gericht (Justizgewährungsanspruch einschließl. einstw. Rechtsschutz) unten Rz. 388; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 366, 375; Boog, Die Durchsetzung einstweiliger Maßnahmen in internationalen Schiedsverfahren, 2011, Rz. 563 ff. – Zum Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit Nachweise bei Kodek in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, (Österr.) Schiedsverfahrensrecht I, 2012, Rz. 1/8 ff. Zu den menschenrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des schiedsgerichtlichen Rechtsschutzes Steinbrück, Die Unterstützung ausl. Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 54 ff. – Zur These von der Relativität der Menschenrechte im internationalen Kontext Nachw. bei Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 221. – Zur extraterritorialen und indirekten Wirkung der EMRK Matscher in FS Trechsel, 2002.
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Rechtsquellen
Erster Teil
Die aufgrund solcher Individualbeschwerden ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)542 spielt bei der menschenrechtlichen Einfärbung des internationalen Verfahrensrechts543 eine bedeutsame Rolle.544 Im Zentrum steht dabei die fair trial-Garantie des Art. 6 I EMRK,545 aber
542 Entscheidungen abrufbar unter www.echr.coe.int. Zusammenstellung der EMRKRechtsprechung zu Art. 6 EMRK in EuGH v. 22.12.2010 – C-279/09 – DEB/Deutschland, EuZW 2011, 137 = LMK 2011, 313801 (Fischer) = EWiR 2011, 231 (Baumert). Hierzu Slonina, ecolex 2011, 410 und ZIK 2011, 49; Wendenburg, DRiZ 2011, 95. S. auch Meyer-Ladewig, HK EMRK3, 2011, Art. 6 Rz. 43. – Zur Öffentlichkeit des Verfahrens Arnold, FS Simotta, 2012, 11. – Zum Einfluss der EGMR-Rechtsprechung auf das deutsche Kindschaftsrecht Löhnig/Preisner, FamRZ 2012, 489. – Zum Missbrauch des Beschwerderechts (Ausschluss eines Rechtsanwalts von der Vertretung) EGMR, NJW 2012, 3501. – Zur Aussetzung des deutschen Verfahrens wegen Anhängigkeit eines Parallelverfahrens vor EGMR, OLG Naumburg FamRZ 2004, 810 (kritisch Geimer). 543 Zum Einfluss der EMRK auf IPR und IZPR Matscher in FS Neumayer, 1986, 459 und FS Schwind, 1993, 71. Zum Recht auf effektiven Zugang zu einem Gericht (Justizgewährungsanspruch einschließlich einstweiligem Rechtsschutz) unten Rz. 388; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 366, 375. 544 Hierzu in „Konkurrenz“ tritt nunmehr zunehmend der Gerichtshof der Europäischen Union in Zusammenhang mit der Auslegung der Europäischen Grundrechtecharta, wenngleich die Europäische Union der EMRK beitreten soll. Zum menschenrechtlichen europäischen Entscheidungsverbund s. auch F. Kirchhof, Kooperation zwischen nationalen und europäischen Gerichten, EuR 2014, 267. 545 Hierzu Matscher in FS Beys, 2003, 989; Geimer, IPRax 2006, 298; Grabenwarter/Pabel, § 24 Rz. 60 ff.; zum Anwendungsbereich „zivile Ansprüche und Verpflichtungen“ EGMR, NJW 1989, 2181; zur prozessualen Waffengleichheit im Zivilprozess EGMR, NJW 1995, 1413 (Schlosser 1404). – Zur Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen EGMR, NJW 1999, 2429. – Zum Verbot, Richter in eigener Sache zu sein, und zu den Grenzen des § 177 GVG EGMR, NJW 2006, 2901 betreffend contempt of courtStrafen nach common law. – Zur beschränkten Notwendigkeit der Prozesskostenhilfegewährung EGMR NJW 2010, 3207. – Zur willkürlichen Ablehnung einer EuGHVorlage (Art. 267 AEUV) EGMR a.a.O. und NJOZ 2012, 2149. – Kein Recht auf Erwiderung nach Schlussanträgen des Generalanwalts vor dem EuGH, EGMR, NJW 2010, 1914. – § 184 I 2 ZPO ist mit Art. 6 I EMRK vereinbar, BGH, NJOZ 2012, 1737; BGH v. 25.9.2012 – VI ZR 230/11, Rz. 12; hierzu auch BGH v. 25.9.2012 – VI ZR 287/11; BGH v. 3.7.2012 – VI 227/11, Rz. 16. – Zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung EGMR, NJW 2012, 3019; OLG Stuttgart v. 25.7.2011 – 5 U 60/11. – Zur Festnahme im Gerichtssaal und zwangsweisen Vorführung als Zeuge, EGMR v. 31.5.2011, NJOZ 2012, 1902. – Die Unmöglichkeit, titulierte Forderungen gegen eine im Insolvenzverfahren befindliche Gemeinde zu vollstrecken, verletzt das Recht auf Eigentum nach Art. 1 I des 1. EMRK-Zusatzprotokolls und das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 6 I EMRK im Hinblick auf die gesamtstaatliche Verantwortung, EGMR v. 24.9.2013 – 43870/04, 43892/04 – de Luca/Italien u Pennino/Italien, EuZW 2014, 319 (Sobotta). – Zu Art. 6 I EMRK s. auch EuGH – Gambazzi/DaimlerChrysler Canada & CIBC, NJW 2009, 1938, Rz. 28; EuGH v. 17.11.2011 – Rs. C-327/10 – Hypotecˇní banka as/Udo Mike Lindner, EuZW 2012, 103, Rz. 48 ff. = EWiR 2012, 19 (Baumert) = ZIP 2011, 2377 (Prozesspfleger [curator] für Beklagten unbekannten Aufenthalts; hierzu Grimm, GPR 2012, 87); EuGH v. 15.3.2012 C-292/10 – G/de Visser EuZW 2012, 381 = GRUR Int 2012, 544 = MMR 2012, 560 (öffentliche Zustellung); hierzu Sujecki,
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Erster Teil
Grundlegung
auch andere von der Konvention geschützte Individualrechte sind in diesem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung.546 244h Nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges (Art. 35 I EMRK), einschließlich der Verfassungsbeschwerde,547 kann gegen richterliche Entscheidungen gemäß Art. 34 EMRK Beschwerde zum Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt werden mit der (substantiierten) Behauptung, die durch die EMRK geschützten Individualrechte (Menschenrechte) seien verletzt.548 Innerhalb des EGMR ist „Berufung“ (Verweisung der Rechtssache) an die Große Kammer möglich, Art. 43 I EMRK. Der persönliche Anwendungsbereich der EMRK umfasst – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit – jeden, der als Kläger bzw. Antragsteller sich an das Gericht eines Vertragsstaates wendet, und jeden, der als Beklagter bzw. Antragsgegner oder sonstiger (materiell) Beteiligter in ein solches Verfahren (Zivilprozess oder sonstiges Antragsverfahren) in einem Vertragsstaat gezogen wird.549 244i Der EGMR geht von der Sachverhaltsfeststellung des nationalen Gerichts aus, es sei denn, dass Gesichtspunkte vorliegen, die zwingend gegen die Beweiswürdigung des nationalen Gerichts sprechen.550 Eine Regierung kann vor dem
546
547 548 549 550
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EuZW 2013, 408, 411; GAin Kokott v. 26.4.2012 – C-619/10 Trade Agency/Seramico Investments; EuGH v. 11.9.2014 – Rs. C-112/13 – A/B u.a. Terminierung auf einen hohen religiösen Feiertag und Ablehnung der Vertagung verletzt nicht Art. 9 EMRK, EGMR, NJOZ 2012, 2039. – Zur Bedeutung der EMRK für die elterliche Sorge etc. EGMR, FamRZ 2005, 585 (Rixe), für das Abstammungsrecht (Vaterschaftsanfechtung) Wellenhofer, FamRZ 2012, 828; für das Recht auf Feststellung der biologischen Abstammung EGMR, NJW 2012, 2015. Zur Diskriminierung nichtehelicher Väter beim Sorgerecht EGMR, FamRZ 2010, 103 (Henrich; Scherpe). S. auch Löhnig, FamRZ 2010, 338. – Zur Testamentsauslegung (Diskriminierung eines Adoptivkindes) EGMR, NJW 2005, 875 = FamRZ 2004, 1467; FamRZ 2005, 509. Allgemein zum Erbrecht in der Rechtsprechung des EGMR Pintens in FS Ress, 2005, 1047. – Zum Schadensersatz wegen Presseberichterstattung EGMR – Naomi Campbell (Art. 10 II EMRK) EGMR, NJOZ 2011, 335. – Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 8 EMRK) EGMR, NJW 2012, 1053 und 1058 (Frenz 1039); Grabenwarter/Pabel, § 24 Rz. 1, 6; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, 87, 311. – Zu dem aus Art. 8 EMRK abgeleiteten Umgangsrecht des leiblichen Vaters EGMR, FamRZ 2011, 269. – Zum Verbot der Schuldhaft Art. 1 des 4. ZPMRK; hierzu Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 969. Geschützt wird gemäß Art. 8 II EMRK auch die Anwaltskanzlei. Deren Durchsuchung wird an strenge Voraussetzungen geknüpft, EGMR, NJW 2010, 2109. Zu Art. 10 EMRK und zum unlauteren Wettbewerb Matscher in FS Schütze, 1999, 543. Zu Art. 13 EMRK (innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit) Matscher in FS Seidl-Hohenveldern, 1989, 315. – Zur Kontrolle von Militäraktionen (des Vereinigten Königreichs im Irak) EGMR, NJW 2012, 283. EGMR, NJW 1982, 497; EKMR, EuGRZ 1987, 321 = NJW 1988, 1441. Wittinger, NJW 2001, 1238. Zur Zurückweisung als missbräuchlich wegen irreführender Information des Gerichts EGMR NJW 2009, 489. Schlosser in FS Matscher, 1993, 387. EGMR, NJW 1994, 1463; EGMR, NJW 2012, 2015, Rz. 56; Matscher in FS Gaul, 1997, 435; Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem EGMR unter besonderer Berücksichtigung staatlicher Mitwirkungspflichten, 2004.
Rechtsquellen
Erster Teil
EGMR grundsätzlich nur mit dem gehört werden, was sie zuvor den staatlichen Gerichten vorgetragen hat, so dass diese bereits darüber entscheiden konnten.551 Ein Vertragsstaat kann sich von seiner Verpflichtung aus Art. 6 I EMRK, funktio- 244j nierende Gerichte bereitzustellen und effizienten Rechtsschutz zu gewähren, nicht ohne weiteres durch Übertragung von Aufgaben auf internationale Organisationen, die seiner Gerichtsbarkeit nicht unterliegen, weil ihnen Immunität eingeräumt wurde, befreien; es müssen vielmehr angemessene andere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.552 Unberührt bleiben jedoch Einschränkungen des Justizgewährungsanspruchs durch das allgemeine vom Völkergewohnheitsrecht garantierte Immunitätsrecht (Rz. 1935).553 Zu dem durch Art. 6 I EMRK garantierten effizienten Rechtsschutz gehört auch Rechtsschutz in angemessener Zeit. Dies bedeutet zum einen im konkreten Einzelfall die Pflicht des Gerichts, alle ihm nach seiner lex fori zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung einzusetzen, und zum anderen die Pflicht der Vertragsstaaten, ihre Gerichtssysteme so zu organisieren, dass eine zügige Verfahrenserledigung möglich ist.554 Die Menschenrechte der EMRK sind auch bei der Anerkennung ausländischer 244k Entscheidungen durchzusetzen, insbes. Art. 6 I EMRK, Rz. 2772. 7. Fakultativ-Protokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte Nach Art. 2 des Fakultativ-Protokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche 244l und politische Rechte vom 19.12.1966 (ICCPR – International Covenant on Civil and Political Rights)555 kann der Ausschuss für Menschenrechte (Art. 28 ff. des 551 EGMR, NJW 2012, 283. 552 EGMR, NJW 1999, 1173; BVerfGE 59, 63 = NJW 1982, 512; hierzu Geimer, ZfRV 1992, 342 und ZaöRV 1997, 802. S. auch Grabenwarter/Pabel, § 24 Rz. 55. 553 Zur Einschränkung der Justizgewährungspflicht (Art. 6 I EMRK) durch das Immunitätsrecht EGMR v. 29.6.2011 – Sabeh El Leil/Frankreich Nr. 34869/05, Rz. 52, NJOZ 2012, 1333: Keine Immunität für arbeitsrechtliche Streitigkeiten (mit Buchhalter der Botschaft, Art. 11 UN-Übk. über Staatenimmunität 2004). S. auch R. Wagner, RIW 2014, 260. 554 Grabenwarter/Pabel, § 24 Rz. 69 ff.; Oellers-Frahm in FS Ress, 2005, 1027, 1033. Zur überlangen Verfahrensdauer von Zivilprozessen EGMR – Mianowicz/Deutschland, EuGRZ 2002, 585; EGMR – Becker/Deutschland, EuGRZ 2003, 16; EGMR – Kind/ Deutschland, EuGRZ 2003, 228; EGMR, FamRZ 2009, 105; EGMR, NJW 2010, 3355; FamRZ 2010, 1721 und 1723; EGMR, NJW 2006, 2389; Rixe, FamRZ 2010, 1965; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 349 ff. Ob die obersten Gerichte wirklich überlastet sind, bezweifelt R. Stürner, JZ 2006, 60, 62. – Zum Anspruch auf effiziente Zwangsvollstreckung EGMR, FamRZ 2010, 624. 555 BGBl. II 1992, 1246; BGBl. II 1994, 311; BT-Drucks. 12/556, 2388. Karrenstein, Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, 2011; Nowak, Einführung in das internationale Menschenrechtssystem, 2002; Pappa, Das Individualbeschwerdeverfahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1996; Weissbrodt, The Right to a Fair Trial under the Universal Declaration of Human Rights and the International Covenant on Civil and Political Rights, 2001.
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Erster Teil
Grundlegung
genannten Paktes) angerufen werden. Dieser hat keine kassatorischen Befugnisse. 244m Dem Art. 6 EMRK entspricht Art. 14 ICCPR. Bedeutsam ist auch das Verbot der Schuldhaft in Art. 11 ICCPR.
III. Recht der Europäischen Union 1. „Säulenwechsel“ durch den Vertrag von Amsterdam 245 Die Rechtsvereinheitlichung und Regelungsdichte ist besonders stark im Recht der Europäischen Gemeinschaften,556 welche nach Art. 1 III EUV die „Grundlage“ der Europäischen Union bilden.557 Der Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997558 brachte einen “Säulenwechsel“:559 Die ursprünglich in Art. K des Vertrages über die Europäische Union vom 7.2.1992 (Maastrichter Vertrag)560 in der dritten Säule vereinbarte justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen wurde in die erste Säule transferiert.561 Früher konnte dieser Komplex nur durch Übereinkommen bzw. Rahmenbeschlüsse der Mitgliedstaaten geregelt werden, inzwischen geben Art. 67 IV und 81 AEUV (davor Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EGV) die Rechtsgrundlage zur einheitlichen Normierung als sekundäres Unionsrecht.562
556 Nachw. bei Heinze, Europäisches Primärrecht und Zivilprozess, EuR 2008, 654. S. auch R. Wagner, Fünfzehn Jahre justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, IPRax 2014, 217. 557 Zu den Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Zivilprozessrecht Schack, ZZP 107 (1994), 279. 558 BGBl. II 1998, 387, in Kraft seit 1.5.1999, BGBl. II 1999, 296. 559 Hierzu ausführliche Nachw. bei Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 31 ff. 560 BGBl. II 1992, 1253. 561 Vom (supranationalen) Gemeinschaftsrecht der ersten Säule war vor dem Vertrag von Lissabon das im Rahmen der dritten Säule erlassene Unionsrecht zu unterscheiden, das angesichts Art. 65 EGV für das IZVR (allenfalls) marginal von Bedeutung ist. Dessen Rechtsnatur ist umstritten. Das Meinungsspektrum reicht von der Qualifikation als rein völkerrechtliches Instrument, das zwingend der Transformation in das nationale Recht bedarf und daher vorher für die deutschen Gerichte unbeachtlich ist (so BVerfG v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04, NJW 2005, 2289), bis hin zur unmittelbaren Geltung für die innerstaatlichen Organe der Mitgliedstaaten ohne Transformationsnotwendigkeit ähnlich den EG-Richtlinien, so EuGH v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – Maria Pupino, EuZW 2005, 433 (Herrmann). Zur Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung von Rahmenbeschlüssen auf dem Gebiet der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) s. Art. 35, 46 (b) EUV. 562 Zur Europäisierung des IZPR Heß, JZ 2000, 23; Heß, JZ 2001, 573; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325; s. auch Hess, EuZPR, 2010, § 2 Rz. 6, 92, S. 31, 74. Zur Tragfähigkeit der Art. 61, 65 EGV als Ermächtigungsgrundlage für Rechtsakte der Gemeinschaft Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 53 ff. m.w.N.
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Rechtsquellen
Erster Teil
In Betracht kommen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen 245a mit grenzüberschreitenden Bezügen nach Maßgabe des Art. 81 AEUV563 1. die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke; 2. der Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln; 3. der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; 4. die Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten; 5. die Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften. Daneben blieb Art. 293 (früher 220) EGV bis zum Inkrafttreten des Vertrags von 245b Lissabon vom 13.12.2007 unberührt.564 Der Trend lief aber eindeutig in Richtung „Vergemeinschaftung“ der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen durch Rechtsakte der Gemeinschaft. Es wurden bereits zwölf wichtige Verordnungen erlassen:565
245c
1. VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO).566 Diese tritt ab 10.1.2015 an die Stelle der VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen,567 welche das Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) ersetzen soll; die Verordnung vom 22.12.2000 wird ergänzt und flankiert durch die 2. VO (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1347/2000 (EuEheVO)568 zur partiellen Ausfüllung des Art. 1 II lit. a VO (EG) Nr. 44/2001
563 Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis der Europäischen Union im Hinblick auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Eingriffe in deren lex fori) z.B. Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, Diss. 2011, 174 ff. S. auch unten Rz. 1874f, 1874t, 2331b und 2331i sowie Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 152. 564 Dieser Artikel ist nunmehr ersatzlos entfallen. 565 Zu deren Auslegung Kropholler in FS 75 Jahre MPI für Privatrecht, 2001, 583. S. auch Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV, 2002; R. Wagner, NJW 2004, 1835. 566 ABl. EU Nr. L 351 v. 20.12.2012, S. 1. Die VO (EU) Nr. 1215/2012 ersetzt ab 1.1.2015 die VO (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 (ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1). 567 ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1. 568 ABl. EU Nr. L 338 v. 27.11.2003. Hierzu umfassend Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004. Bis
113
Erster Teil
Grundlegung
(nunmehr: VO (EU) Nr. 1215/2012) auf dem Gebiet der Scheidung („Brüssel II“), 3. VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZustVO)569 sowie 4. VO (EG) Nr. 1346/2000 vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO),570 5. VO (EG) Nr. 1206/2001 vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBeweisVO),571 6. VO (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO, Rz. 3174),572 7. VO (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO, Rz. 3198c),573 8. VO (EG) Nr. 861/2007 vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuBagatellVO, Rz. 3198u),574 9. VO (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUnterhVO, Rz. 3199),575 10. VO (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und
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28.2.2005 galt die Vorgänger-VO (EG) Nr. 1347/2000, ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 19. ABl. EU Nr. L 324 v. 10.12.2007, S. 79. Hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 208 ff.; Gsell, EWS 2002, 115; Jastrow, NJW 2002, 3382; Jastrow, IPRax 2004, 11; Heß, NJW 2001, 15; Lindacher, ZZP 114 (2001), 179. ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 1. Hierzu Eidenmüller, IPRax 2001, 2; Ehricke, EWS 2002, 101; P. Huber, ZZP 114 (2001), 133. ABl. EG Nr. L 174 v. 27.6.2001, S. 1. ABl. EU Nr. L 143 v. 30.4.2004, S. 15. Hierzu z.B. Rauscher, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, 2004; Gerling, Die Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln durch die EuVTVO, 2006. ABl. EU Nr. L 399 v. 30.12.2006, S. 1. Hierzu z.B. Einhaus, Qual der Wahl: Europäisches oder internationales deutsches Mahnverfahren?, IPRax 2008, 323; Freitag, Rechtsschutz des Schuldners gegen den Europäischen Zahlungsbefehl, IPRax 2007, 509; Gundlach, Europäische Prozessrechtsangleichung, 2005; Kodek in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen35, 2008, 570, 39 ff.; Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich, 2007; Hess/Bittmann, Die VO zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens und eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, IPRax 2008, 305; Kreuzer/Wagner in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), Rz. 792 ff.; Pérez-Ragone, Europäisches Mahnverfahren, 2005. ABl. EU Nr. L 199 v. 31.7.2007, S. 1. Hierzu z.B. Brokamp, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen, 2008; Hess/Bittmann, a.a.O., 305. ABl. EU Nr. L 7 v. 10.1.2009, S. 1.
Rechtsquellen
Erster Teil
die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO, Rz. 1880, 3144c,576 11. VO (EU) Nr. 655/2014 vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (Kontopfändungsverordnung; Rz. 1884d),577 12. VO (EU) Nr. 606/2013 vom 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen.578 Geplant sind weitere europäische Rechtsakte zur Ausfüllung der durch Art. 1 II EuGVVO gelassenen Lücken, so insbes. für den Bereich des Ehegüterrechts. Als erste Richtlinie im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit wurde die Richtlinie 2003/8/EG vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen579 verabschiedet. Diese ist in Deutschland in §§ 1076 ff. ZPO umgesetzt. Des Weiteren gibt es Spezialregelungen in anderen Rechtsakten der Europäischen Union, die vorrangig bzw. ergänzend anzuwenden sind, wie z.B. Art. 94 ff. der VO (EG) Nr. 207/2009 vom 26.2.2009 über die Gemeinschaftsmarke,580 Art. 79 ff. der VO (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 12.12.2001,581 Art. 101 ff. der VO (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vom 27.7.1994.582 Zu erwähnen sind z.B. auch Art. 6 der Richtlinie (EG) Nr. 97/95 vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen583 (Pflicht zur Bereitstellung eines Forums im Empfangsstaat) sowie Art. 4 der VO (EG) Nr. 2271/96 vom 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von in einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen,584 der ein Anerkennungsverbot etabliert (aus Anlass des als „Helms Burton Act“ bekannten Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act von 1996 sowie des Iran and Libya Sanctions Act 1996, Rz. 537).
576 ABl. EU Nr. L 201 v. 27.7.2012, S. 107. Hierzu Literatur unten vor Rz. 1880d. 577 ABl. EU Nr. L 189 v. 27.6.2014, S. 1; Vorschlag der Kommission: KOM (2011) 445. Hierzu Literatur unten vor Rz. 1880d. 578 ABl. EU Nr. L 181, S. 4. 579 ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.2003, S. 41, berichtigt ABl. EU Nr. L 32 v. 7.2.2003, S. 15. Hierzu Jastrow, MDR 2004, 75. 580 ABl. EG 2009 Nr. L 78 v. 24.3.2009, S. 1. Diese ersetzt Art. 93 ff. der VO (EG) Nr. 40/94 v. 20.12.1993 über die Gemeinschaftsmarke ABl. EG Nr. L 11 v. 14.1.1994, S. 1. Hierzu z.B. Schack, Die grenzüberschreitende Durchsetzung gemeinschaftsweiter Schutzrechte, in FS Stürner, 2013, 1337. 581 ABl. EG 2002, Nr. L 3 v. 5.1.2001, S. 1. 582 ABl. EG Nr. L 227 v. 1.9.1994, S. 1. 583 ABl. EG Nr. L 18 v. 21.1.1997, S. 1. 584 ABl. EG Nr. L 309 v. 29.11.1996, S. 1. Hierzu Stürner, JZ 2006, 60 (67); von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 345.
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Erster Teil
Grundlegung
Art. 6 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums585 zur Umsetzung von Art. 43 des TRIPS-Übereinkommens verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Verletzungsverfahren Vorlagepflichten für den Prozessgegner hinsichtlich von Beweismitteln einzuführen. Einen Auskunftsanspruch hat der Schutzrechtsinhaber gegen den Verletzer und gegen Dritte, welche die rechtsverletzende Ware in ihrem Besitz hatten oder die entsprechende Dienstleistung in Anspruch genommen haben, Art. 8 RL.586 Die Umsetzung erfolgte in Deutschland in § 140c PatG, § 24c GebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, § 9 II HalbleiterschutzG, § 101a UrhG, § 46a GeschmMG, § 37c SortenschutzG. Dies steht in einem gewissen Kontrast zum überkommenen deutschen Zivilprozessrecht, das eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine Abkehr vom Grundsatz nemo contra se edere tenetur forderte; dies lehnt die h.M. ab.587 Die Richtlinie 2008/52/EG vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen588 wurde in Deutschland durch das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21.7.2012589 umgesetzt. 585 ABl. EG Nr. L 195 v. 2.6.2007, S. 16 ff.; hierzu McGuire, GRUR Int 2005, 15; Linden, Die Enforcement-RL 2004/48/EG und ihre nationale Umsetzung in Deutschland, 2006; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007. S. auch Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 2007; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der Zivilprozessordnung, 2008. 586 Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen2, Rz. 87 ff.; Heß in Gottwald, Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten, 2005, 121, 160; Mahlmann, Schaden und Bereicherung durch die Verletzung „geistigen Eigentums, 2005; s. auch Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007. 587 Es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, einen solchen Anspruch praeter legem zu schaffen; denn keine Partei sei verpflichtet, ihrem Gegner erst die Mittel zum Prozesssieg zu verschaffen, BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, MDR 1991, 226 = NJW 1990, 3151; BGH v. 7.12.1999 – XI ZR 67/99, MDR 2000, 341 = NJW 2000, 1108, 1109. Zurückhaltender aber im Ergebnis BGH v. 17.2.2004 – X ZR 108/02, BGHR 2004, 786 = MDR 2004, 898 = NJW-RR 2004, 989. Nachw. bei Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, Köln 2007, 6; Prütting in FS Németh, 2003, 701, 704 ff.; Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der Zivilprozessordnung, 2008. Dagegen fordern eine generelle Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts immer mehr Stimmen in der Literatur im Anschluss an Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozess, 1976, 92 ff.; Nachw. bei Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459 (468). Nach diesem Ansatz wäre auch die nicht risikobelastete Partei – ohne Rücksicht auf das Bestehen eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs – zur Urkundenvorlage verpflichtet. Allerdings kann die Vorlage auch nach dieser Meinung nicht unmittelbar erzwungen werden, sondern nur mittelbar dadurch, dass der unsubstantiierte Tatsachenvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei widerlegbar als wahr fingiert wird. 588 ABl. EU Nr. L 136 v. 24.5.2008, S. 3. Hierzu Eidenmüller/Prause, Die europäische Mediationsrichtlinie, NJW 2008, 2737; Sujecki, Die Europäische Mediationsrichtlinie, EuZW 2010, 7. 589 BGBl. I 2012, 1577.
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Rechtsquellen
Erster Teil
Für die Auslegung der EU-Verordnungen und Richtlinien hat der EuGH – da es 245d sich um sekundäres Unionsrecht handelt – eine genuine Zuständigkeit nach Art. 267 AEUV,590 früher nach Art. 68 i.V.m. Art. 234 EGV.591 Nach dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands sowie nach dem Protokoll über die Position Dänemarks sind diese drei Staaten nicht verpflichtet, sich an der in Titel V vorgesehenen justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zu beteiligen. Sie können sich jedoch „freiwillig“ anschließen.592 Dies haben das Vereinigte Königreich und Irland bei Erlass der meisten der vorgenannten Verordnungen getan, nicht jedoch Dänemark. Der Säulenwechsel von Amsterdam hatte gravierende Auswirkungen für die 245e Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge mit dritten Staaten. Der EG-Vertrag kannte keine dem Art. 32 I GG vergleichbare allgemeine Norm hinsichtlich der Wahrnehmung der Beziehungen zu dritten Staaten. Es herrscht vielmehr das Prinzip der Einzelermächtigung (vgl. Art. 300 I 1 EGV). Eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung fehlte aber für den Bereich der internationalen justiziellen Zusammenarbeit; eine solche konnte sich nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch aus anderen Bestimmungen des EGV und aus in deren Rahmen ergangenen Rechtsakten ergeben. Der EuGH postuliert das Prinzip der Parallelität von Innen- und Außenkompetenz: Hat die Europäische Union nach dem EUV bzw. AEUV eine Innenkompetenz, von der sie Gebrauch gemacht hat, so korrespondiert mit dieser eine entsprechende Außenkompetenz zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen mit Nicht-Mitgliedstaaten.593 Nunmehr ist diese Rechtsprechung weitgehend in Art. 216 AEUV kodifiziert. Nach Erlass der in Rz. 245c aufgeführten Verordnungen steht der Europäischen 245f Union die ausschließliche Kompetenz zum Abschluss von völkerrechtlichen Vereinbarungen zu, allerdings nur in dem Umfang, in dem sie von ihrer Innenkompetenz Gebrauch gemacht hat.594 Dies bedeutet z.B., dass die Mitgliedstaaten im Bereich der ihnen nach Art. 6 I EuGVVO und Art. 7 EuEheVO verbliebenen „Restzuständigkeiten“ noch völkerrechtliche Verträge schließen dürfen. Dies ist allerdings strittig. 590 Hierzu z.B. Broberg/Fenger, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2014; Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012; Clavora/Garber, Das Vorabentscheidungsverfahren in der Zivilgerichtsbarkeit, 2014. 591 Art. 68 I EGV engte die Vorlagebefugnisse des Art. 234 EGV (Rz. 246h) ein. Vorlageberechtigt waren nur Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Desweiteren begrenzte Art. 68 II EGV die Zuständigkeit des EuGH; hierzu BT-Drucks. 13/9339, 152. Art. 68 III EGV ermöglichte ein abstraktes, d.h. von einem konkreten Rechtsstreit losgelöstes Vorlageverfahren, das vom Rat, von der Kommission und von den Mitgliedstaaten in Gang gesetzt werden kann, hierzu Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 2002, 178, 337. 592 Ausführlich m.w.N. Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 46 ff. 593 EuGH v. 31.3.1971 – Rs. C-22/70 – ATER, Slg. 1971, 263. 594 Ausführlich Dilger, a.a.O., Rz. 79 ff.; Hess, EuZPR, 2010, § 2 Rz. 63, S. 61; Wilderspin/ Rouchard-Joët, Rev. crit. d.i.p. 93 (2004), 1.
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Erster Teil
Grundlegung
245g Auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten verbietet Art. 72 EuGVVO595 den Abschluss völkerrechtlicher Verträge mit Drittstaaten in bewusster Abkehr von Art. 59 EuGVÜ. Für die EuEheVO Nr. 2201/2003 dürfte das Gleiche gelten wie für Art. 72 EuGVVO.596 245h Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen regeln die in Rz. 245c aufgeführten Verordnungen nicht. Dieser Komplex wird jedoch von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 I (a) dritter Spiegelstrich AEUV umfasst. Da die Union von ihrer Regelungsbefugnis (bisher) keinen Gebrauch gemacht hat, wird überwiegend eine konkurrierende Zuständigkeit von Union und Mitgliedstaaten angenommen.597 Die Einzelheiten sind streitig.598 2. Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen 246 Vor dem Säulenwechsel war besonders wichtig Art. 220 (danach Art. 293) EGV (Verpflichtung zur Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen aus den EU-Mitgliedstaaten)599 und das zu seiner Ausführung geschlossene Brüsseler Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Rz. 1877). Es ist zuletzt durch das 4. Beitrittsübereinkommen vom 29.11.1996600 auch auf Österreich, Finnland und Schweden ausgedehnt worden, für Deutschland mit Wirkung vom 1.1.1999.601 Es trat am 1.3.2002 nach Maßgabe von Art. 68 EuGVVO a.F. außer Kraft, behält aber seine Gültigkeit in den in Art. 355 AEUV ausgeklammerten Territorien sowie im Verhältnis zu Dänemark, Erwägungsgrund 23. Allerdings gilt dort seit 1.7.2007 die EuGVVO aufgrund des mit der Europäischen Gemeinschaft geschlossen Abkommens vom 19.10.2005,602 seit 10.1.2015 nun die Neufassung durch die VO (EU) Nr. 12152012 vom 12.12.2012. Das EuGVÜ und auch die EuGVVO strahlen auch auf die Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts aus. Dieses ist konventions- bzw. verordnungskonform zu handhaben. Beispiel: Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes steht es nach §§ 921 II, 936, 938 ZPO im Ermessen des Gerichts, Sicherheitsleistung anzuordnen. Soweit das Gericht des einstweili-
595 Hierzu Erwägungsgrund 36. 596 Hierzu Dilger, a.a.O., Rz. 80 ff. 597 Für „geteilte Zuständigkeit“ zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten Dilger, a.a.O., Rz. 91. 598 Für alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Leisle, Dependenzen auf dem Weg vom EuGVÜ, über die EuGVVO, zur EuZPO, 2002, 187; Leisle, ZEuP, 2002, 316. 599 Art. 293 EGV wird durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007 aufgehoben. Eine Parallelnorm im AEUV fehlt. 600 BGBl. II 1998, 1411; BGBl. II 1998, 1411. 601 BGBl. II 1999, 419. 602 ABl. EU Nr. L 299 v. 16.11.2005, S. 62.
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Rechtsquellen
Erster Teil
gen Rechtsschutzes seine internationale Zuständigkeit nicht auf die Verordnung, sondern allein auf das (über die VO Nr. 44/2001 bzw. nun VO Nr. 1215/2012 hinausgehende) nationale Recht stützt, muss es nach Auffassung des EuGH Sicherheitsleistung für Leistungsbzw. Befriedigungsverfügungen anordnen.603
3. Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg Die Kompetenzen des EuGH (Art. 19 EUV) beruhen nicht auf einer Generalklau- 246a sel, sondern ergeben sich aus einem Mosaik von einzelnen Zuständigkeitszuweisungen.604 Der Zugang des Einzelnen zum EuGH ist stark limitiert.605 Zu seiner Entlastung ist dem Gerichtshof ein Gericht (früher: Gericht erster Instanz) beigeordnet,606 gegen dessen Entscheidungen ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel zum Gerichtshof statthaft ist.607 Diesem Gericht können wiederum nach Maßgabe des Art. 257 AEUV Fachgerichte vorgeschaltet werden, gegen deren Entscheidungen ein Rechtsmittel zum Gericht erster Instanz statthaft ist.608 Das Gericht (erster Instanz) entscheidet über Ansprüche gegen die Europäische Union auf Ersatz des im Bereich der außervertraglichen Haftung verursachten Schadens.609 Den nationalen Gerichten fehlt insoweit die Zuständigkeit.610 Die ausschließliche Zuständigkeit des (europäischen) Gerichts ist nicht auf die Amtshaftung bei hoheitlicher Tätigkeit beschränkt; erforderlich ist nur eine unmittelbare innere Beziehung der schadenstiftenden Handlung zu den Aufgaben der Organe.611 Für die Beurteilung der Schadensersatzklage aus dem Gesichtspunkt der ver- 246b traglichen Haftung (Art. 340 I AEUV) sind die nationalen Gerichte zuständig.612 Für den gleichen Streitgegenstand (Klage auf Schadensersatz) können also zwei Gerichte zuständig sein: das Europäische Gericht auf der einen Seite und das na-
603 EuGH v. 17.11.1998 – Rs. C-391/95 – van Uden Maritime/Deco-Line, Slg. 1998, I-7091 = EuZW 1999, 413, 415 Rz. 34 = IPRax 1999, 240 (Heß/G. Vollkommer 220); s. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 17 Rz. 56. 604 Zum Verfahren vor dem EuGH Koenig/Sander, Einführung in das EG-Prozessrecht, 1997. 605 Zu Nichtigkeitsklagen Privater s. Art. 263 IV AEUV. Hierzu Everling, EuZW 2010, 572. 606 Hierzu Kirschner/Klüpfel, Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, 1998. 607 Art. 256 I (2) AEUV, früher Art. 225 EGV, Art. 140a EAGV. 608 Art. 256 II (1) AEUV. Hierzu z.B. Thieler, Das Rechtsschutzsystem nach dem Vertrag von Lissabon, EuR 2010, 30. 609 Art. 225 II, 235, 288 II und III EGV, Art. 151, 188 II EAGV. 610 EuGH v. 29.7.2010 – Rs. C-377/09 – Hanssens-Ensch/EG, EuZW 2010, 677. 611 EuGH v. 10.7.1969 – Rs. C-9/69 – Sayag/Leduc, Slg. 1969, 329, 336. Zu Art. 215 EGV Ewert, Die Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Schadensersatzrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1991; Gilsdorf, EuR 1975, 73; EuGH v. 2.6.1976 – Rs. C-56-60/74 – Kampffmeyer/Kommission und Rat, Slg. 1976, 711 = NJW 1976, 2072 (Nr. 7) und EuGH v. 4.10.1979 – Rs. C-238/78 – Ireks Arkady/Rat und Kommission, Slg. 1979, 2955 = NJW 1979, 1098 = RIW 1979, 849 (Gündisch). 612 Nachw. bei Vesting, Die vertragliche und außervertragliche Haftung der EG nach Art. 288 EGV, 2003.
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Erster Teil
Grundlegung
tionale Gericht auf der anderen. Um Entscheidungsdisharmonien bzw. Verdoppelung von Vollstreckungstiteln zu vermeiden, sollte der deutsche Richter sein Verfahren aussetzen, § 148 ZPO.613 Der andere Ausweg, dass das Europäische Gericht (erster Instanz) die Zuständigkeit des nationalen Gerichts aufgrund Zuständigkeitsvereinbarung oder Einlassung übernimmt und dadurch eine auf Anspruchsgrundlagen beschränkte Rechtskraft614 vermeidet, ist nicht gangbar, da eine Erweiterung der Entscheidungskompetenz des Europäischen Gerichts bzw. des Gerichtshofs durch Parteiverhalten nicht zugelassen ist.615 246c Arbeitsrechtliche Streitigkeiten: Das als Fachgericht (Art. 257 AEUV) eingerichtete durch Ratsbeschluss vom 2.11.2004 eingerichtete Gericht für den öffentlichen Dienst der EU ist für alle Streitsachen zwischen der Union und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen zuständig, die im Statut der Beamten der Union oder in den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten ergeben der Union festgelegt sind („Beamtenklagen“).616 246d Begründung der Zuständigkeit des EuGH durch Schiedsvereinbarung: Es muss sich um Streitigkeiten aus Verträgen handeln, die von der Europäische Union oder für ihre Rechnung abgeschlossen wurden.617 246e Kompetenzkonflikte: Dem Gericht (erster Instanz) bzw. dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) steht die Kompetenz-Kompetenz zu. Sie können ihre ausschließliche Zuständigkeit bindend gegenüber den nationalen Gerichten bejahen. Durch die Entscheidung nationaler Gerichte kann die Kompetenz des Europäischen Gerichts erster Instanz bzw. des Gerichtshofs nicht unterlaufen werden. Ihre Entscheidung, es liege keine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts (erster Instanz) bzw. des EuGH vor, die Streitigkeit falle daher in ihren Jurisdiktionsbereich, ist für die Luxemburger Richter nicht bindend. Erlässt das nationale Gericht in einer Streitigkeit, für die eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts (erster Instanz) bzw. des Gerichtshofs besteht, ein Sachurteil, so ist dieses gleichwohl wirksam. Dies ist nicht unbestritten, da in den Fällen der ausschließlichen Zuständigkeit des EuGH behauptet wird, dem nationalen Gericht fehle die Gerichtsbarkeit.618 Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts soll Art. 19 IV GG weiterhelfen.619 246f Das nationale Gericht620 kann Zweifel über die ausschließliche Kompetenz des EuGH im Wege des Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV klären lassen. Eine
613 614 615 616 617 618 619 620
120
Schumann, ZZP 78 (1965), 88. Allgemein R. Geimer, NJW 1974, 1045; R. Geimer, IPRax 1986, 80. Schumann, a.a.O.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 18 Rz. 18 ff. Art. 256, 270 AEUV, vormals Art. 225 II, 236 EGV, Art. 152 EAGV. Art. 272 AEUV, vormals Art. 225 II. 238 EGV, Art. 153 EAGV. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 18 Rz. 17. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 18 Rz. 21. Der EuGH fasst den Gerichtsbegriff sehr weit. Auch Vergabeüberwachungsausschüsse nach §§ 57a ff. Haushaltsgrundsätzegesetz fallen hierunter, EuGH v. 17.9.1997 – Rs. C-54/96 – Dorsch/Bundesbaugesellschaft Berlin, NJW 1997, 3365 (Boesen 3350).
Rechtsquellen
Erster Teil
Verweisung des Rechtsstreits an den EuGH findet nicht statt; vielmehr erfolgt Prozessabweisung durch das nationale Gericht.621 4. Zuständigkeitsbereich der nationalen Gerichte Soweit keine Zuständigkeit des Gerichtshofs aufgrund des betreffenden Vertra- 246g ges besteht, sind Streitsachen, bei denen die Europäische Union Partei ist, der Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte nicht entzogen“.622 Dies bedeutet: Soweit keine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts (erster Instanz) bzw. des EuGH besteht, bleibt die Jurisdiktion der nationalen Gerichte nach Maßgabe des nationalen Rechts unberührt; in der Bundesrepublik Deutschland ist mithin deren Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit nach den allgemeinen Regeln festzustellen. Auch Streitfälle, bei denen die Union Partei ist, unterliegen der nationalen Gerichtsbarkeit. Es bleibt kein rechtsschutzfreier Raum.623 So sind Streitigkeiten über die vertragliche Haftung der Europäischen Union von den nationalen Gerichten zu entscheiden.624 5. Vorlagepflicht der nationalen Gerichte an den EuGH Art. 267 AEUV (vormals Art. 234 EGV)625 bestimmt:626
246h
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung der Verträge, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union, Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.
621 622 623 624
Riegel, NJW 1975, 1049. Art. 240 EGV, Art. 155 EAGV. Schumann, ZZP 78 (1965), 85. Die Gemeinschaften sind parteifähig. Sie können vor den nationalen Gerichten klagen und verklagt werden, Art. 282 EGV; Art. 185 EAGV. 625 Nach früherer Nummerierung Art. 177 EGV. 626 Zur Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung von Rahmenbeschlüssen auf dem Gebiet der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) nach Art. 35, 46 (b) EUV EuGH v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – Maria Pupino, EuZW 2005, 433 (Herrmann) sowie deutsches Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages (EuGH-Gesetz) v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2035 i.V.m. Bekanntmachung v. 19.4.1999, BGBl. I 1999, 728.
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Erster Teil
Grundlegung
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, so entscheidet der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit. 246i Christian Kohler627 weist treffend darauf hin, die Richtervorlagen aus Deutschland ermöglichten, „einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Orientierung der EuGH-Rechtsprechung auszuüben“.628 246j Legt ein nationales Gericht dem EuGH nicht vor, obwohl es hierzu nach Art. 267 AEUV verpflichtet wäre, liegt eine Vertragsverletzung vor, die wiederum zu einem (Vertragsverletzungs-)Verfahren vor dem EuGH nach Art. 258 AEUV führen kann.629 Anders ist es jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs des AEUV/ EGV; so kennt das Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ kein Vertragsverletzungsverfahren.630 246k Vorlagevoraussetzungen nach Art. 267 AEUV: – Berechtigte Zweifel, – Entscheidungserheblichkeit, – Nichteingreifen des Art. 100 GG. Soweit die Voraussetzungen des Art. 100 GG vorliegen, hat das deutsche Gericht das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Denn durch dessen Entscheidung kann die Vorlage an den EuGH entbehrlich werden.631 246l In summarischen Verfahren (Arrest und einstweiliges Verfügungsverfahren) ist das nationale Gericht zur Vorlage nach Art. 267 III AEUV nicht verpflichtet.632 Die Vorlagepflicht entfällt auch, wenn der EuGH die entscheidungserhebliche Frage bei Auslegung einer anderen Vorschrift bereits beantwortet hat.633 Die Auslegungszuständigkeit erstreckt sich auch auf „gemischte“ Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten.634 246m Vorlageberechtigung: Private Schiedsgerichte sind nicht vorlageberechtigt, Rz. 3868.635 Anders ist es, wenn das „Schiedsgericht“ nicht auf einer (fakultati627 Kohler, IPRax 1991, 302 sub 8. 628 Vice versa zu den Einwirkungen des Vorabentscheidungsverfahrens auf das deutsche Zivilprozessrecht Heß, ZZP 108 (1995), 59; Hess, EuZPR, 2010, § 12 Rz. 1, S. 649; Kohler, ZEuP 4 (1996), 379; Kohler, NIPR Special 1996, 1. 629 Meier, EuZW 1991, 11. Zur (eingeschränkten) innerstaatlichen Kontrolle der Verletzung der Vorlagepflicht durch das BVerfG s. BVerfG v. 29.4.2014 – 2 BvR 1572/10, NJW 2014, 2489 (Rz. 278). 630 Daher skeptisch hinsichtlich der Justiziabilität der Verletzung des Auslegungsprotokolls Kohler, a.a.O. Hierzu auch Heß, IPRax 1992, 360. 631 Schumann, ZZP 78 (1965), 116. 632 EuGH v. 24.5.1977 – Rs. C-107/76 – Hoffmann-La Roche/Centrafarm, Slg. 1977, 957 = NJW 1977, 1585 = RIW/AWD 78, 189. 633 BGH v. 18.9.1985 – VIII ZR 244/84, MDR 1986, 579 = NJW 1986, 659. 634 EuGH v. 30.9.1987 – Rs. C-12/86 – Demirel/Schwäbisch Gmünd, Slg. 1987, 3719 = NJW 1988, 1442. 635 EuGH v. 23.2.1982 – Rs. C-102/81 – Nordsee/Nordstern, Slg. 1982, 1095 = NJW 1982, 1207 = IPRax 1983, 116 (Hepting 101); EuGH v. 27.1.2005 – Rs. C-125/04 – Collège d’arbitrage de la Commission de Litiges Voyages/Belgien, EuZW 2005, 319; Zöller/Geimer, ZPO30, § 1051 Rz. 18.
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Rechtsquellen
Erster Teil
ven) Parteivereinbarung bzw. privatautonomen Anordnung (des Erblassers, der Gesellschaftssatzung etc., vgl. § 1066 ZPO) beruht, sondern ein „verkapptes“ staatliches Gericht ist, dessen Anrufung das Gesetz obligatorisch vorschreibt. So beruht z.B. für die Zuständigkeit des portugiesischen Tribunal Arbitral necessário nicht auf dem Willen der Parteien, sondern auf einem portugiesischen Gesetz, wonach dieses Gericht zwingend dafür zuständig ist, im ersten Rechtszug Rechtsstreitigkeiten über gewerbliche Schutzrechte in Bezug auf Referenzarzneimittel und Generika zu entscheiden. Trotz des Sonderstatus Dänemarks sind nach Art. 6 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Europäischen Union) und dem Königreich Dänemark vom 19.10.2005 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen636 dänische Gerichte zur Vorlage berechtigt und ggf. auch verpflichtet.637 Verfahrensgegenstand: Es ist ausschließlich Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, welche die Verantwortung für die abschließende richterliche Entscheidung tragen, die Notwendigkeit einer Vorlage und gegebenenfalls den Gegenstand der dem EuGH vorzulegenden Fragen festzulegen. Damit fixieren sie auch den Verfahrensgegenstand des EuGH.638 Vorlagepflicht:639 Ein Instanzgericht, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln angegriffen werden können, ist zur Vorlage berechtigt, aber nicht verpflichtet, arg. Art. 267 III AEUV.640 In den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen sehr unterschiedliche Gepflogenheiten, von der Vorlagemöglichkeit Gebrauch zu machen.641 Aussetzung und Vorlagebeschluss: Das deutsche Gericht hat das Verfahren von 246n Amts wegen auszusetzen und den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Der Vorlagebeschluss kann von den Parteien des Ausgangsrechtsstreits mit der Beschwerde nicht (selbständig) angefochten werden. Das vorlegende Gericht kann seinen Vorlagebeschluss von sich aus aber aufheben oder ändern. Auch die Ablehnung ihres Vorlageantrags kann die Partei nicht mit einem selbständigen Rechtsmittel anfechten. Sie kann allerdings mit dem gegen
636 ABl. EU v. 17.11.2005, L 300/55, in Kraft seit 1.7.2007, ABl. EU v. 4.4.2007 L 94, S. 70. 637 EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-49/12 – HM Revenue & Customs/Sunico, EuZW 2013, 828 = LMK 2013, 352012 (Arnold). 638 EuGH v. 16.3.1999 – Rs. C-159/97 – Trasporti Castelletti/Hugo Trumpy, Slg. 1999 I 1597 = EuZW 1999, 441. 639 EuGH v. 6.10.1982 – Rs. C-283/81 – C.I.L.F.I.T./Ministero della sanità, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 = RIW 1983, 281; EuGH v. 6.10.1981 – Rs. C-246/80 – Broekmeulen/ Huisarts, Slg. 1981, 2311 = NJW 1982, 502; EuGH v. 23.2.1982 – Rs. C-102/81 – Nordsee/Nordstern, Slg. 1982, 1095 = NJW 1982, 1207; BFH v. 23.10.1985 – VII R 107/81, RIW 1986, 311. 640 BVerwG v. 2.10.1985 – 3 B 12/84, RIW 1986, 310 = NJW 1986, 1448. Hierzu Schiller, RIW 1986, 915. 641 Näher hierzu Rösler, Das Rechtsgespräch zwischen dem EuGH und den verschiedenen zivilgerichtlichen Instanzen über das Vertrags- und Deliktsrecht, EuZW 2014, 606.
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Erster Teil
Grundlegung
die Endentscheidung statthaften Rechtsmittel die Verletzung des Art. 267 AEUV rügen. Aussetzungspflicht des nationalen Gerichts bis zur EuGH-Vorabentscheidung: Das vorlegende Gericht muss die Entscheidung des EuGH abwarten und so lange sein Verfahren in der Hauptsache aussetzen. Gleichwohl darf es Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erlassen.642 246o Prüfungsbefugnis des Europäischen Gerichtshofs: Der EuGH darf die Gültigkeit des EUV sowie des AEUV und der sonstigen Verträge selbst nicht prüfen. Er befindet nur über den Inhalt einer Norm des Unionsrechts (auch über ungeschriebene Regeln) oder einer Handlung der Organe der Europäischen Union, nicht jedoch über die Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall. Erst recht ist er nicht zur Auslegung oder Anwendung nationalen Rechts befugt.643 246p Verfahrensmissbrauch: Wird dem Europäischen Gerichtshof missbräuchlich eine Auslegungsfrage vorgelegt, so ist die Vorlage unzulässig.644 Eilverfahren: Neben dem so genannten beschleunigten Verfahren nach Art. 105 und Art. 106 VerfO-EuGH gibt es seit 1.3.2008 ein besonderes Eilverfahren nach Art. 107 ff. VerfO-EuGH, um die für den Individualrechtsschutz als zu lang empfundene Verfahrensdauer (durchschnittlich eineinhalb bis zwei Jahre) abzukürzen.645 Ob dies gelingen wird, ist derzeit noch völlig offen. 246q Tragweite der Auslegungsurteile des EuGH: Die nationalen Gerichte müssen die Auslegung des EuGH ihren Entscheidungen auch dann zugrunde legen, wenn ein Rechtsverhältnis zu beurteilen ist, das vor Erlass des EuGH-Auslegungsurteils entstanden ist.646 Hat der EuGH nach Art. 267 AEUV die Ungültigkeit der Handlung eines Organs, insbes. einer Verordnung des Rates oder der Kommission, festgestellt, so ist dies für jedes andere Gericht ein ausreichender Grund dafür, diese Handlung bei den von ihm zu erlassenden Entscheidungen als ungültig anzusehen. Der EuGH hält sich für befugt, die Wirkungen der Ungültigkeitserklärung einer Verordnung im Rahmen des Verfahrens gem. Art. 267 AEUV zeitlich zu begrenzen.647
642 Kühn, Grundzüge des neuen Eilverfahrens vor dem EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen, EuZW 2008, 263 (264). 643 Geiger, EUV/EGV5, Art. 234 Rz. 5. 644 EuGH v. 11.3.1980 – Rs. C-104/79 – Foglia/Novello, Slg. 1980, 745 = NJW 1980, 2640 (Nr. 10). Die Parteien hatten das Ausgangsverfahren einverständlich nur zu dem Zweck in Gang gesetzt, um eine Vorlage an den EuGH zu provozieren. S. auch EuGH v. 16.7.1992 – Rs. C-83/91 – Meilicke/ORGA, Slg. 1992 I 4919 = EWiR 1992, 991 (Schroeder) = ZIP 1992, 1076 (Frey); m.w.N. bei Malferrari, Zurückweisung von Vorabentscheidungsersuchen durch den EuGH, 2003. 645 Hierzu Kühn, a.a.O., 263; König/Klingler, Österr. RZ 2014, 192. 646 EuGH v. 27.3.1980 – Rs. C-66/79, Slg. 1980, 1237 = RIW 1980, 644; EuGH v. 14.12.1982 – Rs. C-314–316/81 und 83/82 – Procureur de la République/Waterkeyn, Slg. 1982, 4337 = RIW 1983, 788. 647 EuGH v. 30.6.1983 – Rs. C-122/83 – de Compte/Europ. Parlament, Slg. 1983, 2151, hierzu Sedemund, NJW 1986, 633. Vgl. auch BGH v. 18.9.1985 – VIII ZR 244/84, MDR 1986, 579 = NJW 1986, 659.
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Rechtsquellen
Erster Teil
Die nationalen Gerichte sind nicht befugt, selbst die Unwirksamkeit von Handlungen der Gemeinschafts- bzw. Unionsorgane festzustellen.648 Verletzung der Vorlagepflicht: Lässt das letztinstanzliche Gericht seine Ver- 246r pflichtung zur Vorlage willkürlich außer Acht, ist die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen Art. 101 I 2 GG begründet (Rz. 281).649 Aber auch das Bundesverfassungsgericht ist zur Vorlage verpflichtet. Allerdings hat dieses sich bisher nur in einem Fall650 zu einer Vorlage veranlasst gesehen.651 6. Direkte Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen Unter bestimmten Voraussetzungen können auch natürliche und juristische Per- 246s sonen unmittelbar den Europäischen Gerichtshof mit einer Nichtigkeitsklage anrufen. Art. 263 AEUV bestimmt: „Der Gerichtshof der Europäischen Union überwacht die Rechtmäßigkeit der Gesetzgebungsakte sowie der Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank, soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt, und der Handlungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates mit Rechtswirkung gegenüber Dritten. Er überwacht ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten. Zu diesem Zweck ist der Gerichtshof der Europäischen Union für Klagen zuständig, die ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhebt. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist unter den gleichen Voraussetzungen zuständig für Klagen des Rechnungshofs, der Europäischen Zentralbank und des Ausschusses der Regionen, die auf die Wahrung ihrer Rechte abzielen. Jede natürliche oder juristische Person kann unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Hand-
648 Ausnahme: Einstweiliger Rechtsschutz, EuGH v. 22.10.1987 – Rs. C-314/85 – FotoFrost/Hauptzollamt Lübeck-Ost, Slg. 1987, 4199, NJW 1988, 1451 = RIW 1988, 144. 649 BVerfG v. 9.11.1987 – 2 BvR 808/82, NJW 1988, 1456; v. 13.6.1997 – 1 BvR 2102/95, ZIP 1997, 1801; v. 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99, FR 2001, 492 = ZIP 2001, 350; R. Geimer, ZfRV 1992, 328. S. auch Rz. 281a und vice versa Betz, Möglichkeiten und Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Entscheidung über die Vorlage zum EuGH, 2012. 650 BVerfG 14.1.2014 – 2 BvR 2728/13 u.a., NJW 2014, 907 = EuZW 2014, 192. – Von der Vorlage nach Art. 267 AEUV begrifflich zu trennen sind (formlose) Anfragen beim EuGH in Grundrechts- und Menschenrechtsfragen; ein solches „Vorbefassungsverfahren“ im europäischen Gerichtsverbund befürwortet z.B. F. Kirchhof, Kooperation zwischen nationalen und europäischen Gerichten, EuR 2014, 267, 273. 651 Diese Zurückhaltung untersuchen kritisch Schönemeyer, Die Pflicht des BVerfG zur Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV, 2014; Warnke, Die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV in der Rechtsprechungspraxis des BVerfG im Vergleich zu den Verfassungsgerichtsbarkeiten der EG-Mitgliedstaaten, 2004; Fastenrath, NJW 2009, 272.
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Erster Teil
Grundlegung
lungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben. In den Rechtsakten zur Gründung von Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union können besondere Bedingungen und Einzelheiten für die Erhebung von Klagen von natürlichen oder juristischen Personen gegen Handlungen dieser Einrichtungen und sonstigen Stellen vorgesehen werden, die eine Rechtswirkung gegenüber diesen Personen haben. Die in diesem Artikel vorgesehenen Klagen sind binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat.“
Die Klagebefugnis setzt unmittelbare Betroffenheit voraus. Diese ist nur zu bejahen, wenn die beanstandete Maßnahme auf die Rechtsstellung des Klägers unmittelbar einwirkt, und denjenigen, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus dem Unionsrecht ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt.652 Auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts sind Nichtigkeitsklagen bisher nicht erhoben worden; auch dürften die Zulässigkeitsvoraussetzungen für solche in Zukunft nur selten gegeben sein. 7. Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und Garantie des gleichen Zugangs zu allen öffentlichen Dienstleistungen (Art. 56 AEUV) 246t In seinen Auswirkungen auch auf das internationale Zivilverfahrensrecht sehr bedeutsam sind das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV653 und das Recht auf gleichen Zugang zu allen öffentlichen Dienstleistungen (Art. 56 AEUV EGV).654 § 688 III ZPO a.F. (der die Geltendmachung von Fremdwährungsforderungen einschränkte) wurde im Ergebnis nicht beanstandet, aber nur, weil ein normales Klageverfahren zumutbar sei.655 246u Eine nach der Staatsangehörigkeit des Klägers differenzierende, mithin nur für Ausländer und Staatenlose ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat obligatorische aktorische Kaution656 darf Angehörigen von EU-Staaten im Hinblick auf Art. 18 AEUV nicht auferlegt werden,657 auch wenn sie zusätzlich noch An-
652 EuG v. 10.12.2013 – T-492/12 – von Storch u.a./Europäische Zentralbank, Rz. 32, EuZW 2014, 156 (Steinbach): Keine unmittelbare Betroffenheit einzelner Unionsbürger von EZB-Beschlüssen zu Staatsanleihen (Outright-Geschäfte). 653 Nachw. bei Hausmann, Internationale Zuständigkeit und Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, in FS Hailbronner, 2013, 429; Heinze, EuR 2008, 654 (683); Zimmermann, RIW 1992, 711; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 349; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 680; Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 410 ff. 654 Nach früherer Nummerierung Art. 59 EGV. 655 EuGH v. 29.10.1980 – Rs. C-22/80 – Boussac Saint-Frères/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427 = RIW 1981, 486. 656 So §§ 110 ff. ZPO a.F., hierzu Rz. 2003 ff. 657 EuGH v. 1.7.1993 – Rs. C-20/92 – Hubbard/Hamburger, Slg. 1993, 3777 = MDR 1993, 795 = NJW 1993, 2431 = EuZW 1993, 514 (Schlosser 659) = RIW 1993, 855 (Wolf 797)
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Rechtsquellen
Erster Teil
gehörige eines Nicht EU-Staates sind und außerhalb der EU ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt haben.658 Das Gleiche gilt für Gesellschaften und juristische Personen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR. Art. 18 AEUV bzw. Art. 4 EWR-Abkommen verbietet es, einem Mitgliedstaat oder einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft oder juristischen Person, die bei einem seiner Gerichte eine Klage gegen einen seiner Staatsangehörigen oder eine dort ansässige Gesellschaft oder juristische Person erhoben hat, die Leistung einer Sicherheit wegen der Prozesskosten zu verlangen, wenn eine derartige Forderung an Angehörige bzw. Gesellschaften bzw. juristische Personen dieses Staates nicht gestellt werden kann und es sich um eine Klage handelt, die mit der Ausübung der vom Unionsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten zusammenhängt. Nicht erforderlich ist ein Zusammenhang mit den besonderen Vorschriften der Art. 34, 56, 62 AEUV. Art. 18 AEUV verdrängt die auf die Staatsangehörigkeit des Klägers abstellenden nationalen zivilprozessualen Vorschriften, soweit sie eine – wenn auch nur mittelbare – Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Austausch von Gütern und Dienstleistungen haben.659 Diese EuGH-Rechtsprechung führte zur Neufassung des § 110 ZPO.660 Im Hinblick auf die Parallelnorm des Art. 4 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum wurde die Befreiung von der aktorischen Kaution auch auf alle in den EFTA-Staaten ansässigen Kläger ausgedehnt.661 Vorstehendes gilt entsprechend für eine Prozesskostenhilfe (Rz. 2009). Soweit das deutsche Kompetenzrecht – ausnahmsweise (Rz. 1323, 1947) – auf 246v die deutsche Staatsangehörigkeit abstellt, erhebt sich die Frage, ob der AEUV eine Öffnung des Zugangs zu den deutschen Gerichten für alle Marktbürger erzwingt.662 Jedenfalls dürfte die Gleichlauftheorie (Rz. 1065) mit Art. 18 AEUV
658 659
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= IPRax 1994, 203 (Kaum 180); EuGH v. 20.3.1997 – Rs. C-323/95 – Hayes/Kronenberger GmbH i.L., MDR 1997, 772 = NJW 1998, 2127; EuGH v. 2.10.1997 – Rs. C-122/96 – Saldanha/Hiross, Slg. 1997 I 5325, Rz. 15 ff. Hierzu Bork/Schmidt-Parzefall, JZ 1994, 18; Brenn, Europäischer Zivilprozess, 2005, Rz. 207 ff.; Brödermann, MDR 1992, 95; Bungert, IStR 1993, 481; Kampf, NJW 1990, 3054; Kaum, IPRax 1992, 18; Rohlfs, NJW 1995, 2211; Schack, ZZP 107 (1994), 279 (287); Schlosser, EuZW 1993, 659; Zimmermann, RIW 1992, 707; LG Münster v. 2.2.1995 – 20 O 509/94, NJW 1995, 2860. Ausführlich Bajons, Aktorische Kaution und gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot, österr. JZ 2002, 581. EuGH v. 2.10.1997 – Rs. C-122/96 – Saldanha/Hiross, NJW 1997, 3299 = EWiR 1997, 1081 (Walker) = IPRax 1999, 358 (Ehricke 311). EuGH v. 26.9.1996 – Rs. C-43/95 – Aktiebolag & Forsberg/MSL Dynamics Ltd., NJW 1996, 3407 = EWiR 1996, 1151 (Mankowski). Hierzu Jäger, NJW 1997, 1220; H. Roth in Müller-Graff/H. Roth, Recht und Rechtwissenschaft, 2000, 351 (353). Art. 2c Nr. 1 des Gesetzes v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033. BT-Drucks. 13/10871, 16 spricht ungenau von den „Staatsangehörigen anderer EWRStaaten“. von Wilmosky, ZaöRV 50 (1990), 276; Zöller/Geimer, ZPO30, Anh. I Art. 4 EuGVVO Rz. 4.
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Erster Teil
Grundlegung
und Art. 4 EWR-Abkommen nicht zu vereinbaren sein.663 Sie wurde in Deutschland spätestens mit Inkrafttreten des FamFG664 am 1.9.2009 zu Grabe getragen (Rz. 1044, 1065). 246w Die Notwendigkeit der Vollstreckung in einem anderen EuGVVO-Mitgliedstaat bzw. LugÜ-Vertragsstaat ist für sich allein kein Arrestgrund; § 917 II ZPO a.F. war daher nicht mehr anzuwenden (Rz. 1214). Der EuGH bejahte sogar einen Verstoß gegen Art. 18 AEUV.665 Dies veranlasste den deutschen Gesetzgeber, § 917 II ZPO entsprechend neu zu fassen.666 Ein gleichwohl erlassener Arrest ist nicht nichtig, sondern nur anfechtbar.667 Auch im Zustellungsrecht kann Art. 18 AEUV u.U. relevant werden. Zu weit geht aber das OLG Karlsruhe,668 das in der remise au parquet (Rz. 2082, 2093) eine Diskriminierung sieht, da typischerweise Ausländer betroffen seien. Vgl. auch Rz. 3779. Weiter sollen die Irrevisibilität ausländischen Rechts (Rz. 2601) im Europäischen Binnenmarkt und die durch § 293 ZPO aufgerichteten Hürden für die Anwendung des Rechts der europäischen Mitgliedstaaten im Zivilprozess gegen Art. 18 AEUV verstoßen.669 246x Auch sekundäres Unionsrecht muss auf den Prüfstand des Art. 18 AEUV. So verstößt die auf die Staatsangehörigkeit beider Ehegatten gestützte bzw. durch die Staatsangehörigkeit eines Ehegatten privilegierte internationale Zuständig-
663 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 683; Ultsch, MittBayNot 1995, 6. 664 S. hierzu die amtliche Begründung zu § 105 FamFG. 665 EuGH v. 10.2.1994 – Rs. C-398 – Mund & Fester/Hatrex, Slg. 1994 I 467 = NJW 1994, 1271 (Mankowski 1995, 306) = JZ 1994, 1165 (Chr. Wolf 1151) = IPRax 1994, 439 (Geiger 415) = EuZW 1994, 216 (Thümmel 242) = EWS 1994, 95 (Gieseke 149) = ZZP 108 (1995), 109 (sehr kritisch Schack 47) = Rev. crit. 1994, 388 (Gaudemet-Tallon); Vorlage: OLG Hamburg v. 16.11.1992 – 6 W 53/92, IPRax 1993, 398 (Ehricke 380) = TranspR 1993, 136 (Mankowski 182). S. auch Thümmel, NJW 1996, 1930; Kropholler/ Hartmann in FS Drobnig, 1998, 337; H. Roth in Müller-Graff/H. Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2000, 351, 357 sowie OLG Frankfurt v. 11.4.1995 – 12 W 50/95, RIW 1996, 965 = IPRspr. 1995 Nr. 179. 666 Art. 2c Nr. 2 des Gesetzes v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033, wieder geändert durch Gesetz v. 4.11.2003, BGBl. I 2003, 2166. Hierzu zu Recht kritisch Mankowski, RIW 2004, 587 (590). 667 OLG München v. 17.3.1995 – 25 W 952/95, IPRax 1996, 339 (H. Roth 324). 668 OLG Karlsruhe v. 12.3.1999, RIW 1999, 538 = IPRspr. 1999 Nr. 157. Zustimmend Bajons in FS Schütze, 1999, 60; Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR4, 2014, EG-ZustVO Art. 19 Rz. 14; Roth, IPRax 2000, 497; Schack in FS Geimer, 2002, 932. Ablehnend wie hier Schlosser, EuZPR2, Art. 15 HZÜ Rz. 1. 669 Das Unionsrecht bzw. früher das Gemeinschaftsrecht verbiete, „dass Rechtsverhältnisse gerade dann mit Sonderrecht belegt werden, wenn sie, den Binnenmarkt verwirklichend, die Binnengrenzen übergreifen“; „Rechtliche Nachteile, die wegen der Überschreitung der Binnengrenzen auferlegt werden, sind per se verboten“, Flessner, ZEuP 2006, 737 (740). S. auch Remien, Aufbruch nach Europa – 75 Jahre MPI, 2001, 617.
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keit nach Art. 3 I (b) bzw. (a) 6. Spiegelstrich EuEheVO gegen das Diskriminierungsverbot.670 Dagegen verteidigt Schlosser671 die lex lata: Da es noch keine europäische Staatsbürgerschaft gebe, könne die Zuständigkeit der EU für die justizielle Zusammenarbeit nicht dazu führen, „dass mit der Staatsangehörigkeit einer Person keinerlei Sonderstellung mehr verbunden sein dürfte. Im höchstpersönlichen Bereich wie der Ehe ist eine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit nach wie vor zulässig.“672 8. Nichtanwendbarkeit nationaler Präklusionsvorschriften Nationale Präklusionsvorschriften, die im Ergebnis dazu führen, dass das natio- 246y nale Gericht Unionsrecht nicht mehr von Amts wegen anwenden kann, sind mit dem Unionsrecht nicht vereinbar.673 9. Zurückdrängung des lex fori-Prinzips im Interesse der Gewährleistung der Marktgrundfreiheiten Die Anwendung des eigenen Rechts auf der Basis des lex fori-Prinzips 246z (Rz. 319 ff.) darf nicht dazu führen, dass die Durchsetzung in einem anderen EUStaat erworbener materieller Rechte in einem Maß erschwert wird, das mit den Grundfreiheiten des freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs nicht mehr vereinbar ist. Es kann daher sogar die Anwendung ausländischen Prozessrechts unionsrechtlich geboten sein.674 Solche Konstellationen sind aber extreme Ausnahmefälle, die bisher in der Praxis nicht aufgetaucht sind.675 Auch das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 III EUV)676 darf nicht außer Betracht gelassen werden.677
670 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 6 EuGVVO Rz. 39 sowie A 2 – Art. 2 EuEheVO Rz. 14; Hau, FamRZ 2000, 1333 (1336). A.A. für Art. 3 I (b) EuEheVO Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 458, 464; Spellenberg in FS Geimer, 2002, 1257, 1271; Spellenberg in FS Sonnenberger, 2004, 677, 681; Schack, RabelsZ 65 (2001), 615 (623); Simotta in FS Geimer, 2002, 1115, 1154; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 EuEheVO Rz. 29; a.A. Mankowski in Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU2, § 37 Rz. 39. 671 Schlosser, EuZPR3, Art. 2 EuGVVO Rz. 4. 672 Im Ergebnis übereinstimmend Dilger, Stille Wasser gründen tief – die Cour de cassation zur EheGVO a.F., IPRax 2006, 617 (619). 673 EuGH v. 14.12.1995 – Rs. C-312/93 – Peterbroeck/Belgien, Slg. 1995 I 4599, FR 1996, 628 (Müller) = EuZW 1996, 636. 674 Manfred Wolf, Abbau prozessualer Schranken im europäischen Binnenmarkt in Grunsky/Stürner/Walter/Wolf, Wege zu einem europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 42 ff.; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 71, 111 ff. 675 H. Roth in FS Stree & Wessels, 1993, 1050; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 3a. 676 Hierzu z.B. Langguth in Lenz/Borchardt (ed.), EU-Verträge5, Art. 5 EUV Rz. 6 ff. 677 H. Roth, ZZP 109 (1996), 277.
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Erster Teil
Grundlegung
IV. Europäischer Wirtschaftsraum 247 Das Näherrücken der EU- und der EFTA-Staaten im „Europäischen Wirtschaftsraum“678 machte auf dem Sektor des internationalen Zivilverfahrensrechts die Ausweitung der Regeln des GVÜ auf die EFTA-Staaten erforderlich. Am 16.9.1988 wurde in Lugano das sog. „Parallelübereinkommen“ zwischen den EG- und EFTA-Staaten unterzeichnet. 247a Es ist für Deutschland am 1.3.1995 in Kraft getreten und gilt mittlerweile im Verhältnis zu Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien und dem Vereinigten Königreich.679 Auch Nicht-EWR-Staaten konnten zum Beitritt nach Maßgabe von Art. 62 I (b) eingeladen werden. So konnte Polen mit Wirkung vom 1.2.2000 beitreten.680 247b Das Lugano-Übereinkommen weicht in einigen Punkten von dem Text der Brüsseler Konvention ab. Das Brüsseler Übereinkommen galt im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander, das Luganer Übereinkommen im Verhältnis der EFTA-Staaten untereinander und im Verhältnis zwischen den EG- und den EFTA-Staaten, Art. 54b I und II LugÜ. Die Konkordanz in der Artikelfolge war durch die EuGVVO beseitigt.681 Um wieder einen Parallellauf mit der EuGVVO zu erreichen,682 wurde das neue (revidierte) Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007 (LugÜ II) geschlossen.683 Das Verhältnis zur EuGVVO regelt nun Art. 64 LugÜ 2007 (Rz. 1886). Die Konkordanz ist nun wiederum verloren gegangen, weil ab 10.1.2015 die VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen684 mit neuer Artikelfolge und einem veränderten Anerkennungsregime gilt. Ob die Lugano-Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, die Regeln der neuen EuGVVO eins zu eins übernehmen werden, ist höchst fraglich.685 247c Eine Gerichtsinstanz zur einheitlichen Auslegung der textgleichen Passagen des LugÜ 1988 und des EuGVÜ bzw. der EuGVVO existiert nach bisher vorherr678 BGBl. II 1993, 266. 679 Ausführliche Darstellung bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – EuGVVO Einl. Rz. 37; Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarktes, 1991; Jayme, Ein IZVR für Gesamteuropa, 1992. S. auch den Bericht von Jenard/Möller, ABl. EG Nr. C 189 v. 28.7.1990, 7122 sowie die Botschaft des Schweiz. Bundesrates v. 21.2.1990, schweiz. BBl. II 1990, 335; Jayme/Kohler, IPRax 1996, 386. 680 BGBl. II 2000, 1246. Hierzu Sawczuk in FS Schütze, 1999, 733; Wagner, WiRO 2000, 47; Martiny/Ernst, IPRax 2001, 29. 681 Zu den Vorschlägen zur Revision des EuGVÜ und LugÜ Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454 (458). S. auch Gottwald, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 2000; dort Beiträge von Kohler, 1 ff., Stadler, 37 ff. und Kerameus, 75 ff. 682 Nachw. bei Wagner, NJW 2003, 2344 sowie NJW 2004, 1835. 683 ABl. EU Nr. L 339 v. 21.12.2007, S. 1. 684 ABl. EU Nr. L 351 v. 20.12.2012, S. 1. Die VO (EU) Nr. 1215/2012 ersetzt ab 1.1.2015 die VO (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000, ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1. 685 Geimer in FS Torggler, 2013, 311.
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Erster Teil
schender Ansicht nicht. Der EuGH ist nur für die Auslegung des EuGVÜ und der EuGVVO zuständig; auch gibt es kein internationales Gericht zur Auslegung des LugÜ, was im Ergebnis dazu führt, dass der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ auch für das LugÜ „Modellcharakter“ zukommt.686 Nachdem mittlerweile die völkerrechtliche Außenkompetenz auf die Europäische Union übergegangen ist, dürfte auch das Lugano-Übereinkommen v. 16.9.1988 Unionsrecht geworden sein, so dass eine EuGH-Auslegungszuständigkeit nunmehr zu bejahen ist.687 Das von der Europäischen Gemeinschaft (Rechtsnachfolgerin: Europäische Union) abgeschlossene Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007 ist jedenfalls Bestandteil des Unionsrechts; daher besteht eine Auslegungszuständigkeit des EuGH gem. Art. 267 AEUV. Protokoll Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens vom 247d 16.9.1988 bzw. vom 30.10.2007: Den Verhandlungen, die zum Abschluss des Luganer Übereinkommens geführt haben, wurde das Brüsseler Übereinkommen in der Interpretation der bis dahin erlassenen Entscheidungen des EuGH zugrunde gelegt. Die Vertragsstaaten waren bestrebt, bei voller Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte voneinander abweichende Auslegungen zu vermeiden und zu einer möglichst einheitlichen Auslegung der Bestimmungen des Luganer Übereinkommens einerseits und der Parallelbestimmungen des Brüsseler Übereinkommens andererseits zu gelangen. Als Kompromisslösung wurde vereinbart: Die Gerichte jedes Vertragsstaats tragen bei der Anwendung und Auslegung der Bestimmungen des Luganer Übereinkommens den Grundsätzen gebührend Rechnung, die in maßgeblichen Entscheidungen von Gerichten der anderen Vertragsstaaten entwickelt worden sind (Art. 1). Auch wird ein System für den Austausch von Informationen über die in An- 247e wendung des Luganer Übereinkommens ergangenen Entscheidungen sowie über die in Anwendung des Brüsseler Übereinkommens ergangenen maßgeblichen Entscheidungen eingerichtet (Art. 3).
V. Kommission für ein europäisches Zivilprozessrecht Die Kommission dient nur der wissenschaftlichen Vorbereitung einer Verein- 248 heitlichung oder Harmonisierung des europäischen Zivilprozessrechts eines fernen Tages. Sie hat keinen offiziellen Auftrag; sie wird lediglich von der EUKommission unterstützt. Sie hat einen viel diskutierten Entwurf für eine Richtlinie erarbeitet.688 Umstritten ist, ob Art. 34 AEUV (Freiheit des Warenverkehrs) eine ausreichende Grundlage für eine solche Richtlinie wäre.
686 Jayme/Kohler, IPRax 1992, 356. Ausführlich Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von Lugano, 1995. 687 S. auch Kohler, Balancing the judicial dialogue in Europe, FS Borrás, 2013, 565 (unten Rz. 1885); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – EuGVVO, Einl. Rz. 195; Zöller/ Geimer, ZPO30, Anh. I Art. 1 EuGVVO, Rz. 2. 688 Storme (ed.), Rapprochement du Droit Judiciaire de l’Union européenne, 1994. Hierzu H. Roth und Schilken, ZZP 109 (1996), 271 (315). Zur Arbeitsweise Storme, RabelsZ
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Grundlegung
VI. Unidroit-Entwurf 248a Unidroit hat einen detaillierten Entwurf ausgearbeitet. Die Principles of Transnational Civil Procedure werden die Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung nachhaltig fördern, zumal diese in Zusammenarbeit mit dem American Law Institut entstanden sind.689
VII. Autonomes Recht 248b Soweit kein Völkergewohnheitsrecht und auch kein Völkervertragsrecht eingreifen, gilt ausschließlich das autonome Recht des Forumstaates.
6. Kapitel: Internationales Zivilprozessrecht und Grundgesetz 249 Die Ausstrahlungen der Verfassung auf das internationale Zivilverfahrensrecht sind noch nicht ausreichend untersucht.690 Insbes. geht es – abgesehen von dem Prinzip der Gleichbehandlung von Mann und Frau691 – um folgende Themen:692
I. Prinzip der offenen Staatlichkeit 249a Die Grundhaltung des Grundgesetzes ist völkerrechtsfreundlich. Dieses hat sich für eine internationale Zusammenarbeit entschieden (Präambel, Art. 9 II, Art. 23–26 GG).693
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56 (1992), 298. S. auch Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177 (179). S. auch Hess, EuZPR, 2010, § 13 Rz. 4 (S. 685). Materialien (abrufbar unter www.unidroit.org) in RabelsZ 69 (2005), 341; hierzu umfassend Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201; Stadler in FS Kerameus, 2009, 1355. Zum bisherigen Stand R. Geimer, ZfRV 1992, 321; R. Geimer in FS Matscher, 1993, 147 und in FS Schwind, 1993, 17; Schlosser in FS Matscher 1993, 387; Schlosser, IPRax 1992, 140; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 435; Gontinella, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, Rz. 628 ff. BVerfG v. 3.12.1985 – 1 BvL 29/84, BVerfGE 71, 224 = MDR 1986, 555 = NJW 1986, 648 (Geimer). Allgemein zum Thema „Deutsches Verfassungsrecht und internationale Sachverhalte“ Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, 2004, 353 ff. Nachw. bei K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964; Dutta, Vollstreckung in öffentlichrechtliche Forderungen ausländischer Staaten, IPRax 2007, 109 (117); Dutta Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (211); Großfeld, BerDGVR 18 (1978), 146; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 237; Tomuschat in Isensee/Kirchhof, Hand-
IZPR und Grundgesetz
Erster Teil
II. Eröffnung internationaler Zuständigkeit 1. Justizgewährungsanspruch des Klägers In allen Fällen, in denen ein ausreichender Inlandsbezug besteht und daher ein 250 Rechtspflegebedürfnis zu bejahen ist, muss eine internationale Zuständigkeit eröffnet werden. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip.694 Es bedarf nicht der Anknüpfung an ein konkretes Grundrecht. Der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährungsanspruch (Rz. 1923) besteht – unter den vorgenannten Voraussetzungen – allgemein für alle Rechtsstreitigkeiten, also nicht nur zur Durchsetzung der Grundrechte.695 Bei der Auslotung des verfassungsrechtlichen Spielraums des Gesetzgebers ist 250a der Justizgewährungsanspruch des Klägers abzuwägen gegen die verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Beklagten. Dessen verfassungsmäßiges Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren hat Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Kompetenznormen durch den Gesetzgeber. Die internationale Gerichtspflichtigkeit des Beklagten ist auf zumutbare Gerichtsstände zu begrenzen, damit dieser eine reale Chance auf effektive Verteidigung hat.696 Beide verfassungsrechtlich geschützten Positionen, also die des Klägers und die 250b des Beklagten, sind gegeneinander auszutarieren.697 Dies bedeutet: – Es gibt einen Bereich, in dem – im Interesse einer effizienten Justizgewährung – der Zugang zu den inländischen Gerichten von der Verfassung erzwungen wird. Der Gesetzgeber hat hier keinen Spielraum. Umgekehrt gibt es Konstellationen, in denen weder die Partei noch der Streitgegenstand irgendeine Beziehung zum Inland haben und deshalb möglicherweise schon das Völkerrecht die Inanspruchnahme einer Jurisdiktion verbietet (Rz. 377). Dieses Verbot ist auch innerstaatlich zu beachten, weil Art. 25 GG die Einhaltung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts verlangt. Darüber hinaus sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen – jenseits der völkerrechtlichen Grenzen –
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buch des Staatsrechts Bd. VII, 1992, § 172 Rz. 8, 57; Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. S. auch Rz. 271a. R. Geimer, NJW 1986, 658; R. Geimer in FS Schwind, 1993, 31; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 109. Umfangreiche Nachw. z.B. bei Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 208 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 285. BVerfG v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88, NJW 1991, 413; LG München I v. 29.2.2000, IPRspr. 2000 Nr. 182a sowie OLG München v. 26.10.2000, Zeitschrift für Sport und Recht 2001, 64 = IPRspr. 2000 Nr. 182b; R. Geimer, ZfRV 1992, 325; m.w.N. bei Schwab/Gottwald in W. J. Habscheid, Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, 38 Fn. 225; v. Schönfeld, NJW 1986, 2981 Fn. 21. Wenig überzeugend die Kriterien von Schack, IZVR6, Rz. 41. Schlosser, Rivista di diritto internazionale 74 (1991), 13; Schlosser, IPRax 1992, 140; Pfeifer, LM § 23 ZPO Nr. 7 sub 2; Taupitz, IPRax 1996, 143. R. Geimer in FS Schwind, 1993, 21; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 474.
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Erster Teil
Grundlegung
die Verfassung die Eröffnung einer internationalen Entscheidungszuständigkeit verbietet, weil der Beklagte keinerlei Chance auf eine effiziente Verteidigung hat. Dabei spielt die Staatsangehörigkeit des Beklagten keine Rolle, weil auch Ausländer und Staatenlose Anspruch auf einen fairen Prozess haben. – Dazwischen gibt es ein weites Feld, das aus verfassungsrechtlicher Sicht gewissermaßen „Niemandsland“ ist, wo also weder der Justizgewährungsanspruch des Klägers die Eröffnung einer internationalen Entscheidungszuständigkeit im Inland erzwingt, noch der Anspruch des Beklagten auf ein faires Verfahren solches von Verfassungs wegen verbietet. Hier hat der Gesetzgeber sein ureigenstes Betätigungsfeld. Er kann nach seinem Ermessen festlegen, welche Kompetenzen er für sinnvoll und besonders geeignet hält. 250c Beispiel: § 34 ZPO, der ein Spezialforum für Klagen der Prozess- und Zustellungsbevollmächtigten beim Gericht des Hauptprozesses stipuliert,698 ist sicher sinnvoll. Gleichwohl ist der Gesetzgeber frei, ob er ein solches Forum auch international eröffnen will. Daher ist es verfassungsrechtlich unproblematisch, dass sowohl das Brüsseler als auch das Luganer Übereinkommen diese Kompetenzanknüpfung nicht kennen.699
Aber auch eine so weltweit verbreitete und in manch naturrechtliche Mystik gehüllte Zuständigkeitsregel wie der Satz „actor sequitur forum rei“ (Rz. 1138) ist verfassungsrechtlich nicht garantiert. Schließlich hat der Gesetzgeber von Verfassungs wegen einen weiten Spielraum, ob er Zuständigkeitsvereinbarungen pro- bzw. derogierende Kraft zuerkennen will.700 Die Einschränkung der actor sequitur forum rei-Regel durch die angeblich ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten fremder Staaten (hierzu kritisch Rz. 878 ff.) blockiert jeden Rechtsschutz im Inland. Dies ist aus der Perspektive der verfassungsrechtlichen Garantie des Justizgewährungsanspruchs bedenklich und bedarf zumindest der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für jeden einzelnen Typ einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit. Andererseits wäre eine lupenreine Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates des Beklagten verfassungsrechtlich nicht angreifbar.701 698 Hierzu Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 763. 699 Die EuGVVO hat als europäisches (sekundäres) Unionsrecht ohnehin Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht. Das BVerfG hat allerdings in seiner „Solange-Rechtsprechung“ gewisse Vorbehalte aufgebaut, BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 387 = MDR 1987, 290 = NJW 1987, 577 (582), nunmehr verschärft durch das Urteil v. 30.6.2009 zum Vertrag von Lissabon (BVerfGE 2009, 123, 267). Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 112. Diese dürften jedoch auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts nicht oder allenfalls nur in extremen Ausnahmesituationen relevant werden. Ausführlich zum Verhältnis des sekundären europäischen Gemeinschaftsrechts zum deutschen Grundgesetz Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 385 ff. 700 R. Geimer, ZfRV 1992, 330 Fn. 85. 701 Zur Verfassungswidrigkeit des § 606a I 1 Nr. 4 ZPO bzw. nunmehr des § 98 I Nr. 4 FamFG s. unten Rz. 1954; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 100. Zustimmend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 497.
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2. Gerichtspflichtigkeit des Beklagten a) No right not to be sued abroad Dem (durchschnittlichen) Beklagten wäre es am liebsten, wenn er nur innerhalb 250d seines Wohnsitz- bzw. Sitzstaates in ein gerichtliches Verfahren verwickelt werden könnte. Ein solches right not to be sued abroad gibt es aber nicht.702 Die Verfassung garantiert ihm nicht das Privileg, nicht außerhalb seines Wohnsitzstaates verklagt zu werden, sondern verbürgt nur, dass er nicht „all over the world“ sein Recht nehmen muss, sondern bloß in solchen ausländischen Staaten, die einen (noch) sinnvollen Bezug zum Rechtsstreit haben.703 Diese These soll an einigen Beispielen illustriert werden: Es ist kompetenzrechtlich sicher sachgemäß, am Ort der gemieteten Sache dem Vermieter eine Klagemöglichkeit zu eröffnen (Rz. 1432). Problematisch ist nur die Ausschließlichkeit, die den Gang zum Wohnsitzgericht versperrt. Die rei sitae-Anknüpfung i.S. eines fakultativen Forums ist aber geboten im Interesse des Klägers unter dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes. Allerdings kann man nicht so weit gehen, dieses Forum (für den Kläger) als verfassungsrechtlich gewährleistet anzusehen. Ein weiteres Beispiel ist der Verkehrsunfall im Ausland. Der Schädiger ist am forum delicti gerichtspflichtig (Rz. 1497). Er kann sich nicht auf den „juge naturel“704 in seinem Wohnsitzstaat zurückziehen. Dies ist dem Opfer nicht zuzumuten. Hätten wir in Deutschland nicht schon seit eh und je das allgemeine forum delicti (Rz. 1497), müssten wir sogar die Frage aufwerfen, ob es die Verfassung erlaubt, das Opfer nach der actor sequitur forum rei-Regel an die Gerichte im Wohnsitzstaat des Schädigers zu verweisen. Die Liste der Beispiele dafür, dass der Beklagte sogar von Verfassungs wegen 250e außerhalb seines Wohnsitzstaates gerichtspflichtig zu machen ist, lässt sich noch fortführen. Hier sei nur noch eine typische Konstellation erwähnt, nämlich doing business in Germany. Wo kämen wir hin, wenn wir den international tätigen Konzernen gestatten würden, im Inland ihre Geschäftstätigkeit zu entfalten, aber – wenn es darum geht, die Rechtmäßigkeit ihres Tuns gerichtlich zu beurteilen – die Vertragspartner der Konzerne an deren Sitz im fernen Amerika oder Japan zu verweisen? Hier haben Art. 7 Nr. 5 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 5 LugÜ sowie § 21 ZPO vorgesorgt: Für alle Aktivitäten vom inländischen Stützpunkt aus ist die ausländische Gesellschaft im Inland gerichtspflichtig.705
702 Enger Schröder in FS Kegel, 1987, 523 und Pfeiffer, a.a.O., 592. 703 Restriktiver Pfeiffer, a.a.O., 593. 704 Hierzu allgemein Picardi, Le juge naturel – Principe fondamental en Europe, Rev int dr comp 2010, 27; Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 299 ff. 705 R. Geimer, RIW 1988, 220. Weitergehend das US-amerikanische Recht, Nachw. bei Harald Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992 (besprochen von Hay, ZZP 107 [1994], 259). S. auch Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 6.7.
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Erster Teil
Grundlegung
Trunk möchte generell Kläger mit geringen Forderungen kompetenzrechtlich begünstigen:706 „Steht nur ein Forum in Übersee zur Verfügung, bleibt dem Anspruchsteller bei wirtschaftlicher Betrachtung kaum etwas anderes übrig als auf die Geltendmachung zu verzichten.“ Angesichts der Möglichkeit von Teilklagen ließe sich ein solches Zuständigkeitsprivileg leicht missbrauchen. Anders das Konzept der EuGVVO bzw. des LugÜ: Die Klägergerichtsstände der Art. 11, 18 I, 21 I (b), II EuGVVO bzw. der Art. 9, 16 I und Art. 19 I (b) LugÜ707 knüpfen – ohne summenmäßige Begrenzung708 – an die Versicherungsnehmer-, Verbraucherbzw. Arbeitnehmereigenschaft des Klägers an. Das Gleiche gilt gem. Art. 5 Nr. 2 LugÜ 2007 und Art. 3 (b) EuUnterhVO für denjenigen, der sich eines Unterhaltsanspruchs berühmt. All diese Ausweitungen der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten sind verfassungsrechtlich unbedenklich. b) Minimum contacts 250f Andererseits bleibt aber zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Beklagten festzuhalten: Nur bei Vorliegen von minimum contacts des Rechtsstreits zum Inland kann in Deutschland ein Forum gegen einen sich im Ausland aufhaltenden Beklagten ohne Verletzung der „traditional notions of fairplay and substantial justice“ eröffnet werden.709 Solche sind aber nicht nur in der Sphäre des Beklagten oder des Streitgegenstandes zu suchen.710 Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Justizgewährung in Deutschland kann sich auch aufgrund von Anknüpfungen in der Person des Klägers ergeben.711 Die Verfassung gebietet nicht, die Zuständigkeitsinteressen des Klägers und des Beklagten für jeden konkreten Einzelfall gegeneinander abzuwägen und auszutarieren. Eine forum non conveniens-Prüfung nach dem Modell des common law (Rz. 1073) schreibt sie nicht vor; ganz im Gegenteil wäre eine solche im Hinblick auf die Notwendigkeit der im Voraus bestimmten bzw. bestimmbaren gesetzli-
706 Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarktes, 1991, 140 Fn. 6. 707 Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 8 EuGVVO Rz. 2; Schaltinat, Internationale Verbraucherstreitigkeiten: unter besonderer Berücksichtigung des EuGVÜ, 1998. 708 Auch der mit großen Summen spekulierende Kapitalanleger ist Verbraucher und kann sich auf das forum actoris berufen, Geimer in FS Martiny, 2014, 711, 727. 709 International Shoe Co. v. Washington 326 US 310, 316 (1945). Zu den constitutional limitations on the exercise of … jurisdiction Casad/Richman, Jurisdiction in Civil Actions, Territorial Basis and Process Limitations on Jurisdiction of State and Federal Courts3, vol. 1, 1999, 61 ff., 135 ff.; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 203; Rau, RIW 2000, 761 (764); Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments, 2003, 133 ff.; Göpfert/Berger, JuryAusschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540 (1542); Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 52 ff. 710 So aber aus US-amerikanischer Sicht Hay, ZZP 107 (1994), 261 Fn. 9. 711 R. Geimer in FS Schwind, 1993, 30.
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chen Richter (Rz. 1105) mit der Verfassung (Art. 101 I 2 GG)712 nicht zu vereinbaren (Rz. 1075). Fazit: Das System der generell-abstrakten Normen, mit denen nach der EuGVVO bzw. nach dem LugÜ und nach dem autonomen deutschen Kompetenzrecht (§§ 12 ff. ZPO, §§ 98 ff. FamFG) die internationale Zuständigkeit Deutschlands festgelegt wird, ist verfassungskonform.713 3. Rechtliches Gehör Zwar ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) auch international 251 – soweit möglich – zu sichern.714 Die Verfassung schreibt vor, dass dem Beklagten Gelegenheit gegeben wird, zu der/dem gegen ihn erhobenen Klage/Antrag Stellung zu nehmen. Doch führt dies bei Schwierigkeiten tatsächlicher Art nicht zu einer Verneinung der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit. Ist die Zustellung durch Inanspruchnahme ausländischer Rechtshilfe (§ 185 I 2 ZPO) nicht möglich, so scheitert nicht die Justizgewährung im Inland.715 Vielmehr erfolgt die (fiktive) Zustellung nach § 185 ZPO („öffentliche Zustellung“).716 Das Gleiche gilt, wenn der Beklagte unbekannten Aufenthalts ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob er „bewusst abgetaucht“ ist (Rz. 2104). Art. 103 I GG gebietet jedoch zum Schutze des Zustellungsadressaten (Beklagten 252 bzw. Antragsgegners), es nicht bei der öffentlichen Zustellung zu belassen. Der
712 Anders der US-amerikanische Ansatz. Hierzu Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 11.10; Hay, ZZP 107 (1994), 263. S. auch Casad/Richman, Jurisdiction in Civil Actions, Territorial Basis and Process Limitations on Jurisdiction of State and Federal Courts3, vol. 1, 1999, 21 ff. 713 R. Geimer in FS Schwind, 1993, 23. 714 Hierzu z.B. Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of US Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII, 2007, 613, 624. 715 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 10. 716 Grundlegend zur öffentlichen Zustellung BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827 sowie BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, FamRZ 2003, 672 = NJW 2003, 1326. Anschaulich z.B. der Fall des AG Köln v. 9.10.2003 – 323 F 251/93, FamRZ 2004, 468. S. auch OLG Köln v. 26.5.2008 – 16 Wx 305/07, MDR 2008, 1061: Die Voraussetzungen des § 185 I Nr. 3 ZPO liegen in einer gewöhnlichen vermögensrechtlichen Streitigkeit – kein Eilverfahren – (noch) nicht vor, wenn eine Auslandszustellung innerhalb eines Jahres (voraussichtlich) erfolgreich durchgeführt werden kann. S. aber Rz. 1929. Bei öffentlicher Zustellung (§ 185 ZPO) sollte man im Anwendungsbereich der EuVTVO Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 das zuzustellende Schriftstück parallel per E-Mail versenden, wenn zwar eine „normale“ Zustellung nicht möglich ist, aber eine E-Mail-Adresse des Beklagten existiert. Sendet der Beklagte eine Empfangsbestätigung i.S. von Art. 13 I (d) der genannten VO, so kann auch in den Fällen des § 185 ZPO eine Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel erfolgen, Rauscher/Pabst in Rauscher, EuZPR4, Art. 13 Rz. 17. Allerdings ist nach Rauscher/Pabst, a.a.O., Rz. 16 für die Empfangsbescheinigung per E-Mail eine digitale Signatur erforderlich.
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Anspruch auf rechtliches Gehör muss unter Wahrung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effiziente Justizgewährung (Rz. 1929) – soweit irgendwie möglich – auch praktisch sichergestellt werden. Deshalb ist nach h.M. (Rz. 2087) das Gericht bei bekanntem Wohnsitz/Aufenthalt des Beklagten in einem Land, mit dem zwar kein Rechtshilfeverkehr möglich ist oder das in concreto dem Zustellungsersuchen der deutschen Behörden nicht nachkommt, mit dem aber Postverkehr besteht, verpflichtet, das Schriftstück durch Brief per Einschreiben mit Rückschein zu versenden717 oder dem Beklagten per E-Mail von der Klage Kenntnis zu geben. Dabei ist das Schreiben „in neutraler Aufmachung“ zu versenden, wenn zu befürchten ist, dass es sonst nicht weitergeleitet wird. Ist die Übersendung durch das Gericht undurchführbar, weil die ausländische Post das Schreiben nicht weiterleitet, hat die antragstellende Partei es dem Gegner durch Einschreiben mit Rückschein zu übermitteln, dem Gericht den Rückschein vorzulegen und anwaltschaftlich versichern zu lassen, dass das übersandte Schreiben die Klage/Antragsschrift nebst Ladung zum Inhalt hatte. Nur wenn auch dieser Versuch zur Realisierung des rechtlichen Gehörs scheitert, reicht die öffentliche Zustellung aus.718 Darüber hinaus fordert Art. 103 I GG die Aufstellung eines Verfahrenspflegers, wenn auch die Übersendung der Klage- und Antragsschrift durch Einschreiben mit Rückschein scheitert719 (vgl. Rz. 418, 1929). 252a Die fiktive Inlandszustellung an Adressaten, die sich im Ausland befinden, durch Aufgabe zur Post (§ 184 ZPO) ist als solche verfassungsgemäß.720 717 Zustimmend Schlosser in FS Stiefel, 1987, 693; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 185 Rz. 35; OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, RIW 1988, 133 (134); OLG Hamm v. 15.4.1998, IPRspr. 1998 Nr. 180. Allerdings ist die Zustimmung der Justizverwaltung (§ 9 ZRHO) im Hinblick auf Art. 32 I GG (s. Rz. 256b) erforderlich, Zöller/ Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 35. 718 OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, FamRZ 1985, 1278 = EWiR 1986, 205 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 171. 719 R. Geimer, NJW 1974, 1631. S. auch in anderem Zusammenhang OLG Bremen v. 15.5.2003 – 4 W 13/03, BB 2003, 1525: Pfleger im Rahmen einer Umwandlung für einen unbekannten GmbH-Gesellschafter. 720 BVerfG v. 19.2.1997 – 1 BvR 1353/95, NJW 1997, 1772; BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, BRAK 1999, 255 = NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = MDR 1999, 311 = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = JZ 1999, 414 (H. Roth) = IPRspr. 1998 Nr. 171; Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 67, 236, 308; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 96. Rechtsstaatliche Bedenken gegen diese „legislatio in fraudem legis internationalis“ jedoch bei Schlosser in FS Stiefel, 1987, 683, 688. Ähnlich Gottwald in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts – die internationale Dimension, 1991, 28: „Unbefriedigend hieran ist vor allem, dass durch diesen Kniff ein tatsächlicher Auslandsprozess fiktiv zum Inlandsprozess erklärt wird.“ Besonders kritisch der Diskussionsentwurf v. 30.1.1997 des BMJ eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellreformgesetz), S. 49 f. „Die bisher vorgesehene Zustellungsfiktion beinhaltet praktisch zumindest eine erhebliche Gefährdung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dies ist […] nicht länger hinnehmbar.“ Man darf aber nicht nur die Beklagtenperspektive fokussieren. Vielmehr muss auch der Justizgewährungsanspruch des Klägers in die Gewichtung mit einbezogen werden. Zum „Ausbalancieren“ der Verfahrensgrundrechte von Kläger und Beklagtem G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 9. § 174 II ZPO
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4. Unterschiedliche Behandlung von In- und Ausländern Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG ist ein Menschenrecht. Er gilt gleichermaßen 253 für Inländer, Ausländer und Staatenlose. Er verbietet aber nur, dass wesentlich Gleiches ohne zureichenden Grund ungleich behandelt wird. Der deutsche Gesetzgeber kann sehr wohl die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal verwenden.721 Auch Art. 3 III GG steht nicht entgegen. Es ist daher verfassungskonform, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit als Merkmal für die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit verwendet, also nur Deutschen eine „Heimatzuflucht“ (= Zugang zu deutschen Gerichten) gewährt wird (Rz. 1323, 1947).722 5. Sicherung des Zugangs zu Gericht: Überwindung der Kostenbarriere durch ausreichende Prozesskostenhilfe für In- und Ausländer Um den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Zugang zu Gericht 253a (Rz. 250) auch in Praxis zu ermöglichen, muss ausreichende Prozesskostenhilfe zur Verfügung gestellt werden, um die Kostenbarrieren zu überwinden. Hierzu gibt es eine facettenreiche Kasuistik des Bundesverfassungsgerichts.723 (S. auch Rz. 2009 ff.).
a.F. bestimmte schlicht und einfach: „Wohnt die Partei nicht im Inland, so ist sie auch ohne Anordnung des Gerichts zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet, falls sie nicht einen in dem durch den ersten Absatz bezeichneten Ort oder Bezirk wohnhaften Prozessbevollmächtigten bestellt hat.“ Diese Vorschrift musste entgegen der h.M. im Lichte des Art. 103 I GG verfassungskonform interpretiert werden. Sie legte nach ordnungsgemäßer Verfahrenseröffnung (§ 199 ZPO a.F.) allen Beklagten im Ausland die Last auf, in Deutschland einen Zustellungsvertreter zu bestellen. Anderenfalls erfolgt die Zustellung durch Aufgabe zur Post, d.h. durch Einwurf in den deutschen Briefkasten, § 175 I ZPO a.F. Ein Hinweis auf diese schwerwiegende Sanktion sah das Gesetz nicht vor. Gleichwohl gebietet Art. 103 I GG einen solchen Hinweis, s. Rz. 2113. § 184 ZPO n.F. hat diesen legislatorischen Mangel behoben. Hierzu Fleischhauer, a.a.O., 270, 309; G. Geimer, a.a.O., 41; Hausmann, IPRax 1988, 140 (143). S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 274 ff. 721 Zu beachten ist jedoch das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV, s. Rz. 246v. Vgl. auch Art. 4 II EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ sowie Art. 7 II EuEheVO. 722 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 134, 146. Zur Frage der unterschiedlichen Behandlung verschiedener Ausländergruppen s. auch Rz. 390 und OVG Koblenz v. 3.2.1988 – 13 B 308/87, NJW 1988, 1477. 723 Nachw. z.B. bei Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 115 und vor § 114 Rz. 1.
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III. Klagezustellungen aus dem Ausland 254 Die Mitwirkung deutscher Rechtshilfebehörden bei der Zustellung US-amerikanischer Class Actions724 ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden.725 Eine Verletzung des Art. 12 I GG scheidet aus, weil eine Klagezustellung als solche keine (unmittelbar) berufsregelnde Maßnahme ist, auch wenn die weit gespannte Gerichtspflichtigkeit im Ausland (z.B. im Zusammenhang mit Class Actions) für Aktivitäten deutscher Unternehmen (vor allem auf dem US-Markt) de facto ein massives Handikap darstellt. Auch der Schutzbereich des Art. 14 I GG ist mangels einer gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit der Vermögenssphäre des Beklagten (= Zustellungsempfänger) allein durch den Akt der Klagezustellung nicht tangiert. Als Prüfungsmaßstab kommt allein das „Auffanggrundrecht“ des Art. 2 I GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) in Betracht: Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Zustellungsadressaten ist durch Gemeinwohlinteressen (Förderung des internationalen Rechtsverkehrs) gerechtfertigt. Denn das Grundgesetz hat sich für die „offene Staatlichkeit“ entschieden, Präambel, Art. 23, 24 und 26 GG (Rz. 173, 249a).726 254a Eine Grenze – mit der Folge der (zumindest möglichen) Versagung der deutschen Mitwirkung bei der Zustellung – wird allerdings dann erreicht, wenn das mit der (im Ausland erhobenen) Klage verfolgte Ziel „offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt“.727 Diese Einschränkung handhabt das Bundesverfassungsgericht aber neuerdings mit Recht nur sehr zurückhaltend: Dass die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten in Class Actions erheblich beeinträchtigt sind,728 reicht nicht aus, um die erbetene Zustellung zu verweigern. Allerdings sieht das Bundesverfassungsgericht Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen, wenn die Klageforderung „auch in ihrer Höhe offensichtlich keine Grundlage hat“, wenn der Beklagte „mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat“ oder „erheb724 Zur amerikanischen Sicht z.B. Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 215, 220 ff.; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 119 ff. Zum europäischen Blickwinkel z.B. Brand, NJW 2012, 1116 (1118). S. auch Gidi, The recognition of US class action judgments abroad, Brooklyn Journal of Int. Law 37 (2012), 893. 725 BVerfG v. 14.6.2007 – 2 BvR 2247, 2248, 2249/06, WM 2007, 1392 = WuB VII C. § 13 HZÜ (R. Geimer) m.w.N. Hierzu z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 252. 726 Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, 413; Tomuschat, IPRax 1966, 83 (84); G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 237. Nachw. auch bei Röben, Außenverfassungsrecht, 2007; R. Geimer, ZfRV 1999, 321 ff.; R. Geimer, EWiR 1995, 161; Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 120. 727 Das BVerfG lässt weiter offen, ob die Verweigerung der deutschen Zustellungshilfe obligatorisch oder nur fakultativ ist. 728 Hierzu sehr deutlich z.B. Röhm/Schütze, RIW 2007, 241; Brand, NJW 2012, 1116 (1119).
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licher, auch publizistischer Druck aufgebaut wird, um den Beklagten in einen an sich ungerechtfertigten Vergleich zu zwingen“. Es fehlt nach wie vor eine klare Trennlinie. Wann die Durchführung eines aus- 254b ländischen Zustellungsersuchens die Hoheitsrechte und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland i.S. von Art. 13 HZÜ gefährdet, konnte und kann bisher niemand klar definieren (Rz. 2159).729 Auch dem Bundesverfassungsgericht ist eine randscharfe Abgrenzungsformel aus dem Blickwinkel der Verfassung nicht eingefallen.730 Man bewegt sich in einer Grauzone, der lediglich durch Kasuistik gewisse Konturen gegeben werden können.731 Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass auch im deutschen Zivilprozess kein Zustellungsverbot für schikanöse, missbräuchliche oder sonstige exorbitante Klagen besteht.732 Das deutsche System ist deshalb in diesem Punkt dem US-System nicht überlegen. Hinzu kommt, dass im Zustellungsstadium eine wirksame präventive Missbrauchsbekämpfung nicht stattfinden kann; denn auch die Zustellungsverweigerung schützt nicht vor Verurteilung und Vollstreckung im Ausland.733
729 R. Geimer, ZZP 103 (1990), 489; Rasmussen-Bonne in FS Hay, 2005, 323; Hopt/Kulms/ von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 135 ff.; m.w.N. bei Brand, NJW 2012, 1116 (1117); Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens, 2010. 730 R. Geimer, WuB VII C. § 13 HZÜ. 731 So sieht R. Stürner, JZ 2006, 60 (61) ein Anwendungsfeld z.B. bei Klagen auf Eingehung einer Ehe oder auf Unterlassung jedweder beruflichen Tätigkeit. Weiteres Beispiel bei Hopt/Kulms/von Hein, a.a.O., 152: Klage auf Verurteilung zur Schuldknechtschaft i.S. von Art. 1 (a) des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavenähnlicher Einrichtungen und Praktiken v. 7.9.1956, BGBl. II 1958, 203. Stürner, a.a.O., empfiehlt in Übereinstimmung mit den meisten Stellungnahmen in der Literatur äußerste Zurückhaltung in kritischer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, BVerfGE 108, 238 = CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 (Zekoll 2885) = JZ 2003, 956 (Heß 923) = IPRax 2004, 61 = IPRspr. 2003, 176 (es handelte sich um eine einstweilige Anordnung, mit der die deutsche Zustellungshilfe gestoppt worden war. Es kam wegen der Erledigungserklärung der Zustellungsadressatin nicht zur Entscheidung in der Hauptsache; hierzu Oberhammer, IPRax 2004, 40; Braun, ZIP 2003, 2225; Heß, AG, 2006, 809 [815]; Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356; Prütting in FS Jayme, 2004, 709, 715; Schack, AG, 2006, 823; Zeidler, IDR 2005, 40). 732 Zur anwaltlichen Taktik der Zustellungsverweigerung z.B. Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 74 ff. 733 Wesentlich zurückhaltender mit Tendenz zu der hier vertretenen Auffassung BVerfG v. 24.1.2007 – BvR 1133/04, IPRax 2009, 249 = JZ 2007, 1046 = RIW 2007, 211 sowie BVerfG v. 14.6.2007 – 2 BvR 2247, 2248, 2249/06, WM 2007, 1392 = WuB VII C. § 13 HZÜ (R. Geimer). Hierzu auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803) und Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 252. Im Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Verträge darf Deutschland von Völkerrechts wegen die Durchführung der Zustellung nur verweigern, wenn seine Hoheitsrechte (Souveränität) oder seine Sicherheit gefährdet würden, Art. 4 HZPÜ, Art. 13 HZÜ, § 84 III ZRHO, sowie die Parallelnormen in den bilateralen Verträgen, G. Geimer, a.a.O., 68 ff. und aus österr. Sicht Sengstschmid in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 38 JN Rz. 73 ff. Seine zurückhaltende Stellungnahme begründet das BVerfG v. 14.6.2007 – 2 BvR 2247, 2248, 2249/06, WM 2007, 1392 =
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254c Auch die Zulassung der Direktzustellung aus dem Ausland (ohne Einschaltung der deutschen Rechtshilfekanäle und damit ohne Möglichkeit der „Kontrolle“) ist durch das GG nicht verboten.734
IV. Anerkennung 1. Pflicht zur Anerkennung 255 Aus der Grundrechtsperspektive ergeben sich die gleichen Möglichkeiten für die Bejahung einer Anerkennungspflicht wie oben Rz. 151.735 2. Versagungsgründe 256 Art. 103 I GG strahlt auch auf das Anerkennungsrecht aus: Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass dem Beklagten rechtliches Gehör gewährt worden ist. Dabei ist jedoch zu beachten, dass er alles in seiner Macht Stehende unternehmen muss, um sich auch rechtliches Gehör zu verschaffen.736
WuB VII C. § 13 HZÜ (R. Geimer) auch mit dem „verfassungsrechtlichen Ziel, Völkerrechtsverstöße der Bundesrepublik Deutschland so weit wie möglich zu vermeiden“ (BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 [317]. Dieses Argument entfällt allerdings im vertragslosen Verkehr, d.h. außerhalb des Anwendungsbereichs der völkerrechtlichen Verträge und Übereinkommen, die zur gegenseitigen Zustellungshilfe verpflichten. Hier ist Deutschland völkerrechtlich frei, Rechtshilfe zu gewähren oder abzulehnen. Innerstaatlich ist die Justizverwaltung jedoch – im Rahmen des Art. 3 I GG – an ihre Verwaltungspraxis gebunden. Gleichwohl wäre eine Differenzierung verfassungsrechtlich nicht verboten. Eine solche ist aber nicht zu empfehlen. Keinerlei Weigerungsrecht besteht gegenüber Zustellungsersuchen aus Mitgliedstaaten der EU; denn in der VO (EG) Nr. 1393/2007 v. 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (s. Rz. 245c) fehlt ein entsprechender Vorbehalt, hierzu G. Geimer, a.a.O., 213; de Lind van Wijngarden-Maack, IPRax 2003, 153 (154 Fn. 13); Krause, RIW 2004, 533 (535 Fn. 19); Hopt/Kulms/von Hein, a.a.O., 129. Daran wird das BVerfG sicher nicht rütteln, weil die internationale Zustellungshilfe kein geeignetes Terrain bietet, in Abkehr von seiner „Solange-Rechtsprechung“ (hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 112) gegen Brüssel und Luxemburg schweres Geschütz in Stellung zu bringen oder sogar abzufeuern, R. Geimer, WuB VII C. § 13 HZÜ. S. auch Rasmussen-Bonne, The Pendulum swings back: The Cooperative Approach of German Courts to International Service of Process, in Liber Amicorum Tibor Várady, 2009, 231; Brand, NJW 2012, 1116 (1117); Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens, 2010. 734 Näher hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 239. 735 R. Geimer, ZfRV 1992, 405. 736 Die Auslegung des § 328 I Nr. 2 ZPO und § 109 I Nr. 2 FamFG, wie unten Rz. 2922, ist also verfassungskonform. Das BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462 verlangt sogar (in einer Strafsache), dass der Betroffene alles ihm Zumutbare im Erstverfahren unternimmt, um Verfahrensmängel gegebenenfalls im Rechtsmittelweg zu beseitigen, R. Geimer, ZfRV 1992, 407; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 119.
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Sollen Hoheitsakte eines ausländischen Staates im Inland durchgesetzt werden, die eine entschädigungslose Enteignung bedeuten, so verbieten Art. 14, 15 GG allen deutschen Staatsorganen, somit auch den Gerichten, dabei mitzuwirken. Allerdings verbietet das Grundgesetz nach bisher h.M. nicht, (völkerrechtswidrige) im Ausland vollzogene Enteignungen737 anzuerkennen.738 3. Anforderungen an den Begriff „Gericht“ Die strengen Maßstäbe, die nach Art. 92 GG an den Begriff „Gericht“ anzulegen 256a sind, gelten nicht für ausländische Gerichte.739 Das Urteil eines ausländischen Gerichts, welches den Anforderungen des Art. 92 GG nicht genügt, ist – von Extremfällen abgesehen – gleichwohl grundsätzlich anerkennungsfähig, sofern nicht (sonst) ein Versagungsgrund (§ 328 ZPO bzw. § 109 FamFG) vorliegt.740
V. Prärogative der Bundesregierung als Trägerin der auswärtigen Gewalt Die den Gerichten übertragene Rechtsprechungsgewalt steht in international 256b eingefärbten Fällen in einem gewissen Spannungsverhältnis zur „äußeren Gewalt“, die gemäß Art. 32 I GG von der Bundesregierung wahrzunehmen ist.741 Die balance of power ist zwischen Judikative und Exekutive bisher nicht konturenscharf herausgearbeitet worden.742 Fest steht, dass durch Gerichtsverfahren und vor allem gerichtliche Entscheidungen die Pflege der auswärtigen Beziehungen ganz erheblich beeinflusst werden kann.743 Hier müssen die Gerichte einen „high standard of statesmanship“ beweisen, was ihnen nicht immer mühelos gelingt.744 Wenig rücksichtsvoll verhielt sich z.B. der Bundesgerichts-
737 Nachw. zum völkerrechtlichen Enteignungsrecht bei Seidl-Hohenveldern/Hummer/ Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1303 ff.; Schäfer, RIW 1998, 199; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 537, 568. S. auch EGMR v. 22.1.2004 – Jahn/BRD, EuGRZ 2004, 57 (Cremer 134) sowie EGMR v. 30.6.2005 – 45036/98 – Bosphorus Hava Turizm/Irland, NJW 2006, 197. 738 Zur Reichweite des Art. 14 GG im Anerkennungsstadium R. Geimer, ZfRV 1992, 408 (409). Kritisch Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 539. S. auch Staudinger/Voltz, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 80. 739 BGH v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70 = NJW 1986, 3027 = JZ 1987, 154 (Walter) = EWiR 1986, 835 (Schütze). 740 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 82; s. auch unten Rz. 1764, 2870. 741 Hierzu z.B. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (214). 742 Zum Stand der Diskussion Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005, 214 ff.; Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. 743 R. Geimer, ZfRV 1992, 414. 744 Beispiele für richtig dosierte Zurückhaltung der Gerichte bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 54 Fn. 179, 131. In den Vereinigten Staaten von Amerika beachten grundsätzlich die Gerichte die von der US-Regierung abgegebenen statements of interest, wonach die Abweisung der näher bezeichneten Klage(n) dem
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hof745 im Nigerianischen Masken-Fall: Er legte seinem auf § 138 BGB gestützten Verdikt die Wertungen des UNESCO-Kulturgüterschutzübereinkommens vom 14.11.2007746 zugrunde, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Entscheidung von Deutschland weder gezeichnet geschweige denn ratifiziert worden war.747 Auch darf die Ausübung der auswärtigen Gewalt gem. Art. 19 IV GG nur sehr zurückhaltend gerichtlich überprüft werden, um den außenpolitischen Handlungsspielraum der Exekutive nicht einzuschränken; andernfalls läge ein verfassungswidriger Übergriff der Judikative vor (Rz. 136, 3637). Der judicial self restraint in Verfahren, die political questions aufwerfen, ist mithin nicht nur ein nobile officium, sondern vom Grundgesetz gebotene Pflicht des Gerichts.748
VI. Verhältnis von Verwaltung und Rechtsprechung in internationalrechtlichen Angelegenheiten 1. Verkehr mit ausländischen Behörden zum Zwecke der Rechtshilfe 257 Der Verkehr mit ausländischen Behörden zum Zwecke der Rechtshilfe ist Verwaltungsangelegenheit. Er fällt nicht in den Bereich der rechtsprechenden Gewalt (Art. 92 GG).749 Zwar stellt die Beschlussfassung über die Einholung eines Rechtshilfeersuchens eine richterliche, von der Unabhängigkeitsgarantie des Grundgesetzes geschützte Handlung dar (Rz. 2396). Die richterliche Tätigkeit kann als hoheitliche Tätigkeit jedoch grundsätzlich nur im eigenen Hoheitsbereich des Staates, zu dessen Organen das Gericht gehört, ausgeübt werden (Rz. 120). Diese Schranke kann zwar mit Zustimmung des jeweils in Betracht kommenden ausländischen Staates durchbrochen werden. 258 Die Frage, ob eine solche Zustimmung herbeigeführt oder von einer etwa bereits erteilten Zustimmung Gebrauch gemacht werden soll, fällt jedoch in den Bereich der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, deren Pflege nach Art. 32 I GG allein der Bundesregierung zugewiesen ist.750 Deshalb hat diese – außerhalb des Anwendungsbereichs der EG-Beweisaufnahmeverordnung (Rz. 245c) – das Recht, einer richterlichen Tätigkeit im Ausland, auch wenn es sich um eine Anwesenheit
745 746 747 748 749
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außenpolitischen Interesse der USA diene. Jedoch besteht keine Bindung im strikten Sinn. BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 = NJW 1972, 1575. BGBl. II 2007, 627. Kritisch hierzu Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (215). S. auch die Nachw. bei Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, 2007. R. Geimer, NJW 1989, 645, 2177 (2205); ausführlich Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996, 71. Kritisch Rellermeyer Rpfleger 2000, 479 und Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 2 EuBeweisVO Rz. 5. BGH v. 27.1.1978 – RiZ (R) 3/77, BGHZ 71, 95 = NJW 1978, 1425; BGH v. 14.6.1983 – RiZ (R) 2/83, BGHZ 78, 385 = MDR 1983, 931 = NJW 1983, 2769; BGH v. 16.4.1985 – RiZ (R) 1/85, MDR 1986, 142 = NJW 1986, 664; m.w.N. bei Röben, Außenverfassungsrecht, 2007.
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bei einer Zeugenvernehmung handelt, außenpolitische Bedenken entgegenzusetzen. Die zuständige Behörde ist auch befugt und verpflichtet, die Weiterleitung von Rechtshilfeersuchen an ausländische Staaten, in denen die Vernehmung von Parteien oder von Zeugen in Anwesenheit deutscher Richter stattfinden soll, abzulehnen und die Bewilligung von Dienstreisen oder Zahlung von Reisekosten zu verweigern. In diesen Fällen nimmt die Landesjustizverwaltung Aufgaben der Bundesregierung wahr (Rz. 263 ff.).751 Eine ablehnende Entscheidung kann nach §§ 23 ff. EGGVG von den Verfahrensbeteiligten mit der Begründung angefochten werden, die Justizverwaltung habe von ihrem Ermessen keinen sachgemäßen Gebrauch gemacht.752 Hierzu Rz. 2168, 2495. Auch wenn im europäischen Unionsrecht oder in einem völkerrechtlichen Ver- 259 trag der unmittelbare Verkehr zwischen den Gerichten zugelassen ist, so bedeutet dies nicht, dass die Gerichte von dem von ihnen einzuhaltenden Geschäftsweg freigestellt werden oder ihnen die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Ausführung des beschlossenen Rechtshilfeersuchens übertragen ist.753 Aus der Sicht der Parteien bedeutet dies u.U. die tatsächliche Verkürzung ihrer Verfahrensgrundrechte. Leitet die Exekutive die vom deutschen Gericht beschlossenen Zustellungs- bzw. Beweisaufnahmeersuchen nicht an den ausländischen Staat weiter, so kann dies dazu führen, dass dem Beklagten im Ausland das rechtliche Gehör verkürzt wird (öffentliche Zustellung)754 oder dass aufgrund eines fiktiven Sachverhalts entschieden wird, weil die im Ausland befindlichen Beweismittel nicht herangezogen werden konnten. Insofern besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Art. 32 GG und den Verfahrensgrundrechten des Grundgesetzes.755 2. Beweiserhebung durch Konsularbeamte Der Konsularbeamte ist bei Vernehmungen und Vereidigungen gem. § 15 Kon- 260 sularG756 nicht Richter, sondern Beamter außerhalb der rechtsprechenden Gewalt; er nimmt aber Aufgaben wahr, die im „Normalfall“ des inländischen Zivilprozesses dem Richter obliegen.757 Seine Vernehmungen und Vereidigungen sowie die hierüber aufgenommenen Niederschriften stehen gem. § 15 IV KonsularG gerichtlichen Vernehmungen, Vereidigungen und diesbezüglichen Nie751 Näher Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 436 sowie Junker, DRiZ 1985, 161. 752 BGH v. 31.1.1984 – RiZ (R) 3/83, BGHZ 90, 41 = MDR 1984, 488 = NJW 1984, 2531; BVerwG v. 9.6.1983 – 2 C 34/80, DRiZ 1983, 412. Zu den Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfung auf Antrag des Richters, der sich in seiner Unabhängigkeit tangiert fühlt, nach § 26 II DRiG OLG Hamm (Dienstgerichtshof) v. 8.3.1993, DZWir 1994, 426 (R. Geimer) = IPRspr. 1993 Nr. 166. 753 BGH v. 14.6.1983 – RiZ (R) 2/83, BGHZ 87, 390 = MDR 1983, 931 = NJW 1983, 2769. 754 Grundlegend zum Spannungsverhältnis mit Art. 103 I GG BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827; BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, NJW 2003, 1326. 755 Nachw. bei Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. 756 Hierzu s. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 134. 757 R. Geimer in FS Matscher, 1993, 135.
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derschriften gleich. Dienstliche Aufgaben (hierzu gehören auch Vernehmungen/ Anhörungen) sind „unparteiisch und gerecht“ zu erfüllen.758 Liegen bei einem Konsularbeamten die in § 59 BBG oder § 41 ZPO genannten Gründe vor, so soll er die Amtshandlung nicht vornehmen. Konsularbeamte können aber wegen Besorgnis der Befangenheit nicht abgelehnt werden, § 42 ZPO. Es bestehen keine prozessualen Rechtsbehelfe gegen ihre Entscheidungen, möglich ist nur die Dienstaufsichtsbeschwerde mit dem Antrag, einen anderen Konsularbeamten mit der Vornahme der Vernehmung zu beauftragen. Diese Regelung ist mit dem Grundgesetz gerade noch zu vereinbaren, weil der Konsularbeamte keine richterliche Entscheidung (in der Sache) fällt, sondern nur bei der Beschaffung der Entscheidungsgrundlagen behilflich ist.759 261 Die Teilnahme des ersuchenden Gerichts oder eines beauftragten Richters bei der Vernehmung/Anhörung durch den Konsularbeamten ist ohne Zustimmung der ausländischen Regierung nach Völkerrecht nicht zulässig. Wenn diese erteilt ist, muss der Richter nach § 61 ZRHO für seine Teilnahme an der Beweisaufnahme im Ausland außerhalb der Europäischen Union760 noch die Genehmigung der Bundesregierung auf dem Dienstweg einholen, und zwar auch dann, wenn aufgrund einer Erklärung nach Art. 8 des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18.3.1970761 eine Genehmigung des ausländischen Staates für die Teilnahme von Richtern an der Beweisaufnahme generell erteilt, d.h. in concreto nicht erforderlich ist (Rz. 446).762 Auch dies verstößt nicht gegen Art. 92 GG. 262 Die Beweisaufnahme im Ausland leitet der Konsularbeamte, nicht der angereiste Richter. Der Konsularbeamte kann dem Richter das Fragerecht einräumen, dieses jedoch jederzeit wieder an sich ziehen. Der Konsularbeamte hat das Verfahren zu eröffnen, den Zeugen/Sachverständigen zur Wahrheit zu ermahnen (§§ 395, 402 ZPO), auf die Strafbarkeit einer uneidlichen falschen Aussage (§ 153 StGB) und – falls Beeidigung erfolgen soll – auf die Strafbarkeit des Meineides oder einer eidesgleichen Bekräftigung oder eines fahrlässigen Falscheides (nach §§ 154, 155, 163 StGB) hinzuweisen, den Zeugen zur Person zu befragen (§§ 395, 402 ZPO), über das Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht (§§ 383–385, 408 ZPO) zu entscheiden, Eide abzunehmen und das Protokoll zum Schluss gem. § 162 ZPO zu verlesen sowie zu unterschreiben, § 163 ZPO. Über die Zurückweisung von Fragen und sonstige Zusatzanträge (§ 400 ZPO) entscheidet der Konsularbeamte, wenn er auch nach Möglichkeit das Einvernehmen mit dem Gerichtsvorsitzen-
758 § 52 I 2 BBG. 759 Zustimmend Stein/Jonas, ZPO22, § 363 Rz. 39. 760 Die Genehmigung der Bundesregierung ist nicht mehr erforderlich, soweit die Beweisaufnahme in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union durchgeführt werden soll, § 61 I ZRHO. Seit 1.1.2004 gilt Art. 12 der EuBeweisVO (s. Rz. 245c). 761 BGBl. II 1977, 1472. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen wurde die konsularische Beweisaufnahme in der EuBeweisVO nicht geregelt; dies hat zur Folge, dass trotz Art. 21 I das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme auch im Anwendungsbereich der VO weiter gilt, Jastrow, IPRax 2004, 11 (12). 762 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, Stand: August 2007 (3. Lfg.), § 5 Rz. 36. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 8 HBÜ Rz. 3.
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den bzw. dem beauftragten Richter herbeiführen soll.763 Herr des Verfahrens ist also der Konsularbeamte und nicht der Richter. Hiergegen wurden (bisher) durchgreifende verfassungsrechtliche Einwendungen nicht erhoben. 3. Beweisaufnahmen für im Ausland anhängige Gerichtsverfahren Nicht die Judikative, sondern die Exekutive hat über die Zulässigkeit und die 262a Art der Durchführung der internationalen Rechtshilfe (Gewährung von Rechtshilfe für ausländische Gerichtsverfahren) zu entscheiden (Rz. 2459, 2462). Der Bundesgerichtshof als oberstes Richterdienstgericht (§§ 61 ff. DRiG) interpretiert Art. 97 GG auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe sehr restriktiv.764 Fraglich ist, ob Beweisaufnahmen für ausländische Gerichtsverfahren unter Art. 97 GG fallen.765 Auch der schweizerische Bundesrat766 ordnet die Erledigung der Rechtshilfe- 262b begehren „in das Gebiet der internationalen Verwaltungstätigkeit“ ein. „Die einzelnen Rechtshilfeakte bestehen in der stellvertretenden Vornahme prozessualer Handlungen für einen fremden Staat. Sie werden zweckmäßigerweise in den Formen vorgenommen, die das Prozessrecht des ersuchten Staates für derartige Maßnahmen im Rahmen eines vor seinen Gerichten hängigen Prozesses vorsieht … Es darf aber nicht übersehen werden, dass es sich bei solcher Anwendung der eigenen Zivil- oder Strafprozessordnung für den ersuchten Staat nicht … um einen Zivilprozess handelt, sondern um ein Verwaltungsverfahren.“ Der schweizerische Bundesrat betrachtet daher die Erledigung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens durch den kantonalen Richter als ein „Verfahren zur Durchführung einer Aufgabe der Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten“
763 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, a.a.O.; vgl. auch Schulze, IPRax 2001, 527 (531). 764 BGH v. 27.1.1978 – RiZ (R) 3/77, NJW 1978, 1425; BGH v. 14.6.1983 – RiZ (R) 2/83, MDR 1983, 931 = NJW 1983, 2769; BGH v. 16.4.1985 – RiZ (R) 1/85, MDR 1986, 142 = NJW 1986, 664; Nagel, IPRax 1984, 140 sowie die Kommentare zu § 26 DRiG. 765 R. Geimer, NJW 1989, 2177 (2205); bejahend wohl Schlosser in GS Constantinesco, 1983, 653 unter Hinweis auf die lex lata (s. Rz. 2461); Puttfarken, NJW 1988, 2156. Vogler/Wilkitzki, IRG-Kommentar, 1992, § 12 Rz. 37: „Die Unabhängigkeit des vernehmenden Richters setzt erst dort ein, wo es um die Anwendung deutschen Verfahrensrechts bei der Vornahme der Rechtshilfehandlung geht. Nur bei der Vornahme des Rechtshilfegeschäfts, etwa der Vernehmung, kommt den Gerichten ihre verfassungsmäßige Sonderstellung zu … In der Frage, ob Rechtshilfe geleistet werden soll oder nicht, ist der Richter dagegen nicht unabhängig, sondern weisungsgebundenes Verwaltungsorgan. Nur für die Vernehmung als solche gilt die Verweisung des § 77 (IRG) auf die StPO und das GVG einschließlich der Garantien des § 1 GVG, Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG.“ Da bleibt aber die Frage offen, ob der Gesetzgeber auch eine andere Lösung hätte vorziehen dürfen. – Dezidiert Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 339: „Rechtshilfe ist kein ‚gerichtliches Verfahren‘, sondern Angelegenheit der Justizverwaltung.“ Vgl. auch Junker, a.a.O., 406 Fn. 11. 766 VEB 1957 Nr. 3 S. 14 = Hauser/Hauser, GVG des Kantons Zürich3, §§ 126/127 Rz. 2, S. 439. Weniger deutlich nunmehr Hauser/Schweri, GVG Kommentar zum zürcherischen GVG, 2002, § 114 Rz. 9.
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und widerspricht ausdrücklich der Qualifikation als „Verfahren der Rechtsprechung in Straf- oder Zivilsachen“.767 4. Rechtshilfe als Aufgabe des Bundes gem. Art. 32 I GG 263 Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich allein um eine Bundesangelegenheit, da es um die Pflege der auswärtigen Beziehungen geht und zwar auch dann, wenn unmittelbarer Rechtshilfeverkehr mit dem betreffenden Staat besteht.768 Dieser Standpunkt ist in § 74 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23.12.1982769 festgeschrieben.770 Soweit 767 Für Ermessensspielraum des Gesetzgebers R. Geimer in FS Matscher, 1993, 137. 768 S. auch die Fundamental-Nachw. zu Art. 32 I GG bei Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. 769 BGBl. I 1982, 2071, zuletzt geändert durch Gesetz v. 21.7.2004, BGBl. I 2004, 1748. 770 Besonders deutlich die amtliche Begründung zu § 73 IRG-E (= § 74 IRG), BT-Drucks. 9/1338, 94: „Die Stellung von Ersuchen um Rechtshilfe an ausländische Staaten und die Entscheidung über ausländische Rechtshilfeersuchen gehören nach Auffassung der Bundesregierung in allen Fällen zur Pflege der Beziehungen zu ausländischen Staaten, die gem. Art. 32 I GG in die Zuständigkeit des Bundes fällt … Die Zuständigkeit des Bundes umfasst auch diejenigen Bereiche, die mangels eines Bedürfnisses für eine innerstaatliche Rechtsgrundlage im Entwurf nicht ausdrücklich geregelt sind, etwa die Teilnahme ausländischer Verfahrensbeteiligter an Verfahrenshandlungen … Nach der von der Bundesregierung vertretenen Auffassung ist der Grundsatz der Zuständigkeit des Bundes für die Entscheidungen im Rechtshilfeverkehr … unabhängig von der Art der geleisteten Rechtshilfe und [er besteht] auch dann, wenn unmittelbarer Rechtshilfeverkehr mit dem betreffenden Staat besteht. Dieser Auffassung liegt neben dogmatischen Erwägungen die Erfahrung zugrunde, dass der strafrechtliche Rechtshilfeverkehr nach seiner Zielsetzung und Struktur in stärkerem Maße als die Rechtshilfe in Zivilsachen außenpolitische Relevanz besitzt, und zwar oft auch in Einzelfällen, die zunächst als Routineangelegenheit erscheinen. Als Beispiel für die im strafrechtlichen Rechtshilfeverkehr typischerweise zu berücksichtigenden Gesichtspunkte seien genannt: die Einheitlichkeit und Gleichbehandlung von Ersuchen, die außenpolitisch tragbare Abfassung von Ersuchen und Erledigungsstücken und die Frage der Einhaltung rechtsstaatlicher Garantien in dem ausländischen Staat … Allerdings vertreten die süddeutschen Bundesländer seit jeher den Standpunkt, die Wahrnehmung der Aufgaben im strafrechtlichen Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland sei der Strafrechtspflege zuzuordnen und daher grundsätzlich Sache der Länder. Demgegenüber hat die Bundesregierung … bei der parlamentarischen Beratung über die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzesentwürfen zu Verträgen über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen (vgl. etwa S. 32 der BT-Drucks. 8/3107) den Standpunkt vertreten, dass derartige Verträge von den Ländern nicht als eigene Angelegenheit, sondern in Wahrnehmung von Befugnissen des Bundes (Art. 32 GG) ausgeführt werden. Wiederum in erster Linie aus praktischen Gründen ist es allerdings wünschenswert, dass die Masse von Rechtshilfefällen von anderen Behörden – für den Bund – entschieden werden kann, ohne dass der Bund die Möglichkeit verliert, beim Auftreten von Besonderheiten im Hinblick auf die Pflege seiner auswärtigen Beziehungen seine Befugnisse im Einzelfall selbst auszuüben. § 44 II DAG sah deshalb – vor Inkrafttreten des Grundgesetzes – vor, dass die Reichsregierung die Ausübung ihrer Befugnisse nach § 44 I den Landesregierungen übertragen konnte. Soweit danach eine Übertragung erfolgte, wurde zwischen der Reichsregierung und den Landesregierungen ein Verhältnis der „Auftragsverwaltung“ hergestellt. Diese Möglichkeit ist
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den Ländern durch eine „Zuständigkeitsvereinbarung“771 die Erledigung von Aufgaben des Bundes übertragen ist, handeln sie im Wege der „Organleihe“ für den Bund. Nach Auffassung der Bundesregierung hat sie durch die Vereinbarung „den Landesregierungen nur die Ausübung ihrer Befugnisse, nicht aber die Befugnisse selbst übertragen.“772 Wenn dieser für Strafsachen kodifizierte Standpunkt des Bundes richtig ist, 263a kann für die Rechtshilfe in Zivilsachen nichts anderes gelten. Hier fehlt aber eine ausdrückliche Übertragung der Befugnisse des Bundes auf die Länder durch eine „Zuständigkeitsvereinbarung“.773 Man bevorzugte die „sanfte“ Lösung ei-
nach Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht mehr gegeben, da Auftragsverwaltung der Länder für den Bund nur in den im Grundgesetz ausdrücklich genannten Bereichen möglich ist und die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht zu diesen gehört. Es musste daher ein anderer Weg gefunden werden, auf dem der Bund seine Befugnisse im Rechtshilfeverkehr zur Ausübung auch an Landesbehörden übertragen konnte. Hierfür bot sich nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und nach dem Übergang der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr von den Besatzungsbehörden auf die deutschen Behörden der Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen an, der zufolge die Befugnis des Bundes zur Entscheidung über ausländische Rechtshilfeersuchen in Teilbereichen ausdrücklich den Landesregierungen übertragen wurde … Der Entwurf knüpft in Absatz 2 an den bestehenden Zustand an, soweit er bestimmt, dass die Bundesregierung die Ausübung der in Absatz 1 umschriebenen Befugnisse (nicht die Befugnisse selbst) im Wege einer Vereinbarung auf die Landesregierungen übertragen kann (Satz 1). Da es sich hierbei nicht um eine Auftragsverwaltung handeln kann, andererseits aber der Bund im Hinblick auf seine Kompetenz nach Art. 32 GG in der Lage sein muss, in jedem einzelnen Rechtshilfefall die Ausübung seiner Befugnisse wieder an sich zu ziehen, stützt sich der Entwurf zur Begründung dieser Übertragung auf die vom BVerfG anerkannte ‚Organleihe‘. Vgl. hierzu die Zusammenstellung in der BT-Drucks. VI/2886, 25: „Satz 2 bestimmt schließlich in Anknüpfung an den bisherigen Rechtszustand …, dass die Landesregierungen das Recht haben, die ihnen übertragene Ausübung der Befugnisse des Bundes ihrerseits auf nachgeordnete Landesbehörden weiter zu übertragen. Die letzteren sind dann gewissermaßen mittelbar vom Bund beliehene Organe; sie nehmen folglich nach wie vor Aufgaben des Bundes wahr.“ Im gleichen Sinne die Stellungnahme der Bundesregierung zum Übereinkommen v. 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, samt Protokoll v. 16.10.2001, BT-Drucks. 15/4230, 17 sowie 15/4233, 31: Dort wird festgestellt, dass die Länder Rechtshilfehandlungen für ausländische Gerichte und Behörden nicht als eigene Angelegenheit i.S. von Art. 83, 84 I GG vornehmen. Vgl. auch Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 74 IRG Rz. 6. 771 I.d.F. v. 28.4.2004 („Zuständigkeitsvereinbarung 2004“), BayGVBl. 2004, 257. Die Gegenposition findet sich z.B. in der BR-Drucks. 377/1/03: „nach ständig vertretener Auffassung des Bundesrats sind Bestimmungen, die das Verfahren von Landesbehörden in Angelegenheiten der internationalen Rechtshilfe regeln, soweit sie nicht das gerichtliche Verfahren betreffen, Regelungen des Verwaltungsverfahrens i.S. von Art. 84 Abs. 1 GG.“ Diesen Standpunkt hat der BR z.B. in BT-Drucks. 15/4230, 17 und 15/4233, 30 bekräftigt. 772 BT-Drucks. 15/4230, 16 und 15/4233, 31. 773 Vgl. § 74 II IRG.
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ner gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Bundes und der Länder, nämlich der ZRHO.774 263b Die Aufgaben der in dem Haager Zustellungs-775 und in dem Haager Beweisübereinkommen776 vorgesehenen Zentralen Behörden sind gem. § 7 des deutschen Ausführungsgesetzes vom 22.12.1977777 den Ländern übertragen. Ebenso ist es im Anwendungsbereich der EG-Zustellungs- und der EG-Beweisaufnahmeverordnung.778 Danach genehmigen und überwachen die Länder die passive Rechtshilfe,779 und befinden darüber, ob Mitglieder des ersuchenden ausländischen Gerichts bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens durch das deutsche Amtsgericht (aktive Rechtshilfe, Rz. 2440, 2461) anwesend sein dürfen.780 Im Hinblick auf Art. 32 GG bleiben allerdings Fragen offen: Hätte der Gesetzgeber z.B. die Genehmigung einer Beweisaufnahme durch einen diplomatischen oder konsularischen Vertreter in Deutschland (Rz. 447, 2427) nicht auch dem Bundesjustizministerium übertragen können? Ist das Bundesministerium der Justiz gegenüber der Landesjustizverwaltung weisungsbefugt?781 Die gleichen Fragen kann man auch im Anwendungsbereich der EG-Zustellungs- und der EGBeweisaufnahme-Verordnung stellen; denn auch hier wurden den Ländern in §§ 1069, 1074 ZPO parallel zu dem vorgenannten Ausführungsgesetz eine Reihe von Aufgaben übertragen (s. auch Rz. 2126). 5. Entscheidungsmonopol der Justizverwaltung in Ehesachen 264 Bei der Frage, ob eine ausländische Ehescheidung im Inland anzuerkennen ist, geht es (im Grunde) um die Frage, ob die Ehe (aus inländischer Sicht) noch besteht oder nicht. Die Entscheidung eines solchen Rechtsstreits gehört zum Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt. Er fällt unter den Bestandsschutz des Art. 92 GG. Deshalb ist das Feststellungsmonopol der Landesjustizverwaltung bzw. des Oberlandesgerichtspräsidenten nach § 107 FamFG (Rz. 3015) verfassungswidrig.782
774 Zur Rechtsnatur der österr. „Rechtshilfeerlässe“ Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 137. 775 Art. 2, 18 III HZÜ. 776 Art. 2, 24 II HBÜ. 777 BGBl. I 1977, 3105. 778 §§ 1069, 1074 ZPO. 779 §§ 11 ff. AusfG zum HZÜ und HBÜ. 780 § 10 AusfG zum HZÜ und HBÜ. 781 Zur Verfassungslage in der Schweiz ausführlich die 6. Aufl. 782 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1729. Anders jedoch die h.M.: BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 = NJW 1982, 517 = MDR 1982, 126 = IPRax 1983, 37 (Kegel 22) = IPRspr. 1981 Nr. 192; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄnG Rz. 9; Stein/Jonas, ZPO22, § 328 Rz. 153.
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VII. Innerstaatliche Geltung der Normen des Völkerrechts in der Bundesrepublik Deutschland 1. Überblick Die Art und Weise der Umsetzung der völkerrechtlichen Verträge und des Völ- 265 kergewohnheitsrechts in den innerstaatlichen Rechtsbereich überlässt das Völkerrecht dem innerstaatlichen Recht. Dort ist sie eine Frage des Verfassungsrechts.783 2. Allgemeine Regeln des Völkerrechts Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie 266 gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets, Art. 25 GG (Rz. 143). Allgemeine Regeln des Völkerrechts sind das universell geltende Völkergewohnheitsrecht sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze (general principles of law recognized by civilized nations).784 Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ist grundsätzlich eine ausreichende Staatenpraxis (usus), d.h. eine dauernde und einheitliche Übung unter weitgestreuter und repräsentativer Beteiligung erforderlich. Diese Praxis muss von der opinio iuris sive necessitatis getragen sein; d.h. erforderlich ist die Auffassung, im Rahmen des völkerrechtlich Gebotenen und Erlaubten oder des Notwendigen zu handeln.785 Wenn auch die Völkerrechtsnorm sich an den Staat (Völkerrechtssubjekt: Bun- 267 desrepublik Deutschland) als Adressaten wendet, so wird sie doch aufgrund Art. 25 GG Bestandteil des innerstaatlichen objektiven Rechts und daher im Zivilprozess wie in sonstigen Verfahren entscheidungserheblich. Ihre unmittelbaren Auswirkungen können sich u.U. noch steigern, wenn einer Privatperson aus ihr ein subjektives Recht erwächst, sie also aufgrund der transformierten völkerrechtlichen Norm einen Anspruch gegenüber einer anderen Privatperson oder gegenüber dem Staat geltend machen kann (unmittelbare Anwendbarkeit i.e.S.).786
783 Näher Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 858, 863. S. auch z.B. Dörr, JZ 2004, 574 (575). 784 Art. 38 I (c) des IGH-Statuts v. 26.6.1945, BGBl. II 1973, 505. Hierzu z.B. Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 147. 785 Nachw. bei BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50, 53 sowie bei BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399). 786 Verdross/Simma, a.a.O., § 864.
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268 Mit dieser Differenzierung hat sich das Bundesverfassungsgericht im Botschaftskonten-Fall ausführlich auseinander gesetzt.787 Die (von ihm festgestellte) allgemeine Regel des Völkerrechts (über die Grenzen der Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten) begründe ausschließlich Rechte und Pflichten im Verhältnis der Staaten untereinander, nicht jedoch subjektive Rechte oder Pflichten (privater) Einzelner. Gleichzeitig sei aber die allgemeine Regel kraft Art. 25 Satz 1 GG als solche mit ihrer jeweiligen Tragweite Bestandteil des objektiven (in Deutschland geltenden) Rechts; sie könne je nach Sachlage Rechtswirkungen für oder gegen (private) Einzelne haben. So könne im Hinblick auf das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Gerichtsbarkeit ein von ihnen initiiertes Vollstreckungsverfahren oder die Art und Weise einer Vollstreckungsmaßnahme zulässig oder unzulässig sein. 269 Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus: „… Vorlagen nach Art. 100 II GG sind auch dann zulässig, wenn die völkerrechtliche Regel ihrem Inhalt nach nicht geeignet ist, unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen zu erzeugen, sondern sich nur an Staaten oder ihre Organe als Normadressaten wendet. … Wenn Art. 25 Satz 2, 100 II GG davon sprechen, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Rechte und Pflichten unmittelbar für den Einzelnen erzeugen, so sind damit einmal jene Fälle gemeint, in denen eine allgemeine Regel des Völkerrechts selbst nach ihrem Inhalt und Adressatenkreis unmittelbar, d.h. ohne einen weiteren normativen Akt etwa des innerstaatlichen Gesetzes- oder Verordnungsrechts, mithin bereits auf der Ebene des allgemeinen Völkerrechts subjektive Rechte oder Pflichten des privaten Einzelnen begründet. Aus Ziel und Zweck der Art. 25, 100 II GG ergibt sich indes, dass über diese Art allgemeiner Regeln hinaus für ein Vorlageverfahren auch jene allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Betracht kommen, die nach ihrem Regelungsgehalt und Adressatenkreis subjektive Rechte oder Pflichten des privaten Einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts nicht begründen oder verändern, sondern sich dort ausschließlich an Staaten oder sonstige Völkerrechtssubjekte richten. Kraft des generellen Rechtsanwendungsbefehls, den Art. 25 Satz 1 GG erteilt hat, sind auch diese Art allgemeiner Regeln des Völkerrechts in ihrer jeweiligen Tragweite als Bestandteil des Bundesrechts mit Vorrang vor den Gesetzen von allen rechtsetzenden und rechtsanwendenden Organen der Bundesrepublik Deutschland als Normen objektiven Rechts zu beachten und je nach Maßgabe ihres Tatbestands und Regelungsgehalts anzuwenden. Der private Einzelne – wie der fremde Staat – kann sich im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des jeweiligen Verfahrensrechts auch auf diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts ebenso ‚berufen‘ wie auf sonstiges objektives Recht, wiewohl sie in diesem Rah-
787 BVerfG v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 362 = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern). S. auch den parallelen österr. Botschaftskontenfall: österr. OGH v. 30.4.1986, JBl. 1986, 733; Ls. auch abgedruckt bei Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 92 S. 169. S. auch Linke/Hau, IZVR5, Rz. 88; BGH v. 8.7.2008, IPRspr. 2008 Nr. 108. Enger LG Hagen v. 16.1.2008 – 3 T 377/07, 3 T 405/07, IPRspr. 2008 Nr. 106 (mittelbare Verwendung für öffentliche Zwecke begründet keine Immunität); wohl auch OLG Frankfurt/M. v. 6.6.2008 – 8 U 201/07, IPRspr. 2008 Nr. 107.
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men auch ohne solche Berufung von Amts wegen zu beachten sind. Sie können sich – je nach ihrem Inhalt und i.d.R. als Vorfrage – auf das rechtliche Begehren des Einzelnen als objektives Recht auswirken und damit entscheidungserheblich sein. In diesem Sinne können auch sie Rechtswirkungen für und gegen den Einzelnen erzeugen … .“788 3. Sonstige Regeln des Völkerrechts Regionales und partikuläres Völkergewohnheitsrecht fällt nicht unter Art. 25 270 GG. 4. Völkerrechtliche Verträge Für Staatsverträge kann Art. 25 GG anwendbar sein, wenn sie allgemeine Regeln 271 des Völkergewohnheitsrechts kodifizieren. Im Übrigen s. Rz. 223.789
VIII. Pflicht zur Anwendung ausländischen Rechts Soweit das allgemeine Völkergewohnheitsrecht die Anwendung ausländischen 271a Rechts vorschreibt (Rz. 168, 175), ist diese Verpflichtung gem. Art. 25 GG transformiert. Sowohl die Präambel und die Art. 1 II, 24 und 25 GG als auch die das Verfassungssystem insgesamt kennzeichnenden Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz lassen erkennen, dass die Verfassung andere Staaten als gleichberechtigte Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft anerkennt und deren eigenständige Rechtsordnung respektiert (Rz. 249a). Aus dieser Grundeinstellung folgt aber noch keine Verpflichtung zur uneingeschränkten Anwendung fremden Rechts auf Sachverhalte mit Auslandsbeziehung; insbes. müssen die Grundrechte nicht zurücktreten.790
IX. Keine Bindung der Gerichte an die Rechtsmeinung der Regierung zu völkerrechtlichen Fragen Die Gerichte sind an die Rechtsmeinung der Regierung zu völkerrechtlichen Fra- 272 gen nicht gebunden (Rz. 522, s. aber auch Rz. 244d).791 Dies geht sogar so weit, dass die Gerichte von der Existenz eines fremden Staates 273 vor dessen Anerkennung durch die eigene Regierung ausgehen können. Sie sind
788 Vgl. auch KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, AG 1984, 130 = WM 1984, 1195; KG v. 26.6.2002 – 9 W 176/02, KGReport Berlin 2002, 356; Hoffmann, NJW 1988, 588; Herdegen, NJW 1988, 596. 789 S. auch BVerfG v. 13.5.1996 – 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315 (328); Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 96. 790 BVerfG v. 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58 (Spanier-Beschluss) = NJW 1971, 1500 = RabelsZ 36 (1972), 145 = IPRspr. 1971 Nr. 39; KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, AG 1984, 130 = WM 1984, 1195. 791 R. Geimer, ZfRV 1992, 414.
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– anders als etwa die britischen Gerichte und die US-Gerichte792 – nicht verpflichtet, der Anerkennungspraxis der Regierung zu folgen; sie können vielmehr in freier Beweiswürdigung darüber entscheiden, ob ein noch nicht anerkanntes Gebilde bereits ein Staat ist.793
X. Feststellungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen des Völkerrechts 274 Ist in einem Rechtsstreit zweifelhaft, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts794 Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 25 GG), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, Art. 100 II GG (Rz. 523).795 Dies gilt nicht für das Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da hier nur über hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage/des Antrags zu entscheiden ist.796 275 Auch Beweisbeschlüsse sind Entscheidungen, für welche die Vorlagefrage entscheidungserheblich ist, wenn die vorgesehene Beweiserhebung die Gefahr einer Völkerrechtsverletzung (z.B. Immunitätsfragen) gegenüber dem fremden Staat in sich birgt.797 276 Eine Vorlagepflicht nach Art. 100 II GG besteht bei – objektiv gesehen – ernstzunehmenden Zweifeln, ob es eine Völkerrechtsregel gibt, ob sie „allgemein“ ist
792 Nachw. bei Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 7 Rz. 40, 722 und 1291; Sturm, JR 1987, 493; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 284. 793 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 968. Zur Problematik, wenn ein Staat „mit zwei Zungen spricht“, von Mangoldt, BerDGVR 29 (1988), 51 Fn. 48. 794 Anders, wenn es um partikulares Völkerrecht oder Völkervertragsrecht geht, BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach). Zu den für eine allgemeine Regel des Völkerrechts relevanten Kriterien (usus et opinio juris sive necessitatis) BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399). 795 Hervorzuheben sind z.B. aus der bisherigen Rspr. die Entscheidungen zur Frage der Staatenimmunität: BVerfG v. 30.10.1962 – 2 BvM 1/60, BVerfGE 15, 25 = JZ 1963, 252 „Gesandtschaftsgrundstück“; BVerfG v. 30.4.1963 – 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27 „Heizungsreparatur“ = NJW 1963, 1732 = IPRspr. 1962/63 Nr. 171; BVerfG v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342 „Botschaftskonto = NJW 1978, 485; BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 681/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 „Nationale Iranische Ölgesellschaft“) = NJW 1983, 2766; BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 „keine erga omnes-Wirkung der fortdauernden Diplomatenimmunität für dienstliches Handeln außerhalb des Empfangsstaates“. 796 OLG Hamburg v. 6.9.1985 – 2 WF 23/85, FamRZ 1986, 277. Vgl. auch die restriktive Handhabung des Art. 100 II GG durch das LG Frankfurt/M. v. 22.7.1999 – 26 W 79/99, IPRspr. 2000 Nr. 107 sowie LG Frankfurt/M. v. 23.5.2000 – 2/13 T 65/99, RIW 2001, 308 = IPRspr. 2000 Nr. 107; KG v. 26.6.2002 – 9 W 176/02, KGReport Berlin 2002, 356. 797 BVerfG v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 45, 342 = AWD 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = NJW 1978, 485 = ZaöRV 38 (1978), 245 = IPRspr. 1977 Nr. 117.
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und welchen konkreten Inhalt oder welche Tragweite sie hat.798 Dies gilt nicht schon, wenn unter den Prozessparteien gegenteilige Auffassungen vertreten werden und eine von ihnen Zweifel an der Verbindlichkeit völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts äußert.799 Das Fachgericht muss jedoch nur dann vorlegen, wenn die (zweifelhaften) völkerrechtlichen Fragen entscheidungserheblich sind.800 Der Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts erfasst Existenz, Rechtscharakter, Tragweite und Bindungskraft einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, nicht jedoch die Feststellung der Tatsachen und deren Bewertung im konkreten Einzelfall. Letzteres ist Aufgabe des Fachgerichts.801 Liegen die Voraussetzungen des Art. 100 II GG vor, muss das Gericht an das Bun- 277 desverfassungsgericht vorlegen, auch wenn zu derselben Frage bereits eine Verfassungsbeschwerde anhängig ist.802 Das Unterlassen der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stellt einen Ver- 278 stoß gegen Art. 101 I 2 GG dar, wenn es auf Willkür beruhte.803 Ein Gericht, das die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterlässt, obwohl hinsichtlich des Bestehens oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts – objektiv gesehen – ernstzunehmende Zweifel bestehen, verletzt das Recht auf den gesetzlichen Richter.804 Art. 100 II GG will im Interesse der Rechtssicherheit divergierende Entscheidungen von Gerichten verhindern und Verstößen deutscher Gerichte gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorbeugen. Daher ist in allen Rechtsstreitigkeiten, in denen Geltung oder Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts zweifelhaft sind, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Für lediglich rechtsirrtümliche Verstöße
798 BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); Bockslaff, NJW 1984, 2742; zu eng LAG Hamburg v. 30.1.1978, IPRspr. 1978 Nr. 132; KG v. 1.7.1983 – Kart 16/82, AG 1984, 130 = WM 1984, 1195. 799 BGH v. 26.9.1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101 = MDR 1979, 483. 800 BVerfG v. 2.2.1999 – 2 BvM 1/98, BVerfGE 100, 209, 210 = NJW 1999, 2106. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 100 II GG s. auch Stadler, Pacta sunt servanda – auch im Falle argentinischer Staatsanleihen, IPRax 2008, 405 (407). 801 BVerfG v. 8.2.2006 – 2 BvR 575/05, NJW 2006, 2907, 2908; OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931, 2933 m.w.N. 802 A.A. OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, IPRax 1983, 68 (Albert 55). Vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 108. 803 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 (12) = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179); BVerfG v. 17.7.1985 – 2 BvR 1190/84, MDR 1986, 463 = NJW 1986, 1427; BVerfG v. 16.6.1987 – 1 BvR 1113/86, NJW 1988, 1015; BVerfG v. 9.11.1987 – 2 BvR 808/82, NJW 1988, 1456; BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50; BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); BVerfG v. 29.4.2014 – 2 BvR 1572/10, NJW 2014, 2489. Weitere Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 117. 804 Art. 101 I 2 GG.
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gegen die Vorlagepflicht, die nicht Art. 101 I GG verletzen, bleibt hiernach nur ein geringer Raum.805 Unabhängig davon kann der betroffene ausländische Staat die Verletzung seiner Immunität im Verfahren der Verfassungsbeschwerde als Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 101 I 2 GG (Garantie des gesetzlichen Richters) rügen.806 279 Die fachgerichtliche Feststellung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt (zur Frage, ob das Fachgericht hätte vorlegen müssen) wird im Allgemeinen vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft, ob sie sachlich vertretbar und damit frei von Willkür erscheint. Angesichts seiner Aufgabe, Verletzungen des Völkerrechts nach Möglichkeit zu verhindern oder zu beseitigen,807 prüft es jedoch gerichtliche Tatsachenfeststellungen und -würdigungen, die zur Nichtanwendung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts und einer hieraus folgenden völkerrechtlichen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland führen könnten (Rz. 193 ff.), besonders streng.808 280 Das Bundesverfassungsgericht ist – aus völkerrechtlicher Sicht – (nur) ein innerstaatliches Gericht. Auch eine Völkerrechtsfehlinterpretation des Bundesverfassungsgerichts wäre ein Völkerrechtsdelikt und führte zur völkerrechtlichen Haftung der Bundesrepublik Deutschland (Rz. 193).809 281 Exkurs: Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist gesetzlicher Richter i.S. von Art. 101 I 2 GG. Verletzt ein deutsches Gericht seine Vorlagepflicht gem. Art. 267 AEUV bzw. dem Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ, so ist unter den in Rz. 278 genannten Voraussetzungen eine Verfassungsbeschwerde erfolgreich (Rz. 246s).810
805 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 (12) = NJW 1983, 2766; BVerfG v. 17.7.1985 – 2 BvR 1190/84, MDR 1986, 463 = NJW 1986, 1427; BVerfG v. 16.6.1987 – 1 BvR 1113/86, NJW 1988, 1015. Zur Frage, ob die Verletzung der Pflicht zur Vorlage nach Art. 267 AeUV, früher Art. 234 EGV, (auch) im Rahmen des Anhörungsrüge (§ 321a ZPO) geltend gemacht werden kann, BGH v. 19.1.2006 – I ZR 151/02, NJW 2006, 1978. 806 BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723. 807 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 34 = NJW 1982, 507. 808 BVerfG v. 17.7.1985 – 2 BvR 1190/84, MDR 1986, 463 = NJW 1986, 1427. 809 Schlosser, ZZP 79 (1966), 182. 810 BVerfG v. 29.4.2014 – 2 BvR 1572/10, NJW 2014, 2489; BVerfG v. 27.8.1991 – 2 BvR 276/90, RIW 1991, 957; BVerfG v. 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99, FR 2001, 492 = ZIP 2001, 350. S. auch Fastenrath, Der EuGH als gesetzlicher Richter, in FS Ress, 2005, 461 sowie oben Rz. 246k.
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XI. Kein Anspruch auf diplomatischen Schutz Das Grundgesetz kennt keinen Anspruch (des Einzelnen gegen den Staat) auf di- 281a plomatischen Schutz (Rz. 135). Der Einzelne hat jedoch Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, Art. 3 I GG.811
XII. Grundrechtsschutz gegen nichtdeutsche Rechtsprechungsakte Beschwerdegegenstand im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zum Bundes- 281b verfassungsgericht sind grundsätzlich nur Hoheitsakte deutscher öffentlicher Gewalt. Jedoch können auch Akte nichtdeutscher Hoheitsgewalt, d.h. ausländischer oder internationaler bzw. europäischer Gerichte, die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen. Auch gegenüber solchen Rechtsprechungsakten gewährt das Bundesverfassungsgericht Grundrechtsschutz via Verfassungsbeschwerde. Dieser Grundsatz wurde zunächst in Bezug auf EG-Sekundärrechtsakte812 ent- 281c wickelt, sodann auf Rechtsakte internationaler Organisationen ausgedehnt, die Grundrechtsberechtigte betreffen können.813 Dies gilt aber nur in den Fällen des Art. 24 GG, d.h., wenn eine Übertragung von Hoheitsrechten mit Durchgriffswirkung gegenüber den Bürgern und Bewohnern der Mitgliedstaaten stattgefunden hat; eine mittelbare und lediglich tatsächliche Betroffenheit genügt nicht.814 Bisher ist kein Fall bekannt, in dem eine Verfassungsbeschwerde gegen einen 281d nichtdeutschen Rechtsprechungsakt erfolgreich war. Aktuell wird die Fragestellung jedoch, falls das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen einen europäischen Vollstreckungstitel815 zulassen sollte, weil es die Grenzen seiner Solange-Rechtsprechung als überschritten ansieht. Allerdings wird das Bundesverfassungsgericht – um einen offenen Konflikt mit dem EuGH zu vermeiden – wohl diese Frage offen lassen, weil es die (drohende) deutsche Vollstreckungsmaßnahme (§ 1082 ZPO) als (alleinigen) Beschwerdegegenstand deklarieren könnte. Jedoch dürfte auch eine solche mittelbare Kontrolle des europäischen Vollstreckungsbefehls gegen Unionsrecht verstoßen, weil dieses eine Kontrolle des europäischen Vollstreckungstitels ausschließlich in seinem Ur-
811 Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, 1959, 25, 89, 126; Ress, ZaöRV 32 (1972), 450; Peter, Umweltschutz am Hochrhein, 1987, 208; R. Geimer, ZfRV 1992, 401. S. auch vice versa Betz, Möglichkeiten und Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Entscheidung über die Vorlage zum EuGH, 2012. 812 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155, 175 = MDR 1993, 1135 = NJW 93, 3047. 813 BVerfG v. 4.4.2001 – 2 BvR 2368/99, NJW 2001, 2705. 814 BVerfG v. 4.5.2006 – 2 BvR 120/03, NJW 2006, 2908 (2909). 815 Das Gleiche gilt für den Europäischen Mahnbescheid und die sonstigen ohne Exequatur (Art. 38 ff. EuGVVO, Art. 28 ff. EuEheVO) europaweit vollstreckbaren Titel, s. Rz. 3198c ff.
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sprungsstaat vorsieht. Daraus resultiert das sekundärrechtliche Verbot der Kontrolle in den anderen Mitgliedstaaten (Art. 5, 20 ff. EuVTVO).816 281e Derzeit gibt es aber schon Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verlagerung und damit der (behaupteten) Beeinträchtigung von Klage- und Rechtsschutzmöglichkeiten befassen.817 Es ging dabei z.B. um Konstellationen im Zusammenhang mit der gerichtlichen Überprüfung von durch EUROCONTROL in Rechnung gestellten Gebühren für die Inanspruchnahme von Flugsicherungsdiensten. Die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt in Brüssel ist eine von mehreren europäischen Staaten gegründete völkerrechtlich rechtsfähige internationale Organisation.818 Für Streitigkeiten über die von ihr festgesetzten Gebühren819 sollte Belgien820 ausschließlich international zuständig sein.821 281f Das Bundesverfassungsgericht822 stellte auf die Umstände des Einzelfalls ab. Der Rechtsschutz durch die belgischen Handelsgerichte funktioniere prächtig. Die Rechtsstaatlichkeit der belgischen Justiz sei über jeden Zweifel erhaben. Deshalb sei gegen den Ausschluss der Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Jedoch ließ es keinen Zweifel daran, dass es sich vorbehält, die Qualität des von dem ausländischen Staat823 bzw. der internationalen Organisation angebotenen Rechtsschutzes zu überprüfen. Art. 24 I GG, der die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf zwischen-
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A.A. wohl Rauscher, EuZPR4, Einl. EG-VollstrTitelVO Rz. 33 ff. Zum Folgenden R. Geimer, ZfRV 1992, 333. Deutsches Zustimmungsgesetz v. 14.12.1962, BGBl. II 1962, 2273. Diese wurden im Urteil des EuGH v. 14.10.1976 – Rs. C-29/76 – LTU/Eurocontrol, Slg. 1976, 1541 = NJW 1977, 489 als öffentlich-rechtlich qualifiziert mit der Folge, dass das EuGVÜ nicht zur Anwendung kommt, Art. 1 I EuGVÜ. Vgl. auch BGH v. 10.10.1977 – VIII ZB 10/76, NJW 1978, 1113 = RIW 1978, 56 = IPRspr. 1977 Nr. 153. Diese öffentlich-rechtliche Einordnung ist irrelevant; denn die Erwägungen des BVerfG sind auch für den Verzicht auf zivilgerichtlichen Rechtsschutz übertragbar. Konkret: Handelsgericht Brüssel. BVerwG v. 16.9.1977 – VII C 72/75, BVerwGE 54, 291 (300 ff.) = NJW 1978, 1759 = IPRspr. 1977 Nr. 129. BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 = NJW 1982, 507 = JZ 1982, 145 mit Anm. Gramlich = ZaöRV 1982, 601 (Stein 596). Vgl. auch BVerfG v. 10.11.1981 – 2 BvR 1058/79, BVerfGE 59, 63 = NJW 1982, 512 = DVBl. 1982, 189 (Busch) 578 = DÖV 1982, 404 (Gramlich), wonach die Ausgestaltung des Rechtsschutzes für die Bediensteten der Eurocontrol und die Begründung der Gerichtsbarkeit des Verwaltungsgerichts der Int. Arbeitsorganisation (ILO) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Der VGH Mannheim (VGH BW v. 7.8.1979 – IV 1355/79, ESVGH 30, 20 = DVBl. 1980, 127 [Gramlich 459] = IPRspr. 1979 Nr. 150) hatte die internationale Zuständigkeit der BRD verneint. Dagegen erhob der Betroffene Verfassungsbeschwerde; er vertrat die Auffassung, ihm müsse von Verfassungs wegen die Möglichkeit eingeräumt werden, den Rechtsweg zu den deutschen Gerichten zu beschreiten. BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (378) zum österr.-dt. Rechtshilfevertrag. Die Ausführungen zu Art. 19 IV GG sind auch auf die zivilgerichtliche Justizgewährungsgarantie übertragbar.
IZPR und Grundgesetz
Erster Teil
staatliche Einrichtungen ausdrücklich824 vorsieht, sei kein Freibrief und keine Blankoermächtigung. Er eröffne nicht den Weg, „das Grundgefüge der Verfassung anzutasten.“ Hierzu gehöre auch ausreichender Rechtschutz. Dazu zählt das Bundesverfassungsgericht825 in seiner Entscheidung zum österreichischdeutschen Rechtshilfevertrag vom 11.9.1970: die Gewährleistung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte, ein Mindestmaß an gehörigem Verfahren, insbes. die Gewährleistung rechtlichen Gehörs und rechtskundigen Beistands, und eine angemessene Prüfungs- und Entscheidungsmacht der Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Diese Postulate für die normative Ausgestaltung des ausländischen bzw. supranationalen Rechtsschutzes gehören zum rechtsstaatlichen Mindeststandard, der trotz aller Offenheit des Grundgesetzes für die zwischenstaatliche und supranationale Zusammenarbeit nicht geopfert werden darf.826 Insofern ist der völkerrechtliche Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland durch die Verfassung eingeengt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen den in Deutschland üblichen „Rechtsprechungskomfort“ mit i.d.R. dreistufigem Instanzenweg durchsetzen muss. Fraglich ist vor allem, welche Abstriche von den in der Verfassung und in Art. 6 281g I EMRK enthaltenen Garantien für ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren gemacht werden dürfen. Unter den Standard des Art. 6 I EMRK827 zu gehen, erscheint schwer vorstellbar, ausgenommen Extremsituationen. Unverzichtbar ist demnach die Entscheidung der zivilrechtlichen Ansprüche durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht, innerhalb einer angemessenen Frist und unter Gewährung eines öffentlichen und fairen Verfahrens. Insbes. darf der Grundsatz der Unparteilichkeit und des rechtlichen Gehörs nicht diplomatischen Rücksichten geopfert werden. Soweit die nationale Verfassung mehr verlangt als Art. 6 I EMRK, erscheint ein Verhandlungsspielraum eher möglich. So ist das strikte Gewaltenteilungsprinzip der deutschen Verfassung828 mitunter bei internationalen Verträgen lupenrein nicht durchzusetzen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht von seiner strengen Rechtsprechung zur Garantie des gesetzlichen Rich824 Dagegen gibt es keine spezielle Verfassungsnorm, die die Übertragung von Hoheitsrechten an einen fremden Staat regelt. Deren Zulässigkeit und Grenzen müssen aus den allgemeinen Verfassungsprinzipien abgeleitet werden. Wie Rauser (Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 1991, 55 ff.) überzeugend darlegt, folgt aus dem im Völkerrecht (souveräne Gleichheit der Staaten) verankerten Prinzip der ausschließlichen Ausübung der staatlichen Hoheitsgewalt im Hoheitsgebiet eines jeden Staates innerstaatlich kein verfassungsrechtliches Gebot der Ausschließlichkeit oder „Einzigkeit“ der staatlichen Gewalt. Das GG hat sich vielmehr für die „offene Staatlichkeit“ entschieden. Einengend jedoch BVerfG v. 30.6.2009 (Vertrag von Lissabon). 825 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (378). 826 Sind sie in concreto – wie z.B. im österr.-dt. Verhältnis – gegeben, dann bedarf es darüber hinaus keines ordre public-Vorbehalts für den konkreten Einzelfall, BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (378). 827 Nachw. z.B. bei Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 260 ff. 828 Art. 20 II, Art. 92 ff. GG.
159
Erster Teil
Grundlegung
ters829 im internationalen Kontext Abstriche machen wird. Die mittlerweile stark reduzierte „Solange“-Rechtsprechung, mit der das Bundesverfassungsgericht seine Vorbehalte gegenüber dem Grundrechtsdefizit des europäischen Gemeinschaftsrechts zum Ausdruck brachte,830 ist hierbei nur bedingt heranzuziehen, weil sie für die europarechtliche Problematik zu speziell ist und sich daher auch schon zu stark verselbständigt hat.
7. Kapitel: Anknüpfungspunkte I. Staatsangehörigkeit 1. Überblick 282 Die Staatsangehörigkeit spielt als Anknüpfung im internationalen Verfahrensrecht eine viel geringere Rolle als im internationalen Privatrecht (Rz. 32). 283 Da, wo sie als Anknüpfung verwandt wurde/wird, war/ist sie oft deplatziert, so z.B. in § 328 I Nr. 2 a.F. ZPO (weshalb soll das rechtliche Gehör nur für inländische Beklagte geschützt werden? Es handelt sich doch um ein Menschenrecht).831 284 Auch das Abstellen auf die Staatsangehörigkeit in § 110 ZPO a.F. (Ausländersicherheit) war rechtspolitisch verfehlt. Eine Bevorzugung deutscher Staatsangehöriger ist nicht gerechtfertigt (Rz. 2004). 285 Im Anerkennungsrecht spielt die Staatsangehörigkeit nur – wenn überhaupt – eine marginale Rolle, im Kompetenzrecht ist sie nur in Statussachen (§§ 98 ff. FamFG)832 und – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuErbVO – in Erbschaftsprozessen (competentia de cujus, § 27 II ZPO)833 von Bedeutung.834 286 Zur Behandlung von Doppelstaatern s. unten Rz. 1327.
829 Art. 101 I 2 GG. 830 BVerfG v. 29.5.1974 – BvL 52/71, BVerfGE 37, 271 (280 ff.) – Solange I; BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 = MDR 1987, 290 – Solange II. Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 112 m.w.N. 831 R. Geimer, NJW 1973, 2143. 832 Allerdings nur außerhalb des Anwendungsbereichs der EuEheVO. 833 LG Hamburg v. 28.10.1993 – 302 O 140/93, FamRZ 1994, 403 = IPRspr. 1994 Nr. 135a; LG Hamburg v. 28.4.1994 – 302 O 140/93, NJW-RR 1994, 1098 = FamRZ 1994, 1490 = IPRspr. 1994 Nr. 135b; Gutachten Heidelberg v. 27.8.2007, IPRG 2007/2008 Nr. 35 Rz. 3. Zur Erweiterung des Gerichtsstands der Erbschaft durch § 28 ZPO OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. 834 Angesichts des universellen Geltungsanspruchs der Art. 4 ff. EuErbVO hat § 27 II ZPO stark an Bedeutung verloren.
160
Anknüpfungspunkte
Erster Teil
2. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Maßgebend ist das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG).835 Entscheidend ist die je- 287 weilige Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, z.B. Geburt, Heirat oder Adoption. Deshalb ist vielfach auch auf ältere Fassungen des Gesetzes zurückzugreifen. Derzeit wird die deutsche Staatsangehörigkeit erworben: a) durch Geburt erwirbt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn zu diesem Zeitpunkt 288 ein Elternteil Deutscher ist, § 4 I StAG. Auf die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit des deutschen Elternteils kommt es nicht an.836 Bei nicht mit einander verheirateten Eltern gilt: Ist bei Geburt des Kindes nur der Vater Deutscher und ist zur Begründung der Abstammung nach § 1592 BGB die Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so ist für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, § 4 I 2 StAG.837 Bei Geburt im Ausland wird anders als früher die deutsche Staatsangehörigkeit 288a durch den deutschen Elternteil, der nach dem 31.12.1999 im Ausland geboren wurde und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt (nicht unbedingt im Geburtsstaat) hat, nur noch vermittelt, wenn der deutsche Elternteil die Geburt innerhalb eines Jahres der zuständigen deutschen Auslandsvertretung anzeigt, es sei denn, das Kind würde sonst staatenlos, § 4 IV StAG. Sind beide Eltern deutsche Staatsangehörige, so gilt dies nur dann, wenn beide die vorgenannten Voraussetzungen (Geburt im Ausland und gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb Deutschlands) erfüllen. Durch die Geburt im Inland erwirbt seit 1.1.2000 ein Kind ausländischer Eltern 288b die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, § 4 III StAG.838 Bei dadurch eintretender Doppelstaatsangehörigkeit muss nach Erreichen des 21. Lebensjahres für eine Staatsangehörigkeit optiert werden, § 29 StAG. Allerdings entfällt die Optionspflicht nach Maßgabe von § 29 I Nr. 2 StAG n.F.839, wenn das Kind in Deutschland aufgewachsen ist.
835 I.d.F. des StAG-Reformgesetzes v. 15.7.1999, BGBl. I 1999, 1618; m.w.N. zum deutschen Staatsangehörigkeitsrecht z.B. bei Staudinger/Bausback, 2013, Art. 5 EGBGB Anh. II Rz. 85 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 54. 836 BVerwG v. 2.5.1988 – 1 B 26/88, NJW 1988, 2196. 837 Vor dem 1.7.1993 geborene Kinder eines deutschen Vaters und einer ausländischen Mutter können vor Vollendung des 23. Lebensjahres nach Maßgabe von § 5 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. 838 Bis zum 31.12.2000 konnten Kinder unter zehn Jahren die dt. Staatsangehörigkeit unter den Voraussetzungen des § 4 III StAG durch Erklärung erwerben, § 40b StAG. 839 BGBl. I 2014, 1714.
161
Erster Teil
Grundlegung
288c Vor dem 1.4.1953 (d.h. vor Inkrafttreten des Art. 3 II GG) geborene eheliche Kinder können nach damals geltendem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit nur vom Vater erworben haben.840 288d Für die in der Zeit vom 1.4.1953 bis zum 31.12.1974 geborenen ehelichen Kinder deutscher Mütter bestand nach Art. 3 des RuStAG-Änderungsgesetzes vom 20.12.1974841 die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung zu erwerben.842 Minderjährige Kinder wurden bei der Abgabe der Erklärung durch den Inhaber der Personensorge vertreten. Unter Ausschaltung des internationalen Privatrechts waren hierfür die Vorschriften des BGB maßgebend, Art. 3 V RuStAG-ÄndG. Ein nicht vertretungsberechtigter Elternteil bedurfte zur Abgabe der Erklärung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts; Versagung war nur dann zulässig, wenn das Wohl des Kindes es gebot.843 Die Erklärungsfrist endete am 31.12.1977, Art. 3 VI RuStAG-ÄndG. Bei unverschuldeter Verhinderung ist nachträgliche Abgabe noch zulässig, Art. 3 VII RuStAG-ÄndG.844 b) durch Erklärung 288e Vor dem 1.7.1993 geborene Kinder eines deutschen Vaters und einer ausländischen Mutter können vor Vollendung des 23. Lebensjahres nach § 5 StAG durch die Erklärung, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn eine nach deutschen Gesetzen wirksame Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erfolgt ist und das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.845 c) durch Annahme als Kind durch einen Deutschen 288f sofern das angenommene Kind zum Zeitpunkt des Annahmeantrags das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, § 6 StAG.846 Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erstreckt sich auf die Abkömmlinge des angenommenen Kindes.
840 841 842 843 844 845
BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 37/81, BVerwGE 71, 301 = FamRZ 1986, 675. BGBl. I 1974, 3714. Hierzu OVG Berlin v. 19.7.1979 – V B 25/77, FamRZ 1980, 1056. BayObLG v. 25.4.1978 – BReg. 1 Z 49/78, BayObLGZ 1978, 97. Fuchs, FamRZ 1981, 422. Früher kam es auf die Legitimation durch einen Deutschen an, § 5 RuStAG. Umstritten war, wie die zivilrechtliche Vorfrage der Legitimation anzuknüpfen war, hierzu Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 248 ff., Sonnenberger, BerDGVR 29 (1988), 15. 846 Maßgebend ist der Zeitpunkt der Antragsstellung, BVerwG v. 14.10.2003 – 1 C 20/02, NJW 2004, 1401. Nach altem Recht wurde die Frage der Minderjährigkeit nach dem Heimatrecht des Ausländers (Art. 7 I 1 EGBGB), nicht nach deutschem Recht (Art. 22 EGBGB) beurteilt, VGH Kassel v. 13.11.1984 – IX OE 81/82, StAZ 1985, 312 = IPRspr. 1984 Nr. 6; zur Kontroverse, ob auch „schwache“ ausländische Adoptionen die deutsche Staatsangehörigkeit vermitteln, von Mangoldt/Jayme, BerDGVR 29 (1988), 104.
162
Anknüpfungspunkte
Erster Teil
d) durch Einbürgerung § 7 ff. StAG, §§ 85 ff. AusländerG, auch durch Behörden der ehemaligen Deut- 288g schen Demokratischen Republik.847 Ab 3.10.1990 gilt Art. 19 des Einigungsvertrages. Kein Erwerbsgrund ist Heirat eines bzw. einer Deutschen, jedoch erleichtert sie 289 die Einbürgerung, § 9 StAG. Die für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit relevanten Vorfragen 290 (Abstammung, Annahme als Kind) sind nach der vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmten Rechtsordnung zu entscheiden.848 3. Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit – Entlassung, §§ 18 ff. StAG;849
291
– Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag durch einen Deutschen ohne inländischen Wohnsitz (einschließlich ehemaliger Deutscher Demokratischen Republik),850 § 25 StAG. Jedoch kann Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit erteilt werden, § 25 II StAG. Bei Minderjährigen kommt es darauf an, ob sie nach dem (aus deutscher IPRSicht) maßgeblichen Recht wirksam vertreten waren. Daher kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn der Vater ausländische Staatsangehörigkeit beantragt hat, die Ehe jedoch – wegen fehlender Trauung vor dem Standesbeamten – nicht existent ist (Nichtehe);851 – Verzicht bei Mehrstaatern, § 26 StAG; – durch Annahme als Kind durch einen Ausländer, § 27 StAG; – durch Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, § 28 StAG; – durch Entscheidung für die ausländische Staatsangehörigkeit nach Erreichen des 21. Lebensjahres, § 29 StAG n.F. – Die Eheschließung mit einem Ausländer führt nicht zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, auch wenn die Eheschließung nach dem ausländischen Staatsangehörigkeitsrecht die fremde Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes vermittelt. Erwirbt der deutsche Ehegatte auf seinen Antrag die fremde Staatsangehörigkeit, so verliert er die deutsche unter den Voraussetzungen des § 25 StAG, d.h. bei fehlendem Wohnsitz im Inland.
847 BVerfG v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, MDR 1988, 199 = NJW 1988, 1313 (Gussek 1304). 848 H.M., m.w.N. bei Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 248, 253, 268 Fn. 99, 109. A.A. Rauscher StAZ 1986, 100. Vgl. BVerwG v. 17.12.1985 – 1 C 45/82, BVerwGE 72, 291 = MDR 1986, 610 = NJW 1986, 1506 = JZ 1986, 1002 (von Mangoldt); hierzu Klein, JuS 1987, 279. 849 Nachw. z.B. bei Staudinger/Bausback, 2013, Art. 5 EGBGB Anh II Rz. 121 ff. 850 KG v. 11.2.1983 – 3 UF 3908/82, NJW 1983, 2324 = IPRspr. 1983 Nr. 167. Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG v. 22.6.1990 – 2 BvR 116/90, NJW 1990, 2193. 851 BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 1284, StAZ 1986, 139 = IPRspr. 1985 Nr. 57.
163
Erster Teil
Grundlegung
4. Gleichgestellte Personen a) Deutsche (Art. 116 GG) 292 Soweit im deutschen Verfahrensrecht die Staatsangehörigkeit einer Person maßgebend ist, stehen deutschen Staatsangehörigen Deutsche i.S. des Art. 116 I GG gleich („Statusdeutsche“), Art. 9 II Nr. 5 FamRÄndG.852 Jedoch dürften in der Praxis nur noch Übergangsprobleme auftauchen, weil nach § 40a StAG alle Deutschen i.S. des Art. 116 GG am 1.8.1999 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben. Für Spätaussiedler, deren nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge i.S. des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes gilt dies nur dann, wenn ihnen vor diesem Zeitpunkt eine Bescheinigung gem. § 15 I oder II des Bundesvertriebenengesetzes erteilt worden ist. Nach dem 1.8.1999 erwirbt ein Deutscher die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Ausstellung dieser Bescheinigung für sich und seine Kinder, § 7 StAG. b) Verschleppte Personen und Flüchtlinge 293 Nach Maßgabe des AHK-Gesetzes 23 vom 17.3.1950, AHKBl. 140 in der Fassung des ÄndG vom 1.3.1951, AHKBl. 808.853 c) Heimatlose Ausländer 294 Nach dem Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25.4.1951.854 d) Flüchtlinge 295 Flüchtlinge i.S. des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28.7.1951.855
852 Vgl. auch BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 37/81, BVerwGE 71, 301 = FamRZ 1986, 675 = IPRspr. 1985 Nr. 82 sowie die Nachw. bei Lass, Der Flüchtling im deutschen IPR, 1995, 30, 146; Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 5 EGBGB Anh Rz. 117. S. auch Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 642. 853 Hierzu BGH v. 12.12.1984 – IVb ZB 928/80, MDR 1985, 829 = FamRZ 1985, 280 = NJW 1985, 1283 = IPRax 1985, 292 (von Bar 272); Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 5 EGBGB Anh Rz. 1. 854 BGBl. 1951, 269; West-Berliner (Parallel-)Gesetz v. 25.2.1952, GVBl. 926; m.w.N. z.B. bei Erman/Hohloch, BGB14, Art. 5 EGBGB Rz. 73; Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 5 EGBGB Anh Rz. 14. 855 BGBl. II 1953, 559, Erweiterungsprotokoll v. 31.1.1967, BGBl. II 1969, 1294, hierzu OLG Hamm v. 20.2.1985 – 5 UF 457/81, StAZ 1986, 134 = IPRspr. 1985 Nr. 72; Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 5 EGBGB Anh Rz. 26 und 77; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1306; Moser, ÖJZ 1957, 58; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 83, 284; m.w.N. bei Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 499.
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Anknüpfungspunkte
Erster Teil
e) Asylberechtigte Asylberechtigte genießen nach § 2 des Asylverfahrensgesetzes856 die Rechts- 296 stellung von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Rz. 295).857 Unberührt bleiben die Vorschriften, die dem Asylberechtigten eine günstigere Rechtsstellung einräumen.858 f) Kontingentflüchtlinge Auf der Grundlage des (am 31.12.2004 außer Kraft getretenen) Gesetzes über 297 Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge vom 22.7.1980859 hat Deutschland Flüchtlinge aufgrund Sichtvermerks der deutschen Auslandsvertretungen und aufgrund der Übernahmeerklärung des Bundesinnenministeriums aufgenommen. Damit ist eine Asylberechtigung nicht anerkannt. Um ihre Eingliederung zu erleichtern, wurde ihnen in § 1 des genannten Gesetzes die Rechtsstellung von Flüchtlingen i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention (Rz. 295) verliehen. Daran hat sich für die am 31.12.2004 in Deutschland lebenden Personen nichts geändert.860
II. Wohnsitz Die Anknüpfung an den Wohnsitz spielt vor allem im Kompetenzrecht eine 298 überragende Rolle (Rz. 1138, 1265). Der Satz actor sequitur forum rei ist der
856 BGBl. I 1993, 1361; I 1997, 1690. 857 Die Gerichte sind nach Maßgabe von § 4 AsylVfG an den (unanfechtbaren) positiven Feststellungsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gebunden, nicht jedoch an einen ablehnenden Bescheid, Palandt/Thorn, BGB69, Anh. 5 zu Art. 5 EGBGB Rz. 28. Hat ein Gericht begründete Zweifel an der Flüchtlingseigenschaft der in Betracht kommenden Person, so kann es lediglich nach § 148 ZPO sein Verfahren aussetzen und beim Bundesamt die Rücknahme bzw. den Widerruf der Anerkennung gem. § 73 AsylVfG anregen, Wendehorst, IPRax 1999, 276 (277). Anders ist die Rechtslage nach österr. Flüchtlingsrecht, österr. OGH v. 16.7.1998, IPRax 1999, 260. Hier können die Gerichte die Vorfrage der Flüchtlingseigenschaft bzw. Asylberechtigung incidenter prüfen und selbständig entscheiden. In Deutschland können die Gerichte nur ausnahmsweise eine solche Incidenzprüfung vornehmen, nämlich nur dann, wenn über Anerkennung der Asylberechtigung im deutschen Verwaltungsverfahren noch nicht endgültig entschieden ist, OLG Hamm v. 29.7.1991 – 15 W 147/91, NJW-RR 1992, 391. 858 Nachw. bei Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 288. 859 BGBl. I 1980, 1057; geändert durch Gesetz v. 9.7.1990, BGBl. I 1980, 1354; hierzu Lass, Der Flüchtling im deutschen IPR, 1995, 64; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 83, 289. 860 Art. 1 § 103 des Zuwanderungsgesetzes v. 30.7.2004, BGBl. I 2004, 1950; s. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 96.
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Erster Teil
Grundlegung
Ausgangspunkt der deutschen internationalen Zuständigkeitsordnung und auch der meisten ausländischen.861
III. Gewöhnlicher Aufenthalt 299 Gewöhnlicher Aufenthalt ist das Land oder der Ort, in dem jemand längere Zeit den tatsächlichen Mittelpunkt seines Daseins und den Schwerpunkt seiner sozialen Bindungen hat (Rz. 1038a).862 Notwendig ist – im Gegensatz zum schlichten Aufenthalt – eine gewisse Regelmäßigkeit und Dauer sowie eine Beziehung zum jeweiligen Aufenthaltsort.863 Die bloße Eintragung in eine Einwohnerliste (zur Erlangung einer Ehescheidung z.B. in Mexiko oder Uruguay) begründet noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des deutschen Rechts. Ein kurzfristiger Aufenthalt im Scheidungsstaat (um dort das Verfahren einzuleiten) reicht nicht aus. Vielmehr muss dort der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person liegen, z.B. Berufsausübung oder das Unterhalten einer Wohnung von einiger Bedeutung. Der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist nicht entscheidend.864 Es kommt vielmehr auf die objektiven Umstände an.865 Einen gewöhnlichen Aufenthalt können Minderjährige auch gegen den Willen der Eltern bzw. des Personensorgeberechtigten haben.866 Bei Kindesentführung bleibt der bisherige Aufenthaltsort solange der ge861 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 120. Übertrieben Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 21, der von einem „Universalprinzip“ spricht und den Beklagtenwohnsitz/-aufenthalt für das „zentrale Anknüpfungselement des IZPR“ erklärt. 862 Zu den verschiedenen Schattierungen des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in den einzelnen europäischen Rechtsakten zum EuIPR und EuIZPR Hilbig-Lugani, GPR 2014, 8. 863 BGH v. 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135 = NJW 1981, 520; OLG Hamburg v. 1.11.1985 – 2 WF 142/85, IPRax 1986, 386 (Henrich 364) = IPRspr. 1985 Nr. 91. Nachw. z.B. bei Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, 1994; Ploeckl, Umgangsrechtsstreitigkeiten im dt.-franz. Rechtsverkehr, 2003, 179 ff. Ausführlich zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach europäischem Zivilverfahrensrecht Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 185 ff.; Dilger in Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 545) Art. 3 EuEheVO Rz. 8 ff. sowie bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 EheGVO Rz. 38 ff. 864 Fehlende Rückkehrmöglichkeit wegen fortbestehenden Haftbefehls im Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts kann diesen verdrängen, LG Karlsruhe v. 2.10.2003 – 8 O 139/03, IPRax 2005, 145 (Wilske/Kordts). 865 Vgl. auch § 9 AO: „Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich u.U. aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur-, oder ähnlichen Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert.“ 866 BayObLG v. 19.7.1984 – BReg. 1 Z 51/84, FamRZ 1984, 1259 = IPRspr. 1984 Nr. 85.
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Anknüpfungspunkte
Erster Teil
wöhnliche Aufenthalt, bis das Kind am neuen „sozial eingebunden“ ist. Bei Entführung ins Ausland werden strenge Anforderungen gestellt.867 Dagegen ist man sehr großzügig, wenn der sorgeberechtigte Elternteil den Wegzug ins Ausland veranlasst hat. Dann soll der neue gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich schon dann begründet sein, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt (im Ausland) auf eine längere Dauer angelegt ist und der neue Aufenthalt künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkts sein soll.868 Die Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes steht der Annahme eines gewöhnlichen 299a Aufenthaltes im Inland nicht entgegen, auch wenn eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung durch die Ausländerbehörde (§ 7 V AuslG) ergangen ist.869 Dies gilt erst recht für aus humanitären Gründen in Deutschland geduldete Flüchtlinge.870 Ein gewöhnlicher Aufenthalt an mehreren Orten ist denkbar, jedoch selten. Bei- 300 de Orte müssen über einen längeren Zeitraum regelmäßig aufgesucht werden und den Daseinsmittelpunkt bilden.871 Der Anknüpfungsbegriff „gewöhnlicher Aufenthaltsort“872 gewinnt mehr und 301 mehr Bedeutung, insbes. ist er in den Staatsverträgen und im europäischen Unionsrecht im Vormarsch.873 So geht z.B. das Kinderschutzabkommen vom Auf-
867 OLG Hamm v. 6.5.1985 – 1 UF 406/84, IPRax 1986, 45; OLG Bamberg v. 28.3.1996 – 7 WF 49/96, FamRZ 1996, 1224; OLG Stuttgart v. 30.4.1996 – 17 UF 447/95, FamRZ 1997, 51; OLG Hamm v. 24.6.1996 – 12 WF 130/96, NJW-RR 1997, 5; ausführlich zum gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKiEntfÜ) OLG Frankfurt v. 15.2.2006 – 1 WF 231/05, FamRZ 2006, 883 = NJW-RR 2006, 938. Weitere Nachw. bei Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 310 und bei Holl, Funktion und Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bei int. Kindesentführungen, 2000 sowie bei Graul, Die Tendenz zur Aufenthaltsanknüpfung im int. Kindschaftsrecht, Habil.-Schrift Leipzig 2002. 868 KG v. 5.11.1997 – 3 UF 5133/97, FamRZ 1998, 440 = NJW 1998, 1565 = IPRax 1998, 274, 275 (Henrich 247). Damit wird der Justizgewährungsanspruch im Inland massiv eingeschränkt, vor allem dann, wenn man auch noch eine perpetuatio fori verneint. Dies ist verfassungsrechtlich bedenklich. 869 VGH BW v. 13.3.1985 – 6 S 1889/84, FamRZ 1985, 1158 = IPRspr. 1985 Nr. 112. A.A. AG Landstuhl v. 6.9.2001 – 1 F 247/99, FamRZ 2002, 1343 (kritisch Gottwald). Vgl. auch die Nachw. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 EheGVO Rz. 80 sowie bei Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 92. 870 OLG Stuttgart v. 5.2.1996, IPRspr. 1996 Nr. 164. 871 BayObLG v. 5.2.1980 – BReg.1 Z 25/79, FamRZ 1980, 883, 885 = IPRspr. 1980 Nr. 172; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 220; m.w.N. bei Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 496 ff.; Staudinger/Bausback, 2013, Art. 5 EGBGB Rz. 48; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 EheGVO Rz. 44. 872 Hierzu z.B. Mörsdorf-Schulte in Schröder/Bergschneider (ed.), Familienvermögensrecht2, 2007, Rz. 11.65. 873 Allerdings findet sich weder in Art. 8 ff. EuEheVO noch in den internationalen Verträgen (MSA, KSÜ, HKiEntfÜ) eine Definition des gewöhnlichen Aufenthalt. Man ist sich lediglich darüber einig, dass dieser zentrale Anknüpfungsbegriff nicht nach der
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Erster Teil
Grundlegung
enthaltsprinzip aus ebenso die EuEheVO (Rz. 245c). Das Gleiche gilt für die EuUnterhVO und die EuErbVO. Anders jedoch die EuGVVO bzw. das LugÜ.874
IV. In- bzw. Ausland 302 Die Abgrenzung erfolgt nicht nach völker- bzw. staatsrechtlichen Gesichtspunkten, sondern danach, in welchem Gebiet die inländische Rechtsordnung (de facto) gilt.875 303 Deshalb konnte – mit gewissen Modifikationen – das internationale Verfahrensrecht auch interlokal (gegenüber der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) angewandt werden. 304 Ob eine richterliche Entscheidung eine inländische oder ausländische ist, hängt davon ab, ob sie der inländischen oder ausländischen Staatsgewalt zuzurechnen ist. Maßgeblich ist nicht der Sitz des Gerichts (Territorialitätstheorie), sondern die funktionale Zuordnung der Ausübung von Staatsgewalt (Hoheitsgewaltstheorie). So sind die von deutschen Gerichten während der deutschen Okkupation in Polen erlassenen Urteile aus deutscher Sicht deutsche Urteile.876
V. Parteiautonomie 305 Die Parteiautonomie spielt im internationalen Verfahrensrecht eine bedeutsame Rolle, insbes. im Kompetenz- und Anerkennungsrecht, aber auch bei den Verfahrensmaximen bzw. der Verfahrensgestaltung.
lex fori, sondern autonom zu bestimmen ist. Jedoch dürfte eine solche autonome Qualifikation nur im Anwendungsbereich der EuEheVO praktisch realisierbar sein, da hier der EuGH als verbindliche Auslegungsinstanz fungiert. Im Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Übereinkommen fehlt eine solche zentrale Institution mit der Folge, dass die nationalen Gerichte den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts verschieden abgrenzen. Während der deutsche Bundesgerichtshof ausschließlich tatsächliche Umstände (Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, Daseinsmittelpunkt) zur Auslegung heranzieht, ohne dass es auf den Willen, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt bzw. Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ankommt, wird in einer Vielzahl von Entscheidungen aus dem common law-Bereich mehr auf Willenselemente (settled intention) abgestellt. Dabei handelt es sich nicht – wie bei den Merkmalen der dauernden und sozialen Integration – um ein objektives, sondern um ein subjektives Merkmal, Nachw. bei OLG Frankfurt v. 15.2.2006 – 1 WF 231/05, FamRZ 2006, 883 = OLGR 2006, 878 (879); Ehrle, Anwendungsprobleme des HKÜ in der Rechtsprechung, 2000; Holl, Funktion und Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bei internationalen Kindesentführungen, 2001. 874 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 17 ff. 875 Hierzu Schütze, JZ 1982, 636. 876 OLG München v. 6.7.1970, RzW 1970, 496 = IPRspr. 1970 Nr. 108; anders Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 528.
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Anknüpfungspunkte
Erster Teil
1. Kompetenzrecht Zuständigkeitsvereinbarungen sind zulässig. Auch das einseitige Verhalten des 306 Beklagten hat kompetenzrechtliche Bedeutung: Er kann sich der Jurisdiktion des an sich international unzuständigen Staates unterwerfen, § 39 ZPO, Art. 26 EuGVVO n.F., Art. 24 LugÜ 2007. 2. Zustellungsrecht Über die Modalitäten der Zustellung, insbes. ins Ausland, können die Parteien 307 Vereinbarungen treffen (Rz. 2101). 3. Anerkennungsrecht Die Zuständigkeitsvereinbarung begründet auch die internationale Anerken- 308 nungszuständigkeit (§§ 328 I Nr. 1, 38 ZPO, Rz. 1805). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Parteien vereinbaren können, Ver- 309 sagungsgründe, die nur dem Schutz einer Partei und nicht dem Schutz unmittelbarer Staatsinteressen dienen, nicht geltend zu machen.877 4. Disponibilität des Verfahrens- und Beweisrechts Der Umstand, dass das Zivilprozessrecht zum öffentlichen Recht gehört, schließt 310 die Parteiautonomie nicht aus. So werden Verträge über die Verteilung der Beweislast, die Beweisvermutung, die Einschränkung der freien richterlichen Beweiswürdigung und über Beweismittelbeschränkungen für möglich gehalten.878 Daher können die Parteien grundsätzlich auch an die Stelle der inländischen Regelung die ausländische setzen.879 Allerdings gilt dies nicht grenzenlos: Beweismittel, die das deutsche Recht nicht kennt, können durch die Wahl ausländischen Rechts nicht eingeführt werden. Vgl. Art. 18 der Rom I-VO880 und Art. 22 II Rom II-VO881 (Rz. 2303). Als Rechtfertigung für die Anerkennung der Parteiautonomie dient das Bedürf- 311 nis der Parteien nach Sicherheit,882 speziell nach Vorhersehbarkeit des Prozessausgangs, sowie die (generelle) Verfügungsbefugnis über den Streitgegenstand. Auch über den (im Einzelfall) zum Zuge kommenden Amtsermittlungsgrundsatz sollen die Parteien Dispositionsfreiheit haben, wenn die Amtsermittlung nicht einem unmittelbaren Staatsinteresse dient, sondern der Unterstützung der Par-
877 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 270, § 1059 Rz. 80. 878 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozess, 1968, 24. 879 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 43; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 34. 880 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, S. 6. 881 VO (EG) Nr. 864/2007 v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 199, S. 40. 882 Zum „forum planning“ s. unten Rz. 1597.
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Erster Teil
Grundlegung
teien (von denen vermutet wird, den günstigen Tatsachenstoff nicht zügig vortragen zu können).883
8. Kapitel: Qualifikation I. Keine eigenständigen Qualifikationsmethoden 312 Das internationale Zivilverfahrensrecht hat keine eigenständigen Qualifikationsmethoden entwickelt. Diese werden herkömmlicherweise im Allgemeinen Teil des internationalen Privatrechts diskutiert. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob die in den Kollisionsnormen verwendeten Rahmenbegriffe für Normengruppen nach dem Auslegungskanon der lex fori, der lex causae oder auf rechtsvergleichender Grundlage zu interpretieren sind.884 313 Im Vordringen ist die funktionale Auslegung. Danach sind die in den Kollisionsnormen verwendeten Begriffe in der Weise auszulegen, dass sich die Interpretation auch auf ausländische Institutionen und Normenkomplexe erstreckt, die ein vergleichbares Ordnungsziel verfolgen. Nicht entscheidend ist die Ähnlichkeit mit einem deutschen Rechtsinstitut. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass auch diese Qualifikationsmethode keine randscharfen Abgrenzungen ermöglicht. Die funktionale Auslegung erleichtert den Qualifikationsprozess, soweit es sich um den Kernbereich des betreffenden Ordnungszieles handelt.885 Es gibt aber Randzonen, die nicht eindeutig eingeordnet werden können. Z.B. kann man die Pflicht zum Prozesskostenvorschuss unter Eheleuten zwar klar aus dem Anwendungsbereich des Verfahrensrechts ausgrenzen,886 jedoch ist nicht eindeutig, ob sie dem Statut für die persönlichen Ehewirkungen, dem Güterrechtsstatut oder dem Unterhaltsstatut zuzurechnen ist.887
883 Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozess, 1968, 23; Nachw. für Frankreich und England bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 36. 884 Nachw. bei Kegel/Schurig, IPR9, § 7 III 3; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., 2013, Einl. Rz. 95 vor Art. IX EGJN; Schütze, DIZPR2, Rz. 57; Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 166. Ausführlich zu den methodischen Grundlagen der IPR-Qualifikation Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 131. 885 Sonnenberger in MüKo.BGB5, Bd. 10, Einl. Rz. 432, 505 ff. 886 A.A. OLG Karlsruhe v. 19.11.1985 – 16 WF 220/85, IPRax 1987, 38. 887 Für unterhaltsrechtliche Qualifikation (Art. 3 ff. Haager Unterhaltsprotokoll i.V.m. Art. 15 EuUnterhVO; früher Art. 18 EGBGB) plädiert die h.M., z.B. OLG Köln v. 17.5.1994 – 25 WF 98/94, MDR 1995, 209 = FamRZ 1995, 680 = IPRspr. 1994 Nr. 93; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 162 und § 17 Rz. 74; Soergel/Schurig, BGB12, Bd. 10, Art. 14 EGBGB Rz. 52.
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Qualifikation
Erster Teil
II. Abgrenzung zwischen Prozessrecht und Sachrecht Da die IPR-Norm nicht auch auf das Prozessrecht verweist, kommt der Abgren- 314 zung zwischen Prozessrecht und Sachrecht im internationalen Zivilverfahrensrecht erhebliche Bedeutung zu. Über die Einordnung einer Norm als materiellrechtlich oder prozessual entscheidet das deutsche Recht (Qualifikation lege fori).888 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Qualifikationsmethode des deutschen Rechts: Einige qualifizieren nach den von der deutschen Rechtsordnung für Inlandsfälle verwendeten Begriffen. Nach der funktionalen Qualifikationsmethode (Rz. 313) ist der Auslegungskanon der lex fori allenfalls ein Ausgangspunkt. Entscheidend ist vielmehr die Funktion des jeweiligen Rechtsinstituts.889 Im Übrigen sind in letzter Zeit die Zweifel an einer klaren Trennbarkeit zwi- 315 schen materiellem Recht und Verfahrensrecht erheblich gewachsen, weil das gleiche Ordnungsziel sowohl mit materiell rechtlichen als auch mit verfahrensrechtlichen Mitteln erreicht werden kann (Rz. 56).
III. Auslegung der Begriffe in Staatsverträgen Bei Auslegung der Rahmenbegriffe in staatsvertraglichen bzw. einheitsrechtli- 316 chen Normenkomplexen geht es vorwiegend um die Frage, ob der jeweilige Staatsvertrag einen eigenen (vertragsimmanenten) Begriff geschaffen hat, der aus dem Sinn und Wesen des Übereinkommens autonom, d.h. losgelöst von nationalen Rechtsordnungen und Vorbildern zu interpretieren ist oder ob der Staatsvertrag auf eine nationale Rechtsordnung verweist. Denkbar ist auch eine Doppelqualifikation, um die Gleichgewichtigkeit eines 317 Vertragswerkes zu gewährleisten. So wird z.B. die Auffassung vertreten, der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ sei nicht vertragsimmanent auszulegen. Es sei auch nicht die lex causae maßgebend. Es komme vielmehr darauf an, dass sowohl nach dem Recht des Erststaates als auch nach dem Recht des Zweitstaates eine Zivil- bzw. Handelssache gegeben sei. Eine solche Auslegungsmethode kommt aber nur bei bi- oder trilateralen Vertragswerken in Betracht. Denn bei einer multilateralen Konvention wäre sie erstens zu umständlich und zeitaufwendig und würde zweitens auf eine Verständigung auf den Level des kleinsten gemeinsamen Nenners hinauslaufen.890 Deshalb hat sich zu Recht der EuGH für eine autonome Qualifikation des 318 Art. 1 I EuGVÜ ausgesprochen.891 Eine solche autonome Qualifikation ist aber 888 Schack, IPRax 1991, 350. S. z.B. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., Rz. 31 ff. vor §§ 335 ff. 889 Sonnenberger in MüKo.BGB4, Einl. Rz. 515 ff. 890 S. auch Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 40. 891 EuGH v. 14.10.1976 – Rs. C-29/76 – LTU/Eurocontrol, Slg. 1976, 1541 = NJW 1977, 489 (R. Geimer) = RIW 1977, 40 (Linke); EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/ Waidmann, Slg. 1993, I 1963 = NJW 1993, 2091 Nr. 18 = IPRax 1994, 37 (Heß 10). Die Begründung des EuGH ist einleuchtend: Da Art. 1 I den Anwendungsbereich des
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Erster Teil
Grundlegung
nur dann durchsetzbar, wenn es – wie beim EuGVÜ und auch bei der EuGVVO, EuEheVO, EuUnterhVO, EuErbVO, EuZustVO, EuBeweisVO sowie EuInsVO – eine supranationale Auslegungsinstanz gibt (s. auch Rz. 247c). 318a Nach Art. 1 I ist die EuGVVO892 bzw. das LugÜ anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt; daraus folgt, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ nicht einfach nach Maßgabe der (nationalen) Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit ausgelegt werden darf. 318b Der EuGH betont zu Recht, dass nur eine autonome Qualifikation die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der sonstigen europäischen Rechtsakte (insbes. des EuGVÜ) gewährleistet. Würde man auf das Recht des Erststaates oder des Zweitstaates abstellen, so hätten es die einzelnen Mitgliedbzw. Vertragsstaaten in der Hand, nach eigenem Ermessen den Anwendungsbereich der Verordnung etc. zu erweitern oder einzuengen. Sie könnten „umqualifizieren“, d.h. im Wege der Änderung ihres nationalen Rechts den sachlichen Anwendungsbereich verändern und damit den Umfang der sie treffenden Pflichten selbst bestimmen.893 318c Verfahren, in denen eine Behörde und eine Privatperson sich gegenüberstehen, können unter Art. 1 I EuGVVO fallen, wenn die Behörde auf der Ebene der Gleichordnung mit der Privatperson Verträge geschlossen hat.894 Jedoch handelt Übereinkommens abgrenzen soll und sichergestellt werden muss, dass sich aus dem Übereinkommen für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, können die in ihm verwendeten Ausdrücke nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates verstanden werden. Die Einordnung als zivilrechtlich i.S. des Art. 1 I setzt nicht voraus, dass der Streitgegenstand nach den Rechtsordnungen aller Vertragsstaaten privatrechtlich zu qualifizieren ist. Andernfalls würde der Anwendungsbereich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert. Insbes. die Sonntag-Entscheidung des EuGH bedeutet eine enorme Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs des Übereinkommens, EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993 I 1963 Nr. 22 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (Heß 10, 12). Schlichthoheitliches Handeln ordnet der EuGH als zivilrechtlich ein. Ausführlich R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260 (262); R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 1 EuGVVO Rz. 7 ff.; Scholz, Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ, 1998, 6 ff. Zum Streit, wie die „Zivil- und Handelssachen“ i.S. von Art. 1 des Haager Zustellungs- bzw. Beweisübereinkommens auszulegen sind, s. Rz. 2441; Junker, IPRax 1986, 205; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 254, 407; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 116; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 41; Schlosser, EuZPR3, Art. 1 EuGVVO Rz. 1; s. auch Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht 1992, 142; Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rz. 4, S. 248. 892 Hier geht es nicht um die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages, sondern um die Interpretation von sekundärem Gemeinschaftsrecht, s. Rz. 245d. 893 R. Geimer, NJW 1977, 492; R. Geimer, EuR 1977, 346. Ebenso z.B. Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 40 ff. 894 Schlosser-Bericht Nr. 27; R. Geimer, EuR 1977, 350.
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Qualifikation
Erster Teil
es sich um eine in Art. 1 I ausgeklammerte öffentlich-rechtliche Streitigkeit, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat.895 So fallen Verfahren im Zusammenhang mit Enteignungen nicht unter Art. 1 I EuGVVO.896 Es genügt, wenn der streitgegenständliche Anspruch – nicht bloß ein Präjudizi- 318d alpunkt897 – seinen Ursprung in einer hoheitlichen Tätigkeit hat.898 Deshalb wurden als öffentlich-rechtlich eingeordnet: – Gebühren, die eine Privatperson einer öffentlichen (staatlichen oder internationalen) Stelle schuldet, insbes. wenn die Heranziehung zur Kostenzahlung zwingend und ausschließlich ist und die Gebührensätze, die Art ihrer Berechnung und Erhebung einseitig gegenüber den Benutzern festgesetzt sind (öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis),899 – Kostenerstattungsansprüche, wenn eine Behörde im Wege der Ersatzvornahme Erhaltungs- oder Bergungsmaßnahmen ergreift,900
895 EuGH v. 14.10.1976 – Rs. C-29/76 – LTU/Eurocontrol, Slg. 1976, 1541 = NJW 1977, 489 (R. Geimer); EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993, I 1963 = NJW 1993, 2091 Nr. 18 = IPRax 1994, 37 (Heß 10). 896 Kasuistik z.B. auch bei Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rz. 4 ff., S. 247. 897 Entscheidend ist also die Einordnung des Streitgegenstandes. Wie präjudizielle Rechtsverhältnisse zu qualifizieren sind, ist unerheblich. 898 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 1 EuGVVO Rz. 12. 899 EuGH v. 14.10.1976 – Rs. C-29/76 – LTU/Eurocontrol, Slg. 1976, 1541 = NJW 1977, 489 (R. Geimer). Anders soll es jedoch sein, wenn ein Hoheitsträger einen Bürgen aufgrund einer Bürgschaft für Zölle und andere öffentliche Abgaben in Anspruch nimmt, OLG Frankfurt v. 17.11.1999, OLGR 2000, 71 = IPRspr. 1999 Nr. 133. Ebenso EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-266/01 – TIARD/Nederlanden, IPRax 2003, 528 (R. Geimer 512): Nach Art. 6 I des Genfer TIR-Übereinkommens v. 14.11.1975 können privatrechtliche Verbände als beliehene Unternehmer mit der Ausstellung von Carnets TIR ermächtigt werden. Schuldner der Zölle bzw. Eingangs- oder Ausgangsabgaben ist der Beförderer (Spediteur) als Inhaber des Carnets. Daneben haftet gem. Art. 8 I TIR-Übereinkommen der das Carnet ausstellende beliehene Unternehmer. Um die Befugnis zur Ausstellung von Carnets zu erhalten, verlangte der niederländische Staat in Übereinstimmung mit Art. 6 I TIR-Übereinkommen vom beliehenen Verband einen Bürgen für dessen Zahlungsverpflichtungen (Art. 8 I TIR-Übereinkommen). Dieser präsentierte die selbstschuldnerische Bürgschaft einer Versicherung mit Sitz in Frankreich. Als diese als Bürgin vom niederländischen Staat aus dem Bürgschaftsvertrag vor den niederländischen Gerichten in Anspruch genommen wurde, berief sie sich auf die internationale Unzuständigkeit der Niederlande nach Art. 5 ff. EuGVÜ/EuGVVO a.F. Die Instanzgerichte und auch der Generalanwalt beim EuGH qualifizierten den Streitgegenstand öffentlich-rechtlich mit der Folge, dass gem. Art. 1 I das EuGVÜ/EuGVVO nicht zur Anwendung kommen konnte. Dagegen entschied der EuGH, dass eine solche Klage als Zivilsache i.S. des Art. 1 I EuGVÜ/EuGVVO a.F. einzuordnen sei, „sofern die Rechtsbeziehung zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen, wie sie sich aus dem Bürgschaftsvertrag ergibt, keine Ausübung von Befugnissen durch den Staat darstellt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen.“ 900 Beispiel: Bergung eines Schiffswracks durch die für die Verwaltung der betreffenden Wasserstraße zuständige öffentliche Behörde, EuGH v. 16.12.1980 – Rs. C-814/79 – Niederlande/Rüffer, Slg. 1980, 3819.
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Erster Teil
Grundlegung
– Baugenehmigungsgebühren,901 – Amtshaftungsansprüche bei hoheitlichem Handeln.902 318e Jedoch betrachtet der EuGH nur solches Handeln von Beamten bzw. öffentlich Bediensteten als nicht zivilrechtlich, das Private nicht vornehmen können. Daher fällt die Verurteilung eines Lehrers wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht bei einem Schulausflug unter Art. 1 I, obwohl nach deutschem Recht (Art. 34 GG, § 839 BGB) eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Andernfalls käme es doch zu einer (verdeckten) Verweisung auf das jeweilige Verwaltungsrecht der staatlichen Partei und damit zu einer unerwünschten Beeinflussung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens bzw. der VO (EG) Nr. 44/2001.903 318f Eine Rückgriffsklage, mit der ein öffentlicher Sozialhilfeträger von Ehegatten oder Verwandten die Rückzahlung von Sozialhilfezahlungen fordert, ist als Zivilsache zu qualifizieren, wenn sie auf die allgemein geltenden Vorschriften über Unterhaltsverpflichtungen gestützt ist (cessio legis).904 S. nunmehr Art. 64 EuUnterhVO.905 Dies bedeutet noch nicht automatisch, dass der Sozialhilfeträger sich auch auf den klägerfreundlichen Art. 5 Nr. 2 LugÜ bzw. des Art. 3 (b) EuUnterhVO (Rz. 245c) berufen kann.906 318g Dies gilt jedoch nicht für (unter Art. 1 I EuUnterhVO bzw. Art. 1 LugÜ fallende) Ersatzansprüche der öffentlichen Hand, die selbständig neben dem Unterhaltsanspruch stehen. Aber auch, wenn der Sozialhilfeträger bzw. die Fürsorgebehörde den ursprünglichen übergeleiteten Unterhaltsanspruch geltend macht, sollte man einer teleologischen Reduktion des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ das Wort reden, da solche Fälle von dem Normzweck nicht gedeckt wer-
901 VG Schleswig v. 30.10.1990 – 2 A 240/89, NJW 1991, 1129 = IPRspr. 1990 Nr. 179. 902 R. Geimer, NJW 1977, 492. Anders Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1991, 139, 149. 903 EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993 I 1963, Rz. 22, NJW 1993, 2091 Nr. 18 = IPRax 1994, 37 (Heß 10). Abschlussentscheidung BGH v. 16.9.1993 – IX ZB 82/90, BGHZ 123, 268 = MDR 1994, 39 = NJW 1993, 3269 = IPRax 1994, 118 (Basedow 85) = JZ 1994, 254 (Eichenhofer) = ZZP 108 (1995), 241 (Haas 219) = EWiR 1994, 51 (Heß) = LM Nr. 4245 zu EGÜbk. (Kronke). 904 EuGH v. 14.11.2002 – Rs. C-271/00 – Gemeente Steenbergen/Luc Baten, Slg. 2002, I-10527 – Rz. 35 ff. = EuZW 2003, 30 = FamRZ 2003, 85; hierzu Elisabetta Lamarque, Corriere Giuridico 2003, 65 ff.; Santiago Álvarez González, La Ley Nr. 5750 (31.3.2003), S. 1 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485 (489). 905 Unterhaltsansprüche sind nunmehr aus dem Anwendungsbereich der EuGVVO ausgeklammert, Art. 1 II lit. e EuGVVO. Anders ist es jedoch nach dem LugÜ 2007. S. z.B. Art. 5 Nr. 2 LugÜ. 906 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 159 ff. Die dem Art. 5 Nr. 2 EuGVVO a.F. und nunmehr Art. 3 [b] EuUnterhVO zugrunde liegende Interessenbewertung ist wohl nur im Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern stimmig. Sonst ist es eine offene Frage, wer wirtschaftlich stärker ist. Art. 5 Nr. 2 LugÜ kennt nicht die Tatbestandsvoraussetzung, dass der Unterhaltsberechtigte wirtschaftlich schwächer ist als der Beklagte. Auch in den Fällen, in denen dies eindeutig nicht der Fall ist, kommt Art. 5 Nr. 2 LugÜ nach seinem Wortlaut zum Zuge.
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Qualifikation
Erster Teil
den. Anderer Auffassung war allerdings der Bundesgerichtshof907 in seiner EuGH-Vorlage: Der gesetzliche Forderungsübergang auf öffentliche Einrichtungen oder Verwandte (§ 1607 BGB), die anstelle des in erster Linie verpflichteten Schuldners Zahlungen leisten, diene dazu, die Bereitschaft der Leistenden zu fördern, den Unterhalt vorzuschießen. Wenn diese aber infolge des Forderungsübergangs die Möglichkeit verlören, ihre Regressansprüche am Wohnsitz bzw. Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten geltend zu machen, minderte dies, zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten, ihre Bereitschaft, solche Vorschüsse zu erbringen. Daher diene es auch dem Schutz des Unterhaltsberechtigten, wenn Regressansprüche der öffentlichen Hand unter des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ fallen, auch wenn diese selbst des kompetenzrechtlichen Schutzes offensichtlich nicht bedürfen. Daher wolle die Verordnung auch den Rechtsnachfolger des Unterhaltsberechtigten kompetenzrechtlich privilegieren. Die genannten Vorschriften setzten also nicht voraus, dass der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltsanspruch selbst einklagt. Dieser Argumentation ist aber der EuGH nicht gefolgt. Schwierig ist nur die Grenzziehung. Am klarsten wäre es, jedem Zessionar des 318h Unterhaltsanspruchs den Gerichtsstand des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ zu verweigern. In diese Richtung tendiert Schlosser.908 Auf die genannten Vorschriften könnten sich dann nur Erben und sonstige Gesamtrechtsnachfolger berufen. Diese Lösung wäre aber zu radikal. Als Kompromiss ist zu befürworten, Rechtsnachfolgern dann die Klagemöglichkeit im Gerichtsstand des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ nicht zu geben, wenn sie die Forderungseintreibung gewerblich oder sonst beruflich oder als öffentlicher Leistungsträger vornehmen.909 Auch einer privaten Versicherung, erst recht einem Forderungseinziehungsbüro, ist dann der Gerichtsstand des des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. Art. 5 Nr. 2 LugÜ versperrt. Sie müssten den Unterhaltsschuldner in dessen Wohnsitzstaat verklagen, sofern nicht im konkreten Einzelfall eine andere Zuständigkeitsanknüpfung besteht. Relevantes Kriterium ist also nicht die cessio legis. Bei Maßgeblichkeit deut- 318i schen Rechts kann z.B. in den Fällen des § 1607 BGB oder des § 945 SGB XII der Legalzessionar im Gerichtsstand des Art. 3 (b) EuUnterhVO bzw. des Art. 5 Nr. 2 LugÜ klagen.910 Anders ist es aber, wenn der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat. Deshalb hat der EuGH die Anwendbarkeit des EuGVÜ und damit auch der EuGVVO a.F. in einem Fall verneint, in dem auf Grund einer Sondernorm (Art. 94 des niederländischen Allgemeinen Sozialhilfegesetzes) ein zwischen Ehegatten vereinbarter Unterverzicht nicht zu beachten war und deshalb der Rückforderung von als Sozialhilfe ge-
907 BGH v. 26.9.2001 – XII ZR 89/99, MDR 2002, 50 = FamRZ 2002, 21. 908 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 5 Rz. 13. 909 Im gleichen Sinne zu Art. 16 (früher: Art. 14) EuGH v. 19.1.1993 – Rs. C-89/91 – Shearson Lehman Hutton/TVB, Slg. 1993 I 139 Nr. 13, NJW 1993, 1251 = EuZW 1993, 224 = ZIP 1993, 1215. 910 Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 443; zustimmend z.B. Brückner, Unterhaltsregress im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1994, 137.
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Erster Teil
Grundlegung
zahlten Beträgen nicht entgegenstand.911 Ausgeklammert sind also (Rück-)Zahlungsansprüche wegen geleisteter Sozialhilfe eines Sozialhilfeträgers, wenn für den Rückgriffsanspruch und die Modalitäten seiner Erhebung nicht die allgemeinen Unterhaltsnormen des Zivilrechts (z.B. auf Grund cessio legis), sondern besondere Bestimmungen gelten, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat.912 318j Wenn es nicht um die Durchsetzung staatlicher Ansprüche gegen Privatpersonen, sondern umgekehrt um die Klage Privater aus Anlass staatlichen Unrechts geht, neigt der EuGH zu einer großzügigen Bejahung des Art. 1 I EuGVVO/ LugÜ.913 Damit stärkt er die Rechtsstellung privater Kläger gegenüber staatlichen Beklagten. Dies ist vor allem bei grenzüberschreitenden staatlichen Maßnahmen relevant.914 318k Persönlichkeitsverletzungen durch staatliche Rundfunkanstalten sind – ohne Rücksicht auf die Qualifikation durch das jeweilige nationale Recht – als zivilrechtlich i.S. von Art. 1 I EuGVVO/LugÜ einzuordnen.915 Der (gegen den Staat gerichtete) Honoraranspruch eines Pflichtverteidigers fällt ebenfalls unter Art. 1 I EuGVVO/LugÜ.916 318l Das Gleiche gilt für eine von einem privatrechtlich organisierten Verbraucherschutzverein erhobene Klage auf Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen. Der EuGH917 verwarf das Argument des Vereinigten Königreichs, eine Verbraucherschutzorganisation sei als Behörde anzusehen.918 911 Ferner stellte der EuGH klar, dass der Ausschluss des Bereichs der „sozialen Sicherheit“ in Art. 1 II Nr. 3 EuGVVO/EuGVÜ nicht auch eine Rückgriffsklage der Sozialhilfestelle umfasst. 912 R. Geimer, IPRax 2003, 512. Großzügiger AG Stuttgart v. 4.9.2013 – 28 F 1133/13, FamRZ 2014, 786 = IPRax 2014, 280. S. auch Mankowski, IPRax 2014, 249. 913 EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993 I 1963 Nr. 22 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37. 914 Heß, IPRax 1994, 10 (12). 915 Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 23 f. 916 LG Paderborn v. 22.12.1994 – 5 S 302/94, EWS 1995, 248 = IPRspr. 1994 Nr. 183. 917 EuGH v. 1.10.2002 – Rs. C-167/00 – Konsumenteninformation/Henkel, Slg. 2002, I-8111 = NJW 2002, 3617 = EWiR 2002, 1047 (Mankowski) = IPRax 2003, 341 (Michailidou 223). Hierzu Harold Kobina Gaba, Rec. Dalloz 2002, Jur. 3200 ff.; M.B.M. Loos, Ned. Tijdschr. Europ. recht 2003, 68 ff. 918 Eine solche Organisation erfülle nämlich eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe, die im Schutz der Gesamtheit der Verbraucher bestehe; ihre Befugnis zur Erhebung von Klagen auf Unterlassung rechtswidriger Verhaltensweisen von Gewerbetreibenden folge allein aus dem Gesetz und nicht aus privatrechtlichen Beziehungen im Zusammenhang mit Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. Dem ist der EuGH mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten: Zum einen handelt es sich bei einem Verbraucherschutzverein um eine Einrichtung des Privatrechts; zum anderen steht – auch wenn der Verband öffentlich-rechtlich organisiert ist – dessen Tätigkeit nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt in Zusammenhang, da er nicht die Wahrnehmung von Befugnissen betrifft, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen.
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Qualifikation
Erster Teil
Die Einordnung als zivilrechtlich i.S. des Art. 1 I 1 EuGVVO/LugÜ wird nicht 318m dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte gegen den Klageanspruch Einwendungen aus dem Bereich des öffentlichen Rechts erhebt. Bei der Prüfung, ob ein Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung bzw. des LugÜ fällt, ist nämlich nur dessen Streitgegenstand zu berücksichtigen; dieser wird allein durch den Antrag und Vortrag des Klägers/Antragstellers fixiert. Es würde – wie der EuGH919 treffend betont – gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, eines der fundamentalen Ziele der Verordnung bzw. des Lugano-Übereinkommens, verstoßen, wenn deren Anwendbarkeit von der Qualifikation einer Vorfrage abhinge, die von jeder der Parteien im Laufe des Verfahrens jederzeit aufgeworfen werden kann. Beispiel: Privatrechtliche Bürgschaft für eine öffentlich-rechtliche Schuld. Die Möglichkeit, dass der Bürge Verteidigungsmittel geltend machen kann, die eine Prüfung erforderlich machen, ob die durch die Bürgschaft gesicherte Zollschuld besteht bzw. eingefordert werden kann, hindert die Anwendung des Art. 1 I 1 EuGVVO hinsichtlich der Klage aus der Bürgschaft nicht.920
Die VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 und deren Vorgängerin, die VO (EG) 318n Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (Rz. 245c) erwähnen ebenso wie schon das EuGVÜ/ LugÜ – scheinbar gleichberechtigt – die Handelssachen neben den Zivilsachen. Diese sind aber nur ein Unterfall der Zivilsachen, verstanden als die Summe aller privatrechtlichen Streitigkeiten. Auch in Frankreich, wo die Lehre von der autonomie du droit commerciale sehr betont wurde, ist die Einordnung des Handelsrechtes als ein Teilgebiet des Zivilrechts anerkannt. Die Erwähnung der Handelssachen dient nur der Klarstellung und kommt der französischen Doktrin entgegen.921 Nicht alle Zivilsachen werden von der EuGVVO bzw. vom LugÜ erfasst.922 Art. 1 318o II stipuliert eine Liste von ausgeschlossenen Materien. Der EuGH neigt zu einer restriktiven Auslegung des Ausnahmekatalogs.923 Um eine einheitliche Anwendung der VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 und deren Vorgängerin, der VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 bzw. des Lugano-Übereinkommens sicherzustellen, sind auch die Ausnahmetatbestände des Art. 1 II (möglichst) autonom auszulegen.924 Der Rekurs auf die Begriffsinhalte der jeweils maßgeblichen lex 919 EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-266/01 – TIARD/Niederlande Rz. 42, Slg. I 2003, 4867 = IPRax 2003, 528 (R. Geimer 512) unter Hinweis auf die Urteile EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C-190/89 – Rich, Slg. 1991, I-3855 – Rz. 26, und EuGH v. 20.1.1994 – Rs. C-129/92 – Owens Bank, Slg. 1994, I-117 – Rz. 34. 920 EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-266/01 – TIARD/Niederlande, Slg. 2003, I-4867 = IPRax 2003, 528 (R. Geimer 512). 921 Näher R. Geimer, EuR 1977, 350. 922 Kasuistik z.B. auch bei Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rz. 13 ff., S. 252. 923 EuGH v. 6.3.1980 – Rs. C-120/79 – de Cavel/de Cavel II, Slg. 1980, 731, 739 Nr. 4 = IPRax 1981, 19 (Hausmann 5); EuGH v. 27.2.1997 – Rs. C-220/95 – van den Boogaard/ Laumen, Slg. 1997, I-1147 = EuZW 1997, 242 = IPRax 1999, 35 (Weller) = Clunet 1998, 568, 579 (Huet). 924 EuGH v. 22.2.1979 – Rs. C-133/78 – Gourdain/Nadler, Slg. 1979, 733, 743 Nr. 3 = RIW 79, 273 = KTS 1979, 268 = Rev. crit. 1979, 657 (Lemontey).
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Erster Teil
Grundlegung
causae ist daher grundsätzlich unzulässig.925 Für die im Ausnahmekatalog des Art. 1 II verwendeten Begriffe sind vielmehr europaweit einheitliche Definitionen zu erarbeiten auf der Grundlage der Zielsetzung und Systematik der europäischen Rechtsinstrumente unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen der einzelnen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten ergeben.926
925 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 1 EuGVVO Rz. 49 ff. 926 So zu Art. 1 II Nr. 2 EuGVÜ (Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren) EuGH v. 22.2.1979 – Rs. C-133/78 – Gourdain/Nadler, Slg. 1979, 733, 743 Nr. 3 = RIW 1979, 273. Auch die Begriffe „Personenstand“ und „eheliche Güterstände“ in Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ qualifizierte der EuGH autonom, EuGH v. 27.3.1979 – Rs. C-143/78 – de Cavel/de Cavel I, Slg. 1979, 1055 = Rev. crit. 1980, 614 (Droz). Allerdings bereitet hier die konventionsimmanente Definition große Schwierigkeiten, weil diese Begriffe schon in den Texten des Übereinkommens unterschiedlich formuliert sind. Besonders weit ist die englische Fassung des Art. 1 II Nr. 1, wo die „ehelichen Güterstände“ mit „rights in property arising out of a matrimonial relationship“ übersetzt sind.
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Zweiter Teil: Lex fori-Prinzip oder System der kollisionsrechtlichen Verweisung auch im Prozessrecht? Literatur: von Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, 1961; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung – Die inländische Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsentscheidungen mit ausländischem Leistungsort, 2010, 112 ff.; Hau in Prütting/Helms, FamFG3, 2014, Rz. 37 ff. vor §§ 98–106 und Anh. § 245 Rz. 55; Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht im internationalen Zivilverfahrensrecht, Diss. Heidelberg 2000; Jaeckel, Die Reichweite der lex fori im IZPR, 1995; Koberg, Zivilprozessuale Besonderheiten bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, 1992; Koch, Internationaler Unterlassungsrechtsschutz zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, in Festschrift Siehr, 2000, 341; Kropholler, Internationales Privatrecht einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts6, 2006, § 56 IV; Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery: Grundfragen des Internationalen Zivilprozessrechts, 1989; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 4; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 50 ff.; Neufang, Erfüllungszwang als „remedy“ bei Nichterfüllung: eine Untersuchung zu Voraussetzungen und Grenzen der zwangsweisen Durchsetzung vertragsgemäßen Verhaltens im US-amerikanischen Recht im Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland, 1998; Neumann, Der vertragliche Ausschluss der Klagbarkeit eines privatrechtlichen Anspruchs im deutschen und im deutschen internationalen Recht, Diss. München 1967; Radtke, Der Grundsatz der lex fori und die Anwendbarkeit ausländischen Verfahrensrechts, Diss. München 1982; Rixen, Die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts im deutschen Zivilprozess, Diss. Regensburg 1999; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 51 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Anh zu § 606a ZPO Rz. 66 ff.; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Neubearbeitung 2012, Rz. 306 ff.
I. Standpunkt der herrschenden Meinung: „forum regit processum“ Weltweit dominiert die Regel: Das Verfahren wird nach eigenem Recht (lex fori) 319 abgewickelt, auch wenn in der Sache nach den Regeln des internationalen Privatrechts ausländisches Recht anzuwenden ist. Anders ausgedrückt: Die kollisionsrechtliche Verweisung erfasst nicht (auch) das Verfahren. Das lex foriPrinzip sei angeblich „eine der ältesten und am wenigsten bestrittenen Regeln
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Zweiter Teil
Lex fori-Prinzip
des internationalen Privatrechts.“1 Es wird als „unquestionable“2 bzw. als „nahezu selbstverständlich“ betrachtet3 und deshalb nicht hinterfragt.4 Die Diskussion dreht sich vielmehr um die Frage, wo die Trennungslinie zwischen Sache (substance) und Verfahren (procedure) verläuft. Ist aber diese gezogen, so werden alle als verfahrensrechtlich eingestuften Komplexe nach dem Recht des Gerichtsstaates behandelt. Die von der Frage nach der Reichweite der IPR-Norm (Rz. 49) logisch zu trennende Frage nach einem eigenen Verfahrenskollisionsrecht wird nicht gestellt. Merkwürdigerweise ist das lex fori-Prinzip5 nur in sehr wenigen Rechtsordnungen kodifiziert.6
II. Dogmatische Begründung des lex fori-Prinzips 320 Es wimmelt an Erklärungen für die Maßgeblichkeit des inländischen Verfahrensrechts, die sich aber bei näherer Betrachtung als nicht tragfähig erweisen.7 321 Das lex fori-Prinzip findet seine innere Rechtfertigung weder in dem Grundsatz locus regit formam actus (so aber Dumoulin), noch in dem öffentlich-rechtlichen
1 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 14; Radtke, Der Grundsatz der lex fori und die Anwendbarkeit ausländischen Verfahrensrechts, 1982, 1; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 263. S. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 47. 2 Rabel, Conflict of Laws III, 1952, 493. 3 Nachw. bei Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 17; Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 11; Rixen, Die Anwendung ausländischen Verfahrensrechts im deutschen Zivilprozess, 1999, 24. 4 Zur Anwendung im Bereich der FG s. die Nachw. bei Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 211. 5 Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis der Europäischen Union im Hinblick auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Eingriffe in deren lex fori) z.B. Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österr. Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 174 ff. 6 So lautete z.B. die wohlgelungene Formel des Art. 27 der Dispozioni preliminari zum Codice civile: „La competenza e la forma del processo sono regolate dalla legge del luogo in cui il processo si svolge.“ Weniger prägnant nun Art. 12 ital. IPR-Gesetz v. 31.5.1995. Vgl. auch Art. 8 Nr. 2 span. Código civil; § 48 tschechisches IPR-Gesetz; § 63 ungarisches IPR-Gesetz. In Deutschland fehlt – abgesehen von dem am 3.10.1990 außer Kraft getretenen § 181 III DDR-ZPO – eine lex scripta; zur Geltung des lex fori-Prinzips lapidar BGH v. 14.10.1992 – XII ARZ 23/92, NJW-RR 1993, 130 = FamRZ 1993, 307 = IPRspr. 1992 Nr. 202: „… Auch in Fällen mit Auslandsberührung ist … das deutsche Recht als lex fori maßgebend.“ 7 G. Wagner, Prozessverträge, 1998, 348, 353: „Für das Kollisionsrecht ist die Differenzierung zwischen Prozessrecht und materiellem Recht und die damit verbundene Qualifikationsaufgabe fundamental.“ … „Der zur Begründung der lex fori getriebene Aufwand ist wesentlich geringer als die praktische Bedeutung dieses Grundsatzes vermuten lässt; zum Teil wird auf ihre Legitimation gänzlich verzichtet.“
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oder System der kollisionsrechtlichen Verweisung?
Zweiter Teil
Charakter des Prozessrechts8 – denn es besteht kein Verbot der Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts9 –, noch im deutschen ordre public – denn viele Verfahrensnormen behandeln nur „technisches Recht“, auf dessen Durchsetzung wir nicht bestehen, noch im Territorialitätsprinzip.10 Die Anwendung deutschen Prozessrechts trotz Maßgeblichkeit ausländischen 322 Sachrechts ist in weiten Bereichen ein Gebot der praktischen Vernunft11: So im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts; niemand wird auf die Idee verfallen, die Zusammenstellung einer Jury12 zu verlangen, nur weil Schuldstatut das Recht eines US-Bundesstaates ist. Auch das Prozedieren nach ausländischem Verfahrensrecht, welches der inländische Richter nicht aufgrund seiner Ausbildung kennt, sondern mehr oder weniger mühsam nach § 293 ZPO (Rz. 2577) ermitteln muss, ist schwer vorstellbar. Jedenfalls litte die Effizienz des inländischen Verfahrens ganz gewaltig, wenn ausländisches Recht zur Verfahrenssteuerung maßgeblich wäre.13 Auch das Postulat der Rechtssicherheit erheischt unter mancherlei Aspekten 323 die Anwendung des eigenen Verfahrensrechts: So wäre es unsinnig, die Arten der statthaften Rechtsmittel oder die Rechtsmittelfristen der ausländischen lex causae entnehmen zu wollen. Fazit: Auf weiten Strecken ist die Anwendung der lex fori nur eine Frage der Zweckmäßigkeit. Deshalb ist das lex fori-Prinzip kein unerschütterliches Dogma.
III. Nichtanwendung deutscher Verfahrensnormen Recht und Rechtsgang (Gerichtsschutz) sind zwar begrifflich klar zu trennen, 324 zwischen beiden Komplexen bestehen jedoch Zusammenhänge.14 Es gibt Verfahrensnormen, die auf das deutsche materielle Recht abgestimmt sind (sachrechtsbezogene Verfahrensnormen). So sind § 1958 BGB, §§ 239 V, 778 ZPO, §§ 316, 319 InsO auf das deutsche Erbrecht abgestellt, das eine hereditas iacens nicht kennt: Der Nachlass geht auf den Erben im Zeitpunkt des Todes des Erblassers 8 v. Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, 1961, 21; Neumeyer, RabelsZ 43 (1979), 228; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht IV, 1936, 94. 9 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 528; Vogel, Räumlicher Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, 142 ff. 10 Weitere Nachw. bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 68; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 269; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 263. 11 Zustimmend Hess, EuZPR, 2010, § 1 Rz. 13, S. 11; Linke/Hau, IZVR5, Rz. 51; Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 36; Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österr. Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 112. 12 Hierzu Heidenberger, RIW 1982, 872; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 23; Koch/Zekoll, RIW 1985, 840; Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540. 13 Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 138, 140; von Bar/ Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 78. 14 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 526.
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Zweiter Teil
Lex fori-Prinzip
kraft Universalsukzession über, vorbehaltlich der Möglichkeit der Ausschlagung. Die genannten Vorschriften berücksichtigen den im deutschen Erbrechtssystem bestehenden Schwebezustand zwischen Erbfall und ausdrücklicher oder fingierter Erbschaftsannahme. Ist nun nach deutschem internationalen Privatrecht ausländisches Erbrecht anzuwenden und kennt dieses keine dem deutschen Erbrecht vergleichbare vorläufige Erbenstellung – weil etwa der Nachlass von einem Kurator, administrator, executor oder trustee verwaltet wird, dann sind die vorgenannten deutschen Verfahrensnormen unanwendbar. Grund hierfür ist die andersartige Struktur der lex causae.15
IV. Anwendung ausländischen Prozessrechts 325 Die Verzahnung zwischen Sachrecht und Prozessrecht ist mitunter so stark, dass der deutsche Richter ausländisches Verfahrensrecht gewissermaßen als Annex des ausländischen Sachrechts mit anzuwenden hat.16 Fraglich sind nur die Grenzen und die rechtstechnische Begründung. Die h.M.17 betrachtet nach wie vor das lex fori-Prinzip als Grundnorm, an der nur einige Randberichtigungen vorzunehmen seien. Rechtstechnisch geschieht dies durch eine großzügige Qualifikation: Was innerstaatlich als Verfahrensnorm betrachtet wird, wird internationalrechtlich als materielles Recht qualifiziert und damit der kollisionsrechtlichen Verweisung zugänglich gemacht. Man spricht vom Postulat der materiell-rechtsfreundlichen Qualifikation.18 So wird z.B. zu dem vom internationalen Privatrecht gesteuerten Aufrechnungsstatut (Art. 17 Rom I-VO, Rz. 868b) das Erfordernis der „Entscheidungsreife“ in Art. 1243 ital. Codice civile) zugeordnet, obwohl dieses evident der Verfahrensbeschleunigung dient und damit eigentlich in die Domäne der lex fori fiele. Gleichwohl wird Art. 1243 I ital. Codice civile materiell-rechtlich qualifiziert, Rz. 2639.19 326 Am weitesten ging dabei Niederländer, er stellt die Frage20: „Wie weit kann das inländische Gericht in der Anerkennung fremden Rechts gehen, ohne das Funktionieren des Prozessapparates zu gefährden?“ und postuliert im Anschluss an
15 v. Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, 1961, 12 ff.; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 225; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 209. Vgl. auch Berenbrok, Internationale Nachlassabwicklung, 1989, 130, 135; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 94 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes, Bd. XI). 16 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 223 ff. S. auch Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 57; Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 114 ff. 17 Nachw. bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 70. 18 So charakterisiert Grunsky, ZZP 89 (1976), 247 treffend den Ansatz der h.L. 19 BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 366/13, WM 2014, 1509 = GWR 2014, 301 (Berg), Rz. 2639; OLG Düsseldorf v. 28.5.2004, IHR 2004, 203 (208). 20 Niederländer, RabelsZ 20 (1955), 1 (45).
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Zweiter Teil
die Unterscheidung Balduins zwischen decisoria litis und ordinatoria litis21: „Keine streitentscheidende Frage darf in den Anwendungsbereich der lex fori fallen“.22 Sonst würde der internationale Entscheidungseinklang gestört. Er zählt zum materiellen Recht „alle Rechtsschutznormen, von deren Anwendbarkeit der Ausgang eines Rechtsstreits objektiv abhängen kann“.23 Daher will Niederländer24 nicht nur die Partei- und Prozessfähigkeit sowie die Fragen der Prozessführungsbefugnis und der Aktiv- und Passivlegitimation nach der ausländischen lex causae beurteilen, sondern auch die Voraussetzungen der verschiedenen Rechtsschutzformen des ordentlichen Verfahrens, wie Rechtsschutzbedürfnis, Feststellungsinteresse, Zulässigkeit einer Widerklage und Prozessaufrechnung. Das Gleiche gelte für das Beweisrecht, soweit es streitentscheidend ist. Auch Neuhaus25 verwendet die autonome Qualifikationsmethode. Während aber 327 Niederländer den internationalen Entscheidungseinklang zum Abgrenzungskriterium erhebt, arbeitet Neuhaus mit dem Begriff des funktionalen Zusammenhangs. Als „Zubehör des materiellen Rechts“ betrachtet Neuhaus: Partei- und Prozessfähigkeit, Prozessführungsrecht und -pflicht, Klagbarkeit und Zulässigkeit von Unterlassungsklagen26, Klageausschlussfristen, Verjährung, Beschränkung der zulässigen Beweismittel, Beweislast und Umfang der Rechtskraft.27 Ein weiterer Grund für die großzügige Anwendung ausländischen Verfahrens- 328 rechts in Ehesachen ergibt sich aus § 98 I Nr. 4 FamFG, früher § 606a I 1 Nr. 4 ZPO.28 Ist ein deutsches Gericht nicht bereit, die materiell-rechtlich verflochtene Verfahrensregel des Heimatstaates anzuwenden und wird deshalb das deutsche Urteil in den Heimatstaaten beider Eheleute offensichtlich nicht anerkannt, so fehlt es an der deutschen internationalen Entscheidungszuständigkeit. Auf diese Weise würde vielen Ausländern praktisch der Zugang zu den deutschen Gerichten verwehrt.29
V. Beurteilung ausländischer Verfahrensakte nach ausländischem Verfahrensrecht Von der (direkten) Anwendung ausländischen Verfahrensrechts durch den in- 329 ländischen Richter zu unterscheiden ist die Beurteilung ausländischer Verfahrensakte nach dem Prozessrecht des jeweiligen ausländischen Staates. Dass etwa die Wirksamkeit einer Zustellung im Ausland durch die dortigen Zustellungs21 Hierzu auch Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 98, 239 und Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 85. 22 Niederländer, a.a.O., 19. 23 Niederländer, a.a.O., 42. 24 Niederländer, a.a.O., 51. 25 Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 237 ff. Ebenso Neuhaus, Grundbegriffe des IPR2, 130 bei Fn. 375, 396. 26 Nachw. bei Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 34. 27 Vgl. auch IPG 76, 43 (Köln). 28 Anders jedoch § 103 I Nr. 2 FamFG, früher § 661 III Nr. 1a ZPO a.F. 29 Nachweise bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 151 Fn. 557.
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Lex fori-Prinzip
organe nach der ausländischen lex fori zu beurteilen ist, ist unbestritten (vgl. Rz. 2914 ff.). Das Gleiche gilt für die Wirksamkeit einer Klageerhebung im Ausland oder die Aufnahme von Beweisen sowie für die Beantwortung der Frage, ob ein ausländisches Urteil existent ist und im Erststaat Wirkungen entfaltet.30 330 Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Wirkungen diese im Ausland vorgenommenen Akte im Inland haben. Dabei geht es um die Frage der Anerkennung. Darüber entscheidet deutsches Recht.31
VI. Eigenes Verfahrenskollisionsrecht? 331 Szászy und Grunsky stellen das lex fori-Prinzip als solches in Frage.32 Sie fordern ein Kollisionsrecht des internationalen Verfahrensrechts. Szászy33 will jeweils dasjenige Prozessrecht anwenden, das mit dem Prozessakt bzw. dem Prozessrechtsverhältnis am engsten verbunden ist. Grunsky34 stellt die Frage, „ob nicht im Interesse einer möglichst weitgehenden Verwirklichung des materiellen Rechts das jeweils dazugehörende Verfahrensrecht mit anzuwenden ist“. Im bewussten Gegensatz zur herrschenden Meinung, die nur Randberichtigungen des lex fori-Prinzips befürwortet, fragt er, „was es eigentlich rechtfertigt, im Verfahrensrecht eine andere Rechtsordnung als im materiellen Recht anzuwenden“. Sein Kriterium ist die Transparenz und Vorausschaubarkeit des Verfahrensrechts: „Soweit es der ausländischen Partei möglich ist und ihr auch zugemutet werden kann, ihr prozessuales Verhalten am deutschen Verfahrensrecht auszurichten, sind allein die inländischen Bestimmungen anzuwenden. Insoweit ist es gerechtfertigt, auf die Übersichtlichkeit einer einheitlich geordneten Verfahrensgestaltung sowie darauf abzustellen, dass sich das Gericht bei der Anwendung ausländischen Verfahrensrechts schwer tut und die Gefahr von Missverständnissen nicht ausgeschlossen werden kann. Soweit dagegen auch das Verfahrensrecht an nicht mehr einseitig abänderbare Umstände anknüpft, erfordert der Zusammenhang zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht, dass in beiden Bereichen die gleiche Rechtsordnung angewandt wird“ (vorbehaltlich des inländischen ordre public).35 332 Um zu verhindern, dass das durchzusetzende materielle Recht „an prozessualen Schranken scheitern kann“, unterstellt Grunsky36 der ausländischen lex causae: Partei- und Prozessfähigkeit, Prozessführungsbefugnis, Fragen der Streitgenossenschaft, Nebenintervention und Streitverkündung. Ausländisches Recht sei auch maßgeblich für die Form des Rechtsschutzes: Die Voraussetzungen der 30 S. auch Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 147; Schack, IZVR6, Rz. 4. 31 Soweit nicht europäisches Gemeinschaftsrecht (s. Rz. 245c, 2756a) zur Anwendung kommt. 32 Ebenso Isaak Meier in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 42; m.w.N. bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 7 Fn. 13, 76, 152, 159. 33 Szászy, International Civil Procedure, 1967, 225. 34 Grunsky, ZZP 89 (1976), 249. 35 Grunsky, ZZP 89 (1976), 255 Fn. 49; dagegen bereits Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 242. 36 Grunsky, ZZP 89 (1976), 257 ff.
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Zweiter Teil
Feststellungsklage und des einstweiligen Rechtsschutzes bestimme die lex causae.37 Das gelte auch für den „möglichen Inhalt und die Wirkung gerichtlicher Entscheidungen“. Vor allem der Umfang der Urteilswirkungen stehe „in engstem Zusammenhang mit dem geltend gemachten subjektiven materiellen Recht und könne deshalb nicht nach einer anderen Rechtsordnung als dieses beurteilt werden“. Auch bei den Voraussetzungen und dem Umfang der Vollstreckungsmöglichkeit müsse aus denselben Erwägungen ausländisches Recht eingreifen.38
VII. Stellungnahme Die materiell-rechtliche Qualifikation führt zu einer vermehrten Fremdrechts- 333 anwendung und reduziert zwangsläufig die Leistungsfähigkeit der Justiz.39 So schießt z.B. Grunsky40 weit über das Ziel hinaus. Es geht – um ein Beispiel zu nennen – nicht an, den Umfang der Wirkungen deutscher Urteile lege causae zu beurteilen. Andererseits ist die h.M., die nur Randberichtigungen des lex foriPrinzips zulässt, zu zaghaft. Eine allgemeine, aber gleichzeitig präzise und daher für die Praxis verwendbare Abgrenzungsformel wurde noch nicht gefunden. Eine einheitliche, alle Felder des internationalen Verfahrensrechts abdeckende Theorie mit noch einigermaßen heuristischem Wert wird sich auch in Zukunft nicht formulieren lassen. Mehr Erfolg verspricht eine Untersuchung für einzelne Bereiche des internationalen Zivilverfahrensrechts, z.B. für das Beweisrecht (Rz. 2261). Im Folgenden werden deshalb für die Praxis wichtige Abgrenzungsfragen punktuell behandelt.41 Dabei muss klar sein, dass im Rechtsstaat die Trennungslinie zwischen der lex fori und dem (nach kollisionsrechtlichen Regeln) zur Anwendung berufenen ausländischen Recht generell-abstrakt im Voraus festgelegt sein muss. Für eine Ermessensentscheidung des Richters, etwa nach dem Motto „Wenn das ausländische Recht zu schwierig anzuwenden ist, bevorzugen wir die lex fori“, bleibt kein Raum.42 1. Selbsthilfeverbot Selbsthilfe ist in Deutschland unabhängig davon verboten, ob deutsches oder 334 ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Selbst wenn die ausländische lex 37 Tendenziell auch für einen materiell-rechtlichen approach M. Jacobs, Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens, 2005. 38 Zu Recht kritisch Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 252. Vgl. aber auch Schack, IZVR6, Rz. 18, der einen mittleren Kurs zwischen nationalem Beharren auf der lex fori und der „Anknüpfungsakrobatik des IPR“ befürwortet. 39 Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 138. 40 Grunsky, ZZP 89 (1976), 257 ff. S. auch Linke/Hau, IZVR5, Rz. 52. 41 S. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, Diss. 2002, 48 ff. 42 Basedow in Schlosser, a.a.O., 138 gegen Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 658, die einer Überforderung der Justiz mit dem Vorschlag vorbeugen will, man solle den Richter ermächtigen, im Interesse der Entscheidungseffizienz im konkreten Einzelfall einfach die lex fori anzuwenden.
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causae eine Selbsthilfe in größerem Umfang als das deutsche Recht zulässt, ist dies kein Rechtfertigungsgrund. Im Rechtsstaat (Art. 20 III GG) ist die Selbsthilfe grundsätzlich verboten: Nicht die Gewalt soll triumphieren, sondern das Recht soll herrschen. An die Stelle der Partei, die auf eigene Faust sich anschickt, ihr Recht durchzusetzen, ist der Richter getreten.43 Er hat den Konflikt zu entscheiden; nur in den engen Grenzen der Notwehr (§ 227 BGB, § 32 StGB), des Notstands (§§ 228, 904 BGB, § 34 StGB) und der Selbsthilfe (§§ 229 f. BGB, §§ 562b, 581 II, 859 f., 865, 867, 962, 1029 BGB, § 127 I StPO) ist der Gang zum Richter nicht erforderlich. Hier kann der Einzelne selbst Gewalt anwenden, um seine Rechte durchzusetzen bzw. zu verteidigen. Diese durch die deutsche lex fori vorgegebenen Grenzen44 gelten auch bei Maßgeblichkeit einer ausländischen lex causae (jedoch beschränkt auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland).45 335 Welche Selbsthilfehandlungen ein Beteiligter im Ausland vornehmen darf, entscheidet die dortige lex fori, nicht die (drittstaatliche) lex causae. 2. Justizgewährungsanspruch 336 Da der Staat Selbsthilfe verbietet, muss er Rechtsschutz gewähren.46 Daher korrespondiert dem Selbsthilfeverbot der Anspruch des Einzelnen gegen den Staat, dass die Gerichte Justiz gewähren (Justizgewährungsanspruch, Rz. 250, 1906). Da das Verbot der Selbsthilfe in gleicher Weise für In- wie für Ausländer gilt, muss dieser Justizgewährungsanspruch jedermann, also auch Ausländern, zustehen. 337 Dies ist zwar unbestritten der Stand der deutschen Zivilprozessrechtsdogmatik seit dem 19. Jahrhundert, aber keineswegs Gemeingut aller Prozessordnungen. So haben die französischen Gerichte noch nach dem Zweiten Weltkrieg aus Art. 14 und 15 Code civil den Schluss gezogen, dass sie bei reinen Ausländerprozessen zur Justizgewährung nicht verpflichtet seien, obwohl sie andererseits die Auffassung vertraten, dass Selbsthilfe auch unter Ausländern verboten sei.47 Einen ähnlichen Standpunkt nehmen hie und da auch die US-Gerichte für Klagen von und gegen non-residents ein.48 338 Über Art und Umfang der Justizgewährung in Deutschland entscheidet ausschließlich die deutsche lex fori49; eine kollisionsrechtliche Verweisung auf ausländische Rechtsordnungen bzw. -vorstellung ist abzulehnen.
43 Stein/Jonas/Schumann, ZPO20, Einl. Rz. 201. 44 Rechtsvergleichend Diurni, Notstand und Nothilfe. Eine dogmatische Untersuchung auf der Grundlage des deutschen und italienischen Zivilrechts, 1998. 45 Zustimmend Schack, IZVR6, Rz. 53. 46 S. z.B. auch Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 48. 47 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 177; F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ int. Gerichtsstandes, 1997, 134. 48 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 11.11; Schütze in FS Jayme, 2004, 849. 49 Zustimmend Fasching, Zivilprozessgesetze2, 1. Bd., Einl. Rz. 127.
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Zweiter Teil
Dies gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz50: Vor deutschen Gerichten ist 339 grundsätzlich nach deutschem Prozessrecht zu verfahren, gleichgültig, welcher Staatsangehörigkeit die Parteien sind und welches materielle Recht anzuwenden ist. Damit sind auch die §§ 935, 940 ZPO, §§ 49 ff., 119, 248 FamFG sowie § 1615o BGB immer – ohne Rücksicht auf die lex causae – anzuwenden.51 Darüber hinaus hält Steinbrück in den Fällen des § 1025 II ZPO auch einstweilige Maßnahmen nach ausländischem Recht für statthaft, wie z.B. worldwide freezing orders nach englischem Recht oder Abschlagszahlungen nach französischem Recht (réferé provision).52 (S. aber Rz. 1986). Ob und wie ein Anspruch im Wechselprozess geltend gemacht werden kann, 340 entscheidet die lex fori, auch wenn für den Wechselanspruch ausländisches Recht gilt.53 Die lex fori befindet auch bei ausländischem Sachstatut über die Zulässigkeit 341 des Rechtsweges, insbes. darüber, ob eine bestimmte Rechtssache vor das Streitgericht, das nach den Regeln der ZPO entscheidet, oder vor das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das nach den Regeln des FamFG judiziert, zu bringen ist.54 So war – auch wenn für den geltend gemachten Unterhaltsanspruch österreichisches Recht gem. Art. 18 EGBGB a.F. maßgeblich war – vor Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 im Zivilprozess zu entscheiden, obwohl in Österreich hierfür das Verfahren außer Streitsachen zur Verfügung steht.55 Nunmehr gilt vice versa das Gleiche: Sieht die lex causae den „normalen“ Zivilprozess vor, ist gleichwohl in Deutschland im Familienverfahren nach dem FamFG zu prozedieren. Auch die Klagebefugnis von Verbänden (§ 8 III Nr. 2–3 UWG56, §§ 3, 4 Unterlas- 341a sungsklagengesetz) auf Unterlassung wettbewerbswidrigen Verhaltens bzw. auf
50 OLG Düsseldorf v. 13.2.1978, WM 1978, 359 = IPRspr. 1978 Nr. 138; OLG Zweibrücken v. 20.4.1988 – 2 UF 37/88, FamRZ 1988, 1073 = IPRspr. 1988 Nr. 208. 51 Grundsätzlich anders Grunsky, ZZP 89 (1976), 258 Fn. 58: Voraussetzungen und Wirkungen des einstweiligen Rechtsschutzes seien nach der lex causae zu beurteilen, insbes. die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen durch einstweilige Verfügung zur Erfüllung eines angeblichen Anspruchs verurteilt werden kann. 52 Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 432 ff. 53 LG Mainz v. 13.12.1974, WM 1975, 149 = IPRspr. 1974 Nr. 27. Ebenso ohne nähere Begründung BGH v. 7.12.1981 – II ZR 187/81, MDR 1982, 297 = IPRax 1982, 189 (Firsching 175). 54 BGH v. 17.9.1980 – IVb ARZ 543/80, BGHZ 78, 108 = MDR 1981, 128 = FamRZ 1980, 1107 = NJW 1981, 127 = IPRspr. 1980 Nr. 185; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 215; Zöller/Geimer, ZPO30, § 100 FamFG Rz. 16. 55 Musger, IPRax 1992, 110 Fn. 12; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 112 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes, Bd. XI); R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241. 56 Zur Prozessführungsbefugnis der deutschen Verbraucherschutzvereine, Missstände im Ausland in Deutschland geltend zu machen, s. Rz. 2240: m.w.N. bei Gerhard Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, 66. DJT, Bd. I, 2006, Gutachten A 111.
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Nichtverwendung unwirksamer AGB richtet sich nach der lex fori.57 Eine class action58 oder sonstige von der lex causae vorgesehene Massenverfahren zur „Bündelung“ individueller Interessen kommen derzeit59 für das deutsche Ge57 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 42; Micklitz, a.a.O., § 13 AGBG Rz. 140. Die dogmatische Einordnung im deutschen Recht ist umstritten, Nachw. bei Zöller/Vollkommer, ZPO30, vor § 50 Rz. 58. 58 Zur US-amerikanischen class action Nachw. z.B. bei Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz, Bd. 5, hrsg. von Leuenberger/Guy, 2004, 111; Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 215, 220 ff.; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; Hoppe, Die Einbeziehung ausländischer Beteiligter in US-amerikanische class actions, 2005; Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 10.9; Klonoff, Class actions and other multiparty litigation, 2000; Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 439; Greiner, Die Class Action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre Public, 1998; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 171 ff.; Heß, JZ 2000, 373 (377); Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, 1975; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 155; H. Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 1976; Mark, EuZW 1994, 238; Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action-Urteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008; Schlurmann, Die Class action im Recht der USA, 1968; Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der US-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 98; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action und ihre deutschen Funktionsäquivalente, 2002; Brand, NJW 2012, 1116 (1118). Vgl. auch Rz. 2245 (Anerkennungsstadium); Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 624 ff. 59 S. aber §§ 1 ff. UKlaG; § 8 III Nr. 2–4 UWG. Die EG-RL v. 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, ihr Recht der Verbandsklage zu ändern. Aus diesem Anlass entstand die rechtsvergleichende Studie von Hopt/Basedow/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess, 1999. S. auch Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002 sowie Franke, Die Verbandsklagen der Verbraucherverbände nach dem französischen Code de consommation im Vergleich zum deutschen Recht, 2002; Maurer, Grenzüberschreitende Unterlassungsklagen von Verbraucherschutzverbänden, 2001. Zur österr. Perspektive Rechberger in FS Beys, 2003, 1309, 1325; G. Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, 66. DJT, Bd. I, 2006, Gutachten A 68 ff., 106 ff.; zur italienischen Sicht der Dinge J. Müller, Verbandsklagebefugnisse im italienischen Recht, 2006. Zu Gesetzesinitiativen auf europäischer Ebene Mattil/Desoutter, Die europäische Sammelklage, WM 2008, 521. S. auch Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im englischen und deutschen Zivilprozessrecht, 2008. Zum KapMuG v. 16.6.2005, BGBl. I 2005, 2437, Reuschle, WM 2004, 966; von Hein, RIW 2004, 602; Haß/Zerr, RIW 2005, 721; Koch/Zekoll, Europäisierung der Sammelklage mit Hindernissen, ZeuP 2010, 107; Schilling, Das Kapitalanleger-Mustergesetz und die class action im Rechtsvergleich, 2010; Schneider, BB 2005, 2249 (2250); G. Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, a.a.O., Gutachten A 120 ff. Umfassend rechtsvergleichend Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, 2007. Zu einem europäischen Projekt Brand, NJW 2012, 1116 (1118); Bernhard, Kartellrechtlicher
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richt nicht in Betracht, erst recht nicht eine nach der lex causae zulässige Popularklage.60 Das Gleiche gilt für die Abgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerich- 342 ten.61 Welche Wirkungen ein ausländisches Insolvenzverfahren auf die Möglichkeiten 342a der Rechtsdurchsetzung in Deutschland hat, bestimmt – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO (Rz. 245c) – allein das deutsche Recht. Welche Vorstellungen hierzu die lex fori concursus hat, ist einerlei. So wird z.B. die „Konsumierung“ der internationalen Zuständigkeit Deutschlands aufgrund der vis attractiva einer (in Deutschland anzuerkennenden) ausländischen Insolvenz nicht akzeptiert.62 3. Klagbarkeit Trennung zwischen materiell-rechtlichem Anspruch und Klagerecht: Die Tren- 343 nung zwischen Recht (Anspruch) und Rechtsschutz ist vor allem eine Leistung der deutschen Pandektisten des 19. Jahrhunderts (Windscheid). Sie wird deshalb besonders von der deutschen Prozessrechtswissenschaft hervorgehoben. Demgegenüber ist die Befreiung vom aktionenrechtlichen Denken in Frankreich und Italien noch nicht so weit fortgeschritten. Das Gleiche gilt für den angloamerikanischen Rechtskreis. Dort gibt es zwar seit alters die Unterscheidung zwischen „right“ und „remedy“, aber „die Entwicklung zu einer völligen Freilegung des materiellen, vorprozessualen Rechts aus den verbliebenen Resten der prozessualen Verschalung“ ist dort noch im Gange.63 Für Juristen des civil law erstaunlich weit ist der Begriff des remedy (im Gegensatz zum right). Dies hängt mit der (ursprünglich) umfassenden Bedeutung des Verfahrensrechts zusammen. Lange Zeit war im anglo-amerikanischen Prozess die Verfahrensart die alles dominierende Frage. Es gab einen numerus clausus der Klageformeln. Wenn kein passender writ (claim form) vorhanden war, konnte auch kein Unrecht geschehen und daher kein Anspruch entstanden sein.64
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Individualschutz durch Sammelklagen, 2010; Stadler, Class Actions in Basedow/Kischel/Sieber, German National Reports to the 18th International Congress of Comparative Law, 2010, 181. Schack, BerDGVR 32 (1992) 337. LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97 (Däubler 82) = IPRspr. 1991 Nr. 62 betr. Kündigungsschutzprozess eines Angestellten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Italiens. E. Habscheid, Grenzüberschreitendes (int.) Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der BRD, 1998, 373; E. Habscheid, ZIP 1999, 1113; E. Habscheid, NZI 2003, 238 (240). Niederländer, RabelsZ 20 (1955), 17; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 85. If there is no writ, there is no remedy and where is no remedy, there is no wrong.
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344 Ist die Unklagbarkeit eines Anspruchs lege causae oder lege fori zu beurteilen?65 Ist der Anspruch nach dem Schuldstatut klagbar, jedoch nicht nach deutschem Recht, z.B. Ansprüche aus Spiel und Wette, so ist jeweils zu prüfen, ob der deutsche ordre public (Art. 6 EGBGB) eine Verurteilung verbietet. Es handelt sich mithin um eine Frage des materiellen Rechts. Im Falle der ordre public-Widrigkeit erfolgt die Abweisung der Klage nicht etwa als unzulässig, sondern als unbegründet. Dagegen entscheidet über die Zulässigkeit einer positiven oder negativen Feststellungsklage bezüglich einer Naturalobligation die deutsche lex fori.66 4. Richtet sich die Zulässigkeit der Klage auf Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung nach der ausländischen lex causae oder der deutschen lex fori? 345 Im deutschen Recht ist – vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarungen67 – lückenlos sichergestellt, dass der Gläubiger die Erfüllung der Verbindlichkeit erzwingen kann. Dass der Gläubiger den Schuldner auf Erfüllung verklagen kann und das Gericht dem Schuldner die Leistung befiehlt, erschien dem deutschen Gesetzgeber so selbstverständlich, dass ihm eine entsprechende geschriebene Regel überflüssig erschien. Leistet der Schuldner trotz Verurteilung nicht, so sorgt ein ausgefeiltes Zwangsvollstreckungsrecht dafür, dass der Schuldner zur Leistung gezwungen wird. 346 In diesem Punkt ist das französische Recht bereits schwächer. Es fehlt eine dem § 888 ZPO entsprechende Norm. Aber im Grundsatz stimmen die romanischen Rechtsordnungen mit dem deutschen System überein: Die Klage auf Erfüllung des Vertrages ist ebenso anerkannt wie im deutschen Recht, vgl. Art. 1184, 1610 Code civil und Art. 1453 ital. Codice civile.68 347 Völlig anders ist der Ausgangspunkt des englischen Rechts und der von diesem beeinflussten Rechtsordnungen: Leistet der Schuldner nicht, so kann der Gläubiger nur eine Klage auf Schadensersatz in Geld wegen „breach of contract“ erheben. Fremd ist dem common law die Vorstellung, dass durch den Vertrag eine gerichtlich erzwingbare, auf Erfüllung gerichtete Verpflichtung entsteht.69 Nur in Ausnahmefällen wird eine Erfüllungsklage (specific performance) zugelassen, nämlich wenn bloßer Schadensersatz „inadequate“ ist oder wenn „a decree of 65 Für lex causae Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 126; Neumann, Der vertragliche Ausschluss der Klagbarkeit, 1967, 64 ff. m.w.N. Für lex fori Kralik, ZZP 74 (1961) 12. 66 Rechtsvergleichend zur Einklagbarkeit von Spielschulden Roquette/Nordemann-Schiffel, ZvglRWiss 99 (2000), 444. 67 Zum „Dickicht“ möglicher Anspruchsverkürzungen (Naturalobligation, Stundung und pactum de non petendo) Wagner, Prozessverträge, 1998, 413 ff. 68 Zur Zwangsvollstreckung Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 41 ff.; Remien, RabelsZ 51 (1987), 247 Fn. 4, 249 Fn. 15. 69 Rheinstein, Die Struktur der vertraglichen Schuldverhältnisse im anglo-amerikanischen Recht, 1932; Schobert, Die Realerfüllung, insbesondere nach anglo-amerikanischem Recht, 1952, 121 ff.; Neufang, Erfüllungszwang als „remedy“ bei Nichterfüllung: eine Untersuchung zu Voraussetzungen und Grenzen der zwangsweisen Durchsetzung vertragsgemäßen Verhaltens in US-amerikanischem Recht im Vergleich mit der Rechtslage in Dt., 1998. Nachw. bei Burrows, Remedies for torts and breach of contract3.
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Zweiter Teil
the court which compels the defendant personally to do what he promised to do (is) more perfect and complete justice than an award of damages“. Die Gewährung der specific performance steht im Ermessen des Gerichts, das „according to fixed and settled rules“ auszuüben ist.70 Eine order for specific performance wird nach contempt of court-Regeln durchgesetzt.71 Untersteht der Klageanspruch nach den Regeln des deutschen internationalen 348 Privatrechts englischem Recht und lässt dieses im konkreten Fall eine „specific performance“ nicht zu, so kann das deutsche Gericht nach Ansicht des Reichsgerichts gleichwohl zur Erfüllung verurteilen. Dieses qualifizierte den Ausschluss der Klagbarkeit prozessrechtlich und wandte daher insoweit das ausländische Recht nicht an. Für den deutschen Richter bestehe „kein Anlass, diese Grundsätze des englischen Aktionensystems in einem vor ihm geführten Prozess deswegen zur Anwendung zu bringen, weil die Verpflichtung an sich dem englischen Recht untersteht. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Inhalt der Rechte und ihrer gerichtlichen Geltendmachung. Die Regeln, die in letzterer Beziehung im Auslande bestehen, sind für den deutschen Richter, der nur sein heimisches Prozessrecht anzuwenden hat, nicht maßgebend.“72 Die Argumentation des RG ist nicht zwingend. Man kann ebenso eine materiell- 349 rechtliche Qualifikation vertreten: Nach dem maßgeblich englischen Recht sei gar kein (materiell-rechtlicher) Erfüllungsanspruch gegeben. Daher erübrigt sich die Frage, ob für die Klagbarkeit des englischen Erfüllungsanspruchs deutsches oder englisches Recht gelte. Der materiell-rechtlichen Qualifikation ist im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs der Vorzug zu geben.73 Für den Bereich des einheitlichen Kaufrechts bestimmt Art. 28 des Wiener VN- 350 Übereinkommens über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.198074: Ist eine Partei nach diesem Übereinkommen berechtigt, von der anderen Partei die Erfüllung einer Verpflichtung zu verlangen, so braucht ein Gericht eine Entscheidung auf Erfüllung in Natur nur zu fällen, wenn es dies auch nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Verträgen täte, die nicht unter dieses Übereinkommen fallen. 5. Verjährung Nach common law ist die Verjährung ein Institut des Prozessrechts („limitation 351 of action“).75 Die prozessrechtliche Qualifikation des common law ist für uns un-
70 Nachw. bei Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 102, 136; Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 978, 1013. S. auch Hay, US-Amerikanisches Recht4, Rz. 152. 71 Remien, a.a.O., 105; Jones/Goodhart, Specific performance, 1986 (bespr. von Remien, RabelsZ 51 [1987], 245); Kornilakis in FS Kerameus, 2009, 605. 72 RG v. 28.4.1900, RGZ 46, 193 (199). Dagegen Schoch, Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Lichte des internationalen Rechts, 1934, 110. 73 S. auch Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 296. 74 BGBl. II 1989, 588. Hierzu Remien, RabelsZ 51 (1987), 247. 75 Anders nunmehr im Vereinigten Königreich sec. 1 Foreign Limitations Periods Act 1984, und die neueren Uniform Conflict of Laws Limitation Acts, Ebenroth/Eyles,
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beachtlich. Aus deutscher Sicht handelt es sich bei der Verjährung um eine materiell-rechtliche Frage. Dies bestimmen ausdrücklich bzw. Art. 12 I (d) Rom I-VO76 und Art. 15 (h) Rom II-VO für vertragliche und deliktische Schuldverhältnisse. Aber auch sonst sind die einschlägigen Normen des englischen bzw. US-amerikanischen Rechts als lex causae anzuwenden.77 (S. auch Rz. 3804). 6. Aufrechnung 352 Nach common law handelt es sich um ein Institut des Prozessrechts: Die Aufrechnung kann – ebenso wie die Verjährung (Rz. 351) – nicht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eingewandt werden. Es muss vielmehr der Richter eingeschaltet werden.78 Aus deutscher Sicht gehört die Aufrechnung aber – wie die Verjährung – zum materiellen Recht.79 7. Fristwahrung nach § 167 ZPO 353 § 167 ZPO80 ist eine verfahrensrechtliche Norm, die auch dann anzuwenden ist, wenn in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt.81 8. Prozesszinsen und Inflationsausgleich während des Prozesses 354 Ob und wie eine Schuld nach Rechtshängigkeit zu verzinsen ist, beurteilt sich nicht lege fori82, sondern nach der lex causae.83 Deshalb ist auch der Inflations-
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IPRax 1989, 2 Fn. 7; Hay, IPRax 1989, 199. Zu borrowing statutes 1988 s. Restatement (Second) of Conflict of Laws. (1988 revisions) § 142 Statute of Limitation of forum: Grundsätzlich gilt die Verjährungsfrist der lex fori; jedoch haben kürzere Fristen „of the state having a more significant relationship to the parties and the occurence“ Vorrang. S. auch Staudinger/Hausmann, 2013, Art. 3 EGBGB Rz. 192. Zum US-Recht s. auch Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 95; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 120. S. auch Linke/Hau, IZVR5, Rz. 62. RG v. 6.7.1934, RGZ 145, 121 (131); OLG München v. 27.3.1974, IPRspr. 1974 Nr. 26; OLG Hamburg v. 4.1.1973, AWD 1974, 562; BGH v. 9.6.1960, NJW 1960, 1720 (1721); IPG 1974 Nr. 2 (Köln); Kegel, IPRax 1983, 23; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 136. Kegel, IPRax 1983, 23; W. J. Habscheid, ZfRV 1985, 308; R. Geimer, IPRax 1986, 210; Wagner, IPRax 1999, 65 (69). Zum maßgeblichen Aufrechnungsstatut Rz. 868b. Hierzu z.B. Schumann in FS Rolf Stürner, 2013, 541, 566. Ebenso für § 270 III ZPO a.F. Däubler, IPRax 1992, 83 gegen LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97; vgl. auch Art. 9 II EuZustVO (Rz. 245c). Nagel/Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 15; Königer, Die Bestimmung der gesetzlichen Zinshöhe nach dem deutschen IPR, 1997, 53. Anders LG Frankfurt/M. v. 12.1.1994 – 3/8 O 208/91, RIW 1994, 778. Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 336.
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ausgleich nach Art. 459 III des codice di procedura civile materiell-rechtlich einzuordnen.84 9. Direktklage (action directe) Maßgebend ist nicht die deutsche lex fori, sondern die lex causae.85 Nach Maß- 354a gabe von Art. 18 Rom II-VO kann der Verletzte seinen Anspruch unmittelbar gegen einen Versicherer des Ersatzpflichtigen geltend machen, wenn das auf die unerlaubte Handlung anzuwendende Recht oder das Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt, dies vorsieht.86 10. Defences nach common law Defences nach common law sind prozessuale Gestaltungsrechte, die funktional 354b am ehesten den Prozesshindernissen des deutschen Zivilprozesses vergleichbar sind und vom Gericht nur auf Einrede zu beachten sind.87 Die Einordnung ist schwierig. Sie ist für jede einzelne „defence“ gesondert vorzunehmen. Im Zweifel dürfte eine Berücksichtigung auch durch den deutschen Richter als lex causae sinnvoll sein. 11. Geständnis Zusammengehöriges soll nicht auseinandergerissen werden. Eine funktionale 355 Betrachtungsweise ist daher geboten: Die rechtliche Situation muss in toto gesehen werden, unabhängig von der systematischen Stellung der Regelung im materiellen Recht oder im Verfahrensrecht.88 Dabei ist im Auge zu behalten, dass der nationale Gesetzgeber mehrere Gestaltungsmöglichkeiten hat. Er kann seine rechtspolitischen Ziele – im Rahmen der Einheit seiner Rechtsordnung – durch eine rein materiell-rechtliche Regelung erreichen, er kann aber auch verfahrensrechtliche Vorschriften einsetzen (Rz. 56, 77, 315, 2277, 2293). Grunsky89 will der Partei die ungünstigen Wirkungen eines Geständnisses nach 356 der deutschen lex fori (§ 288 ZPO) auch bei ausländischer lex causae zurechnen. Kollisionsrechtlich ist aber nicht nur relevant, ob die Partei, die ein Geständnis ablegt, sich die nach der lex fori damit verbundenen Folgen zurechnen lassen
84 LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97 (100) (Däubler 82) = IPRspr. 1991 Nr. 62. A.A. LG Frankfurt/M. v. 12.1.1994, RIW 1994, 778. Zu den gesetzlichen Zinsen nach englischem Recht IPG 2000/2001 Nr. 10 Rz. 87 ff. (Hamburg). 85 Enger zum alten Recht (nur Deliktsstatut) BGH v. 4.7.1989 – VI ZR 217/88, BGHZ 108, 200 = MDR 1989, 1091 = IPRax 1990, 180 (Spickhoff 164); OLG München v. 24.2.1995 – 10 U 4079/93, NJW-RR 1996, 1179; Mansel, Direktansprüche gegen den Haftpflichtversicherer, 1986; Wandt, IPRax 1992, 260. Zur französischen action directe Schulz, Die französische action directe, 1999; Gebauer, IPRax 2001, 471 (472). 86 Hierzu Junker in MüKo.BGB4, Art. 40 EGBGB Rz. 21, 221. 87 Ebke, RIW 1991, 6. 88 Nachw. bei Coester-Waltjen, Int. Beweisrecht, 1983, Rz. 170; Hartwieg, JZ 1997, 381 (388). 89 Grunsky, ZZP 89 (1976), 256.
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muss. Vielmehr ist auch die lex causae in Betracht zu ziehen und zu fragen, ob diese Rechtsfolgen mit dem anwendbaren materiellen Recht vereinbar sind.90 357 Beispiel: Beschränkung oder Ausschluss des Geständnisses in eherechtlichen Streitigkeiten: Unabhängig davon, ob es den Parteien zumutbar ist oder nicht, sich auf die Rechtsfolgen (i.S. Grunskys) einzustellen, müsse die Wirkung des Geständnisses nach der lex causae beurteilt werden, weil ansonsten eine materiell-rechtlich verflochtene Vorschrift unbeachtet bliebe.
358 Dem ist für Statusverfahren, wo die materiell-rechtliche Verflochtenheit besonders eng ist, zu folgen. Für den „normalen Zivilprozess“ gilt aber die deutsche lex fori (Rz. 2276, 2280).91 12. Geständnisfiktion im Versäumnisfall 359 Daher ist die Geständnisfiktion des § 331 I ZPO ohne Rücksicht auf die lex causae anzuwenden. Eine solche ist vielen Rechtsordnungen nicht bekannt, so z.B. nicht der französischen (Art. 472 II Nouveau Code de procédure civile).92 360 In Statusverfahren ist im deutschen Recht ein Versäumnisverfahren gegen den Antragsgegner ausgeschlossen.93 Inhaltlich abweichende Normen sind nicht relevant, wenn sie weniger „streng“ sind. Soweit die lex causae strenger ist, hat diese Vorrang (Rz. 358, 2281). 13. Lex fori und contempt of court 361 Kann das Gericht nach der lex causae (dem deutschen Recht unbekannte) Zwangs- oder Strafmaßnahmen verhängen, z.B. wenn eine Partei es ablehnt oder unterlässt, Beweismittel beizubringen (contempt of court), so ist dies für den deutschen Richter unbeachtlich. Die Frage der Sanktion bestimmt sich nach der deutschen lex fori. Selbst wenn man die Gegenansicht vertreten wollte, so wäre wohl der ordre public einzusetzen. 14. Rechtshilfe für ausländische Gerichte 362 Grundsätzlich werden Zustellungen, Beweisaufnahmen und andere gerichtliche Handlungen (Art. 1 I HBÜ) nach der deutschen lex fori ausgeführt. Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn das ausländische Gericht darum ersucht, nach seiner lex fori oder in besonderen Formen zu verfahren (Rz. 2153, 2505).94 363–370 Einstweilen frei
90 91 92 93 94
Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 253. Ebenso Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 116. Rechtsvergleichendes bei Hartwieg, JZ 1997, 381 (388). § 130 II FamFG. Zur Kumulierung und „Optimierung“ der Weigerungsrechte nach den Rechtsordnungen in Art. 11 HBÜ s. Rz. 2509 sowie Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses im dt. und im US-am. Zivilprozess und im Rechtshilfeverfahren, 1989, 265.
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Dritter Teil: Gerichtsbarkeit Literatur: Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, 2007; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht13, 2006, Rz. 57.14 ff.; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht Eine Untersuchung der aus dem Völkerrecht ableitbaren Grenzen staatlicher extraterritorialer Jurisdiktion im Verfahrensrecht, 1998; Busl, Ausländische Staatsunternehmen im deutschen Vollstreckungsverfahren, Diss. München 1991; Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug, ArchVR 41 (2003), 201; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung, 2015; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung zwischen Territorialitätsprinzip, Gläubigerinteressen und Schuldnerschutz, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 109; Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966; Georgieff, Kollisionen durch extraterritoriale staatliche Regelungen im internationalen Wirtschaftsrecht, 1989; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung Die inländische Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsentscheidungen mit ausländischem Leistungsort, 2010; Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 2011, 73; von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399; Herz, Die Immunität ausländischer Staatsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, Diss. Tübingen 1992; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992; Holzapfl, Sachaufklärung und Zwangsvollstreckung in Europa, 2009, 191 ff.; Krauskopf/ Steven, Immunität ausländischer Zentralbanken im deutschen Recht, WM 2000, 269; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998; Kreß, Der Internationale Gerichtshof im Spannungsfeld von Völkerstrafrecht und Immunitätsschutz, GA 2003, 25; Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988; Langkeit, Staatenimmunität und Schiedsgerichtsbarkeit, 1989; Meierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts? Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 72 ff.; Markus, Schweizer IZPR, 2014, Rz. 67 ff.; Matscher, Zum Begriff und zu den Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit, in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österreichischen) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, vor Art. IX EGJN Rz. 1 ff.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994; Müller/Wildhaber, Praxis des Völkerrechts3, 2001, 414 f.; M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7, 2013, § 2 Rz. 5 ff.; Obuntan, Sovereignty and Jurisdiction in the Airspace and Outer Space Legal Criteria for Spacial Delimitation, 2012; Orahelashvili, State Immunity and International Public 195
Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
Order, GYIL 45 (2002), 227; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 270 ff.; Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 1991; Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 67 ff.; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987; Stadler, Pacta sunt servanda auch im Falle argentinischer Staatsanleihen, IPRax 2008, 405; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Bearbeitung 2005, Vorbem §§ 606a, 328 ZPO Rz. 14; Stoffel, Die völkervertraglichen Gleichbehandlungsverpflichtungen der Schweiz gegenüber Ausländern Eine Untersuchung über die Bedeutung der Gleichbehandlungsklauseln in den Niederlassungsverträgen, 1979; Voyiakis, Access to Court v. State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; R. Wagner, Staatenimmunität in zivilrechtlichen Verfahren, RiW 2013, 851; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260; Watts, The Legal Position of Heads of States, Heads of Governments and Foreign Ministers, RdC 247 (1994 III), 9, 56 ff.; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973; Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696; Zeichen/Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung und die Bedeutung des Genuine-Link-Erfordernisses, 1992; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 36 ff.; Zuppi, Die Immunität ausländischer Staaten vor argentinischen Gerichten, RIW 2007, 340.
1. Kapitel: Begriff und Grenzen der Gerichtsbarkeit I. Überblick 371 Gerichtsbarkeit bedeutet facultas iurisdictionis; damit meint man die aus der Souveränität bzw. Gebietshoheit1 fließende Befugnis2 eines jeden Staates, Recht zu sprechen und das für Recht Erkannte aufgrund seiner Vollstreckungsgewalt auch durchzusetzen (Rz. 3200).3 Sie wird auch als Gerichtshoheit bezeichnet.4 1 Zu dieser Unterscheidung Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 1038 ff. 2 Kritisch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 221: Durch die Wahl des Wortes „Befugnis“ werde suggeriert, das Völkerrecht weise den Staaten Kompetenzen zu. Angesichts der völkerrechtlichen Vermutung für die Freiheit der Staaten (Bertele 51 ff.) sei die Gerichtsbarkeit aber eher als die „Begrenzung der ursprünglich unbegrenzten Freiheit durch gewisse rechtliche Anforderungen an das Tätigwerden der nationalen Gerichte“ zu sehen. 3 Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 90. 4 Näher R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 40, 67, 69; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 104.
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Begriff und Grenzen
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Die Grenzen der Gerichtsbarkeit ergeben sich aus dem Völkerrecht. Kein Staat darf auf dem Gebiet eines Anderen Hoheitsakte setzen; er darf deshalb dort auch seine Rechtspflegeorgane nicht tätig werden lassen, es sei denn, dieser gestattet es ausdrücklich (Rz. 119).5 Dieses Verbot gilt jedoch nicht auf staatsfreiem Gebiet (Rz. 409), sofern nicht das Völkerrecht Schranken errichtet, wie z.B. für Hoheitsakte gegen fremde Schiffe auf hoher See.6 Von den persönlichen Befreiungen von der Gerichtsbarkeit (Rz. 471) abgesehen, 372 ist die Gerichtshoheit eines jeden Staates innerhalb seines Territoriums grundsätzlich unbeschränkt: Jeder Staat besitzt auf seinem Staatsgebiet, d.h. mit Wirkung für seine Hoheitssphäre, Gerichtsbarkeit für die Entscheidung eines jeden bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreits, sofern zu den beteiligten Parteien oder zu dem Streitgegenstand eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht (Rz. 127, 166).7 Das Verbot, Hoheitsakte auf dem Gebiet eines anderen Staates zu setzen, gilt 372a nicht, sofern eine völkervertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Regel besteht, die dies ausdrücklich erlaubt.8 So dürfen z.B. Diplomaten und Konsuln Zustellungen und Beweisaufnahmen vornehmen (Rz. 447, 2169, 2426). Auch gestattet das Völkerrecht dem Flaggenstaat, Hoheitsakte an Bord von Schiffen und Flugzeugen in bzw. über dem fremden Gebiet zu erlassen.9
II. Stand der völkerrechtlichen Diskussion Von der Frage, in welchem räumlichen Bereich ein Staat Hoheitsakte vornehmen 373 und durchsetzen darf (= räumliche Kompetenz zur Setzung von Hoheitsakten, jurisdiction to enforce),10 ist die Frage zu unterscheiden, ob ein Staat durch seine Rechtsordnung nur inländische Sachverhalte regeln darf oder auch Sachverhalte mit Auslandsberührung und wie gegebenenfalls die Grenzen seiner Regelungsbefugnis zu ziehen sind (jurisdiction to prescribe, Rz. 166). 5 Zur Duldung des Handelns fremder Staaten auf eigenem Territorium Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 85 ff.; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 131. 6 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 328; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1144. S. auch LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244. 7 BVerfG v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137 (153) = MDR 1988, 199; BVerfG v. 15.5.1995 – 2 BvL 19/91, 2 BvL 1206/91, 2 BvL 1584/91, 2 BvL 2601/93, BVerfGE 92, 277 (320) = MDR 1995, 1047; BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); R. Geimer, ZfRV 1992, 333; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 304. S. auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 24, 171; Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österr. Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 61. Weitere Nachw. bei Escher/Reichert, SchiedsVZ 2007, 71 (73). 8 StIGH v. 7.9.1927, PCIJ Series A 10 (1927) 18 (Lotus-Fall, Rz. 169b). 9 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 326, 328. 10 Hierzu z.B. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 99 ff.; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 48 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 58 Rz. 2.
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Gerichtsbarkeit
373a Zur Terminologie das Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the U.S. (ed. The American Law Institute, 14.5.1986), 198711: § 401 Categories of Jurisdiction Under international law, a state is subject to limitations on (a) jurisdiction to prescribe, i.e., to make its law applicable to the activities, relations, or status of persons, or the interests of persons in things, whether by legislation, by executive act or order, by administrative rule or regulation, or by determination of a court; (b) jurisdiction to adjudicate, i.e., to subject persons or things to the process of its courts or administrative tribunals, whether in civil or in criminal proceedings, whether or not the state is a party to the proceedings; (c) jurisdiction to enforce, i.e., to induce or compel compliance or to punish noncompliance with its laws or regulations, whether through the courts or by use of executive, administrative, police, or other nonjudicial action.12
1. Anwendung eigenen Rechts (jurisdiction to prescribe; legislative jurisdiction; compétence législative) 374 Die Reichweite der staatlichen Gesetzgebung, die nach h.M. nicht auf Völkerrecht beruht, sondern von diesem nur anerkannt wird,13 ist durch die Gebietshoheit der anderen Staaten (Rz. 119) limitiert.14 D.h. aber nicht, dass sich die Gesetzgebung eines Staates nur auf Sachverhalte bezieht, die auf eigenem Gebiet zu lokalisieren sind (Rz. 169). Die Freiheit, Sachverhalte zu normieren, die sich außerhalb des Bereichs der eigenen Gebietshoheit ereignen, setzt nach Völkergewohnheitsrecht allerdings voraus, dass zwischen dem normierenden Staat und dem normierten Sachverhalt eine „sinnvolle Anknüpfung“ (genuine link, close connection with the facts, sufficiently strong interest) besteht (Rz. 166).15 Fehlt es an einer sinnvollen Anknüpfung, so macht ein Staat von einer Befugnis Gebrauch, die nicht ihm, sondern einem anderen Staat zusteht. Er erfüllt damit den Tatbestand einer verbotenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten (domaine reservé) eines anderen Staates.16 11 Hierzu z.B. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 75. 12 Hierzu Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990, 198. 13 Rudolf, BerDGesVR 11 (1973), 17. A.A. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, 141. 14 Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 115. 15 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137 (153) = MDR 1988, 199; BVerfG v. 15.5.1995 – 2 BvL 19/91, 2 BvL 1206/91, 2 BvL 1584/91, 2 BvL 2601/93, BVerfGE 92, 277 (320) = MDR 1995, 1047; BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); Mann, RdC 111 (1964 I), 46; Junker, Discovery im deutschamerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 393; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 321 Fn. 21, 323; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 183 ff.; de VareillesSommières, La compétence internationale d’Etat en matière de droit privé: droit international public et droit international privé, 1997. S. auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 24, 171. 16 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); ähnlich BVerfG v. 21.10.1987 – 2 BvR 373/83, BVerfGE 77, 137 (153) = MDR 1988, 199; BVerfG v.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
Völkerrechtlich konfliktträchtig ist die Wirkungstheorie, auf die vor allem die 375 Vereinigten Staaten von Amerika den weiten Geltungsanspruch ihres Rechts stützen (Auswirkungsprinzip, Rz. 169). Auf Auslandssachverhalte, die auf amerikanischem Gebiet wesentliche Wirkungen erzeugen („substantial effect“) oder sich gegen amerikanische Interessen richten, wird US-Recht angewandt.17 Dies gilt vor allem für das Wettbewerbs-, Kartell- und Kapitalanlegerschutzrecht sowie für Wirtschaftsboykottgesetze, die auch gegenüber den ausländischen (europäischen) Töchtern der US-Gesellschaften durchgesetzt werden sollen.18 Die eigentliche Durchschlagskraft bekommt die Wirkungstheorie durch den Machtanspruch der amerikanischen Ziviljustiz. Stichwort: discovery abroad. „Der Umfang, in welchem amerikanische Gerichte eine Mitwirkungspflicht postulieren, ist wahrhaft erregend … Was beklagten Parteien alles angesonnen wird, ist für uns im Grunde unvorstellbar“.19 Eine Parallele im Geltungsanspruch des materiellen Kartellrechts jedoch ohne 376 die verfahrensrechtliche Flankierung durch discovery findet sich bei uns in Art. 101 AEUV und § 130 II GWB (Rz. 169, 171).20 § 402 des Restatement (Third) of the Foreign Relations Law (1987) führt ins- 376a gesamt vier bases of jurisdiction to prescribe an:
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15.5.1995 – 2 BvL 19/91, 2 BvL 1206/91, 2 BvL 1584/91, 2 BvL 2601/93, BVerfGE 92, 277 (320) = MDR 1995, 1047; BVerfG v. 12.12.2000 – 2 BvR 1290/99, NJW 2001, 1848 = NStZ 2001, 240 = JZ 2001, 975 (Kadelbach); Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 310; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1366, 1376; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1183. S. auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 89. Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts5, 2011, 636 ff. S. auch Gruson, RIW 2006, 241 (249) und Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht, FS 50 Jahre FIW, 2010, 129, 131 ff. Hierzu Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 375; Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 72. Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 7, 13, 15. Die Verzahnung von materiellem Recht und Prozessrecht und deren Ausstrahlung via discovery abroad hat vor allem Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 72, deutlich gemacht: „Discovery ist von dem materiellen Kartellrecht, das sie durchsetzen soll, gar nicht zu trennen.“ „The heart of any American antitrust case is the discovery of business documents. Without them there is virtually no case“, Timothy G. Smith, 14 Va. J. Int. L. 747 (1974). „Wenn die Europäer schon nicht verhindern können, dass die USA nach dem Auswirkungsprinzip ihr Antitrust-Recht auf europäische Unternehmen anwenden, so wollen sie wenigstens verhüten, dass die USA für diesen Frevel auch noch Beweise sammeln.“ Wildhaber, BerDGVR 18 (1978), 48. Zum Geltungsanspruch von US-Exportkontrollen Basedow, RabelsZ 47 (1983), 147; Hentzen, US-amerikanische Exportkontrollen, 1988; Hentzen, RIW 1988, 508. Vgl. auch Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 374, 391. Ob die Entscheidung Boureslan v. Aramco des US Supreme Court (111 S. Ct. 1227–1246 [1991]; hierzu Born/ Hausmaninger, IPRax 1992, 192) eine Wende bedeutet, bleibt abzuwarten. Hierzu z.B. Hilbig, Das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot im internationalen Handelsschiedsverfahren, 2006, 74 ff.: m.w.N. bei Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 330 ff.
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Dritter Teil
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– nationality principle (aktives Personalitätsprinzip), – passive personality principle (passives Personalitätsprinzip),21 – protective principle (Schutzprinzip), – universality principle (Universalitätsprinzip). § 402 Bases of Jurisdiction to Prescibe Subject to § 403, a state has jurisdiction to prescribe law with respect to (1) (a) conduct that, wholly or in substantial part, takes place within its territory; (1) (b) the status of persons, or interests in things, present within its territory; (1) (c) conduct outside its territory that has or is intended to have substantial effect within its territory; (2) the activities, interests, status, or relations of its nationals outside as well as within its territory; and (3) certain conduct outside its territory by persons not its nationals that is directed against the security of the state or against a limited class of other state interests. § 403 Limitations on Jurisdiction to Prescribe (1) Even when one of the bases for jurisdiction under § 402 is present, a state may not exercise jurisdiction to prescribe law with respect to a person or activity having connections with another state when the exercise of such jurisdiction is unreasonable. (2) Whether exercise of jurisdiction over a person or activity is unreasonable is determined by evaluating all relevant factors, including, where appropriate: (a) the link of the activity to the territory of the regulating state, i.e., the extent to which the activity takes place within the territory, or has substantial, direct, and foreseeable effect upon or in the territory; (b) the connections, such as nationality, residence, or economic activity, between the regulating state and the person principally responsible for the activity to be regulated, or between that state and those whom the regulation is designed to protect; (c) the character of the activity to be regulated, the importance of regulation to the regulating state, the extent to which other states regulate such activities, and the degree to which the desirability of such regulation is generally accepted; (d) the existence of justified expectations that might be protected or hurt by the regulation; (e) the importance of the regulation to the international political, legal, or economic system; (f) the extent to which the regulation is consistent with the traditions of the international system; (g) the extent to which another state may have an interest in regulating the activity; and (h) the likelihood of conflict with regulation by another state. (3) When it would not be unreasonable for each of two states to exercise jurisdiction over a person or activity, but the prescriptions by the two states are in conflict, each state has an obligation to evaluate its own as well as the other state’s interest in exercising jurisdiction, in light of all the relevant factors, Subsection (2); a state should defer to the other state if that state’s interest is clearly greater.
21 Hierzu z.B. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 77; Münchau, Terrorismus auf See aus völkerrechtlicher Sicht, 1994, 142; s. auch BGH v. 7.10.1997 – KVR 16/96, IPRax 1999, 106 (Zimmer/Rudo 89).
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2. Tätigwerden der eigenen Gerichte (jurisdiction to adjudicate; compétence judiciaire) Noch weiter als für die Gesetzgebungskompetenz der Staaten zieht das Völker- 377 recht die Grenzen für die Rspr.22 Es genügt jeder sinnvolle (wie auch immer geartete) Inlandsbezug. Dieser ist bei (kontradiktorisch angelegten) Klage-/Antragsverfahren bereits dann zu bejahen, wenn sich eine Partei (Kläger/Antragsteller) an die inländischen Gerichte wendet.23 Dieses besonders weite Jurisdiktionsverständnis liegt z.B. dem US-amerikanischen Alien Tort Claims Act (ATCA)24 zugrunde: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.“25 Etwas anderes gilt in Amtsverfahren, also dann, wenn das Gericht von Amts we- 377a gen ein Verfahren einleitet. Solche Fälle kommen in der streitigen Gerichtsbarkeit wohl nicht vor, aber häufig in der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Auch hier ist zu beachten, dass der Inlandsbezug bereits dann hergestellt ist, wenn sich ein Beteiligter an das Gericht wendet und dieses zum Einschreiten von Amts wegen auffordert. Nach einem (objektiven) sonstigen Inlandsbezug muss mithin nur dann gesucht werden, wenn das Gericht die Initiative ergreift und von Amts we-
22 Nachw. z.B. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 136 ff.; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 75; H. G. Maier, Jurisdictional Rules in Customary International Law in Meessen (ed.), Extraterritorial Jurisdiction in Theory and Practice, 1996, 64 ff.; von Mehren, Theory and Practice of Adjudicatory Authority in Private International Law, RdC 295 (2002), 9; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, 1994; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014. 23 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1186 Rz. 127, 166, 383; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 147. Dies wird von manchen in der völkerrechtlichen Literatur nicht deutlich genug gesehen (z.B. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 219 ff.; Pataut, Principe de souverainté et conflits de juridictions, 1999). Klar aber BGHZ 30, 3: „Mangels allgemeingültiger internationaler Normen bestimmt jeder Staat selbst, in welchem Umfang er die Gerichtsbarkeit für sich in Anspruch nimmt …“. Vgl. auch Akehurst 46 (1972/73), Brit. Yb. Int. L. 177 (es sei „hard to resist the conclusion that [apart from the well-known rules of immunity …] customary international law imposes no limits on the jurisdiction of municipal courts in civil trials“). S. auch Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 67 f. Zurückhaltender Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 44: Sie wendet sich dagegen, „dass allein der Wille des Antragsstellers den erforderlichen Minimalbezug herstellt.“ 24 28 U.S.C. 1350. Nachw. hierzu z.B. bei Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts5, 2011, 35 ff.; Posch, Eine österreichische Katastrophe vor amerikanischen Gerichten“, in FS Machacek und Matscher, 2008, 831; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 305. Zu Reformvorhaben Dolzer/Valen, RIW 2006, 252 (256). 25 Einschränkend neuerdings US Supreme Court v. 17.4.2013 – 10-1491 Kiobel/Royal Dutch Petroleum; hierzu Reimann, IPRax 2013, 455; Reynolds/Zimmer, RIW 2013, 509; Wernicke, EuZW 2013, 401; Winter, IPRax 2013, 462. S. auch Metz, Die aktuelle Einschränkung der US-amerikanischen Gerichtszuständigkeit durch den Supreme Court, IPRax 2014, 365.
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gen ohne Anregung eines Dritten tätig wird. Ein solcher Inlandsbezug ist bereits dann gegeben, wenn inländische Interessen berührt werden. 378 Beispiel: Alle Beteiligten haben eine ausländische Staatsangehörigkeit und halten sich im Ausland auf; sie haben jedoch Vermögen im Inland. Es muss zu einem im Inland vorgenommenen Rechtsgeschäft die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erteilt werden.26
378a Das Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the U.S. (1987) bringt folgende Abgrenzung: § 421 Jurisdiction to Adjudicate (1) A state may exercise jurisdiction through its courts to adjudicate with respect to a person or thing if the relationship of the state to the person or thing is such as to make the exercise of jurisdiction reasonable. (2) In general, a state’s exercise of jurisdiction to adjudicate with respect to a person or thing is reasonable if, at the time jurisdiction is asserted: (a) the person or thing is present in the territory of the state, other than transitorily; (b) the person, if a natural person, is domiciled in the state; (c) the person, if a natural person, is resident in the state; (d) the person, if a natural person, is a national of the state; (e) the person, if a corporation or comparable juridical person, is organized pursuant to the law of the state; (f) a ship, aircraft or other vehicle to which the adjudication relates is registered under the laws of the state; (g) the person, whether natural or juridical, has consented to the exercise of jurisdiction; (h) the person, whether natural or juridical, regularly carries on business in the state; (i) the person, whether natural or juridical, had carried on activity in the state, but only in respect of such activity; (j) the person, whether natural or juridical, had carried on outside the state an activity having a substantial, direct, and foreseeable effect within the state, but only in respect of such activity; or (k) the thing that is the subject of adjudication is owned, possessed, or used in the state, but only in respect of a claim reasonably connected with that thing. (3) A defense of lack of jurisdiction is generally waived by any appearance by or on behalf of a person or thing (whether as plaintiff, defendant, or third party), if the appearance is for a purpose that does not include a challenge to the exercise of jurisdiction.
379 Die Frage der Gerichtsbarkeit taucht nicht nur im Verhältnis zu den Parteien (insbes. zum Beklagten), sondern auch im Verhältnis zu Dritten (Zeugen, Sachverständigen) auf. Vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika gehen hier sehr weit.27 Die Mitwirkungspflicht wird durch Beugestrafen (contempt of court)28 erzwungen. Dies ist sicher völkerrechtswidrig, wenn der Zeuge, die
26 Jansen, Freiwillige Gerichtsbarkeit2, § 3 Rz. 15. 27 S. den Fall der Deutschen Bank (Rz. 177); Nachw. bei Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 19 Fn. 86. 28 Hierzu z.B. Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 135.
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Auskunftsperson oder der Sachverständige keinerlei Kontakte zum Gerichtsstaat hat (Rz. 426). Die von den US-Gerichten bejahte, aber derzeit umstrittene Frage ist, ob minimum contacts, wie z.B. doing business29, activity outside having a substantial, direct or foreseeable effect etc.,30 ausreichen, um nicht nur die Gerichtspflichtigkeit als Beklagter zu bejahen31, sondern auch die Pflicht zur Mitwirkung in Verfahren zwischen anderen Parteien. Die Frage ist also, ob die Anforderungen des Völkerrechts strenger sind, wenn die als Zeuge, Auskunftsperson, Urkundenbesitzer, Sachverständiger in Anspruch genommene Person formell nicht Partei (einschließlich Streitverkündungsempfänger, third party), sondern Dritte ist. Diese Unterscheidung wird von den US-Gerichten nicht vorgenommen.32 Dagegen ist in Deutschland unbestritten, dass Zeugnispflicht nur besteht für die- 380 jenigen, die der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen sind (Rz. 2381, 2388). Stellungnahme: Es ist zwischen In- und Ausländern zu unterscheiden. Die Aus- 381 dehnung der Zeugnispflicht auf Inländer, die sich im Ausland aufhalten, ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden (Personalhoheit) (Rz. 179, 427). Kraft Gebietshoheit kann auch gegenüber einem Ausländer, der sich im Inland aufhält, Zeugniszwang ausgeübt werden. Ausnahme: Immune und völkerrechtswidrig Entführte. Dabei spielt die Dauer des Aufenthalts keine Rolle. Es gilt vielmehr kraft Ge- 382 bietshoheit der Bundesrepublik Deutschland das Gleiche, was von der Praxis der US-amerikanischen Justiz berichtet wird:33 FRCP 45 (d) „macht USA-Reisen 29 Hierzu z.B. Casad/Richman, Jurisdiction in Civil Actions, Territorial Basis and Process Limitations on Jurisdiction of State and Federal Courts3, vol. 1, 341 ff., 398 ff.; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 43 ff.; Rau, RIW 2000, 761; Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, 2003, 14; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 59 ff. Zu den long arm statutes auch Lejeune, RIW 1998, 8 (11); Fuchs, RIW 2004, 41 (44); Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540 (1542). 30 Hierzu H. Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992 (besprochen von Hay, ZZP 107 [1994], 259). 31 Zur völkerrechtlichen Problematik der kalifornischen Holocaust-Gesetze Gebauer/ Schulze, IPRax 1999, 478 (482); Schütze, ZVglRWiss 102 (2003), 574; Schütze, Prozessführung und -risiken im dt.-am. Rechtsverkehr, 2004, 223. 32 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 342. 33 A.A. Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 19: „Der Geschäftsmann, der seine Waren nach U.S.A. laufend verkauft und dort z.B. eine Niederlassung hat, unterliegt auch als Zeuge amerikanischer Gerichtshoheit, muss also in allen Verfahren depositions geben und Urkunden vorlegen, soweit er für US-Gerichte kraft US-Aufenthaltes greifbar wird. Ob die Europäer so weit gehen, erscheint zumindest zweifelhaft; m.E. würde z.B. kein deutsches Gericht einen Schweizer oder Franzosen anläßlich seines Ferienaufenthaltes oder einer Durchreise zur Aussage zwingen, nur weil er sonst laufende Geschäftskontakte zu Deutschland hat, vielmehr würde man Rechtshilfe beanspruchen. Man muss aber zugestehen, dass der stärker bürokratisierte europäische Verfahrensbetrieb schon wegen seiner Langsamkeit solche Probleme kaum aufkommen lässt und deshalb Vergleiche schwer anzustellen sind.“ Zum „Zugriff“ auf Ausländer im Ausland s. Rz. 430. Zur jurisdiction to enforce Junker, Discovery im dt.-am. Rechtsverkehr, 1987, 393.
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von Personen, die als Zeugen in Frage kommen, spannend. Sie müssen damit rechnen, dass ihnen irgendwo eine Ladung (subpoena) in die Hand gedrückt oder unter der Hotelzimmertür durchgeschoben wird.“34
III. Fehlen einer völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung 383 Die Verteilung aller auf dieser Welt auftretenden Rechtsprechungsaufgaben auf die einzelnen Staaten und damit die Regelung der internationalen Zuständigkeit wäre an sich Aufgabe des Völkerrechts. Normen des Völkergewohnheitsrechts über die internationale Zuständigkeit sind jedoch nicht feststellbar (Rz. 377).35 Damit haben die nationalen Gesetzgeber bei der Regelung der internationalen Zuständigkeit weitgehend freie Hand (Rz. 127, 166, 372).36
IV. Verbot der Justizverweigerung 384 Mag auch der Regelungsspielraum sehr groß sein, jeglicher Rechtsprechungstätigkeit darf sich kein Staat enthalten.37 1. Völkergewohnheitsrecht 385 Das Völkergewohnheitsrecht verbietet déni de justice (denial of justice).38 Nach klassischem Völkerrechtsverständnis handelt es sich um ein Problem des Fremdenrechts, aus neuerer Sicht geht es jedoch (auch) um eine menschenrechtliche Frage, denn auch gegenüber eigenen Staatsangehörigen ist Rechtsschutzverweigerung verboten (Rz. 1909).39 Dieser menschenrechtliche Ansatz ermöglicht eine Überwindung der Mediatisierung des Menschen durch das klassische Völkerrecht (Rz. 132, 203, 1911). Im Falle der völkerrechtswidrigen Behandlung eines
34 von Hülsen, RIW 1982, 549; Junker, a.a.O., 158. 35 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 104 bei Fn. 43; Grothe, RabelsZ 58 (1994), 691; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 83, 766; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 21. 36 Soweit sie nicht durch europäisches Gemeinschaftsrecht (s. Rz. 245c) oder völkerrechtliche Verträge gebunden sind. 37 S. auch Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit (der inländischen Zuständigkeit) in FS Schlosser, 2005, 561, 575. 38 Verosta, EPIL I, 1992; Seidl-Hohenveldern/Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/ Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1300: umfangreiche Nachw. z.B. bei Paulsson, Denial of Jusitice in International Law, 2005, sowie bei Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 370 Fn. 138. 39 R. Geimer in FS Nagel, 1987, 36; Doehring in Rechtsschutz gegen die Exekutive (hrsg. MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht), 1971, 244; Pfeiffer, a.a.O., 22; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 403.
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Menschen gilt nicht dieser, sondern sein Heimatstaat als verletzt.40 Der Heimatstaat, nicht die betroffene Person, hat darüber zu entscheiden, ob und wie Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen sind.41 Nach klassischem Völkerrecht berechtigt déni de justice den Heimatstaat der verletzten Person zu Sanktionen: Er darf Staatsangehörigen des Gerichtsstaates, dem das Völkerrechtsdelikt seiner Gerichte zuzurechnen ist, ebenfalls Gerichtsschutz verweigern. Doch ist diese Waffe durch die menschenrechtliche Entwicklung stumpf geworden; denn Repressalien dürfen die Menschenrechte nicht antasten.42 Déni de justice liegt vor, wenn in Friedenszeiten dem Fremden der Zugang zu bestehenden Gerichten verwehrt wird, sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen.43 Dabei ist jedoch nicht ganz klar, inwieweit Prozesserschwerungen für Fremde zulässig sind.44 Darüber hinaus gebietet das Völkerrecht aber auch einen Mindeststandard an 386 Gerichtsorganisation: Ein Staat muss sowohl für seine eigenen Staatsangehörigen als auch für Fremde (vgl. Rz. 1912) Gerichte einrichten. Es ist völkerrechtswidrig, wenn ein Staat schlechthin keine unabhängigen Gerichte zur Verfügung stellt.45 Wo jedoch die Grenzen für diesen menschenrechtlichen Mindeststandard ver- 387 laufen, ist nicht klar. Als völkergewohnheitsrechtlich gesichert kann nach heutigem Verhältnis gelten: Liegt eine ausreichende Inlandsbeziehung vor, so muss ein Forum und ein zur Sachentscheidung bereites Gericht bereitgestellt werden. 2. Völkervertragsrecht Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.195046 und 388 Art. 14 I 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.196647 gewährleisten den Zugang zu den Gerichten und damit auch
40 Umfangreiche Nachw. z.B. auch bei Stammler, Der Anspruch von Kriegsopfern auf Schadensersatz, 2009, 39 ff.; von Woedtke, Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen, 2010. 41 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 47, 1226 ff., 1300; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht10, Rz. 547, 927, 1602, 1656, 1684, 1691. 42 Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, 244. 43 Dahm, Völkerrecht I, 1958, 509; Verdross/Verosta/Zemanek, Völkerrecht4, 384. 44 § 110 ZPO a.F. war jedoch völkerrechtskonform, Rz. 1909. S. aber auch Rz. 246u. 45 Nachw. bei Doehring in Gerichtsschutz gegen die Exekutive, 242 Fn. 39; Dahm, Völkerrecht I, 1958, 509; Wengler, Völkerrecht I, 1964, 655; Nagel, ZZP 75 (1962), 422 ff.; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 60 Fn. 2, 68; R. Geimer, WM 1976, 836 Fn. 43; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 43. 46 BGBl. II 1952, 685; Neufassung in der Bekanntmachung v. 17.5.2002, BGBl. II 2002, 1054. Hierzu Matscher, RdC 270 (1997), 237. Art. 6 I EMRK wurde in Art. 47 II EUGrundrechtecharta wiederholt. 47 BGBl. II 1973, 1533.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
einen (menschenrechtlichen) Mindeststandard für Justizgewährung: Es muss aber zwischen dem Gerichtsstaat und einer der Parteien bzw. dem Verfahrensgegenstand eine ausreichend enge Beziehung bestehen.48 389 Die Einzelheiten sind noch nicht ausreichend geklärt; denn in der bisherigen Spruchpraxis steht nicht der déni de justice im Vordergrund, sondern im Gegenteil die Frage der „ausreichenden Binnenbeziehung.“49 390 Eine Reihe von Übereinkommen/Abkommen sieht eine Gleichbehandlung mit Inländern vor.50 Diese Gleichstellungsklauseln spielten im deutschen internationalen Verfahrensrecht bis 30.9.1998 bezüglich der Sicherheitsleistung für Prozesskosten (§ 110 ZPO) eine Rolle (solange dieses auf die Staatsangehörigkeit des Klägers abstellte, Rz. 2004), sie sind jedoch nicht relevant im allgemeinen Kompetenzrecht, da das deutsche Recht bei der Regelung der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich nicht zwischen In- und Ausländern unterscheidet. Soweit diese Verträge inhaltlich divergieren, führt dies zu einer unterschiedlichen Behandlung von Ausländern, d.h. zu verschiedenen Gruppen von Ausländern. Dies ist sowohl völkerrechtlich51 als auch verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. auch Rz. 1952a und 2012). 391 Anders ist es jedoch in Statusverfahren (Rz. 1323, 1947). Hier wird auch im deutschen Recht an die Staatsangehörigkeit (kompetenzrechtlich) angeknüpft. Ausländern (z.B. Flüchtlingen i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention) ist in Statussachen aufgrund der Gleichstellungsklausel Rechtsschutz in jedem Falle sicherzustellen. Es kommen aber nicht die Vorschriften über die internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit (§ 98 I Nr. 1 FamFG, früher § 606a I 1 Nr. 1 ZPO) zur Anwendung, insbes. nicht die über die internationale Antrittszuständigkeit (Rz. 1087). Vielmehr genießen diese Personengruppen nur während ihres Aufenthalts im Inland Sonderstatus. Daher ist es besser, die Vorschriften über die internationale Aufenthaltszuständigkeit (§ 98 I Nr. 2–4 FamFG) heranzuziehen, jedoch mit der Modifikation, dass das Anerkennungserfordernis des § 98 I Nr. 4 FamFG entfällt und der einfache Aufenthalt genügt, sofern das einschlägi-
48 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 56 Fn. 142; R. Geimer in FS Nagel, 1987, 36; R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 234. 49 Nachw. bei Matscher, IPR und IZVR vor den Organen der EMRK, in FS Neumayer, 1986, 466 und Matscher, RdC 270 (1997), 237 ff.; Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 366, 375; Boog, Die Durchsetzung einstweiliger Massnahmen in internationalen Schiedsverfahren aus schweiz. Sicht mit rechtsvergleichenden Aspekten, 2011, Rz. 563 ff. 50 Z.B. Art. 16 II der Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. II 1953, 559, sowie Protokoll v. 31.1.1967, BGBl. II 1969, 1293; Art. 16 II des VN-Übereinkommens über die Rechtsstellung von Staatenlosen v. 28.9.1954, BGBl. II 1976, 474; Art. VI (1) 1 des dt.-am. Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages v. 29.10.1954, BGBl. II 1956, 488; Art. 1 II des dt.-türk. Rechtshilfeabkommens, RGBl. II 1930, 6; Art. 6 des dt.-griech. Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrages v. 18.3.1960, BGBl. II 1962, 1506. 51 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 235.
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ge Übereinkommen die Privilegierung des Ausländers (mit Sonderstatus) an den schlichten Aufenthalt knüpft.52
V. Minimalbezug zum Gerichtsstaat als Voraussetzung für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit Das andere Extrem zum déni de justice wäre, wenn ein Staat für alle auf dieser 392 Welt auftretenden Rechtsstreitigkeiten seine Gerichte für international zuständig erklären würde. Auch dies verbietet das Völkerrecht. Ein Minimalbezug zum Gerichtsstaat (minimum contact) ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Jurisdiktion (Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit). Dabei zieht aber das Völkergewohnheitsrecht die Grenzen sehr weit (Rz. 127). Auch die frühere Staatsangehörigkeit53 reicht aus für die Eröffnung internationaler Zuständigkeit in Ehesachen (Rz. 1087, 1950).54
VI. Keine Garantie bestimmter international gebräuchlicher Zuständigkeitsanknüpfungen durch das Völkergewohnheitsrecht und auch kein Verbot sog. exorbitanter Gerichtsstände Wie ein Staat seiner Pflicht zur Justizgewährung nachkommt, bestimmt er auto- 393 nom durch sein innerstaatliches Recht. Das Völkergewohnheitsrecht schreibt ihm die rechtstechnische Ausgestaltung nicht vor. Umgekehrt verbietet es nicht die Rezeption sog. beziehungsarmer (exorbitanter) Gerichtsstände, sofern die in Rz. 126, 377 beschriebene äußerste Grenze eingehalten ist. Es gibt keine völkergewohnheitsrechtliche Regel, wonach für Immobiliarklagen 394 der Belegenheitsstaat ausschließlich zuständig sei.55 Es ist nicht völkerrechtswidrig, Immobiliarklagen bezüglich ausländischer Grundstücke durch inländische Gerichte entscheiden zu lassen.56 (Vgl. Rz. 911). Umgekehrt gebietet auch
52 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 124; Lass, Der Flüchtling im deutschen IPR, 1995, 178. 53 Zum Zeitpunkt der Eheschließung, vgl. § 98 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG. 54 Zustimmend Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 58. 55 Das Gleiche gilt für Klagen, die den Bestand von territorial beschränkten Rechten, wie Patenten, Marken oder sonstigen gewerblichen Schutzrechten (s. Rz. 1002) betreffen, Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 59 vor Art. IX EGJN. S. auch Ubertazzi, Exclusive Jurisdiction in Intellectual Property, 2012. 56 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 67 Fn. 13; R. Geimer, NJW 1974, 2189; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 22 EuGVVO Rz. 1; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 61 vor Art. IX EGJN; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 368, Fn. 1580, 770; Kralik, ZZP 74 (1961), 14; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 251; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1014. A.A. Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 29 f., Fn. 21 und Schnitzer, Handbuch des IPR II4, 801.
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Dritter Teil
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nicht das Völkergewohnheitsrecht, dass der Belegenheitsstaat Rechtsschutz gewährt.57 Das Gleiche gilt für Bestandsstreitigkeiten bezüglich ausländischer gewerblicher Schutzrechte.58 395 Ebenso wenig ist die Zuständigkeitsregel actor sequitur forum rei ein Gebot des Völkergewohnheitsrechts.59 Mit diesem ist es vereinbar, die internationale Zuständigkeit an die Belegenheit von Vermögen im Inland zu knüpfen; so ist z.B. der deutsche Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO)60 oder das französische forum actoris des Art. 14 Code civil61 mit dem Völkerrecht zu vereinbaren.62
VII. Völkerrechtliche Grenzen für gerichtliche Anordnungen, Maßnahmen und Entscheidungen mit (faktischen) Auswirkungen auf das Ausland 1. Verurteilung zur Leistung bzw. Unterlassung im Ausland 396 Inländische Gerichte dürfen zur Leistung im Ausland63 bzw. Unterlassung im Ausland verurteilen.64 Zulässig ist auch die Verurteilung zur Übereignung eines 57 Zustimmend Mankowski, EuZW 1996, 178. 58 Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 121; Schack, IZVR Rz. 576; Schack in FS Rolf Stürner, 2013, 1337, 1340. 59 Zustimmend Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 71. 60 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179); Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht 2, IntVertrVerfR Rz. 221. S. unten Rz. 1348. 61 Nachw. hierzu z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privatund Strafrecht, 2007, 288. 62 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 234, 403 Fn. 1763, 769 Fn. 3457; R. Geimer, AWD 1975, 86 Fn. 44. Zweifel bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 12, 381. 63 Beispiele: OLG Stuttgart v. 26.9.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), 487 (Münzberg) = IPRspr. 1983 Nr. 189: Verurteilung zum Anbringen eines Gitters auf spanischem Feriengrundstück bzw. zur Stellung eines Antrags auf Löschung eines Warenzeichens in den USA, OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141. S. auch OLG Frankfurt v. 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, 379 = EWiR 1991, 243 (Schuske) = IPRspr. 2000 Nr. 172; OLG Frankfurt v. 31.1.2002 – 1 W 20/01, InVo 2002, 518 = IPRspr. 2002 Nr. 208 sowie LG München I v. 24.8.2001, IPRspr. 2001 Nr. 113; Steinbrück, Die Unterstützung ausl Schiedsverfahren durch staatl. Gerichte, 2009, 464; m.w.N. bei Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 27; M. Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 1096 ff. 64 BGH v. 2.10.1956, BGHZ 22, 1 = NJW 1957, 140 = GRUR 1957, 215 = GRUR Int 1957, 182 = IPRspr. 1956–1957 Nr. 163; s. auch BGH v. 13.8.2009 – I ZB 43/08, FamRZ 2009, 2077 = IPRax 2013, 173 (Eichel 146) = NJW-RR 2010, 279 = ZZP 124 (2011), 123 (Heese 73) = MDR 2010, 51; Raape, IPR5, 640; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 243; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 188, 224; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im int. Verhältnis, 2005, 126;
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ausländischen Grundstücks oder Belastung desselben mit einem Recht sowie die Verurteilung zur Übertragung eines im Ausland registrierten gewerblichen Schutzrechts.65 Damit wird nicht in fremde Hoheitsrechte eingegriffen;66 denn die Anerkennung und Durchsetzung des Urteils im Ausland steht allein im Belieben des ausländischen Staates.67 Den ausländischen Erfüllungsort einer Leistung hat noch niemand als Hinder- 397 nis für eine Erfüllungs- oder Schadensersatzklage in Deutschland betrachtet (Rz. 935).68 Inländische Gerichte können auch verurteilen wegen einer Verletzung eines im 398 Ausland belegenen Rechtsguts, etwa eines Patents69 oder eines Warenzeichens;70 auch können sie z.B. zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten auf
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Schack, IPRax 2005, 262 (266); Weigel, Gerichtsbarkeit, int. Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 121; Steindorff, Sachnormen im IPR, 1958, 138 Fn. 1. Enger Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 456. S. auch Ahrens, Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterlassungs- und Beseitigungstiteln, in FS Schütze 80, 2014, 1, sowie unten Rz. 3235 ff. Nachw. auch bei Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 297 Fn. 37, 301; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 367 Fn. 325. Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 13 vor Art. IX EGJN. Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 243; Raape, IPR5, 640; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 297; Weigel, Gerichtsbarkeit, int. Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im dt. gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 121; Stauder, GRUR Int 1976, 474; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im IPR, 1938, 78 bei Fn. 176; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 190; Schack, IZVR6, Rz. 7792, 1072; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 17; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 27; BGH v. 2.10.1956, BGHZ 22, 1, 13: „Da das vom dt. Gericht erwirkte Urteil nur Wirkung im Inland erzeugt, bleibt die ausl. Souveränität unangetastet.“ Unklar OLG Nürnberg v. 5.4.1974, IPRspr. 1974 Nr. 188. Bedenken bei LG Düsseldorf v. 27.10.1966, GRUR Int 1968, 101 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 185. Wie hier OLG Nürnberg v. 16.9.1980 – 1 W 1404/80, OLGZ 1981, 115 = VersR 1982, 51 = IPRspr. 1980 Nr. 144. KG v. 5.12.1921, JW 1922, 400; OLG Nürnberg v. 16.9.1980 – 1 W 1404/80, OLGZ 1981, 115 = VersR 1982, 51 = IPRspr. 1980 Nr. 144 (Lieferung einer aus dem Ausland herbeizuschaffenden Sache, ja sogar Lieferung einer Sache von einem ausländischen Ort an einen anderen außerhalb Deutschlands); Remien, a.a.O., 300 Fn. 54; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 18; Mühlhausen, WM 1986, 388; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 81. OLG Düsseldorf v. 25.3.1966, OLGZ 1967, 61 = GRUR 1968, 100 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 183. BGH v. 2.10.1956, BGHZ 22, 1, 13 = NJW 1957, 140 = GRUR 1957, 215 = GRUR Int 1957, 182 = IPRspr. 1956–1957 Nr. 163. Das OLG Nürnberg v. 16.9.1980, IPRspr. 1980 Nr. 144 hat einen im Ausland wohnenden Erbschaftsbesitzer zur Auskunft und Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verurteilt; das LG Nürnberg-Fürth 14.11.1973 hatte einen italienischen Beklagten zur Überlassung eines Buchauszuges und zur Abrechnung in Rom verurteilt und für den Fall der Nichterfüllung Geld-, ersatzweise Haftstrafe angedroht sowie den Kläger ermächtigt, den Ausdruck durch einen Wirtschaftsprüfer in Rom erstellen zu lassen (hinsichtlich des letzten Punktes hob das OLG Nürnberg v. 5.4.1974, IPRspr. 1974 Nr. 188, das Urteil gem. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ (nunmehr Art. 22
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einer im Ausland stattfindenden Gesellschafterversammlung einer ausländischen Gesellschaft verurteilen.71 Das Gleiche gilt für die Verteilung des im Ausland belegenen ehelichen Vermögens (Hausrats) durch das Scheidungsgericht72 oder Betreten eines Grundstücks im Ausland.73 399 Bestritten ist, ob besondere völkerrechtliche Grenzen bei Unterlassungsklagen gegen fremde Staaten hinsichtlich acta iure gestionis bestehen.74 399a Ob der Befehl des inländischen Richters zu einem Tun oder Unterlassen in einem „Endurteil“ im normalen Zivilprozess ergeht oder in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine einstweilige Anordnung oder Verfügung, spielt keine Rolle. Denn auch das auf einstweiligen Rechtsschutz gerichtete Verfahren ist kein Vollstreckungsverfahren, sondern Erkenntnisverfahren sui generis.75 Daher bestehen z.B. gegen worldwide (Mareva) freezing injunctions76 keine völkerrechtlichen Bedenken,77 mit denen dem Schuldner (hinsichtlich dessen eine völkerrechtlich ausreichende Anknüpfung für die internationale Zuständigkeit [jurisdiction] vorliegt) verboten wird, sein Vermögen im Ausland dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen bzw. befohlen wird, Auskunft über sein Auslandsvermögen zu erteilen oder dieses in ein anderes Land zu
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Nr. 5 EuGVVO) auf, aber nicht wegen Fehlens der Gerichtsbarkeit nach Völkergewohnheitsrecht, sondern wegen internationaler Unzuständigkeit nach EuGVÜ. Zur Rückführung der (vom nicht sorgeberechtigten Elternteil) entführten Kinder aus dem Ausland nach Deutschland zum sorgeberechtigten Elternteil s. die Anordnung des italienischen Gerichts in dem Fall des OLG Bamberg v. 23.7.1986 – 7 UF 40/86, FamRZ 1987, 185 = IPRspr. 1986 Nr. 89. RG v. 17.6.1939, RGZ 111, 296 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 41. Österr. OGH v. 8.9.2005, ZfRV 2006, 37. BGH v. 13.8.2009 – I ZB 43/08, FamRZ 2009, 2077 = IPRax 2013, 173 (Eichel 146) = ZZP 124 (2011), 123 (Heese 73). Der 5. Senat des österr. OGH, JBl. 1988, 459 (dazu Heß, JBl. 1989, 285) verurteilte die (frühere) CˇSSR aufgrund einer privaten Bauverbotsklage (§ 364 II ABGB) dazu, den Bau des Atomkraftwerkes Mochovce zu unterlassen. Daraufhin wurde auch auf Verbot der Errichtung der Atomkraftwerke in Temelin geklagt. Der 6. Senat des OGH (Urt. v. 13.4.1989, n.v., teilw. zitiert bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 27) wies dagegen aus völkerrechtlichen Gründen die Klage als unzulässig ab, s. Rz. 583. S. auch (die Gerichtsbarkeit bejahend) österr. OGH v. 1.8.2003 – 10b 221/02K, IPRax 2005, 256 (Schack 262; Hager/Hartmann 266). Zustimmend Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 178; Leitzen, Die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen durch Schiedsgerichte nach § 1041 ZPO, 2002, 245; Schlosser in FS Odersky, 1996, 669, 676. Anders Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 326. Rechtsvergleichend zu den verschiedenen nationalen Systemen für den einstweiligen Rechtsschutz Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 157 ff.; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 31 EuGVVO Rz. 32 f. Zu diesem Rechtsinstitut Nachw. z.B. bei Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 153 ff.; J. Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, 2005; Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008, 2 ff. Zustimmend Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 222.
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übertragen, damit dort die Zwangsvollstreckung für den Gläubiger erleichtert wird78 (s. auch Rz. 2162). Soweit durch solche worldwide injunctions auch Dritten Befehle erteilt werden, 399b kommt es darauf an, ob es sich nur um Hinweise auf eine aus der Sicht des Forumstaates eingetretene Änderung der materiellen Rechtslage (z.B. keine schuldbefreiende Wirkung einer Zahlung an den Schuldner Rz. 408) handelt, die völkerrechtlich zulässig sind, oder ob dem Dritten ein Tun oder Unterlassen direkt befohlen wird, das gegebenenfalls durch Zwang im Forumstaat durchgesetzt wird (Rz. 400). In diesem Fall muss auch in Richtung gegen den Dritten ein „genuine link“ in dem oben Rz. 377 erörterten Sinne gegeben sein.79 Gerichtliche Gebote, die Prozessführung vor einem ausländischen Gericht zu 399c unterlassen bzw. durch Klagerücknahme zu beenden (anti-suit injunctions)80 sind jedenfalls im Prinzip kein Übergriff auf fremde Souveränität und daher völkerrechtskonform. Denn sie richten sich ausschließlich an die Parteien.81 An-
78 Zur worldwide Mareva injunction Albrecht, IPRax 1992, 185; Dohmann in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 160 und Koch in Schlosser, a.aO., 193; Hartwieg, JZ 1997, 381 (383); Grunert, Die „world-wide“ Mareva Injunction, 1998, 47 ff.; Heß, IPRax 1992, 201; Schack, IZVR6, Rz. 488. Zur internationalen Zuständigkeit Grunert, a.a.O., 134 ff. und zur Vollstreckbarerklärung englischer Freezing (früher: Mareva) Injunctions nach Art. 31 ff. EuGVÜ bzw. nunmehr Art. 38 EuGVVO OLG Karlsruhe, ZZPInt 1 (1996), 91 (Zuckermann/Grundert) = IPRspr. 1995 Nr. 166; Baumgartner, Die Anerkennung un Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz, Bd. 5, hrsg. von Leuenberger/Guy, 2004, 111, 123 ff.; Grunert, a.a.O., 159 ff.; vgl. Rz. 3230. 79 Ähnlich Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 141, sowie die englische Rspr., die jurisdiction über den Dritten voraussetzt, Heß, IPRax 1992, 201; vgl. auch Gottwald, IPRax 1991, 290 bei Fn. 72. 80 Hierzu z.B. Bermann, The Use of Anti-Suit Injunctions in International Litigation, Col. J. Trans.L. 28 (1990), 589; Berti, Englische anitsuit injunctions im europäischen Zivilprozessrecht in FS Siehr, 2000, 33; Hartley, Comity and the Use of Anti-Suit Injunctions in International Litigations, Am J. Comp. L. 35 (1987), 487; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozeßrecht, 1996, 191; Jegher, Abwehrmassnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 91 ff.; J. Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, 2005; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999; Mansel, EuZW 1996, 335; Graf von Praschma, Die Einwirkung auf ausländische Prozesse in Unterlassungs- und Schadensersatzklagen, 1971; Schack, IZVR6, Rz. 859; Stürner, ZZP 109 (1996), 224; Thiele, RIW 2002, 383. Instruktiv der „Laker-Fall“. Hierzu Lange, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, in Habscheid (ed.), Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 65; m.w.N. bei Schlosser, Anti-suit injunctions zur Unterstützung von internationalen Schiedsverfahren, RIW 2006, 486; C. Schmidt, Anti-suit injunctions im Wettbewerb der Rechtssysteme, RIW 2006, 492; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 85. 81 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 529. Mittelbar zielen die anti-suit injunctions sehr wohl dahin, auf die Beendigung des ausländischen Verfahrens zu erreichen, und zwar durch Druck auf den Kläger bzw. Antragsteller (mit contempt of court-Strafen), Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008, 2.
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Gerichtsbarkeit
ders wäre es, wenn ein deutsches Gericht einem ausländischen verbieten wollte, eine Klage zur sachlichen Entscheidung anzunehmen bzw. gebieten wollte, bestimmte Handlungen vorzunehmen bzw. in einem bestimmten Sinne zu entscheiden.82 399d Vollkommen unkompliziert ist insoweit die Judikatur des Bundesgerichtshofs83 zur universellen Wirkung des deutschen Insolvenzverfahrens (Rz. 3382, 3431) und des ihm gegebenenfalls vorausgehenden allgemeinen Verfügungsverbots (§ 21 II Nr. 2 InsO): Die weltweite Inanspruchnahme des Vermögens des Schuldners durch das deutsche Insolvenzverfahren sei völkerrechtlich unbedenklich, da ja die „Anerkennung“ der Wirkungen der vom deutschen Insolvenzgericht angeordneten Maßnahmen (Insolvenzbeschlag bzw. allgemeines Veräußerungsverbot) im Belieben der betroffenen fremden Staaten stehe (Rz. 408, 3451).84 2. Erzwingung eines Handelns im Ausland durch Zwang im Inland 400 Dies ist ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen völkerrechtlich zulässig.85
82 R. Geimer, ZfRV 1992, 338; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozeßrecht, 1996, 214 m.w.N. Anders wohl OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 VA 11/95, RIW 1996, 237 = IPRax 1997, 260 (Hau 245) = ZZP 109 (1996), 221 (kritisch Stürner) = EuZW 1996, 351 (Mansel 335) = EWiR 1996, 321 (Mankowski). 83 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, 159 = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265. 84 Ähnlich die Argumentation Kochs in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 178 bei Fn. 15 sowie die von Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 44, 116; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 103. Tiefergehend Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, 22 ff. 85 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 814 Fn. 6; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 216; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 299, 303, 304: „Dass ein Staat in seinem Gebiet auch Ausländer zu Handlungen oder Unterlassungen zwingen darf, steht außer Zweifel.“ S. auch die Stellungnahme der Bundesregierung, DB 1983, 1086. Zum Diskussionsstand Gottwald/Kolmann in Gottwald (ed.), Insolvenzrechts-Handbuch4, § 131 Rz. 57; Matscher in FS Verosta, 1980; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 15 vor Art. IX EGJN; Bosch, IPRax 1984, 132 sub IV 2; Großfeld, BerDGVR 18 (1978), 123. Zur grenzüberschreitenden Handlungsvollstreckung s. auch OLG Köln v. 3.6.2002, IPRax 2003, 446; Stadler, IPRax 2003, 430 (432); Schlosser, Grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit von Nicht-Geldleistungsurteilen, in FS Leipold, 2009, 435; Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 2011, 73; Gottwald/Kolmann, Insolvenzrechts-Handbuch4, § 131 Rz. 57. Zum Zwang gegen Beweispersonen s. unten Rz. 2381 sowie Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 164.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
Beispiel: Durchsetzung einer im Ausland zu erfüllenden Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtung gem. §§ 888, 890 ZPO86 oder einer Auskunftspflicht.87 (S. auch Rz. 182, 1221, 3226, 3235 ff.).
Ein Eingriff in die Souveränität des Heimat- bzw. des Wohnsitz-/Aufenthalts- 401 staates des Ausländers ist auch dann zu verneinen, wenn das Urteil bzw. die einstweilige Verfügung wie bei Verurteilung zur Unterlassung üblich (§ 890 II ZPO) Ordnungsgeld oder Haft für den Fall der Zuwiderhandlung androht.88 Denn die deutsche Entscheidung beansprucht vorbehaltlich einer Anerkennung im Ausland aufgrund des dortigen Anerkennungsrechts Geltung und Beachtung nur für die Hoheitssphäre der Bundesrepublik Deutschland.89 Dabei spielt es keine Rolle, dass sich die Zwangsmaßnahme gegen einen Ausländer richtet.90
86 BGH v. 14.2.2008 – III ZR 145/07, Rz. 12; OLG Frankfurt v. 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, 379 = EWiR 1991, 243 (Schuske) = IPRspr. 2000 Nr. 172; OLG Frankfurt v. 31.1.2002 – 1 W 20/01, InVo 2002, 518 = IPRspr. 2002 Nr. 208; Roßbach, NJW 1988, 592; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 19 Rz. 57 ff. A.A. Mann, RdC 111 (1964), 145; 186 (1984), 35, der die indirekte Erzwingung der jurisdiction to enforce zuordnet, die nur dem Aufenthaltsstaat bzw. Belegenheitsstaat zustehe. Hierzu Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 367. 87 OLG Köln v. 3.6.2002 – 11 W 16/02, RIW 2003, 71 (72) = IPRax 2003, 446 (Stadler 430); OLG München v. 21.9.2006 – 29 U 2119/00, IPRax 2007, 531, 534 (Rosenkranz 524); s. auch OLG Köln v. 2.12.2005 – 16 W 31/05, InVo 2006, 332 = IPRspr. 2005 Nr. 179: Art. 49 EuGVVO will nur gewährleisten, dass der mit der Vollstreckbarerklärung (Art. 38 EuGVVO) im Zweitstaat befasste Richter (Art. 39 EuGVVO), der mit dem Recht des Erststaats nicht vertraut ist, aus der erststaatlichen Entscheidung selbst ersehen können soll, wozu der Schuldner verurteilt worden ist. Nicht ausgeschlossen wird indes die Möglichkeit, dass im Zweitstaat nach dem dort geltenden Recht ein Zwangsgeld festgesetzt wird. Der Gläubiger hat also bei der Handlungsvollstreckung ein Wahlrecht, ob er im Erststaat die nach dem dortigen Recht möglichen Zwangsmaßnahmen erwirkt, oder ob er im Vollstreckungsstaat die dort möglichen Zwangsmittel beantragt, also in Deutschland solche nach §§ 887, 888 ZPO, OLG Köln v. 2.12.2005, a.a.O.; Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (14). 88 Sehr deutlich BGH v. 13.8.2009 – I ZB 43/08, FamRZ 2009, 2077 = IPRax 2013, 173 (Eichel 146) = ZZP 124 (2011), 123 (Heese 73); OLG Köln v. 3.6.2002 – 11 W 16/02, RIW 2003, 71 (72) = IPRax 2003, 446 (Stadler 430). S. auch OLG Hamburg v. 11.5.2005 – 5 W 44/05, NJOZ 2005, 2956 = IPRspr. 2005 Nr. 177 sowie OLG München v. 21.9.2006 – 29 U 2119/06, IPRax 2007, 531 (Rosenkranz 524). Anders Junker, Discovery im dt.-am. Rechtsverkehr, 1987, 386, 375; Shingleton/Wilmer, RIW 1991, 800 Fn. 59; Baur/Stürner/ Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht13, Rz. 57.14 ff.; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 79; Heese, Sachaufklärung mittels exterritorialer Handlungsvollstreckung, ZZP 2011, 73 (88 ff.); m.w.N. bei Eichel, IPRax 2013, 146 (147). 89 Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 178, 196. Zur Zustellung s. Rz. 408. Zu Zwangsmitteln Junker, a.a.O., 326. Die worldwide Mareva injunctions werden in England durch contempt of court orders vollstreckt; vgl. auch Gottwald, IPRax 1991, 291 Fn. 90. Zur Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. EuGVVO a.F. OLG Karlsruhe v. 19.12.1995 – 9 W 32/94, ZZPInt 1 (1996), 91 (Zuckermann/Grundert). 90 OLG Köln v. 2.11.2001 – 27 WF 194/01, FamRZ 2002, 895 = OLGR 2002, 67 = JMBl. NRW 2002, 100; OLG Köln v. 3.6.2002 – 11 W 16/02, RIW 2003, 71, 72 = IPRax 2003, 446 (Stadler 430). S. auch OLG Hamburg v. 11.5.2005 – 5 W 44/05, NJOZ 2005, 2956 =
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
402 Die Übermittlung der Androhung auf dem Postweg in den Wohnsitz-/Sitzstaat des Zustellungsadressaten ist kein Eingriff in die fremde Souveränität. Es handelt sich lediglich um die Mitteilung, dass in der Hoheitssphäre der Bundesrepublik Deutschland Zwangsmaßnahmen ergriffen werden.91 Deshalb haben die Landesjustizverwaltungen deutsche gerichtliche Entscheidungen, welche die Androhung von Zwangsgeld oder Haft enthalten, weiterzuleiten.92 Auch die Erledigung von Zustellungsersuchen ausländischer Gerichte darf vice versa von den deutschen Justizverwaltungen als Rechtshilfebehörden nicht abgelehnt werden, wenn es sich um sub poena-Anordnungen von US-Gerichten nach FRCP 37, 45 handelt.93 403 Das OLG Stuttgart94 hält die Ermächtigung zur Ersatzvornahme durch Erlaubnis des Betretens eines im Ausland gelegenen Grundstücks für unzulässig, weil nur der Belegenheitsstaat die Erlaubnis zum Betreten eines Grundstücks gegen den Willen des Eigentümers aussprechen könne (Rz. 3226). Dies trifft nicht zu; denn die deutsche Ermächtigung bindet nur die deutschen Rechtsanwendungsorgane.95 Was der Gläubiger mit dieser Ermächtigung im Ausland anfangen kann, ist seine Sache.96 Dagegen will auch das OLG Stuttgart97 unmittelbaren Zwang (Anordnung eines Zwangsgeldes nach § 888 ZPO) zulassen, weil der Zwang nur in
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IPRspr. 2005 Nr. 177; A. Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004, 151. Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. ist nicht Niederschlag geltenden Völkergewohnheitsrechts, s. Rz. 435. Deshalb bedarf es in diesem Zusammenhang hier nicht der Klärung der Frage, ob diese Vorschriften äußerste Abmarkungen für die Abgrenzung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren bringen. Diese ist bedeutsam bei der Personalexekution. Nach h.M. können Zwangsgelder (astreinte) in allen Mitgliedstaaten im Wege der Geldvollstreckung durchgesetzt werden. Dagegen plädiert Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (15) für eine restriktive Auslegung, weil Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. den Grundsatz der souveränitätswahrenden Aufgabenteilung zwischen Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat festschreibe. Dem Gerichtsstaat sei im Hinblick auf Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. nicht erlaubt, durch Zwangsgeld (astreinte) ein Verhalten im Zweitstaat zu erzwingen. Anders z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 256. OLG Köln v. 3.6.2002 – 11 W 16/02, RIW 2003, 71 (72) = IPRax 2003, 446 (Stadler 430). Enger Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 65. OLG Stuttgart v. 26.9.1983 – 11 W 43/83, ZZP 97 (1984), 487 = IPRspr. 1983 Nr. 189, Rz. 3226; zustimmend Mühlhausen WM 1986, 989. Vgl. auch OLG Frankfurt v. 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, 379 = EWiR 1991, 243 (Schuske) = IPRspr. 2000 Nr. 172 sowie OLG Frankfurt/M. v. 31.1.2002 – 1 W 20/01, InVo 2002, 518 = IPRspr. 2002 Nr. 208. BGH v. 13.8.2009 – I ZB 43/08, FamRZ 2009, 2077 = IPRax 2013, 173 (Eichel 146) = NJW-RR 2010, 279 = ZZP 124 (2011), 123 (Heese 73); Münzberg, ZZP 97 (1984), 490; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 214. Im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf v. 21.1.2004 – 16 W 50/03, InVo 2004, 385 = IPRspr. 2004 Nr. 183. Im Anschluss an KG v. 5.12.1921, JW 1922, 400.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
den Grenzen der inländischen Staatsgewalt gegen den Schuldner ausgeübt werde.98 Das Völkergewohnheitsrecht verbietet nicht, von einem Ausländer zu verlangen, 404 dass er in seinem Heimat- oder Wohnsitzstaat gegen dort geltende Gesetze verstößt (Rz. 176).99 Dieses Thema ist besonders aktuell im Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika.100 3. Zwangsvollstreckung Das Zugriffsrecht des Vollstreckungsstaates ist nach allgemeinem Völkerge- 405 wohnheitsrecht auf die in seinem Hoheitsgebiet oder in staatsfreien Gebieten gelegenen Gegenstände beschränkt (Rz. 3200). Vollstreckungsmaßnahmen in Gegenstände, die in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates belegen sind, sind ausschließlich Angelegenheiten dieses Staates.101 Ob ein Gegenstand im Vollstreckungsstaat zu lokalisieren ist, bestimmt dessen 406 innerstaatliches Recht. Das Völkerrecht verfügt über keine ausgefeilte Qualifikationsrechtsordnung, stellt aber äußerste Grenzen für den innerstaatlichen Gesetzgeber/Richter auf. Es verbietet, ein Objekt im Vollstreckungsstaat „anzu-
98 Ebenso OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141; OLG Frankfurt v. 14.12.2000 – 5 W 21/00, RIW 2001, 379 = EWiR 1991, 243 (Schuske) = IPRspr. 2000 Nr. 172; OLG OLG Frankfurt/M. v. 31.1.2002 – 1 W 20/01, InVo 2002, 518 = IPRspr. 2002 Nr. 208; Gottwald in FS Habscheid, 1989, 119, 121; Gottwald, IPRax 1991, 291 Fn. 990; Leitzen, Die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen durch Schiedsgerichte nach § 1041 ZPO, 2002, 245. Enger Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 302. Weitere Nachw. bei Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009. 99 A.A. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1189: „Die Herbeiführung einer unentrinnbaren Konfliktsituation für den unschuldigen Einzelnen durch einander widersprechende Gebote verstößt aber gegen den Grundgedanken des (völkerrechtlichen) Fremdenrechts, wonach die Staaten untereinander verpflichtet sind, in der Person der Ausländer die Menschenwürde zu achten.“ Ebenso Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 493 Fn. 59; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 377, 389. Weitere Nachw. bei Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988, 349 ff. 100 Das deutsche Recht kennt keine massiven blocking statutes, sondern nur die moderate Regelung in §§ 11, 17 Seeaufgabengesetz i.d.F. der Bekanntmachung v. 18.9.1998, BGBl. I 1998, 2986. S. hierzu oben Rz. 176. Nachw. zum Stand des Justizkonflikts z.B. bei Krätzschmar in FS Hay, 2005, 241; Prütting in FS Jayme, 2004, 709; RasmussenBonne in FS Hay, 2005, 323. 101 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 (19) = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 367; Mack, Internationale Zuständigkeit englischer Gerichte bei grenzüberschreitende Forderungspfändungen, IPRax 2005, 553. S. auch Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 105 ff.; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 79.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
siedeln“, wenn kein vernünftiger Anknüpfungspunkt vorhanden ist.102 Die völkerrechtliche Toleranzschwelle ist überschritten, wenn kein Kriterium die Wertung, der Gegenstand sei im Inland belegen, sachlich rechtfertigen kann.103 (S. auch Rz. 579, 582). 407 Völkerrechtlich relevant für die aus der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland fließende „Vollstreckungsgewalt“ ist allein die Belegenheit des Schuldnervermögens im Inland. Wo sich der Schuldner aufhält, ist ohne Bedeutung, ebenso, ob aufgrund eines inländischen oder ausländischen (nach § 722 ZPO, § 110 FamFG bzw. den einschlägigen Parallelvorschriften des Vertragsrechts, z.B. Art. 31 ff. EuGVÜ/LugÜ, oder nach Art. 38 LugÜ für vollstreckbar erklärten) Titels vorgegangen wird. Völkerrechtlich verbindliche Regeln über die Lokalisierung von Forderungen sind nicht feststellbar (Rz. 3212).104 § 23 Satz 2 ZPO ist nicht Niederschlag geltenden Völkerrechts. Auch andere sinnvolle Anknüpfungen für die fiktive Belegenheit von Forderungen sind völkerrechtskonform.105 408 Die Pfändung von Forderungen des Vollstreckungsschuldners gegen Drittschuldner im Ausland ist völkerrechtlich zulässig, solange klargestellt ist, dass keine extraterritoriale Wirkung des inländischen Vollstreckungsaktes, d.h. keine extraterritoriale Zwangswirkung, beansprucht wird.106 Die Anerkennung der Wirkungen des deutschen Vollstreckungsaktes im Ausland ist Sache des dort geltenden Anerkennungsrechts.107 Das Verbot, an den Vollstreckungsschuldner 102 S. auch BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 9/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 198 = RIW 2006, 60 = WM 2005, 2274 = IPRax 2007, 128 (Dutta 109) = SchiedsVZ 2006, 47 (Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 118. 103 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 173 Fn. 286. 104 Schack, IZVR6, Rz. 1086; Mack, Internationale Zuständigkeit englischer Gerichte bei grenzüberschreitende Forderungspfändungen, IPRax 2005, 553; Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, 188 f.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 87, 91; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 99. 105 Karen Ilka Mössle, Internationales Forderungspfändung, 1991, 29, 96, 116. Weniger dezidiert Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 336. 106 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 21 vor Art. IX EGJN. Zu eng Jestaedt, IPRax 2001, 438 (439). Nachw. bei Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 160 ff.; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung am Beispiel der Forderungspfändung, 2013; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung, 2015; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung zwischen Territorialitätsprinzip, Gläubigerinteressen und Schuldnerschutz, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 109, 112 ff.; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 93, 125. 107 Zur int. Forderungspfändung Schack, Rpfleger 1980, 176; Schack, IZVR6, Rz. 1086; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 218; R. Geimer, IPRax 1986, 208; Mühlhausen, WM 1986, 959; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 19 Rz. 78 ff., 67; m.w.N. bei Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 53.
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Dritter Teil
zu bezahlen (§ 829 I 1 ZPO), ist nicht etwa ein völkerrechtswidriger Befehl an den Drittschuldner, sondern lediglich die Mitteilung, dass eine Leistung des Drittschuldners an den Schuldner nicht (mehr) als schuldbefreiend im Inland angesehen wird.108 Dieser Rechtsansicht haben sich 1998 auch die deutschen Justizverwaltungen 408a als Rechtshilfebehörden in Abkehr von ihrer bisherigen Praxis angeschlossen (Rz. 1229, 2165). Sie leiten deutsche Zustellungsersuchen in das Ausland weiter und lehnen ausländische Ersuchen um Zustellung an in Deutschland domizilierte Drittschuldner nicht mehr ab, seit § 28 II (nun: § 29 II) bzw. § 59 (§ 84) ZRHO geändert worden sind.109 Im Übrigen richtet sich die deutsche Vollstreckungsmaßnahme nicht gegen den 408b Drittschuldner, sondern gegen den Vollstreckungsschuldner.110 Aber selbst wenn man der Auffassung ist, dass auch gegenüber dem Drittschuldner „Vollstreckungsgewalt“ bei der Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) ausgeübt wird,111 findet der Hoheitsakt im Inland statt. Die völkerrechtlichen Grenzen der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland werden daher nicht überschritten.112 (S. auch Rz. 610, 3451). 108 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127. Ebenso BGE 52 III 1 zur Drittschuldneranzeige nach Art. 99 SchKG, die das BG mit der (privatrechtlichen) Zessionsanzeige gleichsetzt. Ebenso nun auch Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 138. Kritisch Karen Ilka Mössle, a.a.O., 49, 229 sowie Stein/Jonas, ZPO22, § 828 Rz. 24. Anders aber (wie hier) Rz. 28 Fn. 157: „Das Zahlungsverbot ist kein Verhaltensgebot und verletzt fremde Hoheitsrechte nicht.“ Weitere Nachw. bei Audétat, Die int. Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 221 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 83. 109 Vgl. z.B. BayJMinBl 1999, 48; hierzu Gottwald, IPRax 1999, 395; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 138; Mack, Internationale Zuständigkeit englischer Gerichte bei grenzüberschreitende Forderungspfändungen, IPRax 2005, 553 (554); Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im int. Rechtsverkehr, 2007, 29. Nach wie vor streng am Souveräntitätsverletzungsdogma festhaltend und gegen die liberalere deutsche Praxis protestierend die Schweiz, hierzu Nachw. bei Audétat, a.a.O., 107, 180 Fn. 787, 229. 110 Zustimmend Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im int. Rechtsverkehr, 2007, 29; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 82; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 143. 111 Mühlhausen, WM 1986, 959 Fn. 14. S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 224. 112 Gottwald, IPRax 1991, 289 bei Fn. 54; Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 201. „Denn das Territorialitätsprinzip verbietet nur Gewaltanwendung auf fremdem Gebiet, nicht aber den Erlaß von Hoheitsakten mit intendierter Auslandswirkung, die tatsächlich aber erst durch Mitwirkung des Auslands erreicht wird.“ Vgl. auch Rz. 169. Deutlich auch BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159) = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265 zur völkerrechtlichen Unbedenklichkeit des allgemeinen Veräußerungsverbotes nach § 106 I 2, 3 KO: „Die ausländische Hoheitsgewalt wird durch die Erstreckung eines allgemeinen Veräuße-
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Gerichtsbarkeit
409 Völkergewohnheitsrechtlich verboten ist nur die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch deutsche Staatsorgane auf dem Hoheitsgebiet eines fremden Staates,113 nicht jedoch die Ausübung inländischer Staatsgewalt im staatsfreien Raum (See, Luftraum) und die Ausübung von Staatsgewalt auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen (die durch Flagge bzw. durch Registrierung zur Bundesrepublik Deutschland gehören), ohne Rücksicht darauf, ob die Adressaten von Verhaltensnormen eine persönliche Verknüpfung zum Inland haben (Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz, Rz. 371, 1221).114 410 Deutschland kann als Flaggen- bzw. Registrierungsstaat menschliches Verhalten auf dem Schiff bzw. in dem Luftfahrzeug durch seine Vollstreckungsorgane erzwingen, auch wenn das Fahrzeug sich außerhalb deutschen Staatsgebiets befindet. Ausnahme: Wenn sich das Schiff oder Luftfahrzeug innerhalb fremden Staatsgebietes, also in den Gewässern bzw. in dem Luftgebiet eines anderen Staates befindet.115 411 Umgekehrt sind fremde Schiffe und Luftfahrzeuge in deutschem Hoheitsgebiet von der deutschen Gerichtsbarkeit nicht befreit, ausgenommen Staatsschiffe nach Maßgabe der Art. 95 und 96 des VN-Seerechtsübereinkommens vom 10.12.1982116 bzw. (früher) des Abkommens vom 10.4.1926117, Rz. 597118 und Schiffe in Seenot, die sich „wider Willen“ im Hafen befinden, hinsichtlich von Vorgängen, die sich vor dem Anlaufen des Hafens ereignet haben.119 Eine andere Frage ist, ob Deutschland für Streitigkeiten, die an Bord des Schiffes entstanden sind, eine internationale Zuständigkeit eröffnet.120
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rungsverbots auf das Auslandsvermögen ebenso wenig berührt wie durch die Einbeziehung ausländischen Vermögens in die Wirkungen des Konkursbeschlags; denn der ausländische Staat hat es in der Hand, ob er nach seinem Recht den Hoheitsakt des fremden Staates anerkennen will. Auch wenn das ausländische Recht den gegen ein Veräußerungsverbot verstoßenden Rechtserwerb eines (künftigen) Konkursgläubigers unbeschränkt zulässt, weil es das (vom deutschen Gericht erlassene) Veräußerungsverbot nicht anerkennt, ist daraus nicht zu folgern, dass durch einen solchen Rechtserwerb erlangte Vermögensvorteile nach deutschem Konkursrecht anerkannt werden müssten.“ Enger aber BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = IPRax 1997, 335 (Schack 318) = BB 1997, 1642 = ZIP 1996, 2031 = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194. Wie hier auch Lange, Internationale Rechtsund Forderungspfändung, 2004, 164; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 53. Z.B. Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 70. S. auch Domej in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 109, 112 ff. Frankenstein, IPR I, 1926, 105. Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 22. BGBl. II 1994, 1799. RGBl. II 1927, 483, 661. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 409, 411, 475; Stein/v. Buttlar, Völkerrecht12, Rz. 281 und 612; Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Internationales Vertragsrecht 2, Art. 11 Rom I-VO Rz. 73. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 412. Dies hält Geffken, NJW 1969, 1739 nicht klar genug auseinander.
Begriff und Grenzen
Dritter Teil
Beispiel: Arbeitsgerichtliches Verbot eines Seeleutestreiks auf ausländischem Schiff, das im Hamburger Hafen liegt (Rz. 1522).
Art. 20 II des Genfer Übereinkommens über das Küstenmeer und die Anschluss- 412 zone vom 29.4.1958121 bestätigt das Recht des Küstenstaates, gem. seinen Gesetzen Vollstreckungs- oder Sicherungsmaßnahmen in Zivilsachen gegen ein in seinem Küstenmeer122 liegendes oder dieses nach Verlassen der inneren Gewässer durchfahrendes Schiff zu ergreifen.123 Ebenso Art. 28 II der VN-Seerechtskonvention vom 10.12.1982.124 Zivilrechtliche Verfahren und Urteile oder sonstige Titel gegen Personen an Bord oder Verfahren gegen das Schiff berechtigen den Küstenstaat nicht, die Durchfahrt zu stören. Nur Vorgänge, die mit der Durchfahrt in Zusammenhang stehen, z.B. Zusammenstoß in den Küstengewässern oder Nichterfüllung der Verpflichtungen auf Grund von Lotsen- und Schleppdiensten, berechtigen, gegen das Schiff vorzugehen.125 Jedoch unterliegen im Küstenmeer liegende oder innere Gewässer durchfahrende Handelsschiffe vorbehaltlos der Gerichtsbarkeit des Küstenstaates. Dagegen können sich Kriegsschiffe und sonstige Staatsschiffe, die nicht dem Handel dienen, auf Immunität berufen.126 Für Luftfahrzeuge regelt das Nähere das Abkommen zur Vereinheitlichung von 413 Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen vom 29.5.1933.127 4. Zustellungen a) Förmlich beurkundete Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks Die deutsche ZPO verlangt förmlich beurkundete Übergabe der Klage- bzw. An- 414 tragsschrift auch dann, wenn sich der Zustellungsadressat im Ausland aufhält. Da die Zustellung anders als z.B. im englischen und US-amerikanischen Recht128
121 BGBl. II 1972, 1089. 122 Definiert in Art. 3 ff. der VN-Seerechtskonvention v. 10.12.1982. Hierzu z.B. von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 796 ff. 123 Hierzu passim Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 230. 124 BGBl. II 1994, 1799. 125 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 435 (§ 68 V 1). S. auch die Nachw. bei Birkner, Die Durchfahrtsrechte von Handels- und Kriegsschiffen durch die türkischen Meerengen, 2002; Schult, Das völkerrechtliche Schiffssicherheitsregime, 2005; Yang, Jurisdiction of the Coastal State over Foreign Merchant Ships in Internal Waters and the Territorial Sea, 2006. 126 Art. 32 VN-Seerechtsübereinkommen. 127 RGBl. II 1935, 302. Hierzu Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 149; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 226. 128 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 24; Report of the Committee on International Judicial Cooperation, prepared by Jones/Amram, Bases for Agreement between Civil Law and Common Law Countries, IBA, 7th Conference Report, 1958, 501. Für USA s. FRCP 4. Hierzu Stürner, JZ 2006, 60 (63).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
nicht Aufgabe der Parteivertreter129 ist, sondern als Hoheitsakt des Gerichts aufgefasst wird,130 dürfen deutsche Justizorgane einschließlich deutscher Gerichtsvollzieher, da auch diese insoweit hoheitlich tätig sind nicht auf fremdem Hoheitsgebiet agieren,131 es sei denn, es geschieht mit Zustimmung des betroffenen Staates.132 Die Folge ist, dass die deutschen Gerichte die Rechtshilfe ausländischer Staaten in Anspruch nehmen müssen, § 183 I Satz 2 Alt. 2 ZPO (Rz. 1929, 2095). 415 Die Zustellung an die diplomatische Vertretung des Heimat- bzw. Aufenthaltsstaates des Beklagten in Deutschland sieht das deutsche Recht nicht vor. Sie wäre völkerrechtswidrig, sofern diese nicht annahmebereit ist (Rz. 656).133 Die Zustellung der Klage durch den Gerichtsvollzieher „at the door“ oder „within the premises of the mission“ würde zwar auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland stattfinden,134 aber die durch Art. 22 WÜD gewährleistete Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission tangieren.135 Das Gleiche gilt für die Zustellung durch die Post. Dies steht zwar nicht in Art. 22 WÜD; aber „it was the unanimous interpretation of the Committee that no writ could be served, even by post, within the premises of the diplomatic mission“.136 415a Die Zustellung an Personen auf einem unter ausländischer Flagge fahrenden Schiff, das in einem inländischen Hafen ankert, ist völkerrechtlich erlaubt. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich (zollrechtlich) um einen Freihafen handelt. In jedem Fall liegt eine Inlandszustellung vor.137 129 Ausnahme: § 195 ZPO, welcher die Zustellung von Anwalt zu Anwalt regelt. 130 BGH v. 24.2.1972 – II ZR 7/71, BGHZ 58, 177 (179) = NJW 1972, 1004 (R. Geimer 1624); BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (372); Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung Internationale Zustellung, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht, Bd. 10, 1999, 99. Weitere Nachw. bei G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 23 Fn. 93, 129 ff.; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 154 ff.; Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 181 ff. 131 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 92; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 456; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987, 169; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 99 ff. S. auch die Nachw. aus der Schweizer Praxis bei Müller/Wildhaber, Praxis des Völkerrechts3, 428. 132 Beispiel: Zustellung durch deutschen Konsularbeamten. 133 Vgl. auch Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 201. 134 Der Ausdruck „Exterritorialität“ ist schief, s. Rz. 780. 135 Sie ist zur Entgegennahme nicht verpflichtet, jedoch berechtigt, Matscher in Fasching/ Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 201. Vgl. auch Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005, 224. 136 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, Stand: August 2007 (3. Lfg.), 2008, § 5 Rz. 50. Vgl. auch unten Rz. 649, 2144. 137 A.A. LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142: Nach gefestigtem internationalen Seerecht unterliege die Ausübung der Gerichtsbarkeit über in ausländischen Hoheitsgewässern ankernde Handelsschiffe und ihrer ausländischen Besatzung der Gerichtsbarkeit des Heimatstaats
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Dritter Teil
b) Übersendung durch die Post Die Übermittlung einer Ladung, eines Schriftsatzes oder einer gerichtlichen Ent- 416 scheidung durch schlichten Postbrief ins Ausland (d.h. in den Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsstaat des Adressaten) ist nach Völkergewohnheitsrecht keine Verletzung der Souveränität des ausländischen Staates (in dem der Empfänger sich aufhält); denn der deutsche Hoheitsakt wird in Deutschland gesetzt (Rz. 2083, 2174). Dort ergeht die Ladung bzw. wird das Urteil oder der Beschluss erlassen. Die Übersendung ins Ausland auf dem Postweg dient lediglich der Benachrichtigung (über einen in Deutschland vollzogenen Hoheitsakt).138 Das Verbot, Hoheitsakte auf fremdem Hoheitsgebiet zu setzen (Rz. 371), wird nicht verletzt (Rz. 2083).139 Die Auffassung, die Zustellung durch die Post verletze die Souveränität des 417 Adressatenstaates140, hat keine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht141; die Staatenpraxis142 ist anders. Der anglo-amerikanische Rechtskreis kann mit der
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des Schiffes mit der Folge, dass grundsätzlich nur ab Reeling eine Zustellung nach §§ 199, 208 ZPO a.F. (= § 183 n.F.) in Betracht kommen könne. Eine Zustellung nach §§ 180, 208 ZPO a.F. sei nur bis zur Reeling des Motorschiffes vorzunehmen und nicht an Bord auszuführen. Eine Ausnahme gelte nur, wenn der Kapitän zur Zustellung an Bord seine Zustimmung erteilt. Zustimmend Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 377 Rz. 18; Im gleichen Sinne auch österr. OGH v. 20.4.1961, EvBl. 1961, 448; Ls. auch abgedruckt bei Neuhold/ Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 93 S. 167. R. Geimer, FamRZ 1975, 218; OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, FamRZ 1985, 1278, 1279; OLG München v. 30.12.1986 – 7 W 3138/86, RIW 1987, 153 (154); Nagel, IPRax 1984, 240; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 456 (für bloße Mitteilungen ohne rechtsgestaltende Wirkungen); LG Danzig v. 9.5.1936, ZaöRV 7 (1937) 448 (Tabouillot) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 684 (Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hinsichtlich Erbanteilen); a.A. Rosenbaum, Die Zwangsvollstreckung in Forderungen im internationalen Rechtsverkehr, 1930, 45; Wengler, Völkerrecht II, 1964, 962; Schmitz, Fiktive Auslandszustellung, 1980, 102; Martiny in Handbuch des IZVRs, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 150; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 95; Peter, Umweltschutz am Hochrhein, 1987, 61 Fn. 108; 148 Fn. 79; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 327 Fn. 63; Seidl-Hohenveldern/ Stein, Völkerrecht10, Rz. 1506; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996, 170; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 285; BGH v. 24.2.1972 II ZR 7/71, BGHZ 58, 177 (179). Enger wohl auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 241. Zur Staatenpraxis Siegrist, a.a.O., 173. Zum service by mail aus US-Sicht s. auch Casad/Richman, Jurisdiction in Civil Actions, Territorial Basis and Process Limitations on Jurisdiction of State and Federal Courts3, vol. 1, 509. Hierzu M. Vollkommer, ZZP 80 (1967), 258. Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, 113. Vgl. die Zusammenstellung zu § 31 des österr. Rechtshilfeerlasses für Zivilrechtssachen, 1983, abgedruckt in Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen Rechtshilfeerlaß 1997, Staatsverträge über Rechtshilfe und Vollstreckung, 1998, 59. Enger das Kreisschreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements v. 17.5.1960 betr. Zustellungen von Akten ins Ausland durch die Post, Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide, 1960, 134; hierzu Hau-
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Dritter Teil
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Vorstellung, die Zustellung sei ein Hoheitsakt, „überhaupt nichts anfangen“ (Rz. 2075).143 418 Auch nach den Haager Konventionen ist die Zustellung durch die Post grundsätzlich möglich, Art. 6 Nr. 1 HZPÜ, Art. 10 Buchst. a HZÜ. Zwar hat Deutschland der Postzustellung widersprochen, Rz. 2176. Dies bedeutet nur, dass die Vertragsstaaten dieser Haager Konventionen nicht in die Bundesrepublik Deutschland per Postbrief zustellen dürfen, aber nicht, dass deutsche Gerichte durch die Konvention gehindert werden, in das Ausland durch Postbrief zuzustellen, sofern der Staat, in dem zugestellt werden soll, keinen Vorbehalt erklärt hat.144 Daher ist z.B. die Übersendung der deutschen Klageschrift in die USA völkerrechtlich unbedenklich.145 § 6 Satz 2 des deutschen Ausführungsgesetzes zu den Haager Zustellungs- und Beweisübereinkommen vom 22.12.1987146 („Eine Zustellung nach Art. 10 des Übereinkommens findet nicht statt.“) legt jedoch nach bisher h.M. (Rz. 2085) den deutschen Gerichten ein Verbot auf: Sie haben Auslandszustellungen durch Postbrief zu unterlassen.147 419 Außerhalb der Konventionen und außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Unionsrechts148 ist Deutschland frei. Es besteht keine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht zur Unterlassung der Übermittlung durch Postbrief gegenüber Nichtvertragsstaaten. Die Praxis der einzelnen Staaten auf dem Gebiet des Zustellungswesens war und ist viel zu unterschiedlich, als dass sich feste (völkerrechtlich verbindliche) Regeln hätten entwickeln können.149
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ser/Hauser, Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, 1978, Art. 125 Anm. 6, Art. 192 Anm. 3 III 2. Weniger deutlich nunmehr Hauser/Schweri, GVG Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, 2002, § 114 Rz. 9. Zu zaghaft daher § 183 I Nr. 1 ZPO. S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 58 und Rasmussen-Bonne, The Pendulum swings back: The Cooperative Approach of German Courts to International Service of Process, in Liber Amicorum Tibor Várady, 2009, 231, 239. Anders Art. 11 II 2 des Europäischen Übereinkommens v. 24.11.1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland, BGBl. II 1981, 533; hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 184. Junker, IPRax 1986, 204; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 77; a.M. Hauser/Hauser, a.a.O., § 192 Anm. 4. Wohl auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 43. Das Gleiche gilt für die weiteren in Art. 10 HZÜ genannten Zustellungvarianten. Ebenso für Art. 10 lit. c HZÜ LG Hamburg v. 7.2.2013 – 327 O 426/12, GRUR-RR 2013, 230; Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 6 m.w.N. S. auch Rz. 2178d. BGBl. I 1087, 3105. Art. 103 I GG gebietet, dass das Gericht alle Anstrengungen unternimmt, den Beklagten von dem gegen ihn laufenden Verfahren in Kenntnis zu setzen, s. Rz. 2087 und auch Rz. 131. Auch das völkerrechtliche Prinzip der Reziprozität verlangt insoweit keine Zurückhaltung, s. Rz. 226a und auch Rz. 2102, 2916 und 2920. Innerhalb der EU kommt Art. 14 der VO (EG) Nr. 1393/2007 v. 13.11.2007 (s. Rz. 245c, 2074a) zur Anwendung, s. Rz. 2085a, der die Zustellung durch die Post erlaubt. Zustimmend Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 83. Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozeß, 2000, 103. Vgl. z.B. die von US-Gerichten praktizierten bzw. zugelassenen Übermittlungsformen, FRCP 4
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Dritter Teil
c) Persönliche Übergabe an den Empfänger im Parteibetrieb unter Umgehung der Zustellungsorgane des Aufenthaltsstaates des Empfängers Bei dieser Zustellungsvariante wird das zuzustellende Schriftstück nicht von 420 einem Justizorgan des Forumstaates übergeben, sondern von einem Privaten (z.B. Anwalt), der im Auftrag einer Partei handelt.150 Hoheitliches Handeln liegt nicht vor. Eine solche Zustellungsform ist daher vom Völkergewohnheitsrecht nicht verboten.151 Auch Art. 10 Buchst. c HZÜ lässt sie zu. Jedoch hat Deutschland dagegen Wider- 421 spruch (Art. 21) erhoben, vgl. § 6 II AusfG. Dies bedeutet aber nur, dass die Gerichte der übrigen Vertragsstaaten Privatzustellungen nach Deutschland nicht zulassen bzw. akzeptieren dürfen,152 jedoch nicht weil insoweit nicht das Gegenseitigkeitsprinzip gilt –,153 dass diese Zustellungsform nicht in den Vertragsstaaten, die keinen Widerspruch erklärt haben (z.B. USA) für deutsche Prozesse praktiziert werden dürfte (Rz. 226a). Doch hat dies keine aktuelle Bedeutung, weil die ZPO eine solche Übermittlungsart nicht vorsieht und sie auch von den Gerichten (bisher) nicht geduldet wird (vgl. aber Rz. 252).
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(i) (1). Hierzu Nachw. z.B. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 85. S. auch Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 33. Völlig anders die Sicht von Meessen in Habscheid/Beys, Grundfragen des ZPR, 1991, 218, 220: „Das Völkerrecht würde es gestatten, dass sich ein Staat gegenüber der Außenwelt völlig abschirmt … Die Grenze kann von jedem Staat in einer Dichte gezogen werden, wie es diesem beliebt.“ Auch die schweizerische Praxis setzt eine (stillschweigende) Duldung des Aufenthaltsstaates des Zustellungsadressaten voraus, Nachw. bei Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 228 und G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 136 ff. Vgl. z.B. FRCP 4 (i) (1) (C); hierzu Hollmann, RIW 1982, 793; Koch, IPRax 1985, 245; Kochinke/Horlick, RIW 1982, 80; Ristau, International Judicial Assistance: Civil and Commercial, 1984, 58 (§ 33); Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 85. M. Vollkommer, ZZP 80 (1967), 260. A.A. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 123. Nachw. bei Merkt, Abwehr der Zustellung von punitive damages-Klagen, 1995, 29 ff.; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, Rz. 240. S. auch Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005, 224. Kronke, IPRax 1995, 256; Schack, IZVR6, Rz. 682; Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 183 Rz. 11. A.A. Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 130; Kondring OLG Hamm v. 30.9.1994 35 U 29/94, RIW 1996, 722 (723); Jastrow, NJW 2002, 3382 (3383 Fn. 13). Etwas anderes gilt nach einer in der Literatur vertretenen Meinung, wenn der betreffende Vertragsstaat ausdrücklich von der Möglichkeit gem. Art. 21 I der Wiener Vertragsrechtskonvention v. 23.5.1969 Gebrauch gemacht hat, seinerseits im bilateralen Verhältnis die Wahrung der Gegenseitigkeit zu verlangen, hierzu z.B. Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 183. Doch kommt die Wiener Konvention nicht zur Anwendung, da das HZÜ diesen Punkt abweichend normiert hat, Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 6.
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d) Unmittelbare Zustellung im Ausland durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Gerichtsstaats 422 Eine solche ist nach Völkergewohnheitsrecht nicht zulässig, auch nicht nach den Wiener Konventionen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen.154 Eine Ausnahme behauptet Damian155 für die Zustellung der Klage gegen einen fremden Staat: „… denn die Organe des Forumstaates und des fremden Staates begegnen sich auf einer Ebene der Gleichordnung. Die diplomatische Zustellung ist daher kein Hoheitsakt im völkerrechtlichen Sinne.“ (Vgl. Rz. 653). 423 Dagegen steht es nach Art. 8 HZÜ jedem Vertragsstaat frei, an Personen, die sich im Ausland befinden, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch seine diplomatischen oder konsularischen Vertreter ohne Anwendung von Zwang zustellen zu lassen, jedoch bringt Art. 8 II HZÜ einen Vorbehalt: Danach kann jeder Staat erklären, dass er einer solchen Zustellung auf seinem Hoheitsgebiet widerspricht, außer wenn das Schriftstück einem eigenen Angehörigen des Gerichtsstaates zuzustellen ist.156 5. Ladungen 424 Von der Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Übermittlungsvorgangs als solchem (Rz. 123, 414 ff.) zu unterscheiden ist die Frage nach der völkerrechtlichen Unbedenklichkeit des Inhalts der in den übermittelten Schriftstücken enthaltenen Aufforderungen, Anordnungen und sonstigen Maßnahmen.157 Dies wird in der Diskussion über die Grenzen der Auslandszustellungen nicht immer klar genug herausgestellt.158 a) Benachrichtigungen über das im Inland stattfindende Verfahren 425 Soweit die Ladung nicht die Aufforderung zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen mitumfasst, ist sie völkergewohnheitsrechtlich unbedenklich.159 Sie ist lediglich eine Benachrichtigung über ein im Inland anhängiges Verfahren.160 Auch die Aufforderung, zum Termin zu erscheinen bzw. einen Anwalt
154 Kondring, a.a.O., 81; Gauthey/Markus, L’entraide judiciaire internationale en matière civile, 2014 Rz. 337. 155 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 94. 156 Zusammenstellung der Vorbehalte der Vertragsstaaten bei Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, A I 2d 353.1. Deutschland hat den Widerspruchsvorbehalt voll ausgeschöpft, § 6 AusfG. 157 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 158. 158 Zustimmend Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery, 1989, 52; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozeß, 1996, 142. Anders wohl Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 98. 159 Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 287; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 323. 160 Vgl. auch Heß, RIW 1989, 259 Fn. 108; Schlosser in FS Stiefel, 1987, 686: „In der Staatenpraxis hat sich widerspruchslos durchgesetzt, dass Mitteilungen über bereits wirksam gewordene Akte der Ziviljustiz grenzüberschreitend unmittelbar an den Adressa-
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zu bestellen (§ 215 ZPO), ist völkerrechtlich zulässig. Denn es geht hier nicht um Handlungspflichten für die Prozessbeteiligten, sondern um den Hinweis, dass u.U. Nachteile (z.B. §§ 330 ff. ZPO) drohen, falls der Benachrichtigte untätig bleibt, § 52 III HS 1 ZRHO.161 Strafen dürfen jedoch nach h.M. (§ 52 III Hs. 2 ZRHO) nicht angedroht werden.162 b) Anordnung des persönlichen Erscheinens gegenüber Personen, die sich im Ausland aufhalten Sofern eine sich im Ausland aufhaltende Person als Partei,163 Zeuge, Sachver- 426 ständiger aufgefordert wird, vor Gericht zu erscheinen und dies möglicherweise sogar unter Androhung von Ordnungsgeld (§§ 141, 613, 380, 409 ZPO, § 128 IV FamFG), oder wenn sonst „sub poena“ ein aktives Handeln verlangt wird, z.B. Vorlage von Urkunden, Akten, Plänen, Zeichnungen etc. (§§ 142, 143, 273 II Nr. 1 und 2 ZPO), ist zwischen In- und Ausländern zu unterscheiden:164 Die Auferlegung von Verhaltens- und Handlungspflichten für eigene Staats- 427 angehörige, die sich im Ausland aufhalten, ist kraft Personalhoheit zulässig (Nationalitätsprinzip, Rz. 169). Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob der in Anspruch genommene eigene Staatsbürger in concreto Partei oder Dritter (Zeuge, Sachverständiger) ist.165 Fraglich ist, ob ein Staat heute noch seine Bürger auch aus den entferntesten 428 und entlegensten Gegenden dieser Erde vor seine Gerichte zitieren, d.h. ihre physische Anwesenheit verlangen und mit (mittelbarem) Zwang durchsetzen darf, oder ob das Übermaßverbot (als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips) nicht nur innerstaatlich kraft verfassungsrechtlicher Gewährleistung der
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ten gegeben werden können.“ Weitere Nachw. bei G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 163. A.A. Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 598. S. aber Rz. 401. Zur Schwierigkeit der Abgrenzung bloßer Benachrichtigungen von gerichtlichen Anordnungen mit Befehlscharakter Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 49. Ohne Erörterung völkerrechtlicher Aspekte sehr zurückhaltend OLG Hamm v. 2.10.2008 – 19 W 21/08, EuZW 2009, 95 = OLGR 2009, 24. A.A. Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery Grundfragen des IZPR, 1989, 63; OLG München v. 5.9.1995 – 28 W 2329/95, NJW-RR 1996, 59 = IPRspr. 1995 Nr. 134, wenn es sich um einen im Ausland lebenden Ausländer handelt, weil „die Zwangsbefugnisse deutscher Gerichte an den Grenzen der Bundesrepublik enden.“ Davon unberührt bleibe die Möglichkeit, ein unentschuldigtes Fernbleiben der Partei im Rahmen des § 286 ZPO frei zu würdigen und eine wegen des Fernbleibens lückenhaft gebliebene Sachaufklärung zu Lasten der unentschuldigt ausgebliebenen Partei zu werten. Zustimmend Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozeß, 2000, 91; E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 38 ff.; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozeß, 1996, 156; Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 40; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 125. Dagegen Stein/Jonas, ZPO22, § 363 Rz. 11.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips, sondern auch als völkerrechtlich verbürgtes Menschenrecht den Handlungsspielraum der Staaten gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen einschränkt. Dies ist zu bejahen. Daraus folgt: Auch von Völkerrechts wegen muss jeweils geprüft werden, ob der Partei bzw. dem Zeugen oder Sachverständigen wegen zu großer Entfernung oder aus einem sonstigen wichtigen Grund das persönliche Erscheinen nicht zuzumuten ist. So wäre es (auch) völkerrechtswidrig, einen Deutschen als Partei oder Zeugen von den Feuerlandinseln in einem Bagatellprozess vor das AG Eisenhüttenstadt zu zitieren (vgl. Rz. 380, 2320, 2381). Vielmehr müssten als weniger einschneidende Mittel erwogen werden: die Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage (Rz. 430, 444), die Vernehmung am Wohnsitz/Aufenthalt des Zeugen durch den (im Wege der Rechtshilfe ersuchten) dortigen Richter oder schlicht Verzicht auf die Aussage.166 429 Umstritten ist allerdings, ob eine Vorladung des deutschen Staatsangehörigen unter Zwangsandrohung die Souveränität des Aufenthaltsstaates verletzt167 oder ob dies nur ein völkerrechtlich unbedenklicher Hinweis ist, dass bei Nichterscheinen in Deutschland Rechtsnachteile drohen. Letzteres trifft zu (Rz. 401). 430 Bei im Ausland sich aufhaltenden Ausländern kommt es darauf an, ob der Gerichtsstaat eine ausreichende Beziehung (minimum contact) hat: Dieser fehlt bei Dritten (Zeugen und Sachverständigen). Das Völkerrecht verbietet, diese unter Androhung von Zwangs-/Ordnungsmitteln (§§ 377 II Nr. 3, 402 ZPO) zum Erscheinen vor einem deutschen Gericht aufzufordern.168 Nicht völkerrechtswidrig wäre es jedoch, wenn das deutsche Gericht bei dem im Ausland sich aufhaltenden Zeugen oder Sachverständigen anfragt, ob er bereit wäre, freiwillig zu erscheinen.169 Bei Zeugen (nicht bei Sachverständigen) wird das Gericht aber i.d.R. den Parteien anheim stellen, die Korrespondenz mit dem Zeugen zu führen und ihn gegebenenfalls zum Termin mitzubringen.170 431 Der völkerrechtlich erforderliche Kontakt ist jedoch vorhanden bei den Parteien.171 Dies liegt auf der Hand bezüglich des (ausländischen) Klägers bzw. An-
166 Zustimmend Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 78. 167 So Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 23. 168 Im Ergebnis übereinstimmend die h.M., Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 342. 169 Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 40. S. auch Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 1072 Rz. 17. Anders im Ansatz Coester-Waltjen in FS Schlosser, 2005, 147, 159, die die (den Beklagten betreffenden) Zuständigkeitsregeln der Art. 4 ff. EuGVVO bzw. §§ 12 ff. ZPO auf den Zeugen anwenden will. 170 Skeptisch Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 24 Fn. 108. Zur US-Gerichtspraxis Junker, Discovery im deutschamerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 386; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 208. 171 Zustimmend Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 200 Fn. 53. S. auch Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österr. Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81, 117.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
tragstellers, der sich an das deutsche Gericht gewandt hat, aber auch beim Beklagten, jedenfalls dann, wenn die internationale Zuständigkeit gegeben ist; denn dann steht fest, dass eine ausreichende Beziehung zum Inland vorliegt. Jede Partei hat eine prozessuale Mitwirkungspflicht. Deshalb kann vom Beklagten/Antragsgegner verlangt werden, dass er vor Gericht erscheint.172 Problematisch ist jedoch, ob bereits das Erscheinen angeordnet werden kann, wenn noch nicht feststeht, ob die internationale Zuständigkeit, d.h. der völkerrechtlich erforderliche Minimumkontakt, zu bejahen ist.173 Jedenfalls trifft die prozessuale (nur mittelbar sanktionierte) Pflicht zur Vorlage von Urkunden etc. gem. §§ 142, 143, 273 II Nr. 1 und 2 ZPO174 auch den ausländischen Beklagten, der sich im Ausland aufhält.175 Vorstehender Fragenkreis ist Gegenstand einer transatlantischen Meinungsver- 432 schiedenheit: Nach Auffassung der US-Gerichte unterstehen ausländische Prozessparteien, die minimum contacts zu den USA haben, der US-Gerichtsbarkeit. Deshalb könne das amerikanische Gericht auch die Parteivernehmung in den USA anordnen (Rz. 2362).176 Dagegen vertrat die deutsche Bundesregierung in einem amicus curiae-Schriftsatz an den US-Supreme Court177 die Auffassung, dies sei durch das Haager Beweisaufnahmeübereinkommen verboten. Dieses erfasse nicht nur die Einvernahme von Dritten als Zeugen, sondern auch die Einvernahme der Parteien. Das Übereinkommen finde auf Beweisaufnahmen
172 Davon zu trennen ist die Frage, ob der Beklagte ein Recht hat, persönlich im Forumstaat zu erscheinen, und ihm auch die Einreise zu bewilligen ist, s. hierzu Rz. 2011. 173 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 331; vgl. zu der Parallelproblematik im US-Zivilprozeß (jurisdiction to order discovery to determine jurisdiction) Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 384. 174 Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei v. Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Durch dieses Erfordernis soll der Beibringungsgrundsatz gewahrt und eine Ausforschung von Amts wegen ohne entsprechenden Tatsachenvortrag einer Partei vermieden werden. Im Falle der Weigerung der Partei sieht § 142 I ZPO keine Beugemittel vor; vielmehr ist das Verhalten der sich weigernden Partei nach § 286 I ZPO frei zu würdigen. Weigert sich die beweisbelastete Partei, bleibt sie i.d.R. beweisfällig. Weigert sich dagegen die nicht beweisbelastete Partei, so können wegen Beweisvereitelung die gegnerischen Behauptungen zum Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden, Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3130); Laumen, BGHReport 2007, 984; Zöller/Geimer, ZPO30, vor § 415 Rz. 14. Weitere Nachw. bei Gerhard Wagner, Urkundenedition durch Prozeßparteien, JZ 2007, 706; Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach der ZPO-Reform unter besonderer Berücksichtigung der Neufassung des § 142 ZPO, 2007; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010. 175 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 148. 176 Nachw. bei Reufels, RIW 1999, 667 (671); Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 25 Fn. 115; Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 239 ff. 177 Wiedergegeben bei Heidenberger, RIW 1986, 491.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
von „Personen“ Anwendung, ohne Rücksicht darauf, welche Rolle sie im Prozess hätten. Es unterscheide nicht zwischen Zeugen/Sachverständigen einerseits und Parteien andererseits. Die amerikanischen Gerichte müssten nach dem HBÜ deutsche Rechtshilfe in Anspruch nehmen. Die Vernehmung von Parteien und Zeugen, die sich in Deutschland aufhalten, sei ausschließlich den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland vorbehalten. Nur diese könnten eine ihrer Gerichtsbarkeit unterstehende Person zwingen, den discovery-Anordnungen eines amerikanischen Gerichts nachzukommen. Die deutsche Justizhoheit sei verletzt, weil das amerikanische Gericht angeordnet habe, dass die Parteivernehmung in den USA erfolgen solle (wenn sie in Deutschland nicht durchführbar sei). Die deutschen Prozessparteien hätten ein verfassungsmäßig garantiertes Recht, dass Beweisaufnahmen aufgrund eines Rechtshilfeersuchens eines ausländischen Gerichts durch deutsche Gerichte vorgenommen werden, um Verstöße gegen das deutsche Verfahrensrecht zu vermeiden. 433 Die Diskussion dreht sich (nur) um die Auslegung des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens, also um die Frage, ob die USA mit der Ratifizierung dieser Konvention sich verpflichtet hätten, deutsche Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen,178 nicht jedoch um die Rechtslage nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht. Gleichwohl hält die Bundesregierung entgegen der hier vertretenen Auffassung die Vorladung von Prozessparteien zur Vernehmung durch ein ausländisches Gericht für nicht konform mit dem Völkergewohnheitsrecht. 434 Auch nach Stürner179 ist die Anordnung, im Ausland gelegene Urkunden vorzulegen oder Erklärungen der im Ausland wohnhaften Partei bzw. ihrer Organwalter beizubringen, kein Souveränitätseingriff, auch wenn im einstweiligen Verfahren eine eidesstattliche Versicherung mitverlangt ist. Bedenklich erscheint ihm aber die Sanktion: Die deutschen Gerichte werten die fehlende Mitwirkung zu Lasten der ausländischen Partei, wenn der Sachverhalt deshalb ungeklärt bleibt. Der Zwangscharakter der Pflichtigkeit mit Auslandsberührung sei also von sehr geringer Intensität; die amerikanischen Gerichte hingegen verhängen contempt of courtStrafen oder ordnen Verfahrensnachteile sofort ohne weitere Aufklärungsversuche an.180 Die wenigen erzwingbaren Pflichten des deutschen Zivilprozesses181 gelten
178 179 180 181
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Zum US-Standpunkt Born, a.a.O., 895, 915. Stürner in Habscheid, a.a.O., 26. Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 117. §§ 141, 372a ZPO, s. Rz. 2514. Keine einschneidende Trendwende bringen §§ 142, 144 ZPO n.F., die bisher von der Rspr. eng ausgelegt werden; s. z.B. OLG Frankfurt v. 18.10.2006 – 1 U 19/06, OLGReport 2007, 466 (468): „Die Neufassung der Vorschrift hat jedenfalls die in §§ 422 f. ZPO gezogenen Grenzen einer Vorlegungspflicht unberührt gelassen und nichts an dem bewährten Grundsatz des deutschen Zivilprozessrechts geändert, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.“ Allerdings kann auch die nicht beweisbelastete Partei v. Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333. § 142 I ZPO setzt aber voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Vgl. dazu oben Rz. 431.
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Dritter Teil
zwar auch für ausländische Parteien. Gegen sie wird aber Ordnungsgeld oder Ordnungshaft nicht angeordnet.182 Auch Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007 definiert das eu- 435 ropäische Souveränitätsverständnis nicht klar genug. Danach ist für Vollstreckungsentscheidungen und damit für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen der Staat zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Ist nun bei Beugemaßnahmen auf die vorzunehmende Handlung im Ausland oder auf die im Inland zu vollstreckende Maßnahme abzustellen? Darüber herrscht Streit, wobei die deutsche Rechtsprechung Zwangsgeldandrohungen für Auslandshandlungen zulässt (Rz. 1222).183 Hinzu kommt, dass die EuGVVO und das LugÜ ganz allgemein nur die internationale Zuständigkeit (Rz. 846) für Erkenntnisverfahren (z.B. nach § 767 ZPO oder § 771 ZPO), nicht jedoch für Vollstreckungsmaßnahmen, auf keinen Fall aber den Umfang der Gerichtsbarkeit regeln will (Rz. 401, 466, 1222, 1228).184 Bedenklich findet Stürner185 die Zwangseinwirkung auf Parteien, Organwalter 436 oder leitende Angestellte, sich als Zeugen in den USA zur Verfügung zu stellen, dann, wenn es nicht um die satzungsmäßigen Vertreter der ausländischen Partei geht das deutsche Recht kennt in solchen Fällen nur negative Würdigung186 –, sondern um Dritte (Zeugen im kontinental-europäischen Sinne). Die Abhängigkeit des Dienstverhältnisses werde hier zur Ausdehnung der Gerichtshoheit vom Arbeitgeber auf Bedienstete benutzt, die amerikanischer Gerichtshoheit nicht unterfallen; „das Dienstverhältnis wird zum Instrument des Souveränitätsdurchgriffs“. Stürner konzediert zwar, „dass … zwischen Europa und USA keine grundsätzlich verschiedenen Souveränitätsvorstellungen herrschen“; er neigt aber dazu, einen dialektischen Sprung von Quantität zu (anderer) Qualität zu konstatieren; „Intensität und Ausmaß der Einwirkung von US-amerikanischer Seite“ seien erheblicher; „die große Masse amerikanischer Übergriffe“ komme hinzu.
182 Zur Reaktion auf die Weigerung (nur negative Würdigung oder Rechtshilfe) OLG München v. 5.9.1995 – 28 W 2329/95, NJW-RR 1996, 59 = IPRspr. 1995 Nr. 134 (s. Rz. 426). Weiter gehen da schon unsere europäischen Nachbarn. Dort sind die (unmittelbar) erzwingbaren Pflichten häufiger: so kennt das englische Recht contempt of court-Strafen gegen „wahrheitsscheue Parteien“, RSC Order 24 rule 16 (2). Ausführlich Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 27; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 393; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 152. Vgl. auch die astreinte des französischen Rechts (Art. 11 Nouveau Code de procédure civile), Junker, a.a.O., 28; Schlosser in FS Sonnenberger, 2004, 135; Klinker, Die Astreinte im französischen Zivilrecht, 2001, 2002. 183 Vgl. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 814; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 25 Fn. 11; OLG Nürnberg v. 5.4.1974, IPRspr. 1974 Nr. 188. 184 Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 137 ff., 154. 185 Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 27. 186 §§ 446, 454 ZPO.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
436a Die Personalhoheit Deutschlands erstreckt sich auch auf juristische Personen mit Sitz im Inland.187 Die oben diskutierten Probleme dürften sich bei juristischen Personen erübrigen, da sich diese „nicht im Ausland aufhalten“ können. Allenfalls kommen Einwirkungen auf ausländische Niederlassungen in Betracht (Rz. 180). 6. Telefonische Befragung von Auskunftspersonen (Parteien/Zeugen), die sich im Ausland aufhalten, und Videokonferenz 436b Eine solche (z.B. nach FRCP 30 [b] [7] zugelassene) Methode188 ist völkerrechtlich unbedenklich (Rz. 2385).189 7. Schriftliche Befragung von Zeugen, die sich im Ausland aufhalten 437 Es ist mit dem Völkergewohnheitsrecht vereinbar, Auskunftspersonen, die sich im Ausland aufhalten (Parteien oder Dritte, wie Sachverständige und Zeugen), schriftlich oder per Videovernehmung190 zu befragen.191 So darf z.B. ein deutsches Gericht ohne Androhung von Zwangsmitteln eine Partei oder einen Dritten (Zeugen) zur schriftlichen Beantwortung von Fragen auffordern. Dabei spielt es keine Rolle, ob die befragte Person deutscher Staatsbürger ist oder nicht, solange feststeht, dass die Beantwortung der Fragen im freien Belieben der ersuchten Person steht (Rz. 424 ff.).192 438 Es steht dem Gericht frei, im Rahmen der freien Beweiswürdigung aus der Nichtbeantwortung der Fragen Schlüsse zu ziehen. Diese (mittelbare) Erzwingung ist völkerrechtskonform.
187 Wengler, Völkerrecht II, 1964, 996; KG v. 1.7.1983 Kart 16/82, AG 1984, 130 = WuW 1984, 233 (Kunig 700) = WM 1984, 1195 = IPRspr. 1985 Nr. 124b; BGH v. 7.10.1997, IPRax 1999, 106 (Zimmer/Rudo 89) (s. Rz. 169a). 188 Zu FRCP 30 (b) (7) Junker, Discovery im dt.-am. Rechtsverkehr, 1987, 360. 189 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Einl. zur Europäischen Beweisaufnahme-VO Rz. 29, Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 42; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 140; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 271. 190 Auch im Anwendungsbereich der EuBeweisVO ist keine Genehmigung des betroffenen Mitgliedstaats (Art. 17) erforderlich, House of Lords v. 10.2.2005 Polanski v. Condé Nast Publications Ltd. [2005] UKHL 10; [2005] 1 WLR 637; [2005] 1 All ER 945 = RIW 2006, 301 (Knöfel 303). Anders die h.M., Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 41; Stadler in Musielak, ZPO10, § 128a Rz. 8; Stadler, ZZP 115 (2002), 413 (441); Schulze, IPRax 2001, 527 (529); Schultzky, NJW 2003, 313 (314); m.w.N. aus der Sicht des Strafprozesses (§ 247a StPO) auch bei Norouzi, Die audio-visuelle Vernehmung von Auslandszeugen, 2008. 191 Anders Stadler in FS Geimer, 2002, 1281, 1291. 192 Zustimmend Mann, NJW 1990, 619; Schack, IZVR6, Rz. 796, 803. Anders § 62 ZRHO, „da der ausländische Staat darin einen unzulässigen Eingriff in seine Hoheitsrechte erblicken kann“; BGH v. 10.5.1984 II ZR 29/83, NJW 1984, 2039. S. auch Rz. 2384 und Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 281 ff. sowie österr. VGH, österr. ZöR 44 (1993), 249 (253).
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
Die Versendung sog. interrogatories (Rz. 89) durch US-Gerichte ist allgemein üb- 439 lich. Die Diskussion dreht sich derzeit lediglich um die Frage, ob diese durch das Völkergewohnheitsrecht gestattete Prozedur durch das Haager Beweisübereinkommen verboten worden ist. 8. Anordnung der Vorlage von Urkunden Es verstößt ebenfalls nicht gegen das Völkergewohnheitsrecht, wenn das deut- 440 sche Gericht gem. § 142 ZPO193 bzw. § 258 HGB194 eine im Ausland sich aufhaltende Person (Partei195 oder Dritten196) auffordert, Urkunden, Akten und Unterlagen sowie Handelsbücher vorzulegen;197 jedoch ist bestritten, ob dabei Zwang angedroht werden darf, sofern es sich um Dritte (Nichtparteien) handelt und diese Ausländer bzw. Staatenlose sind (Rz. 401).198 Demgegenüber halten die USGerichte auch Zwangsgeldandrohung für zulässig (Rz. 434, 2364).199 9. Beauftragung von Sachverständigen, die sich im Ausland aufhalten Es verstößt nicht gegen Völkergewohnheitsrecht, wenn das Gericht bei einem 441 Sachverständigen anfragt, ob er bereit sei, ein Gutachten zu erstellen, sofern kein Zwang oder sonstiger Nachteil angedroht wird (Rz. 2387).200 (S. auch Rz. 445).
193 Hierzu z.B. Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 24 ff.; Leipold in FS Walter Gerhardt, 2004, 563; Stefan Huber, EuBeweisVO, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 39. 194 § 258 HGB bestimmt: (1) Im Laufe eines Rechtsstreits kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Vorlegung der Handelsbücher einer Partei anordnen. (2) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Verpflichtung des Prozeßgegners zur Vorlegung von Urkunden bleiben unberührt.“ 195 Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei v. Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Vgl. oben Rz. 434 Fn. 181. 196 Zwang gegen am Rechtsstreit nicht beteiligte Dritte ist nur nach Maßgabe von § 142 II ZPO möglich. 197 Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 322, 328. 198 Ablehnend (nur Bitte um freiwillige Mitwirkung zulässig) Stefan Huber, EuBeweisVO in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Art. 1 Rz. 38. 199 Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 25 Fn. 116; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 208 Fn. 8, 374, 393. Vgl. auch Sengstschmid in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 38 JN Rz. 54 ff.; enger Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 104. 200 Ebenso die Praxis des X. Zivilsenats des BGH, der in Patentsachen als Tatsacheninstanz fungiert (§ 115 PatG), R. Geimer in FS Nagel, 1987, 53 Fn. 67. Nachw. bei Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozeß, 2000, 107 ff.; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 315.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
10. Beweiserhebung im Ausland 442 Die physische Anwesenheit des Gerichts oder eines seiner Mitglieder ohne Zustimmung des betroffenen Staates ist unzulässig, da Eingriff in dessen Souveränität (Rz. 120).201 Dies gilt auch für die Augenscheineinnahme202 und nach h.M. (anders Rz. 401) auch für die gerichtliche Anordnung unter Zwangsandrohung, im Ausland eine bestimmte Handlung (Aussage etc.) vorzunehmen.203 Völlig anders das US-Souveränitätsverständnis.204 Danach darf eine ausländische (z.B. deutsche) „judicial authority“ ohne Genehmigung in den Vereinigten Staaten von Amerika Beweise erheben.205 443 Verboten sind nicht nur hoheitliche Ermittlungen mit Zwangscharakter, sondern nach h.M. auch nichthoheitliche Ermittlungen, die jeder Private ebenfalls vornehmen könnte, die insbes. nicht mit Zwang gegen Auskunftspersonen verbunden sind.206 444 Das deutsche Gericht darf sich also nicht ins Ausland begeben, um dort einen Augenschein vorzunehmen und informell Zeugen oder sonstige Auskunftspersonen zu hören (Rz. 120). Es darf jedoch vom Inland aus schriftlich bei Auskunftspersonen anfragen, etwa bei Behörden oder sonstigen Stellen (Rz. 2384).207
201 Stürner, IPRax 1984, 299; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1506; liberaler Nagel, IPRax 1984, 240; Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, USamerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89 (95 ff.). Auch Art. 17 EuBeweisVO (s. Rz. 245c) setzt ein Ersuchen an den Mitgliedstaat voraus. 202 Meilicke, NJW 1984, 2017. Treffend bezeichnet es Stefan Huber, EuBeweisVO, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Art. 1 EuBVO Rz. 37 Fn. 94, als einen Anachronismus, dass auch innerhalb des geographischen Anwendungsbereichs der EuBeweisaufnahmeVO die unmittelbare Augenscheineinnahme (unter Umgehung der Rechtshilfekanäle) durch das erkennende Gericht oder durch einen von diesem beauftragten Augenscheingehilfen ohne Genehmigung (Art. 17 EuBeweisaufnahmeVO) nicht gestattet ist, auch wenn es sich um für jedermann zugängliche Örtlichkeiten handelt. 203 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 386, 375. Als zulässig wird jedoch mittelbarer Zwang gem. § 371 III ZPO erachtet: Wertung als Beweisvereitelung, wenn der gerichtliche Anordnung nach § 144 ZPO bzw. § 371 II 2 ZPO i.V.m. § 425 ZPO, das Augenscheinobjekt bzw. die Urkunde etc. vorzulegen, Stefan Huber, a.a.O., Kap. 29 Rz. 38. 204 28. U.S.C. § 1782 (b). 205 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 228, 435. Vgl. Report of the U.S. Delegation, 8 I.L.M. 785, 806807 (1969): „The act of taking evidence in a common law country from a willing witness … is a purely private matter in which the host country has no interest and in which its judicial authorities have normally no wish to participate.“ Ebenso die Praxis des Vereinigten Königreichs, Junker, a.a.O., 331 Fn. 28. 206 Schmidt/Hermesdorf, RIW 1986, 180, bestr. Dies verkennt z.B. österr. OGH v. 24.11.1998, ZfRV 1999, 116; zu Recht kritisch Sengstschmid in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 38 JN Rz. 46. 207 A.A. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 456; Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 320; Junker, a.a.O., 392.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
11. Beweisbeschaffung aus dem Ausland Beweisrechtliche Mitwirkungspflichten spielen für die internationale Beweis- 444a beschaffung eine große Rolle, weil bloße Duldungspflichten wegen des Territorialitätsprinzips ins Leere gehen, wenn sich die Betroffenen (Parteien, Zeugen, Urkundenvorlageverpflichtete) im Ausland befinden. Daher ist es aus der Sicht des inländischen Gerichts „zielführender“, der der inländischen Jurisdiktion unterliegenden Partei bzw. Beweisperson Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung aus dem Ausland aufzuerlegen (Rz. 2381). Diese kann im Inland unter Androhung von Zwang (Rz. 401)208 oder zumindest von Prozessnachteilen für den Fall des Nichtbefolgens aufgefordert werden, über Auslandssachverhalte Auskunft zu erteilen oder im Ausland belegene Dokumente herbeizuschaffen und dem inländischen Gericht vorzulegen.209 Das geltende deutsche Zivilprozessrecht kennt abgesehen von § 372a ZPO trotz §§ 142, 144 ZPO, § 258 HGB solche (sanktionierte) Mitwirkungspflichten nicht (Rz. 2515).210
208 Nachw. bei z.B. Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146 (147). 209 Klaus P. Mössle, a.a.O., 101: „Ein wichtiger Gradmesser für die Effektivität einer verfahrensrechtlichen Regelung bei der Erforschung von Auslandssachverhalten ist daher die Ausgestaltung der beweisrechtlichen Mitwirkungspflichten.“ Enger Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 300 Fn. 52. Weitere Nachw. bei Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozeß, 2000, 56 ff. und Achim Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004, 151; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 103. 210 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 209, 261; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 196 ff. Zur Anordnung eines Blutgruppengutachtens, wenn die Beweisperson Ausländer ist und sich im Ausland aufhält, OLG Hamm v. 26.4.1994, IPRspr. 1994 Nr. 113. Vgl. auch Jayme in FS Geimer, 2002, 375. Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine Abkehr v. Grundsatz nemo contra se edere tenetur lehnt die h.M. ab; dies sei eine Frage des materiellen Rechts. Es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, einen solchen Anspruch praeter legem zu schaffen; denn keine Partei sei verpflichtet, ihrem Gegner erst die Mittel zum Prozesssieg zu verschaffen, BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, MDR 1991, 226 = NJW 1990, 3151. Zurückhaltender aber im Ergebnis BGH v. 17.2.2004 – X ZR 108/02, BGHR 2004, 786 = MDR 2004, 898 = NJW-RR 2004, 989. Dagegen fordern eine generelle Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts immer mehr Stimmen in der Literatur im Anschluss an Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozeß, 1976, 92 ff., Nachw. bei Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 49; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459 (468). Nach diesem Ansatz wäre auch die nicht risikobelastete Partei ohne Rücksicht auf das Bestehen eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs zur Urkundenvorlage verpflichtet. Allerdings kann die Vorlage auch nach dieser Meinung nicht unmittelbar erzwungen werden, sondern nur mittelbar dadurch, dass der unsubstantiierte Tatsachenvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei widerlegbar als wahr fingiert wird. Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei v. Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Vgl. dazu oben Rz. 434 Fn. 180.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
12. Tätigwerden eines vom deutschen Gericht beauftragten Sachverständigen 445 Ein von einem deutschen Gericht beauftragter Sachverständiger darf im Ausland ohne Zustimmung des betroffenen Staates agieren, insbes. darf er den im Ausland befindlichen Gegenstand im Rahmen seines Gutachterauftrages in Augenschein nehmen.211 Das Gegenargument, dadurch könnten die dem deutschen Gericht gesetzten Schranken durch die Einschaltung eines Sachverständigen umgangen werden, überzeugt nicht. Allerdings schreibt Art. 17 III EuBeweisVO nach bisher vorherrschender Meinung212 ebenso wie bei gerichtlicher Beweisaufnahme eine Genehmigung des ersuchten Staates vor. Dies ist jedoch keinesfalls eine Kodifikation geltenden Völkergewohnheitsrechts (vgl. aber Rz. 459). 13. Anwesenheit deutscher Richter bei Erledigung eines (deutschen) Rechtshilfeersuchens durch das ausländische Gericht 446 Von der physischen Anwesenheit des deutschen Gerichts zur Durchführung eines Beweisverfahrens zu unterscheiden ist die Anwesenheit des deutschen Gerichts oder Mitglieder desselben bei der Erledigung eines deutschen Rechtshilfeersuchens durch das ausländische Gericht.213 Mit diesem Fragenkomplex hat
211 Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozeß, 2000, Dörner, Beweissicherung im Ausland, 2000, 111 ff.; Meilicke, NJW 1984, 2017; Schack, IZVR6, Rz. 790; Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 1072 Rz. 11; Wussow in FS Korbinion, 1986, 493 ff.; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 141 und § 17 Rz. 86; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 92. A.A. Ahrens in FS Schütze, 1999, 1, 5; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 52 vor § 485; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 59 Rz. 22; Hau, RIW 2003, 822; Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery Grundfragen des IZPR, 1989, 46; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 1 HBÜ Rz. 9; Stadler, ZZP 110 (1997), 253 (255): „Wird der Sachverständige ‚vorgeschoben‘, um anstelle des Gerichts einen Augenschein im Ausland einzunehmen, handelt es sich auch bei Einverständnis der Parteien um die unzulässige Ausübung von Gerichtsgewalt.“ Ebenso Stadler in FS Geimer, 2002, 1287; St. Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 37. – Großzügiger EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-322/11 – ProRail, EuZW 2013, 313. 212 Die VO bringt gegenüber dem Völkergewohnheitsrecht einen Rückschritt, wenn man die Tätigkeit von Sachverständigen von der Genehmigung des betroffenen Mitgliedstaats abhängig macht. Dagegen zu Recht Schack, IZVR6, Rz. 710. Mit diesem Argument, die VO habe keine neuen Hürden aufbauen wollen, wendet sich auch Stefan Huber in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 44 gegen die zu pauschale Anwendung des Art. 17 III EuBeweisVO auf Sachverständige; es liege keine unmittelbare Beweisaufnahme vor, weil die Befundtatsachen durch den Sachverständigen nur der Vorbereitung der Beweisaufnahme durch das Gericht diene. Anders sei es nur, wenn nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates der Sachverständige mit der Beweisaufnahme anstelle des Gerichts beauftragt sei. Er fragt zu Recht, weshalb in Art. 17 III der Sachverständige und nicht der Augenscheinsgehilfe als typischer Beispielsfall genannt werde. Keinesfalls fällt der ausländische und/oder sich im Ausland aufhaltende Rechtsgutachter unter Art. 17 EuBeweisVO, Zöller/Geimer, ZPO30, § 293 Rz. 21. 213 Zur Parallelsituation im Strafprozeß ausführlich Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 242.
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Begriff und Grenzen
Dritter Teil
sich zum ersten Mal in der internationalen Vertragspraxis Art. 8 HBÜ befasst:214 Jeder Vertragsstaat kann erklären, dass Mitglieder des ersuchenden Gerichts bei der Erledigung des Rechtshilfeersuchens anwesend sein können. Nach den Erklärungen Frankreichs, Schwedens und der USA ist die Anwesenheit eines ausländischen Richters ohne weiteres also ohne spezielle Genehmigung zulässig (unberührt bleibt jedoch die nach deutschem Recht vorgeschriebene Genehmigung durch die Bundesregierung, § 61 II ZRHO).215 Die Anwesenheit eines ausländischen Richters in Dänemark und den USA ist möglich aufgrund eines Erlasses des dänischen Justizministeriums bzw. des Department of Justice. In Deutschland dürfen gem. § 10 des Ausführungsgesetzes zu den Haager Zustellungs- und Beweisübereinkommen vom 22.12.1977216 Mitglieder des ersuchenden ausländischen Gerichts bei Erledigung des Rechtshilfeersuchens durch das Amtsgericht anwesend sein, wenn die Zentrale Behörde dies genehmigt hat (Rz. 2512).217 14. Ausübung mittelbaren Zwangs im Forumstaat, um Beweispersonen im Ausland zur Aussage vor (ausländischem) Rechtshilfegericht zu bewegen Ein solcher Zwang ist völkerrechtlich zulässig (Rz. 400); fraglich ist jedoch, ob 446a dies auch im Anwendungsbereich des Haager Beweisübereinkommens gilt. Aus Art. 10 HBÜ kann Gegenteiliges nicht hergeleitet werden.218 15. Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter a) Völkergewohnheitsrecht Solche sind nach Völkergewohnheitsrecht nicht ohne weiteres zulässig. Es ist 447 vielmehr die Erlaubnis des Empfangsstaates notwendig.219 In der Vertragspraxis behandeln Art. 15 und 16 HBÜ das Thema.220 Die Handhabung ist von Land zu Land unterschiedlich aufgrund der verschiedenen möglichen Vorbehalte.221 Am liberalsten sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Dagegen ist sogar die Ver-
214 Hierzu Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 342. Innerhalb der EU (mit Ausnahme Dänemarks) ist Art. 12 EuBeweisVO vorrangig anzuwenden, Art. 21. 215 Die Genehmigung der Bundesregierung ist nicht mehr erforderlich, soweit die Beweisaufnahme in einem EU-Mitgliedstaat durchgeführt werden soll, § 61 I ZRHO. 216 BGBl. I 1977, 3105. 217 Hierzu die amtliche Begründung BT-Drucks. VII/4893 zu § 9 des Entwurfs = § 10 AusfG; s. auch § 133 ZRHO. 218 A.A. Junker, a.a.O., 325, 327, 375, 386. Nach Junker, a.a.O., 325 soll das Rechtshilfegericht ausschließlich zuständig zur Anordnung von Zwangsmaßnahmen sein mit der Folge, dass das ersuchende Gericht solche nicht (parallel) androhen darf. Ein solches Verbot kann man aber weder aus Art. 10 HBÜ noch aus Art. 13 EuBeweisaufnahmeVO herauslesen; Sympathien für Junker aber bei Stefan Huber, EubeweisVO, in Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 170. 219 OVG Münster v. 28.3.2013 – 13 A 412/12.A, NJW 2013, 3323. 220 Ausführlich auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 88 ff. 221 Nachw. bei Junker, a.a.O., 233, 343, 430.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
nehmung deutscher Staatsangehöriger durch diplomatische oder konsularische Vertreter in Dänemark, Norwegen oder Portugal von der Genehmigung der in diesen Staaten dafür zuständigen Stellen abhängig.222 Es gibt auch Länder, die eine Vernehmung auch deutscher Staatsangehöriger verbieten; z.B. Brasilien, Costa Rica, Peru, Sudan, Venezuela. Hat der zu Vernehmende außer der deutschen Staatsangehörigkeit auch noch die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates und erlaubt der Empfangsstaat zwar die Vernehmung von deutschen Staatsangehörigen, nicht aber die seiner eigenen, so kann die Auslandsvertretung die Vernehmung nicht durchführen.223 b) Verbot der Anwendung von Zwangsmitteln 448 Der diplomatische oder konsularische Vertreter darf keinerlei Zwangsmittel androhen bzw. anwenden.224 Nicht anwendbar, auch nicht sinngemäß, sind §§ 380, 390 ZPO (Auferlegung von Kosten, Ordnungsgeldern, Ordnungshaft), auch keine Androhung dieser Art in der Ladung (§ 377 II Nr. 3 ZPO) wegen Nichterscheinens und wegen Aussage- oder Eidesverweigerung. Die Androhung oder gar Festsetzung von Rechtsnachteilen/Ordnungsmitteln wäre ein Eingriff in die Hoheitsrechte des Empfangsstaates. Die Problematik ist hier eine andere als bei der Anwendung von Zwang im Inland, um ein Handeln im Ausland durchzusetzen (Rz. 400). Denn der Konsularbeamte handelt im Ausland (Rz. 780). Er darf dort nur in den ihm vom Empfangsstaat gesetzten Schranken agieren. Daher verbietet auch das deutsche Recht ausdrücklich Zwangsmittel, § 15 III 4 KonsularG.225 449 Erscheint ein Zeuge trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht oder verweigert er (unberechtigterweise) Zeugnis oder Eid, so bleibt nur die Möglichkeit, die Gerichte des Empfangsstaates (= Aufenthaltsstaates des Zeugen) um Zwangsmittel zu ersuchen, Art. 18 HBÜ.226 Besonders effektiv gestaltet sich die Kooperation nach Art. 12 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928227; danach kann das Amtsgericht gegen Angehörige des ersuchenden Staates Zwangsmittel anordnen (Rz. 451, 2434). 450 Fazit: Beweisaufnahmen diplomatischer oder konsularischer Vertreter sind nur ohne Zwang zulässig. Weigert sich die zu vernehmende Person, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, so können die Beweise nur durch die Gerichte bzw. sonst zuständigen Stellen des Aufenthaltsstaates erhoben werden. Diesen Grundsatz (des Völkergewohnheitsrechts) modifiziert allerdings Art. 18 HBÜ. Danach kann ein Staat sich bereit erklären, durch Zwangsmittel eine Beweisauf-
222 Vgl. ZRHO-Länderteil. 223 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 48. 224 R. Geimer in FS Matscher, 1993, 140; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 53 Rz. 20. 225 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, Stand: Aug. 2007 (3. Lfg.), § 5 Rz. 27. 226 Hierzu R. Geimer in FS Matscher, 1993, 133, 152. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 18 HBÜ Rz. 1. 227 RGBl. II 1928, 623.
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Dritter Teil
nahme auch vor diplomatischen und konsularischen Vertretern zu ermöglichen. So verfahren z.B. die Vereinigten Staaten von Amerika. Danach wird der District Court in dessen Bezirk sich die zu vernehmende Person ständig aufhält oder angetroffen wird die Person anweisen, ihre Aussage zu machen etc.228 Ähnlich ist die Position Italiens. Andere Staaten, wie z.B. die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich, machen dies von der Verbürgung der Gegenseitigkeit abhängig. Deutschland hat eine solche Erklärung nicht abgegeben.229 Als Grund nennt die 451 deutsche Denkschrift: „Die Beweisaufnahme weicht in Bezug auf die Vernehmungsperson so erheblich von dem allgemeinen Beweisverfahren ab, dass sie zumindest derzeit nur Personen zugemutet werden kann, die mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind. Weitere Erfahrungen müssen zeigen, ob die im Übereinkommen selbst oder durch Genehmigungsvorbehalte und Aufsichtsmöglichkeiten festgelegten Schranken die Beteiligten so wirksam schützen, dass eine solche Beweisaufnahme auch gegen ihren Willen durchgeführt werden kann.“230 Anders ist es im Anwendungsbereich des deutsch-britischen Rechtshilfeabkommens hinsichtlich der Staatsangehörigen des Entsendestaates: Art. 12 (a) i.V.m. § 2 III-V AusfVO.231 c) Handhabung in Deutschland Deutsche Staatsangehörige dürfen durch konsularische oder diplomatische Ver- 452 treter nicht vernommen werden232 (s. Rz. 2426). Beispiel: Volkswagen AG v. Falzon233: Nach deutscher Auffassung berechtigt die Note des Auswärtigen Amtes vom 13.1.1956 nur zur informellen, nicht gerichtsverwertbaren Befragung durch US-Konsul (Ausweg: Aussagebereite fahren in liberalere Nachbarländer, z.B. nach Belgien, und lassen sich dort vernehmen).234 Darüber hinaus ist jede andere Beweisaufnahme (Vorlage von Urkunden, Augenschein) unzulässig, soweit deutsche Staatsangehörige betroffen sind.235 Anders ist die Rechtslage jedoch nach Art. 11 Buchst. a des deutsch-britischen Rechtshilfeabkommens (Rz. 449)236; dessen Geltungsbereich (die meisten Staaten des ehemaligen British Empire, Rz. 2370) ist größer als der des HBÜ.
Wie ist es aber, wenn ein ausländisches Gericht, z.B. nach FRCP 28 (b) (2), einen 452a amerikanischen Konsul zum commissioner ernennt? Als solcher dürfte er nach Art. 17 HBÜ, § 12 AusfG (Rz. 461) mit Genehmigung der Zentralen Behörde
228 229 230 231 232 233 234 235 236
Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 430. Junker, a.a.O., 324. Vorschläge bei Junker, a.a.O., 353, 359. Hierzu Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 85; Junker, a.a.O., 354; R. Geimer in FS Matscher, 1993, 152. Hierzu auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 93. Nachw. bei Junker, a.a.O., 344. Junker, a.a.O., 221, 349, 357. Junker, a.a.O., 218, 348. Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 354.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
auch Deutsche vernehmen.237 Doch dürfte Art. 16 HBÜ eine abschließende Regelung sein. d) Kautelen zum Schutz der von der diplomatischen bzw. konsularischen Beweisaufnahme betroffenen Personen 453 Zur Sicherung der erforderlichen Kontrolle durch deutsche Justizorgane sehen Art. 19 bis 21 HBÜ folgende Kautelen vor: Personen, die durch eine Beweisaufnahme nach Kapitel II des HBÜ betroffen sind, können die Anwesenheit eines Rechtsberaters bei ihrer Vernehmung zum eigenen Schutz verlangen, Art. 20. Rechtsberater sind die jeweils nach dem Recht des Staates, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, zu einer derartigen beratenden Tätigkeit befugten Personen.238 Die Betroffenen müssen in der Ladung zur Beweisaufnahme darauf hingewiesen und belehrt werden239, dass sie nicht erscheinen müssen (Art. 21 Buchst. c HBÜ). Auf Aussageverweigerungsrechte sind sie hinzuweisen.240 In der Ladung ist die Sprache des Orts der Beweisaufnahme zu verwenden. Dies gilt nicht gegenüber den Angehörigen des Staates des Ausgangsverfahrens. 454 Von ganz besonderer Bedeutung ist, dass konsularische und diplomatische Vertreter nach Art. 21 Buchst. a HBÜ Beweise nur aufnehmen können, soweit dies nicht mit dem Recht des Staates, in dem der Beweis aufgenommen werden soll, unvereinbar ist. Damit wird sichergestellt, dass bei dieser Beweisaufnahme die zwingenden Vorschriften deutschen Rechts beachtet werden. 455 Im Übrigen können die deutschen Behörden für die Beweisaufnahme Bedingungen jeder Art stellen, insbes. in Bezug auf Ort und Zeit der Beweiserhebung.241 456 Der betroffene Staat kann auch verlangen, dass er rechtzeitig von einer Beweisaufnahme Mitteilung erhält; er kann auch einen Vertreter der Behörde als Repräsentanten des Gaststaates an der Beweisaufnahme teilnehmen lassen. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die Grenzen des Übereinkommens eingehalten und die zwingenden Grundsätze des Staates der Beweisaufnahme beachtet werden, die im Rahmen der Genehmigungserteilung schwer allgemein zu formulieren sind.242 16. Beweisaufnahme durch Beauftragte des Gerichts (Commissioners) 457 Die Beweisaufnahme durch Beauftragte (commissioners) ist eine im common law gebräuchliche Methode der Beweisaufnahme im Ausland. Sie vermeidet, ausländische Instanzen um Rechtshilfe bitten zu müssen. Der Vorteil der direkten Beweisaufnahme durch Beauftragte des Prozessgerichts unter Ausschaltung von Rechtshilfehandlungen des Staates der Beweisaufnahme besteht darin, dass 237 Kritik bei Junker, a.a.O., 352. 238 Weiter Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 20 HBÜ Rz. 2: jede Beistandsperson. 239 Außer im Fall des Art. 18 HBÜ. 240 Art. 11, 21 Buchst. e HBÜ. 241 Art. 19 HBÜ. 242 Art. 21 Buchst. a HBÜ.
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Dritter Teil
sich das Ergebnis der Beweisaufnahme möglichst nahtlos in das Verfahren vor dem Prozessgericht einfügt: Der Beauftragte, der mit dem Beweisrecht und den Beweismethoden des Staates des Prozessgerichts vertraut ist, nimmt die Beweise nach dem Recht des Prozessgerichts auf. Der commissioner wird durch das Prozessgericht ernannt.243 Oft werden (ame- 458 rikanische/englische) Anwälte, die im Gerichtsstaat zugelassen sind, beauftragt. Es können auch geeignete Anwälte oder rechtskundige Personen des Staates der Beweisaufnahme zu commissioners ernannt werden, sofern sie die nötigen Erfahrungen haben, um Vernehmungen in einer für das Prozessgericht verwendbaren Form vorzunehmen. Sofern nicht ein Mitglied des Gerichts, sondern eine Privatperson (z.B. ein An- 459 walt) commissioner ist, fragt sich, ob eine solche Beweisaufnahme (ohne Androhung bzw. Anwendung von Zwang) nach Völkergewohnheitsrecht ein Eingriff in die Justizhoheit des Staates wäre, in dem die Beweisaufnahme stattfindet. Aus deutscher Sicht spielt dieser Punkt keine Rolle, weil die deutsche Zivilprozessordnung solche Beweisaufnahmen nicht kennt. Jedoch wird die Frage der Wahrung der deutschen Justizhoheit aktuell im Hinblick auf commissioners, die von common law-Gerichten beauftragt worden sind (Rz. 2427). Solche unmittelbaren Beweisaufnahmen sind aus anglo-amerikanischer Sicht kein Eingriff in die Souveränität des Staates der Beweisaufnahme.244 Anders ist jedoch der Standpunkt der kontinentaleuropäischen Staaten.245 Die Rechtslage nach Völkergewohnheitsrecht ist angesichts der Praxis der common law-Staaten nicht ganz klar. Doch so viel steht fest: Man kann das Verbot, Hoheitsakte auf fremdem Hoheitsgebiet zu setzen, nicht dadurch umgehen, dass man nicht ein Gerichtsmitglied (Rz. 442), sondern einen Anwalt oder eine andere (nicht richterliche) Person zum commissioner macht.246 Der Kompromiss des Haager Beweisübereinkommens besteht darin, dass die Be- 460 weisaufnahme durch commissioners Beschränkungen unterworfen wird, die dem Staat der Beweisaufnahme eine gewisse Kontrolle zur Wahrung seiner öffentlichen Belange (Hoheitsrechte) und zum Schutz der zu vernehmenden Person ermöglicht. In der Bundesrepublik Deutschland dürfen wie erwähnt (Rz. 452) deutsche 461 Staatsangehörige durch konsularische oder diplomatische Vertreter nicht vernommen werden. Darüber hinaus ist jede andere Beweisaufnahme (Vorlage von Urkunden, Augenschein) unzulässig, soweit deutsche Staatsangehörige betroffen sind. Diese Einschränkungen nach der Staatsangehörigkeit der betroffenen
243 Junker, a.a.O., 226, 234, 344; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 60 Rz. 29. 244 Junker, a.a.O., 331 Fn. 28. Vgl. auch Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987, 182: „verlängerter Arm“ des Prozeßgerichts. S. aber Rz. 445. Zum Problem der „verschleierten Amtshandlung“ Großfeld, BerDGVR 18 (1978), 136. 245 Im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist jedoch das Völkergewohnheitsrecht nicht einschlägig, weil insoweit das HBÜ gilt. 246 Vgl. auch Schulze, IPRax 2001, 527 (531).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
Person gilt nicht für Beauftragte des Prozessgerichts (commissioners).247 Allerdings wird die Beweisaufnahme durch diese Personen noch viel stärkeren Beschränkungen unterworfen, Art. 17 HBÜ, § 12 AusfG. Die commissioners können innerhalb dieser Grenzen Beweise insbes. nach den Formen des Rechts des ersuchenden Gerichts erheben und einen Eid oder eine Versicherung der Richtigkeit der Aussage, die in vielen Staaten anstelle des in religiösen Formen geleisteten Eides tritt, abnehmen, Art. 21 Buchst. a HBÜ. Zu eng ist der Standpunkt der Bundesregierung:248 Danach soll die „Beweisaufnahme“ durch commissioners nur in Fällen erfolgen, in denen andere Verfahren der Beweisaufnahme im Ausland weniger geeignet wären.249 Wesentlich liberaler ist dagegen die US-Praxis.250 17. Sachverhaltsaufklärung im Ausland durch die Parteien bzw. deren Anwälte ohne Auftrag des Gerichts 462 Stürner251 betrachtet private Voruntersuchungen auf freiwilliger Basis nur deshalb als unbedenklich, weil sie im deutschen und darüber hinaus im kontinentaleuropäischen Zivilprozess wegen fehlender Mitwirkung des Richters „immer nur präparatorischen Charakter“ hätten und im (deutschen) Prozess „nicht als verfahrensförmige Beweisaufnahme“ verwendet werden könnten.252 463 Dagegen sei die für amerikanische Gerichte bestimmte pre-trial discovery (Rz. 88) völkerrechtlich unzulässig (Rz. 2424).253 Zwar wirke auch hier kein Richter und auch kein Gerichtsbeauftragter mit, doch seien die Ergebnisse (depositions) als förmliche Beweisergebnisse verwertbar, FRCP rule 32 (3) B.254 Nach deutscher Auffassung (vgl. z.B. die Stellungnahme der deutschen Bundesregierung im Fall Volkswagen AG v. Falzon255) fällt die gesamte pre-trial discovery, nicht nur die Urkundenvorlage (Art. 23), unter das HBÜ mit der Folge, dass ein Rechtshilfeersuchen zu stellen ist. Großzügiger gegenüber Beweisaufnahmen „auf eigene 247 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 17 HBÜ Rz. 1. 248 BT-Drucks. 7/4897, 7. 249 Kritisch Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 350. 250 Junker, a.a.O., 431. 251 Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 23 Fn. 103. 252 Ebenso Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 278. Vgl. auch § 90 II der Abgabenordnung: „Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes bezieht, so haben die Beteiligten diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falles bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.“ Nachw. auch bei Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 405. 253 Junker, a.a.O., 368 Fn. 23. 254 Ausführlich Stadler, a.a.O., 277. 255 ILM 23 (1984), 418/419.
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Dritter Teil
Faust“ ist Junker.256 Nicht zu dulden ist sicher die Abnahme des Eides durch einen ausländischen Anwalt.257 18. Informelle Stoffsammlung durch Anwälte (informal investigations) Eine solche informelle Stoffsammlung (Gespräche mit möglichen Zeugen, Bitte 464 um Akteneinsicht) gehört zum typischen Tätigkeitsbereich des Anwalts; sie stellt keine hoheitliche Tätigkeit dar.258 19. Freiwillige Mitwirkung der Partei(en) an der pre-trial discovery auf deutschem Boden Selbst wenn die vom ausländischen Gericht angeordneten Maßnahmen nicht 464a völkerrechtskonform sind, stellt die freiwillige Mitwirkung einer Partei oder ihres Anwalts oder eines Notars keine Beihilfe zur Amtsanmaßung dar (§ 132 Alt. 2 StGB, Rz. 2532).259
VIII. Ausländisches öffentliches Recht 1. Ausländische Hoheitsakte Für ausländische Hoheitsakte besteht keine Immunität.260 Ein deutsches Gericht 465 kann deren Völkerrechtswidrigkeit oder Rechtswidrigkeit nach dem Recht des Erststaates oder nach deutschem Recht feststellen.261 Dies ist kein Eingriff in die inneren Angelegenheiten des fremden Staates.262 Darüber hinaus verbietet das Völkergewohnheitsrecht nicht, fremde Staats- 466 hoheitsakte, insbes. gerichtliche Entscheidungen, mit Wirkung für den eigenen Hoheitsbereich aufzuheben oder abzuändern. Deutsche Gerichte dürfen daher ausländische Gerichtsurteile im Verfahren nach § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG aufheben oder abändern (mit Wirkung für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 1570).263 Die vor allem von US-amerikanischen Gerichten 256 Junker, a.a.O., 373. 257 Vgl. Stadler, a.a.O., 275 Fn. 30 zu einem Fall in der Mitte des 19. Jahrhunderts (eidliche Vernehmung eines Zeugen in Wiesbaden durch einen englischen Anwalt; dieser wurde verhaftet). 258 Junker, a.a.O., 371; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 107. 259 Zustimmend Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 107; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, Rz. 132. 260 BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (54). 261 S. aber unten Rz. 582 g.E. 262 Verfehlt daher OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141, vgl. Rz. 160. 263 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 252; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 609; R. Geimer AWD 1975, 85 Fn. 34; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 154; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/ Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 882 ff.; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 43; Siehr in FS Bosch, 1976, 937; IPG 1975 Nr. 40
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
propagierte Act of State-Doktrin (Immunität für Hoheitsakte fremder Staaten)264 hat keine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht.265 Wenig überzeugend ist auch die Begründung, mit der man in Frankreich die eigene internationale Zuständigkeit für „les litiges concernant les voies d’exécution pratiquées à l’étranger“ verneint, „le respect du principe de l’indépendance et de la souveraineté respectives des Etats“ verbiete einem französischen Richter „de paralyser une mesure ordonnée par un juge étranger en vertu de son impérium,“.266 Der (durch diese Doktrin beeinflusste) Art. 24 Nr. 5 EuGVVO bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ ist keine Teilkodifikation bereits geltenden Völkergewohnheitsrechts (Rz. 401, 435). 2. Öffentlich-rechtliche Streitgegenstände 467 Der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen auch ausländische öffentlich-rechtliche Streitgegenstände, also Ansprüche, die nach ausländischem öffentlichem Recht zu entscheiden sind. Auch hier ist eine Exemtion qua Streitgegenstand nicht anzuerkennen. Auch steht das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip nicht entgegen.267 Eine andere Frage ist, ob die Bundesrepublik Deutschland Rechtsschutz gewähren will (Rz. 1979).
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(Hamburg); Kartzke, NJW 1988, 106 Fn. 23; BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, MDR 1983, 1007 = NJW 1983, 1976 = FamRZ 1983, 806 = IPRax 1984, 320 (Spellenberg 304) = IPRspr. 1983 Nr. 95; OLG Nürnberg v. 20.9.1983 – 7 UF 1251/83, IPRax 1984, 162 = IPRspr. 1983 Nr. 179; OLG Nürnberg v. 3.7.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, 353 = IPRspr. 1995 Nr. 173. Hierzu z.B. Holstein, Act of State im US-amerikanischen Recht: eine Doktrin vor dem Zerfall?, 1998; m.w.N. z.B. bei Hill, RabelsZ 46 (1982), 118; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 487 ff.; Ebenroth/Fuhrmann, RIW 1989, 596; Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, 1993, 108; Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 125 Fn. 186; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 51; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 254 ff.; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 162 ff. Rz. 201 ff. BVerfG v. 15.5.1995 – 2 BvL 19/91, BVerfGE 92, 277 (322) = MDR 1995, 1047 = NJW 1995, 1811; BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (54); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1488; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1179; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 70; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 285; Frank, RabelsZ 34 (1970), 56 (68); Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlichrechtlicher Ansprüche im Inland, 1994, 115 bei Fn. 40. Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, 1993, Nr. 83, Nr. 681 (2) vor Fn. 7. Nachw. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 329 ff.; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 57 ff.; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 39 ff. Vgl. auch Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 237.
Begriff und Grenzen
Dritter Teil
3. Gewerblicher Rechtsschutz Das Prinzip der unbeschränkten Gerichtshoheit bedarf auch keiner Einschrän- 468 kung für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes. Dies gilt sowohl für die Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten als auch für die über oder gegen das Schutzrecht selbst geführten Verfahren.268 4. Anweisungen an ausländische Standesbeamte Werden z.B. italienische Ehegatten durch ein deutsches Gericht geschieden, so 469 ist im Tenor des deutschen Urteils der italienische Standesbeamte zu ersuchen, die Eintragung des Urteils im Zivilregister vorzunehmen.269 Das Ersuchen ist kein Befehl an ein ausländisches Staatsorgan (dies wäre eine Verletzung der Souveränität des fremden Staates), sondern eine höfliche Bitte, der Folge zu leisten allein Sache des ausländischen Staates ist. 5. Versorgungsansprüche, die bei einem ausländischen Versorgungsträger entstanden sind Solche können im Rahmen eines vom deutschen Gericht durchzuführenden Ver- 470 sorgungsausgleichs nicht mit „dinglicher Wirkung“ dergestalt aufgeteilt werden, dass das deutsche Gericht dem ausländischen Versorgungsträger bindende Weisungen gibt.270 Jedoch darf das deutsche Gericht die Ausgleichspflichten inter partes feststellen.271
IX. Innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Justizakte Eine Regel des nationalen Rechts, wonach völkerrechtswidrige Justizakte per se 470a nicht nichtig sind, verstößt nicht gegen das Völkerrecht (Rz. 215). Es muss aber ein ausreichender innerstaatlicher Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsweg zur Verfügung stehen, um die Aufhebung des völkerrechtswidrigen Akts erreichen zu können (der deutsche Instanzenzug dürfte diesem Gebot genügen). Der in seiner Souveränität beeinträchtigte Staat hat einen völkerrechtlichen Anspruch auf Aufhebung.272
268 Sehr klar Weigel, a.a.O., 123. S. auch Rz. 1002. 269 LG Darmstadt v. 23.11.1973, FamRZ 1974, 192 (Jayme) = IPRspr. 1973 Nr. 53. 270 OLG Frankfurt v. 29.9.1980, FRES 7, 234 = IPRspr. 1980 Nr. 82, Ferid/Böhmer, IPR3, Rz. 8170. 271 Zur Einbeziehung ausländischer Anwartschaften Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 366. 272 Vgl. Rz. 203. Zur innerstaatlichen Diskussion, ob völkerrechtswidrige deutsche Urteile nach deutschem Recht nichtig sind, s. Rz. 528. S. aus österr. Sicht auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 299.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
2. Kapitel: Befreiung von der Gerichtsbarkeit Literatur: Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen Klagen von Bürgern gegen einen fremden Staat oder ausländische staatliche Funktionsträger vor nationalen Gerichten, 2007; Baars/Böckel, Argentinische Auslandsanleihen vor deutschen und argentinischen Gerichten, ZBB 2004, 445; Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Fox, The Law State Immunity2, 2008; Garnett, The Defence of State Immunity for Acts of Torture, Australian YbIL 18 (1997), 97; R. Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225; von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399; Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht: Der Internationale Gerichtshof zeigt die Grenzen auf, IPRax 2012, 201; Kreß, Der Internationale Gerichtshof im Spannungsfeld von Völkerstrafrecht und Immunitätsschutz, GA 2003, 25; Meierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts? Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 270 ff.; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 151 ff.; Ronzitti/Vernturini, Le immunità giurisdizionali degli stati e degli altri enti interinazionali, 2008; Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, ZaöRV 2006, 699; Serranò, Immunità degli Stati stranieri e crimini internazionali nella recente giurisprudenza della Corte di Cassazione, Rivista di diritto internazionale privato e processuale, 3 (2009), 605; Stadler, Pacta sunt servanda auch im Falle argentinischer Staatsanleihen, IPRax 2008, 405; Steinberger, State Immunity, EPIL 4 (2000), 615; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305; Voyiakis, Access to Court v. State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, 2007; Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963, 2007; R. Wagner, Staatenimmunität in zivilrechtlichen Verfahren, RiW 2013, 851; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260; Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, Diss. Trier, 2007, 243 ff.; Zuppi, Die Immunität ausländischer Staaten vor argentinischen Gerichten, RIW 2007, 340.
I. Staatenimmunität als Ausgangspunkt der Immunitätslehre 471 Vom Grundsatz der unbeschränkten Gerichtsbarkeit als Ausfluss der Gebietshoheit (Rz. 372) gibt es Ausnahmen: Bestimmte Personen sind von der Gerichtsbarkeit bestimmter Staaten befreit. Man bezeichnet diese Personen als Immune (missverständlich: Exterritoriale oder Eximierte). 472 Ausgangspunkt der Immunitätslehre ist die Staatenimmunität. Ausländische Staaten genießen diese hinsichtlich ihrer hoheitlichen Betätigung (acta iure imperii). Das bedeutet, dass kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen 244
Befreiung
Dritter Teil
darf; kein Staat darf vor seinen Gerichten eine Klage gegen einen anderen Staat wegen dessen Hoheitsakten (Rz. 558, 578) zulassen.273 Immun ist der Staat, nicht aber dessen Hoheitsakt (Rz. 465).
II. Immunitätsträger 1. Organe des Völkerrechtsverkehrs Außer den Staaten selbst genießen ratione personae die Organe des völkerrecht- 473 lichen Verkehrs Immunität, nämlich Staatsoberhäupter (der Satz rex extra territorium suum privatus konnte sich nicht durchsetzen), die Regierungsmitglieder, die Diplomaten und Konsuln (Rz. 762 ff.).274 Dahinter steht folgender Gedanke: Die Immunität fremder Staaten könnte ausgehöhlt werden, wenn zwar Klagen gegen den auswärtigen Staat unzulässig wären, jedoch deren Amtsträger, die im Namen des fremden Staates gehandelt haben, verklagt werden könnten. Deshalb kennt das Völkerrecht auch die Immunität für fremde Staatsorgane. Die Immunität des Staates und die seiner Organe entspringt der gleichen Wurzel. Letztere sind staatliche Immunitäten „im weiteren Sinne“ und dienen ebenfalls der Wahrung der Souveränität der fremden Staaten.275 (S. auch Rz. 765). Die Privilegien, die das Völkerrecht fremden Staatsorganen zubilligt, schützen 474 nicht die individuellen Interessen der jeweiligen Amtsinhaber; sie genießen diese Vorrechte als Träger staatlicher Funktionen.276 So steht Diplomaten und Konsuln das Immunitätsprivileg im Interesse der Funktionsfähigkeit der Botschaft bzw. des Konsulats zu. Deswegen kann nur der Entsendestaat auf die Immunität verzichten (Rz. 633, 791, 810). Lässt sich z.B. der beklagte Diplomat oder Konsul auf die Klage ein, ohne sich auf seine Immunität zu berufen, so entfällt das Immunitätsprivileg nicht ohne Zustimmung des Entsendestaates.277 273 Z.B. BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 – Rz. 35) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. 274 Eine vertragsrechtliche Regelung der Immunität zentraler Staatsorgane während ihrer Amtstätigkeit gibt es (noch) nicht. Der IGH stützt die (grundsätzliche) absolute Immunität zentraler Staatsorgane auf das universelle Völkergewohnheitsrecht, IGH v. 14.2.2002 Kongo/Belgien (website des IGH), teilweise auch abgedruckt bei Neuhold/ Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 207 S. 341. 275 Gleichwohl wird in der völkerrechtlichen Literatur die Eigenständigkeit des Diplomatenrechts im Verhältnis zum Recht der allgemeinen Staatenimmunität betont. Es handele sich um unterschiedliche Rechtsinstitute mit jeweils eigenen Regeln, so dass aus Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann. Die völkerrechtlichen Regeln des Diplomatenrechts seien gegenüber der allgemeinen Staatenimmunität leges speciales, Steinberger, State Immunity, EPIL 4 (2000), 615; BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 Rz. 33) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. S. auch unten Rz. 488. 276 IGH v. 14.2.2002 Kongo/Belgien Rz. 53: „In customary international law, the immunities accorded to Ministers of Foreign Affairs are not granted for their personal benefit, but to ensure the effective performance of their functions on behalf of their respective State …“. 277 W. Zimmermann in MüKo.ZPO3, § 18 GVG Rz. 8. A.A. Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 42.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
2. Staatsorgane ohne besonderen völkerrechtlichen Status 475 Um zu verhindern, dass die Immunität eines Staates dadurch unterlaufen wird, dass an seiner Stelle das für ihn handelnde Organ zur Rechenschaft gezogen wird, sind nicht nur die Organe des Völkerrechtsverkehrs von der Gerichtsbarkeit fremder Staaten befreit, sondern auch die Staatsorgane ohne besonderen völkerrechtlichen Status bezüglich des hoheitlichen Handelns, das sie im Namen des immunen Staates vorgenommen haben (Rz. 617).278 Die Freiheit eines fremden Staatsorganes von inländischer Gerichtsbarkeit reicht mithin genau so weit wie die des Staates, für den es tätig geworden ist.279 476 Personen, die vor dem Beginn des gegen sie gerichteten Verfahrens oder in dessen Verlauf aus dem Staatsdienst ausscheiden, können sich hinsichtlich ihres hoheitlichen Handelns auch danach auf das Privileg der Immunität berufen. Die Immunität „überlebt“ ihre Stellung als Amtsträger. Dieser Grundsatz ist in Art. 39 II WÜD, Art. 53 IV WÜK und Art. 43 III der Konvention über Spezialmissionen kodifiziert.280 477 Die Immunität ratione materiae steht den Staatsorganen nicht kraft eigenen Rechts zu, sondern als Repräsentanten des fremden Staates (Rz. 474). 3. Erosion der Abgrenzungsmerkmale Immunität ratione personae et materiae 478 Einerseits haben die Staaten ihre absolute Immunität ratione personae verloren, andererseits kommt auch Nicht-Immunitätsträgern ratione materiae Immunitätsschutz zu. Diese Entwicklung macht die Unterscheidung der Immunität ratione personae von der Immunität ratione materiae nicht nur an den Rändern unscharf. Dies zeigt sich sogar bei der Diplomatenimmunität, die obwohl von der Staatenimmunität abgeleitet deren Einschränkungen auf acta iure imperii nicht mitgemacht hat und von der man sagen kann, sie sei auch heute noch ratione personae absolut. Doch gilt diese Befreiung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates auch in privaten Angelegenheiten nur im Grundsatz. Selbst Diplomaten müssen sich vor den Gerichten ihres Empfangsstaates nicht nur in Erbschaftssachen, sondern auch in Prozessen, die ihre privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit betreffen, verantworten (Rz. 769).
Allerdings soll der Missionschef im Zweifel als bevollmächtigt gelten, im Namen seiner Regierung den Verzicht für sich und die Mitglieder seiner Mission zu erklären, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 281 (§ 35 II 1). Vgl. auch Rz. 810. 278 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 77; Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (203). 279 Damian, a.a.O., 78. 280 Damian, a.a.O., 79.
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Befreiung
Dritter Teil
III. Klagezustellung und Ladung von ausländischen Staaten bzw. Immunitätsträgern Da es heute keine Immunitätsträger mehr gibt, die Immunität ohne jede Ausnah- 479 me genießen, ist die Klagezustellung und Ladung zum Prozess völkerrechtlich nicht verboten.281 Denn es muss geklärt werden können, ob in concreto ein Immunitätstatbestand gegeben ist und ob gegebenenfalls darauf verzichtet wird. Die Befreiungen von der Gerichtsbarkeit sind von der Sache und nicht mehr von der Person her definiert. Dies macht Abgrenzungsprobleme und „Grauzonen“ unvermeidbar. Daher ist von Völkerrechts wegen – die Zustellung von Klage, Ladung usw. zunächst zulässig, wenn auch eventu- 480 ell an besondere Formen und Fristen gebunden,282 – das Vorliegen und Eingreifen der gerichtlichen Immunität im konkreten Fall 481 vom beklagten fremden Staat einzuwenden, schlüssig darzutun, notfalls zu beweisen, wenn auch von Amts wegen zu prüfen und zu berücksichtigen (Rz. 527), – ein Versäumnisurteil gegen den fremden Staat bzw. seine diplomatische Ver- 482 tretung zulässig, wenn er nicht reagiert, insbes. im Termin nicht vertreten ist, und wenn die Prüfung von Amts wegen keine eindeutigen Anhaltspunkte für die gerichtliche Immunität im konkreten Fall ergibt,283 – ein die Immunität in concreto verletzender Justizhoheitsakt (Urteil, Pfändung, 483 Vollstreckung usw.) nicht schlechthin nichtig, sondern in erster Linie mit normalen Rechtsmitteln anzufechten.284 Eine andere Frage ist, ob der Gerichtsstaat diesen völkerrechtlichen Rahmen voll 484 ausnutzt. Zur Eröffnung eines gerichtlichen Verfahrens gegen einen fremden Staat (Zustel- 485 lung der Klage, Aufforderung zur Klageerwiderung, Termin zur mündlichen Verhandlung und Ladung des fremden Staates hierzu) wird im deutschen zivilprozessualen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass der Richter nicht einmal die Zustellung der Klage an den Beklagten veranlassen dürfe und erst recht keinen Termin anberaumen dürfe, wenn eindeutig feststehe, dass ein Immunitätstatbestand gegeben ist.285 Wo jedoch Zweifel herrschen, sei nach Klagezustellung in mündlicher Verhandlung zu klären, ob Immunität vorliege oder nicht.286
281 Im Ergebnis übereinstimmend Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 123, 201; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 37. 282 Zustimmend z.B. Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 271 Rz. 30. 283 Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 81. S. auch Rz. 526, 657. 284 Deutlich Strebel, RabelsZ 44 (1980) 74 und Heß, RIW 1989, 255. 285 OLG München v. 12.8.1975 – 1 W 1347/75, NJW 1975, 2144 = IPRspr. 1975 Nr. 132; OLG Frankfurt v. 5.10.1981 – 4 WF 35/81, FamRZ 1982, 316 = IPRspr. 1981 Nr. 176; Linke/Hau, IZVR5, Rz. 76; s. auch österr. OGH v. 7.5.2003, ZfRV 2004, 27; W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 182; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 19 Rz. 14. 286 Schlosser, Zivilprozeßrecht I2, Rz. 59.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
486 Diese Handhabung ist völkerrechtlich nicht geboten.287 Sie verletzt möglicherweise auch den auch auf völkerrechtlicher Ebene bestehenden Justizgewährungsanspruch des Klägers (Rz. 250, 1906 ff.), denn es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass der auswärtige Staat für sich bzw. seinen Amtsträger auf die Immunität verzichtet.288 Jedenfalls innerstaatlich sind die deutschen Gerichte und sonstigen Justizorgane durch den durch die Verfassung gewährleisteten Justizgewährungsanspruch289 verpflichtet, einen Zustellungsversuch zu unternehmen; scheitert dieser, ist nach § 185 ZPO öffentlich zuzustellen.290 487 Die Gerichte des Forumstaates sind völkerrechtlich nicht gehindert, über Bestehen und Nichtbestehen ihrer eigenen Gerichtsbarkeit zu befinden. Deshalb ist die Einleitung eines Verfahrens, welches der Ermittlung von Tatsachen dient, die für die Klärung der Immunitätsfrage von Bedeutung sind, völkerrechtskonform.291 Der Immunitätsanspruch des fremden Staates (für sich bzw. seine Staatsorgane) wird dadurch nicht tangiert. Sobald die Immunität zutreffend geltend gemacht wird, ist das Verfahren zu beenden. Aber auch wenn der fremde Staat untätig bleibt, ist das Fehlen der Gerichtsbarkeit von Amts wegen in jedem Stadium des Verfahrens zu berücksichtigen (Rz. 527).
IV. Verschiedene Ausgestaltung der Immunitätsbereiche 488 Obwohl alle Immunitäten ihre Wurzeln in der Staatenimmunität haben, sind die Regeln für die Gerichtsbefreiung der fremden Staatsorgane unterschiedlich ausgeprägt.292 Man kann also nicht von dem Umfang der Immunität fremder Staatsorgane auf die Immunität fremder Staaten schließen und umgekehrt. So sind z.B. Diplomaten auch für ihre privaten Tätigkeiten grundsätzlich von der Zivilgerichtsbarkeit befreit (Rz. 765). Daraus kann nicht geschlossen werden, dass auch den Staaten Immunität bezüglich acta iure gestionis zusteht.293 489 Auch die (für die Staatenimmunität wichtige) Unterscheidung zwischen Handeln iure imperii und iure gestionis kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Begriff des Handelns in Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben. Dieser Begriff ist weiter als der des staatlichen Hoheitsaktes (Rz. 811).
287 Vgl. Art. 16 EuÜStI, Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 89. 288 LG Hamburg v. 10.4.1986 – 2 O 189/85, NJW 1986, 3034 (v. Schönfeld 2980) = RIW 1988, 478 = IPRspr. 1986 Nr. 127; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 390; schon Heß, RIW 1989, 255. 289 Nachw. hierzu z.B. bei Geimer, ZfRV 5 (1992), 321 (326); Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 286; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 8. 290 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 37; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 271 Rz. 30. 291 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 208. 292 Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (203). 293 Im gleichen Sinne nun auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnisund im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 282.
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Befreiung
Dritter Teil 490
Beispiel:294 Bestellt ein Konsul zu einem Treffen mit inländischen Vertretern der Wirtschaft im Namen des ausländischen Staates (Rz. 806) Speisen und Getränke, so handelt er damit erkennbar in seinem Aufgabenbereich nach Art. 5 WÜK zur Förderung wirtschaftlicher Beziehungen. Er genießt zivilrechtliche Immunität nach Art. 43 I WÜK wegen Zahlungs- oder Schadensersatzklagen, nicht aber der Staat, für den er aufgetreten ist. Für letzteren bedeutet das Handeln durch seinen Konsul ein gleichberechtigtes Teilnehmen am allgemeinen Wirtschaftsverkehr (actum iure gestionis). Die vom WÜD und WÜK geregelten Immunitätsbereiche decken sich insoweit nicht mit dem der Staatenimmunität.
Besonders weit reicht der Schutz des Diplomatenrechts und des gesamten Bot- 490a schafts- bzw. Gesandschaftskomplexes. So berechtigt ein pauschal erklärter Immunitätsverzicht (z.B. aus Anlass der Begebung einer Anleihe, Rz. 583) nicht auch zur Vollstreckung in solche Vermögensgegenstände, die dem Entsendestaat zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner diplomatischen Mission im Empfangsstaat dienen.295
V. Keine Relativität der Immunität Die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit bedeutet ein absolutes Verfah- 491 renshindernis in dem Sinne, dass die Durchführung eines Verfahrens und der Erlass eines Sachurteils gleich welchen Inhalts verboten sind. Verboten ist also nicht nur eine für den fremden Staat ungünstige Entscheidung, sondern jede Sachentscheidung (Rz. 527a).
VI. Befreiung von der Zeugnispflicht Eine solche kommt aus der Natur der Sache bei Staaten nicht in Betracht, wohl 492 aber bei Staatsorganen. Diese sind – soweit sie Immunitätsträger sind – von der Zeugnispflicht nicht generell befreit, vielmehr nur bezüglich ihrer hoheitlichen Tätigkeit.296 So unterliegen Konsuln im Gegensatz zu Diplomaten (Rz. 777) der Zeugnispflicht, haben jedoch in Bezug auf ihre Amtshandlungen ein Zeugnisverweigerungsrecht (Rz. 808). Auch der in Rz. 475 genannte Personenkreis (Staatsorgane ohne besonderen völ- 493 kerrechtlichen Status) ist von der Zeugnispflicht befreit in entsprechender Anwendung von Art. 44 WÜK (Rz. 808). Zur Rechtsstellung der Staatsoberhäupter s. Rz. 763a.
494
294 Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 68. 295 BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (209 – Rz. 40 ff.) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. 296 BVerwG v. 30.9.1988 – 9 CB 47/88, NJW 1989, 678 = IPRspr. 1988 Nr. 147 (Einvernahme des indischen Verteidigungsministers).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
VII. Rechtsquellen 495 Die Normen des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts über die Befreiung von der Gerichtsbarkeit werden durch Art. 25 GG in das innerstaatliche deutsche Recht transformiert. Sie bilden einen übergesetzlichen Bestandteil des Bundesrechts, während ansonsten die von Deutschland ratifizierten das Immunitätsrecht betreffenden Konventionen gem. Art. 59 II GG in der innerstaatlichen Normenhierarchie lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes haben.297 496 Die Immunitätsregeln sind mittlerweile in ihren Hauptbereichen völkervertraglich kodifiziert. Die „Durchschlagskraft“ dieser Konventionen ist jedoch unterschiedlich. Während das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1961 über diplomatische Beziehungen298 und das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über die konsularischen Beziehungen299 mittlerweile in so vielen Staaten ratifiziert sind bzw. ohne völkervertragliche Bindung innerstaatlich beachtet werden,300 dass man davon sprechen kann, dass sie den Stand des derzeit universell geltenden Völkerrechts widerspiegeln, ist eine weltweite Festschreibung der Normen über die Staatenimmunität erst Ende 2004 geglückt. Das VN-Übereinkommen vom 2.12.2004301 (Rz. 571) ist jedoch noch nicht in Kraft.302 Dies führte vor allem im Hinblick auf die in neuerer Zeit erlassenen nationalen Immunitätsgesetze in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Zersplitterung, welche die Feststellung des Umfangs und der Tragweite des völkergewohnheitsrechtlichen Immunitätsrechts bisher erschwert hat.303 Nunmehr hat aber der Internationale Gerichtshof in seinem Urteil vom 3.2.2012 in der Causa Bundesrepublik Deutschland v. Italienische Republik für Klarheit gesorgt im Hinblick auf den zentralen Bereich des Immunitätsrechts, nämlich die Staatenimmunität.304 497 Das Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität vom 16.5.1972 (Rz. 666) ist dogmatisch durch die neuere Entwicklung überholt und konnte nicht als Modell für eine globale Konvention dienen. Ob die Beschränkung der
297 298 299 300 301 302
303 304
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Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (203). BGBl. II 1964, 957. BGBl. II 1969, 1585. Vgl. §§ 18, 19 GVG, wonach diese Übereinkommen auch gegenüber Nichtvertragsstaaten anzuwenden sind. ILM 44 (2005), 801. Zu den vorausgegangenen umfangreichen Vorbereitungen und verschiedenen Entwürfen Rz. 570; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 29, 247; hervorzuheben sind die Entwürfe der International Law Commission der Vereinten Nationen von 1991 (ausführlich Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 195 ff.) sowie der International Law Association (Heß, a.a.O., 253), die 1994 eine revidierte Fassung des Montreal-Draft von 1982 (ILA-Reports 1982, 5 = ILM 22 [1983], 287) verabschiedet hat. Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 207 ff. S. auch R. Wagner, Staatenimmunität in zivilrechtlichen Verfahren, RiW 2013, 851 m.w.N. Steinberger, EPIL 10 (1987), 429. IGH v. 3.2.2012 Deutschland/Italien (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201.
Befreiung
Dritter Teil
Staatenimmunität auf acta iure imperii (Rz. 558) aufgrund entsprechender opinio iuris und ständiger Übung geltendes Völkergewohnheitsrecht ist, wurde zwar mitunter bestritten. Diese Frage ist jedoch mit der h.M. zu bejahen. Selbst das Internationale Abkommen vom 10.4.1926 zur einheitlichen Feststel- 498 lung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe305 wurde bisher nur von relativ wenigen Staaten ratifiziert306 und ist inzwischen durch Art. 95 und 96 des VN-Seerechtsübereinkommens ersetzt. Dieses Übereinkommen regelt einen Teilaspekt der Vollstreckungsimmunität der Staaten (Rz. 597). Das Schlagwort „Immunität fremder Staatsschiffe“ ist geeignet, Missverständnisse heraufzubeschwören: Es handelt sich hier nicht um ein dem Schiff zustehendes Vorrecht besonderer Art, wie man meinen möchte, wenn man an die im anglo-amerikanischen Bereich entwickelte action in rem against a ship denkt. Mit dieser Klage können nicht nur dingliche Rechte an dem beklagten Schiff, sondern auch Forderungen, die mit dem Betrieb des Schiffes in Zusammenhang stehen, wie z.B. Werklohnforderungen aus Verträgen über Schiffsreparaturen oder Schadensersatzforderungen aufgrund von Schiffskollisionen und ähnlichen Unfällen, geltend gemacht werden, um Befriedigung aus der beklagten Sache zu erlangen. Das Schiff dient dabei als Objekt der Haftung für die Ansprüche des Klägers und kann für diesen Zweck beschlagnahmt werden. Die für den kontinentaleuropäischen Juristen schwer nachvollziehbare Vorstel- 499 lung eines Prozesses gegen eine Sache (unpersönliches Verfahren)307 ändert nichts an der Tatsache, dass es sich hier um ein Verfahren gegen einen fremden Staat handelt. Für das Erkenntnisverfahren gelten die Grundsätze in Rz. 578 und für das Vollstreckungsverfahren die in Rz. 588 dargestellten Regeln.
VIII. Immunität internationaler Organisationen Die Immunität internationaler Organisationen und ihrer Organe und Bediens- 500 teten ist in den meisten Fällen durch besondere Übereinkommen geregelt, so z.B. für die Vereinten Nationen durch das New Yorker Übereinkommen vom 13.2.1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen.308 Dabei trägt der Sitzstaat, in dem die internationale Organisation angesiedelt ist, die Hauptlast. Denn seine Gerichtsbarkeit wird de facto am meisten tangiert. Daher sind die Sitzstaaten daran interessiert, besondere Sitzstaat-Abkommen zu schließen, in denen der Immunitätsanspruch der internationalen Organisation vor allem im Hinblick auf deren Bedienstete nur (möglichst) restriktiv anerkannt wird. Die Immunität internationaler Organisationen beruht jedoch nicht auf univer- 501 sell geltendem Völkergewohnheitsrecht. Allenfalls besteht Gewohnheitsrecht
305 306 307 308
RGBl. II 1927, 483; RGBl. II 1936, 303. Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 224. Wolff, IPR Deutschlands3, 174. BGBl. II 1980, 941.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
innerhalb des Mitgliederkreises der betreffenden internationalen Organisation (Rz. 907, 1906).309 (S. auch Rz. 827).
IX. Kein Ausschluss der Immunität bei völkerrechtswidrigem Verhalten, auch bei schweren Völkerrechtsverstößen 502 Der Immunitätsanspruch besteht auch dann, wenn Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ein Hoheitsakt ist, der mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringen ist.310 Dass ein Verstoß gegen ius cogens den Immunitätsanspruch des betroffenen Staates nicht beseitigt, hat der IGH in seinem Urteil vom 3.2.2012311 unmissverständlich klargestellt und damit allen Tendenzen zur Aufweichung der Staatenimmuniät im Bereich der acta imperii eine deutliche Absage erteilt. Ausnahme: Ausübung der Gerichtsbarkeit ist dann zulässig, wenn es sich um eine völkerrechtlich erlaubte Repressalie handelt (Rz. 648).312 503 Vorstehender Grundsatz gilt nicht nur für die Staatenimmunität, sondern auch für die Immunität von fremden Staatsorganen. Staatsorgane genießen „auch für rechtswidrige, ja sogar völkerrechtswidrige Staatsakte“ außerhalb des Dienstherrenstaates völkerrechtliche Immunität.313 Auch die VN-Konvention über Staatenimmunität 2004 (Rz. 571) hält an diesem Grundsatz fest, obwohl in letzter Zeit von manchen Gesetzgebern314 und einigen nationalen Gerichten bei schweren Völkerrechtsverstößen eine Immunitätsausnahme postuliert worden ist (Rz. 763b, 782).315 309 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Organisationen7; Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 171. 310 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 181. Nach a.A. überschreitet ein Staat, der gegen zwingendes Völkerrecht verstößt, die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit. Die von ihm unter Verstoß gegen ius cogens gesetzten Akte seien keine Hoheitsakte mehr. Dieser Staat handle nicht mehr als Souverän, Nachw. bei Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug, ArchVR 41 (2003), 201; Garnett, The Defence of State Immunity for Acts of Torture, Australian YbIL 18 (1997), 97; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 86; Zeichen/Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182. 311 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201. 312 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 79. 313 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 421; Damian, a.a.O., 79. 314 Die Vereinigten Staaten von Amerika normierten 1996 in 28 U.S.C. 1605 (a) (7) i.V.m. (e) und (f) (weitere) Immunitätsausnahmen für Folter-, Tötungs-, und Sabotagehandlungen sowie Geiselnahmen durch fremde Staaten gegen US-Bürger. 315 Ausführliche Nachw. bei Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, ArchVR 41 (2003), 201 (210); Kreß, Der Internationale Gerichtshof im Spannungsfeld von Völkerstrafrecht
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Befreiung
Dritter Teil
So verklagte 1992 Hugo Princz Deutschland in den Vereinigten Staaten von Amerika vor einem Bezirksgericht; er verlangte Schadensersatz wegen Internierung und Misshandlungen während der NS-Zeit. Das Bezirksgericht verneinte die Immunität der Bundesrepublik Deutschland, weil es für barbarische Akte unter Missachtung jeder Menschlichkeit keine Befreiung von der Gerichtsunterworfenheit geben könne.316 Mit gleicher Zielrichtung verweigerte der griechische Areopag317 im Hinblick auf einen Repressalienexzess der deutschen Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs im Dístomo-Fall (Rz. 222d) Immunität, wurde jedoch vom Obersten Sondergericht Griechenlands korrigiert.318 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Grundsatz der Staatenimmunität auch bei barbarischen Völkerrechtsverstößen festgehalten, so z.B. im Fall Al-Adsani. Al Adsani wurde 1991 in Kuwait gefoltert. Er verklagte das Emirat in England auf Schadensersatz. Die englischen Gerichte wiesen jedoch die Klage aus immunitätsrechtlichen Gründen a limine ab.319 Die dagegen in Straßburg erhobene Menschenrechtsbeschwerde (Art. 35 EMRK) wegen Verweigerung der Justizgewährung (Art. 6 I EMRK) war nicht erfolgreich: Die Staa-
316 317 318
319
und Immunitätsschutz, GA 2003, 25; Monika Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000; Meierhöfer, Der EGMR als „Modernisierer“ des Völkerrechts? Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391; Orahelashvili, State Immunity and International Public Order, GYIL 45 (2002), 227; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 270 ff.; Voyiakis, Access to Court v State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696: Zeichen/Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182. 813 F. Supp 22 (D.D.C. 1992). Das Urteil wurde jedoch im Rechtsmittelverfahren aufgehoben, 26 F.3rd1166 = I.L.M. 33 (1994), 1483 (D.C.Cir. 1994). Areopag v. 4.5.2000, Dike 2000, 722 (Beys); Siehr in FS Kerameus, 2009, 1293; von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 330. Oberstes Sondergericht Griechenlands v. 17.9.2002, Dike International 2002, 1282 (1289). Vgl. auch EGMR v. 12.12.2002 – 59021/00, NJW 2004, 273; BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 = MDR 2003, 1177 = NJW 2003, 3488 = VersR 2004, 1312 = LMK 2003, 215 (Geimer) = IPRspr. 2003 Nr. 116, bestätigt durch BVerfG v. 15.2.2006 – 2 BvR 1476/03, NJW 2006, 2542 = EuGRZ 2006, 105 = IPRspr. 2006 Nr. 103. Hierzu Beys in FS Geimer, 2002, 67; Beys Dike 31 (2002), 736; R. Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225; Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (127); Kempen in FS Steinberger, 2002, 179; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 12; Stürner in FS Georgiades, 2005, 1299, 1307. Umfangreiche Nachw. bei Stammler, Der Anspruch von Kriegsopfern auf Schadensersatz, 2009, 39 ff.; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305; von Woedtke, Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen, 2010. EGMR v. 21.11.2001, Appl. No. 35763/97, EuGRZ 2002, 403 § 52 ff.
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tenimmunität sei eine zulässige Beschränkung des Anspruchs auf Justizgewährung.320 Dies hat nunmehr auch der Internationale Gerichtshof bestätigt.321
X. Drittwirkung der Immunität 504 Soweit das Vermögen fremder Staaten dem Zugriff des Gerichtsstaates entzogen ist, ist dieses „persönliche Vorrecht“ des fremden Staates auch in Verfahren, an denen nur Dritte beteiligt sind, zu gewährleisten. So darf in einem Prozess zwischen Privaten die beklagte Partei durch das vom Kläger angerufene Gericht nicht zu einem Verhalten verpflichtet werden, das auf einen Eingriff in ein dingliches Recht eines auswärtigen Staates hinausläuft, vorausgesetzt, dem betreffenden Staat hätte Immunität eingeräumt werden müssen, wenn das Verfahren unmittelbar gegen ihn gerichtet worden wäre (Rz. 610). 505 Beispiel: Ein Privater klagt gegen eine Bank auf Herausgabe einer Sache, die von dieser für einen fremden Staat verwahrt wird. Gäbe das Gericht der Klage statt und würde das Urteil vollstreckt, so hätte dies zur Folge, dass der fremde Staat den mittelbaren Besitz an der Sache verlöre.322
XI. Verzicht auf Immunität 1. Überblick 506 Ein Staat kann auf seinen Immunitätsanspruch verzichten (Rz. 629). Der Verzicht hat heute nur noch im Hinblick auf acta iure imperii konstitutive Bedeutung.323 Verzichte, die sich auf den hoheitlichen Bereich beziehen, sind selten. Verzichte für acta iure gestionis haben nur klarstellende Bedeutung. Dadurch wird das deutsche Gericht der Qualifikationsfrage enthoben. Tritt der Staat als Kläger auf324, so kann er sich im Erkenntnisverfahren nicht auf seine Immunität berufen (Rz. 634, 706)325; die Vollstreckungsimmunität bleibt jedoch 320 Zur Erosion des Immunitätsschutzes Kadelbach BerDGVR 40 (2003), 63 (93); M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000, 292 ff.; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 11 ff. S. auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 247 ff. 321 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 102 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (204). 322 Damian, a.a.O., 82. 323 Z.B. BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (209 – Rz. 36) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. Anders (aber kaum noch vertretbar) Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 381, die u.U. auch für acta iure gestionis einen Immunitätsanspruch bejaht. 324 Hierzu ausführlich Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993. 325 Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 193; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 396 ff. mit umfangreichen Nachw.
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Befreiung
Dritter Teil
unberührt (Rz. 631). Vorstehendes gilt auch für sonstige Immunitätsträger (Rz. 771, 780a).326 Der Verzicht kann auch konkludent erklärt werden, der Verzichtswille des betreffenden Staates muss aber klar und deutlich feststehen. Bloßes Schweigen genügt nicht (Rz. 516). Art. 2 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 666) und Art. 7 Ziffer 1 der VN-Konvention über Staatenimmunität 2004 (Rz. 571) regeln nur den ausdrücklichen Verzicht. Dass auch ein konkludenter Verzicht möglich ist, ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang und aus den Spezialvorschriften der jeweiligen Konvention.327 2. Einseitige Erklärung Der privilegierte Staat kann durch einseitige Erklärung seine Immunität auf- 507 geben, das Einverständnis des Forumstaates ist nicht erforderlich (einseitiges Gestaltungsgeschäft des Völkerrechts); dadurch wird die Gerichtsbarkeit des Forumstaates erweitert. Das Völkerrecht gebietet jedoch dem Gerichtsstaat nicht, die ihm dadurch zuwachsenden Befugnisse auch auszuüben (Rz. 521a). 3. Völkervertraglicher Verzicht Denkbar sind auch Immunitätsverzichte im Rahmen eines völkerrechtlichen Ver- 508 trages. Dann ist der verzichtende Staat nach näherer Maßgabe der Regeln der Wiener Konvention vom 23.5.1969 über das Recht der Verträge328 gebunden.329 In zahlreichen völkerrechtlichen Übereinkommen finden sich solche Verzichte.330 4. Zuständigkeit Zuständig zum einseitigen Verzicht ist nicht nur das jeweilige Außenministeri- 509 um, sondern auch dasjenige staatliche Organ, dem die Erledigung des vom Verzicht betroffenen Aufgabenbereichs übertragen ist. Danach ist jedes Regierungsmitglied für die Abgabe von Verzichtserklärungen in Angelegenheiten, die sein Ressort betreffen, zuständig. Darüber hinaus kann jede Person, die ermächtigt ist, im Namen des Staates Verträge zu schließen, hinsichtlich sämtlicher Streitigkeiten, die den von ihr begründeten vertraglichen Beziehungen entspringen, auf Immunität verzichten (Rz. 713). Auch die Prozessvollmacht bzw. die Vollmacht, die Interessen in einem gericht- 510 lichen Verfahren zu vertreten, schließt die Befugnis ein, alle verfahrensrechtlich 326 BAG v. 19.6.1984 – 1 AZR 65/82, AP Nr. 1 zu Art. 72 ZA-NATO-Truppenstatut (Beitzke) = IPRspr. 1984 Nr. 125; BAG v. 30.11.1984 – 7 AZR 499/83, AuR 1985, 164 = IPRspr. 1984 Nr. 126. 327 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 383 ff. 328 BGBl. 1985 II 926; hierzu z.B. Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 553. 329 BAG v. 10.11.1993 – 7 AZR 600/92, IPRax 1995, 33 (Seidl-Hohenveldern 14) = IPRspr. 1993 Nr. 133. 330 Vgl. auch Art. 2 Buchst. a EuÜStI, s. Rz. 714.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
relevanten Handlungen mit völkerrechtlicher Wirksamkeit und damit auch die Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Forumstaates vorzunehmen, es sei denn, der vollmachterteilende Staat hat ausdrücklich eine entsprechende Einschränkung gemacht. 511 Schließlich ist der Leiter der diplomatischen Mission im Gerichtsstaat berechtigt, im Namen des privilegierten Staates den Verzicht zu erklären (Rz. 791). 5. Umfang des Verzichts 512 Der verzichtende Staat kann den Verzicht auf einen individuellen Streitfall beschränken oder für einen sachlich abgegrenzten Bereich von Streitigkeiten auf Immunität verzichten (Rz. 646).331 Die Verzichtserklärung kann erga omnes gerichtet sein. Sie kann jedoch wie das meist der Fall ist nur eine Unterwerfung für einen bestimmten Staat, ja sogar nur für ein bestimmtes Gericht enthalten. 513 Ein Verzicht nur für den Fall des Obsiegens ist unzulässig. 6. Zeitpunkt 514 Der Verzicht kann sowohl vor als auch nach Entstehen der Streitigkeit oder während der Rechtshängigkeit erklärt werden.332 7. Form 515 Eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben. Auch mündliche Verzichtserklärungen sind völkerrechtlich wirksam. 8. Schlüssiges Verhalten (implied waiver) 516 Ein rein passives Verhalten des fremden Staates (Schweigen nach Klagezustellung, Ausbleiben zu dem Termin etc.) kann nicht als Zustimmung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit durch schlüssiges Verhalten gedeutet werden. Der verklagte Staat kann vielmehr darauf vertrauen, dass seine Immunität von Amts wegen beachtet wird (Rz. 629).333 9. Widerruflichkeit 517 Der Immunitätsverzicht ist nach Einleitung des gerichtlichen Verfahrens unwiderruflich.334
331 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 409. 332 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 409. 333 Vgl. Art. 15 EuÜStI, Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 40; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 410. 334 Vgl. Art. 3 I 1 EuÜStI, Damian, a.a.O., 42.
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Dritter Teil
10. Immunitätsverzicht gegenüber Privaten Der Immunitätsverzicht von Staaten gegenüber nichtstaatlichen Parteien spielt 518 vor allem im internationalen Bankverkehr, bei Auslandsinvestitionen (in den Entwicklungsländern) und bei der Vermietung von Büros an fremde Missionen eine große praktische Rolle. Dass ein Immunitätsverzicht nur gegenüber einer staatlichen Stelle (Gericht) abgegeben werden könne, ist überholt. Art. 2 (b) (c) EuÜStI geht davon aus, dass ein solcher Immunitätsverzicht gegenüber Dritten erklärt werden kann, ebenso die Rechtsprechung. vieler ausländischer Gerichte.335 Die Problematik steckt darin, dass die Immunität ein völkerrechtliches Privileg 519 ist, Private jedoch grundsätzlich keine Völkerrechtssubjekte sind. Die Verbindlichkeit eines gegenüber einem Privaten erklärten Immunitätsverzichts kann also völkerrechtlich nur als einseitiger, nicht empfangsbedürftiger Verzicht gedeutet werden, den der privilegierte Staat abgibt, ohne dass es zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des Privaten bedarf; es sei denn, man entschließt sich, hier von einem unechten völkerrechtlichen Vertrag oder beschränkt völkerrechtlichen Vertrag zu sprechen.336 Solche Verzichtserklärungen, die i.d.R. im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen 520 abgegeben werden, beinhalten meist auch eine Zuständigkeitsvereinbarung, deren Wirksamkeit sich nach dem innerstaatlichen Recht einschließlich des Kollisionsrechts des prorogierten Gerichtsstaates (Rz. 1677) richtet.337 (Vgl. Rz. 647). Eines ausdrücklichen Verzichts auf die Immunität bedarf es nicht. Ein Staat, der 521 mit einem Privaten auf der Ebene des Privatrechts, d.h. nicht auf der des Völkerrechts (Rz. 145),338 eine Gerichtsstands- oder eine Schiedsvereinbarung schließt, erklärt damit einen konkludenten Verzicht auf seine Immunität (Rz. 629, 752, 3854).339 In der Vereinbarung über das anwendbare Recht liegt jedoch nicht eine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Staates, dessen Recht als lex contractus vereinbart ist (Rz. 716).340 Das Gleiche gilt für die Vereinbarung des Erfüllungsorts im Forumstaat.341
335 336 337 338
Nachw. bei Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 28. Damian, a.a.O., 51; Herdegen, RIW 1989, 332 Fn. 34. Damian, a.a.O., 52. Zum Schiedsverfahren zwischen Staaten und Privatpersonen Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 120, 201. S. auch die Nachw. zu den Verträgen zwischen Staaten und ausländischen Privatpersonen bei Müller/Wildhaber, Praxis des Völkerrechts3, 315. 339 Herdegen, RIW 1989, 336 Fn. 93; Berger, RIW 1989, 957; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 385 ff., 395; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 176, 180. S. auch Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 263. 340 Damian, a.a.O., 55; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 407. 341 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 408.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
11. Justizgewährungsanspruch 521a Der Verzicht auf die Immunität begründet keinen (bis dahin nicht existierenden) völkerrechtlichen Anspruch des verzichtenden Staates gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Justizgewährung für sich bzw. seine Amtsträger i.S. eines Anspruchs auf ein Urteil in der Sache (z.B. kann ein Staat an der Abweisung der Klage als unbegründet durch die deutschen Gerichte interessiert sein).342 Der Justizgewährungsanspruch richtet sich nach anderen Kriterien (Rz. 1909). 12. Verzicht auf Vollstreckungsimmunität 521b Der Vollstreckungszugriff auf Vermögen fremder Staaten mit hoheitlichem Verwendungszweck ist grundsätzlich von Völkerrechts wegen verboten (Rz. 590), es sei denn, der betroffene Staat verzichtet auf seine Vollstreckungsimmunität (Rz. 605, 631).343 Besonders weit reicht der Schutz des Diplomatenrechts und des gesamten Botschafts- bzw. Gesandschaftskomplexes. So berechtigt ein pauschal erklärter Immunitätsverzicht (z.B. aus Anlass der Begebung einer Anleihe, Rz. 583) nicht auch zur Vollstreckung in solche Vermögensgegenstände, die dem Schuldner-Staat (Entsendestaat) zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner diplomatischen Mission im Vollstreckungsstaat (Empfangsstaat) dienen.344
XII. Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes 522 Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes sind empfehlenswert, weil angesichts der besonderen Sachkunde dieses Bundesministeriums besonders nützlich. Sie sind aber für die Gerichte nicht verbindlich (Rz. 272).345 Darüber, ob in concreto eine Befreiung von der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland gegeben, also ein Immunitätstatbestand verwirklicht ist, entscheiden letztlich die Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 II GG). Dieses deutsche Verständnis von (radikaler) Gewaltenteilung (Rz. 272) und Vorrang der Judikative vor den Prärogativen der Regierung, der die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zusteht (Art. 32 I GG), ist in anderen Staaten mit gleich hoher Rechtskultur nicht vermittelbar. So werden im Vereinigten Königreich völkerrechtlich erhebliche Umstände für die Gerichte bindend durch ein Zeug-
342 Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 28; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 306; Dutta, Vollstreckung in öffentlichrechtliche Forderungen ausländischer Staaten, IPRax 2007, 109 (117). 343 Zum Immunitätsverzicht s. auch BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 23 ff. 344 BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (209 – Rz. 40 ff.) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. 345 R. Geimer, ZfRV 1992, 414; Kilgus, RIW 1997, 14; für „faktische Bindung“ Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 193 ff.
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nis (certificate) des Foreign Office festgestellt, sec 21 StIA; denn „our State cannot speak with two voices on such a matter“, bemerkte treffend Lord Atkin.346 Unverbindlich sind erst recht Stellungnahmen und Rechtsgutachten der Außen- 522a ministerien fremder Staaten.347
XIII. Feststellungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts Bestehen ernsthafte Zweifel, ob ein Immunitätstatbestand vorliegt und deshalb 523 die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben ist, so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, Art. 100 II GG.348 Dieses entscheidet (innerstaatlich) verbindlich (Rz. 280). Unterlässt das Gericht 524 entgegen Art. 100 II GG die Vorlage, so kann die Verfassungsbeschwerde begründet sein (Rz. 278).
XIV. Gerichtsbarkeit als Prozessvoraussetzung: Prüfung von Amts wegen Das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit in dem jeweiligen konkreten Ver- 525 fahren ist eine allgemeine Prozessvoraussetzung.349 Sie ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Rz. 843c).350 Gegen die eximierte Partei darf soweit die Befreiung von der inländischen Gerichtsbarkeit reicht nach h.M.351 keine Zustellung, Ladung, Terminsanberaumung, Streitverkündung352, kein Urteil, Beschluss, Mahn- oder Vollstreckungsbescheid ergehen.353 Dieser Standpunkt ist weder völkerrechtlich geboten, noch mit dem Justizgewährungs-
346 Im Fall The Arantzazu Mendi (1939) A.C. 264. Ähnlich ist die Rechtslage in den USA, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 284 (§ 36 III); Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 10 (26). 347 BayObLG v. 5.11.1991 – 1 ObOWi 345/91, MDR 1992, 510 = IPRspr. 1991 Nr. 164; BVerfG IPRax 2008, 427 (Stadler 405, 407). 348 Beispiel: BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50. 349 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 217; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 64; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 380, 479 ff. 350 Zustimmend Hausmann in FS Geimer, 2002, 291 m.w.N. Auch ein nicht angefochtenes Zwischenurteil, das die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit zu Unrecht verneint, bindet nicht, BGH v. 9.7.2009 – III ZR 46/08, MDR 2009, 1239 = NJW 2009, 3164 = IPRspr. 2009 Nr. 160b; Vorinstanz: OLG Frankfurt/M. v. 13.2.2008 – 17 U 50/07, IPRSpr. 2009 Nr. 160a. 351 Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Vorbem. §§ 606a, 328 ZPO Rz. 26. 352 RG v. 20.5.1930, RGZ 129, 98 (106). 353 Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 25.
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anspruch des Klägers vereinbar. Daher sind Zustellung der Klage, Ladung und Terminsanberaumung zulässig (Rz. 479).354 526 Auch hat der beklagte Staat bzw. der sonstige Immunitätsträger de facto auf innerstaatlicher Ebene355 die prozessuale Last, sich gegen (Versäumnis-)Urteile oder sonstige Entscheidungen zur Wehr zu setzen, will er nicht riskieren, dass eine (ihm nachteilige) Entscheidung, die seine Immunität ignoriert, innerstaatlich unanfechtbar und damit wirksam wird bzw. bleibt.356 Beispiel: Das LG und das OLG verurteilen einen fremden Staat zur Zahlung, jedoch nur in Höhe eines Teils des geltend gemachten Anspruchs; im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen. Nur der Kläger legt Revision ein; damit wird das vom OLG bestätigte LG-Urteil hinsichtlich des zugesprochenen Teils rechtskräftig (Rz. 530). Der Bundesgerichtshof darf es – entgegen der h.M. (Rz. 528) – nicht aufheben, auch wenn er im Gegensatz zu den Vorinstanzen hoheitliches Handeln bejaht und daher die Klage soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist als unzulässig abweist.
XV. Beweislast 527 Der Satz, dass der Mangel der Gerichtsbarkeit in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen ist357, bedeutet nicht, dass es keine Beweislastverteilung im Fall eines non liquet gibt. Die Immunität einzelner Beklagter ist eine Ausnahme vom Grundsatz der unbeschränkten Gerichtsbarkeit. Deshalb trifft den Beklagten die Beweislast für die Behauptung, er sei der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen.358 Bei einem non liquet ist die Gerichtsbarkeit zu bejahen: In dubio pro jurisdictione, non pro immunitate. So trifft ausländische Staaten die objektive Beweislast dafür, dass es sich um hoheitliches Handeln (iure imperii) handelt.359 Dies ist jedoch nicht unbestritten.360 354 LG Hamburg v. 10.4.1986 – 2 O 189/85, NJW 1986, 3034; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 201. S. auch Voit in FS Musielak, 2004, 595, 600. 355 Zur völkerrechtlichen Ebene s. unten Rz. 843d. 356 Anders in der Tendenz BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 Rz. 18 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau): Ein die Immunität verneinendes Zwischenurteil bindet nicht. 357 BVerfG v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117. 358 S. auch Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 45 sowie M. Weller, Vollstreckungsimmunität: Beweislast, Beweismaß, Beweismittel, Gegenbeweis und Beweiswürdigung, RIW 2010, 599, jeweils m.w.N. 359 Walter, RIW 1984, 12; von Schönfeld, NJW 1986, 2980; Schack, IZVR6, Rz. 188; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 118. 360 Anders z.B. Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 333; bereits Heß, RIW 1989, 259 Fn. 102 unter Hinweis auf Art. 6 des ILC-Entwurfs, wonach die Staatenimmunität von Amts wegen zu prüfen ist. Ebenso Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht: Der IGH zeigt die Grenzen auf, IPRax 2012, 201
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XVI. Prozessabweisung Kommt das deutsche Gericht zu dem Schluss, dass die Gerichtsbarkeit Deutsch- 527a lands nicht gegeben ist, so ist nicht etwa das Verfahren „einzustellen“. Vielmehr ist die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen bzw. der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.361 Dies gilt auch dann, wenn die Klage bzw. der Antrag unbegründet ist (Rz. 492), obwohl die Sachabweisung (mit materieller Rechtskraft) für den Immunitätsträger vorteilhafter wäre.362
XVII. Innerstaatliche Wirksamkeit einer das Immunitätsrecht verletzenden deutschen Entscheidung Ergeht trotz Fehlens der deutschen Gerichtsbarkeit eine (Sach-)Entscheidung, so 528 ist diese nach h.M.363 nichtig; eine Heilung ist ausgeschlossen.364 Die h.M. führt dazu, dass die Frage, ob eine Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit in concreto gegeben ist oder nicht, nie abschließend und verbindlich geklärt werden kann, auch wenn das Gericht die deutsche Gerichtsbarkeit ausdrücklich bejaht hat, sei es in den Gründen des Urteils oder in einem Zwischenurteil.365
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(202) unter Hinweis auf IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 55 ff. (www.icj-cij. oorg/docket/files/143/16883.pdf). Differenzierend Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 503 ff. Die Frage, ob der Gerichtsstaat international zuständig wäre, wenn seine Gerichtsbarkeit zu bejahen wäre, ist irrelevant. Auch der international unzuständige Staat darf und muss über seine Gerichtsbarkeit entscheiden, im Ergebnis ebenso R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260 (262). Zu zaghaft aber wohl BAG v. 12.2.1985 – 1 ABR 3/83, BAGE 48, 81 = IPRspr. 1985 Nr. 128, wo Prozessabweisung nur als Bescheid an den Kläger/Antragsteller gesehen wird, nicht aber auch als Entscheidung mit Wirkung gegen den fremden Staat/Immunitätsträger. BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 28; BGH v. 9.7.2009 – III ZR 46/08, Rz. 20, BGHZ 182, 10 (16) = NJW 2009, 3164. Diese Frage noch offen lassend BGH v. 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, MDR 2003, 1135 = NJW-RR 2003, 1218 = WM 2003, 1388 = IPRspr. 2003 Nr. 115; hierzu R. Geimer, LMK 2003, 174; R. Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225. Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 25; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 35; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 46; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 112, 513. S. auch OLG Frankfurt v. 6.2.1996 – 20 W 570/95, NJW-RR 1996, 1200 = WiB 1996, 902 (Pape) = IPRspr. 1996 Nr. 132. Schack, IZVR6, Rz. 189. Zur Rechtslage in Österreich (Nichtigerklärung durch den Obersten Gerichtshof gem. § 42 II JN) Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts Erkenntnisverfahren7, Rz. 63/1. Ein die Immunität fälschlicherweise verneinendes (nicht angefochtenes und daher nach § 705 ZPO formell rechtskräftiges) Zwischenurteil bindet entgegen §§ 512, 557 II ZPO die Rechtsmittelinstanzen nicht, BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, MDR 2009, 1348 = NJW 2009, 3371 Rz. 19 = EuZW 2009, 907 = LMK 2009, 293079 (Hau).
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529 Dies ist mit den Forderungen der Rechtssicherheit unvereinbar.366 Der Einwand der Unwirksamkeit eines unanfechtbaren Urteils wegen Überschreitung der Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit muss jedenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn das Gericht die deutsche Gerichtsbarkeit ausdrücklich bejaht hat.367 530 Noch weiter geht Walther J. Habscheid;368 er betrachtet den Mangel der deutschen Gerichtsbarkeit in jedem Fall durch Eintritt der Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln als geheilt.369 531 Weder die Staatsanwaltschaft noch das Auswärtige Amt haben nach h.M. Rechtsmittelbefugnis, wohl aber der betroffene fremde Staat. Nach der hier vertretenen Auffassung sind aber auch der Bundespräsident und das Auswärtige Amt rechtsmittelbefugt (Rz. 218). 532 Trotz Nichtigkeit (Wirkungslosigkeit) haben die Rechtsmittelgerichte aber auch nach h.M. (Rz. 528) ein Urteil aufzuheben, welches die Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit überschreitet.370
XVIII. Versagung der Anerkennung eines ausländischen Urteils bei Überschreitung der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates 533 Überschreitet der Urteilsstaat die Grenzen seiner Gerichtsbarkeit, erlässt er also durch seine Gerichte ein Urteil gegen einen von seiner Gerichtsbarkeit Befreiten oder lässt er seine Gerichte außerhalb seines Territoriums (vgl. Rz. 120) tätig werden, so kommt es zunächst darauf an, welche Wirkungen ein solches Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates hat. Ist das unter Überschreitung der Gerichtsbarkeit ergangene Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates nichtig, so scheidet die Anerkennung schon deswegen aus, weil Voraussetzung für die Anerkennung ein nach dem Recht des Urteilsstaates wirksames Urteil ist (Rz. 2889). 534 Ist jedoch das unter Überschreitung der Grenzen der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates ergangene Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates wirksam, entfaltet es also im Urteilsstaat Wirkungen, so stellt sich die Frage, ob es im Inland an366 So nun auch im Ergebnis Matthias Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364 (365). 367 Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, 1958, 163; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 70 Fn. 26. Zustimmend nun auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 515 sowie Hausmann in FS Geimer, 2002, 290 Fn. 8. Sympathien auch bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Vorbem §§ 606a, 328 ZPO Rz. 28. 368 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 239. 369 Ebenso Schlosser, ZZP 79 (1966), 168; Kralik, ZZP 74 (1961), 23 f.; Strebel, RabelsZ 44 (1980), 70; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 389 Fn. 469. Nachw. auch bei Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 171 Fn. 23 und Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 361 ff. 370 Dies gilt auch dann, wenn die erste Instanz in einem nicht angefochtenen Zwischenurteil die Immunität verneint hat, BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, MDR 2009, 1348 = NJW 2009, 3371 – Rz. 19 = EuZW 2009, 907 = LMK 2009, 293079 (Hau).
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zuerkennen ist oder nicht. Diese Frage ist nur in Art. III Abs. 1 Buchst. c Nr. 3 des deutsch-britischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens vom 14.7.1960371 ausdrücklich verneint. Im übrigen Vertragsrecht und im autonomen Recht fehlt es an ausdrücklichen Stellungnahmen.372 Auch ohne geschriebene Norm ist einem ausländischen Urteil dann die Anerkennung zu versagen, wenn dieses unter Überschreitung der Grenzen der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates ergangen ist. Dies liegt zunächst dann auf der Hand, wenn eine zugunsten der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Organe bestehende Immunität nicht beachtet worden ist.373 Aber auch dann ist einem ausländischen Urteil die Anerkennung zu versagen, 535 wenn der Urteilsstaat seine Gerichtsbarkeit zu Lasten eines dritten Staates oder dessen Organs überschritten hat (Rz. 2894). Das Völkerrecht verbietet allen anderen Staaten, ein Urteil anzuerkennen, das unter Verletzung der völkerrechtlichen Normen über die Gerichtsbarkeit der Staaten ergangen ist.374 Ein Staat, der ein völkerrechtswidriges ausländisches Urteil anerkennt, handelt selbst völkerrechtswidrig.375 Eine Ausnahme lässt das Völkerrecht zu, wenn der Staat, dessen Immunität bzw. dessen Amtsträgers Immunität verletzt wurde, den Völkerrechtsverstoß pardoniert. Dies ist eine nachträgliche Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Erststaates.376 Dieser sich aus völkerrechtlichen Erwägungen ergebende (gem. Art. 25 Satz 1 536 GG in das innerstaatliche Recht transformierte) Versagungsgrund gilt gleichermaßen für das autonome Recht (§ 328 ZPO; § 109 FamFG) wie für das Vertragsrecht und das europäische Unionsrecht. Dies ist für den Bereich des deutsch-britischen Abkommens vom 14.7.1960377 problemlos, da der genannte Versagungsgrund im Text des Abkommens ausdrücklich aufgeführt ist.378 Aber auch für die übrigen Verträge, die eine solche ausdrückliche Bestimmung nicht kennen, gilt nichts 371 BGBl. II 1961, 301. 372 S. aber den Vorbehalt zugunsten diplomatischer Immunitäten im Erwägungsgrund 14 EuEheVO (s. Rz. 245c). 373 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 63 Fn. 1; R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1488; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 566; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 169; Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 155; Matscher, IPRax 2001, 428 (434 Fn. 47); OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, IPRax 1982, 71 (Hausmann 51) = RIW 1980, 875 = MDR 1981, 237 = ZIP 1980, 1144 = IPRspr. 1980 Nr. 160. 374 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 121 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (206). 375 BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462; R. Geimer, ZfRV 1992, 332; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 7; im Ergebnis zustimmend Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 516, 527. 376 R. Geimer, RIW 1975, 84 bei Fn. 33; R. Geimer, RIW 1976, 146. 377 BGBl. II 1961, 301. 378 Art. III Abs. 1 Buchst. c Nr. 3. Das Abkommen wird verdrängt nach Maßgabe von Art. 55 EuGVÜ bzw. Art. 69 EuGVVO.
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anderes. Bei Fehlen der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates besteht trotz der völkerrechtlichen Vereinbarung keine Verpflichtung zur Anerkennung. Denn die Vertragsstaaten wollen und können sich über das völkerrechtliche Verbot der Anerkennung völkerrechtswidriger Urteile nicht hinwegsetzen. Dies gilt insbes. für das EuGVÜ/LugÜ379 sowie im Ergebnis auch für das Brüssel I-Anerkennungsregime trotz Art. 45 III EuGVVO bzw. Art. 35 III LugÜ.380 537 Etwas Anderes kann man aber im (älteren, durch das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 3.2.2012381 überholten) völkerrechtlichen Schrifttum lesen: Es bestehe keine völkerrechtliche Pflicht, völkerrechtswidrige fremde Hoheitsakte nicht zu beachten („als nichtig zu betrachten“). Diskutiert werden allerdings nicht Immunitätsverletzungen, sondern die Pflicht zur Restitution völkerrechtswidriger Enteignungen382 (vgl. auch Rz. 264a). 538 Klar davon zu unterscheiden ist die Frage, ob innerstaatlich trotz Fehlens einer völkerrechtlichen Pflicht zur Verweigerung der Anerkennung der anerkennungsrechtliche ordre public (Rz. 26) einzusetzen ist.383
379 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 63 ff.; R. Geimer, RIW 1976, 146 sowie Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1487; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, Art. 1 – Art. 34 EuGVVO Rz. 6. 380 R. Geimer, LMK 2003, 215; R. Geimer, Los Desastres de la Guerra und das Brüssel I-System, IPRax 2008, 225. 381 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 121 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf). 382 OLG Bremen v. 21.8.1959, AWD 1959, 207 = ArchVR 9 (1961/62), 318 = AWD 1959, 207 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1958–1959 Nr. 7A (746); LG Hamburg v. 22.1.1973, AWD 1973, 163 = RabelsZ 37 (1973), 579 = IPRspr. 1973 Nr. 112b; LG Hamburg v. 13.3.1974, AWD 1974, 410 (Meessen 494; Seidl-Hohenveldern 421) = IPRspr. 1974 Nr. 135 zum chilenischen Kupfer-Fall. Der in Chile enteignete frühere Eigentümer verlangt die Ladung Kupfer aus „seinem“ Bergwerk mit der rei vindicatio von dem Reeder des Schiffes, das in einem deutschen Hafen festgemacht hat, heraus. Nachw. bei R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 77 Rz. 50; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1179. Differenzierend Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3e, S. 24 und 651. Generell verneinen Verdross/Simma, a.a.O., § 1182 eine völkerrechtliche Pflicht, völkerrechtswidrige fremde Hoheitsakte als nichtig zu beachten. Anders Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 539. Die Frage lässt Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 186 offen. Vice versa s. den Helms-Burton-Act (Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act of 1996, Pub. L. No. 104–114, 110 Stat. 785 = ILM 35 [1996], 357), der allen von der kubanischen Regierung nach dem 1.1.1959 enteigneten USBürgern einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch einräumt gegen solche Privatpersonen, die mit dem konfiszierten Eigentum Handel treiben, auch wenn dieses „trafficking“ zwischen Drittstaatsangehörigen auf Drittstaatenterritorien stattfindet. Hierzu Kress/Herbst, RIW 1997, 630 und Reinmuth, Das US-Embargo gegen Kuba und internationales Recht, 2001. 383 Hierfür Stiefel/Stürner, VersR 1987, 830; Frankenstein, IPR I, 1926, 221 (passim); dagegen mangels Inlandsbezuges Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 56. Zur verfassungsrechtlichen Perspektive R. Geimer, ZfRV 1992, 333.
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Dritter Teil
XIX. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile zu Lasten eines ausländischen Staates oder sonstigen Immunitätsträgers 1. Überblick Bei dieser Hypothese hatte der Urteilsstaat Gerichtsbarkeit, sei es, dass die eige- 539 nen Gerichte den eigenen Staat bzw. den eigenen Diplomaten verurteilt haben oder der (dritte) Urteilsstaat Gerichtsbarkeit hatte, weil der Beklagte in concreto keinen Immunitätsanspruch hatte (z.B. actum iure gestionis), oder er darauf wirksam verzichtet hatte. Beispiel: Die Republik Österreich bzw. der österreichische Botschafter in Berlin werden in einer Zivilsache vom Landesgericht Wien zur Vertragserfüllung oder zu Schadensersatz verurteilt).
2. Zulässigkeit der Erstreckung der Wirkungen des ausländischen (anerkennungsfähigen) Urteils kraft Gesetzes ohne Durchführung eines Anerkennungsverfahrens Der Anerkennung der Rechtskraft, der Gestaltungs-, Streitverkündungs- und In- 540 terventionswirkung kraft Gesetzes steht der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit nicht entgegen.384 So wird z.B. die Anerkennung eines schweizerischen Ehescheidungsurteils, das die Ehe des in Berlin akkreditierten eidgenössischen Botschafters scheidet, durch dessen Immunität nicht gehindert. Soweit ein Feststellungsverfahren nach § 107 FamFG (früher Art. 7 § 1 FamRÄndG, Rz. 3015) notwendig ist, steht dessen Durchführung allerdings die Immunität entgegen385 (Rz. 3032). Insoweit entfällt das Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG mit der Folge, 541 dass kraft Gesetzes anzuerkennen ist.386 Nach Art. III Abs. 1 Buchst. c Nr. 4 des deutsch-britischen Abkommens vom 14.7.1960387 wird eine Entscheidung eines Gerichts des Vertragspartners nicht anerkannt, wenn „die Entscheidung gegen eine Person geltend gemacht wird, die nach dem Völkerrecht der Gerichtsbarkeit des Anerkennungsstaates nicht unterliegt“. Da aber nach dem deutschen autonomen Recht die Anerkennung nicht verweigert werden kann, steht diese Vertragsbestimmung einer Anerkennung von britischen Urteilen in Deutschland 384 Matscher, JBl. 1963, 295. 385 Morelli, Studi di diritto processuale civile internazionale, 1961, 281 für das (frühere) italienische Delibationsverfahren und Niboyet, Traité de droit international privé francais VI 2, 1949/50, Nr. 1915 S. 24 f. für das französische Exequaturverfahren; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 333. A.A. noch R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 66 Fn. 7 sowie Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 184. 386 Zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄnG Rz. 144. 387 BGBl. II 1961, 302. Dieses Abkommen ist von Bedeutung nur noch außerhalb des Anwendungsbereichs der Anerkennungsregimes der Brüssel I und II-Systeme und der sonstigen europäischen Rechtsakte (s. Rz. 245c).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
nicht entgegen.388 Sie hat mithin nur Bedeutung für die Verweigerung der Vollstreckbarerklärung.389 542 Eine andere (selbständig zu prüfende) Frage ist, ob für das Verfahren, in dem die (Vor-)Frage der Anerkennung des ausländischen Urteils auftaucht, die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland gegeben ist. 3. Unzulässigkeit der Durchführung eines Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahrens 543 Die Durchführung eines Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens setzt die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland voraus.390 Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen für ein Erkenntnisverfahren (Rz. 578) erforderlich sind oder ob es insoweit nur um eine Frage der Vollstreckungsimmunität (Rz. 588, 768, 816) geht. 544 Anzuwenden sind die Regeln für Erkenntnisverfahren.391 Die Unterwerfung für das ausländische Erkenntnisverfahren gilt nicht automatisch für das Vollstreckungsverfahren und auch nicht als dessen Vorstufe für das Vollstreckbarerklärungsverfahren.392 Ein Anerkennungsverfahren bzw. Vollstreckbarerklärungsverfahren ist mithin zulässig, wenn die deutsche Gerichtsbarkeit zu bejahen wäre, würde der tatsächlich im Ausland entschiedene Rechtsstreit im inländischen Erkenntnisverfahren anhängig gemacht werden.393 Eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen und die Rechtsmeinung des drittstaatlichen Gerichts zur Immunitätsfrage besteht für den deutschen Richter nicht.394 545 Zu beachten ist aber, dass Diplomaten und Konsuln nur im Empfangsstaat Immunität beanspruchen können, so dass die Immunitätsfrage nur im ausländischen Erkenntnisverfahren und als Anerkennungsvoraussetzung im Inland (Rz. 533) eine Rolle spielt, aber nicht für die Zulässigkeit des deutschen Anerkennungs- bzw. Exequaturverfahrens, wenn Deutschland nicht Empfangsstaat ist (Rz. 799). 4. Feststellungsverfahren nach Art. 21 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität 546 Ist gegen einen Vertragsstaat eine Entscheidung ergangen und erfüllt er sie oder einen gerichtlichen Vergleich (Art. 22) nicht, so kann die Partei, die sich auf die Ent388 Art. II Abs. 3 des Abkommens. 389 Wie hier auch Beitzke in FS Nipperdey, 1965, 869 Fn. 62. 390 Zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄnG Rz. 144. 391 Zustimmend BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 Rz. 10 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau); OLG Köln v. 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2006, 222 = IPRspr. 2004 Nr. 155; Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 266. 392 Offen gelassen von BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 – Rz. 14 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau). 393 So wohl auch Herdegen, RIW 1989, 336 Fn. 96. 394 Zur Staatenimmunität im Vollstreckbarerklärungsverfahren für (ausländische) Schiedssprüche Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 267.
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Befreiung
Dritter Teil
scheidung beruft, von dem zuständigen Gericht dieses Staates (in Deutschland: LG Berlin, Art. 2 deutsches ZustimmungsG, Rz. 972) eine Feststellung darüber verlangen, ob die Entscheidung nach Art. 20 erfüllt werden muss. Für diese Feststellung ist kein vereinfachtes Beschlussverfahren vorgesehen; es kommen vielmehr die Vorschriften der Zivilprozessordnung mit den sich aus dem Übereinkommen ergebenden Besonderheiten395 zur Anwendung. Erforderlich ist also eine Klage im streitigen Verfahren.396 Das gegen die Bundesrepublik Deutschland bzw. das betreffende deutsche Bundesland ergehende Urteil ist mithin keine Vollstreckbarerklärung i.S. des § 722 ZPO (Rz. 3155). Das Übereinkommen beruht auf dem Gedanken der freiwilligen Erfüllung und sieht keine Zwangsmaßnahmen vor, sondern nur ein Feststellungsverfahren (Rz. 692). Vorbehaltlich des Art. 20 darf das Gericht des betreffenden Staates die Ent- 547 scheidung in der Sache selbst nicht nachprüfen (Verbot der révision au fond). Das Gericht prüft nur die in Art. 20 aufgestellten Anerkennungsvoraussetzungen (Rz. 695 ff.). Es handelt sich um ein Feststellungsverfahren im eigenen Staat, Art. 21. Eine Vollstreckung im Urteilsstaat oder in einem dritten Staat ist nach dem Konzept der Konvention verboten, Art. 23. Ausnahme Art. 26 (näher Rz. 692). Für das Feststellungsverfahren schreibt Art. 21 III einen verfahrensrechtlichen 548 Mindeststandard vor: a) den Parteien ist rechtliches Gehör zu gewähren; b) von der Partei, die sich auf die Entscheidung beruft, darf wegen ihrer Staatsangehörigkeit, ihres Wohnsitzes oder ihres Aufenthalts weder eine Sicherheitsleistung noch eine Hinterlegung, unter welcher Bezeichnung es auch sei, verlangt werden; c) die Partei, die sich auf die Entscheidung beruft, erhält Prozesskostenhilfe unter Bedingungen, die mindestens ebenso günstig sind wie diejenigen, die für eigene Staatsangehörige mit Wohnsitz oder Aufenthalt in diesem Staat gelten. Nach dem Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Staaten- 549 immunität kann die Feststellungsklage vor dem Europäischen Gericht für Staatenimmunität397 erhoben werden.398 Dieses wurde von Deutschland nicht ratifiziert.399 5. Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen Sieht man von dem Erfordernis der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates ab, so gel- 550 ten für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, die gegen einen ausländischen Staat oder sonstige Immunitätsträger
395 396 397 398 399
Art. 21 II und III des deutschen Zustimmungsgesetzes. Art. 2 II des deutschen Zustimmungsgesetzes. Diesem gehören die Mitglieder des EGMR an, Art. 4 II Zusatzprotokoll. Art. 1 I Zusatzprotokoll. Hierzu BT-Drucks. 11/4307, 31.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
ergangen sind, die gleichen Regeln wie für sonstige (gegen Private erlassene) Urteile. Der verurteilte Staat bzw. Diplomat kann sich z.B. darauf berufen, dass der Urteilsstaat aus deutscher Sicht international unzuständig war oder dass das ausländische Verfahren oder der Inhalt der zur Anerkennung anstehenden ausländischen Entscheidung mit dem deutschen ordre public unvereinbar sei. 551 Dies gilt auch dann, wenn es um die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung eines „eigenen“ Urteils geht, wenn also der Staat bzw. der Diplomat etc. von seinen eigenen Gerichten verurteilt worden ist. So wäre es zwar pikant, aber anerkennungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der verurteilte Staat gegen die Anerkennung der Entscheidung seiner eigenen Gerichte mit der Begründung wendet, diese hätten ihm das rechtliche Gehör verweigert.
XX. Abgrenzungsfragen 1. Verhältnis zur ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bzw. des Europäischen Gerichts 552 Die deutsche Gerichtsbarkeit fehlt, soweit der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bzw. das Europäische Gericht (früher: Gericht erster Instanz) ausschließlich zuständig ist (Rz. 246a).400 2. Völkerrechtliche Verträge über die internationale Entscheidungszuständigkeit 553 Völkerrechtliche Verträge, welche die internationale Entscheidungszuständigkeit normieren (Rz. 1877, 1887), sind streng zu trennen von den Kodifikationen über die Immunitäten und sonstigen Befreiungen von der Gerichtsbarkeit. Sie haben einen anderen Regelungsgegenstand: Bei den Befreiungen von der Gerichtsbarkeit stehen unmittelbare Staatsinteressen (Souveränität) auf dem Spiel. Die Verträge über die internationale Zuständigkeit versuchen, sachgerechte Kriterien für die Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben unter den Staaten aufzustellen. Im Vordergrund stehen hier nicht unmittelbare Staatsinteressen; es geht vielmehr um eine gerechte Bewertung und Gewichtung der Zuständigkeitsinteressen der Parteien: einerseits des Justizgewährungsinteresses des Klägers und andererseits des Interesses des Beklagten, vor unzumutbaren Foren geschützt zu werden (Beklagtenschutz). 554 Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung liegt in Folgendem: Das völkerrechtliche Verbot der Anerkennung (Rz. 533) gilt nicht, wenn ein Gericht seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, obwohl es sich nach dem einschlägigen Vertrag über die internationale Zuständigkeit hätte für unzuständig erklären müssen.401
400 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 18 Rz. 17. 401 Vgl. z.B. Art. 45 III 2 EuGVVO bzw. Art. 35 III 2 LugÜ, wonach sogar die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit verboten ist (Ausnahme: Art. 45 I [e] EuGVVO bzw. Art. 35 I LugÜ).
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Staatenimmunität
Dritter Teil
XXI. Beurkundung eines Prozessvergleichs Das mit der Klage befasste deutsche Gericht darf auf Gebieten, in denen die Ge- 554a richtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland fehlt, einen Prozessvergleich (Rz. 370d) beurkunden. Dies ist unbedenklich zulässig hinsichtlich der prozessbeendenden Wirkung (ansonsten wäre Prozessabweisung wegen fehlender Gerichtsbarkeit erfolgt), aber auch nicht problematisch im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit (§ 794 I Nr. 1 ZPO), weil der Abschluss des Prozessvergleichs nicht auch die Zustimmung zur Zwangsvollstreckung umfasst.402
3. Kapitel: Staatenimmunität Literatur: Albert, Völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten gegen Gerichtszwang, Diss. Berlin 1984; Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen Klagen von Bürgern gegen einen fremden Staat oder ausländische staatliche Funktionsträger vor nationalen Gerichten, 2007; Bankas, The State Immunity Controversy in International Law: Private Suits Against Sovereign States in Domestic Courts, 2005; Bobrik, Die Bedeutung der Exterritorialität der Gesandten für den Zivilprozess, 1934; Caflisch, Immunité des États et droits de l’homme: Evolution récente, in Festschrift Ress, 2005, 935; Chamlongrasdr, Foreign State Immunity and Arbitration, 2005; Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, ArchVR 41 (2003), 201; Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985; Esser, Klagen gegen ausländische Staaten, Diss. Regensburg 1990; Garnett, The Defence of State Immunity for Acts of Torture, Australian YbIL 18 (1997), 97; Fox, The Law State Immunity2, 2008; von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399; Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht: Der Internationale Gerichtshof zeigt die Grenzen auf, IPRax 2012, 201; Jitsukawa, Zum Prinzip der souveränen Immunität in Japan Annahme der beschränkten Immunität?, in Festschrift Yamauchi, 2006, 147; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998; Kreß, Der Internationale Gerichtshof im Spannungsfeld von Völkerstrafrecht und Immunitätsschutz, GA 2003, 25; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 7 Rz. 3 ff.; M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000; Malina, Die völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren, Diss. Marburg 1978; Meierhöfer, Der EGMR als 402 Es wird also mit Zustimmung des betroffenen Immunitätsträgers ein Vollstreckungstitel errichtet, aus dem ohne seine Vollstreckungsunterwerfung nicht vollstreckt werden kann. Vgl. Rz. 791, 1216a, 1854b.
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Gerichtsbarkeit
„Modernisierer“ des Völkerrechts?, Staatenimmunität und ius cogens auf dem Prüfstand, EuGRZ 2002, 391; Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 270 ff.; Potestà, State Immunity and Jus cogens: The Alien Tort Statute Against the Backdrop of the Latest Developments in the ‚Law of Nations‘, Berkeley JIntL 2010, 571; Rossi, Staatenimmunität im europäischen Zivilprozessrecht, Jahrbuch für italienisches Recht 23 (2011), 47; Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994; Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, ZaöRV 2006, 699; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts4, 2004, Bd. I Rz. 864 ff.; Serranò, Immunità degli Stati stranieri e crimini internazionali nella recente giurisprudenza della Corte di Cassazione, Rivista di diritto internazionale privato e processuale, 3 (2009), 605; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Neubearbeitung 2012, Rz. 299 ff.; Sucharitkul, Immunities of Foreign States before National Authorities, RdC 149 (1976-I), 85; Sucharitkul, L’immunité de juridiction et d’exécution des Etats. A propos du projet de Convention du Conseil de l’ Europe. Actes du Colloque conjoint des 30 et 31 janvier 1969, Brüssel o.D.; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305; Voyiakis, Access to Court v State Immunity, ICLQ 52 (2003), 297; R. Wagner, Staatenimmunität in zivilrechtlichen Verfahren, RiW 2013, 851; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260; Weiß, Völkerstrafrecht zwischen Weltprinzip und Immunität, JZ 2002, 696; M. Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe Rpfleger 2006, 364; M. Weller, Vollstreckungsimmunität: Beweislast, Beweismaß, Beweismittel, Gegenbeweis und Beweiswürdigung, RIW 2010, 599; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, Diss. Trier 2007, 96 ff.
I. Überblick 1. Immunitätstheorien 555 Die Staatenimmunität ist ein seit Jahrhunderten allgemein anerkanntes Gebot des Völkergewohnheitsrechts; es beruht nach h.M. auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten (Art. 2 Ziff. 1 der Satzung der Vereinten Nationen).403 556 Die Lehre von der Gleichheit der Staaten404 ist jedoch für sich allein nicht in der Lage, hinreichend plausibel zu erklären, weshalb die Staaten von der Gerichtsbarkeit fremder Staaten für acta iure imperii befreit sind; denn dem Gleichheitsgebot wäre bereits Genüge getan, wenn jeder Staat über den anderen zu Gericht
403 Schon bei Bartolus de Sassoferrato (1314–1357) können wir lesen: „par in parem non habet imperium“ (Tractatus repressaliarum [1354]), quaestio prima, ad tertium § 10, hierzu Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 560 und Rensmann, IPRax 1999, 268. Diese Maxime reicht bis in das republikanische Rom zurück, Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 5. 404 Hierzu z.B. von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 312 ff.
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Staatenimmunität
Dritter Teil
sitzen dürfte.405 Entscheidend ist vielmehr der Gesichtspunkt der Souveränität, der die Unabhängigkeit eines jeden Staates gegenüber allen anderen gewährleistet. Die Unabhängigkeit eines Staates wäre aber involviert, wenn er sich für sein hoheitliches Handeln vor den Gerichten anderer Staaten verantworten müsste.406 Charakteristisch ist das Spannungsverhältnis zwischen zwei Souveränitätsbereichen, nämlich dem Anspruch des Gerichtsstaates einerseits, kraft seiner Souveränität Recht zu sprechen (facultas iurisdictionis, Rz. 371), und dem Anspruch des beklagten Staates auf Achtung seiner Souveränität.407 Es bedarf eines (durch Völkerrechtsnormen fixierten) Ausgleichs, der festlegt, in welchem Umfang die Gerichtsbarkeit des Forumstaates dem Immunitätsanspruch des beklagten Staates weichen bzw. inwieweit dieser die Gerichtspflichtigkeit vor fremden Gerichten hinnehmen muss.408 Dabei hat die Binnenbeziehung des Streitgegenstandes zum Gerichtsstaat eine völkerrechtliche Bedeutung insofern, als das Interesse des Gerichtsstaates an der Durchsetzung seiner territorialen Souveränität bei Inlandssachverhalten grundsätzlich Vorrang vor den Souveränitätsinteressen des beklagten Staates hat409 (Rz. 626c, 877c). Inhaltlich hinreichend bestimmte Rechtssätze, die international eine sichere und übereinstimmende Rechtsanwendung sicherstellen, haben sich bisher jedoch nicht herausgebildet; künftig soll das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 2.12.2004 (Rz. 561, 571) Klarheit schaffen. Dieses ist jedoch noch nicht von der Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen ratifiziert worden (Rz. 571). Nach der Theorie von der absoluten Staatenimmunität, die heute noch vor al- 557 lem von den ehedem sozialistischen Staaten410 vertreten wird, ist ein ausländischer Staat generell nicht der Gerichtsbarkeit innerstaatlicher Gerichte fremder Staaten unterworfen, es sei denn, er habe auf seine Immunität verzichtet. Die Theorie von der relativen oder beschränkten Staatenimmunität will frem- 558 den Staaten Immunität nur dann einräumen, wenn sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt gehandelt haben (acta iure imperii), nicht aber dann, wenn sie wie eine andere natürliche oder juristische Person an privatrechtlichen Beziehungen beteiligt sind (acta iure gestionis).411 Der Staat als Kaufmann oder als Anleihe-
405 So aber noch BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 – Rz. 35) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. 406 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 15; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 299, 307. 407 Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 15. S. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 274 ff. 408 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 16. 409 So prononciert Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 312. Zu der sog. „gebietsbezogenen Deliktsausnahme“ ausführlich Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, ArchVR 41 (2003), 201 mit Nachw. 410 Nachw. bei Enderlein, RIW 1988, 333; Heß, a.a.O., 189; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 261. Zu den Reformtendenzen Boguslawskij, IPRax 2002, 43. 411 Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 299.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
schuldner412 verdient keine Privilegierung gegenüber anderen Kaufleuten bzw. Darlehensnehmern. Ein Staat, der sich aus den Höhen der genuin staatlichen, nämlich der hoheitlichen Betätigung, in die „Niederungen des Handels“ begibt, ist wie jeder andere Händler zu behandeln. Eine Vorzugsstellung vor fremden Gerichten wäre nicht gerechtfertigt; denn „… once the sovereign has descended into the market place he can no longer invoke sovereign immunity“, wie der High Court of Justice413 richtig hervorhob. Auch unter rechtsstaatlicher Perspektive muss eine uferlose Ausweitung der Immunitäten vermieden werden, weil sonst zu viele Rechtsverhältnisse der Kontrolle der (inländischen) Gerichte entzogen werden und so der Kläger praktisch rechtlos gestellt wird (Rz. 641).414 (S. auch Rz. 584). 559 Die Theorie der relativen Staatenimmunität hat angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Betätigung der Staaten in Rechtslehre und Rechtsprechung mehr und mehr an Boden gewonnen und wurde vom Internationalen Gerichtshof im Urteil vom 3.2.2012415 als geltendes universelles Völkergewohnheitsrecht bestätigt. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchten belgische und italienische Gerichte zum Schutze der privaten Gläubiger nach Wegen zur Überwindung der Doktrin von der absoluten Staatenimmunität.416 560 Deutschland gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den Ländern, die ausländischen Staaten und ihren Organen absolute Gerichtsfreiheit gewährten.417 Die zunehmende wirtschaftliche Betätigung der Staaten auf dem gesamten Gebiet 412 Wenn Staaten Anleihen auflegen, nehmen sie nicht iure imperii am Wirtschaftsverkehr teil. Daher keine Immunität. Eines Immunitätsverzichts bedarf es daher nicht, auch wenn solche Verzichte in den Anleihebedingungen üblich sind, Mankowski, RIW 2004, 587 (595) m.w.N. S. auch BVerfG v. 8.2.2006 – 2 BvR 575/05, NJW 2006, 2907 (2908); BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141 = RIW 2007, 206 (208 – Rz. 36); BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106; OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931 (Sester 2891) = IPRax 2007, 331 (Schefold 313) = IPRspr. 2006 Nr. 105 (argentinische Staatsanleihen). 413 High Court of Justice (1977) 3 WLR 778, 801 = BYbIL 49 (1978), 262 (Crawford), bestätigt v. House of Lords (1981) 3 WLR 328 = BYbIL 52 (1981) 314 (Crawford) im Fall I Congreso del Partido (hierzu Damian, a.a.O., 104). 414 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 457. 415 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201. 416 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 6; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1168; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 37, 41, 173, 183. Zur Erosion der absoluten Staatenimmunität nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich Grabinski, IPRax 1992, 55; zur Entwicklung in der Schweiz Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 239 ff. Weitere Nachw. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 458; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 146; Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 22. 417 RG v. 12.12.1905, RGZ 62, 165; RG v. 10.12.1909, RGZ 103, 274. Ausführlich z.B. Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 127.
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Staatenimmunität
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der Daseinsvorsorge, die Verstaatlichungen bei Kriegsende (z.B. in Frankreich, Österreich und den sozialistischen Staaten) sowie die sich rasch entwickelnde Verflechtung der einzelnen nationalen Märkte führten zu einer Hinwendung zum Grundsatz der beschränkten Immunität. Danach genießt der Staat Immunität nur im Rahmen seiner hoheitlichen Tätigkeit.418 Die Abgrenzungsformel ist bis heute wenig griffig.419 Bei der entgegen der h.M. 561 (Rz. 577) nicht nach dem Recht des Gerichtsstaates zu beurteilenden Frage, ob eine Tätigkeit als hoheitlich oder privatrechtlich zu qualifizieren ist, ist grundsätzlich auf die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses abzustellen, nicht aber auf das Motiv oder den Zweck der Staatstätigkeit, da letztlich nahezu jede staatliche Tätigkeit mit hoheitlichen Zwecken und Aufgaben im Zusammenhang steht (Rz. 579).420 Art. 10 ff. des VN-Übereinkommens über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (Rz. 571) und Art. 4 ff. des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 667) unterscheiden nicht zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis. Sie stipulieren vielmehr Immunitätsausnahmen kasuistisch für einzelne Komplexe (commercial transactions, contracts of employment, personal injuries and damage to property, ownership, possession and use of property, intellectual and industrial property, participation in companies or other collective bodies). 2. Keine Deckungsgleichheit zwischen Immunität für Erkenntnis- und für Vollstreckungsverfahren Es besteht keine Deckungsgleichheit hinsichtlich der Begrenzung der Immunität 562 im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren.421 Die Grenzen für die Vollstreckungsimmunität (z.B. Art. 19 der VN-Immunitätskonvention, Rz. 571)422 verlaufen anders, da die Auswirkungen einer Zwangsvollstreckung den ausländischen Staat faktisch erheblich stärker treffen als ein Urteil im Erkenntnisverfahren, die Gefahr von politischen Verwicklungen mithin größer ist. Besteht für das Erkenntnisverfahren keine Immunität, weil eine privatrechtliche Tätigkeit des ausländischen Staates Gegenstand des Verfahrens ist oder dieser sich der Gerichtsbarkeit unterworfen hat, so bedeutet dies nicht, dass damit auch die Zwangsvollstreckung ohne jede Beschränkung zulässig wäre.423 Für die Frage 418 419 420 421
BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 19 ff. Heß, a.a.O., 148. Seidl-Hohenveldern in FS Beitzke, 1979, 1081, 1087. BVerfG v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342 (367) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117; Seidl-Hohenveldern in FS Beitzke, 1979, 1097; v. Schönfeld, NJW 1986, 2985; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 162 ff. 422 S. auch IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 117 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/ 143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (205). 423 BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (209 – Rz. 37 ff.) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106; BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 8/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 425 = WM 2006, 41 = SchiedsVZ 2006, 44
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der Zulässigkeit von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ist nicht darauf abzustellen, ob der ausländische Staat das Vollstreckungsobjekt als Hoheitsträger besitzt. Entscheidend ist vielmehr, ob das Vollstreckungsobjekt im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahme hoheitlichen Zwecken des fremden Staates dient.424 Besonders weit reicht der Schutz des Diplomatenrechts und des gesamten Botschafts- bzw. Gesandschaftskomplexes (Rz. 765). So berechtigt ein pauschal erklärter Immunitätsverzicht (z.B. aus Anlass der Begebung einer Anleihe, Rz. 583) nicht auch zur Vollstreckung in solche Vermögensgegenstände, die dem Schuldner-Staat (Entsendestaat) zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner diplomatischen Mission im Vollstreckungsstaat (Empfangsstaat) dienen.425 3. Völkerrechtliche Anerkennung des fremden Staates 563 Den Staaten ist es völkerrechtlich erlaubt, Immunität nur solchen Staaten zu gewähren, die sie völkerrechtlich anerkannt haben.426 Da die Anerkennung auf den Zeitpunkt der geschichtlichen Staatsentstehung zurückwirkt, ist der Staat für alle ab diesem Zeitpunkt ergangenen Hoheitsakte von der inländischen Gerichtsbarkeit freizustellen. Die eingetretene Immunität ist in jeder Lage des Verfahrens (auch im Revisionsverfahren) zu berücksichtigen: unanfechtbar gewordene Entscheidungen werden jedoch durch die spätere Anerkennung nicht rückwirkend völkerrechtswidrig. 564 Andererseits ist es nicht völkerrechtswidrig, konsolidierten, aber nicht anerkannten Staatswesen in gerichtlichen Verfahren Immunität einzuräumen. Ob dies für den Gerichtsstaat opportun ist, ist allerdings eine andere Frage. Denn es besteht die Gefahr von unangenehmen Verwicklungen, wenn vor seinen Gerichten Streitigkeiten zwischen einem anerkannten und dem mit ihm rivalisierenden nicht anerkannten Staat ausgetragen werden.427 565 Das Völkerrecht verbietet, die Existenz eines Gebildes, das die Merkmale eines Staates besitzt, schlechthin zu missachten. Deshalb darf einem nicht anerkann-
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(Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 91; BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 9/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 198 = RIW 2006, 60 = WM 2005, 2274 = IPRax 2007, 128 (Dutta 109) = SchiedsVZ 2006, 47 (Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 118. Umfangreiche Nachw. bei von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399 (402 ff.). BVerfG v. 13.12.1997 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342 (354) = NJW 1978, 485; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 116 ff.; R. Geimer SchiedsVZ 2004, 109. Weitere Nachw. z.B. bei M. Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364. BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 351. Damian, a.a.O., 20.
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ten Staat die Parteifähigkeit im gerichtlichen Verfahren nicht abgesprochen werden, da darin die Leugnung seiner Existenz liegt (Rz. 2211).428 4. Anerkennung der fremden Regierung Die Staatenimmunität ist keine Regierungsimmunität. Es wäre eine Verkürzung 566 des allen Staaten zukommenden Anspruchs auf Immunität, wollte man Handlungen der nicht anerkannten de facto-Regierung von der Immunität ausnehmen. Das Fehlen diplomatischer Beziehungen wirkt sich auf den Immunitätsanspruch nicht aus.429 5. Gliedstaaten und kommunale Gebietskörperschaften Der Immunitätsanspruch steht den souveränen, völkerrechtsunmittelbaren Staa- 567 ten zu.430 Rechtlich unselbständige organisatorische Untergliederungen wie Ministerien, Behörden, Ämter sind in den Schutz der Immunität miteinbezogen, da sie Teil des Staates sind. Innerstaatlich rechtlich selbständige (nicht völkerrechtsunmittelbare) Untergliederungen in diesem Staat, wie Gliedstaaten, Gebietskörperschaften, Bezirke, Landkreise, Gemeinden und andere Einheiten (political subdivisions) oder sonstige mit öffentlichen Aufgaben betraute Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts werden von der Staatenimmunität mit umfasst. Es ist die innere Angelegenheit eines Staates, ob er zentralistisch oder föderalistisch organisiert ist, ob er Hoheitsakte von unselbständigen Untergliederungen der Zentralregierung oder von (innerstaatlich) selbständigen Rechtspersonen wahrnehmen lässt.431 Diese einleuchtende Überlegung ist jedoch auf Widerspruch gestoßen.432 So hat 568 z.B. das Reichsgericht433 einem polnischen Kreisverband Immunität für acta iure imperii aberkannt: Dem Kreis fehlten die Staaten zukommenden völkerrechtlichen Eigenschaften der Unabhängigkeit und Gleichheit. Aus dem gleichen Grund haben französische Gerichte vor Inkrafttreten des EuGVÜ die Immunität des Bundeslandes Hessen verneint, das gem. Art. 14 Code civil von einem französischen Staatsbürger auf Schadensersatz wegen Beschädigung eines dem Mu-
428 Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 48; Damian, a.a.O., 19; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 482; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 36; enger Frankenstein, IPR I, 1926, 500. 429 Damian, a.a.O., 20; Schaumann BerDGVR 8 (1968), 48. So haben z.B. die USA nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Kuba dessen Immunität gleichwohl beachtet, Nachw. bei Damian, a.a.O., 20 und bei Kren Kostkiewicz, a.a.O., 350 f. 430 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 348. 431 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1176; Kronke, IPRax 1989, 178; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 197. 432 Ausführlich Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 70; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 352 ff. 433 RG v. 20.3.1925, RGZ 110, 315 (317).
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seum zu Darmstadt leihweise zur Verfügung gestellten Gemäldes verklagt worden war.434 569 Nach Art. 28 I des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität genießen die Gliedstaaten eines Bundesstaates grundsätzlich keine Immunität. Der Bundesstaat kann jedoch seine Immunität auf die Gliedstaaten gem. Art. 28 II erstrecken.435 Die übrigen juristisch selbständigen Rechtsträger haben gem. Art. 27 I zwar keine Immunität. Sie können vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaates (von einer Privatperson) in Anspruch genommen werden.436 Diese Gerichte können jedoch nicht über in Ausübung der Hoheitsgewalt vorgenommene Handlung (acta iure imperii) des Rechtsträgers entscheiden.437 (S. auch Rz. 621). 6. Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe 570 Die wissenschaftliche Diskussion über die Staatenimmunität hat in den letzten Jahrzehnten großen Auftrieb erhalten durch Kodifikationen bzw. Kodifikationsentwürfe auf völkervertraglicher Ebene, nämlich die Europarats-Konvention vom 16.5.1972 (Rz. 666 ff.), die am 2.12.2004 von der Generalversammlung angenommene Konvention der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (Rz. 571) und die Arbeiten privater Institutionen, wie des Institut de Droit International, der Harvard Law School438, der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht,439 der International Law Association440 und der International Bar Association (Rz. 497). Daneben sind bedeutsame innerstaatliche Kodifikationen zu erwähnen, so im Vereinigten Königreich der State Immunity Act, der die Europaratskonvention in innerstaatliches Recht umgießt,441 in den Vereinigten Staaten von Amerika, welche die Materie 1976 ohne völkervertragliche Bindung im Federal States Immunity Act (FSIA) geregelt haben,442 und in Kanada der State Immunity Act.443
434 Cour d’appel Paris Rev. crit. 59 (1970), 103 (Loussouarn). Weitere Nachw. bei Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 454 Fn. 12. 435 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 71. 436 Strebel, RabelsZ 44 (1980), 77. 437 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 23, 33. 438 Hierzu Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 206. 439 Schaumann/Habscheid, Die Immunität der ausländischen Staaten nach Völkerrecht und deutschem Zivilprozeßrecht, BerDGVR 8 (1968). 440 Ausführlich Kren Kostkiewicz, a.a.O., 207 ff. 441 Hierzu Cheshire, North & Fawcett, Private International Law14, 491 ff.; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 120; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 176. 442 Ausführlich Heß, a.a.O., 79 sowie Kren Kostkiewicz, a.a.O., 185. 443 ILM 21 (1982), 798, hierzu Heß, a.a.O., 136. S. auch den australischen Foreign States Immunities Act (1985), Heß, a.a.O., 140, sowie die entsprechenden Regelungen in Pakistan, Singapur und Südafrika, Heß, a.a.O., S. 134. Vergleichend Strebel, RabelsZ 44 (1980), 66 ff.; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 19 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 462 (§ 72 III).
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7. VN-Übereinkommen über die Staatenimmunität Am 2.12.2004 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 571 nach langwierigen Vorbereitungen444 eine Konvention über die Staatenimmunität (United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property).445 Sie versteht sich als Kodifikation des bereits geltenden universellen Völkergewohnheitsrechts. Es bleibt abzuwarten, ob es gelingen wird, durch dieses Rechtsinstrument die bisher unterschiedlichen Entwicklungslinien wieder zu bündeln und zusammenzuführen (Rz. 556). 8. Zurückdrängung des Grundsatzes der Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht? Die Mediatisierung des Menschen (Rz. 134) wird auf den ersten Blick durch die 572 Stipulierung einer nur relativen Immunität durchbrochen. Wenn ein Staat bezüglich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit genauso behandelt wird wie eine private Person, so bedeutet dies, dass auch der Staat vor den Zivilgerichten wie jede andere Privatperson belangt werden kann, und zwar gleichermaßen für vertragliches wie deliktisches Unrecht. Beispiel: Betreibt ein Staat zur Energieversorgung446 ein Kernkraftwerk und kommt es zu einem Reaktorunfall, so kann die (durch Immissionen geschädigte) Privatperson von dem das Kernkraftwerk betreibenden Staat Ersatz verlangen. Der Geschädigte ist nicht darauf angewiesen, dass sein Heimatstaat den Verletzerstaat auf Regress in Anspruch nimmt. Dieser ist wie jede Privatperson gerichtspflichtig überall dort, wo eine internationale Zuständigkeit gegeben ist, z.B. am forum delicti commissi (§ 32 ZPO) oder in dem Staat, in dem Vermögen belegen ist (§ 23 ZPO), das nicht hoheitlichen Zwecken dient (Rz. 1378, vgl. auch Rz. 139, 583).
Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch, dass damit die völkerrechtliche Media- 573 tisierung des Einzelnen nicht überwunden wird. Denn der Gerichtsschutz erfolgt nur auf der Ebene und nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Gerichtsstaates. Der einzelne Mensch erlangt jedenfalls nach vorherrschender Meinung nach wie vor keine (partielle) Völkerrechtssubjektivität. 9. Reziprozität Soweit nach Völkergewohnheitsrecht bzw. nach einem völkerrechtlichen Vertrag 574 Immunität zu gewähren ist, hängt diese nicht von der Verbürgung der Gegenseitigkeit ab447; eine Ausnahme besteht nur, wenn die Voraussetzungen der Re444 Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and their Property, ILC-Yearbook 1991 II 12 ff. S. auch Rz. 496. 445 ILM 44 (2005), 801. Zur Konvention Fox, The Law of State Immunity2, 373 ff.; Hafner/ Köhler, Netherlands Yearbook of International Law 35 (2004), 3. 446 AG Bonn v. 29.9.1987 – 9 C 362/86, NJW 1988, 1393 = IPRax 1988, 351 (Gündling 338) = ROW 1988, 305 = IPRspr. 1987 Nr. 26a sowie LG Bonn v. 14.12.1988 – 5 T 184/87, NJW 1989, 1225 = IPRspr. 1987 Nr. 26b. S. auch Mansel, IPRax 1986, 392. 447 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 448.
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pressalie vorliegen. Soweit wegen der tatbestandlichen Unbestimmtheit der gewohnheitsrechtlichen Immunitätsregeln „Auslegungsspielräume“ bleiben, wäre es völkerrechtskonform, Immunität nur bei Verbürgung der Gegenseitigkeit zu gewähren.448 Innerstaatlich bedarf es jedoch zur Anwendung der Reziprozitätsregel einer Rechtsgrundlage. Eine solche fehlt im deutschen Recht seit Streichung des § 24 EGZPO (Rz. 36). 10. Rechtshistorisches 575 Die Doktrin von der absoluten Immunität fremder Staaten hat bzw. hatte auch innerstaatlich ein Pendant.449 Im Zeitalter des Absolutismus, als der Staat mit der Person des Monarchen identifiziert wurde (l’État c’est moi), stand der Monarch über dem Gesetz und konnte deshalb auch nicht verklagt werden. Er genoss absolute Immunität. Diese Doktrin von der absoluten Immunität wurde nachdem sich die Unterscheidung zwischen dem Staat als Rechtssubjekt und der Person des Staatsoberhauptes durchgesetzt hatte auch auf die neu entdeckte juristische Person „Staat“ übertragen. Erst langsam wurde der Staat der eigenen Gerichtsbarkeit unterworfen. Im Vereinigten Königreich kann die Krone erst seit dem Inkrafttreten des Crown Proceedings Act 1947 verklagt werden. Noch heute genießen in den Vereinigten Staaten von Amerika Bund und Gliedstaaten Immunität (vgl. Rz. 11). Amendment der US-Verfassung. Allerdings ist auch hier die innerstaatliche Immunität auf dem Rückzug, vgl. Federal tort claims act.450
II. Staatenimmunität nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht 1. Erkenntnisverfahren 576 Ausländische Staaten sind nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten und damit auch der Gerichtsbarkeit Deutschlands insoweit nicht unterworfen, als der Gegenstand des Rechtsstreits ihre hoheitliche Betätigung (acta iure imperii) betrifft.451 Hinsichtlich ihrer nichthoheitlichen Tätigkeit (acta iure gestionis) unterliegen auch ausländische Staaten der inländischen Gerichtsbarkeit.452 448 Heß, a.a.O., 306 bei Fn. 42. 449 Heß, a.a.O., 42. 450 Pub. L. No. 19601, 60 Stat. 842 (1946), codified as amended at 28 U.S.C. §§ 1346 (b), 2671–2680 (1994 & Supp. IV 1998). Nachw. bei Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 6, 14. Uneingeschränkte Immunität genießt auch heute noch der Sultan in Brunei, Schütze, JbPrax Schiedsgerichtsbarkeit 4 (1990), 282 (287). 451 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201. 452 BVerfG v. 30.10.1962, BVerfGE 15, 25 = NJW 1963, 435; BVerfG v. 30.4.1963, BVerfGE 16, 27 = MDR 1963, 821 = NJW 1963, 1732 = IPRspr. 1962–63 Nr. 171. Den Vorrang des Völkerrechts schreibt die US Constitution nicht fest. Eine Parallelnorm zu Art. 25 GG existiert nicht. Daraus resultiert die aus europäischer Sicht befremdliche Geringschätzung des allgemeinen Völkerrechts durch den US Kongreß und den US Supreme Court. Danach ist die Beachtung des internationalen Immunitätsrechts nur eine Frage
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Ob hoheitliche oder nicht-hoheitliche Tätigkeit vorliegt, entschied die Praxis453 577 nach der lex fori454, da das Völkergewohnheitsrecht keine exakten Abgrenzungsmerkmale kenne und insoweit auf das Recht des Gerichtsstaates als Qualifikationsrechtsordnung verweise (Rz. 561).455 Dies trifft jedoch nicht zu, weil es sonst im Belieben der Staaten stünde, ob sie nach ihrer lex fori Immunität gewähren oder nicht.456 In der Sache kommt es darauf an, ob ein Staat in Ausübung der ihm zustehen- 578 den Staatsgewalt oder wie eine Privatperson tätig geworden ist.457 Prozessual ist der Sachvortrag des Klägers maßgebend.458 Für das Erkenntnisverfahren erfolgt die Unterscheidung zwischen acta iure 579 imperii und acta iure gestionis nach objektiven Kriterien.459 Anders ist es im
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der „international comity“, Nachw. z.B. bei Gibbons/Myers/Dolzer, RIW 2004, 899; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260 (261). S. z.B. BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 21. Die Heranziehung nationaler Regelungen zur Unterscheidung hoheitlichen staatlichen Handelns von nicht-hoheitlichem staatlichem Handeln findet nach der Rechtsprechung des BVerfG erst dort ihre Grenze, wo der unter den Staaten allgemein anerkannte Bereich hoheitlicher Tätigkeit berührt ist. Das betrifft etwa die Betätigung der auswärtigen und militärischen Gewalt, die Gesetzgebung, die Ausübung der Polizeigewalt und die Rechtspflege. Insoweit könne es ausnahmsweise geboten sein, eine nach nationalem Recht als privatrechtlich einzuordnende Tätigkeit eines ausländischen Staates gleichwohl als der Staatenimmunität unterfallenden actus iure imperii zu qualifizieren, wenn dieser zum Kernbereich völkerrechtlich anerkannter Staatsgewalt zu rechnen ist. Nachw. bei Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 320 f. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1173; Damian, a.a.O., 98; Kronke, IPRax 1991, 142. Dagegen zu Recht Gramlich, RabelsZ 45 (1981), 586 und Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 45, 149. Kritisch wie hier R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260 (261). Auch das BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1, ist mitunter von seinem lex fori-Ansatz (BVerfG v. 30.4.1963, BVerfGE 16, 27 [62]) abgerückt; a.A. AG Bonn v. 29.9.1987 – 9 C 362/86, NJW 1988, 1393 = IPRax 1988, 351 (Gündling 338) = ROW 1988, 305 = IPRspr. 1987 Nr. 26a; LG Bonn v. 14.12.1988 – 5 T 184/87, NJW 1989, 1225 = IPRspr. 1987 Nr. 26b; OLG Köln v. 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2006, 222 = IPRspr. 2004 Nr. 155. Vgl. auch Schack, BerDGVR 32 (1992), 323 Fn. 54, sowie Mankowski, IPRax 2001, 123. Ausführlich Kren Kostkiewicz, a.a.O., 284 ff. BGH v. 13.11.1974, IPRspr. 1974 Nr. 1b; Vorinstanz: OLG Koblenz v. 10.1.1972, OLGZ 1975, 379 = IPRspr. 1974 Nr. 1b. BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 Rz. 11 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 467; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 328 Rz. 397; R. Geimer SchiedsVZ 2004, 108; Hausmann in FS Geimer, 2002, 294. Besonders deutlich § 1603 (d) US Sovereign Immunities Act, 1976: „… the commercial character of an activity shall be determined by reference to the nature of the course of conduct or particular transaction or act, rather than by reference to its purpose …“. S. auch Dutta, Vollstreckung in öffentlichrechtliche Forderungen ausländischer Staaten, IPRax 2007, 109 (110).
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Vollstreckungsstadium (Rz. 590). Die Unterscheidung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Tätigkeit kann grundsätzlich nicht nach dem Zweck der staatlichen Betätigung und danach vorgenommen werden, ob sie in erkennbarem Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben des Staates steht.460 Denn letztlich wird fast jede Tätigkeit des Staates jedenfalls zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dienen und mit ihnen in erkennbarem Zusammenhang stehen. 580 Diese Abgrenzungsmethode würde im Ergebnis wieder auf die absolute Immunität hinauslaufen. Maßgebend ist vielmehr nur die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses, nicht aber Motiv oder Zweck der Staatstätigkeit.461 Die Ausübung polizeilicher Gewalt gehört unzweifelhaft zur hoheitlichen Tätigkeit des Staates, und zwar sogar zum Kernbereich der Staatsgewalt. Sie ist auch dann als Akt iuris imperii zu qualifizieren, wenn sie nach dem betreffenden ausländischen Recht als privatrechtliche Betätigung anzusehen wäre.462 581 Die Hervorhebung der „Natur“ des staatlichen Aktes besagt nur, dass die Zweckund Zielsetzungen des beklagten Staates für die Qualifikation ohne Bedeutung sind. Ein positives Abgrenzungsmerkmal gibt diese „Leerformel“463 jedoch nicht. Ausländische Gerichte verwenden auch wenig unterscheidungskräftig Begriffe wie actes de commerce und actes de gouvernement bzw. commercial und noncommercial activities oder stellen darauf ab, ob der beklagte Staat wie eine Privatperson gehandelt hat. Schließlich wird auch die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Einordnung des Streitgegenstandes mit wenig überzeugenden Gründen für bedeutsam gehalten.464 582 Der Qualifikation als nicht hoheitlich sind jedenfalls rechtliche Schranken gezogen, selbst wenn man eine an rein völkerrechtlichen Kriterien orientierte Abgrenzung wegen des Fehlens eindeutiger Standards des Völkergewohnheits460 BVerfG v. 30.4.1963, BVerfGE 16, 27 ff. (33 ff.) = MDR 1963, 821 = NJW 1963, 1732 = IPRspr. 1962 1963 Nr. 171 und BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (392) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117. Zustimmend z.B. Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 293. 461 BVerfG v. 30.4.1963, BVerfGE 16, 27 (61 f.); Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 102; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 43; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1479; Kronke, IPRax 1991, 142; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 294. 462 BGH v. 26.9.1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101 = IPRspr. 1978 Nr. 133 (Übersendung eines Polizeiberichtes von Scotland Yard an das Bundeskriminalamt). 463 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 43. 464 Gegen dieses Differenzierungskriterium Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 286, 291. Vgl. auch Heß, a.a.O., 43, 44: „Eine kohärente dogmatische Konzeption fehlt bis heute … Eine griffige Formel wurde bisher noch nicht gefunden und wird wohl kaum entwickelt werden können.“ Folglich ist viel „Einfühlungsvermögen“ erforderlich; die Abgrenzung in concreto beruht letztlich auf einer Interessenabwägung. S. auch Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 209 sowie E. Habscheid in FS Geimer, 2002, 255, 260.
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Staatenimmunität
Dritter Teil
rechts ablehnt (Rz. 579). Es ist völkerrechtlich geboten, solche Tätigkeiten des ausländischen Staates, die nach der von den Staaten überwiegend vertretenen Auffassung zum Bereich der Staatsgewalt im engeren und eigentlichen Sinn gehören (z.B. Kriegshandlungen und sonstige militärische Aktivitäten etwa im Bereich friedenssichernder Maßnahmen465), als hoheitlich einzuordnen, selbst wenn sie nach nationalem Recht als privatrechtliche und nicht als öffentlichrechtliche Betätigung anzusehen wären.466 Z.B. ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch einen ausländischen Staat dann dem Kernbereich der Staatsgewalt zuzurechnen und deshalb als hoheitliches Handeln zu qualifizieren467, wenn Inhalt des Arbeitsverhältnisses die unmittelbare Wahrnehmung von Aufgaben ist, die in den Bereich der Staatsgewalt im engeren und eigentlichen Sinne fallen468, wie z.B. die leitende Tätigkeit in einem Konsulat469, und wenn in einem solchen Fall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugleich die Wahrnehmung dieser Staatsaufgaben (wie z.B. die Visa-Erteilung470) selbst unmittelbar berührt471 oder wenn über die Begründetheit des geltend gemachten 465 Ähnlich die (nicht veröffentlichte) Rspr. des schweiz. Bundesgerichts, berichtet von Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 295. 466 OGH Österreich v. 11.4.1995 – 10 Ob 525/94, IPRax 1996, 41 (Seidl-Hohenveldern 52) betreffend jugoslawisches Luftwaffenbombardement in Slowenien; BVerfG v. 30.4.1963, BVerfGE 16, 27 (63). S. auch Kropholler, IPR einschließlich der Grundbegriffe des IZVR6, § 57 I 3 (a). 467 Keine hoheitliche Tätigkeit ist die Wartung und Instandhaltung der (technischen) Anlagen einer Botschaft, auch wenn es um deren Sicherheitssystem geht, BAG v. 15.2.2005 – 9 AZR 116/04, BAGE 113, 327 = MDR 2005, 1235 = AP Nr. 15 zu § 612a BGB = IPRspr. 2005 Nr. 90. 468 Zu Art. 5 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität s. Rz. 725 sowie Kren Kostkiewicz, a.a.O., 422; ausführlich Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 222 ff. 469 VG Mainz v. 5.5.1988, ArchVR 89, 389 = IPRspr. 1989 Nr. 177; BAG v. 3.7.1996 – 2 AZR 513/95, MDR 1996, 1263 = AP Nr. 1 zu § 20 GVG = IPRspr. 1996 Nr. 134; LAG Frankfurt/M. v. 11.5.1998 – 10 Sa 1506/97, IPRspr. 1998 Nr. 134; ArbG Köln v. 16.12.1998 – 9 Ca 10955/97, RIW 1999, 623 (Kollatz) = IPRspr. 1998 Nr. 136. 470 BAG 16.5.2002 – 2 AZR 688/00, NJOZ 2003, 1658 = IPRspr. 2002 Nr. 128. 471 BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 490/99, NZA 2001, 683 = DStR 2001, 2127 (Haas) = IPRspr. 2000 Nr. 110; BAG v. 25.10.2001 – 2 AZR 501/00, BB 2002, 787 = IPRspr. 2001 Nr. 127; LAG Berlin v. 4.7.2001 – 13 Sa 131/01, MDR 2001, 1421 = IPRspr. 2001 Nr. 125; LAG Hamburg v. 30.1.1978, IPRspr. 1978 Nr. 132; Seidl-Hohenveldern, ZfRV 1990, 302 und RIW 1993, 238; weitergehend Steinmann, MDR 1965, 796; anders wohl Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht, 1959, 401 ff. Dies ist z.B. nicht der Fall beim technischen Personal einer Botschaft oder eines Konsulats. So hat z.B. das BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 631/96, IPRax 1999, 174 (Krebber 164) = MDR 1998, 543 = IPRspr. 1997 Nr. 58 die Gerichtsbarkeit Deutschlands bejaht für das Arbeitsverhältnis eines bei der US-Botschaft beschäftigten Heizungsmonteurs oder eines Bürofachmanns beim italienischen Kulturinstitut, BAG v. 23.4.1998 – 2 AZR 489/97, NZA 1998, 995 = IPRspr. 1998 Nr. 52. Das Gleiche gilt für Sprachlehrer, LAG Berlin v. 20.7.1998 – 9 Sa 74/97, IPRax 2001, 144 = IPRspr. 1998 Nr. 135. Weitere Nachw. bei Mankowski, IPRax 2001, 123; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V–E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 157.
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Gerichtsbarkeit
Anspruchs ohne eine die Funktionsfähigkeit der diplomatischen Vertretung gefährdende Untersuchung und Bewertung missionsinterner Vorgänge nicht entschieden werden könnte.472 Die Wahrung des Grundsatzes „ne impediatur legatio“ (Art. 22 WÜD) hat Vorrang (Rz. 593). Die Einstellung und Beschäftigung von Zivilpersonen für den Bedarf von (ausländischen) Streitkräften ist dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen. Für die Nato-Truppen ist jedoch das Völkervertragsrecht (Rz. 820) maßgeblich.473 Auch die Lehrertätigkeit an einer Auslandsschule wurde als hoheitlich eingestuft.474 Jedoch dürfte diese Qualifikation nicht mehr zutreffen. Jedenfalls ordnet das Bundesarbeitsgericht die Tätigkeit eines Lehrers an einer allgemeinbildenden staatlich anerkannten Schule nicht (mehr) als hoheitlich ein.475 Fazit: Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten des fremden Staates mit seinem in der Botschaft bzw. dem Konsulat angestellten Personal besteht nur dann Immunität, wenn der Arbeitnehmer hoheitliche Tätigkeiten ausübt.476 Dies ist zu verneinen z.B. für Fahrer477 oder Hausmeister einer Botschaft. Bei gemischter Verwendung (Fahrer und hin und wieder Übernahme von Dolmetscherfunktionen bei dienstlichen Anlässen) kommt es darauf, welche Tätigkeit prägend ist. In diesen Fällen ist die deutsche Rechtsprechung in puncto Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Immunität beanspruchenden Staates sehr großzügig, um zu verhindern, dass die Tätigkeiten der Botschaft etc. ausgeforscht und dadurch deren reibungsloses Funktionieren ungebührlich beeinträchtigt wird.478 Allgemein gilt: Bei Streitigkeiten aus einem Arbeits- oder sonstigen Dienstverhältnis kommt es darauf an, ob die dem Arbeit- bzw. Dienstnehmer übertragenen Aufgaben ihrer Art nach hoheitlich sind oder nicht. Hoheitlich ist nur das staatliche Handeln, das dem Kernbereich der Staatsgewalt zuzurechnen ist. Die Tätigkeit eines Lehrers an einer allgemeinbildenden staatlichen oder staatlich anerkannten Schule gehört nicht dazu. Aber auch wenn das Arbeitsverhältnis als nicht hoheitlich einzuordnen ist, kann die Verurteilung zur Gehaltszahlung durch ein deutsches Gericht das Immunitätsrecht des betroffenen Staates verletzen, wenn Grundlage der Verurteilung öffentlich-rechtliche Vorfragen sind, über die das deutsche Gericht nicht entscheiden darf.479 472 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 111. Weniger immunitätsfreundlich wohl aber die Rspr. des schweiz. Bundesgerichts, hierzu näher Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 296. 473 BAG v. 12.2.1985 – 1 ABR 3/83, BAGE 48, 81 (82) = IPRspr. 1985 Nr. 128. 474 LAG BW v. 27.2.2009 – 7 Sa 87/08, IPRspr. 2009 Nr. 162. Weniger zurückhaltend LAG München v. 27.11.1999, IPRspr. 2009 Nr. 165. 475 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 78/12, NJW 2013, 2461 = NJOZ 2013, 1835. 476 Art. 11 des VN-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens v. 2.12.2004 (s. Rz. 571) und Art. 5 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität v. 16.5.1972 (s. Rz. 719). 477 S. auch EuGH v. 19.7.2012 – Rs. C-154/11 Mahamdia/Algerien, NZA 2012, 935 = RiW 2012, 630 = IPRax 2013, 572. 478 BGH v. 1.7.2010, RIW 2011, 167 = IPRspr. 2010 Nr. 179b. 479 So darf z.B. das deutsche Arbeitsgericht nicht darüber befinden, ob der Abzug von Teilen des Gehalts für eine (Quellen)Steuer des Entsendestaats rechtmäßig ist, und
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Dritter Teil
Als nicht hoheitlich wurden qualifiziert480: alle Aktivitäten auf dem Gebiet des 583 Kulturbetriebs (außerhalb des zwischenstaatlich vereinbarten „offiziellen“ Kulturaustausches), wie Betrieb eines Opernhauses481 oder einer Schule bzw. sonstigen Bildungseinrichtung482; Einkauf von Waffen und Munition483; Kauf eines Grundstücks zum Betrieb einer Botschaft oder für ein Konsulatsgebäude484; Betreiben einer Omnibuslinie durch Staatsbahn485; Betrieb einer Staatsreederei486; Betrieb eines Verkehrsamtes487; Betreiben eines (Atom-)Kraftwerks zur Energieversorgung488; Bau von Straßen489 oder eines Staudamms, auch wenn damit Zwecke der staatlichen Daseinsvorsorge verfolgt werden.490
480
481 482
483 484 485 486 487 488
489 490
daher nicht zur Zahlung des einbehaltenen Gehaltsanteils verurteilen, BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 22. S. auch die Liste der Beispiele bei Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 215; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 299. So für das Engagement eines Opernsängers, Bybee v. Oper der Stadt Bonn, (1997) ILPr 42; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 11. S. auch IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien, I. C. J. Reports 2012, 99 Rz. 119 (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (205). A.A. BGH v. 25.6.2014 – VII ZB 23/13, NJW-RR 2014, 1088, Rz. 13 f.: Zur Wahrnehmung ausländischer Gewalt gehöre auch die vom Staat abhängige Repräsentation von Kultur und Wissenschaft im Ausland. Bei dem Betrieb der Privaten Volksschule der Republik Griechenland handele es sich um eine kulturelle Einrichtung. BGH v. 13.11.1974, IPRspr. 1974 Nr. 1b. OLG München v. 19.12.1974, MDR 1975, 411 = IPRspr. 1974 Nr. 146. LG Kiel v. 19.3.1953, NJW 1953, 1718 = MDR 1953, 489 = JZ 1954, 117 (Aubin) = IRPspr. 1952–1953 Nr. 289. LG Bremen v. 21.12.1959, IPRspr. 1964–1965 Nr. 59a und LG Bremen v. 8.2.1962, IPRspr. 1964–1965 Nr. 59b. LG Frankfurt/M. v. 30.6.1977, RIW 1977, 720 = IPRspr. 1977 Nr. 116. AG Bonn v. 29.9.1987 – 9 C 362/86, NJW 1988, 1393 = IPRax 1988, 351 (Gündling 338) = ROW 1988, 305 = IPRspr. 1987 Nr. 26a; LG Bonn v. 14.12.1988 – 5 T 184/87, NJW 1989, 1225 = IPRspr. 1987 Nr. 26b; österr. OGH (5. Senat) v. 23.2.1988, JBl. 1988, 459 = ÖZöRV 1988/89, 360, der aufgrund einer privaten Bauverbotsklage (§ 364 II ABGB) der ehemaligen CˇSSR die Errichtung des Kernkraftwerks Mochovce auf ihrem eigenen Staatsgebiet untersagte; auch abgedruckt in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 91 S. 167. Hierzu Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 434. Dagegen hielt der 6. Senat des OGH (Urt. v. 13.4.1989 – 6 Nd 503/89, unveröffentlicht, teilweise zitiert bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 27) die Klage gegen die CˇSSR auf Unterlassung der Errichtung der Atomkraftwerke in Temelin aus völkerrechtlichen Gründen für unzulässig. Ein völkerrechtswidriges Verhalten eines Staates könne nur vom Nachbarstaat auf völkerrechtlicher Ebene geltend gemacht werden, nicht von einem Privaten vor nationalen Gerichten, Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1300; zu den Tschernobyl-Verfahren in Deutschland Heß, a.a.O., 154; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 435. Ausführlich auch Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 227. OLG Köln v. 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2006, 222 = IPRspr. 2004 Nr. 155. OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (462) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156.
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Als nicht hoheitlich wurden weiter eingestuft: Die bankgeschäftliche Eröffnung eines Dokumentenakkreditivs durch die Zentralbank eines ausländischen Staates, auch wenn dies auf Anweisung des dortigen Verteidigungsministers erfolgt491; Ausgabe von Staatsanleihen (Rz. 558)492 oder Anleihen einer Zentralbank, die auf dem Kapitalmarkt angeboten werden493; Werkverträge, auch wenn diese z.B. die Renovierung des Botschaftsgebäudes betreffen494; Verträge über Pipelines und Gasleitungen495; Betreiben eines public relations-Instituts496; sowie Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie für eine privatrechtliche Verbindlichkeit.497 Für alle vorbeschriebenen als nicht hoheitlich einzustufenden Aktivitäten eines Staates gilt: Der Immunitätsschutz entfällt in vollem Umfang; dies gilt auch für Streitigkeiten aus Anlass der Rückabwicklung eines Kaufvertrages wegen Rücktritts einer Vertragspartei etc. und für Klagen auf Schadensersatz wegen Vertragsverletzung usw. 584 Once a trader always a trader: Ein fremder Staat kann sich der Jurisdiktionsunterworfenheit, die sich aus seinem Auftreten als Privatmann (iure gestionis) ergibt, nicht dadurch entziehen, dass er sich später als Hoheitsträger geriert. Es gibt keine „überholende Immunität“.498 Greift der beklagte Staat in ein als actum iure gestionis qualifiziertes Privatrechtsverhältnis, an dem er selbst beteiligt ist, mit (wirtschaftsdirigistischen) Gesetzen oder Verwaltungsakten ein, so erwächst
491 LG Frankfurt/M. v. 2.12.1975, NJW 1976, 1044 = IPRspr. 1975 Nr. 133. 492 BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 Rz. 36) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. S. auch BVerfG v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u.a., BVerfGE 118, 124 = IPRax 2008, 427 (Stadler 405). 493 So das schweiz. Bundesgericht, BGE 104 Ia 367; BGE 82 I 75; BGE 56 I 237; BGE 44 I 49; hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 295. 494 Schweiz. Bundesgericht, BGE 112 Ia 150: „Die Funktion des Staates als Besteller gegenüber dem Unternehmer unterscheidet sich nicht von derjenigen eines Privaten.“ Zustimmend Kren Kostkiewicz, a.a.O., 295. Ob auch die deutschen Gerichte diesen Satz ohne Abstriche übernehmen würden, erscheint fraglich. 495 OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, RIW 1982, 440 = IPRax 1983, 68, 70 (Albert 55) (dort wird offengelassen, ob die Ausbeutung der Erdöl- und Erdgasvorkommen als solche hoheitlich zu qualifizieren sei). 496 LG Hamburg v. 26.3.1981 – 18 T 13/81, RIW 1981, 712 = IPRspr. 1981 Nr. 146b. 497 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 111. Weitere Hinw. bei van Hecke, IPRax 1992, 205 sowie bei Grabinski, IPRax 1992, 56 zur französischen Rspr. (die wohl enger ist als die deutsche, weil sie für actes de service public Immunität gewährt) sowie bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 465 und bei Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 563 zur schweizer. Rspr. Zur Abgrenzungsmethode der Kodifikationsentwürfe Heß, a.a.O., 48 sowie Kren Kostkiewicz, a.a.O. 498 Seidl-Hohenveldern in FS Beitzke, 1979, 1091. Noch weiter geht Kren Kostkiewicz, a.a.O., 420: „Wenn ein ausländischer Staat einen Vertrag mit einem Privaten eingeht, so handelt er selbst wie ein Privater.“ „Wenn er somit Werkverträge, auch wenn diese z.B. Renovationsarbeiten an Botschaftsgebäuden betreffen, abschliesst, oder Mietverträge eingeht, auch wenn es sich um Botschaftsgebäude handelt, wenn er Gegenstände kauft oder verkauft, Darlehen aufnimmt oder Staatsanleihen auf dem Geldmarkt anbietet oder andere Verträge eingeht, so geniesst er grundsätzlich keine Immunität.“ (421).
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ihm daraus nicht nachträglich ein Anspruch auf Immunität.499 Der Beklagte kann sich aber möglicherweise auf der Ebene des Privatrechts auf force majeure berufen.500 Delikte und Quasidelikte fremder Staaten: Die Unterscheidung zwischen acta 585 iure imperii und iure gestionis gilt derzeit nach Völkergewohnheitsrecht auch für außervertragliche Verbindlichkeiten, insbes. für die deliktische Haftung fremder Staaten.501 Allerdings ist durch die neueren Kodifikationen ein Erosionsprozess in Gang gekommen. So schließt Art. 11 EuÜStI den Immunitätsanspruch fremder Staaten grundsätzlich (Ausnahmen: Art. 29 Buchst. b, 31, 32 EuÜStI) aus, ohne Rücksicht darauf, ob das Handeln als nicht hoheitlich zu qualifizieren ist (Rz. 749). Ebenso § 1605 (a) (5) (A) FSIA, sec. 5 StIA, sec. 6 CanStIA (näher unten Rz. 626c). Auch wenn nach der hier vertretenen Meinung fremde Staaten (noch) relative 586 Immunität (für hoheitliches Handeln) beanspruchen können, sind doch Private, die Opfer eines Verkehrsunfalls werden, den ein Diplomat oder Konsul auf einer Dienstfahrt verursacht hat, nicht ohne jeden Rechtsschutz: Das Halten und der Betrieb eines Kraftfahrzeugs und die Teilnahme am Straßenverkehr sind nämlich generell auch dann als actum iure gestionis zu qualifizieren, wenn das Fahrzeug nur (überwiegend) zu Dienstfahrten verwendet wird. So hat der österreichische Oberste Gerichtshof zu Recht die Immunität der Vereinigten Staaten von Amerika verneint, als es um den Ersatz des Schadens aus einem Verkehrsunfall ging, den der Fahrer der US-Botschaft in Wien verursacht hatte, als er mit dem Dienstwagen die Botschaftspost abholen wollte.502 Als Exkurs zur Abrundung des Themas „Straßenverkehrsunfälle“ sei erwähnt, 587 dass der Empfangsstaat nicht gegen Völkerrecht verstößt, wenn er für Diplomaten und deren Begleitung den Abschluss von Versicherungsverträgen zum Schutze Dritter obligatorisch vorschreibt.503
499 Damian, a.a.O., 106, 178; Seidl-Hohenveldern in FS Beitzke, 1979, 1091; Schack, IZVR6, Rz. 182. 500 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1176. Dies ist allerdings umstritten, Nachw. bei Enderlein, RIW 1988, 334 (aus DDR-Sicht); Nolting, RIW 1988, 512 Fn. 12. Vgl. auch Rz. 185 sowie Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 132 ff. zur Frage, wie sich der Private gegen „legislative Übergriffe“ seines staatlichen Partners durch sog. Stabilisierungsklauseln (= Unbeachtlichkeit späterer Rechtsänderungen) schützen kann. 501 H.M., Nachw. z.B. bei Damian, a.a.O., 114. 502 OGH JBl. 62, 43. S. auch den Fall des LG Kiel v. 19.3.1953, NJW 1953, 1718 = MDR 1953, 489 = JZ 1954, 117 (Aubin) = IPRspr. 1952–53 Nr. 289, in dem es um einen Verkehrsunfall ging, den ein Bus der dänischen Staatsbahnen in Deutschland verursacht hatte. Weitere Nachw. bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 92 Fn. 88, 152, 175, 181. 503 Nachw. bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 1984, § 901 Fn. 51; Heß, a.a.O., 152. Der Geschädigte kann dann direkt gegen die Versicherung klagen, § 3 Pflichtversicherungsgesetz. Vgl. Rz. 626d, 664, 750.
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Gerichtsbarkeit
588 Zur Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen ausländischer staatlicher Gerichte oder Schiedsgerichte s. Rz. 544.504 2. Vollstreckungsverfahren 589 Kein generelles Vollstreckungsverbot505: Dass das allgemeine Völkergewohnheitsrecht für das Erkenntnisverfahren die Mindestverpflichtung enthält, in Bezug auf hoheitliches Verhalten (acta iure imperii) Immunität zu gewähren, bedeutet nicht schon, dass es auch für die Zwangsvollstreckung nur begrenzte Immunität geböte.506 Gegenwärtig fehlt eine allgemeine Regel des Völkerrechts, derzufolge dem Gerichtsstaat die Zwangsvollstreckung gegen den fremden Staat schlechthin verwehrt wäre.507 590 Verbot des Zugriffs auf Vermögen fremder Staaten mit hoheitlichem Verwendungszweck508: Das Völkerrecht erlaubt nicht die Zwangsvollstreckung in Gegenstände, die hoheitlichen Zwecken dienen, auch wenn der Vollstreckungstitel
504 S. auch BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 Rz. 14 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau). 505 Hierzu grundlegend BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117; vgl. auch Bucher, IPRax 1982, 161; Esser, RIW 1984, 584; AG Hamburg v. 7.1.1981 – 8 T 13/81, RIW 1981, 712 = IPRspr. 1981 Nr. 146a; LG Hamburg v. 26.3.1981 – 18 T 13/81, RIW 1981, 712 = IPRspr. 1981 Nr. 146b. Parallelentscheidungen: Cour de Cassation v. 14.3.1984, RIW 1985, 739; Cour de Cassation v. 1.10.1985, RIW 1987, 55 (Seidl-Hohenveldern); House of Lords v. 12.4.1984, Alcon Ltd. v. Columbia et al. IPRax 1986, 50 (van Houtte) = ILM 23 (1984), 719. Umfangreiche Nachw. bei Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 116 ff., 161 ff.; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 329 Rz. 399; Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 56; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 132; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 49 ff.; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 218; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 300; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1175. Zurückhaltender die US-Praxis, die Bankauszüge ausländischer Missionen nicht schützt (vgl. Rz. 595), Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 288 Fn. 8. S. auch M. Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364. 506 Art. 19 (c) des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (s. Rz. 571); BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (369) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117; BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (209 – Rz. 37 ff.) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. Nachw. bei Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 116. Zu neueren Entwicklungen in Frankreich Kröll, IPRax 2002, 439. S. auch R. Geimer, SchiedsVZ 2004, 108 sowie Kröll, IPRax 2004, 223. 507 Anders Art. 23 EuÜStI, Rz. 692. 508 Hierzu z.B. IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien, Rz. 118 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/ files/143/16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (205).
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gegen den fremden Staat in einem Verfahren über nicht hoheitliches Verhalten (acta iure gestionis) herrührt (Rz. 3230a).509 Z.B.510 Militärgeräte des fremden Staates (Kriegsschiffe, Militärflugzeuge, Panzer) und Nachschubeinrichtungen (Materialien zur Versorgung der Truppen und zur Durchführung militärischer Aktionen, Rz. 597).511 Anders als im Erkenntnisverfahren (Rz. 579) wird die Abgrenzung nicht nach objektiven Kriterien vorgenommen, sondern nach der Zweckbestimmung.512 Die deutsche Rechtsprechung ist sehr immunitätsfreundlich.513 Ob kraft Völkergewohnheitsrechts z.B. Vollstreckungsimmunität für Kunstleihgaben aus staatlichen Museen besteht,514 erscheint höchst fraglich, wird jedoch bejaht. Das Gleiche soll nach Ansicht des BGH für den Betrieb einer privaten Schule gelten (Rz. 583). Daher bestehe für die der Republik Griechenland zustehenden Forderungen auf Auszahlung von Zuschüssen für den Personal- und Schulaufwand nach dem Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz Vollstreckungsimmunität.515 Was die Art und Weise der Zwangsvollstreckung anbelangt, favorisiert die überwiegende Meinung innerstaatlich die (entsprechende) Anwendung des § 882a ZPO.516 Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Beginn der Zwangsvollstreckung.517 Wurde der 591 Gegenstand vor Eröffnung der Zwangsvollstreckung für nicht hoheitliche Zwecke verwendet und nur deshalb „umgewidmet“, um ihn der Zwangsvollstre-
509 BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 9/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 198 = RIW 2006, 60 = WM 2005, 2274 = IPRax 2007, 128 (Dutta 109) = SchiedsVZ 2006, 47 (RaeschkeKessler) = IPRspr. 2005 Nr. 118. Nachw. bei Kropholler, IPR einschließlich der Grundbegriffe des IZVR6, § 57 I 3 (b); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1175; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 471 Fn. 40; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 303, 310, 534 ff. Hierunter werden auch Auszahlungsbeträge aus Anleihen gezählt, wenn diese hoheitlichen Zwecken zu dienen bestimmt sind, LG Frankfurt/M. v. 22.7.1999, IPRspr. 2000 Nr. 107 sowie v. 23.5.2000 – 2/13 T 65/99, RIW 2001, 308 = IPRspr. 2000 Nr. 107. ppp. 510 Weitere Nachw. z.B. bei Hess, Staatenimmunität und iuw cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (206). 511 Damian, a.a.O., 180; BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (400) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117. 512 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 471 Fn. 41; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 155 ff. 513 Nachw. z.B. bei M. Weller, Vollstreckungsimmunität: Beweislast, Beweismaß, Beweismittel, Gegenbeweis und Beweiswürdigung, RIW 2010, 599. 514 So KG v. 5.3.2010 – 18 W 2/10, IPRax 2011, 594 (M. Weller 574) = IPRspr. 2010 Nr. 180. 515 BGH v. 25.6.2014 – VII ZB 23/13, NJW-RR 2014, 1088, Rz. 13 f. 516 M. Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364 (371). 517 Damian, a.a.O., 177.
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ckung zu entziehen, so ist dies – da missbräuchlich – nicht zu beachten. Der Vollstreckungszugriff bleibt zulässig.518 592 Vermögensgegenstände, die nicht hoheitlichen Zwecken dienen, sind z.B. Beteiligungen an gewerblichen Unternehmen, Konten zur Abwicklung von Handelsgeschäften, Handelsschiffe und Luftfahrzeuge (außerhalb des Militärbereichs),519 Guthaben aus Anleihen (Rz. 558) oder sonstigen Wertpapiergeschäften. 593 Ne impediatur legatio (Rz. 796, 2147): Der klassische Fall hoheitlicher Zweckbestimmung ist der Betrieb einer Botschaft oder eines Konsulats im Vollstreckungsstaat.520 Deren Funktionsfähigkeit darf nicht durch Vollstreckungsmaßnahmen behindert, ja nicht einmal tangiert werden.521 Deshalb darf nicht auf die der diplomatischen (Art. 22 III, 24, 27 II 1 WÜD) oder konsularischen (enger Art. 31 IV, 33 WÜK) Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen dienenden Gegenstände zugegriffen werden.522 Hierzu gehören nicht nur die Gebäude und Räume der Mission und für diplomatisches bzw. konsularisches Personal bestimmte Dienstwohnungen523, sondern auch bewegliche Sachen, wie Einrichtungsgegenstände, Kraftfahrzeuge und sonstige Werte, z.B. Ansprüche und Bankkonten (Rz. 595).524 518 Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren auf der Grundlage des § 23 ZPO (Rz. 1372, 1378) kommt es auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an (Rz. 1833); BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2886; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (462) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156. 519 BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (462) = IPRax 1999, 247 (Hau 232). 520 Art. 21 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (Rz. 571); BVerfG v. 6.12.2006 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 Rz. 33 ff.) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. 521 BGH v. 8.7.2008 – VII ZB 66/07, IPRspr. 2008 Nr. 108. Enger LG Hagen v. 16.1.2008 – 3 T 377/07, IPRspr. 2008 Nr. 106 (mittelbare Verwendung für öffentliche Zwecke begründet keine Immunität); wohl auch OLG Frankfurt/M. v. 6.6.2008 – 8 U 201/07, IPRspr. 2008 Nr. 107. Nicht unproblematisch daher OLG Köln v. 24.3.2004 – 2 Wx 34/03, IPRax 2006, 170 (Fassbender 129) = Rpfleger 2004, 478 = FGPrax 2004, 100 = NJOZ 2004, 2064 = IPRspr. 2004 Nr. 221: Der Schutzbereich des Art. 22 III WÜD werde nicht schon durch Eintragung einer Arrestsicherungshypothek berührt, da hierdurch nicht einmal die abstrakte Gefahr geschaffen werde, dass durch die Eintragung die Erfüllung diplomatischer Aufgaben beeinträchtigt werden kann. Der Immunitätsschutz werde dadurch in vollem Umfang gewährleistet, dass jede weitere Maßnahme des Gläubigers zur Verwertung des Grundstücks eines weiteren Verfahrens bedarf. Tendenziell anders jedoch BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 8/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 425 = WM 2006, 41 = SchiedsVZ 2006, 44 (Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 91. Umfangreiche Nachw. bei von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399 (402). 522 Damian, a.a.O., 81, 180; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 289 (§ 38 II). Weitere Nachw. bei von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399 (401). 523 KG v. 14.6.2010 – 1 W 276/09, Rpfleger 2010, 658 = IPRspr. 2010 Nr. 182. 524 Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 288 (§ 38 I 5).
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Wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Beurteilung einer Gefährdung 594 dieser Funktionsfähigkeit und wegen der latent gegebenen Missbrauchsmöglichkeiten zieht das allgemeine Völkerrecht den Schutzbereich zugunsten des fremden Staates sehr weit und stellt auf die typische abstrakte Gefahr, nicht auf die konkrete Gefährdung der Funktionsfähigkeit der diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung ab. So unterliegen Forderungen aus einem laufenden, allgemeinen Bankkonto der Botschaft eines fremden Staates, das im Gerichtsstaat besteht und zur Deckung der Kosten der Botschaft bestimmt ist, nicht der Zwangsvollstreckung durch den Empfangsstaat. Es würde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine völkerrechtswidrige Einmischung in die ausschließlichen Angelegenheiten des Entsendestaats darstellen, dem Entsendestaat anzusinnen, die Verwendungszwecke von Guthaben auf einem solchen Konto näher darzulegen. Es ist jedoch nicht völkerrechtswidrig, von dem fremden Staat bzw. dessen Botschaft zu verlangen, durch eine gehörige Versicherung glaubhaft zu machen, dass das betreffende Konto zur Aufrechterhaltung der diplomatischen Vertretung dient.525 Völkerrechtswidrig da Verletzung des Grundsatzes ne impediatur legatio wäre es aber, vollen Beweis über die einzelnen Verwendungszwecke zu verlangen.526 Bei gemischtem Verwendungszweck (mixed accounts), z.B. wenn das Konto sowohl für den Betrieb der Botschaft als auch für die Abwicklung von Handelsgeschäften dient, ist die Vollstreckung in den nichthoheitlichen Zwecken dienenden Teil zwar nach Völkergewohnheitsrecht zulässig. Es wäre aber eine verbotene Einmischung in die ausschließlichen Angelegenheiten des fremden (Schuldner-)Staates, wollte man von ihm „Rechnungslegung“ verlangen.527 Daran scheitert nicht selten die Zwangsvollstreckung in toto.528
525 BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (400) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461, 462 = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156. 526 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 267; Damian, a.a.O., 177. Auch der BGH v. 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, MDR 2003, 1135 = NJW-RR 2003, 1218 = WM 2003, 1388 = IPRspr. 2003 Nr. 115 (hierzu Geimer, LMK 2003, 174 und Becker, JuS 2004, 470) lehnt eine Beweiserhebung nach den strikten Regeln der ZPO ab und begnügt sich mit einer Wahrscheinlichkeitsabwägung auf der Grundlage einer an das Auswärtige Amt gerichteten Verbalnote des Botschafters des fremden Staates. Beweiserhebungen würden zu einer Offenlegung interner Vorgänge hoheitlicher Art führen. Dies wäre mit dem Grundsatz ne impediatur legatio nicht zu vereinbaren; denn es würde das völkerrechtliche Verbot der Nichteinmischung in die hoheitlichen Bereiche des fremden Staates verletzt. Damit will der BGH völkerrechtlichen Verwicklungen bereits in statu nascendi vorbeugen. Zurückhaltend auch LG Bonn v. 27.3.2009 – 6 T 228/04, NJW-RR 2009, 1316 = IPRspr. 2009 Nr. 163. Auf völkerrechtlicher Ebene haftet die Bundesrepublik Deutschland für jede Immunitätsverletzung ihrer Gerichte. Sie kann sich nicht auf die Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit ihrer Richter berufen, Rz. 205. S. auch von Hein, Voraussetzungen und Umfang des Immunitätsverzichts in Staatsanleihen, IPRax 2007, 399 (403). 527 Damian, a.a.O., 183; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 172. 528 Zurückhaltend auch BGH v. 1.10.2009 – VII ZB 37/08, MDR 2010, 109 = NJW 2010, 769 = RIW 2010, 72 (Weller 579) = IPRspr. 2009 Nr. 164.
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595 Das Bundesverfassungsgericht529 ließ offen, ob und nach welchen Maßstäben Forderungen und sonstige Rechte aus anderen Konten eines fremden Staates bei Banken im Gerichtsstaat als hoheitliche oder nicht hoheitliche Vermögensgegenstände zu qualifizieren sind und welche völkerrechtlichen Grenzen gegebenenfalls für den Beweis insoweit zu beachten sind. Die Frage stellt sich etwa bei Forderungen aus besonderen Konten im Zusammenhang mit Beschaffungskäufen oder Anleihebegebungen oder aus Konten ohne besondere Zweckbestimmung. Es qualifiziert aber Forderungen aus Bankguthaben im Gerichtsstaat, die zur Überweisung auf ein Konto bestimmt sind, das ein fremder Staat bei seiner Zentralbank unterhält und das der Deckung von Haushaltsausgaben dient, nicht als hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen.530 Solche Guthaben erhalten nach dem Willen des fremden Staates die maßgebende Zweckbestimmung erst dann, wenn sie in die Verfügungsgewalt der Zentralbank (Rz. 626a) gelangt sind. Mit der Anweisung zur Weiterleitung der Guthaben an die Zentralbank werden allenfalls mittelbar hoheitliche Zwecke verfolgt. Der Gerichtsstaat wäre von Völkerrechts wegen auch dann nicht gehalten, die Guthaben als hoheitlichen Zwecken dienend zu qualifizieren, wenn sie nach ihrem Eingang auf dem Konto des fremden Staates bei seiner Zentralbank Zwecken zugeführt würden, die als hoheitlich zu qualifizieren wären. Daher ist nicht entscheidend, ob die Guthaben nach dem Recht des fremden Staates als hoheitlichen Zwecken dienend anzusehen sind. Qualifiziert der Gerichtsstaat den Bestimmungszweck in anderer Weise als der fremde Staat, so liegt darin auch kein Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot. Denn eine auf einer abweichenden Qualifikation beruhende gerichtliche Maßnahme ist kein Druckmittel, mit dem der Gerichtsstaat das Ziel verfolgt, auf die Ausgestaltung der politischen oder wirtschaftlichen Ordnung des fremden Staates Einfluss zu nehmen. Nach deutschem Recht wären Guthaben zur Deckung von öffentlichen Haushaltsposten als Teil des staatlichen Finanzvermögens anzusehen. Gegenstände des Finanzvermögens sind keine öffentlichen Sachen; sie unterstehen dem Privatrecht. Nach allgemeiner Auffassung findet die Unpfändbarkeitsvorschrift des § 882a II ZPO abgesehen davon, dass dort nur „Sachen“, d.h. körperliche Gegenstände (vgl. § 90 BGB), die für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben unentbehrlich sind, dem Zugriff entzogen sind auf Finanzvermögen keine Anwendung. Dagegen haben Guthaben, die der fremde Staat zu währungspolitischen Zwecken bei Banken im Gerichtsstaat unterhält, in aller Regel unmittelbar eine hoheitliche Zweckbestimmung.531 596 Dass das nicht hoheitlichen Zwecken dienende Vermögen fremder Staaten der Vollstreckungsgewalt der Bundesrepublik Deutschland unterliegt, bestätigen die vielen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge, die Deutschland abgeschlossen hat. So können nach Art. 18 II des deutsch-amerikanischen Abkom-
529 BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (398) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117. Hierzu Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 162 ff. 530 S. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 161. 531 Zur Beweislast Walter, RIW 1984, 9. S. auch R. Geimer, SchiedsVZ 2004, 108.
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mens vom 29.10.1954532 im öffentlichen Eigentum stehende oder öffentlich kontrollierte Unternehmen Vollstreckungsimmunität nicht beanspruchen.533 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Kriegsschiffe, Staatsjachten, Schiffe des 597 Überwachungsdienstes, Hospitalschiffe, Hilfsschiffe, Proviantschiffe und andere Fahrzeuge, die einem Staat gehören oder von ihm verwendet werden und die zur Zeit des Entstehens der Forderung, derentwegen der Zugriff betrieben wird, ausschließlich für einen staatlichen Dienst und nicht für Handelszwecke bestimmt sind oder verwendet werden, sind nach Art. 95 f. VN-Seerechtsübereinkommen (Rz. 739), davor nach Art. 3 § 1 des Internationalen Abkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunitäten der Staatsschiffe vom 10.4.1926534 unzulässig. Das Gleiche gilt für Ladungen, die einem Staat gehören und sich an Bord eines 598 solchen Schiffes befinden, Art. 3 § 2, und für „Ladungen, die einem Staat gehören und an Bord von Privatschiffen für staatliche und nicht für Handelszwecke befördert werden“. Im Übrigen unterliegen Staatsschiffe einschließlich ihrer Ladungen der Zwangsvollstreckung. Sie stehen privaten Schiffen und Ladungen gleich, Art. 1 und 2 (vgl. Rz. 411, 498).535 Die Unterscheidung zwischen hoheitlichen und nicht hoheitlichen Zwecken dienenden Schiffen findet sich auch in den neueren Seerechtskonventionen, deren bedeutendste die VN-Seerechtskonvention (Art. 95 und 96) ist.536 Auch die Zwangsvollstreckung in nicht hoheitlichen Zwecken dienende Luft- 599 fahrzeuge eines fremden Staates ist zulässig. Vgl. Art. 3 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen vom 29.5.1933.537 Der Umzug der diplomatischen Vertretungen von Bonn nach Berlin hat zu man- 600 chen Fragen im Zusammenhang mit der Unverletzlichkeit der Gesandtschaftsgrundstücke (Art. 22 WÜD; Art. 31 WÜK) geführt. Es ist der Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem das Bonner Grundstück nicht mehr hoheitlichen Zwecken dient und daher der Entsendestaat Vollstreckungsimmunität nicht mehr beanspruchen kann; vice versa stellt sich die Frage, wann das Botschaftsgrundstück in Berlin unter diesem immunitätsrechtlichen Schutz steht. Beginnt dieser bereits mit dem Erwerb des Grundstücks zum Zwecke der Bebauung mit einem Botschaftsgebäude oder erst dann, wenn dieses funktionsfähig erstellt ist? Wie verhält es sich mit den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Botschaften, wenn der 532 BGBl. II 1956, 488. 533 Nachw. bei Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 152. 534 RGBl. II 1927, 484. Hierzu Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 207; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 224; Rabe, Seehandelsrecht4, Einführung Rz. 28 ff. 535 Damian, a.a.O., 148. 536 Nachw. bei Damian, a.a.O., 149; Heß, a.a.O., 209. Vgl. auch Art. 10 III 2 des Übereinkommens v. 25.5.1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen (BGBl. II 1975, 977). 537 RGBl. II 1935, 302. Hierzu Damian, a.a.O., 150 Fn. 154; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 226.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
betreffende ausländische Staat sie nicht mehr am gleichen Ort, sondern gegebenenfalls im Wege des Grundstückstauschs an anderer Stelle wieder eröffnet?538 601 Es besteht keine Konnexität zwischen Titel und Vollstreckungsobjekt: Der Gläubiger kann aufgrund eines ordnungsgemäßen Titels in das gesamte nicht hoheitlichen Zwecken dienende Vermögen des fremden Schuldnerstaates vollstrecken. Staaten haften wie Private mit ihrem gesamten Vermögen. 602 Anders regelt diesen Komplex § 1610 (a) (2) FSIA. Danach unterliegen der Vollstreckung nur Vermögensgegenstände, die für die im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch stehende kommerzielle Aktivität des fremden Staates verwendet werden. Das der Vollstreckung zur Verfügung stehende Vermögen wird also aufgespaltet in die einzelnen Sektoren der wirtschaftlichen Tätigkeit des fremden Staates. Diese Vorschrift ist aber nicht geltendes Völkergewohnheitsrecht.539 Sie ist auch unzweckmäßig, da sie viele Abgrenzungsschwierigkeiten heraufbeschwört. Zudem lässt sich nicht begründen, weshalb in dieser Art Staaten gegenüber Privaten haftungsrechtlich zu bevorzugen sind (vgl. Rz. 614). 603 Keine völkerrechtliche Pflicht zur Gewährung eines „Vollstreckungsaufschubs“: Das Völkergewohnheitsrecht gebietet nicht, nach Erlass des Vollstreckungstitels dem fremden Staat eine Frist zur (freiwilligen) Erfüllung zu gewähren, innerhalb derer die Durchführung der Zwangsvollstreckung unterbleiben müsste. Zwar schreibt § 1610 (c) FSIA eine solche Wartefrist vor. Doch haben die Vereinigten Staaten von Amerika diese Regel nicht in der Überzeugung einer völkerrechtlichen Pflicht in den Foreign Sovereign Immunities Act rezipiert, sondern im Rahmen des innerstaatlichen Gesetzgebungsspielraums. Für das
538 BGH v. 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, MDR 2003, 1135 = NJW-RR 2003, 1218 = WM 2003, 1388 = IPRspr. 2003 Nr. 115 (hierzu Geimer, LMK 2003, 174 und Becker, JuS 2004, 470) befasste sich nur mit der Frage der Fortdauer des Immunitätsschutzes für das Bonner Grundstück: Kenia hatte dieses Grundstücks bereits verkauft, aber (angeblich) noch weiter zu diplomatischen Zwecken benutzt. Der Grundstückskaufvertrag war in seiner Abwicklung faktisch blockiert, weil ein in der Registratur der Botschaft angestellter kenianischer Staatsangehöriger wegen rückständigen Lohns einen Zwangsversteigerungsvermerk hatte eintragen lassen. Vollstreckungstitel war ein Versäumnisurteil des ArbG Bonn. Die Republik Kenia hatte sich vor dem Arbeitsgericht nicht eingelassen, jedoch Erinnerung beim Vollstreckungsgericht eingelegt unter Hinweis auf die weitere Nutzung des Grundstücks zu diplomatischen Zwecken. Diese war erfolgreich: Das AG Bonn hob den Zwangsversteigerungsbeschluss auf. Auch der BGH bejahte die Vollstreckungsimmunität, weil Kenia bei Beginn der Zwangsvollstreckungsmaßnahme das Bonner Gebäude noch zu diplomatischen Zwecken neben der Berliner Botschaft genutzt habe. 539 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 (40) = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 186; Seidl-Hohenveldern, RIW 1985, 413; 1987, 55; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 165 ff.
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deutsche Recht wird die analoge Anwendung des § 882a I 1 ZPO diskutiert; hierfür besteht jedoch keine Veranlassung.540 Das Völkerrecht kennt keine Beschränkung der Vollstreckungsmittel: Ist ein 604 Staat der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland unterworfen, so wird er in der Zwangsvollstreckung behandelt wie jeder andere Schuldner. Das Völkergewohnheitsrecht gebietet keine Sonderbehandlung. Daher sind §§ 883 ff. ZPO auch gegen fremde Staaten anzuwenden. Die Anordnung und Beitreibung von Zwangsgeld (§ 888 I ZPO) bzw. Ordnungsgeld (§ 890 ZPO) ist zulässig, ebenso die Verhängung von Zwangshaft (§ 888 ZPO) gegen den (nicht persönliche Immunität genießenden) organschaftlichen Vertreter des fremden Staates, der für die Vornahme bzw. Unterlassung der nichthoheitlichen Handlung nach dem innerstaatlichen Recht des verurteilten fremden Staates verantwortlich ist.541 Für Erkenntnisverfahren vgl. Rz. 640. Ausnahmsweise Zulässigkeit der Vollstreckung in hoheitlichen Zwecken die- 605 nendes Vermögen: Vollstreckung in Vermögen, das hoheitlichen Zwecken des fremden Staates dient, ist zulässig bei Immunitätsverzicht des betroffenen Staates, Rz. 631542 und darüber hinaus in den in Rz. 648 genannten Fällen. Nach Art. VIII A § 3 des ILA-Entwurfs sollte der Zugriff auch auf (hoheitlichen Zwecken dienendes) Vermögen des fremden Staates zulässig sein, wenn dieser den Gegenstand, in den vollstreckt werden soll, unter Verletzung des Völkerrechts (z.B. der Regeln über Enteignung des Vermögens von Ausländern) an sich gebracht und einem hoheitlichen Verwendungszweck gewidmet hat. Eine solche Regel des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts ist aber (zumindest derzeit) nicht nachweisbar. Ein Vollstreckungszugriff ist mithin nur zulässig, wenn Voraussetzungen für Repressalien gegen den fremden Staat, welcher das Völkerrecht verletzt hat, gegeben sind. Innerstaatlich fehlt jedoch seit Aufhebung des § 24 EGZPO (Rz. 36) eine Rechtsgrundlage.543 Zulässig ist der Vollstreckungszugriff auf hoheitlichen Zwecken dienendes Ver- 606 mögen eines fremden Staates, wenn der in Betracht kommende Gegenstand unter Verletzung der Gebietshoheit in den Vollstreckungsstaat gebracht wurde.544
540 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 172. A.A. W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 270. 541 Damian, a.a.O., 173 Fn. 285. Zur Zulässigkeit der Zwangshaft gegen gesetzliche Vertreter und Organe Stein/Jonas, ZPO22, § 888 Rz. 43. 542 BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723 Rz. 23 ff.; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 440 ff.; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 120 ff. Zur Reichweite eines pauschal erklärten Immunitätsverzichts s. Rz. 512, 521b, 562, 631. Zurückhaltend auch BGH v. 1.10.2009 – VII ZB 37/08, MDR 2010, 109 = NJW 2010, 769 = RIW 2010, 72 (Weller 579) = IPRspr. 2009 Nr. 164; LG Bonn v. 27.3.2009 – 6 T 228/04, NJW-RR 2009, 1316 = IPRspr. 2009 Nr. 163. 543 § 24 EGZPO wurde aufgehoben mit Wirkung zum 1.10.1998 durch Gesetz v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033. Hierzu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10871, 16. 544 Damian, a.a.O., 185. So BGE 65 I 46 für Zugriff auf einen geheimdienstlichen Zwecken dienenden Gegenstand.
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607 Dringen Kriegsschiffe völkerrechtswidrig in Eigengewässer des Vollstreckungsstaates ein, entfällt ebenfalls die Vollstreckungsimmunität.545 608 Wahrung der Vollstreckungsimmunität fremder Staaten (bezüglich ihres hoheitlichen Zwecken dienenden Vermögens) in Vollstreckungsverfahren gegen Dritte: Das völkerrechtliche Verbot des Zugriffs auf Vermögensgegenstände fremder Staaten, die bei Beginn der Zwangsvollstreckung hoheitlichen Zwecken dienen, ist auch in Vollstreckungsverfahren gegen Dritte von Amts wegen zu beachten. Ihre Rechtsstellung an Gegenständen, die ihnen gehören oder an denen sie ein dingliches Recht haben oder die sich unter ihrer tatsächlichen Herrschaft befinden, darf auch durch die Zwangsvollstreckung gegen Dritte nicht geschmälert werden. Sie dürfen im Hinblick auf hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen nicht schlechter gestellt werden, als wenn das Vollstreckungsverfahren gegen sie selbst gerichtet wäre.546 Daher ist der betroffene fremde Staat nicht auf die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) zu verweisen. Vielmehr ist sein Vollstreckungsprivileg von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachten. 609 Dies gilt allerdings nicht, soweit in Vermögen vollstreckt wird, das nicht hoheitlichen Zwecken dient; denn in diesem Fall ist der fremde Staat wie jeder andere zu behandeln. Ist das deutsche Vollstreckungsorgan der Auffassung, der fremde Staat könne in concreto keine Vollstreckungsimmunität beanspruchen, ist dieser aber anderer Ansicht, so kann der Streit nach § 771 ZPO, aber auch aufgrund Erinnerung nach § 766 ZPO entschieden werden.547 Nach Erschöpfung des Instanzenzugs steht ihm auch die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zur Verfügung (Rz. 248).548 610 Ein fremder Staat hat Anspruch auf Vollstreckungsimmunität nicht nur als Schuldner, sondern auch als Drittschuldner.549 Der Gläubiger kann durch Pfändung einer Forderung seines Schuldners, die dieser gegen einen fremden Staat hat, keine bessere Rechtsposition erlangen, als sie seinem Schuldner (= Gläubiger des fremden Staates) zusteht. Dies betrifft aber nur die Durchsetzung der Forderung gegen den fremden Staat (Klage auf Erfüllung: Vollstreckung des Leistungsurteils), sofern dieser nicht bereit ist, freiwillig an den Vollstreckungsgläubiger zu leisten.550 611 Streng hiervon zu trennen ist die Frage, ob ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen einen fremden Staat als Drittschuldner zulässig ist. Dies ist zu bejahen:551 denn es handelt sich nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme gegen
545 Mössner, NJW 1982, 1197; Berg, ZaöRV 42 (1982), 315. 546 Damian, a.a.O., 186. 547 Für Nichtigkeit die überwiegende Meinung, Nachw. z.B. bei Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 113. 548 BVerfG v. 17.3.2014 – 2 BvR 736/13, NJW 2014, 1723. 549 Damian, a.a.O., 187. 550 S. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 178. 551 Dies ist bestritten; Nachw. bei Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 173 ff.
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den fremden Staat, sondern gegen den Schuldner.552 In der Praxis scheitert aber oft die Zustellung an den fremden Staat. Vgl. auch die Sonderregelung in Art. 35 (b) des Zusatzabkommens zum NATO- 612 Truppenstatut.553 3. Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren (einstweiliger Rechtsschutz) Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für den einstweiligen Rechtsschutz.554
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Keine von Völkerrechts wegen gebotene Zulässigkeitsvoraussetzung für Siche- 614 rungsmaßnahmen ist die sachliche Konnexität zwischen dem zu sichernden titulierten Anspruch und dem beschlagnahmten Vermögensgegenstand.555 Auch besteht keine Regel des Völkergewohnheitsrechts, derzufolge der Gerichts- 615 staat gehindert wäre, aufgrund eines in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Titels zur Sicherung des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs Zwangsmaßnahmen in Vermögenswerte eines fremden Staates zu betreiben.556 Zwar lässt sec. 1610 (d) FSIA eine der Anspruchssicherung dienende Beschlagnahme (attachment prior to the entry of judgment to secure satisfaction of a judgment) von Vermögensgegenständen eines fremden Staates nur zu, wenn
552 LG Bonn v. 21.6.1966, MDR 1966, 935 = DGVZ 1967, 73 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 267b; Schack, Rpfleger 1980, 176; Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts II, 1919, 335; Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 46. A.A. AG Berlin v. 30.4.1937, DGVZ 1937, 297 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 520. Ein gerichtlicher Zwang gegen den fremden Staat wird nicht ausgeübt, Rz. 408. So wohl auch Stein/Jonas, ZPO22, § 829 Rz. 28 bei Fn. 162. Anders noch Münzberg in Stein/Jonas, ZPO20, § 829 Rz. 28, der von einem „Akt der inländischen Vollstreckungsgewalt“ sprach. In der vorbehaltlosen Annahme der Zustellung liege jedoch eine stillschweigende Unterwerfung. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass gegenüber dem Staat als Drittschuldner hoheitlich gehandelt wird, unterliegt der fremde Staat der deutschen Vollstreckungsgewalt, sofern die gepfändete Forderung im Inland zu lokalisieren und nicht dem hoheitlichen Bereich (z.B. Lohnsteuerrückerstattungsanspruch) zuzurechnen ist. S. aber auch Rz. 582 g.E. 553 BGBl. II 1961, 1218; BGBl. II 1994, 2594. Hierzu Beitzke in FS Kegel 75, 1987, 55. 554 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1, 36 ff. = NJW 1983, 2766 = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1983 Nr. 127; LG Frankfurt/M. v. 11.5.1981 – 20 W 422/80, RIW 1981, 484 = IPRspr. 1981 Nr. 147, betreffend den dinglichen Arrest in das Vermögen der National Iranian Oil Company auf Betreiben mehrerer britischer und US-amerikanischer Gesellschaften; KG v. 26.6.2002 – 9 W 176/02, KGReport Berlin 2002, 356; vgl. auch den Fall des LG Frankfurt v. 2.12.1975, NJW 1976, 1044 (1045) = IPRspr. 1975 Nr. 133; ausführlich Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 188; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 165 ff. 555 BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117. 556 BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 (388) = NJW 1978, 485 (Bleckmann 1092) = ZaöRV 38 (1978), 245 = RIW 1978, 122 (Seidl-Hohenveldern) = IPRspr. 1977 Nr. 117.
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dieser eine entsprechende Verzichtserklärung abgegeben hat.557 Auch Sec. 13 (2) (a) (3) StIA (U. K.) gewährt einstweiligen Rechtsschutz nur bei schriftlicher Zustimmung des betreffenden Staates. Diese Vorschriften (die sich übrigens in der Praxis nicht bewährt haben) verleihen wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht hervorhebt jedoch nicht der Überzeugung Ausdruck, dem Gerichtsstaat sei es kraft allgemeinen Völkerrechts grundsätzlich verwehrt, zur vorläufigen Sicherung eines noch nicht rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Vermögensgegenstände eines fremden Staates zuzugreifen.558 Fazit: Ein vorläufig vollstreckbarer Titel reicht aus. Unanfechtbarkeit ist von Völkerrechts wegen nicht erforderlich.559 4. Insolvenzverfahren 616 Ein Insolvenzverfahren über das nicht hoheitlichen Zwecken dienende Vermögen eines fremden Staates ist völkerrechtlich zulässig (Rz. 3452). 5. Klagen gegen Amtsträger (Beamte) 617 Die Regeln über die Staatenimmunität können nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Klage nicht gegen den von der deutschen Gerichtsbarkeit unstreitig befreiten ausländischen Staat gerichtet wird, sondern gegen den Amtsträger (Beamten) des ausländischen Staates, der den Hoheitsakt erlassen bzw. veranlasst hat (Rz. 475). Es wäre eine Aushöhlung der Immunität souveräner Staaten im Bereich hoheitlicher Betätigung, wollte man staatliches Handeln durch Zugriff auf das handelnde Organ der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen. Im Bereich hoheitlicher Tätigkeit (acta iure imperii) erstreckt sich die Immunität daher auch auf die handelnden Organe des betreffenden Staates, auch wenn diese keine Organe des Völkerrechtsverkehrs (Staatsoberhäupter, Diplomaten, Konsuln) sind.560 618 Hier geht es um sachbezogene Immunität des handelnden ausländischen Staatsorgans für acta iure imperii, nicht um eine solche aus der Person abgeleitete Immunität. Entscheidend ist, dass sich die den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Handlung als staatlicher Hoheitsakt darstellt, der nur dem ausländischen Staat, nicht aber einer für diesen Staat handelnden Amtsperson zugerechnet werden kann, weil stets der Staat als Handelnder anzusehen ist, wenn einer seiner Amtsträger eine ihm obliegende Tätigkeit vornimmt.
557 558 559 560
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Nachw. bei Damian, a.a.O., 189 Fn. 344. Esser, RIW 1984, 578. Damian, a.a.O., 168 Fn. 271. Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (205); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1482; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1177; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 77; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 101; BGH v. 26.9.1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101 = IPRspr. 1978 Nr. 133 für Klage gegen Leiter des New Scotland Yard wegen Übersendung eines Interpol-Berichtes an das Bundeskriminalamt. Die Klage erstrebte die Verurteilung zur Unterlassung von Beschuldigungen.
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Notare sind im Bereich des Lateinischen Notariats staatliche Hoheitsträger. Sie 619 sind immunitätsrechtlich als staatliche Organe zu qualifizieren und nehmen daher an der Staatenimmunität teil. So kann z.B. ein französischer Notar vor deutschen Gerichten wegen einer Amtspflichtverletzung nicht belangt werden. Das Gleiche gilt vice versa.561 Auch beliehene Unternehmer (Privatpersonen, die staatliche Hoheitsaufgaben 620 erfüllen) genießen den Schutz der Staatenimmunität ratione materiae. 6. Staatsunternehmen Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob rechtlich selbständige Organisationen 621 eines ausländischen Staates (z.B. Staatsunternehmen in Form einer juristischen Person des Privatrechts) Staatenimmunität beanspruchen können.562 Auch das rechtlich verselbständigte Unternehmen mit eigener Rechtspersön- 622 lichkeit, dessen sich ein Staat zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben bedient, nimmt nach der im Vordringen befindlichen „funktionalen Betrachtungsweise“ an seiner Immunität teil; denn es kommt nicht auf die „austauschbare Rechtsform, sondern auf die Funktion an, die das Staatsunternehmen erfüllt“.563 Damit ist die „strukturelle Lösung“ überwunden, die sich nur an der formalen Frage orientierte, ob das Staatsunternehmen rechtlich verselbständigt ist oder nicht. Erforderlich ist, dass es einer umfassenden Weisungsbefugnis und Kontrolle des 623 betreffenden Staates unterliegt. Allerdings ist der Umstand, dass sich der ausländische Staat einer juristischen Person des Privatrechts bedient, ein starkes Indiz für nichthoheitliches Handeln (iure gestionis).564 Zu Recht weist Da561 R. Geimer, DNotZ 1992, 757. 562 Dagegen BGH v. 7.6.1955, BGHZ 18, 1 (9) = NJW 1955, 1435 = IPRspr. 1954–1955 Nr. 155; LG Frankfurt v. 2.12.1975, NJW 1976, 1044 (1045) = IPRspr. 1975 Nr. 133; OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, NJW-RR 1988, 682 = RIW 1988, 133 (134) = IPRspr. 1987 Nr. 20. Dafür OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, RIW 1982, 440 = IPRax 1983, 68 (69) (Albert 55); Hausmann, IPRax 1982, 55; Esser, RIW 1984, 578 (585); Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 24 ff. Weitere Nachw. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 466; Kronke, IPRax 1989, 178; v. Hoffmann, BerDGVR 25 (1984), 37; Herz, Die Immunität ausländischer Staatsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1992; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 356 ff. Die ehedem sozialistischen Staaten beanspruchten nach Enderlein, RIW 1988, 333 für Außenhandelsunternehmen keine Immunität. Vgl. auch Nolting, RIW 1988, 511 Fn. 1 sowie die Nachw. bei Busl, Ausländische Staatsunternehmen im deutschen Vollstreckungsverfahren, 1991. 563 BGH v. 1.10.2009 – VII ZB 37/08, MDR 2010, 109 = NJW 2010, 769 = RIW 2010, 72 (Weller 579) = IPRspr. 2009 Nr. 164; Schack, IZVR6, Rz. 181; Nachw. bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 62. 564 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 169; BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127 lässt die Frage offen. Nachw. bei v. Hoffmann, BerDGVR 25 (1984), 47 und Heß, a.a.O., 63 zu den Kodifikationsentwürfen. S. auch Art. 27 EuStIÜ, der eine Vermutung gegen die Immunität des rechtlich selbständigen Unternehmens stipuliert.
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mian565 darauf hin, dass eine übermäßige Ausweitung der Immunität den Rechtsschutz für Private unangemessen verkürzen würde. 624 Wieso Staatsunternehmen zu Lasten des verfassungsrechtlich und durch Art. 6 I EMRK verbürgten Justizgewährungsanspruchs (Rz. 1923) privilegiert werden sollen, ist nicht zu begründen. Dagegen kritisiert Schack566 die deutsche Vollstreckungs- und Gläubigerfreundlichkeit. „Andere Staaten, denen mehr der Schutz ihrer Bankplätze am Herzen liegt, schränken die Immunität nur ein, wenn eine ausreichende Binnenbeziehung vorhanden ist, so die U.S.A. in § 1065 (a) (2) F. S. I. A. und vor allem die Schweiz.“ (s. auch Rz. 626e, 644). 625 Konten von rechtsfähigen Staatsunternehmen genießen keine Vollstreckungsimmunität. Sie sind der inländischen Gerichtsbarkeit nicht entzogen.567 Es besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die es geböte, einen fremden Staat als Inhaber von Forderungen aus Konten zu behandeln, die bei Banken im Gerichtsstaat unterhalten werden und auf den Namen eines rechtsfähigen Unternehmens des fremden Staates lauten. Der Gerichtsstaat ist nicht gehindert, das betreffende Unternehmen als Forderungsberechtigten anzusehen und aufgrund eines gegen dieses Unternehmen gerichteten Vollstreckungstitels, der in einem vorläufigen oder endgültigen Rechtsschutzverfahren über ein nichthoheitliches Verhalten des Unternehmens ergangen ist, zur Sicherung des titulierten Anspruchs die betreffenden Forderungen zu pfänden. Das gilt unabhängig davon, ob die Guthaben auf diesen Konten zur freien Verfügung des Unternehmens stehen oder nach fremdem Recht zur Überweisung auf ein Konto des fremden Staates bei dessen Zentralbank bestimmt sind. 626 Für die Inhaberschaft und Verfügungsbefugnis bei Bankkonten ist nach deutschem Recht die Kontobezeichnung maßgebend.568 Wird ein Konto unter eigenem Namen errichtet, so ist der Errichtende in Bezug auf seine Guthaben Gläubiger der Bank, es sei denn, die besonderen Umstände des Einzelfalls lassen erkennen, dass ein Dritter Inhaber von Forderungen aus dem Konto werden sollte. Ein Treuhandkonto ist in Zwangsvollstreckung und Insolvenz nur dann als Vermögen des Treugebers zu behandeln, wenn die Kontobezeichnung oder sonstige Umstände den Treuhandcharakter des Kontos offenkundig machen. Diese Regelung des deutschen Rechts ist völkerrechtskonform; sie basiert auf einer sachgerechten Anknüpfung.569
565 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 31. 566 Schack, IZVR6, Rz. 184. 567 BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127; Esser, RIW 1984, 577; Stein, IPRax 1984, 179. Das Ausgangsverfahren des Bundesverfassungsgerichts betraf Erlöse aus Erdölverkäufen, welche der Finanzierung des Staatshaushalts dienen sollten, OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, RIW 1982, 440 = IPRax 1983, 68 (70) (Albert 55). 568 Canaris, NJW 1973, 825. 569 A.A. Gramlich, NJW 1981, 2618.
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7. Zentralbanken Zentralbanken – ganz gleich, wie sie rechtlich organisiert sind – haben nicht nur 626a hoheitliche Aufgaben (z.B. Ausgabe von Banknoten, Überwachung und Steuerung des Geldverkehrs mit dem Ausland), sondern nehmen auch am allgemeinen Bank- und Wirtschaftsverkehr teil. Im letzteren Fall besteht keine Immunität, weder für das Erkenntnis- noch für das Vollstreckungsverfahren. Die Zentralbank kann im Erkenntnisverfahren nur dann Immunität beanspruchen, wenn sie hoheitlich tätig war. Vollstreckungsimmunität besteht nur für offen deklarierte Devisenreserven.570 8. Rundfunkanstalten Auch wenn nach innerstaatlichem Recht eine (rechtlich selbständige) Rund- 626b funkanstalt Staatsaufgaben wahrnimmt (was die deutschen Rundfunkanstalten ja gerade nicht tun: sie sind „staatsfrei“), ist ihre Tätigkeit nicht iure imperii.571 9. Deliktsklagen a) Inlandsdelikte Wurde das Delikt ausschließlich in Deutschland begangen, entfällt im Bereich 626c des Friedensvölkerrechts572 die Immunität auch für acta iure imperii, z.B. bei geheimdienstlichen Aktivitäten (Rz. 556, 877c).
570 Schack, IZVR6, Rz. 185, 187: „Denn sonst könnte der Immunitätsschirm der Zentralbanken allzu leicht missbraucht werden, um ihre Gelder dahinter für Gläubiger unkontrollierbar zu machen.“ Rechtsvergleichend Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 370 ff. S. auch Krauskopf/Steven, Immunität ausländischer Zentralbanken im deutschen Recht, WM 2000, 269; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 161. 571 Anders die Argumentation des Bayerischen Rundfunks vor dem Arbeitsgericht Rom in einem Kündigungsrechtsstreit des ARD-Studios Rom, Kronke, IPRax 1989, 176. 572 Nicht jedoch bei kriegerischen und sonstigen militärischen Auseinandersetzungen, Rz. 503; EGMR v. 21.11.2001 Appl. No. 31253/96 McElhinney, EuGRZ 2002, 415; Oberstes Gericht Polen v. 29.10.2010 IV CSK 465/09, IPRax 2011, 596 (M Stürner 600); Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (207 ff., 218); Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 181, 206/2, 240; Hobe, IPRax 2001, 368; Heß in FS Schütze, 1999, 269, 285. Anders die Corte di Cassazione v. 6.5.2008 n. 14199/08 (hierzu Michael Stürner, GPR 2008, 179 [180] und IPRax 2011, 602) und der Areopag v. 4.5.2000, Dike 2000, 722 (Beys); ebenso Vorinstanz LG Levadia (1998) AJIL 765 (Bentakis). Dessen Rechtsansicht ist aber überholt durch das Urteil des Obersten Sondergerichts Griechenlands v. 17.9.2002. Vgl. EGMR v. 12.12.2002 59021/00, NJW 2004, 273; BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 = MDR 2003, 1177 = NJW 2003, 3488 = VersR 2004, 1312 = LMK 2003, 215 (Geimer) = IPRspr. 2003 Nr. 116; bestätigt durch BVerfG v. 15.2.2006, NJW 2006, 2542 = EuGRZ 2006, 105 = IPRspr. 2006 Nr. 103. Hierzu Beys in FS Geimer, 2002, 67; Beys, Dike 31 (2002), 736; Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (127); Kempen in FS Steinberger, 2002, 179; Nagel/ Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 12. S. auch Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug, ArchVR
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Beispiel573: Die Erben des 1976 in Washington mit einer Autobombe auf offener Straße ermordeten chilenischen Exilpolitikers Letelier verklagten Chile am forum delicti commissi in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das US-Gericht verurteilte Chile (das sich ohne Erfolg auf die Staatenimmunität berief) durch Versäumnisurteil zu 5 000 000 US-$ Schadensersatz.
Ob die umfassende Immunitätsausnahme bei Inlandsdelikten bereits geltendes Völkerrecht ist, ist zweifelhaft.574 Zu Art. 11 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität s. Rz. 749. Bisher hat noch kein Gericht Art. 11 als Regel des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts gegenüber Drittstaaten (die nicht Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens sind) angewandt.575 Art. 12 des VN-Übereinkommens über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (Rz. 571), der ebenso wie Art. 11 des Europäischen Übereinkommens bei Inlandsdelikten auch bei hoheitlichem Handeln keine Immunität gewährt, wurde in Stellungnahmen einiger Staaten kritisiert.576 Vor dem Hintergrund der Rainbow-Warrior-Affäre nach Art. 12 des VN-Übereinkommen über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums wäre eine Klage der Umweltschutzorganisation Greenpeace gegen Frankreich vor neuseeländischen Gerichten wegen Versenkung ihres Schiffs in Auckland durch französische Agenten zulässig gewesen577 bezweifelten viele ILC-Mitglieder, ob eine solche Immunitätsausnahme akzeptabel sei.578 Besondere Regeln gelten für die Immunität von Staatsschiffen.579 Nur hinsichtlich der Verantwortlichkeit für Kriegsschiffe besteht Immunität, nicht jedoch bei Kollisionen, an denen Handelsschiffe des beklagten Staates beteiligt sind (Rz. 597).580 Auch für Klagen in Zusammenhang mit im Inland stationierten Truppenverbänden besteht Immunität (Rz. 818).581 Diese Regel des allgemeinen Völkergewohn-
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574 575 576 577 578
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41 (2003), 201; Stürner in FS Georgiades, 2005, 1299, 1307; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 247 ff. De Letelier v. Republic of Chile, 488 F. Supp. 665 (D.C. for D.C. 1980), hierzu Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 93; Heß, IPRax 1993, 110; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 431; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 34; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/ Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 871; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305. Vgl. Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 293 sowie 50, 103, 216. Klar verneinend Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, ArchVR 41 (2003), 201 (218). Heß, a.a.O., 293 Fn. 21. Nachw. bei Heß, a.a.O., 282. Zur Erledigung durch ein geheimes Schiedsverfahren Heß, a.a.O., 282 Fn. 240, 347 Fn. 204. Vgl. auch KG v. 26.6.2002 – 9 W 176/02, KGReport Berlin 2002, 356 betreffend den geheimdienstlich organisierten Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“. Nachw. bei Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 50 ff. Hierzu z.B. Rabe, Seehandelsrecht4, Einführung Rz. 28 ff. Heß, a.a.O., 293.
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Dritter Teil
heitsrechts ist angesichts der völkervertraglichen Regelungen (Rz. 820) derzeit von geringer praktischer Bedeutung für die deutschen Gerichte.582 b) Auslandsdelikte Ist das (angebliche) Delikt im Ausland, d.h. im beklagten Staat oder in einem 626d dritten Staat oder im staatsfreien Gebiet begangen, besteht Immunität vor inländischen Gerichten für acta iure imperii, z.B. Enteignungen oder sonstige Verwaltungsmaßnahmen, auch wenn der beklagte Staat das Völkerrecht flagrant verletzt hat. Dies gilt insbes. auch im Zusammenhang mit Krieg und militärischer Besetzung.583 Die Gerichtsbarkeit Deutschlands ist aber wie auch für Vertragsklagen etc. zu be- 626e jahen für Deliktsklagen, die acta iure gestionis betreffen. Eine andere Frage ist, ob eine internationale Zuständigkeit besteht. Hier gibt es keine Sonderregelung für ausländische Staaten. Es gelten Art. 4 ff. EuGVVO bzw. Art. 2 ff. LugÜ sowie §§ 12 ff. ZPO, insbes. auch § 23 ZPO (Rz. 643, 1378). Die Praxis anderer Staaten, die allgemein Klagen aus Auslandsdelikten gegen fremde Staaten nicht zulassen,584 hat keine Basis im Völkergewohnheitsrecht (Rz. 643). 10. Klagen in Zusammenhang mit schweren Völkerrechtsdelikten Mitunter wird behauptet, ein Staat könne sich nicht auf seine Immunität beru- 626f fen, wenn er vor fremden Gerichten wegen schwerer Völkerrechtsverstöße belangt wird. Eine solche Immunitätsausnahme ist jedoch nicht geltendes Völkergewohnheitsrecht (Rz. 502 f.). 11. Dingliche Klagen Die Befreiungen von der Gerichtsbarkeit kommen nicht zur Anwendung hin- 627 sichtlich dinglicher Klagen, die inländische Grundstücke oder grundstücksgleiche Rechte betreffen (Rz. 733). Insoweit ist die Gerichtsbarkeit des Belegenheitsstaates unbeschränkt.585 Das Interesse des Gerichtsstaates an der Kontrolle seines Staatsgebietes hat Vorrang vor dem Interesse des beklagten Staates, nicht vor ein fremdes Gericht gezogen zu werden und dort Rede und Antwort stehen zu müssen.586 Dieser Grundsatz ist unbestritten seit Jahrhunderten fester Be582 Für die im Ausland eingesetzten deutschen Truppenverbände gilt das jeweilige (von der Nato bzw. den Vereinten Nationen ausgehandelte) Stationierungsreglement, hilfsweise das allgemeine Völkergewohnheitsrecht. S. auch allgemein Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr, 2002. 583 S. auch OGH Österreich v. 11.4.1995 – 10 Ob 525/94, IPRax 1996, 41 (Seidl-Hohenveldern 52) betreffend jugoslawisches Luftwaffenbombardement in Slowenien; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 181. 584 Nachw. bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 295; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 34. 585 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 126, 199. 586 Seidl-Hohenveldern, L’immunité de juridiction et d’exécution des Etats et des organisations internationales in Weil, Droit International I, 1981, 126; Heß, Staatenimmuni-
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standteil des Völkergewohnheitsrechts.587 Er gilt nicht nur für das Erkenntnisverfahren, sondern auch für das Stadium der Vollstreckung. Der Gläubiger darf in den inländischen Grundbesitz vollstrecken (z.B. aufgrund der rei vindicatio), auch wenn er hoheitlichen Zwecken des fremden Staates dient.588 12. Erbschaftsklagen 628 Vorstehendes (Rz. 627) gilt auch für Klagen, die den Erbfall an im Inland belegenen Vermögen betreffen.589 13. Klagen betreffend geistiges Eigentum und gewerbliche Schutzrechte 628a Nach Art. 14 des Übereinkommens über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (Rz. 571) und Art. 8 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 724) kann ein ausländischer Staat sich nicht auf Immunität berufen, wenn ein Patent, ein gewerbliches Muster, ein Modell, ein Warenzeichen, eine Dienstleistungsmarke oder ein anderes gleichartiges Recht, das im Gerichtsstaat angemeldet, hinterlegt, eingetragen oder auf andere Weise geschützt ist, Gegenstand des Streits ist. Es ist fraglich, ob eine solche Immunitätsschranke bereits kraft allgemeinen Völkergewohnheitsrechts besteht.590 14. Verzicht auf Immunität (Unterwerfung) 629 Soweit der ausländische Staat sich der inländischen Gerichtsbarkeit unterwirft, kann eine Sachentscheidung ergehen.591 Die Unterwerfung kann ausdrücklich (durch völkerrechtlichen Vertrag, durch privatrechtlichen Vertrag mit Privaten [= Nichtvölkerrechtssubjekt, Rz. 521592] oder durch entsprechende Erklärung vor Gericht)593 oder auch durch konkludente Handlung erfolgen, z.B. wenn sich
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tät bei Distanzdelikten, 1992, 50 Fn. 159; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 375, 382; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 52; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 413 ff., 455. S. nunmehr Art. 13 der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571). Damian, a.a.O., 184. S. Art. 9 der Europäischen Konvention (Rz. 733) und Art. 15 des ILC-Entwurfs 1983, § 1605 (4) U.S. Sovereign Immunities Act 1976, sec. 6 (1) U.K. State Immunity Act 1978. Malina, Die völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren, 1978, 55; Damian, a.a.O., 60, 184; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 416, 455. Kren Kostkiewicz, a.a.O., 419. Zur Frage der Zuständigkeit zur Abgabe der Verzichtserklärung Matscher in Fasching/ Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 135. S. nunmehr Art. 7 der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571). Vgl. auch Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 150: z.B. mit Banken (bei Kreditaufnahme) oder mit Vermieter (von Räumlichkeiten). Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 469 (§ 73 III 2).
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der beklagte Staat vorbehaltlos einlässt.594 Die Verzichtserklärung bedarf grundsätzlich595 keiner besonderen Form.596 Die Zustellung der Klageschrift durch Zustellungsorgane des betroffenen Staates bzw. die Entgegennahme der Klage stellt aber für sich allein noch keinen Verzicht auf die Immunität dar. Die Erhebung der Widerklage bedeutet jedoch eine konkludente Unterwerfung (Rz. 506, 634a, 713). Der für einen bestimmten Prozess (Streitgegenstand) erklärte Immunitätsverzicht 630 umfasst im Zweifel nicht eine Klageänderung, sofern der beklagte Staat ihr nicht zugestimmt hat.597 Die wirksame Unterwerfung hinsichtlich des Erkenntnisverfahrens umfasst 631 nicht das Vollstreckungsverfahren.598 Insoweit bedarf es einer (weiteren) Unterwerfung.599 Allerdings ist der Immunitätsverzicht nur zur Vollstreckung in hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen notwendig (Rz. 590).600 Hat sich der fremde Staat vor einem Notar gem. § 794 I Nr. 5 ZPO der sofortigen 632 Zwangsvollstreckung unterworfen, so liegt darin auch ein Verzicht hinsichtlich der Durchführung der Zwangsvollstreckung.601 Von der inländischen Gerichtsbarkeit befreite Amtsträger (Rz. 765 ff.) können ih- 633 re Unterwerfung nicht im eigenen Namen erklären (Rz. 474, 791, 810). Notwendig ist vielmehr die Unterwerfung des Staates, dem die befreite Person staatsrechtlich zuzuordnen ist.602
594 Art. 8 der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571); s. auch Kren Kostkiewicz, a.a.O., 406. Ausführlich Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 156 ff. 595 Ausnahmen: Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 715) sowie Art. 45 II der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen (Rz. 810). 596 Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 143. 597 Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 152. 598 BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 8/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 425 = WM 2006, 41 = SchiedsVZ 2006, 44 (Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 91; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung: Eine Untersuchung zu den Chancen und Risiken „grenzüberschreitender“ Vollstreckungsmaßnahmen in Forderungen und sonstige Vermögensrechte unter besonderer Berücksichtigung der VO (EG) Nr. 1348/2000 und des Zustellungsreformgesetzes, 2004, 130; Linke/Hau, IZVR5, Rz. 91. 599 Damian, a.a.O., 44; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 471 (§ 73 IV); Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 442 ff.; Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 153. 600 Besonders weit reicht der Schutz des Diplomatenrechts und des gesamten Botschaftsbzw. Gesandschaftskomplexes; s. dazu Rz. 473, 562 a.E. 601 Damian, a.a.O., 170; Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 154. Anders ist es beim Prozessvergleich, Rz. 554a. 602 Art. 32 I WÜD, Art. 45 I WÜK, Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 378; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 76 Fn. 49. Unklar BGH v. 26.9.1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101 = IPRspr. 1978 Nr. 133.
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15. Ausländischer Staat als Kläger 634 In der Rolle des Klägers bzw. Antragstellers603 genießen ausländische Staaten keine Privilegien (Rz. 506, 706).604 Sie sind z.B. verpflichtet, dem Beklagten Prozesskostensicherheit (§ 110 I ZPO) zu leisten.605 Sie müssen ein klageabweisendes Urteil, Rechtsmittel des Gegners gegen (günstige) Urteile, Vollstreckungsgegenklagen (§ 767 ZPO) hinnehmen.606 Verliert der fremde Staat den Prozess, so wird er zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits verurteilt (§§ 91 ff. ZPO).607 Der Beklagte kann seine erstattungsfähigen Kosten auch gegen den fremden Staat nach §§ 103 ff. ZPO festsetzen lassen. Er kann dann in das nicht hoheitlichen Zwecken dienende Vermögen des Staates vollstrecken (Rz. 590, 631). Hat der klagende Staat zunächst obsiegt und aus dem vorläufig vollstreckbaren Titel vollstreckt, wurde dann aber der Titel aufgehoben und die Klage abgewiesen, so kann der Beklagte seinen im gleichen Verfahren nach §§ 717 II und III, 945 ZPO erlangten oder in einem selbständigen Prozess (für den allerdings eine Unterwerfung notwendig ist) erstrittenen Titel nur in das nicht hoheitlichen Zwecken dienende Vermögen vollstrecken.608 16. Ausländischer Staat als Widerkläger 634a Antwortet der beklagte Staat auf die gegen ihn gerichtete Klage mit einer Widerklage, so liegt darin auch ein Verzicht auf die Immunität bezüglich der Klage (Rz. 713).609
603 Der in Deutschland akkreditierte Missionschef (Art. 3 I lit. a und b WÜD) kann ohne besondere Ermächtigung oder Vollmacht seinen Entsendestaat bei der Klageerhebung bzw. Antragstellung und im Verfahren vertreten; unberührt bleibt der vor deutschen Gerichten geltende Anwaltszwang (§ 78 ZPO), Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 202. 604 VG Mainz v. 5.5.1988, ArchVR 1989, 389 = IPRspr. 1989 Nr. 177; Dutta, Vollstreckung in öffentlichrechtliche Forderungen ausländischer Staaten, IPRax 2007, 109 (115, 193); Schack, IZVR6, Rz. 191; Nachw. bei Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993 sowie bei Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 396 ff. S. nunmehr auch Art. 8 I (a) der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571). 605 LG Hamburg v. 19.1.1977, IPRspr. 1977 Nr. 113. 606 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 470; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 19 Rz. 24; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 71. 607 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 166. 608 Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 72. 609 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 162. Enger die h.M., die Konnexität verlangt, Nachw. bei Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 402.
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17. Ausländischer Staat als Widerbeklagter Erhebt der Beklagte eine konnexe Widerklage, so kann sich der als Kläger auftre- 635 tende ausländische Staat in seiner Rolle als Widerbeklagter nicht auf seine Befreiung von der Gerichtsbarkeit berufen.610 Widerklagen, die privatrechtlich geregelte Rechtsverhältnisse (acta iure gestio- 636 nis) betreffen, sind uneingeschränkt zulässig. Problematisch sind allein Widerklagen iure imperii, also Widerklagen, die einen nach (ausländischem) öffentlichem Recht zu beurteilenden (hoheitlichen) Streitgegenstand betreffen. Nach Art. 1 II (a) EuÜStI und Art. 9 VN-Konvention kann Immunität nicht beansprucht werden für Widerklagen, die demselben Rechtsverhältnis/Sachverhalt wie die Klage entspringen. Nach Eickhoff611 folgt die Gerichtsbarkeit für eine Widerklage, die hoheitliches Verhalten (acta iure imperii) betrifft, z.B. Ansprüche aus Amtspflichtverletzung, auf Rückzahlung von (zuviel gezahlten) Steuern oder Gebühren, auf Gewährung von Subventionen etc., nicht allein aus der Klageerhebung.612 Eickhoff613 kommt bezüglich der Zulässigkeit von Widerklagen zu folgendem Er- 637 gebnis: Der Satz, dass sich der ausländische Staat auch konnexen Widerklagen unterwirft, ist völkerrechtlich zutreffend nur für Widerklagen, die privatrechtliches Handeln (acta iure gestionis) betreffen. Er gilt aber nicht für Widerklagen, die hoheitliches Handeln (acta iure imperii) zum Gegenstand haben, und zwar auch dann, wenn die Klage bereits einen Hoheitsakt des ausländischen Staates betrifft. Diese Auslegung ist wohl zu eng (Rz. 708, Rz. 771). 18. Aufrechnung Gleich ist die Problematik bei der Aufrechnung.614
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19. Streitverkündung an ausländischen Staat Eine solche ist unzulässig, soweit der Staat (= Streitverkündungsempfänger) als 639 Beklagter von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit wäre.615 Gleichwohl ist der Streitverkündungsschriftsatz zuzustellen bzw. mitzuteilen, weil sich der Staat 610 S. Art. 9 der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571). So schon Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 367; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1467; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 398 ff.; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 158; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 391 ff.; enger Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 48. 611 Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 70. 612 Dies ist nicht unstrittig, Nachw. bei Damian, a.a.O., 45 ff. und Kren Kostkiewicz, a.a.O., 398 ff. 613 Eickhoff, a.a.O., 70. 614 Damian, a.a.O., 49; Eickhoff, a.a.O., 78; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 404. 615 Für völkerrechtliche Zulässigkeit jedoch Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 124.
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der Gerichtsbarkeit unterwerfen kann, indem er in dem betreffenden Verfahren interveniert (Rz. 479).616 20. Nebenintervention des ausländischen Staates 639a Wenn ein fremder Staat als Nebenintervenient auftritt, kann er sich nicht auf seine Immunität berufen.617 21. Verfahrensablauf 640 Für Prozesse, an denen ein ausländischer Staat beteiligt ist, gilt nach Völkergewohnheitsrecht kein Sonderrecht. Es gelten die allgemeinen Fristen und Präklusionsvorschriften.618 Ob Zwangsmaßnahmen (wie Beuge-, Ordnungs- oder Strafmaßnahmen) unzulässig sind, ist bestritten.619 S. auch Art. 18 EuÜStI/Art. 18 VN-Konvention über die Staatenimmunität. 22. Rechtlosstellung des Klägers 641 Die Befreiung des ausländischen Staates von der deutschen Gerichtsbarkeit in dem vorstehend beschriebenen Umfang besteht auch dann, wenn der Kläger in dem betreffenden Staat keine Klagemöglichkeit hat620, wenn er also insoweit rechtlos gestellt wird.621 Diese Rechtlosstellung privater Vertragspartner ausländischer Staaten war das Hauptmotiv für die Überwindung der Theorie der absoluten Staatenimmunität.622 616 Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 123, 201. A.A. RGZ 129, 106; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 19 Rz. 17; Eickhoff, a.a.O., 25. 617 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 403. 618 Abweichend aber Art. 22 I (b) VN-Konvention (Rz. 571), Art. 16 ff. EuÜStI, Rz. 689, sowie die Entwürfe (Rz. 570); hierzu Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 399. 619 Heß, a.a.O., 398 Fn. 31. 620 Allerdings verstößt ein Vertragsstaat der EMRK gegen die Justizgewährungspflicht des Art. 6 I, vgl. R. Geimer, ZfRV 1992, 321, 404 sowie auch Kren Kostkiewicz, a.a.O., 342 und Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 187. 621 RG v. 16.5.1938, RGZ 157, 389 (392) = JW 1938, 2291 (Pagenstecher) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 521b; OLG München v. 12.8.1975, NJW 1975, 2144 = IPRspr. 1975 Nr. 132. Auch das Selbsthilferecht (§ 229 BGB) führt nicht zu einer Verbesserung; denn nach § 229 BGB können nur solche Maßnahmen zugelassen werden, welche auch die staatlichen Organe zur Sicherung des gefährdeten Anspruchs hätten treffen können, OLG Köln v. 25.7.1995 – Ss 340/95, NJW 1996, 472 = IPRspr. 1995 Nr. 138. Großzügiger Bongartz, MDR 1995, 780. Das BVerfG v. 13.12.1977, BVerfGE 46, 342 gibt denjenigen, die in Rechtsbeziehungen zu einem fremden Staat treten wollen, den schlichten Rat, durch Vereinbarungen über die Art und Weise der Abwicklung von Leistungen, über das Verfahren im Streitfall insbes. über einen Verzicht auf Immunität oder über Sicherheiten seine Interessen soweit als möglich zu wahren. Vgl. Rz. 647, 800b und Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 19. 622 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 41.
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Staatenimmunität
Dritter Teil
Besonders prekär ist die Lage desjenigen, der durch eine dem ausländischen Staat zuzurechnende deliktische Handlung geschädigt wurde. Auf Rechtsschutz vor den Gerichten des verantwortlichen und daher zu verklagenden Staates besteht nach Völkergewohnheitsrecht kein Anspruch, auch nicht aus menschenrechtlicher Perspektive.623 23. Diplomatischer Schutz Der Heimatstaat des völkerrechtswidrig Geschädigten kann auf völkerrechtlicher 642 Ebene den Schaden geltend machen (Rz. 134 ff., 139 ff.). Ein Staat, der einen privatrechtlichen Vertrag nicht erfüllt, ist dem Heimatstaat der verletzten Privatperson gegenüber völkerrechtlich nur bei willkürlicher Verletzung (denial of justice im weiteren Sinne) verantwortlich.624 24. Internationale Zuständigkeit Ist die Gerichtsbarkeit zu bejahen, weil in concreto kein Akt iure imperii oder 643 eine wirksame Unterwerfung vorliegt, so ist weiter zu prüfen, ob die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist (Rz. 626e). In Betracht kommen §§ 21 ff. ZPO, insbes. der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO), das forum delicti commissi (§ 32 ZPO) und der Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO, hierzu Rz. 1378).625 Das deutsche internationale Verfahrensrecht hält die klare Unterscheidung zwi- 644 schen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit durch.626 Anders z.B. die Praxis des schweizerischen Bundesgerichts: Dieses gewährt Immunität auch für acta iure gestionis dann, wenn keine „genügende Binnenbeziehung“ vorliegt, d.h. keine Zuständigkeitsanknüpfung für die Schweiz gegeben ist, z.B. der Erfüllungsort im Ausland liegt. Es bestehe kein Bedürfnis, dem ausländischen Staat die Immunität zu verweigern und sie den gegnerischen Interessen zu opfern.627 Diese dogmatisch unschöne Vermischung von Gerichtsbarkeit und internationa623 Nachw. bei Heß, a.a.O., 304, 315. S. aber R. Geimer, ZfRV 1992, 404. Es gibt aber (völkervertragliche) Ausnahmen: z.B. Art. 95 und 96 des VN-Seerechtsübereinkommens 1982 (vormals Art. 3 des Brüsseler Übereinkommens zur Einheitlichen Regelung der Immunität von Staatsschiffen v. 10.4.1926, Rz. 597, Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 208, 303 Fn. 26) und Art. IX (2) des Übereinkommens über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände v. 29.3.1972, BGBl. II 1975, 1209 (hierzu Heß, a.a.O., 230, 303 Fn. 26; Rabe, Seehandelsrecht4, Einführung Rz. 28 ff.; Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 442). Lässt der betroffene Staat eine Klage gegen sich selbst vor seinen nationalen Gerichten zu, dann ist das dortige „Rechts- und Gerichtsklima“ i.d.R. dem (privaten) Kläger nicht hold. Er muss die (vielleicht nur unbewusste) Parteilichkeit der Gerichte befürchten, Heß, a.a.O., 303. 624 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1272 Fn. 12. 625 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 63, 67 ff.; Heß, a.a.O., 152; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 169. 626 Scheffler, a.a.O., 44, 52; R. Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260. 627 BGE I 106, 148; Nachw. bei Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 564.
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ler Zuständigkeit findet sich leider auch im Europäischen Übereinkommen über die Staatenimmunität (Rz. 670, s. auch Rz. 625a, 626e).628 645 Die Unterwerfung (Rz. 506 ff.) begründet nicht nur (partiell) die Gerichtsbarkeit (facultas iurisdictionis) des Forumstaates, sondern auch die internationale Zuständigkeit, sofern nicht bereits eine „gesetzliche“ Zuständigkeitsanknüpfung ohnehin gegeben ist; denn in der Unterwerfung liegt auch gleichzeitig eine vorbehaltlose Einlassung (Art. 26 EuGVVO n.F., Art. 24 LugÜ, § 39 ZPO, Rz. 1396 ff.).629 646 Die Unterwerfung erfolgt im Zweifel nur für den konkreten Prozess.630 Die Immunität besteht also ungeschmälert fort in allen übrigen (konkurrierend international zuständigen) Staaten, aber auch im Forumstaat, soweit die Unterwerfungserklärung nicht reicht: Im Zweifel nicht für Klageerweiterungen bzw. -änderungen, für das Zwangsvollstreckungsverfahren (Rz. 588), aber auch nicht für die Wiederholung des Prozesses mit dem gleichen Streitgegenstand, wenn das erste Verfahren ohne Urteil (z.B. infolge Klagerücknahme) geendet hat (Rz. 1406a). 647 Ein Staat kann sich jedoch auch vor Beginn des Prozesses, sogar auch vor Entstehen der Streitigkeit durch Vertrag (Rz. 521) verpflichten, sich hinsichtlich bestimmter oder zumindest bestimmbarer potentieller Rechtsstreitigkeiten (in Bezug auf acta iure imperii) der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland zu unterwerfen. Dann ist er daran gebunden: Er kann sich nicht mehr auf seine Immunität berufen (Rz. 520, 714): In einer solchen Vereinbarung liegt auch die Prorogation der (im Zweifel ausschließlichen) internationalen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Das ist von praktischer Bedeutung, falls eine „gesetzliche“ Zuständigkeitsanknüpfung nach Art. 7 ff. EuGVVO n.F. bzw. Art. 5 ff. LugÜ oder nach §§ 21 ff. ZPO in concreto nicht gegeben ist. Sofern die Vereinbarung keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit enthält, sind bei Fehlen eines sonstigen Zuständigkeitsbezuges die Gerichte in Berlin analog §§ 15, 27 II ZPO örtlich zuständig (Rz. 1753). 25. Repressalie 648 Soweit ein fremder Staat der Bundesrepublik Deutschland entgegen dem Völkerrecht, d.h. über die von diesem zugelassenen Ausnahmen hinaus für acta iure imperii keine Immunität zuerkennt, darf sie diesen Staat im Wege der Repressalie ebenfalls ihrer Gerichtsbarkeit unterwerfen, solange dieser den völkerrechtswidrigen Zustand aufrechterhält.631 Innerstaatlich bedarf es jedoch einer Rechtsgrundlage. Eine solche fehlt in Deutschland seit Aufhebung des § 24 EGZPO (Rz. 36; vgl. auch Rz. 502, 1587).
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Sympathien jedoch bei Schack, IZVR6, Rz. 184. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 38. Damian, a.a.O., 37. Damian, a.a.O., 62; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 182. S. auch Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 277.
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Dritter Teil
26. Zustellung von Klagen gegen fremde Staaten Die Zustellung an fremde Staaten ist Auslandszustellung und daher vom Vorsit- 649 zenden zu veranlassen (Rz. 2144). Eines besonderen Antrags des Klägers bedarf es nicht.632 Der Vorsitzende richtet das Zustellungsersuchen (§ 183 I 2 ZPO) an die Prüfungsstelle (§ 9 ZRHO).633 Diese legt die Sache ggf. der Landesjustizverwaltung (Justizministerium, Justizsenator) vor, § 29 II ZRHO. In der Denkschrift, die dem Zustellungsantrag beizufügen ist (§ 25 ZRHO), ist ausführlich zu begründen, warum in concreto die deutsche Gerichtsbarkeit zu bejahen ist.634 Hält die Landesjustizverwaltung das Zustellungsersuchen für zulässig635, wird es über das Bundesjustizministerium zum Auswärtigen Amt weitergeleitet, da auf diplomatischem Weg zuzustellen ist, § 54 ZRHO. Dieses leitet die Klage gegen den fremden Staat per Kurier an die deutsche Botschaft im beklagten Staat. Diese übermittelt die Klage dem dortigen Außenministerium. In „schwierigen Fällen“ ist die Rechtslage (aus deutscher Sicht) bei der Übergabe zu erläutern.636 Die deutsche Auslandsvertretung erstellt ein Zustellungszeugnis (§ 183 IV 2 650 ZPO). Maßgeblicher Zeitpunkt kann nur der Zeitpunkt der Übergabe an das Außen- 651 ministerium des beklagten Staates sein, nicht derjenige, an dem die nach dem Recht des beklagten Staates vertretungsbefugte Behörde vom Außenministerium die Klageschrift erhalten hat.637 Zustellungsadressat: Nach Art. 16 II des Europäischen Übereinkommens über 652 die Staatenimmunität ist die Klage auf diplomatischem Weg dem Außenministerium des beklagten Staates zur etwaigen Weiterleitung an die zuständige Behörde zu übersenden (Rz. 689). Diese Lösung wird auch für das autonome deutsche Recht favorisiert.638 Möglich ist jedoch auch die Zustellung an die Stelle, die als
632 Heß, RIW 1989, 257. Zu den Zustellungsfragen aus schweizerischer Sicht Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 490 ff. 633 Jedoch können nach § 28 Satz 2 ZRHO die Landesjustizverwaltungen von einer Beteiligung der Prüfungsstelle absehen. Dies ist jedoch nicht der Fall bei Zustellungen an EU-Mitgliedstaaten. S. aber auch Rz. 655. 634 Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 900.34 Fn. 30. 635 Dagegen wollen Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 37 der Landesjustizverwaltung kein Prüfungsrecht zubilligen; die Frage der Immunität entscheide allein das Gericht; im Übrigen sei nicht abzusehen, ob sich der ausländische Staat der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen werde, Mann, NJW 1990, 618. 636 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, 2008, § 5 Rz. 48 (es existiert hierzu ein nicht veröffentlichter Erlass des Auswärtigen Amtes). S. auch Rz. 652 f., 2144. 637 Zustimmend OLG Köln v. 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2006, 222 = IPRspr. 2004 Nr. 155. Anders wohl Heß, RIW 1989, 258: „Die Bewirkung der Zustellung richtet sich nach dem Recht des betreibenden Staates.“ 638 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 209. S. auch Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 2006, 364 (371).
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Organ des fremden Staates im konkreten Fall berufen ist, die Klage in Empfang zu nehmen.639 653 Zulässig ist jedoch auch eine Zustellungsvereinbarung (über die Modalitäten der Zustellung, Rz. 2101). 654 Der Chef der diplomatischen Vertretung des beklagten fremden Staates im Forumstaat ist grundsätzlich kein tauglicher Zustellungsadressat. Zu den gewöhnlichen Aufgaben einer diplomatischen Mission zählt nur die Vertretung des Entsendestaates in politischen Angelegenheiten640, nicht jedoch die Vertretung des Entsendestaates in Verfahren vor den Gerichten des Empfangsstaates. Deshalb ist der Missionschef ohne besondere Vollmacht nicht berechtigt, Klagen gegen den Entsendestaat als Zustellungsadressat in Empfang zu nehmen.641 655 Zustellungsverfahren: Sofern keine Zustellungsvereinbarung (Rz. 2101) vorliegt, ist die Zustellung nach der EG-Zustellungsverordnung (Rz. 245c) bzw. nach dem HZÜ möglich, obwohl der um Rechtshilfe ersuchte Staat selbst der Beklagte ist.642 Nach Art. 12 I (b) HZÜ kann der ersuchte Staat die Erledigung des Zustellungsersuchens ablehnen, wenn er seine „Hoheitsrechte gefährdet sieht“, nicht jedoch nach der EG-Zustellungsverordnung. Nach Art. 14 dieser Verordnung könnte auch direkt durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden, § 183 I und V ZPO. 656 Die praktisch bedeutsamste und üblichste Art der Zustellung ist die Zustellung auf diplomatischem Wege. Hier ist wieder zu unterscheiden zwischen zwei Methoden, von denen die eine (Einschaltung der deutschen Auslandsvertretung) bereits oben Rz. 649 dargestellt wurde. Der zweite Weg ist die Inanspruchnahme der diplomatischen Vertretung des beklagten Staates im Forumstaat (through the diplomatic channels of the foreign state, vgl. § 1608 (A) (4) FSIA). In diesem Fall übersendet das Außenministerium des Forumstaates der diplomatischen Vertretung des fremden Staates im Forumstaat die Klage zur Weiterleitung an das Außenministerium des beklagten fremden Staates, sofern diese annahmebereit ist (vgl. Rz. 415, 651). Beide Formen der Zustellung sind mit dem allgemeinen Völkerrecht vereinbar, keine dieser Zustellungsformen verstößt gegen das Verbot der Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Staatsgebiet.643 (S. aber Rz. 415, 2144). 27. Säumnis des beklagten Staates 657 Das deutsche Gericht darf in der Sache entscheiden, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass ein actum iure gestionis vorliegt und somit ein Immunitätsan639 W. J. Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 191; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 90. 640 Art. 3 I WÜD. 641 OLG Köln v. 23.3.1987 – 1 W 14/87, RIW 1988, 301 = IPRax 1987, 233 (Mansel 210) = IPRspr. 1987 Nr. 140b; House of Lords, Kuweit Airways v. Iraqi Airways I.L.Pr. (1966), 339, 347 f.; Steinmann, MDR 1965, 789; Damian, a.a.O., 91. S. aber zur Befugnis, einen Immunitätsverzicht zu erklären, Rz. 511. 642 Heß, RIW 1989, 258. 643 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 93.
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spruch nicht besteht. Das Völkergewohnheitsrecht vgl. auch Art. 16 VII EuÜStI verbietet jedoch eine Überraschungsentscheidung; dieses Verbot umfasst folgende Punkte: Dem fremden Staat muss Gelegenheit gegeben worden sein, von Klage und La- 658 dung Kenntnis zu nehmen. Klage und Ladung müssen in völkerrechtlich zulässiger Weise an ein empfangsbefugtes Staatsorgan zugestellt worden sein. Wenn aber der ausländische Staat die Zustellung vereitelt, reicht auch öffentliche Zustellung aus.644 Zwischen der Klagezustellung bzw. der Zustellung der Ladung zum Termin der 659 mündlichen Verhandlung darf kein unverhältnismäßig kurzer Zeitraum liegen; § 1608 (D) FSIA hält 60 Tage für ausreichend, ebenso Art. 16 IV EuÜStI (zwei Monate). Versäumnisentscheidungen dürfen nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, die 660 dem beklagten Staat vor der mündlichen Verhandlung rechtzeitig mitgeteilt worden sind. So reicht es z.B. nicht aus, wenn der Kläger im Termin neue Tatsachen vorträgt, woraus sich ergibt, dass der fremde Staat doch keine Immunität genießt.645 Der Gerichtsstaat ist von Völkerrechts wegen verpflichtet, ex officio im Wege der 661 Untersuchungsmaxime zu prüfen, ob der fremde Staat Immunität hat (Rz. 843c). § 331 ZPO kommt insoweit nicht zur Anwendung.646 Das Versäumnisurteil647 ist dem fremden Staat auf diplomatischem Wege zuzu- 662 stellen, vgl. Art. 16 II 1 EuÜStI. Zulässig ist jedoch auch die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des fremden Staates.648 Ebenso wie die Einlassungsbzw. Ladungsfrist darf die Einspruchsfrist nicht zu kurz bemessen sein. Art. 16 VI EuÜStI sieht eine Zweimonatsfrist vor. 28. Keine Befreiung von der materiellen Rechtsordnung des Forumstaates Die einem fremden Staat zukommende Immunität ist ein Verfahrenshindernis, 663 das die Durchführung eines Verfahrens und Erlass eines (meritorischen) Urteils verbietet. Sie bedeutet jedoch nicht Befreiung von der materiellen Rechtsordnung des Forumstaates. Die Immunität soll den fremden Staat nur davor bewahren, vor den Gerichten des Forumstaates zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wollte man fremde Staaten auch von der materiellen Rechtsordnung befreien, so liefe dies darauf hinaus, fremden Staaten einen rechtsfreien Raum zu verschaffen.649
Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 328; Damian, a.a.O., 95. Damian, a.a.O., 97. Zur Behauptungs- und Beweislast Kaiser, RIW 1985, 9. Hierzu Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 509 f. 648 Damian, a.a.O., 97. 649 Frankenstein, IPR I, 1926, 111; Kegel/Schurig, IPR9, § 1 IV 2a.
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664 Beispiel: Der Beamte eines ausländischen Staates unternimmt auf deutschem Hoheitsgebiet eine Dienstfahrt. Dabei verursacht er einen Unfall und verletzt einen deutschen Staatsbürger. Auch wenn man diese Dienstfahrt entgegen der hier vertretenen Auffassung (Rz. 586) als actum iure imperii qualifiziert, ist der ausländische Beamte sehr wohl an die deutschen Straßenverkehrsvorschriften gebunden. Ebenso gilt das deutsche Deliktsrecht einschließlich der Vorschriften über die Halterhaftung von Kraftfahrzeugen (Rz. 586). Wären sie unanwendbar, so bliebe dem Geschädigten meist auch die Möglichkeit verschlossen, seine Ansprüche vor den Gerichten des fremden Staates geltend zu machen, wenn dessen internationales Privatrecht auf die lex loci delicti commissi verweist.650
665 Unanwendbar ist jedoch die deutsche Norm über das Staatshaftungsrecht. Ein Staat darf über die Schadensersatzpflicht eines fremden Staates für das hoheitliche Handeln von dessen Organen keine Regelung treffen. Ausnahme: reine Inlandsdelikte (Rz. 877c). Wegen der Gleichheit der Staaten darf nach h.M. (s. aber die Kritik Rz. 556) kein Staat hoheitliches Handeln eines anderen seiner Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit oder Vollstreckung unterwerfen.651 Dagegen unterliegt die Haftung der ausländischen Staaten für nicht-hoheitliches Handeln dem allgemeinen Deliktsstatut.652 29. Anhang: Haftungsrechtlicher Durchgriff auf die Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten internationaler Organisationen 665a Wenn eine internationale Organisation wie ein Privater am Handels- und Wirtschaftsverkehr teilnimmt (z.B. Lieferverträge schließt), liegen keine acta iure imperii, sondern acta iure gestionis vor (Rz. 826). Dann kann auch ein Mitgliedstaat sich nicht auf Immunität berufen, wenn er aus dem Gesichtspunkt der subsidiären Staatenhaftung für Verbindlichkeiten der internationalen Organisation in Anspruch genommen wird. Beispiel: Klage gegen Deutschland für Verbindlichkeiten des Internationalen Zinnrates.
III. VN-Übereinkommen über die Staatenimmunität 666 Das am 2.12.2004 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete und ab dem 17.1.2005 zur Zeichnung ausgelegte Übereinkommen über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums (Rz. 571) ist bisher noch nicht in Kraft getreten. Es wird jedoch ausstrahlen auf die Handhabung des (ungeschriebenen) universellen Völkergewohnheitsrechts.
650 Grasmann, JZ 1969, 458; Schaumann, BerDGVR 8 (1968), 50; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 73. 651 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 29; Grasmann, JZ 1969, 458. 652 Für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips im Interesse des Geschädigten auch bei hoheitlichem Handeln plädiert aber Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 18.
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IV. Europäisches Übereinkommen über die Staatenimmunität 1. Vertragsstaaten Das Übereinkommen vom 16.5.1972 ist am 11.6.1976 in Kraft getreten.653 667 Deutschland hat es mit Wirkung zum 16.8.1990 ratifiziert.654 Jeder Mitgliedstaat des Europarates kann dieses Übereinkommen ratifizieren, Art. 26. So bisher: Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Vereinigtes Königreich655, Zypern. Das Ministerkomitee des Europarates kann jeden Nichtmitgliedstaat einladen, dem Übereinkommen beizutreten, Art. 37. Der Beitritt geschieht durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarates und wird drei Monate nach der Hinterlegung wirksam. Notifiziert jedoch ein Staat, der dem Übereinkommen bereits beigetreten ist, dem Generalsekretär des Europarates einen Einspruch gegen den Beitritt eines anderen Nichtmitgliedstaats, bevor dieser Beitritt wirksam geworden ist, so ist das Übereinkommen auf die Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten nicht anzuwenden. 2. Überblick a) Keine Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis Das Übereinkommen verwendet diese Unterscheidung (Rz. 558, 578) nicht, son- 668 dern zählt kasuistisch die Tätigkeiten auf, derentwegen dem in Anspruch genommenen Staat keine Immunität zukommt. Liegt ein solcher Tatbestand vor, so hat Deutschland Gerichtsbarkeit, auch wenn die in Betracht kommende Tätigkeit nach der in Rz. 579 dargelegten Unterscheidung als actum iure imperii zu qualifizieren wäre. Andererseits fehlt nach dem System der Konvention Gerichtsbarkeit über einen fremden Staat auch für acta iure gestionis, wenn kein Befreiungstatbestand vorliegt, Art. 15. Jedoch kann jeder Vertragsstaat nach Art. 24 I („Fakultativregime“)656 erklären, dass seine Gerichte über die Fälle der Art. 1 bis 13 hinaus in Verfahren gegen einen anderen Vertragsstaat in demselben Ausmaß wie in Verfahren gegen Nichtvertragsstaaten entscheiden können. Diese Erklärung lässt die Immunität unberührt, die fremde Staaten hinsichtlich der in Ausübung der Hoheitsgewalt vorgenommenen Handlungen (acta iure imperii) genießen. Verboten ist jedoch, durch die Konvention die internationale Zuständigkeit auf beziehungsarme Gerichtsstände zu stützen, die in der Anlage zu dem Übereinkommen näher aufgeführt sind, Art. 24 II (vgl. Rz. 682).
653 Materialien: BT-Drucks. 10/4631, 11/4307; Schrifttum z.B. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 462 Fn. 31; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 211 Fn. 211; Karzewski, RabelsZ 54 (1990), 533; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 217 ff.; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 152 ff. 654 BGBl. II 1990, 34, 1400. 655 Es gilt seit 1.7.1997 nicht mehr in Hongkong. 656 Kronke, IPRax 1991, 142; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 219.
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669 Eine solche Erklärung hat Deutschland abgegeben,657 ebenso die Niederlande, auf deren Drängen das Fakultativregime des Art. 24 eingefügt wurde, um der Gefahr vorzubeugen, „die weitere Entwicklung zu einer noch stärkeren Reduzierung des Immunitätsumfangs zu hemmen,“ sowie die Schweiz.658 b) Keine Abgrenzung zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit 670 Die Konvention unterscheidet nicht wie im deutschen internationalen Zivilverfahrensrecht üblich (Rz. 644, 847) zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit. In die Befreiungstatbestände sind jeweils die Zuständigkeitsanknüpfungen mit eingefügt. Diese dogmatisch unklare, vor allem der Praxis des Schweizer Bundesgerichts659 folgende Methodik führt dazu, dass ein Befreiungstatbestand und damit Gerichtsbarkeit nur dann zu bejahen ist, wenn der Zuständigkeitsanknüpfungspunkt im Gerichtsstaat zu lokalisieren ist. So ist z.B. nach Art. 4 I die Gerichtsbarkeit für Vertragsklagen nur dann zu bejahen, wenn die streitgegenständliche Verpflichtung im Gerichtsstaat zu erfüllen ist.660 3. Vom Übereinkommen akzeptierte Zuständigkeitsanknüpfungen 671 – Zuständigkeitsvereinbarung, Art. 2 (Rz. 714) – Vorbehaltlose Einlassung zur Hauptsache, Art. 3 (Rz. 712) – Gerichtsstand der konnexen Widerklage, Art. 1 II (Rz. 708) – Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 4 (Rz. 717) – Gerichtsstand des Beschäftigungsortes für Arbeitssachen, Art. 5 (Rz. 725)
657 BGBl. II 1990, 1400; abgedruckt auch bei Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 951.97. Nach der Denkschrift waren für die deutsche Vorgehensweise folgende Gründe maßgebend: „Die wesentliche Bedeutung des Übereinkommens besteht darin, die Rechtsstellung von Privatpersonen in ihren Beziehungen zu ausländischen Staaten zu verbessern, indem eindeutig festgelegt wird, für welche Handlungen Staaten keine Immunität beanspruchen können. Das bedeutet aber nicht, dass Staaten bei allen von den Art. 1 bis 13 des Übereinkommens nicht erfaßten Handlungen ohne weiteres Immunität von der Gerichtsbarkeit beanspruchen können. Die Erklärung nach Art. 24 erlaubt vielmehr den Vertragsstaaten, ihre Rechtsprechung auf der Grundlage der Theorie von der relativen Staatenimmunität fortzuentwickeln. Die von der Bundesrepublik Deutschland abzugebende Erklärung soll vor allem in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten (vgl. Art. 5) die bisherige Entscheidungsbefugnis der Gerichte der Bundesrepublik gegenüber ausländischen Staaten in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber in demselben Ausmaß wie bisher erhalten.“ Vgl. Rz. 727. 658 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 219. 659 BGE 104 Ia 370; BGE 86 I 27 E. 2; BGE 82 I 75 E. 7; BGE 56 I 249; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 65; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 460 ff. 660 Dagegen wurde z.B. bei den Beratungen des Montreal-Entwurfs der ILA die Vermengung zwischen Immunität und internationaler Zuständigkeit (= ausreichende Nahebeziehung zum Gerichtsstaat) kritisiert, Ress ILA-Reports 82, 342, und im definitiven Text ausgemerzt, Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 260.
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– Gerichtsstand der Mitgliedschaft, Art. 6 (Rz. 728) – Gerichtsstand der Zweigniederlassung, Art. 7 (Rz. 729) – Gerichtsstand am Ort der Verleihung für Patente und sonstige gewerbliche Schutzrechte, Art. 8 (Rz. 730) – Forum rei sitae für Immobiliarstreitigkeiten, Art. 9 (Rz. 739) – Gerichtsstand der Erbschaft, Art. 10 (Rz. 748) – Forum delicti commissi, Art. 11 (Rz. 749). 4. Vom Übereinkommen verpönte beziehungsarme Gerichtsstände Sofern ein Vertragsstaat wie z.B. Deutschland seine Gerichtsbarkeit gem. 672 Art. 24 I (Rz. 669) auf alle acta iure gestionis ausdehnt, darf er seine internationale Zuständigkeit nicht stützen auf folgende Zuständigkeitsanknüpfungen (vgl. auch Rz. 702):661 – das Vorhandensein von Vermögenswerten des Beklagten oder die Beschlagnahme von Vermögenswerten durch den Kläger im Gerichtsstaat, es sei denn, die Klage betrifft das Eigentum oder den Besitz an den Vermögenswerten oder eine andere Streitigkeit über diese Vermögenswerte bzw. die Streitigkeit betrifft eine Forderung, die im Gerichtsstaat durch ein dingliches Recht gesichert ist; – die Staatsangehörigkeit des Klägers; – den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt oder vorübergehenden Aufenthalt des Klägers im Gerichtsstaat, es sei denn, die sich hierauf gründende Zuständigkeit wird für bestimmte vertragliche Beziehungen wegen der besonderen Natur des Vertragsgegenstandes zugelassen; – die Tatsache, dass der Beklagte im Gerichtsstaat Geschäfte getätigt hat, es sei denn, die Streitigkeit betrifft diese Geschäfte; – die einseitige Bestimmung des Gerichts durch den Kläger, namentlich in einer Rechnung. Dem Wohnsitz und dem gewöhnlichen Aufenthalt werden der tatsächliche und 673 der satzungsgemäße Sitz der Hauptniederlassung juristischer Personen gleichgestellt. Einstweilen frei 674–688 5. Mindeststandard für Prozesse gegen Vertragsstaaten Art. 16 garantiert einen völkervertraglichen Mindeststandard für Prozesse gegen 689 Vertragsstaaten. Er regelt die Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks (Art. 16 II und III, Rz. 648a). Adressat ist das Außenministerium. Diesem steht wegen der Verlängerung der Einlassungs-, Rechtsmittel- und sonstigen Fristen um zwei Monate (Art. 16 IV und V) ein angemessener Zeitraum zur Verfügung, um die zur Vertretung des Staates in dem Verfahren berufene Behörde 661 Vgl. die Negativliste in Art. 3 II EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ. S. aber auch unten Rz. 701.
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Dritter Teil
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zu ermitteln und dieser die Schriftstücke zuzuleiten. Kann das Außenministerium innerhalb der Frist von zwei Monaten die zuständige Behörde nicht ermitteln, so muss es selbst vor dem ausländischen Gericht agieren, um ein Versäumnisurteil abzuwenden. 690 Beteiligt sich ein Vertragsstaat an dem Verfahren, so gilt dies als Verzicht auf alle Einwendungen gegen die Art der Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks, Art. 16 VI. Alle Einwendungen gegen die Art der Zustellung sind auch dann präkludiert, wenn der ausländische Staat sich auf das Verfahren nur einlässt, um seine Immunität geltend zu machen. Geheilt wird auch der Mangel, dass die Klage ohne Einschaltung des Außenministeriums an eine juristisch selbständige staatliche Institution auf dem allgemeinen Weg zugestellt wurde, diese Institution die Schriftstücke an die zuständige Behörde weitergeleitet hat und diese dann den Staat im Termin vertritt.662 691 Hat sich der (beklagte) Staat nicht an dem Verfahren beteiligt, so kann eine Versäumnisentscheidung gegen ihn nur ergehen, wenn ihm das der Einleitung des Verfahrens dienende Schriftstück nach Art. 16 II übermittelt worden ist und die in Art. 16 IV und V vorgesehenen Fristen eingehalten worden sind.663 6. Vollstreckungsverbot 692 Das Übereinkommen (Art. 23) bringt im Gegensatz zum Völkergewohnheitsrecht (Rz. 588)664 ein Vollstreckungsverbot: Es darf gegen das Vermögen eines anderen Vertragsstaats weder eine Zwangsvollstreckung durchgeführt noch eine Sicherungsmaßnahme getroffen werden, außer in dem Fall und in dem Ausmaß, in denen der Staat selbst ausdrücklich in Schriftform zugestimmt hat.665 Dadurch wird der Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber Vertragsstaaten des Übereinkommens eingeschränkt. Dies kann aber nach Ansicht des Gesetzgebers666 hingenommen werden, „da aufgrund der engen Beziehung zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates davon ausgegangen werden kann, dass sich die Vertragsstaaten einem gegen sie ergangenen Gerichtsurteil unterwerfen werden.“ Das Vollstreckungsregime des Übereinkommens kann jedoch von den Vertragsstaaten ausgeschlossen werden, Art. 24, 26. Von dieser Möglichkeit haben alle Vertragsstaaten mit Ausnahme von Österreich und Zypern Gebrauch gemacht.667 7. Anerkennungs- und Erfüllungspflicht 693 Nach Art. 20 hat ein Vertragsstaat die gegen ihn ergangene Entscheidung eines Gerichts eines anderen Vertragsstaats zu erfüllen, wenn er nach Art. 1 bis 13 Im-
662 BT-Drucks. 10/4631, 35. 663 Darüber hinaus sind auch § 335 ZPO, Art. 20 II EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 26 II EuGVVO sowie Art. 19 EuZustVO (Rz. 245c) zu beachten. 664 Damian, a.a.O., 150. 665 Näher Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 213; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 153. 666 BT-Drucks. 10/4631, S. 36. 667 Heß, a.a.O., 219.
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munität von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen konnte und wenn die Entscheidung nicht oder nicht mehr Gegenstand eines Einspruchs gegen eine Versäumnisentscheidung, einer Berufung oder eines anderen ordentlichen Rechtsmittels oder einer Kassationsbeschwerde sein kann. Es geht hier um eine Wirkungserstreckung im technischen Sinne, d.h. um eine 694 Anerkennung der erststaatlichen Urteilswirkungen im betroffenen Zweitstaat (Rz. 2776).668 Die (völkerrechtliche) Pflicht zur Erfüllung bzw. Beachtung der erststaatlichen 695 Entscheidung besteht nicht ohne jeden Vorbehalt. Es gibt auch Konstellationen, in denen der betroffene Vertragsstaat berechtigt ist, die Anerkennung bzw. Erfüllung zu verweigern (Versagungsgründe). Dies ist der Fall, Art. 20 II, wenn: – die Anerkennung bzw. Erfüllung der fremden Entscheidung offensichtlich ge- 696 gen die öffentliche Ordnung des verurteilten Staates verstieße; – ein auf demselben Sachverhalt beruhendes und denselben Gegenstand betref- 697 fendes Verfahren zwischen denselben Parteien vor einem Gericht dieses Staates anhängig und als Erstes eingeleitet worden ist oder vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaates anhängig ist und zu einer Entscheidung führen kann, welche der an dem Verfahren beteiligte Staat nach dem Übereinkommen zu erfüllen hätte; – die Wirkungen der Entscheidung unvereinbar sind mit denen einer anderen 698 zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung eines Gerichts eines anderen Vertragsstaates, sofern das Verfahren vor diesem Gericht als Erstes eingeleitet worden und diese andere Entscheidung ergangen ist, bevor die Entscheidung unanfechtbar (Art. 20 I lit. b) geworden ist, oder eines Gerichts eines anderen Vertragsstaates, sofern dessen Entscheidung als Erste die in dem Übereinkommen vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt hat; – die Verfahrenskautelen des Art. 16 (Rz. 689) nicht eingehalten worden sind 699 und der Staat sich an dem Verfahren nicht beteiligt oder gegen eine Versäumnisentscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat; – in Erbschafts- und Schenkungssachen der Urteilsstaat aus der Sicht des ver- 700 urteilten Staates unzuständig war oder nicht das „richtige“ internationale Privatrecht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
668 Zustimmend Heß, a.a.O., 213 Fn. 53; anders die Denkschrift BT-Drucks. 10/4631, 36: Art. 20 lege dem verurteilten Vertragsstaat nur die Verpflichtung auf, der gegen ihn ergangenen Entscheidung „loyal und gutwillig zu entsprechen.“ Die sich aus dem Übereinkommen ergebende Rechtspflicht zur Erfüllung beziehe sich sowohl auf Leistungsurteile, bei denen der Staat dem Leistungsbefehl des Urteils nachzukommen hat, als auch auf die Beachtung von Gestaltungs- und Feststellungsurteilen. Sie könne aber auch bedeuten, dass ein Staat die Abweisung einer im Ausland anhängig gemachten Klage hinnimmt und folglich davon absieht, aufgrund desselben Sachverhalts ein weiteres Verfahren vor einem eigenen Gericht oder dem Gericht eines dritten Staates anzustrengen. Die Denkschrift BT-Drucks. 10/4631, 36 verkennt, dass es sich hier um eine echte Anerkennung handelt, da für die Frage, ob und welche Wirkungen das Urteil entfaltet, das Recht des Erststaates heranzuziehen ist.
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701 Da man sich für Klagen, die eine Erbschaft oder Schenkung bzw. ein erb- oder herrenloses Vermögen betreffen, in Art. 10 nicht auf klare Abgrenzungskriterien und Anknüpfungspunkte (Rz. 748) einigen konnte und diese somit im Ergebnis dem nationalen Recht des jeweiligen Forumstaates überlassen sind, bringt Art. 20 III zusätzliche Versagungsgründe: 702 – Ein Staat braucht in den Fällen des Art. 10 ein fremdes Urteil nicht zu beachten, wenn der Urteilsstaat nach seinem (zweitstaatlichen) Recht, d.h. aus der Sicht des verurteilten Staates international unzuständig ist. Dies ist der Fall, wenn der Erststaat seine internationale Zuständigkeit auf Vorschriften stützt, die dem Recht des verurteilten Staates fremd sind. Dabei sind die in der Anlage zu dem Übereinkommen aufgeführten „exorbitanten“ Gerichtsstände (Rz. 682) nicht zu berücksichtigen. Dies ist eine bemerkenswerte Bestimmung, weil sie die als exorbitant gebrandmarkten Vorschriften nur zu eigenen Gunsten „ausmerzt“: Anknüpfungen, die für die eigene internationale Entscheidungszuständigkeit des (verurteilten) Zweitstaates als tragfähig erachtet werden, werden als „beziehungsarm“ zur Seite geschoben, wenn sie die internationale Zuständigkeit des Erststaates tragen sollen. Beispiel: 703 Die Bundesrepublik Deutschland wurde im Gerichtsstand des Vermögens in einer Erbschaftssache verurteilt.
704 – Die Pflicht zur Beachtung des erststaatlichen Urteils entfällt weiter dann, wenn die Gerichte des Staates, der sich dem Urteil unterwerfen soll, nach zweitstaatlichem internationalem Privatrecht zu einem anderen Ergebnis in der Sache gekommen wären (vgl. aber auch Rz. 2965). 705 Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge gehen jedoch als Sonderregelung vor. Ein Vertragsstaat kann sich auf die beiden vorgenannten Ablehnungsgründe nicht berufen, wenn er mit dem Gerichtsstaat durch ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen verbunden ist und die Entscheidung die Voraussetzungen dieses Abkommens hinsichtlich der Zuständigkeit und gegebenenfalls des anzuwendenden Rechtes erfüllt.669 8. Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Gerichtsstaates a) Der ausländische Staat als Kläger/Antragsteller oder Intervenient 706 Ein Vertragsstaat, der vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats ein Verfahren anhängig macht, unterwirft sich für dieses Verfahren der Gerichtsbarkeit dieses Forumstaates, Art. 1 I (Rz. 506, 734).670 Dies gilt aber nach Art. 13 nicht, wenn ein Vertragsstaat in einem Verfahren, in dem er nicht Partei ist, (als Dritter) geltend macht, er habe ein Recht an dem den Gegenstand des Verfahrens bilden-
669 Art. 20 III 2. Im Hinblick auf die Ausklammerung der erbrechtlichen Streitigkeiten in Art. 1 II lit. a kommen die EuGVVO bzw. das LugÜ in diesem Zusammenhang nicht zur Anwendung. 670 Art. 8 I (a) der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571), s. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 397 f.
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den Vermögen (sofern der Staat Immunität hätte beanspruchen können, wäre das Verfahren gegen ihn gerichtet gewesen). Der ausländische Staat behält also seine Immunität so lange, wie er nicht als Kläger/Antragsteller vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats ein Verfahren anhängig macht oder einem solchen als Intervenient beitritt (Rz. 506, 634). Art. 13 betrifft die Sonderfälle, in denen es nach den Rechtsordnungen verschie- 707 dener Vertragsstaaten (nicht jedoch nach deutschem Recht) möglich ist, Rechte an Sachen oder Rechten, die den Streitgegenstand bilden, geltend zu machen oder in einem Verfahren Erklärungen in Bezug auf diese abzugeben, ohne als Partei oder Intervenient aufzutreten; von großer Bedeutung ist Art. 13 für actions in rem des common law (Rz. 498).671 Ein als Kläger/Intervenient auftretender Vertragsstaat kann nach Art. 1 II für eine 708 Widerklage Immunität nicht beanspruchen, wenn sich die Widerklage aus dem Rechtsverhältnis oder aus dem Sachverhalt herleitet, auf die sich die Hauptklage stützt, also wenn dieser Staat Immunität von der Gerichtsbarkeit (nach dem Übereinkommen) nicht hätte beanspruchen können, wäre vor den Gerichten des anderen Staates eine besondere Klage gegen ihn erhoben worden.672 Das Übereinkommen unterscheidet auch hier wie auch sonst nicht zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis. Daher kommt Art. 1 II auch zur Anwendung, soweit die Widerklage ein actum iure imperii zum Gegenstand hat.673 b) Der ausländische Staat als Beklagter/Antragsgegner Ein Vertragsstaat kann vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität 709 von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen, wenn er sich vor Geltendmachung der Immunität zur Hauptsache einlässt (Gerichtsstand der vorbehaltlosen Einlassung), Art. 3 I 1. Weist er jedoch nach, dass er von den Tatsachen, aufgrund welcher er Immunität hätte beanspruchen können, erst nachträglich Kenntnis erlangen konnte, so kann er Immunität beanspruchen, wenn er sich auf diese Tatsachen so bald wie möglich beruft, Art. 3 I 2. Auf keinen Fall liegt in der Geltendmachung der Immunität eine Einlassung: Tritt ein Staat vor einem Gericht eines anderen Staats auf, um Immunität zu beanspruchen, so gilt dies nicht als Verzicht auf die Immunität. Obwohl dies klar auf der Hand liegt, ist es gleichwohl in Art. 3 II ausdrücklich stipuliert. Ein Vertragsstaat, der vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaats eine Wider- 710 klage erhebt, unterwirft sich der Gerichtsbarkeit der Gerichte dieses Staates sowohl für die Haupt- als auch für die Widerklage, Art. 1 III (Rz. 629, 634a). Die Immunität eines Vertragsstaates entfällt gem. Art. 2 auch dann, wenn er sich 711 verpflichtet hat, sich der Gerichtsbarkeit dieses Gerichts zu unterwerfen, und
671 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 40 Fn. 230. 672 Art. 9 der VN-Konvention über die Staatenimmunität (Rz. 571); s. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 401. 673 A.A. Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 70.
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zwar (I) durch internationale Vereinbarung, (II) durch ausdrückliche Bestimmung in einem schriftlichen Vertrag oder (III) durch nach Entstehen der Streitigkeit ausdrücklich erklärte Zustimmung.674 712 Der Unterwerfung steht also die außerprozessual versprochene Unterwerfung (= Verzicht auf den Immunitätsanspruch) gleich (Gerichtsstand der Zuständigkeitsvereinbarung) (Rz. 521).675 Durch das Erfordernis der Schriftform in (II) wird eine stillschweigende Unterwerfung ausgeschlossen, die etwa darin gesehen werden könnte, dass ein Staat eine entsprechende Klausel in einer Rechnung zur Kenntnis nimmt. 713 Die Vereinbarung des anwendbaren Rechts als solche bewirkt noch keine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Staates, dessen Recht angewendet werden soll.676 Ist eine (natürliche oder juristische) Person berechtigt (bevollmächtigt), im Namen eines Staates einen schriftlichen Vertrag zu schließen, so darf sie diesen auch für die sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten einer ausländischen Gerichtsbarkeit unterwerfen (Rz. 509, 521). 9. Fehlen der Immunität auch ohne Unterwerfung a) Gerichtsstand des Erfüllungsortes677 714 Ein Vertragsstaat kann gem. Art. 4 Immunität nicht beanspruchen, wenn das Verfahren eine von dem Staat in einem nicht völkerrechtlichen Vertrag – ganz gleich, ob dieser zivil- oder öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist (Ausnahme: Rz. 717) – eingegangene Verpflichtung betrifft und die Verpflichtung im Gerichtsstaat zu erfüllen ist (vgl. Rz. 1482), mit Ausnahme von Arbeitsverhältnissen (für diese gilt Art. 5, vgl. Rz. 722), es sei denn, dass 715 1. der Vertrag zwischen Staaten geschlossen worden ist (ratio conventionis: Das Übereinkommen will nur die Rechtsstellung von Privatpersonen gegenüber Staaten verbessern); 716 2. die Vertragsparteien schriftlich etwas anderes vereinbart haben, z.B. die Unklagbarkeit oder die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts des beklagten oder eines dritten Staates oder die schiedsgerichtliche Erledigung; 717 3. der Vertrag von dem (beklagten) Staat in seinem Hoheitsgebiet geschlossen worden ist und die Verpflichtung des Staates seinem Verwaltungsrecht unterliegt. Ratio conventionis: Da Art. 4 nur Verträge erfassen will, an denen Staaten wie andere natürliche oder juristische Personen beteiligt sind, werden solche Verträge ausgenommen, die als öffentlich-rechtliche Verträge besonderen Regeln des Verwaltungsrechts unterliegen. Entscheidend ist nach
674 Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 383. 675 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 176. 676 Denkschrift BT-Drucks. 10/4631, 32. 677 Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 178.
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Art. 4, dass die streitgegenständliche Verpflichtung des (verklagten) Staates im Forumstaat zu erfüllen ist. Die Immunität entfällt auch dann, wenn der ausländische Vertragsstaat die ge- 718 kauften Gegenstände in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben etwa im Zusammenhang mit dem Betrieb seiner diplomatischen Vertretung verwenden will. Enthält ein Vertrag mehrere Verpflichtungen, so kann die Immunität jeweils vor den Gerichten desjenigen Vertragsstaates nicht geltend gemacht werden, in dem die streitgegenständliche Verpflichtung zu erfüllen ist.678 b) Gerichtsstand des Beschäftigungsortes in Arbeitssachen Immunität entfällt vorbehaltlich Art. 32679 insoweit, als das Verfahren einen 719 zwischen dem Staat und einer natürlichen Person geschlossenen Arbeitsvertrag betrifft und die Arbeit im Gerichtsstaat zu leisten ist, Art. 5680, es sei denn, dass 1. die natürliche Person im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens die Staatsangehörigkeit des Staates hat, der ihr Arbeitgeber ist; 2. sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses weder Angehörige des Gerichtsstaates war, noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staate hatte oder 3. die Vertragsparteien schriftlich etwas anderes vereinbart haben, z.B. durch ausschließliche Prorogation oder Schiedsklausel, sofern nicht nach dem Recht des Gerichtsstaats dessen Gerichte wegen der Art der Streitigkeit ausschließlich zuständig sind (s. Rz. 1061, 1774). Es gelten jedoch wieder Unterausnahmen: Wird die Arbeit für ein Büro, eine 720 Agentur oder eine andere Niederlassung (Art. 7) geleistet, so sind a und b nur anzuwenden, wenn die natürliche Person im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat hatte, der ihr Arbeitgeber ist. Inländische Gerichtsbarkeit über den fremden Staat besteht also grundsätzlich für alle Verträge, die Arbeiten für ein im Gerichtsstaat gelegenes Büro, eine dort befindliche Agentur oder eine sonstige Niederlassung (i.S. von Art. 7, vgl. Rz. 729) zum Gegenstand haben. Ausnahme: In diesen Fällen kann Immunität dann beansprucht werden, wenn die (natürliche) Person im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des als Arbeitgeber auftretenden Staates hatte. Art. 5 zieht für die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland engere Gren- 721 zen als nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht in der von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Auslegung. Vor allem um die bisherige Rechtslage gegenüber ausländischen Staaten als Arbeitgebern aufrechtzuerhalten, hat die Bundesrepublik Deutschland die Sperrwirkung des Art. 15 durch eine Erklärung 678 Denkschrift, a.a.O. 679 Hierzu ArbG Köln v. 16.12.1998 – 9 Ca 10955/97, RIW 1999, 623 (Kollatz) = IPRspr. 1998 Nr. 136; BAG v. 25.10.2001 – 2 AZR 501/00, BB 2002, 787 = IPRspr. 2001 Nr. 127. Vgl. auch Mankowski, IPRax 2001, 123. 680 Hinweise auf die Kodifikationsentwürfe (Rz. 570) bei Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 422.
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nach Art. 24 beseitigt. Sie nimmt über die Fälle der Art. 1 bis 13 hinaus die Entscheidungsbefugnis in Verfahren gegen einen anderen Vertragsstaat künftig auch weiterhin in demselben Ausmaß für sich in Anspruch wie in Verfahren gegen Nichtvertragsstaaten. Damit soll vor allem vermieden werden, dass die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland durch Art. 5 II an der Entscheidung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten gehindert sein könnten, für die schon bisher die deutsche Gerichtsbarkeit bestanden hatte (Rz. 669). c) Gerichtsstand der Mitgliedschaft 722 Ein Vertragsstaat kann weiter Immunität nicht in Anspruch nehmen, wenn er sich gemeinsam mit einer oder mehreren Privatperson(en) an einer Gesellschaft, Vereinigung oder juristischen Person beteiligt, die ihren tatsächlichen oder satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptniederlassung im Gerichtsstaat hat, und wenn das Verfahren die Beziehungen betrifft, die sich aus dieser Beteiligung zwischen dem Staat einerseits und der Gesellschaft, Vereinigung oder juristischen Person oder weiteren Beteiligten andererseits ergeben, es sei denn, es wurde schriftlich etwas anderes vereinbart, Art. 6.681 Diese Jurisdiktionsanknüpfung kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn es um die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Vereinigung untereinander oder dieser gegenüber den Mitgliedern oder umgekehrt geht, nicht dagegen, wenn es um die Position des Staates als Mitgläubiger oder Mitschuldner der Vereinigung gegenüber Dritten geht (vgl. Rz. 1441). Hier kommt Art. 4 (Rz. 717) zum Zuge. d) Gerichtsstand der Niederlassung 723 Immunität entfällt auch insoweit, als der in Anspruch genommene Staat im Gerichtsstaat ein Büro, eine Agentur oder eine andere Niederlassung hat, durch die er auf die gleiche Weise wie eine Privatperson eine gewerbliche, kaufmännische oder finanzielle Tätigkeit ausübt, und wenn das Verfahren diese Tätigkeit des Büros, der Agentur oder der Niederlassung betrifft, es sei denn, dass alle Streitparteien Staaten sind oder die Parteien schriftlich etwas anderes vereinbart haben, Art. 7.682 Die vorgenannten Betätigungen gewerbliche, kaufmännische oder finanzielle Tätigkeiten sind an sich immer rein privatrechtlicher Natur. Gleichwohl schließt Art. 7 die Immunität nur aus, soweit ein Staat entsprechende Tätigkeiten durch ein Büro, eine Agentur oder eine Niederlassung, die im Gerichtsstaat belegen ist, ausübt. Dieser Anknüpfungspunkt soll sicherstellen, dass eine für die Begründung der Gerichtsbarkeit ausreichende Verbindung zwischen dem Gerichtsstaat und der wirtschaftlichen Tätigkeit des beklagten Staates besteht. Diese Beschränkung der Gerichtsbarkeit des Staates, in dem die vorgenannten Aktivitäten stattfinden, wird aber teilweise durch Art. 4 (Rz. 717) aufgewogen, da die meisten gewerblichen, kaufmännischen oder finanziellen Tätigkeiten, die ein Staat auf andere Weise als durch ein Büro, eine Agentur oder sonstige Nie-
681 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 426. 682 Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 426.
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derlassung ausübt, zu vertraglichen Verpflichtungen führen, die im Tätigkeitsstaat zu erfüllen sind.683 e) Gerichtsstand für Patente und sonstige gewerbliche Schutzrechte Immunität besteht nach Art. 8 nicht (vgl. Rz. 628a), wenn sich das Verfahren be- 724 zieht 1. auf ein Patent, ein gewerbliches Muster oder Modell, ein Warenzeichen, eine Dienstleistungsmarke oder ein anderes gleichartiges Recht, das im Gerichtsstaat angemeldet, hinterlegt, eingetragen oder auf andere Weise geschützt ist, wenn der Staat Anmelder, Hinterleger oder Inhaber ist684; 2. auf die Behauptung, der Staat habe im Gerichtsstaat ein solches, dort geschütztes und einem Dritten zustehendes Recht verletzt; 3. auf die Behauptung, der Staat habe im Gerichtsstaat ein dort geschütztes und einem Dritten zustehendes Urheberrecht verletzt; 4. auf das Recht zum Gebrauch einer Firma im Gerichtsstaat. Hier kann man vom Gerichtsstand des Verleihungsstaates sprechen. Ein Staat 725 nimmt durch Anmeldung oder Erwerb von gewerblichen Schutzrechten am allgemeinen Wirtschaftsverkehr im Gerichtsstaat teil. Er soll keine bessere Rechtsstellung erlangen als jeder andere (private) Schutzrechtsinhaber(-anmelder). Daher ist für alle Verfahren, die sich auf solche Schutzrechte oder Schutzrechtsanmeldungen beziehen (z.B. für Löschungsklagen, Nichtigkeits- und Zwangslizenzverfahren nach dem PatG oder dem SortenschutzG), die Staatenimmunität ausgeschlossen, ebenso für alle Verfahren, in denen ein Vertragsstaat wegen angeblicher Verletzung eines Schutzrechts im Gerichtsstaat (z.B. auf Unterlassung, Rechnungslegung, Schadenersatz) in Anspruch genommen wird.685 Der Begriff „Firma“ ist weit auszulegen und erfasst alle Formen des Handels- 726 namens, wie z.B. neben der Firma auch die Unternehmensbezeichnung. Auch der Ausdruck „Recht zum Gebrauch“ ist weit zu fassen. Hierunter fallen alle Formen des Schutzes, einschließlich der Streitigkeiten über die Eintragung einer Firma. f) Forum rei sitae Immunität ist nach Art. 9 (s. auch Rz. 627) nicht gegeben, wenn sich das Verfah- 727 ren bezieht 1. auf ein Recht des Staates an unbeweglichem Vermögen, auf den Besitz oder den Gebrauch solchen Vermögens durch den Staat oder 2. auf seine Pflichten, die ihm als Inhaber von Rechten an unbeweglichem Vermögen oder als Besitzer obliegen oder sich aus dem Gebrauch eines solchen
683 Denkschrift, a.a.O., 33. 684 Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 419. 685 Hierzu Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 215.
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Dritter Teil
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Vermögens ergeben, sofern das unbewegliche Vermögen im Gerichtsstaat gelegen ist (vgl. auch Rz. 1431). 728 Hierunter fallen insbes. Klagen, – die unmittelbar das Eigentum, ein sonstiges dingliches Recht (insbes. Dienstbarkeiten einschließlich Nießbrauch) oder den Besitz an dem Grundstück zum Gegenstand haben; – wegen Immissionen, Besitzstörungen oder sonstigen Beeinträchtigungen, die von dem Grundstück im Eigentum oder Besitz des ausländischen Staates ausgehen; – auf Ersatz von Schäden, für die der Staat in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks haftet, etwa wegen herabstürzender Gebäudeteile oder wegen Nichtstreuens bei Glatteis; – betreffend Streitigkeiten über das Recht zum Besitz eines Grundstücks einschließlich der Herausgabe oder Räumung; – betreffend Miet- und Pachtzinszahlungen. 729 Soweit sich die Klagen auf Botschaftsgrundstücke beziehen, sind das WÜD und das WÜK zu beachten, Art. 32: Ne impediatur legatio (Rz. 593). Zwangsmaßnahmen gegen die Botschaft und die Mitglieder der Mission sind nach Maßgabe der Wiener Konvention unzulässig, nicht aber Klagen gegen den Entsendestaat.686 730 Öffentlich-rechtliche Angaben oder Gebühren, die vom Grundstückseigentümer oder -besitzer zu zahlen sind, fallen nicht unter Art. 9. g) Gerichtsstand der Erbschaft und Schenkung 731 Immunität kann nicht in Anspruch genommen werden, wenn das Verfahren ein Recht an beweglichem oder unbeweglichem Vermögen betrifft, das zu einer Erbschaft oder Schenkung gehört oder erb- oder herrenlos ist (vgl. Rz. 1299, 1338). Art. 10 legt weder die zuständige Gerichtsbarkeit fest noch das anwendbare Recht. Dies ist eine Folge der erheblichen Unterschiede in den IPR-Systemen der Mitgliedstaaten des Europarats. Art. 20 III regelt die Verpflichtung des betroffenen Staates, sich einem gegen ihn gefällten Urteil zu unterwerfen (Rz. 701). h) Gerichtsstand des Schadenseintritts 732 Immunität entfällt auch, wenn das Verfahren den Ersatz eines Personen- oder Sachschadens betrifft, das schädigende Ereignis im Gerichtsstaat eingetreten ist und der Schädiger sich bei Eintritt des Ereignisses in diesem Staat aufgehalten hat, Art. 11; forum delicti commissi.687 (Vgl. Rz. 1497). Auf die Unterscheidung zwischen acta iure imperii bzw. gestionis kommt es nicht an. 733 Der Rechtsgrund (Vertrag oder außervertragliche Haftung) spielt keine Rolle.
686 Heß, a.a.O., 216. 687 Hierzu Heß, a.a.O., 216; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 429 ff.
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Beispiele: Personen- und Sachschäden, die durch Dienstfahrzeuge ausländischer Vertretungen verursacht werden, wobei es für die Gerichtsbarkeit über den ausländischen Vertragsstaat (Kraftfahrzeughalter) nicht darauf ankommt, ob es sich um eine Dienstfahrt gehandelt hatte oder ob der Unfall bei einer Privatfahrt mit dem Dienstwagen passiert ist.
Unter Art. 11 fallen auch Klagen wegen Verletzung von Verkehrssicherungs- 734 pflichten, die dem fremden Staat bei der Unterhaltung von Dienstgebäuden im Gerichtsstaat obliegen, z.B. wenn der Hausmeister bei einer ausländischen Vertretung die Verkehrssicherungspflichten nicht ordentlich erfüllt, aber auch und erst recht dann, wenn eine für die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten verantwortliche Person pflichtwidrig gar nicht bestellt worden ist. In solchen Fällen muss auf den fiktiven Aufenthalt abgestellt werden.688 10. Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Streiterledigung Wenn ein Vertragsstaat schriftlich zugestimmt hat, dass bestehende oder künfti- 735 ge zivil- oder handelsrechtliche Streitigkeiten einem schiedsrichterlichen Verfahren unterworfen werden, kann er sich nicht auf seine Immunität berufen, Art. 12 (vgl. auch Rz. 521, 3854).689 In diesen Fällen kann der fremde Staat vor einem Gericht eines anderen Ver- 736 tragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet oder nach dessen Recht das schiedsrichterliche Verfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat, Immunität von der Gerichtsbarkeit für ein Verfahren nicht beanspruchen, das die Gültigkeit oder die Auslegung der Schiedsvereinbarung, das schiedsrichterliche Verfahren oder die Aufhebung des Schiedsspruchs betrifft, sofern nicht die Schiedsvereinbarung etwas anderes vorsieht.690 Ausgenommen sind Schiedsvereinbarungen zwischen Staaten, Art. 12. Die ratio conventionis ist einleuchtend: Ein Staat, der eine privatrechtliche 737 Schiedsvereinbarung geschlossen hat, soll sich den Verfahren vor staatlichen Gerichten, welche der Durchsetzung der Schiedsvereinbarung, der Bestellung von Ersatzschiedsrichtern, der ordnungsgemäßen Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens und der Kontrolle des Schiedsgerichts und Schiedsspruchs dienen, nicht durch die Berufung auf seine Immunität entziehen können. Die Formulierung ist so gewählt, dass sowohl der Theorie, nach welcher der Ort des Schiedsverfahrens maßgebend ist, als auch der prozessualen Theorie (maßgebend ist das auf das schiedsrichterliche Verfahren angewandte Recht) Rechnung getragen wird. Unter Art. 12 fallen alle in der Rechtsordnung des Gerichtsstaats vorgesehenen gerichtlichen Maßnahmen bei der Einleitung und im Verlauf des Schiedsverfahrens, nicht jedoch Verfahren zur Vollstreckung von Schiedssprüchen; Art. 20 findet daher keine Anwendung. Dieser setzt die Entscheidung eines staatlichen Gerichts voraus: Für die Vollstreckbarerklärung von 688 Denkschrift BT-Drucks. 10/4631, 34. 689 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 180. 690 Beispiel: Klöckner Industrieanlagen GmbH u.a. gegen die Regierung von Kamerun u.a., hierzu Nachw. bei Schlechtriem, IPRax 1986, 69.
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Gerichtsbarkeit
Schiedssprüchen gegen Staaten gelten die allgemeinen multi- und bilateralen Konventionen und Abkommen, im Übrigen das autonome Recht (§§ 1060 ff. ZPO). 11. Gerichtliche Vermögensverwaltung 738 Die Staatenimmunität darf die gerichtliche Verwaltung von Vermögenswerten nicht behindern. Deshalb darf Art. 14 des Übereinkommens nicht so ausgelegt werden, dass ein Gericht eines Vertragsstaates nur deshalb daran gehindert ist, Vermögenswerte wie etwa ein Treuhandvermögen oder eine Insolvenzmasse zu verwalten oder deren Verwaltung zu veranlassen oder zu überwachen, weil ein anderer Vertragsstaat ein Recht an dem Vermögen hat. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gericht das Vermögen selbst verwaltet oder nur für die Verwaltung sorgt oder sie beaufsichtigt, z.B. den Nachlassverwalter bzw. Nachlasspfleger.
V. Immunität der Staatsschiffe 739 Das Internationale Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10.4.1926691 (Rz. 498) regelt einen Teilaspekt der Vollstreckungsimmunität der Staaten (Rz. 597). Es ist inzwischen ersetzt durch Art. 95 und 96 des VN-Seerechtsübereinkommens vom 10.12.1982.
VI. Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen vom 29.5.1933692 740 Auch dieses Abkommen betrifft die Vollstreckungsimmunität. Art. 3 dieses Übereinkommens (Rz. 599) verbietet die Beschlagnahme von Luftfahrzeugen, die ausschließlich für den staatlichen Dienst bestimmt sind. 741–756 Einstweilen frei
4. Kapitel: Immunität der Organe des völkerrechtlichen Verkehrs I. Staatsoberhäupter Literatur: Alderton, Immunity for Heads of State Acting in their Private Capacity, IntCompLQuart 2009, 702; Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, 2007; Bank, Der Fall Pinochet: Aufbruch zu neuen Ufern bei der Verfolgung von Menschenrechtsver-
691 RGBl. II 1927, 483; RGBl. II 1936, 303. Hierzu Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 224. 692 RGBl. II 1935, 302. Hierzu Kren Kostkiewicz, a.a.O., 226.
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letzungen?, ZaöRV 59 (1999), 677; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, ArchVR 41 (2003), 201; Gornig, Immunität von Staatsoberhäuptern, in Festschrift Rauschning, 2001, 457; M. Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, 2000; Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305; Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, 2007; Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963, 2007; Watts, The Legal Position of Heads of States, Heads of Governments and Foreign Ministers, RdC 247 (1994 III), 9, 56 ff.; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, Diss. Trier 2007, 97, 243; Wirth, Staatenimmunität für internationale Verbrechen das zweite Pinochet-Urteil des House of Lords, Jura 2000, 70; Zeichen/ Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182. Als oberste Repräsentanten ihrer Staaten sind fremde Staatsoberhäupter von der 757 Gerichtsbarkeit befreit, und zwar auch hinsichtlich ihrer privaten Akte.693 Der Satz rex extra territorium suum privatus694 konnte sich nicht durchsetzen.695 Nach Ende seiner Amtszeit kann ein ausländisches Staatsoberhaupt jedoch für 758 privates Handeln, das in seine Amtszeit fällt, belangt werden.696 So konnte z.B. ein bekanntes Pariser Modehaus gegen Exkönig Faruk von Ägypten noch offene 693 IGH v. 14.2.2002, Kongo v. Belgien betr. Arrest v. 11.4.2000, www.icj.-cij.org. Hierzu Dörr, ArchVR 41 (2003), 201, 205. 694 Christian Wolff, Ius gentium methodo § 1059. 695 H.M., z.B. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 5; Kälin/Epiney/ Heim, Völkerrecht, 2003, 160; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 100; Watts, The Legal Position in International Law of Heads of States, Heads of Governments and Foreign Ministers, RdC 247 (1994-III), 9, 52 ff., 88 ff. Anders die Praxis in Frankreich, Italien und wohl auch in der Schweiz, Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 92. Zweifel auch bei Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 253 (§ 29 III 1): Die Ausdehnung der persönlichen Immunität auf das gesamte Privatleben des Staatsoberhauptes unter Einschluss etwa von ihm betriebener Handelsgewerbe „sei eine unangebrachte und nicht mehr zeitgemäße Überschätzung der Staatsgewalt“. Nach sec. 14 (1) (A) des brit. State Immunity Act wird einem amtierenden ausländischen Staatsoberhaupt Befreiung von britischer Gerichtsbarkeit nur insoweit zuteil, als der von ihm im Völkerrechtsverkehr vertretene Staat Immunität beanspruchen könnte, sec. 20 (1) (A) StIA. Ebenso Singapore State Immunity Act 1979 sec. 16, Pakistan State Immunity Ordinance 1981 sec. 15, Canadian State Immunity Act 1982 sec. 2. Diese Regelungen sind völkerrechtswidrig, Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 77. Zur Frage der Überlagerung der absoluten Immunität eines Staatsoberhauptes durch den menschenrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch (Art. 6 I EMRK; Art. 47 II EuGrundrechtecharta) im Falle einer Vaterschaftsfeststellungsklage verneinend OGH Österreich v. 14.2.2001, IPRax 2002, 418 (Tomuschat 437); die Klägerin wollte feststellen lassen, (nichteheliche) Tochter des ehem. Fürsten Franz Josef II von Liechtenstein zu sein. 696 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 243.
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Rechnungen vor französischen Gerichten einklagen.697 Nach Beendigung der Stellung als Staatsoberhaupt besteht die Immunität nur für Amtshandlungen möglicherweise mit Ausnahme von internationalen Verbrechen698 fort (sofern der von ihm repräsentierte Staat, vertreten durch seinen Nachfolger als Staatsoberhaupt bzw. durch den Außenminister, nicht auf die Immunität verzichtet), nicht jedoch für privates (außerdienstliches) Handeln während der Amtszeit.699 759 Während seiner Amtszeit kann das Staatsoberhaupt (genauer der von ihm repräsentierte und vertretene Staat, weil die Immunität des Staatsoberhauptes aus der Staatenimmunität abgeleitet ist) auf seine Immunität verzichten. Erhebt der Staatschef selbst Klage vor den Gerichten eines fremden Staates, dann kann gegen ihn eine negative Entscheidung ergehen. Es gilt das Gleiche wie in Rz. 634 und 635, 771. Das Staatsoberhaupt unterliegt nicht der Pflicht, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen (Rz. 777). Es kann aber freiwillig aussagen.700 (S. auch Rz. 493). 760 Das einschlägige Völkergewohnheitsrecht ist nicht kodifiziert. Die für Leiter diplomatischer Missionen (Art. 1 lit. a WÜD) geltenden Regeln sind entsprechend anzuwenden.701 Daher genießen Staatsoberhäupter keine Immunität bei dinglichen Klagen, die Grundbesitz im Forumstaat betreffen, in Nachlasssachen und für Klagen im Zusammenhang mit der Ausübung eines freien Berufes oder eines Gewerbes (Rz. 769). 761 Soweit das Staatsoberhaupt im Ausland als Leiter einer Spezialmission oder einer Delegation bei einer internationalen Organisation auftritt, kommen Art. 21 I des VN-Übereinkommens über Spezialmissionen (Rz. 801) bzw. Art. 50 der Wiener Konvention über die Vertretung von Staaten in ihren Beziehungen zu internationalen Organisationen mit universellem Charakter zur Anwendung.702
697 ILR 57, 228; Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, 1993, Nr. 692. 698 So jedenfalls das House of Lords im Pinochet-Fall, Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Pinochet Ugarte, [1998] 3 W.L.R. 1456 = ILR 119, 50; Pinochet Ugarte [1999] 2 W.L.R. 827 = ILR 119, 135. Hierzu von Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rz. 327; Dolzer, NJW 2000, 1700; Bank, ZaöRV 59 (1999), 677; McLachlan, Pinochet Revisted, ICLQ 52 (2002), 959; Serranò, Immunità degli Stati stranieri e crimini internazionali nella recente giurisprudenza della Corte di Cassazione, Rivista di diritto internazionale privato e processuale, 3 (2009), 605; Tangermann, Die völkerrechtliche Immunität von Staatsoberhäuptern, 2002, 69 ff., 240 ff.; Wirth, Jura 2000, 70; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 96 ff. m.w.N. Kritisch zur Durchbrechung der Staatenimmunität und ihrer völkerrechtlichen Organe z.B. Dörr, ArchVR 41 (2003), 201 (212, 218); Garnett, The Defence of State Immunity for Acts of Torture, Australian YbIL 18 (1997), 97; Rensmann, IPRax 1999, 268. S. auch Rz. 502. 699 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1497; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 77; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 254 (§ 29 IV 1). 700 BVerwG v. 30.9.1988 – 9 CB 47/88, NJW 1989, 678 = IPRspr. 1988 Nr. 147; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 254 (§ 29 III 3). Umfassende Nachw. auch bei Borghi, L’immunité des dirigeants politiques en droit international, 2003. 701 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 243. 702 Matscher, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 244.
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Ausnahmen von der Immunität für Fälle von Kriegsverbrechen, völkerrecht- 762 lichen Verbrechen und sonstigen Verstößen gegen völkerrechtliches ius cogens703: Nach Art. 7 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg704, Art. 7 II des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Jugoslawien705, Art. 6 II des Statuts des Internationalen Gerichtshofs für Ruanda706 sowie Art. 27 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (Konvention von Rom vom 17.7.1998)707 sind Staatsoberhäupter nicht von der Verantwortlichkeit freigestellt.708 Dies ist jedoch bisher nicht universelles Völkergewohnheitsrecht.709
II. Regierungsmitglieder Literatur: Watts, The Legal Position of Heads of States, Heads of Governments and Foreign Ministers, RdC 247 (1994 III), 9, 56 ff.; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, Diss. Trier, 2007, 100.
703 Nachw. z.B. in BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (53). S. auch die Nachw. bei Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug, ArchVR 41 (2003), 201; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 98; Zeichen/Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182. 704 UNTS vol. 82, 279. 705 ILM 32 (1993), 1192. Umfangreiche Nachw. bei Werle, Völkerstrafrecht, 2003; van Heeck, Die Weiterentwicklung des formellen Völkerstrafrechts, 2007; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 218 ff. 706 ILM 33 (1994), 1602. 707 BGBl. II 2000, 1393 = ILM 37 (1998), 999; hierzu BT-Drucks. 14/2682; deutsche Übersetzung auch in EuGRZ 1998, 618. Art. 27 lautet: Unerheblichkeit der amtlichen Eigenschaft (1) Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen, ohne jeden Unterschied nach amtlicher Eigenschaft. Insbes. enthebt die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar. (2) Immunitäten und besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über eine solche Person. 708 Zum Fall Pinochet, Rz. 758. 709 Dies hat der IGH im Arrest Warrant Case für amtierende Regierungsvertreter festgestellt, IGH v. 14.2.2002 Democratic Republic of Congo v. Belgium, ICJ Rep. 2002, 3 Rz. 58: „The Court has carefully examined State practice, including national legislation and those few decisions of national higher courts … It has been unable to deduce from this practice that there exists under customary international law any form of exception to the rule according immunity from criminal jurisdiction and inviolability to incumbent Ministers of Foreign Affairs, where they are suspected of having committed war crimes or crimes against humanity.“Hierzu s. auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (196).
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763 Regierungsmitglieder genießen nicht absolute Immunität, sondern nur hinsichtlich ihrer Amtshandlungen.710 Für ihr außerdienstliches privates Handeln sind sie anders als grundsätzlich die Diplomaten der Jurisdiktion fremder Staaten unterworfen.711 764 Anders ist es, wenn das betreffende Regierungsmitglied und „andere Persönlichkeiten hohen Ranges“ im Ausland im Rahmen einer Spezialmission oder einer Delegation bei einer internationalen Organisation agiert; dann kommen wiederum die (am WÜD orientierten) Privilegien des VN-Übereinkommens über Spezialmissionen (Rz. 801) bzw. der Wiener Konvention über die Vertretung von Staaten in ihren Beziehungen zu internationalen Organisationen mit universellem Charakter zur Anwendung.712
III. Ständige Missionen713 1. Diplomaten a) Grundsatz 765 Die Unverletzlichkeit der Diplomaten gehört zu den ältesten Gewährleistungen des Völkergewohnheitsrechts.714 Sie ist fundamentale Voraussetzung für die Pflege der zwischenstaatlichen Beziehungen.715 Im Laufe der Geschichte haben 710 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 258 (§ 30 II 1 Fn. 6); Matscher in Fasching/ Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 245; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 31. Weitere Nachw. bei Borghi, L’immunité des dirigeants politiques en droit international, 2003; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 96 ff. 711 Zurückhaltend gegenüber der Auflockerung der absoluten Immunität aber IGH v. 14.2.2002, Kongo/Belgien (website des IGH), teilweise auch abgedruckt bei Neuhold/ Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 207 S. 341. 712 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 297 (§ 40); Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 245. 713 Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen v. 18.4.1961 (WÜD), BGBl. II 1964, 958, regelt nur die rechtliche Stellung der „normalen“ ständigen Missionen. Ihr Anwendungsbereich erfasst weder die sog. Ad hoc-Missionen (s. aber unten Rz. 801) noch die internationalen Organisationen (Rz. 825) noch die bei diesen akkreditierten Vertretungen, Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 77. 714 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 76. 715 In der völkerrechtlichen Literatur wird die Eigenständigkeit des Diplomatenrechts im Verhältnis zum Recht der allgemeinen Staatenimmunität betont, wenngleich die Immunität der Diplomaten und des Botschaftskomplexes letztlich ihre Grundlage und Rechtfertigung in der Immunität der Staaten findet. Gleichwohl handelt es sich um unterschiedliche Rechtsinstitute mit jeweils eigenen Regeln, so dass aus Beschränkungen in einem Bereich nicht auf den anderen geschlossen werden kann. Die völkerrechtlichen Regeln des Diplomatenrechts sind gegenüber der allgemeinen Staatenimmunität lex specialis, Steinberger, State Immunity, EPIL 4 (2000), 615; BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (208 – Rz. 33) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. Ein pauschal erklärter Immunitätsverzicht (z.B. aus Anlass der Begebung einer Anleihe [Rz. 583]) berechtigt z.B. nicht auch zur Vollstreckung in solche Vermögensgegenstände, die dem Schuldner-
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daher Staaten aller Kulturen die zu diesem Zweck bestehenden gegenseitigen Verpflichtungen beachtet. Ohne die historisch gewachsenen Privilegien und Immunitäten wäre die Diplomatie nicht vorstellbar und auch nicht leistungsfähig als unverzichtbares Instrument der effektiven Kooperation innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Sie erlaubt es den Staaten, unabhängig von ihren unterschiedlichen Verfassungs- und Sozialsystemen ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und ihre Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln beizulegen.716 Absolute Immunität ratione personae: Der Missionschef und die Mitglieder des 766 diplomatischen Personals der Mission genießen neben dem Recht auf besonderen Schutz ihrer Person (Art. 29 WÜD) und bestimmten Befreiungen von der materiellen Rechtsordnung des Empfangsstaates (Art. 33 ff. WÜD)717 im Gegensatz zu fremden Staaten718 noch immer umfassende Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates, Art. 31 WÜD.719 Die Immunität der Diplomaten und der ihnen nach Art. 37 I WÜD gleichgestellten zum Haushalt des Diplomaten gehörenden Familienmitglieder (hierzu zählen auch Lebensgefährten/-innen720) erstreckt sich auch auf Angelegenheiten ihres privaten Lebensbereichs, und zwar auch für Vorgänge (Verträge/Delikte etc.) aus der Zeit vor Dienstantritt.721 Hinzu kommt das sog. „Depeschenrecht“: Garantie des freien Verkehrs der amtlichen Korrespondenz der diplomatischen Mission mit ihrer Regierung und den
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Staat (Entsendestaat) zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner diplomatischen Mission im Vollstreckungsstaat (Empfangsstaat) dienen, v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 Rz. 40 ff. So BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50, 52 unter Hinweis auf die Rspr. des Internationalen Gerichtshofs. In Betracht kommt insbes. die Befreiung von Steuern und Abgaben im Empfangsstaat, Befreiung von persönlichen Dienstleistungen und militärischen Auflagen, Befreiung von den Vorschriften über die soziale Sicherheit, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 895 ff. Grundlegende Unterschiede zwischen Staatenimmunität und diplomatischer Immunität akzentuiert BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (53): „Die diplomatische Immunität für dienstliche Handlungen ist … nicht nur ein Reflex der Immunität des Entsendestaates, sondern erklärt sich eigenständig aus dem besonderen Status des Diplomaten. Seine Anwesenheit auf dem Territorium des Empfangsstaates und seine Befugnis, dort für den Entsendestaat tätig zu werden, beruhen auf der Zustimmung des Empfangsstaates in Form des Agrément (Art. 4 WÜD). Diese Zustimmung rechtfertigt die persönliche wie funktionelle diplomatische Immunität. Im Gegensatz dazu gewinnen Staatsorgane ihren Status allein durch einen innerstaatlichen Kreationsakt.“ Dies ist aber zu „beamtenrechtlich“ gedacht. Der Entsendestaat hat es in der Hand, gegenüber dem Empfangsstaat auf die Immunität seines Diplomaten zu verzichten und diesen so den Gerichten des Empfangsstaates „auszuliefern“. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 75; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 900 ff. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 904 Fn. 57. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 279; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 250; LG Bonn v. 7.3.1991 – 5 T 174/90, FamRZ 1991, 1329 (Kimminich) = StAZ 1991, 167 = IPRspr. 1991 Nr. 163 (Berichtigung der Namenseintragung für Diplomatenkind nach §§ 47, 48 PStG a.F.).
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anderen Missionen und Konsulaten des Entsendestaates einschließlich der Korrespondenz und des Kuriergepäcks.722 767 Eine Ausnahme gilt für regnicoles, das sind Diplomaten, die Staatsangehörige des Empfangsstaates sind oder vor ihrer Berufung auf den Diplomatenposten dort dauernd wohnhaft waren, Art. 38 I WÜD. Im Zusatzprotokoll zur Diplomatenkonvention ist aber die auch bisher unbestrittene Regel festgeschrieben, dass der Empfangsstaat den Kreis der regnicoles nicht dadurch erweitern darf, dass Mitglieder des bevorrechtigten Personenkreises ohne deren Antrag zu eigenen Staatsangehörigen erklärt werden z.B. aufgrund einer extensiven Auslegung des ius soli.723 768 Die diplomatische Immunität besteht so lange, als der Diplomat seine Funktion im Empfangsstaat ausübt. Für dienstliche Handlungen kann das diplomatische Personal jedoch auch nach Ende seiner dortigen Funktion nicht persönlich belangt werden, da die Handlungen nur dem Entsendestaat zuzurechnen sind. 769 Die Immunität auch für private Akte des Diplomaten ist zwar zur Aufrechterhaltung des diplomatischen Verkehrs nicht erforderlich (z.B. Immunität gegenüber Unterhaltsklagen), doch wäre die Abgrenzung zu problematisch (z.B. Mietstreitigkeiten). Deshalb hat man sich generell für die absolute Befreiung von der Zivilgerichtsbarkeit entschieden. Dies gilt auch für das Vollstreckungsverfahren, Art. 31 III WÜD (vgl. aber Rz. 770, 776, 781).724 Hinsichtlich Zustellung s. Rz. 2146. Nach Beendigung seiner Tätigkeit im Empfangsstaat kann der Diplomat für seine amtliche Tätigkeit zwar weiterhin Immunität beanspruchen, für private Handlungen (Rz. 769) während seiner diplomatischen Tätigkeit jedoch ebenso wenig wie das Staatsoberhaupt (Rz. 763).725 b) Ausnahmen 770 Ein Diplomat unterliegt nach Art. 31 WÜD der Zivilgerichtsbarkeit des Empfangsstaates hinsichtlich – dinglicher Klagen „in Bezug auf privates, im Hoheitsgebiet des Empfangsstaates gelegenes unbewegliches Vermögen“726; – Klagen in Nachlasssachen727; – Klagen im Zusammenhang mit einem freien Beruf oder einer im Empfangsstaat ausgeübten gewerblichen Tätigkeit.728
722 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 71 Fn. 22. 723 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1023. 724 Zur Vollstreckungsimmunität ausführlich Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 180 ff. 725 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 278. 726 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 413. 727 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 416. 728 Diese Ausnahme von der grundsätzlich absoluten Immunität steht in Zusammenhang mit Art. 42 WÜD; danach darf der Diplomat keinen Beruf und keine gewerbliche Tätigkeit im Empfangsstaat ausüben, die auf persönlichen Gewinn gerichtet ist.
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In den vorgenannten Fällen sind auch Vollstreckungshandlungen gegen einen 771 Diplomaten gestattet, wenn „sie durchführbar sind, ohne die Unverletzlichkeit seiner Person oder seiner Wohnung zu beeinträchtigen“, Art. 31 III WÜD.729 c) Der Diplomat als Kläger/Antragsteller aa) Widerklage Ist der Diplomat Kläger/Antragsteller730, so kann er sich „in Bezug auf eine Wi- 772 derklage, die mit der Hauptklage in unmittelbarem Zusammenhang steht“, nicht auf seine Immunität von der Gerichtsbarkeit berufen, Art. 32 III WÜD, ebenso Art. 45 III WÜK.731 (Vgl. Rz. 634 ff.). bb) Aufrechnung Bestritten ist, ob außer in den Fällen des Art. 31 I 1 lit. a–c WÜD mit jeder pri- 773 vatrechtlich zu qualifizierenden Forderung aufgerechnet werden kann oder nur mit solchen, die mit der Klage in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die extensivere Auslegung ist die richtige, da eine Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten bzw. eine Privilegierung des Diplomaten als Angreifendem nicht gerechtfertigt erscheint.732
729 Zum Immunitätsverzicht Nachw. z.B. bei Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 184 ff. 730 Der Diplomat bedarf zur Klageerhebung kraft Völkerrechts nicht der Genehmigung des Entsendestaates; innerstaatlich kann dieser jedoch seinen Diplomaten ein solches Genehmigungserfordernis auferlegen. So z.B. Österreich, Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 160. Zustimmend KG v. 10.6.2010 – 1 VA 8/10, FamRZ 2010, 1589. Die völkerrechtliche Frage wird jedoch nicht einheitlich beantwortet, Nachw. bei Kren Kostkiewicz, a.a.O., 402. 731 So schon RGZ 111, 149. Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 281 Fn. 23. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 19 Rz. 17 wollen nur solche Widerklagen zulassen, die allein der Verteidigung dienen. Für eine solche restriktive Auslegung besteht kein Grund, da sie die Waffengleichheit der Parteien beeinträchtigt. Auch ist nicht einleuchtend, wieso ein Diplomat, der die Gerichte des Empfangsstaats anruft, besser geschützt werden soll, was die Gegenangriffe des Beklagten anbelangt, als ein „normaler“ Kläger. Die Widerklage ist vielmehr immer dann zulässig, wenn sie Ansprüche aus dem gleichen Vertrags- oder sonstigen Lebenssachverhalt, der bereits Gegenstand der Klage ist, betrifft. Gegen eine privatrechtlich zu qualifizierende Klage kann nach Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 84 nicht ein öffentlich-rechtlicher Anspruch im Wege der Widerklage geltend gemacht werden (nur in den seltensten Fällen wäre der Diplomat überhaupt passiv legitimiert), vgl. aber Rz. 637. 732 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 161; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 145 Rz. 40; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 89 (mit Ausnahme von hoheitlich zu qualifizierenden Forderungen). Probleme entstehen aber, wenn nach der maßgeblichen lex causae die Aufrechnung durch counterclaim, compensation judiciaire erfolgt, R. Geimer, IPRax 1986, 210.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
774 Von der Frage der Gerichtsbarkeit zu trennen ist die Frage, ob Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aufrechnung die internationale Zuständigkeit für die Gegenforderung (= Aufrechnungsforderung) ist (Rz. 637, 638). cc) Rechtsmittel gegen ein dem Diplomaten günstiges Urteil 775 Die vom Diplomaten verklagte Person darf sich aller nach dem Recht des Gerichtsstaates (Empfangsstaates) zulässigen Verteidigungsmittel bedienen, um die Klage zu Fall zu bringen. Dazu gehört auch das Recht, Rechtsmittel einzulegen, wenn der Diplomat siegreich war.733 (S. auch Rz. 634). dd) Kosten 776 Der Diplomat darf auch zu Zahlung der Kosten eines von ihm angestrebten und verlorenen Prozesses verurteilt werden.734 Wegen der Vollstreckung gilt Rz. 770 entsprechend, obwohl dieser Fall in Art. 31 III WÜD nicht erwähnt ist. d) Der Diplomat als Zeuge 777 Ein Diplomat ist nicht verpflichtet, als Zeuge auszusagen (Art. 31 WÜD).735 Es ist aber völkerrechtskonform, ihn hierzu ohne Zwangsandrohung einzuladen (Rz. 493).736 e) Keine Befreiung von der materiellen Rechtsordnung des Empfangsstaates 778 Der Missionschef und alle anderen Mitglieder der Mission sind grundsätzlich verpflichtet, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaates zu beachten, Art. 41 I WÜD. Nur einzelne dieser Normen finden auf sie keine Anwendung. Sie sind z.B. gem. Art. 34 von allen staatlichen, regionalen und kommunalen Personal- und Realsteuern oder -abgaben befreit.737 Dies gilt aber nicht für die Prozesskosten (Rz. 776). 779 Allerdings kann der Empfangsstaat seine Rechtsordnung nicht durch Richterspruch und Zwangsvollstreckung durchsetzen, soweit die Missionsmitglieder Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates (Art. 31 WÜD) und von seiner Zwangsgewalt auch für ihre Privathandlungen genießen, Art. 29 WÜD. Ihre Privatwohnungen und ihre Korrespondenz sind ebenso wie die Räumlichkeiten der Mission unverletzlich, Art. 30 WÜD.
733 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 902. 734 Verdross/Simma, a.a.O., § 902. 735 Hierzu Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 251. 736 Verdross/Simma, a.a.O., § 903; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 280 (§ 35 I 4). 737 Näher Verdross/Simma, a.a.O., § 900; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 281 (§ 35 III 1).
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Immunität der Organe
Dritter Teil
f) Keine Exterritorialität Der früher gebräuchliche Begriff „Exterritorialität“ verleitet zur falschen Vorstel- 780 lung, dass die Handlungen und Unterlassungen der privilegierten Personen als außerhalb des Gebietes des Empfangsstaates vorgenommen fingiert werden. Dies ist nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um Tatbestände, die auch de iure am Tatort gesetzt wurden.738 g) Die Person des Diplomaten ist unverletzlich (Art. 29 WÜK) Der Empfangsstaat darf gegen ihn keinerlei Zwangsgewalt ausüben. Der Diplo- 780a mat darf nicht verhaftet oder festgehalten werden.739 Seine Privatwohnung (Art. 30 I WÜK), sein Eigentum (Art. 30 II i.V.m. Art. 31 III WÜK) und die in seinem Besitz befindlichen Gegenstände sind der Wegnahme, Einziehung oder Beschlagnahme entzogen. Zur Frage der Zulässigkeit von Zustellungen an ihn s. Rz. 2146. h) Rechtswidrige Angriffe, die von privilegierten Personen ausgehen Rechtswidrige Angriffe, die von privilegierten Personen ausgehen, können so- 781 wohl von Privatpersonen (vgl. Rz. 334) als auch von Organen des Empfangsstaates abgewehrt werden. Staatliche Zwangsakte gegen die privilegierten Personen sind also abgesehen von den in Rz. 770, 776 erwähnten Fällen des Art. 31 III WÜD oder im Falle eines Verzichts auf die Vollstreckungsimmunität ausschließlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen (nicht aber zur Bestrafung) zulässig.740 Dies gilt nicht nur für Maßnahmen der Exekutive, sondern auch für Akte der Judikative. Diese kann etwa bei Besitzstörungen einstweilige Verfügungen erlassen; so ist z.B. das Abschleppen von verbotswidrig parkenden Kraftfahrzeugen auf dem Nachbargrundstück zulässig, da dadurch die diplomatische Tätigkeit nicht behindert wird. Erlaubt ist aber nur Prävention zur Verhinderung (nach dem Recht des Emp- 781a fangsstaates) rechtswidrigen Verhaltens im Empfangsstaat, nicht jedoch Reaktion auf bereits abgeschlossene Unrechtstatbestände mit Mitteln des Zivil- oder Strafrechts.741 Der Empfangsstaat kann den Diplomaten nur zur persona non grata erklären (Art. 9 WÜD) und auf völkerrechtlicher Ebene gegen den Entsendestaat vorgehen. Dürfte der Empfangsstaat auch mit anderen als den vom Diplomatenrecht vorgesehenen Mitteln gegen Diplomaten vorgehen, so würden die Grundlagen der diplomatischen Beziehungen erschüttert, die ein Zusammenleben der Staaten erst ermöglichen. Die Regeln des Diplomatenrechts stellen eine in sich abgeschlossene Ordnung (ein sog. self-contained régime) dar, die die
738 739 740 741
Verdross/Simma, a.a.O., § 900; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 287 (§ 38 I 3). Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 275 (§ 34 III 1). Verdross/Simma, a.a.O., § 908; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 283. Nachw. z.B. in BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (52).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
möglichen Reaktionen auf Missbräuche der diplomatischen Vorrechte und Immunitäten abschließend umschreibt.742 782 Allerdings bestehen für Kriegsverbrechen, völkerrechtliche Verbrechen und Verstöße gegen völkerrechtliches ius cogens Ausnahmen von der Immunität, allerdings nicht nach universellem Völkergewohnheitsrecht,743 sondern nur nach einigen internationalen Statuten (Rz. 762).744 i) Regnicoles 783 Die Immunität des Diplomaten, der Angehöriger des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig ist (Rz. 766), bezieht sich grundsätzlich nur auf in Ausübung dienstlicher Tätigkeit vorgenommene Amtshandlungen (Art. 38 I WÜD).745 j) Rechtsschutz im Entsendestaat 784 Der Entsendestaat ist verpflichtet, ein Forum bereit zu stellen (Rz. 800b). 2. Familienmitglieder 785 Dieselben Vorrechte wie der Diplomat genießen nach Art. 37 I WÜD die zum Diplomatenhaushalt gehörenden Familienmitglieder (einschließlich Lebensgefährtin746), wenn sie nicht Angehörige des Empfangsstaates sind. 3. Verwaltungs- und technisches Personal 786 Das Verwaltungs- und technische Personal und seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder genießen wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in diesem ansässig sind im Gegensatz zum Missionschef und den Mitgliedern des diplomatischen Personals der Mission Immunität nur für
742 BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (52). 743 IGH v. 14.2.2002, Congo/Belgium, ICJ Rep. 2002, 3 Rz. 58. 744 Diese Ausnahmen sollen aber nach Auffassung des BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (53) nicht für die diplomatische Immunität in Betracht kommen. Ein Schluss von den Grenzen der Staatenimmunität zu denen der Diplomatenimmunität sei nicht möglich, weil letztere den Diplomaten persönlich schütze. Die in Rz. 762 zitierten Regelungen lassen aber eine solche einschränkende Auslegung nicht zu. S. auch die Nachw. bei Cremer, Entschädigungsklagen wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Staatenimmunität vor nationaler Zivilgerichtsbarkeit, ArchVR 41 (2003), 137; Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug, ArchVR 41 (2003), 201; Zeichen/Hebenstreit, Kongo v. Belgien. Sind Außenminister vor Strafverfolgung wegen völkerstrafrechtlicher Verbrechen immun?, ArchVR 41 (2003), 182. 745 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 996; Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., 283. 746 Offen gelassen von Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 254.
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Immunität der Organe
Dritter Teil
dienstliche Handlungen. Sie sind für private Handlungen von der Zivilgerichtsbarkeit des Empfangsstaates nicht befreit, Art. 37 II, III, 38 WÜD.747 Die für diesen Personenkreis wichtige Unterscheidung zwischen dienstlichem 787 und außerdienstlichem Verhalten (Rz. 811) deckt sich nicht mit der Differenzierung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis. Ein „dienstliches Handeln“ (Art. 37 II, III, Art. 38 I WÜD) kann zwar, muss aber nicht auch ein actum iure imperii i.S. der allgemeinen Staatenimmunität (Rz. 578) sein (Rz. 490).748 Staatsangehörige der Empfangsstaaten und ständig dort wohnhafte Mitglieder 788 des Verwaltungs- und technischen Personals genießen keine Immunität ratione personae, jedoch ratione materiae. 4. Dienstpersonal der Mission Dienstpersonal, das direkt im Dienst der Mission steht, genießt Immunität für 789 seine dienstlichen Handlungen, ausgenommen wieder Staatsangehörige des Empfangsstaates und ständig dort wohnhafte Personen, Art. 37 III WÜD. 5. Private Hausangestellte von Mitgliedern der Mission Dienstpersonal, das im Dienst von Mitgliedern der Mission steht, genießt keine 790 Immunität, es sei denn, der Empfangsstaat gewährt „freiwillig“ Immunität. Eine solche Immunitätserweiterung hat Deutschland nicht angeordnet.749 Die Ausübung der (deutschen) Zivilgerichtsbarkeit darf die Wahrung der Aufgaben der Mission nicht ungebührlich behindern, Art. 37 IV WÜD. 6. Von der Mission beauftragte Handwerker und Unternehmer Von der Mission beauftragte Handwerker und Unternehmer sind nicht Mitglie- 790a der der Mission und genießen keine Immunität, auch wenn sie aus dem Entsendestaat stammen, und für diesen im Empfangsstaat mit ihrer Tätigkeit Projekte fördern, die für das Funktionieren der Mission relevant sind, wie z.B. die Errichtung eines Pavillons auf der Weltausstellung in Hannover.750 7. Aufhebung der Immunität Der Entsendestaat kann durch eine ausdrückliche Erklärung gegenüber der Re- 791 gierung des Empfangsstaates oder dem Gericht die Immunität auch ohne Zustimmung der Betroffenen aufheben.751 Ein Verzicht auf die Immunität erstreckt 747 Ausführlich Matscher in Fasching/Konecny, a.a.O., Art. IX EGJN Rz. 259. 748 Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und int. Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 68; A.A. Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 76. 749 Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 181. 750 VGH Hess. v. 31.8.2010, IPRspr. 2010 Nr. 183. 751 Art. 32 WÜD betrifft nur den Verzicht auf die Immunität von Personen, die diplomatischen Schutz genießen, nicht jedoch den (möglichen) Verzicht auf die Befreiung der im Empfangsstaat betriebenen Botschaft samt allen ihren zu diplomatischen bzw. konsularischen Zwecken dienenden Einrichtungen (Art. 21 VN-Übereinkommen über
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
sich im Zweifel nicht auf die Immunität gegenüber Vollstreckungsmaßnahmen. Hierauf muss gesondert verzichtet werden, Art. 32 IV WÜD (s. auch Rz. 2148).752 Abgesehen vom Sonderfall der Widerklage (Rz. 771) kann eine diplomatische Immunität genießende Person ohne Zustimmung des Entsendestaates nicht auf ihre Immunität verzichten; denn die Immunität wird im Interesse des Entsendestaates (Funktionieren der diplomatischen Vertretung) gewährt und nicht im persönlichen Interesse der hierdurch privilegierten Person (Rz. 474).753 Daher ist die Zustimmung des Entsendestaates zur Vollstreckung gegen den Diplomaten selbst dann erforderlich, wenn sich dieser im Empfangsstaat der sofortigen Zwangsvollstreckung (§ 794 I Nr. 5 ZPO) unterworfen hat. Ein Verzicht des Diplomaten in einem privatrechtlichen Vertrag ist nichtig.754 792 Falls seine Regierung nichts Gegenteiliges ausspricht, ist der Missionschef ermächtigt, im Namen des Entsendestaats auf seine Immunität und diejenige der Diplomaten und sonstiger Angehöriger seiner Mission zu verzichten.755 792a Der Empfangsstaat hat keinen Anspruch auf Immunitätsverzicht (s. auch Rz. 2148). 8. Unterschied zwischen der Immunität des Personals diplomatischer Missionen und der Immunität des Personals internationaler Organisationen 793 Das Personal diplomatischer Missionen genießt Immunität nach Maßgabe des WÜD nur im Empfangsstaat. Diese Personen bleiben aber der Gerichtsbarkeit des Entsendestaates unterworfen und sind dort i.d.R. verklagbar. Wenn sie auch im Empfangsstaat tätig sind, behalten sie dennoch u.U. einen fiktiven Wohnsitz im Entsendestaat bei, vgl. § 15 ZPO (Rz. 783). Sie sind weiter in dritten Staaten gerichtspflichtig (soweit diese eine internationale Zuständigkeit eröffnen).756 794 Um die volle Unparteilichkeit eines Mitarbeiters einer internationalen Organisation gerade auch gegenüber seinem Herkunfts-/Heimatland sicherzustellen, genießt dieses Personal auch dort Immunität.757 Der geographische Bereich der Immunität ist also weiter, dafür ist der sachliche enger: Das Personal der internationalen Organisation ist von der Zivilgerichtsbarkeit der Staaten grundsätzlich nur für seine dienstlichen Handlungen befreit, nicht jedoch für den privaten Bereich.
752 753 754 755 756 757
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die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums [Rz. 571]), Rz. 593; BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, RIW 2007, 206 (210 Rz. 48) = NJW 2007, 2605 = IPRax 2007, 438 (von Hein 399) = IPRspr. 2006 Nr. 106. S. auch die Nachw. bei Kleinlein, Anforderungen an den Verzicht auf diplomatische Immunität, NJW 2007, 2591. Hierzu auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 285. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1041. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 280 Fn. 21. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 280; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 137. S. auch R. Geimer, ZfRV 1992, 404. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1045; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften7, Rz. 1917.
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Dritter Teil
Allerdings ist dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und einem kleineren 795 Kreis höherer Beamter internationaler Organisationen im jeweiligen Abkommen über die Privilegien und Immunitäten der Organisation und im Sitzabkommen meist „diplomatische“ Immunität gewährt, d.h. Immunität auch für Privathandlungen.758 9. Ne impediatur legatio Dieser Grundsatz (Rz. 593) betrifft allenfalls mittelbar die Rechtsstellung der 796 Diplomaten bzw. des Personals der Missionen. Im Vordergrund steht vielmehr die Immunität des Staates, dessen Gesandtschaft ungestört funktionieren soll (Rz. 474).759 (S. auch Rz. 2147). 10. Archive und Schriftstücke der Mission Sie sind „wo immer sie sich befinden“ unverletzlich, Art. 24 WÜD. Sie sind je- 796a dem Zugriff des Empfangsstaates entzogen. Die Papiere dürfen nicht eingesehen, erst recht nicht weggenommen werden; die Mitglieder der Mission dürfen nicht gezwungen werden, über den Inhalt der Papiere auszusagen. Nach einer sehr problematischen Entscheidung des House of Lords760 dürfen solche diplomatischen Papiere aber im Prozess auch dann verwertet werden, wenn sie die diplomatischen Archive völkerrechtswidrig verlassen haben. Die Verletzung des Art. 24 WÜD bewirkt nach dieser Meinung also kein (prozessuales) Verwertungsverbot. 11. Kuriere Die amtliche Korrespondenz und die Kuriere genießen „im Durchreiseverkehr, 797 einschließlich der verschlüsselten Nachrichten, die gleiche Freiheit und den gleichen Schutz wie im Empfangsstaat“, Art. 40 III WÜD. 12. Rechtsstellung der Diplomaten in dritten Staaten: Keine erga omnes-Wirkung der diplomatischen Immunität Diplomaten, die um ihr Amt anzutreten oder um in ihren Heimatstaat zurück- 798 zukehren das Gebiet eines dritten Staates durchreisen oder sich dort befinden, sowie ihre sie begleitenden oder getrennt reisenden Familienangehörigen genießen in diesem Staate die Garantie der Unverletzlichkeit und alle sonstigen für die Reise erforderlichen Immunitäten, Art. 40 I WÜD. Die Durchreise des Ver-
758 Um den Missbrauch solch weiter Immunitäten zu vermeiden, kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Immunität jedes ihrer Beamten „aufheben, wenn die Immunität verhindern würde, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird“. 759 Zu einem pauschal erklärten Immunitätsverzicht s. Rz. 562 a.E. 760 House of Lords v. 3.12.1987, im Fall Shearson Lehman Brothers Inc., and others v. McLaine, Watson & Comp. Ltd. and others (zit. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 288 [§ 38 I 4]).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
waltungs-, technischen und Hauspersonals darf nicht behindert werden, Art. 40 II WÜD.761 799 Daraus folgt grundsätzlich keine Befreiung von der Zivilgerichtsbarkeit.762 Die Vollstreckungsorgane des Durchreise-Staats dürfen aber keine Vollstreckungsmaßnahmen (wegen eines zivilrechtlichen Titels) vornehmen, welche die Durchreise behindern, wie z.B. persönlicher Arrest (§ 918 ZPO) oder Verhaftung (§§ 888 ff., 901 ZPO). 13. Ende der Immunität 799a Nach Art. 39 WÜD endet die diplomatische Immunität einer Person, deren dienstliche Tätigkeit im Empfangsstaat beendet ist, mit der Ausreise bzw. mit Ablauf der hierfür gesetzten angemessenen Frist. Für die Akte in Ausübung dienstlicher Tätigkeit als Mitglied der Mission bleibt sie jedoch bestehen. Denn insoweit ist die Immunität des Entsendestaates betroffen, die nach wie vor fortbesteht. Die dienstlichen Handlungen sind diesem zuzurechnen.763 Ein gerichtliches Verfahren gegen den (ehemaligen) Diplomaten käme in seinen Auswirkungen einem Verfahren gegen den Entsendestaat nahe. Die fortwirkende diplomatische Immunität für dienstliche Handlungen dient deshalb dem Schutz des Entsendestaates selbst. Der Bereich des dienstlichen Handelns ist weit zu fassen. Es kommt nicht darauf an, dass der konkrete in Frage stehende Akt der Erfüllung diplomatischer Aufgaben i.S. des Art. 3 WÜD dient.764 Dass das Handeln des Diplomaten nach dem Recht des Empfangsstaates rechtswidrig und sogar strafbar ist, schließt dienstliches Handeln nicht aus. Zwar gehört die Begehung von Straftaten schlechthin nicht zu den Aufgaben einer diplomatischen Mission. Wäre aber deshalb eine Straftat niemals dem dienstlichen Handeln zuzuordnen, wäre die (fortbestehende) diplomatische Immunität inhaltsleer.765 14. Nichtvertragsstaaten des Wiener Übereinkommens 800 Deutschland wendet das WÜD auch gegenüber Nichtvertragsstaaten an, § 18 Satz 2 GVG. Hierzu besteht jedoch keine Verpflichtung aufgrund des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts.766 15. Verletzung der diplomatischen Vorrechte 800a Neben dem Entsendestaat ist das Diplomatische Korps (= Gesamtheit aller im Empfangsstaat akkreditierten Diplomaten), vertreten durch seinen Doyen (Art. 16 III WÜK), gewohnheitsrechtlich dazu berufen, die Respektierung der diplomati761 Allgemein Doehringer/Ress AVR 37 (1999), 68. 762 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 285 (§ 37 I 3); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 914. S. auch BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (54). 763 BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (51). 764 Salmon, Manuel de Droit Diplomatique, 1994, 458 ff. 765 BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50 (52). 766 BVerfG v. 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68 = NJW 1998, 50.
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schen Vorrechte zu überwachen. Wird das Diplomatische Korps vorstellig, so ist dies gegenüber dem Empfangsstaat keine Einmischung (Rz. 220). 16. Rechtsschutz durch den Entsendestaat Die Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates befreit nicht von 800b der Gerichtsbarkeit des Entsendestaates, Art. 31 IV WÜD. Der Entsendestaat ist als Ausgleich dafür, dass die Rechtsverfolgung (für Private) im Empfangsstaat wegen des Immunitätsanspruchs des Entsendestaates unmöglich ist von Völkerrechts wegen verpflichtet, vor seinen Gerichten den Rechtsweg zu eröffnen, auch wenn nach seinem allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht eine internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist, z.B. weil der Diplomat seinen Wohnsitz nicht im Entsendestaat hat.767 Deutschland hat durch die Wohnsitzfiktion bzw. Auffangregel des § 15 I ZPO Rechtsschutz (nur) gegen Deutsche garantiert (Rz. 1273, 1934).768 Daneben besteht u.U. eine Klagemöglichkeit in einem dritten Staat, z.B. am forum solutionis vel delicti.
IV. Spezialmissionen Die VN-Konvention vom 16.12.1969 über Spezialmissionen769 will in modifi- 801 zierter Form die Wiener Diplomatenkonvention auf Spezialmissionen erstrecken; für die von ihr nicht behandelten Fragen bleibt das bisherige Völkergewohnheitsrecht unberührt.770 Als Spezialmission (special mission) definiert dieses Übereinkommen eine zwi- 802 schen zwei oder mehreren Staaten vereinbarte und einvernehmlich wieder auflösbare „temporary mission“ zur Erfüllung bestimmter Aufgaben (Art. 16, 13, 20).771 Die meisten Regeln der Konvention vom 16.12.1969 folgen nahezu wörtlich dem WÜD:772 – Art. 25 und 26 über die Unverletzlichkeit der Missionsräume und der Archi- 803 ve. Diese Räume dürfen nur mit Zustimmung des Missionsleiters oder der Leitung der diplomatischen Mission betreten werden;
767 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 279 Fn. 12. 768 Zur verfassungsrechtlichen Perspektive R. Geimer, ZfRV 1992, 404. 769 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 265. 770 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 915 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 297 (§ 40); Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 87 ff. 771 Zu Recht betont LG Düsseldorf, EuGRZ 10 (1983), 440 im Fall Tabatabai, dass „die wirksame Errichtung einer Spezialmission in jedem Fall eine Vereinbarung der beteiligten Staaten über eine zu erfüllende bestimmte Aufgabe (Funktion) der Spezialmission“ voraussetzt. S. auch BGH v. 27.2.1984 – 3 StR 396/83, BGHSt 32, 275 = MDR 1984, 506 = NJW 1984, 2048 (Bocklaff 2742); OLG Düsseldorf v. 20.3.1986 – 1 Ws 1102/85, MDR 1986, 779 = NJW 1986, 2204. 772 Hierzu Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 265.
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Dritter Teil
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– Art. 28 über die Befugnis der Mission, mit ihrer Regierung und anderen Dienststellen ungehindert, auch durch Kuriere, zu verkehren, einschließlich deren Unverletzlichkeit; – Art. 47 über die Pflicht der Missionsmitglieder zur Befolgung der Rechtsnormen des Empfangsstaates und der Nichteinmischung in dessen innere Angelegenheiten; – Art. 29 über die persönliche Unverletzlichkeit der Missionsmitglieder und die Pflicht des Empfangsstaates, sie „with due respect“ zu behandeln; – Art. 30 über die Unverletzlichkeit ihrer Wohnungen und Schriftstücke; – Art. 31 über die gerichtliche Immunität, jedoch mit der weiteren Ausnahme, dass gegen diese Personen Klagen zulässig sind „for damages arising out of an accident caused by a vehicle used outside the official functions of the person concerned“; – Art. 39 über die ihren Familienangehörigen zustehenden Privilegien und Immunitäten; – Art. 36, 37, 38 und 40 über die Einschränkung dieser Rechte für Angehörige des Empfangsstaates, des Verwaltungs- und technischen Personals sowie der Hausangestellten; – Art. 41 über den Verzicht auf die gerichtliche Immunität und die Voraussetzungen einer Widerklage; – Art. 43 über die Dauer der Immunität; – Art. 48 über das Verbot einer auf Gewinn gerichteten Tätigkeit im Empfangsstaat; – Art. 42 über die Rechtsstellung der Missionsmitglieder bei der Durchreise durch Drittstaaten. 804 Art. 21 unterstreicht, dass den Staatsoberhäuptern, Regierungsmitgliedern, Außenministern und anderen Personen hohen Ranges sowohl im Empfangsstaat wie in dritten Staaten außer den bereits angeführten Vorrechten auch jene zustehen, die im allgemeinen Völkerrecht begründet sind.
V. Konsularische Vertretungen 1. Immunität nur für dienstliches Handeln 805 Für Mitglieder der konsularischen Vertretungen einschließlich der Wahlkonsuln besteht Gerichtsfreiheit nach der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen WÜK vom 24.4.1963773 nicht absolut, sondern nur bezogen jeweils auf die Amtshandlung.774 Danach unterliegen Konsuln sowie Bedienstete des Verwaltungs- oder technischen Personals wegen Handlungen, die sie in Wahrneh-
773 BGBl. II 1969, 1589. Hierzu Lee, Consular Law and Practice3. 774 OLG Düsseldorf v. 3.5.1996 – 2 Ws 139/96, DAR 1996, 413 = NZV 1997, 92 = IPRspr. 1996 Nr. 133.
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mung konsularischer Aufgaben vorgenommen haben, nicht der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates, Art. 43 I WÜK (s. hierzu Rz. 811). Vertragsklagen: Die Befreiung von der Zivilgerichtsbarkeit für Amtshandlungen 806 gilt nicht für Zivilklagen, die aus einem Vertrag entstehen, den ein Konsul oder ein Bediensteter geschlossen hat, ohne dabei ausdrücklich oder sonst erkennbar im Auftrag des Entsendestaates (Rz. 490) gehandelt zu haben, Art. 43 II (a) WÜK. Maßgebend ist nicht der innere Wille des Konsuls, sondern „die äußere Erscheinungsform seiner Erklärung“. Dabei liegt im Zweifel ein Handeln im Namen des Entsendestaates näher als privates Handeln.775 Gerichtsbarkeit besteht auch, wenn die Zivilklage wegen eines Unfallschadens 807 angestrengt wird, der im Empfangsstaat von einem Land-, Wasser- oder Luftfahrzeug verursacht worden ist, Art. 43 II (b) WÜK. Zwangsvollstreckung ist zulässig in persönliches Vermögen des Konsuls, nicht 807a jedoch in Vermögenswerte, die er in dienstlicher Eigenschaft besitzt, z.B. Gelder für die Bezahlung der Personal- und Sachkosten des Konsulats.776 Deliktisches Handeln: Schwierig ist die Abgrenzung der Handlungen in Wahr- 807b nehmung konsularischer Aufgaben. Darunter kann man nicht mehr die Heimfahrt des Konsuls von der Reeperbahn subsumieren, wenn dieser den Mitgliedern einer Handelsdelegation seines Landes nach Abschluss des offiziellen Besuchsprogramms (Abendessen) noch das „Nachtleben“ der Stadt seines Amtssitzes vorgeführt hat.777 2. Zeugnispflicht Konsuln gleich welchen Ranges unterliegen anders als die Diplomaten der Zeug- 808 nispflicht, haben aber ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fragen, die ihre Amtshandlungen betreffen, Art. 44 WÜK.778 3. Urkundenvorlage Für die Pflicht zur Urkundenvorlage gelten die allgemeinen Vorschriften des 809 Empfangsstaats. Die Vorlage von amtlichen Schriftstücken kann jedoch nicht verlangt werden, Art. 44 III 1 WÜK. 4. Immunitätsverzicht Bezüglich des Verzichts auf die Immunität gilt das Gleiche wie bei der diploma- 810 tischen Immunität, Rz. 791. Allerdings verlangt Art. 45 II WÜK anders als das 775 BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 66/83, NJW-RR 1986, 484 = JZ 1985, 951 = MDR 1985, 1001 = IPRspr. 1985 Nr. 1. 776 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 312. Differenzierend Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 276. 777 OLG Hamburg v. 30.6.1988 – 1 Ss 83/88, MDR 1988, 885 = NJW 1988, 2191; OLG Karlsruhe v. 16.7.2004 – 2 Ss 42/04, NJW 2004, 3273. 778 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 312 (§ 44 II 4); Ahrens in Wieczorek/ Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 80.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
WÜD Schriftform (Rz. 629).779 Der Konsulatsangehörige kann nicht selbst auf seine Privilegien verzichten. Dies ist vielmehr Aufgabe des Entsendestaates, Art. 45 I WÜK. Jedoch kann er durch Erhebung der Klage eine Widerklage provozieren. Dann ist kein besonderer Verzicht des Entsendestaates erforderlich, Art. 45 III WÜK. Anders als der Leiter der diplomatischen Mission (Rz. 474, 792) ist der Leiter der konsularischen Vertretung zum Verzicht nicht ermächtigt.780 5. Abgrenzung zwischen konsularischen (dienstlichen) und privaten (nichtdienstlichen) Tätigkeiten 811 Ein Handeln in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben liegt vor, wenn ein innerer und äußerer Zusammenhang zwischen dem Handeln und der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben besteht. Deren Umfang i.S. des Art. 43 I WÜK bestimmt sich nach Art. 5 WÜK.781 Danach ist die Förderung der Entwicklung kommerzieller und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen dem Entsendestaat und dem Empfangsstaat als der Kernbereich der Konsulartätigkeit anzusehen.782 Die Mitwirkung auf dem Gebiet der außerwirtschaftlichen Beziehungen wird deshalb auch nach § 1 KonsularG zu den konsularischen Aufgaben gezählt. Beim Abschluss von Vermittlungsverträgen mit kommerziellem Inhalt, die den außenwirtschaftlichen Belangen dienen sollen, ist daher zu vermuten, dass der Abschluss solcher Verträge in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben i.S. von Art. 5 (b) WÜK erfolgt ist.783 6. Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben durch Konsularbeamte 812 Durch Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben erlangen die Konsularbeamten nicht die (weitergehende) diplomatische Immunität, Art. 17 I 2 WÜK. 7. Wahrnehmung konsularischer Aufgaben durch diplomatischen Vertreter 813 Umgekehrt werden die diplomatischen Immunitäten nicht berührt, wenn diplomatische Vertreter für konsularische Aufgaben eingesetzt werden, Art. 70 IV WÜK.784 8. Honorar- und Wahlkonsuln 814 Honorar- und Wahlkonsuln sind Privatpersonen (i.d.R. Angehörige des Empfangsstaates oder Personen, die dort ständig ansässig sind), die neben ihrem Hauptberuf konsularische Funktionen im Namen des Entsendestaates ausüben.
779 Hierfür besteht kein sachlicher Grund, Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 143. 780 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 312. 781 Hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 307. 782 v. Münch, Völkerrecht2, 343. 783 LG Hamburg v. 10.4.1986 – 2 O 189/85, NJW 1986, 3034 = RIW 1988, 478 = IPRspr. 1986 Nr. 127. 784 Nachw. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 306 Fn. 15 (§ 42 IV 2).
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Immunität von Truppen fremder Staaten
Dritter Teil
Diese genießen „lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen“, sofern ihnen der Empfangsstaat nicht zusätzliche Rechte gewährt, Art. 71 I WÜK. Der Empfangsstaat darf jedoch die Wahrnehmung ihrer konsularischen Aufgaben „nicht ungebührlich behindern“. Hinsichtlich der Immunität für Amtshandlungen sind Wahlkonsuln den Konsuln gleichgestellt, Art. 58 II WÜK, auch wenn sie Angehörige des Empfangsstaates sind, Art. 71 I WÜK. 9. Unverletzlichkeit der Konsulatsräume und Archive Es gilt das Gleiche, wie für die Räume der diplomatischen Mission, Art. 31, 33 815 WÜK.785 10. Beschränkung der persönlichen Freiheit des Konsularbeamten in Ausführung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils Eine Beschränkung der persönlichen Freiheit des Konsularbeamten in Ausfüh- 816 rung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils ist zulässig, Art. 41 II WÜK. Verboten ist aber ein persönlicher Arrest (§ 918 ZPO), da dieser (nur) eine vorläufige Maßnahme darstellt. 11. Nichtvertragsstaaten des Wiener Übereinkommens Deutschland wendet das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehun- 817 gen auch gegenüber Nichtvertragsstaaten an, § 19 I 2 GVG.786
5. Kapitel: Immunität von Truppen fremder Staaten I. Überblick Truppen fremder Staaten, die sich auf dem Gebiet eines Staates als Besatzungs- 818 truppen ohne dessen Zustimmung aufhalten, genießen nach der Haager Landkriegsordnung volle Immunität von der Gerichtsbarkeit des besetzten Landes. Bei einvernehmlicher Stationierung von Truppen fremder Staaten oder der Ver- 819 einten Nationen ist deren Rechtsstellung im Stationierungsland völkervertraglich geregelt. Im Allgemeinen sehen diese Verträge vor, dass für außerdienstliche Handlungen von Angehörigen der fremden Truppen die Zivilgerichtsbarkeit des Stationierungslandes unberührt bleibt.787 785 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 925; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 313 (§ 45). 786 Nachw. z.B. bei Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (193, 205). 787 Nachw. bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 477.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
II. NATO-Truppen 820 Für die in Deutschland stationierten Truppen der NATO-Staaten und deren ziviles Gefolge788 gilt das NATO-Truppenstatut (NTS) vom 19.6.1951 samt Zusatzabkommen vom 3.8.1959789 i.d.F. des Änderungsabkommens vom 18.3.1993790 nebst Ausführungsgesetz vom 18.8.1961791, ergänzt durch den Notenwechsel vom 25.9.1990.792 821 Für die verursachten Stationierungsschäden ist gem. Art. VIII Abs. 5 (a) NTS deutsches Recht maßgeblich. Die Schadensersatzklage ist nicht gegen den Entsendestaat, sondern in passiver Prozessstandschaft gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten, Art. 12 II, 25 NTS-AusfG.793 Für dienstliches Verhalten haftet nur der Entsendestaat, nicht der Schädiger. Art. VIII Abs. 5 (g) NTS stellt zwar den Schädiger nur von der Vollstreckung frei; aus der Gesamtkonzeption des NTS folgt jedoch, dass der Schädiger gänzlich freigestellt werden soll.794 Die Ersatzpflicht des Entsendestaates ist durch Anmelde- und Klagefristen begrenzt, Art. 6, 12 III NTS-AusfG.795 822 Für außerdienstliches Verhalten haftet der Schädiger persönlich; er ist auch voll gerichtspflichtig, d.h. er genießt keine Immunität.796 823 Anwendungsfälle: Klage wegen Schäden, die eine französische Pionierfähre bei einer Dienstfahrt auf dem Rhein an einem anderen Schiff verursacht hat797; Haftung für Stoßwellenschäden durch militärische Düsenflugzeuge.798
788 789 790 791 792 793
794 795 796 797 798
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Hierzu LAG Rh.-Pf. v. 14.1.2010 – 11 Sa 200/09, IPRspr. 2010 Nr. 74. BGBl. II 1961, 1183, 1219. BGBl. II 1994, 2594. BGBl. II 1961, 1183. BGBl. II 1990, 1250. Ausführlich Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 235; H. Berger, Die Verfahrensstandschaft für die Stationierungsstreitkräfte, 1995; Kraatz, NJW 1987, 1126; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 101 ff. Zu den zivilprozessualen Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts BAG v. 23.7.1981 – 6 ABR 74/78, AuR 1982, 36 = IPRspr. 1981 Nr. 148; Schwenk, NJW 1976, 1562; Geißler, NJW 1980, 2615 (2619); Kreft in RGRK12, § 839 BGB Rz. 69; Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305 (330); Sennekamp, NJW 1983, 2731 und Grasmann, BB 1980, 910. Für Klagen gegen die BRD als Prozessstandschafterin des Entsendestaates (Art. 56 VIII 2 ZA) ist Gerichtsbarkeit gegeben, BAG v. 30.11.1984 – 7 AZR 499/83, I AuR 1985, 164 = PRspr. 1984 Nr. 126. Enger OVG Rh.-Pf. v. 10.11.1994 –1 A 11198/93, NVwZ-RR 1996, 320 = IPRspr. 1995 Nr. 137. Zur Prozessstandschaft für Aktivprozesse s. OLG Karlsruhe v. 17.6.2004 – 12 U 22/04, VersR 2005, 1551 (Dumbs) = IPRspr. 2004 Nr. 33. Schack, IZVR6, Rz. 193; LG Heidelberg v. 4.12.1990 – 4 O 26/90, IPRax 1992, 96 (Furtak 78) = IPRspr. 1991 Nr. 52. BGH v. 7.11.1974, NJW 1975, 218 = MDR 1975, 211 = IPRspr. 1974 Nr. 145. BGH v. 30.10.1975 – III ZR 79/73, NJW 1976, 1030 = MDR 1976, 300. S. auch OLG Zweibrücken v. 23.11.1984 – 1 U 76/83, NJW 1985, 1298.
Einschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit
Dritter Teil
Bewaffnete Auslandseinsätze außerhalb des NATO-Gebiets: Für Einsätze außer- 823a halb des NATO-Gebiets kommt das NATO-Truppenstatut und damit auch dessen Haftungsregime nicht zur Anwendung.799
III. Deutsch-sowjetischer Truppenabzugsvertrag Nachdem alle Truppen aus Deutschland abgezogen sind, hat der Vertrag über 824 den befristeten Aufenthalt und den planmäßigen Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland vom 12.10.1990800 von wenigen Abwicklungsprozessen abgesehen nur mehr rechtshistorische Bedeutung. Nach Art. 17 I waren Rechtsbeziehungen zu Mitgliedern der ehedem sowjetischen, dann unter der „Jurisdiktion“ Russlands stehenden Truppen und deren Familienangehörigen oder zwischen diesen von der deutschen Gerichtsbarkeit ausgenommen.801 Für Passivprozesse sah Art. 21 III ähnlich wie Art. VIII (5) NTS eine Prozessstandschaft Deutschlands vor.802
IV. Deutsches Streitkräfteaufenthaltsgesetz Das Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehen- 824a den Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland vom 20.7.1995803 betrifft Streitkräfte aus Drittstaaten, die nicht der NATO angehören. Art. 1 SkAufG ermächtigt die Bundesregierung, mit dem jeweiligen ausländischen Staat Vereinbarungen (im Wesentlichen nach dem Modell des NATO-Truppenstatuts) zu schließen.804
6. Kapitel: Einschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf deutsches Auslandsvermögen Art. 2 des AHK-Gesetzes 63 vom 31.8.1951805 schränkt die Gerichtsbarkeit der 824b Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf deutsches (nach dem Zweiten Weltkrieg von den ehemaligen Kriegsgegnern beschlagnahmtes) Auslandsvermögen ein. Danach ist die Erhebung von Ansprüchen oder Klagen, die sich auf die
799 Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (201). 800 BGBl. II 1991, 256. 801 Hierzu Mühl-Jäckel in Jayme/Furtak, Der Weg zur deutschen Rechtseinheit, 1991, 122, 393; Furtak, IPRax 1992, 79; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 243. 802 Hierzu Reus, MDR 1993, 414. 803 AHK-Gesetzes 63 v. 31.8.1951, BGBl. II 1951, 554. 804 Hierzu z.B. Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausländische Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305 (331). 805 ABl.AHK 1107.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
Übertragung, Liquidierung oder Übergabe der unter das AHK-Gesetz 63 fallenden Vermögensgegenstände beziehen, – gegen Personen, die Eigentum oder Besitz an diesen Vermögensgegenständen übertragen oder erworben haben, oder gegen diese Vermögensgegenstände, – gegen eine internationale Stelle, gegen die Regierung eines ausländischen Staates oder gegen in Übereinstimmung mit der Anweisung einer solchen Stelle oder Regierung handelnde Personen unzulässig.806 824c Hinzu kommt Teil VI, Art. 3 III des Überleitungsvertrages vom 23.10.1954:807 Danach fehlt die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland für Klagen gegen Personen, die aufgrund von Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustandes oder aufgrund von Abkommen, welche die Drei Mächte (Frankreich, USA, Vereinigtes Königreich) mit anderen alliierten Staaten, neutralen Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden, Eigentum erworben oder Eigentum übertragen haben, sowie für Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen, oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben. Nach Art. 3 III werden „Ansprüche und Klagen“ gegen die genannten Personen „nicht zugelassen.“808 Dies gilt entsprechend auch für Klagen gegen den Entleiher eines enteigneten Gegenstandes, wenn dieser sein Recht zum Besitz von einer Person ableitet, die durch eine in jener Vorschrift genannte Maßnahme Eigentum erworben hat.809
806 S. z.B. BGH v. 31.8.1951, BGHZ 8, 378: Streit zwischen zwei in Deutschland wohnhaften Sudetendeutschen betreffend den durch die Beneš-Dekrete enteigneten Grundbesitz. Die Anwendung des AHKG kann auch zu internationalen Verwicklungen führen. So hat das Fürstentum Liechtenstein (erfolglos) die Bundesrepublik Deutschland vor dem IGH verklagt, weil die deutschen Gerichte die rei vindicatio-Klage hinsichtlich in der CˇSSR enteigneter Kunstgegenstände abgewiesen haben; diese befanden sich als Leihgaben für eine Ausstellung (vorübergehend) in Deutschland. S. auch Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (130). 807 BGBl. II 1955, 405. 808 OLG Frankfurt v. 18.12.1985, IPRspr. 1986 Nr. 125a; BGH v. 17.11.1986 – II ZR 47/86, WM 1987, 153 = IPRspr. 1986 Nr. 125b; BVerfG v. 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97, IPRax 1998, 482 (Doehring 465) = AVR 1998, 198 (Weber 188) = VIZ 1998, 202 = IPRspr. 1998 Nr. 127; hierzu Fassbender, NJW 1999, 1445. S. auch BGH v. 11.4.1960, BGHZ 32, 173. 809 LG Köln v. 10.10.1995 – 5 O 182/92, IPRax 1996, 419 (Seidl-Hohenveldern 410) = IPRspr. 1996 Nr. 123a; OLG Köln v. 9.7.1996 – 22 U 215/95, ROW 1998, 242 = IPRspr. 1996 Nr. 123b.
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Internationale Organisationen
Dritter Teil
7. Kapitel: Immunität internationaler Organisationen I. Überblick Anders als bei Staaten erstreckt sich die Immunität der internationalen Organi- 825 sationen auch auf private Handlungen (acta iure gestionis), und zwar deshalb, weil wegen der funktionellen Beschränkung der Rechtspersönlichkeit jede Tätigkeit so eng mit den eigentlichen hoheitlichen Zwecken der Organisation verbunden ist, dass eine Ausklammerung von Privatakten nicht sinnvoll erscheint.810 Daher ist bei internationalen Organisationen die Aufrechterhaltung des Grundsatzes der absoluten Immunität im Gegensatz zur staatlichen Immunität sinnvoll und notwendig811, unter der Voraussetzung, dass der internationalen Organisation erwerbswirtschaftliche Aktivitäten nicht gestattet sind.812 Dagegen können internationale Organisationen, denen die Teilnahme am Wirt- 826 schaftsverkehr erlaubt ist, nicht absolute Immunität beanspruchen.813
810 So für Arbeitsrechtsstreitigkeiten (für in der Schweiz rekrutiertes Personal der Arabischen Liga für Archivtätigkeiten in deren Schweizer Büro) Schweiz. BG, IPRax 1999, 257 (Seidl-Hohenveldern 273); im gleichen Sinne schon Seidl-Hohenveldern, Die Immunität internationaler Organisationen in Dienstrechtsstreitfällen, 1981. A.A. Dominicé in FS Seidl-Hohenveldern, 1988, 93: m.w.N. bei Edgar Habscheid in FS Geimer, 2002, 255, 261 ff. sowie bei Gaillard/Pingel-Lenuzza, International Organisations and Immunity from Jurisdiction, 2002, 1. S. auch Reinisch, Int. Organisations Before National Courts, 2000; Reinisch, Verfahrensrechtliche Aspekte der Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, BerDGVR 42 (2007), 43, 71; Pfeiffer, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, 2007, 93, 95. 811 Seidl-Hohenveldern/Stein, 2000, Rz. 1499; Priess, Internationale Verwaltungsgerichte und Beschwerdeausschüsse, 1988, 57. 812 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 85. Nachw. bei De Bellis, L’immunità delle organizzazioni internazionali da la giurisdizione, 1992; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 287; Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen, in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 92 ff.; m.w.N. bei Sato, Immunität Internationaler Organisationen, 2003 sowie bei van der Hout, Die völkerrechtliche Stellung der Internationalen Organisationen unter besonderer Berücksichtigung der EU, 2006. 813 Vgl. Art. VIII (3) des Weltbank-Abkommens v. 1./22.7.1944, BGBl. II 1952, 664, 677. Zum Int. Zinnrat Hoffmann, NJW 1988, 585; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der int. Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften7, Rz. 1909; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 937. S. auch Kunz-Hallstein, NJW 1992, 3069, OGH Österreich v. 11.6.1992, österr. JZ 47 (1992), 661 = RIW 1993, 237 (Seidl-Hohenveldern) sowie Cour d’Appel Paris v. 10.2003, Rev. crit. d.i.p. 93 (2004), 409 (M. Audit).
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
827 Bestritten ist, ob bereits eine Regel des partikulären Völkergewohnheitsrechts (Rz. 501) internationalen Organisationen einen Immunitätsanspruch gibt.814 828 Die Immunität der internationalen Organisationen von der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit aller Mitgliedstaaten würde insbes. zur Rechtlosstellung der Arbeitnehmer815 dieser Organisationen führen und von Dritten, die durch die Organe/Bediensteten dieser Organisation geschädigt werden. Deshalb ist es notwendig, dass für diese Organisationen eine eigene unabhängige Stelle als Gericht organisiert wird. Denn die Immunität vor staatlichen Gerichten befreit die internationalen Organisationen nicht von ihrer Bindung an das Recht.816 Besteht keine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit bei der internationalen Organisation, taucht die Frage der „Rechtsschutzersatzhaftung“ der Bundesrepublik Deutschland auf. In solchen Extremfällen kann sich bei ausreichendem Inlandsbezug unter Berufung auf Art. 6 I EMRK817 bzw. Art. 47 II EuGrundrechtecharta der Rechtssuchende an die deutschen Gerichte wenden.818 Ebenso wie die Staaten (Rz. 629) können die internationalen Organisationen auf ihre Immunität verzichten.819
II. Vereinte Nationen 829 Art. 104 und 105 I der Satzung der Vereinten Nationen sehen Immunitäten für die VN-Organisationen nur insoweit vor, als diese „zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind“. Das zur Ausführung dieser Bestimmungen geschlossene Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen
814 Dafür Seidl-Hohenveldern in FS Schlochauer, 1981, 615; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 85; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 465 Fn. 3; Ebenroth/Fuhrmann, RIW 1989, 595 (598); Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 396, S. 127, der folgenden Satz des Völkergewohnheitsrechts aus der Staatenpraxis destilliert: „Internationale Organisationen genießen diejenigen Immunitäten, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind.“ 815 Priess, Internationale Verwaltungsgerichte und Beschwerdeausschüsse, 1988, 69. S. auch Streng, Dienstrecht in int. Organisationen: Rechtsverfolgung, Sanktion und Schadenersatz, 2002; Odenthal, Immunität Internationaler Organisationen bei Dienstrechtsstreitigkeiten, IPRax 2007, 339. 816 Näher Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 444, S. 142. S. auch Hailbronner, JZ 1998, 283 (286); Priess, a.a.O., 69; Schlüter, Die innerstaatliche Rechtsstellung der int. Organisationen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in der BRD, 1972, 167, 170. 817 EGMR v. 18.2.1999 – 22/1998/9, NJW 1999, 1173 (1174); E. Habscheid, IPRax 2001, 396; E. Habscheid in FS Geimer, 2002, 255. 818 R. Geimer, ZfRV 1992, 341; Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 173, S. 56, Rz. 1011, S. 326. Zur subsidiären gesamtschuldnerischen Haftung der Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation Rz. 219b. 819 Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd. 2000, Art. IX EGJN Rz. 141.
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Dritter Teil
vom 13.2.1946820 gewährt aber absolute Immunität: Die Organisationen der Vereinten Nationen, ihr Vermögen und ihre Guthaben, gleichviel wo und in wessen Besitz sie sich befinden, genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit, soweit nicht im Einzelfall die Organisation ausdrücklich darauf verzichtet hat.821
III. Beamte der Vereinten Nationen Die Beamten der Vereinten Nationen sind nach Art. V des Übereinkommens 830 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen in drei Gruppen eingeteilt822: 1. Der Generalsekretär und seine Stellvertreter (Under- und Assistant-Secretaries-General), ihre Ehegatten und minderjährigen Kinder (nicht aber Privatangestellte und ihr Dienstpersonal) genießen die vollen diplomatischen Privilegien und Immunitäten. 2. Die vom Generalsekretär bestimmten Beamtenkategorien genießen nur Immunität vor gerichtlichen Verfahren hinsichtlich aller von ihnen in ihrer amtlichen Eigenschaft gesetzten Handlungen, gesprochenen oder geschriebenen Äußerungen. 3. Die übrigen Beschäftigten, einschließlich der stundenweise und am Dienstorte angestellten, haben keine Vorrechte. Der Generalsekretär ist verpflichtet, soweit wie möglich, auf die Immunität sei- 831 ner Beamten zu verzichten. Über ein Delikt des Generalsekretärs selbst entscheidet der Sicherheitsrat. Im Gegensatz zu diplomatischen Vertretern steht den Beamten der Vereinten 832 Nationen zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit Immunität auch und gerade in ihrem eigenen Heimatstaat zu. Das Gros der VN-Beamten genießt aber nur Immunität für den dienstlichen Bereich.823 Andernfalls könnten private Ansprüche gegenüber VN-Beamten auch in deren Heimatstaat nicht verfolgt werden. Im Übrigen ist die dienstliche Tätigkeit dieser Beamten von ihrer privaten klarer trennbar als bei den Diplomaten, wo oft beide Bereiche ineinandergreifen, da sie ihre Aufgaben nicht nur in ihren Amtsräumen, sondern auch auf gesellschaftlichem Parkett erfüllen.824
820 BGBl. II 1980, 941. 821 Nachw. bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 1984, § 277; Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 208, S. 69. S. auch Thorn, Schadensersatzansprüche der Zivilbevölkerung gegen ausl. Besatzungsmächte, BerDGVR 44 (2010), 305 (335). 822 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 281 ff.; Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 959. 823 Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 533 (S. 171). S. auch Hailbronner, JZ 1998, 283 (285). 824 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 287.
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Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
IV. Sonderorganisationen der Vereinten Nationen 833 Die Sonderorganisationen selbst, ihre Beamten und die Delegierten der Mitgliedstaaten genießen aufgrund des Abkommens vom 21.11.1947 über die Vorrechte und Immunitäten der Sonderorganisationen825 ähnliche Vorrechte wie sie oben (Rz. 829 ff.) für die Vereinten Nationen beschrieben worden sind. So haben z.B. gehobene Angestellte der Sonderorganisation der VN für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) nur Immunität für Handlungen in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit.826 834 Für die Internationale Atom Energie-Agentur (IAEA) gilt das Privilegienabkommen vom 1.7.1959.827 835 Dazu tritt eine Reihe von Sitzabkommen („Headquarters Agreements“) zwischen einzelnen Spezialorganisationen und ihren jeweiligen Sitzstaaten.828
V. Sonstige internationale Organisationen 836 Einschlägig ist der für die jeweilige internationale Organisation und ihre Beamten maßgebliche Vertrag, insbes. im Sitzstaat das Sitzstaatabkommen.829
VI. Missionen und Delegationen bei universellen internationalen Organisationen 837 Die Rechtsstellung von Missionen und Delegationen bei universellen internationalen Organisationen soll durch die am 14.3.1975 zur Unterzeichnung aufgelegte „Vienna Convention on the Representation of States in their Relations with International Organizations of a Universal Character“ kodifiziert werden.830 Die Konvention regelt nicht nur die Immunitäten der ständigen diplomatischen Vertretungen bei solchen Organisationen (Art. 5–41), sondern auch die der Delegationen zu einem Organ oder einer Konferenz der Organisation (Art. 42–70). Die Privilegien und Immunitäten all dieser Personen im Gastland sind grundsätzlich den diplomatischen Rechten nachgebildet (Art. 23–41, 54–70).
825 BGBl. II 1954, 639. 826 BGH v. 6.10.1993 – XII ZR 116/92, MDR 1994, 67 = NJW 1993, 3262 = FamRZ 1994, 28 = LM Nr. 15 zu § 1605 BGB = IPRspr. 1993 Nr. 132. 827 BGBl. II 1960, 1993. 828 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 286. 829 So genießt z.B. die Europäische Weltraumorganisation Immunität vor deutschen Gerichten, BAG v. 10.11.1993 – 7 AZR 600/92, IPRax 1995, 33 (Seidl-Hohenveldern 14) = IPRspr. 1993 Nr. 133. Zusammenstellung bei Henrichs, RdA 1995, 158 und Wenckstern, NJW 1987, 1113. Vgl. auch Hug, Die Rechtsstellung der in der Schweiz niedergelassenen internationalen Organisationen, 1984, 83. Zum Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation Kuntz-Hallstein in Beier/Haertel/Schricker, Europäisches Patentübereinkommen, Münchener Gemeinschaftskommentar, 1984 ff. 830 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 935 ff.
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Internationale Organisationen
Dritter Teil
VII. Internationaler Gerichtshof Art. 19 des IGH-Statuts831 gewährt den Mitgliedern des Internationalen Gerichts- 838 hofs während der Ausübung ihres Amtes diplomatische Privilegien und Immunitäten. Ebenso genießen die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte der Parteien die für die Ausübung ihrer Funktion notwendigen Vorrechte, Art. 42 III des IGH-Statuts.832
VIII. Internationaler Strafgerichtshof Die Richter, der Ankläger, die Stellvertretenden Ankläger und der Kanzler haben 839 bei der Wahrnehmung der Geschäfte des Gerichtshofs und in Bezug auf diese die gleichen Vorrechte und Befreiungen wie Chefs diplomatischer Missionen nach Art. 48 II des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs.833
IX. Europäische Union Die Europäische Union (früher die Europäischen Gemeinschaften) genießt nach 840 Art. 1 Satz 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8.4.1965834 relative Vollstreckungsimmunität.835 Die Vermögensgegenstände und Guthaben der Union dürfen ohne Ermächtigung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht Gegenstand von Zwangsmaßnahmen sein.836 Sie haben im gleichen Umfang Depeschenrecht wie diplomatische Vertretungen, Art. 6. Die Bediensteten der Europäischen Union haben nach Art. 12 lit. a des genann- 841 ten Protokolls vom 8.4.1965 Immunität für die von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen.837
831 BGBl. II 1973, 503; Text z.B. auch bei Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II, D 261, S. 405 ff. 832 Hierzu Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour Internationale de Justice, 1980; Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II/1, Kap. I Rz. 252, S. 85, Rz. 644, S. 213, Rz. 966, S. 312; Koster, Immunität internationaler Richter gemessen an derjenigen der Diplomaten und der internationalen Funktionäre, 2002. 833 Konvention von Rom v. 17.7.1998, BGBl. II 2000, 1393 = ILM 1998, 999; hierzu BTDrucks. 14/2682; deutsche Übersetzung auch in EuGRZ 1998, 618. Umfangreiche allgemeine Nachw. z.B. bei Zemanek/Hafner/Wittich in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 2849 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, 2003; van Heeck, Die Weiterentwicklung des formellen Völkerstrafrechts, 2007; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 218 ff. 834 Protokoll Nr. 7 (BGBl. II 1965, 1482), zuletzt geändert durch den Vertrag von Lissabon, ABl. C 306/180 v. 17.12.2007, (konsolidierte Fassung S. 1068 ff.). Hierzu z.B. Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV5, Art. 343 AEUV Rz. 2 ff. 835 Art. 51 EUV, Art. 343 AEUV. 836 Vgl. z.B. EuGH v. 29.5.2001 – Rs. C 1/00 – SA Cotecna Inspection SA/Kommission der EG, EuZW 2001, 602. 837 Hierzu Hailbronner, JZ 1998, 283 (286).
353
Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
842 Für die Europol-Bediensteten gilt das auf der Grundlage des Art. 41 III des Europol-Übereinkommens vom 26.7.1995838 geschlossene Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten.
X. Nicht staatliche (private) internationale Organisationen (International Non Governmental Organisations [INGOs]) 843 Die sog. (International) Non Governmental Organisations (INGOs), d.h. private internationale Organisationen, sind im Prinzip keine Völkerrechtssubjekte839; das Gleiche gilt für ihre Mitglieder. Sie sind vielmehr „autonom organisierte Vereinigungen privaten Charakters, die unter den in ihrem Statut festgelegten Bedingungen Individuen oder Personenverbänden aus mehreren Staaten zugänglich sind und ohne Absicht eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes Verbandsziele von internationalem Interesse verfolgen.“840 Sie sind nach dem nationalen Privatrecht eines bestimmten Staates organisiert, z.B. als Verein, Stiftung, Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung. So ist z.B. das Internationale Olympische Komitee (IOK) ein Verein schweizerischen Rechts (Art. 60 ff. ZGB) mit dem Sitz in Lausanne.841 843a Da die vorgenannten privaten internationalen Organisationen internationale Aufgaben erfüllen, genießen sie gleichwohl eine beschränkte internationale Rechtsfähigkeit.842 Nach Art. 71 der Charta der Vereinten Nationen kann der Wirtschafts- und Sozialrat mit solchen Organisationen Vereinbarungen „for consultation“ abschließen. Das Gleiche gilt aufgrund von Vereinbarungen zwischen den NGOs und den Spezialorganisationen der Vereinten Nationen.843 Daraus folgt jedoch keine wie auch immer geartete Immunität kraft Völkerrechts. Befreiungen können sich allenfalls aus Spezialvereinbarungen mit dem Sitzstaat ergeben.844 843b Eine besondere Stellung beansprucht das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).845
838 ABl. EG Nr. C 316/5 v. 27.11.1997; BGBl. II 1997, 2150; hierzu BT-Drucks. 13/7391 sowie BT-Drucks. 13/9084. 839 Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1234 ff. Allgemeine Nachw. auch bei Nikol/Bernhard/Schniederjahn, Transnationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen im Völkerrecht, 2013. 840 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 416. 841 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 97 Fn. 129. 842 Hierzu auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 40. 843 Hierzu Verdross/Simma, a.a.O., § 416. 844 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 97. 845 Kren Kostkiewicz, a.a.O., 101.
354
Prüfung der Gerichtsbarkeit von Amts wegen
Dritter Teil
8. Kapitel: Prüfung der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland in jeder Lage des Verfahrens I. Prüfung nach der Inquisitionsmaxime Das Vorliegen der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland ist in jeder 843c Lage des Verfahrens846 von Amts wegen nach der Inquisitionsmaxime zu prüfen (Rz. 525).847 Dabei ist das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht weder an den Vortrag der Beteiligten noch an die Feststellungen der Vorinstanzen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gebunden. Auch ein nicht angefochtenes Zwischenurteil, das die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit zu Unrecht verneint, bindet nicht.848 Es muss im Interesse des Immunitätsschutzes sogar nach der Inquisitionsmaxime verfahren.849 Es spielt keine Rolle, dass der die Immunität beanspruchende Staat sich nicht 843d an den innerstaatlichen Gerichtsverfahren beteiligt hat. Er ist kraft Völkergewohnheitsrechts nicht verpflichtet, sich auf die Immunität zu berufen. Es findet auch bei Nichtrüge eine Präklusion nicht statt. Im Falle einer Immunitätsverletzung wäre Deutschland zur Naturalrestitution verpflichtet (Rz. 203 ff.).850
II. Keine perpetuatio iurisdictionis Eine perpetuatio iurisdictionis gibt es nicht.851 Fallen die Voraussetzungen für 843e die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Klageerhebung weg,
846 Wurde der falsche Rechtsweg gewählt, so erfolgt bei fehlender Gerichtsbarkeit gleichwohl Klageabweisung, nicht Verweisung nach § 17a II GVG, VGH Hess. v. 17.2.2010 – 7E 2900/09, NJW 2010, 2680 = IPRspr. 2010 Nr. 181. 847 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 63 ff.; Martin, Prozeßvoraussetzungen und Revision, 1974, 137; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 19 Rz. 14; Pollinger, Intertemporales Zivilprozeßrecht, 1988, 53; Kren Kostkiewicz, a.a.O., 479 ff. 848 BGH v. 9.7.2009 – III ZR 46/08, BGHZ 182, 10 = MDR 2009, 1239 = NJW 2009, 3164 = IPRspr. 2009 Nr. 160b; Vorinstanz: OLG Frankfurt/M. v. 13.2.2008 – 17 U 50/07, IPRSpr. 2009 Nr. 160a. 849 BGH v. 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, MDR 2003, 1135 = NJW-RR 2003, 1218 = WM 2003, 1388 = IPRspr. 2003 Nr. 115 (hierzu Geimer, LMK 2003, 174 und Becker, JuS 2004, 470). 850 Andererseits sollte der betroffene Staat in Erwägung ziehen, ob es nach den Gegebenheiten des konkreten Falles nicht besser ist, sich am Verfahren zu beteiligen, um auf innerstaatlicher Ebene ein Fehlurteil zu verhindern. Denn de facto hat er aus innerstaatlicher Sicht die prozessuale Last, sich gegen Fehlurteile zur Wehr zu setzen, Rz. 526. 851 Ebenso § 42 II JN i.d.F. der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 (WGN 1997); hierzu Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (306).
355
Dritter Teil
Gerichtsbarkeit
z.B. weil der Beklagte zum Botschafter ernannt und von der Bundesregierung akkreditiert wird, so entfällt eine Prozessvoraussetzung mit der Folge der Klageabweisung durch Prozessurteil.852
852 RG v. 16.5.1938, RGZ 157, 389 (394) = JW 1938, 2291 (Pagenstecher) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 521b; Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 44; Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 353; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 361; Martin, a.a.O., 137; Pollinger, Intertemporales Zivilprozeßrecht, 1988, 54; a.A. Kleinfeller, ZZP 65, 129 (147 ff.); Bobrik, Die Bedeutung der Exterritorialität der Gesandten für den Zivilprozeß, 1934, 106 ff.
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Vierter Teil: Internationale Zuständigkeit Literatur: Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensachverhalte unter besonderer Berücksichtigung es Kommissionsvorschlags KOM (2010) endg., Diss. Konstanz, 2014; Brandenberg/Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 1991; Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit. Lösungsansätze für eine zukünftige Gerichtsstands- und Vollstreckungskonvention, 1998; Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes Lugano-Übereinkommen Zum räumlich-persönlichen Anwendungsbereich des europäischen Rechts über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen, 2009; Cube, Die internationale Zuständigkeit der englischen Zivilgerichte: Im Spannungsverhältnis von Common Law und Europarecht, Diss. Göttingen 2004; Dessauer, Internationales Privatrecht, Ethik und Politik, 1986; Dolge, Internationale Zuständigkeit für zwangsvollstreckungsrechtliche Klagen nach dem revidierten Lugano-Übereinkommen, 2009; Dorsel, Forum non conveniens. Richterliche Beschränkung der Wahl des Gerichtsstandes im deutschen und amerikanischen Recht, 1996; Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146, 147; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985; Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr – Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung, 1991; Erwand, forum non conveniens und EuGVÜ, 1996; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966; Gilles, Transnationales Zivilverfahrensrecht, 1995; Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts – die internationale Dimension, 1991; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996; Haunhorst, Die wesenseigene (Un-)Zuständigkeit deutscher Gerichte, 1994; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969; Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts – Japanisch-deutsch-schweizerisches Symposion über aktuelle Fragen des Internationalen Zivilverfahrensrechts im Verhältnis zu den USA, 1994; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992; Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, Diss. Zürich, 2010; Jasper, Forum shopping in England und Deutschland, 1990; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998; Koberg, Zivilprozessuale Besonderheiten bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, 1992; Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2010; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005; Kraus, Die deutsche und internationale Zuständigkeit im Nachlassverfahren, Diss. Würzburg 1993, 1995; Kropholler, Internationales Privatrecht einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts6, 2006, § 58; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999; Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und darauf anwendbares Recht, Diss. Passau 2000, 357
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
2002; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 116 ff.; Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009; Markus, [Schweizer] IZPR, 2014, Rz. 171 ff.; von Mehren, Theory and Practice of Adjudicatory Authority in Private International Law: A Comparative Study of the Doctrine, Policies and Practices of Common- and Civil-Law-Systems, RdC 295 (2002), 9; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982; Harald Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992; Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929; Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996; Nuyts, L’exception de forum non conveniens, 2003; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen – Gerechtigkeit durch Verfahrensabstimmung?, 1998; Otto, Der prozessuale Durchgriff – Die Nutzung forumansässiger Tochtergesellschaften in Verfahren gegen ihre auswärtigen Muttergesellschaften im Recht der USA, der EG und der Bundesrepublik Deutschland, 1993; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit – Die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik, 1995; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im IPR, 1938; Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte – Eine Untersuchung auf Grundlage des FamFG und der Erbrechtsverordnung, Diss. Konstanz, 2011, 185 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971; Schütze, Rechtsverfolgung Ausland3, 2002, Rz. 50 ff.; Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 101 ff.; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, 2009, Rz. 74 ff.; Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht, 1994; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, § 606a ZPO Rz. 52 ff.; Stingl, Forum selection in the conflict of laws, 2001; Welp, Internationale Zuständigkeit über auswärtige Gesellschaften mit Inlandstöchtern im US-amerikanischen Zivilprozess, 1982.
1. Kapitel: Generalia I. Begriff der internationalen Zuständigkeit 844 Unter internationaler Zuständigkeit versteht man die Zuweisung von Rechtsprechungsaufgaben an einen Staat als solchen. Die nationalen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit regeln, welche Rechtsstreitigkeiten die Gerichte eines bestimmten Staates zu entscheiden haben. Aus der Gesamtheit aller auf der Welt auftretenden Rechtsstreitigkeiten (Rechtsprechungsaufgaben) werden – vom nationalen Gesetzgeber, da ein supranationaler fehlt (Rz. 848), – diejenigen bestimmt, für deren Behandlung ein bestimmter Staat zuständig sein soll.
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Generalia
Vierter Teil
Adressat der Normen über die internationale Zuständigkeit und damit Empfän- 845 ger der Zuweisung von Rechtsprechungsaufgaben sind die Staaten als solche, man spricht daher auch von staatlicher Zuständigkeit. Durch welche ihrer Organe die Staaten die ihnen zugewiesenen Rechtsprechungsaufgaben erfüllen lassen, ist nicht die Frage der internationalen Zuständigkeit. Von den Normen über die internationale Zuständigkeit sind daher diejenigen Normen abzugrenzen, die sich mit der innerstaatlichen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben befassen. Es sind dies der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20, 92 GG), durch welchen die rechtsprechende Gewalt den Gerichten übertragen wird, die Normen über die Zulässigkeit des Rechtsweges1 und über die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit. Es ist deshalb logisch nicht korrekt, der „internationalen Gerichtszuständigkeit“ die „internationale Verwaltungszuständigkeit“ gegenüberzustellen.2 Streng genommen ist es auch ungenau, wenn in der Praxis die internationale Zuständigkeit auf ein konkretes Gericht3 oder sogar auf eine Instanz (Rz. 1547) bezogen wird.4
II. Verhältnis zur Gerichtsbarkeit Die internationale Zuständigkeit setzt die Gerichtsbarkeit voraus. Das Verhältnis 846 beider Begriffe zueinander ist also durch die logische Priorität der Gerichtsbarkeit gekennzeichnet.5 Dies schließt jedoch nicht aus, die internationale Zustän-
1 Dabei ist die Zahl der Fälle, in denen Verwaltungsgerichte sich mit „internationalen Fällen“ zu befassen haben, durch die Staatenimmunität für acta iure imperii (Rz. 578) im Vergleich zum Anfall bei den Zivilgerichten von vornherein stark limitiert, Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 308 Fn. 58. 2 So aber OVG Hamburg v. 21.3.1984, StAZ 1985, 45 = IPRspr. 1984 Nr. 12. 3 Z.B. OLG München v. 13.2.1985, IPRspr. 1985 Nr. 133A: „Die internationale Zuständigkeit des LG München I ergibt sich aus Art. 17 GVÜ“; ebenso OLG Hamm v. 27.2.1985 – 20 U 222/84, IPRax 1986, 104 (Schack 82); OLG Hamm v. 3.12.1993 – 12 U 18/92, IPRax 1995, 104 (Rüßmann 76) = IPRspr. 1993 Nr. 164: „Das LG Bochum ist international zuständig.“ Noch intensiver OLG Koblenz v. 10.5.1985 – 2 U 1722/83, IPRax 1986, 237 (Piltz 225) = IPRspr. 1985 Nr. 138: „Für die Klage sind das angerufene LG Mainz und das im Berufungsrechtszug angerufene OLG international zuständig“. 4 Noch enger LG München v. 2.4.1992 – 4 HKO 21509/91, VuR 1993, 62 = IPRspr. 1993 Nr. 117a, das die internationale Zuständigkeit für den konkreten Spruchkörper reklamiert: „Die erkennende Kammer ist örtlich und international zuständig“. 5 BGH v. 26.9.1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101; Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, 1993, Nr. 690; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 69; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 150; de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 93; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 106, 112; Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit (der inländischen Zuständigkeit) in FS Schlosser, 2005, 561, 563: nach der Sprache der formalen Logik im Verhältnis der „intensiven Implikation“ stehend.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
digkeit vor der Gerichtsbarkeit zu prüfen und zu verneinen.6 So kann z.B. die Frage, ob der Beklagte Immunität beanspruchen kann, offenbleiben, wenn feststeht, dass eine Anknüpfung für die internationale Zuständigkeit – die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland vorausgesetzt – nicht gegeben ist7 (Rz. 1842). Praktisch bedeutet die Normierung der internationalen Zuständigkeit die Festlegung des Umfangs, in welchem ein Staat von seiner Gerichtsbarkeit Gebrauch machen will.8 Denkbar ist aber auch die Überschreitung der den Staaten durch das Völkergewohnheitsrecht gesetzten Grenzen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch ein nationales Zuständigkeitsgesetz. Dieses kann trotz seiner Völkerrechtswidrigkeit innerstaatlich wirksam sein und praktiziert werden (Rz. 470a, 1011).
III. Verhältnis zur örtlichen Zuständigkeit 847 Auch wenn auf weiten Strecken (Rz. 943 ff.) – mittlerweile weltweit (so trotz Art. 14/15 Code Civil nun auch Frankreich, Rz. 972c) – die Anknüpfungspunkte für die internationale Zuständigkeit mit denen für die örtliche Zuständigkeit übereinstimmen (Doppelfunktionstheorie, Rz. 943), sind logisch beide Komplexe klar zu trennen. Bei der internationalen Zuständigkeit geht es um die Frage, ob Deutschland überhaupt in einer Rechtssache bzw. in einem Rechtsstreit tätig werden soll; erst dann stellt sich die Frage der internen Zuweisung (Rz. 845).
IV. Fehlen einer völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung 848 Die Verteilung aller auf dieser Welt auftretenden Rechtsprechungsaufgaben auf die einzelnen Staaten und damit die Regelung der internationalen Zuständigkeit wäre an sich Aufgabe des Völkerrechts. Normen des Völkergewohnheitsrechts über die internationale Zuständigkeit sind jedoch nicht feststellbar. Damit haben die nationalen Gesetzgeber (bzw. die EU, s. Rz. 245c) bei der Regelung der inter-
6 Anders z.B. Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 53. 7 Wenckstern in Handbuch des IZVR, Bd. II1, Kap. I Rz. 999, S. 321. Gegen die begriffliche Trennung von Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit spricht sich Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 390 mit wenig überzeugenden Argumenten aus. Auch die in Österreich h.M. lehnt nach wie vor eine Unterscheidung zwischen Gerichtsbarkeit („Gerichtsgewalt“) und internationaler Zuständigkeit ab, Nachw. z.B. bei Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit (der inländischen Zuständigkeit) in FS Schlosser, 2005, 561, 563 ff. Dagegen Bajons, ZfRV 1972, 91; Hoyer, ZfRV 1988, 44. Vermittelnd Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., vor Art. IX EGJN Rz. 69 ff.; Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts Erkenntnisverfahren7, 2009, Rz. 72 ff. 8 So betrachtet „stellt jede Regelung zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines Landes eine (freiwillige) Einschränkung der an sich gegebenen Gerichtsbarkeit eines Staates dar“, de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 93.
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Generalia
Vierter Teil
nationalen Zuständigkeit freie Hand (Rz. 126).9 Eine Ausnahme gilt nur, sofern sie sich durch völkerrechtliche Verträge gebunden haben. Mag auch der Regelungsspielraum sehr groß sein, jeglicher Rechtsprechungs- 849 tätigkeit darf sich kein Staat enthalten: Justizverweigerung (déni de justice) ist verboten (Rz. 129).10 Da die Gesetzgeber den jeweiligen nationalen Rechtstraditionen und juristischen Denkstrukturen ihres Landes folgen, weichen die nationalen Regelungen im Ausgangspunkt und im Detail (vgl. Rz. 1578) nicht unerheblich voneinander ab. Dies kann zu einer übermäßigen Vermehrung der (miteinander) konkurrierenden internationalen Zuständigkeiten und damit der Klagemöglichkeiten für den Kläger führen mit der Folge eines abundanten forum shopping (Rz. 1095). Andererseits kann es auch zu einem negativen Kompetenzkonflikt kommen (Rz. 1024). Im Anerkennungsstadium werden aufgrund des Spiegelbildprinzips der § 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG und des § 343 I 2 Nr. 1 InsO die deutschen Vorstellungen über eine sinnvolle Regelung der internationalen Zuständigkeit auch gegenüber ausländischen Entscheidungen (mittelbar) durchgesetzt.11 Das deutsche Recht kennt – anders als das französische – keine Generalklausel, die es gestatten würde, die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates zu bejahen, wenn sich diese auf Anknüpfungspunkte stützt, die zwar durchaus sinnvoll, also keineswegs „exorbitant“, jedoch dem deutschen Recht nicht bekannt sind (Rz. 2897).
V. Gegenstand der Normen über die internationale Zuständigkeit Eigenstaatliche internationale Zuständigkeit (Entscheidungszuständigkeit): Die- 850 se Normen bestimmen die Grenzen der internationalen Zuständigkeit des eigenen Staates, d.h. bestimmen, für welche Rechtsstreitigkeiten die Gerichte des eigenen Staates zuständig sein sollen. Fremdstaatliche internationale Zuständigkeit (Anerkennungszuständigkeit): 851 Diese Normen legen fest, unter welchen Voraussetzungen fremde Staaten als international zuständig betrachtet werden, vgl. § 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1 InsO. Sie sind nur für die inländischen Staatsorgane verbindlich; denn die Rechtsetzungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers ist auf die eigene Hoheitssphäre bzw. auf die eigenen Rechtsanwendungsorgane beschränkt. Ausländischen Staatsorganen können keine verbindlichen Befehle erteilt werden. Ausländischen Gerichten kann deshalb nicht vorgeschrieben werden, wann diese ihre Zuständigkeit zu bejahen haben. Sie beurteilen im Erkenntnisverfahren die internationale Zuständigkeit nach ihrem nationalen
9 Schütze, DIZPR2, Rz. 103. S. z.B. auch Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 62. 10 Nachw. z.B. bei Paulsson, Denial of Jusitice in International Law, 2005. 11 Ausnahme: § 109 II 2 und III FamFG, vormals § 606a II ZPO und § 661 III Nr. 2–3 ZPO a.F.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Recht, also nach den Normen des Urteilsstaates über die eigenstaatliche internationale Zuständigkeit.12 852 Die Normen über die fremdstaatliche internationale Zuständigkeit wenden sich nur an den inländischen Richter, der über die Anerkennung des im Ausland ergangenen Urteils zu befinden hat. Sie geben ihm den Maßstab für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit des Urteilsstaates. Die Sanktion bei Nichteinhaltung der Normen über die fremdstaatliche internationale Zuständigkeit ist die Nichtanerkennung des ausländischen Urteils.13 Der einzelne nationale Gesetzgeber kann also die internationale Zuständigkeit fremder Staaten nicht direkt regeln, sondern nur indirekt: Er kann die Anerkennung eines im Ausland ergangenen Urteils von der Einhaltung der von ihm aufgestellten Normen über die internationale Zuständigkeit abhängig machen. Man spricht daher auch von indirekter internationaler Zuständigkeit. In der Terminologie von Jellinek handelt es sich um „Beurteilungsnormen“, nämlich Normen, nach denen der inländische Richter die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates beurteilt, nicht um so genannte „Befolgungsnormen“, welche der ausländische Richter im ausländischen Erkenntnisverfahren zu befolgen hätte.14 853 Die Normen über die internationale Zuständigkeit fremder Staaten (Anerkennungszuständigkeit) sind für den deutschen Richter im Erkenntnisverfahren (Erstrichter) ohne Bedeutung. Sie kommen erst im Stadium der Anerkennung ausländischer Urteile bzw. bei der Anerkennungsprognose zum Zuge.15 Dies wird mitunter nicht klar genug gesehen; es werden die Zuständigkeitskataloge der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge endlos erörtert, obwohl diese für die Bejahung oder Verneinung der deutschen internationalen Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren ohne Bedeutung sind.16
VI. Unterschied zwischen Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit 1. Spiegelbildprinzip: Kongruenzregel des § 328 I Nr. 1 ZPO 854 Vom Grundsatz der Kongruenz zwischen internationaler Entscheidungszuständigkeit und internationaler Anerkennungszuständigkeit geht das deutsche Recht 12 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1499. 13 Sofern der Beklagte sich hierauf beruft, Rz. 2903. 14 S. Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile, 1953, 26 f.; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 106 Fn. 52; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1496; Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1984, 1998, 108. 15 OLG Hamm v. 14.8.1985, IPRspr. 1985 Nr. 143. 16 R. Geimer, NJW 1976, 441; Linke, IPRax 1982, 229; BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 = NJW 1977, 900 = MDR 1977, 654 = IPRspr. 1976 Nr. 212 sub II 3; österr. OGH v. 8.10.1984, IPRax 1985, 295 (Matscher 299). Verfehlt BGH v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, MDR 1985, 215 = NJW 1985, 552 = IPRax 1985, 224 (Henrich 207) = IPRspr. 1984 Nr. 168.
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aus, § 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1 InsO. Deutschland billigt fremden Staaten den gleichen Jurisdiktionsbereich zu, den es für die eigenen Gerichte in Anspruch nimmt.17 Doch ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, als ginge es bei Abgrenzung der 855 Jurisdiktionssphären (vorwiegend) um unmittelbare staatliche Belange. Souveränitäts- oder Hoheitsinteressen stehen nicht auf dem Spiel. Verfehlt wäre z.B. die Vorstellung, dass das Ausland uns zu viele Rechtsstreitigkeiten „wegnimmt“, die zu entscheiden eigentlich die eigenen Gerichte berufen wären. Abzulehnen daher die mit dem Prinzip der internationalen Zusammenarbeit und dem Postulat der Universalität der „bonne administration de la justice“ nicht vereinbare Vorstellung, „jeder Staat behalte heute innerhalb seines Staatsgebiets die verbindliche richterliche Entscheidung von Rechtssachen im Prinzip den eigenen Gerichten vor und durchbreche dieses Monopol zugunsten ausländischer Gerichte nur bei Vorliegen gewisser besonderer Voraussetzungen, wie sie etwa in § 328 ZPO aufgeführt sind“.18 Eine solche Interpretation des staatlichen Rechtsschutzmonopols würde nicht nur den inländischen Justizapparat überlasten,19 sondern auch außer Acht lassen, dass Hoheitsbelange nicht auf dem Spiel stehen. Bei der Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit steht nicht das Interesse des Gerichtsstaates an Entfaltung seiner Macht im Vordergrund, sondern die Gewährung einer Dienstleistung für die privaten Individuen.20 (S. auch Rz. 910). Es geht um eine vernünftige Gewichtung der Zuständigkeitsinteressen der Par- 856 teien.21 Dabei zeigen sich Unterschiede in der präpositiven Interessenlage bei der Regelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit im Verhältnis zur internationalen Anerkennungszuständigkeit. Bei der Normierung der ersteren hat der Gesetzgeber das Interesse des Klägers an möglichst umfassender Justizgewährung durch möglichst großzügige Eröffnung der internationalen Entscheidungszuständigkeit abzuwägen und abzugrenzen gegenüber dem Interesse des Beklagten, dass seine internationale Gerichtspflichtigkeit nicht allzu weit ausgedehnt wird.22 Im Stadium der Anerkennung verschiebt sich prima vista die Perspektive: Hier 857 steht der Wunsch des Klägers nach Justizgewährung – zumindest vordergründig – nicht mehr zur Debatte. Denn der Erststaat ist dem – was das Erkenntnisver-
17 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1505, 1709; Richardi, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1991, 110. Rechtsvergleichend Thole in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 32, 36 ff. 18 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 103, 104. 19 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1367. Kritisch auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 172. 20 R. Geimer, IPRax 1993, 218; zustimmend Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 70 f. 21 R. Geimer, IPRax 1986, 211. 22 R. Geimer in FS Nagel, 1987, 36; R. Geimer in FS Schwind, 1993, 22.
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fahren betrifft – bereits nachgekommen; der Justizgewährungsanspruch würde erst wieder „aufleben“, wenn der erststaatlichen Entscheidung die Anerkennung verweigert wird. Im Zentrum steht jetzt vielmehr der Schutz des Beklagten vor unzumutbaren Foren.23 2. Ausnahmen 858 Erweiterung der internationalen Anerkennungszuständigkeit: Aus dieser Sicht ist die Kongruenzregel des § 328 I Nr. 1 ZPO und des § 109 I Nr. 1 FamFG logisch nicht zwingend. Denkbar sind zum einen Fälle, in denen die Grenzen für die internationale Anerkennungszuständigkeit weiter gezogen werden als die Grenzen für die internationale Entscheidungszuständigkeit: Deutschland könnte die internationale Zuständigkeit ausländischer Staaten auch dann anerkennen, wenn sie auf Zuständigkeitsanknüpfungen gestützt ist, die zwar dem deutschen Recht überhaupt nicht oder nicht in dem gleichen Umfang bekannt (Rz. 1578), aber durchaus vernünftig sind, weil sie keine die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten unzumutbar ausweitende „exorbitante“ Fora darstellen. 859 So wird in Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen nach § 109 II und III FamFG (früher §§ 606a II, 661 III ZPO) die internationale Zuständigkeit fremder Staaten in weiterem Umfang anerkannt, als vice versa im Inland eine Entscheidungszuständigkeit eröffnet ist. 860 Einengung der internationalen Anerkennungszuständigkeit: Häufiger anzutreffen ist jedoch die entgegengesetzte (chauvinistische) Alternative einer inkongruenten Lösung. Man gesteht dem Ausland weniger Zuständigkeit zu, als man für die eigenen Gerichte in Anspruch nimmt.24
VII. Konkurrierende internationale Zuständigkeit 861 Unter dieser Hypothese sind für die Entscheidung einer bestimmten Rechtsstreitigkeit mehrere Staaten nebeneinander zuständig. Zur Sachentscheidung sind mithin mehrere Staaten befugt. Die Auswahl des Entscheidungsstaates bleibt dem Kläger überlassen. Ergeht in einem konkurrierend international zuständigen Staat ein Urteil, so kann dieses im Inland anerkannt werden, auch wenn eine konkurrierende internationale Zuständigkeit des Inlandes oder eines dritten Staates besteht. 862 Die Anerkennung konkurrierender internationaler Zuständigkeiten macht „forum shopping“ unvermeidlich: Der Kläger wird natürlich seine Klage bei den Gerichten desjenigen Staates einreichen, nach dessen internationalem Privatrecht die für den Kläger günstigere Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Die
23 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1500. 24 „What is sauce for the English goose is not sauce for the foreign gander“ (Foster, zitiert nach Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 105). Beispiele zum englischen Recht Heldrich, a.a.O., 102 Fn. 144; zum französischen Recht Heldrich, a.a.O., 94 Fn. 109; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1371, 1507. Vgl. auch die Rspr. zu § 24 ZPO, Rz. 939.
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hiergegen erhobenen rechtspolitischen Bedenken25 dürfen nicht zur Abschaffung konkurrierender internationaler Zuständigkeiten führen; vielmehr sollten sie Ansporn zur internationalen Vereinheitlichung der IPR-Regeln sein (vgl. Rz. 1101).26
VIII. Ausschließliche internationale Zuständigkeit Eine ausschließliche internationale Zuständigkeit liegt dann vor, wenn ein be- 863 stimmter Rechtsstreit einem bestimmten Staat zur alleinigen Entscheidung zugewiesen ist, wenn also nur dieser Staat befugt sein soll, über den Streitgegenstand sachlich zu entscheiden. Würde Deutschland eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beanspruchen, was aber entgegen der h.M.27 grundsätzlich nicht der Fall ist (Rz. 874, 878), so käme eine Anerkennung ausländischer Urteile nicht in Betracht, da ja alle anderen Staaten aus deutscher Sicht zur Entscheidung nicht befugt sind. Ist aus deutscher Perspektive ein auswärtiger Staat ausschließlich international 864 zuständig, was die h.M. (Rz. 927) entgegen der hier vertretenen Auffassung für möglich hält, so haben sich die deutschen Gerichte jeder Sachentscheidung zu enthalten. Urteile dritter Staaten werden im Inland nicht anerkannt, sofern der Beklagte die internationale Unzuständigkeit rügt. Für eine Anerkennung kommt dann nur ein Urteil des nach deutscher Ansicht ausschließlich international zuständigen Staates in Betracht. Die Fälle der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit decken sich nicht 865 mit den Fällen der ausschließlichen örtlichen und sachlichen Zuständigkeit.28 Die ausschließliche internationale Zuständigkeit besagt, dass auf jeden Fall nur die Gerichte eines bestimmten Staates zu entscheiden haben. Ob in dem konkreten Staat nur ein bestimmtes Gericht zuständig sein soll, oder ob mehrere nebeneinander zur Entscheidung befugt sein sollen, bleibt dabei offen. Dies ist eine Frage der ausschließlichen örtlichen und sachlichen Zuständigkeit. Ein Staat kann ausschließlich international zuständig sein, während innerstaatlich mehrere Gerichte konkurrierend zuständig sind. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Innerstaatlich kann eine ausschließliche Zuständigkeit vorliegen, während die internationale Zuständigkeit nicht ausschließlich ist. Dies ist z.B. evident für die ausschließliche Zuständigkeit gem. § 689 II ZPO zum Erlass von Mahnbescheiden im deutschen Mahnverfahren; damit soll die Möglichkeit nicht verbaut werden, die Klageforderung vor ausländischen Gerichten einzuklagen.29 25 S. z.B. aus neuerer Zeit Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Vorbem zu Art. 1 EheGVO Rz. 44. 26 R. Geimer, EuR 1977, 360; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 143; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 239. 27 Ebenso für die Schweiz Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff. 28 Zustimmend z.B. Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 370. 29 OLG Düsseldorf v. 21.2.1996 – 3 W 352/95, NJW-RR 1997, 124 = RIW 1996, 431 = IPRspr. 1996 Nr. 175. Es wäre unsinnig, für das Mahnverfahren eine ausschließliche internationale Zuständigkeit zu postulieren, wenn eine solche für das normale Klageverfahren nicht besteht.
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866 § 98 FamFG regelt die internationale Zuständigkeit in Ehesachen.30 Nach § 106 FamFG (früher § 606a I 2 ZPO) ist die deutsche internationale Zuständigkeit nur eine konkurrierende. § 122 FamFG (früher § 606 ZPO) befasst sich mit der (innerstaatlichen) örtlichen Zuständigkeit. Diese ist in jedem Fall eine ausschließliche. Diese Regelung überrascht auf den ersten Blick, erweist sich jedoch als sinnvoll. Ihr liegt folgende Überlegung zugrunde: Wir bestehen zwar nicht darauf, dass unsere Gerichte entscheiden; wird die Sache aber im Inland anhängig, dann soll diese Entscheidung nur ein ganz bestimmtes inländisches Gericht fällen dürfen.31
IX. Keine Beschränkung der Kognitionsbefugnis in territorialer Sicht 867 Ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben, so besteht keine territoriale Kognitionsbeschränkung in dem Sinne, dass sich die deutschen Gerichte nur mit einer im Inland vorzunehmenden Handlung bzw. Unterlassung zu befassen hätten. Die Kognitionsbefugnis ist vielmehr territorial unbeschränkt (Rz. 396, 935, 1280, 1363, 1369, 1524, 1745).32
X. Keine Kognitionsbeschränkung bezüglich Vorfragen 868 Die Frage der internationalen Zuständigkeit wird immer nur bezüglich des Streitgegenstandes – genauer bezüglich des Gegenstandes, der in res iudicata-Wirkung erwächst – bzw. bezüglich der beantragten Gestaltung gestellt, nicht jedoch bezüglich der Vorfragen. Ist die internationale Zuständigkeit für den Streitgegenstand zu bejahen, so unterliegt das deutsche Gericht bei der Beurteilung von Vorfragen keiner Beschränkung.33 868a Eine Ausnahme gilt jedoch für die Prozessaufrechnung und die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts. Die Entscheidung über im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderungen des Beklagten setzt voraus, dass Deutschland für die klageweise Geltendmachung dieser Forderungen
30 Eine Parallelregelung für Lebenspartnerschaftssachen findet sich in § 103 FamFG. 31 Hierzu Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 212; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 107 Fn. 56; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 45. 32 So kann z.B. das nach §§ 12, 13 ZPO, Art. 4 I EuGVVO n.F. oder Art. 2 I LugÜ 2007 zuständige Gericht im Wohnsitzstaat des Beklagten darüber befinden, ob ein ausländisches Patent oder der ausländische Teil eines europäischen Patents durch Handlungen im Ausland verletzt worden ist, LG Düsseldorf, GRUR Int 1999, 458; Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 492. 33 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 541, 778.
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international zuständig wäre.34 Das Gleiche gilt nach h.M. auch für die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts.35
34 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, MDR 1993, 1012 = NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 115 (R. Geimer 82) = ZZP 107 (1994), 211 (Leipold) = IPRspr. 1993 Nr. 139; BGH v. 4.2.1993 – VII ZR 179/91, IPRax 1994, 114 = MDR 1993, 905 = EWiR 1993, 515 (Becht); BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, MDR 2014, 794 = NZI 2014, 521 (Hübler 495); OLG München v. 25.3.1992 –7 U 6176/91, RIW 1992, 672 = IPRspr. 1992 Nr. 185; OLG Frankfurt v. 23.5.1995, IPRspr. 1995 Nr. 139b; OLG Celle v. 11.11.1998 – 9 U 87/98, IPRax 1999, 456 (Gebauer) = IPRspr. 1998 Nr. 160; LG Frankfurt/M. v. 13.7.1994 – 3/13 O 3/94, NJW-RR 1994, 1264 = EWiR 1995, 249 (Mankowski) = IPRspr. 1995 Nr. 139a; LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, RIW 1996, 774 = IPRspr. 1996 Nr. 148; LG Darmstadt v. 25.10.1994, IPRspr. 1994 Nr. 144; LG München v. 17.7.1998, IPRax 2001, 193 = IPRspr. 1998 Nr. 149; R. Geimer, IPRax 1986, 210; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 24; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 21, 56; offen gelassen nun von BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 366/13, WM 2014, 1509 = GWR 2014, 301 (Berg). A.A. Coester-Waltjen in FS Gerhard Lüke, 1997, 35, 39; Herbert Roth, RIW 1999, 819 (820). Ausführliche Nachw. bei Dageförde, RIW 1991, 876; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, 89 ff.; Schack, IZVR6, Rz. 403; Wagner, IPRax 1999, 65. Unrichtig OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141 (Rz. 160). Weitere Nachw. bei Bork in FS Beys, 2003, 119; Spellenberg, IPRax 2013, 466 (470); Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht2, Art. 17 Rom I-VO Rz. 45; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 171 ff. Kompliziert ist die Rspr. des EuGH zur Prozessaufrechnung: Nach EuGH 13.7.1995 NJW 1996, 42 – Danvaern Production/Schuhfabriken Otterbeck: Danach bestimmen sich die Voraussetzungen, unter denen eine Prozessaufrechnung geltend gemacht werden kann, nicht nach Art. 8 Nr. 3 EuGVVO, sondern nach nationalem Recht, weil es sich bei der Prozessaufrechnung um ein bloßes Verteidigungsmittel handelt. Für die Geltendmachung einer Aufrechnung im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) gilt dies nicht; EuGH v. 4.7.1985 – Rs. 220/84 – AS-Autoteile Service GmbH/Malhé, NJW 1985, 2892, Rz. 15; OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRax 1999, 168 = RIW 1998, 889. Die Vollstreckungsgegenklage ist grundsätzlich wegen des engen Zusammenhangs mit dem Vollstreckungsverfahren unter Art. 24 Nr. 5 EuGVVO zu subsumieren, R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 22 EuGVVO Rz. 268; H. Roth, RabelsZ 68 (2004), 379, 382; R. Wagner, IPRax 2005, 401, 405 ff. Allerdings kann die internationale Zuständigkeit eines Gerichts für eine Vollstreckungsgegenklage dann nicht auf Art. 24 Nr. 5 EuGVVO gestützt werden, wenn mit der Klage geltend gemacht wird, der zu vollstreckende Anspruch sei durch die Aufrechnung mit einer Forderung erloschen, für deren selbstständige Geltendmachung die Gerichte dieses Staates nicht zuständig wären. Die Allzuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten (Art. 4 I EuGVVO) dient dessen Schutz. Die Ausnahmen hiervon in Art. 24 Nr. 5 EuGVVO dürfen deshalb nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Ziel erfordert, EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04 – Brigitte und Marcus Klein/Rhodos Management Ltd, Rz. 15, Slg. 2005, I-8667 = IPRax 2006, 159 (Hüßtege) = EuZW 2005, 759 = ZZPInt 10 (2005), 305 (Mankowski). Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Vollstreckungsort nach Art. 24 Nr. 5 EuGVVO trägt der besonderen Beziehung eines Verfahrens zum Ort der Zwangsvollstreckung Rechnung. Daran fehlt es, wenn geltend gemacht wird, die zu vollstreckende Forderung sei durch Aufrechnung erloschen. Die Gerichte des Vollstreckungsstaats sind deshalb in einem solchen Fall nur dann international zuständig, wenn sie auch im Fall einer selbstständigen Geltendmachung der aufgerechneten Forderung zuständig wären, BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, MDR 2014, 794 = NZI 2014, 521 (Hübler 495). 35 OLG Stuttgart v. 2.6.2008 – 5 U 42/07, ZEV 2008, 434 = IPRspr. 2008 Nr. 18; Spellenberg in MüKo.BGB5, Art. 32 EGBGB Rz. 57 m.w.N.
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868b Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Aufrechnung bestimmt nach Art. 12 I und Art. 17 (d) Rom I-VO36 (vormals Art. 10 I (d) EVÜ bzw. Art. 32 I Nr. 4 EGBGB) die für die Hauptforderung maßgebliche Rechtsordnung.37 Zulässigkeit und Wirkung einer Aufrechnung werden kollisionsrechtlich an die Rechtsordnung angeknüpft, der die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.38 Dieses Aufrechnungsstatut befindet darüber, ob Konnexität der zur Aufrechnung gestellten Ansprüche erforderlich ist. Insoweit ist die lex fori nicht relevant. Die lex fori befindet aber über die Zulässigkeit der Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess.39 Ob und wie der Aufrechnungseinwand im deutschen Zivilprozess eingeführt werden kann, entscheidet nicht die lex causae, sondern die deutsche lex fori bzw. die EuGVVO bzw. das LugÜ.40 Der EuGH hat für die Streitfrage, ob die Kognitionsbefugnis der Gerichte des Gerichtsstaates im Hinblick auf die Prozessaufrechnung davon abhängt, dass der Gerichtsstaat für die klageweise Geltendmachung der zur Aufrechnung verwendeten Forderung gegen den Kläger international zuständig wäre, auf das nationale Recht des Gerichtsstaates verwiesen.41 Art. 8 Nr. 3 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 3 LugÜ gelte nur für eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung, aber nicht für den Fall, dass ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als bloßes Verteidigungsmittel im Wege der Aufrechnung geltend macht. 868c In prozessualer Hinsicht sei die Verteidigung Bestandteil des vom Kläger in Gang gesetzten Verfahrens und erfordere daher nicht, dass dieser i.S. von Art. 8 Nr. 3 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 3 LugÜ vor dem mit dem Verfahren befassten Gericht „verklagt“ wird. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmten sich nach nationalem Recht.42 Dieses regelt die Voraussetzungen, unter denen 36 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, 6. 37 Zum Aufrechnungsstatut (Art. 17 Rom I-VO) zählt z.B. auch das Erfordernis der „Entscheidungsreife“ (Art. 1243 ital. Codice civile), obwohl dieses evident der Verfahrensbeschleunigung dient und damit „eigentlich“ in die Domäne der lex fori fiele, Rz. 325, 2639. 38 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 = MDR 1994, 1240 = NJW 1994, 1413 (1416) = RIW 1994, 331 = IPRax 1995, 101 (Gottwald 75) = LM § 32 ZPO Nr. 15 (R. Geimer) = ZZP 108 (1995), 359 (Koch) = IPRspr. 1993 Nr. 180; OLG München v. 26.9.1995 – 25 U 2202/95, IPRax 1997, 44 (Fuchs 32) = IPRspr. 1995 Nr. 32; OLG Stuttgart v. 21.8.1995 – 5 U 195/94, RIW 1995, 943 = IPRax 1996, 139 L (Kronke) = IPRspr. 1995 Nr. 42. 39 Ähnlich aus schweiz. Sicht Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1123. 40 R. Geimer, NJW 1973, 953. Ausführlich Pittet, La compétence du juge et de l’arbitre en matière de compensation, 2001, 160. 41 EuGH v. 13.7.1995 – Rs. C-341/93, Danvaern/Otterbeck, Slg. 1995 I 2053 = NJW 1996, 42 (Bacher 2140) = EuZW 1995, 639 (R. Geimer) = EWS 1995, 310 = ZZP 109 (1996), 373 (Mankowski). Hierzu ausführlich Wagner, IPRax 1999, 65; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1142; Spellenberg, IPRax 2013, 466 (469). S. auch BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 366/13, WM 2014, 1509 = GWR 2014, 301 (Berg). 42 Nachw. bei Dageförde, RIW 1990, 876; R. Geimer, IPRax 1994, 82; Gottwald, IPRax 1986, 10; Piekenbrock, RIW 2000, 751; Schack, IZVR6, Rz. 403, Wagner, IPRax 1999, 65.
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die Prozessaufrechnung als Verteidigungsmittel geltend gemacht werden kann. Der EuGH überlässt es somit den nationalen Gerichten, einen Kompetenzbezug zu fordern.43 Damit ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der einen Kompetenzbezug verlangt, nicht überholt.44 Andere interpretieren den Verweis des EuGH auf das nationale Recht des jeweiligen Gerichtsstaates restriktiv. Die Mitgliedstaaten seien nicht berechtigt, einen kompetenzrechtlichen Bezug für die Gegenforderung zu verlangen. Das nationale Recht dürfe nur entscheiden, ob die Aufrechnung als Verteidigungsmittel überhaupt zugelassen sei oder ob für die Geltendmachung der Gegenforderung nur im Wege der Widerklage (Art. 8 Nr. 3 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 3 LugÜ) erfolgen dürfe, und/oder ob für die Aufrechnung im Prozess bestimmte (nicht zuständigkeitsrechtliche) Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie z.B. Einhaltung bestimmter Formen und Fristen.45 Ist die Aufrechnungsforderung bereits durch ein deutsches Gericht rechtskräftig 868d festgestellt, dann darf der Beklagte nicht auf eine Klage im Ausland verwiesen werden. Vielmehr steht für das deutsche Gericht das Bestehen der zur Aufrechnung verwendeten Forderung fest. Das deutsche Gericht hat dann über den Aufrechnungseinwand des Beklagten zu entscheiden, auch wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt die internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht gegeben war, das erste deutsche Gericht also in Wahrheit international nicht zuständig war. Denn der Mangel der internationalen Zuständigkeit wird durch die Rechtskraft geheilt, d.h. kann nach Eintritt der Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr in Frage gestellt werden (Rz. 1011, 1872). Ist die Aufrechnungsforderung durch ein ausländisches Gericht rechtskräftig 868e festgestellt, dann kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der materiellen Rechtskraft gegeben sind.46 Bejahendenfalls ist ebenso zu verfahren wie bei der rechtskräftigen Feststellung durch ein deutsches Gericht. Andernfalls ist zu prüfen, ob es dem Beklagten zumutbar ist, an die Gerichte eines aus deutscher Sicht (konkurrierend) international zuständigen Staates wegen seiner Aufrechnungsforderung verwiesen zu werden, oder ob im Inland aus dem Gesichtspunkt der internationalen Notzuständigkeit ein Forum zu eröffnen ist, d.h. die Prozessaufrechnung zuzulassen ist, obwohl an sich für die Aufrechnungsforderung kein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt i.S. der §§ 12 ff. ZPO gegeben ist. Fehlt die internationale Zuständigkeit Deutschlands für die zur Aufrechnung 868f verwendete Forderung des Beklagten und rügt der Gegner dies,47 dann wird die Aufrechnung im deutschen Prozess nicht beachtet. Der Beklagte darf aber nicht 43 Jayme/Kohler, IPRax 1995, 349. 44 Weniger dezidiert (die Fragen offen lassend) BGH v. 7.11.2001 – VIII ZR 263/00, NJW 2002, 2182 = IPRax 2002, 299 (Gruber 285) = JZ 2002, 605 (Heß/A. Müller) = MDR 2002, 410 (M. Vollkommer) = RIW 2002, 147 = BB 2002, 14 = IPRspr. 2001 Nr. 153. 45 Gruschinske, Die Aufrechnung in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, EuZW 2011, 171 (176 m.w.N.). 46 R. Geimer, IPRax 1994, 82 (84); Wagner, IPRax 1999, 65, 72. 47 Zur Anwendbarkeit des § 39 ZPO bzw. des Art. 26 EuGVVO n.F. bzw. des Art. 24 LugÜ; OLG Stuttgart v. 21.8.1995 – 5 U 195/94, RIW 1995, 943 = IPRax 1996, 139 L (Kronke) = IPRspr. 1995 Nr. 42.
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Internationale Zuständigkeit
um eine effektive Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit für seine Gegenforderung gebracht werden.48 868g Wenn für die zur Aufrechnung gestellte Forderung die ausschließliche internationale Zuständigkeit eines anderen Staates vereinbart worden war, ist wie folgt zu differenzieren: Maßgebend ist der Wille der Parteien. Wenn diese mit ihrer Zuständigkeitsvereinbarung auch die Geltendmachung der Forderung im Wege der Aufrechnung vor anderen Gerichten als dem forum prorogatum ausschließen wollten, ist die Prozessaufrechnung verboten. Da in den meisten Gerichtsstandsklauseln diese Frage nicht ausdrücklich geregelt ist, ist der Wille der Parteien unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu erforschen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die aufrechnungsweise Geltendmachung der Forderung durch die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines Vertragsstaates nicht ausgeschlossen sein sollte.49 868h Anders ist es u.U. bei Vereinbarung eines Schiedsgerichts (Rz. 3818, 3865) oder bei einer ausschließlichen Prorogation mit der Abrede, dass außerhalb des forum derogatum auch die Geltendmachung als Einwendung (Einrede) ausgeschlossen sein soll (was im Zweifel nicht gewollt ist, Rz. 1779).50
XI. Neutralität der Gerichte 868i Der Umstand, dass eine Partei zum Gerichtsstaat – z.B. aufgrund Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz/Sitz – „engere Beziehungen“ hat als die andere, ist kein Grund, die internationale Zuständigkeit zu verneinen. Dies ist ein Gebot der praktischen Vernunft: Wollte man in Rechtsstreitigkeiten mit internationalem Einschlag nur einen in jeder Hinsicht unbeteiligten Staat für befugt halten, eine Sachentscheidung zu fällen (Rz. 1747), so wäre dies das Ende einer effizienten Rechtspflege. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist aber die konkurrierende Zuständigkeit der Bundesgerichte in den USA bei diversity of citizenship;51 diese soll verhindern, dass die Gerichte der Einzelstaaten ihre eigenen Staatsangehörigen vor denen anderer Bundesstaaten oder vor Ausländern bevorzugen.52 868j Jeder Richter wird – mit Recht – subjektiv für sich in Anspruch nehmen, dass er in der Lage sei, unparteiisch jeden Rechtsstreit zu entscheiden, ohne Rücksicht auf die „Nahebeziehung“ der einen oder der anderen Partei. Jedoch ist rechtssoziologisch unbestritten, dass das „Rechtsklima“ (Rz. 96) und gewisse „Vorlie48 A.A. Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, 148 ff., 181. 49 EuGH v. 7.3.1985 – Rs. C-48/84 – Spitzley/Sommer, Slg. 1985 I 787 = NJW 1985, 2893 = RIW 1985, 313 (Rauscher 887) = IPRax 1986, 27 (Gottwald 10); R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 527; Gottwald, IPRax 1986, 10; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, 192 ff., 203. 50 BGH v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85, MDR 1987, 302 = FamRZ 1987, 268 (269). 51 28 U.S.C. § 1332. Hierzu auch Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 50. 52 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, 19.
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ben“ aufgrund der juristischen Denkstrukturen und sonstigen Denkweisen im Gerichtsstaat, ja ganz allgemein der dort herrschende „Zeitgeist“ (mit oder ohne ideologischen Über- oder Unterbau) zu gewissen „nationalen Egoismen“53 und Voreingenommenheiten führen können.54 Hierzu gehören als harmlosester der home trend, welcher der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts entgegenwirkt;55 so wird als wahr überliefert, dass ein französischer Richter als einzige Begründung für die Anwendung seines eigenen Rechts zu Papier gebracht haben soll: „J’aime la loi française.“ Der Drang, das eigene Recht für das Maß aller Dinge zu erklären, kann auch dazu führen, allzu vorschnell das an sich anzuwendende ausländische Recht mit der ordre public-Klausel auszuschalten. Alle diese faktisch vorhandenen Unterschiede werden durch die Fiktion von der internationalen Fungibilität der Gerichte (Rz. 37, 861, 883) tabuisiert.56 Die Toleranzschwelle wird aber überschritten, wenn ein Gericht Ausländer offen diskriminiert (Rz. 194). In dem hier zu erörternden Zusammenhang ist es aber wichtig festzuhalten, dass 868k durch solches richterliches Fehlverhalten die internationale Zuständigkeit des Gerichtsstaats nicht tangiert wird. Dies bedeutet: Erlaubt sich ein deutsches Gericht eine Entgleisung gegenüber einem Ausländer, dann muss dieser mit Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen einschließlich des Befangenheitsantrages (§ 42 ZPO) um sein verfassungsrechtlich und internationalmenschenrechtlich57 garantiertes Recht auf ein faires Verfahren (das auch den Anspruch auf eine unparteiische Entscheidungsfindung umfasst) kämpfen. Selbst in dem (theoretischen) Fall, dass die Rechtsmittelgerichte und das Bundesverfassungsgericht das Gravamen nicht beseitigen, hat die Bundesrepublik Deutschland ihre internationale Zuständigkeit nicht verwirkt. Dem deutschen Urteil wird im Ausland die Anerkennung nicht wegen internationaler Unzuständigkeit verweigert, sondern wegen Verstoßes gegen den ordre public des Anerkennungsstaates. Vice versa steht bei Unregelmäßigkeiten ausländischer Richter nicht die internationale Unzuständigkeit des Gerichtsstaates zur Debatte, sondern das aus deutscher Sicht anstößige Verhalten des ausländischen Gerichts.
53 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 468. 54 OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 (576) = EWiR 1989, 933 (Bredow) = IPRspr. 1990 Nr. 237a; vgl. auch Klamaris in Habscheid/Beys, Grundfragen des ZPR – die internationale Dimension, 1991, 13; R. Geimer, RabelsZ 60 (1996), 369. Hymnisch verklärt auch der BGH v. 20.12.1972 – VIII ZR 186/70, BGHZ 60, 85 (90), die durch die Staatsangehörigkeitsanknüpfung ermöglichte „Heimatzuflucht“: Es sei „das natürliche Interesse jedes Staatsangehörigen, dass sein Staat, dessen Organisation und Funktionsweise er kennt, dessen Sprache er spricht und dem er auf mannigfache Weise verbunden ist, sich seiner Sache annimmt und nicht ein fremder Staat“. 55 Maesch, Vitamine für Kartellopfer Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2006, 509 (510): Im Zweifel wird das Gericht „einen ‚kollisionsrechtlichen Aufhänger‘ zugunsten des eigenen Rechts finden“. 56 Wie hier nun auch Mankowski, IPRax 2006, 454 (457): „Dieser Rechts-Chauvinismus wird zwar in der Rechtsliteratur schamhaft verschwiegen (und kommt natürlich in Gerichtsentscheidungen nie offen zum ablesbaren Ausdruck), ist aber ein gewichtiger Faktor. Jeder im internationalen Rechtsverkehr erfahrene Rechtsberater weiß um ihn“. 57 Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGrundrechtecharta.
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Internationale Zuständigkeit
868l Fürchten beide Parteien gleichermaßen die (unterschwelligen) Fixierungen der nach den gesetzlichen Vorschriften international zuständigen Gerichte, so können sie „neutrale Richter“ prorogieren, sei es durch Zuständigkeitsvereinbarung (Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines neutralen Staates, Rz. 1747) oder durch Schiedsvereinbarung. Im letzteren Fall werden alle staatlichen Richter „abgewählt“ (Rz. 8).
2. Kapitel: Ausschließliche internationale Zuständigkeiten I. Rechtsquellen 1. Völkergewohnheitsrecht 869 Das Völkergewohnheitsrecht weist nicht bestimmte Streitgegenstände jeweils nur einem Staat zur ausschließlichen Jurisdiktion zu.58 Dies gilt auch für das international gebräuchliche forum rei sitae bezüglich Immobilien (Rz. 394). 2. Europäisches Unionsrecht und völkerrechtliches Vertragsrecht Literatur: Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011. 870 Ein Katalog von ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten findet sich in Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. bzw. in Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007. Im Übrigen stipulieren viele Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Zweitstaates (= Anerkennungsstaates) bzw. eines dritten Staates als Versagungsgrund: Obwohl an sich nach dem Zuständigkeitskatalog des jeweils einschlägigen Vertrages eine Anknüpfung für die internationale Zuständigkeit des Erststaates gegeben ist, wird gleichwohl dessen internationale Zuständigkeit nicht anerkannt, wenn in concreto der Zweitstaat bzw. ein dritter Staat – aus zweitstaatlicher Sicht, d.h. nach dem (autonomen) Recht des Zweitstaates – ausschließlich international zuständig war.59 871 Der jeweilige Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag legt aber nicht fest, wann eine solche ausschließliche internationale Zuständigkeit zu bejahen ist. Diesen Punkt überlässt der Vertrag dem Recht des Zweitstaates.60 3. Autonomes deutsches Recht 872 Für Statusverfahren ist ausdrücklich in § 106 FamFG61 klargestellt, dass die internationale Zuständigkeit nicht ausschließlich ist. Dagegen stipuliert § 32a ZPO
58 Ähnlich nun auch Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 61 vor Art. IX EGJN. 59 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 317. 60 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1511. 61 Früher § 606a I 2, § 640a II 2, § 661 III ZPO a.F.
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Ausschließliche internationale Zuständigkeiten
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für Klagen nach dem Umwelthaftungsgesetz eine ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands für den Fall der Schädigung eines im Ausland befindlichen Rechtsguts durch eine im Inland gelegene Anlage. Dies gilt jedoch nicht im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ.62 (S. auch Rz. 942). Für den sonstigen Bereich des autonomen deutschen internationalen Zivilpro- 873 zessrechts ist – anders als in Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. bzw. in Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007 – noch nicht hinreichend geklärt, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen eine ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands anzunehmen ist.63 Aufgrund einer innerstaatlichen ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht wird (Rz. 866).64 Nicht jeder Gerichtsstand, der im innerstaatlichen Bereich als ausschließlich bezeichnet wird, begründet eine ausschließliche internationale Zuständigkeit. Es ist vielmehr jeweils zu prüfen, ob der deutsche Gesetzgeber lediglich eine interne Zuständigkeitsverteilung vornehmen wollte für den Fall, dass die Streitsache von den inländischen Gerichten entschieden wird, oder ob er die Entscheidung über die Streitsache seinen eigenen Gerichten bzw. den Gerichten eines dritten Staates via § 328 I Nr. 1 ZPO vorbehalten wollte.65 Ein ausschließlicher örtlicher Gerichtsstand begründet – wenn überhaupt 874 (Rz. 878) – nur dann auch eine ausschließliche internationale Zuständigkeit, wenn unmittelbare Staatsinteressen (öffentliche Interessen) der Grund für die Normierung der Ausschließlichkeit waren.66 Solche unmittelbaren Staatsinteressen sind aber nach kühler Analyse nicht feststellbar (Rz. 878 ff.).67 Neuerdings gilt aber eine Ausnahme für das zur „Kanaliserung“ von Rechtsstreitigkeiten wegen falscher oder irreführender Kapitalmarktinformationen durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) vom 16.8.200568 neu
62 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 11 Fn. 40. 63 Zur Frage „ungeschriebener ausschließlicher Zuständigkeiten“ s. auch Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 104 ff. 64 Zustimmend z.B. Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 370. 65 Zustimmend Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 258. 66 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 119; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 214; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 139. 67 A.A. Jung, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach dem EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und nach § 38 Abs. 2 ZPO, 1980, 119 f.; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 531 ff.; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet, 2004, 113; vgl. auch die Denkschriften zu den von Deutschland geschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen, jeweils zum Vorbehalt der zweit- oder drittstaatlichen ausschließlichen internationalen Zuständigkeit; z.B. die deutsche Denkschrift zu Art. 8 III des dt.norw. Vertrages v. 17.6.1977 (BGBl. II 1981, 341), BT-Drucks. 9/66, 26. Ebenso aus schweiz. Sicht Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff. 68 BGBl. I 2005, 2437. Zum intertemporären Anwendungsbereich OLG Hamburg v. 13.10.2006 – 13 AR 32/06, OLGR 2006, 33, 34.
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Internationale Zuständigkeit
geschaffene Forum des § 32b ZPO.69 Dieser Gerichtsstand soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch international ausschließlich sein, um forum shopping zu vermeiden.70 Das am Sitz des von der Klage betroffenen Emittenten, Anbieters sonstiger Vermögensanlagen etc. eröffnete Forum ist als ausschließlich konzipiert, um Gefahren für den Börsen- und Justizstandort Deutschland abzuwenden.71 875 Auf dem Gebiet der vermögensrechtlichen Streitigkeiten geht es vorwiegend darum, ob und gegebenenfalls inwieweit Deutschland eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht für Klagen betreffend inländischen Grundbesitz und inländische grundstücksgleiche Rechte (§ 24 ZPO; Rz. 1433, s. auch Rz. 927), Mietverhältnisse über inländischen Wohnraum (§ 29a ZPO), im Inland abgeschlossene Verbrauchergeschäfte (Rz. 1128) sowie deutsche Patente und sonstige von der Bundesrepublik Deutschland verliehene gewerbliche Schutzrechte (Rz. 468, 1002).72 876 Auf dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs ergibt sich bereits aus dem Text des § 14 I UWG, dass die deutsche Wohnsitz- bzw. Aufenthaltszuständigkeit nicht verdrängt wird durch eine ausländische gewerbliche Niederlassung oder einen ausländischen Begehungsort oder durch die Anwendbarkeit ausländischen Rechts.73 877 Für die in § 893 ZPO erwähnte Klage (Übergang von Erfüllungsanspruch auf Schadensersatz) besteht trotz § 802 ZPO keine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates. Die deutsche internationale Zuständigkeit gem.
69 Hierzu z.B. BGH v. 30.7.2013 – X ARZ 320/13, NJW-RR 2013, 1302 = MDR 2013, 1108 = NZG 2013, 1070 = BB 2013, S. 2195 (Ruland). Dieser Gerichtsstand kommt aber nicht zur Anwendung bei Vermögensanlagen des ungeregelten sog. Grauen Kapitalmarkts, OLG München v. 27.7.2006 – 31 AR 70/06, ZIP 2006, 1699 = VuR 2007, 37 = OLGR 2006, 800; a.A. OLG Nürnberg v. 7.8.2006 – 3 AR 1681/06, VuR 2006, 495. Im Übrigen erfasst er nicht Klagen gegen den Anlagevermittler, die nicht auf Prospekthaftung, sondern auf Verletzung von Pflichten aus dem Anlagevertrag gestützt werden, OLG Hamburg v. 13.10.2006 – 13 AR 32/06, OLGR 2006, 33 (35). Hierzu Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 269 ff. Sehr kritisch zu dieser „lex anti-americana“ Mormann, a.a.O., 212 ff. m.w.N. 70 Nachw. z.B. bei Mormann, a.a.O., 350 f. 71 von Hein, RIW 2004, 602 (606); Haß/Zerr, RIW 2005, 721 (726); B. Schneider, BB 2005, 2249 (2250); G. Bachmann, IPRax 2007, 77 (83); a.A. Heß, WM 2004, 2329 (2332). 72 Nachw. bei Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 174 (195 Fn. 130); Grundmann, IPRax 1985, 249; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 198 ff.; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh IV Rz. 30; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 43. Für die Schweiz s. Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 100. 73 Zu § 24 I UWG a.F. OLG Stuttgart v. 1.2.1991 – 2 U 34/90, RIW 1991, 954 = IPRspr. 1991 Nr. 154; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 377. Beispiel: BGH v. 27.3.1968, NJW 1968, 1572 = GRUR 1968, 587 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 170 (dort wurde die Zuständigkeitsfrage als unproblematisch angesehen und deshalb gar nicht erwähnt). Grundsätzlich zur internationalen Zuständigkeit Staudinger/ Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, 2006, Rz. 652.
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Ausschließliche internationale Zuständigkeiten
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§§ 12 ff. ZPO wird durch § 893 II ZPO nicht verdrängt, auch wenn die Verurteilung zur Leistung im Ausland erfolgte74 (Rz. 1283). § 802 ZPO gilt generell nur für die örtliche Zuständigkeit (Verteilung nach örtli- 877a chen Gesichtspunkten innerhalb Deutschlands, falls Deutschland überhaupt zuständig ist, Rz. 847), nicht jedoch für die internationale Zuständigkeit mit der Folge, dass die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ausgeschlossen wäre.75 Das Gleiche gilt für die Auflösungsklage betreffend eine deutsche GmbH.76
877b
Für Amtshaftungsklagen wird eine ausschließliche internationale Zuständigkeit 877c Deutschlands postuliert.77 Dabei wird übersehen, dass auch für acta iure imperii keine Immunität besteht, wenn die deliktische Handlung ausschließlich im Forumstaat zu lokalisieren ist (Rz. 626c).78 Ebenso verhält es sich mit der Ausschließlichkeit der insolvenzrechtlichen Ge- 877d richtsstände. Auch die auf § 3 I InsO gestützte internationale Insolvenzzuständigkeit Deutschlands ist nicht ausschließlich (vgl. aber Rz. 3411). Eine internationale Ausschließlichkeit begründet schließlich auch nicht § 6 I 877e des Unterlassungsklagengesetzes.
II. Staatliche Interessen erzwingen nicht internationale Ausschließlichkeit 1. Überblick Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob es zwingende Gründe 878 gibt, derentwegen sich ein Staat für international ausschließlich zuständig erklären muss. Dabei wird sich herausstellen, dass unmittelbare Staatsinteressen, die – unabhängig von dem Schutzinteresse des Beklagten (Rz. 905) – die Inan74 So auch BGH v. 17.2.1997 – II ZR 343/95, MDR 1997, 683 = NJW 1997, 2245 = RIW 1997, 595 = LM § 893 ZPO Nr. 1 (R. Geimer) = IPRax 1997, 434 (Kronke) = IPRspr. 1997 Nr. 139. A.A. Vorinstanz: KG v. 13.10.1995 – 9 U 5345/94, IPRax 1997, 340 (G. Vollkommer 323) = IPRpr. 1995 Nr. 156; hierzu Deubner, JuS 1996, 534; Hau, JuS 1996, 856. Dagegen unten Rz. 1767. 75 Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 180; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 139; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 181. 76 A.A. Becker, ZZP 97 (1984), 336, der aus § 61 III GmbHG eine ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands ableitet. 77 Nachw. bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 16 Fn. 83; Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (194 ff.); a.A. H. Mueller, Das Internationale Amtshaftungsrecht, 1991, 99. Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung an das Recht des Amtsstaates Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 236; LG Rostock v. 19.5.1995 – 9 O 625/93, IPRax 1996, 125 (Hay 95) = IPRspr. 1995 Nr. 37 (betreffend Staatshaftung der ehem. DDR). 78 Beispiel (OGH Österreich, JBl. 1983, 260, [Schurig 234]): Botschafter erschießt (versehentlich) anderen Botschafter auf Diplomatenjagd, Heß, a.a.O., 17, 19.
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Internationale Zuständigkeit
spruchnahme ausschließlicher internationaler Zuständigkeit für die eigenen Gerichte rechtfertigen, mit Ausnahme der in § 32a ZPO angesprochenen Konstellationen (Rz. 872) – nicht existieren.79 Der Schutz der inländischen Jurisdiktionssphäre erfordert nicht, dass für bestimmte Arten von Klagen, wie z.B. Immobiliarklagen, eine ausschließliche internationale Entscheidungszuständigkeit für das Inland beansprucht wird. 2. Rechtsanwendungsinteresse 879 Das Inland kann ein Interesse daran haben, dass bestimmte Rechtsstreitigkeiten nur nach inländischem Recht entschieden werden. Es kann zwar nicht sicherstellen, dass der Prozess nicht doch vor ein ausländisches Gericht gebracht wird und dass das ausländische Gericht seine eigene internationale Entscheidungszuständigkeit bejaht und anderes Sachrecht anwendet, als es das Inland gern hätte. Einzige Sanktion des Inlands ist die Nichtanerkennung des ausländischen Urteils. Dies könnte man gewissermaßen generalpräventiv dadurch erreichen, dass man für bestimmte Fallgruppen von Rechtsstreitigkeiten die ausländischen Gerichte als ungeeignet abqualifiziert und deshalb eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht. 880 Dies wäre jedoch eine Überreaktion.80 Denn es würden auch die Fälle betroffen, in denen das ausländische Gericht das gleiche Kollisions- und Sachrecht anwendet wie das inländische Gericht, sei es, dass die kollisionsrechtlichen Grundsätze die gleichen sind wie im Inland, oder dass zumindest vom Ergebnis her (im konkreten Einzelfall) keine Abweichungen entstehen. In solchen Fällen besteht für die Inanspruchnahme einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit keine Veranlassung. Sie ist sogar schädlich, weil die Anerkennung solcher ausländischer Urteile verhindert wird, die den Rechtsvorstellungen des Inlands voll genügen. Aber auch die andere Alternative erfordert nicht die Inanspruchnahme einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit für das Inland. Weicht nämlich das ausländische Kollisionsrecht bzw. das von diesem berufene Sachrecht von den (unbedingt und vorbehaltlos durchzusetzenden) Rechtsvorstellungen des Inlands ab, so ist dem ausländischen Urteil wegen Verstoßes gegen den inländischen ordre public die Anerkennung zu verweigern. Die aus der Sicht des Inlands unverzichtbaren Grundsätze des heimischen Kollisions- und Sachrechts (z.B. des deutschen Kartellrechts)81 können gegenüber ausländischen Urteilen über den ordre public durchgesetzt werden (Rz. 26 ff.). 79 Skeptisch gegenüber ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten auch CoesterWaltjen in FS Nakamura, 1996, 105. Zaghafter Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 175. Leider ohne Aufhellung der teleologischen Sinnzusammenhänge für ausschließliche internationale Zuständigkeiten Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff. Zusammenfassung des Diskussionsstandes bei R. Geimer in FS Böckstiegel, 2001, 187. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 198. 80 Zustimmend von Hein, RIW 2004, 602 (609). 81 Hierzu OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 für § 96 GWB = IPRax 1992, 86 (Roth 68).
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Ausschließliche internationale Zuständigkeiten
Vierter Teil
Damit ist dem inländischen Rechtsanwendungsinteresse Genüge getan. Ein genereller Ausschluss der Anerkennung ausländischer Statusentscheidungen aufgrund einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit würde über das Ziel hinausschießen; denn es würden all jene Entscheidungen sinnloserweise von der Anerkennung ausgeklammert werden, die mit den Rechtsvorstellungen des Inlands durchaus konform gehen. Diesen Gesichtspunkt berücksichtigt das deutsche Recht. So wird z.B. in Ehe-, 881 Abstammungs- und Kindschaftssachen keine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht, ebenso in Lebenspartnerschaftssachen (Rz. 872). Eine andere Auffassung vertritt Matscher.82 Er räumt jedoch ein, dass die Inan- 882 spruchnahme einer inländischen ausschließlichen internationalen Zuständigkeit nicht notwendig ist, um sicherzustellen, dass die betreffenden Statussachen allein nach den inländischen Sachnormen beurteilt werden. „Freilich könnte das anzustrebende Ziel in adäquater Weise auch durch den Einbau einer anderen Anerkennungsvoraussetzung erreicht werden, nämlich dadurch, dass das Erstgericht seiner Entscheidung die nach dem internationalen Privatrecht des Zweitstaats anzuwendenden Sachnormen zugrunde gelegt haben muss.“ 3. Besondere Eignung der inländischen Gerichte? Es ist ein Gemeinplatz, dass jeder Richter sein eigenes Recht am besten anwen- 883 den kann. Wollte man dem jedoch zuständigkeitsrechtlich absolute Geltung verschaffen, so liefe dies auf ein Ende des internationalen Privatrechts hinaus. Dieses geht von der Fungibilität aller Gerichte aus.83 Ausländische Gerichte können in thesi inländisches Recht genauso gut anwenden wie inländische Gerichte ausländisches Recht. Dies ist zwar nur eine Fiktion; sie muss aber aufrechterhalten werden, wenn man nicht an den Fundamenten des internationalen Privatrechts rütteln will (Rz. 37, 99, 868i). Aus der unterschiedlichen Qualität der Rechtspflegeorgane und aus der daraus 884 resultierenden unterschiedlichen Qualität der Rechtspflege in den verschiedenen Staaten können keine Folgerungen für die internationale Zuständigkeit gezogen werden. Die tatsächlichen Unterschiede in der Rechtspflege von Land zu Land sind irrelevant, solange die Toleranzgrenze des anerkennungsrechtlichen ordre public (Rz. 26) nicht überschritten ist (Rz. 37).84 4. Anwendung „schwierigen“ Rechts nur durch inländische Richter? Aus der Schwierigkeit der Anwendung des einschlägigen Rechts lässt sich also 885 kein kompetenzrechtlich relevantes Kriterium für die Ausschließlichkeit ableiten (Rz. 930).85 Rechtssystematisch gibt es keine Unterscheidung zwischen klarem, d.h. leicht anwendbarem, und schwierigem, d.h. nur schwer feststellbarem und schwierig anwendbarem Recht. Ob eine Norm leicht auffindbar und leicht 82 83 84 85
Matscher, JBl. 1979, 188 bei Fn. 37. S. auch z.B. Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 370. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 781. Zustimmend Schack, IZVR6, Rz. 247.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
auslegbar ist oder nicht, hängt von vielen Zufällen ab. Man kann z.B. nicht behaupten, dass das deutsche Scheidungsrecht eine leichte Materie, dagegen das deutsche Patentrecht ein Buch mit sieben Siegeln sei oder umgekehrt. Dies hängt vom Standpunkt und vor allem auch von den Kenntnissen und Fähigkeiten des Betrachters ab, rechtspolitisch gesehen von der Qualität der Juristenausbildung. 886 So kann man z.B. die Ausschließlichkeit des forum rei sitae für Immobiliarklagen nicht damit begründen, der ortsansässige Richter sei besonders geeignet, das einschlägige Recht anzuwenden. Das Gleiche gilt für die Frage, ob der Ort, an dem die Mietsache belegen ist, die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Belegenheitsstaates begründet (§ 29a ZPO) oder für die Frage der Ausschließlichkeit der internationalen Zuständigkeit des Verleihungsstaates für Klagen aus Patenten, Marken, Warenzeichen oder sonstigen gewerblichen Schutzrechten. Auch hier ist nicht nur von den Gerichten des Verleihungsstaates ein sachlich richtiges Urteil zu erwarten (s. auch Rz. 930, 1004, 1049, 1103). 887 Im Übrigen ist der Grad der Schwierigkeit bei der Anwendung ausländischen Rechts sehr relativ. Mit Recht bemerkt Weigel:86 „Es ist recht fraglich, ob es für eine auf dem Spezialgebiet des gewerblichen Rechtsschutzes erfahrene Patentkammer i.S. des § 51 II PatG schwieriger ist, auf einen Rechtsstreit französisches oder schweizerisches Patentrecht anzuwenden, als für einen Amtsrichter das Erbrecht der oder richtiger eines der Vereinigten Staaten, um nicht sogar ein so extremes Beispiel wie irgendein orientalisches Recht zu wählen.“87 888 Hat der ausländische Erstrichter international durchzusetzende Grundsätze des Rechts des Zweitstaates nicht berücksichtigt, so wird eben – wie in allen anderen Fällen auch – dem Urteil die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den inländischen ordre public verweigert. Aber auch hier gilt, dass die generelle Verweigerung der Anerkennung sinnwidrig wäre und über das Ziel hinausschösse: Es lässt sich eben nicht von vornherein ausschließen, dass ein ausländisches Gericht deutsches Grundstücksrecht oder deutsches Mietrecht richtig anwendet. Deshalb kann man nicht behaupten, nur deutsche Richter könnten Entscheidungen über inländische Grundstücke oder inländische Mietverhältnisse hinreichend richtig fällen. Ausländische Gerichte können deutsches Recht genauso tüchtig handhaben wie die inländischen Richter. Man sollte z.B. einem österreichischen Oberlandesgericht oder einer französischen Cour d’appel zutrauen, deutsches Recht richtig auszulegen. 889 Im Übrigen steht gar nicht fest, dass in allen Fällen schwieriges deutsches Mietrecht oder Grundstücksrecht zur Anwendung kommt: Mitunter ist der Prozess gar nicht an Hand deutscher Normen zu entscheiden, so etwa wenn nach dem Tode eines österreichischen Zahnarztes mit Wohnsitz in Wien zwischen seiner Witwe und seiner Tochter strittig ist, wer Erbe einer Eigentumswohnung in München ist. Für die Auslegung des (unklaren) Testaments anhand österrei-
86 Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 65. 87 Zustimmend Seber, ZfRV 24 (1983), 284 Fn. 66.
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chischen Erbrechts sind die österreichischen Gerichte möglicherweise sogar geeigneter als die deutschen (vgl. vice versa Rz. 931). Für Sonderbereiche, wie etwa auf dem Gebiet des Kartellrechts, gilt nichts Be- 890 sonderes. Auch hier genügt es, dass eine aus der Sicht des Inlandes unzureichende oder falsche Rechtsanwendung über die ordre public-Klausel abgewehrt werden kann. Der Gerichtsstand der Mitgliedschaft für verbandsrechtlich orientierte Klagen 890a (§ 22 ZPO, §§ 132, 241, 246, 275 AktG; §§ 61 III, 75 GmbHG, § 51 III GenG, Rz. 1439) verlangt – außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 24 Nr. 5 EuGVVO n.F. bzw. des Art. 22 Nr. 5 LugÜ 200788 – ebenfalls keine internationale Ausschließlichkeit in dem Sinne, dass die Verfahren, die Angelegenheiten von Vereinen, juristischen Personen und Handelsgesellschaften betreffen, nur im Sitzstaat geführt werden dürften. Die Vorstellung Riezlers,89 die Klage auf Feststellung der Mitgliedschaft in einem Idealverein dürfe nur in dem Staate erhoben werden, in dem der Verein seinen Sitz hat, ist verfehlt. Er meint, „das Recht auf Mitgliedschaft gründe sich auf die Satzung des Vereins; diese sei aber vielfach durch ordre public-Normen des Sitzstaates beeinflusst“. Riezler vertritt die nicht mehr haltbare These, dass diese Normen nur von den Gerichten dieses Staates angewandt werden dürften. Schief ist seine Vorstellung, ein anderer Staat als der Sitzstaat sei unzuständig zu „Eingriffen in den ausländischen ordre public“ (s. auch Rz. 988). Inkonsequenterweise dürfen aber nach Riezler die Normen über den Verein auch von anderen Gerichten als denen des Sitzstaates angewendet werden, wenn die Mitgliedschaft nur Präjudizialpunkt ist, wie z.B. bei einer Klage auf Zahlung von Mitgliedsbeiträgen (vgl. auch Rz. 999). Nochmals ist zu betonen, dass ein staatliches Interesse, nur ein inländisches Ge- 890b richt in der Sache entscheiden zu lassen, nicht besteht; vielmehr zielt das staatliche deutsche Interesse nur darauf, dass die aus der Sicht des Inlands für unverzichtbar gehaltenen Normen und Rechtsgrundsätze eingehalten werden. Ist dies der Fall, hat z.B. ein ausländisches Gericht einen Hauptversammlungsbeschluss einer deutschen Aktiengesellschaft anhand der Regeln des deutschen Rechts zutreffend für nichtig erklärt, steht ein staatliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen. Solche Fälle dürften allerdings selten sein; denn die Hauptversammlungs- bzw. Gesellschaftsbeschlüsse können nur durch eine Klage gegen die Gesellschaft für nichtig erklärt werden, und die Gesellschaft ist nur im Inland gerichtspflichtig, weil sie hier ihren Sitz hat. Lässt sie sich jedoch im Ausland ein, so besteht keine Veranlassung, gegen ihren Willen die Anerkennung zu verweigern mit der Begründung, nur inländische Gerichte hätten die Entscheidung vornehmen dürfen.
88 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 695. 89 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 240.
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5. Keine Kohärenz von Rechtsgang (Verfahrensrecht) und Rechtsanwendung 891 Es gibt auch keinen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem Verfahren und dem anzuwendenden Recht, welcher die ausschließliche Zuständigkeit des Inlandes erzwänge.90 892 Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Erststaat „Verfahrenszubehör“, das aus der Sicht des Zweitstaates untrennbar und unverzichtbar mit dem Sachrecht verbunden ist, angewandt hat. Das lex fori-Prinzip ist in letzter Zeit immer größeren Erosionen ausgesetzt. Man erkennt in zunehmendem Maße, dass es keineswegs unzumutbar oder unpraktikabel ist, verfahrensrechtliches Zubehör der lex causae anzuwenden (Rz. 325 ff.). 893 Aus der Sicht des Zweitstaates bedeutet dies: Soweit der Zweitstaat auf die Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Regeln besteht, kann er die Anerkennung des erststaatlichen Urteils verweigern, wenn diese verfahrensrechtlichen Normen vom Erstrichter nicht beachtet wurden. Versagungsgrund ist auch hier die ordre public-Klausel, § 328 I Nr. 4 ZPO; § 109 I Nr. 4 FamFG. Zu einer Generalprävention, d.h. einer generellen Verweigerung der Anerkennung über die Annahme einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit, fehlt jedoch der Anlass. Vielmehr ist hier jeweils von Fall zu Fall zu prüfen, ob und welche angeblich unverzichtbaren verfahrensrechtlichen Vorstellungen des Zweitstaates nicht beachtet wurden. Dabei wird sich herausstellen, dass die Zahl der Verfahrensnormen, die aus der Sicht des Zweitstaates unverzichtbar zum anzuwendenden Sachrecht gehören, sehr gering ist. Aus deutscher Sicht ist z.B. das Statusverfahren in Ehe- und Abstammungssachen sowie in Lebenspartnerschaftssachen von Förmlichkeiten so entschlackt, dass in der Praxis keine Schwierigkeiten auftreten dürften. Allenfalls ist der Grundsatz der Amtsermittlung (Offizialmaxime) unverzichtbar. Daraus kann man aber nicht folgern, nur deutsche Gerichte dürften den Sachverhalt ermitteln. Vielmehr ist unbestritten, dass auch ausländische Gerichte in Statusverfahren entscheiden können, insbes. auch Rechtsgestaltungen vornehmen dürfen. 894 Sieht man den Sinn des Verfahrensrechts darin, eine möglichst richtige Entscheidung herbeizuführen, so könnte man auch bei normalen Zivilprozessen Zweifel an der internationalen Fungibilität der Gerichte (Rz. 37, 883) haben; denn es ist z.B. ein großer Unterschied, ob eine Beweisaufnahme unter Leitung des deutschen Richters vorgenommen wird, oder ob ein Kreuzverhör (cross-hearing) vor einem englischen oder einem US-amerikanischen Gericht bzw. einer sonstigen „Stelle“ stattfindet, oder ob in Deutschland eine von Berufsrichtern besetzte Zivilkammer eines Landgerichts entscheidet, oder ob eine mit Laien besetzte Jury (Rz. 79) in den Vereinigten Staaten von Amerika usw. Aber noch niemand hat hieraus die Konsequenz hergeleitet, dass ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Verfahren (lex fori) und Sachstatut (lex causae) besteht, der eine ausschließliche internationale Entscheidungszuständigkeit des Inlands erforderlich macht.
90 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 527.
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6. Souveränitätsinteressen des Inlandes Personalhoheit: Bei Leonhardt kann man lesen: „Die ausschließliche Gerichts- 895 barkeit über die eigenen Untertanen … auch in Fällen, wo das ausländische Gericht seine Zuständigkeit auf einen Titel stützt, welchen das eigene Recht ebenfalls anerkennt, erscheint als Grundsatz der Staatssouveränität so, dass …, von Staatsverträgen abgesehen, einem ausländischen Urteil die Vollstreckbarkeit versagt wird.“91 Hierzu bemerkt treffend Schröder:92 „Dies ist noch mittelalterlich lehensrechtlich gedacht und spiegelt nicht den Stand des modernen Völkerrechts wider.“ Es ist keineswegs völkerrechtswidrig, sondern entspricht vielmehr der Staatenpraxis, dass internationale Entscheidungszuständigkeit auch gegenüber Ausländern in Anspruch genommen werden kann. Und welches Interesse sollte der Heimatstaat daran haben, dass Prozesse, an denen Inländer beteiligt sind, nur vor seinen eigenen Gerichten geführt werden? Weshalb soll nicht ein im Ausland zugunsten eines Inländers ergangenes Urteil auch im Inland vollstreckt werden können? Wurde in einer für das Inland anstößigen Weise ein Urteil gegen einen Inländer erlassen, so kann über die ordre public-Klausel die Anerkennung verweigert werden, aber die Inanspruchnahme einer ausschließlichen internationalen Entscheidungszuständigkeit für die inländischen Gerichte fordert die Personalhoheit über die eigenen Staatsangehörigen nicht (auch nicht in Statussachen).93 Gebietshoheit: Auch die Gesichtspunkte der Gebietshoheit erfordern nicht die 896 Inanspruchnahme einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit für das Inland, insbes. nicht für Immobiliarklagen.94 Wieso soll z.B. die deutsche Souveränität auf dem Spiel stehen, wenn Erbprätendenten vor einem ausländischen Gericht darüber streiten, wer Erbe eines in Deutschland gelegenen Grundstücks oder wer gem. § 563 BGB Sonderrechtsnachfolger hinsichtlich des Mietrechtsverhältnisses des Verstorbenen geworden ist?95
91 Leonhardt, Bürgerliche Prozessordnung3, 1861, 35 Fn. 1. 92 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 709. 93 Zu Recht schreibt denn auch Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 709: „Im Privatverfahren geht es um Prozessinteressen und nicht um Staatshoheit.“ S. auch Schröder, a.a.O., 185. 94 Anders die h.M., Nachw. bei Grundmann, IPRax 1985, 249 Fn. 5, 6. 95 Wenig Substanz hat die Argumentation des Reichsgerichts, welches die Gebietshoheit nahezu mystisch verklärt: „Schon in der Ausschließlichkeit dieses Gerichtsstandes für unbewegliche Sachen spiegelt sich die Staats- und Gebietshoheit wider. Der Staat duldet nicht, dass fremde Gerichte über die in seinem Bereich liegenden Grundstücke urteilen.“ RG v. 7.6.1921, RGZ 102, 251 (253); RG v. 10.12.1921, RGZ 103, 274 (277): „Der Grund und Boden und die mit ihm fest verbundenen Sachen bilden einen untrennbaren Teil des Staatsgebietes, in welchem sie belegen sind, sie können nur der Herrschaft dieses Staates unterstehen und nur er ist in der Lage, ein Urteil in eine solche Immobilie zu vollstrecken.“ Dem hält Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 368 zu Recht entgegen, dass das Phänomen der Untrennbarkeit von Grund und Boden zuständigkeitsrechtlich gar nichts bedeutet; „denn weder Parteien noch Gerichte hegen überhaupt die Absicht, das Grundvermögen aus seiner staats- und völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung herauszulösen“.
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897 Auch die staats- und völkerrechtliche Herrschaft des Belegenheitsstaates, kurz seine staatliche Macht, wird nicht in Frage gestellt.96 897a Unbestritten besteht keine Ausschließlichkeit für alle Klagen in Zusammenhang mit dem schuldrechtlichen Vertrag (Kauf, Tausch, Schenkung etc.) hinsichtlich ausländischer Grundstücke.97 7. Abwehr ausländischer Macht 898 Auch für Rechtsmaterien, die besonders eng mit dem öffentlichen Recht verzahnt sind, besteht nicht die Notwendigkeit, eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Inlandes in Anspruch zu nehmen. So ist z.B. die starke Durchdringung des Liegenschaftsrechts mit öffentlich-rechtlichen Komponenten kein ausreichender Anlass, fremden Gerichten von vornherein die internationale Zuständigkeit für Prozesse über inländisches Grundvermögen abzusprechen. Hier gelten die gleichen Erwägungen wie in Rz. 880. Sofern der Erststaat inländisches international zwingendes Recht nicht angewandt hat, muss die Anerkennung verweigert werden. Doch ist dies kein Grund, ausländischen Gerichten jede Jurisdiktion abzusprechen. 899 Selbst wenn Deutschland wegen einer Amtspflichtverletzung seiner Beamten, Amtsträger, Bediensteten etc. verurteilt wird, scheitert die Anerkennung des ausländischen Urteils nicht von vornherein an einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 877c).98 8. Theorie von der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts 900 Dass ausländisches öffentliches Recht einer inhärenten territorialen Anwendungsbeschränktheit unterliege, behauptet heute wohl niemand mehr.99 Im Üb96 Den Satz „Der Staat duldet nicht, dass fremde Richter über die in seinem Bereich liegenden Grundstücke urteilen“ bezeichnet Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 367 zu Recht als juristische Deklamation, mehr nicht. „Staaten, deren Belegenheitszuständigkeit keine internationale Exklusivität voraussetzt (wie Italien), verlieren darum keinen Deut von ihrer Souveränität, auch keinen Deut von ihrer territorial begründeten Souveränität. Ihr Staatsgebiet bleibt ihnen erhalten, ob jenes Grundstück nun dem Müller oder dem Schmitz gehört. Darüber indes können auch ausländische Gerichte befinden. Man muss sich von der Vorstellung frei machen, als ginge es ausländischer Privatrechtspflege nur darum, die inländischen Eigentumsverhältnisse zu unterwandern.“ 97 OLG Hamm v. 15.4.1985, IPRspr. 1985 Nr. 28. 98 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 19. 99 Zum Scheinargument der „territorialen Bindung“ öffentlichen Rechts Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 240 Rz. 296. Kritisch zur These von der Territorialität des öffentlichen Rechts z.B. auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 28 ff.; Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, 156; Kropholler, IPR einschließlich der Grundbegriffe des IZVR5, § 22 II 2 und § 52 X 2; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 237. Dagegen verficht der BGH nach wie vor die These, dass ausländisches öffentliches Recht als solches im Inland grundsätzlich nicht anwendbar sei, BGH v. 17.12.1959, BGHZ 31, 367 (371); BGH v. 21.12.1960,
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rigen böte diese These keine Stütze für die internationale Ausschließlichkeit der Belegenheitszuständigkeit (Rz. 932).100 Nochmals sei betont, dass eine eventuelle Nichtvereinbarkeit der im Ausland erlassenen Entscheidungen mit dem inländischen ordre public kein Grund ist, eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Inlands zu bejahen (Rz. 880). Wollte man mit dem Gedanken ernst machen, dass der ausländische Richter in- 901 ländisches Recht nicht richtig anwendet und nicht hinreichend berücksichtigt, so dürfte man überhaupt keine ausländischen Urteile anerkennen; denn es gibt nicht nur im Liegenschaftsrecht Teile des Privatrechts, die in starkem Maße von öffentlichem Recht überlagert und durchsetzt sind. So fordert aber gleichwohl niemand für Mobilien, die einer besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichtigkeit unterliegen, wie z.B. für Kunstwerke, die unter Denkmal- bzw. Kulturgutschutz stehen und mit Ausfuhrverboten belegt sind,101 die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Belegenheitsstaates. Die Zahl der öffentlich-rechtlichen Normen, die in Privatrechtsverhältnisse ein- 902 greifen (so genannte öffentlich-rechtliche Eingriffsgesetze) wird immer größer. Es gibt fast kein Schuldverhältnis mehr, für dessen Wirksamkeit und Bestand nicht irgendeine öffentlich-rechtliche Norm relevant wäre. Zu denken ist vor BGHZ 34, 169 (176); BGH v. 22.6.1972, BGHZ 59, 82 (85); BGH v. 20.11.1990 – VI ZR 6/90, MDR 1991, 1044 = JZ 1991, 719 (721). Hierzu auch Hailbronner, JZ 2002, 957 (960). Wenngleich der BGH die kollisionsrechtliche Verweisung des deutschen IPR bei den öffentlich-rechtlichen Eingriffsnormen ausländischer Rechtsordnungen abbricht, weil das deutsche Gesetz angeblich auf das ausländische öffentliche Recht nicht verweise, berücksichtigt er den Inhalt der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Eingriffsnormen über die Generalklauseln der §§ 138 I, 826 BGB. 100 Überholt sind daher die Erwägungen, die man in den Protokollen der Kommission zur Beratung einer allgemeinen Zivilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten (II, 1863, 438) nachlesen kann: „Die Gesetzgebung über das Eigentum und sonstige Rechte an unbeweglichen Gütern enthalte eine große Anzahl absoluter, im Interesse der einzelnen Staaten getroffenen Vorschriften, welche anderen Staaten unbekannt seien, und dort nicht zur Anwendung gebracht werden können. Kein Staat, welcher solche Vorschriften gegeben habe, könne und werde nun gestatten, dass Erkenntnisse anderer Staaten, in denen dieselben nicht beachtet worden seien, in seinem Gebiet zur Vollstreckung gebracht werden“. 101 So bedarf die Ausfuhr des in das „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“ bzw. in das „Verzeichnis national wertvoller Archive“ eingetragene Kultur- bzw. Archivgut der Genehmigung des Bundesministers des Innern. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn bei Abwägung der Umstände des Einzelfalles wesentliche Belange des deutschen Kulturbesitzes überwiegen, §§ 1 IV, 5 I, 10 III, 12 I des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung i.d.F. v. 8.7.1999 (BGBl. I 1999, 1754). S. auch vice versa das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der RL 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern) v. 18.5.2007, BGBl. I 2007, 757, ber. 1482; zuletzt geändert mit Gesetz v. 6.6.2013, BGBl. I, S. 1482. Hierzu Halsdorfer, Der Beitritt Deutschlands zum UNESCO-Kulturgutübereinkommen und die kollisionsrechtlichen Auswirkungen des neuen KultGüRückG, IPRax 2008, 395; Wendenburg, Kulturgüterschutz im Gemeinschaftsrecht, ZEuP 2008, 577.
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allem an Ein- und Ausfuhrverbote, Normen über die Kontrolle des Kapital- und Warenverkehrs, Wettbewerbsregelungen, Kartellverbote, Arbeitsschutzvorschriften, Devisen- und Währungsbestimmungen. 9. Beweis- und Rechtsnähe 903 Für das forum rei sitae hinsichtlich Immobiliar- und Mietklagen und für die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte für inländische Patente und sonstige gewerbliche Schutzrechte betreffende Klagen (Rz. 1002)102 spricht die Beweis- und Sachnähe des Belegenheits- bzw. Verleihungsstaates.103 Daraus folgt jedoch noch nicht die internationale Ausschließlichkeit dieser Fora. Z.B. ist die Beweis- und Sachnähe des Richters am Tatort der Grund dafür, dass das forum delicti commissi internationale Zuständigkeit trägt. Aber niemand will die an den Tatort angeknüpfte internationale Zuständigkeit für ausschließlich erklären (Rz. 1529). Der Geschädigte kann vielmehr wählen, ob er die Entschädigung im Staate des Tatorts oder im Wohnsitzstaat des Schädigers einklagt. Auch der Umstand, dass für Immobiliarklagen und Patentverletzungsklagen nach dem einschlägigen Kollisionsrecht die lex fori Anwendung findet, rechtfertigt nicht die Ausschließlichkeit dieser Gerichtsstände.104
III. Parteiinteressen 904 Der eigentliche Grund, weshalb Deutschland die positive Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates zur Voraussetzung der Anerkennung der erststaatlichen Entscheidung macht,105 ist der Beklagtenschutz.106 Es soll vermieden werden, dass der Kläger den Beklagten an jedem Punkt der Erde nach seinem Belieben verklagen kann, ohne dass er Gefahr laufen muss, dass das im Ausland erstrittene Urteil im Inland nicht anerkannt wird. Wenn auch Deutschland keinen Einfluss darauf hat, ob der Erststaat die Klage annimmt und in der Sache entscheidet, so kann es doch verhindern, dass Urteile solcher ausländischen Gerichte im Inland anerkannt werden, vor denen zu erscheinen und
102 Hierzu z.B. auch die Nachw. bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 43. 103 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 63 Fn. 14, 113. 104 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 372. Im gleichen Sinne nun auch KG v. 14.6.2001 – 2 U 67/01, KG Report Berlin 2001, 401; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1023. 105 § 328 I Nr. 1 ZPO, Rz. 2901. 106 Ebenso übrigens zumindest im Ansatz die französische Doktrin, die Art. 14 und 15 Code civil als Jurisdiktionsprivileg versteht, auf das verzichtet werden kann, Batiffol/ Lagarde, Droit international privé, tome I8, Nr. 685, 688 Fn. 12. Frankreich hält sich für ausschließlich international zuständig, mit der Folge, dass die Anerkennung ausländischer Urteile ausgeschlossen ist, es sei denn, der durch Art. 14, 15 Code civil begünstigte Franzose hat auf dieses Jurisdiktionsprivileg verzichtet; anders § 106 FamFG, früher § 606a I 2 ZPO a.F. Zu den enormen Auswirkungen dieses Unterschieds (Nichtanerkennung deutscher Urteile in Frankreich, wenn der Beklagte Franzose ist) vor Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 EuEheVO a.F. (Rz. 245c), Sonnenberger, IPRax 1992, 158.
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sich zu verteidigen dem Beklagten nicht zugemutet werden kann, weil weder der Beklagte noch der Streitgegenstand eine ausreichende Beziehung zum Urteilsstaat hatten. Dies ist der Zweck der positiven Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates und der Normen über die internationale Anerkennungszuständigkeit. Diese legen die internationale Gerichtspflichtigkeit des Beklagten fest, d.h. sie 905 bestimmen denjenigen Staat bzw. diejenigen Staaten, vor dessen bzw. deren Gerichten es dem Beklagten aus deutscher Sicht zugemutet werden kann, sich gegen die Klage zu verteidigen und sein Recht zu nehmen. Die Normen über die internationale Zuständigkeit fremder Staaten (= die Normen über die internationale Anerkennungszuständigkeit) sind also nicht rechtsethisch neutrale Ordnungsvorschriften. Sie gewährleisten vielmehr die Durchsetzung grundlegender Forderungen prozessualer Gerechtigkeit. Sie sind Schutznormen für den Beklagten (Rz. 2901). Aus dieser Sicht der Dinge können sich durchaus Konstellationen ergeben, in 906 denen nur der Zweitstaat international zuständig ist; so, wenn die Parteien die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Zweitstaates vereinbart haben, die Gerichte im Erststaat aber aus irgendwelchen Gründen die Derogation ihrer internationalen Zuständigkeit nicht anerkannt und ein Sachurteil erlassen haben. Hier kann sich der Beklagte darauf berufen, dass der Zweitstaat ausschließlich international zuständig ist. Er kann daher verlangen, dass dem erststaatlichen Urteil wegen fehlender internationaler Zuständigkeit die Anerkennung versagt werde. Voraussetzung ist jedoch, dass der Beklagte im erststaatlichen Verfahren den Derogationseinwand erhoben hat. Er muss also am erststaatlichen Verfahren teilnehmen und darf sich nicht kontumazieren lassen (Rz. 1810). Auch wenn nicht die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Zweit- 907 staates vereinbart wurde, kann sich jedenfalls im Ergebnis eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Zweitstaates ergeben, nämlich dann, wenn der Beklagte im Zweitstaat wohnt bzw. sich dort aufhält und keine relevante Zuständigkeitsanknüpfung qua Streitgegenstand zum Erststaat oder einem dritten Staat besteht.107 Jedoch ist hervorzuheben, dass kein Unterschied zu machen ist zwischen einer 908 ausschließlichen internationalen Zuständigkeit des Zweitstaates oder einer konkurrierenden Zuständigkeit des Zweitstaates und eines dritten Staates oder konkurrierender Zuständigkeiten von dritten Staaten. In jedem Falle steht fest, dass die Anerkennung mangels internationaler Zuständigkeit des Erststaates zu verweigern ist, wenn dies der Beklagte verlangt. Entscheidendes Kriterium ist, dass ein ausreichender Zuständigkeitsanknüpfungspunkt für den Erststaat fehlt. Steht dies fest, so ist es gleichgültig, ob aus der Sicht des Zweitstaates die Gerichte des Zweitstaates ausschließlich international zuständig sind, oder ob aus der Sicht des Zweitstaates dieser und konkurrierend ein dritter Staat international zuständig sind. In diesen Fällen ist der eigentliche Grund für die Versagung der Anerkennung der erststaatlichen Entscheidung, dass dem Beklagten aus der
107 Vgl. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 776.
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Sicht des Zweitstaates nicht zuzumuten war, sein Recht vor den Gerichten des Erststaates zu nehmen. 909 Da der Beklagtenschutz ratio legis für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates durch den Zweitrichter ist, kann der Beklagte auch im Anerkennungsstadium noch auf diesen Schutz verzichten. Die internationale Unzuständigkeit des Erststaates ist nur dann zu beachten, wenn der Beklagte diese geltend macht. Die internationale Unzuständigkeit des Erststaates ist nie von Amts wegen festzustellen.108 Der Zweitstaat will den Beklagten nicht gegen seinen eigenen Willen schützen. Auch der Kläger bzw. Antragsteller, der den erststaatlichen Prozess bzw. das erststaatliche Verfahren in Gang gesetzt hat, kann sich nicht auf die internationale Unzuständigkeit des Erststaates berufen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kläger im ausländischen Erstprozess gesiegt hat oder unterlegen ist (Rz. 2904).
IV. Kein Schutz des Jurisdiktionsinteresses dritter Staaten 910 Es kann vorkommen, dass die Anerkennung eines ausländischen Urteils zu versagen ist, weil nach deutscher Auffassung für die Entscheidung über den Streitgegenstand nicht der Urteilsstaat, sondern ein dritter Staat international zuständig ist. Es erhebt sich die Frage, ob § 328 I Nr. 1 ZPO und § 109 I Nr. 1 FamFG – neben den Kompetenzinteressen des Beklagten (Rz. 904, 2901) – auch die Jurisdiktionsinteressen fremder Staaten schützen.109 Sie ist zu verneinen. Der Gedanke, der Schutz des Jurisdiktionsinteresses fremder Staaten könnte mit das legislatorische Ziel des § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 1 FamFG sein, erweist sich von vornherein dann nicht als tragfähig, wenn kein Staat eine ausschließliche internationale Zuständigkeit für einen bestimmten Streitgegenstand beansprucht. Halten sich z.B. der Staat A als Wohnsitzstaat des Beklagten und der Staat B als Staat, in dessen Territorium die Klageforderung zu erfüllen ist, für konkurrierend international zuständig, entscheidet aber der Staat C, so ist nicht ersichtlich, wieso die Staaten A und B daran interessiert sein sollten, dass Deutschland das Urteil des Staates C nicht anerkennt; denn beide Staaten bringen dadurch, dass sie sich nur fakultativ für international zuständig erklären, zum Ausdruck, dass nach ihrer Auffassung nicht unbedingt die eigenen Gerichte entscheiden müssen. Nur soweit A oder B für einen bestimmten Streitgegenstand eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beanspruchen, wäre ein Interesse dieser Staaten an der Wahrung der eigenen Jurisdiktionssphäre gegeben, und dies auch nur dann, wenn die beanspruchte ausschließliche internationale Zuständigkeit im öffentlichen Interesse liegt. So werden A oder B an der Wahrung einer durch Prorogation begründeten ausschließlichen internationalen Zuständigkeit nicht interessiert sein (vgl. auch Rz. 855).
108 Näher unten Rz. 2903. Anders die h.M., z.B. BayObLG v. 19.9.1991 – BReg. 3 Z 113/91, NJW-RR 1992, 514 = FamRZ 1992, 584 (586) = IPRspr. 1991 Nr. 217. Nachw. auch bei Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel 1990, 102 und Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III1, Rz. 786. 109 Gleiches gilt für § 109 I Nr. 1 FamFG und § 343 I 2 Nr. 1 InsO.
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Ausschließliche internationale Zuständigkeiten
Vierter Teil
Kein Staat ist völkerrechtlich verpflichtet, die von einem anderen Staat bean- 911 spruchte ausschließliche Zuständigkeit dadurch zu schützen, dass er einem ausländischen Urteil deshalb die Anerkennung versagt, weil sich der Urteilsstaat über die vom dritten Staat beanspruchte ausschließliche internationale Zuständigkeit hinweggesetzt und selbst in der Sache entschieden hat. Eine solche Verpflichtung ist deshalb abzulehnen, weil kein Staat gegenüber den anderen Staaten einen völkerrechtlichen Anspruch auf alleinige Entscheidung gewisser Streitgegenstände durch seine eigenen Gerichte hat; denn das Völkergewohnheitsrecht kennt keine internationale Zuständigkeitsordnung. Es weist nicht bestimmte Streitgegenstände einem bestimmten Staat zur Entscheidung durch dessen Gerichte zu. So wäre es nicht völkerrechtswidrig, ein Urteil über einen ein Grundstück betreffenden dinglichen Klageanspruch anzuerkennen, das der Staat erlassen hat, in dem der Beklagte wohnt, obwohl der Staat, in dessen Gebiet das Grundstück liegt, sich für ausschließlich international zuständig erachtet (Rz. 383, 394).110
V. Völkervertragliche Bindung 1. Überblick Etwas anderes gilt dann, wenn Deutschland durch völkerrechtlichen Vertrag 912 oder durch Unionsrecht verpflichtet ist, die ausschließliche internationale Zuständigkeit eines dritten Staates zu respektieren. So war Deutschland nach bisherigem Verständnis z.B. verpflichtet, die auf Art. 22 LugÜ 2007 basierende ausschließliche internationale Zuständigkeit eines anderen Vertragsstaates zu verteidigen.111 Beispiel: Ein belgisches Gericht entscheidet über eine Immobiliarklage i.S. des Art. 22 Nr. 1 LugÜ, die ein in Norwegen belegenes Grundstück betrifft. Hier stand es bisher wohl nicht im Belieben der Bundesrepublik Deutschland, ob sie das belgische Urteil anerkennt oder nicht. Vielmehr ist sie an sich verpflichtet, den Anspruch Norwegens auf ausschließliche internationale Zuständigkeit zu verteidigen.112 Allerdings stellt das Lugano-Übereinkommen zur Durchsetzung dieses Anspruchs keinen geeigneten Mechanismus zur Verfügung.113 Anders ist es jedenfalls spätestens seit 10.1 2015 in der Europäischen Union, wenn die ausschließliche internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaats (Art. 24 EuGVVO) von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats ignoriert wird. Hier erfolgt die Versagung der Anerkennung (Art. 45 I [e] [ii] EuGVVO) nur dann, wenn ein „Berechtigter“ einen entspre-
110 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 121; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1548; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III1, Kap. I Rz. 638, 656. 111 R. Geimer, WM 1980, 1108. 112 Zur Anwendung des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO aus EU-Sicht s. Rz. 1886b. 113 Für die Anerkennung und Vollstreckung des belgischen Urteils kommen nicht Art. 32 ff. LugÜ, sondern Art. 36 ff. EuGVVO gemäß Art. 64 II (c) LugÜ (Rz. 1886) zur Anwendung.
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Vierter Teil
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chenden Antrag stellt. Gemeint ist ein Beteiligter am betreffenden Rechtsstreit. Den Versagungsantrag kann daher nicht auch der betroffene Staat stellen.
2. Alle beteiligten Staaten sind Vertragspartner einer Konvention 913 Wenn alle drei Staaten, also der Erststaat, Zweitstaat und Drittstaat Vertragspartner einer Konvention über die internationale Entscheidungszuständigkeit sind, dann sind die Normen des Übereinkommens nicht nur Beurteilungsregeln für die internationale Anerkennungszuständigkeit für den Zweitrichter (compétence indirecte), sondern auch Befolgungsregeln für den Erstrichter im Erkenntnisverfahren (compétence directe). 3. Der Erststaat ist gegenüber dem Zweitstaat völkervertraglich nicht gebunden 914 Anders liegen die Dinge jedoch, wenn der Erststaat gegenüber dem Zweitstaat völkervertraglich nicht gebunden ist und wenn Gegenstand der in Betracht kommenden bilateralen völkervertraglichen Regelung nur die internationale Anerkennungszuständigkeit ist, also die Formulierung einer Anerkennungsvoraussetzung bzw. eines Versagungsgrundes. Diese bezieht sich nur auf das bilaterale Verhältnis, also auf die Anerkennung von Urteilen aus dem Zweitstaat bzw. aus dem Drittstaat. Daneben können sich natürlich die Staaten gegenseitig verpflichten, bestimmte Jurisdiktionsbereiche gegenüber anderen Staaten zu verteidigen. Nur muss dies im Wortlaut des für den Zweitstaat verbindlichen Vertrages oder zumindest aus seiner Intention, die aus den Materialien zu erforschen ist, klar hervorgehen. Der Erststaat hat nicht gegen Völkerrecht verstoßen, da er völkerrechtlich nicht gebunden ist. Eine Verweigerung der Anerkennung aus dem Gesichtspunkt der Völkerrechtswidrigkeit des erststaatlichen Urteils scheidet aus.114 Im Einzelnen sind verschiedene Fälle zu untersuchen. a) Erste Hypothese 915 Es besteht nur ein Vertrag zwischen dem Zweitstaat und dem Drittstaat. Dieser Vertrag regelt nur die internationale Anerkennungszuständigkeit und sieht vor, dass die Anerkennung zu versagen ist, wenn eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Zweitstaates oder eines dritten Staates vorliegt. Dieser bilaterale Vertrag betrifft nur die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen aus dem Zweitstaat bzw. dem Drittstaat, nicht jedoch die Anerkennung und Vollstreckung von erststaatlichen Titeln. 916 Bilaterale Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge stipulieren im Zweifel nicht die Verpflichtung zur Verweigerung der Anerkennung, auch wenn ein Versagungsgrund gegeben ist. Vielmehr ist der Zweitstaat nur berechtigt, die Anerkennung zu verweigern. Er kann aber mehr tun, als er völkervertraglich verpflichtet ist, und trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes die Anerkennung aussprechen. Dies folgt daraus, dass die Verträge nicht abgeschlossen worden sind, um die Nichtanerkennung von Titeln in bestimmten Fällen zu erreichen,
114 A.A. Matscher, JBl. 1979, 246.
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Vierter Teil
sondern um eine möglichst weitgehende Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu erzielen (Rz. 2766).115 Nach der hier vertretenen Auffassung muss also der zwischen dem Zweitstaat 917 und dem Drittstaat geschlossene Vertrag nicht nur eine Regelung der internationalen Zuständigkeit als Voraussetzung der Anerkennung bringen, sondern auch die ausdrückliche oder konkludente Verpflichtung enthalten, die Zuständigkeitsregelung auch gegenüber dritten Staaten durchzusetzen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass durch einen bilateralen Vertrag, der nur die internationale Zuständigkeit als Voraussetzung der Anerkennung regelt, die Vertragspartner nicht verpflichtet sind, die in dem Zuständigkeitskatalog aufgestellten Zuständigkeitsgrundsätze gegenüber dritten Staaten durchzusetzen. b) Zweite Hypothese Es besteht ein Vertrag zwischen dem Erststaat und dem Drittstaat über die Re- 918 gelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit (compétence directe). Dieser Vertrag ist für den Zweitstaat unbeachtlich, da er nur zwischen den Vertragspartnern gilt. Der Umstand, dass der Erststaat sich im Verhältnis zum Drittstaat völkerrechtswidrig verhalten hat, weil er entgegen den Vereinbarungen im Gerichtsstandsvertrag internationale Entscheidungszuständigkeit beansprucht hat, ist für den Zweitstaat keine Veranlassung, der erststaatlichen Entscheidung die Anerkennung zu verweigern. Erforderlich ist jedoch, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung nach dem autonomen Recht oder dem einschlägigen Abkommen zwischen dem Zweitstaat und dem Erststaat gegeben sind.116 c) Dritte Hypothese Zwischen dem Erststaat und dem Drittstaat besteht nur ein Anerkennungs- und 919 Vollstreckungsvertrag, welcher die internationale Zuständigkeit bloß als Voraussetzung der Anerkennung regelt (compétence indirecte). Dieser Vertrag ist für den Zweitstaat unbeachtlich, und zwar aus den in Rz. 916 vorgetragenen Gründen. Einstweilen frei 920–923
115 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 59 ff.; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1041, 1049, 1362, 1383. 116 Beispiel: Nach Art. 1 des franz.-schweiz. Vertrages v. 15.6.1869 war vor dem Inkrafttreten des LugÜ für Klagen wegen persönlicher Ansprüche eines Schweizers gegen einen Franzosen mit Wohnsitz in Frankreich die ausschließliche französische Entscheidungszuständigkeit gegeben. Hatte nun das schweizerische Gericht unter Verletzung dieses Vertrages im Gerichtsstand des Unfallortes entschieden, so war die Beachtung oder Nichtbeachtung der Regeln des franz.-schweiz. Vertrages für den deutschen Zweitrichter ohne Bedeutung, Matscher, JBl. 1979, 247 bei Fn. 114; R. Geimer, WM 1980, 1107.
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VI. Beeinträchtigung der Justizgewährung im Inland durch Beachtung ausschließlicher internationaler Zuständigkeiten fremder Staaten 1. Unbeachtlichkeit des ausschließlichen Jurisdiktionsanspruchs fremder Staaten 924 Dass ein fremder Staat für sich eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht, ist irrelevant.117 925 Dass z.B. das allgemeine Völkerrecht nicht die Ausschließlichkeit des forum rei sitae postuliert, wurde bereits oben Rz. 383, 394, 869 dargelegt, vgl. auch Rz. 987. 2. Zuweisung ausschließlicher internationaler Zuständigkeiten an fremde Staaten durch das deutsche Recht? 926 Für den deutschen Richter von Bedeutung wäre allerdings, wenn ihm der deutsche Gesetzgeber vorschreiben würde, seine an sich nach §§ 12 ff. ZPO gegebene internationale Zuständigkeit (aufgrund inländischen Beklagtenwohnsitzes, Erfüllungsortes, Tatortes etc.) zu verneinen, falls in concreto das deutsche Recht einen ausländischen Staat für ausschließlich international zuständig erklärt. 927 Beispiel: Der Beklagte wohnt in München. Streitgegenstand ist die Feststellung des Eigentums oder des Bestehens eines Mietverhältnisses an einer Eigentumswohnung in Kiew.118 Die h.M.119 wendet § 24 ZPO bzw. § 29a ZPO auch internationalrechtlich an mit der Folge, dass – aus deutscher Sicht – die Ukraine ausschließlich international zuständig und daher die Bundesrepublik Deutschland trotz internationaler Wohnsitzzuständigkeit (§§ 12, 13 ZPO) international unzuständig ist (Rz. 1945). (Anders wäre es allerdings, wenn „nur“ über die Wirksamkeit [Erfüllung, Rückabwicklung] eines ein ausländisches Grundstück betreffenden schuldrechtlichen Vertrages gestritten würde, Rz. 897a).120
928 Ob die Ukraine diese „Zuständigkeitsverweisung“ annimmt, ist ihre Sache. Deutschland darf und will hier nicht als praeceptor orbis terrarum auftreten. Dies wäre eine verbotene Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates und darüber hinaus ein Schlag ins Wasser; denn ukrainische Richter lassen sich von deutschen Gesetzen nicht vorschreiben, wann sie die internationale Zuständigkeit der Ukraine zu bejahen oder zu verneinen haben.121 Im Ergebnis lässt sich daher der Inhalt einer – hypothetischen – deutschen Norm, welche die internationale Anwendung des Ausschließlichkeitsaus-
117 Zustimmend z.B. Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1014. Bedeutsam wären nur vom allgemeinen Völkergewohnheitsrecht gesetzte Schranken. Solche sind aber nicht erkennbar. 118 Die umstrittene Frage nach der (vorrangigen) Anwendbarkeit der Art. 4 ff., 24 EuGVVO sei hier ausgeklammert, weil die Problematik die gleiche bleibt. 119 Nachw. bei Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 171; vgl. auch Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 182 ff. und Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 103. 120 OLG Hamm v. 15.4.1985, IPRspr. 1985 Nr. 28. 121 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 311.
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spruchs der §§ 24, 29a ZPO vorschreibt, auf das an die deutschen Gerichte gerichtete Gebot komprimieren, (unter den in §§ 24, 29a ZPO näher definierten Prämissen) Rechtsschutz im Inland zu verweigern. Die Zuordnung einer ausschließlichen Jurisdiktion an einen fremden Staat verkürzt den Umfang der an sich aus §§ 12 ff. ZPO folgenden internationalen Zuständigkeit Deutschlands und damit den Justizgewährungsanspruch des Klägers. Dies könnte der deutsche Gesetzgeber122 zweifellos anordnen (vorbehaltlich 929 der verfassungsrechtlichen bzw. internationalmenschenrechtlichen Grenzen, Rz. 250b). Ob er es aber tatsächlich de lege lata getan hat, ist Gegenstand der Kontroverse. Es sprechen – entgegen der h.M.123 – die überwiegenden Gründe dafür, dass Deutschland als Wohnsitzstaat seine Gerichte auch über die in § 24 und § 29a ZPO genannten Klagen bezüglich ausländischem Grundbesitz bzw. Wohnraum entscheiden lässt.124 Erhebliche internationalverfahrensrechtlich relevante Interessen fordern, dass Deutschland sich in den Fällen des § 24 bzw. § 29a ZPO nicht rundweg als international unzuständig erachtet: Der Beklagte hat kein berechtigtes schützenswertes Interesse, den Prozess nicht vor den deutschen Gerichten, sondern am forum rei sitae führen zu müssen. Sein Recht auf angemessene Verteidigung ist in seinem Wohnsitzstaat am besten gewährleistet. Für das forum rei sitae spricht zwar die Beweis- und Sachnähe des Belegenheitsstaates. Dieses Verfahrensinteresse ist aber nicht so stark, dass die internationale Ausschließlichkeit am forum rei sitae daraus zwingend folgt.125 So ist z.B. die Beweis- und Sachnähe des Richters am Tatort der innere Grund dafür, dass das forum delicti commissi internationale Zuständigkeit eröffnet. Aber die auf § 32 ZPO begründete internationale Zuständigkeit ist nicht ausschließlich: Der Geschädigte kann wählen, ob er den Schädiger im Staat des Tatortes oder im Wohnsitzstaat verklagt (Rz. 902). Auch ein weiteres Argument für die Anerkennung einer ausschließlichen inter- 930 nationalen Zuständigkeit des Belegenheitsstaates erweist sich als nicht überzeugend: Das ausländische Liegenschafts- und Wohnungsmietrecht sei stark mit öffentlichem Recht durchwirkt; dessen Auffindung und Anwendung sei für den deutschen Richter zu schwierig. Hiergegen ist festzustellen: Der Grad der Schwierigkeit des Erkennens und Anwendens ausländischen Rechts ist irrelevant. Wollte man darauf abstellen, so wäre dies das Ende des IPR.126 Im Bereich des internationalen Schuld-, Familien- und Erbrechts ist denn auch unbestritten, dass die deutsche internationale Zuständigkeit nicht deshalb zu verneinen ist, weil es für den deutschen Richter mit erheblichen Schwierigkeiten verbun-
122 Wie z.B. der schweiz. Gesetzgeber, vgl. Art. 97 I IPRG; hierzu Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 107. 123 Z.B. Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 37; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 171, 174. 124 Ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 47, § 24 Rz. 6. 125 Zustimmend KG v. 14.6.2001 – 2 U 67/01, KG Report 2001, 401; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1021, 1023, 1026. 126 Ähnlich Booß, Fragen der „wesenseigenen Zuständigkeit“ im internationalen Familienrecht, 1965, 81.
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den ist, den Inhalt der vom deutschen internationalen Privatrecht zur Anwendung berufenen ausländischen Rechtsordnung auszukundschaften (Rz. 885). 931 Wäre es richtig, dass dem deutschen Richter die Anwendung ausländischen Liegenschaftsrechts bzw. Wohnungsmietrechts nicht zuzumuten ist, dann wäre es folgerichtig, die deutsche internationale Zuständigkeit auch dann in Abrede zu stellen, wenn die in § 24 bzw. § 29a ZPO genannten Streitpunkte nicht Streitgegenstand, sondern Präjudizialpunkte sind; denn die ausländischen Rechtsmaterien werden für den deutschen Richter nicht deswegen leichter fassbar, weil sie „nur“ incidenter zu prüfen sind. Im Übrigen wäre es irrig anzunehmen, dass für die Entscheidung der Klagen über ausländischen Grundbesitz bzw. Wohnraum immer nur „schwieriges“ ausländisches (bürgerliches oder öffentliches) Recht zur Anwendung kommt. Mitunter ist der Prozess ausschließlich auf der Grundlage deutscher Normen zu entscheiden. So etwa, wenn nach dem Tode des Eigentümers einer Wohnung im Ausland zwischen der Ehefrau und den Kindern gestritten wird, wer Eigentümer aufgrund eines unklaren Testaments geworden ist, wobei für die Erbfolge deutsches Recht gilt (s. vice versa Rz. 889). 932 Auch die These von der Nichtanwendbarkeit fremden öffentlichen Rechts – ihre Richtigkeit unterstellt127 – kann man nicht als Stütze für die Ausschließlichkeit der internationalen Zuständigkeit des Belegenheitsstaates heranziehen. Denn sonst müsste man auch die internationale Zuständigkeit verneinen für Klagen, die im Ausland befindliche Mobilien betreffen, zumindest dann, wenn diese einer besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichtigkeit unterliegen (Rz. 901). 933 Diskutabel ist allenfalls die These von der Ineffektivität gerichtlicher Entscheidungen des Wohnsitzstaates: Deutsche Gerichte sollen über ausländischen Grundbesitz und ausländischen Wohnraum deshalb nicht entscheiden, weil ihre Urteile im Belegenheitsstaat nicht anerkannt werden, ihre Wirksamkeit mithin auf den Bereich der deutschen Jurisdiktionssphäre beschränkt bleibt. Der praktische Nutzeffekt solcher auf das Inland beschränkter Urteile sei aber gleich null; deshalb fehle „jedes staatliche Interesse an einer Entscheidung durch inländische Gerichte“.128 Diese Argumentation wäre nur dann schlüssig, wenn der Belegenheitsstaat in concreto eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht.129 Nicht alle Staaten betrachten das forum rei sitae als ausschließlich. Aber auch wenn man diesen Aspekt beiseite lässt, stimmt die These von der totalen Wirkungslosigkeit des deutschen Urteils in den in §§ 24, 29a ZPO, § 43 WEG genannten Angelegenheiten nicht: Für den Bereich der deutschen Hoheitssphäre steht fest, wer Eigentümer der ausländischen Wohnung etc. ist bzw. ob der diese Wohnung betreffende Mietvertrag wirksam zustande kam oder nicht
127 Dagegen oben Rz. 900; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 28 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 370; Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 378. 128 So Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 43 und Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 175. 129 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 46; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 456.
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usw. Die Rechtskraft dieser Urteile ist in Folgeprozessen (Zahlungsklagen wegen Nichterfüllung, Schadensersatz etc.) zu beachten.130 Ob die Urteile des deutschen Richters qualitativ „schlechter“ sind als die des iu- 934 dex rei sitae, lässt sich generell nicht prognostizieren. Jedenfalls sollte man den mündigen Bürger nicht bevormunden. Wenn der Kläger bzw. sein Anwalt die Klage nicht am forum rei sitae, sondern im Wohnsitzstaat erheben will, dann ist es eben sein Risiko, was er mit dem im Wohnsitzstaat erstrittenen Urteil anfangen kann. Wäre die Ineffektivitätstheorie richtig, so dürften die deutschen Gerichte auch 935 nicht zur Herausgabe einer im Ausland befindlichen beweglichen Sache, zur Erfüllung an dem im Ausland gelegenen Erfüllungsort131 oder zur Unterlassung im Ausland verurteilen, weil Deutschland die Durchsetzung dieser Urteile im Ausland (unmittelbar) nicht erzwingen kann. Dies behauptet aber niemand. Vielmehr ist unbestritten (Rz. 396), dass solche Urteile erlassen werden dürfen.132 Aus dem Blickwinkel der herrschenden Lehre stellt sich die Frage, nach welchem Recht die Frage zu qualifizieren ist, ob eine der in § 24 ZPO genannten Klagen vorliegt. Ist die deutsche lex fori maßgebend, da es sich um die Auslegung eines deutschen Prozessrechtssatzes handelt, oder die lex rei sitae? Dies ist praktisch bedeutsam, wenn die lex rei sitae den Kreis und Umfang der dinglichen Rechte weiter zieht als die deutsche.133 Wenig Sinn gibt die h.L. von der internationalen Ausschließlichkeit des § 24 936 ZPO, wenn der Belegenheitsstaat seinerseits keine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt. Soll sich die Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat des Beklagten im Hinblick auf § 24 ZPO für international unzuständig erklären, obwohl der Belegenheitsstaat für sich gar keine (Fall der lege rei sitae wirksamen Derogation) oder nur eine konkurrierende internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt? Die vorstehenden Argumente gegen die Ausschließlichkeit der internationalen 937 Zuständigkeit des Belegenheitsstaates (forum rei sitae) und für die konkurrierende internationale Zuständigkeit gelten auch dann, wenn Deutschland nicht aufgrund des Beklagtenwohnsitzes, sondern aufgrund einer anderen Zuständigkeitsanknüpfung, etwa § 23 ZPO oder § 39 ZPO, international zuständig ist.
130 Zustimmend KG v. 14.6.2001 – 2 U 67/01, KG Report Berlin 2001, 401; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1024. 131 RGZ 126, 199. 132 S. auch Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 464. 133 Hierzu Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts I, 1885, 436 (für interlokale Fälle) und Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im internationalen Privatrecht, 1969, 212.
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VII. Durchbrechung der Kongruenzregel? 938 Aus dem Blickwinkel der h.M. (Rz. 879 ff.) stellt sich noch folgende Frage: Muss in den Fällen, in denen Deutschland für sich eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht, unbedingt vice versa fremden Staaten eine ausschließliche internationale Zuständigkeit zugebilligt werden, wenn die Zuständigkeitsanknüpfungspunkte im Ausland liegen? 939 Für die Durchbrechung des in § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. in § 109 I Nr. 1 FamFG niedergelegten Kongruenzprinzips (Rz. 860) hatte sich das Reichsgericht ausgesprochen. Es beanspruchte für Rechtsstreitigkeiten über deutschen Grund und Boden die ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands, Rz. 896. Es wollte aber nicht Gleiches gelten lassen für ausländische Grundstücke. Es bejahte die deutsche internationale Zuständigkeit für Immobiliarklagen bezüglich ausländischer Grundstücke.134 940 Völkerrechtlich ist der Standpunkt des Reichsgerichts unbedenklich: Der Grundsatz der Kongruenz zwischen internationaler Entscheidungszuständigkeit (für die eigenen Gerichte) und internationaler Anerkennungszuständigkeit (für die ausländischen Gerichte) ist völkerrechtlich nicht geboten: Ein Staat kann für die Anerkennung fremder Urteile größere Anforderungen an die internationale Zuständigkeit stellen, als sie das Völkerrecht oder das Recht des Gerichtsstaates für die eigenen Gerichte aufgestellt haben.135
134 RG v. 20.1.1894, RGZ 32, 414 betraf einen Rechtsstreit zwischen zwei Deutschen über eine Grunddienstbarkeit an einem österr. Grundstück. Dem Reichsgericht sind OLG Kiel v. 12.12.1925, JW 1926, 617 Nr. 8 (Jonas) und LG Bonn v. 4.10.1973, NJW 1974, 427 (R. Geimer 2189) = IPRspr. 1973 Nr. 135 gefolgt. Auf das Reichsgericht beruft sich auch der BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = IPRax 1999, 45 (Stoll 29) = IStR 1998, 223 (Goette) = LM nach Art. 38 EGBGB 1986 Nr. 3 (Dörner) = IPRspr. 1997 Nr. 60 (betr. Anspruch auf Zutrittsverschaffung zu einer in Spanien gelegenen Wohnung). Vgl. auch KG v. 14.6.2001 – 2 U 67/01, KG Report 2001, 401. Ohne Stellungnahme BGH v. 13.12.1967, BGHZ 49, 124 (128) = NJW 1968, 356 = ZZP 82 (1969), 302 (Walchshöfer) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 222. In der Literatur findet sich Zustimmung bei Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 215. Im Übrigen wurde das Reichsgericht heftig kritisiert: Hellwig, System des Deutschen Zivilprozessrechts I, 1912, 101 Fn. 14; Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 38 Fn. 163; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im internationalen Privatrecht, 1938, 55; Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 474 und 345 Fn. 12; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 42; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 356, 770; Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 27 ff.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, Rz. 47 vor § 12 sowie § 24 Rz. 6; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1017. Weitere Nachw. bei Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 50 Fn. 111 und Trenk-Hinterberger, Internationales Wohnungsmietrecht, 1977, 73 f. 135 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3b Fn. 9, S. 16, 395; R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, I/2, 1984, 1506, 1710; Schlosser, IPRax 1985, 142.
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Regelung im autonomen deutschen Recht
Vierter Teil
Auf der Linie des Reichsgerichts liegen auch der Bundesgerichtshof136 und das 941 OLG Köln:137 Begründung der deutschen internationalen Zuständigkeit gem. § 38 bzw. § 39 ZPO, obwohl vice versa ein Übergehen der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit Deutschlands nicht hingenommen wird (Rz. 1642). Eine „einseitige“ internationale Ausschließlichkeit zugunsten Deutschlands sti- 942 puliert auch § 32a ZPO für Klagen nach dem Umwelthaftungsgesetz, der auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zurückgeht: Werden Rechtsgüter im Ausland durch eine im Inland gelegene Anlage geschädigt, beansprucht Deutschland – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des EuGVÜ/LugÜ – eine ausschließliche internationale Zuständigkeit (Rz. 872), eröffnet aber vice versa am Erfolgsort im Inland, d.h. bei einer Schädigung von Rechtsgütern im Inland (z.B. von Gesundheit oder Eigentum) durch eine im Ausland installierte Anlage gem. § 32 ZPO eine konkurrierende internationale Zuständigkeit.138 (S. auch Rz. 872).
3. Kapitel: Autonome Regelung der internationalen Zuständigkeit in der ZPO und im FamFG I. Gesetzestechnik Die deutsche Gesetzessprache139 verwendete bisher zwar nicht verbis expressis 943 den Terminus „internationale Zuständigkeit“;140 ihr ist jedoch der Begriff der Sache nach bekannt. So heißt es z.B. in §§ 98 ff. FamFG jeweils „… die deutschen Gerichte sind zuständig, wenn …“. Die Zuständigkeitsabgrenzung zum Ausland kommt auch in §§ 29c III,141 § 38 II 944 und III Nr. 2 ZPO (für internationale Zuständigkeitsvereinbarung) und in §§ 689
136 BGH v. 30.1.1969, RIW 1969, 113 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 202; BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = IPRax 1999, 45 (Stoll 29) = IPRspr. 1997 Nr. 60; a.A. Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 37. 137 OLG Köln v. 23.10.1985 – 2 U 79/85, OLGZ 1986, 210 = MDR 1985, 239 = Rpfleger 1986, 96 = IPRspr. 1985 Nr. 145. Vgl. auch Rz. 1400. 138 Kritisch Jayme/Kohler, IPRax 1992, 347 Fn. 24. 139 Der Anwendungsbereich des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts schrumpft angesichts des Vordringens des Unionsrechts (Rz. 245c) und des völkervertraglich vereinbarten Zuständigkeitsrechts (Rz. 1874). Der Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Übereinkommen ist entgegen der h.M. nicht teleologisch zu reduzieren auf „internationale Sachverhalte“ und auf solche, die einen „Bezug zu einem anderen Vertragsstaat“ haben, Rz. 1264. S. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 32a. 140 So aber die Überschrift in Unterabschn. 2 des Abschn. 9 des Buches 1 des FamFG. 141 Beispiel: Teppich-Kauf in der Türkei, LG Tübingen v. 30.3.2005 – 5 O 45/03, NJW 2005, 1513 = RIW 2005, 781 = IPRax 2006, 477 (Mankowski 454) = IPRspr. 2005 Nr. 15. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 185 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
II 2, 703d ZPO (für die internationale Zuständigkeit in Mahnverfahren, Rz. 973) klar zum Ausdruck. 945 Die internationale Anerkennungszuständigkeit ist klar und deutlich – nach dem Kongruenzprinzip (Rz. 854) – in § 328 I Nr. 1 ZPO geregelt.
II. Doppelfunktion der Gerichtsstandsnormen 1. Die örtliche Zuständigkeit indiziert die internationale Zuständigkeit 946 Der deutsche Gesetzgeber hat – wie andere142 – die internationale Entscheidungszuständigkeit gesetzestechnisch mit der örtlichen Zuständigkeit verwoben. Die Faustregel lautet: Die örtliche Zuständigkeit begründet auch die internationale.143 Die internationale Zuständigkeit Deutschlands ist grundsätzlich immer dann gegeben, wenn mindestens ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist.144 So nun ausdrücklich § 105 FamFG. 947 Die Behauptung, die internationale Zuständigkeit sei in der deutschen Zivilprozessordnung nicht geregelt, sie sei vielmehr erst richterrechtlich entwickelt worden,145 lässt sich bereits durch einen Blick in das Gesetz widerlegen, vgl. §§ 15, 142 So z.B. sehr deutlich der österreichische Gesetzgeber in § 27a I JN: „Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichtes gegeben, so besteht die inländische Gerichtsbarkeit, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss.“ Damit ist die früher in Österreich vorherrschende „Indikationstheorie“ überholt, Matscher, JBl. 1998, 488; Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305. 143 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 84; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 76; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 32, 32b; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 20; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 20; Mörsdorf-Schulte in Schröder/Bergschneider (ed.), Familienvermögensrecht2, Rz. 11.2. 144 Z.B. BGH v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, MDR 1985, 215 = FamRZ 1984, 1001 = NJW 1985, 552 = IPRax 1985, 224 (Henrich 207) = IPRspr. 1984 Nr. 168; BSG v. 26.1.1983 – 1 S 2/82, BSGE 54, 250 = IPRspr. 1983 Nr. 130; BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = EWiR 1985, 659 (Birk) = IPRspr. 1985 Nr. 48; BGH v. 9.10.1986 – I ZR 138/84, NJW 1987, 1323 = MDR 1987, 466 (Ahrens 471) = IPRspr. 1986 Nr. 116; BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 29/88, BGHZ 106, 300 = NJW 1989, 1356 = IPRax 1990, 47 (Coester-Waltjen 26) = IPRspr. 1989 Nr. 182; BGH v. 12.6.2007 – XI ZR 290/06, NJWRR 2007, 1570 = RIW 2007, 873 (875); BAG v. 16.2.2000 – 4 AZR 14/99, BB 2000, 982 = AuR 2000, 110 = NZA 2001, 331 = TranspR 2001, 419 = IPRspr. 2000 Nr. 35; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129; OLG Brandenburg v. 25.5.2000 – 12 U 159/99, OLG-NL 2002, 3 = IPRspr. 2000 Nr. 23A; LAG Frankfurt/M. v. 14.8.2000 – 10 Sa 982/99, NJOZ 2001, 45 = IPRspr. 2000 Nr. 40. Zu locker OLG Zweibrücken v. 4.3.1986 – 3 W 32/86, IPRspr. 1986 Nr. 150, die Gerichtsstandsnormen gäben nur einen „Fingerzeig“. 145 BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 (157) = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = RIW 1985, 649 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286) = IPRspr. 1985 Nr. 137; BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (91) = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b; BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 206/92, MDR 1994,
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16, 23, 23a, 27 II, 38 II, III Nr. 2, 689 II 2, 703d, 828 II Alt. 2 ZPO. S. auch §§ 98 ff. FamFG.146 Der Reichsjustizgesetzgeber hatte ganz deutlich die Abgrenzung der deutschen 948 Jurisdiktionssphäre gegenüber dem Ausland im Auge, wie sich insbes. aus § 23 ZPO ergibt.147 Die deutschen Gerichtsstandsvorschriften sind also grundsätzlich doppelfunk- 949 tional: Sie bestimmen zum einen den Umfang der deutschen internationalen Zuständigkeit, zum anderen verteilen sie – sofern die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist – die Rechtsprechungsaufgaben nach örtlichen Gesichtspunkten auf die einzelnen deutschen Gerichte.148 Mit den Normen über die örtliche Zuständigkeit kann man die von Deutschland 950 in Anspruch genommene internationale Zuständigkeit deshalb abgrenzen, weil es außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland nichts abzugrenzen gilt, seitdem die Konsulargerichtsbarkeit abgeschafft ist; anders wäre es möglicherweise im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wenn Konsuln als Gerichte fungieren könnten. 2. Zuständigkeitsvereinbarungen Die Doppelfunktionstheorie kommt auch bei Zuständigkeitsvereinbarungen zum 951 Zuge (Rz. 1633): Vereinbaren die Parteien die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, so liegt darin auch die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands.149 Ist die ausschließliche örtliche Zuständigkeit eines
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723 = NJW 1993, 3135 = RIW 1993, 1955 = IPRax 1994, 454 (Straub 432) = IPRspr. 1993 Nr. 42; OLG Brandenburg v. 22.2.1996 – 5 U 91/95, RIW 1997, 424 = OLG-NL 1996, 233 = IPRspr. 1996 Nr. 141; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129. Hierzu z.B. auch Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 344. Vgl. auch die ausführlichen Erörterungen bei der Beratung der CPO, Hahn I 149 (zitiert bei Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 31). Daher ist es nicht verständlich, wenn der BGH meint, § 23 ZPO indiziere regelmäßig nur die internationale Zuständigkeit, BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, BGHReport 2001, 894 = IPRSpr. 2001 Nr. 2. R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 112; Coester-Waltjen, IPRax 1990, 26 Fn. 3. Dies hat der IPR-Reformgesetzgeber bestätigt. Vgl. auch amtliche Begründung in BT-Drucks. 10/504, 89: „Das geltende Recht entnimmt grundsätzlich … die Regeln für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit.“ S. auch z.B. BGH v. 28.1.1987 – IVb ZR 10/86, MDR 1987, 568 = FamRZ 1987, 463 (464) und BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142. Zum umgekehrten Fall (Vereinbarung nur der internationalen Zuständigkeit ohne örtliche Zuständigkeit) Rz. 1753.
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ausländischen Gerichts vereinbart, so ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands derogiert150 (Rz. 1736, 1757). 3. Arbeitsgerichtsbarkeit und freiwillige Gerichtsbarkeit 952 Die Doppelfunktionstheorie gilt auch für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 46 II 1 ArbGG i.V.m. §§ 12 ff. ZPO [Urteilsverfahren],151 §§ 80, 82 Satz 1 ArbGG [Beschlussverfahren], Rz. 1187)152 und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit die internationale Zuständigkeit nicht selbständig geregelt ist, § 105 FamFG (Rz. 941, 1323).153 4. Ausnahmen a) Innerstaatlich nicht unterscheidungskräftige Anknüpfungspunkte 953 Die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Methode ist nicht die einzig logisch mögliche. Denkbar wäre auch eine selbständige, von der Regelung der örtlichen Zuständigkeit getrennte Normierung der internationalen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Diesen Weg hat der deutsche Gesetzgeber aber in §§ 12 ff. ZPO (anders in §§ 98–104 FamFG) nicht beschritten. Die Verschmelzung der Regeln über die deutsche internationale Zuständigkeit mit der örtlichen Zuständigkeitsverteilung ist deshalb zu realisieren, weil die ZPO an Tatbestände an-
150 Dies übersieht BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 (158) = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = RIW 1985, 649 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286) = IPRspr. 1985 Nr. 137. 151 BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = IPRax 1997, 335 (Schack 318) = BB 1997, 1642 = ZIP 1996, 2031 = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194; BAG v. 14.4.2004 – 4 AZR 322/03, IPRspr. 2004 Nr. 47b; LAG Frankfurt/M. v. 3.11.1992, IPRspr. 1992 Nr. 71; LAG Niedersachsen v. 4.4.2003, IPRspr. 2004 Nr. 47a; Birk, RabelsZ 46 (1982), 143; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 357 ff. 152 Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), a.a.O., Rz. 575 ff. 153 Skeptisch auch für echte Streitsachen Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 98. S. auch BayObLG v. 21.3.1984 – BReg. 1 Z 3/84, FamRZ 1984, 1126 = BayObLGZ 1984, 87 = StAZ 1984, 201 = IPRspr. 1984 Nr. 11; OLG Zweibrücken v. 11.7.1985, StAZ 1985, 339 = IPRspr. 1985 Nr. 14; OLG Hamm v. 31.1.1985, StAZ 1985, 205 (Schnitzer) = IPRspr. 1985 Nr. 6; LG Saarbrücken v. 15.3.1999, InfAuslR 1999, 467 = IPRspr. 1999 Nr. 49, BayObLG v. 17.7.2000 – 1 Z BR 57/00, FamRZ 2001, 1543 = StAZ 2000, 370 = IPRspr. 2000/77 (je zu Verfahren nach §§ 43 ff. PStG a.F./§§ 48 ff. PStG n.F.). In Personenstandssachen bejaht LG Stuttgart v. 28.1.1992, StAZ 1992, 379 = IPRspr. 1992 Nr. 76 die internationale Zuständigkeit Deutschlands bereits aufgrund des Umstandes, dass es um die Eintragung in ein deutsches Personenstandsregister geht, bzw. deswegen, weil ein Beteiligter deutscher Staatsangehöriger ist. Ebenso BayObLG v. 28.12.1994 – 1Z BR 83/94, NJW-RR 1995, 647 = FamRZ 1995, 685 = IPRspr. 1994 Nr. 14. Für Anwendung der Doppelfunktionslehre BayObLG v. 19.7.1995 – 1Z BR 160/94, 1Z BR 161/94, BayObLGZ 1995, 238 = IPRax 1996, 271 (Henrich 260) = StAZ 1995, 325 = IPRspr. 1995 Nr. 112: Die internationale Zuständigkeit „folgt aus der gegebenen örtlichen Zuständigkeit, § 50 I 1, II, i.V.m. § 31 II 2 PStG [a.F.]“.
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knüpft, die sich sowohl für eine Abgrenzung gegenüber dem Ausland wie auch für eine interne Verteilung verwenden lassen, wie z.B. Wohnsitz, Aufenthalt usw. Soweit das Gesetz innerstaatlich nicht unterscheidungskräftige Anknüpfungs- 954 punkte, wie z.B. die Staatsangehörigkeit (§§ 15, 27 II ZPO, §§ 98 I Nr. 1, 99 I Nr. 1, 100 Nr. 1, 101 Nr. 1, 103 I Nr. 1, 104 I Nr. 1 FamFG) verwendet (Rz. 1323), besteht der vorstehend beschriebene Zusammenhang nicht. Es handelt sich dann um Normen, die nur die internationale Zuständigkeit regeln. Einstweilen frei 955 b) Abänderungsklagen aa) Abänderung deutscher Urteile Die ZPO kennt keinen besonderen Gerichtsstand der Abänderungsklage 956 (Rz. 1572).154 Gleichwohl ist eine konkurrierende internationale Zuständigkeit Deutschlands für die Abänderung der von seinen Gerichten erlassenen Entscheidungen zu bejahen, ohne Rücksicht darauf, ob nach §§ 12 ff. ZPO eine inländische Zuständigkeit gegeben ist oder nicht.155 Die internationale Zuständigkeit für die Abänderungsklage folgt als Annex aus der internationalen Zuständigkeit des Erstprozesses (Rz. 1542). Örtlich zuständig ist das Prozessgericht 1. Instanz des Erstprozesses entsprechend § 767 I ZPO; diese Analogie ist sachgerechter als die zu §§ 15 I 2, 27 II ZPO (Rz. 966, 992, 1555, 1572). bb) Abänderung ausländischer Entscheidungen Die Erweiterung der internationalen Zuständigkeit über §§ 12 ff. ZPO hinaus gilt 957 jedoch nicht für Titel, die von ausländischen Gerichten erlassen worden sind.156 Eine internationale Zuständigkeit Deutschlands ist nur dann eröffnet, wenn eine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO zum maßgeblichen Zeitpunkt (Rz. 1554, 1828) gegeben ist.157 Die Abänderung eines ausländischen Titels durch ein deutsches Gericht setzt 958 voraus, dass die ausländische Entscheidung im Inland anzuerkennen ist (andernfalls ist das ausländische Urteil aus deutscher Sicht nicht relevant), und dass die lex causae eine Abänderungsmöglichkeit zulässt, Rz. 2653.158 Einstweilen frei 959 154 Hierzu auch von Mohrenfels in MüKo.BGB5, Art. 17 EGBGB Rz. 172 ff.; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 315 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). 155 Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 407; R. Geimer, RIW 1975, 84. Ähnlich Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 612 f. 156 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit s. oben Rz. 466. 157 BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, MDR 1983, 1007 = NJW 1983, 1976 = FamRZ 1983, 806 = IPRspr. 1983 Nr. 95; Baumann, IPRax 1990, 28. 158 Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 367 (bestr. Rz. 2653). Offen gelassen von BGH v. 29.4.1992 – XII ZR 40/91, NJW-RR 1993, 5 = FamRZ 1992, 1060 = MDR 1993, 54 = LM § 323 ZPO Nr. 66 (Kronke) = IPRspr. 1992 Nr. 207; OLG Hamburg v. 26.2.1985 – 2 UF 192/84, DAVorm 1985, 509 = IPRspr. 1985 Nr. 158; AG Dortmund v. 20.3.1985, IPRspr. 1985 Nr. 159.
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Internationale Zuständigkeit
c) Notzuständigkeit 960 Obwohl kein Gerichtsstand im Inland gegeben ist, wird eine internationale Notzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland eröffnet, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis im Inland „unabweislich Befriedigung verlangt.“159 Die Einzelheiten sind unten in Rz. 1024 ff. noch darzustellen. In dem hier zu erörternden Zusammenhang ist nur wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch in diesen Fällen die internationale Zuständigkeit Deutschlands über die geschriebenen Regeln der Zivilprozessordnung hinaus erweitert wird. d) Weitere Fallgruppen aa) Vermögensgerichtsstand 961 Der Bundesgerichtshof will den Kompetenzöffnungsbereich des § 23 ZPO (Rz. 1346) durch Einführung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits“ verengen (Rz. 1077a).160 bb) Unterhaltssachen 962 Zu Unrecht behauptete Walchshöfer,161 § 23a ZPO a.F. (nunmehr § 232 III 2 Nr. 3 FamFG) regele nur die örtliche Zuständigkeit, eröffne aber keine internationale Zuständigkeit Deutschlands, „weil trotz des Gerichtsstandes des § 23a ZPO eine Anerkennung und Vollstreckung des deutschen Urteils im Ausland in manchen Fällen ausscheidet“ (Rz. 1534).162 Nunmehr ergibt sich die internationale Zuständigkeit zweifelsfrei aus § 105 FamFG.163 Vorrangig ist jedoch das Zuständigkeitsregime der Art. 3 ff. EuUnterhVO. cc) Klagen der Prozessbevollmächtigten, Beistände, Zustellungsbevollmächtigten und der Gerichtsvollzieher wegen ihrer Gebühren und Auslagen 963 Auch § 34 ZPO trägt internationale Zuständigkeit (Rz. 1479, 1541).164 dd) Internationale Streitgenossenschaft hinsichtlich der Unterhaltsklage des Kindes gegen seine Eltern 964 Pohle hat bestritten, dass § 35a ZPO a.F. auch eine internationale Zuständigkeit Deutschlands eröffne; die Vorschrift regle nur die örtliche Zuständigkeit.165 Die-
159 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 214. 160 Hierzu aus neuerer Zeit z.B. BGH v. 13.12.2012 – III ZR 282/11, IPRax 2014, 341 (Koechel 312). 161 Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 199 f. 162 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 347; a.A. Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 150. 163 Ebenso im Ergebnis Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 491. 164 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 613; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 34 Rz. 3. 165 Stein/Jonas/Pohle, ZPO19, § 35a III, unter Hinweis auf die angeblich „abschließende Regelung“ des (mittlerweile aufgehobenen) § 23a ZPO. Dagegen zu Recht Schröder, In-
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se Meinung konnte sich nicht durchsetzen. Nach neuem Recht ist klar, dass § 232 III 2 Nr. 2 FamFG Grundlage für die internationale Zuständigkeit ist, § 105 FamFG. 5. Örtliche Ersatzzuständigkeit über §§ 12 ff. ZPO hinaus Fehlt im konkreten Fall eine örtliche Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO bzw. nach 965 den Parallelbestimmungen des FamFG, obwohl Deutschland international zuständig ist, sind analog §§ 15 I 2, 27 II ZPO die Gerichte am Sitz der Bundesregierung in Berlin örtlich zuständig.166 Bei Abänderungsklagen ist § 767 I ZPO analog heranzuziehen (Rz. 952, 1572).
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In Ehe-, Kindschafts- und Abstammungssachen wären wohl besser §§ 122 Nr. 6, 967 152 II FamFG (früher §§ 606 III, 640a I 4 ZPO) entsprechend anzuwenden, mit der Folge, dass wiederum Berlin örtlich zuständig wäre. Regelt ein völkerrechtlicher Vertrag die internationale Entscheidungszuständig- 968 keit Deutschlands mit Zuständigkeitsanknüpfungen, welche der Zivilprozessordnung unbekannt sind, so hält Kropholler167 – sofern eine örtliche Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO im Inland fehlt – ausnahmsweise nicht die Gerichte am Sitz der Bundesregierung für örtlich zuständig; er will vielmehr die Anknüpfung des Staatsvertrages auch für die örtliche Zuständigkeit heranziehen.168 Dieser Vorschlag ist erwägenswert.169 Das Problem stellte sich vor allem im Zusammenhang mit Art. 31 des Überein- 969 kommens vom 19.5.1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)170 hinsichtlich der Kompetenzanknüpfung an den Ab-
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ternationale Zuständigkeit, 1971, 566 sowie BGH v. 25.1.1989 – IVb ZR 29/88, BGHZ 106, 300 = MDR 1989, 529 = FamRZ 1989, 603 = NJW 1989, 1356 = IPRax 1990, 47 (Coester-Waltjen 26) = IPRspr. 1989 Nr. 182. Enger AG München v. 10.5.1989 – 821 F 476/88, IPRax 1990, 60 = IPRspr. 1989 Nr. 189. Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 260; Neuhaus, JZ 1966, 241; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 145. Für freie Wahlmöglichkeit des Klägers unter allen deutschen Gerichten Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 215 und 810 sowie Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 164. In Österreich bestimmt außerhalb des Anwendungsbereichs LugÜ der EuGVVO und des LugÜ nach § 28 JN der Oberste Gerichtshof das örtlich zuständige Gericht, hierzu Matscher, JBl 1998, 694; Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (307); Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts Erkenntnisverfahren7, Rz. 87. Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 146. A.A. BGH v. 6.2.1981 – I ZR 148/78, BGHZ 79, 332 = MDR 1981, 639 = RIW 1981, 412 = NJW 1981, 1902 (Kropholler) = VersR 1981, 633 = IPRspr. 1981 Nr. 154; OLG Düsseldorf v. 23.10.1980 – 18 U 96/80, VersR 1981, 1081 = IPRspr. 1980 Nr. 146A. Vgl. auch LG Bochum v. 24.1.1984 – 12 O 185/83, RIW 1985, 147 = IPRax 1984, 276 (Jayme) = IPRspr. 1984 Nr. 127, das zur Ausfüllung des (gem. Art. 57 EuGVÜ bzw. nach Art. 71 I EuGVVO vorrangigen) Art. 31 CMR bezüglich der örtlichen Zuständigkeit auf Art. 5 Nr. 1 EuGVVO/EuGVÜ zurückgegriffen hatte. Weitere Nachw. bei Müller/Hök, RIW 1988, 744. Hierzu z.B. Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2711.
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lieferungsort.171 Der Gesetzgeber hat daraufhin in das Ausführungsgesetz zum CMR vom 16.8.1961172 durch Änderungsgesetz vom 5.7.1989173 einen Art. 1a eingefügt: Danach ist für Rechtsstreitigkeiten aus einer dem CMR unterliegenden Beförderung auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Ort der Übernahme des Gutes174 oder der für die Ablieferung des Gutes vorgesehene Ort liegt (hierzu Rz. 1888). 970 Die EuGVVO bzw. das LugÜ bestimmt in den meisten Fällen auch die örtliche Zuständigkeit. Soweit die Normierung der örtlichen Zuständigkeit dem nationalen Recht überlassen ist, dieses aber keine Kompetenznorm zur Verfügung stellt, besteht gleichwohl Justizgewährungspflicht Deutschlands in allen Fällen, in denen die EuGVVO bzw. das LugÜ eine internationale Zuständigkeit eröffnet. Wäre es anders, so könnten die Mitglied- bzw. Vertragsstaaten die Regelungen der Verordnung bzw. des Übereinkommens durch die Nichtbereitstellung von örtlich zuständigen Gerichten unterlaufen. Für solche Konstellationen ist der Verordnung bzw. dem Übereinkommen im Wege der ergänzenden Auslegung die Regel zu entnehmen, dass die Gerichte der Hauptstadt ersatzweise örtlich zuständig sind,175 sofern nicht durch Analogie zu bestehenden nationalen Kompetenzregeln ein Forum bereit gestellt werden kann.176 971 Für Feststellungsverfahren nach Art. 21 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 546) erklärt Art. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 22.1.1990177 das Landgericht am Sitz der Bundesregierung (LG Berlin) für zuständig.178
171 Zu diesem Gerichtsstand z.B. OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152 = IPRspr. 2001 Nr. 14. S. auch Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96. 172 BGBl. II 1961, 1119. 173 BGBl. II 1989, 586. 174 Hierzu BGH v. 13.3.2014 – I ZR 36/13, NJW-RR 2014, 1064; S. auch OLG Karlsruhe v. 27.1.2004 – 15 U 47/02, NJOZ 2004, 4169 = TranspR 2004, 468 = IPRspr. 2004 Nr. 102. 175 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 54 ff., 179. 176 Ausführlich 6. Auflage. 177 BGBl. I 1990, 34. 178 Hierzu die amtliche Begründung (BT-Drucks. 11/4307): „Es ist zweckmäßig, die Zuständigkeit für das Verfahren bei dem Landgericht am Sitz der Bundesregierung zu konzentrieren, da dieses Gericht bereits nach geltendem Recht in weitem Umfang für Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Betätigungen im Ausland zuständig ist. In den Feststellungsverfahren werden regelmäßig bedeutsame Rechtsfragen zu entscheiden sein; es bietet sich deshalb an, die Zuständigkeit des Landgerichts am Sitz der Bundesregierung ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes festzulegen. Dies soll der Einfachheit halber auch für Klagen gegen die Länder der Bundesrepublik Deutschland gelten.“
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6. Ausschließliche internationale Zuständigkeiten Die Doppelfunktionstheorie ist – entgegen der h.M.179 – nicht aussagekräftig, 972 wenn es um die Frage geht, ob die Ausschließlichkeit der örtlichen Zuständigkeit auch die internationale Ausschließlichkeit indiziere (Rz. 873 ff.). Dies bestätigt auch § 106 FamFG. 7. Zwangsvollstreckung und Insolvenz Die Doppelfunktionstheorie kommt auch zum Zuge bei der Festlegung der deut- 972a schen internationalen Zuständigkeit für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Rz. 3231 ff., 3273 ff.) und für Insolvenzverfahren (Rz. 3406 ff., 3454 ff.).180 8. Verbreitung der Doppelfunktionstheorie in anderen Rechtsordnungen Seit der Patino-Entscheidung (Rz. 1907) eröffnet – ebenso wie in Deutschland – 972b jeder in Frankreich zu lokalisierende Gerichtsstand eine internationale Zuständigkeit. Man spricht von „extension des règles de compétence territoriale internes à l’ordre international.“ „A chaque règle de compétence territoriale interne correspond donc une règle de compétence internationale.“ „A la règle ‚le tribunal du domicile du défendeur est compétent‘ répond la règle ‚l’ordre juridictionnel français est compétent si le défendeur est domicilié en France‘.“181 In Griechenland ist die Doppelfunktion der Gerichtsstandsnormen in Art. 3 I ZPG ausdrücklich stipuliert, ebenso in Österreich.182
III. Internationale Zuständigkeit zur Durchführung eines Mahnverfahrens Das Mahnverfahren (Rz. 1461) ist nur eine besondere Verfahrensart ohne inter- 973 nationalkompetenzrechtliche Selbständigkeit:183 Besteht keine deutsche internationale Zuständigkeit für das (normale) Erkenntnisverfahren nach §§ 12 ff. ZPO bzw. nach dem einschlägigen Vertrag (z.B. LugÜ) oder nach der EuGVVO, so ist auch die internationale Zuständigkeit Deutschlands für das Mahnverfahren nicht gegeben.184 Umgekehrt gilt: Ist die internationale Zuständigkeit Deutsch179 Nachw. bei Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 153; de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 103 Fn. 59. 180 S. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 157. 181 Mayer/Heuzé, Droit international privé10, Nr. 284. 182 § 27a JN Inländische Gerichtsbarkeit: (1) Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, so besteht die inländische Gerichtsbarkeit, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss. (2) Der Abs. 1 gilt nicht, soweit nach Völkerrecht zur Gänze oder zum Teil ausdrücklich anderes bestimmt ist. – S. hierzu Ballon in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 27a JN Rz. 4. 183 Busl, IPRax 1986, 270. 184 BGH v. 19.6.1981 – I ARZ 256/81, MDR 1981, 908 = WM 1981, 1062 = Rpfleger 1981, 394 = RIW 1981, 705 = IPRax 1982, 159.
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lands für ein streitiges Verfahren eröffnet, gilt dies auch für das Mahnverfahren.185 Wohnt der Schuldner (Antragsgegner) nicht im Inland bzw. hat er hier nicht seinen Sitz, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus § 703d ZPO, nicht aus § 689 II 1 ZPO.186
IV. Fehlen der internationalen Zuständigkeit entgegen §§ 12 ff. ZPO? 1. Ausgrenzung von Scheinproblemen 974 Unergiebig ist die Fragestellung „Internationale Unzuständigkeit trotz Vorliegens der örtlichen Zuständigkeit?“, wenn das Gesetz expressis verbis der Doppelfunktionstheorie nicht folgt und die internationale Zuständigkeit anders anknüpft als die örtliche (Rz. 949). Beispiel: § 122 FamFG stellt für alle denkbaren Ehesachen ein örtlich zuständiges Gericht zur Verfügung. Daraus lassen sich aber keinerlei Schlussfolgerungen für die internationale Zuständigkeit ziehen, da diese ausdrücklich in § 98 FamFG separat normiert ist.187
975 Auch bei der (parteierweiternden) Widerklage gegen einen Dritten (Rz. 1574) kann man nicht davon sprechen, es sei zwar eine örtliche, aber keine internationale Zuständigkeit gegeben.188 2. Vermögenslosigkeit des Beklagten 976 Fehlende Vollstreckungsmöglichkeit im Inland ist kein Grund, die internationale Zuständigkeit Deutschlands für das Erkenntnisverfahren zu verneinen.189 Die Klage gegen einen vermögenslosen Schuldner ist unbestritten nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzuweisen, weil die Vollstreckung des Urteils keine Aussicht auf Erfolg habe. Das wäre eine krasse Justizverweigerung. Zudem ist die Vermögenslosigkeit des Beklagten kein justiziabler Faktor: Wer heute reich ist, kann morgen arm sein und umgekehrt. Was für reine Inlandsfälle klar und eindeutig ist, sollte man auch nicht in Frage stellen, wenn Berührungspunkte zum Ausland mit ins Spiel kommen. Ob der Kläger sein in Deutschland erstrittenes Urteil im Inland vollstrecken kann oder nicht, möge er selbst erwägen. Man sollte ihn nicht bevormunden. Zudem ist eine sichere Prognose –
185 BayObLG v. 3.8.2005 – 1Z AR 147/05, GmbHR 2005, 1363 = MDR 2005, 1243. 186 BGH v. 11.10.1990, IPRax 1992, 43 (Busl 20); BGH v. 12.9.1995 – X ARZ 749/95, MDR 1996, 306 = NJW 1995, 3317 = RIW 1995, 1028 = Rpfleger 1996, 116 (Hintzen) = IPRspr. 1995 Nr. 151; BayObLG v. 3.8.2005 – 1Z AR 147/05, GmbHR 2005, 1363 = MDR 2005, 1243; Stein/Jonas/Berger, ZPO22, § 689 Rz. 2. S. auch § 32 II AVAG sowie Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich, 2007, 65, 75; Fabian, Die europäische Mahnverfahrensverordnung im Kontext der Europäisierung des Prozessrechts, 2010, 49. 187 Vorrangig ist das Zuständigkeitsregime der Art. 3 ff. EuEheVO. 188 Anders de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 99. 189 Ebenso Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 113; Schack, IPRax 2005, 262 (266).
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ebenso wie bei den reinen Inlandsfällen – nicht möglich: Der Beklagte kann inländisches Vermögen erben oder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erwerben oder sein im Ausland befindliches Vermögen nach Deutschland transferieren oder ganz schlicht sich der Verurteilung durch ein deutsches Gericht beugen und freiwillig zahlen.190 Abzulehnen ist deshalb Walchshöfer,191 der für Leistungsklagen die internatio- 977 nale Zuständigkeit Deutschlands verneint, „wenn das zu ergehende Urteil im Inland erkennbar ohne Wirkungen bleibt und eine Anerkennung in dem Staat, in dem die Vollstreckung erfolgen muss, nicht zu erwarten ist“.192 Irrig ist die Vorstellung Walchshöfers, das deutsche Leistungsurteil sei ohne Wirkungen. Es entfaltet die gleichen Wirkungen wie ein Parallelurteil im reinen Inlandsfall: Es hat noch niemand die These vertreten, ein Urteil gegen einen vermögenslosen Schuldner sei wirkungslos oder verliere seine Wirkungen, wenn der Schuldner nach Eintritt der formellen Rechtskraft, aber vor Durchführung der Vollstreckung sein Vermögen verliert. Für Inlands- wie für Auslandsfälle gilt gleichermaßen: Durch das deutsche Urteil wird für den Bereich der deutschen Hoheitssphäre verbindlich festgestellt, dass der Schuldner zur Leistung verpflichtet ist. Des Weiteren wird ihm befohlen, zu erfüllen. Die Wirksamkeit dieser Feststellung und dieses Befehls ist nicht abhängig vom Vorhandensein inländischen Vermögens. Auf einer anderen, weil tatsächlichen Perspektive beruht der Umstand, dass gegenüber einem unpfändbaren Schuldner „selbst der Kaiser sein Recht verloren hat“. Im Übrigen erweist sich die These Walchshöfers als unpraktikabel: Die von ihm 978 erhoffte Entlastung des inländischen Justizapparates wird nicht erreicht: Wer vor inländischen Gerichten partout klagen will, erhebt eben keine Leistungsklage, sondern eine Feststellungsklage; diese soll auch nach Walchshöfer193 unbedenklich zulässig sein. Gegen Walchshöfer lassen sich auch Beispiele aus der Rechtsprechung an- 979 führen: Trotz Vorliegens eines im Inland vollstreckbaren Titels (Rückforderungsbescheides) bejaht die Rechtsprechung (in Wiedergutmachungssachen) das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage, wenn im Ausland nur aufgrund 190 Zustimmend Seber, ZfRV 24 (1983), 274. S. auch BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 = NJW 1977, 900 = MDR 1977, 654 = IPRspr. 1976 Nr. 212; BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = MDR 1983, 930 = NJW 1983, 2147 = IPRax 1984, 264 (Pielorz 241) = IPRspr. 1983 Nr. 205b: Im deutschen Insolvenzverfahren kann der Insolvenzverwalter Ansprüche, die sich auf das im Ausland belegene Vermögen des Gemeinschuldners beziehen, vor deutschen Gerichten auch dann geltend machen, wenn der deutsche Vollstreckungstitel im Ausland nicht durchgesetzt werden kann. 191 Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 189 (205, 207). 192 Viel zu umständlich argumentierend BGH v. 10.11.2010 – XII ZR 37/09, MDR 2011, 43 = FamRZ 2011, 97 (Eichel) = IPRspr. 2010 Nr. 111; dort wird langatmig untersucht, dass das deutsche Unterhaltsurteil gegen den (nichtehelichen) Vater in Österreich anerkannt und vollstreckt werden kann. Die Wirksamkeit deutscher gerichtlicher Entscheidungen im Ausland ist abgesehen von § 98 I Nr. 4 FamFG nicht Voraussetzung für die Rechtsschutzgewährung durch die deutschen Gerichte. 193 Walchshöfer, a.a.O., Fn. 176.
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des deutschen Leistungsurteils vollstreckt werden kann.194 Darüber hinaus haben die Gerichte das Vorhandensein von inländischem Vermögen ausdrücklich als zuständigkeitsrechtlich irrelevant erklärt.195 980 Hätte Walchshöfer Recht, dürfte auch nicht zu Leistung oder Unterlassung im Ausland (Rz. 396, 935) verurteilt werden; denn die Durchsetzung solcher Urteile hat die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Hand. Allenfalls kann im Inland mittelbar Druck ausgeübt werden (§§ 888–890 ZPO). 981 Der Unterschied zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ist auch bei der Anwendung des § 23 ZPO (Rz. 1350) zu beachten. Diese Vorschrift gilt auch für Feststellungs- und Gestaltungsklagen. Die in diesen Verfahren ergehenden Urteile kommen für eine Vollstreckung – mit Ausnahme der Kosten – nicht in Betracht. Aber auch bei Leistungsklagen hängt die internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht davon ab, dass das Inlandsvermögen für die Befriedigung des geltend gemachten Anspruchs ausreicht (Rz. 1363). 982 Haben die Parteien die internationale Zuständigkeit Deutschlands vereinbart, dann hängt die Annahme der Prorogation (§ 38 ZPO) nicht davon ab, dass ausreichende Vollstreckungsmöglichkeiten für die Vollstreckung des zu erwartenden Urteils im Inland bestehen (Rz. 1749). 983 Walchshöfers Thesen lehnen auch Beitzke196 und Heldrich197 ab. Jedoch wollen auch diese beiden Autoren in den „seltenen Fällen, in denen die inländischen Gerichte um eine Entscheidung angegangen werden, die nur in dem Staat ihre Wirkungen entfalten kann, dessen Recht anzuwenden ist“, und „eine Anerken194 BGH v. 21.3.1974, IPRspr. 1974 Nr. 166b; OLG Koblenz v. 29.11.1972, IPRspr. 1972 Nr. 150b; OLG Koblenz v. 5.3.1974, IPRspr. 1974 Nr. 167; BGH v. 21.3.1974, RzW 1974, 243 = MDR 1974, 841 = IPRspr. 1974 Nr. 168; OLG Zweibrücken v. 27.9.1972, RzW 1973, 24 = IPRspr. 1972 Nr. 155. So schon OLG Breslau v. 18.3.1937, HRR 1938, 693 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 638. „Eine neue Klage ist zulässig, wenn zu befürchten ist, dass eine im Ausland notwendige Vollstreckung aus dem bereits rechtskräftigen Urteil … keinen Erfolg bringen würde.“ 195 OLG Düsseldorf v. 18.11.1971, AWD 1973, 401 (Kropholler) = IPRspr. 1972 Nr. 30; OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRax 1983, 120 (122); OLG Frankfurt v. 19.5.1982 – 3 WF 200/81, IPRax 1983, 46. Sehr deutlich BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 = NJW 1977, 900 = MDR 1977, 654 = IPRspr. 1976 Nr. 212: „Im Falle seines Obsiegens erhält der Kläger einen Titel, der seine etwaigen Ansprüche für die nächsten 30 Jahre vor der Verjährung bewahrt. Es ist nicht ausgeschlossen, und die Aussicht darauf trägt das Rechtsschutzinteresse, dass er in dieser Zeit Gelegenheit findet, zu vollstrecken. Außerdem klärt das begehrte Urteil die Rechtslage und weist den Anspruchsgegner auf seine rechtliche Verpflichtung hin, deren Nichterfüllung auch anderweitige Ansprüche (z.B. solche auf Schadensersatz) nach sich ziehen kann ganz abgesehen von der weiteren Möglichkeit, dass sich der Gegner dem Urteilsspruch freiwillig beugt. Endlich kennt das Gesetz Fälle einer Verurteilung zu generell und nicht nur örtlich nicht vollstreckbarer Leistung (§ 888 III ZPO). Für diese Fälle ist anerkannt, dass das Rechtsschutzbedürfnis für einen Urteilsausspruch auch dann nicht fehlt, wenn der Gegner zu erkennen gegeben hat und offensichtlich ist, dass er sich der nicht vollstreckbaren Verurteilung nicht beugen werde (RGZ 163, 380 [384]; ArbG Düsseldorf DB 1965, 1522).“ S. auch Rz. 1567. 196 Beitzke, FamRZ 1967, 594. 197 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 239.
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nung des deutschen Gerichtsaktes in diesem Land mit Sicherheit nicht zu erwarten“ ist, den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abweisen. Aber die Berufung auf die konturenarme Allerweltsformel vom fehlenden 984 Rechtsschutzbedürfnis verletzt den Justizgewährungsanspruch des Klägers (Rz. 1105). 3. Feststellungsinteresse im Inland? Bei Feststellungsprozessen (Rz. 2636) muss das Feststellungsinteresse nicht in 985 Deutschland lokalisierbar sein. Auch ein Feststellungsinteresse im Ausland (ausländischer Rechtsstreit) führt nicht zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage.198 Eine Ausnahme ist jedoch für die rechtskraftfähige Feststellung der Anerken- 986 nungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung in einem dritten Staat zu machen. Hierfür besteht i.d.R. kein Feststellungsinteresse (Rz. 1243). Anders ist es jedoch für die Feststellung der Anerkennungsfähigkeit einer deutschen Entscheidung im Ausland. 4. Keine Beachtung der Beanspruchung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit durch einen fremden Staat Die nach den Regeln der §§ 12 ff. ZPO ermittelte internationale Zuständigkeit 987 Deutschlands wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein fremder Staat für sich eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht mit der Folge, dass das deutsche Urteil von ihm nicht anerkannt wird. Die deutsche internationale Entscheidungszuständigkeit ist nicht davon abhängig, dass das Ausland deutsche Entscheidungen anerkennt oder nicht. § 98 I Nr. 4 FamFG ist nicht Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens des deutschen internationalen Verfahrensrechts199 (Rz. 1067).
198 A.A. BGH v. 11.4.1960, BGHZ 32, 173; BGH v. 11.3.1982 – III ZR 171/80, MDR 1982, 828 = WM 1982, 619 = IPRax 1982, 249; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 163 Fn. 135. Abzulehnen auch OLG Hamm v. 29.1.1936, GRUR 1936, 744 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 531, welches das Feststellungsinteresse in einem obiter dictum nur für „Rechtsverhältnisse zwischen deutschen Parteien, die im Inland bestehen“ bejahen will. Zu eng auch OLG Düsseldorf v. 18.7.1997 – 22 U 271/96, NJWRR 1998, 283 = RIW 1998, 967 = EWiR 1998, 47 (R. Geimer) = IPRspr. 1997 Nr. 173. 199 Reu, Die staatliche Zuständigkeit im internationalen Privatrecht, 1938, 161; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 160, 162, 224, 239 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 515 ff.; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 116; BayObLG v. 16.1.1959, BayObLGZ 1959, 9 (19) = FamRZ 1959, 364 = NJW 1959, 1038 = IPRspr. 1958–1959 Nr. 208; BGH v. 10.11.2010 – XII ZR 37/09, NJW 2011, 70 = MDR 2011, 43 = FamRZ 2011, 97 (Eichel) = IPRspr. 2010 Nr. 111.
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Vorstehendes gilt auch dann, wenn wir das (materielle) Recht des betroffenen Staates anwenden. Denn die Verweisung des deutschen internationalen Privatrechts erfasst nicht das ausländische Kompetenzrecht.200 988 Dagegen will Riezler201 die deutsche internationale Zuständigkeit für Gestaltungsklagen verneinen, „wenn bei anzuwendendem ausländischem Sachrecht aus der ausländischen Rechtsordnung zu erkennen ist, dass sie aus Gründen, die dem ordre public angehören, nur einem Akte der eigenen Gerichte oder sonstiger eigener Behörden rechtsgestaltende Kraft beimessen will; ein Anzeichen dafür ist, dass die ausländische Rechtsordnung für den rechtsgestaltenden Akt einen ausschließlichen örtlichen Gerichtsstand geschaffen hat und zugleich entsprechenden Urteilen anderer Länder die Anerkennung versagt.“ 989 Auch Raape verneint die deutsche internationale Zuständigkeit.202 Jedoch will er auf dem Gebiet des Schuldrechts Gestaltungsklagen ohne Rücksicht auf ihre Anerkennung durch die lex causae zulassen, so z.B. Klage auf Ermäßigung der Vertragsstrafe nach Art. 163 III des schweizerischen Obligationenrechts oder Klage auf Vertragsaufhebung nach Art. 1184 Code civil.203 990 Für die Beachtung der lex causae bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit plädierte auch Neuhaus.204 5. Deutsche internationale Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die Anerkennung des deutschen Urteils im Ausland 991 Es ist denkbar, dass der ausländische Staat für sich zwar keine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt, aber aus sonstigen Gründen einem deutschen Urteil die Anerkennung verweigert, sei es, weil die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist oder weil er einen anderen Staat für ausschließlich
200 Abzulehnen daher OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141: „Da das US-amerikanische Warenzeichenrecht für Klagen, die den Bestand und die Wirksamkeit eines … US-Warenzeichens betreffen, eine ausschließliche Zuständigkeit für sich beansprucht (vgl. § 39 des ‚Lanham Act‘), kommt eine Entscheidung des Senats … von vornherein nicht in Betracht“. 201 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 242. 202 Raape, Staatsangehörigkeitsprinzip und Scheidungsakt, sowie internationale Zuständigkeit in Scheidungsprozessen, 1943, 68, 149 (Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes), 150 (Erbunwürdigkeitsklage), 151 (konstitutives Teilungsurteil bezüglich einer im Ausland belegenen Sache, auch Mobilie). 203 Raape, a.a.O., 152 f. Zur Zurückdrängung des Grundsatzes der richterlichen Vertragsauflösung Cour de cassation (1. Chambre civile) v. 20.2.2001, Bull. Civ. I Nr. 40 = D 2001 Jur 1568 (Jamin) = RIW 2002, 866, 869. 204 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR2, 427: „Die inländische Zuständigkeit soll nicht gegen den Willen des betreffenden ausländischen Rechts angenommen werden.“ Ähnlich Neuhaus, JZ 1966, 241. Ebenso schon Zitelmann, IPR II, 1912, 285, 926; Nußbaum, Deutsches IPR, 1932, 137, 390 f., 397; Süß in Festgabe Rosenberg, 1949, 229 ff., 256 ff.; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, 312 f.; Booß, Fragen der wesenseigenen Zuständigkeit im internationalen Familienrecht, 1965, 115 (ausgenommen Gestaltungsklagen auf dem Gebiet des Schuldrechts), weitere Nachw. bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 515 Fn. 2250.
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international zuständig hält. Auch hier gilt: Die internationale Zuständigkeit Deutschlands ist nicht davon abhängig, ob das Ausland deutsche Urteile anerkennt.205 Dies trifft auch für die Begründung der deutschen internationalen Zuständigkeit 992 durch Zuständigkeitsvereinbarungen zu (Rz. 1744). Auch die deutsche internationale Zuständigkeit zur Abänderung ausländischer Entscheidungen (Rz. 952, 1573) hängt nicht davon ab, ob der Erststaat oder sonstige ausländische Staaten das deutsche Abänderungsurteil anerkennen. Vorstehendes gilt auch für den Bereich der Familienverfahren und der freiwilligen Gerichtsbarkeit.206 Einzige Ausnahme ist de lege lata § 98 I Nr. 4 FamFG. Diese Sondervorschrift ist aber nicht Ausdruck eines allgemeinen Prinzips des deutschen internationalen Verfahrensrechts (Rz. 987, 1067). 6. Deutsche internationale Zuständigkeit, obwohl sich (alle) Beweismittel im Ausland befinden Wo sich die Beweismittel befinden, ist zuständigkeitsrechtlich unerheblich. Die 993 nach §§ 12 ff. ZPO, §§ 98 ff. FamFG gegebene internationale Zuständigkeit Deutschlands wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass – im Falle des Bestreitens – die Beweiserhebung im Ausland stattfinden muss (Rz. 1077).
V. Internationale Unzuständigkeit wegen Eigenart des Streitgegenstandes? 1. Riezlers Lehre von der sachlichen internationalen Unzuständigkeit Trotz Inlandsbeziehung und örtlicher Zuständigkeit ist nach h.M. in zahlreichen 994 Streitsachen wegen der Eigenart des Streitgegenstandes die deutsche internationale Zuständigkeit ausgeschlossen. Man spricht – wenig glücklich – von sachlicher internationaler Unzuständigkeit.207
205 BayObLG v. 16.1.1959, BayObLGZ 1959, 9 (16) = FamRZ 1959, 364 = NJW 1959, 1038 = IPRspr. 1958–1959 Nr. 208; BGH v. 30.1.1980 – VIII ZR 197/78, WM 1980, 410 = IPRspr. 1980 Nr. 140; Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 105 Fn. 52; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 188; Seber, ZfRV 24 (1983), 274 Fn. 16; Schack, IZVR6, Rz. 240; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 49 ff. 206 BayObLG v. 16.1.1959, BayObLGZ 1959, 8 (19); insb. für Adoptionssachen (§ 101 FamFG) Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschaftsund Sorgerecht, 1982, 207 ff.; Rz. 1954a. S. auch die Nachw. bei von Mohrenfels in MüKo.BGB5, Art. 17 EGBGB Rz. 172 ff.; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 315 ff. (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). Viel zu umständlich BGH v. 10.11.2010 – XII ZR 37/09, MDR 2011, 43 = NJW 2011, 70 = FamRZ 2011, 97 (Eichel) = IPRspr. 2010 Nr. 111; s. oben Rz. 977. 207 Riezler, Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 230; Riezler in Festgabe Rosenberg, 1949, 199 ff.; Matthies, Die dt. int. Zuständigkeit, 1955, 45; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 174. Kritisch R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 93 (Veröff. des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Ur-
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995 Die internationale Zuständigkeit Deutschlands soll ausgeschlossen sein – für Streitigkeiten über ausländische Grundstücke (Rz. 878, 928), – für ausländische gewerbliche Schutzrechte (Patente, Marken, Warenzeichen), – wenn Streitgegenstand ein ausländischer öffentlich-rechtlicher Anspruch ist208; ebenso – wenn Streitgegenstand „wesensfremde Rechte“ sind, also solche Rechtsinstitute, die dem deutschen Recht völlig unbekannt sind. 996–999 Einstweilen frei 1000 Beispiele: Für Klagen aus (gemäß deutschem internationalem Privatrecht) nach ausländischem Recht zu beurteilenden Persönlichkeits- und Namensrechten will Riezler209 die deutsche internationale Zuständigkeit verneinen. Er hält wohl das forum legis für ausschließlich zuständig.210 Das Gleiche soll für die Klagen auf Feststellung der Mitgliedschaft in einem ausländischen Idealverein gelten (Rz. 890a).
1001 Die Lehre von der wesenseigenen (Un-)Zuständigkeit (Rz. 1989a) verliert zu Recht immer mehr Anhänger.211 Dass ein bestimmtes Rechtsinstitut dem deutschen Recht nicht bekannt ist, reicht noch nicht, die internationale Zuständigkeit zu verneinen. Notwendig ist vielmehr eine völlige Wesensverschiedenheit und Unvergleichbarkeit mit (ähnlichen) deutschen Rechtsinstituten (Rz. 1989). So hat z.B. der Bundesgerichtshof den Ausspruch der Trennung der Eheleute unter Aufrechterhaltung des Ehebandes (Trennung von Tisch und Bett) nicht abgelehnt.212 Im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ist man jedoch noch zurückhaltend, vor allem in Nachlasssachen.213
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kundenwesen, Bd. XI) und Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 47 ff. vor Art. IX EGJN. Differenzierend Frank, RabelsZ 34 (1979), 56 ff. Vgl. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 107. Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 240. Zur Maßgeblichkeit des § 32 ZPO bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Internet s. aber BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = MDR 2012, 92 = NJW 2012, 148 = IPRspr. 2011 Nr. 34b. S. auch Kropholler, IPR6, § 57 II 2 g.E. BGH v. 22.3.1967 – IV ZR 148/65, BGHZ 47, 324 (325) = NJW 1967, 2109 = RabelsZ 32 (1968) 313 (Jayme) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 90; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 19 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 308; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 21. Deutsche Gerichte können nach bisher h.M. keine Gläubigereinberufung (Gläubigerkonvokation) nach §§ 813 ff. ABGB und keine Einantwortung nach § 797 ABGB vornehmen, BayObLG v. 8.5.1967, BayObLGZ 1967, 197 und BayObLG v. 8.5.1967, BayObLGZ 1967, 338 (342); a.A. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 261; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 97, 123 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 247; Zöller/Geimer, ZPO30, Rz. 7 vor § 97 FamFG. Für Einantwortung durch deutsche Nachlassgerichte nun auch Notatiat II Villingen v. 13.9.2012, FamRZ 2013, 1929.
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Vierter Teil
2. Ausschließliche internationale Zuständigkeit des Auslands Der heute noch diskutable Kern der Lehre Riezlers kreist um die bereits oben 1002 Rz. 878 behandelte Frage, ob es – aus deutscher Sicht – ausschließliche internationale Zuständigkeiten fremder Staaten gibt, die – ratione materiae – für bestimmte Streitgegenstände die an sich aus §§ 12 ff. ZPO folgende internationale Zuständigkeit Deutschlands ausschließen. 3. Klagen aus ausländischen Patenten, Marken, Warenzeichen und ähnlichen Schutzrechten Viele erachteten früher214 Deutschland für international unzuständig für Klagen 1003 aus ausländischen Patenten, Marken, Warenzeichen und ähnlichen gewerblichen Schutzrechten.215 Es wurde – wie bei den in Rz. 883 behandelten Klagen über ausländische Grundstücke – behauptet, der deutsche Richter könne das ausländische Recht nicht zufriedenstellend anwenden. Nur von den Gerichten des Verleihungsstaates sei ein sachlich richtiges Urteil zu erwarten (Rz. 875). Aber auch hier gilt: Der Grad der Schwierigkeit der Anwendung ausländischen Patentrechts etc. ist kein Kriterium des internationalen Privatrechts oder des internationalen Zivilverfahrensrechts (Rz. 887).216 Riezler217 stellte auf die durch das Territorialitätsprinzip bedingte Begrenzung 1004 der gewerblichen Schutzrechte ab. Diese habe eine prozessuale Reflexwirkung.218 Nach Riezler besteht keine deutsche internationale Zuständigkeit (in seiner Terminologie handelt es sich um einen Fall der „sachlichen internationalen Unzuständigkeit“) zur Entscheidung über ausländische gewerbliche Schutzrechte, die wegen ihrer räumlichen Beschränkung auf das Territorium des (ausländischen) Verleihungsstaates in der Bundesrepublik Deutschland keine Wirkung haben.
214 Zur künftigen beim Einheitlichen Patentgericht (weitgehend) konzentrierten Patentgerichtsbarkeit s. oben Rz. 103. 215 Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 34, 194; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 231, 233; Riezler in Festgabe Rosenberg, 1949, 210 f.; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 44, 46; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 174 f. (194 f.); Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 654. Nachw. auch bei Laubinger, Die internationale Zuständigkeit der Gerichte für Patentstreitigkeiten in Europa, 2005. Weitere Nachw. aus österr. Sicht bei Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 59 vor Art. IX EGJN. 216 So richtig RG, GRUR 1940, 438; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 65; Seber, ZfRV 24 (1983), 284; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 198. 217 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 85 ff., 233; Riezler in Festgabe Rosenberg, 1949, 210. 218 Dagegen ausführlich Adolphsen, Das Territorialprinzip im europäischen Patentrecht, ZZPInt 11 (2006), 137 (153 ff.).
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1005 Diese These entbehrt jeder völkerrechtlichen Fundierung.219 Sie ist – wenn überhaupt220 – auf der Ebene der in das Ermessen der einzelnen Staaten gestellten Normierung der internationalen Entscheidungszuständigkeit allenfalls aus der Sicht der Anhänger der Lehre von der ausschließlichen Zuständigkeit fremder Staaten diskutabel, soweit es um schutzrechtliche Bestandsvernichtungsverfahren geht, d.h. Verfahren, die abzielen auf Erklärung der Nichtigkeit, auf Zurücknahme, auf Beschränkung und auf Erteilung einer Zwangslizenz, auf Löschung von Patenten, Marken, Gebrauchsmustern oder Warenzeichen und materiell-rechtliche Vernichtungsklagen wegen Verletzung anderer absoluter Rechte.221 1006 Dagegen betrachten andere222 die internationale Zuständigkeit des Schutzstaates nur als konkurrierende neben der des Wohnsitzstaates des Patentinhabers; ebenso für die Löschungsklage und die Eintragungsbewilligungsklage. 1007 Für Verletzungsprozesse besteht unbestritten keinerlei Beschränkung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands.223
219 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 255 ff. 220 Ablehnend auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 46. 221 Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 126 ff. Zu weit geht aber OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141, das eine Entscheidung über den Bestand und die Wirksamkeit eines US-Warenzeichens auch als Vorfrage ablehnt. 222 Troller, IPR und IZPR im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1952, 239 ff., 252; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 141 ff.; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 216. 223 LG München I v. 24.8.2001, IPRspr. 2001 Nr. 113; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 86; Nachw. bei Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 147 ff. Überholt RG v. 18.6.1990, JW 1890, 280 und RG v. 30.4.1894, JW 1894, 369, sowie RG, GRUR 1934, 664, wonach ausländische Patentverletzungen im Inland nicht verfolgt werden könnten; richtig OLG Düsseldorf v. 25.3.1966, OLGZ 1967, 61 = GRUR Ausl. 1968, 100 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 183; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 151; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 792. Umfangreiche Nachw. bei Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 2004; Zigann, Entscheidungen inländischer Gerichte über ausländische gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, 2001, 2002. So kann z.B. das zuständige Gericht im Wohnsitzstaat des Beklagten (§§ 12, 13 ZPO bzw. Art. 4 I EuGVVO bzw. Art. 2 I LugÜ) darüber entscheiden, ob ein ausländisches Patent oder der ausländische Teil eines europäischen Patents durch Handlungen im Ausland verletzt worden ist, LG Düsseldorf, GRUR Int 1999, 458; Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 492. Eine andere (nicht kompetenzrechtliche) Frage ist, ob gewerbliche Schutzrechte wegen ihres territorial beschränkten Schutzbereichs durch Handlungen außerhalb des Schutzstaats verletzt werden können. Hierzu m.w.N. Slonina, Örtliche und internationale Zuständigkeit für Patentverletzungsklagen, SZZP 1 (2005), 313 (314).
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VI. Internationale Zuständigkeit im Gefüge der Prozessvoraussetzungen 1. Internationale Zuständigkeit als selbständige, von der örtlichen Zuständigkeit zu unterscheidende Prozessvoraussetzung Die gesetzestechnische Konstruktion des positiven deutschen Rechts darf nicht 1008 den Blick dafür verstellen, dass die internationale Zuständigkeit eine von der örtlichen Zuständigkeit zu unterscheidende selbständige Prozessvoraussetzung ist (Rz. 1816, 1840). Praktische Auswirkungen hat diese Differenzierung vor allem im Rechtsmittel- 1009 recht; §§ 513 II, 545 II, 571 II 2, 576 II ZPO, §§ 65 IV, 72 II FamFG (wonach mit Rechtsmitteln nicht gerügt werden kann, dass die erste Instanz die (örtliche) Zuständigkeit zu Unrecht bejaht hat) sind nicht anzuwenden, wenn es um die internationale Zuständigkeit geht (Rz. 1855).224 Dies ist u.a. deswegen gerechtfertigt, weil die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit von ungleich größerem Gewicht ist als die über die örtliche Zuständigkeit. Die Bejahung der internationalen Zuständigkeit bedeutet eine Vorentscheidung über den Ausgang des Prozesses. Durch die Wahl des Forums werden das anwendbare internationale Privatrecht und damit mittelbar auch das anzuwendende materielle Recht festgelegt, des Weiteren – was prozesstaktisch nicht zu unterschätzen ist – das anwendbare Verfahrensrecht, insbes. das Beweisverfahrensrecht.225 224 S. auch Stein/Jonas/Althammer, ZPO22, § 513 Rz. 16 und Jacobs, ebenda, § 545 Rz. 30. 225 BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 (84 ff.) = MDR 2003, 348 = FamRZ 2003, 370 = NJW 2003, 426, 427 (Leible 407) = RIW 2003, 147 = IHR 2003, 32 = IPRax 2003, 346 (Piekenbrock/Schulze 328) = JZ 2003, 850 (Staudinger) = ZIP 2003, 685 = ZZPInt 8 (2003), 481 (Mörsdorf-Schulte 407) = ZZP 117 (2004), 87 (Oberhammer) = LMK 2003, 79 (Pfeiffer) = IPRspr. 2002 Nr. 157; BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, MDR 2003, 1256 = FamRZ 2003, 1381 = NJW 2003, 2916 = IPRax 2004, 59 (MörsdorfSchulte 59) = NZI 2003, 545 = LMK 2004, 14 (Leible); BGH v. 16.12.2003 – XI ZR 474/02, BGHZ 157, 224 = RIW 2004, 300 = BB 2004, 459 = MDR 2004, 707; BGH v. 7.12.2004 – XI ZR 366/03, IPRax 2006, 40 (Looschelders 14) = MDR 2005, 587 = RIW 2005, 307 (309) = WM 2005, 339 (341) = NJW-RR 2005, 581 (583) = BGH-Report 2005, 595 (Schneider) = IPRspr. 2004 Nr. 130. Hierzu Mankowski, RIW 2005, 561 (568) und Kröll, EWiR 2005, 635; BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, RIW 2006, 861; BGH v. 30.3.2006 – I ZR 96/03, RIW 2006, 860; OLG Celle v. 14.8.2002 – 9 U 67/02, IPRax 2003, 252 (Pfeiffer 233); OLG Düsseldorf v. 3.4.2003 – 6 U 147/02, RIW 2004, 230; Staudinger, IPRax 2001, 298; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 1. S. auch Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 464; Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 318; Mankowski, RIW 2004, 587 (591); Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 15; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 38. Zum bisherigen Recht Großer Senat des BGH v. 14.6.1965, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 224; BGH v. 13.6.1978, MDR 1979, 1015 = RIW 1979, 58 = IPRspr. 1978 Nr. 143; BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286) = IPRspr. 1985 Nr. 137; BGH v. 28.2.1996 – XII ZR
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2. Prozessabweisung bei internationaler Unzuständigkeit Deutschlands – keine Verweisung 1010 Ist kein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt i.S. der §§ 12 ff. ZPO bzw. der §§ 98 ff. FamFG etc. gegeben, ist also Deutschland – auch bei Berücksichtigung des § 39 ZPO (Rz. 1181, 1396, 1857) – international unzuständig, so ist die Klage bzw. der Antrag als unzulässig abzuweisen (Rz. 1843). Eine Verweisung an ein ausländisches Gericht oder an den EuGH kommt nicht in Betracht.226 3. Heilung des Mangels der internationalen Zuständigkeit mit Rechtskraft 1011 Weist das deutsche Gericht trotz internationaler Unzuständigkeit die Klage nicht durch Prozessurteil ab, sondern erlässt es ein Sachurteil, so wird der Mangel der internationalen Zuständigkeit durch den Eintritt der Rechtskraft geheilt.227 Das Urteil ist nicht etwa nichtig. Es kann auch nicht durch Nichtigkeitsklage beseitigt werden.228 Vorstehendes gilt auch dann, wenn die der deutschen Jurisdiktion vom Völkerrecht gesetzten Grenzen überschritten wurden (Rz. 215). Anders die h.M. bei Verletzung der Immunitätstatbestände (Rz. 528).
181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 = MDR 1997, 288 = NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = RIW 1997, 149 = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger) = WiB 1997, 494 (Ralle) = ZIP 1996, 2184 = IPRspr. 1996 Nr. 160. 226 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 = RIW 1988, 556 = IPRspr. 1988 Nr. 157; OLG Celle v. 29.11.2001, OLGR 2002, 59 = IPRspr. 2001 Nr. 155; Staudinger/ Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 10. Vom Blickwinkel der hier abgelehnten Lehre vom forum non conveniens (Rz. 1075) will Wahl, Die verfehlte internationale Zuständigkeit, 1974, 127, anstelle der Prozessabweisung analog § 148 ZPO aussetzen. Doch wie lange? 227 Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 45; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im internationalen Privatrecht, 1938, 197 f.; Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 39 Fn. 45; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 202, 361; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 86; Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 72; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 70 Fn. 27; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 309. Ebenso für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit: Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit4, Rz. 184; W. J. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit7, § 13 III; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG15, § 7 Rz. 27; Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 35. Übereinstimmend für die Schweiz Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 112. 228 Dafür jedoch de lege ferenda Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 345, 438, 464.
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VII. Kein Verbot, ausländische Gerichte anzurufen Das deutsche Recht kennt kein Verbot, ausländische Gerichte anzurufen, und 1012 zwar auch dann, wenn Deutschland sich für ausschließlich international zuständig erachtet229 (Rz. 1106). Die Folge der Nichtbeachtung der von der h.M. (Rz. 878, 910) behaupteten deutschen Regeln über die ausschließliche internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland bzw. fremder Staaten ist die Verweigerung der Anerkennung des im aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1 InsO) international unzuständigen Staat ergangenen Urteils, sofern der Beklagte die internationale Unzuständigkeit rügt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger sich in der Absicht, den Beklagten 1013 in sittenwidriger Weise zu schädigen (§ 826 BGB), über die deutschen Normen hinwegsetzt (Rz. 1123, 1718). Umgekehrt werden ausländische Klageverbote – sei es aufgrund Gesetzes oder 1014 behördlicher oder richterlicher Anordnung – im Inland nicht beachtet (Rz. 1743, 2792). Insbesondere scheidet eine Anerkennung und Vollstreckung von injunctions restraining foreign proceedings aus, weil es sich nicht um eine Sachentscheidung i.S. des § 328 ZPO bzw. des § 108 FamFG handelt.230 (S. auch Rz. 1116, 27929).
VIII. Arglistiges Herbeiführen des Kompetenztatbestandes durch den Kläger: Erschleichen der internationalen Zuständigkeit Treu und Glauben gelten auch im internationalen Zivilverfahrensrecht: Führt 1015 der Kläger arglistig die Voraussetzungen des Kompetenztatbestandes herbei, so kann der Beklagte die exceptio doli erheben.231 Beispiel: Wenn der Kläger gegen den Beklagten in Deutschland eine unerlaubte Handlung nur in der Absicht begeht, um so eine im Inland belegene Forderung des Beklagten und damit den Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO zu begründen, so wird der Beklagte dadurch im
229 Anders z.B. früher das französische Recht: Danach war es Franzosen bei Strafe verboten, einen Landsmann vor ein ausländisches Gericht zu ziehen, Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 70. 230 Mansel, EuZW 1996, 335; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 477; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 20 Rz. 3; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 ZPO Rz. 10; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 42. S. auch die Nachw. bei Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, 2005; a.A. Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 477; Tsikrikas, Grenzüberschreitende Vollstreckung des einstweiligen Rechtsschutzes, ZZP 124 (2011), 461 (482). 231 Zu weitgehend aber Althammer, Arglistiges Klägerverhalten im Europäischen Zuständigkeitsrecht (EuGVVO), in GS Konuralp, 2009, 103.
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Inland nicht gerichtspflichtig (vgl. auch Rz. 1373, 1515 a.E.).232 Zu Recht waren aber die deutschen Gerichte (bisher)233 zurückhaltend beim subjektiven Tatbestand der Arglist.234
1016 Auch im Bereich der Familienverfahren und der Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist ein Erschleichen der internationalen Zuständigkeit denkbar.235
IX. Internationale Zuständigkeit wegen schikanösen Verhaltens des Beklagten? 1017 Die Rüge der internationalen Unzuständigkeit ist nicht treuwidrig (Rz. 1109). Dies gilt im Zweifel auch dann, wenn das Verhalten des Beklagten, z.B. die rechtzeitige (Rz. 1830) Verlegung des Wohnsitzes bzw. der Transfer des Vermögens (§ 23 ZPO) ins Ausland, dem Kläger als Schikane erscheint, insbes. wenn bewiesen ist, dass der Beklagte diesen Schritt nur getan hat, um dem Kläger die kompetenzrechtliche Basis für seine Rechtsverfolgung im Inland zu entziehen (Rz. 1108).
X. Keine internationale Zuständigkeit aufgrund Zuständigkeitsverweisung 1018 Für welche Rechtsstreitigkeiten Deutschland eine internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt bzw. eröffnet, bestimmen – außerhalb des Anwendungsbereichs des europäischen Unionsrechts (Rz. 245c) und der innerstaatlich in Kraft gesetzten völkerrechtlichen Verträge – ausschließlich die deutschen Gesetze. Ob ein ausländischer Staat Deutschland für international zuständig hält, ist für den deutschen Richter unbeachtlich. Der Fall des negativen internationalen Kompetenzkonflikts kann durch die Notzuständigkeit (Rz. 1030) gemeistert werden.236 232 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 635. 233 Anders aber OLG Düsseldorf v. 11.8.1994 – 6 U 227/93, RIW 1996, 598 = IPRspr. 1995 Nr. 140a, das objektive Kriterien ausreichen lassen will. Obwohl der Zessionar in Deutschland domiziliert ist, wird ihm unter Hinweis auf BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b (unten Rz. 1077a) der Zugang zu den deutschen Gerichten (§ 23 ZPO) versperrt. Nachw. bei Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Rz. 132 Fn. 22 und Rz. 147 vor Art. 3 EGBGB und für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 196. 234 Nicht überzeugend daher die Kritik von Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 335; wie hier Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 178. Wer sich einbürgern lässt, um von seiner Frau in Deutschland (leichter) geschieden werden zu können, handelt nur in Extremfällen arglistig, R. Geimer, ZZP 85 (1972), 202 Fn. 22; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 381; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 52 Fn. 174. 235 Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit4, Rz. 180. 236 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 126 Fn. 129; R. Geimer, NJW 1975,
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Regelung im autonomen deutschen Recht
Vierter Teil
XI. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit des Klägers Die deutsche ZPO knüpft nur in Statussachen (Rz. 1323) an die deutsche Staats- 1019 angehörigkeit an.237 Darüber hinaus kennt sie jedoch nicht eine dem Art. 14 Code civil238 vergleichbare Norm (Rz. 1138, 1591, 1946). Ein „Bürgerrecht“ auf Rechtsschutzgewährung im Inland ohne Rücksicht darauf, wo der Beklagte wohnt bzw. welche Beziehung der Streitgegenstand zum Inland hat, besteht nicht.239
XII. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit des Beklagten Von den Statussachen abgesehen (Rz. 1323) kennt das deutsche Recht auch kei- 1020 ne Parallelnorm zu Art. 15 Code civil.240 Ein Deutscher kann vor deutschen Gerichten nur verklagt werden, wenn nach den allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) gegen ihn im Inland ein Gerichtsstand begründet ist. Dagegen ist nach den romanischen Zuständigkeitssystemen der eigene Staats- 1021 bürger der Jurisdiktion seines Heimatstaates immer unterworfen, ohne Rücksicht darauf, wo er wohnt: Er ist immer in seinem Heimatstaat gerichtspflichtig.241 Diese Subjektionstheorie haben die Verfasser der deutschen ZPO ausdrücklich verworfen.
XIII. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands aufgrund „Ordination“ durch den Bundesgerichtshof In Österreich bestimmt – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO und 1022 des LugÜ – nach § 28 I Nr. 2 JN der Oberste Gerichtshof das örtlich zuständige Gericht und begründet damit die internationale Zuständigkeit Österreichs,242 wenn „der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, ge-
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1080; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 135; Soergel/ Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 28; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 226; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 459. Für Beachtung einer ausländischen Zuständigkeitsverweisung aber Kegel/Schurig, IPR9, § 17 I 1d, § 20 III 4, § 22 II; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 789 ff. Mankowski, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, in FS Heldrich, 2005, 867, 877. Nachw. hierzu z.B. bei F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 134 f.; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 288. BGH v. 29.9.1982, IPRspr. 1982 Nr. 147; R. Geimer in FS Schwind, 1993, 35. Nachw. hierzu z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privatund Strafrecht, 2007, 289. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 87. In der österr. Gesetzessprache: die „Gerichtsbarkeit“. Vgl. Rz. 1094.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
wöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat.“243 Diese „Ordination“ ist aber nur zulässig, wenn die Rechtsverfolgung „im Einzelfall“ im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Auch größere üblicherweise aus einer Prozessführung im Ausland resultierende Schwierigkeiten, wie z.B. Notwendigkeit der Beauftragung eines ausländischen Anwalts, Korrespondenz in einer fremden Sprache, fehlendes Prozesskostenhilfesystem oder fehlende Kostenerstattung,244 führen für sich allein aber noch nicht zur Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung im Ausland.245 Für eine solche abgeschwächte Adaption des berüchtigten Art. 14 Code civil gibt es im deutschen Recht keine Parallele.
XIV. Keine internationale Zuständigkeit Deutschlands kraft Sachzusammenhangs 1023 Von den unten Rz. 1159, 1292, 1540, 1575 behandelten Fällen abgesehen, eröffnet der Sachzusammenhang keine internationale Zuständigkeit (Rz. 1159, 1579). Auch die EuGVVO und das LugÜ kennen den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nicht.246
4. Kapitel: Internationale Notzuständigkeit I. Die verschiedenen Hypothesen 1024 Rechtsschutz kann zum einen247 verweigert werden im Fall des negativen Kompetenzkonflikts, d.h. wenn Deutschland – mangels Zuständigkeitsanknüpfung – sich für international unzuständig erklärt und der aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1 InsO) international zuständige Staat bzw. die aus deutscher Sicht konkurrierend international zuständigen Staaten die Klage zur sachlichen Entscheidung nicht annehmen, sei es, weil
243 Hierzu Matscher, JBl. 1998, 694; Garber in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 28 JN Rz. 54 ff.; Schack, IZVR6, Rz. 465; Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (307). S. auch Rz. 965. 244 S. z.B. die Nachw. zum US-System bei Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 85 ff. 245 OGH Österreich, SZ 1958 Nr. 109 = RdW 1986, 308 = IPRE II 222; hierzu Matscher, IPRax 1999, 274 (276). 246 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. C-150/80 – Elefanten Schuh/Jacqmain, Slg. 1981, 1671; BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 295; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 6 Rz. 2 und Art. 28 Rz. 4. S. auch Rohner, Die örtliche und internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, 1991. 247 S. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 496; Schütze, DIZPR2, Rz. 128 ff.
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Vierter Teil
– das dortige Kompetenzrecht andere Zuständigkeitsanknüpfungen verwendet, 1025 d.h., z.B. Konflikt zwischen Wohnsitz-/Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsprinzip oder Divergenzen im Hinblick auf die maßgebliche Bezugsperson (Beklagten- und Klägerwohnsitz/-aufenthalt), – die ausländische(n) Zuständigkeitsordnung(en) eine internationale Entschei- 1026 dungszuständigkeit für die Klage generell verneinen, – der/die aus deutscher Sicht international zuständige(n) Staat(en) Ausländer 1026a diskriminieren (Verbot von Ausländerprozessen), – aus tatsächlichen Gründen – wie Bürgerkrieg, Krieg, Stillstand der Rechtspfle- 1027 ge usw. – der Kläger in dem/den aus deutscher Sicht international zuständigen Staat/Staaten eine Sachentscheidung über sein Klagebegehren trotz ernsthafter Bemühungen nicht erreichen kann,248 oder – aus der Sicht des an sich zuständigen Sitzstaates die (zu verklagende) juristi- 1028 sche Person durch Enteignung untergegangen ist, dies aber hinsichtlich des außerhalb des Enteignungsstaates gelegenen Vermögens in Deutschland nicht anerkannt wird, wobei die so entstandene „Spaltgesellschaft“ (Rz. 1039) in Deutschland (noch) keinen Sitz begründet hat (Rz. 1275). Die zweite Möglichkeit für eine Rechtsschutzverweigerung im Inland resultiert 1029 aus der Nichtanerkennung des im Ausland erstrittenen Sachurteils: Auch wenn der Kläger die Gerichte des nach deutscher Meinung (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG) international zuständigen Staates angerufen hat, so ist er nicht sicher, ob – aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen – dem ausländischen Urteil die Anerkennung in Deutschland versagt wird, etwa weil die Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG) nicht verbürgt ist oder weil das ausländische Verfahren oder die ausländische Urteilsfindung gegen den deutschen ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG) verstößt (s. auch Rz. 3168).
II. Eröffnung eines inländischen Forums In all diesen Fällen249 muss in Deutschland eine internationale Notzuständigkeit 1030 eröffnet werden.250 Bei Nichtanerkennung des ausländischen Urteils folgt dies 248 Diesen Fall hebt Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 451 als besondere Hypothese hervor. 249 S. auch Art. 7 EuUnterhVO v. 18.12.2008, ABl. EU Nr. 7 v. 10.1.2009, 1 sowie Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 290 ff. 250 Dies gilt auch dann, wenn sich der aus deutscher Sicht international zuständige Staat für international unzuständig hält, aber ein dritter Staat ein Forum eröffnet, das nach § 328 I Nr. 1 ZPO keine internationale Anerkennungszuständigkeit trägt. Beruft sich der Beklagte nicht auf die internationale Unzuständigkeit dieses Staates, kommt nach der hier vertretenen Ansicht (Rz. 2903) eine Anerkennung des dort erlassenen Urteils in Betracht. Gegen den Willen des Beklagten das Urteil des nach deutschem Recht (§ 328 I Nr. 1 ZPO) international unzuständigen Staates ausnahmsweise anzuerkennen, um keine Notzuständigkeit in Deutschland eröffnen zu müssen, hätte zwar den Vorteil, dass letztendlich nur ein Verfahren vor Gerichten der Staaten stattfindet, die nach der deutschen internationalen Zuständigkeitsordnung an sich unzuständig sind,
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schon aus „vorangegangenem Tun“: Wenn die Bundesrepublik Deutschland meint, die Wirkungen des ausländischen Urteils nicht anerkennen zu können, dann ist sie verpflichtet, ein kompetentes Gericht zur Wiederholung des Prozesses zur Verfügung zu stellen, wenn im Inland ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, etwa weil in inländisches Vermögen vollstreckt werden soll251 oder weil auf den Streitgegenstand deutsches Recht zur Anwendung kommt oder weil die Rechtskraft des im ausländischen Prozess ergangenen Urteils für die Entscheidung eines inländischen Verfahrens (nicht notwendig eines Rechtsstreits; in Betracht kommen auch Verwaltungsverfahren, wie z.B. Festsetzung der Einkommensteuer) von präjudizieller Bedeutung ist. Gleiches gilt, wenn die Anrufung der nach deutschem Recht an sich international zuständigen Gerichte nicht möglich oder nicht zumutbar ist.252 1031 Nicht überzeugend ordnet Basedow253 die internationale Notzuständigkeit als Unterfall der „kooperativen Anpassung“ ein: „Um der Justizgewährungspflicht nachzukommen, muss der inländische Richter in diesen Fällen sein Zuständigkeitsrecht anpassen.“ Die Eröffnung einer Rechtsschutzmöglichkeit verdankt der Kläger nämlich nicht der Huld des Richters, sondern der Verfassung, welche die Justizgewährung garantiert, Art. 20 III GG.254
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und dass die Gefahr widersprechender Entscheidungen gebannt wäre. Der von § 328 I Nr. 1 ZPO intendierte wirksame Beklagtenschutz käme aber zu kurz. Diesem ist ohne Abstriche Vorrang einzuräumen. I.d.R. ergibt sich bereits aus § 23 ZPO ein Forum. Des Rückgriffs auf den Gedanken der Notzuständigkeit bedarf es jedoch dort, wo die Anwendung des § 23 ZPO ausgeschlossen ist, so im Anwendungsbereich des EuGVÜ und des LugÜ sowie der EuGVVO. Zur Notzuständigkeit in diesem Bereich R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – EuGVVO Einl. Rz. 80 sowie Art. 3 EuGVVO Rz. 7. Zur internationalen Notzuständigkeit Aden, Internationale Notzuständigkeit, ZvglRW 2007, 490; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 56 Fn. 142; R. Geimer, RIW 1975, 82; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 205; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 37; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 60 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 451, 457, 463; AG Groß-Gerau v. 11.6.1980 – 7 F 468/79, FamRZ 1981, 51 = MDR 1980, 944 = IPRspr. 1980 Nr. 152; BGH v. 29.9.1982, IPRspr. 1982 Nr. 147 passim. Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 154. Zu eng wohl Schlosser, IPRax 1992, 143, der diesen verfassungsmäßigen Anspruch auf Rechtsschutz im Inland (R. Geimer, NJW 1991, 3072) nur den „eigenen Staatsangehörigen und Bewohnern“ zuerkennen will. Auch ein Ausländer, dem die Anerkennung „seines“ im Ausland erstrittenen Urteils (das für ihn günstig ist) verweigert wurde, hat Anspruch auf Rechtsschutz im Inland. Nachw. zum von der Verfassung garantierten Justizgewährungsanspruch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 286; R. Geimer, ZfRV 1992, 321 (326). S. auch Hausmann, Internationale Zuständigkeit und Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, in FS Hailbronner, 2013, 429, 439, der einen Verstoß gegen Art. 18 I AEUV bejaht.
Internationale Notzuständigkeit
Vierter Teil
III. Zuständigkeitsvereinbarungen 1. Verweigerung des Rechtsschutzes am forum prorogatum In diesen Fällen wird die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutsch- 1032 lands gegenstandslos (Rz. 1763, 1764).255 2. Nichtanerkennung des vom forum prorogatum erlassenen Sachurteils Bei Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung des vom forum proroga- 1033 tum erlassenen Urteils ist nach den allgemeinen Regeln (Rz. 1030) im Inland ein forum zu eröffnen (Rz. 1766; vgl. auch Rz. 1783).
IV. Nichtanwendung des § 328 I Nr. 5 ZPO? Neuner256 und Schröder257 schlagen vor, entgegen § 328 I Nr. 5 ZPO auslän- 1034 dische Entscheidungen anzuerkennen, wenn sonst im Inland Rechtsverweigerung droht. Dies ist jedoch de lege lata kein gangbarer Weg.258
V. Notzuständigkeit aufgrund Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGRCh Generell gebietet Art. 6 I der Europäischen Menschenrechtskonvention und 1035 Art. 47 II der Europäischen Grundrechtecharta, die internationale Zuständigkeit Deutschlands dann zu bejahen, wenn die Nichtannahme der Klage einer Justizverweigerung gleichkäme (Rz. 150, 1910),259 insbes., wenn die Anrufung des nach deutschem internationalen Zivilprozessrecht an sich international zuständigen ausländischen Gerichts faktisch nicht möglich oder nicht zumutbar ist.260
VI. Die „heilsamen Wirkungen“ des Vermögensgerichtsstandes Dass in Deutschland (in vermögensrechtlichen Streitigkeiten) Fälle der Not- 1036 zuständigkeit selten sind, hängt mit dem weiten Anwendungsbereich des Vermögensgerichtsstandes (§ 23 ZPO) zusammen, der allerdings vom XI. Senat des
255 OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IHR 2005, 169 (171) = IPRax 2006, 469 (Weller 444) = NJOZ 2004, 3346 = IPRspr. 2004 Nr. 116. 256 Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 53. 257 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 212. 258 R. Geimer, WM 1975, 911. 259 So auch z.B. Cour de Cassation (française) v. 1.2.2005 Staat Israel/National Iranian Oil Company, Revue de L’Arbitrage 2005, 694 = ZZPInt 10 (2005), 435 (Schlosser). 260 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 56; R. Geimer, RIW 1975, 83; R. Geimer in FS Schwind, 1993, 17 ff.; Garber in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 28 JN Rz. 157. Vgl. auch Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, 222 ff.
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Internationale Zuständigkeit
Bundesgerichtshofs261 in Frage gestellt wird. Hat der Beklagte kein Vermögen im Inland, besteht (in den allermeisten Fällen) kein Bedürfnis nach Rechtsschutz durch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland. Bei Streichung oder wesentlicher Einengung dieser Vorschrift würden die Fälle der Notzuständigkeit zahlreicher (Rz. 1361).262
VII. Beispiel 1037 Ein staatenloses Nomadenehepaar könnte sich bei nur schlichtem Aufenthalt in Deutschland nicht scheiden lassen, da § 98 I Nr. 2–4 FamFG gewöhnlichen Aufenthalt verlangt: „Und da sehn sich traurig an Campingfrau und Campingmann.“263
VIII. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1038 Die Problematik der internationalen Notzuständigkeit ist nicht auf die streitige Gerichtsbarkeit beschränkt.264 Mitunter versucht der Gesetzgeber, sie durch eine „Fürsorgezuständigkeit“ in den Griff zu bekommen. So ist nach § 99 I 2 FamFG in Kindschaftssachen und nach § 104 I 2 FamFG – trotz Fehlens der Regelkompetenztatbestände Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt – eine internationale Zuständigkeit immer dann zu bejahen, soweit das Kind bzw. der Betroffene „der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf.“265 Weiter erklärt § 12 II des Verschollenheitsgesetzes die deutschen Gerichte auch dann für zu-
261 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b; hierzu unten Rz. 1077a, 1361. 262 Enger Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 630. 263 Kegel/Schurig, IPR9, § 20 IVc. 264 Nachw. zur Notzuständigkeit im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 226; OLG Zweibrücken v. 10.7.1985 – 3 W 133/85, OLGZ 1985, 413 = IPRax 1987, 108 (Witz/Bopp 83) = IPRspr. 1985 Nr. 211. Bei Spaltgesellschaften (Rz. 1024 a.E.) wendet der BGH § 5 I 2 FGG (nunmehr § 5 I Nr. 1 FamFG) analog an; er bestimmt ein örtlich zuständiges Gericht, damit dieses einen Notvorstand bestellen kann, BGH v. 18.10.1976, RIW 1977, 779 = IPRspr. 1976 Nr. 4; BGH v. 19.11.1984 – II ARZ 11/84, AG 1985, 108 = IPRax 1985, 3342 (Großfeld/Lohmann 324) = IPRspr. 1984 Nr. 207; BGH v. 30.9.1985 – II ARZ 5/85, AG 1986, 45 = WM 1985, 1415 = IPRspr. 1985 Nr. 215; BayObLG v. 24.5.1985 – BReg. 3 Z 60/85, AG 1985, 250 = RIW 1985, 811 = EWiR 1985, 441 (Meyer-Landrut) = IPRspr. 1985 Nr. 213. 265 Beispiel: Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 3b des italienischen Passgesetzes für einen im Inland lebenden italienischen Staatsangehörigen, AG Weinheim v. 25.1.1994 – FR X 17/94, IPRax 1994, 371 (Jayme 354) = IPRspr. 1994 Nr. 186. Für restriktive Auslegung KG v. 5.11.1997 – 3 UF 5133/97, FamRZ 1998, 440 = NJW 1998, 1565 = IPRax 1998, 274 (275) (Henrich 247).
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Anwendbares Recht
Vierter Teil
ständig, „wenn ein berechtigtes Interesse an einer Todeserklärung oder Feststellung der Todeszeit durch sie besteht.“266
IX. Internationale Anerkennungszuständigkeit Hat der Erststaat seine internationale Notzuständigkeit bejaht, weil er ein deut- 1039 sches Urteil nicht anerkennen wollte (Rz. 1029), so scheitert die Anerkennung dieses Urteils am Vorrang des deutschen Urteils, § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. § 109 I Nr. 3 FamFG; denn es kann trotz aller Liberalität von der deutschen Rechtsordnung nicht verlangt werden, dass man das eigene Urteil ignoriert. Dies liegt auf der Hand, wenn der Erststaat dem deutschen Urteil den Vorwurf der ordre public-Widrigkeit gemacht hat, aber auch dann, wenn aus sonstigen Gründen die Anerkennung verweigert wurde, z.B. wegen mangelnder Verbürgung der Gegenseitigkeit, Verneinung der internationalen Zuständigkeit etc. Liegt in der gleichen Sache ein anerkennungsfähiges Urteil eines dritten Staates vor, so hat dieses jedenfalls dann Vorrang, wenn eine völkervertragsrechtliche Verpflichtung besteht, bzw. wenn dieses zeitlich früher ergangen ist.267
X. Rechtsvergleichendes Seitdem man auch in Frankreich die Regeln über die örtliche Zuständigkeit zur 1040 Begründung der internationalen Zuständigkeit in Auslandsprozessen heranzieht (Rz. 972), hat das Problem des déni de justice an praktischer Bedeutung verloren.268
5. Kapitel: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht I. Internationale Entscheidungszuständigkeit 1. Kein positiver Gleichlauf: Kein Forum nur aufgrund Maßgeblichkeit deutschen Rechts a) Eigener Standpunkt Das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht kennt kein forum legis. Aus 1041 dem Umstand, dass gemäß deutschem (bzw. in Deutschland geltenden) internationalem Privatrecht269 in der Sache deutsches Recht anzuwenden ist, folgt
266 Hierzu Erman/Hohloch, BGB14, Art. 9 EGBGB Rz. 7. 267 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III1, Kap. I Rz. 665. Zur indirekten Notzuständigkeit aus schweiz. Sicht Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 281. 268 Nachw. bei Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, 1993, Nr. 674-1. 269 Z.B. Art. 17 EGBGB bzw. Art. 8 Rom III-VO.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
nicht, dass Deutschland international zuständig ist, und zwar auch dann nicht, wenn das deutsche Recht eine richterliche Rechtsgestaltung vorschreibt.270 1042 Die internationale Zuständigkeit knüpft an andere Tatbestandsmerkmale an als das internationale Privatrecht. Dies ist auch einleuchtend, weil das Regelungsprogramm für die internationale Zuständigkeit sich ganz wesentlich unterscheidet von der IPR-Frage, bei der es darum geht, die für den Sachverhalt bzw. das Rechtsverhältnis nächste Rechtsordnung zu fixieren. Bei der Normierung der internationalen Zuständigkeit steht nicht die (meritorische) Rechtsanwendungsfrage im Vordergrund, sondern die Gewichtung der Verfahrensinteressen: Es stehen sich gegenüber der Justizgewährungsanspruch des Klägers/Antragstellers, dessen Interesse auf einen möglichst großen Jurisdiktionsbereich der Bundesrepublik Deutschland tendiert, und der legitime Wunsch des Beklagten/Antragsgegners, vor unzumutbarer Ausweitung seiner Gerichtspflichtigkeit geschützt zu werden.271 1043 Das IPR-System wählt eine Rechtsordnung aus, die für das konkrete Rechtsverhältnis Anwendung finden soll. Dagegen sind im Kompetenzbereich konkurrierende internationale Zuständigkeiten die Regel: Es stehen also mehrere fora zur Verfügung.272 Unmittelbar staatliche Interessen, die vorrangig vor oder neben den Parteiinteressen durchzusetzen wären, sind nicht erkennbar. Dies bedeutet: Wenn in concreto die Bundesrepublik Deutschland nach ihrem internationalen Privatrecht die Anwendung eigenen Rechts vorschreibt, so heißt dies nicht, dass sie ein eigenes unmittelbares Interesse als Staat hätte, dass nur ihr Recht angewandt und auf Biegen und Brechen durchgesetzt wird, sondern nur, dass die deutschen Gerichte angewiesen sind, nach deutschem Recht zu entscheiden, falls sie mit dem Fall (im Erkenntnisverfahren) befasst werden. 1044 Fazit: Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts erzwingt nicht die Öffnung des Zugangs zu den deutschen Gerichten. Atavistisch wäre auch die Vorstellung, dass der Status deutscher Staatsangehöriger nur von deutschen Gerichten geklärt werden darf. Dies ist spätestens seit Streichung der § 606a und § 328 I
270 Nachw. bei Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 566; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 146; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 200; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 324 Fn. 31; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 3, 313; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 53; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 96. Ebenso zum österr. Recht Matscher in Fasching/ Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 34. 271 R. Geimer, FamRZ 1980, 789. Zustimmend Mankowski, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, in FS Heldrich, 2005, 867, 671. Weniger dezidiert Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 368. 272 Ausführlich Mankowski in FS Heldrich, 2005, 867, 869. S. auch Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 547.
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Nr. 3 ZPO a.F. und Einfügung der §§ 606a I 2, 640a II 2 ZPO (seit 1.9.2009: § 106 FamFG) klar, war aber auch vorher geltendes Recht (arg. § 606a Nr. 3 a.F.).273 b) Das Postulat eines generellen forum legis Viele274 wollen bereits aus dem Umstand, dass nach den Regeln des deutschen 1045 internationalen Privatrechts der Streitgegenstand nach deutschem Recht zu beurteilen ist, die internationale Zuständigkeit Deutschlands ableiten, ohne Rücksicht darauf, ob ein Gerichtsstand nach §§ 12 ff. ZPO gegeben ist. Beispiele: 1046 Namenschutzklagen von Deutschen, die im Ausland wohnen; Klagen aus einem Vertrag, der aufgrund Parteivereinbarung deutschem Recht untersteht, wenn die Parteien im Ausland wohnen und kein deutsches Gericht prorogiert haben (etwa weil sie bei Vertragsschluss noch in Deutschland wohnten); oder Klage auf Feststellung, dass keine Alimentenpflicht besteht gegenüber Kindern einer deutschen Mutter.
Die bessere Befähigung der deutschen Gerichte zur Anwendung deutschen 1047 Rechts ist jedoch kein ausreichender Anknüpfungspunkt für die deutsche internationale Zuständigkeit.275
273 Rechtsvergleichend Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 830; auch in Österreich wurde § 80 Nr. 3 EO gestrichen. Die Türkei erhebt ebenfalls keinen Ausschließlichkeitsanspruch mehr, Ansay, StAZ 1983, 29. 274 Für Gleichlauf zwischen anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit plädiert vor allem Neuhaus, Grundbegriffe des IPR2, 428: „Soweit ein Staat seine Rechtsordnung für anwendbar erklärt, muss er notfalls auch seine Gerichte zur Verfügung stellen … In all diesen Fällen kann die (fakultative) Zuständigkeit eines deutschen Gerichts im Interesse der richtigen Rechtsanwendung dringend gewünscht sein, weil entweder das zunächst zuständige ausländische Gericht überhaupt das deutsche Recht nicht anwenden würde (infolge seines anderen IPR oder unter Berufung auf den ordre public) oder weil komplizierte Fragen des deutschen Rechts in Rede stehen, die ein fremdes Gericht kaum zu durchschauen vermag.“ So auch schon Neuhaus in RabelsZ 20 (1955), 260 sowie in JZ 1966, 241; Nachw. bei E. Lorenz, FamRZ 1981, 410; Breuleux, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 138; von Overbeck Schweizer. Jb.Int.R. 21 (1964) 39; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 504 ff.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 197 ff.; Jayme, IPRax 1984, 305 Fn. 10. 275 So treffend Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 180: „Im Prinzip ist es ja der Ausgangspunkt jedes entwickelten Kollisionsrechts, dass die offensichtlichen Unsicherheitsfaktoren bei der Anwendung fremden Rechts durch das Interesse aufgewogen werden, jeweils die dem Sachverhalt am nächsten stehende Rechtsordnung zum Zuge kommen zu lassen. Die Fehlerquellen bei der Ermittlung und Handhabung ausländischen Rechts sind also sozusagen ein einkalkuliertes Risiko des ganzen Systems. Nimmt man sie aber bei der Rechtsanwendung durch die eigenen Gerichte in Kauf, so wird man auch den Gerichten eines fremden Staates nicht durch die Inanspruchnahme einer konkurrierenden inländischen Zuständigkeit die Befähigung zur Anwendung des deutschen Rechts absprechen können.“ Dagegen auch Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 510 und Schwimann, IZVR, 1979, 29, 33: Es müssen „auch bei inländischer lex causae noch zusätzliche Umstände vorliegen, damit ein für die Bejahung inländischer Jurisdiktion ausreichendes Justizbedürfnis im Inland begründet erscheint“; Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 91.
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c) Forum legis (nur) für Gestaltungsklagen? 1048 Heldrich276 bejaht eine internationale Statutszuständigkeit, „wenn die Verwirklichung des materiellen Rechts notwendig die Einschaltung der Gerichte voraussetzt“, d.h. für Gestaltungsklagen auf der Grundlage des deutschen materiellen Rechts. Praktische Bedeutung hat die Heldrichsche Zuständigkeitsregel nur dann, wenn in concreto kein Gerichtsstand gegeben ist. Dies dürfte für Scheidungsanträge nur äußerst selten der Fall sein. Aus dem Bereich des Familienrechts dürften vor allem der Antrag auf vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns (§§ 1385, 1386 BGB) und auf Aufhebung der Gütergemeinschaft (§§ 1447 ff. BGB) der Rechtsprechung Gelegenheit geben, zur These Heldrichs Stellung zu nehmen. Für das Schuldrecht hat Heldrich277 folgendes Beispiel gebildet: Ein Italiener und ein Däne haben in einem Kaufvertrag die Anwendung des „neutralen“ deutschen Rechts vereinbart. Nach Heldrich ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands für die Klage auf Herabsetzung der verwirkten Vertragsstrafe (§ 343 I 1 BGB) gegeben.278 1049 Hiergegen wendet sich Schröder.279 Er legt überzeugend dar, dass es zuständigkeitsrechtlich ohne Bedeutung ist, ob der Richter selbst die Gestaltung ausspricht oder die Berechtigung einer privat vollzogenen Gestaltung feststellt. Die instrumentale Verschiedenheit von Feststellungs- und Gestaltungsklagen ist unter dem Blickwinkel der richtigen Zuständigkeitsanknüpfung ohne Bedeutung. Die Grenzen zwischen Feststellungs- und Gestaltungsurteil sind fließend. Es wäre zumindest unzweckmäßig, die Frage der internationalen Zuständigkeit mit diesen Abgrenzungsproblemen zu belasten. So war z.B. für das frühere deutsche Kaufrecht umstritten, ob der Vollzug der Wandlung oder Minderung der richterlichen Gestaltung bedarf.280 Die Bejahung der deutschen internationalen Zuständigkeit hinge davon ab, wie man die rechtliche Natur der Wandlungs-/Minderungsklage einordnet. 1050 Auch würden nach der Heldrichschen Regel aus einem einheitlichen Schuldverhältnis einzelne Aspekte herausgeschnitten, für welche die deutsche internationale Zuständigkeit besteht (= Gestaltungsklagen), die Übrigen unterlägen nicht der deutschen Zuständigkeit. Weshalb soll der deutsche Richter die Wandlung durch Gestaltungsurteil vollziehen dürfen, aber nicht zuständig sein, durch Leistungsurteil zur Herstellung des früheren Zustandes zu verurteilen? Oder weshalb soll die Bundesrepublik Deutschland international zuständig sein, eine Vertragsstrafe herabzusetzen, wenn sie unzuständig ist für die Erfüllungsklage hinsichtlich eben dieser Vertragsstrafe? 1051 Schließlich würde der Vorschlag Heldrichs zu Ungleichgewichten führen, wenn man das forum legis für Gestaltungsklagen gem. § 328 I Nr. 1 ZPO und § 109 I Nr. 1 FamFG zu einer allseitigen Zuständigkeitsnorm erweitert: Ordnet das maß276 277 278 279
Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 181, 191. Heldrich, a.a.O., 174. Nunmehr durch die Zuständigkeitsordnung der EuGVVO bzw. des LugÜ überholt. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 522. Zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 313. 280 Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, 144 Fn. 8.
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gebliche ausländische Sachstatut statt privater Gestaltung durch die Beteiligten Rechtsgestaltung durch den Richter an, so müsste Deutschland quantitativ mehr Anerkennungszuständigkeit gewähren, als es für sich Entscheidungszuständigkeit in Anspruch nimmt. 1052
Beispiel: Der Übergang von der Leistungs- zur Schadensersatzpflicht vollzieht sich nach dem BGB meist ex lege; entsteht Streit, so ist durch Feststellungs- bzw. Leistungsurteil zu entscheiden. Anders – zumindest im Grundsatz – das französische Recht (Art. 1184 Code civil) und die von ihm beeinflussten romanischen Rechtsordnungen, vor allem Art. 1453 Codice civile: Hier hat der Richter durch rechtsgestaltendes Urteil den Vertrag aufzuheben, wenn ein Vertragsteil seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt.281
Ergebnis: Die Notwendigkeit der Rechtsgestaltung aufgrund Anwendbarkeit 1053 deutschen Rechts ist als solche kein Anlass, eine deutsche internationale Zuständigkeit zu eröffnen. Kann die vom deutschen Recht vorgeschriebene Rechtsgestaltung von den aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG) international zuständigen Gerichten nicht vorgenommen werden, etwa weil diese sich für unzuständig erklären oder die Rechtsgestaltung nach deutschem Recht als ihrer Rechtsordnung wesensfremd ablehnen, so besteht im Zweifel eine deutsche Not- oder Ersatzzuständigkeit (Rz. 1030). Der innere Grund für diese Kompetenz ist aber nicht der Gleichlauf zwischen materiellem Recht und Zuständigkeit, sondern die Rechtsschutzverweigerung im Ausland, ein typisch verfahrensrechtlicher Gesichtspunkt.282 d) Durchsetzung international zwingenden Rechts (ordre publicZuständigkeit) Ist – trotz Fehlens einer Zuständigkeitsanknüpfung (§§ 12 ff. ZPO) – wenigstens 1054 dann eine internationale Zuständigkeit Deutschlands zu eröffnen, wenn zu erwarten ist, dass die (nach ihrem Recht ihre internationale Zuständigkeit bejahenden) ausländischen Gerichte (aus deutscher Sicht) international zwingende Normen bzw. Rechtsgrundsätze283 nicht anwenden werden und deshalb das zu erwartende ausländische Urteil im Inland nicht anerkennungsfähig sein wird? Die Antwort lautet: Nein, weil eine Prognose nicht möglich bzw. zu unsicher ist. Der Kläger muss zuerst im Ausland ein konkretes Urteil erstreiten. Ist dieses im Inland nicht anerkennungsfähig, so ist nach allgemeinen Grundsätzen eine Ersatzzuständigkeit im Inland gegeben (Rz. 1033).284 281 Zur Zurückdrängung des Grundsatzes der richterlichen Vertragsauflösung Cour de cassation (1. Chambre civile) v. 20.2.2001, Bull. Civ. I Nr. 40 = D 2001 Jur 1568 (Jamin) = RIW 2002, 866 (869). 282 Ebenso im Ergebnis Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 197 f.; Schlosser, ZZP 94 (1981), 355 (357); Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschaftsund Sorgerecht, 1982, 205; Linke, ZVglRWiss. 79 (1980), 307; BGH v. 29.9.1982, IPRspr. 1982 Nr. 147. 283 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1584; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 753. 284 Zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 41. Enger Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 744 ff., 753.
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1055 Auch im Kartellzivilprozess ist eine deutsche internationale Zuständigkeit nur dann gegeben, wenn die Voraussetzungen der §§ 12 ff. ZPO vorliegen.285 Das aus deutscher Sicht international zwingende deutsche Kartellrecht eröffnet kein forum legis.286 1056 Gleiches gilt im Wettbewerbsrecht.287 1056a Keine Ausnahme gilt für das Arbeitsrecht.288 e) Derogationsverbot zur (besseren) Wahrung des aus deutscher Sicht international zwingenden Rechts? 1057 Wenn auch das Rechtsanwendungsinteresse nicht die Eröffnung eines inländischen Forums erzwingt, wenn im Inland kein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt (§§ 12 ff. ZPO) gegeben ist, so ist doch noch zu fragen, ob die aus §§ 12 ff. ZPO folgende internationale Zuständigkeit derogationsfest ist. So halten die Gerichte289 die Derogation der an sich (nach §§ 12 ff. ZPO gegebenen) internationalen Zuständigkeit Deutschlands für unwirksam, wenn feststeht,290 dass das vom 285 S. auch LG Dortmund v. 1.4.2004 – 13 O 55/02 Kart, WuW 2004, 1182 = EWS 2004, 434 (Bulst 403) = IPRax 2006, 542 (Mäsch 509): Schadensersatz wegen unerlaubter Preisabsprachen und Marktaufteilung und der daraus resultierenden (kartellbedingten) Verteuerung (§ 823 II BGB i.V.m. § 33 GWB und § 826 BGB): Begehungsort (§ 32 ZPO, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, Art. 5 Nr. 3 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ) ist i.d.R. der Sitz bzw die Niederlassung des Beklagten, Erfolgsort (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs) ist der Marktort. Für Marktort auch Kessedijan in McLachlan/Nygh, Transnational Tort Litigation: Jurisdictional Principles, 1996, 171, 185. S. auch Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht, FS 50 Jahre FIW: 1969 bis 2010, 2010, 129. 286 Rehbinder in Mestmäcker, GWB4, § 130 Abs. 2 Rz. 251; Immenga in MüKo.BGB4, IntWettbR/IntKartR Rz. 81; Pfeiffer, a.a.O., 744; Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, 2006, Rz. 325. 287 BGH v. 23.10.1970, GRUR 1971, 153 (Tampax) = JZ 1971, 731 (Deutsch) = IPRspr. 1970 Nr. 97; Staudinger/Fezer/Koos, a.a.O., Rz. 733 ff. 288 A.A. Birk, BerDGVR 18 (1978), 361: „Wenn eine Rechtsordnung dem Inländer einen Anspruch gegen eine ausländische Obergesellschaft zubilligt, (muss sie) dem Anspruchsberechtigten auch einen Gerichtsstand zur Verfügung stellen“ (= der Sitz der oder einer inländischen Tochtergesellschaft). 289 BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 = RIW 1985, 78 = IPRax 1985, 216 (Roth 198) = IPRspr. 1984 Nr. 135; OLG Frankfurt v. 16.1.1986 – 16 U 40/85, RIW 1986, 902 = WM 1986, 701 = ZIP 1986, 497 = IPRspr. 1986 Nr. 31. Wesentlich moderater aber BGH v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, MDR 2005, 706 = BGHReport 2005, 530 (533) (Nolting). Sehr stringent aber wiederum OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = IPRax 2007, 322 (Rühl 294) = WM 2006, 1556 = IHR 2006, 166 (168) (Thume) = IPRspr. 2006 Nr. 11; BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, IHR 2013, 35 (Antomo 225); OLG Stuttgart v. 29.9.2011, IHR 2012, 163. Hierzu Rühl, Eur. Rev. Priv. Law 2007, 891; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246. S. auch die Nachw. bei Synatschke, Die Unzuständigerklärung des Schiedsgerichts, 2006, 38 ff.; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196. 290 Es soll sogar für die Bejahung des Derogationsverbots ausreichen, wenn die nahe liegende Gefahr besteht, dass das forum prorogatum international zwingendes deutsches
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ausländischen forum prorogatum bzw. Schiedsgericht (noch) zu erlassende Urteil im Inland deshalb nicht anerkannt werden kann, weil es aus deutscher Sicht (auch gegenüber ausländischen Urteilen durchzusetzendes) international zwingendes Recht nicht anwenden wird (Rz. 1770, 3799a).291 Entgegen dieser Rechtsprechung ist aber die Derogation zu beachten und das 1058 ausländische Urteil bzw. der Schiedsspruch abzuwarten.292 Verstößt dieses tatsächlich gegen den deutschen ordre public, weil es aus deutscher Sicht international durchzusetzende Normen bzw. Rechtsgrundsätze ignoriert, so ist im Inland eine Ersatzzuständigkeit zu eröffnen (Rz. 1033, 1770, 3799a). Die Kartellrechtler293 behaupten – entgegen der hier vertretenen Meinung – die 1059 aus §§ 12 ff. ZPO fließende internationale Zuständigkeit Deutschlands könne im Kartellzivilprozess nicht derogiert werden, weil sonst die Anwendung bzw. Durchsetzung des aus deutscher Sicht international zwingenden deutschen Kartellrechts294 gefährdet sei. Dem ist nicht zu folgen.295 Ein weiteres Derogationsverbot zur Durchsetzung international zwingender Nor- 1060 men zum Schutz der schwächeren Partei hält im Verbraucherschutzrecht Kropholler für diskutabel.296 In die gleiche Richtung zielen einzelne Arbeitsgerichte, welche die Derogation 1061 der deutschen internationalen Zuständigkeit dann für unwirksam halten, wenn
291
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Recht nicht anwenden wird. Einer positiven Feststellung, dass dies so sein wird, bedarf es nicht, OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (Rühl 294) = WM 2006, 1556 = IHR 2006, 166, 168 (Thume) = IPRspr. 2006 Nr. 11. Hierzu Rühl, Eur. Rev. Priv. Law 2007, 891; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246. Nachw. bei Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56 (61); Kowalke, Die Zulässigkeit von Gerichtsstands-, Schiedsgerichts-, und Rechtswahlklauseln bei Börsentermingeschäften, 2002; Redmann, Ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen, 2005; Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294 (296). Zum Meinungsstand z.B. Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 308 ff. Immenga in MüKo.BGB5, IntWettbR/IntKartR Rz. 81. Nachw. bei Schmidt/Hermesdorf, RIW 1986, 180 Fn. 3. Auch eine Schiedsvereinbarung ist zulässig, § 1030 ZPO. Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 541. Ebenso BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, IHR 2013, 35 (36) = BeckRS 2012, 20587; OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (Rühl 294) = WM 2006, 1556 = IHR 2006, 166 (168) (Thume) = IPRspr. 2006 Nr. 11. Hierzu Rühl, Eur. Rev. Priv. Law 2007, 891; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246; Maier, NJW 1958, 1329 sowie AWD 1960, 217 für § 89b HGB (Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters). Dagegen BGH v. 30.1.1961, NJW 1961, 1061 = AWD 1961, 103 (Maier); Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 226. Weitere Nachw. bei Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und internationalen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Lüttringhaus, Eingriffsnormen im internationalen Unionsprivat- und Prozessrecht, IPRax 2014, 146, 151.
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die Durchsetzung international zwingender Arbeitnehmerschutznormen gefährdet ist. Dagegen ist festzuhalten: Auch in Arbeitssachen ist die Derogation der internationalen Zuständigkeit nach den allgemeinen Regeln zulässig.297 (S. auch Rz. 1770). 1062 Im Wettbewerbsrecht wird die Derogierbarkeit der aus § 14 UWG fließenden internationalen Zuständigkeit verneint, jedenfalls dann, wenn die Ansprüche nur auf das UWG gestützt sind, also nicht mit Ansprüchen aus anderen Vorschriften konkurrieren.298 f) Rechtswahlklauseln 1063 Auch im Bereich der Parteivereinbarungen sind forum und ius streng zu trennen. Aus der Vereinbarung der Anwendbarkeit deutschen Rechts folgt noch nicht die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands und umgekehrt aus der Prorogation auf das Inland nicht unbedingt die Anwendbarkeit deutschen Rechts (Rz. 1674, 1775). 2. Kein negativer Gleichlauf 1064 Keine internationale Unzuständigkeit Deutschlands aufgrund Anwendbarkeit ausländischen Sachrechts: Das Gleichlaufprinzip ist zuständigkeitsrechtlich in jeder Hinsicht untauglich, sowohl zur Zuständigkeitserweiterung (Rz. 1044) als auch zur Zuständigkeitsbegrenzung.299 Eine Beschränkung der internationalen Zuständigkeit nur auf diejenigen Rechtsstreitigkeiten, die gemäß deutschem internationalen Privatrecht nach inländischem Recht zu entscheiden sind, wäre atavistisch und ist indiskutabel.300 1065 Dies ist für den Zivilprozess – einschließlich der Sonderverfahren (z.B. nach dem Unterlassungsklagengesetz)301 – unbestritten. Jedoch hielt bis 31.8.2009 die Rechtsprechung im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu Unrecht an dem Grundsatz fest, dass die internationale Zuständigkeit in Nachlasssachen nur dann
297 A.A. Birk, RdA 1983, 143 (150) (gegen isolierte Derogation und Derogation des Gerichtsstandes am gewöhnlichen Arbeitsort). Nachw. unten in Rz. 1774. 298 BAG v. 20.7.1970, NJW 1970, 1280 = AWD 1970, 577 (Trinkner) = IPRspr. 1970 Nr. 109c (362); Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 532. S. auch Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 575. 299 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 53. Zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 45. 300 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 199. „Ein Kollisionsrecht, das Macht über die internationale Zuständigkeit beansprucht, sägt sich selber den Ast ab, auf dem es sitzt“, von Bar, IPR I1, Rz. 408. Anders aber aus öffentlich-rechtlicher Sicht Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 639. 301 Mankowski, IPRax 1991, 306 bei Fn. 24.
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Anwendbares Recht
Vierter Teil
zu bejahen ist, wenn deutsches materielles Recht lex causae ist302 (Rz. 1247). Diese Doktrin ist nunmehr durch § 105 FamFG überholt.303 Auch sollte vor dem 1.9.2009 die klageweise Verfolgung des im Dispacheverfah- 1066 ren304 erhobenen Widerspruchs (§ 407 FamFG) vor deutschen Gerichten nicht zulässig sein, wenn die Dispache nach ausländischem Recht aufgemacht ist.305 Auch dies trifft nicht (mehr) zu. Freilich wird es oft an einer örtlichen und damit auch internationalen Zuständigkeit (§ 377 II FamFG)306 fehlen. Dass die deutsche Entscheidung von der (vom deutschen internationalen Privat- 1067 recht bestimmten) lex causae nicht anerkannt wird, ist kein Grund, eine nach deutschem Kompetenzrecht gegebene internationale Entscheidungszuständigkeit zu verneinen. Dies ist ein allgemeines Prinzip des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts (Rz. 977, 991).307 Es war früher nur durch die Sondervorschrift des § 606b Nr. 1 a.F. modifiziert. 1068 Diese Regel (Rz. 78, 1954) hat die Reform des Internationalen Privatrechts von 1986 – entgegen den Vorschlägen der Wissenschaft308 – als § 606a I 1 Nr. 4 ZPO (jetzt § 98 I Nr. 4 FamFG) überlebt, jedoch inhaltlich verändert. Während früher – bei reinen Ausländerprozessen – positiv feststehen musste, dass die deutsche Entscheidung im Heimatstaat des Ehemannes anerkannt wird (positive Anerkennungsprognose), wird nach § 98 I Nr. 4 FamFG die internationale Aufent302 BayObLG v. 4.9.1995 – 6 W 261/95, StAZ 1996, 171 = IPRspr. 1995 Nr. 117; OLG Zweibrücken v. 10.7.1985 – 3 W 133/85, OLGZ 1985, 413 = IPRax 1987, 108 (Witz/Bopp 83) = IPRspr. 1985 Nr. 211; OLG Hamm v. 28.2.2005 – 15 W 117/04, FamRZ 2005, 1705. Nachw. bei Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 212, 240; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 465; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 98; Ultsch, MittBayNot 1995, 5. Dagegen überzeugend z.B. Dölle, RabelsZ 27 (1962/63), 217 und W. J. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit7, § 11 III A 1c: Der Staat gefährde seine Aufgabe, für Rechtsschutz und Rechtsfrieden zu sorgen, wenn er seinen Gerichten nur bei Anwendbarkeit von deutschem Recht die Befugnis zum Tätigwerden verleihe. Gegen negativen Gleichlauf: R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 114 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); Heldrich, NJW 1967, 417; v. Craushaar, Die internationalrechtliche Anwendbarkeit deutscher Prozessnormen, 1961, 95; für negativen Gleichlauf, um den internationalen Entscheidungseinklang zu wahren, Neuhaus, NJW 1967, 1168. 303 Amtliche Begründung zu § 105 FamFG, BT-Drucks. 16/6308, 221: „Auch die … internationale Zuständigkeit in Nachlass- und Teilungssachen soll sich … gemäß § 105 aus der örtlichen Zuständigkeit nach den §§ 343, 344 ergeben. Damit ist der ungeschriebenen sog. Gleichlauftheorie, wonach die deutschen Gerichte nur bei Anwendung deutschen Sachrechts zuständig seien, eine Absage erteilt.“ 304 Hierzu Rabe, Seehandelsrecht4, § 729 HGB Anh. Rz. 1 ff. 305 LG Lübeck v. 9.4.1935, HansRGZ 1935 B 359 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 749. 306 Zum alten Recht Keidel/Winkler/Kuntze, FGG15, § 156 FGG Rz. 1. 307 Leider viel zu umständlich argumentierend BGH v. 10.11.2010 – XII ZR 37/09, NJW 2011, 70 = MDR 2011, 43 = FamRZ 2011, 97 (Eichel) = IPRspr. 2010 Nr. 111; s. Rz. 977. 308 Max-Planck-Institut, RabelsZ 47 (1983), 680; Nachw. bei Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 809.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
haltszuständigkeit nur dann (ausnahmsweise) verneint, wenn die deutsche Entscheidung offensichtlich weder im Heimatstaat des Mannes noch in dem der Frau anerkannt wird (negative Anerkennungsprognose).309 1069 Eine Konkordanz zwischen lex causae und Anerkennung – wie früher im Verhältnis zwischen Art. 17 I EGBGB a.F. und § 606b Nr. 1 ZPO a.F. – besteht nicht mehr. Die Anerkennung durch die lex causae, die nicht unbedingt das Recht eines der Heimatstaaten zu sein braucht, spielt keine Rolle.310 Auch wenn die lex causae nicht anerkennt, ist die internationale Aufenthaltszuständigkeit zu bejahen, wenn wenigstens ein Heimatstaat anerkennt. Umgekehrt ist nach dem Wortlaut der Nr. 4 auch bei Anerkennung durch die lex causae die internationale Zuständigkeit zu verneinen, wenn offensichtlich kein Heimatstaat bereit ist, die deutsche Entscheidung anzuerkennen. Dies gibt wenig Sinn. Deshalb entfällt das Anerkennungserfordernis der Nr. 4, wenn die ausländische lex causae anerkennt.311 1070 Auch im internationalen Adoptionsrecht312 hängt die internationale Zuständigkeit Deutschlands (§ 101 FamFG) nicht von der Anerkennung der deutschen Entscheidung durch die lex causae ab.313
II. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1071 Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Deutschland setzt nicht voraus, dass diese auch die lex causae anerkennt. Sind die Anerkennungsvoraussetzungen (Staatsvertrag bzw. § 328 ZPO/§ 109 FamFG) gegeben, so ist die ausländische Entscheidung im Inland auch dann anzuerkennen, wenn die lex causae die drittstaatliche Entscheidung nicht anerkennt. Dies gilt auch vice versa. Ist nach dem deutschen Anerkennungsrecht die Anerkennung zu verweigern, so ist die ausländische Entscheidung aus deutscher Sicht unbeachtlich, auch wenn die lex causae die Entscheidung anerkennt (Rz. 42, 2809). 1072 Hiervon zu unterscheiden ist, dass das deutsche Anerkennungsrecht in den Fällen des § 109 II und III FamFG auf die Prüfung der internationalen Zuständigkeit verzichtet. Die an sich nach den deutschen Regeln (§ 109 I Nr. 1 FamFG) fehlende internationale Zuständigkeit des Erststaates steht der Anerkennung dann nicht entgegen, wenn die zur Anerkennung anstehende drittstaatliche Entscheidung sowohl im Heimatstaat des Mannes als auch der Frau anerkannt wird.314 Das Gleiche gilt bei Lebenspartnern, wenn der Register führende Staat die Entscheidung anerkennt.
Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 30, 104. Kritisch Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 733, 851. Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 118. Beispiel: OLG Celle v. 6.10.1994 – 18 W 22/94, FamRZ 1995, 829 = StAZ 1995, 171 = IPRspr. 1994 Nr. 190. 313 S. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 424. Vgl. auch BayObLG v. 4.9.1995 – 6 W 261/95, StAZ 1996, 171 = IPRspr. 1995 Nr. 117. 314 Zöller/Geimer, ZPO30, § 109 FamFG Rz. 7. 309 310 311 312
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Forum non conveniens
Vierter Teil
6. Kapitel: Forum non conveniens I. Überblick Im Bereich des common law315 wurde – ausgehend von Schottland – die Lehre 1073 vom forum non conveniens entwickelt: Trotz Vorliegens eines Kompetenzgrundes kann der Richter im konkreten Fall das forum für non conveniens erklären, d.h. die Annahme der Klage und damit eine Sachentscheidung ablehnen.316 Die315 Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen2, Rz. 456; Berger, RabelsZ 41 (1977), 39; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 276 ff.; Cheshire/North & Fawcett, Private International Law14, 426 ff.; Cube, Die internationale Zuständigkeit der englischen Zivilgerichte: Im Spannungsverhältnis von Common Law und Europarecht, 2004, 84 ff., 147 ff.; Dahl, Forum Non Conveniens, Latin America and Blocking Staututes, IntAmLREv 2004, 21; Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 195; Dorsel, Forum non conveniens, 1996; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 135; Ebke, RIW 1991, 776; Erwand, Forum non conveniens und EuGVÜ, 1996; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 68; Juenger, Sydney L. Rev. 18 (1994), 5, 28; Juenger in FS Schütze, 1999, 317; Karayanni, Forum non conveniens in the modern age, 2004; Mankowski, IPRax 1999, 155 (156); Kropholler, IPR6, § 58 VII; Mack, Forum Non Conveniens, IPRax 2007, 464; Mankowski, EWiR 2007, 275; Arnaud Nuyts, L’exception de forum non conveniens, thèse Université libre de Bruxelles, 2003; von Rönn, Die Anwendung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens im Vereinigten Königreich, 1996, 86; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 53 ff.; Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, 11.8 ff.; Hay, ZZP 107 (1994), 263; Schollmeyer, ZZP 108 (1995), 530; Ultsch, RIW 1997, 26. S. auch Felder, Die Lehre vom Forum Non Conveniens, 2005; Hoppe, Die Einbeziehung ausländischer Beteiligter in US-amerikanische class actions: Unter Berücksichtigung des Class Action Fairness Act 2005, 2005; Schütze, DIZPR2, Rz. 122; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 443 ff.; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 61 ff. m.w.N. 316 Nachw. bei Hay in Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, Bd. I, 2001, Rz. 102; Zekoll, 61 Alb. L. Rev. 1283; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 487 ff.; Scheucher, Studien zur internationalen Zuständigkeit in Vermögensstreitigkeiten, 1972, 69 ff.; Wahl, Die verfehlte internationale Zuständigkeit, Forum non conveniens und internationales Rechtsschutzbedürfnis, 1974; Blum, Forum non conveniens, 1979; Leckszas, Die Lehre vom forum non conveniens im amerikanischen Recht, 1978. Eine Reihe von Autoren hat sich für die Übernahme dieser Lehre in das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht ausgesprochen: Wengler, NJW 1959, 127 (130); Wengler, AcP 165 (1965), 370; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 486; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 629; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 584; Jayme, StAZ 1975, 81; Jayme, IPRax 1984, 303; sympathisierend von Hoffmann, IPRax 1982, 222 bei Fn. 56; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 26; OLG Frankfurt v. 12.7.1973, StAZ 1975, 98 (Jayme 91) = IPRspr. 1973 Nr. 171A; LG Hamburg v. 6.8.1975, WM 1976, 985 = RIW 1976, 228 = IPRspr. 1975 Nr. 141; AG Eggenfelden v. 6.11.1981 – F 82/79, IPRax 1982, 78; AG Würzburg v. 7.8.1984 – XVI 31/82, IPRax 1985, 111. Weitere Nachw. bei Dorsel, Forum non conveniens. Richterliche Beschränkung der Wahl des Gerichtsstandes im deutschen und amerikanischen Recht, 1996; Erwand, forum non conveniens und
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
se Doktrin gibt dem Richter ein „zuständigkeitsrechtliches Ermessensinstrument“317 in die Hand. I.d.R. übt das Gericht sein Ermessen auf Antrag (motion) des Beklagten aus. Hält das Gericht die eigene (an sich gegebene) Zuständigkeit für seriously inconvenient und die eines Gerichts im Ausland wegen der größeren Sachnähe (Anwesenheit von Zeugen, Vorliegen von Urkunden etc.) für more convenient, so weist es die Klage unter der Auflage ab, dass sich der Antragsteller (Beklagte) der Jurisdiktion des anderen (ausländischen Gerichts) unterwirft und wegen des Forumwechsels sich nicht auf Verfristungen beruft, wie z.B. auf die in der Zwischenzeit eingetretene Verjährung.318 Voraussetzung ist aber stets, dass ein more convenient forum („adequate alternative forum“) vorhanden ist.319 US-amerikanische Gerichte unterscheiden bei ihrer Abwägung einerseits private Interessen der Parteien (private interest factors) und andererseits öffentliche Interessen (public interest factors).320 Zur ersten Gruppe gehören folgende Aspekte: – Leichtigkeit des Zugriffs auf Zeugen und sonstige Beweismittel, – Vollstreckungsmöglichkeiten der beantragten Entscheidung, – Möglichkeit, mit dem Prozessbevollmächtigten ein Erfolgshonorar zu vereinbaren und auf diese Weise ohne Einsatz eigener Mittel klagen zu können. Kriterien bei der Bewertung der public interest factors sind: – Belastung des Gerichtsstaates und seines Justizapparates (wichtig bei reinen Ausländerprozessen), – Vertrautheit des Gerichts mit dem in der Sache anwendbaren ausländischen Recht.
II. Die Thesen Wahls 1074 Wahl versucht zu beweisen, dass die Lehre vom forum non conveniens im Grunde übereinstimmt mit der deutschen Lehre vom (fehlenden) Rechtsschutzbedürfnis. Er plädiert für ein Aufweichen der starren Zuständigkeitsregeln und postuliert als oberstes Prozessziel ein „richtiges Sachurteil aufgrund eines ge-
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EuGVÜ, 1996, 95 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 382; Reuss, RIW 1991, 542; Schütze, DZWiR 1991, 239; Fischer, RIW 1992, 57; Schack, RabelsZ 58 (1994), 40; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, Rz. 82 ff.; Collins/Davenport L.Q.Rev. 110 (1994), 325; Checa Martínez, Fundamentos y límites del forum shopping: modelos europeo y angloamericano, Riv. dir. intern. Priv. proc. 1998, 521. Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 213 Rz. 264. Nachw. zum US-Recht Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (764); zum englischen Recht House of Lords v. 20.7.2000, Lubbe et al. v. Cape Plc. (U.K.) [2000] 1 W.L.R. 1545; hierzu Blobel/Späth, RIW 2001, 598. Rechtsvergleichend Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 53 ff. Hay, a.a.O. Prägnante Zusammenstellung bei Mankowski, IPRax 1999, 156. Umfangreiche Nachw. bei Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts5, 2011, 402 ff.
Forum non conveniens
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rechten Verfahrens“. Nach Wahl321 ist in jedem Einzelfall zu fragen: „Ist im Vergleich zu anderen Gerichtsständen der inländische noch als geeignet anzusehen, im konkreten Fall Prozessökonomie, Verfahrensgerechtigkeit und richtige Beurteilung des Sachverhalts zu gewährleisten?“ Die Regeln über die internationale Zuständigkeit können „in ihrer notwendigen Unvollkommenheit nur Vermutungen begründen, dass das inländische Gericht zur Verwirklichung des allgemeinen Prozesszwecks geeignet ist.“ … „Im konkreten Rechtsstreit können Interessen ins Spiel kommen, welche wahrzunehmen der Gesetzgeber nicht informiert und abschließend zu regeln nicht legitimiert ist.“
III. Stellungnahme Die Thesen Wahls sind abzulehnen. Sie gefährden die Rechtssicherheit in uner- 1075 träglichem Maße und öffnen der Willkür Tür und Tor.322 Über die Frage, ob der Prozess in einem anderen Staat „gerechter“ oder „fairer“ entschieden werden könnte, lässt sich endlos streiten. Diese Frage ist schlechthin nicht justiziabel. Wahl leugnet in einer verfassungsrechtlich nicht haltbaren Weise die Bindung des Richters an das Gesetz: Laut Wahl hat der Richter das Gesetz zu ignorieren und die im Vorfeld des Gesetzes liegenden (de lege ferenda zu berücksichtigenden) Interessen abzuwägen. Damit fordert er aber den Richter auf, die Arbeit des Gesetzgebers zu tun und dessen Funktion zu übernehmen. Dies ist dem Richter im gewaltenteilenden Rechtsstaat verboten. Zudem ist es höchst fraglich, ob die Lehre vom forum non conveniens mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch auf Justizgewährung (Rz. 1957) und dem Anspruch auf den gesetzlichen, d.h. im Voraus nach einer bestimmten oder zumindest bestimmbaren Regel festgelegten Richter (Art. 101 I GG) zu vereinbaren ist (Rz. 250).323
321 Wahl, Die verfehlte internationale Zuständigkeit, 1974, 126. 322 Zustimmend z.B. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 141; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 310; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 52; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 69. 323 R. Geimer in FS Schwind, 1993, 24; zustimmend z.B. Erwand, Forum non conveniens und EuGVÜ, 1996, 99; Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischen Zivilprozessrecht, 1991, 60, 63. Nicht überzeugend Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 490. Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (764, 765) sieht dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Verneinung der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit mit den konkreten Umständen der Nichtermittelbarkeit des anwendbaren ausländischen Rechts und der „Rechtsnähe“ eines bestimmbaren ausländischen Gerichts begründet wird. Auch diese Kriterien sind zu unbestimmt und zu stark von subjektiven Momenten durchsetzt. Sie rechtfertigen jedenfalls nicht den Verlust des Justizgewährungsanspruchs in Deutschland. Wenn das deutsche Gericht trotz der erforderlichen Anstrengungen den Inhalt des nach deutschem Kollisionsrecht zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts nicht feststellen kann, muss es eben eine Sachentscheidung auf der Basis des dann zum Zuge kommenden „Ersatzrechts“ fällen, Rz. 2599. In anderem Zusammenhang zur Problematik auch Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 809 ff.
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1076 Dass sich der deutsche Richter mit der Anwendung ausländischen, oft nur sehr schwer auffindbaren und auslegbaren Rechts (mitunter) schwer tut, ist ein Gemeinplatz, der die Diskussion über die Grenzen der deutschen internationalen Zuständigkeit nicht bereichert.324 Wer der Auffassung ist, dass deutsche Richter ausländisches Recht nicht richtig zu handhaben verstehen, möge das System des deutschen internationalen Privatrechts in Frage stellen, d.h. den Anspruch auf Justizgewährung anhand ausländischer Normen sinnvoll eingrenzen, wie dies der Bundesgerichtshof325 in einer diskutablen Form getan hat. Aber die Kritik am Zuständigkeitssystem ist verfehlt. 1077 Entschieden zu widersprechen ist auch der These, die Schwierigkeit oder Leichtigkeit der Sachverhaltsaufklärung sei kompetenzrechtlich relevant. Es ist mit den Prinzipien des deutschen und darüber hinaus wohl auch des kontinentaleuropäischen Zivilprozesses nicht zu vereinbaren, die Frage der Bejahung oder Verneinung der internationalen Zuständigkeit davon abhängig zu machen, ob eine für die Entscheidung des Rechtsstreits relevante Tatsachenbehauptung vom Beklagten zugestanden oder bestritten wird bzw. mit liquiden oder weniger liquiden Beweismitteln überprüfbar ist (Rz. 992a). 1077a In einer heftig umstrittenen, von manchen als bahnbrechend bejubelten Entscheidung zur restriktiven Auslegung des § 23 ZPO (welche die vom OLG Stuttgart326 eingeschlagene Linie bestätigt) verlangt der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs – entgegen der hier vertretenen Auffassung – einen „hinreichenden Inlandsbezug des Rechtsstreits“ als Voraussetzung für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands, obwohl die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Kompetenznorm gegeben waren.327 324 Zustimmend BGH v. 22.10.1996 – XI ZR 261/95, MDR 1997, 193 = NJW 1997, 324 = RIW 1997, 152 = IPRax 1997, 257 (R. Geimer 236) = LM § 23 ZPO Nr. 10 = IstR 1997, 127 (Goette) = IPRspr. 1996 Nr. 158. 325 BGH v. 26.10.1977 – IV ZB 7/77, BGHZ 69, 387 = NJW 1978, 496 = IPRspr. 1977 Nr. 98b. 326 OLG Stuttgart v. 6.8.1990 – 5 U 77/89, RIW 1990, 829 (Fischer 794) = IPRax 1991, 179 (Fricke 159) = IPRspr. 1991 Nr. 166a. 327 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (hierzu R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (hierzu Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DZWir 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b; BGH v. 17.1.1995, IPRspr. 1995 Nr. 140b; BGH v. 22.10.1996 – XI ZR 261/95, MDR 1997, 193 = NJW 1997, 324 = RIW 1997, 152 = IPRax 1997, 257 (R. Geimer 236) = LM § 23 ZPO Nr. 10 = IStR 1997, 127 (Goette) = IPRspr. 1996 Nr. 158: BGH v. 13.12.2012 – III ZR 282/11, IPRax 2014, 341 (Koechel 312). Hierzu auch Dannemann, Int.Comp.L.Q. 41 (1992), 632 sowie Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 526 ff., 545 ff., 634. Ebenso BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 328/95, NZA 1997, 1182 = NJW 1997, 3462 = DB 1998, 2619 = IPRspr. 1997 Nr. 154; BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, IPRax 2003, 258 (Franzen 239) = MDR 2002, 950 = NZA 2002, 734 (Gragert/Drenckhahn NZA 2003, 305) = IPRspr. 2001 Nr. 52; BAG AP Art. 27 EGBGB n.F. Nr. 8 (Knöfel); LAG Köln v. 28.2.2001 – 7 Sa 1069/00, NZA-RR 2002, 40 = IPRspr. 2001 Nr. 134; OLG München v. 7.10.1992 – 7 U 2583/92, RIW 1993, 66 = WM 1992, 2115 = IPRax 1993, 237 (R. Geimer 216) = IPRspr. 1992 Nr. 198; OLG Düsseldorf v. 11.8.1994 – 6 U 227/93, RIW 1996, 598 = IPRspr. 1995 Nr. 140a; OLG Celle v. 29.10.1998 – 13 W 106/98, NJW 1999, 3722
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„Damit ist zum ersten Mal in das deutsche Zuständigkeitsrecht ein Begriff von generalklauselartiger Unbestimmtheit eingedrungen.“328 Auf diese Weise wird zwar – anders als im common law – dem Richter nicht offen ein Entscheidungsermessen eingeräumt. Jedoch führt die Entscheidung zu „amerikanischen Zuständen“, weil es auf der Tatbestandsseite im Belieben des Richters steht, ob er einen „hinreichenden Inlandsbezug“ annehmen will.329 Fazit: Sind die Voraussetzungen für die deutsche und internationale Zuständig- 1078 keit gegeben, so ist Deutschland zur Justizgewährung verpflichtet, ohne Rücksicht darauf, welches Recht nach deutschem internationalen Privatrecht anzuwenden ist, welche Mühe die Ermittlung des ausländischen Rechts (§ 293 ZPO) macht, wo die Beweise zu erheben sind etc. Eine Verweigerung der Sachentscheidung aus dem Gesichtspunkt des forum non conveniens, etwa weil das Verfahren in einem anderen Staat schneller, leichter, besser oder mit mehr Aussicht auf Anerkennung betrieben werden könnte, ist verboten.330 Wollte man die forum non conveniens-Doktrin akzeptieren, so wäre für die Ge- 1079 richte die Versuchung übermächtig, lästige auslandsrechtliche Fälle abzuschieben.331 Ausnahme: Nur in den vom Gesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen (§§ 99 II 1080 und III, 103 III, 104 II FamFG) steht es im Ermessen des Gerichts, trotz Vorliegens aller Sachentscheidungsvoraussetzungen eine Sachentscheidung abzulehnen.
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= IPRspr. 1998 Nr. 159; OLG Düsseldorf v. 9.3.2006 – 5 U 2/06, NJOZ 2006, 2719 = IPRspr. 2006 Nr. 110; OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen); LG Frankfurt/M. v. 10.10.1996, IPRspr. 1996 Nr. 157; LAG Frankfurt/M. v. 16.11.1999 – 4 Sa 463/99, IPRax 2001, 461 (Benecke 449) = IPRspr. 1999 Nr. 47; OLG Rostock v. 11.11.1999 – 1 U 31/98, TranspR 2000, 40 = IPRspr. 1999 Nr. 132. Schlosser, IPRax 1992, 142. Zur Kritik Grothe, RabelsZ 58 (1994), 712; Schack in FS Nakamura, 1996, 495. Zustimmend Kleinstück, Due Process-Beschränkungen des Vermögensgerichtsstandes durch hinreichenden Inlandsbezug und Minimum Contacts, 1994, 123, 217. Aus US-amerikanischer Sicht Hay, ZZP 107 (1994), 261. Zur Ausweitung anderer Gerichtsstände als Reaktion auf die Einschränkung des § 23 ZPO Heß, ZZPInt 1 (1996), 371, 380. S. auch Rz. 3127. Beispiele: OLG München v. 7.10.1992 – 7 U 2583/92, IPRax 1993, 237 (R. Geimer 216); OLG Düsseldorf v. 11.8.1994 – 6 U 227/93, RIW 1996, 598 = IPRspr. 1995 Nr. 140a; OLG Brandenburg v. 22.2.1996 – 5 U 91/95, RIW 1997, 424 = IPRspr. 1996 Nr. 141. OLG München v. 22.6.1983 – 7 U 5522/82, IPRax 1984, 319 (Jayme 303); Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 108; Schütze, ZZP 88 (1975), 478. A.A. Jayme, IPRax 1984, 14 für extreme Ausnahmefälle und OLG Frankfurt v. 15.11.1982 – 3 UF 326/79, IPRax 1983, 294 (Schlosser 285) = IPRspr. 1982 Nr. 161; Nachw. bei Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 638, 723, 1268 Fn. 514. Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 654, 724, 862.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
IV. Auch keine executio non conveniens 1081 Vorstehende Erwägungen gelten sowohl für das Erkenntnisverfahren wie für das Stadium der Vollstreckung: Wird die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels beantragt, so kann dem nicht entgegengehalten werden, der Gläubiger könne besser in einem anderen Staat vollstrecken; dort sei die Vollstreckung leichter, ergiebiger oder sonstwie vorteilhafter. Es gibt keine executio non conveniens.332 Das deutsche Vollstreckungsgericht darf den Erlass eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses nicht mit der Begründung ablehnen, es bestehe keine realistische Aussicht, dass dieser wirksam werden könne, weil die Zustellung an den im Ausland wohnhaften Drittschuldner nicht möglich sei333 (Rz. 2142). Das gilt auch, wenn der Drittschuldner von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit ist und es deshalb unwahrscheinlich ist, dass die (diplomatische) Zustellung gelingen wird.334 (Vgl. Rz. 3242, 3468).
V. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1082 Auch bezüglich der internationalen Anerkennungszuständigkeit kommen forum non conveniens-Erwägungen nicht zum Zuge. Wenn ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit des Erststaates gegeben ist (§ 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1 InsO), kann diese nicht im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls für non conveniens erklärt werden.335
VI. Familienverfahren und Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit 1083 In Familienverfahren und in Parteistreitigkeiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt das Gleiche wie im Zivilprozess, ebenso im Antragsverfahren, wo das Gesetz dem Antragsteller ein Recht auf Tätigwerden des Gerichts gibt. Anders ist es vielleicht im Amtsverfahren, wo das Gericht einen Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum hat, ob es überhaupt tätig werden soll.336 S. z.B. auch § 99 II, III 1 FamFG.
332 R. Geimer, NJW 1980, 1234 gegen LG Münster v. 21.6.1978, JZ 1978, 651 = MDR 1979, 239 = RIW 1978, 686 = NJW 1980, 534 = IPRspr. 1978 Nr. 153. Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 182; Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 39. 333 Mühlhausen, WM 1986, 959 Fn. 13, 20; Raape, IPR5, 513. 334 LG Bonn v. 21.6.1966, MDR 1966, 935 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 267b. 335 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 66. 336 Zu weit gehend Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit4, 2009, Rz. 178: „Ein an sich zuständiges deutsches Gericht kann das Verfahren einstellen, wenn die ebenfalls zuständigen Gerichte eines anderen Staates dem Sachverhalt näher stehen und damit in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht besser zur Entscheidung berufen sind.“ Dagegen zu Recht Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 86. Henrich, IPRax 1998, 249 betont treffend, dass die bloße Annahme, die deutsche Entscheidung werde im Ausland mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anerkannt werden, nicht aus-
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Forum non conveniens
Vierter Teil
VII. Einzelfragen 1. Zuständigkeitsvereinbarungen Die wirksame Prorogation eines deutschen Gerichts begründet den Anspruch 1084 auf Justizgewährung. Das forum prorogatum darf nicht mit forum non conveniens-Argumenten ausgehebelt werden (Rz. 1739). Die Vereinbarung der Parteien (Prorogation der internationalen Zuständigkeit) darf nicht auf „Vernünftigkeit“ (reasonableness) nachgeprüft werden. Ob das forum prorogatum non conveniens ist oder nicht, haben die deutschen Gerichte nicht zu prüfen. Sie sind ohne Wenn und Aber zur Justizgewährung verpflichtet, auch wenn der Rechtsstreit nicht nach deutschem Recht zu entscheiden, mithin die besondere „Sachkunde“ der deutschen Gerichte in concreto gar nicht gefragt ist (Rz. 1755).337 Ebenso strikt ist die (wirksam vereinbarte) Derogation der internationalen Zu- 1085 ständigkeit Deutschlands zu beachten (Rz. 1759). Auch insoweit ist jede Bevormundung der Parteien unzulässig.338 2. Staatsangehörigkeitszuständigkeit Die aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit eröffnete internationale Zustän- 1086 digkeit Deutschlands (Heimatzuständigkeit) darf nicht mit dem Hinweis relativiert werden, sie sei nicht die effektive (Rz. 1327). Art. 5 I 2 EGBGB gilt nur für das internationale Privatrecht, nicht für das internationale Zivilverfahrensrecht.339
reiche, den Justizgewährungsanspruch zu übergehen. S. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 422. 337 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 288, 505, 918. Zustimmend Pfeiffer, a.a.O., 493. 338 Abzulehnen BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = RIW 1985, 649 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286) = IPRspr. 1985 Nr. 137, der (die in § 18 Nr. 1 VOB/B enthaltene) Derogation nicht beachtet, weil die Inanspruchnahme eines ausländischen Prozessbevollmächtigten und die Anwendung ausländischen Prozessrechts die Rechtsverfolgung wesentlich und damit unzumutbar erschwere. 339 BayObLG v. 27.1.1993 – 1Z BR 92/92, NJW 1993, 2057 = FamRZ 1993, 843 = IPRspr. 1993 Nr. 196 (für § 35b Nr. 1 FGG/nun §§ 99, 104 FamFG); Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 444; Sonnenberger, BerDGVR 29 (1988), 14; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 76 und § 109 Rz. 18; Hau in Prütting/ Helms, FamFG3, Rz. 28 vor §§ 98–106. A.A. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh zu § 606a ZPO Rz. 83 und zu § 606b ZPO a.F.; OLG Bamberg v. 1.7.1981 – 2 UF 75/81, FamRZ 1981, 1106 = IPRax 1982, 29 (Henrich); OLG Frankfurt v. 8.7.1985 – 5 WF 143/85, IPRax 1986, 384 (zu Recht kritisch Henrich 365 bei Fn. 11) = IPRspr. 1985 Nr. 207; KG v. 5.11.1997 – 3 UF 5133/97, FamRZ 1998, 440 = NJW 1998, 1565 = IPRax 1998, 274, 275 (Henrich 247). Weitere Nachw. bei Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 476.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1087 Auch die internationale Antrittszuständigkeit340 (Rz. 1337, 1950) darf – sofern man ihre Verfassungsmäßigkeit bejaht341 – nicht eingeengt werden: Nach § 98 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG genügt zur Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit für alle Ehesachen, dass (nur) ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Eheschließung deutscher Staatsangehöriger gewesen ist. Ob er die deutsche Staatsangehörigkeit durch Heirat oder sonstige Umstände verloren hat, spielt keine Rolle. Auf die Staatsangehörigkeit des anderen Ehegatten kommt es nicht an. Welche Staatsangehörigkeit der ehemals deutsche Ehegatte nunmehr besitzt oder ob er staatenlos ist, ist ohne Bedeutung, ebenso, wo sich die Eheleute gewöhnlich aufhalten, wo die Ehe geschlossen wurde und wo der gemeinsame Lebensmittelpunkt der Eheleute war/ist. Auch eine nicht effektive deutsche Staatsangehörigkeit eröffnet die internationale Antrittszuständigkeit. 1088 Die internationale Antrittszuständigkeit Deutschlands erstreckt sich auf alle Ehesachen. Sie ist auch dann gegeben, wenn in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt (kein Gleichlauf zwischen forum und ius).342 1089 Für eine teleologische Reduktion besteht keine Veranlassung, da Gleichlauf zwischen forum und ius nicht Absicht des deutschen Gesetzgebers ist. Die ratio legis ist vielmehr einleuchtend und überzeugend: Jeder Ehegatte, der bei Eheschließung Deutscher war, soll sich unter den Schutz der deutschen Gerichte begeben können.343 Das gleiche Recht wird dem ausländischen oder staatenlosen Ehepartner eingeräumt (wenn dieser Antragsteller/Kläger und der ehemalige Deutsche Antragsgegner/Beklagter ist). Ob es zweckmäßig ist, ein deutsches Gericht anzurufen, oder ob es aus der „internationalen Vogelschau“ besser (für wen auch immer) wäre, vor ein ausländisches Forum zu gehen, darüber zu befinden, steht dem deutschen Gericht nicht zu. 3. Wohnsitz-/Sitzzuständigkeit 1089a Die Streitgegenstandsferne des Wohnsitzgerichtsstandes (Rz. 1280) ist kein Grund, dieses Forum für non conveniens zu erklären. Beispiel:344 Die Parteien sind Konkurrenten auf dem US-Markt. Der Kläger verklagt den Beklagten vor einem deutschen Gericht auf Stellung eines Löschungsantrags in den USA bezüglich eines dort registrierten Warenzeichens. Er könnte auch in den USA nach dortigem Recht auf Löschung klagen. Gleichwohl ist die auf §§ 3 ff. UWG, §§ 823, 1004 BGB gestützte inländische Klage zulässig (Rz. 1281). 340 Rechtsvergleichend Dilger, a.a.O., Rz. 372. 341 Zweifel bei R. Geimer in FS Schwind 1993, 26; unter der Hypothese der Verfassungswidrigkeit hilft auch eine teleologische Reduktion nicht weiter. 342 Zu eng daher Deutscher Rat für IPR (Vorschläge und Gutachten zur Reform des dt. int. Eherechts von 1962, 32) und amtliche Begründung zum IPR-Reformgesetz 1986, BTDrucks. 10/504, 90, die Antrittszuständigkeit sei das „prozessuale Gegenstück zum sog. Antrittsrecht nach Art. 17 I 2 EGBGB“. Mit dem Gleichlaufgedanken sympathisierend auch Dilger, a.a.O., Rz. 372. 343 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 447; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 86. 344 OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141.
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Forum non conveniens
Vierter Teil
4. Beschleunigtes Verfahren im Ausland Könnte der Kläger/Antragsteller – anstelle durch Klage im Inland – seine An- 1089b sprüche im Ausland in einem beschleunigten Verfahren (summary proceedings etc.) durchsetzen, so entfällt gleichwohl nicht das Rechtsschutzbedürfnis im Inland. 5. Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens im Inland Ein Beweissicherungsantrag kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, 1090 die erforderlichen Beweise könne auch ein ausländisches Gericht345 erheben.346 6. Scheitern der Auslandszustellung Scheitert die Zustellung der Klage-/Antragsschrift im Ausland, dann ist dies 1091 kein Grund, den Kläger an die ausländischen Gerichte zu verweisen (Rz. 252, 1229, 1957). Das Gleiche gilt für eine Forderungspfändung, wenn sich der Drittschuldner im Ausland aufhält (Rz. 1081, 2142). 7. Adoptionen Bei präsumtiver Nichtanerkennung der deutschen Entscheidung durch die lex 1091a causae will Klinkhardt347 nicht überzeugend forum non conveniens-Überlegungen anstellen (Rz. 1070). 8. Andere Familiensachen Auch sonst scheiden forum non conveniens-Erwägungen nach richtiger Ansicht 1091b aus.348
VIII. Rechtsvergleichendes Die Begeisterung der Anhänger der Lehre vom forum non conveniens, die nicht 1092 müde werden, diese Lehre zu preisen, weil sie zu so „vernünftigen oder gerechten Ergebnissen“ führe und weil jeweils das Gericht mit der größten Sachnähe mit dem Fall befasst wäre, würde verstummen, wenn man die praktische Handhabung dieser Doktrin durch die US-Gerichte betrachtete. Während sich diese nicht scheuen, Beklagte, die sich im Ausland aufhalten, schon bei geringster Beziehung (minimum contact), und sei es nur doing business, in den USA generell 345 Rechtsvergleichendes bei Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 35 ff. vor § 485. 346 Stürner, IPRax 1984, 299. Zur Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands s. aber OLG Düsseldorf v. 7.2.2008 – I-20 W 152/07, SchiedsVZ 2008, 258 (Schlosser) = IPRspr. 2008 Nr. 197. 347 Klinkhardt in MüKo.BGB4, Art. 22 EGBGB Rz. 76. 348 Allerdings wollte Schwimann (MünchKomm zum Bürgerlichen Gesetzbuch2, Art. 14 EGBGB Rz. 130) prüfen, ob für Verfahren im Inland „Rechtsschutzbedürfnis“ besteht, „wenn das inländische Urteil im Ausland vollstreckt werden muss und dort nicht anerkannt wird“. Wie hier aber Coester in MüKo.BGB3, Art. 14 EGBGB Rz. 129.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
(Rz. 1154) gerichtspflichtig zu machen,349 benachteiligen sie nicht selten ausländische Kläger dadurch, dass sie sich bei Klagen gegen amerikanische Beklagte als forum non conveniens bezeichnen und deshalb Rechtsschutz verweigern.350 1093 Andererseits werden „amerikanische Interessen“ auf Biegen und Brechen durchgesetzt.351 Beispiel: Verkehrsunfall in Hamburg. Alle Zeugen wohnen dort. Die dortige Polizei hatte den Unfall aufgenommen, die dortige Staatsanwaltschaft ermittelte. In der Sache war deutsches Recht anzuwenden. Gleichwohl erklärte das kalifornische Gericht sein forum für conveniens, weil das deutsche Recht kein jury trial (Rz. 79) kenne, und deshalb kein so ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet sei, wie in Kalifornien.352
1093a Auch handfeste finanzielle Interessen des Gerichtsstaates (an Gerichtskosten), aber vor allem der Anwaltschaft spielen eine Rolle: So dürfen im US-Bundesstaat New York Klagen mit einem Streitwert von mehr als einer Million US-Dollar353 aus forum non conveniens-Gründen nicht mehr abgewiesen werden354 (sofern eine basis of jurisdiction oder eine Prorogation vorliegt und die Anwendung New Yorker Rechts vereinbart ist).
349 Nachw. bei Junker, IPRax 1986, 197; Heß, AG, 2006, 809 (811); Heß, AG, 2006, 809 (812); Heidenberger, RIW 1986, 489; Harald Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992 (besprochen von Hay, ZZP 107 [1994], 259); Knapp, Die USamerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 125; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 320 ff., 551 ff.; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 56 ff.; Göpfert/Berger, Jury-Ausschlussklauseln in Verträgen mit amerikanischen Unternehmen, ZIP 2005, 1540, 1542. 350 Vgl. z.B. Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 256: „When the home forum has been chosen, it is reasonable to assume that this choice is convenient. When the plaintiff is foreign, however, this assumption is much less reasonable. Because the central purpose of any forum non conveniens inquiry is to ensure that the trial is convenient, a foreign plaintiff’s choice deserves less deference.“ Pain v. United Technologies Corp., 205 U.S. App. D.C. 229, 252–253 = 637 F. 2d 775, 796–797 (1980): „Citizenship and residence are proxies for convenience“ Kritisch auch Zekoll, 61 Alb. L. Rev. 1283, 1297. Nachw. auch bei Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 107 Fn. 14; Koch/Zekoll, RIW 1985, 841 Fn. 55; Pfeiffer, a.a.O., 659; Schütze, RIW 2004, 162 (165); Schütze in FS Jayme, 2004, 849; Schütze, RIW 2007, 801: „Scheinheilig und unredlich ist die Begründung für diese Praxis …, wonach Ausländer vor der Bürde des jury trial geschützt werden sollen“. S. auch Buchner, Klägerund Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 38 f. 351 Vgl. z.B. Posch, ZfRV 2001, 14. 352 Schütze, WM 1983, 1980. Allerdings ist aus US-amerikanischer Sicht das Fehlen einer Jury im ausländischen Gerichtsstaat für sich allein noch kein Grund, von forum non conveniens-Erwägungen Abstand zu nehmen. 353 Eine Überschwemmung der New Yorker Gerichte durch Kleinklagen will man verhindern. 354 Ebenroth/Tzeschlok, IPRax 1988, 199. S. auch § 1402 N.Y. General Obligations Law betreffend forum prorogatum. Ohne Beschränkung N.Y. Civil Practice Law & Rules § 327.
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Forum non conveniens
Vierter Teil
In Österreich wollte der Oberste Gerichtshof355 trotz Vorliegens eines Gerichts- 1094 standes im Inland die internationale Zuständigkeit verneinen, „wenn die durch den Gerichtsstand repräsentierte Inlandsbeziehung für die Bejahung des inländischen Justizbedürfnisses insgesamt (nicht) ausreicht“. Klare Konturen hatte diese Formel nicht. Sie beschwor nutzlose (Zeit, Kraft und Geld verschlingende) Zuständigkeitsstreitigkeiten herauf.356 Dieser Rechtsprechung hat der österreichische Gesetzgeber durch § 27a I JN357 die Basis entzogen:358 „Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichtes gegeben, so besteht die inländische Gerichtsbarkeit,359 ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss.“
IX. Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung Ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Inland „mutwillig“, so wird Prozess- 1094a bzw. Verfahrenskostenhilfe versagt (Rz. 2009). Gleichwohl kann – auf eigene Kosten – im Inland geklagt werden, wenn ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt gegeben ist. Die Mutwilligkeitserwägungen des Prozesskostenhilferechts sind also im Kompetenzrecht irrelevant.360 Beispiel: Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht,361 deren Richtigkeit hier dahinstehen kann, soll Verfahrenskostenhilfe (§§ 76 ff. FamFG) für die Scheidung einer Ehe versagt werden, die nur geschlossen worden war, um einem Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Unberührt bleibt jedenfalls die Möglichkeit, aus eigenen Mitteln den Scheidungsantrag zu betreiben.
Das Gleiche soll gelten, wenn die deutsche Scheidung im gemeinsamen Heimatstaat beider Ehegatten nicht anerkannt würde und der andere Ehegatte dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; denn es bestehe kein Interesse, eine hinkende Ehescheidung zu vermeiden.362
355 EvBl. 1984/55; zu Recht kritisch Matscher, JBl. 1996, 354. 356 Kritisch gegen die „Indikationentheorie“ Matscher, JBl. 1996, 277; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 30 vor Art. IX EGJN. 357 Eingefügt mit Wirkung ab 1.1.1998 durch die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997. 358 Matscher, JBl. 1998, 488; ausführlich Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 22 ff. vor Art. IX EGJN; Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305. Vgl. auch Mankowski, IPRax 1998, 126. 359 In der österr. Gesetzessprache unterscheidet man nicht zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit, kritisch Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (306). 360 Ebenso im Ergebnis OLG Zweibrücken v. 12.2.1999 – 2 WF 7/99, DAVorm 1999, 307 = IPRax 1999, 475 (Mansel). 361 OLG Stuttgart v. 25.9.1991 – 18 WF 344/91, FamRZ 1992, 195. 362 OLG Stuttgart v. 23.3.2004 – 17 WF 31/04, FamRZ 2004, 1387 = NJOZ 2005, 1588 = IPRspr. 2004 Nr. 133.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
X. Unanwendbarkeit der forum (non) conveniens-Doktrin im Anwendungsbereich des Brüssel I- und II-Systems 1094b Die EuGVVO und das LugÜ lassen ein Zuständigkeitsermessen des Richters nicht zu. Der nach Art. 4 ff. EuGVVO bzw. Art. 2 ff. LugÜ international zuständige Staat ist ohne Wenn und Aber zur Justizgewährung verpflichtet.363 Das Gleiche gilt im Grundsatz für die EuEheVO. Allerdings findet sich in Art. 15 eine gewisse Annäherung an forum non conveniens-Vorstellungen.
7. Kapitel: Forum shopping I. Wahl des für den Prozesssieg günstigsten Forums 1095 Primäres Interesse jeder Partei ist es, zu obsiegen. Die gut beratene Partei strebt deshalb nicht ohne weiteres vor ihre Heimat- oder Wohnsitzgerichte, sondern vor die Gerichte desjenigen Staates, dessen internationales Privatrecht eine Rechtsordnung zur Anwendung beruft, nach welcher die Klage des Klägers bzw. die Rechtsverteidigung des Beklagten Aussicht auf Erfolg hat. Dieses Streben ist verständlich; gleichwohl hat man es mit dem bösen Terminus „forum shopping“ belegt.364 363 Schlosser-Bericht Nr. 78; Schlosser, IPRax 1992, 143 Fn. 36; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 70; Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 325; OLG Zweibrücken v. 12.2.1999 – 2 WF 7/99, DAVorm 1999, 307 = IPRspr. 1999 Nr. 141. So nun auch Saario S.A. v. Kuwait Investment Authority, I.L.Pr. 1997, 481, 495 (C.A.). Die gegenteilige frühere Praxis in England (Nachw. bei North, IPRax 1992, 184 in re Harrods [Buenos Aires] Ltd. und The Po, Nachw. bei Jayme, IPRax 1992, 358 Fn. 3; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 347 Fn. 18, 352 Fn. 85) verletzte die Brüsseler Konvention. Im Fall Harrods hatte das House of Lords, IPRax 1992, 373 die Frage des Anwendungsbereichs des EuGVÜ gegenüber Drittstaaten (Rz. 1264) dem EuGH (Rs. C 314/92) präsentiert und damit auch die Frage, wann Gerichte des Vereinigten Königreichs ein forum für non conveniens erklären dürfen. Der EuGH musste aber nicht entscheiden, weil sich das englische Ausgangsverfahren durch Rechtsmittelrücknahme erledigt hatte. Jayme, IPRax 1992, 358 diskutiert einen „Mittelweg“: Die Regeln des EuGVÜ seien in Drittstaatenfällen als Konkretisierung des „appropriate forum“ zu begreifen, von der nur in extremen Ausnahmefällen abgewichen werden könne. Gegen jeden Kompromiss schon R. Geimer in Gerichtshof der EG, Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, 1993, 35; Kohler in FS Matscher, 1993, 251; Duintjer Tebbens in FS Voskuil, 1992, 47. S. auch Cuniberti, Forum non conveniens and the Brussels Convention, IntCompLQuart 2005, 627; Peel, Forum non convenines and the European Ideals, Lloyd’s MCLQ 2005, 363. 364 Hierzu z.B. Linke/Hau, IZVR5, Rz. 130 ff.; Jasper, Forum shopping in England und Deutschland, 1990; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 4; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 53. S. auch Cornut, Forum shopping et abus du choix de for en droit international, Clunet 2007, 27. Andere Aspekte und Facetten spielen eine Rolle beim forum shopping im Insol-
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Forum shopping
Vierter Teil
Dieses Schlagwort darf nicht den Blick dafür trüben, dass es sogar die Pflicht 1096 des Anwalts ist, dem Kläger zu empfehlen, die Klage in dem Staat zu erheben, vor dessen Gerichten das (berechtigte) Klagebegehren die größte Chance auf Erfolg hat,365 sofern nicht fehlende Vollstreckungsmöglichkeiten im Forumstaat oder die Verweigerung der Anerkennung in Deutschland den Klageerfolg als Pyrrhussieg erscheinen lassen.366 Auch der Beklagte kann ein Interesse daran haben, nicht vor seinem Wohnsitz- 1097 gericht verklagt zu werden. Der gut beratene Beklagte strebt nicht blindlings vor seine „Heimatgerichte“, sondern dorthin, wo er die größte Chance hat, in der Sache zu obsiegen.367 Treffend bemerkt von Bar:368 „Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das Bild 1098 des Klägers, der sich die Gerichtsstände heraussucht wie ein Kind die Rosinen aus dem Teig, für die Vielzahl der Fälle viel zu einfach ist und deshalb die Wirklichkeit verzerrt.“ Das forum shopping ist auf dem Hintergrund des fehlenden internationalen Ent- 1099 scheidungseinklangs zu sehen: Solange das Internationale Privatrecht von Staat zu Staat verschieden ist, ist die unterschiedliche Beurteilung des Klagebegehrens oft unvermeidlich, weil die Verschiedenheit der Kollisionsregeln i.d.R. inhaltlich verschiedenes Sachrecht zur Anwendung beruft. Nahezu unwiderstehlich ist der dadurch erzeugte Anreiz für den Kläger, seine Sache vor die Gerichte desjenigen Staates zu bringen, dessen internationales Privatrecht die für ihn günstigste Rechtsordnung zur Anwendung bringt. Man sollte deshalb weniger den Kläger oder seinen listigen Anwalt schelten, als vielmehr die Staaten dieser Welt ermuntern, die Kollisionsregeln zu vereinheitlichen oder Einheitsrecht zu schaffen. Mit krassen Fällen des forum shopping hatten sich die deutschen Gerichte nur 1100 selten zu befassen. Dies hing damit zusammen, dass die Anerkennung und Voll-
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venzrecht. Hierzu z.B. Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., Art. 3 EuInsVO Rz. 53; Reuß, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011. Zum enforcement shopping Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 196 ff. § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG begründet grundsätzlich kein Klageverbot in einem aus deutscher Sicht international unzuständigen Staat, Rz. 2909b. R. Geimer, EWiR 1986, 140. Zustimmend Siehr, ZfRV 1984, 141 Fn. 111; de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 97; Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010) II 1 A Rz. 19; Geroldinger in Burgstaller/Neumayr, IZVR Kap. 31, 2009, Art. 2 EuGVO Rz. 3; Jegher, Abwehrmassnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 3; Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001, 32; Maesch, Vitamine für Kartellopfer – Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2006, 509, 511; Schütze, DIZPR2, Rz. 116. Differenzierend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 487. Wurde der Wohnsitzgerichtsstand derogiert, kann der Beklagte Abweisung der Klage als unzulässig verlangen, auch wenn die Begründetheit der Klage unbestritten ist, Rz. 1109; R. Geimer, EWiR 1986, 794; Kohler, IPRax 1986, 344; EuGH v. 24.6.1986 – Rs. C-22/85 – Anterist/Crédit Lyonnais, Slg. 1986, 1951 = RIW 1986, 636. von Bar, IPR I1, Rz. 410.
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Internationale Zuständigkeit
streckung der im Ausland erstrittenen Titel in Deutschland früher oft scheiterte, sei es wegen fehlender Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG), sei es wegen fehlender internationaler Zuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG). Anders ist es nun, soweit die Schranken für die internationale Anerkennung gefallen sind, so vor allem in dem Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ. Hier ist es das legitime und von niemandem bisher bestrittene Recht des Klägers, seine Klage in demjenigen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat anhängig zu machen, wo er glaubt, die besten Erfolgschancen zu haben. Er braucht den Beklagten nicht in dessen Wohnsitzstaat zu verklagen, wenn nach Art. 7 ff. EuGVVO bzw. Art. 5 ff. LugÜ auch ein anderer Mitglieds- bzw. Vertragsstaat international zuständig ist. Dieser ist zur Justizgewährung verpflichtet. Seine Gerichte müssen über die Klage sachlich entscheiden; sie dürfen sich nicht unter Berufung auf forum shopping, Gesetzesumgehung (fraus legis) oder forum non conveniens für unzuständig erklären. Sogar ein und dieselbe Zuständigkeitsanknüpfungsnorm kann dem Kläger die Wahl zwischen verschiedenen Forumstaaten eröffnen, so wenn der Beklagte mehrere Wohnsitze in verschiedenen Vertragsstaaten hat (Art. 4 I EuGVVO bzw. Art. 2 I LugÜ),369 oder wenn der Handlungs- und der Erfolgsort einer deliktischen Handlung in verschiedenen Vertragsstaaten liegen (Art. 5 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ); denn Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ eröffnet sowohl „am Ort des ursächlichen Geschehens“ als auch an dem „Ort, an dem der Schaden eingetreten ist“, eine internationale Entscheidungszuständigkeit (vgl. Rz. 1500).370
II. Abschaffung aller konkurrierenden Spezialgerichtsstände – ein unrealistischer Vorschlag 1101 Selbst wenn man alle konkurrierenden Spezialgerichtsstände (Rz. 1128, 1346 ff.) abschaffte und als einzige Zuständigkeitsregel den Satz actor sequitur forum rei zuließe, wäre das Problem des forum shopping nicht aus der Welt geschafft: Das Ergebnis des Prozesses hinge davon ab, wer wen verklagt. Entscheidend wäre die Parteirolle. Denn das maßgebliche internationale Privatrecht und Beweisrecht wird durch das forum bestimmt. Aber selbst wenn das Kollisions- und Sachrecht in allen in Betracht kommenden Staaten übereinstimmte, können sich Unterschiede in der Entscheidungsfindung aus den Verschiedenheiten des Prozessrechts ergeben, insbes. des Beweisverfahrensrechts371 und der Regeln über das Versäumnisverfahren.372 1102 Darüber hinaus kommt es selbst bei Kongruenz aller normativen Rahmenbedingungen auf das „Rechtsklima“ an. Ein Großstadt-Gericht legt eine Generalklau-
369 Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 168. 370 Zum (zulässigen) forum shopping in Produkthaftpflichtsachen Hollmann, RIW 1988, 85. Zu der Forum-Wahl des Geschädigten z.B. auch Nevermann, RIW 1991, 901. 371 Hierzu z.B. Brandt, Das englische Disclosure-Verfahren, 2013. 372 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1053 Fn. 67.
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sel („sittenwidrig“ …) im Zweifel liberaler aus als ein Gericht in der Provinz etc.373
III. Streitgegenstandsbezogene ausschließliche internationale Zuständigkeiten – eine Utopie Kein Ausweg wäre die Abschaffung auch der actor sequitur forum rei-Regel 1103 und die Einführung von ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten für jeden denkbaren Streitgegenstand – losgelöst von der Parteirolle – jeweils in einem genau bestimmbaren Staat. Eine solche Zuständigkeitspolitik wäre utopisch und schlicht ungerecht, weil sie wesentliche Partei- und Verfahrensinteressen bei der Regelung der Zuständigkeitsnormen außer Acht ließe.374 Darüber hinaus wäre sie nicht imstande, forum shopping-Probleme zu lösen, wenn man nicht gleichzeitig noch die Kognitionsbefugnis für vorfragenweise zu entscheidende Punkte einschränkte. Denn ebenso wie bei Anknüpfung an ein in der Sphäre des Beklagten liegendes Merkmal (Wohnsitz/Sitz) ergibt sich bei streitgegenstandsbezogenen ausschließlichen Zuständigkeiten eine Anknüpfungsrelativität, je nachdem, welche Rechtsfrage man zum Streitgegenstand macht. So könnte man – wenn es z.B. um die Feststellung des Eigentums an einem Grundstück in Spanien geht, dessen Eigentümer verstorben ist und der mehrere Erbprätendenten hat, weil die Wirksamkeit seines Testaments bestritten oder weil die Anordnungen in demselben unklar sind – nach wie vor forum shopping betreiben: Wer nicht in Spanien auf Feststellung des Eigentums klagen will, könnte die Vorfrage, wer Erbe ist, in einem anderen Staat anhängig machen, die Anerkennung dieses Urteils in Spanien betreiben und sodann mit mehr Aussicht auf Erfolg versuchen, an das spanische Grundstück „heranzukommen“. Schließlich wäre eine auf streitgegenstandsbezogene ausschließliche Fora aus- 1104 gerichtete Zuständigkeitsordnung rechtstechnisch nicht realisierbar, weil es unmöglich ist, klare Abgrenzungs- und Anknüpfungskriterien zu finden. Dies hat z.B. die Diskussion um den einheitlichen Vertragsgerichtsstand (Rz. 1485) deutlich gezeigt.375
IV. Wahlrecht des Klägers Jede Partei arbeitet jeweils auf ihren Sieg hin und erstrebt deshalb – auf der zu- 1105 ständigkeitsrechtlichen Ebene – günstige Anknüpfungsbedingungen. Hierbei stehen sich die Interessen von Kläger und Beklagten i.d.R. gegensätzlich gegen-
373 Vgl. zum UWG a.F. OLG Hamm v. 15.5.1986 – 4 U 326/85, MDR 1986, 858 = NJW 1987, 138 (s. Rz. 1105 und Rz. 1926). S. auch Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 76 ff.; Pfeiffer, Internationale und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 490; Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 343. 374 Zustimmend Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 59. 375 R. Geimer, IPRax 1986, 87.
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über. Das Gesetz gibt dem Kläger die besseren Steuerungsmöglichkeiten. Er kann zwischen mehreren international zuständigen Staaten wählen. § 35 ZPO gilt auch internationalrechtlich.376 Dies ist nicht verfassungswidrig.377 Ein Verbot, im Ausland zu klagen, besteht nicht (Rz. 1012). 1106 Die Wahl des Klägers darf nicht auf ihre „reasonableness“ mit der Zauberformel „Rechtsschutzbedürfnis“ überprüft werden (Rz. 984). So steht es z.B. dem Geschädigten frei, zwischen dem Wohnsitzgerichtsstand und dem forum delicti commissi zu wählen, und bei letzterem hat er noch die Wahl zwischen dem Handlungs- und (primären) Erfolgsort (Rz. 1500).378 1107 Auch wenn das (Klage-)Verfahren im Ausland einfacher wäre (z.B. summary/accelerated proceedings), bleibt das Wahlrecht des Klägers unberührt. Dies ist jedoch dann fraglich, wenn der Kläger im Ausland bereits über einen Vollstreckungstitel verfügt, z.B. über eine vollstreckbare Urkunde. 1107a Bei seiner Entscheidung hat der Kläger die (gegensätzlichen) Zuständigkeitsund Verteidigungsinteressen des Beklagten nicht zu berücksichtigen. Er haftet daher grundsätzlich379 nicht für den Schaden bzw. Mehraufwand, der dem Beklagten durch Prozessführung im Ausland entsteht. § 826 BGB kommt nur in extrem gelagerten Fällen380 zum Zuge.381
376 BGH v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, MDR 1985, 215 = FamRZ 1984, 1001 = NJW 1985, 552 = IPRax 1985, 224 (Henrich 207) = IPRspr. 1984 Nr. 168; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 35 Rz. 8. Erst recht darf das Wahlrecht des Klägers nicht dadurch ad absurdum geführt werden, dass man ihn für den Schaden haften lässt, der durch die Prozessführung an einem „kostenintensiveren“ Forum, z.B. in den USA, entstanden ist, LG Konstanz v. 14.10.2005 – 2 O 593/04 B, IPRspr. 2005 Nr. 122. S. auch von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 62. 377 Abwegig daher Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung3, (§ 10) Rz. 5. 378 Abzulehnen daher OLG Hamm v. 15.5.1986 – 4 U 326/85, MDR 1986, 858 = NJW 1987, 138, welches dem Kläger den Gerichtsstand des § 32 ZPO bzw. des § 24 II UWG a.F. verweigert, wenn der Kläger das Gericht am Tatort nicht wegen der „besseren Aufklärungsmöglichkeit“, sondern wegen der „Rechtsprechungsgewohnheiten“, d.h. der Rechtsauffassung des Gerichts zu bestimmten Fragen, anruft. 379 S. aber Rz. 1122, 1718. 380 Sehr zurückhaltend auch Stadler, Vielfalt der Gerichte Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 201 Fn. 144: „Problematisch ist der deliktische Ansatz angesichts gefestigter Rechtsprechung, wonach die Inanspruchnahme eines staatlich geregelten Verfahrens auch bei Erhebung unbegründeter Klagen keinen rechtswidrigen Eingriff in Rechtsgüter des Beklagten darstellt … Erfolg versprechend kann allenfalls der Weg über § 826 BGB sein, der auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Verfahrens abstellt“. 381 BGH v. 11.11.2003 – VI ZR 371/02, MDR 2004, 396 = NJW 2004, 446 = WM 2004, 34 (Fall ohne Auslandsberührung). Zu wenig restriktiv Paulus in FS Georgiades, 2005, 511, 523; Paulus, RIW 2006, 258 (259 ff.). Zu Schadensersatzansprüchen aus Verletzung der Zuständigkeitsvereinbarung bei Klage am forum derogatum Schlosser in FS Lindacher, 2007, 111; Mankowski, IPRax 2009, 23.
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V. Steuerungsmöglichkeiten des Beklagten Dem Wahlrecht des Klägers stehen nur eingeschränkte Steuerungsmöglichkeiten 1108 des Beklagten in kompetenzrechtlicher Hinsicht gegenüber. Gleichwohl bleibt ihm ein gewisser Spielraum, allerdings nur dann, wenn der Gerichtsstaat „kraft Gesetzes“ international unzuständig ist. Dies wiederum kann der Beklagte in gewissem Maße beeinflussen (Rz. 1017), z.B. durch Abzug seines inländischen Vermögens (§ 23 ZPO), wenn er im Ausland wohnt oder durch Verlegung/Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes noch vor Rechtshängigkeit (Rz. 1830). Nicht beeinflussen kann er jedoch Fora, die an Umstände in der Sphäre des Klägers (Rz. 1157) oder an den Streitgegenstand (Rz. 1153) anknüpfen. 1. Rüge der internationalen Unzuständigkeit Liegt keine gesetzliche Zuständigkeitsanknüpfung vor, kann der Beklagte die 1109 Abweisung der Klage als unzulässig verlangen, auch wenn die Klage unstreitig begründet ist. Die Rüge der internationalen Unzuständigkeit ist nicht treuwidrig.382 Ihre reasonableness darf – ebenso wie die Wahl des Forums durch den Kläger – nicht vom Gericht nachgeprüft werden. Daher darf der Beklagte auch die Abweisung einer an seinem Wohnsitz erhobenen Klage als unzulässig verlangen, wenn ein anderes Gericht (im Ausland) als ausschließlich383 zuständig vereinbart worden ist.384 Die Klage ist selbst dann als unzulässig abzuweisen, wenn der Beklagte die Be- 1110 gründetheit der Klage nicht bestreitet, aber gleichwohl die internationale Unzuständigkeit rügt.385 2. Vorbehaltlose Einlassung Den Mangel der internationalen Zuständigkeit kann der Beklagte – im Anwen- 1111 dungsbereich des § 39 ZPO bzw. des Art. 26 EuGVVO n.F. oder des Art. 24 LugÜ 2007 – beseitigen und so die Basis für eine Entscheidung in der Sache herstellen, indem er auf die Rüge der internationalen Zuständigkeit verzichtet. In „klaren Fällen“ (in denen keine Beweisaufnahmen notwendig sind, z.B. in der Revisionsinstanz) kann er sich sogar nur für den Fall einlassen, dass er obsiegt, d.h. die Klage als unbegründet abgewiesen wird (Rz. 1420).386
382 OLG Frankfurt v. 6.11.1979 – 5 U 39/79, MDR 1980, 318 = RIW 1980, 60 = IPRspr. 1979 Nr. 171; R. Geimer, IPRax 1986, 215. 383 In solchen Fällen jedoch sehr zurückhaltend bei der Annahme der Ausschließlichkeit des forum prorogatum OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621 = IPRspr. 1999 Nr. 112. 384 EuGH v. 24.6.1986 – Rs. C-22/85 – Anterist/Crédit Lyonnais, Slg. 1986, 1951 = RIW 1986, 636 = EWiR 1986, 793 (Geimer) = IPRax 1987, 105 (Gottwald 81); OLG Koblenz v. 9.1.1987 2 – U 470/85, NJW-RR 1988, 1334 = RIW 1987, 144 (147) = IPRax 1987, 308 (Schwarz 291) = IPRspr. 1987 Nr. 122. Vgl. auch Rz. 1016, 1406a, 1759, 1810. 385 Vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO30, § 1029 Rz. 27a. 386 R. Geimer, IPRax 1986, 215.
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VI. Abwehrstrategien des Beklagten 1112 Die Frage, ob der Beklagte die internationale Unzuständigkeit rügen soll oder nicht, stellt sich nur in einem bereits anhängigen Prozess (der Kläger hat seine Forum-Wahl bereits getroffen). 1. Präventive negative Feststellungsklage 1113 Der Beklagte kann aber auch die Initiative an sich reißen und selbst in die Rolle des Klägers schlüpfen, um in den Genuss der Wahlmöglichkeit des § 35 ZPO (Rz. 1105) zu kommen.387 Dies geschieht im Wege der negativen Feststellungsklage388 (Rz. 1933). Der Erfolg einer solchen negativen Feststellungsklage hängt allerdings davon ab, dass der präsumtive Beklagte (= Kläger der negativen Feststellungsklage) schneller ist als der präsumtive Kläger (= Beklagter der negativen Feststellungsklage). Denn nach den Regeln über die internationale Beachtung der Rechtshängigkeit kommt es – aus deutscher Sicht – darauf an, welche Klage als erste rechtshängig geworden ist (Rz. 2697). Dabei spielt das Zustellungsrecht eine eminent wichtige Rolle. Muss ausländische Rechtshilfe in Anspruch genommen werden,389 sind die Chancen, der Erste zu sein – angesichts des zeitraubenden Rechtshilfeverfahrens – gering.390 1114 Hinzu kommen noch weitere Probleme für den präsumtiven Beklagten, wenn man der Ansicht ist, dass das Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) mit Erhebung der Leistungsklage wegfällt391 (vgl. Rz. 1933, 2726). 1115 Vollends untauglich ist die negative Feststellungsklage als Abwehrwaffe für den Beklagten, wenn man der Auffassung folgt, dass es an der Identität des Streitgegenstandes fehle. Dem hat der EuGH mit seiner Kernpunkttheorie (Rz. 2694a) klar widersprochen. Beispiel:392 Ein Bozener und ein Münchner streiten sich über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen geschlossenen Kaufvertrages. Der Bozener (Käufer) hat den Vertrag angefochten und klagt in Treviso auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages. Der Münchner (Verkäufer)
387 Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (804). 388 Stiefel/Petzinger, RIW 1983, 242; R. Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 51 Fn. 193; R. Geimer, NJW 1984, 527. 389 Vgl. § 183 I Nr. 2 ZPO. 390 Zur Zustellung und Verfahrenseröffnung nach englischem Recht R. Geimer in FS Schütze, 1999, 205, 209. 391 Diese vom LG Hamburg v. 1.10.1980, IPRspr. 1980 Nr. 23 vertretene Lösung erscheint bedenklich unter der Perspektive des Justizgewährungsanspruchs. Denn der Beklagte des Feststellungsverfahrens hätte es in der Hand, die negative Feststellungsklage durch Erhebung der Leistungsklage im Ausland unzulässig zu machen, Schumann in FS Kralik, 1986, 307. Ausführlich zum Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozess Gruber, ZZP 117 (2004), 133. 392 OLG München v. 13.2.1985, Riv. dir. int. proc. 1986, 931 = IPRspr. 1985 Nr. 133A; BGH v. 8.2.1995 – VIII ZR 14/94, MDR 1995, 845 = NJW 1995, 1758 = RIW 1995, 413 = EuZW 1995, 378 (Geimer) = WM 1995, 1124 = LM EGÜbk. Nr. 53 (Geimer) = IPRax 1996, 192 (Hau 177) = IPRspr. 1995 Nr. 165.
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klagt in München auf Zahlung des Kaufpreises (am forum prorogatum, Rz. 1719). Die Leistungsklage ist nach der Kernpunkttheorie des EuGH unzulässig.393
Fraglich ist, ob die Lösung des EuGH auch für das deutsche autonome internationale Zivilverfahrensrecht zu übernehmen ist.394 Denn nach (derzeit noch) h.M.395 ist der Streitgegenstand der Leistungsklage „umfassender als der der Feststellungsklage, während umgekehrt die Leistungsklage sowohl die positive Feststellungsklage desselben Klägers wie die negative seines Gegners hindert“. 2. Klage auf Unterlassung der Klageerhebung in einem international unzuständigen Staat? Rechtslage im Anerkennungsstadium: Ist es dem Beklagten aus deutscher Sicht 1116 (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG) nicht zumutbar, in dem vom Kläger gewählten Forumstaat sein Recht zu nehmen, ist also der Beklagte nach den deutschen Regeln über die internationale Anerkennungszuständigkeit im Staat des angerufenen Gerichts nicht gerichtspflichtig, so verweigert Deutschland dem ausländischen Urteil die Anerkennung, sofern der Beklagte die internationale Unzuständigkeit des Erststaates rechtzeitig in limine litis einwendet (Rz. 1014, 2903). Rechtslage im Gerichtsstaat (im Erkenntnisverfahren): Ist der Gerichtsstaat 1117 nach seinem Zuständigkeitsrecht international unzuständig, dann muss sich der Beklagte schlüssig werden, ob er sich am Verfahren beteiligen will oder nicht. Im ersteren Fall muss er in limine litis die internationale Unzuständigkeit rügen, anderenfalls wird der an sich international unzuständige Staat gem. Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ oder nach der Parallelnorm zu § 39 ZPO international zuständig. Nimmt der Beklagte am Rechtsstreit nicht teil, dann hat das angerufene Gericht von Amts wegen die internationale Zuständigkeit zu prüfen. Bejaht dieses aber – aus welchen Gründen auch immer – irrtümlich seine internationale Zuständigkeit und erlässt es eine Entscheidung in der Sache, welche dem Beklagten nicht gefällt, so bleibt diesem nur übrig, sich durch Einlegung
393 EuGH v. 8.12.1987 – Rs. C-144/86 Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861 – Rz. 16 und 17 = NJW 1989, 665 = RIW 1988, 818; EuGH v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – The owner of the cargo lately laden on board the ship Tatry/The owners of the ship Maciej rataj, Slg. 1994 I 5439 = EuZW 1995, 309 (Wolf 365) = EWiR 1995, 463 (Otte) = JZ 1995, 616 (Peter Huber 603) = IPRax 1996, 108 (Schack 80). Nach OLG München v. 13.2.1985, Riv. dir. int. proc. 1986, 931 = IPRspr. 1985 Nr. 133A und OLG Hamm v. 25.9.1985 – 20 U 51/85, RIW 1986, 383 = IPRax 1986, 233 (R. Geimer 208) = IPRspr. 1985 Nr. 165 ist Leistungsklage zulässig. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass Art. 21 EuGVÜ/ LugÜ bzw. Art. 27 EuGVVO zur Anwendung kommt, da diese Vorschrift nicht auf formale Identität abstellt, Schack, IPRax 1989, 140; vgl. Karl in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2003, 663.45 ff. Art. 21 Anm. II 1. 394 Hierfür plädiert Kropholler, IPR6, § 60 I 2b. 395 Zöller/Greger, ZPO30, § 256 Rz. 16. Anders aber Baltzer, Die negative Feststellungsklage, 1980, 149; danach ist die Leistungsklage nach negativer Feststellungsklage nur im selben Prozess als Widerklage zulässig, nicht jedoch als (selbständige) Klage in einem gesonderten Verfahren (in einem anderen Staat).
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von Rechtsmitteln am Rechtsstreit zu beteiligen, um die internationale Unzuständigkeit zu rügen, wenn er einen Titel im Erststaat gegen sich vermeiden will. 1118 Dies ist der einzige dem Beklagten zur Verfügung stehende Weg. Er kann nicht die Zuständigkeitsfrage zum Gegenstand eines Unterlassungsprozesses in einem anderen Staat machen. Hierfür fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.396 1119 Unzulässig ist auch eine vorbeugende Unterlassungsklage (Rz. 2636, 2909b). Eine Partei kann also nicht zu einem Zeitpunkt, in dem der Gegner seine Klage in dem nach Ansicht des präsumptiven Beklagten international unzuständigen Staat noch gar nicht anhängig gemacht hat, diesen auf Unterlassung der Klageerhebung verklagen. Eine solche Klage wäre unzulässig. Er kann aber nach allgemeinen Grundsätzen negative Feststellungsklage erheben.397 (Vgl. aber Rz. 1869). 1120 Dagegen haben sich einige398 auch für die Zulässigkeit von Unterlassungsklagen ausgesprochen, die darauf abzielen, die Prozessführung im Ausland zu verbieten. Danach könnte eine solche Klage auf Unterlassungsansprüche aus Vertrag gestützt werden, z.B. wenn eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung399 oder eine wirksame Schiedsabrede entgegensteht. Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch400 könnte sich auch auf Geheimhaltung richten, wenn – wie im Fall
396 R. Geimer, WM 1986, 122. Ähnlich Schütze, DIZPR2, Rz. 179. S. auch Fuchs/Hau/ Thorn, Fälle zum Internationalen Privatrecht3, 79 Fn. 57. Anders Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 473; das englische und das US-amerikanische Recht. Zu den injunctions restraining foreign proceedings Nachw. bei Mansel, EuZW 1996, 335; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 477 Fn. 1442; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 33. Die Entscheidung des House of Lords im Laker-Fall hat allerdings gerichtliche Verbote ausländischer Verfahren auf Fälle ganz evidenten Missbrauchs beschränkt. Nachw. bei Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Schröder, The Right not to be sued abroad, in FS Kegel 1987, 523; Krause-Ablass/Bastuck in FS Stiefel, 1987, 446. Injunctions restraining foreign proceedings sind insbes. im Anwendungsbereich des Unionsrechts (Rz. 245c) unzulässig, EuGH v. 1.3.2005 – Rs. C-281/02 – Owusu/Jackson u.a., IPRax 2005, 244 und EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA vormals Riunione Adriatica Di Sicurità SpA/Westtankers Inc., Slg. I 2009, 686 = IPRax 2009, 336 = SchiedsVZ 2009, 120. Hierzu Online Symposium on Westtankers IHR 2009, 84 = Schieds VZ 2009, 120; s. auch www.conflictoflaws.net. Positive Kompetenzkonflikte werden allein durch die auf dem Prioritätsprinzip basierenden Litispendenznormen (Art. 29 ff. EuGVVO, Art. 16, 19 EuEheVO) gelöst, EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – G. P. Turner/F. F. I. Grovit, RIW 2004, 533 (Krause 541, Mankowski 497). S. auch Rz. 1945b. 397 Vgl. auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 528; Reinhart in MüKo. InsO2, 3. Bd., § 342 Rz. 17. 398 Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985, 37; Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 52 Fn. 199. S. auch Wagner, Prozessverträge, 1998, 254, 268. 399 Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 330 ff. 400 Einen deliktischen Anspruch auf Unterlassung der Prozessführung stipuliert wohl keine Rechtsordnung verbis expressis. Auch wenn es einen solche gäbe, könnte er u.U. im Hinblick auf Art. 26 i.V.m. Erwägung 32 Rom II-VO bzw. Art. 40 III Nr. 2 EGBGB nicht geltend gemacht werden.
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Forum shopping
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Deutsche Bank (Rz. 178) – durch eine ausländische court order die vertragliche Geheimhaltungspflicht unterlaufen werden soll. Wenn ein deutsches Verfahren durch gegenläufige amerikanische Verbotsanordnungen gestört zu werden droht, hätte die deutsche Partei u.a. die Möglichkeit einer einstweiligen Verbotsverfügung nach § 940 ZPO zum Schutze ihres deutschen Justizgewährungsanspruchs (s. auch Rz. 2792). Die deutsche Rechtsprechung musste sich mit diesem Problemkreis zu Zeiten 1121 beschäftigen, als das deutsche Scheidungsrecht noch wenige Scheidungsgründe kannte und man daher ins scheidungsfreundlichere Ausland auswich. Das Reichsgericht gab der Klage auf Rücknahme der im Ausland erhobenen Scheidungsklage und Ersatz des Schadens (Anerkennung in Drittstaaten) aufgrund von § 826 BGB statt.401 3. Schadensersatzklage wegen ungerechtfertigter Verfahrenseinleitung im Ausland Wenn auch nach der hier vertretenen Auffassung eine Unterlassungsklage nicht 1122 in Betracht kommt, ist es gleichwohl zulässig, auf Schadensersatz wegen unberechtigter Verfahrenseinleitung im Ausland vor deutschen Gerichten zu klagen, wenn nach §§ 12 ff. ZPO die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu bejahen ist. Als Anspruchsgrundlage kommen in Betracht Vertrag (positive Vertragsverletzung, z.B. Vertrag mit Zuständigkeitsvereinbarung)402, § 823 I BGB (z.B. beim Eingriff in den eingerichteten Gewerbebetrieb) und § 826 BGB bei (bedingtem) Vorsatz (Rz. 1107a).403
Deliktische Anspruchsgrundlagen bejaht jedoch im Prinzip Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 337 ff. 401 RG v. 3.3.1938, RGZ 157, 136 = JW 1938, 1252 = ZAkDR 1938, 747 (Reu 731) = Nouv. rev. d.i.p. 1938, 388 (Mezger) = Clunet 66 (1939), 378 (Wolff) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 90b. Vorinstanz: OLG Köln v. 15.10.1937, StAZ 1937, 435 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 90a; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 338 ff.; Raape, IPR5, 132, 313. Weitere Nachw. bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 526 ff.; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 201 ff.; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 766; Wagner, Prozessverträge, 1998, 267 ff. S. auch Sandrock, IDR 2004, 106 (108) und Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008, 93. 402 S. unten Rz. 1718. Zu Schadensersatzansprüchen aus Verletzung der Zuständigkeitsvereinbarung bei Klage am forum derogatum Schlosser in FS Lindacher, 2007, 111; Mankowski, IPRax 2009, 23. Ablehnend von Bodungen/Pörnbacher, Kosten und Kostentragung im Schiedsverfahren, in Wissenschaftlicher Gesprächskreis Schiedsrecht München (ed.), Taktik im Schiedsverfahren, 2008, 121, 149. 403 Hierzu auch Sandrock, RIW 2004, 809 (814). Zu weitgehend Paulus in FS Georgiades, 2005, 511, 523; Paulus, RIW 2006, 258 (259 ff.); Fuchs/Hau/Thorn, Fälle zum Internationalen Privatrecht3, 78 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1123 Beispiel: Bei missbräuchlichen Klagen gegen deutsche Unternehmen in den USA wäre meist die deutsche internationale Zuständigkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu bejahen, weil sich der Tatbestand der schädigenden Handlung auch in Deutschland verwirklicht. Nach missbräuchlicher Anzeige zur Einleitung eines Straf- oder Verwaltungsverfahrens könnten Kosten und weitergehende Schäden (z.B. Marktverwirrung, Umsatzrückgang) in Deutschland eingeklagt werden.404
1124 Der Schadensersatzanspruch aus unberechtigter Verfahrenseinleitung kann durch Arrest gesichert werden.405
VII. Forum fixing 1125 Es liegt im Interesse beider Parteien (Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit der gerichtlichen Entscheidung), das Forum für ihre spezielle Rechtsbeziehung durch ausschließliche Prorogation festzulegen (Rz. 1597).406
8. Kapitel: Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung des autonomen deutschen Rechts I. Bewertung der Zuständigkeitsinteressen 1126 Bei der Festlegung der internationalen Zuständigkeit geht es um elementare Fragen prozessualer Gerechtigkeit. Dabei sind die Zuständigkeitsinteressen der Parteien gegeneinander abzuwägen.407 Für den Beklagten geht es um die Eingrenzung seiner Gerichtspflichtigkeit; er soll vor unzumutbaren Foren geschützt werden. Für den Kläger steht dagegen der Justizgewährungsanspruch auf dem Spiel. Dieser darf nicht durch übertriebenen Beklagtenschutz unzumutbar beschnitten werden. Für die Anhänger eines (hier abgelehnten) forum legis (Rz. 1044) wäre auch noch das Rechtsanwendungsinteresse des Gerichtsstaates herauszustellen. Dieser hätte in den Fällen, in denen er sein Recht angewendet
404 Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 53 Fn. 206. A.A. (Handlungs- und Erfolgsort sei in den USA gelegen) Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001, 136. 405 BGH v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 ff.; BGH v. 30.10.1984 – VI ZR 25/83, MDR 1985, 485 = WM 1985, 35 ff.; Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, 1968; Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, 1979. 406 Samtleben, RabelsZ 46 (1982), 716; Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereionbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56. 407 S. auch die Nachw. bei Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und internationalen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Lüttringhaus, Eingriffsnormen im internationalen Unionsprivat- und Prozessrecht, IPRax 2014, 146, 151.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
sehen will, ein Forum zu eröffnen, jedenfalls dann, wenn international zwingendes Recht durchzusetzen ist. Die Regel actor sequitur forum rei begünstigt den Beklagten (favor defenso- 1127 ris).408 Dies rechtfertigt man damit, dass der Beklagte die Last der Verteidigung habe.409 Diese Interessenbewertung ist aber logisch nicht zwingend.410 Allenfalls kann sie für den Normalfall Gültigkeit beanspruchen.411 Es gibt aber bestimmte Fallgestaltungen, wo es dem Beklagten durchaus zuzumuten ist, sich außerhalb seines Wohnsitz- bzw. Sitzstaates auf die Klage einzulassen (Rz. 1940). Für die Festlegung des zuständigen Gerichts ist dann maßgeblich:
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– entweder das Interesse des Klägers, an seinem Wohnsitz oder Aufenthalt klagen zu können (fora actoris), Z.B.: § 232 III 2 Nr. 3 FamFG, früher § 23a ZPO für Unterhaltsverfahren (Rz. 1534), § 26 FernUSG, § 29c ZPO412 für Klagen des Verbrauchers in Verbrauchersachen.413 Die ratio legis lässt sich hier wie folgt skizzieren:414 Der favor defensoris verliert dann seine innere Berechtigung, wenn der Kläger typischerweise der Schwächere ist.415 In solchen Fällen würde die aus der Grundregel actor sequitur forum rei sich ergebende Bevorzugung des Beklagten die Rechtsverfolgung für den (schwächeren) Kläger (genauer Rz. 1157, 1297) unzumutbar erschweren. Die Interessen des Beklagten haben deshalb zurückzustehen, da die Interessen des Klägers höher zu bewerten sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall der Kläger schutzbedürftig ist; der Kläger kann sich
408 Anders jedoch im historischen Ansatz das römische Recht. Es ging nicht um Schutz des Beklagten, sondern darum, überhaupt einen Prozess zu ermöglichen. Ohne Mitwirkung des Beklagten kam nämlich im klassischen römischen Formularprozess ein Prozessrechtsverhältnis nicht zustande; ein Versäumnisverfahren entwickelte sich erst später, Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 82. 409 Schack, IZVR6, Rz. 222. S. auch Dilger in Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 545), Art. 3 EuEheVO Rz. 15. 410 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 239; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 350. 411 Ausführlich Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 50 ff. 412 Beispiel: LG Tübingen v. 30.3.2005 – 5 O 45/03, NJW 2005, 1513 = RIW 2005, 781 = IPRax 2006, 477 (Mankowski 454) = IPRspr. 2005 Nr. 15. Umfassende Nachw. bei Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 185. 413 Allgemeine Nachw. bei Börnke, Rechtsanwendungsprobleme im Zusammenhang mit den sonderprivatrechtlichen Gerichtsstandsregelungen der §§ 7 I HWiG, 6 II AuslInvestmG und 26 FernUSG, 1995. Zum (durch § 29c ZPO ersetzten) § 7 HausTWG Junker, RIW 1999, 809 (812). 414 Hierzu de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 63, 73. 415 Wenn allerdings der Verbraucher seinen Anspruch an einen beruflich bzw. gewerblich Tätigen abtritt, kann dieser sich nicht auf § 29c ZPO berufen, OLG München v. 30.1.2009 – 25 U 3097/07, VersR 2009, 1382 = IPRspr. 2009 Nr. 170a; BGH v. 18.11.2009 – IV ZR 36/09, VersR 2010, 645 = IPRspr. 2009 Nr. 170b.
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Internationale Zuständigkeit
auch dann auf die einschlägigen Kompetenzbestimmungen berufen, wenn er dem Beklagten wirtschaftlich ebenbürtig oder sogar überlegen ist416; 1129 – oder ein besonders enger Sachbezug des Gerichtsortes zum Gegenstand der Klage, Z.B.: § 29 ZPO: Erfüllungsort für Vertragsklagen; § 32 ZPO, § 14 II UWG: Schadensort für Klagen wegen unerlaubter Handlung; §§ 24, 29a, 29b ZPO: Staat, in dem die Immobilien gelegen sind, für Immobiliarklagen einschließlich Mietsachen; 1130 – oder ein Gerichtsinteresse, zusammenhängende Komplexe von ein und demselben Gericht oder zumindest in ein und demselben Staat entscheiden zu lassen (fora connexitatis), damit widersprüchliche Entscheidungen möglichst vermieden werden. Z.B.: §§ 98 II, 103 II FamFG: Zuständigkeit des mit dem Statusprozess (Scheidung, Aufhebung der Lebenspartnerschaft) befassten Gerichts für Unterhaltssachen. 1131 Die Regel „actor sequitur forum rei“ vernachlässigt die legitimen Zuständigkeitsinteressen des Klägers. Die Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes liegt ausschließlich in der Disposition des Beklagten. Ein böswilliger Schuldner kann durch ständigen Wohnsitzwechsel die Durchsetzung der Ansprüche seiner Gläubiger erheblich erschweren.417 Den Ausgleich schaffen die besonderen Zuständigkeitsanknüpfungen der §§ 20 ff. ZPO, insbes. der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) und des Tatortes (§ 32 ZPO) sowie des Vermögens (§ 23 ZPO). Jedoch bleibt zu konstatieren, dass das deutsche Kompetenzsystem – ebenso wie auch sonst in Kontinentaleuropa – tendenziell beklagtenfreundlich ist.418 1132 Das Ergebnis dieser normativen Abwägung der Zuständigkeitsinteressen ist in abstrakt-generellen Zuständigkeitsnormen in §§ 12 ff. ZPO niedergelegt. Diese sind für den Richter verbindlich. Er darf nicht die konkreten Umstände des Einzelfalls heranziehen, um ein Forum, dessen Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, für non conveniens zu erklären. Dies würde den Justizgewährungsanspruch des Klägers verletzen, ebenso sein Recht, zwischen den verschiedenen in concreto gegebenen Zuständigkeiten (in verschiedenen Staaten) zu wählen. Aber auch in umgekehrter Richtung sind dem Richter Grenzen gesetzt: nur in den vom Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen ist der Beklagte außerhalb seines Wohnsitzes gerichtspflichtig.419 An der Vorhersehbarkeit des Forums besteht ein
416 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 351; zum Anwendungsbereich des verbraucherschützenden Sonderprivatrechts v. Hoffmann, IPRax 1989, 267; Kröger, Der Schutz der „marktschwächeren“ Partei im Internationalen Vertragsrecht, 1984. S. auch Geimer in FS Martiny, 2014, 711. 417 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 353, 551. S. auch Dilger in Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 545), Art. 3 EuEheVO Rz. 15. 418 Schlosser, IPRax 1992, 140; s. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 596, 601. 419 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 352.
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großes Interesse der Parteien (Rz. 1075, 1597).420 Unklare Kompetenznormen mit unbestimmten Rechtsbegriffen schaffen US-amerikanische Zustände.421
II. Bedeutung der internationalen Urteilsanerkennung für eine vernünftige und ausgewogene Zuständigkeitspolitik 1. Das Ideal Ein Staat, der großzügig ausländische Urteile anerkennt und zur Vollstreckung 1133 zulässt, hat einen größeren gesetzgeberischen Spielraum als derjenige, welcher der Anerkennung ausländischer Entscheidungen ablehnend oder zumindest skeptisch gegenübersteht. Ist die internationale Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen gewährleistet, kann sich der Gesetzgeber dem Ideal der Wissenschaft nähern: die räumliche Nähe des Beklagten oder des Streitgegenstandes zum Gerichtsstaat (forum).422 Erst die internationale Freizügigkeit der Urteile macht es möglich, bei der Regelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit alle Aspekte zu berücksichtigen und die sich widerstreitenden Zuständigkeitsinteressen des Klägers und des Beklagten sinnvoll gegeneinander abzuwägen. Der nationale Gesetzgeber kann die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten (außerhalb seines Wohnsitzstaates) unter Berücksichtigung der von der Wissenschaft aufgestellten Maximen begrenzen, ohne den Justizgewährungsanspruch des Klägers unangemessen zu verkürzen. 2. Die raue Wirklichkeit Von dem eben skizzierten Ideal sind wir noch weit entfernt. Der deutsche Ge- 1134 setzgeber lehnt zwar die Anerkennung ausländischer Entscheidungen nicht rundweg ab, doch macht er einen engherzigen Vorbehalt, der sich im Verhältnis zu sehr vielen Staaten als unüberwindliche Hürde für die Anerkennung erweist: Er verlangt die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG). Damit überlässt er den ersten Schritt den anderen. Daraus folgt für die Normierung der internationalen Zuständigkeit Deutsch- 1135 lands: Da – im Anwendungsbereich des autonomen Rechts – de lege lata in vielen Fällen die Anerkennung ausländischer Urteile nicht gewährleistet ist, ist der Spielraum des deutschen Gesetzgebers eingeengt. Um den Justizgewährungsanspruch des Klägers nicht zur Farce werden zu lassen, vor allem aber, um den Vollstreckungszugriff auf das im Inland belegene Vermögen erst möglich zu machen (ausländische Titel werden zur Vollstreckung nicht zugelassen bzw. ihre
420 Aus schweiz. Perspektive Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 285 ff. 421 R. Geimer, NJW 1991, 3072. Jahrelange Zuständigkeitsstreitigkeiten sind die Folge, Rz. 1094; Zekoll, 61 Alb. L. Rev. 1283, 1287. Dies übersieht z.B. Hartwieg, JZ 1996, 109. Vgl. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 596. 422 R. Geimer, JZ 1984, 979.
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Zulassung ist zu kompliziert geregelt), muss er die Tore zu den deutschen Gerichten weit aufstoßen.423 1136 Daher besteht für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands in dem weiten von § 23 ZPO umschriebenen Umfang solange ein praktisches Bedürfnis, als die Rechtsverfolgung im Wohnsitzstaat auf unzumutbare Schwierigkeiten stößt bzw. die Anerkennung und Vollstreckung des im Wohnsitzstaat erstrittenen Urteils im Inland nicht möglich ist, z.B. an der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit scheitert (Rz. 1349). 1137 Dies trat bei den Beratungen der Haager Konferenz klar zu Tage.424 Der Vermögensgerichtsstand ist weit verbreitet.425
III. Wohnsitz/Sitz des Beklagten als Ausgangspunkt der Zuständigkeitsordnung 1. Grundsatz 1138 Ausgangspunkt des deutschen Zuständigkeitssystems ist die alte Regel actor sequitur forum rei (Rz. 1265). Dies ist nicht selbstverständlich.426
423 Dies lässt der XI. Senat des BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = MDR 1991, 988 = IPRspr. 1991 Nr. 166b, hierzu oben Rz. 1077a leider außer Betracht. 424 Conférence de La Haye de droit international privé, Actes et Documents de la Session extraordinaire 13 au 26 avril 1966: Exécution des jugements, 1969, 416 ff. S. auch den Gemeinsamen Bericht der Unterhändler zum deutsch-norwegischen Vertrag v. 17.6.1977, BT-Drucks. 9/66, 31 zu Art. 20. 425 Actes et Documents, a.a.O.; Schack, ZZP 97 (1984), 50 f. Zur Berechtigung des Vermögensgerichtsstandes rebus sic stantibus auch Basedow in Handbuch IZVR, Bd. I, 1982, Kap. II Rz. 169 bei Fn. 610. 426 Anders z.B. das französische Recht (Art. 14, 15 Code civil; hierzu Rz. 1907) und die von ihm beeinflussten Zuständigkeitsordnungen. Im romanischen System ist die Staatsangehörigkeit ein „allumfassender Zuständigkeitsgrund“ (Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 87). „Der Anknüpfungsbezug wird staats- und völkerrechtlich gedacht: Der Gerichtsstaat schuldet seinem Bürger Rechtsschutz, ohne Rücksicht darauf, ob er Kläger oder Beklagter ist; der Bürger wiederum ist in seinem Heimatstaat gerichtspflichtig, ganz gleich, ob er im In- oder Ausland wohnt.“ Vgl. auch Rz. 1020 f., 1591 f. sowie § 184 II der ZPO der ehemaligen DDR: „Die Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik sind auch zuständig, wenn eine Prozesspartei Bürger der Deutschen Demokratischen Republik ist …“ Für Völkerrechtskonformität des Art. 14 Code civil Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 235. In den Vereinigten Staaten von Amerika kennt man kein abstraktes Zuständigkeitssystem, bei dem der „allgemeine Gerichtsstand“ am Wohnsitz/Sitz des Beklagten den Ausgangspunkt bildet und die Spezialfora nur streitgegenstandsbezogene Ausnahmen von dem Grundprinzip actor sequitur forum rei sind. Die due process clause der US Constitution verlangt zwar, dass der Beklagte minimum contacts zum Gerichtsstaat hat. Diese werden jedoch relativ großzügig bejaht. Wegen seiner Streitgegenstandsferne wurde der Wohnsitzgerichtsstand mitunter sogar zum forum non conveniens erklärt, eingehend Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 48, 155. S. auch Adolphsen, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 483.
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Hat der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in Deutschland, so entfällt die deutsche 1139 internationale Zuständigkeit, sofern nicht für den Streitgegenstand ein besonderer Gerichtsstand gem. §§ 20 ff. ZPO begründet ist. Dem deutschen Recht liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Beklagte dann seinen allgemeinen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz im Ausland habe. Eine wahrhaft internationale, vom Chauvinismus freie Gesinnung! (Vgl. aber Rz. 1265, 1267, 1352, 1943). Nur wenn der Beklagte überhaupt keinen Wohnsitz hat, greift § 16 ZPO ein: die 1140 deutsche internationale Zuständigkeit wird an den inländischen Aufenthalt des Beklagten geknüpft. Hält sich der Beklagte nicht im Inland auf, so wird gem. § 16 HS 2 ZPO die deutsche internationale Zuständigkeit auf den Umstand gegründet, dass der Beklagte früher einmal im Inland wohnte.427 Hat der Beklagte auch früher nicht in Deutschland gewohnt, so fehlt es an einem 1141 inländischen allgemeinen Gerichtsstand. Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es nicht an.428 Auch deutsche 1142 Staatsbürger sind über die Grenzen des § 16 ZPO hinaus in ihrem Heimatstaat nicht gerichtspflichtig (Rz. 1946; Ausnahme: Statussachen, Rz. 1145). Dies ist ein ganz signifikanter Unterschied zum romanischen Zuständigkeitssys- 1143 tem. Nach Art. 15 Code civil ist der Franzose immer – ganz gleich, wo er wohnt oder wo er sich aufhält – in Frankreich gerichtspflichtig.429 Die Motive zur ZPO sehen dies klar: „Der Entwurf hofft, … eine dem Rechtsbedürfnisse der Gegenwart entsprechende Fortbildung des internationalen Rechts zu fördern, und besorgt hieraus keine Gefährdung der deutschen Interessen. Die besonderen Gerichtsstände … werden genügen, um in den geeigneten Fällen den im Ausland wohnhaften Schuldner vor ein inländisches Gericht zu ziehen.“430 Der Wohnsitzbegriff ist im deutschen Recht in § 7 BGB definiert. Der vom Wohn- 1144 sitz des Ehemanns abgeleitete Wohnsitz der Ehefrau verstößt gegen Art. 3 II GG und wurde formell durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957431 aus dem BGB eliminiert. Auch in den meisten anderen Staaten wurde dieser abgeleitete Wohnsitz abgeschafft, sogar in der Schweiz.432 Darauf hat man dann auch durch Streichung des Art. 52 III EuGVÜ reagiert. Bei Minderjährigen, deren ge-
427 Beispiel: Seeleute „auf See“, BGH v. 22.9.1982 – IVb ARZ 37/82, IPRax 1983, 80 (Jayme) = IPRspr. 1982 Nr. 145. Enger LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142: Wohnsitz an Bord des im Ausland registrierten Motorschiffs. 428 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 16 Rz. 5. 429 Das Gleiche gilt auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, Blackmer v. United States, 284 U.S. 421, 438 (1932); Restatement (Third) of the Foreign Relations Law, § 421 (2)(d) (1986); Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 178. 430 Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, II, 150; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 127; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 29. 431 BGBl. I 1957, 609. 432 Art. 25 ZGB a.F. wurde durch das neue Eherecht außer Kraft gesetzt. Hierzu Frank/ Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung3, § 2 Rz. 14.
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meinsam sorgeberechtigte Eltern verschiedene Wohnsitze haben, kann Doppelwohnsitz bestehen.433 2. Ausnahme: Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen 1145 Die goldene Zuständigkeitsregel actor sequitur forum rei gilt nicht für Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen, §§ 98 ff. FamFG (früher §§ 606a I, 640a II, 661 III ZPO). Die Zuständigkeitsanknüpfungen (deutsche Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt) sind hier nicht auf die Person des Antragsgegners fixiert. Sie sind vielmehr ambivalent in dem Sinne, dass es auch genügt, wenn sie in der Person des Antragstellers verwirklicht sind, Rz. 1948. So ist die internationale Entscheidungszuständigkeit bereits dann eröffnet, wenn der Antragsteller deutscher Staatsbürger ist bzw. war (§ 98 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG) oder im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 98 I Nr. 4 FamFG). Insoweit ist die Rechtslage vergleichbar mit der im französischen Recht, doch mit dem wesentlichen Unterschied, dass Art. 14, 15 Code civil der französischen Partei ein Jurisdiktionsprivileg einräumen: Frankreich hält sich für ausschließlich international zuständig, mit der Folge, dass die Anerkennung ausländischer Urteile ausgeschlossen ist, es sei denn, der durch Art. 14, 15 Code civil begünstigte Franzose hat auf dieses Jurisdiktionsprivileg verzichtet; anders § 106 FamFG (s. auch Rz. 1323).
IV. Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates 1146 Der Staat, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz hat, ist grundsätzlich (Ausnahmen: Rz. 1279, 1282) international zuständig für alle Klagen gegen den Beklagten. Die Klageart spielt keine Rolle. §§ 12 ff. ZPO gelten für Leistungsklagen ebenso wie für Feststellungs- und Gestaltungsklagen.434 1147 Bereits im gemeinen Prozess war das Institut des allgemeinen Gerichtsstandes entwickelt. Anders z.B. noch der alte Code de procédure civile und die von ihm beeinflussten Prozessordnungen Italiens und der Beneluxstaaten. Art. 59 des alten Code unterscheidet einen Gerichtsstand für persönliche Klagen, einen für dingliche Klagen und einen für gemischte. 1148 Erst der Nouveau Code de procédure civile hat das aktionenrechtliche Denken im Zuständigkeitsrecht überwunden. Auch der englische Zivilprozess kennt keinen allgemeinen Gerichtsstand. Die Unterscheidung zwischen action in personam und action in rem ist auch heute noch im Kompetenzrecht bekannt.
433 Zu den Parallelfragen in der Schweiz s. Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung3, § 2 Rz. 9. 434 Die statthafte Rechtsschutzform bestimmt das nationale Recht des Gerichtsstaates. Nach der lex fori ist auch die Frage zu beantworten, ob ein Klage- oder sonstiges Antragsverfahren statthaft ist, Rz. 338, 1985.
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Vergleichbar mit der Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates ist – auf dem Gebiet 1149 der Spezialgerichtsstände – am ehesten der Gerichtsstand der Zweigniederlassung (Rz. 1443). Er ist gewissermaßen eine Verkleinerung des Wohnsitzgerichtsstandes. Er baut auf der gleichen Logik auf: Genauso wie der Beklagte grundsätzlich für alle gegen ihn gerichteten Prozesse in seinem Wohnsitzstaat gerichtspflichtig ist, mag auch der Streitgegenstand zu anderen Staaten viel engere Bezüge aufweisen, so ist derjenige, der außerhalb seines Wohnsitz-/Sitzstaates eine Niederlassung oder Agentur betreibt, dort grundsätzlich gerichtspflichtig für alle Streitigkeiten, die aus dem Betrieb derselben entspringen.435 Auch für den Vermögensgerichtsstand (Rz. 1181, 1346) kann man eine Parallele 1150 zur Allzuständigkeit des Wohnsitzgerichtsstandes ziehen: § 23 ZPO gilt für alle vermögensrechtlichen Ansprüche, ganz gleich wie und wo der Streitgegenstand zu lokalisieren ist. Zwar ist der Anwendungsbereich des Wohnsitzgerichtsstandes weiter, weil er – 1151 anders als § 23 ZPO – auch nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten mitumfasst. Doch muss man in Betracht ziehen, dass die Statusverfahren (als in der Praxis wichtigste Anwendungsfälle der nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten) ausgeklammert sind (Rz. 1279). Das Gleiche gilt für den Gerichtsstand des Aufenthalts (Rz. 1267).
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Im Übrigen begründen die besonderen Gerichtsstände keine Allzuständigkeit, 1153 sondern nur eine Kompetenz für bestimmte Streitgegenstände, z.B. Vertragsklagen für Verbindlichkeiten, die im Inland zu erfüllen sind (§ 29 ZPO) oder Ansprüche aus Delikten, die im Forumstaat begangen worden sind (§ 32 ZPO). Hier besteht ein wichtiger Unterschied zum US-Kompetenzsystem, das „general jurisdiction“ (which permits adjudication of any claim against a defendant)436 nicht nur „based on domicile“ kennt, sondern auch „general jurisdiction based on continuous activities within the forum“ bzw. „based on transitory presence of the defendant within the forum“. (Vgl. Rz. 378a, 1584). Beispiel: 1154 Während „doing business in Germany“ nach § 21 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 5 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 5 LugÜ eine internationale Zuständigkeit Deutschlands nur im Hinblick auf die Aktivitäten des Beklagten in Deutschland begründet (Rz. 1149, 1445), wurde bis zur Ent-
435 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 532, 541; R. Geimer, RIW 1988, 221. 436 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 6.7 ff.; Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 160, 180; Fuchs, RIW 2004, 41; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 142 ff.; Rau, RIW 2000, 761; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet, 2004, 151 ff.; Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, 2003; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 295 ff. – Derzeit tendiert der Supreme Court zu einer (behutsamen) Einschränkung der personal jurisdiction; hierzu z.B. Coester-Waltjen in FS Schütze 80, 2014, 27; Metz, IPRax 2014, 365 mit ausführlichen Nachweisen. S. auch Halfmeier in FS Magnus, 2014, 433.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
scheidung des Supreme Court in Sachen Helicopteros Nacionales de Colombia v. Hall437 „doing business“ von vielen US-Gerichten als Basis für „general jurisdiction“ herangezogen.438 Immerhin bejaht der Supreme Court im Helicopteros Case439 „general jurisdiction“ im Falle von „continuous and systematic general business contacts“. Auch sind die Grenzen für die „specific jurisdiction of US Courts over foreign defendants“ diffus. Verlangt werden „purposeful availment“ und „reasonableness“. Wie diese Kompetenzvoraussetzungen konkretisiert werden sollen, ist reichlich unklar.440
1155 Eine Allzuständigkeit – wie sie der Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten bewirkt – kann nicht durch Zuständigkeitsvereinbarung begründet werden, denn eine solche ist – auch nach Art. 25 I EuGVVO bzw. nach Art. 23 I LugÜ – nur „für ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten“ zulässig, § 40 I ZPO (Rz. 1682). Auch eine (den romanischen Rechtsordnungen geläufige) Wohnsitzwahl (domicile élu) führt nicht zur Allzuständigkeit.441
V. Personenbezogene und sachliche (streitgegenstandsbezogene) Zuständigkeitsanknüpfungen 1. Maßgebliche Zuständigkeitsanknüpfungen 1155a Man kann danach unterscheiden, ob der Tatbestand der Zuständigkeitsnorm an Umstände anknüpft, die mit der Person einer Partei verbunden sind, oder ob es auf Umstände ankommt, die nicht in der Sphäre der Parteien liegen, sondern mit dem Streitgegenstand verknüpft sind, wie z.B. die Belegenheit des Streitobjekts (§§ 23 Satz 1 Alt. 2, 24, 29a, 29b ZPO).442 Dazwischen stehen Anknüpfungen, die zwar personenbezogen sind, jedoch nicht mit der Person einer Partei zusammenhängen.
437 466 US 408 (1984). 438 Blackmer v. United States, 284 US 421, 438 (1932); Restatement (Third) of the Foreign Relations Law § 421 (2)(d) (1986); Schlosser, IPRax 1992, 141; Harald Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992 (besprochen von Hay, ZZP 107 [1994], 259). Weitere Nachw. bei Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 111, 119; Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 166; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 125. 439 466 US 416 (1984). 440 Hierzu näher Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 59 ff.; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, europäischen und US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2004, 161 sowie Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, 2003. S. auch Alio, Haftungsrisiken deutscher Unternehmen beim Vertrieb ihrer Produkte in den USA, IHR 2007, 177, 179. 441 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 Rz. 135. 442 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 262.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
Beispiel: Für erbrechtliche Streitigkeiten wird – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuErbVO443 – auf den letzten Wohnsitz bzw. die Staatsangehörigkeit des Erblassers (also nicht einer Partei) abgestellt, § 27 ZPO.444
2. Beklagten- und Klägergerichtsstände Bei den personenbezogenen Gerichtsständen kann man wieder danach differen- 1156 zieren, ob die kompetenzrechtlich relevanten Tatbestandsmerkmale in der Person des Beklagten oder des Klägers verwirklicht sein müssen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Beklagten- bzw. Klägergerichtsständen. I.d.R. knüpft das Gesetz an Umstände in der Sphäre des Beklagten. Dies gilt nicht nur für die Grundnorm des § 13 ZPO (actor sequitur forum rei), sondern auch für viele Spezialgerichtsstände, wie Aufenthalt (§§ 16, 20 ZPO), Zweigniederlassung (§ 21 ZPO), Vermögen (§ 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO). Nur ausnahmsweise wird auf Merkmale in der Person des Klägers/Antragstel- 1157 lers abgestellt, so insbes. in Unterhaltssachen (§ 232 III 2 Nr. 3 FamFG), in Verbrauchersachen (§ 26 FernUSG, § 29c ZPO).445 Doch ist dies nur bei einer vergröbernden Betrachtungsweise zutreffend. Die zuletzt genannten Gesetze stellen nämlich nicht auf Merkmale des Klägers (so aber § 232 III 2 Nr. 3 FamFG, Rz. 1452) ab, sondern – ohne Rücksicht auf die Parteirolle – auf solche der typischerweise schwächeren Personengruppe (Rz. 1297). Dies führt dazu, dass nur dann die Konstellation eines forum actoris entsteht, wenn der Schwächere (Verbraucher) seinen Vertragspartner verklagt; verklagt dagegen dieser den Verbraucher etc., bleibt es bei der actor sequitur forum rei-Regel.446 In Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs-, und Lebenspartnerschaftssachen 1158 (Rz. 1279) spielt die Parteirolle keine Rolle (Rz. 1145). Es kommt nicht darauf an, ob die Zuständigkeitsanknüpfungen (deutsche Staatsangehörigkeit oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland) in der Person des Klägers oder des Beklagten bzw. des Antragstellers oder des Antragsgegners oder (mitunter) eines sonstigen Verfahrensbeteiligten verwirklicht sind, §§ 98 ff. FamFG. Bei den personenbezogenen Gerichtsständen kommt es auf das Vorliegen der 1158a Zuständigkeitsanknüpfungen in der Person der jeweiligen Partei (Beklagter/Kläger) an, nicht auf die des Inhabers des materiellen Rechts.
443 Angesichts des universellen Geltungsanspruchs der Art. 4 ff. EuErbVO (keine Restzuständigkeiten wie nach Art. 6 I EuGVVO n.F.) ist der Anwendungsbereich des § 27 ZPO seit 17.8.2015 erheblich eingeschränkt. 444 Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 Rz. 778; LG Hamburg v. 28.10.1993 – 302 O 140/93, FamRZ 1994, 403 = IPRspr. 1994 Nr. 135a; LG Hamburg v. 28.4.1994 – 302 O 140/93, NJW-RR 1994, 1098 = FamRZ 1994, 1490 = IPRspr. 1994 Nr. 135b; Gutachten Heidelberg v. 27.8.2007, IPRG 2007/2008 Nr. 35 Rz. 3. Zur Erweiterung des Gerichtsstands der Erbschaft durch § 28 ZPO OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. 445 S. auch § 94a ArzneimittelG (AMG). Hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 8. 446 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 429, 451.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Beispiel: Klage gegen Insolvenzverwalter. Irrelevant ist der Wohnsitz des Gemeinschuldners. Im autonomen Recht gilt nunmehr § 19a ZPO.447
3. Rechtsnachfolger 1158b Soweit auf personenbezogene (nicht streitgegenstandsbezogene) Kriterien abgestellt wird, sind jeweils maßgeblich die Zuständigkeitsanknüpfungen für die konkrete Partei. Dass diese „nur“ Rechtsnachfolger hinsichtlich des Streitgegenstandes ist, spielt kompetenzrechtlich keine Rolle. Es gibt also – vorbehaltlich § 265 ZPO – grundsätzlich keine Rechtsnachfolge in das Forum. So kann z.B. im Falle der befreienden Schuldübernahme der neue Schuldner nur an seinem Wohnsitz etc. (§§ 12 ff. ZPO) verklagt werden; er ist nicht am Wohnsitz (§ 12 ZPO) seines Vorgängers gerichtspflichtig, ebenso nicht dort, wo dieser Vermögen hat (§ 23 ZPO). 1158c Im Fall der Abtretung, Verpfändung und Pfändung – Rechtsvorgänge, die allesamt ohne Mitwirkung des Schuldners stattfinden – darf aber bei Aktivprozessen des Schuldners/Drittschuldners dessen kompetenzrechtliche Position nicht geschmälert werden. Dies führt zu einer Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Gläubigers. Der (Dritt-)Schuldner kann den Zessionar, Pfandgläubiger und Pfändungspfandgläubiger nicht nur an dessen Wohnsitz bzw. Zweigniederlassung und in den sonstigen Foren der §§ 20 ff. ZPO verklagen, sondern überall dort, wo er hinsichtlich der abgetretenen, verpfändeten oder gepfändeten Forderungen/Rechte (§ 857 ZPO) den Zedenten, Verpfänder bzw. Vollstreckungsschuldner (= seinen Gläubiger) hätte verklagen können, also an dessen Wohnsitz/Sitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung (nicht zum Zeitpunkt der Abtretung, Verpfändung bzw. Pfändung), am Ort seiner Niederlassung etc. (Rz. 3279, s. auch Rz. 1723).448 1158d Die Nachlassgläubiger können den bzw. die Erben am letzten Wohnsitz des Erblassers nur nach Maßgabe von § 28 ZPO verklagen.
VI. Keine internationale Streitgenossenzuständigkeit 1. Grundsatz 1159 Personenbezogene Gerichtsstände (Rz. 1156) eröffnen internationale Zuständigkeit nur für bzw. gegen die betroffenen Personen (Rz. 1023). Wohnt einer der Beklagten in Deutschland oder ist aufgrund einer sonstigen Zuständigkeitsanknüpfung die deutsche internationale Zuständigkeit zu bejahen, so folgt daraus nicht als „Annexzuständigkeit“ die internationale Zuständigkeit gegen (mitverklagte) Streitgenossen, hinsichtlich derer eine Zuständigkeitsanknüpfung i.S.
447 Da Art. 4 I EuGVVO n.F. bzw. Art. 2 I LugÜ 2007 nur die internationale Zuständigkeit regelt, kommt § 19a ZPO bezüglich der örtlichen Zuständigkeit auch im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ zur Anwendung. 448 Zöller/Geimer, ZPO30, Anh. I Art. 2 EuGVVO Rz. 40.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
der §§ 12 ff. ZPO nicht gegeben ist. § 36 I Nr. 3 ZPO hilft hier nicht weiter.449 Auf diese Norm kann die (an sich nicht gegebene) internationale Zuständigkeit Deutschlands gegen einen im Ausland wohnhaften Streitgenossen nicht gegründet werden (Rz. 1292, 1578).450 Das Gleiche galt für § 36 I 2 FGG a.F. (Geschwistergerichtsstand),451 der im FamFG (§ 152) nicht fortgeschrieben worden ist. Eine Streitgenossenzuständigkeit hat die deutsche ZPO – anders als die 1160 EuGVVO (Art. 8 Nr. 1) und das LugÜ (Art. 6 Nr. 1)452 – ausdrücklich nicht rezipiert, obwohl die Streitgenossenzuständigkeit einer Reihe von Prozessordnungen der deutschen Einzelstaaten bekannt war.453 Fazit: Für jeden Streitgenossen muss selbständig geprüft werden, ob eine Zu- 1161 ständigkeitsanknüpfung i.S. der §§ 12 ff. ZPO gegeben ist. Ist dies zu bejahen, dann kann die örtliche Zuständigkeit nach § 36 I Nr. 3 ZPO bei einem deutschen Gericht konzentriert werden (Rz. 1528).454 2. Ausnahmen Das Gesetz eröffnet eine internationale Zuständigkeit aufgrund einer Streitge- 1162 nossenschaft nur in wenigen Ausnahmefällen:455 §§ 105, 232 III 2 Nr. 2 FamFG (Unterhaltsbegehren des Kindes gegen die Eltern), § 30 ZPO (Klage gegen ver449 BGH v. 6.11.1970 – I ARZ 228/70, NJW 1971, 196; R. Geimer, AWD 1975, 82 Fn. 12; R. Geimer, WM 1976, 834 Fn. 39; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 608; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 568; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, 1996. Deutlich BGH v. 22.2.1995 – XII ARZ 2/95, MDR 1995, 739 = NJW-RR 1995, 641 = FamRZ 1995, 251 = LM § 36 I Nr. 6 ZPO Nr. 37 = IPRspr. 1995 Nr. 162: „Allerdings setzt die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts voraus, dass die deutschen Gerichte in der Sache nach deutschem Recht international zuständig sind.“ 450 Zustimmend z.B. Vossler, Die Bedeutung des Mehrparteiengerichtsstands nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bei der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, IPRax 2007, 281, 282; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 36 Rz. 25. 451 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 567; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 213. Dagegen will BGH v. 19.11.1984 – II ARZ 11/84, AG 1985, 108 = IPRax 1985, 342 (Großfeld/Lohmann 324), § 5 I 2 FGG (nun § 5 I Nr. 1 FamFG) anwenden: In Wahrheit handelt es sich aber um einen Fall der Notzuständigkeit (Rz. 1024), lediglich das örtlich zuständige Gericht wird nach Bejahung der internationalen Zuständigkeit (in concreto: der interlokalen im Verhältnis zur ehemaligen DDR) nach § 5 FGG bestimmt. 452 Hierzu z.B. Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 649 ff.; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 2005; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014. 453 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 556 ff.; R. Geimer, WM 1979, 351. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit R. Geimer in FS Schwind, 1993, 26; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 608. 454 Beispiel: BGH v. 17.9.1980 – IVb ARZ 557/80, MDR 1981, 35 = FamRZ 1981, 23 = NJW 1980, 2646. Hierzu aus der Perspektive des § 119 I Nr. 1 lit. b GVG von Hein, ZZP 116 (2003), 335, 355 ff. sowie von Hein, IPRax 2004, 90. 455 Weiter § 93 I JN; hierzu Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts Erkenntnisverfahren7, Rz. 129.
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Internationale Zuständigkeit
tragsschließenden und ausführenden Frachtführer)456, §§ 603 II, 605a ZPO (Wechsel- bzw. Scheckklagen), § 56 II 2 Luftverkehrsgesetz.457 1163 Darüber hinaus wird man bei notwendiger Streitgenossenschaft auch gegen einen gem. §§ 12 ff. ZPO in Deutschland nicht gerichtspflichtigen Beklagten eine internationale Zuständigkeit eröffnen müssen, wenn die lex causae die Einbeziehung aller materiell-rechtlich Beteiligten in den Prozess zwingend vorschreibt.458 Vgl. aber Rz. 1407. Solche Fälle sind selten. Es muss sich um Klagen handeln, die aus Gründen des materiellen Rechts nur dann Erfolg haben können, wenn gegen mehrere geklagt wird. Bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts gilt: Gegen mehrere Beklagte braucht nur sehr selten gemeinsam auf Leistung geklagt zu werden.459 Eine Feststellungsklage muss selbst dann nicht gegen mehrere Beklagte erhoben werden, wenn das Feststellungsinteresse gegen mehrere Parteien zu bejahen ist. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass es Gestaltungsklagen gibt, die gegen mehrere Beklagte erhoben werden müssen. Beispiele: Mietaufhebungsklage gegen mehrere Mieter, Kündigungsschutzklage gegen mehrere Vermieter, Auflösungsklage gegen mehrere widersprechende Gesellschafter. Anders ist es möglicherweise bei ausländischer lex causae.
1164 In den wenigen Fällen der echten notwendigen passiven Streitgenossenschaft wirkt der materiell-rechtliche Zwang zur einheitlichen Klage gegen mehrere Beklagte auch international zuständigkeitsbegründend. Das Verbot der Justizverweigerung führt trotz betonter Zurückhaltung der ZPO gegenüber der Streitgenossenzuständigkeit zur Eröffnung eines Gerichtsstandes gegen alle notwendigen Streitgenossen am allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten.460 Dies gilt aber nur, wenn Deutschland kraft Gesetzes wenigstens in Richtung gegen einen Beklagten international zuständig ist. Es reicht also nicht aus, dass ein Streitgenosse die internationale Unzuständigkeit Deutschlands gegen alle dadurch „beendet“, dass er mit dem Kläger eine Zuständigkeitsvereinbarung schließt oder sich schlicht und einfach nach § 39 ZPO einlässt.461 Wollte man anders entscheiden, wäre Manipulationen Tür und Tor geöffnet (Rz. 1407, 1726). 456 Hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 30 Rz. 2. 457 Diese Vorschrift lautet: „In dem Fall des § 48b kann die Klage gegen den ausführenden Luftfrachtführer auch in dem Gerichtsstand des vertraglichen Luftfrachtführers und die Klage gegen den vertraglichen Luftfrachtführer auch in dem Gerichtsstand des ausführenden Luftfrachtführers erhoben werden.“ § 48b Luftverkehrsgesetz betrifft den Fall, dass ein Dritter („ausführender Luftfrachtführer“) die Luftbeförderung, zu der sich ein Luftfrachtführer (vertraglicher Luftfrachtführer) verpflichtet hat, mit dessen Einverständnis ganz oder auf einer Teilstrecke ausführt. Der Dritte haftet für Schäden an den beförderten Personen und Sachen auf der von ihm übernommenen Strecke wie der vertragliche Luftfrachtführer. 458 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971“ 570; R. Geimer, WM 1979, 355. 459 Vgl. BGH v. 26.10.1990 – V ZR 105/89, MDR 1991, 421 = NJW-RR 1991, 333. 460 So z.B. OVG Hamburg v. 21.3.1984 – Bf VII 20/83, StAZ 1985, 45 = IPRspr. 1984 Nr. 12 für Namensänderung von Eheleuten. 461 Anders entschied jedoch zu Order 11 rule 1 (i) (c) RSC das House of Lords in Sachen Canada Trust Co. v. Stolzenberg (2000) W.L.R. 1376, 1380, 1386; (2000) 4 All E.R. 481. Hierzu Vogenauer, IPRax 2001, 253.
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Vierter Teil
Ein praktischer Fall für die Streitgenossenzuständigkeit wegen echter notwendi- 1165 ger Streitgenossenschaft wurde bisher nicht aktuell, weil die (ratione materiae geschaffenen) besonderen Gerichtsstände eine Klage gegen mehrere Streitgenossen in den Fällen gestatten, in denen aus Gründen des materiellen Rechts eine Klage gegen mehrere Parteien unumgänglich ist. So ist z.B. gem. § 24 ZPO für dingliche Klagen, die ein deutsches Grundstück betreffen, gegen wen auch immer diese gerichtet sind, das forum rei sitae gegeben.462 Das Gleiche gilt etwa auch für die mietrechtliche Kündigungsschutzklage, § 29a ZPO, oder gesellschaftsrechtliche Klagen, § 22 ZPO, §§ 241, 246, 249, 275 AktG, §§ 51a, 61 III, 75 GmbHG, § 51 GenG. Schröder will die Streitgenossenzuständigkeit nicht auf die Fälle der echten not- 1166 wendigen Streitgenossenschaft beschränken. Eine klare und prägnante Abgrenzungsformel kann er aber nicht aufzeigen. Seine Formel, „dass der Zuständigkeitsrahmen für zusammenhängende Angelegenheiten von Haus aus so weit wie irgend vertretbar gezogen wird“, ist nicht justiziabel. Als „unerlässliches Korrektiv“ bietet er463 die Doktrin vom forum non conveniens (Rz. 1072) an. Es ist aber weder der Rechtsidee förderlich, noch den Parteien zumutbar, dass sie eine lange Prozessdauer in Kauf nehmen müssen, bis sie Antwort lediglich auf die Frage erhalten, ob es „die besonderen Gegebenheiten des Falles angebracht erscheinen lassen“, die Streitgenossenzuständigkeit zuzulassen oder nicht. Auch auf der Klägerseite gibt es keine Streitgenossenzuständigkeit: Wird in 1167 einem Rechtsstreit Widerklage sowohl gegen den Kläger als auch gegen einen bisher am Verfahren nicht beteiligten Dritten (mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands) erhoben, so eröffnet Konnexität (§ 33 ZPO) keine internationale Zuständigkeit gegen den Dritten (Rz. 1196, 1575). Es ist vielmehr zu prüfen, ob gegen den Dritten ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt gem. §§ 12 ff. ZPO gegeben ist.464 Ausnahme: gewillkürte Prozessstandschaft (Rz. 1574). Einstweilen frei 1168–1170
VII. Internationale Zuständigkeit Deutschlands für reine Ausländerprozesse Von den Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen 1171 (Rz. 1279, 1323, 1947, 1953) abgesehen, kommt es – anders als nach den romanischen Rechtsordnungen (Rz. 1143) – nicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien (weder des Beklagten noch des Klägers, Rz. 1145) an.465 Auch wenn beide
462 Zur Parallelnorm des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO s. z.B. EuGH v. 3.4.2014 C-438/12 – Weber/Weber, NJW 2014, 1871 Rz. 46 betreffend Klage auf Feststellung der wirksamen Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrecht. 463 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 571. 464 BGH v. 20.5.1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, 2642 = RIW 1981, 706 = MDR 1982, 138 = IPRspr. 1981 Nr. 162. 465 Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika spielt die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit eine untergeordnete Rolle, vgl. die Nachw. bei Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 178.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Parteien Ausländer oder staatenlos sind, sind die deutschen Gerichte zur Rechtsschutzgewährung verpflichtet, wenn nach den allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) ein Gerichtsstand gegeben ist (Rz. 1946). Sie können nicht die Sachentscheidung verweigern mit der Begründung, ein anderer Staat sei dem Rechtsstreit näher (Rz. 1075). 1172 Dies ist für die auf den inländischen Wohnsitz/Sitz des ausländischen Beklagten gestützte internationale Zuständigkeit Deutschlands unbestritten, auch wenn der Streitgegenstand keinerlei Bezug zum Inland hat (Rz. 1280). Anders ist es in den Fällen des § 23 ZPO: Hier wohnt der Beklagte im Ausland oder lebt wohnsitzlos. Deutschland eröffnet seine internationale Zuständigkeit für alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten aufgrund des Umstandes, dass sich im Inland irgendein Vermögensstück des Beklagten befindet (Rz. 1351). Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es nicht an. Dies hat zur Folge, dass reine Ausländerprozesse, die auch vom Streitgegenstand her keinen Bezug zu Deutschland haben, vor inländische Gerichte gebracht werden können. So können zwei in demselben fremden Staat oder in verschiedenen Staaten lebende Ausländer vor deutschen Gerichten über Sachverhalte prozessieren, die rechtlich keinerlei Beziehungen zum deutschen Recht und tatsächlich keine Verbindung mit Deutschland haben. Über § 23 ZPO kann der Ausländer gegen seinen Landsmann prozessieren, auch wenn beide in demselben ausländischen Ort wohnen, niemals in Deutschland waren und ihr Rechtsstreit weder rechtlich noch tatsächlich die geringste Berührung mit deutschen Verhältnissen hat; es genügt, dass der Beklagte ein Guthaben bei einer deutschen Bank hat.466 1173 Hier setzt (unberechtigte, Rz. 1356) Kritik an; so wendet sich Schumann gegen „die Öffnung des Gerichtsstandes für jeden Kläger“. „Das Bemühen, die Anwendung des § 23 ZPO zu reduzieren, muss sich deshalb auf die Frage erstrecken, ob es richtig ist, diesen Gerichtsstand unterschiedslos jedem Kläger und bei jedem Sachverhalt einzuräumen.“ Nach Schumann467 wird § 23 ZPO „missbraucht, wenn er in derartigen Fällen für eine Klage eines Ausländers gegen einen Ausländer über einen ausländischen Sachverhalt die deutsche internationale Zuständigkeit begründen soll“. Deshalb fehle regelmäßig die deutsche internationale Zuständigkeit, wenn ein Ausländer einen Auslandssachverhalt anhängig macht. Schumann will § 23 ZPO nur „als Auffanggerichtsstand zugunsten des inländischen Klägers und für Inlandssachverhalte“ verstanden wissen. 1174 Eine Beschränkung auf solche Kläger, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, lehnt allerdings auch Schumann zu Recht ab, da im System der deutschen internationalen Zuständigkeit – und nunmehr auch im Brüssel I-Kompetenzsystem – die Staatsangehörigkeit kein Anknüpfungspunkt ist (Rz. 1946). Schumann468 plädiert aber – nicht überzeugend (Rz. 1366) – für eine Beschränkung auf inländische Kläger. Aus den Motiven und den Gesetzgebungsdiskussionen glaubt er erkennen zu können, dass man beim Vermögensgerichtsstand an den inländischen Kläger dachte, d.h. an eine Person, die im Inland ihren 466 Beispiel: LG Frankfurt/M., AG 1976, 47 (Mertens). 467 Schumann in FS Liebman, 1979, 865, 866. 468 Schumann, a.a.O., 864.
468
Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
Wohnsitz hat. Der inländische Kläger sollte den Prozess gegen seinen vermögenden Schuldner auch im Inland führen dürfen. Dieses (angeblich „deutliche“) gesetzgeberische Motiv wurde jedoch nicht im Text des § 23 ZPO durch eine eingrenzende Formel rezipiert, etwa durch den Satz: „… falls der Kläger im Inland einen allgemeinen Gerichtsstand hat“ oder (noch enger) „… seinen Wohnsitz hat“. Von der Beschränkung auf Kläger mit Wohnsitz im Inland muss Schumann469 aber gleich wieder folgende Ausnahmen zulassen: – Ausländer-Klagen, die wegen Rechts- oder Beweisnähe eine Entscheidung 1175 durch deutsche Gerichte als sinnvoll erscheinen lassen, z.B. Streitigkeiten aus in Deutschland abgeschlossenen Rechtsgeschäften, aus Verträgen, die dem deutschen Recht unterstellt wurden, oder Klagen über Sachverhalte, die in Deutschland ihren Schwerpunkt haben und deshalb zweckmäßigerweise vor deutschen Gerichten aufzuklären sind. Wenn in derartigen Fällen ein besonderer Gerichtsstand (§§ 32, 29 oder 21 ZPO) nicht gegeben ist, so bedeute dies nicht, dass der Kläger kein Bedürfnis hätte, den Rechtsstreit durch deutsche Gerichte entscheiden zu lassen; vielmehr sind nach Schumann470 „Beweis-, Erfüllungsorts- und Vertragsabschlussnähe beachtenswerte Gesichtspunkte, an die eine internationale Zuständigkeit anzuknüpfen vermag.“ Weiter will Schumann ausnahmsweise eine Ausländer-Klage zulassen, wenn der Kläger „ein berechtigtes Interesse besitzt, statt des an sich zuständigen ausländischen Gerichts gerade die deutsche Zivilgerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen“. – Bei Gefahr der internationalen Rechtsverweigerung müssen „aus dem Ge- 1176 sichtspunkt der internationalen Notzuständigkeit“ nach Schumann die deutschen Gerichte selbst dann judizieren, wenn im Übrigen ein reiner Auslandsfall vorliegt. – Schließlich soll § 23 ZPO doch wieder anzuwenden sein, wenn der Auslän- 1177 der-Kläger zwar im Ausland einen Gerichtsstand gegen den Beklagten hat, aber ein dort erstrittenes Urteil im Inland nicht anerkannt wird, so dass er auf das inländische Vermögen des Beklagten auch nicht über § 722 ZPO bzw. § 110 FamFG zugreifen kann.471 Der Linie Schumanns sind das OLG Stuttgart472 und der XI. Zivilsenat des Bun- 1178 desgerichtshofs473 gefolgt. Während das OLG Stuttgart sich um die Konkretisierung des Kompetenzbezugs „hinreichender Inlandsbezug“ bemüht, lässt der Bundesgerichtshof alles offen.474 469 470 471 472
Schumann, a.a.O., 867. Schumann, a.a.O., 867. Schumann, a.a.O., 868. OLG Stuttgart v. 6.8.1990 – 5 U 77/89, RIW 1990, 829 (Fischer 794) = IPRax 1991, 179 (Fricke 159) = IPRspr. 1991 Nr. 166a. Für die hier vertretene Auffassung Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 102. 473 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b, hierzu Rz. 1077a. 474 Deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers soll genügen, LAG Frankfurt/M. v. 16.11.1999 – 4 Sa 463/99, IPRax 2001, 461 (Benecke 449) = IPRspr. 1999 Nr. 47; OLG
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Internationale Zuständigkeit
VIII. Hauptsäulen für die internationale Zuständigkeit Deutschlands, wenn der Beklagte keinen inländischen Wohnsitz/Sitz hat 1179 Die einzelnen dem deutschen Recht bekannten Zuständigkeitsanknüpfungen sind unten Rz. 1265 ff. im Einzelnen dargestellt. In diesem Zusammenhang sei lediglich hervorgehoben, dass die internationale Zuständigkeit Deutschlands für Klagen gegen Personen ohne Wohnsitz im Inland auf folgenden Hauptsäulen ruht: 1180 1. Unterwerfung des Beklagten: Die Zuständigkeitsfrage erübrigt sich, wenn der Beklagte die internationale Zuständigkeit nicht rügt (Rz. 1397). 1181 2. Belegenheit von Vermögen des Beklagten im Inland: Steht fest, dass der Beklagte Vermögen im Inland besitzt, dann ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands in vermögensrechtlichen Streitigkeiten zu bejahen (Rz. 1351). 1182 3. Inländischer Erfüllungsort für die eingeklagten vertraglichen Ansprüche (Rz. 1471). 1183 4. Inländischer Tatort in Bezug auf deliktische Ansprüche (Rz. 1497): Sieht man vom Vermögensgerichtsstand ab, so sind der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) für Vertragsklagen und das forum delicti commissi (§ 32 ZPO) für deliktische Ansprüche die Hauptgrundlagen für die internationale Zuständigkeit Deutschlands. Dies zeigt sich deutlich im Anwendungsbereich der europäischen Zuständigkeitsordnung der EuGVVO bzw. des LugÜ, welche den Vermögensgerichtsstand nicht kennen, Art. 5 EuGVVO bzw. Art. 3 LugÜ (Rz. 1382). Hier wird – weil die Justizgewährung durch die deutschen Gerichte davon abhängt – oft erbittert darum gestritten, ob der Erfüllungs- bzw. Deliktsort im Inland zu lokalisieren ist. 1184 5. Belegenheit des Streitgegenstandes im Inland: Die internationale Zuständigkeit Deutschlands ist weiter zu bejahen, wenn „der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand“ sich im Inland befindet, § 23 Satz 1 Alt. 2 ZPO. Für inländische Immobilien (§ 24 ZPO) und für inländische Wohnraummiete betreffende Streitigkeiten (§ 29a ZPO) behauptet die h.M. sogar eine die Wohnsitzzuständigkeit verdrängende Ausschließlichkeit (Rz. 1433). 1185 6. Deutsche Staatsangehörigkeit einer Partei: Diese Anknüpfung spielt in Statussachen (Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen) eine zentrale Rolle (Rz. 1323). 1186 7. Annex: Deutsche Staatsangehörigkeit des Erblassers: War der Erblasser Deutscher, so können – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuErbVO475 – erbrechtliche Klagen vor deutschen Gerichten anhängig gemacht werden, auch
Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen). 475 Angesichts des universellen Geltungsanspruchs der Art. 4 ff. EuErbVO (keine Restzuständigkeiten wie nach Art. 6 I EuGVVO n.F.) ist der Anwendungsbereich des § 27 ZPO auf weiten Strecken marginalisiert.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
wenn der Erblasser nie in Deutschland gewohnt oder sich aufgehalten hatte, § 27 II ZPO.476
IX. Arbeitsrechtsstreitigkeiten Das deutsche Recht477 kennt für individualarbeitsrechtliche Streitigkeiten keine 1187 besondere Zuständigkeitsanknüpfung, insbes. keine (ausschließliche) Zuständigkeit am Beschäftigungsort.478 Die Rechtsprechung will jedoch Zuständigkeitsvereinbarungen nicht beachten, wenn sie der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers widersprechen (Rz. 1774). Für individualarbeitsrechtliche Streitigkeiten kommen neben dem Wohnsitz/Sitz (§§ 12, 13, 17 ZPO) vor allem der Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) und des Vermögens (§ 23 ZPO) in Betracht sowie der Gerichtsstand des Aufenthalts (§ 20 ZPO).479 Bei betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten (Rz. 1477) wird für das Be- 1188 schlussverfahren eine ausschließliche Zuständigkeit am Betriebsort bzw. Sitz des Unternehmens von der h.M.480 postuliert, § 82 ArbGG.481
X. Versicherungssachen Auch in Versicherungssachen gilt – anders als nach der EuGVVO (Art. 10–16)482 1189 und dem LugÜ (Art. 8–14) – grundsätzlich das allgemeine Zuständigkeitsrecht der §§ 12 ff. ZPO, ergänzt durch § 215 III VVG.483
476 Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 Rz. 780; Gutachten Heidelberg v. 27.8.2007, IPRG 2007/2008 Nr. 35 Rz. 3. Zur Erweiterung des Gerichtsstands der Erbschaft durch § 28 ZPO OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. 477 Anders jedoch Art. 20 ff. EuGVVO und Art. 18 ff. LugÜ. Hierzu Nachw. z.B. bei Winterling, Die Entscheidungszuständigkeit in Arbeitssachen im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2006. 478 Birk, RabelsZ 46 (1982), 413; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 364. 479 Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 484. 480 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 685; BAG v. 12.2.1985 – 1 ABR 3/83, BAGE 48, 81, (82) = AP Nr. 1 zu Art. I Nato-Truppenstatut (Beitzke) = IPRspr. 1985 Nr. 128. 481 S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), a.a.O., Rz. 575 ff. 482 Außer den Kommentaren s. z.B. auch die Nachw. bei Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 112 ff.; Wandt/Gal in GS Manfred Wolf, 2011, 579. 483 § 109 VAG a.F. hatte – um die Klagemöglichkeiten des Versicherungsnehmers, Versicherten oder sonst wie Begünstigten gegen ausländische Versicherer zu verbessern – am Sitz ihrer inländischen Niederlassung ein (derogationsfestes) Forum eröffnet. S. auch Schack, IZVR6, Rz. 321.
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Internationale Zuständigkeit
XI. Verbrauchersachen 1190 Diesen weiten Begriff verwendet – im Gegensatz zu Art. 17–19 EuGVVO bzw. Art. 15–17 LugÜ484 – das autonome deutsche Recht nicht. Dieses normiert einzelne Teilbereiche, wie Teilnahme am Fernunterricht und „Haustürgeschäfte“ (genauer: Klagen aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen [§ 312b BGB]).485
XII. Wettbewerbssachen 1191 Die §§ 12 ff. ZPO werden ergänzt durch § 14 UWG (Rz. 1517).
XIII. Kartellsachen 1192 Im Kartellzivilprozess gelten die allgemeinen Regeln der §§ 12 ff. ZPO (Rz. 1055).486
XIV. Gerichtspflichtigkeit des Beklagten/Antragsgegners 1193 Ist ein Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben, dann ist der Beklagte/Antragsgegner im Inland gerichtspflichtig, d.h. er muss hier sein Recht „nehmen“. 1194 Hiervon zu unterscheiden ist die Prozessführungslast des Beklagten bei (objektiv gegebener) internationaler Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Nimmt er am inländischen Prozess nicht teil, ist zwar das deutsche Gericht verpflichtet, die internationale Unzuständigkeit von Amts wegen festzustellen und die Klage als unzulässig abzuweisen. Ergeht aber gleichwohl ein Sachurteil, weil das deutsche Gericht irrtümlich die internationale Zuständigkeit bejaht, muss der Beklagte Rechtsmittel einlegen. Sonst wird der Mangel der internationalen Zuständigkeit in Deutschland geheilt (Rz. 1011). Die Prozessführungslast wird mithin durch das Fehlurteil zur Kompetenzfrage erweitert. 1195 Nimmt der Beklagte am inländischen Prozess teil, so muss er in limine litis die internationale Unzuständigkeit rügen und während des ganzen Prozesses auf-
484 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 15 EuGVVO Rz. 17 ff. – Nicht anwenbar sind auch im europäischen Verbraucherkompetenzrecht die Sonderregeln für Verbraucher, wenn beide Parteien Verbraucher sind, weil die kompetenzrechtliche Privilegierung nur bei typisch ungleichgewichtigen Vertragspartnern der ratio legis entspricht, EuGH v. 5.12.2013 – C-508/12 – Walter Vapenik/Josef Thurner, EuZW 2014, 147 (zu Art. 6 EuVTVO); hierzu Staudinger, LMK 2014, 355575; Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2014, 18; Kodek in Geimer/Schütze, IRV 570 Art. 6 Rz. 6; kritisch Kloepfer/Ramic´, GPR 2014, 107. 485 § 26 I FernUSG, § 29c ZPO. Hierzu ausführlich Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 185 ff. 486 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 532.
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rechterhalten; sonst ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus § 39 ZPO (Rz. 1397).
XV. Gerichtspflichtigkeit des Klägers Ist eine Zuständigkeitsanknüpfung gem. §§ 12 ff. ZPO in Richtung gegen den 1196 Kläger gegeben, so ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands für die Widerklage gegen den Kläger zu bejahen. Auf Konnexität kommt es nicht an.487 Ohne Gerichtsstand nach §§ 12–32b, 34 ZPO eröffnet § 33 ZPO eine internationale Zuständigkeit für konnexe Widerklagen gegen den Kläger, nicht jedoch gegen (bisher am Verfahren nicht beteiligte) Dritte (Rz. 1167, 1575). Zur Zulässigkeit der Widerklage am forum derogatum Rz. 1776. In jedem Falle ist der Kläger wegen der Kostenerstattung im Forumstaat gerichtspflichtig (Rz. 1568a).
XVI. Beteiligung Dritter 1. Nebenintervention Beteiligt sich jemand als Nebenintervenient am Prozess, so liegt darin i.d.R. eine 1197 zuständigkeitsbegründende Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Gerichtsstaates, sofern im Hinblick auf den Dritten (Intervenienten) die Frage der internationalen Zuständigkeit überhaupt gestellt wird. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus (entsprechender) Anwendung des § 39 ZPO.488 2. Unbeantwortete Streitverkündung Wird dem Dritten der Streit verkündet, beteiligt er sich jedoch nicht am Verfah- 1198 ren, so ist ein Zuständigkeitsbezug nach §§ 12 ff. ZPO nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Streitverkündung.489 Auch (ausländische) Streitverkündete mit Wohnsitz irgendwo auf der Welt haben nach §§ 71 ff. ZPO die prozessuale Last, sich auf ein deutsches Verfahren einzulassen.490 Dies bedeutet im Anerkennungsstadium, dass eine Zuständigkeitsprüfung in Richtung gegen den Dritten nicht stattfindet (Rz. 2820). 3. Garantieurteil Weiter als das deutsche Recht gehen ausländische Rechtsordnungen, was die 1199 „Hereinnahme“ widerstrebender Dritter in einen laufenden Prozess anbelangt. Im deutschen Recht können die Ergebnisse des Prozesses im Wege der Streitverkündung auf einen am Prozess nicht Beteiligten erstreckt werden (§§ 74, 68
487 R. Geimer, NJW 1972, 2179; Pfaff, ZZP 96 (1983), 343. 488 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 708. 489 Dies ist völkerrechtskonform, Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 241, 276. S. auch Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 180. 490 R. Geimer, NJW 1970, 387; R. Geimer, ZZP 85 (1972) 199.
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ZPO).491 Eine Verurteilung zur Leistung oder ein Feststellungs- oder Gestaltungsurteil gegen den Dritten kann aber – ohne Zuständigkeitsbezug nach §§ 12 ff. ZPO – nicht ergehen. Auch im Bereich der EuGVVO bzw. des LugÜ gilt nichts anderes, da Art. 8 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 2 LugÜ von den deutschen Gerichten nicht anzuwenden ist, Art. 65 EuGVVO bzw. Art. II des Protokolls 1.492 Dagegen kann nach den romanischen Prozessordnungen im anhängigen Verfahren oder in einem hiervon getrennten Verfahren in dem betreffenden Gerichtsstaat ein vollstreckbarer Titel gegen den Dritten erwirkt werden.493 1200 Beispiel: Art. 333 Nouveau Code de procédure civile.494 Die internationale Zuständigkeit für den Hauptprozess gegenüber dem Beklagten (Garantiekläger) reicht nach Art. 8 Nr. 2 EuGVVO n.F. bzw. Art. 6 Nr. 2 LugÜ und nach den romanischen Prozessordnungen aus; im Hinblick auf den Dritten (Garantiebeklagten) muss keine Zuständigkeitsanknüpfung gegeben sein. Dies gilt auch aus der Anerkennungsperspektive, wenn ein im Ausland gegen einen Dritten erlassenes Urteil in Deutschland zur Anerkennung bzw. Vollstreckung ansteht, und zwar nicht nur im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ, sondern auch gem. § 328 I Nr. 1 ZPO.495
491 Z.B. Korf, Die Garantieklage im italienischen Zivilprozessrecht, 2004; Frei, Die Interventions- und Gewährleistungsklagen im Schweizer Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung der Streitverkündung mit Klage nach dem Vorentwurf einer Schweizer Zivilprozessordnung, 2004. 492 Dies ist auch nach Neufassung der EuGVVO eine nach Art. 18 AEUV unzulässige Diskriminierung, R. Geimer, IPRax 2002, 69 (74). Anders Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rz. 90, S. 292. Art. 65 EuGVVO erwähnt die Möglichkeit der Streitverkündung. Die Zulässigkeit der Streitverkündung normiert nicht das Unionsrecht. Art. 65 I EuGVVO verweist auf das jeweilige nationale Recht. Es handelt sich um eine dynamische Verweisung, d.h. der jeweilige nationale Gesetzgeber kann die in Art. 65 I apostrophierten Normen ändern. Die Beschränkungen der Gerichtspflichtigkeit durch Art. 7 ff. EuGVVO gelten nicht für den Streitverkündungsempfänger. Wo dieser wohnt bzw. sich gewöhnlich aufhält, ist irrelevant, sofern die lex fori wie z.B. das deutsche Recht keine Begrenzungen vorsieht. Über die Zulässigkeit der Streitverkündung wird grundsätzlich im deutschen Ausgangsverfahren nicht entschieden. Das OLG Köln v. 3.6.2002 – 11 W 20/02, RIW 2003, 73 = IPRax 2003, 531 (Roth 525) = IHR 2003, 127 = InVo 2003, 40 = IPRspr. 2002 Nr. 170, will allerdings dann eine Ausnahme zulassen, wenn ein besonderes rechtliches Interesse für eine solche Prüfung dargelegt wird. Dabei wird aber übersehen, dass die deutsche Entscheidung für die ausländischen Gerichte nicht bindend ist; denn sie ist keine Sachentscheidung (Art. 2 [a] EuGVVO) und fällt daher nicht unter Art. 36 ff. EuGVVO. Anders möglicherweise der EuGH, falls er seine mit EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11 – Gothaer/Samskip, EuZW 2013, 60 = IPRax 2014, 163 (H. Roth 136) = LMK 2013, 341521 (Hau) begonnene Rechtsprechungslinie fortsetzen sollte, Rz. 1873b. S. auch Rz. 1292. 493 Dies ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden, Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 241. 494 Weitere Nachw. bei Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 381; OLG Düsseldorf v. 27.11.1996 – 3 W 124/96, RIW 1997, 330 = IPRax 1998, 478 (Reinmüller 460) = IPRspr. 1996 Nr. 183. 495 R. Geimer, NJW 1970, 387; R. Geimer, ZZP 85 (1972), 197; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1532. Anders die h.M., z.B. BGH v. 15.10.1969, NJW 1970, 387 (R. Geimer) = IPRspr. 1968–1969 Nr. 229; OLG Karlsruhe v. 10.10.1973,
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XVII. Zeugen Die Frage der internationalen Zuständigkeit wird üblicherweise nur im Hinblick 1201 auf die Parteien und Dritte, gegen die die Ergebnisse des Prozesses wirken (Rz. 1198, 1199), gestellt.496 Doch lässt sich – unabhängig von den völkerrechtlichen Grenzen der Gerichtsgewalt (Rz. 392 ff.) – die Frage nach den internationalrechtlichen Grenzen der Zeugnispflicht stellen. Muss z.B. ein deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Buenos Aires nach Bonn reisen, weil dort vor dem Amtsgericht Hinz und Kunz wegen einer Bagatelle prozessieren?497 §§ 12 ff. ZPO bzw. §§ 98 ff. FamFG sind zugunsten des Zeugen nicht anwendbar; 1202 diese regeln nur die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten (Rz. 1193) bzw. des Klägers (Rz. 1167, 1196, 1568a), nicht jedoch Dritter. Der Zeuge muss grundsätzlich – ohne Rücksicht auf seinen Wohnsitz – vor jedem deutschen Gericht erscheinen, §§ 375 I Nr. 1–3, vor allem Nr. 3, 402, 451 ZPO.498
XVIII. Erlass von Arresten, einstweiligen Verfügungen und einstweiligen Anordnungen 1. Überblick Für den deutschen Arrestprozess ist immer dann eine internationale Zuständig- 1203 keit gegeben, wenn der mit Arrest zu belegende Gegenstand oder die in ihrer persönlichen Freiheit zu beschränkende Person sich im Inland befindet, § 919 ZPO.499 Dies gilt auch im Anwendungsbereich der EuGVVO (Art. 35) und des LugÜ (Art. 31). Die Bundesrepublik Deutschland erachtet sich auch dann für international zuständig, wenn sie für die Hauptsache international unzuständig ist. Ein solcher Fall dürfte im Hinblick auf § 23 ZPO selten sein.500 Das Thema
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NJW 1974, 1059 = IPRspr. 1973 Nr. 155; Mezger in FS Wengler II, 1973, 556; Bernstein in FS Ferid, 1978, 488; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 705. Koch in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 124; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 198 Fn. 6. Bedeutsam ist diese Fragestellung z.B. im Justizkonflikt Europa versus USA, Rz. 436. Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 348, 389; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 209; Schlosser in FS Lorenz, 1991, 509. Zur internationalen Beweiszuständigkeit s. auch Rz. 2382. Abzulehnen daher Stürner, JZ 1981, 524 und Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 273, die zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des deutschen Rechtshilfegerichts, § 8 AusfG HBÜ, auf den Wohnsitz des Zeugen (§§ 12, 13 ZPO) abstellen. Allgemein zu den Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes auf breiter rechtsvergleichender Grundlage Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 122 ff. R. Geimer, AWD 1975, 85; R. Geimer, WM 1975, 912; OLG Karlsruhe v. 26.4.1972, OLGZ 1973, 58 = AWD 1973, 272 = IPRspr. 1972 Nr. 165; OLG Zweibrücken v. 20.4.1988 – 2 UF 37/88, FamRZ 1988, 1073 = IPRspr. 1988 Nr. 208. Enger OLG Koblenz v. 23.1.1990 – 2 U 1795/89, IPRax 1991, 241 (Hanisch 215).
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wird aber aktuell im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ, welche den Vermögensgerichtsstand nicht kennen.501 1204 Bestritten ist, ob nur das Gericht der Hauptsache für „world wide injunctions“ (Rz. 399b) zuständig ist oder ob solche auch die Gerichte der über Art. 35 EuGVVO bzw. Art. 31 LugÜ weiterhin international zuständigen Staaten anordnen dürfen, sich diese also nicht auf die in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu lokalisierenden Rechtsverhältnisse zu beschränken haben.502 2. Justizgewährungsanspruch 1205 Aufgrund des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs hat der Gläubiger zur Sicherung seiner Geldforderung (§ 916 ZPO) ein prozessuales Recht auf Erlass des Arrestes, „wenn zu befürchten ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert würde“, § 917 I ZPO. Dies gilt auch für den persönlichen Sicherheitsarrest (§ 918 ZPO) und vice versa auch für das Recht auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Auch wenn Gläubiger und Schuldner Ausländer sind, besteht dieser Anspruch, und zwar auch dann, wenn für die Hauptsache keine deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist. Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit wäre zudem ein Verstoß gegen Art. 26 des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1.4.1954.503 Vermögen im Inland ist nicht Voraussetzung für den Erlass des Arrestes bzw. der einstweiligen Verfügung; es genügt, dass Vermögenstransfer in Deutschland unmittelbar bevorsteht.504 (Vgl. Rz. 1245). 1206–1210 Einstweilen frei 3. Notwendigkeit der Auslandsvollstreckung als ausreichender Arrestgrund 1211 Nach § 917 II 1 ZPO ist es bereits ein ausreichender Arrestgrund, wenn das Urteil im Ausland (vgl. Rz. 246x) vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.505 Auf eine konkrete Gefährdung der Vollstreckung im Ausland kommt es nicht an. Die Staatsangehörigkeit der Parteien ist ohne Be-
501 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 269, 272. Ausführlich Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 180 m.w.N. 502 Für letzteres Albrecht, Das GVÜ und der einstweilige Rechtsschutz in England und Deutschland, 1991, 119; Albrecht, IPRax 1992, 186. 503 BGBl. II 1958, 577. 504 R. Geimer, RIW 1975, 85; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 275; OLG Frankfurt v. 23.9.1980 – 5 U 110/80, MDR 1981, 61 = RIW 1980, 799 = ZIP 1980, 922 = IPRspr. 1980 Nr. 178; a.A. OLG Frankfurt v. 8.12.1986 – 5 W 42/86, MDR 1987, 412 = RIW 1987, 151 = IPRax 1988, 24 (Schumann 13) = IPRspr. 1986 Nr. 168. 505 Hierzu z.B. OLG Frankfurt/M. v. 29.4.2008 – 8 U 52/03, IPRspr. 2008 Nr. 188; OLG Frankfurt/M. v. 18.8.2009 – 8 U 68/09, IPRspr. 2009 Nr. 259. – Das OLG Hamburg v. 13.9.1995, IPRspr. 1995 Nr. 181 hat diesen Arrestgrund auch für Schiedssprüche bejaht.
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Vierter Teil
lang.506 Der Gesetzgeber wollte mit § 917 II 1 ZPO dem Gläubiger die i.d.R. erschwerte Zwangsvollstreckung eines deutschen Titels im Ausland ersparen. § 917 II 1 ZPO greift aber nicht ein, wenn der Schuldner hinreichendes Ver- 1212 mögen507 im Inland hat und kein Anlass zu der Annahme besteht, dass dieses Vermögen ohne Anordnung des Arrestes dem Zugriff des Gläubigers unrechtmäßig entzogen wird.508 Kein Arrest also z.B. bei Liniendienst mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen, da Gläubiger in ein demnächst einlaufendes Schiff bzw. landendes Flugzeug vollstrecken kann. Dies gilt jedoch nicht, wenn zu befürchten ist, dass der Liniendienst nicht fortgesetzt werden wird, weil der Betreiber in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt.509 Der Arrest ist auch dann abzulehnen, wenn dem Gläubiger Sicherheiten eingeräumt sind, die seinen Anspruch ausreichend decken, selbst dann, wenn sich diese Sicherheiten im Ausland befinden.510 § 917 II 1 ZPO gilt nach h.M. nur, wenn aus einem deutschen Urteil im Ausland 1213 vollstreckt werden müsste, nicht jedoch, wenn es um die Vollstreckung eines ausländischen Titels geht.511 Eine internationale Zuständigkeit zum Erlass von einstweiligen Anordnungen 1214 ist zu bejahen, wenn für das Hauptsacheverfahren eine internationale Zustän-
506 Nachw. bei Dittmar, NJW 1978, 1722; R. Geimer, RIW 1975, 85; Kropholler/Hartmann in FS Drobnig, 1998, 337; Geroldinger in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Kap. 31, 2009, Art. 2 EuGVO Rz. 8; OLG Frankfurt v. 23.9.1980 – 5 U 110/80, MDR 1981, 61 = RIW 1980, 799 (800). Durch die Neufassung des § 917 II ZPO (BGBl. I 2003, 2166) wurde die praktische Handhabung dieser Vorschrift erheblich erschwert, weil die Frage der (Nicht-)Verbürgung der Gegenseitigkeit geprüft werden muss; zu Recht sehr kritisch Mankowski, RIW 2004, 587 (590). 507 Z.B. Grundvermögen, OLG Stuttgart v. 5.1.1996 – 11 UF 223/95, NJW-RR 1996, 775 = FamRZ 1997, 181 = IPRspr. 1996 Nr. 193. 508 RG v. 30.10.1907, RGZ 67, 22 (26); OLG Hamburg v. 6.5.1971 – 6 U 25/71, MDR 1971, 767 = AWD 1973, 101 = IPRspr. 1971 Nr. 153; OLG Bremen v. 23.9.1971 – 2 U 59/71, OLGZ 1972, 247 = VersR 1972, 250 = IPRspr. 1971 Nr. 155; OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150/80, RIW 1982, 669 (670); OLG München v. 15.6.1983 – 25 W 1560/83, MDR 1983, 851 = RIW 1983, 534 (535) = NJW 1983, 2778; AG Hamburg v. 5.3.1987 – 33 C 41/87, VersR 1987, 1236 = IPRspr. 1987 Nr. 169 (einschränkend); OLG Frankfurt v. 14.2.1990 – 5 W 3/90, IPRax 1991, 185 (Ackmann 166); OLG Stuttgart v. 5.1.1996 – 11 UF 223/95, FamRZ 1997, 181 = NJW-RR 1996, 775; OLG Düsseldorf v. 22.3.2007 – 10 W 117/06, OLGR 2007, 569 = IPRspr. 2007 Nr. 194; hierzu Schütze, RIW 2008, 1. 509 OLG Frankfurt v. 14.2.1990 – 5 W 3/90, RIW 1990, 522 = IPRax 1991, 185 (Ackmann 166). 510 BGH v. 22.2.1972 – VI ZR 135/70, NJW 1972, 1044 = AWD 1972, 246 = VersR 1972, 564 = IPRspr. 1972 Nr. 167. 511 LG Duisburg v. 27.11.1987 – 12 O 143/87, RIW 1989, 58 = WM 1988, 1483 = IPRspr. 1987 Nr. 171; OLG München v. 2.12.1987 – 21 U 5425/87, NJW-RR 1988, 1023 = IPRspr. 1987 Nr. 172; OLG Düsseldorf v. 9.3.2006 – 5 U 2/06, NJOZ 2006, 2719 = IPRspr. 2006 Nr. 110; Spellenberg/Leible in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, 300. Zu den mit Art. 35 EuGVVO zusammenhängenden Streitfragen R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 31 EuGVVO Rz. 90 ff., 94; Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 181; Heß, IPRax 2000, 370.
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Internationale Zuständigkeit
digkeit besteht. §§ 49 ff., § 248 FamFG enthalten keine selbständige Zuständigkeitsregelung. Die internationale Zuständigkeit in Familiensachen ist nunmehr abschließend in §§ 98–105 FamFG normiert.
XIX. Prozessvergleiche 1215 Die internationale Zuständigkeit ist Sachurteilsvoraussetzung. Rügt der Beklagte die internationale Unzuständigkeit Deutschlands (§ 39 ZPO, Rz. 1817), dann dürfen die deutschen Gerichte keine Entscheidung in der Sache („on the merits“) treffen. Sie dürfen aber – in einem vor ihnen anhängigen Verfahren – einen Prozessvergleich beurkunden, und zwar auch, soweit dieser auch Materien erfasst, die nicht Streitgegenstand sind.512 (Vgl. auch Rz. 554a, 1854b).
XX. Vollstreckbare Urkunden 1216 Die internationale Zuständigkeit Deutschlands für den hypothetischen Rechtsstreit über den zu titulierenden Anspruch ist auch nicht Voraussetzung für die Errichtung vollstreckbarer Urkunden (§ 794 I Nr. 5 ZPO, Rz. 1854c, 3107). Die Gerichtsstandsnormen passen jedenfalls nicht auf die Tätigkeit des Notars bei der Errichtung vollstreckbarer Urkunden. Denn es gibt keinen Beklagten und anders als das Gericht wird der Notar nicht gegen den Schuldner, schon gar nicht ohne dessen Willen und in dessen Abwesenheit aktiv. Es kommt nur dann zur Beurkundung und damit zur Schaffung eines Vollstreckungstitels, wenn der Schuldner mitwirkt. Insoweit kann man – wenn man unbedingt in den Kategorien des Kompetenzrechts bleiben will – von einer „Unterwerfung“ oder „vorbehaltlosen Einlassung“ sprechen.513
512 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 58 EuGVVO Rz. 1; a.A. Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts Erkenntnisverfahren7, Rz. 628: „Der Richter darf aber den Vergleich nur protokollieren, wenn die inländische Gerichtsbarkeit, die internationale Zuständigkeit und die Zulässigkeit des Rechtsweges gegeben sind.“ Ablehnend auch Renna, Jura 2009, 119; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 58 Brüssel I-VO Rz. 5. 513 R. Geimer, DNotZ 1975, 461 (474); R. Geimer, IPRax 2000, 366 (369); Martiny im Handbuch IZVR III/1, 1984, Kap. I § 4 Rz. 544, S. 252: „Soweit man eine Zuständigkeitsprüfung überhaupt für notwendig hält, dürfte eine Unterwerfung unter die Zuständigkeit des Gerichts vorliegen.“ Ebenso zum Vergleich Heini/Keller/Siehr/Vischer/Volken, IPRG-Kommentar, 1993, Art. 30 Rz. 10: „Mit einer Zuständigkeitseinrede wird der Vollstreckungsbeklagte … wohl selten zu hören sein. Indem er vor dem ausländischen Urteilsgericht Hand geboten hat zu einer gütlichen Streiterledigung, wird er sich auf dessen Zuständigkeit eingelassen haben (Art. 6, Art. 26 Bst. c IPRG), so dass diese Zuständigkeit in der Schweiz anzuerkennen ist.“ Rechtshistorisches bei Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 22.
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XXI. Zwangsvollstreckungsverfahren 1. Überblick Der Schwerpunkt der Diskussion um die richtige internationale Zuständigkeits- 1217 verteilung betrifft das Erkenntnisverfahren. Argumente wie „Schutz des Beklagten vor unzumutbaren Foren“, „Eingrenzung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten“ und das Postulat der vernünftigen Bewertung der Zuständigkeitsinteressen spielen im Stadium der Zwangsvollstreckung keine Rolle.514 §§ 12 ff. ZPO gelten nur für das Erkenntnisverfahren.515 Es wäre z.B. abwegig zu behaupten, grundsätzlich könne der „Exekutionsprozess“ nur im Wohnsitzstaat des Beklagten betrieben werden, außerhalb desselben seien Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nur zulässig, wenn ein besonderer Gerichtsstand nach §§ 20 ff. ZPO gegeben ist. Im Hinblick auf § 23 ZPO hat diese Feststellung allerdings nur theoretische Relevanz; praktisch wichtig ist sie jedoch im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ.516 2. Justizgewährungsanspruch Jeder Gläubiger, der einen im Inland vollstreckbaren Titel hat (zu denen auch 1218 die im Inland für vollstreckbar erklärten ausländischen Titel gehören, ebenso die kraft Unionsrecht ohne Exequatrur per se europaweit vollstreckbaren Titel [Rz. 3175 ff.]), kann verlangen, dass die deutschen Vollstreckungsorgane tätig werden. Dieser Vollstreckungsanspruch ist Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs.517 Dem Gläubiger darf nicht entgegengehalten werden, er könne in einem anderen Staat leichter, besser oder mit mehr Aussicht auf Erfolg vollstrecken.518 Es gibt keine executio non conveniens (Rz. 1081, 1990, 3242).519 Wo der Vollstreckungsschuldner wohnt bzw. sich aufhält, ob er Inländer oder 1219 Ausländer ist, spielt für die internationale Vollstreckungszuständigkeit Deutschlands keine Rolle. Allein maßgebend ist der Antrag des Gläubigers. Genauer: Entscheidend ist, ob dessen Antrag darauf gerichtet ist, in Vermögen zu vollstrecken, das im Inland gelegen ist.520 Beispiel: Beantragt der Gläubiger, eine im Ausland befindliche Mobilie zu pfänden, so ist der Antrag wegen internationaler Unzuständigkeit unzulässig. 514 515 516 517
Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 134. Vgl. innerstaatlich § 160 GVG. Vgl. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 95. Zustimmend z.B. Grothaus, a.a.O., 182; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 285. 518 Zustimmend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 450. 519 Zustimmend z.B. Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 39. 520 S. auch BGH v. 4.10.2005 – VII ZB 9/05, MDR 2006, 414 = NJW-RR 2006, 198 = RIW 2006, 60 = WM 2005, 2274 = IPRax 2007, 128 (Dutta 109) = SchiedsVZ 2006, 47 (Raeschke-Kessler) = IPRspr. 2005 Nr. 118.
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1220 Ohne Bedeutung ist, ob Deutschland für die Durchführung eines Erkenntnisverfahrens international zuständig wäre.521 Auch wenn kein Anknüpfungspunkt nach §§ 12 ff. ZPO gegeben ist, bzw. die an sich bestehende internationale Zuständigkeit Deutschlands (insbes. im Hinblick auf § 23 ZPO) derogiert ist (Rz. 1757), ist die Zwangsvollstreckung im Inland aufgrund des nach § 722 ZPO522 für vollstreckbar erklärten ausländischen Titels auf Antrag des Gläubigers durchzuführen. Denkbar ist aber auch in diesen Fällen Vollstreckung aus (genuin) inländischen Titeln, z.B. aus Vergleich (§ 794 I Nr. 1 ZPO) oder vollstreckbarer Urkunde (§ 794 I Nr. 5 ZPO), ja sogar aus deutschem Sachurteil, das unter Überschreitung der deutschen internationalen Zuständigkeit ergangen ist. Beispiel: Ein deutsches Gericht geht zu Unrecht vom inländischen Wohnsitz/Sitz des Beklagten oder von Unwirksamkeit der Derogation aus. Der Mangel der internationalen Zuständigkeit wird mit Unanfechtbarkeit geheilt (Rz. 1011).523
3. Völkerrechtliche Grenzen 1221 Jeder Staat muss die Souveränität anderer Staaten achten.524 Er darf nicht in deren Hoheitssphäre eingreifen: Hoheitlichen Zwang darf er nur auf seinem Territorium (besser: in seiner Hoheitssphäre) und auf staatsfreiem Gebiet ausüben (Rz. 409). Die Ausübung von Zwang im Inland, um den Vollstreckungsschuldner zu einer Handlung oder Unterlassung im Ausland zu veranlassen, ist aber völkerrechtlich erlaubt (Rz. 400). Die Vollstreckung in (im Inland gelegene) Mobilien und Immobilien wirft keine Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit auf. Komplizierter ist die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für die Pfändung von Forderungen und sonstigen Rechten (Rz. 408, 1224 ff.).525 4. Regelungsbereich des Art. 24 Nr. 5 der VO (EU) Nr. 1215/2012 und des Art. 22 Nr. 5 des Luganer Übereinkommens 1222 Art. 24 Nr. 5 EuGVVO und Art. 22 Nr. 5 LugÜ stipulieren nach h.M.526 im Anwendungsbereich der EuGVVO und der Luganer Konvention (Rz. 1878 ff.) bzw. der genannten Verordnung die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Vollstreckungsstaates für Vollstreckungsakte. Daher kommt es auf die (europaweit einheitliche) Abgrenzung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren an, wenn ein ausländisches Urteil, das im Inland vollstreckt werden soll, et-
521 522 523 524
Zustimmend Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 94. Oder nach den einschlägigen Vertragsbestimmungen (z.B. nach Art. 38 ff. LugÜ). Anders ist es aber bei Fehlen der Gerichtsbarkeit nach h.M., Rz. 216, 528. Nachw. z.B. bei Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 93; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 70. 525 Hierzu auch z.B. Schimrick, a.a.O., 65 ff. 526 Vgl. aber Rz. 1228.
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was anordnet, was in Deutschland bereits Vollstreckungsmaßnahme ist.527 (S. auch Rz. 3235 ff.). 1223
Beispiel: Ein französisches Gericht ordnet die Siegelung eines Bankschließfaches in Deutschland an. Hier liegt keine Zwangsvollstreckung i.e.S. vor. Es bedarf noch des Vollzuges in Deutschland.528 Der auf Art. 4 ff. EuGVVO gegründeten internationalen Zuständigkeit Frankreichs steht Art. 24 Nr. 5 EuGVVO nicht entgegen (vgl. auch Rz. 435 sowie Rz. 3209).
5. Forderungspfändung § 828 II ZPO regelt nicht nur die örtliche, sondern auch die internationale 1224 Zuständigkeit.529 Selbst wenn der Vollstreckungsschuldner im Ausland wohnt, ist Deutschland zuständig, sofern der Drittschuldner im Inland wohnt, § 828 II i.V.m. § 23 Satz 2 ZPO. Wohnt auch der Drittschuldner im Ausland, so fehlt die deutsche internationale Zuständigkeit, es sei denn, eine im Inland belegene Sache haftet als Sicherheit für die Forderung. Dann eröffnet die Belegenheit der Sache eine internationale Zuständigkeit für die internationale Forderungspfändung.530 Fazit: Für die internationale Zuständigkeit Deutschlands zur Forderungspfän- 1225 dung reichen (alternativ) gem. § 828 II ZPO folgende Anknüpfungen aus:531 – inländischer Wohnsitz/Sitz des Vollstreckungsschuldners (genauer: allgemeiner Gerichtsstand), §§ 828 II, 13 ZPO; – Wohnsitz des Drittschuldners im Inland, § 828 II Alt. 2 i.V.m. § 23 Satz 2 ZPO;
527 Allgemein zum Anwendungsbereich des Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ bzw. Art. 24 Nr. 5 EuGVVO Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 373 sowie Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (15). 528 Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht 1992, 198. 529 Hök, MDR 2005, 306 (308); Fuchs/Hau/Thorn, Fälle zum IPR3, 48; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 188. Skeptisch Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 24. 530 Schack, Rpfleger 1980, 176; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 218; R. Geimer, IPRax 1986, 208 Fn. 2; Rosenbaum, Die Zwangsvollstreckung in Forderungen im internationalen Rechtsverkehr, 1930; Marquardt, Das Recht der internationalen Forderungspfändung, 1975; Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 204; BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127; OLG Düsseldorf v. 11.1.1980, IPRspr. 1980 Nr. 177. 531 Hierzu umfassende Nachw. bei Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 200 ff. Lange, a.a.O., 185 ff. will jedoch über das genuine link-Erfordernis (Rz. 374) völkerrechtliche Grenzen setzen. S. auch Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 52. Zur schweiz. Sicht z.B. Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 106.
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– im Inland belegene Sicherheit für die zu pfändende Forderung, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Schuldners oder Drittschuldners; – Belegenheit von Schuldnervermögen im Inland, § 828 II Alt. 2 i.V.m. § 23 Satz 1 ZPO; diese Anknüpfung hält zu Unrecht Karen Ilka Mössle532 – anders als im Erkenntnisverfahren – für völkerrechtswidrig.533 1226 § 828 II ZPO wird durch die EuGVVO bzw. das LugÜ nicht verdrängt.534 (S. auch Rz. 435). Zur internationalen Zuständigkeit zum Erlass von Überweisungsbeschlüssen (§ 835 ZPO; vgl. Rz. 1568b). 1227 Schwierigkeiten ergeben sich bei der Zustellung des deutschen Pfändungsbeschlusses im Ausland. Wohnt der Drittschuldner im Ausland, so scheitert i.d.R. die Forderungspfändung, wenn der Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsstaat die nach § 829 II ZPO notwendige Zustellung des Pfändungsbeschlusses im Wege der Rechtshilfe ablehnt535 und eine Direktzustellung mit der Post (unter Vermeidung des Rechtshilfewegs) nach § 183 I 2 und V ZPO nicht in Betracht kommt. 1228 Man muss klar sehen, dass der durch das Grundgesetz, Art. 47 II EuGrundrechtecharta und Art. 6 I EMRK garantierte Justizgewährungsanspruch (Rz. 250) auf dem Spiel steht (Rz. 2143). Dieser gebietet auch effiziente Zwangsvollstreckung.536 Deshalb ist – sofern man entgegen Rz. 408 völkerrechtliche Bedenken Platz greifen lassen will – auf das Erfordernis der Zustellung an den Drittschuldner ganz zu verzichten, wenn die Zustellung im Ausland scheitert (Rz. 3259).537 Der gute Glaube des Drittschuldners ist – wie bei der Zession – zu schützen. Seine Interessen (Schutz vor Gefahr der doppelten Inanspruchnahme) sind mithin gewahrt. 1229 Lange weigerten sich die deutschen Justizverwaltungen, Zustellungsersuchen ins Ausland weiterzuleiten.538 Damit verstießen sie aber gegen das Recht des
532 Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 106. Enge völkerrechtliche Grenzen postuliert ohne Belege auch BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71, IPRax 1997, 335 (Schack 318) = BB 1997, 1642 = ZIP 1996, 2031 = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194. 533 Ebenso Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 44. 534 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 217; R. Geimer, IPRax 1986, 203. Zustimmend OLG Saarbrücken v. 11.7.2000 – 5 W 369/99, IPRax 2001, 456 (kritisch Jestaedt 438, 440). S. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 137 ff. 535 Kreisgericht Zürich v. 14.3.1961, MDR 1961, 511; Nachw. bei Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 111 Fn. 75 und Mühlhausen, WM 1986, 959 Fn. 18. 536 Zustimmend z.B. Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 285. 537 So auch BGE III 74, 1 ff. für Arbeitslohnpfändung einer Angestellten der Vereinten Nationen. 538 OLG Düsseldorf v. 11.1.1980, IPRspr. 1980 Nr. 177; Gottwald, IPRax 1991, 289 Fn. 56; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 110 Fn. 72.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
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Vollstreckungsgläubigers auf effizienten Rechtsschutz: Sie hätten einen Zustellungsversuch machen müssen und die evtl. Ablehnung dem Ausland überlassen können.539 Vollends unverständlich war der Standpunkt der deutschen Landesjustizverwaltungen, die Weiterleitung des Zustellungsersuchens aus Gegenseitigkeitserwägungen (vgl. für die völkerrechtlichen Verträge Rz. 216a) abzulehnen, wenn der zu ersuchende Staat, wie z.B. Frankreich,540 zur Erledigung des deutschen Ersuchens um Zustellung bereit gewesen war. Erst 1998 haben sie ihre bisherige Praxis aufgegeben und sich der Ansicht ange- 1230 schlossen, dass die Übermittlung der Anzeige der Pfändung an den Drittschuldner keine extraterritoriale Zwangsvollstreckung gegen diesen bedeutet (Rz. 408). Sie leiten nunmehr nach Änderung des § 29 II ZRHO541 deutsche Zustellungsersuchen in das Ausland weiter.542 Auch kommt eine Direktzustellung mit der Post (unter Vermeidung des Rechtshilfewegs) in Betracht, § 183 I 2 und V ZPO.543 Sofern eine Direktzustellung nicht möglich ist und eine Zustellung im Wege der 1231 Rechtshilfe scheitert oder wenn der Wohnsitz/gewöhnliche Aufenthalt des Drittschuldners nicht bekannt ist, war eine öffentliche Zustellung (§ 203 II ZPO a.F.) nach h.M. nicht möglich, weil der Drittschuldner nicht Partei ist.544 Dieser Aspekt schränkte aber nur die (realen) Vollstreckungschancen des Gläubigers, nicht jedoch die internationale Zuständigkeit Deutschlands ein (Rz. 1091, 2142). Denkbar war eine Inlandszustellung, z.B. bei vorübergehendem Aufenthalt in Deutschland (Rz. 2108) oder bei Wohnsitzverlegung ins Inland.545 Nunmehr erlaubt § 185 ZPO n.F. eine öffentliche Zustellung (Rz. 2143).546 Einstweilen frei 1232–1235 6. Klagen im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung a) Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) Bei deutschen Titeln ergibt sich die internationale Zuständigkeit Deutschlands 1236 als Annexzuständigkeit – ebenso wie bei der Abänderungsklage (Rz. 952) – bereits aus dem Umstand, dass das Urteil von einem deutschen Gericht stammt
539 540 541 542
543
544 545 546
Zustimmend Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, 113 Fn. 114. Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 111, Fn. 73. Z.B. BayJMBl. 1999, 48. Umgekehrt lehnen sie auch nach Änderung des § 84 IV 6 ZRHO ausländische Ersuchen um Zustellung an in Deutschland domizilierte Drittschuldner nicht mehr ab, Rz. 2165; hierzu Gottwald, IPRax 1999, 395. Nach wie vor streng am Souveräntitätsverletzungsdogma festhaltend die Schweiz, hierzu Nachw. bei Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 107, 180 Fn. 787, 229. G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 16. Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 99. S. auch Audétat, a.a.O., 225 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
bzw. der (sonstige) Vollstreckungstitel (§ 794 ZPO) in Deutschland entstanden ist.547 § 767 I ZPO eröffnet also eine internationale Zuständigkeit.548 1237 Bei ausländischen Titeln greift die Sonderregelung der §§ 722, 723 ZPO ein. Einwendungen, die nach Abschluss des erststaatlichen Verfahrens entstanden sind, können im Vollstreckbarerklärungsverfahren geltend gemacht werden. Nach dessen Abschluss entstandene Einwendungen können durch Klage nach § 767 ZPO gegen die deutsche Vollstreckbarerklärung eingewandt werden (Rz. 3153). b) Drittwiderspruchsklage 1238 Zuständigkeitsanknüpfungspunkt für die Drittwiderspruchsklage549 ist die Zwangsvollstreckung im Inland, § 771 I ZPO. Wo der Vollstreckungsgläubiger bzw. -schuldner wohnt bzw. sich aufhält, ist ohne Bedeutung für die internationale Zuständigkeit.550 (Vgl. Rz. 1374a). c) Widerspruchsklage im Zusammenhang mit dem Verteilungsverfahren 1239 § 879 ZPO regelt auch die internationale Zuständigkeit Deutschlands. Diese Vorschrift wird durch Art. 24 Nr. 5 EuGVVO bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ verdrängt.551
XXII. Insolvenzverfahren 1240 Deutschland ist in Insolvenzsachen international zuständig, wenn der Gemeinschuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand bzw. den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat, § 3 InsO. Für die Partikularinsolvenz (§ 354 InsO) wird an das im Inland gelegene Vermögen angeknüpft (Rz. 3407, 3454). Vorrangig ist jedoch das Kompetenzregime der EuInsVO.
547 Dies gilt auch bei einem Fehlurteil (Bejahung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands, obwohl keine Zuständigkeitsanknüpfung nach Art. 4 ff. EuGVVO/ Art. 2 ff. LuGÜ bzw. §§ 22 ff. ZPO gegeben war). 548 Unklar BGH v. 5.5.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 = MDR 1982, 835 = FamRZ 1982, 785 = NJW 1982, 1947 = RIW 1982, 592 = IPRax 1983, 33, 35 (Beitzke 16) = IPRspr. 1982 Nr. 136. Umfassende Nachw. bei Halfmeier, Die Vollstreckungsgegenklage im Recht der internationalen Zuständigkeit, IPRax 2007, 381; von Mohrenfels in MüKo.BGB5, Art. 17 EGBGB Rz. 172 ff.; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 315 ff. (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). 549 Hierzu rechtsvergleichend Rotmann, Der Schutz des Dritten in der europäischen Mobiliarzwangsvollstreckung, 2007. 550 Der auf § 143 InsO gestützte Rückgewähranspruch ist als schuldrechtlicher Anspruch kein die Veräußerung hinderndes Recht, BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 = MDR 1990, 622 = RIW 1990, 221 = IPRax 1991, 183 (Flessner/Schulz 162) = IPRspr. 1990 Nr. 164. 551 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 217.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
Vierter Teil
XXIII. Feststellung, dass die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung im Inland anzuerkennen sind 1. Automatische Wirkungserstreckung (= Anerkennung kraft Gesetzes) Die Wirkungen ausländischer Entscheidungen werden – sofern die Anerken- 1241 nungsvoraussetzungen gegeben sind – kraft Gesetzes auf das Inland erstreckt, und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem sie nach dem Recht des Erststaates eintreten. Der Durchführung eines Anerkennungsverfahrens bedarf es nicht (Rz. 2992). 2. Feststellungsklage Ist die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung Gegenstand 1242 einer Feststellungsklage, so fragt es sich, ob das im Inland auftretende Feststellungsbedürfnis ausreicht, um die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu bejahen oder ob ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt i.S. der §§ 12 ff. ZPO gegeben sein muss. Bei letzterer Alternative wären Konstellationen denkbar, in denen nicht (rechtskräftig) festgestellt werden könnte, ob die Wirkungen eines ausländischen Urteils im Inland anzuerkennen sind. Dies kann nicht rechtens sein.552 3. Ausschließlichkeit der internationalen Zuständigkeit? Nur deutsche Gerichte können – aus der Sicht des Inlands – rechtskräftig klären, 1243 ob eine konkrete ausländische Entscheidung in Deutschland anerkannt wird. Stellt z.B. ein österreichisches Gericht fest, dass ein italienisches Urteil nach der EuGVVO in Deutschland anzuerkennen sei, so ist diese österreichische Entscheidung von vornherein nicht anerkennungsfähig.553 Man könnte sagen: Für die Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung im Inland beansprucht Deutschland eine ausschließliche internationale Zuständigkeit. Der eigentliche Grund ist aber, dass zu der Anerkennung nur Entscheidungen fähig sind, die eine Sachentscheidung enthalten. Urteile, die (lediglich) nach dem Verfahrensrecht des Urteilsstaates relevante Punkte klären, fallen von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des jeweils einschlägigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages, der EuGVVO und des § 328 ZPO bzw. des § 108 FamFG (Rz. 2788). Zu diesen „Prozessentscheidungen“ sind auch die vorgenannten Feststellungsurteile zu rechnen, dass ein bestimmtes Urteil in Deutschland anerkennungsfähig sei. Das Gleiche gilt für negative Feststellungsklagen.554
552 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1113. 553 R. Geimer, JZ 1977, 149; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1106. 554 S. unten Rz. 2998 und Rz. 3174a. S. auch Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 182. Anders wohl Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 496.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
4. Anerkennungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts 1244 Ganz i.S. der hier vertretenen Auffassung eröffnet § 107 FamFG für alle denkbaren Hypothesen eine internationale Feststellungszuständigkeit Deutschlands.
XXIV. Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels im Inland 1245 § 722 ZPO verweist auf § 23 ZPO. Dies ist ungenau.555 Das Vorhandensein von Schuldnervermögen im Inland ist Voraussetzung für den tatsächlichen Erfolg der Zwangsvollstreckung im Inland, nicht aber für die Vollstreckbarerklärung im Inland. Der Gläubiger braucht nicht zu warten, bis der Schuldner Vermögen ins Inland verbringt. Für den Antrag des Gläubigers vor diesem Zeitpunkt fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der Gläubiger braucht vielmehr dringend die Möglichkeit einer antizipierten Vollstreckbarerklärung, um keinen Zeitverlust zu erleiden (also sofort vollstrecken zu können), wenn der Schuldner Vermögen im Inland erwirbt (Rz. 945, 1208, 1381, 3127, 3242).556
XXV. Beweiserhebungen außerhalb eines Rechtsstreits 1246 Die internationale Zuständigkeit für Beweissicherungsverfahren557 ergibt sich aus § 486 II und III ZPO, § 11 BinnenschifffahrtsG, § 8 FlößereiG, §§ 375, 376, 410 Nr. 2, 411 II FamFG; sie ist nur unter den Hypothesen der § 486 III ZPO unabhängig von der internationalen Zuständigkeit für die Hauptsache.558 Die internationale Zuständigkeit ist auch dann zu bejahen, wenn ein beauftragter Sachverständiger im Inland wohnt.559 (S. auch Rz. 1756, 1781, 2540). 555 Genauer § 1062 II ZPO für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche. Danach besteht eine internationale Zuständigkeit Deutschlands in allen denkbaren Fällen. Örtlich zuständig ist – wenn sonstige Zuständigkeitsanknüpfungspunkte fehlen – das KG Berlin. 556 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1143. Zustimmend Solomon, Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, AG 2006, 832 (839); Kröll in Wagner/Schlosser, Die Vollstreckung von Schiedssprüchen, 2007, 105, 123; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 168; a.A. Wolff in Handbuch IZVR, Bd. III 2, 1984, Kap. IV, Rz. 145 S. 380; KG v. 10.8.2006 – 20 Sch 7/04, SchiedsVZ 2007, 108 (Escher/Reichert 71, 73) zu § 1062 II ZPO. Zweifelnd Nagel/Gottwald, IZPR7, § 15 Rz. 221. 557 Zur Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands s. Rz. 1781; anders aber OLG Düsseldorf v. 7.7.2008 – I-20 W 152/07, SchiedsVZ 2008, 258 (Schlosser) = IPRspr. 2008 Nr. 197. 558 S. auch die Nachw. bei Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 35 ff. vor § 485. 559 Meilicke, NJW 1984, 2017. Die EuGVVO bzw. das LugÜ 2007 sind insoweit nicht anwendbar, R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 215; vgl. auch Stürner, IPRax 1984, 299. Zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit analog § 36 ZPO RG v. 20.7.1940, RGZ 164, 307 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 625. Weitere Nachw. bei Dörschner, Beweissicherung im Ausland, 2000. Rechtsvergleichendes zur Beweissicherung außerhalb eines Rechtsstreits (discovery before action) Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 279. S. auch zum
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Vierter Teil
XXVI. Freiwillige Gerichtsbarkeit Auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit indiziert nicht nur, sondern 1247 begründet ohne Wenn und Aber – sofern die internationale Zuständigkeit nicht ausdrücklich geregelt ist560 – die örtliche Zuständigkeit die internationale Zuständigkeit.561 Dies ist nunmehr lex scripta, § 105 FamFG. Dies gilt auch in Nachlasssachen. Die Gleichlauftheorie ist nicht geltendes Recht (Rz. 1065).562 Auch in Personenstandssachen ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus 1248 der örtlichen Zuständigkeit.563
XXVII. Tätigkeiten der staatlichen Gerichte auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit 1. Inländische Schiedsverfahren Für die Entscheidungen der staatlichen Gerichte im Rahmen des Schiedsgerichts- 1249 verfahrens muss – soweit es sich um inländische Schiedsgerichte (§§ 1025 I, 1043 I ZPO) handelt – immer ein Forum zur Verfügung gestellt werden, sonst wäre der Justizgewährungsanspruch verletzt. Diesem Postulat wird § 1062 ZPO gerecht. Danach ist für die Entscheidung über Anträge betreffend die Bestellung eines Schiedsrichters (§§ 1034, 1035 ZPO), die Ablehnung eines Schiedsrichters (§ 1037 ZPO) oder die Beendigung des Schiedsrichteramtes (§ 1038 ZPO), die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 ZPO) oder die Entscheidung eines Schiedsgerichts, in der dieses
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englischen Recht Norrenberg, Die Anton Piller Order: ein Beweissicherungsmittel des englischen Zivilprozessrechts, 1998, und bei Heinze, Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480. §§ 98 ff. FamFG (früher §§ 35b, 43a FGG), § 12 VerschG. BayObLG v. 2.4.1982 – BReg.1 Z 5/82, BayObLGZ 1982, 179 = FamRZ 1982, 603; OLG Hamm v. 26.11.1982 – 15 W 24/81, OLGZ 1983, 46 = IPRspr. 1982 Nr. 7; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 212; R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 259. Kritisch zur Gleichlauftheorie in Nachlasssachen Birk in MüKo.BGB4, Art. 25 EGBGB Rz. 317 (die Argumentation sei „brüchig“); Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 25 EGBGB Rz. 49; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 110 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 261; Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 Rz. 797, 811. S. auch Kropholler, IPR6, § 51 VI 2. LG Würzburg v. 4.2.1987 – 3 T 2098/86, StAZ 1987, 140 = IPRspr. 1987 Nr. 3a; BayObLG v. 9.12.1987 – BReg. 3 Z 42/87, FamRZ 1988, 762 = BayObLGZ 1987, 418 = IPRspr. 1987 Nr. 3b; BayObLG v. 19.3.1987 – BReg. 3 Z 139/86, BayObLGZ 1987, 102 = StAZ 1987, 168 = Rpfleger 1987, 370 = IPRspr. 1987 Nr. 5; BayObLG v. 25.6.1987 – BReg. 3 Z 189/86, BayObLGZ 1987, 203 = NJW-RR 1987, 1155 = IPRspr. 1987 Nr. 87; OLG Hamburg v. 17.2.1987 – 2 W 13/86, NJW-RR 1987, 1288 = IPRax 1987, 245 (Henrich 225) = IPRspr. 1987 Nr. 4; OLG Hamm v. 12.11.1987 – 15 WF 57/85, OLGZ 1988, 157 = FamRZ 1988, 314 = IPRspr. 1987 Nr. 93. Vgl. auch Heß/G. Vollkommer, IPRax 1999, 220 (223 Fn. 51).
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Internationale Zuständigkeit
seine Zuständigkeit in einem Zwischenentscheid bejaht hat (§ 1040 ZPO), die Vollziehung, Aufhebung oder Änderung der Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen des Schiedsgerichts (§ 1041 ZPO) die Aufhebung (§ 1059 ZPO) oder die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§§ 1060 ff. ZPO) oder die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung (§ 1061 ZPO) das Oberlandesgericht zuständig, das in der Schiedsvereinbarung bezeichnet ist oder, wenn eine solche Bezeichnung fehlt, in dessen Bezirk der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens liegt.564 1250–1256 Einstweilen frei 2. Ausländische Schiedsverfahren 1257 Für die Unterstützung bei der Beweisaufnahme und für sonstige richterliche Handlungen (§ 1050 ZPO) können die deutschen Gerichte auch dann angerufen werden, wenn das Schiedsverfahren im Ausland stattfindet, § 1025 II ZPO. Innerstaatlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die richterliche Handlung vorzunehmen ist, § 1062 IV ZPO.565 1258 Bei der Bestellung von Schiedsrichtern etc. für ein im Ausland stattfindendes Schiedsverfahren wirken die deutschen Gerichte grundsätzlich nicht mit. Dies gilt auch dann, wenn im Ausland ein Schiedsverfahren nach deutschem Verfahrensrecht durchgeführt wird. Eine internationale Zuständigkeit Deutschlands besteht nur nach Maßgabe von § 1025 II und III ZPO.566 Danach entscheiden deutsche Gerichte auch bei ausländischem Schiedsverfahrensort (§ 1043 I ZPO) vor Bildung des Schiedsgerichts über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 II ZPO). Zuständig gem. § 1062 II ZPO ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk der Antragsgegner seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich Vermögen des Antragsgegners oder der mit der Schiedsklage in Anspruch genommene oder von der Maßnahme betroffene Gegenstand befindet, hilfsweise das Kammergericht in Berlin. Das Gleiche gilt für den einstweiligen Rechtsschutz (§ 1033 ZPO). 1259 Solange der Schiedsort für das Schiedsverfahren noch nicht bestimmt ist, sieht § 1025 III ZPO eine erweiterte internationale Zuständigkeit Deutschlands vor, wenn der Kläger oder der Beklagte seinen Sitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. In Betracht kommt die Mitwirkung bei der Konstituierung des Schiedsgerichts nach Maßgabe von §§ 1034, 1035 ZPO und bei der Entschei-
564 Besonders wichtig war vor dem 1.1.1998 eine internationale Zuständigkeit für die Niederlegung des Schiedsspruchs; denn ein (inländischer) Schiedsspruch wurde nach § 1039 ZPO a.F. grundsätzlich erst wirksam, wenn er beim staatlichen Gericht niedergelegt worden war. Eigenartigerweise war die Niederlegung in den Katalog der Aufgaben des Gerichts nach § 1045 ZPO a.F. nicht aufgenommen; gleichwohl war das Gericht des Verfahrensortes für die Aufbewahrung des Schiedsspruches zuständig, v. Hoffmann, IPRax 1986, 340. Dies ist intertemporär noch relevant. 565 Umfassend Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 381 ff. 566 Epping, Die Schiedsvereinbarung im internationalen privaten Rechtsverkehr nach der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts, 1999, 9.
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Grundlinien der internationalen Zuständigkeitsordnung
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dung über die Befangenheit von Schiedsrichtern (§ 1037 ZPO). Das Gleiche gilt für Maßnahmen bei Untätigkeit der Schiedsrichter (§ 1038 ZPO). Örtlich zuständig ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk der Kläger oder der Beklagte seinen Sitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, § 1062 III ZPO. Hinzu kommt die internationale Zuständigkeit zur Feststellung der Anerken- 1260 nungsfähigkeit und zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche, § 1062 II ZPO. Eine darüber hinausgehende Kompetenz der deutschen Gerichte für Unterstützungs- oder Kontrollmaßnahmen scheitert an § 1026 ZPO.567 Eine vom Völkerrecht garantierte ausschließliche internationale Zuständigkeit 1261 zur Aufhebung seiner „eigenen“ Schiedssprüche568 gibt es nicht (Rz. 222c). Deutschland könnte – ohne gegen das allgemeine Völkergewohnheitsrecht zu verstoßen – ausländische Schiedssprüche aufheben. Doch stellt es hierfür de lege lata keine internationale Zuständigkeit zur Verfügung.569 Auch in anderen Staaten ist die Aufhebung ausländischer Schiedssprüche unüblich.570 Bei ausländischen Schiedssprüchen kommt nur eine Verweigerung der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung in Betracht. Andererseits ist Deutschland aufgrund des völkervertraglich (Art. 6 I EMRK)571 1262 und verfassungsrechtlich abgesicherten Justizgewährungsanspruchs572 verpflichtet, für deutsche Schiedssprüche eine Aufhebungskompetenz zur Verfügung zu stellen.573 Dagegen ergibt sich aus dem VN-Übereinkommen vom 10.6.1958 (Rz. 3702) keine völkervertragliche Pflicht, einen effektiven Aufhebungsmechanismus zu gewährleisten.574
567 Dagegen eröffnete vor dem 1.1.1998 § 1045 I ZPO a.F. eine internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht nur für inländische Schiedsverfahren. 568 Es fehlt schon an völkergewohnheitsrechtlichen Normen über die „Zuordnung“ der Schiedssprüche an einzelne Staaten. So kann es vorkommen, dass ein Schiedsspruch von mehreren Staaten „beansprucht“ wird. Auch kann es vice versa sich ergeben, dass kein Staat einen bestimmten Schiedsspruch seiner Rechtssphäre zuordnet, Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 78. 569 § 1062 ZPO begründet keine internationale Zuständigkeit, weil I Nr. 4 nur auf § 1059 ZPO (nicht auch auf § 1061 ZPO) Bezug nimmt, ebenso im Ergebnis Borges, ZZP 111 (1998), 499. 570 Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 184. 571 Nachw. z.B. bei Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 260 ff. 572 Nachw. z.B. bei Schmehl, a.a.O., 217 ff. 573 R. Geimer, Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung in Schlosser, Integritätsprobleme im Umfeld der Justiz, 1994, 113, 126, 170; Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 190. 574 Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 193.
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9. Kapitel: Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit I. Vorbemerkung 1263 Im Folgenden werden die (wichtigsten) Zuständigkeitsanknüpfungen des autonomen deutschen Rechts dargestellt. Dabei ist der Vorrang von Spezialregelungen, insbes. in völkerrechtlichen Verträgen (Rz. 1887), zu beachten. Am wichtigsten ist aber die europäische Zuständigkeitsordnung der VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012, die – in ihrem Anwendungsbereich (Art. 1, 6 I) – das autonome Recht verdrängt, auch soweit dieses mit dem der genannten Verordnung übereinstimmt. So regelt z.B. Art. 4 I EuGVVO die internationale Zuständigkeit des Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz/Sitz hat (Rz. 1278). 1264 Art. 4 I EuGVVO bzw. Art. 2 I LugÜ ist aber nicht nur eine Kompetenznorm, welche die alte Regel „actor sequitur forum rei“ als europäisches Einheitsrecht stipuliert, sondern zugleich eine Abgrenzungsnorm, welche den Anwendungsbereich der europäischen Zuständigkeitsordnung gegenüber dem nationalen Zuständigkeitsrecht definiert.575 Dies bedeutet: Wohnt der Beklagte in Deutschland, so haben §§ 12 ff. ZPO nur noch Bedeutung für die örtliche Zuständigkeit. Wohnt der Beklagte in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat (genauer im geografischen Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ außerhalb Deutschlands), dann kommen die Zuständigkeitsnormen der EuGVVO (Art. 7 ff.) bzw. des LugÜ (Art. 5 ff.) zum Zuge, Art. 5 I EuGVVO bzw. Art. 3 I LugÜ. Selbst in dem Fall, dass der Beklagte keinen Wohnsitz im geografischen Anwendungsbereich der EuGVVO (Art. 6 I) bzw. des LugÜ (Art. 4 I) hat, kann partiell europäisches Einheitsrecht das autonome deutsche Recht überlagern. Beispiel: Art. 25 EuGVVO n.F. (enger Art. 23 LugÜ: Kläger wohnt im geografischen Anwendungsbereich der EuGVVO, Rz. 1645) oder die Fälle des Art. 18 I, 21 II, 24 EuGVVO (Rz. 1874, 1881). Die EuGVVO bzw. das LugÜ ist auch dann anzuwenden, wenn Gegenstand des Rechtsstreits kein internationaler Sachverhalt ist bzw. wenn kein Zuständigkeitsbezug zu einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat besteht.576 575 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 121. 576 Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ, 1996, 215; R. Geimer, IPrax 1991, 31; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 29 ff., 64; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 32a; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, 141; Peter Huber, Die englische forum non conveniensDoktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994, 190, 203; Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem LugÜ, 1993, 60; Mankowski, ZZP 108 (1995), 275; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 347; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 52, 86. Für eine „universalist pretention of the convention“ auch Duintjer Tebbens in FS Voskuil (T.M.C. Asser Institut, Law and Reality Essays on national and international procedural law in honour of Cornelis Carel Albert Voskuil), 1992, 54. S. auch Kohler in FS Matscher, 1993, 251 sowie unten Rz. 1646. So auch EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C-412/98 – Group Josi Reinsurance Company/Universal General Insurance Company (UGIC), Slg. 2000, I-5925 = NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787 = The European Legal
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II. Wohnsitz- bzw. Aufenthaltszuständigkeit 1. Universalistischer Ansatz der deutschen Zuständigkeitsordnung Der deutschen Zuständigkeitsordnung liegt ein universalistischer Gedanke zu- 1265 grunde. Der Beklagte soll grundsätzlich in dem Staat verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz/Sitz hat. Dieser idealistische Ansatz (Rz. 1138) wird allerdings stark modifiziert durch die Spezialgerichtsstände, insbes. durch den Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO, Rz. 1267, 1352). Der Wohnsitzstaat ist grundsätzlich für alle gegen den Beklagten gerichteten Klagen international zuständig. Man spricht von internationaler Allzuständigkeit (Rz. 1146). 2. Ersatzanknüpfungen bei wohnsitzlosen Personen Nur wenn der Beklagte nirgends auf der Welt einen Wohnsitz (Rz. 1629) hat, 1266 wird an den Aufenthalt im Inland angeknüpft (Vagabundenforum).577 Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nicht erforderlich. Es genügt schlichter Aufenthalt.578 Fehlt auch ein solcher, so wird auf den letzten Wohnsitz im Inland abgestellt, § 16 ZPO. Hat der Beklagte niemals einen Wohnsitz im Inland gehabt und hält er sich auch dort zum maßgeblichen Zeitpunkt (Rz. 1828) nicht auf, dann entfällt eine internationale Zuständigkeit Deutschlands kraft allgemeinen Gerichtsstands (Rz. 1140).579 3. Internationale Zuständigkeit trotz Wohnsitzes im Ausland für vermögensrechtliche Streitigkeiten aufgrund Aufenthalts im Inland Trotz Wohnsitzes des Beklagten im Ausland wird für alle vermögensrechtlichen 1267 Streitigkeiten (Rz. 1634) durch den Gerichtsstand des dauernden Aufenthalts eine internationale Zuständigkeit eröffnet: „Wenn Personen an einem Ort unter Verhältnissen, die ihrer Natur nach auf einen Aufenthalt von längerer Dauer hinweisen, insbes. als Hausgehilfen, Arbeiter, Gewerbehilfen, Studierende, Schüler oder Lehrlinge, sich aufhalten“, so ist gem. § 20 ZPO das Gericht des Aufenthaltsortes für alle Klagen zuständig, die gegen diese Personen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche erhoben werden. Dieses Forum wird entgegen dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte (das Gesinde teilt den Gerichtsstand der Herrschaft)580 so weit ausgelegt, dass praktisch alle Verhältnisse, die auf einen Aufenthalt von längerer Dauer ohne Wohnsitz hinweisen, den Gerichtsstand be-
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Forum 1 (2000), 49 (R. Geimer) = IPRax 2000, 520 (Staudinger 483) = IStR 2000, 574. Anders die bisher h.M., Nachw. bei Heß, IPRax 1992, 359; Schack, ZZP 107 (1994), 289; Samtleben, RabelsZ 59 (1995), 670; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129. OLG Stuttgart v. 10.9.1998 – 8 AR 30/98, Justiz 1999, 16 = IPRspr. 1998 Nr. 155. Insoweit nicht pointiert genug KG v. 22.12.2008 – 2 U 6/07, OLGR 2009, 306. Zur Beweislast LSG Schl.-Holst. v. 26.2.1988 – L 1 Ar 43/87, ZIP 1988, 1140 = IPRspr. 1988 Nr. 227. S. auch LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142: § 16 ZPO treffe auf Schiffsbesatzungen nicht zu, da diese im Zweifel auf ihrem Schiff ihren Wohnsitz hätten. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 131.
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gründen, also z.B. auch Krankenhaus- oder Ferienaufenthalte.581 § 20 ZPO greift auch bei Aufenthalt in einer deutschen Haftanstalt.582 4. Qualifikationsfragen 1268 Da das Zuständigkeitssystem der deutschen ZPO auch auf im Ausland gelegene Anknüpfungen (Wohnsitz des Beklagten) Bezug nimmt, erhebt sich die Frage: Nach welcher Rechtsordnung sind die vom deutschen Recht verwendeten Begriffe zu beurteilen? Wollte man den Wohnsitz des Beklagten immer nur lege fori, also nach deutschem Recht (§§ 7 ff. BGB) bestimmen, so wäre ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt nicht auszuschließen, da die Normen über die Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes, insbes. des abgeleiteten (von Minderjährigen), von Staat zu Staat stark divergieren. Dies gilt auch für die Frage der Zulässigkeit des Doppelwohnsitzes.583 1269 Um Rechtsverweigerung zu vermeiden, ist die Wohnsitzfrage jeweils nach dem Recht des präsumtiven Wohnsitzstaates zu beurteilen: Die Frage, ob der Beklagte im Inland wohnt, ist nach §§ 7 ff. BGB zu beantworten unter Ausschluss des Kollisionsrechts.584 Dabei kommt es auf die Staatsangehörigkeit des Beklagten nicht an. Sein Personalstatut bleibt außer Betracht.585 Ob der Beklagte in einem anderen Staat wohnt, wird nach dessen Recht entschieden.586 1270 Zur Wohnsitzbegründung im Inland erforderlich ist die tatsächliche Niederlassung mit dem Willen, diese zum ständigen Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse zu machen, § 7 I BGB. Dies kann auch für mehrere Orte zutreffen,
581 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 285. Vgl. OLG Koblenz v. 8.2.1979 – 5 U 458/78, NJW 1979, 1309: Gerichtsstand am Ort des Zweithauses, das an Wochenenden und in den Ferien benutzt wird. 582 BGH v. 21.1.1997 – X ARZ 1283/96, MDR 1997, 592 = NJW 1997, 1154; weitere Nachw. bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 20 Rz. 5. 583 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 139, 120. 584 Z.B. BGH v. 5.2.1992 – XII ARZ 4/92, MDR 1992, 487 = FamRZ 1992, 794 = NJW-RR 1992, 579 = IPRspr. 1992 Nr. 127; BGH v. 22.9.1993 – XII ARZ 24/93, NJW-RR 1994, 646 = FamRZ 1994, 299 = IPRspr. 1993 Nr. 199; von Hein, ZZP 116 (2003), 335 (341 m.w.N.). S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 363. 585 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 67; Herbert Roth, IPRax 1989, 281. 586 KG v. 30.3.1936, JW 1936, 3570 (Süß) = Giur.Comp.d.i.p. 7 (1941) 24 Nr. 17 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 550; KG v. 4.1.1937, JW 1937, 821 = Giur.Comp.d.i.p. 8 (1942) 27 Nr. 15 (Satter; Miele) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 559; KG v. 31.3.1941, DR 1941, 1855 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 601; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 142 Fn. 319; Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 363 Fn. 8a; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 38; zu §§ 7 ff. BGB R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 369; de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 112. Anders jedoch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 16 Rz. 2 und aus der Perspektive des § 119 I Nr. 1 lit. b GVG a.F. von Hein, ZZP 116 (2003), 335 (345).
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
§ 7 II BGB; eine Meldebestätigung der Gemeinde („polizeiliche Anmeldung“) ist allenfalls ein (widerlegbares) Indiz.587 Auch der Aufenthalt ist – unter Ausschluss des Kollisionsrechts – nach der lex 1271 fori zu ermitteln. Einen abgeleiteten oder sonst auf gesetzlichen Fiktionen beruhenden gewöhnlichen Aufenthalt gibt es nicht (vgl. Rz. 299). Exkurs: Anerkennungsstadium. Hier ist grundsätzlich das deutsche Recht als 1272 Recht des Anerkennungsstaates heranzuziehen (Rz. 1301). 5. Wohnsitzfiktion des § 15 ZPO und des § 9 BGB Deutsche, die im Staate ihres Wohnsitzes Immunität beanspruchen können, bzw. 1273 die als Angehörige des öffentlichen Dienstes im Ausland beschäftigt sind, behalten den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes. Sofern sie keinen solchen hatten, haben sie ihren allgemeinen Gerichtsstand am Sitz der Bundesregierung, § 15 ZPO (Rz. 783, 1934; vgl. Rz. 1304, 1325). Auf die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit kommt es nicht an.588 Ähnlich wirkt sich im Ergebnis die Wohnsitzfiktion des § 9 BGB aus. Danach haben im Ausland eingesetzte (deutsche) Soldaten ihren Wohnsitz am letzten inländischen Standort. 6. Sitz als Zuständigkeitsanknüpfung bei juristischen Personen und parteifähigen Personenvereinigungen Dem Wohnsitz der natürlichen Person entspricht bei juristischen Personen und 1274 sonstigen parteifähigen Personengesamtheiten und Vermögensmassen deren Sitz. Dieser begründet gem. § 17 ZPO internationale Zuständigkeit.589 Abzustellen ist auf den statutarischen Sitz.590 Liegt dieser im Ausland, so ist gem.
587 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DZWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b; FG BW v. 3.5.1985, RIW 1985, 910. Zum Doppelwohnsitz während Umzugs: BayObLG v. 17.12.1984 – AllgReg.94/84, FamRZ 1985, 533 = BayObLGZ 1984, 289; zur Aufhebung des Wohnsitzes durch Vormund: BayObLG v. 30.3.1984 – BReg.1 Z 9/84, FamRZ 1984, 886 = BayObLGZ 1984, 95. Mit Trennung der Eltern erlangt ein Kind einen von beiden Eltern abgeleiteten Doppelwohnsitz, BGH v. 30.11.1983 – IVb ARZ 50/83, NJW 1984, 971 = MDR 1984, 473 = FamRZ 1984, 162 = IPRspr. 1983 Nr. 88. 588 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 442. 589 Im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ II genügt es, wenn einer der in Art. 60 EuGVVO/LugÜ II aufgezählten Anknüpfungspunkte im Gerichtsstaat gelegen ist. Näher hierzu Ringe, Überseering im Verfahrensrecht, IPRax 2007, 388 (390). Im Hinblick auf den weit gefassten Art. 60 EuGVVO ist der verbleibende Anwendungsbereich des § 17 ZPO klein; näher Thole, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen gegen Scheinauslandsgesellschaften, IPRax 2007, 519 (523). 590 OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen); Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 131. S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 364 ff.
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Internationale Zuständigkeit
§ 17 I 2 ZPO591 Deutschland gleichwohl international zuständig,592 wenn die Verwaltung im Inland geführt wird, also der Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung im Inland liegt (Rz. 1302). Dies ist allerdings nicht unbestritten.593 1275 Spaltgesellschaften (Rz. 1039a) haben nicht automatisch ex lege einen Sitz in Deutschland; sie müssen vielmehr einen solchen begründen.594 Tun sie es nicht, so können sie gleichwohl in Deutschland verklagt werden. Will man dieses Ergebnis nicht auf § 23 ZPO stützen, so muss man aus dem Gesichtspunkt der Notzuständigkeit (Rz. 1024) eine Zuständigkeit auftun. Hat die Spaltgesellschaft keine organschaftlichen Vertreter, hat das Prozessgericht gem. § 57 ZPO einen Prozessvertreter zu bestellen. 1276–1277 Einstweilen frei 7. Vorrang der Brüssel I-Verordnung und des Luganer Übereinkommens 1278 Hat der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz in Deutschland, so ist Grundlage für die internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht mehr das autonome deutsche Recht, sondern Art. 4 I EuGVVO, soweit der sachliche Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. der Luganer Konvention reicht.595 Die Wohnsitzfiktion des § 15 ZPO ist zu beachten, Art. 62 EuGVVO bzw. Art. 59 LugÜ. Im Übrigen gelten §§ 12 ff. ZPO nur mehr für die örtliche Zuständigkeit. Bestritten ist dies für die Fälle ohne jede Auslandsbeziehung und die Fälle ohne Beziehung zu einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat.596 (S. auch Rz. 1264). 8. Statusverfahren 1279 In Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen tritt an die Stelle des Wohnsitzes – neben der Staatsangehörigkeitsanknüpfung (Rz. 1323) – der gewöhnliche Aufenthalt (§§ 98 I Nr. 2–4, 99 I Nr. 2, 103 I Nr. 2 FamFG) mit der Besonderheit, dass nicht nur der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners bzw. Beklagten, sondern auch der des Antragsstellers bzw. Klägers internationale Zuständigkeit eröffnet (Rz. 1158).
591 Mankowski, a.a.O., Rz. 374 ff.; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet, 2004, 19 stellt auf § 17 I 1 ZPO ab, weil nach den derzeit noch geltenden Regeln des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts (Rz. 2208 ff.) der (tatsächliche) Verwaltungssitz maßgeblich ist. 592 Nicht ganz deckungsgleich Art. 63 EuGVVO n.F. und Art. 60 LugÜ. 593 Wie hier Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 17 Rz. 16. A.A. von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 42; Schack, IZVR6, Rz. 281. 594 BGH v. 30.9.1985 – II ARZ 5/85, AG 1986, 45 = WM 1985, 1415 = IPRspr. 1985 Nr. 215; BayObLG v. 24.5.1985 – BReg. 3 Z 60/85, AG 1985, 250 = RIW 1985, 811 = IPRspr. 1985 Nr. 213. 595 Aus deutscher Sicht hat Art. 4 I EuGVVO Vorrang gegenüber Art. 2 I LugÜ, arg. Art. 64 II LugÜ (Rz. 1886). 596 Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 101, 111.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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9. Streitgegenstandsferne der Wohnsitzzuständigkeit Der Wohnsitz-/Sitzgerichtsstand kann genauso wenig Bezug zum Streitgegen- 1280 stand haben wie der Vermögensgerichtsstand. Die Argumente, die insoweit von der h.M. gegen § 23 ZPO geltend gemacht werden, gelten im gleichen Ausmaß für den Wohnsitzgerichtsstand (Rz. 1354). Beispiele: 1281 1. Verkehrsunfall zwischen einem Türken und einem Griechen in Serbien. Der Beklagte wohnt in Kiel. 2. Zwei Jordanier streiten über die Durchführung/Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein ausländisches Grundstück.597 3. Eine Ausländerin (islamischen Glaubens)598 verlangt von ihrem (ausländischen) Ehemann Zahlung der Morgengabe.599 4. Ein Schweizer Trachtenhuthersteller verklagt seinen österreichischen Konkurrenten an dessen Wohnsitz in München wegen unlauteren Wettbewerbs in den USA (Rz. 1517). 5. Streit um Bauherrenprojekt in Spanien.600 6. Unlauterer Wettbewerb in Spanien.601 7. Streit unter türkischen Angehörigen der Touristikbranche über Provisionsgarantie für Umsätze in türkischen Basaren.602
10. Einschränkung der Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates durch ausschließliche internationale Zuständigkeiten fremder Staaten? Die h.M. bejaht ausschließliche internationale Zuständigkeiten ausländischer 1282 Staaten für bestimmte Streitgegenstände, so z.B. für Immobiliar- und Wohnraummietstreitigkeiten i.S. von §§ 23, 29a ZPO, § 43 WEG (vgl. Rz. 926) und für Bestandsvernichtungsverfahren hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte (Rz. 1002). Die Konsequenz ist eine Zurückdrängung der Allzuständigkeit des Wohnsitz-/ Sitzstaates.
597 OLG Hamm v. 15.4.1985, IPRspr. 1985 Nr. 28. 598 Zu der Variante, dass Ehefrau mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, BGH v. 9.12.2009 – XII ZR 107/08, FamRZ 2010, 533 (Henrich) = MDR 2010, 389 = NotBZ 2010, 260 (Bierhenke) = FamRBint 2010, 25 (Mörsdorf-Schulte). 599 OLG München v. 26.11.1985, IPRspr. 1985 Nr. 67; OLG Hamburg v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02, FamRZ 2004, 459 = IPRspr. 2003 Nr. 67; OLG Köln v. 23.3.2006 – 21 UF 144/05, NJW-RR 2007, 154 = FamRZ 2006, 1380 = IPRspr. 2006 Nr. 47; OLG Stuttgart v. 29.1.2008 – 17 UF 233/07, FamRZ 2008, 1756 = IPRspr. 2008 Nr. 54; OLG Stuttgart v. 3.11.2008 – 17 UF 155/08, NJW-RR 2009, 585 = FamRZ 2009, 1580 = IPRspr. 2008 Nr. 60. S. auch OLG Bamberg v. 24.3.2010 – 7 UF 275/08, IPRspr. 2010 Nr. 89. Allgemeine Nachw. bei Koch, Die Anwendung islamischen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht im IPR der EU-Mitgliedstaaten, 2012. 600 BGH v. 1.10.1987 – III ZR 134/86, MDR 1988, 207 = NJW 1988, 1468 = RIW 1988, 58 = IPRspr. 1987 Nr. 28. 601 OLG Stuttgart v. 18.5.1990 – 2 U 191/89, RIW 1991, 588; BGH v. 15.11.1990 – I ZR 22/89, MDR 1991, 856 = IPRax 1992, 45 (Schack 24): sog. „Gran Canaria-Fälle“. 602 BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, MDR 1996, 105 = NJW 1996, 54 (Mäsch 1453) = EWiR 1995, 378 (R. Geimer) = IPRspr. 1995 Nr. 1.
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Internationale Zuständigkeit
1283 Für die in § 893 ZPO erwähnte Klage (Übergang vom Erfüllungsanspruch auf Schadensersatz) besteht trotz § 802 ZPO keine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates. Die deutsche internationale Zuständigkeit gem. §§ 12 ff. ZPO wird also (durch § 893 II ZPO) nicht verdrängt, auch wenn die Verurteilung zur Leistung durch ein ausländisches Gericht erfolgte (Rz. 877).603 1284 Ist im Ausland ein Statusprozess anhängig, so bleibt die auf den inländischen Wohnsitz des Beklagten604 gestützte internationale Zuständigkeit Deutschlands für den Unterhaltsprozess bestehen. Aus deutscher Sicht ist der ausländische Staat, vor dessen Gericht das Statusverfahren (Scheidungs- bzw. Vaterschaftsfeststellungsprozess) anhängig ist, nicht ausschließlich international zuständig, § 109 I Nr. 1 i.V.m. § 105 FamFG.605 1285–1291 Einstweilen frei 11. Keine Erweiterung der internationalen Wohnsitzzuständigkeit bei passiver Streitgenossenschaft 1292 Werden mehrere Personen zusammen verklagt, so reicht es nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 1 LugÜ aus, wenn eine von ihnen ihren Wohnsitz im Staat des angerufenen Gerichts hat und die Klagen konnex sind. Die passive Streitgenossenschaft begründet die internationale Zuständigkeit auch in Richtung gegen die anderen Beklagten.606 Eine solche Regel kennt de lege lata die ZPO nicht (Ausnahmen: Rz. 1162, 1578). De lege ferenda ist folgendes in Betracht zu ziehen: Auch Art. 6 Abs. 1 EuGVVO n.F. ordnet nicht die universelle Anwendung der Streitgenossenzuständigkeit (Art. 8 Nr. 1 n.F.) an. Auch hatte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO a.F. eine analoge Anwendung auf Personen mit Wohnsitz/Sitz außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung abgelehnt.607 Da – wie vorstehend dargelegt – das geltende autonome deutsche Zuständigkeitsrecht keinen allgemeinen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft kennt, sind die lege lata Beklagte mit Wohnsitz bzw. Sitz außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der EuGVVO und des LugÜ zuständigkeitsrechtlich privi-
603 So wohl auch Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 389 (393); R. Geimer, EWiR 1985, 586. 604 Seit 1.9.2009 ist an die Stelle des Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt getreten, §§ 105, 232 III 1 FamFG. 605 Das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht wird aber weitgehend durch Art. 3 ff. EuEheVO und Art. 3 ff. EuUntehVO verdrängt. 606 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 6 EuGVVO Rz. 3; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 2005; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014. 607 EuGH v. 11.4.2013 – Land Berlin/Sapir, Buschet et alii. NJW 2013, 1661 = IPRax 2014, 167 (Lund 140) = LMK 2013, 347220 (Wais). A.A. R. Geimer, WM 1979, 350, 354 und R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Art. 2 Rz. 155, Art. 6 Rz. 4 ff.; OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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legiert.608 Der deutsche Gesetzgeber sollte diese Ungleichbehandlung baldmöglichst beseitigen.609 12. Derogierbarkeit Die Wohnsitz-/Sitzzuständigkeit kann – ebenso wie die Aufenthaltszuständigkeit 1293 (§§ 16, 20 ZPO) – durch Zuständigkeitsvereinbarungen derogiert werden. Nichtkaufleute haben jedoch – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO (Art. 6 I, 25) bzw. des LugÜ (Art. 4 I, 23) – die Schranken des § 38 II und III ZPO zu beachten (Rz. 1607 ff.). In Verbraucher- und Versicherungssachen ergeben sich Beschränkungen aus 1294 § 26 II FernUSG, § 29c ZPO,610 § 215 III VVG, die aber durch die EuGVVO und das LugÜ verdrängt sind, soweit nicht diese wiederum auf das nationale Recht verweisen. Dies ist aber nur hinsichtlich Prorogationen in Art. 15 Nr. 3 bzw. in Art. 19 Nr. 3 EuGVVO und in Art. 13 Nr. 3 bzw. in Art. 17 Nr. 3 LugÜ geschehen.611 Dagegen ist bestritten, ob die auf §§ 98 I Nr. 2, 99 I Nr. 2612, 103 I Nr. 2 FamFG 1295 gegründete Aufenthaltszuständigkeit derogierbar ist (Rz. 1634, 1773, 1966). 13. Klägergerichtsstände Die Zuständigkeitsanknüpfung der §§ 12 ff. ZPO stellt auf ein Tatbestandsmerk- 1296 mal ab, das in der Sphäre des Beklagten liegt. Kompetenzrechtlicher Bezugspunkt ist der Wohnsitz/Sitz des Beklagten. Der Wohnsitz/Sitz des Klägers ist ohne Belang. Davon zu unterscheiden sind die wenigen Fälle, in denen es – weil man einen bestimmten Personenkreis für schutzbedürftig hält – auf den Wohnsitz (genauer: den allgemeinen Gerichtsstand, § 26 I FernUSG) bzw. ersatzweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt (§ 29c ZPO) des Klägers abstellt. Es handelt sich dabei um Spezialgerichtsstände für bestimmte Materien (Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG; Haustürgeschäfte, § 312b BGB). Darin liegt ein eminenter Unterschied zur Allzuständigkeit des forum rei. Jedoch ist noch eine Klarstellung erforderlich: Die zitierten Vorschriften stellen 1297 tatbestandsmäßig nicht auf Merkmale des Klägers ab, sondern knüpfen – ohne Rücksicht auf die Relativität der Parteirolle – an den Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt/allgemeinen Gerichtsstand des typischerweise Schwächeren an.613 608 S. auch Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., 2013, § 93 JN Rz. 14/3. 609 Geimer in FS Gottwald, 2014, 175, 177. 610 Nachw. bei Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 190. 611 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 69. 612 Früher § 606a I 1 Nr. 2–4, § 640a II 1 Nr. 2 und § 661 III ZPO a.F. 613 Anders aber § 23a ZPO a.F.(Rz. 1542), der auf den allgemeinen Gerichtsstand des Klägers abstellt, also nicht auf Anknüpfungen in der Person des Unterhaltsberechtigten (wie z.B. Art. 4 EuUnterhVO; Art. 5 Nr. 2 EuGVÜa.F./LugÜ). Das Gleiche gilt für §§ 105, 232 III 2 Nr. 3 FamFG; allerdings kommt es seit 1.9.2009 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers an.
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Internationale Zuständigkeit
Deshalb ändert sich nichts an der actor sequitur forum rei-Regel, wenn der Gegner den Schwächeren verklagt (Rz. 1157). 1298 Es ist deshalb ungenau, in dem hier erörterten Zusammenhang von Klägergerichtsständen zu sprechen. Korrekter wäre herauszustellen, dass das Abstellen auf Merkmale in der Person der typischerweise schwächeren Partei im Kompetenzrecht im Ergebnis zu einem forum actoris führt, wenn diese ihren Vertragspartner verklagt. 1298a Anders ist dagegen die Zuständigkeitslogik des § 30a ZPO;614 danach wird für Klagen wegen Ansprüchen aus Bergung gegen eine Person, die im Inland keinen Gerichtsstand hat, eine internationale Zuständigkeit eröffnet, wenn der Kläger in Deutschland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.615 1298b Wieder anders werden die fora actoris im Ehe-, Kindschafts-, Abstammungsund Lebenspartnerschaftssachen allein aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers/Antragstellers im Gerichtsstaat begründet. Hier steht der Gedanke der Zuständigkeitsgleichheit im Vordergrund.616 14. Erbrechtliche Streitigkeiten 1299 § 27 ZPO617 eröffnet für erbrechtliche Streitigkeiten618 eine konkurrierende619 internationale Zuständigkeit am letzten Wohnsitz des Erblassers, genauer am letzten allgemeinen Gerichtsstand (nur von Bedeutung für wohnsitzlose Erblas614 Eingefügt als § 30 ZPO durch Art. 4 des Dritten Seerechtsänderungsgesetzes v. 16.5.2001, BGBl. I 2001, 898, 902. Umnummeriert durch Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts v. 20.4.2013, BGBl. I 2013, 831. 615 Hierzu z.B. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 30a Rz. 1. 616 Zur „Zuständigkeitsgleichheit“ im Eheprozess (§§ 121 ff. FamFG; früher §§ 606 ff. ZPO) Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 Rz. 24: „Derjenige, der die Initiative ergreift bzw. ergreifen muss, sollte die Klage nicht auf unbefristete Zeit dem anderen hinterher tragen müssen. Gründe der Zuständigkeitsgleichheit tragen durchaus, dass der einseitige gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers grundsätzlich ebenfalls einen Gerichtsstand begründet. Der Sitzengebliebene verdient nicht auf alle Zeit einen Vorrang“. 617 Angesichts des universellen Geltungsanspruchs der Art. 4 ff. EuErbVO (keine Restzuständigkeiten wie nach Art. 6 I EuGVVO n.F.) ist der Anwendungsbereich des § 27 ZPO erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar marginalisiert. 618 Zu ihnen gehören auch Klagen auf vorzeitigen Erbausgleich nach dem früheren § 1934d BGB LG Hamburg v. 28.10.1993 – 302 O 140/93, FamRZ 1994, 403 = IPRspr. 1994 Nr. 135a; LG Hamburg v. 28.4.1994 – 302 O 140/93, NJW-RR 1994, 1098 = FamRZ 1994, 1490 = IPRspr. 1994 Nr. 135b. Zur Erweiterung des Gerichtsstands der Erbschaft durch § 28 ZPO OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. 619 Anders § 15 des dt.-türk. Nachlassabkommens (Anlage zu Art. 20 des dt.-türk. Konsularvertrages v. 28.5.1929, RGBl. II 1930, 758): Danach besteht eine ausschließliche internationale Zuständigkeit im Heimatstaat des Erblassers mit Ausnahme des unbeweglichen Nachlasses. Hier gilt die forum rei sitae-Regel. Kritisch hierzu Dörner, ZEV 1996, 90 (96). S. auch LG München v. 26.9.2006 – 6 O 15963/05, FamRZ 2007, 1250 (Bauer) = IPRspr. 2006 Nr. 134. Soweit die Türkei im Hinblick auf Art. 30 des türkischen IPR-Gesetzes (abgedruckt in IPRax 1982, 257) keine Justiz gewährt, ist im Wege der Notzuständigkeit wieder auf § 27 ZPO zurückzugreifen.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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ser).620 Unberührt bleibt jedoch die Möglichkeit, nach der actor sequitur forum rei-Regel am Wohnsitz des Beklagten zu klagen. 15. Maßgeblicher Zeitpunkt Es reicht, wenn die Zuständigkeitstatsachen erst während des Rechtsstreits ein- 1300 getreten sind (Rz. 1828). 16. Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit Der Wohnsitzbegriff ist nach deutschem Recht zu qualifizieren.621
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Auch die Sitzbestimmung nach §§ 328 I Nr. 1, 17 ZPO richtet sich nach deut- 1302 schem Recht. Sitz ist der statutarische Sitz, aber auch der Ort, an dem die Verwaltung geführt wird (Rz. 1274). International zuständig ist also nicht nur der Staat, in dem die juristische Person registriert ist, sondern auch derjenige, in dem tatsächlich die Verwaltung geführt wird, § 17 I 2 ZPO.622 Anders ist es nach Art. 63 EuGVVO bzw. Art. 60 LugÜ. Hier ist das Recht des 1303 Entscheidungsstaates maßgebend, sofern überhaupt – ausnahmsweise623 – im Anerkennungs- bzw. Klauselerteilungsstadium die internationale Zuständigkeit des Erststaates zu prüfen ist und nicht Unionsrecht (Art. 63 EuGVVO) zum Zuge kommt.624 Auch der Gerichtsstand des § 15 ZPO, der an den letzten Wohnsitz im Erststaat 1304 anknüpft, ist spiegelbildlich anzuwenden: Angehörige des Erststaates, die das Recht der Exterritorialität genießen oder als Angehörige des öffentlichen Dienstes außerhalb des Erststaates beschäftigt sind, können in ihrem letzten Wohnsitzstaat verklagt werden. Beispiel: 1305 Ein in Moskau wohnhafter und dort akkreditierter US-amerikanischer Diplomat (mit USamerikanischer Staatsangehörigkeit, Rz. 1273) wurde durch ein US-Bundesgericht verurteilt. Die internationale Zuständigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika (Rz. 2896) ist anzuerkennen.625
§ 16 ZPO ist ebenfalls spiegelbildlich anzuwenden. Hat der Beklagte nirgends 1306 auf der Welt einen Wohnsitz, dann wird der allgemeine Gerichtsstand der wohnsitzlosen Person in ihrem Aufenthaltsstaat lokalisiert. Die internationale Zustän-
620 Zum Anwendungsbereich des § 27 ZPO Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht, 2007, Art. 25 EGBGB Rz. 778. S. auch Gutachten Heidelberg v. 27.8.2007 IPRG 2007/2008 Nr. 35 Rz. 3. Rechtshistorisches bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 533. 621 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 131; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1518. 622 Anders Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 670. 623 Art. 45 I lit. e EuGVVO bzw. Art. 35 I, 67 II (b) LugÜ. 624 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 60 EuGVVO Rz. 16 (bestr.). Ähnlich zum EuGVÜ Martiny, a.a.O., Kap. I Rz. 676. 625 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 668.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
digkeit des Erststaates ist zu bejahen, wenn der Beklagte im Erststaat zwar keinen Wohnsitz hat, sich aber dort aufhält. Voraussetzung ist, dass er aus deutscher Sicht (Rz. 1268) nirgendwo einen Wohnsitz hatte. Ist auch ein inländischer Aufenthalt nicht bekannt, so knüpft § 16 ZPO an den letzten inländischen Wohnsitz an. Dies bedeutet aus der Perspektive des § 328 I Nr. 1 ZPO: Ist der Beklagte wohnsitzlos und hat er auch keinen Aufenthalt im Erststaat, so wird die internationale Zuständigkeit gleichwohl dort begründet, wenn er dort seinen letzten Wohnsitz hatte.626 1307 Eine internationale Zuständigkeit des Erststaates wegen vermögensrechtlicher Ansprüche ist in spiegelbildlicher Anwendung des § 20 ZPO auch dann anzuerkennen, wenn sich der Beklagte, ohne im Gerichtsstaat einen Wohnsitz begründet zu haben, dort während einer längeren Zeitspanne aufgehalten hat bzw. aufhält.627 Schließlich tragen auch die § 27 ZPO628 und § 232 I 2 Nr. 3 FamFG internationale Anerkennungszuständigkeit.629 1308 Für Klagen aus Fernunterrichtsverträgen wird an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Käufers oder Teilnehmers angeknüpft, § 26 I FernUSG.630 Diese Zuständigkeitsanknüpfung ist nach h.M. international ausschließlich, mit der Folge, dass Urteile aus anderen Staaten nicht anerkannt werden können.631 Nach der hier vertretenen Meinung ist jedoch nach der Parteirolle zu differenzieren: Dem Angehörigen der typischerweise schwächeren Personengruppe stehen die Gerichtsstände der §§ 13 ff. ZPO neben dem Forum an seinem Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt zur Verfügung. Denn der Sinn der vorgenannten Normen (Schutz des Verbrauchers etc.) würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn der Gegner (Verkäufer etc.) die vorgenannten Normen dazu benutzen wollte, seine Gerichtspflichtigkeit einzuschränken. 1309 Beispiel: Verklagt der Kunde aus Regensburg seinen Vertragspartner in Odessa und erhält er dort ein obsiegendes Urteil, so kann der Beklagte im Anerkennungsstadium nicht einwenden, die Ukraine sei – obwohl sein Wohnsitz- bzw. Sitzstaat und damit nach der actor sequitur forum rei-Regel Urgrund und Mutterboden jeder Jurisdiktion (Rz. 1138) – nach § 328 I Nr. 1 ZPO i.V.m. § 26 I FernUSG international unzuständig gewesen.
1310 Für die Gerichtspflichtigkeit des Vertragspartners des Kunden bzw. des Teilnehmers kommen via § 328 I Nr. 1 ZPO alle Zuständigkeitsanknüpfungen der §§ 12 ff. ZPO (Zweigniederlassung, Erfüllungs-, Deliktort etc.) in Betracht. An-
626 Martiny, a.a.O., Kap. I Rz. 669. 627 Martiny, a.a.O., Kap. I Rz. 671. 628 Das Anerkennungsregime der EuErbVO hat Vorrang. Eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedsstaates (Art. 3 I [e]) findet gemäß Art. 40 im Anerkennungsstadium nicht statt. Auch ein Rekurs auf den anerkennungsrechtlichen ordre public (Art. 40 [a]) ist insoweit ausgeschlossen. 629 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1522, 1537. 630 BGBl. I 2000, 1670. 631 Martiny, a.a.O., Kap. I Rz. 684; de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 106; vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 29c Rz. 15.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
ders ist es jedoch, wenn der Angehörige des geschützten Personenkreises außerhalb seines Wohnsitzstaates verklagt wurde, es sei denn, es liegt eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung vor. Jedoch ist hervorzuheben, dass nach der hier vertretenen Auffassung die inter- 1311 nationale Unzuständigkeit des Urteilsstaates immer nur auf Rüge des Beklagten des Erstprozesses zur Verweigerung der Anerkennung führt (Rz. 2903).632 Beispiel: 1312 Hat der Vertragspartner – ohne eine aus deutscher Sicht zulässige und wirksame Zuständigkeitsvereinbarung – den Kunden außerhalb dessen Wohnsitzstaates verklagt, hat aber das ausländische Gericht die Klage als unbegründet abgewiesen, so hat der Beklagte (Kunde) i.d.R. ein großes Interesse, dass die res iudicata-Wirkung im Inland anerkannt wird. Das Gericht darf nicht etwa von Amts wegen oder auf Antrag des Klägers (= Verkäufers) wegen der internationalen Unzuständigkeit des Erststaates die Anerkennung verweigern und so dem (im Ausland erfolglosen) Kläger den Weg zu einem zweiten (vielleicht aussichtsreicheren) Prozess gegen den Kunden in dessen Wohnsitzstaat ebnen.
Umgekehrt kann auch der Konsument die internationale Unzuständigkeit des 1313 Urteilsstaates nicht rügen, wenn er der Kläger war.633 Hinzu kommt, dass im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ der Vertragspartner des geschützten Personenkreises – auch als Beklagter – kein Rügerecht hat. Einstweilen frei 1314–1318 17. Faires Verfahren vor den Gerichten im Wohnsitzstaat nur einer Partei Wohnt im Wohnsitzstaat nur eine Partei, taucht in der Judikatur immer wieder 1319 die Vorstellung auf, es sei an sich das Beste, wenn jede Partei die Möglichkeit hätte, vor den Gerichten ihres Wohnsitzstaates zu klagen bzw. sich verteidigen zu müssen/können; denn „durch die Inanspruchnahme eines ausländischen Prozessbevollmächtigten und die Anwendbarkeit ausländischen Prozessrechts“ wäre für den Inländer „die Rechtsverfolgung wesentlich und damit unzumutbar erschwert“.634 Das ist aber nicht überzeugend. Bei Wohnsitz der Parteien in verschiedenen Staaten ist es von vorneherein unmöglich, für beide Parteien eine gleich nahe Beziehung zum Gerichtsstaat herzustellen. Bei der actor sequitur forum rei-Regel hat der Beklagte den „Vorteil des Heimspiels“, bei der Anknüpfung an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers dieser. Soweit – unausgesprochen – befürchtet wird, die Gerichte des Wohnsitzstaates der einen Partei würden bzw. könnten die notwendige Unparteilichkeit nicht aufbringen, ist dies prinzipiell irrelevant (Rz. 868i).
632 Anders die h.M., z.B. BayObLG v. 19.9.1991 – BReg. 3 Z 113/91, NJW-RR 1992, 514 = FamRZ 1992, 584 (586) = StAZ 1992, 176 = IPRspr. 1991 Nr. 217; Nachw. auch bei Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel 1990, 102 und Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Rz. 786. 633 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1/2, 1983/1984, 337, 342, 1047, 1553, II 113 Fn. 3, 115. 634 Z.B. BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286) = IPRspr. 1985 Nr. 137.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
18. Zwangsvollstreckung 1320 Die Regel actor sequitur forum rei gilt nicht im Stadium der Zwangsvollstreckung, auch nicht in der Modifikation, dass der Gläubiger zuerst die Zwangsvollstreckung im Wohnsitzstaat des Schuldners versuchen müsse. Der Gläubiger darf vielmehr nach seiner Wahl – ohne eine Reihenfolge bestimmter „Zwangsvollstreckungsanknüpfungen“ einhalten zu müssen – überall dort vollstrecken, wo er Vermögen seines Schuldners vermutet (Rz. 1217).635 19. Freiwillige Gerichtsbarkeit 1321 Im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit hat man darüber gestritten, ob die Wohnsitzanknüpfung oder der gewöhnliche Aufenthalt zuständigkeitspolitisch die richtige Anknüpfung ist.636 Der Streit ist mittlerweile auf breiter Front durch das FamFG zugunsten der Aufenthaltsanknüpfung entschieden. 20. Rechtsvergleichendes 1322 Der Wohnsitzbegriff der kontinentaleuropäischen Länder hat einen einheitlichen Kern. Abweichungen gibt es nur in Randzonen, z.B. bei der Frage der Zulässigkeit des Doppelwohnsitzes (vgl. z.B. das Verbot in Art. 23 II schweizer. ZGB), der Notwendigkeit der polizeilichen Meldung und bei den sog. „abgeleiteten“ Wohnsitzen. Völlig anders dagegen ist der domicile-Begriff des common law.637 21. Insolvenzverwalter 1322a An die Stelle des Wohnsitzes des Insolvenzverwalters tritt nach § 19a ZPO für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, der Sitz des Insolvenzgerichts. 22. Rechtshistorisches 1322b Der naturrechtliche Gehalt der Regel actor sequitur forum rei gipfelt in der Lehre vom juge naturel.638
635 Anders das Schweizer Recht (Art. 30 II 1 rev. BV, früher Art. 59 BV, Art. 46 ff. SchKG). Ausführlich Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 215. 636 Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 217 ff. Nachw. bei Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 185. 637 Nachw. z.B. bei Staudinger/Hausmann, 2013, Art. 3 EGBGB Rz. 239 und Anh. zu Art. 4 Rz. 6 ff. 638 Hierzu Mayer/Heuzé, Droit international privé10, Nr. 281, wo ein prima vista verblüffender Zusammenhang zu Art. 14 und 15 Code civil hergestellt wird. S. auch Picardi, Le juge naturel Principe fondamental en Europe, Rev int dr comp 2010, 27. Aus schweiz. Perspektive Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 299 ff.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
III. Staatsangehörigkeit 1. Überblick In Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen verwen- 1323 det das Gesetz die sonst (Rz. 1171) abgelehnte Staatsangehörigkeitsanknüpfung639 neben der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, §§ 98 I Nr. 1640, 99 I Nr. 1, 100 Nr. 1.101 Nr. 1, 103 I Nr. 1, 104 Nr. 1 FamFG641; § 12 I Nr. 1 VerschG. Auf einer anderen Ebene liegt die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des § 27 II 1324 ZPO für erbrechtliche Streitigkeiten. Hier wird nicht an die Staatsangehörigkeit einer Partei, sondern des Erblassers angeknüpft (Rz. 1338). Dagegen ist das Forum für im Ausland immune Deutsche (§ 15 ZPO, Rz. 1273) 1325 nicht Niederschlag des Staatsangehörigkeitsprinzips.642 Es handelt sich vielmehr um eine prozessuale Wohnsitzfiktion.643 2. Keine Ausschließlichkeit Die von Deutschland beanspruchte internationale Zuständigkeit ist keine aus- 1326 schließliche. Im Ausland ergangene Entscheidungen können anerkannt werden, § 106 FamFG (vormals §§ 606a I 2, 640a II 2 ZPO, §§ 35b III, 43b I 2, 69e FGG), § 12 III VerschG. 3. Nicht effektive deutsche Staatsangehörigkeit Die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit ist irrelevant. Der Zugang zu 1327 den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ist in den Fällen, in denen die deutsche internationale Zuständigkeit an die Staatsangehörigkeit des Klägers, des Beklagten oder eines sonst wie Beteiligten anknüpft, immer gewährleistet. Er darf nicht durch den Hinweis auf eine effektivere ausländische Staatsangehö-
639 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Kompetenzbezuges R. Geimer in FS Schwind, 1993, 25; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 616. Rechtsvergleichend Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 250. Hymnisch verklärt der BGH v. 20.12.1972 – VIII ZR 186/70, BGHZ 60, 85 (90) = NJW 1973, 421 (422), die durch die Staatsangehörigkeitsanknüpfung ermöglichte „Heimatzuflucht“: Es sei „das natürliche Interesse jedes Staatsangehörigen, dass sein Staat, dessen Organisation und Funktionsweise er kennt, dessen Sprache er spricht und dem er auf mannigfache Weise verbunden ist, sich seiner Sache annimmt und nicht ein fremder Staat“. 640 Hierzu umfangreiche Nachw. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 52 ff. 641 Zu § 640a II Nr. 1 ZPO (nun § 104 Nr. 1 FamFG) z.B. BGH v. 11.5.1994 – XII ZR 7/93, MDR 1994, 1223 = NJW 1994, 2360 = FamRZ 1994, 1027 = LM Art. 18 EGBGB (Benicke) = IPRspr. 1994 Nr. 99; OLG Hamm v. 26.4.1994, IPRspr. 1994 Nr. 113; OLG Hamm v. 31.3.1995, IPRspr. 1995 Nr. 104. 642 Vorrangig sind nunmehr Art. 4 ff. EuErbVO. 643 R. Geimer, NJW 1976, 444.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
rigkeit oder die Sach-, Rechts- oder Beweisnähe eines anderen Staates versperrt werden (Rz. 1086).644 4. Deutschen Staatsbürgern gleichgestellte Personen 1328 Hierzu wird auf die Ausführungen oben in Rz. 292 verwiesen. 5. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius 1329 Die Staatsangehörigkeitszuständigkeit hängt nicht ab von der Anwendbarkeit deutschen Sachrechts. Auch hier gibt es keinen Gleichlauf zwischen forum und ius (= zwischen internationaler Zuständigkeit und dem in der Sache anzuwendenden materiellen Recht, Rz. 1044). Dies gilt auch für § 27 ZPO.645 6. Irrelevanz der Parteirolle: Keine Beschränkung der Anknüpfung auf die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners 1330 In Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen eröffnet auch die deutsche Staatsangehörigkeit des Antragsstellers646 die internationale Zuständigkeit Deutschlands. Deutschen soll eine „Heimatzuflucht“ offen gehalten werden, Rz. 1279, 1949.647 Beispiel: So kann nach dem Konzept des FamFG648 ein Deutsch-Brasilianer, der Europa, geschweige denn Deutschland, nie gesehen hat, gegen seinen Ehegatten (gleich, welche Staatsangehörigkeit dieser hat und wo er sich aufhält) vor dem Familiengericht in Berlin-Schöneberg Scheidung beantragen. Dies gilt sogar auch dann, wenn er die (nicht effektive) deutsche Staatsangehörigkeit nach Eheschließung aufgegeben hat, § 98 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG (Rz. 1337).
1331 Umgekehrt kann sich aber auch der nicht deutsche Ehegatte auf diese weite Jurisdiktionsnorm berufen und den deutschen Partner vor ein deutsches Gericht ziehen.649 1332–1336 Einstweilen frei
644 Umfangreiche Nachw. z.B. bei Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 476. 645 Undeutlich Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 466. 646 Atavistisch wäre es wie bei § 32 ZPO den Sinn des forum actoris darin zu sehen, dem „Opfer“ der ehelichen Untreue den Weg ins Ausland (wo der „ungetreue“ Partner sich aufhält) zu ersparen; kritisch auch W. J. Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht2, Rz. 594. 647 Vgl. auch den in anderem Zusammenhang berühmt gewordenen Satz von Portalis: „La loi française suit avec les yeux de mère les Français jusque dans les régions les plus éloignées“, zitiert bei Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 44 Fn. 46. S. auch die Stellungnahme des BGH v. 20.12.1972 – VIII ZR 186/70, BGHZ 60, 85 (90) zur „Heimatzuflucht“ oben unter Rz. 1323. 648 Dieses ist aber durch Art. 6 EuEheVO weitgehend verdrängt. 649 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit R. Geimer in FS Schwind, 1993, 26.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
7. Frühere deutsche Staatsangehörigkeit Eine frühere deutsche Staatsangehörigkeit ist – sieht man von dem völlig anders 1337 konstruierten Fall des § 27 II ZPO ab – kompetenzrechtlich unbeachtlich.650 Eine Ausnahme gilt jedoch in Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen: War einer der Ehegatten bei Eheschließung Deutscher, dann ist die internationale Zuständigkeit für alle Ehesachen gegeben, §§ 98 I Nr. 1 2. Alt., 103 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG (Rz. 1087, 1950). 8. Erbstreitigkeiten Das Staatsangehörigkeitsprinzip gilt – außerhalb des sachlichen Anwendungs- 1338 bereichs der Art. 4 ff. EuErbVO – auch für Streitigkeiten, welche die Feststellung des Erbrechts oder sonstige in § 27 ZPO aufgezählte Nachlassangelegenheiten651 zum Gegenstand haben.652 Für Streitigkeiten, die den Nachlass eines Deutschen betreffen, eröffnet Deutsch- 1339 land immer eine internationale Zuständigkeit, ganz gleich, wo der Erblasser wohnte oder starb, § 27 II HS 2 ZPO.653 Für die aus § 27 ZPO abgeleitete internationale Zuständigkeit Deutschlands ist 1340 es ohne Belang, wo sich die Nachlassgegenstände befinden.654 Selbst wenn der gesamte Nachlass im Ausland liegt, ist Deutschland international zuständig.655 Es spielt keine Rolle, ob deutsches oder ausländisches Recht (Art. 21 ff. EuErb- 1341 VO, Art. 3a III EGBGB a.F.) zur Anwendung kommt.656 650 Zum maßgeblichen Zeitpunkt Rz. 1828. 651 Zur Erweiterung des Gerichtsstands der Erbschaft durch § 28 ZPO OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. 652 Angesichts des universellen Geltungsanspruchs der Art. 4 ff. EuErbVO (keine Restzuständigkeiten wie nach Art. 6 I EuGVVO n.F.) ist der Anwendungsbereich des § 27 ZPO erheblich eingeschränkt. 653 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 224; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 543; OLG Nürnberg v. 16.9.1980 – 1 W 1404/80, OLGZ 1981, 115 = VersR 1982, 51 = IPRspr. 1980 Nr. 144. Vgl. die Parallelnorm in § 73 II FGG (Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 535). 654 Anders ist jedoch in den Fällen des (erweiterten) Gerichtsstands der Erbschaft gem. § 28 ZPO; zu dessen Anwendungsbereich OLG Schleswig v. 12.4.2007 – 2 W 66/07, MDR 2007, 1200. Der Zuständigkeitstatbestand des § 28 ZPO setzt voraus, dass sich der Nachlass noch ganz oder teilweise im Bezirk des (angegangenen) Gerichts befindet. Dies ist nur dann nicht erforderlich, wenn „die vorhandenen mehreren Erben noch als Gesamtschuldner haften“. 655 BGH v. 5.4.1968 – V ZR 18/67, BGHZ 50, 63 = WM 1968, 759 = MDR 1968, 567 = NJW 1968, 1571 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 158; LG München v. 26.2.1976, FamRZ 1978, 364 (Jayme) = IPRspr. 1976 Nr. 113; Soergel/Kegel, BGB12, Bd. 10, Art. 25 EGBGB Rz. 47; R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 261. 656 Eine Ausnahme will Raape, Staatsangehörigkeitsprinzip und Scheidungsakt sowie internationale Zuständigkeit in Scheidungsprozessen, 1943, 150, für Gestaltungsklagen (z.B. Herabsetzungsklage, Erbunwürdigkeitsklage) aufgrund ausl. Rechts machen, wenn das vom dt. IPR berufene ausl. Recht die dt. Entscheidung nicht anerkennen will. Diese Ansicht findet jedoch im geltenden Recht keine Stütze, Rz. 987. Abzulehnen auch LG Kempten v. 8.8.2002 – 3 O 2474/01, NJW-RR 2002, 1588 = ZEV 2003,
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1342 Im Verhältnis zur Türkei haben §§ 8, 15 des deutsch-türkischen Konsularvertrages657 Vorrang, Art. 75 EuErbVO.658 9. Vormundschafts-, Pflegschafts-, Betreuungs- und familiengerichtliche Verrichtungen in Bezug auf Deutsche 1343 Die internationale Zuständigkeit Deutschlands659 ist immer kraft Staatsangehörigkeit gegeben (Rz. 1323); örtlich zuständig für Deutsche im Ausland ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird (§§ 152 III, 272 I Nr. 3 FamFG) bzw. ersatzweise das AG Berlin-Schöneberg, § 272 I Nr. 4 FamFG, früher §§ 36 II, 36a, 37 I, 38, 39 II, 43 I, 65 III FGG.660 Auf die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit kommt es nicht an. Vorrangig ist jedoch das Haager Kinderschutzübereinkommen vom 19.10.1996 (KSÜ),661 davor das Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5.10.1961 (MSA),662 wenn der deutsche Minderjährige in einem der Vertragsstaaten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 5 KSÜ, Art. 13 MSA.663 10. Keine Derogierbarkeit 1344 Die internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit kann nicht derogiert werden (Rz. 1773).664 11. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1345 Die Staatsangehörigkeit des Erststaates trägt via § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG in den vorstehend erörterten Materien auch die internationale Anerkennungszuständigkeit.665
657 658
659
660
661 662 663 664 665
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165 = IPRspr. 2002 Nr. 118, das eine Herabsetzungsklage nach Schweizer Recht für unzulässig hält, weil sie dem Recht „im Rahmen des Pflichtteilsrechts fremd“ sei. RGBl. II 1930, 747. Hierzu OLG Köln v. 23.10.1985 – 2 U 79/85, OLGZ 1986, 210 = MDR 1985, 239 = IPRspr. 1985 Nr. 145. In Frankreich ist der Ausgangspunkt im Hinblick auf Art. 14, 15 Code civil völlig anders, Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, Nr. 679, 681. Die EuGVVO bzw. das LugÜ kommt wegen der Bereichsausnahme des Art. 1 II lit. a nicht zur Anwendung, EuGH v. 3.10.2013 – Rs. C-386/12 – Siegfried János Schneider, FamRZ 2013, 1873 = RiW 2014, 76. BayObLG v. 20.7.1981 – BReg. 1 Z 6/81, BayObLGZ 1981, 246 (250); OLG Bamberg v. 1.7.1981 – 2 UF 75/81, FamRZ 1981, 1106 (1107); Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 185. BGBl. II 2009, 603. BGBl. II 1971, 217. In weiten Bereichen ist die EuEheVO vorrangig anzuwenden, Art. 14, Art. 60, Art. 61. Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 138. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1522; Zöller/Geimer, ZPO30, § 109 FamFG Rz. 4, 44.
Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
12. Neutralität der Gerichte im Heimatstaat nur einer Partei S. hierzu Rz. 868i.
1345a
13. Vertragsrecht Der Heimatgerichtsstand findet sich z.B. in Art. 3 I (b) Haager Adoptionsabkom- 1345b men vom 15.11.1965, Art. 2 Haager Entmündigungsabkommen vom 17.7.1905 und Art. 4 Haager Minderjährigenschutzabkommen.666 14. Exkurs: EuEheVO (EG) Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 Im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c)667 ist 1345c in Art. 3 die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaates stark zurückgedrängt zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt.668 Die Verordnung akzeptiert zwar – ebenso wie § 98 I Nr. 1 FamFG – als Zuständigkeitsanknüpfungspunkt für Eheauflösungs- bzw. Trennungsverfahren (Art. 1 I [a]), nicht jedoch für Sorgerechtsverfahren (Art. 8 ff.), die Staatsangehörigkeit als Zuständigkeitsanknüpfung. Der Heimatstaat beider Ehegatten ist ohne Rücksicht auf deren gewöhnlichen Aufenthalt stets international zuständig, Art. 1 I (b) EuEheVO.669 Anders ist es dagegen bei gemischtnationalen Ehepaaren. Hier reicht – anders als nach § 98 I Nr. 1 FamFG – die Staatsangehörigkeit nur einer Partei für sich allein nicht aus, um eine internationale Zuständigkeit zu eröffnen. Die Staatsangehörigkeit des Antragsgegners (Beklagten) ist irrelevant. Die Staatsangehörigkeit des Antragstellers (Klägers) allein eröffnet kein forum; sie privilegiert ihn aber hinsichtlich der (kompetenzrechtlichen) Wartefrist. Normalerweise eröffnet der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers im Gerichtsstaat nur dann ein forum actoris, wenn er sich dort unmittelbar vor der Antragstellung mindestens ein Jahr aufgehalten hat, Art. 1 I (a) (5). Ist er jedoch Angehöriger des Gerichtsstaates, dann verkürzt sich diese Frist auf ein halbes Jahr, Art. 1 I (a) (6). Beim race to the courthouse haben die eigenen Staatsangehörigen einen nicht unbeträchtlichen Vorsprung, der die Entscheidung in der Sache ganz wesentlich beeinflussen kann, jedenfalls solange das einschlägige Kollisionsrecht in der Europäischen Union nicht vereinheitlicht ist. Diese Privilegierung ver-
666 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 490. 667 VO (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1347/2000 (EuEheVO), ABl. EU Nr. L 338 v. 27.11.2003. Bis 28.2.2005 galt die VO (EG) Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, 19. 668 Kohler, NJW 2001, 10 (11); Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 379. 669 Hausmann, Internationale Zuständigkeit und Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, FS Hailbronner, 2013, 429, 439 konstatiert einen Verstoß gegen Art. 18 I AEUV im Verhältnis zu gemischt-nationalen Ehepaaren.
507
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
stößt gegen primäres Unionsrecht, da sie diskriminierend wirkt i.S. von Art. 18 AEUV (Rz. 246x).670
IV. Gerichtsstand des Vermögens 1. Überblick 1346 § 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO671 eröffnet für alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten eine internationale Zuständigkeit, wenn der Beklagte im Inland Vermögen besitzt. Der im Ausland wohnende Beklagte ist in Deutschland nicht nur gerichtspflichtig für Prozesse, die mit seinem inländischen Vermögen im Zusammenhang stehen, sondern schlechthin in allen vermögensrechtlichen Angelegenheiten.672 1347 Ein Bezug der Parteien (z.B. des Klägers) oder des Streitgegenstandes zu Deutschland ist nicht erforderlich (Rz. 1172). Wer Vermögen im Inland besitzt, zeigt eine Affinität zu Deutschland. Diese reicht aus, um die Gerichtspflichtigkeit des Vermögensinhabers vor deutschen Gerichten zu begründen (Rz. 1356). Dagegen verlangt der Bundesgerichtshof673 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands einen „hinreichenden Inlandsbezug des Rechtsstreits“.674 1348 Dieser Gerichtsstand steht in Einklang mit dem Völkergewohnheitsrecht und mit dem Grundgesetz.675
670 Hausmann, a.a.O., 429, 434; Hau, FamRZ 2000, 1333 (1335); Schack, RabelsZ 65 (2001), 615 (623); Simotta in FS Geimer, 2002, 1115, 1154; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 3 EuEheVO Rz. 29: a.A. Mankowski in Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU2, § 37 Rz. 39. 671 Zur Entstehungsgeschichte Hubig, Die historische Entwicklung des § 23 ZPO, 2003. 672 Hierzu (die bisherige Diskussion zusammenfassend) Schütze in FS Ishikawa, 2001, 493; Schütze, DIZPR2, Rz. 156; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, europäischen und US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2004, 68 ff. S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 411 ff.; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 281 ff.; Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensachverhalte, 2014, 87 ff., 267 ff. 673 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = MDR 1991, 988 hierzu Rz. 1077a, 1178. Enger aber BGH v. 28.10.1996 – X ARZ 1071/96, MDR 1997, 496 = NJW 1997, 325 = RIW 1997, 238 (Munz) = JZ 1997, 362 (Schlosser) = LM § 23 ZPO Nr. 10 (R. Geimer). S. auch OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen). 674 Einen Inlandsbezug verneinen z.B. OLG München v. 7.10.1992 – 7 U 2583/92, IPRax 1993, 237 (R. Geimer 217); OLG Brandenburg v. 22.2.1996 – 5 U 91/95, RIW 1997, 424. Vgl. auch BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 328/95, NZA 1997, 1182 = NJW 1997, 3462 L. 675 S. oben Rz. 395; BVerfG v. 12.4.1983 – 2 BvR 678/81, 2 BvR 679/81, 2 BvR 680/81, 2 BvR 683/81, BVerfGE 64, 1 = NJW 1983, 2766 = RIW 1983, 613 (Seidl-Hohenveldern) = IPRax 1984, 196 (Stein 179) = IPRspr. 1983 Nr. 127; Grothe, RabelsZ 58 (1994), 691;
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Die Erleichterung des Vollstreckungszugriffs ist nur ein Teilaspekt, der nicht ge- 1349 eignet ist, den weiten Anwendungsbereich des § 23 ZPO (Rz. 1350, 1365) zu erklären. Für die Bejahung der deutschen internationalen Zuständigkeit in dem von § 23 ZPO umschriebenen Umfang besteht aber solange ein praktisches Bedürfnis, als die Rechtsverfolgung im Wohnsitzstaat auf unzumutbare Schwierigkeiten stößt bzw. die Anerkennung und Vollstreckung des im Wohnsitzstaat erstrittenen Urteils im Inland an der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG) scheitert (Rz. 1136).676 2. Klageart Die Klageart spielt keine Rolle. Nicht nur Leistungs-, sondern auch Feststel- 1350 lungs- und Gestaltungsklagen fallen in den Anwendungsbereich des § 23 ZPO. 3. Kein Zusammenhang mit dem Streitgegenstand Diese umfassende Gerichtspflichtigkeit wird an das Vorhandensein eines belie- 1351 bigen (pfändbaren) Vermögensstückes des Beklagten im Inland geknüpft. Ein Zusammenhang zwischen dem Streitgegenstand und dem Umfang des für eine Inlandsvollstreckung in Betracht kommenden Vermögens des Beklagten ist nicht erforderlich. Es ist mithin unerheblich, ob das Inlandsvermögen zur Befriedigung des Klägers (im Falle seines Obsiegens) ausreicht677 (diese Erwägung ginge im Übrigen von vornherein fehl, wenn eine Feststellungs- oder Gestaltungsklage erhoben wird). Auch bei der Leistungsklage ist streng zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu unterscheiden. 4. Kritik der h.M. Das Prinzip actor sequitur forum rei wird durch § 23 ZPO erheblich relati- 1352 viert.678 Der Vermögensgerichtsstand wird deshalb als „ausländerfeindlich“ an-
Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 221. A.A. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 442 ff., 620 ff.; Schlosser in FS Kralik, 1986, 293; Schlosser, Rivista di diritto internazionale 1991, 6; Schlosser, IPRax 1992, 140 unter Hinweis auf US Supreme Court Schaffer v. Heitner, 433 US 186 (1977); von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 45; vgl. auch Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 203 Fn. 35. Skeptisch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 231, Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 381; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, 1992, 220. 676 In diesem Sinne auch der Gemeinsame Bericht der Unterhändler zum dt.-norw. Vertrag v. 17.6.1977, BGBl. II 1981, 341, BT-Drucks. 9/66, 31 zu Art. 20, Text auch in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1039. 677 BGH v. 22.10.1987 – I ZR 224/85, MDR 1988, 376 = NJW 1988, 966, 967 = WM 1988, 135 = ZIP 1988, 436 = EWiR 1988, 489 (v. Hoyningen-Huene) = IPRspr. 1987 Nr. 121b; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 104. 678 Zum Gerechtigkeitsgehalt des § 23 ZPO: Schumann, ZZP 93 (1980), 408; Schack, ZZP 97 (1984), 46; R. Geimer, JZ 1984, 979.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
geprangert.679 Dies trifft aber nicht zu.680 Denn auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es nicht an. Auch ausländische Kläger können sich auf § 23 ZPO berufen. Diese Vorschrift ist also kein Jurisdiktionsprivileg für Deutsche. Auch richtet sich § 23 ZPO nicht nur gegen ausländische Beklagte. Im Vermögensgerichtsstand können auch im Ausland wohnhafte Deutsche verklagt werden. 1353 Beispiel: Ein in St. Petersburg wohnhafter Russe verklagt einen in New York wohnhaften Deutschen wegen einer in Wien zu erfüllenden Verbindlichkeit vor dem LG Frankfurt a.M., weil der Beklagte in Frankfurt/M. ein Bankkonto (mit Guthaben) unterhält.681
1354 Schließlich wird § 23 ZPO als beziehungsarmer Gerichtsstand kritisiert.682 Weder zum Beklagten noch zum Streitgegenstand bestehe ein ausreichender Zusammenhang, wenn die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des bloßen Vorhandenseins irgendeines Vermögensgegenstandes im Inland ihre internationale Zuständigkeit bejahe. Dabei wird der Eindruck erweckt, als handle es sich um eine „exorbitante“ Zuständigkeitsanmaßung, um unmittelbare staatliche Machtinteressen durchzusetzen. 1355 Bei der Regelung der internationalen Zuständigkeit stehen aber unmittelbare Staatsinteressen nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um einen vernünftigen Ausgleich der Interessen der Parteien: Dem Beklagten ist daran gelegen, dass seine internationale Gerichtspflichtigkeit nicht unzumutbar ausgedehnt wird. Der Kläger möchte, dass sein Justizgewährungsanspruch nicht an der internationalen Unzuständigkeit Deutschlands scheitert (Rz. 856). 5. Legitimität der Belegenheitszuständigkeit 1356 Der Zuständigkeitsbezug des § 23 ZPO ist – rebus sic stantibus (Rz. 1136) – legitim und trifft in den meisten Fällen den Nagel auf den Kopf: Wer Vermögen im Inland erwirbt bzw. besitzt, zeigt eine Affinität zu Deutschland. Diese reicht aus, um die Gerichtspflichtigkeit des Vermögensinhabers vor deutschen Gerichten zu begründen. Dies liegt auf der Hand beim globetrottenden Millionär, der auf der Suche nach Sinngebung in fernen Landen zwar seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben hat, sein Vermögen aber aus guten Gründen nicht, oder beim Steuerflüchtling, der einen Wohnsitz im Inland strikt meidet, aber ständig im Inland anzutreffen ist, sei es auf Hauptversammlungen, Empfängen und überall dort, wo es schön und angenehm ist.683 Niemand muss (pfändbares) Vermögen in Deutschland erwerben oder behalten. Wer es aber tut, muss eben damit rechnen, dass er für alle gegen ihn gerichteten Prozesse auf vermögensrechtlichem Gebiet vor inländischen Gerichten sein Recht nehmen muss.
679 680 681 682 683
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Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 397. Schack, IPRax 1990, 19. Vgl. BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, BGHReport 2001, 894 = IPRspr. 2001 Nr. 2. Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 334. Zustimmend Mark/Ziegenhain, NJW 1992, 3065, „wenn die Belegenheit des Vermögens des Beklagten auf einer bewussten Investitionsentscheidung beruht“.
Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Wem dies „exorbitant“ erscheint, kann sein Vermögen ins Ausland transferieren. 1357 Wer aber in Deutschland investiert und die Vorteile des deutschen Wirtschaftssystems genießt, soll sich nicht wundern, dass seine Gläubiger die Haftung des inländischen Vermögens für alle Verbindlichkeiten – wo auch immer sie entstanden sein und wie auch immer sie lokalisiert sein mögen – ohne lange Umschweife mit Hilfe der deutschen Gerichte durchsetzen können. Er kann sich nicht hinter dem Satz actor sequitur forum rei verschanzen. Auch zuständigkeitsrechtlich gibt es keine splendid isolation. Beispiel: Erwirbt eine US-Company in Deutschland Vermögen, dann zeigt sie so viel Interesse an Deutschland, dass es recht und billig ist, ihr den Einwand zu nehmen, für Passivprozesse sei ihr Sitzstaat im fernen Amerika international zuständig.
6. Ratio legis Die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit am Ort des Haftungsobjekts 1358 ist die zuständigkeitsrechtliche Konsequenz der Universalität der Haftung des Schuldners. Dieser Grundsatz gefällt zwar den meisten Schuldnern nicht; sie sinnen listenreich darüber nach, wie man einzelne Vermögensteile vor den Gläubigern „retten“ kann. Dabei kommt ihnen die zögerliche Haltung vieler Staaten bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile entgegen. Doch rechtsphilosophisch ist die Totalität der Haftung richtig, und die Staaten dieser Erde sind aufgerufen, durch ihre Gesetzgebung dafür zu sorgen, dass diese umfassende Haftung auch durchgesetzt werden kann. Hierzu leistet – rebus sic stantibus (Rz. 1136, 1349) – die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag durch Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit am Ort des Haftungsobjekts. Dies ist nicht die beste aller denkbaren Lösungen, weil sie die Grenzen zwischen 1359 Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren verwischt und weil sie andere zuständigkeitspolitisch wichtige Belange, wie Beklagtenschutz, Beweis- und Rechtsnähe etc., ignoriert. Abhilfe kann aber nicht kommen, wenn man einzelne dieser Aspekte verabsolutiert. Notwendig ist vielmehr eine großzügigere Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile (Rz. 1133). 7. Klarheit und Rechtssicherheit Der Zuständigkeitsanknüpfungspunkt des § 23 ZPO ist einfach und klar fest- 1360 zustellen. Ob der Beklagte Vermögen im Inland hat, ist im Zweifel leichter zu beantworten als die Frage, ob der Erfüllungsort684 bzw. der Ort der schädigenden Handlung bzw. des Eintritts des Schadens685 im Inland zu lokalisieren ist. Die Praxis hatte deshalb bis zum Urteil des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 2.7.1991686 keine Anwendungsprobleme mit § 23 ZPO. Die Praktikabilität und Kompaktheit dieses Zuständigkeitsbezugs fördert die Rechtssicherheit. Diese 684 § 29 ZPO, Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F., Art. 5 Nr. 1 LugÜ. 685 § 32 ZPO, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F., Art. 5 Nr. 3 LugÜ. 686 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = MDR 1991, 988 = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) =
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
ist nunmehr erschüttert, da das vom Bundesgerichtshof postulierte (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal „hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits“ nicht genügend konturenscharf ist.687 8. Notzuständigkeit 1361 Dass in vermögensrechtlichen Angelegenheiten Fälle der Notzuständigkeit in Deutschland bisher selten waren, hing mit dem Vermögensgerichtsstand in seiner vor der Entscheidung des XI. Senats des Bundesgerichtshofs vom 2.7.1991688 praktizierten wortgetreuen (nicht reduzierten) Auslegung zusammen. Diese vermied déni de justice, weil sie fast alle Konstellationen abdeckte, in denen ein Rechtsschutzbedürfnis im Inland vorstellbar ist. Hat der Beklagte kein Vermögen im Inland, besteht i.d.R. kein Bedürfnis nach Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte. Würde man § 23 ZPO streichen oder nach den Vorstellungen des XI. Senats des Bundesgerichtshofs wesentlich einengen, so müsste man aus dem Gesichtspunkt der Notzuständigkeit zur Vermeidung eines negativen Kompetenzkonflikts in vielen Fällen eine internationale Zuständigkeit Deutschlands genau dort wieder eröffnen, wo man sie gerade als exorbitant beseitigt hat (Rz. 1036).689 9. Selbstregulierung 1362 Die Zuständigkeitslogik des § 23 ZPO führt oft zu einer Selbstregulierung. Sie neutralisiert die nicht zu bestreitenden Schwächen dieser Vorschrift oft von selbst: Ist das inländische Vermögen des Beklagten gering, wird der gut beratene Kläger in den meisten Fällen davon absehen, einen Prozess vor deutschen Gerichten anzustreben. Reicht das in Deutschland gelegene Vermögen nicht aus, um sich aus dem in Deutschland erstrittenen Titel zu befriedigen, wird der Gläubiger wohl meist die Mühe und Kosten der Prozessführung im Inland scheuen. Denn das im Vermögensgerichtsstand erlassene deutsche Urteil hat in vielen Fällen (Rz. 1394) keine Aussicht auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im Ausland. 10. Keine Relation zwischen dem Wert des inländischen Vermögens und dem Wert des Streitgegenstandes 1363 Ein Reformvorschlag690 will den Vermögensgerichtsstand einschränken auf den Fall, dass der Wert des geltend gemachten Anspruchs den Wert des im Gerichts-
687 688 689 690
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LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239) = IPRspr. 1991 Nr. 166b, s. hierzu Rz. 1077a. R. Geimer, IPRax 1993, 216. BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = MDR 1991, 988 s. hierzu Rz. 1077a. Vgl. aber Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 630. Nachw. bei Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 342 und Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 537.
Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
staat belegenen Vermögens nicht übersteigt. Dies würde bedeuten, dass das Gericht zu Wertermittlungen gezwungen wäre, die Zeit und Geld kosten, aber nichts bringen. Denn der Schuldner (Beklagte) ist ja in der Lage, sein Vermögen ins Ausland zu transferieren. Auch würde der Beklagtenschutz durch diesen Vorschlag nicht verbessert. Wäre 1364 für die internationale Zuständigkeit Deutschlands relevant, dass der Richter das inländische Vermögen für ausreichend befindet, so könnte der Kläger die Prozessabweisung dadurch vermeiden, dass er nur einen Teilbetrag einklagt oder seinen Klageantrag teilweise zurücknimmt. Dies würde die Prozesse vervielfältigen, was aber aus prozessökonomischen Gründen – vor allem auf internationalem Feld – nicht erstrebenswert ist. Die Prozessführungslast des Beklagten vor Gerichten mehrerer Staaten wegen verschiedener Teile der gleichen Forderung verschlechtert die Position des Beklagten. Darüber hinaus ergeben sich unerquickliche Situationen, wenn mehrere Kläger aufgrund Teilabtretung(en) den selben Beklagten vor verschiedenen deutschen Gerichten verklagen. Im Ergebnis läuft der Reformvorschlag darauf hinaus, dass das Gericht den Kläger vor unzweckmäßiger Prozessführung im Inland – gegen seinen Willen – bewahrt. Dies ist zuständigkeitspolitisch falsch. Im Übrigen besteht insoweit eine Parallelität zur internationalen Wohnsitzzuständigkeit. Diese kann nicht mit der Begründung verneint werden, der Beklagte habe kein ausreichendes Vermögen im Inland (Rz. 967, 1280).691 Auch ist das Postulat, dass das inländische Vermögen zur Befriedigung des Klä- 1365 gers ausreichen müsse, für Feststellungs- und Gestaltungsklagen von vornherein nicht stimmig (Rz. 1347). 11. Keine Beschränkung auf Kläger mit Wohnsitz/Sitz im Inland Abzulehnen ist auch der Vorschlag, den Vermögensgerichtsstand nur Klägern 1366 mit Wohnsitz/Sitz in Deutschland zur Verfügung zu stellen.692 Dies wäre zwar keine Benachteiligung von Ausländern, da auch deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz/Sitz im Ausland sich nicht auf § 23 ZPO berufen könnten, aber umgekehrt Ausländer mit Wohnsitz/Sitz im Inland (Rz. 1175). Ein Jurisdiktionsprivileg für Kläger mit Wohnsitz/Sitz im Inland ist aber mit der Grundkonzeption der internationalen Zuständigkeitsordnung der ZPO nicht zu vereinbaren. Diese wurde in bewusster Abkehr vom Chauvinismus des Art. 14 Code civil693 entworfen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von In- und Ausländern bei der Justizgewährung wurde strikt durchgehalten, Rz. 1906. Davon sollte man
691 Anders Schlosser, IPRax 1992, 143, wenn das inländische Vermögen geringer ist als 25 % des Wertes des Streitgegenstandes (im Anschluss an die Rspr. des österr. OGH zu § 99 JN n.F., z.B. OGH v. 6.6.1991, IPRax 1992, 164). 692 So aber Stein/Jonas/Schumann, ZPO23, § 23 Rz. 310; dagegen Kropholler in Basedow/ Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 302. 693 Hierzu z.B. Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 288.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
keine Abstriche machen, auch dann nicht, wenn die Staatsangehörigkeit durch den inländischen Wohnsitz/Sitz ersetzt wird.694 1367 In besonderen Fällen will man Klägern ohne Wohnsitz/Sitz im Inland doch den Zugang zu den deutschen Gerichten öffnen. Hier fehlt es an praktikablen Abgrenzungskriterien. Eine Generalklausel ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen (Rz. 1176). 12. Keine Subsidiarität des Vermögensgerichtsstandes 1368 Unter mehreren international zuständigen Staaten hat der Kläger die Wahl (Rz. 1105). Eine Rangfolge kennt unsere Zuständigkeitsordnung zu Recht nicht. Im Übrigen wäre nichts gewonnen, wenn man vorschreiben wollte, dass dem Kläger nur dann der Vermögensgerichtsstand zur Verfügung steht, wenn er zuvor erfolglos im Wohnsitzstaat des Beklagten versucht hat, seinen Anspruch durchzusetzen.695 Denn die (virtuelle) Gerichtspflichtigkeit des Beklagten außerhalb seines Wohnsitzstaates bleibt ja bestehen. Der Beklagte muss damit rechnen, dass ihn der Kläger am Vermögensgerichtsstand belangt, nachdem er ihn zuvor in seinem Wohnsitzstaat verklagt hatte. Zum anderen gäbe es der Rechtssicherheit abträgliche Abgrenzungsprobleme, weil man vom Subsidiaritätsprinzip wieder Ausnahmen zulassen muss. Denn es gibt sicher Konstellationen, in denen es für den Kläger nicht zumutbar ist, zuerst im Ausland zu klagen.696 13. Kein Arrestgerichtsstand 1369 Historisches Vorbild für § 23 ZPO war das forum arresti des § 34 des Anhangs zur Preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung.697 Der Reichsgesetzgeber hat jedoch bewusst auf die Notwendigkeit des Arrestschlages (vgl. Rz. 1588) verzichtet; in neuerer Zeit hat die Kommission für das Zivilprozessrecht vorgeschlagen, den Zuständigkeitsbezug des § 23 ZPO durch Arrestschlag zu „verdinglichen“. Internationale Entscheidungszuständigkeit solle nur solches Vermögen begründen, in das wegen des Klageanspruchs ein Arrest vollzogen ist. 1370 Eine Rückkehr zum forum arresti brächte nur zusätzliche (unnötige) Förmlichkeiten, wäre aber nicht geeignet, die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten (außerhalb seines Wohnsitzstaates) entscheidend einzuschränken. Damit geht der Vorschlag am entscheidenden Punkt vorbei und ist deshalb ungeeignet.
694 Eine solche vom XI. Senat des BGH (Rz. 1077a) präferierte Reduktion wäre u.a. auch im Hinblick auf Art. 12 EGV problematisch. 695 So aber Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 342 bei Fn. 761. 696 Hiervon streng zu unterscheiden ist die innerstaatliche Subsidiarität gegenüber dem Wohnsitzgerichtsstand. § 23 ZPO kommt nur dann zum Zuge, wenn der Beklagte nicht im Inland wohnt. 697 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 304.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
14. Teleologische Reduktion des Vermögensbegriffs Notwendig und sinnvoll ist eine teleologische (restriktive) Auslegung des Ver- 1371 mögensbegriffs. Nur so kann hic et nunc (d.h. vor einem entscheidenden Durchbruch in Richtung Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen) die Lage des Beklagten verbessert werden. Wer in seinem Hotelzimmer seinen Fotoapparat oder ein Kleidungsstück liegen lässt, hat keine Affinität zu Deutschland. Er hat kein inländisches Vermögen i.S. des § 23 ZPO. Das Gleiche gilt für das Gepäck von Touristen während ihres (vorübergehenden) Aufenthalts in Deutschland. Es kann also keine Rede davon sein, dass § 23 ZPO „mit Pfennigwerten die Zuständigkeit für Millionenprozesse schafft.“698 Unpfändbares Vermögen ist generell nicht geeignet, internationale Entschei- 1372 dungszuständigkeit zu eröffnen.699 Daher kommt es bei Klagen gegen fremde Staaten (Rz. 643, 1378) darauf an, ob der Beklagte/Antragsgegner in Deutschland Vermögensgegenstände ohne hoheitlichen Verwendungszweck hält, in welche die Zwangsvollstreckung durch die deutschen Zwangsvollstreckungsorgane betrieben werden kann (Rz. 589, vgl. auch Rz. 1543).700 Vermögen i.S. des § 23 ZPO ist nach der (bisherigen) Rechtsprechung., die aber 1373 nach dem vorstehend Gesagten kritisch zu hinterfragen ist, jeder Gegenstand, der einen wenn auch geringen Geldwert hat, sei es eine Sache oder eine Forderung oder ein sonstiges Vermögensrecht.701 Maßgebend ist aber ein vollstreckungsrechtlicher Vermögensbegriff:702 Zuständigkeitsbegründend sind nur die dem Vollstreckungszugriff unterliegenden Gegenstände, deren Verwertung wenigstens eine teilweise Befriedigung des Gläubigers erwarten lässt.703 Nach § 803 II ZPO hat die Vollstreckung zu unterbleiben, wenn bei der Verwertung der zu pfändenden Gegenstände ein Überschuss über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht zu erwarten ist.704 Ein Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten soll ein zur Begründung des 1373a Gerichtsstandes des § 23 ZPO geeigneter Vermögensgegenstand sein, es sei 698 So Frankenstein, IPR III, 1934, 539; richtig Schack, IPRax 1990, 19; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 536; OLG Celle v. 29.10.1998 – 13 W 106/98, NJW 1999, 3722 = IPRax 2001, 338 (Wollenschläger) = IPRspr. 1998 Nr. 159. 699 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 382, 402; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 23 Rz. 21; OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, RIW 1982, 439 = IPRax 1983, 68 (Albert 55) = IPRspr. 1982 Nr. 130; OLG Celle v. 29.10.1998 – 13 W 106/98, NJW 1999, 3722 = IPRspr. 1998 Nr. 159; a.A. RG v. 7.4.1904, RGZ 51, 163, 168; OLG Karlsruhe v. 13.2.1973, IPRspr. 1973 Nr. 130. S. auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 228. 700 S. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 197. 701 Nachw. z.B. bei Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab, Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 432 ff. 702 Dies gilt auch für Feststellungs- und Gestaltungsklagen, für die eine Vollstreckung außer im Kostenpunkt a priori nicht in Betracht kommt. 703 Zöller/Vollkommer, ZPO30, § 23 Rz. 7 ff. 704 BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 1/05, BGHReport 2005, 1611 (M. Vollkommer) m.w.N.; OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen).
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denn, dass er in arglistiger Weise herbeigeführt wurde, der Kläger also den Vorprozess nicht ernsthaft, sondern – etwa durch Klage vor dem unzuständigen Gericht – lediglich zu dem Zweck angestrengt hatte, eine Kostenforderung des Gegners zu begründen.705 1373b Eine Bankverbindung als solche (ohne Guthaben) reicht nicht aus.706 Damit scheidet das Konto als kompetenzbegründender Vermögensgegenstand faktisch aus,707 denn dem Kläger dürfte – im Hinblick auf das Bankgeheimnis – der Beweis eines kreditorischen Kontos des (präsumtiven) Beklagten häufig nicht gelingen. Selbst wenn die Bank dem Kläger das Bankguthaben bekannt gibt, kann er es nicht beweisen, ohne den Bankangestellten bloßzustellen (Verletzung des Bankgeheimnisses). Es kommt auf den Hauptsitz der Bank an, nicht auf den Ort der Zweigniederlassung, wo das Konto geführt wird.708 1374 Irrelevant ist, ob der Vermögensgegenstand mit oder ohne den Willen des Beklagten ins Inland gebracht wurde bzw. dort (durch Arrest) festgehalten wird.709 1374a Hat der Beklagte (= Gläubiger) eine Forderung gegen einen überschuldeten Dritten (= Schuldner), ist also die Forderung des Beklagten wirtschaftlich wertlos, so kommt § 23 ZPO nicht zum Zuge.710 1374b Das Wiener Einheitliche Kaufrecht ändert an § 23 Satz 2 ZPO nichts.711
705 BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 = NJW 1977, 900 = IPRspr. 1976 Nr. 212; BGH v. 17.1.1995, IPRspr. 1995 Nr. 140a; LG Hamburg v. 3.7.1973, IPRspr. 1973 Nr. 9; AG München v. 1.8.1972, NJW 1973, 431 = AWD 1973, 271 = IPRspr. 1972 Nr. 141; OLG Hamburg v. 2.7.1991, IPRspr. 1991 Nr. 175. 706 OLG Frankfurt v. 8.12.1986 – 5 W 42/86, MDR 1987, 412 = RIW 1987, 151 = NJW-RR 1988, 572 = IPRax 1988, 24 (Schumann 13) = IPRspr. 1986 Nr. 168; OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, NJW-RR 1988, 682 = RIW 1988, 133 = IPRspr. 1987 Nr. 20; OLG Hamburg v. 9.7.1992 – 6 U 57/92, TranspR 1993, 22 = VersR 1994, 746 = IPRspr. 1992 Nr. 193. 707 S. aber BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, IPRspr. 2001 Nr. 2. 708 Schack, IPRax 1990, 19 Fn. 6; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 189, 193. Offen gelassen von OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (4629 = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156. 709 OLG Frankfurt v. 22.9.1992 – 17 U 65/81, OLGZ 1983, 99 = IPRspr. 1982 Nr. 146. 710 Anders BGH v. 22.10.1987 – I ZR 224/85, MDR 1988, 376 = NJW 1988, 966 = WM 1988, 135 = ZIP 1988, 436 = EWiR 1988, 489 (v. Hoyningen-Huene) = IPRspr. 1987 Nr. 121b. Wie hier OLG Karlsruhe v. 22.10.1985, IPRspr. 1987 Nr. 121a. Vgl. auch BGH v. 21.9.1987 – II ZR 41/87, NJW-RR 1988, 172 = WM 1987, 1353 = IPRax 1989, 169 (Samtleben 148) = IPRspr. 1987 Nr. 132. Auch OLG Düsseldorf v. 1.8.1991 – 10 U 8/91, RIW 1991, 767 = NJW 1991, 3103 = IPRspr. 1991 Nr. 176 bejaht Vermögen i.S. von § 23 ZPO, wenn Verbindlichkeiten des Beklagten gegenüber einer inländischen Bank sein dort angelegtes Sparguthaben übersteigen. 711 Schütze in FS Matscher, 1993, 426. Zu der Lokalisierung von Forderungen (§ 23 Satz 2 ZPO, vgl. Rz. 3441) und zu den heilsamen Auswirkungen des § 23 ZPO für Rechtsschutz im Inland in vollstreckungsrechtlich eingefärbten Prozessen, die nicht in den Anwendungsbereich des § 771 ZPO (Rz. 1237) fallen, BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, MDR 1990, 622 = RIW 1990, 221 = IPRax 1991, 183 (Flessner/Schulz 162) = IPRspr. 1990 Nr. 164. Zu § 23 Satz 2 ZPO allgemein s. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., § 354 Rz. 14 ff.
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Vierter Teil
Maßgebliches Recht für die Beurteilung der Frage, ob der Beklagte Inhaber in- 1374c ländischen Vermögens ist: Maßgebend ist bei Sachen das Recht des Lageorts.712 Meist unproblematisch ist es, festzustellen, ob der Beklagte Eigentümer inländischer Grundstücke oder grundstücksgleicher Rechte ist. Ist der Beklagte im Grundbuch als Eigentümer, Erbbauberechtigter etc. eingetragen, dann obliegt es gegebenenfalls dem Beklagten, die Vermutung des § 891 BGB zu widerlegen. Gelingt dem Beklagten der Gegenbeweis, dann steht fest, dass insoweit § 23 ZPO nicht zum Zuge kommt. Ein gutgläubiger Kläger wird nicht geschützt. Einen „öffentlichen Glauben des Grundbuchs“ gibt es im Kompetenzrecht nicht. § 892 BGB ist unanwendbar. Vice versa kann der Kläger dartun und erforderlichenfalls beweisen, dass der Beklagte – obwohl er nicht im Grundbuch eingetragen ist – gleichwohl Eigentümer ist, z.B. aufgrund Unwirksamkeit der veräußernden Einigung (Auflassung, §§ 873, 925 BGB) oder aufgrund Erbfolge, Vereinbarung der Gütergemeinschaft/Errungenschaftsgemeinschaft (Art. 15 EGBGB), Zuschlagsbeschluss (§§ 90, 130 ZVG), Eintritt in eine BGB-Gesellschaft.713 Bei Mobilien gilt ebenfalls das lex rei sitae-Prinzip. Bei der res in transitu sind 1374d jeweils die sachenrechtlichen Erwerbs- bzw. Veräußerungstatbestände nach der jeweiligen lex rei sitae in der entsprechenden zeitlichen Reihenfolge zu prüfen.714 Bei Forderungen kommt es nach § 23 Satz 2 ZPO auf den Wohnsitz des Schuld- 1374e ners an.715 Geschäftsanteile an einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind sowohl am Sitz der Gesellschaft als auch am Wohnsitz oder Sitz des Gesellschafters belegen. Dagegen sind Inhaberaktien unabhängig vom Sitz der Aktiengesellschaft zu lokalisieren. Entscheidend ist vielmehr, wo das (die Mitgliedschaftsrechte an der Aktiengesellschaft verbriefende) Inhaberpapier belegen ist. Dies bedeutet: Maßgeblich ist der Aufbewahrungsort.716 15. Darlegungs- und Beweislast Zuständigkeitsanknüpfungspunkt ist das in Deutschland gelegene Vermögen. 1375 Hierfür trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast.717 Pauschale Behauptungen genügen nicht. Der Kläger muss das Vorhandensein konkreter Gegenstän-
712 Art. 43 I EGBGB. 713 Zu weiteren Fällen des Abweichens des Grundbuches von der wahren Rechtslage s. die Kommentare zu §§ 22, 53 GBO sowie Palandt/Bassenge, BGB73, § 894 Rz. 2. 714 OLG Hamm v. 14.8.1985, IPRspr. 1985 Nr. 143 (Verschiffung der gekauften Ware von China nach Hamburg). 715 Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., § 354 Rz. 14 ff. Rechtsvergleichende Hinweise bei Hök, MDR 2005, 306 (308 Fn. 32). 716 OLG Frankfurt v. 27.9.1995 – 17 U 165/94, NJW-RR 1996, 186 = RIW 1996, 1041 = IPRax 1997, 255 (R. Geimer) = IPRspr. 1995 Nr. 153. Umfangreiche Nachw. bei Oberhammer in FS Schlosser, 2005, 651, 658. 717 BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131; OLG Hamm v. 14.8.1985, IPRspr. 1985 Nr. 143.
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de/Forderungen in Deutschland dartun und gegebenenfalls unter Beweis stellen.718 16. Geschmacksmuster- und Markenrecht 1376 Nach § 58 III des Geschmacksmustergesetzes vom 12.3.2004719 gilt der Ort, an dem der nach Absatz 1 bestellte Vertreter [Inlandsvertreter des Inhabers des geschützten Musters oder Modells] seinen Geschäftsraum hat, i.S. des § 23 ZPO als der Ort, wo sich der Vermögensgegenstand befindet; fehlt ein Geschäftsraum, so ist der Ort maßgebend, wo der Vertreter seinen Wohnsitz, und in Ermangelung eines solchen der Ort, wo das Deutsche Patent- und Markenamt seinen Sitz hat. Ebenso bestimmt § 96 III Markengesetz: „Der Ort, an dem ein nach Absatz 1 bestellter [Inlands-]Vertreter [des Inhabers der Marke] seinen Geschäftsraum hat, gilt im Sinne des § 23 der Zivilprozessordnung als der Ort, wo sich der Vermögensgegenstand befindet. Fehlt ein Geschäftsraum, so ist der Ort maßgebend, wo der Vertreter seinen Wohnsitz, und in Ermangelung eines solchen der Ort, wo das Patentamt seinen Sitz hat.“720
Vorrangig ist jedoch das sekundäre Unionsrecht. In Art. 93 V der Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20.12.1993 über die Gemeinschaftsmarke ist der Mitgliedstaat definiert, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist. Hierzu hat u.a. der EuGH721 entschieden: Bei Verkauf und Lieferung einer nachgeahmten Ware in einem Mitgliedstaat, die anschließend durch den Erwerber in einem anderen Mitgliedstaat weiterverkauft wird, lässt sich für eine Verletzungsklage gegen den ursprünglichen Verkäufer, der in dem Mitgliedstaat, dem das angerufene Gericht angehört, selbst keine Handlung vorgenommen hat, eine internationale Zuständigkeit nicht herleiten. Für eine Klage wegen unzulässiger vergleichender Werbung oder einer unlauteren Nachahmung eines durch eine Gemeinschaftsmarke geschützten Zeichens – beides Verbotstatbestände nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb des Mitgliedstaats, dem das angerufene Gericht angehört – begründet nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ keine internationale Zuständigkeit der Ort des Geschehens, das für einen Schaden, der sich aus der Verletzung des genannten Gesetzes ergibt, ursächlich ist, wenn der mutmaßliche Täter im Gerichtsstaat selbst keine Handlung vorgenommen hat. Dagegen besteht in einem solchen Fall eine gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine auf das besagte nationale Gesetz gestützte Haftungsklage gegen eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort eine Handlung vorgenommen haben soll, die im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts einen Schaden ver-
718 Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 169. 719 BGBl. I 2004, 390. 720 Nachw. zum alten Recht bei Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 168. 721 EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-360/12 – Coty Germany GmbH/First Note Perfumes NV, NJW 2014, 2339 L = EuZW 2014, 664 (v. Hein) = GRUR 2014, 806.
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ursacht hat oder zu verursachen droht (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs).722 17. Irrelevanz der Nichtanerkennung des deutschen Urteils im Ausland Die Anwendung des § 23 ZPO als Basis der deutschen internationalen Entschei- 1377 dungszuständigkeit hängt nicht davon ab, ob das deutsche Urteil im Ausland (Wohnsitzstaat des Beklagten) anerkannt werden wird.723 18. Klagen gegen ausländische Staaten Die Anwendung des § 23 ZPO gegen einen ausländischen Staat (für acta iure 1378 gestionis) ist zulässig (Rz. 643); das in Deutschland gelegene Vermögen muss dem deutschen Vollstreckungszugriff unterliegen724 (Rz. 1372). Die internationale Zuständigkeit Deutschlands kann also nicht auf Vermögen des beklagten Staates gegründet werden, hinsichtlich dessen Vollstreckungsimmunität (Rz. 588) besteht.725 (Vgl. auch Rz. 6729).
722 Kritisch allgemein Kur, Durchsetzung gemeinschaftsweiter Schutzrechte: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, GRUR Int 2014, 7: „Inhaber von gemeinschaftsweit geschützten Marken- und Geschmacksmusterrechten haben gegenüber den Inhabern nationaler Rechte den Vorteil, dass sie sich im Fall grenzüberschreitender Verletzungen auf materiell weitgehend vereinheitlichtes Recht berufen und ihre Ansprüche vor Gemeinschaftsmarken- und -geschmacksmustergerichten gemeinschaftsweit geltend machen können. Dennoch verbleiben eine Reihe offener Fragen, die auch durch jüngere Entscheidungen des EuGH nicht oder jedenfalls nicht befriedigend gelöst wurden. Vor allem zeigt sich in … Entscheidungen zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO n.F., dass der EuGH den durch das Territorialitätsprinzip bedingten Besonderheiten des Immaterialgüterrechts nicht die notwendige Bedeutung beimisst. Als problematisch erweist sich ferner, dass der EuGH die Begriffe „Handlungsort“ und „Ort des ursächlichen Geschehens“ regelmäßig synonym setzt, während deren sinnvolle Verwendung im Immaterialgüterrecht von einer klaren konzeptionellen Unterscheidung abhängt.“ 723 BGH v. 30.1.1980, WM 1980, 410 = IPRspr. 1980 Nr. 140. 724 Nachw. bei Albert, IPRax 1983, 56; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 67; Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 165 ff.; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 197; OLG Koblenz v. 10.10.1972 – 6 U 520/68, OLGZ 1975, 379 = IPRspr. 1974 Nr. 1b; BGH v. 13.11.1974, IPRspr. 1974 Nr. 1b (Bejahung der deutschen internationalen Zuständigkeit, da der beklagte Staat Forderungen aus Waffenlieferungen gegen die Bundesrepublik Deutschland hat, § 23 Satz 2 ZPO); LG Frankfurt/M. v. 2.12.1975 – 3/8 O 186/75, NJW 1976, 1044 (1046) = IPRspr. 1975 Nr. 133 (Unterhalten eines Bankkontos in Deutschland); OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, MDR 1981, 237 = IPRax 1982, 71 (Hausmann 55) = IPRspr. 1980 Nr. 160; OLG Frankfurt v. 4.5.1982 – 5 U 202/81, RIW 1982, 439 (440) = IPRax 1983, 68 (Albert 55) = IPRspr. 1982 Nr. 130; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (462) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156; a.A. Schumann, ZZP 93 (1980), 433 und auch Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 152, 385. 725 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 13 Fn. 58; a.A. OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, RIW 1980, 8745 = MDR 1981, 237 = IPRax 1982, 71 (Hausmann 55) = IPRspr. 1980 Nr. 160.
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19. Maßgeblicher Zeitpunkt 1379 Maßgeblicher Zeitpunkt ist der der Klageerhebung (Rz. 591, 1016, 1108, 1828). 20. Derogierbarkeit 1380 Unzutreffend ist die Vorstellung, § 23 ZPO sei aus Gründen des öffentlichen Interesses nicht derogierbar.726 21. Anwendbarkeit des § 23 ZPO außerhalb des Erkenntnisverfahrens 1381 § 23 ZPO gilt unmittelbar nur für das Erkenntnisverfahren, jedoch über § 828 II ZPO (Rz. 1226) auch für das Vollstreckungsverfahren. Gewissermaßen in der Mitte zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren steht das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach §§ 722, 723 ZPO. Auch hier findet sich eine Verweisung auf § 23 ZPO in der Kompetenznorm des § 722 II ZPO. Diese bedarf der erweiternden Auslegung. Das Vorhandensein von Vermögen des Beklagten, gegen den ein ausländischer Titel für vollstreckbar erklärt werden soll, ist nämlich nicht Voraussetzung für die Bejahung einer internationalen Zuständigkeit Deutschlands für den Exequaturprozess (Rz. 1245, 3127, vgl. auch Rz. 3408).727 22. Auswirkungen der EuGVVO (EU) Nr. 1215/2012 und des Luganer Übereinkommens auf § 23 ZPO 1382 Die Stellungnahme der EuGVVO und des LugÜ zum Vermögensgerichtsstand ist nur auf den ersten Blick zwiespältig und pharisäisch:728 Wohnt der Beklagte innerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs, dann kommt die europäische Zuständigkeitsordnung zum Zuge, die das nationale Zuständigkeitsrecht und damit auch § 23 ZPO verdrängt, Art. 5 I EuGVVO bzw. Art. 3 I LugÜ. Hat der Beklagte dagegen keinen Wohnsitz in einem der Mitglied- bzw. Vertragsstaaten, dann trifft ihn nach wie vor die Härte des § 23 ZPO voll (auch wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitglied- bzw. Vertragsstaat hat). Die Auswirkungen 726 So aber Rammos, Der Gerichtsstand des Vermögens und das Ausländer-Forum nach vergleichendem Recht, 1930, 66 und OLG München v. 2.8.1956 – 7 W 1309/56, MDR 1957, 45 = IPRspr. 1956–1957 Nr. 187. Treffend dagegen Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 461 Fn. 2044; BGH v. 13.12.1967 – VIII ZR 203/65, BGHZ 49, 124 (128) = NJW 1968, 356 = ZZP 82 (1969), 302, 304 (Walchshöfer) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 222; BGH v. 8.2.1971 – II ZR 93/70, NJW 1971, 985 (R. Geimer 1525) = IPRspr. 1971 Nr. 131; BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131. Vgl. auch RG v. 19.1.1935, Seuff Arch 89 Nr. 177 = Giur.comp.d.i.p. 6 (1940) 328 Nr. 203 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 530. 727 Wie hier nun auch Solomon, Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, AG 2006, 832 (839); Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146 (147). 728 Die EU-Kommission sah in ihrem Vorschlag für die Neufassung der EuGVVO die universelle Anwendung des europäischen Kompetenzrechts vor und plädierte für die Einführung des Vermögensgerichtsstands (Art. 25) für Beklagte ohne Wohnsitz/Sitz innerhalb der EU. Hierzu Geimer in FS Simotta, 2012, 163, 167.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
des Vermögensgerichtsstandes wurden durch die EuGVVO und das LugÜ sogar noch verschärft, weil die anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten verpflichtet sind, die im Gerichtsstand des § 23 ZPO erlassenen Urteile nach Art. 36 ff. EuGVVO n.F. bzw. Art. 32 ff. LugÜ anzuerkennen und zu vollstrecken. Nur für den vordergründigen Betrachter erweist sich dieses Konzept der 1383 EuGVVO und des LugÜ als ein Klein-Europa-Chauvinismus, welcher die außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der EuGVVO und des LugÜ wohnenden Beklagten diskriminiert. Dies war der Grundtenor der Kritik, die vor allem aus den Vereinigten Staaten von Amerika mit zum Teil sehr starken Worten herüberdrang.729 Dabei wurde übersehen, dass eine sinnvolle Zuständigkeitspolitik, die ein Abgehen von dem beziehungsarmen Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO erlaubt, nur möglich ist, wenn die Anerkennung und Vollstreckung des im Wohnsitzstaat des Beklagten oder in sonstigen „beziehungsstarken“ Staaten erstrittenen Urteils in anderen Staaten, insbes. dort, wo ein Vollstreckungszugriff aussichtsreich erscheint, gesichert ist (Rz. 1136, 1349). Deshalb ist die Grundlinie der EuGVVO bzw. des LugÜ logisch und konsequent: Abschaffung des Vermögensgerichtsstandes dort, wo die Anerkennung durch europäisches Einheitsrecht730 sichergestellt ist, aber Beibehaltung, wo dies nicht der Fall ist.731 23. Staatsverträge über die internationale Entscheidungszuständigkeit Deutschland hat sich zur Nichtanwendung des § 23 ZPO in einigen völkerrecht- 1384 lichen Verträgen verpflichtet, so ausdrücklich in Art. 20, 24 des Europäischen Übereinkommens über die Staatenimmunität (Rz. 683) sowie konkludent in allen (bi- und multilateralen) Abkommen und Übereinkommen, die eine abschließende Regelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit vorsehen und den Gerichtsstand des Vermögens nicht rezipiert haben, wie z.B. Art. 28 des Warschauer Abkommens732 oder Art. 31 CMR (Rz. 1888).733 Dieser Typus von Verträgen ist selten. Die meisten Verträge regeln nicht die in- 1385 ternationale Entscheidungszuständigkeit (compétence directe), sondern nur die internationale Anerkennungszuständigkeit (compétence indirecte). Diese letzt729 Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1037; vgl. z.B. Juenger, Rev. crit. 1983, 37 ff. 730 Art. 36 ff. EuGVVO n.F. bzw. Art. 32 ff. LugÜ 2007. 731 Zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 23 Rz. 11 g.E. 732 Hierzu z.B. BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548. Ebenso Art. 33 des Montrealer Übereinkommens v. 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. II 2004, 458), welches das Warschauer Abkommen ersetzt, unten Rz. 1893. Nachw. hierzu bei Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2005. 733 Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96 ff. S. auch EuGH v. 4.5.2010 – Rs. C-533/08 – TNT Express Nederland BV/AXA, NJW 2010, 1736 = EuZW 2010, 517; Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 358 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 16. Mankowski in Reithmann/ Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2711.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
genannten Normen sind für den Richter von Bedeutung, der die internationale Zuständigkeit des ausländischen Urteilsstaates als Voraussetzung der Anerkennung eines ausländischen Urteils beurteilen muss (Beurteilungsnormen), nicht jedoch für den Richter im deutschen Erkenntnisverfahren, für den es darauf ankommt, ob die internationale Entscheidungszuständigkeit Deutschlands (als Voraussetzung für den Erlass einer Sachentscheidung) zu bejahen ist (Rz. 852). 1386–1389 Einstweilen frei 24. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1390 Autonomes deutsches Recht: § 23 ZPO ist via § 328 I Nr. 1 ZPO auch auf die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit des Urteilsstaates als Voraussetzung der Anerkennung anzuwenden. Die internationale Zuständigkeit des Erststaates wird also anerkannt, wenn der Beklagte dort Vermögen hatte.734 Wo der Beklagte wohnt, spielt keine Rolle. Auch die Staatsangehörigkeit ist unerheblich; Ausländer können Deutsche (aus hiesiger Sicht, vgl. Rz. 1393) aufgrund des § 23 ZPO vor ausländische Gerichte ziehen. Dies erweitert ganz erheblich die Gerichtspflichtigkeit von Beklagten, die in Deutschland ihren Wohnsitz/Sitz haben.735 Vermögen i.S. des § 23 ZPO sind nicht nur körperliche Sachen, sondern auch Rechte und geldwerte Forderungen, nicht jedoch unpfändbares Vermögen. Wenn das Vermögen des Beklagten im Erststaat Vollstreckungsimmunität (Rz. 588) genoss, scheidet § 23 ZPO aus (Rz. 1378).736 1391 Forderungen sind am Wohnsitz des Drittschuldners belegen, § 23 Satz 2 ZPO.737 Ein Beklagter mit Wohnsitz/Sitz im Inland oder in einem Drittstaat kann also – aus deutscher Sicht – auch dort verklagt werden, wo dessen Schuldner wohnt.738 Der Drittschuldnerwohnsitz ist auch für eine negative Feststellungsklage des Schuldners maßgeblich. Wenn der sich einer Forderung berühmende Gläubiger im Erststaat keinen Wohnsitz/Sitz hat, so reicht diese Forderung als zuständigkeitsbegründender Streitgegenstand aus.739 Das dort vom Schuldner erfochtene
734 BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966 = WM 1996, 2037 = IPRspr. 1996 Nr. 177; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 116; R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1526 sowie Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 103; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 679. 735 Aus der Sicht des XI. Senats des BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (94 ff.) = MDR 1991, 988, vgl. Rz. 1077a, 1178, stellt sich die Frage, ob das von ihm postulierte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der „hinreichenden Bezug“ zum Urteilsstaat zu spiegeln ist. 736 A.A. OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, MDR 1981, 237 = IPRax 1982, 71 (Hausmann 51, 55) = IPRspr. 1980 Nr. 160. 737 Zu § 23 Satz 2 ZPO allgemein s. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., § 354 Rz. 14 ff. 738 OLG Celle v. 14.10.1907, OLGE 17 (1908), 323. 739 BGH v. 17.5.1977, BGHZ 69, 44 = NJW 1977, 1637 = WM 1977, 1008 = IPRspr. 1977 Nr. 128; BGH v. 13.6.1978, MDR 1979, 1015 = RIW 1979, 58 = JZ 1979, 231 (Maier-Reimer) = IPRspr. 1978 Nr. 143.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Feststellungsurteil ist daher in Deutschland auch dann anzuerkennen, wenn der Gläubiger im Schuldnerland kein weiteres Vermögen besaß.740 Das Anknüpfungsobjekt des § 23 ZPO muss zur Zeit der Klageerhebung oder 1392 spätestens im Zeitpunkt der Fällung des letzten Urteils im Erststaat belegen sein (Rz. 2902). Ob der Vermögensbestandteil dem Beklagten gehörte, ist nach deutschem internationalen Privatrecht zu entscheiden.741 Die Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit des Erststaates 1393 durch den Zweitrichter ist logisch klar zu trennen von der Prüfung der internationalen Entscheidungszuständigkeit durch den ausländischen Erstrichter im Erkenntnisverfahren (Rz. 1805). Steht fest, dass der Beklagte im Erststaat Vermögen hatte, dann ist – vorbehaltlich des Falls der Derogation – aus deutscher Sicht die internationale Zuständigkeit des Erststaates gegeben; weitere Prüfungen zur Jurisdiktionsfrage (wo der Erfüllungsort lag, ob die Zuständigkeitsvereinbarung zulässig und wirksam war, etc.) sind überflüssig. Ohne Bedeutung ist vor allem, aus welchen Gründen der Erstrichter die internationale Entscheidungszuständigkeit seines Gerichtsstaates bejaht hat, selbst dann, wenn er sein (erststaatliches) Kompetenzrecht falsch angewandt hat, also eine Sachentscheidung erlassen hat, obwohl er bei richtiger Handhabung seines Rechts die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit hätte abweisen müssen. Eine Ausnahme gilt nur für die (höchst seltenen) Fälle, in denen – anders als im deutschen Recht (Rz. 1011) – das Fehlen der internationalen Zuständigkeit zur Nichtigkeit (Wirkungslosigkeit) des Urteils führt. Völkervertragsrecht: In einigen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen 1394 wird der Gerichtsstand des Vermögens als Basis für die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaates anerkannt.742 25. Rechtsvergleichendes Der Vermögensgerichtsstand ist weit verbreitet in den Zuständigkeitssystemen, 1395 die vom actor sequitur forum rei-Prinzip ausgehen.743 Die romanischen Systeme, die bereits die eigene Staatsangehörigkeit einer Partei ausreichen lassen, um eine internationale Zuständigkeit zu eröffnen, können ebenso leicht auf den Vermögensgerichtsstand verzichten wie die common law-Systeme, die als „transient rule“ oder „tag jurisdiction“744 die Zustellungszuständigkeit kennen, Rz. 1584. Beide kommen zu einer Bejahung der internationalen Zuständigkeit in
740 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 676. 741 Martiny, a.a.O., Rz. 677. 742 Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1526. Zum EuGVÜ/LugÜ bzw. zur EuGVVO s. Rz. 1382 a.E. 743 Hinweise bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 391; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 22 ff.; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 298; vgl. auch Rz. 1588. 744 Nachw. z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 284 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
allen Fällen des praktischen Bedürfnisses.745 Sowohl die Staatsangehörigkeitswie die Zustellungszuständigkeit werden – ebenso wie § 23 ZPO746 – als exorbitante Gerichtsstände in der Liste (Art. 76 II EuGVVO) zu Art. 5 II EuGVVO bzw. zu Art. 3 II LugÜ an den Pranger gestellt (vgl. auch Rz. 682).747 26. Vermögensgerichtsstand im internationalen Insolvenzrecht 1395a Anders als früher § 238 KO knüpfte kompetenzrechtlich im Beitrittsgebiet § 22 II GesVO schlicht an die Belegenheit von Vermögen des Gemeinschuldners an. Diese Regelung galt seit dem 1.1.1999 in ganz Deutschland, Art. 102 III 1 EGInsO, seit 20.3.2003 nunmehr abgeschwächt durch § 354 II InsO, der ein „besonderes Interesse“ an der Eröffnung des inländischen Partikularverfahrens verlangt (Rz. 3457).
V. Unterwerfung des Beklagten 1. Ausdrückliche Unterwerfung 1396 Erklärt der Beklagte ausdrücklich, dass er sich der Jurisdiktion Deutschlands unterwerfe oder dass er sich auf die (an sich gegebene) internationale Unzuständigkeit Deutschlands nicht berufen wolle, so wird dadurch die deutsche internationale Zuständigkeit begründet: Sie beruht auf einer einseitigen Handlung des Beklagten. Es ist gleichgültig, ob der Kläger diese Unterwerfung ausdrücklich oder stillschweigend „annimmt“ oder sogar ausdrücklich zurückweist. Nur die Erklärung des Beklagten erzeugt die deutsche internationale Zuständigkeit. Die These, hier liege eine stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung zwischen den Parteien vor, ist nicht haltbar.748 2. Konkludente Unterwerfung durch Unterlassen der Rüge der internationalen Unzuständigkeit in limine litis 1397 Die Unterwerfung des Beklagten muss nicht ausdrücklich erklärt werden. Sie liegt schlüssig in der vorbehaltlosen Einlassung zur Hauptsache. § 39 ZPO gilt nicht nur für die örtliche Zuständigkeit, sondern eröffnet auch eine internationale Zuständigkeit.749 745 Zum US-Recht Junker, IPRax 1986, 199; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 383; Hay, ZZP 107 (1994), 260; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 174. 746 Hierzu auch Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 281. 747 S. aber auch R. Geimer in FS Simotta, 2012, 163, 167, oben Rz. 1382. 748 R. Geimer WM 1977, 67. Zustimmend z.B. Götz, Der Gerichtsstand der rügelosen Einlassung im Zivilprozessrecht der Schweiz, 2004, 30. Zu Art. 24 EuGVVO a.F. (nun: Art. 26 n.F.) ausführlich z.B. Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 561 ff. 749 W. J. Habscheid in FS Schima, 1969, 179; R. Geimer, WM 1977, 66; BGH v. 26.1.1979 – V ZR 75/76, NJW 1979, 1104 (R. Geimer 1784) = IPRspr. 1979 Nr. 156; BGH v. 5.5.1982 – IVb ZR 697/80, MDR 1982, 835 = FamRZ 1982, 785 = RIW 1982, 592 =
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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3. Prozesshandlung Die Unterwerfung des Beklagten ist eine Prozesshandlung, die ausschließlich 1398 nach der deutschen lex fori zu beurteilen ist.750 4. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten Fraglich ist, ob die Unterwerfung des Beklagten auch in nichtvermögensrecht- 1399 lichen Streitigkeiten zuständigkeitsbegründende Kraft hat oder ob § 40 II ZPO auch im zwischenstaatlichen Bereich gilt (Rz. 1634, 1751).751 Sicher ist, dass die Einlassung in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen sowie in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine internationale Zuständigkeit begründet (Rz. 1751, 1973). 5. Ausschließliche internationale Zuständigkeit fremder Staaten Ob die Unterwerfung des Beklagten wegen einer ausschließlichen internationa- 1400 len Zuständigkeit eines anderen Staates kompetenzrechtlich ins Leere geht, hängt davon ab, ob und inwieweit man aus der Sicht des deutschen Rechts eine ausschließliche internationale Zuständigkeit des Auslands anerkennt, wie dies die h.M. entgegen der hier für das autonome deutsche Recht vertretenen Auffassung (Rz. 929) unter Hinweis auf § 40 II 2 ZPO tut.752 Das OLG Köln753 hält nur die Einschränkung bzw. Nichtbeachtung einer ausschließlichen internationalen
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IPRax 1983, 33, 34 (Beitzke 16); BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, IPRspr. 1985, 136; BGH v. 13.7.1987 – II ZR 280/86, BGHZ 101, 296 = MDR 1987, 1002 = NJW 1987, 3181 = RIW 1987, 870 = IPRspr. 1987 Nr. 19; OLG Köln v. 18.9.1980 – 12 U 62/80, RIW 1980, 877 = IPRspr. 1980 Nr. 13; OLG Köln v. 5.5.1982 – 24 U 148/81, VersR 1982, 985 = IPRspr. 1982 Nr. 36; OLG Hamm v. 20.6.1983 – 2 U 333/82, NJW 1984, 1307 = RIW 1983, 952 = IPRspr. 1983 Nr. 25; OLG München v. 18.12.1985 – 7 U 4049/84, IPRax 1986, 178 = IPRspr. 1985 Nr. 35; OLG Frankfurt v. 11.11.1986 – 5 U 240/85, RIW 1987, 223 = MDR 1987, 410 = TranspR 1987, 68 = IPRspr. 1986 Nr. 41; OLG Hamm v. 11.12.1986 – 2 U 119/86, RIW 1987, 384 = IPRspr. 1986 Nr. 148. Weitere Nachw. bei Schütze, RIW 1984, 735 Fn. 13 und Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 142. S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 494 ff. Hat sich der Beklagte zur Urkunde eines deutschen Notars (§ 794 I Nr. 5 ZPO) der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen, dann bedeutet dies nicht automatisch eine Unterwerfung unter die Jurisdiktion der Bundesrepublik Deutschland, wenn der Gläubiger gegen den Beklagten vor einem deutschen Gericht auf Feststellung des der Zwangsvollstreckung zugrundeliegenden Anspruchs klagt, wofür i.d.R. das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Z.B.: Namensschutzklagen. Hier ergibt sich klar aus § 40 II Nr. 1 ZPO, dass eine Unterwerfung zulässig ist, Rz. 1635. Vgl. auch die Nachw. bei Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 69 Fn. 218. Schack, IPRax 1991, 348 Fn. 9; BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, NJW-RR 1987, 227 = MDR 1985, 911 = IPRspr. 1985 Nr. 136 (Rz. 1402) für § 24 UWG a.F. OLG Köln v. 23.10.1985 – 2 U 79/85, MDR 1986, 239 = IPRspr. 1985 Nr. 145. Undeutlich BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = IPRax 1999,
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Zuständigkeit Deutschlands für unzulässig, nicht jedoch die Begründung der an sich fehlenden internationalen Zuständigkeit Deutschlands gem. § 39 ZPO (Rz. 940a). 6. Maßgeblicher Zeitpunkt 1401 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Zuständigkeit wird durch § 282 III ZPO fixiert (Rz. 1417). Danach sind Rügen, welche die Zulässigkeit der Klage betreffen, und um eine solche handelt es sich bei der internationalen Unzuständigkeit, gleichzeitig und für alle Instanzen vor der Verhandlung zur Hauptsache in erster Instanz vorzubringen.754 7. Keine Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen bei Teilnahme des Beklagten am Rechtsstreit 1402 Die praktische Konsequenz aus § 39 ZPO ist, dass die internationale Zuständigkeit nicht von Amts wegen zu prüfen ist, wenn der Beklagte am Rechtsstreit teilnimmt (Rz. 1817). 8. Rüge nur der örtlichen Zuständigkeit 1403 Will der Beklagte nur die örtliche Zuständigkeit rügen (er bestreitet nicht, dass Deutschland international zuständig ist, hält aber das LG Bonn anstelle des LG Stuttgart für örtlich zuständig), so wird die (an sich nach §§ 12 ff. ZPO fehlende) internationale Zuständigkeit Deutschlands nach § 39 ZPO begründet.755 Ist in Wahrheit kein örtlich zuständiges Gericht vorhanden, so greifen die Regeln über die örtliche Ersatzzuständigkeit (Rz. 965) ein. Ob sich die Zuständigkeitsrüge des Beklagten in concreto auf die der örtlichen Zuständigkeit beschränkt, ist durch Auslegung nach den allgemeinen Regeln zu ermitteln. Dabei gilt als Grundsatz: Im Zweifel ist in der Rüge der örtlichen auch die der internationalen Zuständigkeit enthalten.756 9. Mehrere Streitgegenstände 1404 Den Umfang seiner Unterwerfung bzw. seines Verzichts auf die Rüge der internationalen Unzuständigkeit bestimmt der Beklagte. So kann er sich für den einen Streitgegenstand unterwerfen, für den anderen nicht. Unzulässig ist aber, bei 45 (Stoll 29) = IStR 1998, 223 (Goette) = LM nach Art. 38 EGBGB 1986 Nr. 3 (Dörner) = IPRspr. 1997 Nr. 60. Hierzu Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1019. 754 Zur Haftung des Anwalts, der es unterlässt, die internationale Unzuständigkeit zu rügen, BGH v. 31.10.1985 – IX ZR 175/84, WM 1986, 199 = EWiR 1986, 139 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 146. 755 Zur Nachprüfung in der Revisionsinstanz s. Rz. 1856 sowie BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger) = WiB 1997, 494 (Ralle). 756 BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, NJW-RR 2005, 1518 = RIW 2005, 776 = IPRax 2006, 594 (Leible/Sommer 568) = IPRspr. 2005 Nr. 109.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Anspruchskonkurrenz die Unterwerfung auf eine Anspruchsgrundlage (Vertrag, nicht aber Delikt oder umgekehrt) zu beschränken. Bei teilbaren Ansprüchen ist eine Unterwerfung nur hinsichtlich eines Teils zulässig. Beispiel: Eingeklagt sind 1 000 000 Euro. Der Beklagte kann sich hinsichtlich eines Teils von 50 000 Euro der Jurisdiktion Deutschlands unterwerfen.
§ 39 ZPO begründet die internationale Zuständigkeit Deutschlands nur in dem 1405 Umfang, in dem zur Zeit der rügelosen Verhandlung zur Hauptsache der Streitgegenstand bereits rechtshängig ist. Wird die Klage erweitert, dann kann der Beklagte, der sich vorbehaltlos zur Hauptsache eingelassen hat, gleichwohl hinsichtlich des bisher nicht anhängigen Teils die internationale Unzuständigkeit Deutschlands rügen.757 Er muss dies aber unverzüglich nach Klageerweiterung tun; sonst greift wieder § 39 ZPO ein. Das Gleiche gilt bei einer Klageänderung (Änderung des Streitgegenstandes, Rz. 1406), und zwar auch in den Fällen des § 264 Nr. 2 und 3 ZPO. Wiederholung der Klage: Wird die Klage – nach Klagerücknahme oder nach 1406 Abweisung als zurzeit unzulässig oder unbegründet – wiederholt, dann gilt die Unterwerfung nicht auch für den zweiten Prozess (Rz. 646). Der Beklagte handelt auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er nun seine Prozesstaktik ändert, die internationale Unzuständigkeit Deutschlands rügt und – anders als im ersten Prozess – auf eine Prozessabweisung (vgl. aber Rz. 1420) hinsteuert (Rz. 1109). 10. Passive Streitgenossenschaft Die Unterwerfung eines Beklagten begründet nicht die internationale Zuständig- 1407 keit Deutschlands gegen den/die anderen Streitgenossen, § 61 ZPO. Dies gilt auch bei der echten notwendigen Streitgenossenschaft (Ausnahme: Fall der Säumnis, § 62 ZPO). Der Umstand, dass Deutschland in Richtung auf einen Beklagten international zuständig geworden ist, führt aus den oben Rz. 1164 dargelegten Erwägungen nicht zur Eröffnung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands in Bezug auf die anderen. Denn die dort angesprochenen Konstellationen setzen voraus, dass Deutschland in Richtung auf einen Beklagten bereits kraft Gesetzes international zuständig ist. 11. Hilfsweise Einlassung zur Hauptsache Rügt der Beklagte rechtzeitig in limine litis die internationale Unzuständigkeit, 1408 dann kommt die zuständigkeitsbegründende Wirkung des § 39 ZPO auch dann nicht zum Zuge, wenn er hilfsweise zur Hauptsache Stellung nimmt. Er braucht sich also einer sachlichen Stellungnahme nicht zu enthalten, nur um sich die Einwendung der internationalen Unzuständigkeit zu erhalten.758
757 BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, MDR 1985, 911 = WM 1985, 1507 = NJW-RR 1987, 227 = GRUR 1986, 325 (Jakobs) = LM § 33 Nr. 18 = IPRspr. 1985 Nr. 136. 758 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 24 EuGVVO Rz. 47.
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Internationale Zuständigkeit
12. Widerklage 1409 Hat der Beklagte rechtzeitig in limine litis die internationale Unzuständigkeit gerügt, so wird Deutschland auch dann nicht gem. § 39 ZPO international zuständig, wenn der Beklagte hilfsweise Widerklage erhebt für den Fall, dass das Gericht – entgegen der Rüge – die internationale Zuständigkeit des Gerichtsstaates bejaht. Denn die Widerklage kann nicht als konkludente Unterwerfung des Beklagten unter die Jurisdiktion ausgelegt werden.759 1410 Auch hinsichtlich der Widerklage ist § 39 ZPO anwendbar (Rz. 1402).760 Liegt keine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO vor, so ergibt sich die internationale Zuständigkeit Deutschlands für eine (inkonnexe) Widerklage aus § 39 ZPO, wenn der Widerbeklagte (= Kläger) die internationale Unzuständigkeit Deutschlands nicht unverzüglich rügt. 13. Notwendigkeit des Festhaltens an der Rüge der internationalen Unzuständigkeit 1411 Der Beklagte, der rechtzeitig in limine litis die internationale Unzuständigkeit Deutschlands gerügt hat, kann sich in jeder Lage des Verfahrens der Jurisdiktion Deutschlands unterwerfen und so die deutsche internationale Zuständigkeit begründen. Dem steht gleich, wenn er ausdrücklich erklärt, an der Rüge der internationalen Zuständigkeit nicht mehr festhalten zu wollen. Theoretisch denkbar ist auch eine konkludente Erklärung, wenn sich aus der gesamten Prozessführung des Beklagten unzweideutig ergibt, dass er an der Rüge der internationalen Zuständigkeit nicht mehr festhalten will. Doch dürften solche Fälle in der Praxis selten sein, weil das Gericht gem. § 139 ZPO auf eine Klarstellung dringen wird. 14. Rechtsmittelinstanzen 1412 Die von den Gerichten und im Schrifttum gebetsmühlenhaft verwendete Formel, die internationale Zuständigkeit sei in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen,761 bedarf der Einschränkung (Rz. 1816): Eine Amtsprüfung durch die Rechtsmittelgerichte ist nur dort gerechtfertigt, wo die internationale Zuständigkeit nicht durch rügelose Einlassung des Beklagten nach § 39 ZPO begründet werden kann.762 1413 Der Beklagte muss während des ganzen Prozesses – also auch in der Rechtsmittelinstanz – an seiner Rüge der internationalen Unzuständigkeit festhalten. Hat
759 R. Geimer, WM 1986, 118. 760 BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, MDR 1985, 911 = WM 1985, 1507 = NJW-RR 1987, 227 = GRUR 1986, 325 (Jakobs) = LM § 33 Nr. 18 = IPRspr. 1985 Nr. 136. 761 Z.B. BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rz. 12; KG v. 22.10.1997 – 3 UF 1976/97, FamRZ 1998, 378 = NJW 1998, 2062 = IPRspr. 1997 Nr. 87. 762 Offen gelassen in BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = RIW 1986, 991 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = MDR 1987, 228 = LM Nr. 9 zu § 175 ZPO = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = Rpfleger 1987, 26 = WM 1986, 1444 = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = IPRspr. 1986 Nr. 144.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
er zwar rechtzeitig in limine litis die internationale Unzuständigkeit geltend gemacht, aber in seiner Rechtsmittelbegründung bzw. Rechtsmittelerwiderungsschrift zu erkennen gegeben, dass er diese Rüge nicht mehr weiter verfolgt, dann ist gem. § 39 ZPO die internationale Zuständigkeit begründet. In Rechtsstreitigkeiten, in denen die internationale Zuständigkeit Deutschlands 1414 durch die rügelose Einlassung des Beklagten begründet werden kann (Rz. 1399), darf – sofern der Beklagte am Verfahren teilnimmt763 – das Berufungs- bzw. Revisionsgericht die internationale Zuständigkeit nur auf Rüge prüfen.764 Weshalb soll das Berufungs- oder Revisionsgericht von Amts wegen die interna- 1415 tionale Zuständigkeit prüfen, wenn der Beklagte als Berufungskläger oder -beklagter nur materiell-rechtliche Punkte rügt? Beispiel: Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Hier kann das Berufungsgericht nicht ohne Rüge des Beklagten die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit abweisen. Denn eine Sachabweisung ist für den Beklagten erstrebenswerter als eine Prozessabweisung (Rz. 1420).765
Etwas anderes gilt, wenn der Beklagte das Rechtsmittel nicht eingelegt hat und 1416 in der Rechtsmittelinstanz nicht vertreten ist. Dann kann gegen den Beklagten kein ihn belastendes Versäumnisurteil ergehen, wenn die deutsche internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist. Beispiel: Der Beklagte wurde teilweise verurteilt, im Übrigen wurde die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Rechtsmittelgericht kann auf Antrag des Klägers (= Berufungsklägers) durch
763 Hiervon zu unterscheiden ist folgende Konstellation: Der Beklagte rügt in erster (und zweiter) Instanz – ohne Erfolg – die internationale Unzuständigkeit Deutschlands (z.B. OLG München v. 22.12.2010 – 20 U 3526/10, ZInsO 2011, 866 = IPRspr. 2010 Nr. 355), lässt aber im Revisionsverfahren (unechtes) Versäumnisiurteil gegen sich ergehen. Auch dann will der BGH die internationale Zuständigkeit von Amts wegen prüfen, BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 = WM 2012, 2012, 852 = WuB VI A. § 352 InsO 1.12 (krit. R. Geimer). Hätte sich der Beklagte am Revisionsverfahren beteiligt und dort die (rechtzetig in limine litis erhobene) Rüge der internationalen Unzuständigkeit nicht weiterverfolgt, hätte Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ bzw. § 39 ZPO (i.V.m. Art. 6 I EuGVVO bzw. Art. 4 I LugÜ) die internationale Zuständigkeit Deutschlands begründet, Die Ansicht des BGH führt dazu, dass im Versäumnisfall (keine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren) eine umfangreichere Zuständigkeitsprüfung stattfindet. Dies führt zu einer nicht begründbaren Privilegierung der Passivität des Beklagten im Revisionsverfahren. Gleiches gilt vice versa in der Berufungsinstanz. 764 R. Geimer, WM 1986, 118; a.A. Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 427 Fn. 1341 unter Hinweis auf den Wortlaut des § 39 ZPO („Gericht des ersten Rechtszuges“), der aber die hier vertretene teleologische Auslegung nicht widerlegen kann. Denn warum soll das Rechtsmittelgericht die internationale Zuständigkeitsfrage „schärfer“ prüfen müssen als die erste Instanz? 765 R. Geimer, RIW 1988, 222; a.A. BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, NJW 1987, 592 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Versäumnisurteil nur dann den Rest zusprechen, wenn es die internationale Zuständigkeit von Amts wegen geprüft und bejaht hat.
15. Präklusion nach §§ 296 III, 532, 565 ZPO 1417 Hat der Beklagte sich rügelos zur Hauptsache eingelassen, dann geht § 39 ZPO vor. Ohne dass es auf ein Verschulden ankommt, ist die (internationale) Zuständigkeit begründet. § 296 III ZPO ist nicht (mehr) anwendbar. Ein Beklagter, dem eine Frist zur Klageerwiderung (§ 275 I 1 oder § 276 I 2 ZPO) gesetzt worden ist, muss die (internationale) Unzuständigkeit schon innerhalb dieser Frist schriftsätzlich (vor der mündlichen Verhandlung) geltend machen, § 296 III i.V.m. § 282 III ZPO. Sonst ist er präkludiert. In § 39 ZPO kann nicht hineingelesen werden, dass der Beklagte bis zur mündlichen Verhandlung mit der Zuständigkeitsrüge warten darf.766 Im amtsgerichtlichen Verfahren ist § 504 ZPO zu beachten. Dies gilt aber nicht im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ,767 vorbehaltlich der Ausnahme in Art. 26 II EuGVVO. Vorstehendes gilt mutatis mutandis auch unter den Voraussetzungen der §§ 532, 565 ZPO. 16. Klage am forum derogatum 1418 § 39 ZPO kommt auch dann zum Zug, wenn die Parteien zuvor die ausschließliche internationale Zuständigkeit eines anderen Staates vereinbart haben. Klagt die eine Partei abredewidrig am forum derogatum und rügt die andere die internationale Unzuständigkeit nicht, dann ist die Zuständigkeitsvereinbarung für beide Parteien gegenstandslos, wobei es gleichgültig ist, wie man dies rechtstechnisch konstruieren will: konkludenter Aufhebungsvertrag oder Annahme, dass Zuständigkeitsvereinbarungen von vornherein unter der (konkludenten) auflösenden Bedingung geschlossen werden, dass über die Anrufung eines anderen forums Einvernehmen hergestellt wird bzw. diese vom Beklagten hingenommen wird. Damit gewinnt auch der Beklagte seine Handlungsfreiheit zurück (Rz. 1734). Er kann am forum derogatum Widerklage erheben oder aufrechnen (Rz. 1776, 1777). 17. Vorrang des Art. 26 EuGVVO und des Art. 24 LugÜ 1419 Im Anwendungsbereich des Art. 26 EuGVVO bzw. des Art. 24 LugÜ wird § 39 ZPO verdrängt.768 Die Grenzlinie zwischen beiden Normen herauszuarbeiten, sah die Rechtsprechung sich bisher nicht veranlasst, weil kein Fall bekannt geworden ist, in dem dieser Punkt entscheidungserheblich gewesen wäre (s. Rz. 1874 f.). 766 A.A. BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95 = NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/ Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = WiB 1997, 494 (Ralle). 767 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 = RIW 1988, 555 = IPRspr. 1988 Nr. 157. 768 Hierzu z.B. OLG Hamm v. 2.10.1998 – 29 U 212/97, RIW 1999, 540 = IPRspr. 1998 Nr. 157.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
18. Bedingte Einlassung für den Fall des Obsiegens Für den Beklagten ist ein Urteil, das die Klage als unbegründet abweist, vorteil- 1420 hafter als eine Prozessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit. Er befindet sich oft in einer Zwickmühle, weil er nicht voraussehen kann, ob er in der Sache siegen würde, falls er durch seinen Verzicht auf die Rüge der internationalen Unzuständigkeit die Voraussetzung für ein Sachurteil schaffen würde. Daher stellt sich die Frage, ob der Beklagte sich nur für den Fall seines Obsiegens nach § 39 ZPO einlassen kann. Dies ist zu bejahen für den Fall, dass keine Beweisaufnahme notwendig ist, welche die Arbeitskraft des Gerichts möglicherweise umsonst (für den Fall, dass es der Klage stattgeben wollte) in Anspruch nehmen würde.769 19. Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit Wer sich ausdrücklich der fremden Jurisdiktion unterworfen hat, hat auf den 1421 Schutz des § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 1 FamFG verzichtet.770 Wer im Erstprozess ausdrücklich erklärt hat, dass er die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts akzeptiere, würde sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen (venire contra factum proprium), wenn er im Zweitverfahren die Auffassung verträte, der Erststaat sei gar nicht zuständig gewesen. Anwendung des § 39 ZPO: Die Unterwerfung des Beklagten unter die Jurisdikti- 1422 on des Urteilsstaates kann auch konkludent erklärt werden. Hat sich der Beklagte auf den ausländischen Rechtsstreit eingelassen, ohne die internationale Unzuständigkeit des Erststaates zu rügen, so wird unwiderleglich vermutet, der Beklagte habe sich der Jurisdiktion des Erststaates unterworfen,771 aber nur dann, wenn der Beklagte nach der dortigen lex fori die Möglichkeit gehabt hätte, die internationale Unzuständigkeit geltend zu machen. War der Erststaat nach seinem Recht kraft Gesetzes international zuständig, so bestand für den Beklagten keine Möglichkeit, die Abweisung der Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zu erreichen.772
769 R. Geimer, IPRax 1986, 215. So hätte es z.B. in dem vom BGH am 24.9.1986 entschiedenen Fall keine Verzögerung bzw. Mehrbelastung des BGH gegeben, wenn man dem Beklagten gestattet hätte, sich in der Revisionsinstanz der Jurisdiktion Deutschlands unter der Bedingung zu unterwerfen, dass der BGH die Klage als unbegründet abweist, BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, NJW 1987, 592 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer). 770 R. Geimer, RIW 1979, 641. 771 BGH v. 15.10.1992 – IX ZR 231/91, MDR 1993, 907 = NJW 1993, 1270 (1272) = IPRax 1993, 321 (Geimer 292). Vgl. auch BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 75/01, IPRax 2003, 351 = RIW 2002, 63 (zum dt.-israel. Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag). 772 BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (339) = MDR 1993, 473 = IPRax 1994, 204 (R. Geimer 187) = ZZP 107 (1994), 67 (Schack) = EWiR 1993, 195 (Schlechtriem) = IPRspr. 1992 Nr. 229; BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966 = WM 1996, 2037 = IPRspr. 1996 Nr. 177; R. Geimer, RIW 1979, 641; R. Geimer Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 120. A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 726; Schröder, NJW 1980, 477.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1423 Der Beklagte muss die nach dem Recht des Erststaates gegebene internationale Unzuständigkeit im Erstprozess rügen. Er muss alle ihm nach der lex fori zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen, um die Abweisung der Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit zu erreichen. Nach dem englischen und US-amerikanischen Zuständigkeitsrecht lässt sich die Frage, ob in concreto ein bestimmtes Gericht international zuständig ist oder nicht, nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten (internationale Ermessenszuständigkeit, Rz. 1073). Der Beklagte muss – wenn er sich überhaupt am erststaatlichen Verfahren beteiligt – für die Abweisung der Klage wegen internationaler Unzuständigkeit kämpfen.773 1424 Zur Wahrung seiner Rechte im Zweitverfahren ist der Beklagte jedoch nicht verpflichtet, im Erstprozess Rechtsmittel zu einer höheren Instanz einzulegen, um die Rüge der internationalen Unzuständigkeit weiterzuverfolgen. Legt er jedoch Rechtsmittel ein, so muss er auch in der Rechtsmittelinstanz die internationale Unzuständigkeit geltend machen, sofern dies nach der lex fori statthaft ist. 1425 Der Beklagte braucht sich aber – anders als im Anwendungsbereich der VO (EU) Nr. 1215/2012 (Rz. 245c) und der Luganer Konvention, wo grundsätzlich774 die internationale Zuständigkeit des Erststaates im Anerkennungsstadium nicht mehr geprüft wird und daher die internationale Unzuständigkeit nicht zur Versagung der Anerkennung führt – überhaupt nicht am ausländischen Prozess zu beteiligen. Lässt er ein Versäumnisurteil bzw. ein Urteil nach Lage der Akten gegen sich ergehen, dann kann er gegen dessen Anerkennung im Inland einwenden, der Urteilsstaat sei nach deutschen Normen (§§ 12 ff. ZPO bzw. den Parallelvorschriften der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge, die durch ihre Ratifizierung in das deutsche Recht inkorporiert worden sind) international unzuständig. Er ist nur präkludiert mit dem Einwand der Derogation und der Schiedsgerichtsabrede (vgl. Rz. 1714, 1809). 1426 Zu Recht hält das OLG Frankfurt/M.775 §§ 39 Satz 2, 504 ZPO für nicht „internationalisierungsfähig“.776 Die Belehrungspflicht in dieser Bestimmung ist eine Eigenart der deutschen lex fori, deren Einhaltung wir von ausländischen Gerichten nicht erwarten können.
VI. Belegenheitszuständigkeit 1. Überblick 1427 Unter diesem Oberbegriff (forum rei sitae) kann man den Gerichtsstand des Klagegegenstandes, § 23 Satz 1 Alt. 2 ZPO, sowie den dinglichen Gerichtsstand des
773 R. Geimer, RIW 1979, 642; ähnlich OLG Stuttgart v. 22.12.1978 – 5 U 124/77, RIW 1980, 283 = IPRspr. 1978 Nr. 169. 774 Ausnahme: Art. 45 I lit. e EuGVVO bzw. Art. 35 I LugÜ. 775 OLG Frankfurt v. 13.12.1978, RIW 1979, 276 (Geimer 640) = NJW 1979, 1787 = MDR 1979, 586. 776 Anders ist es möglicherweise im Anwendungsbereich des Art. 45 I lit. e EuGVVO n.F. im Hinblick auf Art. 26 II EuGVVO n.F.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
§ 24 ZPO777 und den der §§ 29a, 29b ZPO sowie des § 43 I WEG zusammenfassen. In allen drei Fällen wirkt zuständigkeitsbegründend der Umstand, dass der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand sich im Inland befindet. Dies ist rechtspolitisch vernünftig. Wo die Parteien des Rechtsstreits wohnen oder sich aufhalten, ist ohne Bedeu- 1428 tung; auch spielt ihre Staatsangehörigkeit keine Rolle. So können sich ein Brasilianer und ein Chinese über das Eigentum an einer Wohnung in Berchtesgaden vor einem deutschen Gericht streiten. Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurde – praeter legem – vor der 1429 IPR-Reform 1986 eine deutsche internationale Zuständigkeit eröffnet, wenn die zu regelnden vermögensrechtlichen Belange im Inland zu lokalisieren sind, z.B. vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für Veräußerung deutschen Grundbesitzes durch minderjährigen Ausländer mit Wohnsitz/Aufenthalt im Ausland.778 So nun §§ 99 I 2, 104 I 2 FamFG (früher §§ 35b II, 69e FGG). 2. Streitigkeiten über Mobilien, Forderungen und sonstige Rechte Befindet sich der Streitgegenstand in Deutschland, so ist für diese Klage die 1430 deutsche internationale Zuständigkeit zu bejahen, § 23 Satz 1 Alt. 2 ZPO. Wo die Parteien wohnen oder sich aufhalten, spielt keine Rolle.779 3. Streitigkeiten über inländischen Grundbesitz Hier ist die Belegenheit des Grundbesitzes im Inland Anknüpfungspunkt für die 1431 deutsche internationale Zuständigkeit, § 24 ZPO, § 43 I WEG.780
777 Zur Parallelnorm des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO s. z.B. EuGH v. 3.4.2014 – Rs. C-438/12 – Weber/Weber, NJW 2014, 1871 Rz. 46 betreffend Klage auf Feststellung der wirksamen Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrecht. 778 Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 222. Terminologisch anders („Fürsorgezuständigkeit“) BayObLG v. 22.4.1958, BayObLGZ 1958, 100. 779 Z.B. OLG Schleswig v. 14.1.1982 – 2 W 85/81, IPRax 1983, 195 = IPRspr. 1982 Nr. 112; BGH v. 11.5.1989 – IX ZR 278/88, MDR 1989, 809 = NJW 1989, 2123 = WM 1989, 952 = ZIP 1989, 761 = IPRspr. 1989 Nr. 190. 780 Wenig entscheidungsfreudig seinerzeit noch BGH v. 13.12.1967 – VIII ZR 203/65, BGHZ 49, 124 (128) = NJW 1968, 356 = ZZP 82 (1969), 302 (Walchshöfer) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 222: „Wieweit ein ausschließlicher Gerichtsstand (beispielsweise der des § 24 ZPO) zugleich zwingend die deutsche internationale Zuständigkeit begründet, braucht hier nicht entschieden zu werden.“ Hierzu Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1018. Der Zuständigkeitsbezug ist so stark, dass er sich selbst gegenüber Exterritorialen durchsetzt, Rz. 627, 739, 769. Für die Schweiz s. Art. 97 IPR-Gesetz. Ausführliche Hinweise zum Recht anderer Staaten bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 243 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
4. Mietstreitigkeiten bezüglich im Inland gelegenen Wohnraums 1432 Für Klagen in Mietsachen ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben, wenn der vermietete Wohnraum im Inland liegt, § 29a ZPO.781 5. Nachbarrechtliche Abwehrklage 1432a Hierzu s. unten Rz. 1499. 6. Besitzschutz 1432b Hierzu s. Rz. 1499. 7. Ausschließlichkeit des forum rei sitae? 1433 Das in Rz. 1430 erwähnte Forum eröffnet nur eine konkurrierende internationale Zuständigkeit. Die Regel actor sequitur forum rei bleibt unberührt. Dagegen wird die deutsche Jurisdiktion über inländischen Grundbesitz und grundstücksgleiche Rechte als Ausdruck der Gebietshoheit gesehen. Da man glaubt, deutsche Souveränität stünde auf dem Spiel, beansprucht entgegen der hier vertretenen Auffassung (Rz. 878 ff.) die h.M. (Rz. 896)782 eine ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands für die in § 24 ZPO genannten Klagen.783 1434 Wenngleich das Reichsgericht die deutsche internationale Zuständigkeit bezüglich deutscher Grundstücke für international ausschließlich hielt, ausländischen Urteilen also die Anerkennung verweigerte, so beanspruchte es gleichwohl deutsche Entscheidungszuständigkeit für Klagen, die ausländische Grundstücke betrafen.784 Es durchbrach also die Kongruenzregeln des § 328 I Nr. 1 ZPO (Rz. 938).
781 Hierzu Nachw. z.B. bei de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 76. 782 BT-Drucks. 10/504, 89, weitere Nachw. bei de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 105 Fn. 68; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 212; Grundmann, IPRax 1985, 249 Fn. 5, 6. Ebenso in der Schweiz s. Art. 97 IPR-Gesetz, Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 263; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 101. 783 So z.B. RG v. 7.6.1921, RGZ 102, 251 (253): „Der Staat duldet nicht, dass fremde Richter über die in seinem Bereich liegenden Grundstücke urteilen.“ Ebenso Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 212; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 696; zu Recht skeptisch Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 367. Wieso soll aber die deutsche Souveränität auf dem Spiele stehen, wenn Erbprätendenten im Ausland streiten, wer Erbe eines in Deutschland gelegenen Grundstücks geworden ist? Zum anderen erkennen wir die internationale Zuständigkeit ausländischer Staaten (§ 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO) ohne Bedenken an, wenn das Eigentum an einem deutschen Grundstück nur Vorfrage ist. 784 RG v. 20.1.1894, RGZ 32, 414; BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = IPRax 1999, 45 (Stoll 29) = IStR 1998, 223 (Goette) = LM nach Art. 38 EGBGB 1986 Nr. 3 (Dörner) = IPRspr. 1997 Nr. 60.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Auch die Zuständigkeit gem. § 29a ZPO betrachtet die h.M. als international 1435 ausschließlich.785 8. Völkerrechtliches Vertragsrecht und EU-Recht Eine Parallelnorm zu § 23 Satz 1 Alt. 2 ZPO (Rz. 1430) kennt die EuGVVO bzw. 1436 das LugÜ nicht, wohl aber zu §§ 24, 29a ZPO in Art. 24 Nr. 1 EuGVVO786 bzw. in Art. 22 Nr. 1 LugÜ; allerdings stimmen die Anwendungsbereiche nicht exakt überein.787 Nach § 8 des deutsch-türkischen Nachlassvertrages vom 28.5.1929788 sind 1437 „Streitigkeiten infolge von Ansprüchen gegen den Nachlass bei den zuständigen Behörden des Landes, in dem dieser sich befindet, anhängig zu machen und von diesen zu entscheiden“. 9. Freiwillige Gerichtsbarkeit Auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurde vor der FG-Reform 2009 1437a die internationale Zuständigkeit Deutschlands auf die Belegenheit einer Sache oder eines Rechts gestützt; die Grenzen waren unklar.789 Nunmehr gilt allein die lex scripta, §§ 98 ff. FamFG. 10. Haushaltssachen Wird über die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung und am Hausrat nicht im 1437b Entscheidungsverbund zusammen mit der Ehesache, z.B. Scheidung (§§ 98, 201 Nr. 1 FamFG), entschieden, dann ist der Ort der gemeinsamen Wohnung der Ehegatten u.a. Anknüpfungspunkt auch für die internationale Zuständigkeit, §§ 105, 201 Nr. 2 FamFG.790
785 Trenk-Hinterberger, Internationales Wohnungsmietrecht, 1977, 72. A.A. LG Bonn v. 4.10.1973 – 6 S 268/73, NJW 1974, 427 (R. Geimer 2189) = IPRspr. 1973 Nr. 135; OLG Düsseldorf v. 14.12.1989 – 10 U 93/89, RIW 1990, 220 = ZMR 1990, 144 = IPRspr. 1989 Nr. 198. 786 Z.B. Klage auf Feststellung der wirksamen Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrecht, EuGH v. 3.4.2014 – Rs. C-438/12 – Weber/Weber, NJW 2014, 1871 Rz. 46. 787 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 652, 691. Vgl. auch Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 81 JN Rz. 21. 788 RGBl. II 1930, 747; hierzu z.B. Erman/Hohloch, BGB14, Art. 25 EGBGB Rz. 56. 789 W. J. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit7, 1983, § 11 A 1 f.; Kegel/Schurig, IPR9, § 22 II; Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 102; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG15, Einl. 77. 790 Früher § 11 II Satz 1 HausratsVO, hierzu AG Kerpen v. 13.9.1995 – 51 F 132/95, FamRZ 1997, 893 = IPRspr. 1996 Nr. 78.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
11. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1438 Die Belegenheit des Streitgegenstandes im Erststaat wird als Zuständigkeitsanknüpfung nach § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG anerkannt.791
VII. Gerichtsstand der Mitgliedschaft 1. Internationale Entscheidungszuständigkeit 1439 § 22 ZPO eröffnet internationale Zuständigkeit für Klagen inländischer Vereine, juristischer Personen und Handelsgesellschaften gegen ihre Mitglieder und umgekehrt sowie für Klagen zwischen den Mitgliedern. Hier ist Anknüpfungspunkt für die deutsche internationale Zuständigkeit der Sitz des Vereins etc. im Inland. Wo sich die Mitglieder aufhalten und welche Staatsangehörigkeit sie haben, ist ohne Bedeutung. So können sich zwei Gesellschafter einer deutschen oHG mit Wohnsitz in Rumänien und den Vereinigten Staaten von Amerika vor einem deutschen Gericht über die Frage streiten, ob die Bilanz der Gesellschaft richtig aufgestellt ist. Die Mitglieder, Gesellschafter etc. der in Deutschland ansässigen Vereine, Gesellschaften etc. sind im Inland gerichtspflichtig.792 So kann etwa der Insolvenzverwalter auch im Ausland domizilierte Gesellschafter am Sitz der Gesellschaft wegen Kapitalersatz793 verklagen.794 1440 § 22 ZPO gilt für alle Vereine. Wie groß ihre Verbandsmacht ist, spielt keine Rolle. Dieser Aspekt ist nicht justiziabel. So können auch mächtige Industriegewerkschaften ihre Mitgliedsbeiträge gegen Gastarbeiter, die inzwischen wieder in ihre Heimatländer abgewandert sind, an ihrem Sitz einklagen.795 1441 Auch für Prospekthaftungsklagen gegen Personen, welche die Gesellschaft bei den Beitrittsverhandlungen vertreten oder als Initiatoren, Gestalter oder Gründer der Anlagegesellschaft fungieren, eröffnet § 22 ZPO eine internationale Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft.796 Das Gleiche gilt für Streitigkeiten unter den Mitgliedern einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, z.B. einer Anwaltssozietät.797
791 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1523. 792 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 125/85, MDR 1986, 1002 = WM 1986, 883 = GmbHR 1986, 304 = ZIP 1986, 838 = IPRspr. 1986 Nr. 130; OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, RIW 1993, 68 (Ebke 613) = IPRax 1993, 170 (Ebenroth/Woggon 151) = EWiR 1992, 211 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 172b; Brödermann, ZIP 1996, 492; R. Geimer in FS Schippel, 1996, 869. Vgl. auch oben Rz. 728. 793 §§ 30, 31 GmbHG, OLG München v. 27.7.2006 – 7 U 2287/06, GmbHR 2006, 1153 = ZIP 2006, 2402. 794 OLG Karlsruhe v. 20.1.1998 – 4 W 169/97, GmbHR 1998, 331 = ZIP 1998, 1005. S. auch Haubold, IPRax 2000, 375 (379). 795 BGH v. 26.10.1979, MDR 1979, 203 = NJW 1980, 343; Beckmann, Statutarische Schiedsklauseln im deutschen Recht und internationalen Kontext, 2006, 2007, 304; a.A. Stein/Jonas/Schumann, ZPO23, § 22 Rz. 1 Fn. 4 m.w.N. 796 BGH v. 13.3.1980, MDR 1980, 560; M. Vollkommer, IPRax 1992, 211. 797 OLG Köln v. 28.5.2003 – 5 W 54/03, MDR 2003, 1374 = NJW 2004, 862.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
2. Internationale Anerkennungszuständigkeit Noch nicht ausreichend untersucht ist die Frage, in welchem Umfang Deutsch- 1442 land für die in § 22 ZPO genannten Klagen eine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt. Wird z.B. ein Urteil eines ausländischen Gerichts, das einen Hauptversammlungsbeschluss einer deutschen Aktiengesellschaft für nichtig erklärt, schon wegen der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit Deutschlands nicht anerkannt? Dies ist aus den oben Rz. 878 ff. dargelegten Gründen zu verneinen.
VIII. Zweigniederlassung im Inland Literatur: Albers, Die Begriffe der Niederlassung und der Hauptniederlassung im internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, 2010; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht 2, Neubearbeitung 2011, IntVertrVerfR Rz. 144 ff. 1. Ratio legis § 21 ZPO eröffnet eine internationale Zuständigkeit Deutschlands für alle Kla- 1443 gen, die zum Geschäftsbereich der Niederlassung einen Bezug haben.798 Wo man sich am Wirtschaftsleben beteiligt, „dort soll man auch Rede und Ant- 1444 wort stehen für die Rechtschaffenheit seines Unterfangens“:799 Unterhält eine ausländische Fluggesellschaft im Inland eine Niederlassung, in der mehrere Angestellte beschäftigt werden, so gelten diese trotz etwaiger interner Beschränkungen als bevollmächtigt, Plätze bei einer anderen Fluggesellschaft zu bestellen. Die Klage auf Erfüllung eines solchen Vertrages kann vor dem für den Sitz der Niederlassung zuständigen deutschen Gericht erhoben werden.800
798 BGH v. 10.7.1975 – II ZR 56/74, NJW 1975, 2142 = RIW 1975, 695 = WM 1975, 1056 (R. Geimer, WM 1976, 146) = IPRspr. 1975 Nr. 139; BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, IPRax 1997, 335 (Schack 318) = BB 1997, 1642 = ZIP 1996, 2031 = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194; OLG Frankfurt v. 25.10.1984 – 16 U 398/83, WM 1985, 477 = IPRspr. 1984 Nr. 148; OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen). Weitere Nachw. z.B. bei Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 401 ff.; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 135 ff.; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet, 2004, 40 ff. Umfangreiche Nachw. bei Müller-Froelich, Der Gerichtsstand der Niederlassung im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2008. Vgl. auch oben Rz. 729. 799 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 339. Ähnlich de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 89 und OLG München v. 7.4.1975, RIW 1975, 347 = WM 1975, 872 = IPRspr. 1975 Nr. 135/136; OLG Düsseldorf v. 11.5.1978, MDR 1978, 930 = IPRspr. 1978 Nr. 140. 800 Enger OLG München v. 20.9.1982 – 21 U 1442/82, RIW 1983, 127 = IPRspr. 1982 Nr. 144. Vgl. auch den Fall des BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1445 Darüber hinaus ist jeder im Ausland Domizilierte, wenn er am inländischen Wirtschaftsverkehr von einem inländischen Stützpunkt aus teilnimmt, hinsichtlich solcher Klagen im Inland gerichtspflichtig, die sich auf die inländische Niederlassung beziehen.801 Nicht erforderlich ist, dass die Niederlassung rechtlich unselbständig ist. Ein Kaufmann oder eine Handelsgesellschaft mit Sitz im Ausland kann auch über eine (mehrheitlich) beherrschte oder durch Personalunion der Vorstände/Geschäftsführer „gleichgeschaltete“ inländische juristische Person (AG, GmbH) oder Personenhandelsgesellschaft am inländischen Wirtschaftsverkehr teilnehmen.802 Auf die Hierarchie im Konzern kommt es nicht an; auch die ausländische Tochter kann sich ihrer Mutter als Stützpunkt im Inland bedienen. Über § 21 ZPO findet aber hauptsächlich ein „Zuständigkeitsdurchgriff“ von Tochter auf Mutter statt; dies gilt z.B. auch im Zusammenhang mit Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen.803 Zu weit geht es aber, einen deutschen Sportverband allein aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer internationalen Sportorganisation als deren Niederlassung i.S. von § 21 ZPO zu begreifen.804 (S. auch Rz. 188a). 2. Klagegrund 1445a § 21 ZPO differenziert nicht nach dem Klagegrund. Er erfasst z.B. Vertragsklagen ebenso wie Deliktsklagen.805 3. Selbständige Leitung 1446 § 21 ZPO verlangt die selbständige Leitung der Niederlassung und die Befugnis, aus eigener Entscheidungsfreiheit Geschäfte abzuschließen.806 Daher reicht ein Kontaktbüro nicht aus.807
801 R. Geimer, WM 1976, 146. 802 Zurückhaltender Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 21 Rz. 18. 803 Zur Gerichtspflichtigkeit in Deutschland via § 21 ZPO bei doing business in Germany R. Geimer, RIW 1988, 221; Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 135 ff.; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 219; Harald Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“, 1992 (besprochen von Hay, ZZP 107 [1994], 259). Ebenso zu Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ EuGH v. 9.12.1987 – Rs. C-218/86 – Schotte/Parfüms Rothschild, Slg. 1987, 4905 = NJW 1988, 625 = RIW 1988, 136 (R. Geimer 220) = IPRax 1989, 96 (Kronke 81). 804 OLG München v. 28.3.1996 – U (K) 3424/95, Sport und Recht 1996, 133 = IPRspr. 1996 Nr. 135b. Anders die Vorinstanz LG München I v. 17.5.1995, ZZPInt 1 (1996), 405 (Heß 371) = IPRspr. 1996 Nr. 135a. 805 Rehbinder, a.a.O., Rz. 250. 806 OLG Frankfurt v. 18.2.1988 – 16 U 280/86, RIW 1988, 399 = WM 1989, 57 = IPRspr. 1988 Nr. 154; OLG Düsseldorf v. 26.1.1988 – 4 U 190/87, NJW-RR 1989, 432 = EWiR 1989, 513 (Wach) = IPRspr. 1988 Nr. 152; OLG Düsseldorf v. 25.5.1996 – 6 U 120/95, RIW 1996, 776 = Rpfleger 1997, 12. 807 BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910, hierzu Bendref, RIW 1986, 186.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
4. Scheinniederlassung Eine Scheinniederlassung genügt.808 Allerdings wird der Rechtsschein einer 1446a Niederlassung nicht bereits durch die Angabe einer mit „c/o“ bezeichneten Korrespondenzadresse begründet.809 5. Kein Gerichtsstand des Abschlussortes Es reicht nicht aus, dass der Vertrag in der (inländischen) Niederlassung ge- 1447 schlossen worden ist. Der Vertrag muss sich vielmehr gerade auf die (inländische) Niederlassung beziehen.810 Bei Investmentgeschäften mit ausländischen, vor allem US-amerikanischen Brokerhäusern, vermeiden es die inländischen (oft rechtlich selbständigen) Repräsentanzen peinlich, mit inländischen Kunden in eigene vertragliche Beziehungen zu treten, um eine kompetenzrechtliche Anknüpfung zu Deutschland zu vermeiden und die deutschen Kunden zu zwingen, nach der actor sequitur forum-Regel in den USA zu klagen, wo ein für die Brokerhäuser wesentlich freundlicheres Rechtsklima vorherrscht. Das findet das OLG Frankfurt811 nicht anstößig: „Da der Kläger Verträge unmittelbar mit der amerikanischen Gesellschaft geschlossen hat, hat er sich damit einverstanden erklärt, vertragliche Ansprüche nur gegen diese Gesellschaft zu begründen und solche gegebenenfalls an deren Sitz in den USA geltend zu machen. Im Übrigen kann nach deutschem Recht grundsätzlich auch die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbart werden. Der Umstand, eine Forderung im Ausland einklagen zu müssen, benachteiligt einen deutschen Staatsangehörigen deshalb noch nicht unangemessen.“812 6. Kein Aktivgerichtsstand § 21 ZPO erweitert nur die Gerichtspflichtigkeit des Inhabers der Niederlassung, 1448 gibt ihm seinerseits aber nicht das Recht, an seiner Niederlassung andere zu verklagen.813
808 OLG Düsseldorf v. 21.1.1988 – 6 U 139/87, NJW-RR 1988, 1260 = IPRspr. 1988 Nr. 150; OLG Frankfurt v. 28.11.2011 – 21 U 23/11, ZIP 2012, 293 = WM 2011, 2360 = AG 2012, 182 = EWiR 2012, 227 (Theewen). S. auch OLG Celle v. 15.6.2006 – 4 U 43/06, OLGR 2007, 615; Kummer, Juris PR-BGHZivilR 2007 Nr. 36 Anm. 4. 809 LG Wuppertal v. 8.9.1993 – 2 O 25/93, NJW-RR 1994, 191 = IPRspr. 1993 Nr. 147. 810 ArbG Augsburg v. 9.1.1980, IPRspr. 1980 Nr. 138. 811 OLG Frankfurt v. 24.3.1994 – 16 U 69/93, WM 1994, 1025 = WuB I G 1. Nr. 1.95 (Marwede) = IPRspr. 1994 Nr. 31. 812 Ebenso BGH v. 27.10.1994 – IX ZB 39/94, MDR 1995, 520 = RIW 1995, 150; BGH v. 22.11.1994 – XI ZR 45/91, MDR 1995, 519 = WM 1995, 100 = IPRax 1995, 316 (Rauscher 289); hierzu Brunkow, JuS 1996, 294. 813 Ebenso für EuGVÜ und LugÜ bzw. die EuGVVO R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 296 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
7. Gerichtsstand der Niederlassung eines ausländischen Kreditinstituts 1449 Ein außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums domiziliertes Unternehmen muss im Inland eine Niederlassung errichten. Der auf § 21 ZPO beruhende Gerichtsstand darf nicht ausgeschlossen werden. § 53 KWG bestimmt: (1) Unterhält ein Unternehmen mit Sitz im Ausland eine Zweigstelle im Inland, die Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, gilt die Zweigstelle als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut. Unterhält das Unternehmen mehrere Zweigstellen im Inland, gelten sie als ein Institut. (2) Auf die in Absatz 1 bezeichneten Institute ist dieses Gesetz mit folgender Maßgabe anzuwenden: 1. Das Unternehmen hat mindestens zwei natürliche Personen mit Wohnsitz im Inland zu bestellen, die für den Geschäftsbereich des Instituts zur Geschäftsführung und zur Vertretung des Unternehmens befugt sind, sofern das Institut Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt und befugt ist, sich bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren von Kunden zu verschaffen. Solche Personen gelten als Geschäftsleiter. Sie sind zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. … (3) Für Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb einer Zweigstelle im Sinne des Absatzes 1 Bezug haben, darf der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 Zivilprozessordnung nicht durch Vertrag ausgeschlossen werden.“
1450 § 53 KWG gilt jedoch (mit Ausnahme des Investmentgeschäftes) nach § 53b I 2 KWG nicht für Einlagenkreditinstitute und Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums, wenn das Unternehmen von den zuständigen Stellen des Herkunftsstaats zugelassen worden ist, die Geschäfte durch die Zulassung abgedeckt sind und das Unternehmen von den zuständigen Stellen nach den Vorgaben der Richtlinien der Europäischen Union beaufsichtigt wird. § 53b Unternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (1) Ein CRR-Kreditinstitut oder ein Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums darf ohne Erlaubnis durch die Bundesanstalt über eine Zweigniederlassung oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs im Inland Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen, wenn das Unternehmen von den zuständigen Stellen des Herkunftsmitgliedstaates zugelassen worden ist, die Geschäfte durch die Zulassung abgedeckt sind und das Unternehmen von den zuständigen Stellen nach Maßgabe der Richtlinien der Europäischen Union beaufsichtigt wird. Satz 1 gilt entsprechend für CRR-Kreditinstitute, die auch Zahlungsdienste im Sinne des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes erbringen. § 53 ist in diesem Falle nicht anzuwenden. § 14 der Gewerbeordnung bleibt unberührt.
8. Gerichtsstand des inländischen Repräsentanten 1451 Der vom Kapitalanlagegesetz aufgehobene § 138 II InvG (früher § 6 II AuslandsinvG) eröffnete am Wohnsitz bzw. Sitz des inländischen Repräsentanten ein Forum gegen die Investmentgesellschaft etc. Nunmehr gilt:
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
§ 319 KAGB – Vertretung der Gesellschaft, Gerichtsstand beim Vertrieb von EU-AIF oder von ausländischen AIF an Privatanleger (1) Der Repräsentant vertritt den EU-AIF oder ausländischen AIF gerichtlich und außergerichtlich. Er ist ermächtigt, für die AIF-Verwaltungsgesellschaft und die Vertriebsgesellschaft bestimmten Schriftstücke zu empfangen. Diese Befugnisse können nicht beschränkt werden. (2) Für Klagen gegen einen EU-AIF oder einen ausländischen AIF, eine AIF-Verwaltungsgesellschaft oder eine Vertriebsgesellschaft, die zum Vertrieb von Anteilen oder Aktien an EU-AIF oder ausländischen AIF an Privatanleger im Geltungsbereich dieses Gesetzes Bezug haben, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Repräsentant seinen Wohnsitz oder Sitz hat. Dieser Gerichtsstand kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden. (3) Der Name des Repräsentanten und die Beendigung seiner Stellung sind von der Bundesanstalt im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Entstehen der Bundesanstalt durch die Bekanntmachung nach Satz 1 Kosten, so sind ihr diese Kosten zu erstatten.814
Einstweilen frei 1452–1458 9. Gerichtsstand der inländischen Geschäftsstelle Dieser Gerichtsstand gilt für luftverkehrsrechtliche Streitigkeiten, Art. 33 des 1459 Montrealer Übereinkommens (Rz. 1893) bzw. Art. 28 I des Warschauer Abkommens;815 ihm dürfte angesichts des Flug-Massentourismus immer größere Bedeutung zukommen.816 (S. auch Rz. 1466). 10. Gerichtsstand des inländischen Heimathafens bzw. des inländischen Heimatortes Dieser Gerichtsstand spielt(e) im Seetransport- bzw. Binnenschifffahrtsrecht ei- 1460 ne Rolle;817 der EuGVVO bzw. dem LugÜ ist er unbekannt.
814 Zu dem vom Kapitalanlagegesetz aufgehobenen § 138 II InvG (früher § 6 II AuslandsinvG) z.B. Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 174. 815 Hierzu z.B. BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548. Ebenso nun auch Art. 33 I des Montrealer Übereinkommens v. 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. II 2004, 458), welches das Warschauer Abkommen ersetzt, unten Rz. 1893. Nachw. hierzu bei Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2005. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 181. 816 BGH v. 23.3.1976 – VI ZR 150/74, NJW 1976, 1587 = MDR 1976, 833 = LM Nr. 12 zum Warschauer Abkommen; BGH v. 16.6.1982 – I ZR 100/80, MDR 1983, 25 = RIW 1982, 910; OLG München v. 20.9.1982 – 21 U 1442/82, RIW 1983, 127. 817 Vormals auch §§ 488, 508 HGB a.F.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
§ 6 BinSchiffG (1) Das Gericht des Ortes, von dem aus die Schiffahrt mit dem Schiffe betrieben wird (Heimatort), ist, vorbehaltlich des § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtssachen vom 27. September 1952 (BGBI. I S. 641), für alle gegen den Schiffseigner als solchen zu erhebenden Klagen zuständig ohne Unterschied, ob er persönlich oder nur mit dem Schiff haftet. (2) Unter mehreren hiernach in Betracht kommenden Orten gilt als Heimatort der Ort, wo die Geschäftsniederlassung, bei mehreren Niederlassungen die Hauptniederlassung und in Ermangelung einer Geschäftsniederlassung der Wohnsitz des Schiffseigners sich befindet. (3) Ist ein Heimatort nicht festzustellen, so gilt als solcher der Ort, wo der Schiffseigner zur Gewerbesteuer oder Einkommensteuer veranlagt wird.
11. Mahnverfahren 1461 Im Mahnverfahren (Rz. 973) ist die inländische Niederlassung einer Bank bzw. Versicherungsgesellschaft mit Sitz im Ausland der „allgemeine Gerichtsstand“ i.S. von § 689 II 1 ZPO.818 12. Derogierbarkeit 1462 Der Gerichtsstand der Zweigniederlassung kann grundsätzlich derogiert werden. Es gelten jedoch folgende Ausnahmen: Für Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb einer inländischen Zweigstelle eines ausländischen Kreditinstituts Bezug nehmen, kann § 21 ZPO nicht derogiert werden, § 53 III KWG (Rz. 1646; eine Schiedsvereinbarung ist jedoch zulässig).819 13. Ausschließlichkeit 1463 Die Banken-AGB (Nr. 6 II) sehen für Prozesse gegen die Bank (Passivprozesse) die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Filialstaates vor (Gerichtsstand am Sitz der kontoführenden Stelle).820 14. Maßgeblicher Zeitpunkt 1464 Es kommt auf den Zeitpunkt der Klageerhebung/Antragstellung an.821 Eine Schließung der Niederlassung oder ein Wegfall des Rechtsscheins (Rz. 1446a) nach diesem Zeitpunkt ist unschädlich. Wurde die Niederlassung vor Klageer-
818 BGH v. 6.4.1979 – I ARZ 386/78, NJW 1979, 1785; AG Frankfurt/M. v. 23.11.1979, NJW 1980, 2028. S. auch Wagner, RIW 1995, 89. 819 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 = NJW 1980, 2922 = MDR 1980, 914 = IPRax 1981, 53 (Samtleben 43) = IPRspr. 1980 Nr. 183. 820 Mühlhausen, WM 1986, 990. Zu den AGB der Schweizer Banken RG v. 9.6.1932, JW 1936, 3185 = Giur.comp.d.i.p. 7 (1941) 110 Nr. 52 (Lorenz und Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 532. 821 Es genügt jedoch, wenn der Zuständigkeitstatbestand des § 21 ZPO erst während des Rechtsstreits verwirklicht wurde, Rz. 1828.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
hebung aufgelöst bzw. der relevante Rechtsschein beseitigt, kommt § 21 nicht zur Anwendung.822 15. Internationale Anerkennungszuständigkeit Die vorstehenden Zuständigkeitsanknüpfungen tragen auch die internationale 1465 Anerkennungszuständigkeit, § 328 I Nr. 1 ZPO.823
IX. Fora für Klagen aus Verträgen 1. Abschlussort Den Gerichtsstand des Abschlussortes kennt das internationale Luftrecht. So 1466 kann nach Art. 28 I des Warschauer Abkommens,824 auf das § 56 III des deutschen LuftverkehrsG825 verweist, in dem Staat geklagt werden, in dem sich die Geschäftsstelle befindet, durch welche der Vertrag abgeschlossen worden ist.826 Die ZPO ließ bis 31.12.1996 den Abschlussort als Kompetenzanknüpfung – im 1467 Gegensatz zu anderen Prozessordnungen (Rz. 1582) – nur in der rudimentären Form des § 30 ZPO a.F.827 zu. Danach war für Klagen aus den auf Messen und Märkten geschlossenen Handelsgeschäften das Gericht des Messe- oder Marktortes zuständig, wenn die Klage erhoben wird, während der Beklagte oder sein zur Prozessführung berechtigter Vertreter sich am Ort oder im Bezirk des Gerichts aufhält. Diese Kompetenznorm stammte aus der Praxis des Handelsgerichts der Messestadt Leipzig.828 Sie eröffnete auch internationale Zuständigkeit (Rz. 962).829
822 BGH v. 12.6.2007 – XI ZR 290/06, NJW-RR 2007, 1570 = IPRax 2008, 128 = RIW 2007, 873 (874). 823 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 672. 824 Hierzu z.B. BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548. 825 Nachw. z.B. bei Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 21. 826 Ebenso Art. 33 I des Montrealer Übereinkommens v. 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im int. Luftverkehr (BGBl. II 2004, 458), welches das Warschauer Abkommen ersetzt, unten Rz. 1893. Nachw. hierzu bei Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2005. 827 Der Gerichtsstand des Mess- bzw. Marktortes wurde mit Wirkung zum 1.1.1997 durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Abschaffung der Gerichtsferien v. 28.10.1996 (BGBl. I 1996, 1546) beseitigt. 828 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 298. 829 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 361; a.A. Milleker, Der negative int. Kompetenzkonflikt, 1975, 151. Der Begriff des Handelsgeschäfts war auch in Auslandsfällen dem § 343 HGB zu entnehmen, vor allem weil viele ausländische Rechtsordnungen diesen gar nicht kennen, Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 361.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
2. Ort der Übernahme des Gutes 1468 Diesen Gerichtsstand kennt Art. 31 I lit. b des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßenverkehr vom 19.5.1956 (CMR, Rz. 1888)830 und nunmehr auch § 30 I ZPO.831 3. Abgangs- und Bestimmungsort 1469 Sedes materiae ist nunmehr § 30 I ZPO.832 Desgleichen kann in luftverkehrsrechtlichen Angelegenheiten am Bestimmungsort (= Ort der vertraglich vereinbarten letzten Landung) geklagt werden, soweit es um Schadensersatzansprüche des Fluggastes aus dem Beförderungsvertrag geht, § 56 II 1 Luftverkehrsgesetz,833 Art. 28 I Warschauer Abkommen834 und Art. 33 I Montrealer Übereinkommen.835
830 Hierzu BGH v. 13.3.2014 – I ZR 36/13, NJW-RR 2014, 1064; OLG Hamburg v. 7.11.1985 – 6 U 88/85, RIW 1986, 557 = IPRspr. 1985 Nr. 147. Hierzu z.B. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 317; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96 ff.; aus österr. Sicht (§ 101 JN) Garber in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 28 JN Rz. 40. 831 Früher § 440 I HGB a.F. 832 Art. 14 der Anlage zu § 664 HGB a.F. bestimmte in Anlehnung an Art. 17 des Athener Übereinkommens v. 13.12.1974 über die Passagier- und Gepäckbeförderung (Rz. 1793): „Für Klagen, die auf Grund der Bestimmungen dieser Anlage erhoben werden, ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der in dem Beförderungsvertrag bestimmte Abgangs- oder Bestimmungsort befindet.“ Hierzu Rabe, Seehandelsrecht4, Anl. § 664 Art. 14 Rz. 2; Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2711; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 30 Rz. 3. 833 I.d.F. v. 10.5.2007, BGBl. I 2007, 698: „Für Klagen, die auf Grund des § 44 erhoben werden, ist außerdem das Gericht des Bestimmungsorts zuständig“. 834 BGH v. 23.3.1976 – VI ZR 252/74, NJW 1976, 1586 = MDR 1976, 833 = IPRspr. 1976 Nr. 123b; BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548; OLG Düsseldorf v. 24.3.1975 – 1 U 87/74, RIW 1976, 176 = VersR 1975, 645 = IPRspr. 1975 Nr. 123a; OLG Frankfurt v. 31.1.1984 – 11 U 43/83, TranspR 1984, 297 = IPRspr. 1984 Nr. 41. Die luftverkehrsrechtlichen internationalen Vereinbarungen und Übereinkommen verdrängen das autonome deutsche Zuständigkeitsrecht, § 56 III 1 Luftverkehrsgesetz. 835 Hierzu z.B. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, vor § 12 Rz. 30.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
4. Ablieferungsort Auch an dem für die Ablieferung bestimmten Ort eröffnet Art. 31 CMR836 sowie 1470 nunmehr § 30 ZPO837 ein Forum. Er baut auf der gleichen Zuständigkeitslogik auf wie der Gerichtsstand des Bestimmungsortes (Rz. 1888). 5. Erfüllungsort Von allergrößter Wichtigkeit für die Geltendmachung von vertraglichen Ansprü- 1471 chen ist der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO). Dieser wird in Rz. 1481 ff. näher erläutert. 6. Zahlungsort für Wechsel- und Scheckklagen § 603 ZPO eröffnet für Wechsel- und Scheckklagen (§ 605 ZPO) an dem vom Er- 1472 füllungsort zu unterscheidenden Zahlungsort eine internationale Zuständigkeit.838 Ob eine ausländische Urkunde als Wertpapier einzuordnen ist, definiert das deutsche Recht. Den Zahlungsort bestimmt die lex causae aus der Sicht des deutschen internationalen Privatrechts (Art. 91 ff. WG, Art. 60 ff. ScheckG). 7. Ort der tatsächlichen Erfüllungsleistung Art. 7 Nr. 1 (a) EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 (a) LugÜ eröffnet nicht nur an dem Ort, 1473 an dem zu erfüllen wäre (Erfüllungsort = Leistungsort), einen Gerichtsstand, sondern auch an dem Ort, an dem die Verpflichtung tatsächlich erfüllt worden ist (Ort der tatsächlichen Erfüllung).839 Ob dies der Erfüllungsort war oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass der Gläubiger die Leistung entgegengenommen hat. Der Ort der tatsächlichen Leistung lässt sich anhand sinnlich wahrnehmbarer Fakten bestimmen, ohne dass es besonderer kollisionsrechtlicher Betrachtungen bedürfte.840 Dieser der ZPO unbekannte Gerichtsstand steht selbständig neben dem des Erfüllungsortes.841
836 Zu diesem Gerichtsstand z.B. OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, VersR 2002, 338 = NJOZ 2001, 1996 = RIW 2002, 152 = IPRspr. 2001 Nr. 145; Konecny in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 101 JN Rz. 8 ff.; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 317 ff.; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96 ff. S. auch EuGH v. 4.5.2010 – Rs. C-533/08 – TNT Express Nederland BV/AXA Versicherungs-AG, NJW 2010, 1736 = EuZW 2010, 517; Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 358 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 16; Mankowsi in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2711. 837 Zur ratio legis amtl. Begründung BT-Drucksache 17/10309, S. 142. 838 OLG Düsseldorf, NJW 1969, 380; Stein/Jonas/Berger, ZPO22, § 603 Rz. 1. 839 BayObLG v. 29.6.2001 – 4 Z AR 56/01, RIW 2001, 862 = BB 2001, 1923 = IPRspr. 2001 Nr. 146. 840 Eine rechtliche Bewertung wird allenfalls erforderlich zur Beantwortung der Frage, was tatsächliche Leistung/Erfüllung ist. 841 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 143.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
8. Ort der Vermögensverwaltung 1474 Für Klagen, die aus einer Vermögensverwaltung von dem Geschäftsherrn gegen den Verwalter oder von dem Verwalter gegen den Geschäftsherrn erhoben werden (nicht aber für Klagen von Dritten oder gegen Dritte), eröffnet § 31 ZPO842 ein Forum an dem Ort, wo die Verwaltung geführt wird, ohne Rücksicht darauf, wo das (zu verwaltende) Vermögen belegen ist. Dieser Gerichtsstand ist der EuGVVO bzw. dem LugÜ nicht bekannt.843 Das Gleiche gilt für § 43 Nr. 5 WEG (Klagen wegen Verwaltung einer Wohnungseigentümergemeinschaft). 9. Ort des Mietobjekts 1475 Für Miet- und Räumungsprozesse aller Art über Wohnraum, der nicht nur zu vorübergehendem Gebrauch (z.B. wie Ferienwohnungen) vermietet ist, begründet § 29a ZPO eine internationale Zuständigkeit dort, wo sich der Wohnraum befindet. 10. Wohnsitz, ersatzweise gewöhnlicher Aufenthalt des Kunden 1476 Zum Schutze des Kunden erklärt § 29c I ZPO (vgl. auch § 26 I FernUSG) für Klagen aus Geschäften i.S. des § 312 BGB das Gericht für zuständig, in dessen Bezirk der Kunde zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.844 Diese Norm geht als Sonderregelung dem § 29 ZPO vor. Der sachliche Anwendungsbereich ist weit auszulegen. Ratio legis ist der kompetenzrechtliche Schutz des Verbrauchers. Dieser soll davor bewahrt werden, seine Rechte bei einem möglicherweise weit entfernten Gericht gelten machen zu müssen, obwohl es der andere Vertragspartner ist, der am Wohnsitz des Verbrauchers die Initiative zu dem Vertragsabschluss ergriffen hat. Auf die Anspruchsgrundlage kommt es nicht an. Erfasst werden ohne Rücksicht auf vertragliche, deliktische oder sonstige Anspruchsgrundlagen alle Klagen, mit denen Ansprüche geltend gemacht werden, die sich auf ein Haustürgeschäft i.S. des § 312 BGB gründen. Dies gilt auch für alle Folgeansprüche aus Haustürgeschäften, insbes. für Ansprüche wegen Schlechterfüllung oder wegen Verschuldens bei Vertragsschluss.845 11. Betriebsort bzw. Sitz des Unternehmens 1477 Für das Beschlussverfahren, das vor allem für Streitigkeiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Mitbestimmungsgesetz vorgesehen ist (§ 2a ArbGG), ist die internationale Zuständigkeit nach h.M. abschließend und zwingend am Betriebsort bzw. am Sitz des Unternehmens fixiert.846 842 Hierzu BGH v. 12.6.2007 – XI ZR 290/06, NJW-RR 2007, 1570 = RIW 2007, 873 (875). 843 S. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 31 Rz. 2. 844 Hierzu z.B. Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 24 ff. 845 BGH v. 7.1.2003 – X ARZ 362/02, MDR 2003, 648 = NJW 2003, 1190 = BB 2003, 603. 846 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 364. Zum geografischen Anwendungsbereich des BetrVG BAG v. 10.9.1985 – 1 ABR 28/83,
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
12. Abänderungsverfahren Soweit wiederkehrende Leistungen aus einem Vertragsverhältnis den geänderten 1478 Umständen angepasst werden sollen (§ 323 ZPO; §§ 238 ff. FamFG), ist Deutschland analog § 767 I ZPO847 international zuständig, wenn bereits ein Titel eines deutschen Gerichts (für die abzuändernde vertragliche Verpflichtung) vorliegt (Rz. 952, 966).848 13. Gebührenklagen Für Klagen der Prozessbevollmächtigen, Beistände, Zustellungsbevollmächtig- 1479 ten und der Gerichtsvollzieher wegen ihres Honorars (Gebühren und Auslagen) ist der Staat des Hauptprozesses international zuständig, § 34 ZPO (Rz. 1541). Dieser Gerichtsstand wurde von der EuGVVO bzw. vom LugÜ nicht rezipiert; doch kann der Gerichtsstand des Erfüllungsortes Platz greifen. Allerdings ist bei deutschem Schuldstatut für das Anwaltshonorar gem. § 269 BGB Erfüllungsort der Wohnsitz/Sitz des Schuldners, nicht der Ort der Kanzlei des Rechtsanwaltes.849 Dort wird aber die Dienstleistung i.S. von Art. 7 Nr. 1 (b) EuGVVO850 bzw. Art. 5 Nr. 1 (b) LugÜ erbracht. 14. Internationale Anerkennungszuständigkeit Die vorstehenden Zuständigkeitsanknüpfungen sind via § 328 I Nr. 1 ZPO auch 1480 spiegelbildlich anzuwenden (vgl. auch Rz. 1496).
X. Insbesondere: Gerichtsstand des inländischen Erfüllungsortes Literatur: Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2002; Hackenberg, Der Erfüllungsort von Leistungspflichten unter Berücksichtigung des Wirkungsortes von Erklärungen im UN-Kaufrecht und der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, Diss. Freiburg/Br. 2000; Henk, Die Haftung für culpa in contrahendo im IPR und IZVR, 2007; Herget, Die internationale Zuständigkeit im Electronic Commerce in der Europäischen Union, Diss. Regensburg, 2006; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort under the Brussels Convention, 1998; Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilpro-
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850
AP Nr. 3 § 117 BetrVG (Beitzke) = IPRspr. 1985 Nr. 51; LAG Frankfurt/M. v. 16.12.1985, BB 1986, 1357 = IPRspr. 1985 Nr. 52. Vorrangig ist jedoch das sekundäre Unionsrecht, insbesondere Art. 3 ff. EuUnterhVO. S. auch die Nachw. bei von Mohrenfels in MüKo.BGB5, Art. 17 EGBGB Rz. 172 ff.; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 315 ff. (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). BGH v. 11.11.2003 – X ARZ 91/03, FamRZ 2004, 95 = MDR 2004, 164 = NJW 2004, 54 = LMK 2004, 119 (Patzina); BGH v. 4.3.2004 – IX ZR 101/03, FamRZ 2004, 398 = MDR 2004, 765 = BB 2004, 910 = BGHReport 2004, 841; OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – I-2 U 64/03, IPRspr. 2005 Nr. 99. Hierzu z.B. Wais, GPR 2014, 165.
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Internationale Zuständigkeit
zess und Schiedsverfahren, Diss. Zürich, 2010; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht9, 2007, § 3 Rz. 49 ff.; Ignatova, Art. 5 Nr. 1 EuGVO – Chancen und Perspektiven der Reform des Gerichtsstands am Erfüllungsort, Diss. Konstanz 2005; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2005; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 184 ff.; Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-Verordnung, Diss. Bonn 2006; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V – E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 382 ff.; Mumelter, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Europäischen Zivilprozessrecht, Diss. Innsbruck 2007; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht – Zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit bei den Gerichtsständen des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung, Diss. Heidelberg 2002; Scheuermann, Internationales Zivilverfahrensrecht bei Verträgen im Internet: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, europäischen und US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen im deutschamerikanischen Rechtsverkehr, 2004, 82 ff.; Schley, Das französische Produkthaftungsrecht und die bei grenzüberschreitenden Vertragsketten im deutsch-französischen Rechtsverkehr auftretenden Probleme, 2001; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 2. Neubearbeitung 2011, IntVertrVerfR Rz. 60 ff.; Wais, Der Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge – Zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 lit. b 2. Spiegelstrich EuGVO, 2013; Wied, Zivilprozessuale Qualifikationsprobleme im Spannungsfeld von Vertrag und Delikt: Ein Beitrag zur Auslegung nationalen Zivilprozessrechts in europäischer Perspektive, 2010; Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, 2008. 1. Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis 1481 Ob eine Streitigkeit aus einem Vertragsverhältnis vorliegt, ist nach der vom deutschen internationalen Privatrecht berufenen lex causae zu beurteilen (Rz. 1493).851 2. Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae 1482 Der Erfüllungsort ist nach der lex causae zu bestimmen, also nach derjenigen Rechtsordnung, die nach deutschem internationalem Privatrecht auf die eingeklagte Verbindlichkeit zur Anwendung kommt.852 Die Auslegung, wonach der
851 Anders dagegen Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 83. 852 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 325 Fn. 1340; R. Geimer, WM 1976, 1288 und EuR 1977, 356; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 51; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 389; OLG Hamm v. 14.8.1985, IPRspr. 1985 Nr. 143; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129; BAG v. 20.4.2004 – 3 AZR 301/03, IPRax 2006, 254 (Franzen 221) = AP ZPO § 38 Nr. 21 (Mankowski) = DB 2004, 2483 = BB 2004, 2360 = IPRspr. 2004 Nr. 110. Der lex causae-Ansatz gilt auch im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 (a) (c) EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 (a) (c) LugÜ, nicht jedoch im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 (b)
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Erfüllungsort nach dem für die streitige Verpflichtung maßgebenden Recht zu bestimmen ist, hat den Vorteil, dass das zuständige Gericht zugleich das Gericht des Ortes ist, an dem die betreffende Verpflichtung nach dem auf sie anwendbaren Recht zu erfüllen ist. Die Erwägung, dass der Erfüllungsort i.d.R. der Ort ist, der die engste Verbindung zwischen Streitigkeit und zuständigem Gericht aufweist, ist im Interesse einer sachgerechten Prozessführung für die in § 29 ZPO für Vertragsklagen vorgesehene Zuständigkeitsregel ausschlaggebend. Da die Kollisionsnormen zur Bestimmung des auf den Vertrag anwendbaren Rechts mit dem Übereinkommen vom 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (nunmehr Rom I-Verordnung) vereinheitlicht worden sind, besteht i.d.R. auch nicht die Gefahr, dass das für die Ermittlung des Erfüllungsorts maßgebende Recht unterschiedlich bestimmt werden kann. Es ist Sache des Gesetzgebers, den Erfüllungsort in einer Weise festzulegen, die sowohl dem Interesse einer geordneten Rechtspflege als auch dem eines ausreichenden Schutzes des Einzelnen angemessen Rechnung trägt. So kann das Gericht, soweit es durch das nationale Recht hierzu ermächtigt ist, den Erfüllungsort in der Weise bestimmen, dass es nach der Art des Schuldverhältnisses und den Umständen des Einzelfalls den Ort ermittelt, an dem die Leistung tatsächlich erbracht worden ist oder werden sollte,853 und zwar auch im Anwendungsbereich des Einheitlichen Kaufrechts.854 Es gibt keinen eigenen prozessualen Erfüllungsortsbegriff oder nur ein Forum am Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung.855 Wo der Schuldner nach materiellem Recht (welches das internationale Privatrecht bestimmt) zu leisten hat, ist er auch gerichtspflichtig.856 Anders ist es jedoch im Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 (b) EuGVVO.857 Danach ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
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857
EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 (b) LugÜ, EuGH v. 6.10.1976 – Rs. C-12/76 – Tessili/Dunlop, Slg. 1976, 1473 = NJW 1977, 491 (R. Geimer) sowie EuGH v. 28.9.1999 – Rs. C-440/97, NJW 2000, 729 = RIW 1999, 951 = IPRax 2000, 399 (Hau 354). Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A l – Art. 5 EuGVVO Rz. 76 ff., 93 ff. EuGH v. 29.6.1994 – Rs. C-288/92 – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau, Slg. 1994, 2913 = NJW 1995, 183 = RIW 1994, 676 = JZ 1995, 244 (R. Geimer). Vorlage BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, RIW 1992, 756 = IPRax 1992, 373 (Jayme 357) = EuZW 1992, 514 (R. Geimer) = EWS 1992, 282 = MDR 1992, 996 = IPRspr. 1992 Nr. 181b. Hierfür jedoch Kropholler/von Hinden in GS Lüderitz, 2000, 401; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 226. A.A. Schack, IPRax 1986, 82; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 679. Zweifelnd Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 775 ff.; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 10 ff. Zum internationalen Erfüllungsortsgerichtsstand bei Bau- und Architektenverträgen Kartzke, ZfBR 1994, 1 sowie BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, MDR 2001, 686 = NJW 2001, 1936 = EWiR 2001, 625 (Wenner) = IPRspr. 2000 Nr. 133: Ort des Bauwerks, wenn Architekt Planung und Bauaufsicht übernimmt. Hierzu z.B. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 83 ff.; Mankowski, TranspR 2008, 67; Mankowski, IHR 2009, 46.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen; – für die Erbringung von Dienstleistungen858 der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. 3. Maßgeblicher Erfüllungsort 1483 § 29 ZPO knüpft – wie Art. 7 Nr. 1 (a) (c) EuGVVO und Art. 5 Nr. 1 (a) (c) LugÜ859 – an den Erfüllungsort für die eingeklagte Forderung an. Es genügt nicht, dass irgendeine Verpflichtung aus dem Vertragsverhältnis in Deutschland erfüllt werden muss.860 § 29 ZPO eröffnet also eine internationale Zuständigkeit Deutschlands nur dann, wenn die streitgegenständliche Verbindlichkeit im Inland erfüllt werden muss.861 1484 Für jede vertragliche Hauptpflicht ist mithin der Erfüllungsort selbständig zu bestimmen.862 1485 Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten eröffnet Art. 21 I Nr. 2 (a) EuGVVO bzw. Art. 19 Nr. 2 (a) LugÜ ein Forum am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers für alle Klagen aus dem Arbeitsverhältnis.863 4. Klagen, welche das gesamte Vertragsverhältnis betreffen 1486 Zwar begründet der Erfüllungsort für eine der Vertragspflichten nicht automatisch eine internationale Zuständigkeit Deutschlands für alle aus dem Vertragsverhält-
858 Hierzu z.B. Wais, GPR 2014, 165. 859 Hierzu außer den Kommentaren zum EuGVÜ/LugÜ Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 88 JN Rz. 69 ff. 860 Anders früher (vor dem Reformgesetz v. 31.5.1995) das italienische Recht, hierzu z.B. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 312. 861 Anders aber Art. 7 Nr. 1 (b) EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 (b) LugÜ. 862 Vgl. z.B. zum Erfüllungsort für den vom Verkäufer geschuldeten Kaufpreisrückzahlungsanspruch BGH v. 22.10.1980 – VIII ZR 264/79, BGHZ 78, 257 = NJW 1981, 1158 = RIW 1981, 123 = MDR 1981, 313 = IPRax 1981, 129 (Schlechtriem 113) = IPRspr. 1980 Nr. 146. Gegen Forum am Ort der vertragscharakteristischen Leistung außerhalb des Art. 5 Nr. 1 (b) EuGVVO EuGH v. 6.10.1976 – Rs. C-14/76 – De Bloos/Bouyer, Slg. 1976, 1497 sowie EuGH v. 15.1.1987 – Rs. C-286/85 – Shenavai/Kreischer, Slg. 1987, 239 = EWiR 1987, 245 (R. Geimer) = NJW 1987, 1131, ergangen aufgrund der Vorlage des LG Kaiserslautern v. 5.3.1985, IPRspr. 1985 Nr. 135, und für § 29 ZPO BGH v. 22.10.1987 – I ZR 224/85, MDR 1988, 376 = NJW 1988, 966 (kein einheitlicher Erfüllungsort bei Handelsvertreterverhältnis); OLG Schleswig v. 4.6.1992 – 2 U 78/91, IPRax 1993, 95 (M. Vollkommer 79). 863 Vgl. bereits EuGH v. 26.5.1982 – Rs. C-133/81 – Ivenel/Schwab, Slg. 1982, 1891 = RIW 1982, 908 = EuGH v. 26.5.1982 – Rs. C-133/81, IPRax 1983, 173 (Mezger 153). Näher R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 120 ff. sowie Art. 19 EuGVVO Rz. 4.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
nis fließenden Verbindlichkeiten. Dies schließt nicht aus, für Feststellungs- und Gestaltungsklagen, die den Bestand des gesamten Vertragsverhältnisses betreffen, an jedem Erfüllungsort für eine vertragliche Hauptpflicht eine internationale Zuständigkeit gestützt auf § 29 ZPO zu eröffnen.864 5. Streit über Bestehen/Nichtbestehen des Vertragsverhältnisses Auch dieser fällt unter § 29 ZPO, wie sich aus dem Wortlaut dieser Kompetenz- 1487 norm ergibt. Weniger deutlich Art. 7 Nr. 1 EuGVVO und Art. 5 Nr. 1 LugÜ. Doch in der Sache gibt es keine Abweichung.865 6. Culpa in contrahendo Auch Ansprüche aus culpa in contrahendo sind nach bisher vorherrschender 1488 Auffassung unter § 29 ZPO zu subsumieren.866 Angesichts des Umstands, dass die Rom II-VO (Art. 2 I) den culpa in contrahendo-Komplex deliktisch qualifiziert,867 erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch im Anwendungsbereich des nationalen Zuständigkeitsrechts ein Meinungsumschwung in Richtung § 32 ZPO erfolgen wird. 7. Besonderheit des Art. 57 UN-Kaufrecht Gem. Art. 57 des Wiener Internationalen Kaufrechts (Wiener VN-Übereinkom- 1489 mens über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980 – CISG)868 hat der Käufer den Kaufpreis am Ort der Niederlassung bzw. des Aufenthalts des Verkäufers zu zahlen. Danach ist – anders als nach BGB (§ 270 IV)869 – der Zahlungsort identisch mit dem Erfüllungsort. Deshalb ist das Verkäuferland international zuständig für die Kaufpreisklage870 gegen den im Aus-
864 Grunsky, RIW 1977, 5; R. Geimer, NJW 1977, 493; a.A. OLG Frankfurt v. 28.11.1979 – 21 U 59/79, RIW 1980, 585; danach soll es auf den „für den Kläger hauptsächlichen Anspruch“ ankommen. Ebenso OLG Stuttgart v. 7.8.1998 – 5 W 26/98, RIW 1999, 782 = IPRax 1999, 103 (Wolf 82) = IPRspr. 1998 Nr. 152. Zweifelnd für Vertragsaufhebungsklage OLG München v. 26.2.1980 – 25 U 3123/79, RIW 1980, 728 = MDR 1980, 1024 = IPRspr. 1980 Nr. 141. 865 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 27. 866 Bernstein, RabelsZ 41 (1977), 290. Umfangreiche Nachw. bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 119. Anders der EuGH zum EuGVÜ bzw. EuGVVO, EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-334/00, NJW 2002, 3159 Rz. 23 ff. = EuZW 2002, 655 = IPRax 2003, 143 (Mankowski 127). 867 S. auch Art. 1 II (i) Rom I-VO und für Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (5 Nr. 3 LugÜ) EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-334/00, NJW 2002, 3159 Rz. 23 ff. = IPRax 2003, 143 (Mankowski 127). 868 BGBl. II 1989, 588. 869 OLG Karlsruhe v. 11.5.1977, IPRspr. 1977 Nr. 126 und OLG Hamm v. 3.10.1979 – 20 U 98/79, RIW 1980, 662. 870 Ausnahme: Verbraucherprivileg des Art. 18 II EuGVVO und Art. 16 II LugÜ.
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Internationale Zuständigkeit
land ansässigen Käufer.871 Schadensersatz ist aber dort zu leisten, wo die Parteien ihre entsprechende Vertragsverpflichtung hätten erfüllen müssen.872 8. Vertraglich vereinbarter Erfüllungsort 1490 Der vertraglich vereinbarte Erfüllungsort eröffnet nur in den Grenzen des § 29 II ZPO die internationale Zuständigkeit Deutschlands.873 (Vgl. auch Rz. 1791). Die Wirksamkeit der Vereinbarung über den Erfüllungsort ist nach dem Vertragsstatut zu beurteilen. Jedoch kann die Vereinbarung durch Teilverweisung einem anderen Recht unterstellt werden.874 1491 Diese Einschränkungen gelten aber nicht im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 LugÜ. Dort genügt auch eine formlose Vereinbarung über den Erfüllungsort. Die Formvorschriften des Art. 25 I 3 EuGVVO und des Art. 23 I 3 LugÜ 2007 O sind nicht anzuwenden, sofern nach dem Willen der Parteien eine Festlegung des Erfüllungsortes, nicht des Forums beabsichtigt war.875 An dieser Rechtslage hat Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nichts geändert. 1491a Da Art. 7 Nr. 1 (a) (c) EuGVVO und Art. 5 Nr. 1 (a) (c) LugÜ 2007 wegen des Erfüllungsortes auf die lex causae verweisen (Rz. 1485), bestimmt diese – anders als im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO bzw. des Art. 23 LugÜ 2007 (Rz. 1645, 1684, 1874f) – auch darüber, ob die in Allgemeinen Geschäftsbedin-
871 OLG Bamberg v. 5.11.1976, NJW 1977, 505 (506) = IPRspr. 1976 Nr. 144; BGH v. 4.4.1979 – VIII ZR 199/78, NJW 1979, 1782 = RIW 1979, 639; OLG Zweibrücken v. 4.11.1983, IPRspr. 1983 Nr. 142; OLG Hamm v. 27.2.1986 – 20 U 222/84, IPRax 1986, 104 (Schack 82) = RIW 1985, 406 = IPRspr. 1985 Nr. 134; OLG Koblenz v. 24.5.1985 – 2 U 1259/83, IPRax 1986, 105 (R. Geimer 85) = RIW 1986, 459 = IPRspr. 1985 Nr. 139; OLG Frankfurt v. 28.1.1987, EWiR 1987, 631 (Thamm) = IPRspr. 1987 Nr. 15, hierzu Mezger, RIW 1978, 335. Ebenso für EuGVÜ EuGH v. 29.6.1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, 2913 = NJW 1995, 183 = RIW 1994, 676 = JZ 1995, 244 (R. Geimer); Vorlage: BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, RIW 1992, 756 = IPRax 1992, 373 (Jayme 357) = EuZW 1992, 514 (R. Geimer) = EWS 1992, 282 = MDR 1992, 996 = IPRspr. 1992 Nr. 181b. Anders aber Art. 7 Nr. 1 (b) EuGVVO und Art. 5 Nr. 1 (b) LugÜ. 872 OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (Duintjer Tebbens 262) = IPRspr. 1984 Nr. 134. 873 OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = RIW 1985, 890 (892) = IPRspr. 1984 Nr. 150. 874 Rauscher, IPRax 1992, 146. 875 EuGH v. 17.1.1980 – Rs. C-56/79 – Zelger/Salinitri, Slg. 1980, 89 = WM 1980, 720 (Schütze) = RIW 1980, 726 = IPRax 1981, 89 (Spellenberg 75); BGH v. 7.7.1980 – III ZR 15/78, RIW 1980, 725 (726) = MDR 1980, 1005 = WM 1980, 1148 = IPRax 1981, 93 (Spellenberg 75) = IPRspr. 1980 Nr. 137b; BGH v. 17.10.1984 – I ZR 130/82, MDR 1985, 467 = NJW 1985, 560 = RIW 1985, 148 = IPRspr. 1984 Nr. 146; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 125; anders ist es jedoch, wenn die Parteien mit der Vereinbarung über den Erfüllungsort nicht den gesetzlichen Erfüllungsort verändern wollten, sondern nur eine Zuständigkeitsvereinbarung im Auge hatten, EuGH v. 20.2.1997 – Rs. C-106/95 – MSG/Les Gravières Rhénanes, Slg. 1997, I-977 = BRAK 1998, 14 (Jungk) = NJW 1997, 1431 = RIW 1997, 415.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
gungen enthaltene Erfüllungsortsklausel Vertragsbestandteil geworden ist.876 Im Gegensatz zu Art. 25 EuGVVO bzw. des Art. 23 LugÜ 2007 befindet die lex causae auch über eine Missbrauchskontrolle.877 Bei Art. 25 EuGVVO gilt dies allerdings nur, wenn man den dort eingefügten Verweis auf die lex fori prorogati eng auslegt. 9. Anspruchskonkurrenz Im Forum des § 29 ZPO ist über alle Anspruchsgrundlagen, die mit der vertragli- 1492 chen konkurrieren, mitzuentscheiden (Hauptbeispiel: Klage wird auf Vertragsverletzung und Delikt gestützt, Rz. 1523).878 10. Darlegungs- und Beweislast § 29 ZPO eröffnet nur dann eine internationale Zuständigkeit, wenn der Gegen- 1493 stand der Klage nach der vom internationalen Privatrecht (Art. 3 ff. Rom I-Verordnung)879 bestimmten lex causae als vertraglicher Anspruch zu qualifizieren ist.880
876 Zur Einbeziehung des § 65a ADSp.; OLG Hamburg v. 31.10.1985 – 6 U 117/85, RIW 1987, 149 = IPRspr. 1985 Nr. 45 sowie OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 (969) = IPRax 2000, 121 (Haubold 91) = IPRspr. 1998 Nr. 162. 877 Allgemein zur Anwendbarkeit des § 307 BGB (früher: § 9 AGBGB) auf Gerichtsstandsvereinbarungen im kaufmännischen Rechtsverkehr Wagner, Prozessverträge, 1998, 137; Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3685). Zu weitgehend Althammer, Arglistiges Klägerverhalten im Europäischen Zuständigkeitsrecht (EuGVVO), in Gedächtnisschrift Konuralp, 2009, 103. 878 R. Geimer, NJW 1974, 1045; R. Geimer, IPRax 1986, 80; Spellenberg, ZZP 1991 (1978), 49; OLG Stuttgart v. 7.12.2005 – 5 U 71/05, NJW-RR 2006, 1362 = OLGR 2006, 452 = IPRspr. 2005 Nr. 128; hierzu Handorn, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kraft Sachzusammenhangs, IHR 2007, 25. A.A. BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173 = MDR 2003, 345 = NJW 2003, 828 = VersR 2003, 663 (Spickhoff) = ZIP 2003, 1860 = JZ 2003, 687 (Mankowski) = JR 2003, 374 (Humberg) = LMK 2003, 71 (Patzina) = IPRspr. 2002 Nr. 160; BGH v. 6.11.1973 – VI ZR 199/71, NJW 1974, 410 (R. Geimer 1045) = WM 1974, 182 = IPRspr. 1973 Nr. 137; BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 243 (für § 32 ZPO). Vgl. Rz. 1868. Rechtsvergleichendes zum Thema „Anspruchskonkurrenz“ bei Helm, Haftung für Schäden an Frachtgütern, 1966, 286; Richter-Hannes, RabelsZ 51 (1987), 375. 879 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, 6. 880 Anders dagegen für Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, nunmehr Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 LugÜ (autonome konventionsimmanente Bestimmung) EuGH v. 22.3.1983 – Rs. C-34/82 – Peters/Zuid Nederlandse Aannemers Verenigung, Slg. 1983, 987 = IPRax 1984, 85 (Schlosser 65) = RIW 1983, 871; EuGH v. 27.10.1998 – Rs. C-51/97 – Réunion européenne, Slg. 1998 I 6511 = IPRax 2000, 186.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1494 Nach h.M.881 genügt für die Begründung der Zuständigkeit die schlüssige Behauptung des Klägers (Rz. 1826). Dies reicht aber nicht aus. Vielmehr muss der äußere Tatbestand – im Falle der Säumnis des Beklagten – vom Kläger substantiiert dargelegt und im Rahmen der Amtsprüfung des Gerichts bewiesen werden.882 (Vgl. auch Rz. 1526). 11. Beispiele 1495 Der Kompetenzbezug des Erfüllungsorts (für die vertragliche Verbindlichkeit, welche den Gegenstand der Klage bildet) spielt eine große Rolle für die Eröffnung eines Forums in Deutschland bei nahezu allen Vertragstypen. In Betracht kommen vor allem Kauf- und Lieferverträge,883 Werk- und Geschäftsbesorgungsverträge,884 Anwalts-, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsverträge,885 Handelsvertreterverträge886 und Arbeitsverträge.887 Selbst die Geschäftsführerpflichten nach § 43 GmbHG sollen als „Vertragspflichten“ im Gerichtsstand des Erfüllungsorts einklagbar sein.888
881 OLG Saarbrücken v. 2.8.2007 – 8 U 295/06-74, OLGReport 2007, 796 (797); Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 603. 882 Zustimmend Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 81. 883 Der Käufer kann an seinem Wohnsitz/Sitz auf Wandlung klagen, da die Pflicht zur Rückzahlung des Kaufpreises Geldschuld ist. Solche sind nach englischem common law Bringschulden. Erfüllungsort für die Rückgewährpflicht ist also der Sitz des Käufers, OLG Hamm v. 14.8.1985, IPRspr. 1985 Nr. 143. 884 Zum einheitlichen Erfüllungsort am Ort des Bauwerks für alle Ansprüche aus dem Bauvertrag OLG Koblenz v. 27.3.1987 – 2 U 608/83, NJW-RR 1988, 1401 = IPRspr. 1987 Nr. 125. Erfüllungsort bezüglich Beherbergungs- bzw. Hotelaufnahmevertrag OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = IPRspr. 1984 Nr. 150. 885 Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung des Dienstvertrages eines Steuerberaters ist i.d.R. der Ort seiner Kanzlei, BayObLG v. 7.3.1996 – 1Z AR 14/96, MDR 1996, 850. 886 Beim Handelsvertretervertrag ist Erfüllungsort für Provisionszahlungs-, Ausgleichsund Aufwandsersatzverpflichtung im Zweifel der Sitz des Unternehmers, LG München II v. 17.9.1984, IPRspr. 1984 Nr. 142; BGH v. 22.10.1987 – I ZR 224/85, NJW 1988, 966 = MDR 1988, 376 = ZIP 1988, 436 = EWiR 1988, 489 (von Hoyningen-Huene) = IPRspr. 1987 Nr. 121b; OLG Karlsruhe v. 22.10.1985, IPRspr. 1987 Nr. 121a. Dem Unternehmer ist Erfüllung am Sitz des Handelsvertreters nicht zumutbar; er ist auf die an seinem Sitz befindlichen Unterlagen angewiesen. 887 LAG Düsseldorf v. 7.2.1984 – 16 Sa 1714/83, RIW 1984, 651 = IPRspr. 1984 Nr. 132 („wirtschaftlich-technischer Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses“); LAG Frankfurt/M. v. 4.1.1984 – Sa 718/83, IPRax 1986, 107 (Coester-Waltjen 88). Der Arbeitnehmer hat Überzahlungen am Betriebssitz zurückzuzahlen, BGH v. 26.11.1984 – II ZR 20/84, GmbHR 1985, 190 = MDR 1985, 649 = NJW 1985, 1286 = RIW 1985, 241 = IPRspr. 1984 Nr. 149. 888 OLG Celle v. 12.1.2000 – 9 U 126/99, RIW 2000, 710.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
12. Internationale Anerkennungszuständigkeit Stützt sich die internationale Zuständigkeit des Erststaates auf den Gerichts- 1496 stand des Erfüllungsortes (§§ 328 I Nr. 1, 29 ZPO), so ist nach dem internationalen Privatrecht des Erststaates (nicht nach deutschem IPR) die maßgebliche lex causae zu bestimmen.889 § 29 II ZPO (Rz. 1490) ist nicht für die internationale Anerkennungszuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO) heranzuziehen. Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung (§ 328 I Nr. 1 ZPO) genügt die schlüssige Behauptung der Zuständigkeitstatsachen nicht; vielmehr sind die Voraussetzungen des § 29 ZPO in dem in Rz. 1826 dargelegten Umfang ohne Bindung an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ausländischen Erstgerichts zu prüfen, auch wenn diese als sog. „doppelrelevante“ Tatsachen meritorische Bedeutung haben. Dies ist kein Verstoß gegen das Verbot der révision au fond (Rz. 2910 und Rz. 1531, 2906).890 13. Europarats-Konventionen Die Europäischen Übereinkommen über Fremdwährungsschulden vom 1496a 11.12.1967 und über den Ort der Zahlung von Geldschulden vom 16.5.1972 (zu zahlen ist grundsätzlich am gewöhnlichen Aufenthalt/Geschäftssitz des Gläubigers) sind noch nicht in Kraft getreten.
XI. Ort der unerlaubten Handlung – Forum delicti commissi Literatur: Adolphsen, Das Territorialprinzip im europäischen Patentrecht, ZZPInt 11 (2006), 137; Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht – Ein juristisches Chamäleon auf dem Weg vom Völkerrecht zum internationalen Zivilprozessrecht, FS 50 Jahre FIW: 1969 bis 2010, 2010, 129; C. Berger, Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites auf Grund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, GRUR Int 2005, 465; Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung – Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter 889 R. Geimer, NJW 1975, 1088; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1528; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 117; a.A. Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 679. Weitere Nachw. bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 137. Unentschieden OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. 890 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 102, 163. Zustimmend Ost, a.a.O., 139; OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. Ebenso für § 32 ZPO BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 = MDR 1994, 1240 = NJW 1994, 1413 = RIW 1994, 331 = IPRax 1995, 101 (Gottwald 75) = LM § 32 ZPO Nr. 15 (R. Geimer) = ZZP 108 (1995), 359 (Koch) = IPRspr. 1993 Nr. 180.
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Internationale Zuständigkeit
besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Rechts, 2006; Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsverletzungen, 2011; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR, Diss. München 2003; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Girsberger, Erfolg mit dem Erfolgsort bei Vermögensdelikten, in Festschrift Siehr, 2000, 219; Haas, Die zuständigkeitsrechtliche Verortung gesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutzansprüche, NZG 2013, 1161; Hager/Hartmann, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, IPRax 2005, 266; von Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2005, 17; von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Deliktsrecht, 1999; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort under the Brussels Convention, 1998; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007; HoffmannNowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, Diss. Zürich, 2010; Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-britischen Verhältnisses, 2004; Hye/Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, 2005; Junkers, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, 2002; Kadner-Graziano, Gemeineuropäisches Internationales Privatrecht. Harmonisierung des IPR durch Wissenschaft und Lehre (am Beispiel der außervertraglichen Haftung für Schäden), 2002, 463 ff.; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999; Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 2004; Lindacher, Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche: Marktterritorialität versus Universalität, GRUR Int 2008, 453; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 9; Linden, Die Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG und ihre nationale Umsetzung in Deutschland, Diss. München 2006; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 192 ff.; Löffler, Mediendelikte im IPR und IZPR: Persönlichkeitsverletzungen durch Medien im Spiegel des deutschen, französischen, schweizerischen und österreichischen Rechts unter Berücksichtigung des Internets und des Gegendarstellungsanspruchs, 2000; Luckey, Internationale Urheber- und Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2002; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V – E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 475 ff.; Markesinis, Tort Law5, 2003; Mahlmann, Schaden und Bereicherung durch die Verletzung „geistigen Eigentums“: Die Anspruchshöhe bei Verletzungen gewerblicher Schutzrechte, bei Urheber-, Persönlichkeits- und Wettbewerbsrechtsverletzungen. Eine vergleichende Untersuchung des deutschen, französischen und englischen Rechts unter Berücksichtigung der RL 2004/48/EG, 2005; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht – Zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit bei den Gerichtsständen des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung, Diss. Heidelberg 2002; Reichardt, Internationale Zuständigkeit im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei Verletzung europäischer Patente, Diss. Trier, 2006; Reichardt, Internationale Zu556
Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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ständigkeit deutscher Gerichte bei immaterialgüterrechtlichen Klagen, IPRax 2008, 330; Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand, IPRax 2005, 262; Schauwecker, Zur internationalen Zuständigkeit bei Patentverletzungsklagen, GRUR Int 2008, 96; Schauwecker, Extraterritoriale Patentverletzungsjurisdiktion, Diss. München, 2008; Schilling, Das Kapitalanleger-Mustergesetz und die class action im Rechtsvergleich: Untersuchung zur Übernahme von Elementen der securities class action für das deutsche KapMuG, 2010; Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1991; Thiele, Der Gerichtsstand bei Wettbewerbsverstößen im Internet, öJZ 1999, 711 ff.; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet – das Persönlichkeitsrecht in Deutschland unter Berücksichtigung des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts sowie der nationalen Haftungsvorschriften, 2006; Wyss, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im schweizerischen und internationalen Zivilprozessrecht, Diss. Bern 1997. – Rechtsvergleichung bei McLachlan/Nygh (ed.), Transnational Tort Litigation: Jurisdictional Principles, Oxford 1996 (insbesondere Schlosser 59 ff.); Rolf Wagner/Gess, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach der EuGVVO bei Kapitalanlagedelikten, RIW 2009, 3481; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet – das Persönlichkeitsrecht in Deutschland unter Berücksichtigung des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts sowie der nationalen Haftungsvorschriften, 2006; Zigann, Entscheidungen inländischer Gerichte über ausländische gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, Diss. München 2001, 2002. 1. Ratio legis „Wo Unrecht getan wurde, darf Abhilfe begehrt werden.“891 Dieses Anliegen 1497 wiegt schwerer als das Interesse des Beklagten, in seinem Wohnsitzstaat verklagt zu werden. Wer einen anderen (rechtswidrig) schädigt, muss auch am Tatort Genugtuung leisten. Der favor defensoris892 muss den Klägerinteressen weichen. Es ist dem Geschädigten nicht zuzumuten, dass er dem Schädiger an dessen Wohnsitz folgt. Daneben spielt der Gesichtspunkt der Beweisnähe eine untergeordnete Rolle; denn es handelt sich nur um einen konkurrierenden Gerichtsstand. Dem Kläger bleibt es unbenommen, den Beklagten an dessen Wohnsitz zu belangen.893
891 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 169. S. auch Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 127. Zum Sinn und zur Rechtfertigung des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 13 m.w.N. 892 Von „Sympathie für den Geschädigten“ spricht Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 11. Zurückhaltender von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Deliktsrecht, 1999, 57 ff. 893 Zum Vorrang von Art. 7 Nr. 2 und Nr. 3 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 und Nr. 4 LugÜ und Art. 97 V Gemeinschaftsmarken-VO (EG) Nr. 207/2009 sowie Art. 82 V Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO (EG) Nr. 6/2002 s. Rz. 1263 und 1874 sowie Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 5, 12, 44. Zur Verdrängung des § 32 ZPO durch völkerrechtliche Verträge s. unten Rz. 1535 sowie Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 7.
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1498 Auch der Gesichtspunkt der Rechtsnähe ist nicht von tragender Bedeutung, weil § 32 ZPO keinen Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht voraussetzt.894 Beispiel: Das deutsche Gericht wendet nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht (Art. 4 ff. Rom II-VO895 bzw. Art. 40 EGBGB) ein fremdes Deliktsrecht an.
2. Anwendungsbereich 1499 Possessorische (§ 862 BGB) und negatorische Ansprüche (§ 1004 BGB) will die h.M. ausschließlich dem dinglichen Gerichtsstand (§ 24 ZPO) zuweisen. Demgemäß könnten Unterlassungsansprüche wegen grenzüberschreitender Immissionen nur im Gerichtsstand des belästigten Grundstücks eingeklagt werden; dies führt zu einer massiven Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Geschädigten. Deshalb steht auch in solchen Fällen das forum delicti commissi896 zur Verfügung (Rz. 1521).897 § 32 ZPO eröffnet auch für Klagen internationale Zuständigkeit, die den Erstattungsanspruch nach § 717 III 2 ZPO betreffen.898 § 32 ZPO eröffnet auch gegen jeden Mittäter (§ 830 BGB) ein Forum,899 ohne Rücksicht auf seinen Tatbeitrag. Das Gleiche gilt für Anstifter oder Gehilfen.900 Anders sieht dies allerdings der EuGH in seiner Rspr. zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F. (Art. 5 Nr. 3 a.F.).901
894 von Hein, Das Günstigkeitsprinzip im internationalen Deliktsrecht, 1999, 129. 895 VO (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 199, 40. 896 § 32 ZPO; Art. 7 Nr. 2 EuGVVO; Art. 5 Nr. 3 LugÜ. 897 Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 211; Kohler in Bothe/Prieur/Ress, Rechtsfragen grenzüberschreitender Umweltbelastungen, 1984, 163; Heß Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 21; s. auch Schack, BerDGVR 32 (1992), 330; Schack, IPRax 2005, 262 (265). 898 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 176/10, MDR 2011, 878 = NJW 2011, 2518 = RIW 2011, 548 = IPRspr. 2011 Nr. 233. 899 BGH v. 6.2.1990 – XI ZR 184/88, MDR 1990, 715 = NJW-RR 1990, 604; BGH v. 22.11.1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225; OLG Düsseldorf v. 20.12.2007 – I-6 U 225/06, IPRax 2009, 158 (Stefan Huber 134); BGH v. 8.2.2011 – XI ZR 168/08, NJW-RR 2011, 1188 = IPRspr. 2011 Nr. 226; BGH v. 12.4.2011 – XI ZR 101/09, MDR 2011, 787 = WM 2011, 1028 = IPRspr. 2011 Nr. 230; Heß, ZZPInt 1 (1996), 371 (380); Weller, IPRax 2000, 202 (205 Fn. 19). 900 OLG Düsseldorf v. 20.12.2007 – I-6 U 225/06, IPRax 2009, 158 (Stefan Huber 134); OLG München v. 17.11.2011 – 29 U 3496/11, AfP 2012, 74 = CR 2012, 119 = MMR 2012, 115 = IPRspr. 2011 Nr. 246; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 24. 901 EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-147/12 – ÖFAB/Frank Koot, EuZW 2013, 703; hierzu M. Weller, WM 2013, 1681. – Davon zu unterscheiden ist die Ermittlung des Erfolgsorts (Ort des Eintritts des Primärschadens) im Hinblick auf die Gerichtspflichtigkeit des nicht im Gerichtsstaat handelnden Mittäters/Teilnehmers. Das Gericht sei dann aber nur für die Entscheidung über den im eigenen Mitgliedstaat verursachten Schaden zuständig, EuGH 3.4.2014 – Rs. C-387/12 – Hi Hotel HCF SARL/Spoering, EuZW 2014, 431 (M. Müller). In gleichem Sinne EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-360/12 – Coty Germany
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
§ 32 ZPO erfasst alle Klageformen und -typen, also Leistungs-, (positive und negative) Feststellungs- sowie Gestaltungsklagen. Auch vorbeugende Unterlassungsklagen, Verbandsklagen, Massenverfahren etc. können auf § 32 ZPO gestützt werden.902 3. Alternative Anknüpfung an den Handlungs- und den Erfolgsort Bei Distanzdelikten kann der Geschädigte wählen, ob er am Handlungs- oder Er- 1500 folgsort klagt. Daraus folgt aus deutscher Sicht: Für Klagen aus Delikten oder Quasidelikten ist gem. § 32 ZPO die internationale Zuständigkeit Deutschlands – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien und ihren Wohnort – gegeben, wenn entweder der Handlungsort oder der Erfolgsort im Inland liegt.903 Für die Eröffnung der internationalen Deliktszuständigkeit Deutschlands für die „Aburteilung“ des gesamten Komplexes genügt, wenn nur ein Teil der deliktischen Handlung(en) im Inland vorgenommen wurde904 bzw. ein Teil des Erfolgs im Inland eingetreten ist.905 Handlungsort ist der Ort des ursächlichen Geschehens,906 allerdings nur soweit 1500a die Handlung (dort) bereits rechtswidrig war. Da § 22 KUG nicht das Anfertigen von Bildnissen ohne Einwilligung des Abgebildeten verbietet, sondern nur das Verbreiten, ist der Ort, an dem das Foto für eine nur im Ausland verbreitete Zeitschrift angefertigt wurde, nicht zuständigkeitsbegründend.907 Der Handlungsort ist überall da gegeben, wo der Täter bzw. ein Mittäter eine auf die Verwirklichung des Deliktstatbestands gerichtete Tätigkeit vorgenommen hat: bei Übermittlung von Willenserklärungen im Wege der Telekommunikation der Ort, an dem die Kundgabe optisch oder akustisch wahrgenommen wird.908 Bei Delikten im Internet liegt für die Haftung für fehlerhafte Produkte (z.B. vi- 1500b renverseuchte Software), Computerhacking, Äußerungsdelikte oder Verletzung von Firmen- und Namensrechten der kompetenzbegründende Erfolgsort dort, wo die Rechtsgutverletzung tatbestandsmäßig eingetreten ist, also am Aufenthalts- bzw. Abnahmeort des Nutzers und am Belegenheitsort des Computers.909
902 903
904 905 906
907
908 909
GmbH/First Note Perfumes NV, NJW 2014, 2339 L = EuZW 2014, 664 (v. Hein) = GRUR 2014, 806 (oben Rz. 1376). Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 22. BGH v. 8.1.1981 – III ZR 157/79, BGHZ 80, 1 = VersR 1981, 458 = IPRax 1982, 158 = IPRspr. 1981 Nr. 24. Vgl. Rz. 1105 sowie die Nachw. bei Schack, BerDGVR 32 (1992), 331 Fn. 111 sowie bei Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 303 ff. OLG Stuttgart v. 7.12.2005 – 5 U 71/05, OLGR 2006, 452 = IPRspr. 2005 Nr. 128. RG, JW 1936, 1291. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 248 ff.; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 476 ff. AG Hamburg v. 15.11.1988 – 36 C 222/88, RIW 1990, 319 = IPRspr. 1989 Nr. 179a. Kritisch Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 123. OLG Koblenz v. 25.6.2007 – 12 U 1717/05, OLGR 2008, 30. KG v. 27.2.1996 – 5 U 8281/95, NJW 1997, 332. S. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 37; McGuire, ZEuP 2014, 155. Abweichend wohl EuGH (Rz. 1518b).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Der Handlungsort ist sowohl der Ort der Herstellung als auch der Ort, an dem die Ladung in das Netz erfolgt. Bei Verletzung von Marken, Firmen- und Namensrechten sowie sonstigen Kennzeichnungsrechten ist überall dort ein Forum eröffnet, wo die Daten aus dem Internet bestimmungsgemäß abrufbar sind.910. S. auch Rz. 1515 f. 1500c Im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht911 ist der Erfolgsort im Inland belegen, wenn sich der Internet-Auftritt bestimmungsgemäß dort auswirken soll. Der Werbende kann das Verbreitungsgebiet der Werbung im Internet durch einen sog. Disclaimer einschränken, in dem er ankündigt, Adressaten in einem bestimmten Land nicht zu beliefern. Dieser muss aber eindeutig gestaltet und aufgrund seiner Aufmachung als ernst gemeint aufzufassen sein sowie vom Werbenden auch tatsächlich beachtet werden.912 4. Irrelevanz des Schadensortes 1501 Kompetenzrechtlich irrelevant ist der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist.913 Der Begehungsort ist der „Ort, an dem das ursächliche Ereignis, das die deliktische oder quasi-deliktische Haftung auslöst, seine schädigenden Auswirkungen unmittelbar gegenüber demjenigen entfaltet, der dessen unmittelbares Opfer ist“. Eine internationale Zuständigkeit wird – neben dem Handlungsort – nur eröffnet am Erfolgsort, d.h. dort, wo der primäre Verletzungserfolg der (unerlaubten) Handlung eingetreten ist.914 Beispiel: Verkehrsunfall an der französisch-belgischen Grenze auf belgischem Territorium. Verletzt wird ein Münchner, dieser stirbt in einem Krankenhaus in Frankreich. Seine Witwe in München macht Ansprüche wegen entgangenen Unterhalts etc. geltend. Deutschland ist aufgrund des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht international zuständig; denn dort liegt nur der Schadensort. Fraglich, ob Frankreich international zuständig ist als das Land, in welchem
910 Bachmann, IPRax 1998, 179 (184); Mankowski, GRUR Int 1999, 919 (995); LG München v. 21.9.1999 – 9HK O 12244/99, CR 2000, 464 (Röhrborn) = IPRspr. 1999 Nr. 126; OLG Hamburg v. 2.5.2002 – 3 U 312/01, IPRax 2004, 125 (Kurtz 107). 911 Zu Markenverletzungsklagen s. die Zusammenfassung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung von McGuire, ZEuP 2014, 155. 912 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02 – Hotel Maritime, JZ 2005, 736 (Ohley) = RIW 2005, 465 (466) = MDR 2005, 1005 = AfP 2005, 300 = CR 2005, 359, 360 (Junker) = IPRspr. 2004 Nr. 126; hierzu Berlit, LMK 2005, 78; Mankowski, RIW 2005, 561 (569); BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, IPRax 2007, 446 (448 = (Koos 414). S. auch OLG München v. 21.9.2006 – 29 U 2119/06, IPRax 2007, 531 (Rosenkranz 524). 913 BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 = MDR 1977, 740 = Ufita 81 (1978), 197 = LM § 32 ZPO Nr. 9 = IPRspr. 1977 Nr. 124; BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = RIW 1986, 991 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = IPRspr. 1986 Nr. 144; m.w.N. bei Mankowski in Dieterich/Neef/ Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 479; Weller, IPRax 2000, 202 (205). Ebenso EuGH v. 11.1.1990 – Rs. C-220/88, Slg. 1990, 149 = EuZW 1990, 34 = NJW 1991, 631. 914 Ausführlich Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 119 ff.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
der schädigende Erfolg (Tod) eingetreten ist. Bei körperlichen Verletzungen hinge diese internationale Zuständigkeit davon ab, ob das Opfer stirbt oder nicht.
Zwar ist eine Tat nicht nur dort begangen, wo der Täter gehandelt hat, sondern 1502 auch dort, wo der Erfolg seiner Handlung eingetreten ist. Dies gilt aber nur insoweit, als ohne den Erfolg die Handlung nicht vollendet wäre. Die unerlaubte Handlung ist auch dort begangen, wo der primäre Verletzungserfolg eingetreten ist.915 Es ist aber ohne Belang, ob und wo ein über den Verletzungserfolg hinausreichender Schaden oder weitere Schadensfolgen eingetreten sind.916 Nur diese Auslegung wird dem Zweck des § 32 ZPO gerecht: Der Gerichtsstand 1503 des Handlungsortes soll dort eröffnet werden, wo die sachliche Aufklärung und Beweiserhebung i.d.R. am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann. Das ist grundsätzlich nicht dort der Fall, wo die (weiteren) Schadensfolgen auftreten, sondern eben nur am Handlungs- oder Verletzungsort. Die gegenteilige Auffassung würde dem Kläger in allen Fällen, in denen er einen Anspruch aus unerlaubter Handlung einklagt, einen Gerichtsstand dort eröffnen, wo er sein betroffenes Vermögen verwaltet, also i.d.R. an seinem Wohnsitz, weil ihn dort der Schaden mindestens auch betrifft oder weil er ihn dort „fühlt“. Einen solchen Klägergerichtsstand wollte § 32 ZPO nicht schaffen. Ein solcher würde die Klägerinteressen unangemessen überbewerten auf Kosten der Zuständigkeitsinteressen des Beklagten (Schutz vor unzumutbaren Fora).917 In World-Wide Volkswagen v. Woodson918 vertrat der US Supreme Court sogar 1504 die Auffassung, es entspreche nicht den von der US-Verfassung garantierten Grundsätzen eines fairen Zivilprozesses, am Ort des bloßen Schadenseintritts den als angeblichen Schädiger in Anspruch genommenen Beklagten gerichtspflichtig zu machen. Es fehle an jeder Überschaubarkeit für den Beklagten ex ante. „The Due Process Clause … gives a degree of predictability to the legal system which allows potential defendants to structure their primary conduct with some minimum assurance as to where that conduct will or will not render them liable to suit.“919 Der Handlungsort für die Beihilfe zum Anlagebetrug (§ 27 I StGB; § 830 II BGB) 1504a ist am Wohnort des Geschädigten („Opfers“) zu lokalisieren, obwohl der Handelnde dort nicht persönlich anwesend war und mit ihm auch kein sonstiger un-
915 Bei Täuschungshandlungen stellt LG Düsseldorf v. 31.7.2002 – 12 O 415/98, WuW 2003, 71 = WuW/E DE-R 999 = IPRspr. 2002 Nr. 31 auf Täuschungserfolg ab, d.h. auf den Ort, wo dieser eingetreten ist. 916 BGH v. 14.5.1969 – I ZR 24/68, BGHZ 52, 108 (111) = NJW 1969, 1532 (1533); BGH v. 3.5.1977, NJW 1977, 1590 = MDR 1977, 740 = IPRspr. 1977 Nr. 124. Sehr weit zieht die Grenzen des § 32 ZPO das BayObLG v. 27.3.2003 – 1Z AR 28/03, MDR 2003, 893 und BayObLG v. 22.1.2004 – 1Z AR 4/04, Rpfleger 2004, 365. 917 Zustimmend OLG Stuttgart v. 6.7.1998 – 5 U 22/98, RIW 1998, 809 = NJW-RR 1999, 138 = IPRspr. 1998 Nr. 147. 918 444 US 286 (1980). 919 Hierzu Hay, ZZP 107 (1994), 261. Zweifel an der Vereinbarkeit mit Art. 6 I EMRK bei Matscher, JBl. 1983, 514. Allgemein zum due process als Schranke gerichtlicher Zuständigkeit Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 51 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
mittelbarer Kontakt stattgefunden hat.920 Dagegen sieht man den Handlungsund Erfolgsort für die Untreuehandlungen bei der weisungswidrigen Vermögensanlage am Aufenthaltsort des Vermögensberaters.921 1504b Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs922 begründet die durch den Anlagebetrug (§ 263 StGB) eröffnete internationale Zuständigkeit Deutschlands keine Kognitionsbefugnis hinsichtlich des Untreuekomplexes. Diese würde sogar innerhalb ein und derselben Anspruchsnorm (§ 823 II BGB) zu einer auf den Betrugskomplex beschränkten materiellen Rechtskraft führen. Die Konsequenz wäre, dass der Kläger bezüglich des durch die Untreue verursachten Schadens im Wohnsitzstaat des Täters klagen müsste. Eine solche Segmentierung des Streit- und Urteilsgegenstandes wäre alles andere als prozessökonomisch. Daher sollte man eine Annexzuständigkeit zumindest für den gesamten deliktischen Anspruchsbereich bejahen.923 1504c Bei Unterlassungen ist der Ort maßgebend, wo zu handeln war.924 Bei der Arzthaftung ist haftungsauslösendes Ereignis und damit Kompetenztatbestand bei einer Aufklärungspflichtverletzung nicht nur die bereits unterlassene Aufklärung des Patienten, sondern der im weitesten Sinne zu verstehende ärztliche Eingriff durch die nachfolgende Einnahme der (verschriebenen) Medikamente. Nimmt der Patient die im Ausland verschriebenen Medikamente im Inland ein, kommt § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ 2007 zum Zuge.925 1504d Der Erfolgsort ist dort zu lokalisieren, wo das geschützte Rechtsgut verletzt wird bzw. – bei Präventivklagen – voraussichtlich verletzt werden wird, z.B. der Ort der Verletzung oder Tötung bei Schuss oder Explosion über die Grenze, oder der Ort, wo Eigentum oder Besitz durch Immissionen beeinträchtigt werden, z.B. durch Verschmutzung von Luft oder Gewässern. Maßgebend ist also der Ort, an dem der schädigende Erfolg entstanden ist bzw. entstehen wird, jedoch nur, soweit dort die Verletzungshandlung vollendet worden ist bzw. voraussichtlich
920 BGH v. 6.11.2007 – VI ZR 34/07, EuZW 2008, 189 – Rz. 17, 23 ff., 35 = WM 2008, 2008; hierzu Mankowski, EWiR 2008, 215; Geimer, WuB VIII C. Art. 5 LugÜ 1.08; OLG Düsseldorf v. 20.12.2007 – I-6 U 225/06, IPRax 2009, 158 (Stefan Huber 134); Rolf Wagner/ Gess, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach der EuGVVO bei Kapitalanlagedelikten, RIW 2009, 3481. 921 Zusammenfassung der Rechtsprechung in BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614. – Markant Mankowski, EWiR 2008, 215 (216): „Der Anlagebetrug will dem Kunden das Geld herauslocken, und deshalb liegt der Erfolgsort bei dem Konto, von dem der Kunde wegverfügt. … Bei der Untreue kann sich der Täter das geschädigte Objekt planend dort platzieren, wo er es haben möchte und wo er seine eigenen Rechtsrisiken minimieren möchte.“ S. auch Geimer in FS Martiny, 2014, 711, 729; M. Weller, WM 2014, 1681, 1686. 922 BGH v. 6.11.2007 – VI ZR 34/07, EuZW 2008, 189 = RiW 2008, 399. S. auch Weller, WM 2013, 1681. 923 Weitergehend (Annexzuständigkeit auch für konkurrierende vertragliche Anspruchsgrundlagen) oben Rz. 1492 und unten Rz. 1523. 924 OLG Stuttgart v. 28.4.2008 – 5 U 6/08, AG 2008, 748 = WM 2008, 1368 = IPRax 2009, 154 (Spickhoff 128) = NZG 2008, 951 = IPRspr. 2008 Nr. 27. 925 OLG Karlsruhe, OLG-Report 2007, 543.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
vollendet werden wird.926 Auch bei der Lieferung „ab Werk“ ist Erfolgsort nicht der Übernahmeort (= Herstellungsort), sondern der Ort, an dem der ursprüngliche Schaden beim gewöhnlichen Gebrauch des gelieferten Erzeugnisses für seinen bestimmungsgemäßen Zweck eingetreten ist.927 Bei der Produkthaftung ist jedoch auf den Herstellungsort abzustellen.928 5. Heranziehung des maßgeblichen Deliktsrechts bei der Abgrenzung des Erfolgsortes von dem kompetenzrechtlich unbeachtlichen Schadensort Mit Recht hat der BGH929 eine kollisionsrechtliche Komponente in die Diskussi- 1505 on um die Abgrenzung des Erfolgs- vom Schadensort eingeführt.930 Es ging um folgenden Fall:931 Eine Weinkellerei in Cochem ließ eine von ihr in Italien bestellte und dort auch von dem von ihr beauftragten Spediteur mit einem Tanklastzug abgeholte Weinlieferung wegen zu geringen Alkoholgehalts wieder zurückschicken und klagte an ihrem Sitz die Kosten für den Spediteur und den Sachverständigen mit der Begründung ein, hier liege der Erfolgsort der unerlaubten Handlung, weil sie hier die Kosten des Spediteurs und des Sachverständigen verauslagt habe. Die Klägerin machte Ansprüche aus § 823 II BGB i.V.m. weinrechtlichen Bestimmungen geltend.932 Ob hiernach eine unerlaubte Handlung schlüssig vorgetragen und das schädi- 1506 gende Ereignis im Inland eingetreten ist und demgemäß nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ die Zuständigkeit Deutschlands zu bejahen wäre, will der Bundesgerichtshof nach dem maßgeblichen Deliktsrecht beurteilen. In concreto legte er deutsches Deliktsrecht zugrunde, weil die Parteien still- 1507 schweigend die Anwendung deutschen Deliktsrechts vereinbart hatten. Diese 926 Allgemein zu urheberrechtlichen Streitigkeiten Peinze, Internationales Urheberrecht in Deutschland und England, 2002, 66 ff.; zum Erfolgsort bei Kartellrechtsverstößen Mäsch, Vitamine für Kartellopfer Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2006, 509 (514). S. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 37 ff. 927 EuGH v. 16.7.2009 – Rs. C-189/08 – Zuid Chemie BV/Philippo’s Mineralenfabriek NV/ SA, NJW 2009, 3501 Rz. 33. 928 EuGH v. 16.1.2014 – Rs. C-45/13 – Andreas Kainz/Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166. Hierzu Freitag, LMK 2014, 35556. 929 BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = IPRspr. 1986 Nr. 144. S. auch den ähnlichen Fall des OLG Koblenz v. 25.6.2007 – 12 U 1717/05, NJW-RR 208, 148 = OLGR 2008, 30. Hierzu auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 26, 30. 930 Dagegen hat sich (bisher) der EuGH gesträubt, EuGH v. 10.6.2004 – Rs. C-168/02 – Kronhofer/Meier, Möller, Hofius, Karan, Slg. 2004, I-6009 = RIW 2004, 625 = IPRax 2005, 32 (von Hein 17) = ZfRV 2004, 236. Hierzu Blobel, EuLF 2004, 187; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481 (488). 931 S. auch die Argumentation in BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614. 932 Sie hat vorgetragen, der als „Tafelwein“ gelieferte Wein habe mit 8,88 Vol.-% Alkohol den EWG-Vorschriften über den Mindestalkoholgehalt für Tafelwein der Weinbauzone C II (9 Vol.-%) gem. Anh. II Nr. 11 der EWG-VO 337/79 (EWG-ABl. Nr. L 54/5/32) nicht entsprochen. Damit liege ein Verstoß gegen § 67 I Nr. 2, III i.V.m. § 46 I, II WeinG und die erwähnte EWG-VO vor.
563
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
hatten die Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung übereinstimmend ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des § 823 II BGB i.V.m. den weinrechtlichen Bestimmungen erörtert und damit zu erkennen gegeben, dass sie eine Entscheidung auf der Grundlage des deutschen Deliktsrechts anstreben (Rz. 2573). 1508 Aus der Sicht des deutschen Deliktsrechts kommt der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass das schädigende Ereignis nicht im Inland eingetreten ist. Der bloße Umstand, dass die Klägerin an ihrem Sitz in Cochem die Kosten für den Transport des Weins gezahlt hat, besage für den Ort des schädigenden Ereignisses noch nichts. Dafür könne der mehr oder weniger zufällige Zahlungsort nicht ausschlaggebend sein. 1509 Als Ort des schädigenden Ereignisses komme neben dem Handlungsort allenfalls noch der Ort der tatbestandsmäßigen Deliktsvollendung in Betracht.933 1510 In Deutschland liege weder der Ort, an dem die – gegen die weinrechtlichen Vorschriften verstoßenden – Ausführungshandlungen begangen wurden, noch der Ort, an dem der Erfolg dieser Ausführungshandlungen, der durch die weinrechtlichen Bestimmungen verhindert werden soll, eingetreten ist. Die von der Klägerin vorgetragenen unerlaubten Handlungen seien vielmehr bis zu ihrer tatbestandsmäßigen Vollendung ausschließlich in Italien zu lokalisieren. Dort wurde der Wein der Klägerin bzw. dem ihrerseits beauftragten Frachtführer übergeben und damit in Verkehr gebracht. Ebenso wurden die – angeblich unrichtigen – Begleitdokumente in Italien ausgestellt und übergeben. Auch die behauptete Irreführung über die Qualität der Weinerzeugnisse, vor der die weinrechtlichen Bestimmungen den Verkehr zu schützen bezwecken, sei in Italien erfolgt, als ihr Beauftragter im Vertrauen auf die Richtigkeit der Qualitätsangaben der Beklagten den Wein zum Transport übernahm. An ihrem inländischen Sitz habe sich die Klägerin durch diese Qualitätsangaben nicht irreführen lassen, weil sie den Wein stante pede zurückgesandt hat.934 1511 Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist im Ergebnis richtig. Die Frage ist nur, ob die kollisionsrechtlichen Betrachtungen unerlässlich waren oder ob es – jedenfalls im Regelfall – möglich ist, den Erfolgsort vom bloßen Schadensort losgelöst von der lex causae abzugrenzen.935 Dies wäre die zuständigkeitspolitisch vorzuziehende Lösung, da die kollisionsrechtliche Komponente die Zuständigkeitsprüfung verkompliziert.936
933 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 253. 934 Anders jedoch der Fall des OLG Koblenz v. 25.6.2007 – 12 U 1717/05, NJW-RR 2008, 148 = OLGR 2008, 30: Hier wurde der Wein in Deutschland eingelagert. Der kompetenzrechtlich relevante Erfolgsort beim Inverkehrbringen von verkehrsunfähigem Wein sei auch der Lagerungs- und Verarbeitungsort. 935 Vgl. auch Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 125 ff. 936 Vgl. in diesem Zusammenhang auch AG Neustadt/Weinstr. v. 23.2.1984 – AZ, IPRspr. 1984 Nr. 133 (bei einem durch eine fehlerhaft konstruierte Felge verursachten Unfall ist eine Zuständigkeit an dem Ort des Erwerbs/Kaufs des Kfz. nicht eröffnet, sondern am Unfallort).
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Vierter Teil
Man darf gespannt sein, wie sich die Rechtsprechung weiter entwickeln wird. 1512 Wahrscheinlich wird man auf die Dauer ohne Heranziehung des maßgeblichen Deliktstatuts nicht zu praktikablen Ergebnissen kommen, weil – vor allem bei Verstoß gegen Verhaltenspflichten – sich ohne Rückgriff auf die lex causae allenfalls der Handlungs-, aber nicht mehr der Erfolgsort bestimmen lässt.937 6. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Hier spricht viel dafür, als Verletzungsort, an dem sich die unerlaubte Handlung 1513 vollendet, auch noch den Wohnort oder ständigen Aufenthaltsort des Betroffenen anzusehen; denn die Achtung, die er in der Gesellschaft genießt, und sein Ruf werden i.d.R. dort, wo sie „belegen“ sind, gestört.938 Unerheblich ist es – vom Fall der Formalbeleidigung abgesehen –, ob, wo und wodurch der Betroffene von der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts erfährt, weil die Beeinträchtigung unabhängig davon eintritt. Damit scheiden als Verletzungsorte alle die aus, an denen der Betroffene mehr oder weniger zufällig von der gegen ihn gerichteten unerlaubten Handlung erfährt.939 Für Persönlichkeitsverletzungen, die mittels Veröffentlichung von Presseerzeug- 1514 nissen begangen werden, ist jedoch der Begehungsort auf den Ort ihrer Verbreitung zu beschränken.940 Wo das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten außerhalb des Verbreitungsgebietes des Presseerzeugnisses wirklich gestört worden ist, lässt sich nicht oder nur schwer feststellen. Der Annahme einer solchen Störung am Wohnort könnten z.B. dann Zweifel begegnen, wenn die beanstandete Veröffentlichung weit davon entfernt in einem Presseorgan erfolgt, das nur ein begrenztes Verbreitungsgebiet hat und dessen Leser keine Beziehungen zum Lebenskreis des Geschädigten an dessen Wohnsitz haben, wie das vor allem bei ausländischen Druckerzeugnissen oft der Fall ist. Würde man als Verletzungsort den Wohnort bzw. ständigen Aufenthaltsort des Betroffenen ansehen, so würde der ausländische Herausgeber oder Redakteur stets auch im Inland für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten gerichtspflichtig, selbst wenn er mit einer Verletzung der Persönlichkeitssphäre des Betroffenen außerhalb des Verbrei-
937 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 260; a.A. Stoll, IPRax 1989, 90. Für kollisonsrechtliche Komponente (Art. 4 I u Art. 2 III (b) Rom II-VO) bei der Bestimmung des Handlungs- und Erfolgsorts nun wohl auch BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, MDR 2009, 1348 = NJW 2009, 3371 Rz. 19 = EuZW 2009, 907 = LMK 2009, 293079 (Hau). 938 Nachw. z.B. bei Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 2007; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006. 939 Nachw. bei Löffler, Mediendelikte im IPR und IZPR, 2000. 940 Nachw. bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 34. Ebenso aus englischer Sicht Lennox Lewis & Ors v. Don King [2004] EWCA Civ. 1329 [C.A.]. Vgl. auch House of Lords v. 10.2.2005, Polanski v. Condé Nast Publications Ltd. [2005] UKHL 10; [2005] 1 WLR 637; [2005] 1 All ER 945, RIW 2006, 301 (Knöfel 303).
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Internationale Zuständigkeit
tungsgebietes seines Presseerzeugnisses nicht rechnete; seine Gerichtspflichtigkeit würde unangemessen ausgedehnt.941 1515 Für Klagen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts mittels Presseerzeugnissen ist also zuständigkeitsrechtlich relevant einmal der Erscheinungsort des Druckwerks, zum anderen aber der Ort, an dem dieses verbreitet wird; denn die Verbreitung stellt noch einen Teil der Verletzungshandlung dar. Von einem Verbreiten kann jedoch nur die Rede sein, wenn der Inhalt des Druckwerks dritten Personen bestimmungsgemäß und nicht bloß zufällig zur Kenntnis gebracht wird. Es reicht nicht aus, wenn nur hie und da einmal durch Dritte ein oder mehrere Exemplare in ein Gebiet gelangen, das von der Vertriebsorganisation des Verlegers oder Herausgebers nicht regelmäßig beliefert wird und so außerhalb des üblichen, von der Zeitschrift etc. erreichten Gebiets wohnenden Lesern zur Kenntnis kommt. Erst recht ist ein die Zuständigkeit des § 32 ZPO begründender Vertrieb zu verneinen, wenn jemand ein Exemplar nur zu dem Zweck bezieht, um dadurch (an seinem Wohnort) erst den Gerichtsstand des Begehungsortes zu begründen (Rz. 1015).942 Bei Fernsehsendungen ist die Bundesrepublik Deutschland international zuständig, wenn die Fernsehsendung des ausländischen Senders in ihrem Gebiet verbreitet wurde.943 1515a Der Bundesgerichtshof hält Deutschland gem. § 32 ZPO nur dann für international zuständig, wenn die im Internet verbreiteten (nach schlüssigem Klägervortrag) rechtsverletzenden Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland aufweisen. Bloße Abrufbarkeit genügt nicht. Die Kenntnisnahme der beanstandeten Meldung im Inland muss nach den Umständen des Einzelfalls naheliegen.944 1515b Bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet judiziert der EuGH945 wie folgt: Die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt und nicht am forum rei (Art. 4 I EuGVVO; Art. 2 I LugÜ) klagen will, kann am Mittelpunkt ihrer Interessen auf Ersatz des gesamten Schadens klagen, d.h. i.d.R. an ihrem gewöhnli-
941 Ähnlich die Wertung in § 7 II StPO, BGH v. 3.5.1977, NJW 1977, 1590 = MDR 1977, 740 = Ufita 81 (1978), 197 = LM § 32 ZPO Nr. 9 = IPRspr. 1977 Nr. 124; zum Gerichtsstand des Erscheinungsortes allgemein BGH v. 27.6.1997 – StB 8/97, NJW 1997, 2828. Zum fliegenden Gerichtsstand s. auch Schlüter, AfP 210, 340. Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung (Art. 40 I 2 EGBGB) nach dem Günstigkeitsprinzip BGH v. 19.12.1995 – VI ZR 15/95, MDR 1996, 913 = NJW 1996, 1128 = JZ 1997, 39 (Forkel) = GRUR 1996, 923 (Nixdorf 842) = LM Art. 2 GG Nr. 66 (Vinck). Vgl. auch Rz. 1516. 942 Staudinger/von Hoffmann/Fuchs, 2001, Art. 38 EGBGB Rz. 259b. 943 OLG München v. 17.9.1986 – 21 U 6128/85, OLGZ 1987, 216 = RIW 1988, 647 = IPRspr. 1986 Nr. 142. S. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 36. 944 BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = AfP 2012, 50 = MDR 2012, 92 = NJW 2012, 148 = IPRspr. 2011 Nr. 34b. 945 EuGH v. 25.10.2011 – Rs. C-509/09 – eDate AdvertisingGmbH/X u Martinez/MGN Ltd., NJW 2012, 137 = EuZW 2011, 962 = IPRax 2014, 252 (W.-H. Roth 215) = GRUR 2012, 300 = JZ 2012, 199 (Hess 189); hierzu Garber, öJZ 2012, 108; Mankowski, EWiR 2011, 743; Leible, LMK 2012, 329468; Slonina, öJZ 2012, 61; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812 (821) (Schlussentscheidung: BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, MDR 2012, 764 = NJW 2012, 2197 = MMR 2012, 703).
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chem Aufenthalt (forum actoris). Als Mittelpunkt der Interessen kann bei Würdigung aller Umstände auch ein anderer Ort, etwa der der beruflichen Tätigkeit, in Betracht kommen. Auch sind die Mitgliedstaaten international zuständig, in deren Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war, allerdings kann dort nach der Mosaiktheorie nur der dort verursachte Schaden geltend gemacht werden. Dies soll auch für Unterlassungsklagen gelten, wobei erhebliche Schwierigkei- 1515c ten bei der Aufspaltung des Unterlassungsanspruchs entstehen dürften. Der (angeblich) in seinen Persönlichkeitsrechten verletzte Kläger hat folgende 1515d Fora neben Art. 4 I EuGVVO bzw. Art. 2 I LugÜ zur Auswahl: 1. Ort der Veröffentlichung als Handlungsort (kann zusammenfallen mit Art. 4 I EuGVVO, 2. als Erfolgsort den Ort des Schwerpunkts der Interessen des Opfers mit Kognitionsbefugnis für den gesamten Schaden, 3. als Erfolgsort auch jeden Ort der Abrufbarkeit, allerdings mit beschränkter Kognitionsbefugnis nach der Mosaiktheorie nur für den im jeweiligen Gerichtsstaat entstandenen Schaden. Weitere (diffuse) unbestimmte Rechtsbegriffe zur Eingrenzung der Gerichts- 1515e pflichtigkeit nach Art. 7 Nr. EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ akzeptiert der EuGH erfreulicherweise nicht, wie etwa Inlandsbezug, bestimmungsgemäße Abrufbarkeit oder „Spürbarkeit der Persönlichkeitsverletzung“.946 Ergebnis: Bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer 1515f Website veröffentlicht worden sind, kann die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens erheben.947 Die Rechtsprechung des EuGH wird tendenziell wohl die Auslegung des § 32 ZPO beeinflussen.
946 Zur Störerhaftung eines hostproviders BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, GRUR Int 2012, 259 (zu § 32 ZPO). 947 EuGH v. 25.10.2011 – Rs. C-509/09 – eDate Advertising u. Martinez/MGN Ltd, NJW 2012, 137 Rz. 50 = EuZW 2011, 962 = IPRax 2014, 252 (W.-H. Roth 215) = GRUR 2012, 300 = JZ 2012, 199 (Hess 189); hierzu Garber, öJZ 2012, 108; Mankowski, EWiR 2011, 743; Leible, LMK 2012, 329468; Slonina, öJZ 2012, 61; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812, 821 (Schlussentscheidung: BGH NJW 2012, 2197 = MMR 2012, 703); BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08 – www.rainbow II, AfP 2012, 372 = CR 2012, 525 = MDR 2012, 764 = NJW 2012, 2197 = GRUR 2012, 850; OLG Koblenz v. 9.12.2011 – 10 U 108/11, NJOZ 2012, 1764 (Unterlassung herabsetzender Äußerungen im Internet). S. auch OLG Schleswig v. 13.9.2014 – 2 AR 28/13, NJW-RR 2014, 442. Ausführlich Pich, GRUR Int 2013, 19 und McGuire, ZEuP 2014, 155. Weitere Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 5 EuGVVO Rz. 30b ff.
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Internationale Zuständigkeit
7. Verletzung des Namensrechts 1515g Eine internationale Zuständigkeit Deutschlands ist nach § 32 ZPO eröffnet, wenn der Name im Inland verwendet wird. Bei Domain-Namen genügt die bestimmungsgemäße Abrufbarkeit im Inland.948 8. Unlauterer Wettbewerb 1516 Der Bundesgerichtshof hat die deutsche internationale Zuständigkeit aufgrund § 32 ZPO auch bejaht für Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit von Werbeanzeigen in ausländischen Zeitschriften, die im Wege des regelmäßigen Zeitschriftenvertriebs in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht werden.949 Vom Verbreiten einer Zeitung bzw. Zeitschrift kann aber dann nicht gesprochen werden, „wenn nur da und dort einmal durch Dritte ein Stück oder eine Mehrzahl von Stücken der ausländischen Druckereierzeugnisse über die Grenze gelangt“.950 Anders ist es dagegen bei regelmäßiger Versendung durch den Zeitungsverlag.951 1517 Neben § 32 ZPO kann auch § 14 UWG Grundlage der internationalen Zuständigkeit Deutschlands sein.952 Bei wettbewerbswidrigen Handlungen i.S. des UWG wird als „Begehungserfolg“ jedoch allgemein nicht der möglicherweise dadurch verursachte „Schaden“ angesehen, so dass dabei nicht darauf abzustellen ist, wo letztlich der „Schaden“ eingetreten ist.953 Der „Begehungsort“ in diesem Sinne
948 OLG Karlsruhe v. 9.6.1999 – 6 U 62/99, CR 1999, 783 = MMR 1999, 604 = IPRspr. 1999 Nr. 39; OLG München v. 15.11.2001 – 29 U 3769/01, NJW 2002, 611 = CR 2002, 449 (Mankowski) = IPRspr. 2001 Nr. 154; OLG Karlsruhe v. 10.7.2002 – 6 U 9/02, AfP 2003, 188 = CR 2003, 375 = MMR 2002, 814 (Mankowski) = IPRspr. 2002 Nr. 124; LG Hamburg v. 3.8.2001 – 416 O 294/00, GRUR Int 2002, 163 (Pellens/Peitsch) = I.L.Pr. 2003, 297 = IPRspr. 2002 Nr. 120a; OLG Hamburg v. 2.5.2002 – 3 U 312/01, MMR 2002, 822 = IPRax 2004, 125 (Kurtz) = IPRspr. 2002 Nr. 120b. 949 BGH v. 23.10.1970, MDR 1971, 111 = GRUR 1971, 153 = IPRspr. 1970 Nr. 97; OLG Düsseldorf v. 6.2.1970, NJW 1970, 1008 = GRUR Int 1970, 164 = IPRspr. 1970 Nr. 96; OLG Celle v. 2.2.1977, GRUR Int 1977, 238 = IPRspr. 1977 Nr. 119; OLG Frankfurt v. 27.9.1984 – 6 U 103/83, NJW 1985, 568 = IPRspr. 1984 Nr. 118. Ausführliche Nachw. z.B. bei Brömmelmeyer, Internetwettbewerbsrecht, 2007; Puhr, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet, 2005. 950 Zur Zulässigkeit negativer Feststellungsklagen im forum delicti BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228 (zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F.). 951 RG v. 10.1.1936, JW 1936, 1291 = Giur.comp.d.i.p. 7 (1941) 89 Nr. 41 (Lorenz) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 439. Vgl. auch Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Rz. 129 Zum Auseinanderfallen von Werbe- und Absatzmarkt Sack, IPRax 1992, 24. 952 Lindacher, Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche: Marktterritorialität versus Universalität, GRUR Int 2008, 453 (454); Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 689; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 575; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 3 und 10 ff. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 26. 953 S. auch LG Hamburg v. 3.8.2001 – 416 O 294/00, GRUR Int 2002, 163 (Pellens/Peitsch) = I.L.Pr. 2003, 297 = IPRspr. 2002 Nr. 120a; OLG Hamburg v. 2.5.2002 – 3 U 312/01, MMR 2002, 822 = IPRax 2004, 125 (Kurtz) = IPRspr. 2002 Nr. 120b.
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ist vielmehr ausschließlich der „Ort der Interessenkollision“, d.h. unlauterer Wettbewerb wird i.d.R. nur dort als begangen angesehen, wo wettbewerbliche Interessen aufeinander stoßen.954 Entscheidend ist also der Marktort.955 Der Grund für die restriktive Auslegung des § 32 ZPO in Wettbewerbssachen956 1517a liegt in einer unzulässigen Vermengung von forum und ius (Rz. 1527).957 Man will eine Wettbewerbshandlung, die vom Inland aus gesteuert wird, aber die Interessen von Mitbewerbern oder der Allgemeinheit nur auf einem ausländischen Markt tangiert, deshalb nicht als (auch) im Inland begangen ansehen (Distanzdelikt), weil ein inländischer Wettbewerber in seinem Auslandswettbewerb mit ausländischen Konkurrenten benachteiligt werde, wenn er im Ausland dem strengen deutschen Wettbewerbsrecht unterliege.958 Die Anwendung des am ausländischen Markt geltenden liberalen Wettbewerbsrechts wird nicht erwogen.959 Der Handlungsort i.S. der kollisionsrechtlichen Anknüpfung ist also nicht identisch mit dem für die Kompetenzanknüpfung nach § 32 ZPO relevanten.960 Das OLG Hamm bejaht allerdings die internationale Zuständigkeit Deutschlands 1517b gem. § 32 ZPO aufgrund von Steuerungsmaßnahmen im Inland, wenn sich der Wettbewerb auf dem ausländischen Markt ausschließlich zwischen inländischen Unternehmen abspielt und sich der unlautere Wettbewerb nur gegen den inländischen Mitbewerber richtet.961 Doch ergibt sich die internationale Zuständigkeit bereits aus §§ 12 ff. ZPO (Rz. 1089a, 1281). Ist demnach eine wettbewerbswidrige Teilhandlung im Inland zu lokalisieren, 1517c so ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands für den gesamten Lebenssachverhalt begründet, also auch für im Ausland begangene Teilhandlungen.962
954 BGH v. 20.12.1963 – Stahlexport, BGHZ 40, 391 (395) = MDR 1964, 390 = NJW 1964, 969 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 161; BGH v. 23.10.1970, MDR 1971, 111 = GRUR 1971, 153 ff. (154) = IPRspr. 1970 Nr. 97; OLG Celle v. 2.2.1977, GRUR 1977, 238 = IPRspr. 1977 Nr. 119; OLG München v. 2.4.1986 – 6 W 908/86, DB 1986, 1173, AfP 1986, 143 = MDR 1986, 679 = IPRspr. 1986 Nr. 131; OLG Stuttgart v. 22.8.1986 – 2 U 54/86, AfP 1986, 346 = NJW-RR 1987, 292 = RIW 1987, 945 = GRUR 1987, 925 = IPRspr. 1986 Nr. 141. 955 OLG Düsseldorf v. 16.6.1998 – U (Kart) 15/97, CR 1998, 536 (Immenga) = IPRspr. 1998 Nr. 123. Ausführlich Lindacher, Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche, GRUR Int 2008, 453 (454). S. auch Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, 2006, Rz. 733 ff. 956 Zur Handhabung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ bei Wettbewerbsverstößen s. die Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 5 EuGVVO Rz. 28a. 957 Hierzu auch Koos, IPRax 2007, 414 (416). S. auch Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 9 Rz. 9. 958 Zum Marktortprinzip s. auch BGH v. 11.2.2010 – I ZR 85/08, MDR 2010, 1137 Ausschreibung in Bulgarien. 959 Zum Marktortprinzip im internationalen Wettbewerbsrecht BGH v. 26.11.1997 – I ZR 148/95, NJW 1998, 1227 = RIW 1998, 398 = IPRspr. 1997 Nr. 128. 960 Zustimmend Lindacher in FS Nakamura, 1996, 325, 329. 961 OLG Hamm v. 20.6.1985 – 4 U 15/85, NJW-RR 1986, 1047 = IPRspr. 1985 Nr. 141. 962 OLG Frankfurt v. 15.12.1998, Sport und Recht 1999, 200 = IPRspr. 1998 Nr. 142.
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1517d Bei Wettbewerbsverstößen verdrängt die wettbewerbsrechtliche Regelung den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz nach den §§ 823 I, 1004 BGB. Die Haftung nach § 823 I BGB tritt wegen ihres subsidiären Charakters nur ein, wenn eine andere Rechtsgrundlage nicht gegeben ist und der Zusammenhang der auf dem jeweiligen Rechtsgebiet geltenden Normen ergibt, dass eine Lücke besteht, die mit Hilfe des § 823 BGB geschlossen werden darf. Für die auf § 823 BGB gestützte Klage ist Deutschland international zuständig. Sie ist jedoch in den meisten Fällen aus den vorstehenden Gründen nicht begründet.963 1517e Im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ judiziert der BGH ähnlich wie zu § 32 ZPO, aber möglicherweise etwas weniger zurückhaltend: Für eine Klage wegen eines behaupteten Verstoßes gegen § § 4 Nr. 7 UWG durch eine herabsetzende oder verunglimpfende Internetveröffentlichung ist – wie auch sonst bei Wettbewerbsverletzungen im Internet – eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auf den inländischen Markt auswirken soll. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der in der Internetveröffentlichung genannte Mitbewerber seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt im Inland hat. Eine englischsprachige Pressemitteilung auf einer englischsprachigen Internetseite soll sich bestimmungsgemäß auch auf den inländischen Markt auswirken, wenn Besuchern einer deutschsprachigen Fassung dieser Internetseite, die sich vor allem an Nutzer im Inland richtet, gezielt die Möglichkeit eröffnet wird, zu der englischsprachigen Internetseite zu gelangen und die englischsprachige Pressemitteilung sich mit einem Internetauftritt auseinandersetzt, der sich vor allem an Nutzer im Inland richtet. 9. Verletzung von Urheber- und Markenrechten sowie sonstigen Immaterialgüterrechten 1518 Auch bei Urheber- und Markenrechtsverletzungen hat § 32 ZPO große praktische Bedeutung.964 Bei Vervielfältigungsdelikten (§ 16 UrhG) ist der Begehungs963 Nachw. LG Weiden v. 6.10.1982 – 1 O 403/82, IPRax 1983, 192 (Jayme). Zutreffend lehnt es das OLG Celle v. 2.2.1977, GRUR 1977, 238 = IPRspr. 1977 Nr. 119 ab, neben dem Anspruch nach § 14 UWG a.F. ausnahmsweise auch noch den Anspruch nach § 823 I BGB nur deshalb zu bejahen, um über § 32 ZPO die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu begründen. Es unterscheidet aber nicht klar genug zwischen Zulässigkeit und Begründetheit. 964 Schack, IPRax 1991, 348. S. auch (zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F., nun Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F.) BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/10, IPRax 2014, 257 (Peifer 228); BGH v. 13.10.2004 – I ZR 101/02, JZ 2005, 736 (Ohley) = RIW 2005, 465 = NJW 2005, 1788 = GRUR 2005, 519 = WRP 2005, 735 = IPRspr. 2005 Nr. 98; BGH v. 28.6.2007 – I ZR 49/04, IPRax 2008, 344. Hierzu Reichardt, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei immaterialgüterrechtlichen Klagen, IPRax 2008, 330. Umfangreiche Nachw. bei Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 2004; Zigann, Entscheidungen inländischer Gerichte über ausländische gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, 2001, 2002; Schauwecker, Zur internationalen Zuständigkeit bei Patentverletzungsklagen, GRUR Int 2008, 96; Slonina, Örtliche und internationale Zuständigkeit für Patentverletzungsklagen, SZZP 1 (2005), 313. – Zusammenfassung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu Markenverletzungsklagen bei McGuire, ZEuP 2014, 155.
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Vierter Teil
ort dort, wo die Kopie entsteht. Bei Urheberrechtsverletzungen im Internet kommt es also darauf an, wo der Verletzer das Original herunterlädt. Dies ist für den Rechteinhaber i.d.R. nicht oder nur schwer feststellbar. Diesem ist gem. § 32 ZPO darüber hinaus aber überall dort ein Forum eröffnet, wo sich die Internetseite des Verletzers mit dem rechteverletzenden Inhalt bestimmungsgemäß auswirken sollte. Der Wirkungskreis ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen; dabei kommen u.a. in Betracht: Sprache des Angebots, Art und Weise der Präsentation des Angebots von Waren bzw. Dienstleistungen. So ist bei einer interaktiven Internetseite, auf der Waren oder Dienstleistungen verbindlich abgerufen oder bestellt werden können, im Zweifel von einem weiten Wirkungskreis auszugehen.965 In einem Rechtsstreit über die Verletzung einer in einem Mitgliedstaat eingetra- 1518a genen Marke, die dadurch begangen worden sein soll, dass ein Werbender auf der Website einer Suchmaschine, die unter der Top-Level-Domain eines anderen Mitgliedstaats betrieben wird, ein mit dieser Marke identisches Schlüsselwort verwendet hat, sind die Gerichte des Mitgliedstaats der Eintragung der Marke international zuständig.966 Ort des für eine behauptete Verletzung einer nationalen Marke ursächlichen 1518b Geschehens bezüglich der Verwendung eines mit dieser Marke identischen Schlüsselworts auf der Website einer unter der Top-Level-Domain eines anderen Mitgliedstaats betriebenen Suchmaschine: Die räumliche Begrenzung des Schutzgebiets einer nationalen Marke schließt die internationale Zuständigkeit anderer Gerichte als derjenigen des Mitgliedstaats, in dem diese Marke eingetragen ist, nicht aus. Der EuGH stellt bei der Suche nach dem Ort des für einen behaupteten Schaden ursächlichen Geschehens auf eine „signifikante Verknüpfung“ ab, die für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann. Soll eine behauptete Verletzung einer in einem Mitgliedstaat eingetragenen nationalen Marke dadurch begangen worden sein, dass auf der Website einer Suchmaschine auf Grund der Verwendung eines mit dieser Marke identischen Schlüsselworts eine Werbung erscheint, ist ursächliches Geschehen nicht das Erscheinen der Werbung selbst, sondern das Auslösen des technischen Vorgangs durch den Werbenden, der anhand im Voraus definierter Parameter zum Erscheinen der Anzeige führt, die der Werbende für seine eigene kommerzielle Kommunikation geschaltet hat. Dieses Auslösen des technischen Anzeigevorgangs durch den Werbenden erfolgt zwar auf einem Server des Betreibers der von dem Werbenden verwendeten Suchmaschine. Gleichwohl ist im Hinblick auf das mit den Zuständigkeitsregeln verfolgte Ziel der Vorhersehbarkeit der Standort dieses Servers nicht als Ort des ursächlichen Geschehens anzusehen; denn es ist unklar, wo er sich befindet. Vielmehr ist der Ort der Niederlassung des Werbenden als der Ort anzusehen, an dem über das Auslösen des technischen Anzeigevorgangs entschieden wird, da es sich sowohl 965 Ausführlich hierzu Danckwerts, Örtliche Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, in FS Hay, 2005, 93. 966 EuGH v. 19.4.2012 – Rs. C-523/10, EuZW 2012, 513 – Rz. 29 = GRUR 2012, 654 = LMK 2012, 333913 (v. Hein) = ZEuP 2014, 155 (McGuire); hierzu Slonina, ecolex 2012, 484. Hierzu auch Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 5 EuGVVO Rz. 30h.
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Internationale Zuständigkeit
für den Kläger als auch für den Beklagten um einen feststehenden bzw. feststellbaren Ort handelt, der daher geeignet ist, die Beweiserhebung und die Gestaltung des Prozesses zu erleichtern. Daher können gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ auch die Gerichte des Mitgliedstaats angerufen werden, in dem der Werbende niedergelassen ist.967 10. Verletzung gewerblicher Schutzrechte 1519 Per definitionem kann wegen des Territorialitätsprinzips eine Verletzung eines ausländischen gewerblichen Schutzrechts nur im Verleihungsstaat (= Schutzland) erfolgen.968 Die Frage lautet daher: Wann liegt ein zuständigkeitsbegründender Teilakt einer Verletzungshandlung im Inland vor? Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist der inländische Transitverkehr bereits ein Teil der das ausländische Schutzrecht verletzenden Handlung.969 1519a Anders als bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten (Rz. 1513 ff.), die in allen EU-Mitgliedstaaten geschützt sind, ist der durch die Eintragung eines nationalen gewerblichen Schutzrechts, z.B. eines Patents oder einer Marke gewährte Schutz grundsätzlich auf das Gebiet des Eintragungsmitgliedstaats beschränkt, so dass der Inhaber des gewerblichen Schutzrechts diesen Schutz i.d.R. nicht außerhalb dieses Gebiets geltend machen kann.970 Sowohl das gesetzgeberische Ziel der Vorhersehbarkeit des Forums als auch das Ziel einer geordneten Rechtspflege sprechen dafür, die Zuständigkeit auf Grund der Verwirklichung des Schadenserfolgs den Gerichten des Mitgliedstaats zuzuweisen, in dem das fragliche Recht geschützt ist. Die Gerichte des Mitgliedstaats der Eintragung des Patents bzw. der Marke sind nach Auffassung des EuGH am besten in der Lage, z.B. unter Berücksichtigung der Auslegung der Richtlinie 2008/95971 zu beurteilen, ob tatsächlich eine Verletzung der geschützten nationalen Marke etc. vorliegt. 1519b Diese Gerichte dürfen und müssen über den gesamten Schaden, der dem Inhaber des geschützten Rechts durch dessen Beeinträchtigung entstanden sein soll, und über die Untersagung jeglicher Beeinträchtigung dieses Rechts entscheiden.972
967 EuGH v. 19.4.2012, a.a.O.; hierzu Slonina, ecolex 2012, 484. S. auch K.-N. Peifer, IPRax 2013, 228. 968 Künftig s. aber Art. 31 ff. EPGÜ, oben Rz. 103. 969 BGH v. 24.7.1957, NJW 1958, 17 = JZ 1958, 241 (Steindorff) = LM Nr. 18 zu § 12 BGB = GRUR 1958, 189 (Hefermehl) = IPRspr. 1956–1957 Nr. 170 (Zeiss-Urteil); hierzu Weigel, Gerichtsbarkeit, internationale Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im deutschen gewerblichen Rechtsschutz, 1973, 170; Stauder, GRUR Int 1976, 474. Zur Anwendung des forum delicti commissi bei unberechtigter Verwarnung wegen angeblicher Verletzung von Schutzrechten im Ausland LG Mannheim v. 30.5.1980 – 7 O 2/80, GRUR 1980, 935 = IPRspr. 1980 Nr. 143. 970 EuGH v. 19.4.2012, a.a.O.; hierzu Slonina, ecolex 2012, 484. 971 Hierzu z.B. EuGH v. 23.3.2010 – Rs. C-236/08, CR 2010, 318 = GRUR 2010, 445, sowie EuGH v. 12.7.2011 – Rs. C-324/09, CR 2011, 597 (Volkmann) = GRUR 2011, 1025. 972 Zum Senden von Dateien aus nach Art. 7 RL 96/9/EG geschützten Datenbanken obiter EuGH v. 18.10.2012 – Rs. C-173/11 – Football Dataco/Sportradar, GRUR Int 2012, 2113 – Rz. 29.
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Bei Verletzung von (gewerblichen) Schutzrechten kann der Erfolgsort der 1519c Schutzrechtsverletzung im Prinzip nur im Schutzstaat eintreten. Der Ort von Folgeschäden bleibt kompetenzrechtlich außer Betracht.973 Als Handlungsort außerhalb des Schutzstaats kommt für sich allein noch nicht die Herstellung eines Gegenstands in Betracht. Denn es handelt sich um eine nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ nicht relevante Vorbereitungshandlung. Anders ist es jedoch, wenn ein Gegenstand bestimmungsgemäß und zielgerichtet auf den Schutzstaat in Verkehr gebracht wird, z.B. durch Etikettierung in der Sprache des Schutzstaates oder durch dauerhafte Vertragsbeziehung zu einem Importeur im Schutzstaat.974 Bloße Durchfuhr stellt im Zweifel keine Verletzungshandlung im Transitland dar; etwas anderes gilt u.U. für Unterlassungsansprüche gegen den mit dem Transport beauftragten Spediteur.975 11. Kartellsachen Bei wettbewerbswidrigen Liefersperren ist der Begehungsort976 im Inland, wenn 1520 unmittelbar die wettbewerbliche Situation im Inland tangiert ist. Bei Preiskartellen ist der Erfolgsort der Marktort. Als Begehungsort käme an sich jeder Ort in Betracht, an dem die Preisabsprachen getroffen wurden. Dies würde in den meisten Fällen zu sehr vielen Zuständigkeitsanknüpfungen führen. Deshalb wurde vorgeschlagen, bei Preiskartellen nur an die Niederlassung des Beklagten kompetenzrechtlich anzuknüpfen.977 12. Umweltschäden Eine internationale Zuständigkeit ist – soweit nicht vorrangig § 32a ZPO zur 1521 Anwendung kommt978 – nicht nur in dem Staat eröffnet, in dem der Schädiger seinen Standort (Betriebsstätte) hat (Handlungsort), sondern auch überall dort, wo die geschützten Rechtsgüter verletzt werden (Ort der primären Rechtsgutverletzung).979 Für die nachbarrechtliche Abwehrklage will die Praxis jedoch § 24 973 Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 5 EuGVVO Rz. 30g ff. 974 Adolphsen, ZZPInt 11 (2006), 137, 157. S. auch OLG Düsseldorf IPRspr. 2009 Nr. 198. 975 BGH v. 25.4.2012 – I ZR 235/10, MDR 2013, 48 Clinique happy (Vorinstanz: KG v. 12.10.2010 – 5 U 152/08, GRUR-RR 2011, 263). 976 Zur internationalen Tatortzuständigkeit bei Kartellverstößen BGH v. 23.10.1979 – KZR 21/78, NJW 1980, 1224 (Schlosser) = RIW 1980, 216 (Böhlke) = MDR 1980, 204 = IPRspr. 1979 Nr. 170. 977 Ausführlich Bulst, EWS 2004, 403 (405). S. auch LG Dortmund v. 1.4.2004 – 13 O 55/02 Kart., EWS 2004, 434 (Bulst 403) = IPRax 2006, 542 (Mäsch 509): Schadensersatz wegen unerlaubter Preisabsprachen und Marktaufteilung und der daraus resultierenden (kartellbedingten) Verteuerung (§ 823 II BGB i.V.m. § 33 GWB und § 826 BGB): Begehungsort (§ 32 ZPO, Art. 5 Nr. 3 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ) ist i.d.R. der Sitz bzw. die Niederlassung des Beklagten, Erfolgsort (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs) ist der Marktort. Für Marktort auch Kessedijan in McLachlan/Nygh, Transnational Tort Litigation: Jurisdictional Principles, 1996, 171, 185. 978 Hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32a Rz. 1. 979 Zur Sonderregelung des § 32a ZPO, der in Deutschland gelegene Anlagen privilegiert, s. Rz. 940a.
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ZPO heranziehen. Dadurch können u.U. die Gerichtsstände für Abwehr- und Schadensersatzansprüche auseinander fallen. Dagegen wollen viele980 bei grenzüberschreitenden Immissionen § 32 ZPO auch für nachbarrechtliche Abwehrklagen anwenden (Rz. 1499). Das eigentliche Problem liegt im Umweltschutz nicht auf kompetenzrechtlichem Gebiet, sondern in der Frage, ob das dem Geschädigten günstigere Haftungsrecht des Gerichtsstaates (= Erfolgsort) angewendet werden kann,981 wenn die schädigende Handlung nach dem Recht am Handlungsort (= Standort des Unternehmens) (durch eine öffentlich-rechtliche Genehmigung) erlaubt ist und danach keine Schadensersatzpflicht besteht.982 13. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge 1521a Wird die Klage auf § 823 II BGB i.V.m. § 309 II AktG gestützt, so ist gem. § 32 ZPO eine internationale Entscheidungszuständigkeit gegen die im Ausland domizilierte Muttergesellschaft eröffnet.983 14. Fehlerhafte Kapitalmarktinformationen 1521b Der deliktische Gerichtsstand spielt auch eine große Rolle im Kapitalmarktrecht, z.B. wenn es um den Ersatz von Schäden aus fehlerhaften Informationen geht.984 15. Vorbeugender Rechtsschutz 1522 § 32 ZPO ist – ebenso wie Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ985 – auch auf vorbeugende Unterlassungsklagen (vgl. Rz. 2636) anzuwenden. Auch § 14 II UWG eröffnet eine internationale Zuständigkeit – über seinen Wortlaut hinaus – in dem Staat, in dem eine wettbewerbswidrige Handlung lediglich droht.986 Jedenfalls dann, wenn sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine konkrete Wettbewerbshandlung (z.B. Versenden eines Prospekts) 980 Schack, BerDGVR 32 (1992), 330 und Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 21. 981 Beispiele bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 15. 982 Heß, a.a.O., 15, 22; Kohler in Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa, 1984, 83; Spellenberg, ZZP 99 (1986), 340. Vgl. Roßbach, NJW 1988, 592; Rest, NJW 1989, 2159. 983 Staudinger/Ebke/Großfeld, Internationales Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2008, Rz. 401. 984 Zusammenfassung der Rspr. in BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614. S. auch R. Geimer in FS Martiny, 2014, 711. 985 LG Frankfurt/M. v. 22.4.1994 – 2/19 O 235/91, NJW-RR 1994, 1493 = JbItR 8 (1995), 246 = IPRspr. 1994 Nr. 48; a.A. OLG Bremen v. 17.10.1991 – 2 U 34/91, RIW 1992, 231 = IPRspr. 1991 Nr. 173b. Vgl. auch die (erledigte) Vorlage zum EuGH: BGH v. 17.3.1994 – I ZR 304/91, MDR 1995, 282 = AfP 1994, 288 = RIW 1994, 591, 678 = EWS 1994, 215 (Mankowski 305). 986 OLG Hamburg v. 18.12.1986 – 3 U 158/86, GRUR 1987, 1403 = IPRspr. 1986 Nr. 149. Umfangreiche Nachw. bei Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003.
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richtet und deshalb dafür bereits eine Zuständigkeit am Verletzungsort gegeben ist, kann die internationale Zuständigkeit eines anderen Staates daneben nicht bereits damit begründet werden, dass aufgrund des begangenen Wettbewerbsverstoßes allgemein Wiederholungsgefahr bestehe und damit auch eine Wiederholung des Wettbewerbsverstoßes in diesem Staat drohe; vielmehr muss eine Wiederholung des Wettbewerbsverstoßes unmittelbar drohen. Dies ist z.B. der Fall bei einer grenzüberschreitenden Werbung mit dem Angebot der Versendung von (näheren) Unterlagen (in denen die wettbewerbswidrigen Behauptungen enthalten sind) an jeden beliebigen Ort.987 § 32 ZPO spielt auch im Arbeitskampfrecht eine bedeutsame Rolle.
1522a
Beispiel: Verbot des Streiks auf einem unter panamaischer Flagge fahrenden Schiff, das in einem deutschen Hafen (Rz. 411) liegt.988
Von der Frage der internationalen Zuständigkeit und der (sonstigen) Zulässigkeit 1522b der vorbeugenden Unterlassungsklage (Rz. 2636)989 scharf zu trennen ist ihre Begründetheit, über welche die lex causae befindet. 16. Verbraucherschutzklagen Klagen von Verbraucherschutzverbänden etc. auf Unterlassung der Verwendung 1522c von (missbräuchlichen) Allgemeinen Geschäftsbedingungen fallen nach der Rechtsprechung des EuGH nicht unter Art. 7 Nr. 1 EuGVVO;990 vielmehr kommt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zum Zuge.991 Der Gewerbetreibende (= Verwender der AGB) mag zwar bereits Verträge mit Verbrauchern abgeschlossen haben. Unabhängig davon, ob die Klage auf einen bereits zwischen dem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag zurückgeht oder ob sie lediglich vorbeugend erhoben wird, um einen künftigen Schadenseintritt zu verhindern, ist die Verbraucherschutzorganisation nicht Vertragspartei. Sie wird auf der Grundlage eines Rechts tätig, das ihr gesetzlich verliehen wurde, um die Untersagung der Verwendung von Klauseln zu erwirken, die nach den Wertungen des Gesetzgebers in den Beziehungen zwischen Gewerbetreibenden und privaten Endverbrauchern unzulässig sind. Dies gilt auch für präventive Klagen. Die Verwendung oder Empfehlung unwirksamer AGB stört den Rechtsfrieden. Es handelt
987 Lindacher in FS Nakamura, 1996, 328; OLG München v. 19.12.1985 – 6 U 3434/85, BB 1986, 425 (allerdings nur für die örtliche Zuständigkeit). 988 ArbG Hamburg v. 6.4.1983 – S 15 Ga 7/83, IPRax 1987, 29 (Birk 14) = IPRspr. 1985 Nr. 47. 989 Zum EuGVÜ s. die (erledigte) Anfrage beim EuGH durch BGH v. 17.3.1994 – I ZR 304/91, MDR 1995, 282 = AfP 1994, 288 = RIW 1994, 591, 678 = EWS 1994, 215 (Mankowski 305) = GRUR 1994, 530 = GRUR Int 1994, 762, 963 = IPRspr. 1994 Nr. 138. 990 Zur Abgrenzung zu Art. 7 Nr. 1 EuGVVO s. auch BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rz. 20. 991 EuGH v. 1.10.2002 – Rs. C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel, NJW 2002, 3617 = EWiR 2002, 1047 (Mankowski) = IPRax 2003, 341 (Michailidou 223).
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sich um eine unerlaubte Handlung i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.992 Der Begriff des „schädigenden Ereignisses“ in Nr. 2 ist weit zu verstehen. Er erfasst daher nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchliche Klauseln in AGB. Nur diese Auslegung harmoniert mit Art. 7 RL 93/13/EWG vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.993 Die Wirksamkeit der dort vorgesehenen Klagen auf Unterlassung wäre erheblich beeinträchtigt, wenn diese Klagen nur im Staat des Sitzes bzw. der Niederlassung des Gewerbetreibenden erhoben werden könnten. Diese Rechtsprechung ist – soweit keine sondergesetzlichen Regelungen, wie z.B. § 6 I UKLaG, greifen – für § 32 ZPO zu übernehmen.994 17. Anspruchskonkurrenz 1523 Wird die Klage sowohl auf Vertrag wie auch auf Delikt gestützt, so begründet § 32 ZPO nach früher h.M.995 keine internationale Zuständigkeit Deutschlands für die vertraglichen Ansprüche (Rz. 1868). Die Folge wäre eine auf Anspruchsgrundlagen beschränkte Rechtskraft. Dies ist aber für den Kläger unzumutbar (Rz. 1492). Von ihm kann nicht verlangt werden, doppelte Kraft und Zeit aufzuwenden, um einen einheitlichen Lebenssachverhalt vor den Gerichten verschiedener Staaten geltend zu machen, ganz zu schweigen von den Verwicklungen, die sich aus den unterschiedlichen IPR-Regeln der einzelnen Staaten ergeben. Deshalb ist auch am forum delicti commissi über vertragliche Ansprüche, die mit deliktischen konkurrieren, mitzuentscheiden.996 1523a Dies sieht der EuGH bei der Parallelvorschrift des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anders. Er plädiert für die „Spaltungstheorie“997 und begründet diese mit dem Ausnah-
992 EuGH v. 1.10.2002 – Rs. C-167/00; BGH NJW 2009, 3371 Tz. 12 = EuZW 2009, 907 = LMK 2009, 293079 (Hau); BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, BGHZ 182, 24 = NJW 2009, 3371 = RiW 2009, 803. 993 Hierzu EuGH v. 5.12.2013 – Rs. C-413/12 – Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León/Anuntis Segundamano España SL, EuZW 2014, 74. 994 S. auch Zöller/Vollkommer, ZPO30, § 32 Rz. 10. 995 BGH v. 6.11.1973, NJW 1974, 410 (R. Geimer 1045) = IPRspr. 1973 Nr. 173; BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (Ulrike Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142. 996 BGH v. 27.5.2008 – VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 – Rz. 13; OLG Stuttgart v. 7.12.2005 – 5 U 71/05, NJW-RR 2006, 1362 = OLGR 2006, 452 = IPRspr. 2005 Nr. 128; R. Geimer, IPRax 1986, 81; Mansel, IPRax 1989, 85; Spickhoff, IPRax 2009, 128 (132); Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 16; Handorn, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kraft Sachzusammenhangs, IHR 2007, 25; a.A. BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173 = MDR 2003, 345 = NJW 2003, 828 = VersR 2003, 663 (Spickhoff) = ZIP 2003, 1860 = JZ 2003, 687 (Mankowski) = JR 2003, 374 (Humberg) = LMK 2003, 71 (Patzina) = IPRspr. 2002 Nr. 160. 997 Hierzu s. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 1 Rz. 7 ff.
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mecharakter der besonderen Zuständigkeiten der Art. 7–8 EuGVVO.998 Diese Spezialfora seien als Ausnahme zur Allzuständigkeit des Wohnsitzstaates des Beklagten (Art. 4 I EuGVVO) eng auszulegen; die Gerichte des nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international zuständigen Mitgliedstaates dürften daher nicht auch über die Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten entscheiden. Es sei zwar misslich, wenn über die einzelnen Aspekte eines Rechtsstreits von verschiedenen Gerichten entschieden wird, doch habe der Kläger stets die Möglichkeit, seine Klage unter sämtlichen Gesichtspunkten vor das Gericht des Wohnsitzes des Beklagten zu bringen; auch könnte Entscheidungsdisharmonien nach Art. 36 EuGVVO (Art. 32 EuGVVO a.F.) vorgebeugt werden.999 Der EuGHRechtsprechung folgt kritiklos der Bundesgerichtshof.1000 Der EuGH will im übrigen Deliktsklagen, die ihren „Ausgangspunkt“ in einem 1523b Vertragsverhältnis haben, ganz dem Erfüllungsortsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 EuGVVO) zuordnen und aus dem Anwendungsbereich des forum delicti (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) ausklammern:1001 Auch wenn nach der lex causae ein deliktischer Anspruch Streitgegenstand ist, sei u.U. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anzuwenden sein, weil Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nur Schadenshaftungen erfasse, die nicht an einen Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen. Daher ist nach Auffassung des EuGH vorab zu prüfen, ob bei vernünftiger Betrachtungsweise für die Entscheidung die Berücksichtigung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags zwingend erforderlich ist. Ist dies der Fall, komme Nr. 1 zur Anwendung,
998 Dagegen R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 50, 222, 288. 999 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. C-189/87 – Kalfelis/Schröder, Slg. 1988, 5565 (5585 Nr. 16, 20) = NJW 1988, 3088 (Geimer) = RIW 1988, 901 (Schlosser 987) = IPRax 1989, 288 (Gottwald 272) = Rev. crit. 1989, 112 (Gaudemet-Tallon); hierzu Auer in Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 540), Art. 7 Rz. 137; Kohler, Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, in Berichte und Dokumente des Kolloquiums „Die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens durch den EuGH und der Rechtsschutz im europäischen Raum“, 1993, 43 und Duintjer Tebbens, ebenda, 79; Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1991, 168. Ebenso vor Inkrafttreten des § 17 II GVG n.F. für das deutsche autonome Recht BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = LM § 29 Nr. 8 (Geimer); Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO35, Art. 5 EuGVVO Rz. 19. S. aber Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 ZPO Rz. 16; m.w.N. bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht 2002, 162. 1000 BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 (112) = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (Wolf); BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, MDR 2003, 345 = NJW 2003, 828 = VersR 2003, 663 (Spickhoff) = ZIP 2003, 1860 = JZ 2003, 687 (Mankowski) = JR 2003, 374 (Humberg) = LMK 2003, 71 (Patzina) = IPRspr. 2002 Nr. 160; BGH v. 7.12.2004 – XI ZR 366/03, IPRax 2006, 40 (Looschelders 14) = MDR 2005, 587 = RIW 2005, 307 (309) = WM 2005, 339, 341 = NJW-RR 2005, 581 (583). Ebenso OLG Bamberg 24.4.2013 – 3 U 198/12, IHR 2013, 253 (257). Hierzu Mankowski, RIW 2005, 561 (568) und Kröll, EWiR 2005, 635. 1001 S. auch BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614, Rz. 20.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
andernfalls Nr. 2.1002 Diese Rechtsprechung ist für § 32 ZPO nicht zu übernehmen. 18. Kognitionsbefugnis der deutschen Gerichte 1524 Die auf § 32 ZPO gestützte Kognitionsbefugnis der deutschen Gerichte beschränkt sich nicht auf den im Inland entstandenen Schaden, sie erfasst vielmehr den Gesamtschaden, auch soweit dieser im Ausland zu lokalisieren ist (Rz. 867).1003 19. Sondergesetzliche Ausprägung 1525 Auch die Spezialfora der § 20 StVG,1004 § 6 UKlaG, § 14 HaftpflichtG, § 6 II ÖlschadenG, § 25a I Nr. 5 AtomG, § 56 I LuftverkehrsG,1005 § 3 BinnenschifffahrtsverfG, § 17 WahrnG1006 eröffnen die internationale Zuständigkeit.1007 Das Gleiche gilt für § 32b ZPO, der in seinem Anwendungsbereich1008 § 32 ZPO verdrängt.1009 20. Darlegungs- und Beweislast 1526 Es ist das Dilemma aller materiell-rechtlich begründeten Gerichtsstände, dass eine Prognose ex ante nicht möglich ist. Das hat zur Folge, dass auch der letztlich „Unschuldige“ am Tatort gerichtspflichtig ist. Für die Begründung der Gerichtspflichtigkeit des Schädigers an dem Ort der Schädigung reicht jedoch die Be1002 EuGH v. 13.3.2014 – Rs. C-548/12 – Max Brogsitter/Fabrication de Montres Normandes EURL u Karsten Fräßdorf, NJW 2014, 1648 = EuZW 2014, 383 = LMK 2014, 359127 (M. Weller). 1003 Reinmüller, IPRax 1985, 233; Mansel, IPRax 1989, 84; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 10. Dagegen verfolgt der EuGH eine restriktive Linie; der Gesamtschaden könne nur im Wohnsitz- bzw. Sitzstaat des Beklagten geltend gemacht werden; dagegen könne im forum delicti commissi (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO/EuGVÜ) nur der im Gerichtsstaat entstandene Schaden eingeklagt werden, EuGH v. 7.3.1995 – Rs. C-68/93, Slg. 1995 I 415 = NJW 1995, 1881 = EuZW 1995, 248. Der EuGH will wohl forum shopping erschweren, Dietze/Schnichels, EuZW 1996, 457. Der Fall betraf Schadensersatz wegen Ehrverletzung durch einen Presseartikel. Derzeit ist offen, ob der EuGH seine Entscheidung auf alle deliktischen Klagen ausdehnen möchte. Für Anwendung im Lauterkeitsrecht Lindacher, Die internationale Dimension lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsansprüche: Marktterritorialität versus Universalität, GRUR Int 2008, 453 (454). 1004 Hierzu BayObLG v. 12.12.1989 – AR 1 Z 138/89, NJW-RR 1990, 893 = IPRspr. 1989 Nr. 57. 1005 I.d.F. v. 10.5.2007, BGBl. I 2007, 698: „Für Klagen, die auf Grund dieses Abschnitts [Haftpflicht] erhoben werden, ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Unfall eingetreten ist.“ Hierzu de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 91. 1006 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 12. 1007 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 8 f. 1008 Hierzu z.B. OLG Düsseldorf v. 20.6.2013 – I-5 Sa 51/13, NZG 2013, 1234. 1009 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 12.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
hauptung des Klägers nicht aus; sonst wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet.1010 Anknüpfungspunkt für die internationale Deliktszuständigkeit ist vielmehr das objektive Vorliegen eines Geschehensablaufes im Inland, der (möglicherweise) zu einer deliktischen Haftung des Beklagten führt.1011 Ist der Beklagte säumig, so gilt § 331 ZPO nicht für die Begründung der internationalen Zuständigkeit (keine Geständnisfiktion, s. Rz. 1494, 1822, 1826).1012 21. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius Welches Recht nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts zur 1527 Anwendung kommt, ist ohne Belang. Es gibt keinen Gleichlauf zwischen inländischer Deliktszuständigkeit und deutschem Deliktsrecht. Auch eine auf ausländisches Deliktsrecht gestützte Klage kann im Gerichtsstand des § 32 ZPO erhoben werden. Es ist deshalb auch unerheblich, woran das internationale Privatrecht (Art. 4 ff. Rom II-Verordnung bzw. Art. 40 ff. EGBGB) in concreto anknüpft. Die alternativen Anknüpfungen des deutschen internationalen Deliktsrechts sind kompetenzrechtlich ohne Bedeutung.1013 22. Amtshaftungsansprüche: Deliktische Haftung für hoheitliches Handeln auswärtiger Staaten bzw. auswärtiger Amtsträger Hierfür fehlt die deutsche Gerichtsbarkeit (Rz. 578), so dass sich i.d.R. (Ausnah- 1527a men: theoretischer Fall der Unterwerfung [Rz. 629] sowie Inlandsdelikte [Rz. 626c, 877c]), die Frage der (auf § 32 ZPO/Art. 7 Nr. 2 EuGVVO/Art. 5 Nr. 3 LugÜ gestützten) internationalen Zuständigkeit nicht stellt.1014 Ob hoheitliches Handeln vorliegt, entscheidet nicht allein das deutsche Recht (Rz. 579). 1010 So aber die h.M.: BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (Ulrike Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142; OLG Brandenburg v. 22.2.1996 – 5 U 91/95, RIW 1997, 424 = IPRspr. 1996 Nr. 141; BGH v. 24.2.2005 – I ZR 101/02, BGHZ 162, 246 = MDR 2005, 1066 = NJW 2005, 1788 = GRUR 2005, 519 = WRP 2005, 735 = IPRspr. 2005 Nr. 98; BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, BGHZ 167, 91 (98) = AfP 2007, 177 = MDR 2006, 941; OLG München v. 1.2.2005 – 28 U 3355/04, IPRspr. 2005 Nr. 93; OLG Koblenz v. 25.6.2007 – 12 U 1717/05, OLGR 2008, 30. Nachw. bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 265 Fn. 957; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 151; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 15. 1011 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 164 f.; R. Geimer, NJW 1974, 1046. Großzügiger Mansel, IPRax 1989, 86. 1012 R. Geimer, NJW 1973, 1083. Zustimmend Handorn, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kraft Sachzusammenhangs, IHR 2007, 25, 30. Nicht unbedenklich BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990, MDR 1990, 622 = RIW 1990, 221 = IPRax 1991, 183 (Flessner/Schulz 162) = IPRspr. 1990 Nr. 164, wo zu viel von der (zur Begründetheit der Klage gehörenden) Schlüssigkeitsprüfung in die Zuständigkeitsprüfung vorverlagert wurde. 1013 Lindacher in FS Nakamura, 1996, 327. 1014 Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR 133 (2008), 191 (194 ff.). Einschränkend Scheffler,
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
23. Exkurs: Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes für Schädiger und Kfz-Pflichtversicherer 1528 Liegt der Unfallort im Ausland, so ist für die Klage gegen die Versicherung und den Schädiger (Versicherungsnehmer) im Inland (§ 3 Nr. 2 PflichtversicherungsG) gem. § 36 I Nr. 3 ZPO ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand zu bestimmen.1015 Dies gilt jedoch nur für die örtliche Zuständigkeit (wenn für beide Beklagte die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist, Rz. 1159, 1292). Aus der internationalen Zuständigkeit in Richtung gegen den Schädiger folgt nicht die internationale Zuständigkeit gegen den Versicherer und umgekehrt. 24. Delikt auf deutschem Schiff oder in deutschem Luftfahrzeug 1528a Hierfür sollte eine internationale Zuständigkeit Deutschlands eröffnet werden, da kompetenzrechtlich die Dinge so gesehen werden sollten, dass das Delikt im „Inland“ geschehen ist. Beispiel: Deutsches Schiff verlässt den Hafen von Singapur; kurz danach entkommt ein dort verschiffter Tiger seinem Käfig und beißt einen an Deck sich sonnenden Schweizer. Tierhalter (= Käufer des Tigers) ist ein Madrilene.1016
Dies gilt auch dann, wenn das Delikt an Bord des Fahrzeugs während des Aufenthalts in fremdem Hafen geschah. Da der Tatort zu keinem deutschen Gerichtssprengel gehört, kommt die analoge Anwendung der §§ 15 I 2, 27 II ZPO (Rz. 965) in Betracht, sofern man – trotz Streichung der §§ 488, 508 HGB – nicht eine örtliche Zuständigkeit am Ort des Heimathafens bejahen will. 25. Keine Ausschließlichkeit 1529 Die internationale Deliktszuständigkeit ist nicht ausschließlich (Rz. 902).1017 26. Derogationsverbot 1530 Vor Eintritt des Schadens besteht Derogationsverbot.1018 (Vgl. auch Rz. 1793).
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Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, Konstanz 1997. BayObLG v. 29.6.1978, VersR 1978, 1010 = IPRspr. 1978 Nr. 145; BayObLG v. 10.8.1979 – AllgReg.45/79, MDR 1980, 145 = RIW 1980, 727; BayObLG v. 20.8.1981 – AllgReg. 65/81, RIW 1982, 199 = IPRax 1982, 249 = IPRspr. 1981 Nr. 27; BayObLG v. 18.9.1984 – AllgReg. 69/84, NJW 1985, 570 = IPRspr. 1984 Nr. 143; BayObLG v. 8.1.1985 – AllgReg. 104/84, VersR 1986, 299 = IPRspr. 1985 Nr. 130; BayObLG v. 4.6.1985 – AllgReg. 51/85, VersR 1987, 185 = IPRspr. 1985 Nr. 139A; BayObLG v. 12.12.1989 – AR 1 Z 138/89, NJW-RR 1990, 893 = IPRspr. 1989 Nr. 57. Ähnlich der Fall des OLG Hamburg v. 15.10.1935, HansRGZ 1935 B 584 = HRR 1936 Nr. 872 = Giur. comp. d.i.p. 40, 342 Nr. 257 (Lorenz) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 89. BayObLG v. 8.1.1985 – AllgReg. 104/84, VersR 1986, 299 = IPRspr. 1985 Nr. 130; BayObLG v. 12.12.1989 – AR 1 Z 138/89, NJW-RR 1990, 893 = IPRspr. 1989 Nr. 57. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 273.
Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
27. Internationale Anerkennungszuständigkeit § 32 ZPO und § 14 II UWG sind via § 328 I Nr. 1 ZPO spiegelbildlich anzuwen- 1531 den.1019 Die Frage, ob eine Vertragsverletzung oder ein Delikt vorliegt, ist nicht nach der vom deutschen internationalen Privatrecht berufenen lex causae zu beurteilen; maßgebend – auch für den deutschen Zweitrichter – ist vielmehr das internationale Privatrecht des Erststaates. Dies gilt auch für die in Rz. 1506, 1512 behandelte Abgrenzung. Im Übrigen sind die Tatbestandsmerkmale des § 32 ZPO nach deutschem Recht auszulegen.1020 Eine internationale Zuständigkeit des Erststaates wird anerkannt, wenn dort der Handlungs- oder Erfolgsort liegt. Bei einer Klage aus Produkthaftpflicht gegen einen deutschen Exporteur genügt z.B., wenn das schädigende Ereignis im Ausland (Erststaat) eingetreten ist. In Kartellprivatsachen ist eine internationale Zuständigkeit zu bejahen, wenn 1532 Handlungs- oder Erfolgsort im Erststaat liegen.1021 Strittig ist, ob das Auswirkungsprinzip, das die Frage des anwendbaren Rechts beherrscht (§ 130 II GWB), auch kompetenzrechtliche Bedeutung hat. Dies würde bedeuten, dass dem Erststaat schon dann internationale Zuständigkeit zuerkannt wird, wenn das beanstandete Verhalten sich auf dieses Land auswirkt. Im Ergebnis bestünde ein Gleichlauf zwischen anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit.1022 Selbst wenn man diese weite internationale Anerkennungszuständigkeit bejaht, müsste man mindestens eine direkte und unmittelbare Auswirkung verlangen.1023 Ebenso wie bei § 29 ZPO (Rz. 1496) ist bei der Prüfung gem. § 328 I Nr. 1 ZPO 1533 die schlüssige Behauptung der Zuständigkeitstatsachen nicht ausreichend; vielmehr sind die Voraussetzungen des § 32 ZPO in dem in Rz. 1827 dargelegten Umfang ohne Bindung an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ausländischen Erstgerichts zu prüfen, auch wenn diese als sog. „doppelrelevante“ Tatsachen meritorische Bedeutung haben. Dies ist kein Verstoß gegen das Verbot der révision au fond (Rz. 2910 und Rz. 2906).1024 1019 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1529; OLG München v. 17.11.1994 – 6 U 2499/94, GRUR 1996, 144 = CR 1995, 471 = IPRspr. 1994 Nr. 170. 1020 OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, OLGR 2007, 305 (308) = NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187. 1021 Ausführlich Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht, in FS 50 Jahre FIW (1969 bis 2010), 2010, 129. 1022 Rüter, Zur Frage der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer kartellprivatrechtlicher Entscheidungen in den USA und in Deutschland, 1970, 100, dagegen Rehbinder, Extraterritoriale Wirkungen des deutschen Kartellrechts, 1965, 308; Schwartz, Deutsches internationales Kartellrecht2, 141. 1023 Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 687. 1024 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 = MDR 1994, 1240 = NJW 1994, 1413 = RIW 1994, 331 = IPRax 1995, 101 (Gottwald 75) = LM § 32 ZPO Nr. 15 (R. Geimer) = ZZP 108 (1995), 359 (Koch) = IPRspr. 1993 Nr. 180 im Anschluss an R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 102, 163; m.w.N. bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 139.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
28. Rechtsvergleichendes 1534 Das allgemeine forum delicti commissi als Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten außerhalb seines Wohnsitzstaates ist eine Schöpfung der deutschen Zivilprozessordnung von 1877. Vor allem die romanischen Prozessordnungen, die bereits dann ein Forum eröffnen, wenn der Kläger oder Beklagte ein eigener Staatsangehöriger ist, wie z.B. Art. 14, 15 Code civil, konnten lange Zeit auf diesen Gerichtsstand verzichten, weil die internationale Zuständigkeit bereits aufgrund der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Klägers bzw. Beklagten zu bejahen ist. Vor allem durch die Motorisierung des Verkehrs entstand auch in diesen Ländern ein Bedürfnis zur Einführung dieses Forums für Ausländerprozesse.1025 Aber auch in Österreich, dessen Kompetenzrecht dem deutschen stark ähnelt, wurde das Deliktsforum (§ 92a JN) erst spät eingeführt.1026 29. Staatsverträge 1535 Das forum delicti commissi wird in vielen Staatsverträgen rezipiert.1027
XII. Inländischer Wohnsitz bzw. Aufenthalt des Klägers 1. Grundsätzliche kompetenzrechtliche Irrelevanz des Klägerwohnsitzes/-aufenthalts 1536 Das deutsche Zuständigkeitssystem geht – wie bereits oben Rz. 1138, 1265 dargelegt – von der Regel actor sequitur forum rei aus. Dreh- und Angelpunkt ist der Wohnsitz des Beklagten (ersatzweise dessen Aufenthalt, §§ 16, 20 ZPO, Rz. 1267). Auf den Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers kommt es grundsätzlich nicht an. 2. Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen 1537 Etwas anderes gilt aber in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen. Hier sind die Zuständigkeitsanknüpfungen ambivalent; sie sind nicht (notwendigerweise) auf die Person des Beklagten (Antragsgegners) bezogen. Der jeweilige Zuständigkeitstatbestand (§§ 98 I Nr. 2–4, 99 I Nr. 2, 103 I Nr. 2 FamFG, früher §§ 606a I 1 Nr. 2–4, 640a II 1 Nr. 2, 661 III ZPO) verlangt nur, dass eine der Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Rz. 1279,
1025 Zur französischen loi du 26.11.1923 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, Nr. 674-1; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 250; R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 610. 1026 Der österr. Gerichtsstand der „Schadenszufügung“ erfasst auch Ansprüche wegen Vertragsverletzung, Allerdings ist er relativ eng gefasst, Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 92a JN Rz. 2 ff. 1027 Hierzu Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Rz. 130; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 32 Rz. 7.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
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1332, 1944). Deshalb ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands bereits dann zu bejahen, wenn der Antragsteller sich im Inland gewöhnlich aufhält.1028 3. Ausnahmsweise Anknüpfung an den Klägerwohnsitz bzw. -aufenthalt im Anwendungsbereich des allgemeinen Zuständigkeitsrechts der §§ 12 ff. ZPO Ausnahmsweise knüpft die deutsche ZPO an den allgemeinen Gerichtsstand 1538 (Wohnsitz/Sitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt) des Klägers an – für Klagen des Vereins gegen seine Mitglieder, § 22 ZPO (besondere sondergesetzliche Ausprägungen in §§ 132, 246 AktG, § 51 III GenG, §§ 51a, 61 III GmbHG, Rz. 1439); – für Klagen des Gläubigers auf Gestattung der Befriedigung aus dem kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht, § 371 IV HGB; – für Unterhaltsklagen, §§ 105, 232 III 2 Nr. 3 FamFG (Rz. 961, 1544); – für Klagen aus einem Fernunterrichtsvertrag, § 26 I FernUSG; – für Klagen in Zusammenhang mit einem Haustürgeschäft, § 29c ZPO.1029 Einstweilen frei
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XIII. Internationale Annexzuständigkeit Der Zuständigkeitsbezug des Hauptprozesses trägt auch internationale Zustän- 1540 digkeit für das darauf bezügliche Annexverfahren in folgenden Fällen: 1. Gebührenklage Der Gerichtsstand des § 34 ZPO (Rz. 962, 1479) wurde von der EuGVVO bzw. 1541 vom LugÜ nicht rezipiert. In deren Anwendungsbereich half man sich damit, dass man den nach der lex causae zu bestimmenden Erfüllungsort für die Honorarschuld am Ort der Kanzlei des Anwalts etc. lokalisiert hat.1030 Inzwischen hat der Bundesgerichtshof eine Kehrtwendung vollzogen; er wendet – bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts – die Grundregel des § 269 BGB (Wohnsitz des Schuldners) an.1031
1028 Viel enger aber Art. 3 I lit. (a) sechster Spiegelstrich und (b) der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c. Wegen der Besonderheiten des § 98 I Nr. 4 FamFG s. Rz. 987, 1067. 1029 Nachw. bei Börnke, Rechtsanwendungsprobleme im Zusammenhang mit den sonderprivatrechtlichen Gerichtsstandsregelungen der §§ 7 I HWiG, 6 II AuslInvestmG und 26 FernUSG, 1995. 1030 BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, MDR 1982, 995 = NJW 1982, 2733. 1031 BGH v. 11.11.2003 – X ARZ 91/03, FamRZ 2004, 95 = MDR 2004, 164 (KrügermeyerKalthoff) = BRAK 2004, 40 = NJW 2004, 54.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
2. Abänderungsverfahren 1542 Diese oben in Rz. 952 dargestellte (ungeschriebene) internationale Zuständigkeit ist keine ausschließliche (s. auch Rz. 1572). Der Abänderungsantrag (§§ 238 ff. FamFG) kann auch am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners (§§ 105, 232 III 1 FamFG),1032 erhoben werden oder am gewöhnlichen Aufenthalt des unterhaltsberechtigten Kindes, §§ 105, 232 I Nr. 2 FamFG, früher § 23a ZPO a.F.1033 Aber auch der zum Unterhalt Verpflichtete kann einen Abänderungsantrag an seinem inländischen gewöhnlichen Aufenthalt erheben, wenn der Unterhaltsberechtigte im Inland keinen Gerichtsstand hat.1034 Auf die Anerkennung des deutschen Abänderungsbeschlusses im Erststaat kommt es nicht an.1035 1543 Der Unterhaltsanspruch ist kein Vermögen i.S. von § 23 ZPO.1036 Daher konkurrierte vor Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 § 23 ZPO in den meisten Fällen nicht mit dem (mittlerweile aufgehobenen) § 23a ZPO.1037 3. Unterhaltsverfahren 1544 Ist Deutschland für die Scheidung der Ehe international zuständig, so ergibt sich gem. § 98 II FamFG hieraus auch eine internationale Zuständigkeit für die Folgesachen, zu denen nach § 137 II Nr. 2 und Nr. 4 FamFG u.a. die Unterhalts- und güterrechtlichen Ausgleichsansprüche des Ehepartners und die Unterhaltsansprüche der gemeinschaftlichen Kinder zählen.1038 Eine Parallelnorm findet man in § 103 II FamFG für den Aufhebungsverbund in Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 FamFG).1039 Auch diese Zuständigkeiten sind nicht international ausschließlich, § 106 FamFG. Für den Unterhaltsprozess kommen auch der Staat des gewöhnlichen
1032 Bis 31.8.2009 am Wohnsitz des Beklagten (§§ 12 ff. ZPO): BGH v. 27.1.1993 – XII ZR 206/91, NJW-RR 1993, 898 = FamRZ 1993, 789 = IPRspr. 1993 Nr. 74; OLG München v. 24.10.1978, FamRZ 1979, 153 = IPRspr. 1978 Nr. 147; OLG Stuttgart v. 1.12.1987 – 17 WF 434/87, FamRZ 1988, 758 = IPRspr. 1987 Nr. 76; OLG Hamm v. 6.7.1987 – 8 UF 557/86, FamRZ 1987, 1302 = IPRspr. 1987 Nr. 143; OLG Hamm v. 7.7.1987 – 1 UF 645/86, FamRZ 1987, 1307 = IPRspr. 1987 Nr. 69; KG v. 24.2.1993, IPRspr. 1993 Nr. 76; AG Langen v. 24.7.1987, IPRspr. 1987 Nr. 71. 1033 Anders AG Charlottenburg v. 1.11.1983 – 177 F 3032/83, IPRax 1984, 219 (Henrich) = IPRspr. 1983 Nr. 141. 1034 BayObLG v. 15.1.1985 – AllgReg. 2/85, FamRZ 1985, 616 = IPRspr. 1985 Nr. 132; BGH v. 1.4.1987 – IVb ZR 41/86, FamRZ 1987, 682 = MDR 1987, 827 = IPRspr. 1987 Nr. 66; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 5 EuGVVO Rz. 193; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 5 Rz. 13. A.A. Schack, IZVR6, Rz. 435. 1035 Unentschieden OLG Düsseldorf v. 3.11.1981 – 6 UF 79/81, FamRZ 1982, 631 = IPRax 1982, 152 (Henrich 140). 1036 BayObLG v. 15.1.1985 – AllgReg. 2/85, FamRZ 1985, 616. 1037 A.A. OLG Saarbrücken v. 16.9.1993 – 6 UF 110/91, FamRZ 1994, 579 = IPRspr. 1993 Nr. 83. 1038 §§ 98 II, 127, 233 FamFG; früher §§ 621 I Nr. 4–9, 623 ZPO. 1039 Hierzu z.B. Hau in Prütting/Helms, FamFG3, § 103 Rz. 11.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Aufenthalts des Beklagten/Antragsgegners1040 oder des Klägers/Antragstellers gem. den §§ 105, 232 FamFG in Betracht.1041 Das Gleiche galt vor dem 1.9.2009 gem. § 653 ZPO a.F. auch für die Unterhaltsansprüche im Zusammenhang mit der Vaterschaftsfeststellung. War Deutschland international zuständig für die Vaterschaftsfeststellung (Statusentscheidung), so folgte daraus auch eine internationale Annexzuständigkeit für die Verurteilung zur Leistung von Regelunterhalt. Nach neuem Recht gibt es keine Annexzuständigkeit für den Unterhaltskomplex (§§ 231 ff. FamFG) mehr.1042 Dieser bleibt gegenüber dem Abstammungsverfahren (§§ 100, 169 ff. FamFG) auch kompetenzrechtlich ein eigenes selbständiges Verfahren, für das die internationale Zuständigkeit separat zu prüfen ist. Es kann lediglich mit dem Abstammungsverfahren verbunden werden, § 179 I 2 FamFG.1043 4. Scheidungsfolgesachen Ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands für eine Ehesache gegeben 1544a (Rz. 1279, 1323), dann umfasst diese gem. § 98 II FamFG (früher § 621 II 1 ZPO) auch die Folgesachen (§ 137 FamFG), sofern nicht das Unionsrecht (Art. 8 ff. EuEheVO) oder ein völkerrechtlicher Vertrag (z.B. KSÜ bzw. MSA) u.a. hinsichtlich der Regelung der elterlichen Sorge) etwas anderes vorschreibt.1044 5. Fortsetzung des Prozesses wegen (prozessualer) Unwirksamkeit/Nichtigkeit des Prozessvergleichs Ist ein Prozessvergleich (§ 794 I Nr. 1 ZPO) nichtig bzw. unwirksam (Rz. 2657), 1544b so entfällt seine prozessbeendende Wirkung. Der Prozess wird nach h.M. fortgesetzt.1045 Dies bedeutet kompetenzrechtlich: Es genügt, dass die Zuständigkeitsanknüpfungen bei Klageerhebung vorlagen (Rz. 1835). Beispiel: In einem Scheidungsverbundverfahren schließen zwei Ausländer einen Vergleich über die Scheidungsfolgen. Jeder Ehegatte kehrt in sein Heimatland zurück. Damit entfällt eine deutsche internationale Zuständigkeit nach § 98 I Nr. 2 und Nr. 4 FamFG (früher § 606a I 1 Nr. 2 und Nr. 4 ZPO) für einen neuen Prozess. Gleichwohl kann bei Unwirksamkeit des Vergleichs der Rechtsstreit (hinsichtlich der Scheidungsfolgen) fortgesetzt werden. Anders ist es aber bei einem Prozessvergleich über Materien, die nicht Streitgegenstand waren. Wird nur die Unwirksamkeit der diesbezüglichen Abmachungen geltend gemacht, ist eine
1040 OLG München v. 24.10.1978, FamRZ 1979, 153 = IPRspr. 1978 Nr. 147. 1041 Allerdings kommen vorrangig zum Zuge die Kompetenzregeln des Unionsrechts (Art. 3 ff. EuUnterhVO) und der völkerrechtlichen Verträge (z.B. Art. 5 Nr. 2 LugÜ), hierzu u.a. Schack, IZVR6, Rz. 435. 1042 S. auch amtliche Begründung BT-Drucks. 16/6308, 257. 1043 S. auch § 237 V FamFG. 1044 OLG Zweibrücken v. 27.11.1985 – 2 UF 72/85, NJW 1986, 3033 = IPRspr. 1985 Nr. 154; OLG Hamm v. 6.5.1985, IPRspr. 1985 Nr. 90; OLG Hamm v. 21.6.1985, IPRspr. 1985 Nr. 151. 1045 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 129 Rz. 48; Zöller/Stöber, ZPO30, § 794 Rz. 15a.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
neue (Feststellungs-)Klage erforderlich.1046 Hierfür kann die internationale Zuständigkeit fehlen, es sei denn, man bejaht eine Annexzuständigkeit.
6. Wiederaufnahmeverfahren 1545 Die konkurrierende internationale Zuständigkeit Deutschlands für die Wiederaufnahme deutscher Urteile ist nach § 584 ZPO zu bejahen, auch wenn keine Anknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO (mehr) gegeben ist.1047 7. Rechtsmittelzuständigkeit a) Verfahrenseinheit 1546 Aus deutscher Sicht ist die Frage der internationalen Zuständigkeit im Zusammenhang mit Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen nicht zu stellen. Die Rechtsmittelinstanzen sind Etappen innerhalb eines einheitlichen Verfahrens, für welches die internationale Zuständigkeit (als Voraussetzung der Sachentscheidung) einheitlich bejaht oder verneint wird. Das Rechtsmittel bzw. der Rechtsbehelf ist keine eigene Klage, für welche die internationale Zuständigkeit eigens zu prüfen wäre.1048 (Vgl. auch Rz. 1548). b) Prüfung der internationalen Zuständigkeit als Voraussetzung einer Sachentscheidung im Prozess 1547 Von der internationalen Zuständigkeit als Voraussetzung einer Sachentscheidung logisch zu trennen ist die Frage, wer befugt ist, über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen dieser Sachurteilsvoraussetzung mit innerstaatlicher und innerprozessualer Verbindlichkeit zu entscheiden (jurisdictional discovery = jurisdiction to order discovery to determine jurisdiction, Rz. 1840).1049 Es geht hier schlicht und einfach um die Maximen, nach denen die internationale Zuständigkeit im Prozess zu prüfen ist (Rz. 1817). Es wäre schief, die Frage der internationalen Zuständigkeit im Zusammenhang mit der Prüfungs-, Kognitions- und Kassationsbefugnis der Rechtsmittelgerichte im Verhältnis zur unteren Instanz aufzuwerfen.1050
1046 OLG Frankfurt v. 14.11.1989 – 5 WF 211/89, FamRZ 1990, 178. 1047 BGH v. 7.4.1976, NJW 1976, 1590 (1591). S. auch Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 525. Dagegen Hau in Prütting/Helms, FamFG3, Vor §§ 98–106 Rz. 16. 1048 R. Geimer, JZ 1969, 16 Fn. 30. 1049 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 384. Hierzu auch Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 46 ff. 1050 So aber BayObLG v. 2.6.1982 – BReg. 1 Z 45/81, BayObLGZ 1982, 239 (240): „Die internationale Zuständigkeit des Senats folgt … allein daraus, dass … das im Instanzenzug vorgeordnete Amtsgericht den Erbschein erteilt hat; darauf, ob die Vorinstanzen … international zuständig gewesen sind, kommt es daher für das Rechtsmittelbeschwerdeverfahren nicht an, BayObLGZ 1981, 147.“ Ebenso OLG Koblenz v. 28.3.1991 – 2 U 849/89, RIW 1991, 592 = IPRspr. 1991 Nr. 172.
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c) Internationale Anerkennungszuständigkeit Für die Anerkennung relevant ist die ausländische Sachentscheidung i.d.F. der 1548 letzten Rechtsmittelentscheidung (Rz. 2752). Denn Gegenstand der Anerkennung sind die Wirkungen der ausländischen Entscheidungen, so wie sie nach dem Recht des Erststaates eintreten. Daher wäre es nicht sinnvoll, die internationale Zuständigkeit für einzelne Verfahrensabschnitte (Rechtsmittelinstanzen) zu prüfen. Es ist vielmehr der maßgebliche Zeitpunkt zu ermitteln, zu dem die aus deutscher Sicht in Betracht kommenden Zuständigkeitsanknüpfungen (nach dem Zuständigkeitskatalog des einschlägigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages bzw. nach § 328 I Nr. 1 ZPO) gegeben sein müssen.1051 Wird die erstinstanzielle Entscheidung aufgrund eines Rechtsmittels oder 1549 Rechtsbehelfs im Erststaat aufgehoben und entfaltet sie nach dem erststaatlichen Recht keine Wirkungen mehr, so wird auch die Anerkennungsfrage gegenstandslos,1052 weil keine erststaatlichen Urteilswirkungen (mehr) vorhanden sind, die Gegenstand der Anerkennung sein könnten, sofern das Rechtsmittelgericht sich auf die Kassation bzw. Klageabweisung als unzulässig beschränkt hat.1053 Hat es anstelle der aufgehobenen Entscheidung eine eigene Sachentscheidung erlassen, die anerkennungsfähige Urteilswirkungen (res iudicata-, Gestaltungswirkung etc.) entfaltet, dann werden deren Wirkungen qua Anerkennung auf das Inland erstreckt, sofern die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind. (S. auch Rz. 2752, 2791). Bei der Anerkennung der res iudicata-Wirkung und der Gestaltungswirkung 1550 sind vorstehende Darlegungen während des laufenden erststaatlichen Rechtsstreits nur dann von Bedeutung, wenn diese Wirkungen nach dem Recht des Erststaates – anders als nach deutschem Recht – bereits vor Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln eintreten. So entfaltet z.B. in Frankreich und (teilweise) in den vom Code de procédure civile beeinflussten Rechtsordnungen bereits ein Urteil ab seinem Erlass autorité de la chose jugée (Rz. 2723, 2804).1054 Kommen dem (zur Anerkennung anstehenden) ausländischen Urteil erst mit 1551 Unanfechtbarkeit (mit ordentlichen Rechtsmitteln) Urteilswirkungen zu, dann werden die hier diskutierten Hypothesen erst aktuell, wenn das Urteil in einem neuen Verfahren kassiert wird. Hauptbeispiele dürften die Nichtigkeitsklage und die (den §§ 323 ff. ZPO und §§ 238 ff. FamFG entsprechende) Abänderungsverfahren sein. Hier zeigen sich deutlich die Schwierigkeiten für eine dogmatische Abgrenzung. 1552 Während man bei der Wiederaufnahmeklage wohl noch von einer Fortführung
1051 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1555. 1052 S. auch Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Zur Bedeutung nationaler Rechtsordnungen und der Entscheidungen nationaler Gerichte für die Wirksamkeit internationaler Schiedssprüche, 2007, 335. 1053 Anders kann es bei der Kassation eines Schiedsspruchs durch ein ausländisches staatliches Gericht sein, Rz. 3944. 1054 Ähnlich ist es im Bereich des common law, R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 984, 1022, 1099, 1132.
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des ursprünglichen Rechtsstreits im weiteren Sinne sprechen könnte, mit der Folge, dass die Frage der internationalen Zuständigkeit für den Wiederaufnahmeprozess gar nicht zu stellen wäre,1055 ist bei der Abänderungsklage der Konnex zum Vorverfahren zu schwach; daher liegt ein neuer Prozess vor, für den die Frage der internationalen Zuständigkeit neu zu stellen ist. 1553 Beispiel: Ein Gericht in New York verurteilt im Rahmen des Scheidungsverfahrens den Ehemann zu einer Unterhaltsrente von monatlich 2 000 US-Dollar. Der Ehemann verlegt nun seinen Wohnsitz nach Buenos Aires, die Ehefrau lernt nach Jahren einen Russen kennen und folgt diesem für immer nach St. Petersburg. Dies will der Ehemann zum Anlass nehmen, um von seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ex-Gattin loszukommen. Diese bestreitet eine eheähnliche Lebensgemeinschaft und trägt hilfsweise vor, eine solche würde – auch wenn sie bestünde – nach der maßgeblichen lex causae nicht zum Wegfall der Unterhaltspflicht führen. Da eine außergerichtliche Einigung nicht möglich ist, will der Ehemann in New York auf Herabsetzung bzw. Aufhebung der Unterhaltsverurteilung klagen. Sind – aus deutscher Sicht – die USA international zuständig?1056
1554 Hier liegt auf der Hand, dass bei Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit nicht auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens (als alle Beteiligten noch in New York wohnten und es noch um einen reinen Inlandsfall ging) abzustellen ist, sondern auf diejenigen Umstände, die nunmehr (zum Zeitpunkt der präsumtiven Klageerhebung) vorliegen. Eine Basis für eine Zuständigkeitsanknüpfung wäre aus deutscher Anerkennungsperspektive § 109 I Nr. 1 i.V.m. § 232 III 2 Nr. 3 FamFG; doch der Kläger (Rz. 1542) wohnt nicht mehr in den USA. Deshalb kommt es darauf an, ob die oben Rz. 952 für die internationale Entscheidungszuständigkeit stipulierte Annexzuständigkeit via § 109 I Nr. 1 FamFG bzw. § 328 I Nr. 1 ZPO auch ausländischen Staaten „zugestanden“ wird. Dies ist zu bejahen.1057 1555 Die EuGVVO und das LugÜ kennen eine solche Abänderungszuständigkeit nicht.1058 Hat jedoch ein Gericht eines Vertragsstaates diese Regel – bewusst oder unbewusst, z.B. weil es irrtümlich autonomes Recht für anwendbar hielt (Art. 6 I EuGVVO bzw. Art. 4 I LugÜ), das eine solche Annexzuständigkeit kennt – missachtet, so ist dieses Urteil in den anderen Vertragsstaaten wegen des Verbots der Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates nach Art. 36 ff. EuGVVO/Art. 32 ff. LugÜ grundsätzlich anerkennungsfähig, vorbehaltlich Art. 45 I lit. c EuGVVO/Art. 34 Nr. 3 LugÜ. Der ordre public darf insoweit nicht eingesetzt werden, als es um die (fälschlich bejahte) internationale
1055 Diese Frage ist jedoch reichlich akademisch; denn die Antwort aus der Perspektive der Gegenansicht ist im Ergebnis übereinstimmend, wenn man aus § 328 I Nr. 1 i.V.m. § 584 ZPO den Satz ableitet: „Für das Wiederaufnahmeverfahren sind die Gerichte des Staates international zuständig, die das angefochtene Urteil erlassen haben“, Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 616. S. auch Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 524. 1056 Die Frage kann allerdings nur dann aktuell werden, wenn nach New Yorker Recht eine internationale Zuständigkeit (jurisdiction) zu bejahen ist. 1057 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1534. 1058 Schlosser-Bericht Nr. 98.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
Zuständigkeit geht;1059 erlaubt ist jedoch, sich auf den ordre public zu berufen, wenn der Inhalt der abändernden Entscheidung schlechterdings nicht hinnehmbar ist.1060 d) Qualifikationsfragen Bei der Abgrenzungsfrage, ob i.S. der in Rz. 1546 dargelegten Unterscheidung 1556 noch Verfahrenseinheit gegeben ist mit der Folge, dass die Frage der internationalen Zuständigkeit nicht (erneut) gestellt werden muss, oder ob ein neues selbständiges Verfahren anzunehmen ist, sind – im Bereich des autonomen deutschen Rechts – die Vorstellungen des deutschen Verfahrensrechts als Ausgangspunkt (Arbeitshypothese) zugrunde zu legen (wenn auch Modifikationen in Randbereichen vorstellbar sind). Auch im Anerkennungsstadium ist bei der Prüfung der internationalen Aner- 1557 kennungszuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO; § 109 I Nr. 1 FamFG) von den deutschen Vorstellungen auszugehen. Einstweilen frei 1558–1562 8. Rückforderungsklagen a) Internationale Entscheidungszuständigkeit Wird ein vorläufig vollstreckbarer Titel aufgehoben, so kann der Schuldner das 1563 von ihm Geleistete zurückfordern und (gegebenenfalls) Schadensersatz verlangen. Er kann dies im anhängigen Verfahren tun, § 717 II 2 ZPO (insoweit kann man – wenn man will – von einer Annexzuständigkeit sprechen); er kann aber auch eine selbständige Klage erheben. Auch für diese ist Deutschland immer gem. § 32 ZPO international zuständig, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz/Sitz des Vollstreckungsgläubigers (gegen den sich die Rückforderungs- bzw. Schadensersatzklage richtet).1061 (Vgl. aber auch Rz. 30549). Eines besonderen Gerichtsstandes der Rückforderungsklage bedarf es nicht. Ei- 1564 nen solchen gibt es z.B. im schweizerischen Recht (Art. 86 II SchKG, früher auch § 9 Züricher ZPO)1062; dies hängt damit zusammen, dass das schweizerische Recht ein forum delicti commissi in der abstrakt-generellen Fassung des § 32 ZPO bisher nicht kannte. b) Internationale Anerkennungszuständigkeit Internationale Anerkennungszuständigkeit ergibt sich für den Bereich des auto- 1565 nomen Rechts aus § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 32, 717 II 2 ZPO.1063 Soweit der einschlägige Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag das forum delicti commissi 1059 1060 1061 1062
Art. 45 III 2 EuGVVO/Art. 35 III 2 LugÜ. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1226. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO22, § 717 Rz. 46. Hierzu Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung3, § 9 Rz. 49. 1063 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1535.
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nicht kennt1064 oder enger als § 32 ZPO definiert,1065 ist auf das anerkennungsfreundlichere autonome Recht zurückzugreifen.1066 9. Übergang vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatz 1566 § 893 II ZPO eröffnet eine konkurrierende internationale Zuständigkeit (vgl. auch Rz. 877b). 10. Entschädigungsrechtliche Rückzahlungsansprüche 1567 Nach §§ 201 I, 204 II, 212 I Bundesentschädigungsgesetz (BEG) befinden die deutschen Entschädigungsbehörden und die deutschen Entschädigungsgerichte darüber, ob ein Anspruch auf Rückforderung gewährter Entschädigungsleistungen besteht. Der entschädigungsrechtliche Rückzahlungsanspruch kann im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden, falls ausnahmsweise der Gläubiger (= deutsches Bundesland), der sich bereits im Besitz eines vollstreckbaren Titels (§ 205 BEG) befindet, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage hat; auch eine Widerklage ist zulässig.1067 1568 Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage besteht allgemein schon dann, wenn mit Rücksicht auf erhebliche Zweifel an der Verwendbarkeit des bereits vorhandenen Titels mit Schwierigkeiten und Bedenken bei den ausländischen Vollstreckungsorganen zu rechnen ist.1068 1569 Das OLG Düsseldorf1069 hält allerdings die Klage bei Gefahr einer Doppelvollstreckung für unzulässig. Dies ist unrichtig. Der Schuldner ist nämlich durch die Vollstreckungsgegenklage ausreichend geschützt. 11. Kostenerstattung 1570 Die internationale Zuständigkeit für die Hauptsache umfasst auch die internationale Zuständigkeit für das Kostenfestsetzungsverfahren.1070 Auch bei internationaler Unzuständigkeit können Kosten gegen den Kläger festgesetzt werden.1071
1064 So z.B. das durch Art. 55 LugÜ weitgehend (Art. 56 I LugÜ) außer Kraft gesetzte deutsch-schweizerische Abkommen. 1065 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1529 Fn. 112. 1066 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1384. 1067 BGH v. 21.3.1974, RzW 1974, 243 = IPRspr. 1974 Nr. 168; BGH v. 18.12.1975, RzW 1976, 80 = IPRspr. 1975 Nr. 129. 1068 BGH v. 21.3.1974, RzW 1974, 243 (244) = IPRspr. 1974 Nr. 168; LG Duisburg v. 21.2.1984, ZBinnSch. 1984, 213 = IPRspr. 1984 Nr. 188; enger OLG Düsseldorf v. 8.7.1977, RzW 1978, 23 = IPRspr. 1977 Nr. 111. 1069 OLG Düsseldorf v. 8.7.1977, RzW 1978, 23 = IPRspr. 1977 Nr. 111. 1070 OLG Koblenz v. 5.11.1985 – 14 W 638/85, RIW 1986, 469 = IPRax 1987, 24 (Reinmüller) = RIW 1986, 469 = IPRspr. 1985 Nr. 183. 1071 R. Geimer, IPRax 1990, 192; R. Geimer, IPRax 1993, 292 (294).
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12. Überweisungsbeschlüsse Wird ein Überweisungsbeschluss (§ 835 ZPO) erst nach Erlass des Pfändungs- 1571 beschlusses (§§ 828 ff. ZPO) beantragt, so ergibt sich die internationale Zuständigkeit bereits aus dem Umstand, dass in Deutschland ein Pfändungsbeschluss vorliegt, auch wenn dieser nicht erlassen werden durfte, weil die internationale Zuständigkeit (§ 828 II ZPO, Rz. 1227) in Wirklichkeit nicht gegeben war oder weil die Anknüpfungspunkte später weggefallen sind (Rz. 1873a).
XIV. Abänderungsverfahren 1. Abänderung deutscher Entscheidungen Deutschland eröffnet eine (nicht ausschließliche) internationale Zuständigkeit 1572 für die Abänderung eigener Entscheidungen, auch wenn eine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO nicht gegeben ist (Rz. 952, 1542).1072 Anders ist die Rechtslage im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ: Liegen die Voraussetzungen nach Art. 4, 7 ff. EuGVVO bzw. Art. 2, 5 ff. LugÜ nicht vor, so darf der Gerichtsstaat seine eigene Entscheidung nicht abändern (Rz. 1555).1073 2. Abänderung ausländischer Entscheidungen Völkerrechtliche Bedenken stehen der Abänderung ausländischer Gerichtsur- 1573 teile und sonstiger Titel nicht entgegen; denn das deutsche (abändernde) Urteil beansprucht nur für den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland Verbindlichkeit (Rz. 466). Die Anerkennung in dem Staat, in dem die (abgeänderte) Erstentscheidung erlassen worden ist, ist Sache des dortigen Anerkennungsrechts. Voraussetzung für die deutsche internationale Abänderungszuständigkeit ist, 1574 dass eine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO (Rz. 952) bzw. Art. 4, 7 ff. EuGVVO bzw. Art. 2, 5 ff. LugÜ (Rz. 1555) gegeben ist.1074
1072 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 607; R. Geimer, RIW 1975, 82; Jayme/ Hausmann, ZBIJR 1979, 4. Beispiel: AG Mönchengladbach v. 10.11.1994 – 16 F 45/94, FamRZ 1996, 1086 (Gottwald) = IPRspr. 1995 Nr. 78. 1073 Schlosser-Bericht Nr. 107; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 452, 1226. Ausführlich Riegner, Probleme der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts bei der Abänderung deutscher Unterhaltstitel nach dem Wegzug des Unterhaltsberechtigten ins EU-Ausland, FamRZ 2005, 1799. 1074 Henrich, IPRax 1989, 53; Baumann, IPRax 1990, 32; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 348. Beispiele: OLG Frankfurt v. 10.12.1980 – 3 WF 278/79, IPRax 1981, 136 (Schlosser 120) = IPRspr. 1980 Nr. 162; OLG Frankfurt v. 30.4.1980 – VIII ZB 34/78, NJW 1980, 2022 = FamRZ 1980, 672 = MDR 1980, 1017 = IPRspr. 1980 Nr. 166; KG v. 24.2.1993, IPRspr. 1993 Nr. 76; OLG Saarbrücken v. 16.9.1993 – 6 UF 110/91, FamRZ 1994, 579 = IPRspr. 1993 Nr. 83 (für Anwendung des § 23 ZPO, anders oben Rz. 1543).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
XV. Widerklage 1. Widerklage gegen Dritte 1575 § 33 ZPO eröffnet eine internationale Zuständigkeit für konnexe Widerklagen des Beklagten gegen den Kläger,1075 nicht jedoch gegen einen Dritten (Rz. 1167, 1196).1076 Ausnahme: Macht der Kläger in (gewillkürter) Prozessstandschaft Ansprüche eines Dritten (= materiell-rechtlicher Gläubiger) geltend, dann begründet § 33 ZPO auch gegen diesen internationale Zuständigkeit.1077 2. Derogierbarkeit 1576 Die Widerklagezuständigkeit ist derogierbar.1078 3. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1577 Die auf Konnexität gegründete internationale Widerklagezuständigkeit ist nach § 328 I Nr. 1 i.V.m. § 33 ZPO bzw. nach dem einschlägigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag anzuerkennen.1079
XVI. Vom deutschen Recht nicht rezipierte Zuständigkeitsanknüpfungen 1. Streitgenossenzuständigkeit 1578 Mit Ausnahme der Fälle der §§ 30, 603 II, 605a ZPO, § 232 III 2 Nr. 2 FamFG, § 56 Luftverkehrsgesetz lässt das autonome deutsche Recht – anders als Art. 8 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 6 Nr. 1 LugÜ1080 – die internationale Streitgenossenzuständigkeit nicht zu (Rz. 1159, 1292). Durch Richterspruch (nach § 36 I Nr. 3 ZPO) kann die internationale Zuständigkeit nicht gegen einen Beklagten begründet werden, hinsichtlich dessen eine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO nicht gegeben ist.1081 1075 BGH v. 8.5.1992 – V ZR 95/91, NJW 1992, 3106 = MDR 1992, 899 = IPRspr. 1992 Nr. 1. 1076 BGH v. 20.5.1981 – VIII ZR 270/80, NJW 1981, 2642 = RIW 1981, 706 = MDR 1982, 138 = IPRspr. 1981 Nr. 162; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 582; R. Geimer, NJW 1972, 2172; 1973, 951; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 109. 1077 Eickhoff, a.a.O., 145, 157. 1078 Eickhoff, a.a.O., 130, 150; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 33 Rz. 58. 1079 R. Geimer, NJW 1972, 2180; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1544; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 699. 1080 Hierzu außer den Kommentaren zur EuGVVO bzw. zum LugÜ Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 2005; Lund, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Zivilprozessrecht, 2014; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 649 ff. sowie Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 93 JN Rz. 14. 1081 R. Geimer, WM 1979, 351; Otte, a.a.O., 655; Vossler, Die Bedeutung des Mehrparteiengerichtsstands nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO bei der Zuständigkeitsbestimmung gem.
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
2. Gerichtsstand des Sachzusammenhangs Von § 33 ZPO und den in Rz. 1540 ff. aufgeführten Annexzuständigkeiten abge- 1579 sehen, kennt die ZPO – ebenso wie die EuGVVO und das LugÜ – keinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs1082 (Rz. 1023). 3. Gerichtsstand der Gewährleistungsklage Die Verfasser der ZPO hielten diesen Gerichtsstand im Hinblick auf das Institut 1580 der Streitverkündung (§ 71 ZPO) für entbehrlich.1083 Auch wurde Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ für den Bereich des deutschen Erkenntnisverfahrens abbedungen, Art. V (2) des Protokolls zum EuGVÜ bzw. Art. V (2) des Protokolls Nr. 1 zum LugÜ.1084 Daran hält bedauerlicherweise für Art. 8 Nr. 2 EuGVO auch der Vorbehalt in Art. 65 EuGVVO noch fest. Dadurch werden die Klagemöglichkeiten in Deutschland im Vergleich zu denen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu stark beschnitten.1085 4. Gerichtsstand am Ort des Entstehens der Verbindlichkeit (forum obligationis) Den Gerichtsstand des Abschlussortes kennen z.B. die belgische Gerichtsord- 1581 nung (Art. 635 Nr. 2 Code judiciaire) und das griechische ZPG (Art. 33.1),1086 die deutsche ZPO hatte ihn bis 31.12.1996 nur in der rudimentären Form des § 30 ZPO a.F. (Gerichtsstand des Marktorts) rezipiert (s. auch Rz. 1466). In diesem Forum können sowohl Klagen aus Rechtsgeschäft am Ort des Vertrags- 1582 schlusses1087 wie auch Klagen wegen unerlaubter Handlung am Tatort1088 erhoben werden. Dieses allgemeine forum obligationis macht ein Spezialforum für Deliktsklagen am Ort der unerlaubten Handlung entbehrlich, nicht jedoch den Gerichtsstand des Erfüllungsortes, da der Ort des Entstehens der vertraglichen Verbindlichkeit mit dem ihrer Erfüllung nicht übereinstimmen muss.
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§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, IPRax 2007, 281 (282); Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 36 Rz. 25. BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105 = MDR 1996, 1036 = NJW 1996, 1411 = FamRZ 1996, 601 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf) = IPRspr. 1996 Nr. 142. R. Geimer, ZZP 85 (1972), 196. Näher R. Geimer, WM 1979, 360. S. auch aus österr. Sicht Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 94 JN Rz. 16. R. Geimer, IPRax 2002, 69 (74). Ebenso früher die (durch das Reformgesetz v. 31.5.1995 insoweit außer Kraft gesetzte) italienische Prozessordnung (Art. 4 Nr. 2 Codice di procedura civile). Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 300; s. z.B. Art. 88 brasilianische Codigo proc. civ, BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966 = WM 1996, 2037 = IPRspr. 1996 Nr. 177. Schröder, a.a.O., 249.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Diesen Gerichtsstand hat schon Savigny1089 als „zufällig, vorübergehend, dem Wesen der Obligation und ihrer ferneren Entwicklung und Wirksamkeit fremd“ kritisiert. 5. Gerichtsstand am Ort der Eheschließung (Zelebrationskompetenz) 1583 Der Umstand, dass in Deutschland die Ehe geschlossen wurde, ist nach deutschem Recht kompetenzrechtlich irrelevant. Anders ist es jedoch bei Lebenspartnern. Nach § 103 I Nr. 3 FamFG eröffnet Deutschland auch dann eine internationale Zuständigkeit, wenn die Lebenspartnerschaft vor einem deutschen Standesbeamten, Notar oder einer sonstigen zuständigen deutschen Stelle begründet worden ist. Damit werden die Rechtsschutzmöglichkeiten im Inland in Lebenspartnerschaftssachen gegenüber denen in Ehesachen enorm ausgeweitet.1090 Ob dies mit Art. 3 I und II 1 sowie Art. 6 GG vereinbar ist, wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.1091 6. Gerichtsstand des Zustellungsortes: Internationale Zuständigkeit nur aufgrund Zustellung während vorübergehender Anwesenheit – „tag jurisdiction“ 1584 Internationale Zuständigkeit wird bejaht, wenn die Klage dem Beklagten im Inland zugestellt werden kann. Auf dieser Regel basieren das englische Zuständigkeitssystem1092 und die von diesem beeinflussten Rechtsordnungen der angelsächsischen Länder, insbes. der USA.1093 Die Kompetenzregel wurde vom US Supreme Court nicht als verfassungswidrig (weil gegen die due process of lawKlausel des 14. Amendment verstoßend) beanstandet.1094 Auch Länder des ro-
1089 Savigny, System des heutigen römischen Rechts VIII, 1849, 207. 1090 Die EuEheVO ist jedenfalls in ihrer aktuellen Fassung auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht anzuwenden, Art. 1 EuEheVO. 1091 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 10. 1092 Peter Huber, Die englische forum non conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994, 32; Kronke, RIW 1977, 614; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 155; Hay, JZ 1977, 697; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 45; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 284 ff. 1093 Nachw. hierzu z.B. bei Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 122 ff.; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 80, 86 ff. 1094 Burnham v. Superior Court of California, 110. S. Ct. 2105 (1990); kritisch Hay, Illinois Law Review 593 (1990). Hierzu auch Otte, IPRax 1991, 263, Peterson, IPRax 1991, 267 sowie Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 48; Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, 2003, 12; einschränkend aber Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the US (1987), § 421 (2) (a): Verlangt wird, dass „the person … is present in the territory of the state (other than transitorily)“, abgedruckt oben Rz. 378a. Hierzu „Comment“, a.a.O., S. 307 und Reporters’ Notes, a.a.O., S. 310 sub 310. Nachw. bei Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 170; Junker, Discovery im deutsch-amerikani-
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Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
Vierter Teil
manischen Rechtskreises haben die Zustellungszuständigkeit rezipiert, nämlich Belgien (Art. 624 Nr. 4 Code judiciaire) und Venezuela (Art. 40 Nr. 3 IPR-Gesetz).1095 Diese Anknüpfung ist nach bisher allgemeiner Meinung völkerrechtskonform.1096 Der High Court of Justice bejahte z.B. seine jurisdiction, nachdem dem beklagten 1585 Galeristen Wildenstein, der sich als Tourist in England aufhielt, die Klageschrift (writ, nunmehr claim form) auf der Rennbahn in Ascot zugestellt worden war.1097 Noch krasser sind die Fälle, in denen – ohne Landung – beim Überfliegen des Luftraums des Gerichtsstaates die Zustellung erfolgte. Die Zustellungszuständigkeit beruht auf mittelalterlichen Rechtsvorstellungen.1098 Hervorzuheben sind auch die unterschiedlichen Vorstellungen über das Verhält- 1586 nis zwischen internationaler Zuständigkeit und Zustellung. Nach deutschem Verständnis ist die Frage der Zustellung scharf zu trennen von der internationalen Zuständigkeit (Rz. 1091, 1957 a.E.). Dagegen ist nach US-amerikanischem Recht die internationale Zuständigkeit (jurisdiction) nur dann gegeben, wenn zugestellt ist.1099 7. Gerichtsstand der Gegenseitigkeit Ausländer können nach dieser Zuständigkeitslogik im Inland verklagt werden, 1587 wenn vice versa Inländer im Heimatstaat des Ausländers gerichtspflichtig sind.1100 Fraglich ist, ob diese Zuständigkeitsnorm im Wege der Vergeltung angeordnet werden könnte. In Deutschland fehlt seit Aufhebung des § 24 EGZPO1101 ohnehin eine Rechtsgrundlage (Rz. 36).
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schen Rechtsverkehr, 1987, 383; Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988, 291; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 211; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 570. Deutsche Übersetzung von Samtleben, IPRax 1999, 196 (198). Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 235 f. Maharenee of Baroda v. Wildenstein (1972) 2 Q. B. 283. Reu, Die staatliche Zuständigkeit im IPR, 1938, 93; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 285; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 89; Scheucher, Studien zur internationalen Zuständigkeit in Vermögensstreitigkeiten, 1972, 38 ff. Junker, IPRax 1986, 207; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 26. Zur dogmatischen Unschärfe auch Kuhmann, Das Ermittlungsverfahren im internationalen Kartellrecht der USA, 1988, 292, 294; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 208, 229. Diese Zuständigkeitsregeln kennen die Nachfolgestaaten des dismembrierten Jugoslawien (Art. 66 ZPG, Art. 48 IPR-Gesetz, Lipowschek, RabelsZ 49 [1985], 453) und Portugal (Art. 65 I Buchst. c Codigo de Proceso Civil), Belgien (Art. 636 I Code judiciaire); Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 128; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 767 Fn. 3455; früher auch Italien (Art. 4 Nr. 4 Codice di procedura civile) und Österreich (§ 101 JN, vgl. Schwimann, FamRZ 1985, 673; Matscher, IPRax 1984, 224). Aufgehoben mit Wirkung zum 1.10.1998 durch Gesetz v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033. Hierzu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10871, 16.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
8. Forum arresti 1588 Dieser dem Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) verwandte Gerichtsstand (internationale Zuständigkeit wird eröffnet, wenn der Kläger Vermögen des Beklagten im Inland durch Arrestschlag „verfestigt“ hat) findet sich in der Schweiz und im common law-Bereich (attachment-Verfahren).1102 9. Internationale Zuständigkeit für Klagen von Inländern 1589 Eine solche Heimatzuständigkeit des Klägers findet man in Art. 14 Code civil (Rz. 1020, 1946),1103 im deutschen Kompetenzrecht jedoch nur in Statussachen (Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen, Rz. 1330). 10. Internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Inländer 1590 Eine passive Heimatzuständigkeit kennen das französische Recht (Art. 15 Code civil) und viele von ihm beeinflusste romanische Rechtsordnungen (Rz. 1021, 1138).1104 11. Forum legis 1591 Das englische Recht (RSC order 11 rule 1 [1] [f]) eröffnet(e) für Streitigkeiten aus Verträgen, die englischem Recht unterstehen (governed by English Law), eine internationale Zuständigkeit.1105 12. Exkurs: Internationale Anerkennungszuständigkeit 1592 Hat das ausländische Gericht die internationale Zuständigkeit des Erststaates auf einen dem deutschen Recht unbekannten Zuständigkeitsanknüpfungspunkt gestützt, so folgt daraus nicht zwingend, dass dem ausländischen Urteil – auf Rüge des Beklagten – die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung verweigert werden muss. Die Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit durch den deutschen Zweitrichter nach dem einschlägigen Staatsvertrag bzw.
1102 Zur Arrestprosequierungsklage des englischen Rechts (Freezing [Mareva] Injunction) Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen in Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, herausgegeben von Leuenberger/Guy, 2004, 111, 123 ff.; Grunert, Die „world-wide“ Mareva Injunction, 1998. Zum seerechtlichen forum arresti des Art. 5 Nr. 7 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 843. 1103 Nachw. z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 288. 1104 Bis zum IPR-Reformgesetz v. 31.5.1995 auch Italien (Gegenschluss aus Art. 4 Codice di procedura civile a.F.). 1105 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws14, 11.164; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 538; Magnus, RIW 1984, 326.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
nach § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG steht völlig selbständig neben den Zuständigkeitsprüfungen im Erkenntnisverfahren. Der deutsche Richter prüft anhand des Zuständigkeitskatalogs des einschlägigen Anerkennungsvertrages bzw. nach § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO, ob – aus deutscher Sicht – eine Anknüpfung für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates als Voraussetzung der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung gegeben ist (Rz. 1393, 1805, 1873, 1939, 2901). Einstweilen frei 1593–1595
10. Kapitel: Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit Literatur: Alexander, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im E-Commerce sowie außergerichtliche Streitbeilegung, 2006; Ancel, La clause attributive de juridiction selon l’art. 17 de la Convention de Bruxelles, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 263; Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZPInt 17 (2012), 183; Anzenberger, Zur Wirksamkeit fremdsprachiger Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 104 JN und Art. 23 EuGVVO in Clavora/Garber (ed.), Sprache und Zivilverfahrensrecht, 2013, 71 ff.; Aull, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen bei gemeinsamem Sitz der Parteien in einem Vertragsstaat des EuGVÜ, Jahrbuch für italienisches Recht II (1989), S. 157; Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ: „Binnensachverhalte“ und IZVR in der Europäischen Union, 1996; Aull, Zur isolierten Prorogation nach Art. 17 Abs. 1 LugÜ, IPRax 1999, 226; Bariatti, Sulla interpretazione dell’art. 17 della convenzione di Bruxelles del 27 settembre 1968, Riv. dir. int. priv. proc. 1986, 819; Basedow, Das forum conveniens der Reeder im EuGVÜ, IPRax 1985, 133; von Baum, Die prozessuale Modifizierung von Wertpapieren durch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, 1998; Baumgärtel, Die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit nach dem EWG-Übereinkommen vom 27. September 1968 und nach § 38 Abs. 2 ZPO, in Festschrift Kegel, 1977, 285; Benecke, Die teleologische Reduktion des räumlichpersönlichen Anwendungsbereichs von Art. 2 ff. und Art. 17 EuGVÜ, Diss. Bielefeld 1993; C. Berger, Gerichtspflicht infolge Internetpräsenz nach der neuen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO)? – Zugleich: Plädoyer für einen Gerichtsstand der „virtuellen Niederlassung“ in Bauknecht/Brauer/Mück, Informatik 2001 – Wirtschaft und Wissenschaft in der Network Economy – Visionen und Wirklichkeit, 2001, 1002; Berti, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilprozessrecht, in Festschrift Siehr, 2000, 33; Boccafoschi, Zuständigkeits- und Gerichtsstandsvereinbarungen im deutschen und italienischen Recht unter besonderer Berücksichtigung des EuGVÜ und der EuGVVO, Diss. Augsburg 2003, 2005; Bonell, L’art. 17 della Convenzione di Bruxelles sulla competenza giurisdizionale ed il diritto transnazionale,
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Riv. comm. 1977, 214; Borges, Die europäische Klauselrichtlinie und der deutsche Zivilprozess, RIW 2000, 933; Bork, Gerichtsstandsklauseln in Satzungen von Kapitalgesellschaften, ZHR 157 (1993), 48; Burgstaller, Probleme der Prorogation nach dem Lugano-Übereinkommen, JBl 1998, 691; Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge – Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf dem elektronischen Weltmarktplatz, 2006; Carbone, La disciplina comunitaria della proroga della giurisdizione in materia civile e commerciale, DCI 1989, 351; Coipel-Cordonnier, Les conventions d’arbitrage et d’élection de for en droit international privé, 1999; Coßmann, Klauselrichtlinie und französisches Zivilrecht, Diss. Münster 2002; Del i, Gli usi del commercio internazionale nel nuovo testo dell’Art. 17 della Convenzione di Bruxelles del 1968, Riv. dir. int. priv. proc. 1989, 27; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, Diss. Passau, 2007; Ekelmans, Les conditions de validitié au regard de l’article 17 de la Convention de Bruxelles du 2791968 d’une clause attributive de juridiction inserée dans un connaissement maritime, CDE 1985, 426; Fawcett, Non-exclusive Jurisdiction Agreements in Private International Law, Lloyd’s MCLQ 2001, 234; Franzen, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitsverträgen, RIW 2000, 81; Fricke, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Versicherungswirtschaft, VersR 2006, 476; Fuchs, Aspekte der Schriftform nach Art. 17 EuGVÜ und nach Art. II des UN-Schiedsgerichtsübereinkommens, Diss. Bonn 1985; Gansauge, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Verbraucherverträgen im Internet. Eine rechtsvergleichende Betrachtung des deutschen und des US-amerikanischen Rechts, Diss. Kiel 2004; Gaudemet-Tallon, Gerichtsstandsvereinbarungen im Brüsseler Übereinkommen, in EuGH (ed.). Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, 1993, 117; Gebauer, Zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Vertragsketten, IPRax 2001, 471; R. Geimer, Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten und zu Lasten Dritter, NJW 1985, 533; R. Geimer, Anwendung einer abgelaufenen Gerichtsstandsvereinbarung (Anm. zur Iveco-Entscheidung des EuGH), EWiR 1988, 471; R. Geimer, Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten und zu Lasten Dritter, NJW 1985, 533; Girsberger, Gerichtsstandsklausel im Konnossement: Der EuGH und der internationale Handelsbrauch, IPRax 2000, 87; Gottwald, Die einseitig bindende Prorogation nach Art. 17 Abs. 3 EuGVÜ, IPRax 1987, 291; Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, in Festschrift Firsching, 1985, 89; Gottwald, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen – Verträge zwischen Prozessrecht und materiellem Recht, in Festschrift Henckel, 1995, 295; Gottwald/Baumann, Zur Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit, IPRax 1998, 445; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000; Grube, Deutsch-spanische Gerichtsstandsvereinbarungen, EuZW 1992, 17; Gumpp, Verbraucherschutz im elektronischen Rechtsverkehr nach Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie, Diss. Bielefeld 2006; Haß, Zur internationalen Gerichtsstandsvereinbarung in einer Patronatserklärung, IPRax 2000, 494; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht – Überlegungen zur Bewältigung von multi-fora disputes, 1996; Hau, Durchsetzung von Zuständigkeits- und Schiedsverein-
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
barungen mittels Prozessführungsverboten im EuGVÜ, IPRax 1996, 44; Hau, Zur schriftlichen Bestätigung mündlicher Gerichtsstandsvereinbarungen, IPRax 1999, 24; Hau, Grenzen der Beachtlichkeit von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen nach lex fori und Vereinbarungsstatut, IPRax 1999, 232; Hay, Forum-Selection and Choice-of-Law Clauses in American Conflicts Law, in Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, 195; Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, Diss. Düsseldorf, 2010; Heiss, Die Form internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen – Eine rechtsvergleichende Analyse, ZfRV 2000, 202; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, 2010, Rz. 6351 ff.; Henke, Enthält die Liste des Anhangs der Klauselrichtlinie 93/13/EWG Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts?, 2010; Hernández-Breton, Internationale Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1993; Heß, Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen EuGVÜ und ZPO, IPRax 1992, 358; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 6 Rz. 128, S. 310; Hübner, Der Umfang des Schriftformerfordernisses des Art. 17 EuGVÜ bei (Versicherungs-)verträgen zugunsten Dritter und die Folge der hilfsweisen Einlassung nach der Rüge der Zuständigkeit im Hinblick auf Art. 18 EuGVÜ, IPRax 1994, 237; Iozzo, „Forma scritta“ e clausola di deroga alla giurisdizione ai sensi dell’art. 17 della convenzione de Bruxelles: orientamenti giurisprudenziali, Foro italiano 1991, 3132; Jayme, Gerichtsstand und abgelaufener Hauptvertrag in Art. 17 EuGVÜ, IPRax 1989, 361; Jayme/Aull, Zur Anwendbarkeit des Art. 17 EuGVÜ bei Wohnsitz beider Parteien in demselben Vertragsstaat, IPRax 1989, 80; Jayme/Haack, Reziproke Gerichtsstandsklauseln – EuGVÜ und Drittstaaten, IPRax 1983, 323; Jung, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach dem EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und nach § 38 Abs. 2 ZPO, 1980; Jungermann, Die Drittwirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ/EuGVO und LugÜ, 2006; Karré/Abermann, Wirksamkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandsklauseln in Satzungen von Aktiengesellschaften, ZEuP 1994, 138; Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Lugano-Übereinkommen, 1993; Killias, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen mittels Schweigen auf kaufmännisches Bestätigungsschreiben, in Festschrift Siehr, 2001, 65; Kim, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, 1995; Kindler/Haneke, Gerichtsstandsvereinbarungen in Rahmenverträgen, IPRax 1999, 435; Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, Diss. Mainz 2007, 34 ff., 127 ff.; Kohler, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Liberalität und Rigorismus im EuGVÜ, IPRax 1983, 265; Kohler, Pathologisches im EuGVÜ: Hinkende Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 17 Abs. 3 EuGVÜ, IPRax 1986, 340; Kohler, Gerichtsstandsvereinbarungen in fremdsprachigen AGB: Das clair-obscur des Art. 17 EuGVÜ, IPRax 1991, 299; Kröll, Gerichtsstandsvereinbarungen aufgrund Handelsbrauchs im Rahmen des GVÜ, ZZP 113 (2000), 135; Kubis, Gerichtspflicht durch Schweigen? – Prorogation, Erfüllungsortvereinbarung und internationale Handelsbräuche, IPRax 1999, 10; Leible, Gerichtsstandsklauseln und EG-Klauselrichtlinie, RIW 2001, 422; Leible/Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen nach Europäischem Zivilprozessrecht, RIW 2007, 481; Lindacher, Internationale Gerichtsstandsklauseln in AGB unter dem Geltungsregime von 599
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Brüssel I – Das Erfordernis tatsächlicher Willenseinigung: Postulat und Postulatsfolgerungen, in Festschrift Schlosser, 2005, 491; Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und darauf anwendbares Recht, Diss. Passau 2000, 2001; Luginbühl/Wollgast, Das neue Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen: Aussichten für das geistige Eigentum, GRUR 2006, 208; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht, 1995; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V – E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 507 ff.; Myass/Reed, European Business Litigation, 1998; McClellan, Choice of Jurisdiction Clauses under the EEC Judgments Convention, J. B. L. 1984, 445; Merret, The Enforcement of Jurisdiction Agreements within the Brussels Regime, IntCompLQuart 2006, 315; Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen, 2006; Momme Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen – Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur subjektiven Reichweite von Zuständigkeitsvereinbarungen bei Forderungsabtretung in der Schweiz, in Deutschland und in den USA, Diss. Basel 2005; Müller, Schriftformerfordernis nach Art. 17 EG-Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen, RIW 1977, 163; Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit, JBl. 1997, 434; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum – Gültigkeit und Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Rechtsverkehr.– Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte, 2013; Queirolo, Art. 17 della Convenzione di Bruxelles e clausola attributiva di competenza contenuta in uno statuto societario, Riv. DIP 1993, 69; Rabe, Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen, TranspR 2000, 389; Rauscher, Gerichtsstandsbeeinflussende AGB im Geltungsbereich des EuGVÜ, ZZP 103 (1991), 270; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, 1995; Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozessrecht, 2006; Saenger, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EuGVÜ und LugÜ, ZZP 110 (1997), 477; Saenger, Gerichtsstandsvereinbarung nach EuGVÜ in handelsgebräuchlicher Form, ZEuP 2000, 656; Saenger, Wirksamkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, in Festschrift Sandrock, 2000, 807; Samtleben, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EWG-Übereinkommen und nach der Gerichtsstandsnovelle, NJW 1974, 1590; Samtleben, Art. 17 EuGVÜ und kein Ende, IPRax 1985, 261; Samtleben, Europäische Gerichtsstandsvereinbarungen und Drittstaaten – viel Lärm um nichts?, RabelsZ 59 (1995), 670; Samtleben, Der Art. 23 EuGVO als einheitlicher Maßstab für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, in Festschrift Ansay, 2006, 343; Friederike E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997; Scheuermann, Internationales Zivilverfahrensrecht bei Verträgen im Internet: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, europäischen und US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts, sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2004, 119 ff., 187 ff.; M. J. Schmidt, Kann Schweigen auf eine Gerichtsstandsklausel in AGB einen Gerichtsstand nach Art. 17 EuGVÜ/LuganoÜ begründen?, RIW 1992, 173; Schücking, Wirtschaftsrechtliche Schranken für Gerichtsstandsvereinbarungen, in Gedächtnis600
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
schrift Arens, 1993, 385; Schücking, Wirtschaftsrechtliche Schranken für Gerichtsstandsvereinbarungen, in Gedächtnisschrift Arens, 1993, 383; Schulze, Der pathologische Fall – Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 17 EuGVÜ/LugÜ, IPRax 1999, 229; Schütze, Ausschluss der Zuständigkeit der Garantieklage (Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ) durch internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, RIW/ AWD 1985, 966; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 164 ff.; Schwarz, Die neuere Rechtsprechung zu Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ, IPRax 1987, 291; Simotta in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österreichischen) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, § 104 JN Rz. 113, 206; Simotta in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österreichischen) Zivilprozessgesetzen2, 5. Band 1. Teilband, 2008, Art. 23 EuGVVO; Staehelin, Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Handelsverkehr Europas. Form und Willenseinigung nach Art. 17 EuGVÜ/LugÜ, 1994; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht 1, Neubearbeitung 2011, Art. 10 Rom I-VO Rz. 100 ff.; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht 2, Neubearbeitung 2011, IntVertrVerfR Rz. 228 ff.; Sternke, Prozessuale Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1993; Stöve, Gerichtsstandsvereinbarungen nach Handelsbrauch, Art. 17 EuGVÜ und § 38 ZPO, 1993; Trunk, Derogationswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen im deutsch-polnischen Rechtsverkehr, IPRax 1998, 448; Tsikrikas, Über die Bindungswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten, in Festschrift R. Stürner, 2013, 1375; Verschuur, Forum Choice and Jurisdiction of Dutch Courts in International Matters – Some Recent Developments, in Festschrift Sauveplanne, 1984, 263; Via, Die Gerichtsstandswahl und der Zugang zum internationalen Zivilprozess im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, 1998; Volz, Harmonisierung des Rechts der Individuellen Rechtswahl, der Gerichtsstandsvereinbarung und der Schiedsvereinbarung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), 1993; Vrellis, The validity of a Choice of Court Agreement under The Hague Convention of 2005, Liber Amicorum Siehr, 2010, 763; R. Wagner, Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, RabelsZ 73 (2009), 100. Watte, Les articles 17 et 18 de la Convention du 27 septembre 1968 sur la compétence judiciaire et l’exécution des décisions, Jur. comm. bel. 1979 V 258; Weigel/Blankenheim, Europäische Gerichtsstandsklauseln, WM 2006, 664; Weller, Ordre public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005; Weyland, Zur Frage der Ausschließlichkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, in Gedächtnisschrift Arens, 1993, 417; Wilske/Kocher, Gerichtsstandsvereinbarungen nach Rechtshängigkeit – Ein Vergleich zwischen ZPO und EuGVÜ, NJW 2000, 3549. Haager Übereinkommen über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten vom 30.6.2005 (Rz. 244a): Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZPInt 17 (2012), 183, 189; Bläsi, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, 2010; Brand/ Herrup, The 2005 Hague Convention on Choise of Court Agreements – Commentary and Documents, 2008; Fricke, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen unter besonderer Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Versicherungswirtschaft, VersR 2006, 476; Hess, EuZPR, 2010, § 5 Rz. 43, 601
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
S. 204; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 300 ff. und § 15 Rz. 101 ff.; Rühl, IPRax 2005, 410; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; Eichel, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen auf dem Weg zur Ratifikation und zum Inkrafttreten, GPR 2014, 159; Rauscher/Weller, EuZPR/EuIPR4, HProrogÜbk, 2014; Magnus, Gerichtsstandsvereinbarungen unter der reformierten EuGVO, in FS Martiny, 2014, 785, 791; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum – Gültigkeit und Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Rechtsverkehr, 2013, 89, 161, 185, 209, 267, 367; Simotta, International Journal of Procedural Law 3 (2013), 58, 65; Simotta, Zur materiellen Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO), in FS Schütze 80, 2014, 541; Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Maritime Transport Documents, 2010; Vrellis, The validity of a Choice of Court Agreement under The Hague Convention of 2005, in Liber Amicorum Siehr, 2010, 763; R. Wagner, Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, RabelsZ 73 (2009), 100; Wagner/Schüngeler, Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen und die Parallelvorschriften in der Brüssel I-Verordnung, ZvglRW 2009, 401; M. Weller, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Haager Übereinkommen – Brüssel I-Reform, in FS Schütze 80, 2014, 705; Materialien in Hague Conference on Private International Law (ed.), Actes et Documents de la Vingtième session/Proceedings of the Twentieth Session, Tome III – Election de for/Choice of Court, 2010. S. auch Hartley/Dogauchi, Explanatory Report on the 2005 Hague Choice of Court Agreements Convention, abrufbar unter www.hcch.net/upload/expl37e.pdf. – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Genehmigung – im Namen der Europäischen Union – des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, Kom(2014) 46 endg.
I. Einigung der Parteien als bestes Mittel für die Feinsteuerung der Zuständigkeitsinteressen für den Einzelfall 1596 Ein starres, auf generell-abstrakten Normen basierendes Zuständigkeitssystem muss notgedrungen mit Pauschalierungen und Generalisierungen arbeiten. Es kann nicht für jeden Einzelfall die konkreten Zuständigkeitsinteressen der Parteien abwägen und bedarf daher einer Korrekturmöglichkeit. Hierfür stehen grundsätzlich zwei Wege offen: Die Ermessensentscheidung des Richters oder Anerkennung des Vertragsprinzips als Mechanismus für die Feinsteuerung der Zuständigkeitsinteressen.1106 1597 Die Entscheidung durch den Richter vernachlässigt das Postulat der Rechtssicherheit;1107 denn dessen Entscheidung kommt immer erst ex post. Es ist nicht
1106 Zur Feinsteuerung s. auch Weller in Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I Regulation (EC) No 44/2001 The Heidelberg Report on the Application of Regulation Brussels I in 25 Member States (Study JLS/C4/2005/03), 2008, Rz. 388. 1107 Hierzu z.B. auch Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen (Nr. 576) Art. 4 EuUnterhVO Rz. 2.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
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absehbar, ob der Richter nun in concreto das forum für conveniens oder non conveniens erklären wird (Rz. 1075). Die Parteien dürfen aber nicht über lange Zeit im Ungewissen gehalten werden, welche Staaten für die Entscheidung ihres Rechtsstreits international zuständig sind, da von der internationalen Zuständigkeit das anzuwendende Verfahrensrecht (insbes. Beweisaufnahmerecht) und das in der Sache zur Anwendung kommende materielle Recht und damit auch der Ausgang des Rechtsstreits bestimmt wird. Ihr Wunsch nach „forum planning“ ist legitim.1108 Deshalb lässt das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht – wie die meisten entwickelten Zuständigkeitsordnungen1109 – zu Recht innerhalb gewisser Grenzen Vereinbarungen der Parteien über die internationale Zuständigkeit zu. Ausgangspunkt des deutschen Zuständigkeitssystems ist der Wohnsitz bzw. Sitz 1598 des Beklagten, §§ 12 ff. ZPO. Entscheidend ist mithin die Parteirolle. Einem bestimmten Rechtsstreit lässt sich also ex ante kein bestimmter Staat als international zuständig zuordnen. Eine Zuständigkeitsprognose ist auf der Grundlage der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung auch deswegen nicht möglich, weil erstens nicht feststeht, wo der präsumtive Beklagte bei Klageerhebung seinen Wohnsitz haben wird, und weil zweitens mit der internationalen Zuständigkeit des Wohnsitzstaates eine Reihe von Spezialgerichtsständen konkurrieren, unter denen der Kläger wählen darf, § 35 ZPO (Rz. 1105).1110 Alle diese Unsicherheiten bei der Zuständigkeitsprognose können durch die Ver- 1599 einbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines Staates (weitgehend) beseitigt bzw. abgemildert werden.1111 Liegt eine solche ausschließliche Prorogation vor, dann kennen beide Seiten mittelbar das in ihrem Fall zum Zuge kommende internationale Privatrecht und damit auch das anzuwendende materielle Recht. So fördern klare und eindeutige Zuständigkeitsvereinbarungen den Rechtsfrieden, weil auf diese Weise der Ausgang vieler Prozesse berechenbarer und deshalb der eine oder andere Prozess gar nicht erst geführt wird. „The elimination of … uncertainties by agreeing in advance on a forum acceptable to both parties is an indispensable element in international trade, commerce and contracting“.1112
1108 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 874. Zustimmend Lindacher in FS Schlosser, 2005, 491; Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56; Tsikrikas, Über die Bindungswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten, in FS Rolf Stürner, 2013, 1375. 1109 Rechtsvergleichend Friederike E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 95 ff. 1110 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 35 Rz. 8. 1111 Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 14. 1112 M/S Bremen v. Zapata The Off-Shore Co., 407 US 1 (1972). Hierzu z.B. Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 447 ff.; Wagner, Prozessverträge, 1998, 182; Scheuermann, IZVR bei Verträgen im Internet, 2004, 187 ff. S. auch Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 210.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1599a Vertragsprinzip: § 38 ZPO und Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ verlangen eine Vereinbarung. Eine einseitige Bestimmung wie z.B. nach § 1066 ZPO ist grundsätzlich nicht möglich.1113 Eine Ausnahme sollte man für Auslobungen zulassen. Auch in Bezug auf trusts sind einseitige Gerichtsstandsbestimmungen denkbar.
II. Missbrauchskontrolle 1600 Die Schattenseiten des Vertragsprinzips als zuständigkeitsrechtlichem Steuerungsmittel sollen hier nicht verschwiegen werden. Es besteht die Gefahr, dass der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwingt. Das einseitige Diktat einer Partei ist aber keine zuständigkeitspolitisch akzeptable Anknüpfung. Notwendig ist vielmehr die freie Willenseinigung der Parteien.1114 Nützt eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit aus, um die andere Partei zu einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung – Derogation oder Prorogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands – zu nötigen, welche dieser die Rechtsverfolgung unzumutbar erschwert,1115 so ist die Zuständigkeitsvereinbarung unwirksam.1116 1601 Im Übrigen ist ein einseitiges Zuständigkeitsdiktat durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen zu verhindern; keinesfalls darf aber das Vertragsprinzip als solches in Frage gestellt werden.1117 1602 Erforderlichenfalls ist auf § 138 BGB zurückzugreifen, um die Willensfreiheit sicherzustellen.1118 1603 Im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kommt noch die besondere Kontrollmöglichkeit nach §§ 307 ff. BGB hinzu (Rz. 1691).1119 1604 Wenig geschickt ging der deutsche Gesetzgeber bei der Novellierung des § 38 ZPO vor (Rz. 1629).
1113 Zu Zuständigkeitsklauseln in Satzungen EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89, Slg 1992 I 1745 = EWiR 1992, 353 (R. Geimer) = ZHR 157 (1993), 48 (Bork) = IPRax 1993, 32 (Koch 13); Vorlage: OLG Koblenz v. 1.6.1989 – 6 U 1946/87, OLGZ 1989, 483 = RIW 1989, 739 = EWiR 1989, 885 (R. Geimer) = WM 1989, 1425 = ZIP 1989, 1327 = IPRspr. 1989 Nr. 192; R. Geimer in FS Schippel, 1996, 869. Vgl. auch Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1314. 1114 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 875. 1115 Das Fehlen eines Prozesskostenhilfesystems oder fehlende Kostenerstattung führt aber noch nicht zur Unzumutbarkeit in dem hier verwendeten Sinne, Rz. 1781b. 1116 BGH v. 3.12.1973, VersR 1974, 470 (471) = WM 1974, 242 = AWD 1974, 221 (v. Hoffmann) = ZZP 78 (1975), 318 (Walchshöfer) = IPRspr. 1973 Nr. 128b (hierzu R. Geimer, WM 1975, 910); Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165 (215); R. Geimer, NJW 1971, 1524; R. Geimer, WM 1975, 910. Zu Art. 5 II Schweizer IPR-Gesetz Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 111. Zum Parallelproblem der Schiedsabrede pointiert Lindacher in FS Habscheid, 1989, 169. 1117 Zur verfassungsrechtlichen Dimension dieser Frage R. Geimer, ZfRV 1992, 330 (331 Fn. 85). 1118 Zustimmend Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 474. 1119 Ausführlich Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 60.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
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III. Enger Anwendungsbereich des deutschen autonomen Rechts 1. Reichweite des Art. 25 EuGVVO und des Art. 23 LugÜ Die europäische Zuständigkeitsordnung verdrängt in ihrem Anwendungsbereich 1605 das nationale Zuständigkeitsrecht. Grundsätzlich kommen die europäischen Zuständigkeitsregeln nur dann zur Anwendung, wenn der Beklagte im geografischen Anwendungsbereich des Übereinkommens seinen Wohnsitz bzw. Sitz hat, Art. 4 I EuGVVO bzw. Art. 2 I LugÜ. Anders ist es jedoch bei Zuständigkeitsvereinbarungen. Hier genügte es schon bisher, dass der Kläger seinen Wohnsitz/ Sitz in einem der Mitgliedstaaten hat, Art. 23 I EuGVVO a.F., Art. 23 I LugÜ (Rz. 1643 ff.).1120 Die EuGVVO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 hat auch diese Anwendungsvoraussetzung beseitigt, so dass Art. 25 EuGVVO n.F. universell anwendbar ist, Art. 6 I EuGVVO (s. auch Rz. 1874h).1121 Angesichts des weiten Geltungsanspruchs der europäischen Zuständigkeitsordnung ist der Anwendungsbereich des § 38 ZPO in Fällen mit internationalen Bezügen stark eingeschränkt.1122 In Betracht kommen nur noch die Bereichsausnahmen des Art. 1 II EuGVVO/LugÜ, Rz. 1874 f. 2. Völkerrechtliche Verträge Sieht man vom Brüsseler und Luganer Übereinkommen ab, so gab es bisher rela- 1606 tiv wenige völkerrechtliche Verträge, welche die internationale Zuständigkeit aufgrund Zuständigkeitsvereinbarung normieren (Rz. 1792). Die Situation wird sich allerdings verändern, wenn das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 (Rz. 244a) von (möglichst) vielen Staaten in Kraft gesetzt werden wird.1123 Die Europäische Union möchte diese Konvention demnächst ratifizieren.1124 1120 Ausführliche Nachw. bei Samtleben, Der Art. 23 EuGVO als einheitlicher Maßstab für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, in FS Ansay, 2006, 343. 1121 Intertemporär gilt im Hinblick auf Art. 25 EuGVVO n.F. Folgendes: Art. 66 I EuGVVO n.F. (Rz. 1874) erfasst auch vor dem 10.1.2015 geschlossene Zuständigkeitsvereinbarungen mit der Folge der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts (Art. 6 I EuGVVO n.F.) und (möglicherweise) des Wechsels des für die materielle Wirksamkeit maßgeblichen Rechts, da Art. 25 I EuGVVO n.F. nunmehr auf die lex fori prorogati verweist. So kann eine bisher wirksame Zuständigkeitsvereinbarung als nun unwirksam zu beurteilen sein und umgekehrt, R. Geimer in FS Gottwald, 2014, 197. Ob eine solche gegen die Gebote der Vorhersehbarkeit und damit Rechtssicherheit verstoßende Änderung des Prorogationsstatuts mit dem Primärrecht der EU vereinbar ist, darf zumindest nach Inkrafttreten der EuGrundrechtecharta bezweifelt werden. S. auch Erwägung 38. Der EuGH hatte (bisher) keine Bedenken gegen eine ex post-Konvalidierung, EuGH v. 13.11.1979 – Rs. C-25/79 – Sanicentral/Collin, Slg. 1979, 3423 = RIW 1980, 285; hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 66 Rz. 3. 1122 Sehr weit geht Samtleben, a.a.O., 352 Fn. 38: Außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der EuGVO kommen internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in der Praxis wohl kaum vor“. 1123 Hierzu z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 89, 161, 185, 209, 267, 367. 1124 Vorschlag der Kommission v. 30.1.2014, COM (2014) 46 final.
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Internationale Zuständigkeit
IV. Gerichtsstandsnovelle 1974 1. § 38 ZPO erfasst alle Zuständigkeitsvereinbarungen 1607 Die ZPO spricht zwar nur die Prorogation, nicht aber auch die Derogation an. Unbestritten ist jedoch, dass die Regeln des § 38 ZPO bezüglich Form und der Zeitgrenze des § 38 III Nr. 1 ZPO auf alle Zuständigkeitsvereinbarungen Anwendung finden, also auch auf Derogationsverträge.1125 Unanwendbar ist aber § 38 II 3 ZPO (Rz. 1616). 2. Kaufleute 1608 Die Gerichtsstandsnovelle stellt die liberale Grundkonzeption der ursprünglichen Fassung nur mehr Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen zur Verfügung.1126 Diese Personengruppen unterliegen keinen Beschränkungen.1127 Sie können Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit schriftlich oder mündlich (ausdrücklich oder konkludent) treffen, und zwar jederzeit, also auch bei Abschluss des Hauptvertrages. Es kommt nicht darauf an, ob dieser ein Handelsgeschäft (§ 343 HGB) ist. § 38 I ZPO gilt auch für die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit (Prorogationen und Derogationen, Rz. 1619). Die Formvorschrift des § 38 II 2 ZPO gilt für Kaufleute nicht.1128 3. Nichtkaufleute 1609 Grundsätzlich können die nicht unter § 38 ZPO fallenden Personen Zuständigkeitsvereinbarungen nur nach Entstehen der Streitigkeit schließen, § 38 III Nr. 1 ZPO, vorher auch dann nicht, wenn die Zuständigkeitsvereinbarung in concreto für den Nichtkaufmann vorteilhaft ist. 1610 Dadurch wird die Prorogationsfreiheit ganz erheblich eingeschränkt. Insbes. sind Gerichtsstandsklauseln im Zusammenhang mit dem (materiell-rechtlichen) Hauptvertrag unzulässig.1129 1125 Evgenia Peiffer, a.a.O., 70. 1126 Zur kollisionsrechtlichen Einordnung der Kaufmannseigenschaft van Venrooy, Die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft im deutschen IPR, 1985; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 178 ff. Maßgebend sind §§ 1 ff. HGB. 1127 Ob die Kaufmannseigenschaft nach § 284 ZPO zugestanden werden kann, lässt der BGH offen, BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger) = WiB 1997, 494 (Ralle). 1128 OLG Saarbrücken v. 21.9.1988 – 5 U 8/88, NJW-RR 1989, 828 = IPRspr. 1988 Nr. 162; Friederike E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 71; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 208; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 83. Anders OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 mit der Begründung, § 38 I ZPO gelte nicht für „internationale Zuständigkeitsvereinbarungen“. Ebenso Lindacher in FS Habscheid, 1989, 169 Fn. 13. 1129 Zur Zulässigkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen bei Beteiligung von Nichtkaufleuten (§§ 38 III, 40 ZPO) Schilken in FS Musielak, 2004, 435. Dies war das Haupt-
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Zuständigkeitsvereinbarung vor Entstehen der Streitigkeit. Die Parteien können 1611 jederzeit gem. § 38 III Nr. 2 ZPO ausdrücklich und schriftlich eine Zuständigkeitsvereinbarung schließen für den Fall, dass die im Klagewege in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich der ZPO verlegt oder ihr Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist.1130 Ausnahmsweise lässt § 38 II ZPO auch vor Entstehen der Streitigkeit Zuständig- 1612 keitsvereinbarungen zu, wenn mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Diese Vereinbarung muss schriftlich abgeschlossen oder, falls sie mündlich getroffen wird, schriftlich bestätigt werden, § 38 II 2 ZPO (diese Formvorschrift ist also weniger streng als die des § 38 III ZPO; Rz. 1621). Entscheidend ist für die Zulässigkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung vor Ent- 1613 stehen der Streitigkeit mithin, dass eine Partei im Zeitpunkt der Zuständigkeitsvereinbarung ihren Wohnsitz/Sitz (§§ 13, 17 ZPO) im Ausland hat. Dass sie daneben auch eine Niederlassung (§ 21 ZPO) im Inland hat, spielt keine Rolle. So kann z.B. ein Unternehmen in Minsk mit Niederlassung in Frankfurt/M. eine Zuständigkeitsvereinbarung mit einem Nichtkaufmann in Stuttgart schließen.1131 Bei Doppelwohnsitz will der Bundesgerichtshof1132 aber § 38 II 1 ZPO nicht an- 1614 wenden. Beispiel: Eine Partei wohnt in München und in New York, die andere in Stuttgart. Auch in einem solchen Fall ist ein internationaler Bezug gegeben. Die Parteien können daher – entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs – schon vor Entstehen der Streitigkeit Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit treffen, § 38 II 1 ZPO.
Wird die internationale Zuständigkeit Deutschlands vereinbart, so haben – au- 1615 ßerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des LugÜ und der völkervertraglich vereinbarten Spezialregimes – die Parteien bezüglich der örtlichen Zuständigkeit keine Wahlfreiheit, wenn eine der Parteien im Inland ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. In einem solchen Fall kann nur der allgemeine Gerichtsstand dieser Partei oder ein Spezialgerichtsstand gewählt werden, der an die Person dieser Partei anknüpft (Rz. 1752). ziel der Gerichtsstandsnovelle 1974. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Differenzierung nach der Kaufmannseigenschaft bei R. Geimer, ZfRV 1992, 330. 1130 Hierzu LAG Düsseldorf v. 7.2.1984 – 16 Sa 1714/83, RIW 1984, 651 = IPRspr. 1984 Nr. 132. Unter § 38 III Nr. 2 ZPO fällt nicht die Konstellation, dass eine Partei bereits bei Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung ihren Wohnsitz im Ausland hatte, BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger) = WiB 1997, 494 (Ralle). 1131 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 504. 1132 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 (R. Geimer) = RIW 1986, 461 = MDR 1986, 649 = IPRax 1987, 168 (Roth 141) = IPRspr. 1986 Nr. 129. Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 70.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1615a § 38 II 3 ZPO schreibt zwingend vor, dass als örtlich zuständiges Gericht ein nach §§ 12 ff. ZPO ohnehin gegebener Gerichtsstand der inländischen Partei prorogiert werden muss.1133 1616 Dies bedeutet andererseits (Rz. 1752): Könnte ohne die Zuständigkeitsvereinbarung keine der Parteien in Deutschland verklagt werden, weil es an einer gesetzlichen Zuständigkeitsanknüpfung i.S. von §§ 12 ff. ZPO fehlt, dann kann – im Falle der Prorogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands – jedes deutsche Zivilgericht als örtlich zuständig gewählt werden. Beispiel: Ein Moskauer und ein New Yorker wollen, dass die deutschen Gerichte sich ihres Rechtsstreits annehmen. Sie sind durch § 38 II 3 ZPO bei der Festlegung des örtlich zuständigen Gerichts nicht beschränkt.
Besteht zwar ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit Deutschlands, aber nicht aufgrund des Wohnsitzes/Sitzes einer Partei (§§ 12 ff. ZPO), sondern gem. § 20 ff. ZPO (z.B.: eine Partei hat eine Niederlassung oder Vermögen im Inland), dann kann ebenfalls frei gewählt werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn eine Partei im Inland ihren allgemeinen Gerichtsstand hat. 1617 Haben die Parteien gegen § 38 II 3 ZPO verstoßen, bleibt die Prorogation der internationalen Zuständigkeit wirksam. Für die örtliche Zuständigkeit greift kraft Gesetzes die Gerichtsstandsnorm des § 38 II 3 ZPO ein (Rz. 1753). Beispiel: Ein Kaufmann in Belgrad vereinbart mit einem Münchner Nichtkaufmann die ausschließliche Zuständigkeit des LG Frankfurt a.M. Diese Vereinbarung ist hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit (Derogation der internationalen Zuständigkeit Serbiens bzw. Begründung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands bezüglich der Gerichtspflichtigkeit des Belgraders) in jedem Falle wirksam, auch wenn die Vereinbarung bezüglich der örtlichen Zuständigkeit unwirksam ist, weil der Münchner keine Zuständigkeitsanknüpfung i.S. von §§ 20 ff. ZPO in Frankfurt hat.1134 Anders wäre es z.B., wenn der Münchner in Frankfurt berufstätig wäre (§ 20 ZPO) oder wenn der Erfüllungsort für die Verpflichtungen aus dem Vertrag in Frankfurt zu lokalisieren wäre. Nicht ausreichend wäre jedoch eine Zuständigkeitsanknüpfung in der Sphäre des Belgrader Kaufmanns. So wäre es aus der Perspektive des § 38 II 3 ZPO nicht relevant, wenn dieser in Frankfurt eine Niederlassung hätte.
1618 § 38 II 3 ZPO gilt nicht für Zuständigkeitsvereinbarungen nach Entstehen der Streitigkeit (§ 38 III Nr. 1 ZPO).1135 Die Regelung über die örtliche Zuständigkeit § 38 II 3 ZPO findet im Übrigen nur Anwendung, wenn ein deutsches Gericht prorogiert werden soll, nicht jedoch vice versa bei Derogation. Beispiel: Die eine Partei wohnt in Stuttgart, die andere in Belgrad. Hier können die Parteien sehr wohl die Zuständigkeit der Gerichte in Genf oder in Paris vereinbaren.
1133 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 507. 1134 Der Rechtsgedanke des § 139 BGB kommt hier nicht zur Anwendung. 1135 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 512.
608
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
4. Form Zuständigkeitsvereinbarungen (Prorogation) zwischen Vollkaufleuten, juristi- 1619 schen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen bedürfen – anders als nach Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ vorbehaltlich internationaler Handelsbräuche – nach § 38 I ZPO keiner Form (Rz. 1606). Formfreiheit besteht auch dann, wenn das von der Zuständigkeitsvereinbarung 1620 betroffene Rechtsgeschäft bzw. Rechtsverhältnis kein Handelsgeschäft (§ 343 HGB) ist.1136 Sonstige Zuständigkeitsvereinbarungen. § 38 ZPO kombiniert merkwürdiger- 1621 weise zwei Formvorschriften. Für die „internationale Zuständigkeitsvereinbarung“ des § 38 II ZPO genügt halbe Schriftlichkeit.1137 Dagegen muss in den Fällen des § 38 III ZPO die gesamte Zuständigkeitsvereinbarung schriftlich geschlossen werden. Ob diese unterschiedliche Normierung Ausdruck besonderer Gesetzgebungskunst war, sei dahingestellt. „Volle“ Schriftlichkeit nach § 38 III ZPO: Erforderlich ist ein schriftlicher Ver- 1622 trag mit ausdrücklicher Zuständigkeitsvereinbarung. Daraus wird geschlossen, dass eine Bezugnahme auf AGB ohne ausdrücklichen Hinweis auf die dort enthaltene Gerichtsstandsklausel – anders als nach § 38 II 2 ZPO (Rz. 1623) – nicht reicht (Rz. 16939. Die Einhaltung des § 126 BGB (Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde) ist nicht erforderlich.1138 Wie bei Art. 25 EuGVVO und Art. 23 LugÜ1139 ist Niederlegung der schriftlichen Vereinbarung in getrennten Urkunden ausreichend.1140 Darüber hinaus genügt jede Form der Übermittlung, die den Nachweis einer Willenseinigung über die Pro- bzw. Derogation erlaubt. Für Schriftlichkeit genügt die „Möglichkeit jederzeitiger Reproduzierbarkeit in traditioneller Schriftform“, so dass die elektronische Gerichtsstandsvereinbarung (die als Schriftstück ausgedruckt werden kann) die Anforderungen der Schriftlichkeit erfüllt.1141 „Halbe“ Schriftlichkeit nach § 38 II 2 ZPO: Die Gerichtsstandsnovelle hat be- 1623 wusst diese Formvorschrift dem Art. 17 EuGVÜ (nunmehr Art. 25 EuGVVO n.F. und Art. 23 LugÜ 2007) nachgebildet.1142 Sie ist daher ebenso auszulegen. Der
1136 Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 9. 1137 Wie nach Art. 25 EuGVVO und Art. 23 LugÜ. 1138 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = RIW 2001, 456 = IPRax 2002, 124 (Kröll 113) = IPRspr. 2001Nr. 133; Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 447. 1139 Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 104. 1140 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731; noch offen gelassen von BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, NJW 1993, 1070 = RIW 1992, 143 = EWiR 1992, 203 (R. Geimer) = IPRax 1992, 377 (Heß 358) = IPRspr. 1991 Nr. 181. Wie hier Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 140; a.A. Rüßmann, K&R 1998, 129 (131). 1141 Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (218); s. auch Junker, RIW 1999, 809 (813) sowie BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = BB 2001, 959 (960). 1142 F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 72.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
EuGH1143 stellt zwar strenge Anforderungen an die schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung, er lässt es aber genügen, dass der Vertrag durch einen Schriftwechsel der Parteien zustande kommt. Damit kommt er den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs entgegen. Die von Art. 17 EuGVÜ/LugÜ 1988 und nunmehr auch von Art. 25 EuGVVO/Art. 23 LugÜ 2007 für die Gerichtsstandsvereinbarung geforderte Schriftform ist auch dann gewahrt, wenn das zum Vertragsabschluss führende, vom Gegner schriftlich bestätigte Angebot der einen Partei auf ein früheres schriftliches Angebot der anderen Partei ausdrücklich Bezug nimmt, mit dem diese auf ihre gleichzeitig übermittelten, eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Geschäftsbedingungen hingewiesen hat.1144 Den ausgetauschten Urkunden muss allerdings mit Sicherheit zu entnehmen sein, dass sich die Vertragsparteien über den Gerichtsstand geeinigt haben. Hier berühren sich die Formfrage und die Frage, ob die Willenseinigung die Gerichtsstandsklausel mitumfasst. Der EuGH diskutierte diesen Punkt (bisher) vor allem unter dem Gesichtspunkt der Form. Ist die Gerichtsstandsklausel in den Geschäftsbedingungen einer Vertragspartei enthalten, müssen die Parteien auf die Geschäftsbedingungen Bezug nehmen, nicht aber speziell auf die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel (Rz. 1686).1145 Dabei lässt der EuGH auch die Bezugnahme auf ein früheres Angebot zu, wenn dieses auf die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der einen Partei ausdrücklich hinweist und der anderen Vertragspartei tatsächlich zugegangen ist.1146 Welche Partei (Kläger oder Beklagter) die mündliche Zuständigkeitsvereinbarung schriftlich bestätigt, ist gleichgültig.1147
1143 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-24/76 – Estasis Salotti/Rüwa, Slg. 1976, 1831 = NJW 1977, 494 = RIW 1977, 104 (Gerd Müller 163) = Rev. crit. 1977, 576 (Mezger); EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-25/76 – Segoura/Bonakdarian, Slg. 1976, 1851 = NJW 1977, 495 = RIW 1977, 105 (Gerd Müller 163) = Rev. crit. 1977, 581 (Mezger); EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, Slg. 1984, 2417 = RIW 1984, 909 (Schlosser) = IPRax 1985, 152 (Basedow 133) = Rev. crit. 1985, 385 (Gaudemet-Tallon). 1144 LG Siegen v. 6.6.1978 – 6 O 9/77, NJW 1978, 2456 = RIW 1980, 286 = IPRspr. 1978 Nr. 142. 1145 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 876; Stein/Jonas/Bork, ZPO23, § 38 Rz. 30. 1146 Hierzu Duintjer Tebbens, RIW 1985, 262. 1147 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, RIW 1984, 909 (Schlosser 911); EuGH v. 30.4.1986 – Rs. 211/84 – Ministère public/Gray, Slg. 1986, 1425; BGH v. 5.12.1985 – I ZR 55/82, NJW 1986, 2196; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 491; Samtleben, IPRax 1985, 262. Das OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (Samtleben 261) = IPRspr. 1984 Nr. 144 verlangt als Bestätigung ein Schriftstück, das als Bestätigungsschreiben i.S. von § 346 HGB zu werten ist. Deshalb sei ein Rechnungsformular nicht ausreichend, auch wenn dieses mit einem Stempel „Auftragsbestätigung“ versehen ist. Für eine solche einschränkende Auslegung findet sich aber weder in Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ noch in § 38 ZPO eine Stütze, Rz. 1686. Zum Schweigen auf Bestätigungsschreiben, das auf AGB-Gerichtsstandsklausel Bezug nimmt, M. J. Schmidt, RIW 1992, 173.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Die lex causae des Hauptvertrages ist für die Formfrage ohne Bedeutung.1148 Da- 1624 her ist auch Art. 11 EGBGB unanwendbar (Rz. 1675, 1741). Da § 38 II 2 ZPO dem Art. 17 I EuGVÜ/LugÜ 1988 bzw. nunmehr Art. 25 1624a EuGVVO und Art. 23 LugÜ 20071149 nachgebildet ist, sollte ein (vorlageberechtigtes) deutsches Gericht (Rz. 246i) dem EuGH eine die Form betreffende Frage mit dem Bemerken vorlegen können, es gedenke, das autonome deutsche Recht ebenso auszulegen wie Art. 25 EuGVVO und Art. 23 LugÜ 2007.1150 Keine „Fortschreibung“ der neuen Formalternativen des Art. 17 I EuGVÜ/LugÜ 1624b 1988 bzw. des Art. 23 EuGVVO a.F./LugÜ 2007 bzw. Art. 25 EuGVVO n.F. im autonomen deutschen Kompetenzrecht: Der 1974 nach dem Vorbild des Art. 17 EuGVÜ in der damals geltenden Fassung novellierte § 38 ZPO wurde nicht um die durch das 1. und 3. Beitrittsübereinkommen eingeführten weiteren zwei Formen erweitert, nämlich – im internationalen Handel die Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten;1151 – ganz allgemein die Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, welche zwischen den Parteien entstanden sind. Insoweit fehlt – mangels Übereinstimmung mit der EuGVVO – eine Vorlagemöglichkeit an den EuGH. 5. Zuständigkeitsvereinbarung zwischen einem Kaufmann und einem Nicht-Kaufmann § 38 I ZPO setzt voraus, dass beide Vertragsteile zum „bevorrechtigten“ Per- 1625 sonenkreis gehören. Daher fällt eine Vereinbarung, an der ein Nicht-Kaufmann beteiligt ist, unter § 38 II und § 38 III ZPO. Dies ist rechtspolitisch zu bedauern, da Vereinbarungen zu Lasten des Kaufmanns und zugunsten des Nicht-Kaufmanns keinen Beschränkungen unterliegen sollten.1152 6. Zuständigkeitsvereinbarungen, an denen mehr als zwei Parteien beteiligt sind Die Regel des § 38 II 3 ZPO bringt Schwierigkeiten in den Fällen, in denen mehr 1626 als zwei Parteien ein für sie maßgebliches Gericht vereinbaren.
1148 R. Geimer, NJW 1972, 1622; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 27; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 139. 1149 Auch dieses Übereinkommen ist Bestandteil des Unionsrechts. 1150 S. auch Rz. 247 f. 1151 Hierzu Vorlagebeschluss des BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, RIW 1992, 756 = IPRax 1992, 373 (376) (Jayme 357) = EuZW 1992, 514 (R. Geimer). 1152 Dies ist die ratio legis der Art. 15 Nr. 2, Art. 19 Nr. 2, Art. 23 Nr. 2 EuGVVO; Art. 13 Nr. 2, Art. 17 Nr. 2, Art. 21 Nr. 2 LugÜ. S. unten Rz. 1632.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1627 Beispiel: Gesellschaftsverträge und Kooperationsverträge. Hier wird man wohl praeter legem die Auffassung vertreten müssen, dass § 38 II 3 ZPO der Vereinbarung eines einheitlichen Gerichts nicht entgegensteht (vgl. auch Rz. 1781d).
7. Zuständigkeitsvereinbarungen in Zusammenhang mit Bürgschaften und Garantieversprechen 1628 Das Gleiche gilt, wenn ein Bürge oder Garant einer Verbindlichkeit beitritt.1153 8. Kritik der lex lata 1629 Die Differenzierung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten ist ein viel zu grobes Raster. Weshalb ist die Prorogationsfreiheit des Rechtsanwalts, Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters begrenzter als die des kleinen Händlers? Auch die Zeitgrenze des § 38 III Nr. 1 ZPO (Entstehen der Streitigkeit) ist zu ungenau und lässt die Rechtsprechung über Kasuistik nicht hinauskommen. Sinnvoller wäre es z.B. gewesen, den Schutz rechtlich unerfahrener Parteien dadurch zu verbessern, dass beim Abschluss von Zuständigkeitsvereinbarungen die Beiziehung eines Rechtskundigen vorgeschrieben wird. Danach wären Zuständigkeitsvereinbarungen zuzulassen, die notariell beurkundet worden sind oder die von Rechtsanwälten als Bevollmächtigten ihrer Parteien geschlossen worden sind. 1630 Unausgewogen ist das geltende Recht auch, weil es die für den Verbraucherschutz typische Interessenlage verabsolutiert und für alle Zuständigkeitsvereinbarungen – ganz gleich auf welchem Feld – für maßgeblich erklärt.1154 Beispiel: Im Interesse der einheitlichen Auslegung eines Gesellschaftsvertrages (z.B. einer GbR) oder von Miteigentümervereinbarungen (§§ 741, 1010 BGB) erscheint es – nicht nur im Interesse der Parteien, sondern auch im Interesse einer bonne administration de la justice – richtig und sinnvoll, ein für alle Beteiligten einheitliches ausschließliches forum zu vereinbaren. Dies ist de lege lata zwischen Nichtkaufleuten (auch der Kommanditist, GmbHGesellschafter oder Aktionär ist nicht Kaufmann) nicht möglich, es sei denn, man entschließt sich zu der oben Rz. 1626 skizzierten Lösung. Als Ausweg bleibt nur die „Flucht“ in die Schiedsgerichtsbarkeit.
1631 Ausgewogener sind in diesem Punkt die EuGVVO und in deren Schlepptau das LugÜ, welche die für notwendig erachteten Erschwerungen zum Schutz der typischerweise Schwächeren auf diese Gruppen eingrenzen (Art. 15, 19, 23 EuGVVO; Art. 13, 17, 21 LugÜ) und das allgemeine Recht der Zuständigkeitsvereinbarungen von Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes verschonen. 1632 § 38 ZPO verbietet auch Vereinbarungen zugunsten der schwächeren Partei vor Entstehen der Streitigkeit. Der Gedanke des Verbraucherschutzes wird aber in sein Gegenteil verkehrt, wenn es dem Verbraucher nicht möglich ist, seine Klagemöglichkeiten (zu Lasten des Stärkeren) zu verbessern. Auch in diesem Punkt
1153 R. Geimer, NJW 1986, 1438. 1154 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 502. Kritik auch bei Wagner, Prozessverträge, 1998, 560 m.w.N.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
sind die EuGVVO und das LugÜ viel ausgefeilter, Art. 15 Nr. 2, 19 Nr. 2, 23 Nr. 2 EuGVVO bzw. 13 Nr. 2, 17 Nr. 2, 21 Nr. 2 LugÜ. 9. Keine richterrechtliche Anpassung des § 38 ZPO an die Neufassungen des Art. 25 EuGVÜ bzw. Art. 23 LugÜ Der Gesetzgeber hat § 38 ZPO nicht an die jeweiligen Neufassungen des Art. 17 1632a EuGVÜ/LugÜ 1988 bzw. nunmehr des Art. 25 EuGVVO angepasst (Rz. 1624b). Eine richterrechtliche „Fortschreibung“ kommt nicht in Betracht. 10. Doppelfunktionstheorie Vereinbaren die Parteien die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, so liegt da- 1633 rin auch die Begründung der (an sich fehlenden) internationalen Zuständigkeit Deutschlands. Im umgekehrten Fall bewirkt die ausschließliche Prorogation eines ausländischen Gerichts nach der Doppelfunktionstheorie (Rz. 947) die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 1706, 1668).
V. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten Nach (bisher) h.M.1155 sind Zuständigkeitsvereinbarungen bezüglich nicht ver- 1634 mögensrechtlicher Streitigkeiten ausgeschlossen, § 40 II 1 Nr. 1 ZPO. Dies trifft sicher zu für Prorogationen in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen (Rz. 1751). Auch die auf der deutschen Staatsangehörigkeit basierende internationale Zuständigkeit Deutschlands kann in den genannten Statussachen nicht derogiert werden. Fraglich ist aber, ob dies auch für die auf dem inländischen gewöhnlichen Aufenthalt beruhende internationale Zuständigkeit gilt. Derogierbar ist jedenfalls die auf Staatsangehörigkeit bei Eheschließung beruhende internationale Antrittszuständigkeit (§ 98 I Nr. 1 Alt. 2 FamFG, davor § 606a I 1 Nr. 1 Alt. 2 ZPO),1156 Rz. 1773. Für sonstige nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten (z.B. Namensschutzklagen) 1635 sind Zuständigkeitsvereinbarungen über die internationale Zuständigkeit im Hinblick auf § 40 II Nr. 1 ZPO zulässig1157 (Rz. 1399).
VI. Unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für Prorogationsund Derogationsverträge Was den Vertragsschluss (Zustandekommen der Zuständigkeitsvereinbarung) an- 1636 belangt, gelten einheitliche Regeln, insbes. auch hinsichtlich der Form (Rz. 1619). 1155 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 526. 1156 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 138; zustimmend Wagner, Prozessverträge, 1998, 365. Enger wohl Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 71. 1157 Für vorbehaltlose Anwendung des § 40 II ZPO a.F. noch Kropholler in Basedow/ Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 526.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Es wäre wenig sinnvoll, die Wirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob man den Prorogations- oder den Derogationsaspekt im Auge hat. 1637 Davon zu unterscheiden sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Hier ist es nicht nur logisch möglich, sondern auch sachgerecht, zwischen Prorogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 1739) und der Derogation derselben (Rz. 1757) zu unterscheiden (Rz. 1972). Denn es stehen unterschiedliche zuständigkeitsrechtlich relevante Interessen zur Diskussion. Bei der Prorogation geht es um die Frage, ob eine Parteivereinbarung die Kraft haben soll, den Zugang zu den deutschen Gerichten zu eröffnen, obwohl kraft Gesetzes eine Zuständigkeitsanknüpfung nach §§ 12 ff. ZPO nicht gegeben ist. Sie kann vom Gesetzgeber mit Ja oder Nein beantwortet werden, ohne dass damit eine Antwort auf die Frage impliziert wird, ob die an sich nach §§ 12 ff. ZPO gegebene internationale Zuständigkeit Deutschlands derogiert werden kann. Theoretisch denkbar sind alle Variationen: – In beiden Fällen nein oder ja oder – Prorogation ja, Derogation nein1158 oder – Prorogation nein, Derogation ja. 1638 Das deutsche autonome Recht hält sowohl die Prorogation als auch die Derogation für grundsätzlich zulässig. Jedoch sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht absolut spiegelbildlich übereinstimmend.1159 Zumindest in Nuancen ergeben sich Unterschiede. So stehen z.B. die in Rz. 1769 aufgeführten Verbote der Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands entgegen. D.h., dass die Klagemöglichkeit vor deutschen Gerichten erhalten bleiben muss. Damit ist aber nicht gesagt, dass – die Anerkennung des am forum prorogatum ergangenen ausländischen Urteils ausgeschlossen ist, – vice versa die Prorogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands ausgeschlossen ist. 1639–1641 Einstweilen frei
VII. Ausschließliche internationale Zuständigkeiten 1642 Wenn man mit der h.M. (Rz. 878, 926) ausschließliche internationale Zuständigkeiten anerkennt, sind diese eine Schranke für (internationale) Zuständigkeitsvereinbarungen, § 40 II 1 ZPO, Rz. 940a, 1744, 1769.1160 1158 So z.B. Art. 2 Codice di procedura civile a.F., Rz. 1757. 1159 S. auch Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 69 ff. 1160 Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 37; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 531 f. So bezeichnet BGH v. 3.4.1985, NJW-RR 1987, 227 = MDR 1985, 911 = IPRspr. 1985 Nr. 136 (Rz. 1776) die Gerichtsstände des § 14 UWG als ausschließlich und somit unabdingbar. Vgl. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 198. In Österreich scheitert nach
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
VIII. Vorrang der europäischen Zuständigkeitsordnung Im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO n.F. (Rz. 1874f)1161 bzw. Art. 23 1643 LugÜ 2007 gilt § 38 ZPO nicht.1162 Die europäische Zuständigkeitsordnung verdrängt das nationale Recht, Rz. 1605.1163 Deshalb kommen auch die den § 38 ZPO modifizierenden Vorschriften des deutschen Rechts, wie z.B. § 26 II FernUSG, § 53 III KWG, § 319 II 2 KAGB (Rz. 1449, 1451) nicht zur Anwendung.1164 Auch § 38 II 3 ZPO ist unanwendbar.1165 Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007 unterscheidet nicht zwischen Zu- 1644 ständigkeitsvereinbarungen, an denen Kaufleute oder Nichtkaufleute beteiligt sind. Sein Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Zuständigkeitsvereinbarungen, auch auf solche, die nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten betreffen. Schließlich kennen die EuGVVO und das LugÜ nicht die Notwendigkeit der vollständigen Schriftform (§ 38 III ZPO). Es genügt vielmehr in allen Fällen die „halbe“ Schriftlichkeit. Andererseits sind bezüglich der Form Vereinbarungen zwischen Kaufleuten nicht privilegiert. Auch für diese gilt das Erfordernis der halben Schriftlichkeit, mit Ausnahme der Alternativen des Art. 25 I 3 (b) und (c) EuGVVO bzw. Art. 23 I 3 (b) und (c) LugÜ 2007. Daher ist die Frage von enormer praktischer Bedeutung, wann Art. 25 EuGVVO 1645 n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007 zur Anwendung kommt. Während Art. 25 EuGVVO n.F. gem. Art. 6 I EuGVVO n.F. nunmehr universelle Geltung beansprucht, ist nach Art. 23 LugÜ 2007 Anwendungsvoraussetzung, dass eine der Parteien der Zuständigkeitsvereinbarung ihren Wohnsitz/Sitz im geografischen Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung (Rz. 1605).1166 Nach h.M. setzt die Anwendung des Art. 23 LugÜ 2007 – ebenso wie bisher Art. 23 EuGVVO a.F. – weiter voraus, dass eine Berührung zu mehreren Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten vorliegt.1167 Man unterscheidet drei Fallgruppen:
1161
1162 1163 1164 1165 1166 1167
§ 104 IV JN die internationale Zuständigkeitsvereinbarung an bestimmten (in etwa dem Art. 24 EuGVVO nachgebildeten) ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten, hierzu Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (306); Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 93 JN Rz. 115 ff. Aus Sicht eines deutschen Gerichts kommt nach der Kollisionsregel des LugÜ (Rz. 1886), die auch für das Verhältnis zwischen EuGVVO n.F. und LugÜ anzuwenden ist, stets Art. 25 EuGVVO n.F. zum Zuge, soweit es um die Derogation der internationalen Zuständigkeit eines nach Art. 4 ff. EuCH an sich international zuständigen Mitgliedstaates geht (Rz. 1886c). Zur Abgrenzung s. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 127. Anders ist es jedoch, soweit sie wieder auf das nationale Recht verweist. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 69 ff. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 905; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6388. Nachw. bei de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 194. Nachw. z.B. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 29; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 101; Friederike E.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
– Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Vertragsparteien mit Wohnsitz in verschiedenen Vertragsstaaten, – Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Vertragsparteien mit Wohnsitz im selben Vertragsstaat und – Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen einer im Vertragsstaat und einer in einem Drittstaat ansässigen Vertragspartei. 1646 Die beiden letztgenannten Fallgruppen bedürfen nach bisher h.M. (Rz. 1264) einer teleologischen Reduktion im Hinblick darauf, dass die Verordnung bzw. das Übereinkommen nur den Rechtsverkehr zwischen den Mitglied- bzw. Vertragsstaaten regelt. Auszuschalten seien die sog. Inlandsfälle1168 sowie die Fälle, in denen nur Berührungspunkte zu Drittstaaten vorliegen.1169 Demgegenüber ist festzuhalten:1170 Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007 regeln – ebenso wie Art. 4 EuGVVO und Art. 2 LugÜ – die internationale Zuständigkeit auch in sog. reinen Inlandsfällen, nicht jedoch auch die örtliche Zuständigkeit.1171 Beispiel: Ein Münchner und ein Hamburger können die Zuständigkeit der französischen oder italienischen Gerichte etc. vereinbaren.1172 Maßgeblich ist sowohl hinsichtlich des Prorogati-
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1170 1171
1172
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Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 273 ff.; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 167. Burgstaller, JBl. 1998, 693. Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 29 ff. und Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6376 ff. Samtleben, RabelsZ 59 (1995), 670; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 22; Weitere Nachw. z.B. auch bei Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 106 ff.; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129. Zustimmend Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ, 1996, 89 m.w.N. S. auch Hess, EuZPR, 2010, § 5 Rz. 1, S. 182. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 891; zustimmend Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, 141. Anders OLG Hamm v. 18.9.1997 – 5 U 89/97, IPRax 1999, 244 (246) (Aull 226); unentschieden BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286–97, RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (Schulte 229) = LM Nr. 1 zu LugÜ = IPRspr. 1998 Nr. 137. Das OLG Hamm a.a.O. hatte die Anwendung des Art. 17 LugÜ abgelehnt, weil trotz seines eindeutigen Wortlauts als ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung ein „internationaler Bezug“ erforderlich sei. Nach dem Sinn und Zweck der Konvention bestehe keine Notwendigkeit, Art. 17 LugÜ 1988 auf Zuständigkeitsvereinbarungen anzuwenden, bei denen beide Parteien ihren Sitz in demselben Vertragsstaat (hier: Deutschland) haben. Diesen bleibe es unbenommen, die Pro- bzw. Derogation nach nationalem Recht vorzunehmen. Der internationale Bezug könne nicht durch Wahl eines ausländischen Gerichts hergestellt werden. Diese nur von einer Minderheit vertretene Ansicht führt zu einer extremen Zurückdrängung des Konventionsrechts und ist schlicht konventionswidrig, R. Geimer, IPRax 1991, 31. Die meisten Anhänger einer teleologischen Reduktion plädieren bei Begründung eines „Außengerichtsstandes“ für die Anwendung des LugÜ, wenn wie im vorliegenden Fall die in Deutschland ansässigen Parteien die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Vertragsstaates vereinbaren,
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
ons- als auch hinsichtlich des Derogationseffekts Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007, nicht das nationale Recht.1173 Vereinbaren sie jedoch die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, so regelt die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ, sondern § 38 ZPO. Deutschland ist ohnehin nach Art. 4 I EuGVVO n.F. international zuständig.
Auch die Auffassung, dass Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ dann nicht zum Zuge komme, wenn nur ein Bezug zu dritten Staaten vorliegt, ist abzulehnen (Rz. 1264).1174 Dies dürfte auch die Linie des EuGH zu Art. 23 EuGVVO a.F. sein.1175 Nunmehr stipuliert Art. 6 I EuGVVO ohnehin den universellen Geltungsanspruch des Art. 25 EuGVVO (Rz. 1605). Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007 begründet eine Vermutung für die 1647 Ausschließlichkeit des forum prorogatum, während das autonome deutsche Recht eine solche Vermutung nicht kennt (Rz. 1736). In Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen kann zu Lasten des Versi- 1648 cherten etc. bzw. Verbrauchers1176 bzw. Arbeitnehmers1177 erst nach Entstehung der Streitigkeiten eine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen werden.1178 Zu den Verbrauchern zählen auch private Kapitalanleger, die über ihre Banken an (ausländischen) Börsen Spekulationsgeschäfte tätigen.1179
1173 1174
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Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 29 ff.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, 2000, 51 ff.; Zöller/Geimer, ZPO30, Anh I Art. 23 EuGVVO Rz. 5. OLG München v. 13.2.1985, Riv. dir. int. proc. 1986, 931 = IPRspr. 1985 Nr. 133A. R. Geimer, NJW 1986, 1438; R. Geimer, IPRax 1991, 31; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 29; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 104; Saenger, ZZP 110 (1997), 481; Nachw. bei de Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 192. EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C-412/98, NJW 2000, 3121 = RIW 2000, 787 = The European Legal Forum 1 (2000), 49 (R. Geimer) = IPRax 2000, 520 (Staudinger 483) = IStR 2000, 574. Nicht anwendbar sind im europäischen Verbraucherkompetenzrecht die Sonderregeln für Verbraucher, wenn beide Parteien Verbraucher sind, weil die kompetenzrechtliche Privilegierung nur bei typisch ungleichgewichtigen Vertragspartnern der ratio legis entspricht, EuGH v. 5.12.2013 – Rs. C-508/12 – Walter Vapenik/Josef Thurner, EuZW 2014, 147 (zu Art. 6 EuVTVO); hierzu Staudinger, LMK 2014, 355575; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 18; Kodek in Geimer/Schütze, IRV 570 Art. 6 Rz. 6; kritisch Kloepfer/Ramic´, GPR 2014, 107. Noch nicht durchgesetzt hat sich die Ansicht, dass Athleten (Profisportler) im Verhältnis zu ihrem Verband als Arbeitnehmer einzustufen seien. Nachw. z.B. bei Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 69. Art. 15 Nrn. 1 und 2, Art. 19 Nrn. 1 und 23 Nrn. 1 und 2 EuGVVO sowie Art. 13 Nrn. 1 und 2, Art. 17 Nrn. 1 und 2, Art. 21 Nrn. 1 und 2 LugÜ. Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 58. OLG Köln v. 16.3.1989 – 12 U 197/88, ZIP 1989, 838 = EWiR 1989, 681 (Schütze) = IPRspr. 1989 Nr. 187; BGH v. 29.1.1991 – XI ZR 17/90, WM 1991, 360 (Thode), offen gelassen von EuGH v. 19.1.1993 – Rs. C-89/91, NJW 1993, 1251 = RIW 1993, 420 = IPRax 1992, 92 (Koch 71). Eindeutig bejahend Jordans, Schiedsgerichte bei Termin-
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1649 Die EuGVVO und das LugÜ bringen Einheitsrecht nicht nur für die Form, sondern auch für das Zustandekommen der Zuständigkeitsvereinbarung1180 (s. aber Rz. 1781d, 1874 f.). Unrichtig ist es daher, auf das nationale, die Zuständigkeitsvereinbarung regelnde Kompetenzrecht oder auf die lex causae des Hauptvertrages abzustellen.1181 Allerdings macht Art. 25 I EuGVVO n.F. wieder einen „Rückzieher“, weil er hinsichtlich Teilaspekten des Zustandekommens der Zuständigkeitsvereinbarung auf die lex fori prorogati einschließlich des dortigen Kollisionsrechts verweist. 1650–1651 Einstweilen frei
IX. Möglicher Inhalt einer Zuständigkeitsvereinbarung 1. Prorogation und Derogation 1652 Die Parteien können vereinbaren – eine Prorogation, d.h. ein an und für sich international unzuständiger Staat soll aufgrund der Zuständigkeitsvereinbarung international zuständig sein und/oder – eine Derogation, d.h. ein an und für sich international zuständiger Staat soll aufgrund der Zuständigkeitsvereinbarung international unzuständig sein. 1653 Beide Aspekte sind streng voneinander zu trennen, auch dann, wenn sie Gegenstand ein und derselben Zuständigkeitsvereinbarung sind.1182 Bei der Prorogation der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines an und für sich international unzuständigen Staates begründet die Zuständigkeitsvereinbarung die internationale Zuständigkeit des prorogierten Staates und derogiert gleichzeitig die internationale Zuständigkeit aller übrigen international zuständigen Staaten. Notwendig ist aber die Koppelung von Prorogation und Derogation in ein und derselben Zuständigkeitsvereinbarung nicht. Denkbar sind auch reine Prorogations- und reine Derogationsvereinbarungen. 1654 Im ersten Fall wird die an und für sich nicht vorhandene Zuständigkeit eines Staates begründet, ohne die internationale Zuständigkeit anderer Staaten auszuschließen; im zweiten Fall wird durch die Zuständigkeitsvereinbarung der Parteien lediglich die internationale Zuständigkeit eines oder mehrerer Staaten ausgeschlossen, ohne die internationale Zuständigkeit anderer Staaten zu begründen (isolierte Derogationsvereinbarung).1183 1655 Der Fall der isolierten Derogationsvereinbarung – ohne gleichzeitige Prorogation – wird durch den Wortlaut des § 38 ZPO nicht gedeckt. Gleichwohl ist es all-
1180 1181 1182 1183
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geschäften und Anlegerschutz, 2007, 21; R. Geimer in FS Martiny, 2014, 711. S. auch M. Weller, WM 2014, 1681. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 75; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 353. Offen gelassen von OLG Dresden v. 2.6.1999, IPRspr. 1999 Nr. 115. S. auch Art. 1 II (e) Rom I-VO. S. z.B. auch Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6353. Zustimmend z.B. Tsikrikas in FS Rolf Stürner, 2013, 1375, 1576.
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
gemeine Meinung, die Regeln des § 38 ZPO, insbes. die Formvorschriften, auch auf solche isolierten Derogationen anzuwenden.1184 Sind die Zuständigkeiten sämtlicher Gerichte dieser Erde derogiert, so liegt im 1656 Ergebnis ein Rechtsschutzverzicht (Rz. 1967) vor. Ob dies tatsächlich von den Parteien gewollt war, ist eine Frage der Auslegung. Wird die ausschließliche Zuständigkeit eines Staates vereinbart, so ist im Zwei- 1657 fel davon auszugehen, dass die Annahme der Prorogation durch die Gerichte dieses Staates Bedingung ist für die Derogation der internationalen Zuständigkeit der übrigen Staaten (Rz. 1763).1185 2. Vertragsfreiheit der Parteien Hinsichtlich der Formulierung der Zuständigkeitsvereinbarung lässt das Gesetz 1658 den Parteien freie Hand. Im Regelfall vereinbaren die Parteien die (ausschließliche) Zuständigkeit eines Gerichts. Damit ist auch der Staat fixiert, dessen internationale Zuständigkeit Gegenstand der Zuständigkeitsvereinbarung ist. Es kann aber auch nur die internationale Zuständigkeit Deutschlands vereinbart werden. Dann ist eine örtliche Zuständigkeit nach Maßgabe von Rz. 1753 zu ermitteln (Rz. 1615). 3. Keine Gleichberechtigung Nicht notwendig ist, dass durch die Zuständigkeitsvereinbarung die Parteien 1659 gleichberechtigt sind (sofern sichergestellt ist, dass eine entsprechende Einigung ordnungsgemäß, d.h. ohne unerlaubten Druck [Rz. 1600], zustandegekommen ist). So kann z.B. vereinbart werden, dass nur eine Partei oder ein Dritter sich auf die Vereinbarung berufen können soll, sie also nur dann zum Zuge kommt, wenn die begünstigte Person klagt bzw. verklagt wird.1186 Im Zweifel derogiert aber eine „normale“ ausschließliche Prorogation für beide Seiten alle übrigen (gesetzlichen) Gerichtsstände (Rz. 1109). Eine „zuständigkeitsrechtliche Paschastellung“1187 ist die Ausnahme. Sie muss ausdrücklich vereinbart sein. Denn aus den Umständen des Einzelfalls dürfte sich in den allermeisten Fällen wohl kaum die konkludente Vereinbarung einer solchen Privilegierung einer Partei herausdestillieren lassen.1188 1184 Nachw. bei F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 73. 1185 OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IPRax 2006, 469 (Weller 444) = NJOZ 2004, 3346 = IPRspr. 2004 Nr. 116. 1186 Diese „einseitig fakultative“ Zuständigkeitsvereinbarung war in Art. 17 IV EuGVÜ/ LugÜ a.F. angesprochen; hierzu Kohler, IPRax 1983, 340 (345); Killias, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem LugÜ, 1993, 225; Pfeiffer, IPRax 1998, 17; Schulte, IPRax 1999, 229. In Art. 25 EuGVVO n.F. bzw. Art. 23 LugÜ 2007 ist Art. 17 IV a.F. nicht wiederholt worden. Man hat vielmehr bereits in Abs. 1 die Ausschließlichkeit des forum prorogatum relativiert durch die Einfügung des Nachsatzes „sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben“. 1187 Terminus von Schulte, IPRax 1999, 229 (232). 1188 Anders aber BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, IPRax 1999, 246 (Schulte 229).
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Internationale Zuständigkeit
4. Mehrere Fora 1660 Zulässig ist auch die Prorogation mehrerer Fora, unter denen der jeweilige Kläger bzw. (nur) eine Partei wählen darf.1189 5. Maßgeblichkeit der Parteirolle (reziproke Gerichtsstandsklauseln) 1661 Denkbar ist auch, das jeweilige forum prorogatum von der Parteirolle abhängig zu machen. Beispiele: „Jede Partei ist berechtigt, an ihrem Wohnsitz/Sitz zu klagen“1190 oder „Jede Partei darf nur an ihrem Wohnsitz/Sitz verklagt werden.“ Eine solche Vereinbarung derogiert etwaige konkurrierende Gerichtsstände. Es soll also nur der jeweilige Wohnsitzstaat des Beklagten zuständig sein.1191
6. Begünstigung Dritter/zu Lasten Dritter 1662 Zulässig sind (Rz. 1730).1192
auch
Zuständigkeitsvereinbarungen
zugunsten
Dritter
1663 Dagegen ist eine Zuständigkeitsvereinbarung zu Lasten Dritter unwirksam (Rz. 1731). Ausnahme: Der Dritte stimmt dieser Zuständigkeitsregel zu (s. auch Rz. 1731b).
X. Bestimmung des forum prorogatum durch einen Dritten 1664 Die Parteien brauchen – auch in den Fällen des § 38 III ZPO – das forum prorogatum nicht selbst zu bestimmen. Sie können einen Dritten damit betrauen. Unterlässt dieser trotz Aufforderung durch eine Partei innerhalb angemessener Frist die Forum-Bestimmung, dann wird die Zuständigkeitsvereinbarung gegenstandslos. 1665 Die „Drittbestimmung“ lässt sich dogmatisch folgendermaßen erklären: Unzweifelhaft können die Parteien eine Person unter Befreiung vom § 181 BGB bevollmächtigen, für sie eine Zuständigkeitsvereinbarung abzuschließen. Dann muss 1189 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 = IPRspr. 2005 Nr. 117; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 170; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 3c („Die Parteien können daher optionale Gerichtsstandsvereinbarungen treffen, welche dem späteren Kläger die Auswahl zwischen Gerichten in mehreren Mitgliedstaaten eröffnen.“); Kropholler/ von Hein, EuZPR9, Art. 23 EuGVO Rz. 72; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6484; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht 2, IntVertrVerfR Rz. 288; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 519. 1190 OLG München v. 8.8.1984 – 7 U 1880/84, IPRax 1985, 341 (Jayme/Haack 323) = RIW 1986, 381 = IPRspr. 1984 Nr. 141; LG Frankfurt/M. v. 9.5.1986 – 3/11 O 138/85, RIW 1986, 543 = IPRspr. 1986 Nr. 133. 1191 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78 – Meeth/Glacetal, Slg. 1978, 2133 = RIW 1978, 814 = NJW 1979, 1100. Vgl. auch Schnyder, RabelsZ 47 (1983) 340. 1192 R. Geimer, NJW 1985, 533; zustimmend Rauscher, IPRax 1992, 146.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
aber per argumentum a maiore ad minus gelten: Sie können auch einen Dritten ermächtigen, ihre „Grundvereinbarung“ über eine Zuständigkeitsvereinbarung hinsichtlich des zuständigen Gerichts zu ergänzen.1193
XI. Internationaler Bezug der Zuständigkeitsvereinbarung Ob die Zuständigkeitsvereinbarung (auch) die internationale Zuständigkeit be- 1666 rührt (Rz. 947, 1633, 1706) oder lediglich aus der Perspektive der örtlichen Zuständigkeit relevant ist, lässt sich ex ante nie mit Sicherheit sagen. Beispiel: Ein Münchner und ein Hamburger Kaufmann vereinbaren die Zuständigkeit des LG München I. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses liegt ein reiner Inlandsfall vor. Dies ändert sich jedoch, wenn der Hamburger sich zur Ruhe setzt und nach Göteborg verzieht. Auch eine umgekehrte Fallkonstellation ist denkbar. Ein Münchner und ein Wiener vereinbaren die Zuständigkeit des LG München I. Der Wiener verlegt seinen Wohnsitz nach Bayern.
Einstweilen frei 1667–1670
XII. Maßgeblicher Zeitpunkt 1. Internationale Zuständigkeitsvereinbarung (§ 38 II ZPO) Die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts ist für die Anwendung des § 38 II ZPO 1671 (Rz. 1612) wichtig. Nach h.M. kommt es auf den Zeitpunkt der Zuständigkeitsvereinbarung an. Zu diesem Zeitpunkt muss eine der Vertragsparteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland haben.1194 2. Abgrenzung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten Zuständigkeitsvereinbarungen, an denen andere als die in § 38 I ZPO genannten 1672 Personen beteiligt sind, bedürfen der Form des § 38 II 2 bzw. III ZPO (Rz. 1621). Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung. Formfreie Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit sind also nur wirksam, wenn die Vertragsparteien bei Abschluss der Vereinbarung zu dem in § 38 I ZPO genannten Personenkreis gehören. Spätere Veränderungen berühren die Wirksamkeit der Vereinbarung nicht. Umgekehrt wird die Unwirksamkeit durch späteren Erwerb der Kaufmannseigenschaft nicht geheilt. Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge bindet die wirksam geschlossene Zuständigkeitsvereinbarung, auch wenn die Rechtsnachfolger die in § 38 I ZPO genannten Eigenschaften nicht besitzen.
1193 Ohne Stellungnahme Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 31. 1194 Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 179.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
3. Anwendungsbereich der europäischen Zuständigkeitsordnung 1673 Die Frage des Zeitpunkts spielt auch eine große Rolle im Verhältnis zwischen der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des LugÜ zum autonomen Recht (Rz. 1645).1195
XIII. Gerichtswahl und Rechtswahl (Zuständigkeitsvereinbarungen und Vereinbarungen über das anwendbare Recht) 1674 Forum und ius sind zu trennen auch im Bereich der Parteivereinbarungen. Die Rechtswahl bedeutet keine Gerichtswahl (Rz. 1755, 1775).1196 Die Gerichtswahl ist an sich keine Rechtswahl, doch bei der ausschließlichen Prorogation ein starkes Indiz. Qui elegit iudicem, elegit ius.1197
XIV. Selbständigkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gegenüber materiell-rechtlichem Hauptvertrag 1674a Ebenso wie die Schiedsvereinbarung (§ 1040 I 2 ZPO) ist die Zuständigkeitsvereinbarung als Prozessvertrag1198 selbständig im Verhältnis zum materiellrechtlichen Hauptvertrag1199 und einer evtl. Rechtswahlvereinbarung.1200 Der Rechtsgedanke des § 139 BGB kommt nicht zur Anwendung. Bei wirksamer Zuständigkeitsvereinbarung kann das forum prorogatum über die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit des materiell-rechtlichen Hauptvertrages und der Rechtswahlvereinbarung entscheiden bzw. muss sich das forum derogatum einer meritorischen Entscheidung enthalten. Umgekehrt folgt aus der Unwirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung nicht automatisch die Unwirksamkeit der materiellrechtlichen Vereinbarung.
1195 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 886. 1196 S. auch Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 308. 1197 Erwägungsgrund 12 zur Rom I-VO; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 116. Eine „verdeckte“ Rechtswahl sieht BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, MDR 1991, 610 = NJW 1991, 1420 = RIW 1991, 1046 = IPRspr. 1991 Nr. 171 in Gerichtsstandsklausel in Konnossementbedingungen. Vgl. auch Rabe, Seehandelsrecht4, Vor § 556 Rz. 133. 1198 Zur umstrittenen Qualifikation der Zuständigkeitsvereinbarung Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 1; Wagner, Prozessverträge, 1998, 346; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 185; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1166. Zu Schadensersatzansprüchen aus Verletzung der Zuständigkeitsvereinbarung bei Klage am forum derogatum Schlosser in FS Lindacher, 2007, 111. 1199 Ebenso aus österr. Sicht Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 104 JN Rz. 6. 1200 Deutlich nunmehr auch Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZPInt 17 (2012), 183. S. auch Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
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XV. Lex fori Außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 25 EuGVVO n.F. (Rz. 1605, 1874h) 1675 bzw. des Art. 23 LugÜ 20071201 und der sonstigen Staatsverträge (Rz. 1605, 1792) bestimmt ausschließlich das deutsche Recht über Zulässigkeit, Form und Wirkung einer Zuständigkeitsvereinbarung.1202 Auf die lex causae des Hauptvertrages kommt es nicht an (Rz. 1741 ff.).1203 Dies gilt sowohl für den Prorogationswie auch den Derogationsaspekt. Die Zulässigkeit der Begründung der internationalen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch Parteivereinbarung beurteilt sich stets nach deutschem Recht. Ausschließlich das deutsche Prozessrecht bestimmt, wann deutsche Gerichte eine internationale Prorogation anzunehmen haben.1204 Deshalb ist es für das deutsche Gericht irrelevant, dass das ausländische Recht den Abschluss eines Derogations- bzw. Prorogationsvertrags von der Wahrung der Schriftform abhängig macht, wenn eine solche nach § 38 I ZPO nicht erforderlich ist.1205 Irrelevant ist, ob sich der ausländische Staat, dessen internationale Zuständigkeit 1676 derogiert wurde, für ausschließlich international zuständig erachtet (Rz. 1744). Das Gleiche gilt für die Frage der Derogation der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 1757).1206 Auch hier bestimmt allein das deutsche Recht, ob und unter welchen Voraussetzungen der Ausschluss des Zugangs zu den deutschen Gerichten möglich und wirksam ist, vgl. z.B. Rz. 1769;
1201 Zur Abgrenzung gegenüber dem genuin nationalen Recht Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 127. 1202 BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 (2886) = RIW 1997, 778 = IPRax 1998, 470 (Gottwald/Baumann) = IPRspr. 1997 Nr. 142; OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, NJW-RR 1997, 638 = RIW 1997, 328 = IPRspr. 1996 Nr. 139; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (463) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156; Schack, IPRax 1990, 19. 1203 Zur separability-Doktrin Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 286; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 126. 1204 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 296, 307; Kralik, ZZP 74 (1961), 42 Fn. 85; Habscheid in FS Schima, 1969, 188; R. Geimer, NJW 1971, 323; BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23 = AWD 1972, 356 (von Hoffmann 416) = NJW 1972, 1622 (R. Geimer) = IPRspr. 1972 Nr. 140. Anders wohl Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZPInt 17 (2012), 183 (200 ff.). 1205 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 = IPRspr. 1985 Nr. 142. 1206 RG v. 19.1.1935, SeuffArch 89 Nr. 117 = Giur.comp.d.i.p. 6 (1940) 238 Nr. 203 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 530; RG v. 9.6.1936, JW 1936, 3185 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 532; OLG Koblenz v. 27.3.1987 – 2 U 608/83, NJW-RR 1988, 1401 = IPRspr. 1987 Nr. 125; OLG München v. 31.3.1987 – 6 W 788/87, NJW 1987, 2166 = RIW 1988, 479 = IPRspr. 1987 Nr. 126. S. auch Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab (ed.), Arbeitsrecht-Blattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Internationale Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 528.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
davon zu unterscheiden ist die Beurteilung von aus deutscher Sicht relevanten Umständen am (ausländischen) forum prorogatum. So kann z.B. die Annahmebereitschaft des forum prorogatum (Rz. 1763) bzw. die Frage, ob dort ein Stillstand der Rechtspflege eingetreten ist (Rz. 1024) nur nach dem dort geltenden Recht geklärt werden. Aber die Konsequenz, dass in solchen Fällen die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands unwirksam ist und deshalb der Zugang zu den deutschen Gerichten eröffnet ist, beruht auf der deutschen lex fori.1207
XVI. Zustandekommen einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung 1. Prorogations- bzw. Derogationsstatut 1677 Von der Frage der Zulässigkeit und der Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung, die ausschließlich nach der deutschen lex fori zu beurteilen sind (Rz. 1757), zu trennen ist die Frage nach dem Statut für das Zustandekommen einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung.1208 Dieses ist nicht identisch mit dem Statut des Hauptvertrages.1209 Für die Zuständigkeitsvereinbarung als Prozessvertrag1210 gelten eigene Regeln.1211 Aus der Einordnung der Zuständigkeitsvereinbarung als Prozessvertrag1212 folgt nicht automatisch die Geltung der lex fori. Vielmehr ist ein eigenes Statut für das Zustandekommen der Zuständigkeitsvereinbarung zu fordern.1213 Auszugehen ist von den deutschen Rechtsgrundsätzen über das Zustandekommen von Verträgen. Dies gilt auch für die
1207 Anders Hau, IPRax 1999, 232 (236), der nur sekundär über ordre public-Erwägungen zur deutschen lex fori kommt. 1208 S. auch von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 82; Tsikrikas in FS Stürner, 2013, 1379; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 122 m.w.N. 1209 R. Geimer, NJW 1971, 391. Umfassende Nachw. z.B. bei Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56 (57) und bei Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZPInt 17 (2012), 183 (193). 1210 OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, NJW-RR 1997, 638 = RIW 1997, 328 = IPRspr. 1996 Nr. 139; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 1, 17; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 185, 208; Wagner, Prozessverträge, 1998, 557; anders aus österr. Sicht Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 104 JN Rz. 2; Heiss/Zobel, IPRax 2004, 266 (267). 1211 Nachw. z.B. bei Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 79 ff. 1212 RG v. 19.1.1935, SeuffArch 89 Nr. 117 = Giur.comp.d.i.p. 6 (1940) 238 Nr. 203 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 530; RG v. 9.6.1936, JW 1936, 3185 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 532; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 185. 1213 R. Geimer, NJW 1972, 391. Weniger dezidiert Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 31: „Die Parteien können ausdrücklich oder schlüssig ein vom Hauptvertrag getrenntes, eigenes Prorogationsstatut vereinbaren“.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Frage, ob eine in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel Vertragsbestandteil geworden ist.1214 Die lex fori muss jedoch in bestimmten Fällen zugunsten der Anwendung ausländischer Regeln über das Zustandekommen von Vereinbarungen zurückgedrängt werden. So gilt z.B. der Satz des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts, dass auch unter Kaufleuten eine internationale Zuständigkeitsvereinbarung dann nicht zustande gekommen ist, wenn nach dem Recht des Aufenthaltsortes das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben rechtlich nicht relevant ist.1215 Der Bundesgerichtshof geht bisher1216 einen anderen Weg. Er qualifiziert die Zu- 1678 ständigkeitsvereinbarung als einen „materiell-rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“, dessen Zustandekommen sich nach bürgerlichem Recht richte.1217 Er beurteilt das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung nach dem allgemeinen Vertragsrecht derjenigen Rechtsordnung, nach der sich auch das zugehörige, den Inhalt des gesamten Vertrages bildende materielle Rechtsverhältnis der Parteien richtet.1218
1214 Unklar OLG Hamburg v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, RIW 1986, 462 = IPRspr. 1985 Nr. 36. Ausführlich Rauscher, ZZP 104 (1991), 284 ff.; a.A. (lex causae des materiellrechtlichen Hauptvertrages OLG Dresden v. 2.6.1999, IPRspr. 1999 Nr. 115). 1215 R. Geimer, NJW 1972, 1622. Beispiel (belgisches Recht): OLG Hamm v. 18.10.1982 – 2 W 29/82, NJW 1983, 523 = RIW 1983, 56, 207 = IPRspr. 1982 Nr. 19. Zum gleichen Ergebnis kommen die Anhänger der materiell-rechtlichen Theorie (Rz. 1679) durch Anwendung des Art. 31 II EGBGB. 1216 Gelegentlich lässt aber der BGH die Frage offen, „ob für Gerichtsstandsvereinbarungen ein eigenes Prorogationsstatut anerkannt werden kann.“ So BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = IPRax 1999, 367 (Dörner/ Staudinger) = WiB 1997, 494 (Ralle). 1217 BGH v. 15.4.1970, NJW 1971, 323 (R. Geimer) = IPRspr. 1970 Nr. 12; BGH v. 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 = AWD 1971, 589 = MDR 1972, 44 = NJW 1972, 391 (R. Geimer) = IPRspr. 1971 Nr. 133; BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, MDR 1984, 121 = RIW 1983, 872 (874) = NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe 8) = IPRspr. 1983 Nr. 128b; hierzu Mann, NJW 1984, 2741 sowie Rabe, TranspR 1985, 83; BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, MDR 1989, 335 = NJW 1989, 1431 = IPRspr. 1988 Nr. 165 = IPRax 1990, 41 (Schack 19); BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 (2886) = RIW 1997, 778 = IPRax 1998, 470 (Gottwald/Baumann) = IPRspr. 1997 Nr. 142; BAG v. 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119 = JZ 1979, 647 (R. Geimer) = IPRspr. 1978 Nr. 144; OLG Köln v. 9.9.1996 – 19 U 253/95, RIW 1997, 233 = IPRspr. 1996 Nr. 155; OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (463) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156; OLG Dresden v. 2.6.1999, IPRspr. 1999 Nr. 115; offen gelassen von BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131 und OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 = IPRspr. 1985 Nr. 142, weitere Nachw. bei Schütze, IPRax 1984, 247; Schütze, IPRax 1985, 112; Schütze, DIZPR, 1985, 46. 1218 BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 = IPRax 1998, 470 (Gottwald/Baumann).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1679 Damit verquickt er das Schuldstatut des Hauptvertrages (Art. 3 ff. Rom I-VO)1219 mit dem Prorogationsstatut1220 und beschwört unentwirrbare Komplikationen herauf.1221 1680 Die Gültigkeit der Rechtswahl (diese Frage wird für die Anhänger der materiellrechtlichen Theorie des Bundesgerichtshofs unvermeidlich) richtet sich nach h.M. nach dem Vertragsstatut, d.h. nach dem Recht, das die Parteien tatsächlich zu wählen beabsichtigt haben, Art. 3 V, 10 I Rom I-VO, vormals Art. 27 IV, 31 I EGBGB.1222 2. Vertragsschluss 1681 Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung können die Parteien für ihren konkreten Fall nur im gegenseitigen Einvernehmen abwählen. Daher ist es notwendig, zu prüfen, ob ein Vertragsschluss stattgefunden hat. Diese Prüfung verschwimmt oft mit der Erörterung, ob die Formerfordernisse beachtet wurden. Dogmatisch sind jedoch beide Aspekte klar zu trennen, ebenso wie das Zustandekommen der Zuständigkeitsvereinbarung von dem Zustandekommen des (materiell-rechtlichen) Hauptvertrages (Rz. 1719). Wird eine in einem schriftlichen Vertragsentwurf enthaltene Gerichtsstandsklausel nach Unterzeichnung durch einen Teil von der anderen Vertragspartei abgeändert, so trägt diese die Beweislast dafür, dass die Vereinbarung schon durch mündliche Verständigung zustande gekommen ist.1223
1219 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, 6. 1220 Beispiel: BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, NJW 1987, 1145 = WM 1987, 273 (274) = IPRax 1988, 26 (Basedow 15) = EWiR 1987, 405 (Geimer) = IPRspr. 1986 Nr. 128b betreffend Gerichtsstandsklausel in Konnossement. Trotz Art. 37 Nr. 1 EGBGB a.F. wurde Art. 31 I EGBGB a.F. analog angewandt, hierzu Sandrock, RIW 1986, 845. Vgl. auch Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 133. 1221 Martiny, AWD 1972, 165 ff.; Ebsen/Jayme, AWD 1972, 300; von Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 510 ff. S. auch Rz. 1649. Dieser Linie folgen: Gottwald/Baumann, IPRax 1998, 445; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 482; OLG Hamburg v. 18.10.1994 – 6 U 138/84, TranspR 1985, 90 (Rabe 83) = VersR 1985, 858 (Röhrcke 1117) = IPRspr. 1984 Nr. 147 sowie OLG Hamburg v. 20.11.1986 – 6 U 223/85, RIW 1988, 56 (maßgeblich sei Rechtswahlklausel im Konnossement); OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (147) = IPRax 1987, 308 (Schwarz 291) = IPRspr. 1987 Nr. 122; LG München v. 27.11.1990 – 9 HKS 15821/90, RIW 1991, 150 = IPRspr. 1990 Nr. 181. 1222 BGH v. 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 (77); OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129. Anders aber BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, MDR 1984, 121 = RIW 1983, 872 (873) = NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe 8) = IPRspr. 1983 Nr. 128b; hierzu Mann, NJW 1984, 2741 sowie Rabe, TranspR 1985, 83. Roth, ZZP 93 (1980), 156 lässt sogar eine auf die Zuständigkeitsvereinbarung beschränkte Rechtswahl zu. Vgl. auch R. Geimer, IPRax 1991, 35 Fn. 52. 1223 BGH v. 18.3.1993, IPRspr. 1993 Nr. 137.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
3. Konkretisierung des Streitgegenstandes Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung kann nicht pauschal und ohne Bezug zu 1682 einem konkreten Rechtsstreit von den Parteien verändert werden. Notwendig ist eine Konkretisierung der Vereinbarung auf einen bestimmten bereits entstandenen Rechtsstreit oder einen künftigen Rechtsstreit, der aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringt, § 40 I ZPO, vgl. auch § 1029 I ZPO.1224 Die Streitigkeiten, für welche die Zuständigkeitsvereinbarung gelten soll, müssen genau bezeichnet werden. Eine pauschale Unterwerfung für beliebige, nicht näher bezeichnete Rechtsstreitigkeiten unter ein bestimmtes Forum ist unzulässig. Die Folgen einer solchen Vereinbarung wären für die Parteien nicht absehbar. Es würde ihre Zuständigkeitsinteressen zu stark beeinträchtigen.1225 Aktuell wird das Problem der Konkretisierung i.d.R. nur bei Zuständigkeitsver- 1683 einbarungen vor Entstehen der Streitigkeit. Haben die Parteien bei Abschluss des Hauptvertrages vereinbart, dass alle sich aus der vertraglichen Beziehung eventuell ergebenden Streitigkeiten von einem bestimmten Gericht entschieden werden sollen, so ist das Rechtsverhältnis ausreichend gekennzeichnet. Künftige Rechtsverhältnisse brauchen nur nach Art und Gegenstand bestimmbar zu sein, z.B. Geschäfte im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung (Rz. 1781d).1226 Das Bestimmtheitserfordernis für künftige Rechtsverhältnisse darf nicht zu streng ausgelegt werden.1227 Entscheidend ist der Erwartungshorizont des (präsumtiven) Beklagten. Eine Partei darf nicht dadurch überrascht werden, dass der Streitgegenstand eine andere Beziehung betrifft als diejenige, anlässlich derer die vertragliche Begründung oder Derogation eines Gerichtsstandes vorgenommen wurde. So genügt eine Gerichtsstandsklausel im Rahmenvertrag für die sich aus Einzellieferungen ergebenden Streitigkeiten. Z.B. wird ein Vertragshändlervertrag durch den Abschluss der auf ihn bezogenen einzelnen Kaufverträge zwischen den Parteien durchgeführt.1228 Erfasst werden im Rahmen des betreffenden Vertragsverhältnisses auch Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung, Darlehensrückzahlung sowie solche aus Bürgschaften, Wechseln und Garantien.1229 1224 OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621 = IPRspr. 1999 Nr. 112; Jung, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach dem EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und nach § 38 Abs. 2 ZPO, 1980, 112; Staudinger/Hausmann, 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 210. S. auch Wagner, Prozessverträge, 1998, 593. 1225 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 156; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6481. Vgl. auch Wagner, Prozessverträge, 1998, 559. 1226 Zu eng OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, AG 1993, 42 = RIW 1993, 141 = WM 1992, 1736 = ZIP 1992, 1234 = EWiR 1992, 989 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 195. 1227 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89, Slg. 1992 I 1756 (1769 – Rz. 30 ff.) = AG 1992, 264 = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (Koch 19), ergangen aufgrund Vorlagebeschluss des OLG Koblenz v. 1.6.1989 – 6 U 1946/87, OLGZ 1989, 483 = RIW 1989, 739 = EWiR 885 (R. Geimer) = IPRspr. 1989 Nr. 192. 1228 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 157; Kindler/Haneke, IPRax 1999, 435 (436). 1229 Enger OLG Oldenburg v. 19.7.1997 – 15 U 59/97, IPRax 1999, 458.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
4. Insbesondere: Zuständigkeitsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1684 Gegenstand der Willenseinigung: Eine in AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel ist nur dann als vereinbart anzusehen, wenn – in Schriftform (§ 38 III ZPO) bzw. halber Schriftform (§ 38 II ZPO) – unmissverständlich zum Ausdruck gekommen ist, dass der Gerichtsstand tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, mag auch die Einbeziehung der AGB im Übrigen formlos wirksam sein. Denn anderenfalls wäre einer Umgehung der Formvorschrift,1230 die unter anderem im Streitfalle die sichere Feststellung einer Einigung der Parteien über den Gerichtsstand gewährleisten soll, Tür und Tor geöffnet.1231 1685 Diese Überlegung des EuGH trifft grundsätzlich auch für den Anwendungsbereich des autonomen Rechts zu (§ 38 ZPO).1232
1230 § 38 II ZPO bzw. Art. 17 I EuGVÜ/LugÜ I bzw. Art. 23 EuGVVO/LugÜ II. 1231 So zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-24/76 – Colzani/Rüwa, Slg. 1976, 1831 = NJW 1977, 494 = RIW 1977, 104; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-25/76 – Segoura/ Bonakdarian, Slg. 1976, 1851 = NJW 1977, 495; EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, Slg. 1984, 2417 = RIW 1984, 909 = IPRax 1985, 152 (Basedow 133); BGH v. 4.5.1977, RIW 1977, 649; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (Koch 406) = IPRspr. 1996 Nr. 147; OLG Hamburg v. 11.9.1974, RIW 1975, 498; OLG Hamburg v. 19.9.1984 5 U 56/84, RIW 1984, 916; OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (Duintjer Tebbens) = IPRspr. 1984 Nr. 134; OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = RIW 1985, 890 = IPRspr. 1984 Nr. 150 (nicht ausreichend: „Bitte Rückseite (= AGB) beachten“); LG Heidelberg v. 30.11.1982 – O 142/82 KfH I, IPRax 1984, 99 (Jayme) = IPRspr. 1982 Nr. 162A; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 = RIW 1992, 670 = IPRax 1992, 165 (Rauscher 143) = IPRspr. 1991 Nr. 180. Zur Einbeziehung der ADSp (§ 65b: Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Auftragsverhältnis oder im Zusammenhang damit entstehen, ist für alle Beteiligten, soweit sie Vollkaufleute sind, der Ort derjenigen Handelsniederlassung des Spediteurs, an die der Auftrag gerichtet ist) OLG Schleswig v. 25.5.1987 – 16 U 27/87, NJW-RR 1988, 283 = IPRspr. 1987 Nr. 129; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 (969) = IPRax 2000, 121 (Haubold) = IPRspr. 1998 Nr. 162; LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, RIW 1996, 774 = IPRspr. 1996 Nr. 148; AG Köln v. 6.2.1985 – 119 C 270/84, RIW 1986, 384 = IPRspr. 1985 Nr. 133; Vgl. auch OLG Braunschweig v. 28.10.1999, TranspR-IHR 2000, 4 = IPRspr. 1999 Nr. 130. S. auch Rz. 1693; Rauscher, ZZP 104 (1991) 284 ff. 1232 LG Hamburg v. 31.1.1984 – 30 O 217/82, IPRax 1985, 282 (Samtleben 261) = IPRspr. 1984 Nr. 130. Zur Frage der Einbeziehung der Allgemeinen deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) BGH v. 5.6.1981 – I ZR 64/79, MDR 1982, 113 = RIW 1982, 55; LG Mannheim v. 11.8.1981 – 24 O 171/80, RIW 1982, 55; OLG Hamburg v. 31.10.1985 – 6 U 117/85, RIW 1987, 149; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 (969) = IPRax 2000, 121 (Haubold) = IPRspr. 1998 Nr. 162; Bydlinski in MüKo.HGB, 1997, vor § 1 ADSp Rz. 28 ff. Zu Konnossementen BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, MDR 1984, 121 = RIW 1983, 872 (874) = NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe 8) = IPRspr. 1983 Nr. 128b; hierzu Mann, NJW 1984, 2741 sowie Gottwald in FS Firsching, 1985, 96; kritisch Rabe, RIW 1984, 589; Rabe, TranspR 1985, 83; Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 133 ff. Vgl. auch Rz. 1677. Zu den Banken-AGB (Nr. 6 II) Mühlhausen, WM 1986, 990.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Etwas anderes soll jedoch für Zuständigkeitsvereinbarungen nach § 38 III ZPO (Rz. 1607) gelten, da diese Vorschrift eine ausdrückliche Vereinbarung verlangt (Rz. 1622, 1693).1233 Ein ausdrücklicher Hinweis auf die (in AGB enthaltene) Gerichtsstandsklausel 1686 ist nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 17 EuGVÜ (nunmehr Art. 25 EuGVVO n.F.),1234 die auch zur Auslegung des § 38 ZPO heranzuziehen ist, nicht erforderlich, arg. Art. I Abs. 2 des Protokolls zum EuGVVÜ (LuxemburgVorbehalt) = Art. 63 EuGVVO a.F.1235 (Rz. 1623).1236 Es reicht, wenn die Parteien im Text ihres Vertrages auf ein Angebot Bezug genommen haben, das seinerseits ausdrücklich auf die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden, dem Vertragspartner zugegangenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen hatte. Notwendig ist aber ein deutlicher Hinweis, dem eine Partei bei Anwendung normaler Sorgfalt nachgehen kann.1237 Eine mittelbare oder stillschweigende Verweisung auf vorangegangenen Schriftwechsel genügt nicht, da in diesem Fall keine Gewissheit darüber besteht, dass sich die Einigung auf die Gerichtsstandsklausel erstreckt. Die Gerichtsstandsklausel wird aber anerkannt, wenn die Bezugnahme auf beigefügte AGB in der schriftlichen Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes enthalten ist und wenn das Angebot schriftlich angenommen wird.1238 Enthält ein Bestätigungsschreiben, das eine Partei der anderen (nach mündli- 1687 chem Abschluss eines Vertrages ohne Zuständigkeitsvereinbarung) übersendet, erstmals einen Hinweis auf eine Gerichtsstandsklausel, so kommt dadurch eine Zuständigkeitsvereinbarung nicht zustande; denn es fehlt an einer Einigung, es sei denn, der Empfänger des Bestätigungsschreibens nimmt das Bestätigungsschreiben schriftlich an, dann ist die Formalternative der beiderseitigen Schriftlichkeit erfüllt.1239 Das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben ist also kompetenzrechtlich belanglos. Die Form (halbe Schriftlichkeit) ist zwar gewahrt. Es fehlt aber an einer Einigung der Parteien.1240
1233 LAG Düsseldorf v. 7.2.1984 – 16 Sa 1714/83, RIW 1984, 651 = IPRspr. 1984 Nr. 132. 1234 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-24/76 – Colzani/Rüwa, Slg. 1976, 1831 (1841 – Rz. 10) = NJW 1977, 494; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 86; Für Anwendung der §§ 305–310 BGB Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 131 ff. 1235 Die Luxemburg-Klausel wurde in die ab 10.1.2015 anzuwendende EuGVVO n.F. nicht übernommen. 1236 Stein/Jonas/Bork, ZPO23, § 38 Rz. 30. 1237 OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 = WM 2000, 2192 = IPRspr. 2000 Nr. 119. 1238 OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96 BSch, VersR 1999, 639 = TranspR 1999, 454 = IPRspr. 1998 Nr. 140. 1239 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-25/76 – Segoura/Bonakdarian, Slg. 1976, 1851 = NJW 1977, 495; BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, MDR 1995, 29 = NJW 1994, 2699 = RIW 1994, 508 = JR 1995, 456 (Dörner) = EWiR 1994, 985 (Mankowski) = IPRspr. 1994 Nr. 137. 1240 OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (Duintjer Tebbens 262) = IPRspr. 1984 Nr. 134; M. J. Schmidt, RIW 1992, 173; Rauscher, ZZP 104 (1991), 284 ff.
629
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1688 Ausnahme: Laufende Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien auf der Grundlage von AGB. Auch wenn bei mündlichem Vertragsschluss keine Einigung über die in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel stattgefunden hat, weil auf die bereits früher verwandten Geschäftsbedingungen nicht mehr von neuem ausdrücklich Bezug genommen wurde, kommt eine formgültige Zuständigkeitsvereinbarung zustande, wenn dem Bestätigungsschreiben durch die andere Vertragspartei nicht widersprochen wurde.1241 1689 Lesbarkeit (ohne Lupe und ohne Mühe) der AGB ist nicht generell Voraussetzung für die wirksame Einbeziehung der AGB. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.1242 1690 Missbrauchskontrolle: Art. 29 EGBGB, der eine Rechtswahl für Verbraucherverträge verbietet, insoweit dem Verbraucher der durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts seines Aufenthaltsstaates gewährte Schutz entzogen wird, ist auch nicht analog anwendbar. 1691 Eine Missbrauchskontrolle nach §§ 138, 242, 307 II, 310 BGB ist möglich.1243 Sie darf jedoch nicht zur grundsätzlichen Unzulässigkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen zwischen Nichtkaufleuten führen. Anders ist jedoch bedauerlicherweise der Trend der (die internationalen Aspekte bisher nicht ausreichend berücksichtigenden) Rechtsprechung, auch unter dem Eindruck von Anhang Nr. 3q der Klauselrichtlinie 93/13/EWG.1244
1241 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. C-25/76 – Segoura/Bonakdarian, Slg. 1976, 1851; hierzu Kohler, IPRax 1991, 300 zu 3. 1242 Rabe, RIW 1984, 589; OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (985) = IPRspr. 1985 Nr. 142; anders BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, MDR 1984, 121 = RIW 1983, 872 = NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe 8) = IPRspr. 1983 Nr. 128b; hierzu Mann, NJW 1984, 2741 sowie Rabe, TranspR, 1985, 83. Großzügiger als BGH auch OLG Hamburg v. 18.10.1984 – 6 U 138/84, VersR 1985, 858 (Rabe 83; Röhrcke 1117) = IPRspr. 1984 Nr. 147; LG Hamburg v. 18.5.1984, IPRspr. 1984 Nr. 138. 1243 Nachw. z.B. Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56 (58). S. auch Leible/Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, RIW 2007, 481. 1244 Hierzu EuGH v. 27.6.2000 – Rs. C-240/98 bis C 244/98, RIW 2000, 700 = IPRax 2001, 128 (Hau 96), ZIP 2000, 1165 = DB 2000, 2056 (Staudinger); Borges, RIW 2000, 933; Leible, RIW 2001, 422; Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3685); Pfeiffer in FS Schütze, 1999, 671; Reich, ZEuP 1998, 984 (990); BGH v. 18.4.1985 – VII ZR 359/83, BGHZ 94, 156 (157) = MDR 1985, 835 = NJW 1985, 2090 = RIW 1985, 649 = IPRax 1987, 305 (Nicklisch 286); OLG Karlsruhe v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950 = IPRspr. 1981 Nr. 171; OLG Hamburg v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, RIW 1986, 462 = IPRspr. 1985 Nr. 36. Nachw. bei Rauscher, ZZP 104 (1991), 271; Henke, Enthält die Liste des Anhangs der KlauselRL 93/13/EWG Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts?, 2010; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 240.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ scheidet eine Kontrolle 1692 nach §§ 307 II, 310 BGB aus, da insoweit nur Einheitsrecht gilt.1245 (Vgl. auch Rz. 1491a). In den Fällen des § 38 III ZPO ist eine ausdrückliche schriftliche (Rz. 1622) Zu- 1693 ständigkeitsvereinbarung erforderlich. Notwendig ist daher ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel (Rz. 1622, 1692a). Unter Kaufleuten sind Gerichtsstandsklauseln üblich, daher führt z.B. § 307 II Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 41 CMR nicht zur Unwirksamkeit von § 65b ADSp (Rz. 1684).1246 5. Unsicherheiten bei der Bestimmung der Vertragspartei Solche machen eine (internationale) Zuständigkeitsvereinbarung nach der 1694 Rechtsprechung nicht von vorneherein unwirksam. Vielmehr ist eine verständnisvolle Auslegung geboten. Das Hauptbeispiel ist der Seefrachtvertrag (Konnossemente).1247 Das materielle Recht hält Regelungen bereit, um bei Zweifeln über die Person des Vertragspartners nicht selten zu einer Bestimmung desselben zu kommen. Schon die Notwendigkeit, im Falle der Reklamation von Ladungsschäden den Anspruchsgegner ausfindig zu machen, zwingt die Ladungsbeteiligten, nach den Regeln des auf das Vertragsverhältnis anwendbaren materiellen Rechts den Verfrachter zu bestimmen. Ist dies geschehen, so steht damit zugleich fest, bei welchem Gericht der Verfrachter (ausschließlich) in Anspruch genommen werden kann.1248 6. Geschäfts- und Vertragssprache Da die Wortbedeutung in zwei oder mehreren Sprachen selten identisch ist, ein 1695 übersetztes Wort in einer anderen Sprache noch eine Nebenbedeutung haben kann und nicht selten hat, der Sinngehalt des übersetzten Wortes damit vom zu übersetzenden Wort abweichen kann, wird in Verträgen meist bestimmt, welcher Text verbindlich sein soll (Verbindlichkeitssprache).1249
1245 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 70; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 = RIW 1992, 670 = IPRax 1992, 165 (Rauscher 143) = IPRspr. 1991 Nr. 180. Vgl. auch Art. 5 II des schweizer. IPR-Gesetzes. Danach ist die Derogation der internationalen Zuständigkeit der Schweiz unwirksam, „wenn einer Partei ein Gerichtsstand des schweizer. Rechts missbräuchlich entzogen werden wird“. 1246 Zu § 6 II Banken-AGB (ausschließlich Zuständigkeit für Prozesse gegen die Bank am Sitz der jeweils kontoführenden Niederlassung/Filiale) Mühlhausen, WM 1986, 990; RG v. 9.6.1936, JW 1936, 3185 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 532 (Rz. 1463). 1247 OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, TranspR 1997, 113 = IPRspr. 1996 Nr. 161. 1248 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 = IPRspr. 1985 Nr. 142. Zur Widerlegung der Vermutung des § 644 Satz 1 HGB BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, NJW 1991, 1420 = RIW 1991, 1046 = WM 1991, 1124 = MDR 1991, 610 = TranspR 1991, 243 (Karsten Schmidt 217). S. auch Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Maritime Transport Documents, 2010, 166. 1249 Beckmann, RIW 1981, 79; Reinhart, IPRax 1982, 226; Spellenberg in FS Ferid, 1988, 463.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1696 Mit der Verbindlichkeit eines in einer bestimmten Sprache abgefassten Textes ist aber die Frage der Willenseinigung über den Text noch nicht mitentschieden, jedenfalls dann nicht, wenn die Vertragssprache eine andere ist als die Verbindlichkeitssprache. Wird aufgrund Vereinbarung oder tatsächlicher Übung eine Sprache als Vertragssprache gewählt, so müssen gleichwohl die Verhandlungsergebnisse (= Inhalt des Vertrages) nicht notwendig in dieser Sprache niedergelegt werden.1250 Werden Vertragsverhandlungen ausschließlich in einer bestimmten Sprache geführt, so muss danach eine Gerichtsstandsvereinbarung zumindest auch in dieser Sprache textlich gefasst werden. Sind einer Auftragsbestätigung Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) in einer Sprache beigefügt, deren sich die Vertragsparteien bei ihren Verhandlungen nicht bedient haben, so werden diese i.d.R. nicht Vertragsbestandteil, jedenfalls dann nicht, wenn eine Vertragspartei die andere Sprache nicht beherrscht,1251 sofern nicht ein unmissverständlicher Hinweis in der Verhandlungssprache auf die anderssprachigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufmerksam macht.1252 1697 Im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO und des Art. 23 LugÜ 2007 gilt europäisches Einheitsrecht. Der nationale Gesetzgeber ist nicht befugt, die Verwendung einer bestimmten Sprache vorzuschreiben.1253 7. Zeitschranke des § 38 III Nr. 1 ZPO 1698 Grundsatz. Nichtkaufleute können grundsätzlich erst nach Entstehen der Streitigkeit Zuständigkeitsvereinbarungen schließen. § 38 III Nr. 1 ZPO. Hierfür genügt irgendeine Unsicherheit bzw. die Äußerung unterschiedlicher Rechtsansich-
1250 A.A. OLG Stuttgart v. 19.7.1962, MDR 1964, 412 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 210; AG Wangen v. 4.1.1978, IPRspr. 1978 Nr. 134; OLG Düsseldorf v. 2.11.1973, AWD 1974, 103 = IPRspr. 1973 Nr. 136, da nur dann sichergestellt sei, dass beide Seiten sich über den Text geeinigt haben, und nur dann es zu einer Willenseinigung gekommen sei, die klar und deutlich ist. 1251 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 = IPRspr. 2005 Nr. 117. Hierzu Spellenberg, Doppelter Gerichtsstand in fremdsprachigen AGB, IPRax 2007, 98. S. auch AG Wangen v. 4.1.1978, IPRspr. 1978 Nr. 134. Zur Pflicht des Gerichts, sich bei der Auslegung einer fremdsprachigen Vertragsklausel sachverständig beraten zu lassen, BGH v. 16.10.1986 – III ZR 121/85, MDR 1987, 212 = RIW 1987, 150 = NJW 1987, 591 = IPRspr. 1986 Nr. 3. 1252 OLG Frankfurt v. 11.12.2002 – 23 U 185/01, NJW-RR 2003, 704 = IPRspr. 2002 Nr. 161. S. auch OLG Hamm v. 6.12.2005, OLG-Report 2006, 327 (328). 1253 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. C-150/80 – Elefanten Schuh/Jacqmain, Slg. 1981, 1671 = RIW 1981, 709 = IPRax 1982, 234 (Leipold 222) = Rev. crit. 1982, 143 (Gaudemet/Tallon). Vgl. auch BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, WM 1989, 1941 = WuB VII B 1. Art. 17 EuGVÜ Nr. 1.90 (Welter) = IPRax 1991, 326 (Kohler 299) = IPRspr. 1989 Nr. 197. Zur „Willenseinigung“ i.S. von Art. 17 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 23 EuGVVO, wenn die Gerichtsstandsklausel in fremdsprachigen AGB enthalten ist, Kohler, IPRax 1991, 300 in Auseinandersetzung mit OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324. S. auch den Vorlagebeschluss des BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, RIW 1992, 756 = IPRax 1992, 373 (Jayme 357) = EuZW 1992, 514 (R. Geimer) = EWS 1992, 282 = MDR 1992, 996 = IPRspr. 1992 Nr. 181b.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
ten.1254 Dass eine Gerichtsstandsvereinbarung deshalb nicht wirksam zugleich mit dem (Haupt-)Vertrag abgeschlossen werden kann, dessen künftige Streitigkeiten sie regeln soll, stimmt zwar meist, aber nicht immer, z.B. dann nicht, wenn die Vereinbarung zur außergerichtlichen Beilegung eines Streites geschlossen wird. Beispiel: Eine Partei erhebt gegen die andere Ansprüche. Die Streitigkeit ist damit entstanden. Es kommt zu einem Vergleich mit Gerichtsstandsvereinbarung.
Auch ein Beitritt zu einer bereits wirksam mit einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 38 I, II oder III ZPO versehenen fremden Schuld ist möglich. Dieser erfasst – wenn nichts anderes vereinbart wurde – auch die Zuständigkeitsvereinbarung, ohne dass die Voraussetzungen des § 38 III ZPO im Hinblick auf den Beitretenden neu geprüft werden müssten. Ausnahmen. Wenn mindestens eine der Parteien bei Abschluss der Zustän- 1699 digkeitsvereinbarung1255 ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat (dabei spielt es keine Rolle, ob sie daneben noch einen Wohnsitz und/oder eine Niederlassung oder eine sonstige Anknüpfung i.S. von §§ 20 ff. ZPO im Inland hat, Rz. 1614), gilt die Zeitschranke des § 38 III Nr. 1 ZPO nicht, § 38 II 1 ZPO. Weiter kann bereits vor Entstehen der Streitigkeit ein inländischer Gerichtsstand 1700 für den Fall vereinbart werden, dass eine Partei ihren Wohnsitz/Sitz im Inland aufgibt (und in das Ausland verlegt). 8. Stellvertretung Stellvertretung ist grundsätzlich zulässig. Auch Nicht-Rechtsanwälte können – 1701 vorbehaltlich der Beschränkungen des Rechtsberatungsgesetzes – zum Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung ermächtigt werden. Die Prozessvollmacht umfasst das Recht, Zuständigkeitsvereinbarungen zu schließen.1256 Die Vollmacht kann auch im Anwendungsbereich des § 38 III Nr. 1 ZPO bereits 1702 vor Entstehen der Streitigkeit wirksam erteilt werden. Vollmachten im Klauselwerk von AGB sind aber unwirksam, soweit sie offensichtlich darauf abstellen, die Zeitschranke des § 38 III Nr. 1 ZPO zu umgehen.
1254 R. Geimer, NJW 1986, 1439. Enger Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 510 Fn. 1159. 1255 Hierzu näher BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 = MDR 1997, 288 = NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = RIW 1997, 149 (151) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = WiB 1997, 494 (Ralle) = ZIP 1996, 2184 = IPRspr. 1996 Nr. 160. 1256 Vgl. auch Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 80.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
9. Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung 1703 Die Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung trifft diejenige Partei, die sich auf die Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung beruft.1257 10. Beweismittel 1704 Die Formvorschriften (Rz. 1619) bedeuten keine Beschränkung der Beweismittel: bei Verlust der Urkunde kann mit allen zulässigen Beweismitteln der Abschluss einer formgerechten Vereinbarung bewiesen werden.1258 11. Klage auf Feststellung der Wirksamkeit bzw. der Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung 1705 Für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist der Gedanke maßgebend, dass nicht nur bei Dauerrechtsverhältnissen die Parteien nicht im Unklaren darüber gelassen werden dürfen, wo sie gerichtspflichtig sind (Rz. 1870).1259 12. Teilunwirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung 1706 Ist die Zuständigkeitsvereinbarung im Hinblick auf einen an der Vereinbarung Beteiligten (z.B. gegenüber dem Bürgen) unwirksam, so berührt dies im Zweifel nicht die Wirksamkeit gegenüber den übrigen Beteiligten.1260
XVII. Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung 1. Kompetenzverschiebung 1707 Durch eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung wird die gesetzliche Zuständigkeitsordnung modifiziert: – Die Bundesrepublik Deutschland wird international zuständig, obwohl sie „an sich“ nach Maßgabe der §§ 12 ff. ZPO nicht international zuständig wäre (Fall der Prorogation). – Die Bundesrepublik Deutschland wird international unzuständig, obwohl sie „an sich“ nach §§ 12 ff. ZPO international zuständig wäre (Fall der Derogation). 1708 In vielen Fällen hat die Zuständigkeitsvereinbarung keine praktische Bedeutung für den Richter im Erkenntnisverfahren, da das forum prorogatum bereits kraft Gesetzes zuständig ist (vgl. Rz. 947, 1633, 1668). 1709–1712 Einstweilen frei 1257 R. Geimer, IPRax 1986, 87; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 = IPRspr. 1999 Nr. 129. 1258 R. Geimer, IPRax 1986, 87. 1259 R. Geimer, WM 1986, 122. Allgemein zur Zulässigkeit von Feststellungsklagen über kompetenzrechtlich relevante Rechtsfragen Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (65). 1260 OLG München v. 26.5.2003, OLG-Report 2005, 19.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
2. Prüfungspflicht des Gerichts? Derogation: Eine Prüfung von Amts wegen scheidet jedenfalls dann aus, wenn 1713 der Beklagte am Verfahren teilnimmt. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, ist der Richter im Erkenntnisverfahren nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob die an sich nach Art. 4 ff. EuGVVO bzw. §§ 12 ff. ZPO zu bejahende internationale Zuständigkeit Deutschlands etwa derogiert ist. Er hat ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten nur dann abzulehnen, wenn sich aus dem Vortrag des Klägers ergibt, dass eine wirksame Derogationsvereinbarung zustande gekommen ist. Im Übrigen hat der Beklagte die prozessuale Last, sich in den Prozess einzu- 1714 schalten und die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu rügen (Rz. 1425, 1809, 1820).1261 Hängt dagegen die internationale Zuständigkeit Deutschlands von einer Pro- 1715 rogation ab, da ein „gesetzlicher“ Zuständigkeitsanknüpfungspunkt in concreto fehlt, so darf der Richter ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten nur dann erlassen, wenn die Zuständigkeitsprüfung positiv verlaufen ist. 3. Pflichten der Parteien Eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung erzeugt (prozessuale) Pflichten1262 1716 für die Parteien nach Maßgabe dessen, was Gegenstand der Einigung der Parteien war. Haben die Parteien einen ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart, so darf keine Partei am forum derogatum klagen, sofern nicht vernünftige Zweifel an der Wirksamkeit dieser Vereinbarung bestehen. Die wirksame Zuständigkeitsvereinbarung erschöpft sich also nicht in prozessualen Befugnissen bzw. Lasten. Sie begründet – auch als Prozessvertrag1263 – echte Pflichten. Im Falle der ausschließlichen Prorogation sind die Parteien verpflichtet, nicht in den derogierten Staaten zu klagen.1264 Sie dürfen vielmehr ihren Streit nur vor die Gerichte des als ausschließlich international zuständig prorogierten Mitgliedstaates bringen.1265 Jede Partei hat also einen Anspruch auf „Realerfüllung“ der Zuständigkeitsvereinbarung.1266 Diese Verpflichtung ist aber nur bedingt gerichtlich durchsetzbar. Klagt eine Par- 1717 tei vertragswidrig am forum derogatum, so bleibt dem Beklagten nur die Möglichkeit, den Derogationseinwand im Gerichtsstaat zu erheben. Eine Klage bzw.
1261 Hierzu auch Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001, 83. 1262 Hierzu näher Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001, 81 ff. 1263 Nachw. zur Rechtsnatur z.B. bei Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem LugÜ, 1993, 10; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6355. 1264 Zum „Verpflichtungscharakter“ der Gerichtsstandsvereinbarung Jegher, Abwehrmassnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 130 ff. Zu Schadensersatzansprüchen aus Verletzung der Zuständigkeitsvereinbarung bei Klage am forum derogatum Schlosser in FS Lindacher, 2007, 111. 1265 Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/1, 1983, 943. 1266 Vgl. Berti in FS Siehr, 2000, 33, 41.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Klageerhebung bzw. auf Rücknahme der Klage am forum derogatum ist unzulässig (Rz. 1116).1267 1718 Verstößt eine Partei gegen ihre vorgenannten Verpflichtungen, so steht der anderen ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Kosten und sonstigen Aufwendungen zu.1268 Denkbar ist jedoch, dass die abredewidrig handelnde Partei sich darüber hinaus schadensersatzpflichtig macht, wenn sie ohne einigermaßen nachvollziehbaren Grund die Zuständigkeitsvereinbarung konterkariert (Rz. 1122).1269
XVIII. Objektive Grenzen des Umfangs einer Zuständigkeitsvereinbarung 1. Maßgebend ist der Wille der Parteien 1719 Eine Zuständigkeitsvereinbarung betrifft – wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist – nicht nur die örtliche, sondern auch die internationale Zuständigkeit (Rz. 947, 1633, 1668). Im Zweifel werden auch (mit den vertraglichen konkurrierende) deliktische Ansprüche mitumfasst1270 (Rz. 1771). Die Zuständigkeitsvereinbarung erfasst das gesamte Vertragsverhältnis einschließlich Nachträgen, Ergänzungen und Vergleich1271 (soweit letztere in rechtlichem Zusammenhang mit dem ursprünglichen Vertrag stehen)1272 sowie Streitigkeiten über das wirksame Zustandekommen und das Bestehen des Hauptvertrages.1273 1267 R. Geimer, WM 1986, 122. 1268 Nachw. bei G. Wagner, Prozessverträge, 1998, 254 ff.; Rauscher/Mankowski, EuZPR/ EuIPR, 2011, Vorbem. Art. 2 Rz. 20h; Schlosser, RIW 2006, 486 (487). 1269 Hierzu näher Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA, 2001, 73 ff. Zum „Verpflichtungscharakter der Gerichtsstandsvereinbarung“ s. auch Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 130. Zu Schadensersatzansprüchen aus Verletzung der Zuständigkeitsvereinbarung bei Klage am forum derogatum Pfeiffer, Die Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen durch Vereinbarung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs, in FS Lindacher, 2007, 77; Schlosser, Materiell-rechtliche Wirkungen von (nationalen und internationalen) Gerichtsstandsvereinbarungen, in FS Lindacher, 2007, 111; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (805). 1270 v. Falkenhausen, RIW 1983, 420; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 206; Schütze, DIZPR2, Rz. 177; Schack, IPRax 1990, 20 Fn. 20; BGH v. 24.11.1964 – VI ZR 187/63, NJW 1965, 300; OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = ZZP 1990, 84 (Hubert Schmidt) = IPRspr. 1989 Nr. 186; OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 (334) = IPRax 1992, 86 (Roth 68); OLG Hamburg v. 25.5.1978, RIW 1979, 495; OLG Stuttgart v. 8.11.2007 – 7 U 104/07, MDR 2008, 709; enger OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150/80, RIW 1982, 669 = VersR 1982, 341 = IPRspr. 1981 Nr. 156 sowie Vischer in FS Jayme, 2004, 993. Weitere Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 179. 1271 BGH v. 3.11.1983, MDR 1984, 649 = LM Nr. 23 zu § 38 ZPO = IPRspr. 1983 Nr. 196. 1272 OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, NJW-RR 1988, 1334 = RIW 1987, 144 (147) = IPRax 1987, 308 (Schwarz 291). 1273 Jayme/Kohler, IPRax 1992, 353; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 264.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
§ 139 BGB ist insoweit nicht anwendbar.1274 In den „Anwendungsbereich“ einer Zuständigkeitsvereinbarung fallen grundsätzlich auch Wechsel- und Scheckansprüche sowie der einstweilige Rechtsschutz (Rz. 1767). 2. Konnossemente Die Konnossement-Klausel „Any dispute arising under this Bill of Lading shall 1720 be decided in the country where the Carrier has his principal place of business“1275 umfasst auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Streitigkeiten unter dem Konnossement entstehen meist aus Ladungsschäden. Ladungsschäden aber führen i.d.R. sowohl zu Ansprüchen aus dem Frachtvertrag als auch zu Ansprüchen aus unerlaubter Handlung (Eigentumsverletzung). All diese Streitigkeiten sollen allein durch das prorogierte Gericht entschieden werden. Die Parteien wollen nicht über denselben Lebenssachverhalt teils vor inländischen, teils vor ausländischen Gerichten prozessieren, je nachdem, ob der Anspruchsteller denselben Anspruch mit Vorschriften des Vertragsrechts oder des Rechts der unerlaubten Handlung begründet.1276 Auch Deliktsansprüche sind im Übrigen Ansprüche „unter dem Konnossement“. Solche Ansprüche kann der Empfänger aber nur stellen, wenn ihm durch Übergabe des Konnossements das Eigentum an dem Ladungsgut übertragen worden ist. Ob nach englischer Rechtsauffassung derartige Gerichtswahlklauseln nur die 1721 vertraglichen Ansprüche betreffen, ist unerheblich (Rz. 1675). Über die Zuständigkeit ist nach deutschem Recht zu entscheiden; dass die Klausel in englischer Sprache abgefasst ist, ist keine Verweisung auf englisches Recht. Englisch ist nämlich die in der internationalen Schifffahrt übliche Sprache, auch in Fällen, die mit englischem Recht nichts zu tun haben.1277 Bestritten ist, ob eine Zuständigkeitsvereinbarung auch Ansprüche wegen vor- 1722 sätzlich falscher Konnossementsausstellung mitumfasst.1278 Steht die Gerichtsstandsklausel unter der Überschrift „US-Trade, Period of Responsibility“, so liegt für Streitigkeiten über Vorgänge außerhalb des US-Verkehrs keine Zuständigkeitsvereinbarung vor.1279
1274 OLG München v. 13.2.1985, Riv. dir. int. proc. 1986, 931 = IPRspr. 1985 Nr. 133A (Rz. 1115). 1275 Hierzu Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 133 ff. 1276 BGH v. 24.11.1964 – VI ZR 187/63, NJW 1965, 300; OLG Hamburg v. 25.5.1978 – 6 U 181/77, VersR 1978, 1115 = RIW 1979, 495 = IPRspr. 1978 Nr. 141. 1277 OLG Hamburg v. 29.5.1978 – 6 U 181/77, VersR 1978, 1115 = RIW 1979, 495 = IPRspr. 1978 Nr. 141. 1278 Dafür OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (895) = IPRspr. 1985 Nr. 142. 1279 OLG Bremen v. 5.12.1985 – 2 U 91/85, TranspR 1986, 153 = IPRspr. 1985 Nr. 46. Zu Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen s. auch OLG Hamburg v. 2.2.1989 – 6 U 99/88, TranspR 1989, 279 = IPRspr. 1989 Nr. 65; OLG Hamburg v. 23.3.1989 – 6 U 157/88, VersR 1990, 680 = TranspR 1990, 680 = IPRspr. 1989 Nr. 66; OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, TranspR 1997, 113 = IPRspr. 1996 Nr. 161.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
XIX. Subjektive Grenzen der Wirkungen einer Zuständigkeitsvereinbarung 1. Grundsatz: Wirkung nur inter partes 1723 Die Zuständigkeitsvereinbarung wirkt grundsätzlich nur zwischen den Parteien1280 und ihren Rechtsnachfolgern (Einzel- und Gesamtrechtsnachfolgern),1281 gegenüber letzteren aber ausnahmsweise nicht, wenn die Vereinbarung ausdrücklich auf die ursprünglichen Parteien beschränkt wurde, also die Rechtsnachfolger ausklammert.1282 Die Zuständigkeitsvereinbarung wirkt gegenüber den Erben, bei der Abtretung einer Forderung gegenüber dem neuen Gläubiger, bei einer Pfändung gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger (vgl. auch Rz. 3276), ferner für und gegen den zur Prozessführung ermächtigten Gesellschafter der oHG, für die eine Prorogation abgeschlossen wurde, ebenso für und gegen den Gesellschafter einer oHG/KG, der persönlich für die Schulden der Gesellschaft haftbar gemacht wird,1283 sowie für und gegen den Vertragsübernehmer.1284 1724 Dagegen ist der Bürge kein Rechtsnachfolger des Hauptschuldners, der Schuldübernehmer nicht der des Erstschuldners.1285 Die für eine Wechselforderung getroffene Zuständigkeitsvereinbarung bindet den gutgläubigen Erwerber nur, wenn sie aus dem Wechsel selbst hervorgeht. Die Vereinbarung eines späteren Gemeinschuldners vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bindet den Insolvenzverwalter. Dabei kommt es nicht darauf an, wie man seine Stellung einordnet (gesetzlicher Zwangsverwalter oder Partei kraft Amtes). 1725 Wenn ein Ehegatte im Rahmen des § 1357 BGB ein Geschäft abschließt, so wirkt die hierfür getroffene Zuständigkeitsvereinbarung auch gegen den anderen Ehegatten.1286 1726 Bei mehreren Beklagten ist die internationale Zuständigkeit in Richtung gegen jeden von ihnen getrennt zu prüfen. Die Zuständigkeitsvereinbarung mit dem Beklagten A eröffnet nicht die internationale Zuständigkeit gegen den Beklagten B. 1727 Die Gerichtswahlklausel im Konnossement gilt im Zweifel auch im Verhältnis zwischen Verfrachter und Empfänger. Streitigkeiten aus dem Konnossement entstehen regelmäßig zwischen Verfrachter und Empfänger. Gerade für solche 1280 Zulässig sind auch multipolare Vereinbarungen, also solche zwischen mehr als zwei (sich kontradiktorisch gegenüberstehenden) Parteigruppen bzw. der Beitritt eines Dritten zu einer bereits wirksam abgeschlossenen Zuständigkeitsvereinbarung, OLG Köln v. 13.3.1998 – 19 U 231/97, NJW-RR 1998, 1350 = IPRspr. 1998 Nr. 141. 1281 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (985) = IPRspr. 1985 Nr. 142; R. Geimer, NJW 1985, 534; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 201; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 470, Fn. 1078. S. auch Zöller/Geimer, ZPO30, § 1029 Rz. 63 ff. 1282 Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 182. 1283 OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, MDR 1989, 360 = RIW 1989, 221 (222). 1284 OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, NJW-RR 1997, 638 = RIW 1997, 328 = IPRspr. 1996 Nr. 139. 1285 OLG Frankfurt v. 6.11.1979 – 5 U 39/79, MDR 1980, 318 = RIW 1980, 60 = IPRspr. 1979 Nr. 71; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 14. 1286 A.A. Zöller/Vollkommer, ZPO30, § 38 Rz. 7.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Streitigkeiten ist die Zuständigkeitsvereinbarung sinnvoll.1287 Das Gleiche gilt für den Prozessstandschafter.1288 Das Konnossement ändert oder modifiziert nicht die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter. Das Konnossement verbrieft die Verpflichtung des Verfrachters, die zur Beförderung übernommenen Güter an den durch die Urkunde legitimierten Empfänger auszuliefern, §§ 513 ff. HGB.1289 2. Ausnahme: Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten Dritter Das inter partes-Prinzip gilt dann nicht, wenn der (an der Zuständigkeitsverein- 1728 barung nicht beteiligte) Dritte begünstigt wird, d.h. seine Klagemöglichkeiten erweitert werden. In Betracht kommt also nur die Schaffung (an sich nicht gegebener) neuer Gerichtsstände durch Prorogation, nicht aber die Einschränkung der vorhandenen zu Lasten der Klagemöglichkeiten des Dritten (Rz. 1665).1290 Der Beklagte muss aber an der Zuständigkeitsvereinbarung beteiligt gewesen sein. Denn seine Gerichtspflichtigkeit kann nicht ohne seine Mitwirkung bei der Zuständigkeitsvereinbarung erweitert werden. Dem hier vertretenen Standpunkt neigt auch der EuGH zu.1291 Zu Recht weist der EuGH auf Art. 12 Nr. 2 EuGVÜ (nunmehr: Art. 15 Nr. 2 EuGVVO n.F.) hin. Der dort genannte Begünstigte ist nicht Vertragspartei.1292 3. Keine Zuständigkeitsvereinbarung zu Lasten Dritter Es geht nicht an, die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten ohne dessen Beteiligung 1729 an der Zuständigkeitsvereinbarung zu erweitern. Solche Vereinbarungen sind im Hinblick auf den (unbeteiligten) Dritten unwirksam (Rz. 1663).1293 Der Empfänger der Güter muss sich die Zuständigkeitsvereinbarung im Konnossement entgegenhalten lassen; denn er ist nicht Dritter, sondern Rechtsnachfolger.1294 1287 OLG Hamburg v. 25.5.1978 – 6 U 181/77, VersR 1978, 1115 = RIW 1979, 495 = IPRspr. 1978 Nr. 141; OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150/80, RIW 1982, 669 = VersR 1982, 341 = IPRspr. 1981 Nr. 156. Vgl. auch EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, Slg. 1984, 2471 = RIW 1984, 909 (Schlosser) = IPRax 1985, 152 (Basedow) sowie EuGH v. 27.10.1998 – Rs. C-51/97 – Réunion européenne SA u.a./Spliethoff’s Bevrachtingskontoor BV u.a., Slg. 1998, I 6511 = IPRax 2000, 186 (Koch). 1288 OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, TranspR 1997, 113 = IPRspr. 1996 Nr. 161. 1289 Zum HGB a.F. BGH v. 23.11.1978, BGHZ 73, 4 = NJW 1979, 1102 (Karsten Schmidt) = RIW 1979, 340 = IPRspr. 1978 Nr. 148. 1290 R. Geimer, NJW 1985, 533. S. auch Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Maritime Transport Documents, 2010, 173, 177. 1291 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, Slg. 1984, 2471 = RIW 1984, 909 (Schlosser) = IPRax 1985, 152 (Basedow 133). Weiter gehend Mankowski, IPRax 1996, 427 sowie Gebauer, IPRax 2001, 471 (472). 1292 Weitere Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 183. 1293 R. Geimer, NJW 1985, 533. 1294 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. C-71/83 – Russ/Nova, Slg. 1984, 2417 = RIW 1984, 909 (Schlosser) = IPRax 1985, 152 (Basedow 133). Zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Vertragsketten Gebauer, IPRax 2001, 471.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
4. Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gegenüber dem falsus procurator 1730 Kommt der vom Vertreter geschlossene Vertrag mit dem Vertretenen nicht zustande, weil die (behauptete) Vollmacht fehlt oder unwirksam ist, so kann der Vertragspartner den falsus procurator im forum prorogatum des (gescheiterten) Vertrages belangen. Es wäre arglistig, wollte sich der als Vertreter Handelnde darauf berufen, die Zuständigkeitsvereinbarung sei nicht mit ihm geschlossen.1295 5. Beitritt zu einer Zuständigkeitsvereinbarung? 1731 Darüber hinaus will Rauscher1296 die Gerichtsstandsvereinbarung erstrecken „auf Dritte, die der Vereinbarung nachweisbar zugestimmt haben und die aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung wegen eines Anspruchs herangezogen werden sollen, der vertraglicher Natur ist“. Er will die einmal formgerecht gefasste Gerichtsstandsvereinbarung – ohne dass die Form im Verhältnis zu dem Dritten gewahrt wäre – dem Dritten „aufgrund seines Willens und in einer in Betracht kommenden vertraglichen Mitverpflichtung“ zurechnen.
XX. Aufhebung oder Änderung der Zuständigkeitsvereinbarung 1732 Die Parteien können die Zuständigkeitsvereinbarung jederzeit aufheben oder ändern. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien die ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands vereinbart hatten. Die Bundesrepublik Deutschland hat kein „Mitspracherecht“, wenn es um die Aufhebung ihrer durch Prorogation geschaffenen internationalen Zuständigkeit geht (Rz. 855). 1733 Die Aufhebung der Zuständigkeitsvereinbarung hat – wenn der Prozess bereits beim forum prorogatum rechtshängig ist – für die deutsche internationale Zuständigkeit keine Bedeutung, wenn (auch) der Tatbestand des § 39 ZPO verwirklicht ist.1297 Im Übrigen dürfte perpetuatio fori (§ 261 I Nr. 1 ZPO) eingetreten sein.1298 1734 Klagt eine Partei am forum derogatum und lässt sich die andere vorhaltlos ein (§ 39 ZPO), dann liegt darin eine (konkludente) Aufhebung der ausschließlichen Prorogation (des anderen Staates)1299 (Rz. 1418).
1295 Rauscher, IPRax 1992, 146; Rauscher/Mankowski, EuZPR2, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 43e. Anders wohl LG Karlsruhe v. 6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153. Offen gelassen von OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IHR 2005, 169 (171) = IPRax 2006, 469 (Weller 444) = NJOZ 2004, 3346 = IPRspr. 2004 Nr. 116. 1296 Rauscher, IPRax 1992, 146. 1297 Misst man der Aufhebung nur ex nunc-Wirkung bei, erscheint die Anwendbarkeit des § 39 ZPO zweifelhaft, weil diese Vorschrift (internationale) Unzuständigkeit voraussetzt. Bei ex tunc-Wirkung lag zwar bei ex post-Betrachtung Unzuständigkeit vor, bei ex ante-Betrachtung bestand aber für den Beklagten kein Anlass zur Rüge der internationalen Unzuständigkeit. 1298 Daher ist es sinnvoll, in der Aufhebungsvereinbarung die konkreten Folgen zu regeln. Nahe liegt es, den Kläger zur Zurücknahme seiner Klage zu verpflichten. 1299 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. C-150/80 – Elefanten Schuh/Jacqmain, Slg. 1981, 1671 = RIW 1981, 709 = IPRax 1982, 234 (Leipold 222) = Rev. crit. 1982, 143 (Gaudemet-Tal-
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Vierter Teil
Die Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten eines Dritten ist im Zweifel ohne Dritten möglich.1300
XXI. Unterschiedliche Rechtsquellen Das Zusammenspiel von europäischem Unionsrecht bzw. staatsvertraglichen Re- 1735 gelungen mit dem genuin autonomen deutschen Recht bewirkt mitunter, dass für ein und dieselbe Zuständigkeitsvereinbarung unterschiedliche Rechtsquellen maßgeblich sind. So kann z.B. Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ für die internationale und § 38 ZPO für die örtliche Zuständigkeit bedeutsam sein (Rz. 1646).
XXII. Ausschließlichkeit des forum prorogatum? Ob eine internationale Prorogation die ausschließliche oder nur die konkurrie- 1736 rende internationale Zuständigkeit des prorogierten Staates begründet, entscheidet der Wille der Parteien. Dieser ist durch Auslegung zu ermitteln.1301 Eine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit besteht – anders als im An- 1737 wendungsbereich des Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ – nicht.1302 Für Auslon); OLG Stuttgart v. 15.2.1989 – 9 U 207/88, IPRax 1989, 247 = IPRspr. 1989 Nr. 183; OLG Koblenz v. 3.3.1989 – 2 U 1543/87, RIW 1989, 310 = IPRspr. 1989 Nr. 185; OLG Koblenz v. 28.3.1991 – 2 U 849/89, RIW 1991, 592 = IPRspr. 1991 Nr. 172. Dies übersieht BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, MDR 1982, 137 = NJW 1981, 2644 = WM 1981, 938 = RIW 1981, 703 = ZZP 96 (1983), 364 (kritisch Pfaff) = IPRspr. 1981 Nr. 165. 1300 R. Geimer, NJW 1985, 534. 1301 R. Geimer, EWiR 1985, 167; Kohler, IPRax 1986, 343; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 40; RG v. 19.1.1935, SeuffArch 89 Nr. 117 = Giur.comp.d.i.p. 6 (1940) 238 Nr. 203 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 530 – Rz. 1676; OLG Hamburg v. 4.2.1982 – 3 U 136/81, RIW 1983, 124 (125) = IPRspr. 1982 Nr. 133; BGH v. 20.12.1972 – VIII ZR 113/71, NJW 1973, 951 (R. Geimer) = IPRspr. 1972 Nr. 144. Dort wurde die Klausel „Zuständiger Gerichtshof für alle Streitfälle ist Mailand oder ein anderer Rechtssitz in Italien“ als Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit Italiens ausgelegt. Dies gelte zumindest für Ansprüche gegen die Vertragspartei, deren Heimatgerichte zuständig sein sollen. Die Klausel „Gerichtsort Türkei“ auf einem in türkischer Währung ausgestellten Schuldschein legt das LG München I v. 2.2.1978, IPRspr. 1978 Nr. 136 als Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit der Türkei aus, obwohl beide Parteien in Deutschland wohnen. BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 = RIW 1985, 78 = IPRax 1985, 216 (Roth 198) = IPRspr. 1984 Nr. 135 lässt offen, ob die Wendung „… wir beugen uns der Rechtsprechung der englischen Gerichte“ als ausschließliche Prorogation zu verstehen ist. OLG München v. 11.5.1989, RIW 1989, 643 = IPRspr. 1989 Nr. 191 spricht sich im Zweifel nur für „Wahlgerichtsstand“ aus. 1302 OLG Hamburg v. 4.2.1982, RIW 1983, 125 = IPRspr. 1982 Nr. 133; OLG München v. 31.3.1987 – 6 W 788/87, NJW 1987, 2166 = RIW 1988, 479 = IPRspr. 1987 Nr. 126; OLG Frankfurt v. 17.10.1996 – 5 U 176/94, IPRax 1998, 35 (Pfeiffer 17) = IPRspr. 1996 Nr. 137. Anders Art. 17 I EuGVÜ/LugÜ sowie Art. 23 EuGVVO, R. Geimer in Geimer/
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Vierter Teil
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schließlichkeit spricht aber, wenn ohne Ausschluss des Wahlrechts des Klägers (§ 35 ZPO, Rz. 1105) die Zuständigkeitsvereinbarung keinen erkennbaren Sinn hätte.1303 1738 Denkbar ist auch eine einseitige Ausschließlichkeit. Eine Partei darf nur an einem Forum klagen, die andere behält ihre Wahlfreiheit nach § 35 ZPO (Rz. 1105).1304
XXIII. Prorogation: Begründung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands durch Zuständigkeitsvereinbarung 1. Anspruch auf Justizgewährung 1739 Eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung begründet einen Anspruch auf Justizgewährung im Inland. Die deutschen Gerichte haben keinen Ermessensspielraum. Eine forum non conveniens-Prüfung findet – anders als z.B. nach genuin englischem Recht (außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des LugÜ)1305 bzw. nach US-Recht1306 – nicht statt, Rz. 1084. Zu Unrecht wies das LG Hamburg1307 eine Zuständigkeitsvereinbarung zurück mit der Begründung, „mangels ausreichender Inlandsbeziehung sei das gewählte Gericht in eine ungleich schlechtere Lage versetzt, den Tatbestand zu klären und ein gerechtes Urteil zu sprechen als das reguläre Gericht am Wohnsitz des Beklagten“. Woher weiß das LG Hamburg, dass das Wohnsitzgericht eine gerechtere Entscheidung fällen kann? (Vgl. Rz. 1084).1308
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1304 1305 1306 1307 1308
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Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 166; OLG Hamm v. 22.2.1999, RIW 2000, 382 = IPRspr. 1999 Nr. 106; engl. High Court of Justice v. 26.7.1991 Kurz v. Stella GmbH, RIW 1992, 139 (Ebert-Weidenfeller) sowie Art. 5 I 2 des schweizer. IPR-Gesetzes. BGH v. 3.11.1983, LM § 38 ZPO Nr. 23 = IPRspr. 1983 Nr. 196. Zurückhaltender dagegen BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, IPRax 1999, 246 (Schulte 229) = LM Nr. 1 zu LugÜ = IPRspr. 1998 Nr. 137. Vgl. auch Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 43. Weitere Nachw. zur Ausschließlichkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen bei Weyland in Gedächtnisschrift Arens, 1993, 417. Beispiel: OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, MDR 1989, 360 = RIW 1989, 221 = IPRax 1990, 105 (Printing 83) = IPRspr. 1988 Nr. 163. Nachw. bei Schack, IPRax 1991, 273. Nachw. bei Sandrock in FS Stiefel, 1987, 629. LG Hamburg v. 6.8.1975, WM 1976, 985 = RIW 1976, 228 = IPRspr. 1975 Nr. 141. Gegen forum non conveniens-Erwägungen überzeugend LG München v. 25.11.1982 – 12 HKO 20848/81, IPRax 1984, 318 (Jayme 303) = IPRspr. 1983 Nr. 129a und OLG München v. 22.6.1983 – 7 U 5522/82, IPRax 1984, 319 (Jayme 303) = IPRspr. 1983 Nr. 129b sowie Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 161 f. Vgl. auch OLG Hamburg v. 21.7.1983 – 6 U 233/82, VersR 1983, 1149 = IPRspr. 1983 Nr. 138, welches das Argument, englische Gerichte könnten am besten englische Klauseln auslegen, nicht akzeptiert. Für die Schweiz (Art. 5 III IPR-Gesetz) s. Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 134.
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
2. Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten Ist Deutschland nach §§ 12 ff. ZPO international unzuständig, so führt eine 1740 wirksame Prorogation zu einer Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten. 3. Maßgeblichkeit deutschen Rechts für die Begründung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands durch Parteivereinbarung Den Zugang zu den deutschen Gerichten regelt allein das deutsche Verfahrens- 1741 recht. Deshalb kommt es auch auf den Standpunkt des (nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts bestimmten) in der Sache anzuwendenden ausländischen Rechts nicht an (Rz. 1675).1309 Ausschließlich das deutsche Prozessrecht bestimmt, wann deutsche Gerichte eine internationale Prorogation anzunehmen haben.1310 Deshalb ist es für das deutsche Gericht irrelevant, dass das ausländische Recht den Abschluss eines Derogations- bzw. Prorogationsvertrages von der Wahrung der Schriftform abhängig macht.1311 Auch Art. 11 EGBGB kommt nicht zur Anwendung (Rz. 1624). Zur Form nach deutschem Recht Rz. 1619. Ausländisches Recht kommt nur dann zum Zuge, wenn das deutsche Prozess- 1742 kollisionsrecht darauf verweist (praktisch nur aktuell für die Frage des Zustandekommens der Willenseinigung der Parteien), nicht jedoch, wenn das für die Sachfrage maßgebliche deutsche internationale Privatrecht ausländisches Recht für anwendbar erklärt.1312 Die nach deutschem Recht zulässige Prorogation der internationalen Zuständig- 1743 keit Deutschlands ist auch dann anzunehmen, wenn sie nach dem Recht des/der derogierten Staates(n) unzulässig ist, sogar dann, wenn der Heimat- oder Wohnsitzstaat einer Partei eine solche Vereinbarung unter Strafandrohung verbietet. Das allgemeine Völkergewohnheitsrecht gebietet nichts Gegenteiliges (Rz. 176, 1014).1313 Auch kommt es nicht darauf an, ob sich der ausländische Staat, dessen internatio- 1744 nale Zuständigkeit derogiert wurde, für ausschließlich international zuständig erachtet.1314 Nur soweit das deutsche Recht eine ausschließliche Zuständigkeit
1309 So auch deutlich Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 286. 1310 Kralik, ZZP 74 (1961), 42 Fn. 85; W. J. Habscheid in FS Schima, 1969, 188; R. Geimer, NJW 1971, 323; BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23 = AWD 1972, 356 (von Hoffmann 416) = BB 1972, 764 (Trinkner) = NJW 1972, 1622 (R. Geimer) = IPRspr. 1972 Nr. 140. S. auch von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 82. 1311 BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23. 1312 R. Geimer, NJW 1971, 1622; OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 = IPRspr. 1985 Nr. 142; OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = RIW 1985, 890 = IPRspr. 1984 Nr. 150. 1313 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3b (§ 14). 1314 Treffend OLG Düsseldorf v. 18.11.1971, AWD 1973, 401 (Kropholler) = VersR 1973, 177 = IPRspr. 1972 Nr. 30.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
des fremden Staates anerkennt (Rz. 1642), ist eine Prorogation ausgeschlossen.1315 4. Inlandsbezug nicht erforderlich 1745 Auch wenn der Rechtsstreit keinerlei Beziehungen zu Deutschland aufweist, ist die Vereinbarung der deutschen internationalen Zuständigkeit zulässig.1316 1746 Die Gefahr, die deutschen Gerichte könnten mit Streitigkeiten ohne jede Inlandsberührung überlastet werden, ist theoretisch wohl gegeben. Eine gesetzliche Abwehr erscheint aber nicht vonnöten.1317 Allenfalls könnte durch eine Erhöhung der Gerichtskosten der „Ansturm“ zu den deutschen Gerichten gedrosselt werden, wenn unbedingt der Gesetzgeber aktiv werden will.1318 1747 Zu Recht betont Schröder,1319 dass der Wunsch nach einem neutralen Gericht ebenso legitim sei wie die Wahl eines neutralen Rechts: „Gerade im Interesse der Zuständigkeitsgleichheit unter den Parteien kann es erwünscht sein, dass Gerichte angegangen werden, die beiden Parteien gegenüber gleiche Distanz aufweisen und vielleicht auch dem sonst zu erwartenden nationalen Egoismus fern stehen.“ (Vgl. auch Rz. 868i). 1748 Nicht erforderlich ist ein „internationaler Vertrag“, d.h. ein Vertrag, der Wertbewegungen auslöst, die den Geltungsbereich einer Rechtsordnung überschreiten.1320 Jung1321 zieht nicht überzeugende Parallelen zum kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag im internationalen Schuldrecht (Problem dort: Besteht die Freiheit der Rechtswahl auch für reine Inlandsfälle?). Er vergleicht Nichtvergleichbares. Die Frage des anzuwendenden Rechts und der Rechtsgang (Welche Staaten sind zur Sachentscheidung international zuständig?) haben keine Berührungspunkte. Sie sind streng voneinander zu trennen. Zu Unrecht hält Jung1322 1315 Für Zulässigkeit einer Prorogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands entgegen § 40 II ZPO BGH v. 30.1.1969, AWD 1969, 115 = MDR 1969, 479 = LM Nr. 8 zu § 38 ZPO IPRspr. 1968–1969 Nr. 202. S. auch Rz. 940a. Enger wohl Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 71. 1316 Kralik, ZZP 74 (1961), 42; Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österr. und internationalen Zivilprozessrecht, 1967, 37 bei Fn. 96; Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 417; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 30; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 82. Der österr. Gesetzgeber hat durch Neufassung des § 104 JN klargestellt, dass ein Inlandsbezug (zu Österreich) nicht Voraussetzung für die Annahme der Prorogation ist, hierzu Matscher, JBl 1998, 488; Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (306). 1317 Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österr. und internationalen Zivilprozessrecht, 1967, 37. 1318 Liberaler Loewe, ZfRV 1983, 185. 1319 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 468. Hierzu ausführlich F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 91 ff. 1320 Nachw. zur Theorie vom internationalen Vertrag bei F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 85 ff. 1321 Jung, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach dem EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und nach § 38 Abs. 2 ZPO, 1980, 89 ff. 1322 Jung, a.a.O., 95.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
eine Prorogation auf deutsche Gerichte für unzulässig, weil der Rechtsstreit nur Bezugspunkte zu einem ausländischen Staat (= ein reiner Inlandsfall aus dessen Sicht) aufweist.1323 5. Vollstreckungsmöglichkeit im Inland Eine Vollstreckungsmöglichkeit in Deutschland ist ebenfalls nicht Vorausset- 1749 zung für die Annahme einer internationalen Prorogation (Rz. 982, 1957).1324 6. Annahme der Prorogation ohne Rücksicht auf Anerkennung der deutschen Entscheidung im Ausland Für die Annahme der Prorogation durch die deutschen Gerichte ist nicht Vo- 1750 raussetzung, dass die Entscheidung des deutschen Gerichts in dem Staat, dessen an sich nach §§ 328 I Nr. 1, 12 ff. ZPO gegebene internationale Zuständigkeit derogiert wurde, anerkannt wird; der Kompetenzanspruch fremder Staaten ist für den deutschen Richter unbeachtlich.1325 Eine vernünftige, die Zuständigkeitsinteressen der Parteien gerecht abwägende Zuständigkeitsordnung kann hierauf nicht Rücksicht nehmen. Ist die internationale Zuständigkeit mehrerer Staaten derogiert, bliebe auch unklar, auf welchen fremden Staates Kompetenzrecht abzustellen wäre.1326 7. Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten Zur Annahme einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung (Prorogation) in 1751 nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist ein deutsches Gericht nach h.M. nicht berechtigt.1327 In Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen steht spätestens seit der IPR-Reform 1986 bzw. der FG-Reform 2009 fest, dass der Gesetzgeber Prorogationen nicht zulassen will. In den sonstigen (nach Ausklammerung der vorgenannten Statusverfahren verbleibenden) nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist die Prorogation der deutschen in-
1323 Abzulehnen insoweit auch Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 543 bei Fn. 1238. 1324 R. Geimer, NJW 1971, 232; R. Geimer, NJW 1972, 1622; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 188; Trinkner, BB 1972, 767. 1325 Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 72; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 84. 1326 R. Geimer, NJW 1971, 324; Schütze, AWD 1973, 370; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 548; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 117; Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 166; F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 70: a.A. Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 220; Walchshöfer, NJW 1972, 2166; Trinkner, BB 1972, 767. 1327 Jung, Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit nach dem EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und nach § 38 Abs. 2 ZPO, 1980, 114; Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 527; OLG Hamburg v. 6.9.1985 – 2 WF 23/85, FamRZ 1986, 277 = IPRax 1986, 153 (Henrich 139) = IPRspr. 1985 Nr. 152.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
ternationalen Zuständigkeit zuzulassen. Dies ergibt sich nun auch aus dem Wortlaut des § 40 II 1 Nr. 1 ZPO n.F. (Rz. 1399, 1773). 8. Örtliche Zuständigkeit 1752 Gerichtsstand der inländischen Partei: Im Interesse des Verbraucherschutzes können nach autonomem deutschen Recht, d.h. außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des LugÜ und der völkervertraglich vereinbarten Spezialregimes, gem. § 38 II 3 ZPO nur solche Fora im Inland gewählt werden, für die ohnehin ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt gegeben ist (Rz. 1615). Ratio legis: Falls die Parteien nicht die (ausschließliche) Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbaren (dann kommt § 38 II 3 ZPO nicht – spiegelbildlich – zur Anwendung, Rz. 1616), sondern die internationale Zuständigkeit Deutschlands prorogieren, soll die inländische Partei denselben Schutz wie in Inlandsfällen genießen.1328 Es darf nur der allgemeine Gerichtsstand oder ein besonderer Gerichtsstand der inländischen Partei vereinbart werden.1329 Ausländische Unternehmen können daher bei Geschäften im Inland nicht etwa den Ort ihrer inländischen Niederlassung zum Nachteil des allgemeinen oder eines besonderen Gerichtsstandes der anderen Partei (mit Wohnsitz im Inland) prorogieren. Damit soll eine Umgehung des grundsätzlichen Prorogationsverbots in Inlandsfällen (vor Entstehen der Streitigkeit, § 38 III Nr. 1 ZPO) durch Scheinauslandsgeschäfte, bei denen inländische Unternehmen ihre Verträge mit inländischen Kunden über ausländische Tochtergesellschaften abschließen und auf diesem Umweg als Gerichtsstand den des inländischen Unternehmenssitzes (= inländische Niederlassung der ausländischen Gesellschaft) vereinbaren, unmöglich gemacht werden.1330 Bei Verstoß gegen § 38 II 3 ZPO gelten die gesetzlichen Regeln über die örtliche Zuständigkeit (Rz. 1617, 1753).1331 § 38 II 3 ZPO gilt aber nicht für Zuständigkeitsvereinbarungen nach Entstehen der Streitigkeiten (Rz. 1618). 1753 Fehlen einer Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit: Eine Zuständigkeitsvereinbarung kann sich auf die Festlegung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands beschränken. Anders die h.M.: Danach geht eine internationale Prorogation ohne gleichzeitige Vereinbarung eines örtlich zuständigen deutschen Gerichts ins Leere.1332 Fehlt eine Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit oder 1328 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 507. 1329 Katholnigg, BB 1974, 397. 1330 M. Vollkommer, Rpfleger 1974, 135; Kropholler in Basedow/Kropholler, a.a.O., Kap. III Rz. 507. 1331 Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 72. 1332 Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 37; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 55; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im IPR, 1938, 100; Jung, a.a.O., 115; wie hier Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 381 Fn. 2 a.E.; Kropholler in Basedow/Kropholler, a.a.O., Kap. III Rz. 524; m.w.N. bei R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 117 Fn. 96.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
ist diese wegen Verstoßes gegen § 38 II 3 ZPO (Rz. 1616, 1752) unwirksam, dann greift wegen der örtlichen Zuständigkeit die gesetzliche Zuständigkeitsordnung Platz.1333 Fehlt ein Gerichtsstand nach §§ 12 ff. ZPO, sind die Gerichte in Berlin analog §§ 15 I 2, 27 II ZPO zuständig (Rz. 965). Dies gilt auch in den Fällen des § 38 III ZPO.1334 Bereits der Wortlaut des Art. 25 EuGVVO n.F. und des Art. 23 LugÜ ergibt, dass 1754 die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit ohne gleichzeitige Vereinbarung des örtlich zuständigen Gerichts – im Anwendungsbereich des Brüssel I-Systems – wirksam ist. Der prorogierte Vertrags- bzw. Mitgliedstaat muss ein örtlich zuständiges Gericht zur Verfügung stellen, hilfsweise sind die Gerichte der Hauptstadt (in Deutschland analog § 15 I 2 ZPO: Berlin) zuständig.1335 9. Kein Gleichlauf zwischen forum und ius Ist in der Sache ausländisches Recht anzuwenden, so ist dies kein Grund, 1755 Rechtsschutz am forum prorogatum zu verweigern (Rz. 1963). Haben die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen, kann die Vereinbarung eines (für beide Parteien, Rz. 1659) ausschließlich zuständigen deutschen Gerichts ein Indiz sein, dass die Parteien in der Sache deutsches Recht wählen wollen (Rz. 1674; s. auch Rz. 716). 10. Einstweiliger Rechtsschutz Die Zuständigkeitsvereinbarung beschränkt sich im Zweifel nicht auf den Haupt- 1755a sacheprozess, sondern umfasst auch den einstweiligen Rechtsschutz (Rz. 1767); § 802 ZPO ist insoweit nicht anzuwenden (Rz. 877a).1336 Eine andere Frage ist, ob die Zuständigkeitsvereinbarung sich auch auf den einstweiligen Rechtsschutz beschränken kann, also nur für diesen eine internationale Zuständigkeit begründen, für das Hauptverfahren es aber bei der gesetzlichen Regelung belassen kann.
1333 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 518. 1334 Wie hier, jedoch gegen analoge Anwendung der §§ 15 I 2, 27 II ZPO Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 468: „Der Kläger mag die örtliche Zuständigkeit in redlicher Gesinnung dort wählen, wo die Verfahrensbelange im Einzelfall sachgerecht wahrgenommen werden können. Derjenige Gerichtsstand verdient den Vorzug, in dem die Rechtspflege am besten verwaltet werden kann.“ Kritik: Diese Anknüpfungspunkte sind nicht justiziabel. Jedenfalls geht zu viel Zeit verloren über den Streit, ob der Kläger „fair oder vernünftig“ gewählt hat (Schröder, a.a.O., 468 Fn. 2060 a.E.). 1335 R. Geimer, WM 1976, 832; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 178 ff. Vgl. auch Peter Huber, Die englische forum non conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994, 170. Für Ordination nach § 28 JN aus österr. Sicht Garber in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 28 JN Rz. 33. 1336 Hierzu z.B. auch Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 181.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
11. Selbständige Beweisverfahren 1756 Die internationale Zuständigkeit für selbständige Beweis- und Verklarungsverfahren ist unabhängig von der für die Hauptsache (Rz. 1246). Daher können aus Zulassung der Beweissicherung im Inland keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit einer Prorogation1337 gezogen werden.1338
XXIV. Derogation der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit 1. Zulässigkeit 1757 Die Derogation der an sich nach §§ 12 ff. ZPO gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands ist zulässig.1339 Andere Rechtsordnungen sind da zurückhaltender (Rz. 1638). Sie lassen zwar Prorogation auf die eigenen Gerichte zu, halten aber die Derogation der internationalen Zuständigkeit des eigenen Staates für unzulässig.1340 Über die Zulässigkeit der Derogation befindet allein das deutsche Recht (Rz. 1677).1341 Die Derogation erfolgt entweder durch isolierten Derogationsvertrag oder durch die Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines anderen Staates bzw. der ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts. Die letzte Variante ist die in der Praxis häufigste. 1758 Auch für Streitigkeiten aus Seefrachtverträgen, insbes. aus Konnossementen, die eine Beförderung nach einem deutschen Bestimmungshafen betreffen, kann die internationale Zuständigkeit Deutschlands mit Wirkung gegen den deutschen Empfänger durch Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen werden.1342
1337 Vice versa zur Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands s. Rz. 1781; anders aber OLG Düsseldorf v. 7.2.2008 – I-20 W 152/07, SchiedsVZ 2008, 258 (Schlosser) = IPRspr. 2008 Nr. 197. 1338 LG Hamburg v. 31.1.1984 – 30 O 217/82, IPRax 1985, 282 (Samtleben 261) = IPRspr. 1984 Nr. 130. 1339 BGH v. 3.12.1973 – II ZR 9/72 – Hamburg, VersR 1974, 470 = IPRspr. 1973 Nr. 128b (hierzu Geimer, WM 1975, 910); OLG Hamburg v. 25.5.1978, VersR 1978, 1115 = RIW 1979, 495 = IPRspr. 1978 Nr. 141; OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (985) = IPRspr. 1985 Nr. 142. Nachw. auch bei Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 507; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 306 ff. 1340 So z.B. der durch das IPR-Reformgesetz v. 31.5.1995 beseitigte Art. 2 Codice di procedura civile. Hierzu Happacher, AWD 1966, 338. 1341 Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 18. 1342 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 = IPRspr. 1985 Nr. 142.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
2. Keine forum non conveniens-Erwägungen Die deutschen Gerichte haben die Derogation auch dann zu beachten, wenn sie 1759 diese für unzweckmäßig und/oder unvernünftig halten1343 (Rz. 1085, 1109). Auch an der Derogation der (internationalen) Wohnsitzzuständigkeit ist nicht zu deuteln.1344 Hiervon zu unterscheiden ist die Prüfung, ob die Parteien überhaupt den Ausschluss der internationalen Zuständigkeit Deutschlands gewollt haben (Rz. 1736). 3. Auslandsbezug nicht erforderlich Die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands setzt keinen 1760 Auslandsbezug voraus.1345 Sie ist auch in reinen Inlandsfällen (ohne Auslandsbeziehung) möglich.1346 Andere wollen eine Derogation nur bei „internationalem Bezug“ zulassen.1347 1761 Ein solcher sei nur dann gegeben, wenn eine Wertbewegung über die Grenze (für den Bereich einer Rechtsordnung) vorliegt. Wieder andere bejahen einen Verstoß gegen § 307 BGB, wenn ein Gerichtsstand in einem Staat vereinbart wird, der keinen Bezug zum Rechtsgeschäft hat.1348 Eine Beziehung des Streitgegenstandes gerade zum (ausländischen) forum pro- 1761a rogatum ist nicht erforderlich. Es gelten die gleichen Erwägungen wie oben Rz. 1747, und zwar auch in Arbeitssachen (Rz. 1774). 4. Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands zum Zweck der Ausschaltung international zwingenden Rechts In solchen Fällen hält die h.M. die Derogation für unwirksam.1349 (Dagegen 1762 Rz. 1058, 1770, 3799a).
1343 R. Geimer, EWiR 1985, 167. Verfehlt LG Kiel v. 18.1.1984 – 15 O 415/82, RIW 1985, 409 = IPRax 1985, 35 (Böhner 15): „Es ist kein vernünftiger Grund vorhanden, warum die Beklagte nicht vor ihrem Wohnsitzgericht, sondern in Frankreich den Prozess führen will“. Hierzu wie hier kritisch auch Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 75. 1344 BGH v. 18.9.1986 – IX ZR 32/84, MDR 1987, 138 = NJW 1987, 3080 = RIW 1986, 996 = IPRax 1987, 107 (Gottwald 81) = IPRspr. 1986 Nr. 143; F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 82. 1345 Zustimmend z.B. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 75. 1346 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 6389. 1347 Trinkner, AWD 1970, 580; Schütze, DIZPR2, Rz. 168; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 87. 1348 OLG Karlsruhe v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950 = IPRspr. 1981 Nr. 171; F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 92 ff.; Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3685). 1349 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 540; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56 (62); Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsund Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294 (296).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
5. Nichtannahme der Prorogation durch ausländische Gerichte 1763 Die in der Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines fremden Staates liegende Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands steht unter der (stillschweigenden) Bedingung, dass das forum prorogatum zur Justizgewährung (Entscheidung in der Sache) bereit und in der Lage ist (Rz. 1657).1350 Dies gilt auch für den Fall des Stillstandes der Rechtspflege im prorogierten Staat.1351 Das Gleiche gilt im Falle eines Embargos.1352 Nicht ausreichend für die Beseitigung des Derogationseffekts ist aber, dass sich die Durchführung des Gerichtsverfahrens am forum prorogatum weniger bequem bzw. vorteilhaft darstellt, als es den Parteien bei Vertragsschluss erschienen ist.1353 6. Fehlen eines rechtsstaatlichen Mindeststandards am forum prorogatum 1764 Mit der ausschließlichen Prorogation eines ausländischen Gerichts wollen die Parteien zwar auf Rechtsschutz im Inland, nicht aber überhaupt auf jeden Rechtsschutz verzichten. Sie erwarten vielmehr Justizgewährung am forum prorogatum. Deshalb ist die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands unwirksam, wenn evident und unzweifelhaft beim forum prorogatum eine sachgerechte, den elementaren rechtsstaatlichen Garantien entsprechende Entscheidung des Rechtsstreits nicht gewährleistet ist.1354 Jedoch ist zu beachten, dass Unterschiede in der Gerichtsverfassung und im Ablauf des Verfahrens normal und daher hinzunehmen sind (Rz. 263).
1350 Rathke, RIW 1984, 270; Schütze, RIW 1982, 775; Schütze, IPRax 1984, 247; Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 295; F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 77 ff.; OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (895) = IPRspr. 1985 Nr. 142; OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IHR 2005, 169, 171 = IPRax 2006, 469 (Weller 444) = NJOZ 2004, 3346 = IPRspr. 2004 Nr. 116. 1351 BAG v. 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119 = JZ 1979, 647 (R. Geimer) = AuR 1979, 189 (Grunsky) = IPRspr. 1978 Nr. 144; LAG Hamburg v. 21.9.1980, IPRspr. 1980 Nr. 137A; LAG Frankfurt/M. v. 10.6.1981, RIW 1982, 524 = IPRspr. 1981 Nr. 163. Hierzu Schütze, RIW 1982, 775. 1352 LG Köln v. 19.4.2000, IPRspr. 2000 Nr. 122. 1353 OLG Hamburg v. 22.12.1937, HansRGZ 1938 B 81 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 716 (die Parteien können aber einvernehmlich die Zuständigkeitsvereinbarung aufheben, Rz. 1732). 1354 BGH v. 3.12.1973 – II ZR 9/72, VersR 1974, 470 (471) = WM 1974, 242 = AWD 1974, 221 (v. Hoffmann) = ZZP 78 (1975), 318 (Walchshöfer) = IPRspr. 1973 Nr. 128b (dazu Geimer, WM 1975, 910); BAG v. 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119 (1120) = JZ 1979, 647 (R. Geimer) = AuR 1979, 189 (Grunsky) = IPRspr. 1978 Nr. 144; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 35; Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 165. Maßgebender Zeitpunkt ist der der Klageerhebung, OLG Frankfurt v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 (463) = IPRax 1999, 247 (Hau 232) = IPRspr. 1998 Nr. 156.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
7. Nichtanerkennung des im forum prorogatum erlassenen Urteils in Deutschland Eine Derogation ist auch dann zulässig, wenn das Urteil des als ausschließlich 1765 international zuständig vereinbarten ausländischen Gerichts im Inland nicht anerkannt wird.1355 Es ist aber im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob die Parteien auch für diesen Fall eine Derogation gewollt haben. Denn die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes im Ausland kann 1766 zum Verlust jeden Rechtsschutzes führen, wenn der Schuldner sein gesamtes Vermögen in Deutschland hat. Soweit das deutsche Recht den Verzicht auf den Streitgegenstand freistellt, kann zwar auch auf den Rechtsschutz verzichtet werden. Doch einen generellen Verzicht auf jeden Rechtsschutz wollen die Parteien i.d.R. gerade nicht vereinbaren. Deshalb steht die Prorogation in diesem Fall regelmäßig unter der (stillschweigenden) Bedingung, dass die ausländischen Gerichte die Prorogation annehmen und dass das ausländische Urteil in Deutschland anerkannt und vollstreckt werden kann.1356 Andere sprechen von Wegfall der Geschäftsgrundlage oder geben ein Anfechtungsrecht.1357 Daher kann – wenn das vom prorogierten ausländischen Gericht erlassene Urteil im Inland nicht anerkannt wird – erneut in Deutschland geklagt werden (internationale Ersatzzuständigkeit)1358 (Rz. 1033). Der Kläger muss aber erst am forum prorogatum klagen (Rz. 1782, 1853). Unzulässig ist es, die Nichtbeachtung der Derogationswirkung auf die Allerweltsformel zu stützen, die Derogation verstoße gegen
1355 BGH v. 13.12.1967, BGHZ 49, 124 = NJW 1968, 356 = ZZP 82 (1969), 302 (Walchshöfer) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 222; BGH v. 21.12.1970, MDR 1971, 281 = NJW 1971, 325 (R. Geimer 1524) = LM Nr. 12 zu § 38 = IPRspr. 1970 Nr. 112; BGH v. 8.2.1971, NJW 1971, 985 (R. Geimer 1525) = IPRspr. 1971 Nr. 131; BGH v. 3.12.1973 – II ZR 9/72, VersR 1974, 470 = WM 1974, 242 = AWD 1974, 221 (v. Hoffmann) = ZZP 78 (1975), 318 (Walchshöfer) = IPRspr. 1973 Nr. 128b (dazu Geimer, WM 1975, 910); OLG Koblenz v. 26.5.1983 – 5 U 1270/82, RIW 1985, 153 = IPRax 1984, 267 (Schütze 246) = IPRspr. 1983 Nr. 136; OLG Saarbrücken v. 21.9.1988 – 5 U 8/88, NJW-RR 1989, 828 = IPRspr. 1988 Nr. 162; R. Geimer, WM 1975, 910; Schütze, DIZPR2, Rz. 170; a.A. OLG Hamburg v. 4.5.1972, VersR 1972, 1065 = IPRspr. 1972 Nr. 138; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 463; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, 135; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 513; Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 166. Gottwald/Baumann, IPRax 1998, 445 wollen die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands bei Verbraucherverträgen von der Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung des forum prorogatum in Deutschland abhängig machen. 1356 R. Geimer, NJW 1971, 1525; R. Geimer, WM 1975, 910; R. Geimer, JZ 1979, 648; ähnlich nun auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 519 sowie R. Geimer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 36. 1357 Nachw. bei Schütze, IPRax 1984, 248. 1358 R. Geimer, WM 1975, 911; R. Geimer, JZ 1979, 648 (sofern nicht Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes gewollt war); so ausdrücklich Art. 31 II CMR. Vgl. auch Art. 6 des Haager Übereinkommens v. 15.4.1968 (Rz. 1795) und Art. 9 des Haager Übereinkommens v. 25.11.1965 (Rz. 1795); hierzu Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 559.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Treu und Glauben, weil die Anerkennung des am forum prorogatum zu erstreitenden Urteils in Deutschland nicht möglich sei.1359 8. Einstweiliger Rechtsschutz 1767 Haben die Parteien die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbart, so ist diese Abrede im Regelfall1360 dahin auszulegen, dass auch die internationale Zuständigkeit Deutschlands für den einstweiligen Rechtsschutz (Arrest und einstweilige Verfügung) abbedungen sein soll.1361 9. Wechsel- und Scheckansprüche 1767a Die ausschließliche Prorogation auf ein ausländisches Gericht erfasst im Zweifel auch Wechsel- und Scheckverfahren. Die ausdrückliche Vereinbarung, dass die erleichterte und beschleunigte Durchsetzungsmöglichkeit im Inland gem. §§ 602 ff. ZPO ausgeschlossen sein soll, ist nicht erforderlich.1362 10. Derogationseffekt der Prorogation eines ausländischen Gerichts? 1768 Ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands nach §§ 12 ff. ZPO an sich zu bejahen, so ist die Prorogation auf ein ausländisches Gericht für den deutschen Richter nur dann von Bedeutung, wenn durch die Zuständigkeitsvereinbarung die ausschließliche internationale Zuständigkeit des prorogierten Staates begründet, die internationale Zuständigkeit Deutschlands also abbedungen werden sollte. Hierüber entscheidet der Wille der Parteien. Eine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit kennt das autonome deutsche Recht nicht,1363 anders Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ (Rz. 1736).
1359 So aber OLG Köln v. 9.9.1996 – 19 U 253/95, IPRax 1998, 472 (Trunk 448) = RIW 1997, 233 = VersR 1997, 1556 = IPRspr. 1996 Nr. 155. 1360 Anders der Ausgangspunkt des § 1033 ZPO für das Verhältnis des Schiedsgerichts zu den staatlichen Gerichten. S. auch Steinbrück, Die Unterstützung ausl. Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 457. 1361 R. Geimer, WM 1975, 912; OLG Stuttgart v. 19.12.2000 – 6 W 58/00, RIW 2001, 228 = IPRspr. 2000 Nr. 173. § 802 ZPO (der auch für §§ 919, 937, 942 ZPO nach h.M. [Rz. 1642] gilt, Rz. 877) steht aber nicht entgegen, enger Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht 1992, 180; Schack, IZVR6, Rz. 478: Nur dann, „wenn die Parteien ihr gesamtes Rechtsverhältnis einer ausländischen Form unterstellen wollten“. Ablehnend wohl die h.M., Nachw. z.B. bei Groß, Die internationale Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vor dem Hintergrund der EuGVVO und des Lugano-Übereinkommens, 2010, 112; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 181. Ebenso aus schweiz. Sicht auch BG v. 17.9.1999, SodaStream Ltd. gegen Urs Jäger und Instruktionsrichter des Handelsgerichts des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde), BGE 125 III 451; hierzu Killias AJP/PJA 2001, 716. 1362 Ebenso für Schiedsklauseln OLG Frankfurt v. 24.9.1985 – 5 U 167/84, NJW 1986, 2202 = RIW 1986, 379 = MDR 1986, 328 = IPRspr. 1985 Nr. 199. 1363 Gottwald/Baumann, IPRax 1998, 445 (447).
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
11. Derogationsverbote a) Ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands Sofern man mit der h.M. (Rz. 1642) davon ausgeht, dass es Fälle der ausschließ- 1769 lichen internationalen Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland gibt, scheitert insoweit – ebenso wie im Anwendungsbereich der Art. 25 IV, 24 EuGVVO und der Art. 23 V, 22 LugÜ – die Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit.1364 b) Gefahr der Nichtbeachtung von aus deutscher Sicht international zwingendem deutschen Recht durch das forum prorogatum Der Bundesgerichtshof1365 hält die Derogation der an sich (nach §§ 12 ff. ZPO 1770 gegebenen) internationalen Zuständigkeit Deutschlands für unwirksam, wenn feststeht,1366 dass das vom ausländischen forum prorogatum (noch) zu erlassende Urteil im Inland deshalb nicht anerkannt werden kann, weil das ausländische Gericht aus deutscher Sicht auch gegenüber ausländischen Urteilen durchzusetzendes, international zwingendes Recht nicht anwenden wird.1367 1364 So z.B. Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 37. 1365 BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 = RIW 1985, 78 = IPRax 1985, 216 (Roth 198) = IPRspr. 1984 Nr. 135 (betr. §§ 53, 61 BörsenG [Rz. 2979]: Unverbindlichkeit eines ausländischen Börsentermingeschäfts); BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, IHR 2013, 35 (Antomo 225); OLG Stuttgart v. 29.9.2011, IHR 2012, 163. Großzügiger aber OLG Frankfurt v. 25.7.1996 – 16 U 157/95, WM 1996, 2107 = EWiR 1996, 2071 (Mankowski). Weitgehend überholt seit 1.7.2002 durch § 37d WpHG. Hierzu Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 199; Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und darauf anwendbares Recht, 2002, 360 ff. sowie obiter Samtleben, Der Art. 23 EuGVO als einheitlicher Maßstab für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, in FS Ansay, 2006, 343, 353; Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294 (296); Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 72 ff.; Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und internationalen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Lüttringhaus, Eingriffsnormen im internationalen Unionsprivat- und Prozessrecht, IPRax 2014, 146 (151); Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 308 ff.; Sparka, Jurisdiction and Arbitration Clauses in Maritime Transport Documents, 2010, 167; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 69 und § 1029 Rz. 56. 1366 Es soll sogar für die Bejahung des Derogationsverbots ausreichen, wenn die nahe liegende Gefahr besteht, dass das forum prorogatum international zwingendes deutsches Recht nicht anwenden wird. Einer positiven Feststellung, dass dies so sein wird, bedarf es nicht, OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (Rühl 294) = WM 2006, 1556 = IHR 2006, 166, 168 (Thume) = IPRspr. 2006 Nr. 11. Hierzu Rühl, Eur. Rev. Priv. Law 2007, 891; Quinke, SchiedsVZ 2007, 246. 1367 In concreto ging es um die Nichtbeachtung des aus deutscher Sicht relevanten Termin- bzw. Differenzeinwandes. Weitgehend überholt seit 1.7.2002 durch § 37d WpHG. Hierzu Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deut-
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Ebenso, wenn das forum prorogatum die Mindesthaftung nach den Haager Regeln (§ 662 HGB a.F.)1368 oder international zwingendes Kartellrecht1369 nicht beachtet. Damit schießt er über das Ziel hinaus: Eine eindeutige Prognose, wie das forum prorogatum entscheiden wird, insbes. welche Rechtssätze es anwenden bzw. ignorieren wird, ist nicht möglich. Entgegen dem Bundesgerichtshof ist die Derogation zu beachten und das ausländische Urteil abzuwarten. Verstößt dieses tatsächlich gegen den deutschen ordre public, weil es aus deutscher Sicht international durchzusetzende Normen bzw. Rechtsgrundsätze ignoriert, so ist im Hinblick auf die Nichtanerkennung im Inland eine Ersatzzuständigkeit zu eröffnen1370 (Rz. 1058, 3799a).
schen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 199; Kowalke, Die Zulässigkeit von Gerichtsstands-, Schiedsgerichts-, und Rechtswahlklauseln bei Börsentermingeschäften, 2002; Redmann, Ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen, Diss. 2005; Weller, Ordre public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht, 2005. Zur aktuellen Rechtslage ausführlich Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007, 28 ff., 50 ff. S. auch die Nachw. bei Synatschke, Die Unzuständigerklärung des Schiedsgerichts, 2006, 39; Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und int. Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Lüttringhaus, Eingriffsnormen im internationalen Unionsprivat- und Prozessrecht, IPRax 2014, 146 (151). 1368 Hierzu Rabe, Seehandelsrecht4, vor § 556 Rz. 163; Staudinger/Sturm/Sturm, Einl. zum IPR, 2012, Rz. 648 (6). 1369 Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56 (62). 1370 Mann, NJW 1984, 2740; Büchner, RIW 1984, 184; a.A. BGH v. 21.12.1970, MDR 1971, 281 = NJW 1971, 325 (R. Geimer 1524) = LM Nr. 12 zu § 38 = IPRspr. 1970 Nr. 112; BGH v. 8.2.1971, NJW 1971, 985 (R. Geimer 1525) = IPRspr. 1971 Nr. 131; BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, MDR 1984, 121 = RIW 1983, 872 (873) = NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe 8) = IPRspr. 1983 Nr. 128b; OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894 (895) = IPRspr. 1985 Nr. 142; OLG Hamburg v. 9.1.1986 – 6 U 110/85, VersR 1986, 1022 = TranspR 1986, 109 = IPRspr. 1986 Nr. 128a; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 226 bei Fn. 724. Einschränkend LG Frankfurt/M. v. 15.7.1991 – 2/21 O 358/90, RIW 1991, 863 = NJW-RR 1992, 109 = WuB VII A. § 38 ZPO Nr. 1.92 (Schütze) = EWiR 1992, 101 (Bork) = IPRspr. 1992 Nr. 182a; OLG Frankfurt v. 4.6.1992 16 U 140/91, NJW-RR 1993, 305 = WM 1993, 1670 = IPRspr. 1992 Nr. 182b für Derogation des § 23 ZPO: Die Beklagte hatte ihren Sitz in Zürich und war anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen in Deutschland nicht aktiv geworden. Zudem werde vom Schweizer Recht zwar nicht der Termin-, aber doch der Differenzeinwand zugelassen. Weitere Nachw. bei Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 754. Nicht „verwertbar“ ist in diesem Zusammenhang BGH v. 6.6.1991 – III ZR 68/90, MDR 1991, 751 = RIW 1991, 673 (da deutsches Recht vereinbart war, sei zu erwarten, dass ein deutsches Schiedsgericht dieses beachtet).
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
c) Deliktische Klagen Für deliktische Klagen besteht ein Derogationsverbot vor Eintritt des Schadens, 1771 soweit das deliktische Handeln nicht gleichzeitig eine Vertragsverletzung darstellt (Rz. 1719).1371 Der Schädiger soll sich nicht von Gerichtsständen im Vorhinein freizeichnen und so die Klagemöglichkeiten des Geschädigten beeinträchtigen.1372 Dagegen besteht jedoch kein Prorogationsverbot: Die Klagemöglichkeiten des Geschädigten dürfen erweitert werden.1373 d) Derogationsfeste Gerichtsstände Die Gerichtsstände des § 26 II FernUSG, § 53 III KWG (Rz. 1643) und des § 319 1772 II 2 KAGB können nicht derogiert werden, Rz. 1643.1374 Im Anwendungsbereich des Art. 25 EuGVVO und des Art. 23 LugÜ sind Derogationsverbote des genuin nationalen Rechts unbeachtlich. Art. 25 IV EuGVVO und Art. 23 V LugÜ stipulieren eine in sich abgeschlossene Regelung.1375 Einstweilen frei 1773–1774 12. Wahl einer ausländischen Rechtsordnung als lex causae Forum und ius sind streng auseinanderzuhalten. Vereinbaren die Beteiligten die 1775 Anwendung ausländischen Rechts als lex causae, so liegt darin keine Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 1674). 13. Widerklage am forum derogatum Maßgebend ist der Wille der Parteien:1376 Ergibt die Auslegung, dass auch die 1776 Widerklagemöglichkeit derogiert sein soll, dann gilt dies nur so lange, wie sich der Kläger an die Zuständigkeitsvereinbarung hält. Klagt er abredewidrig am forum derogatum und lässt sich der Beklagte ein (§ 39 ZPO), dann lebt die Wider-
1371 Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013. 1372 OLG Köln v. 9.9.1996 – 19 U 253/95, RIW 1997, 233 (234) = VersR 1997, 1556 = IPRspr. 1996 Nr. 155 für Klage aus § 826 BGB. Großzügiger Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 29. 1373 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 637. Vgl. auch die Erwägungen Max Vollkommers, IPRax 1992, 209. 1374 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 905. Hinsichtlich der Kartellsachen s. OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 = IPRax 1992, 86 (Roth 68). Für die Schweiz s. Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 104. S. auch § 215 III VVG. Zu § 48 VVG a.F. Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 170 ff. 1375 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 905; OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 (335) = IPRax 1992, 86 (Roth 68). 1376 R. Geimer, NJW 1972, 2179; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 195.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
klagemöglichkeit wieder auf, es sei denn, die Parteien haben diesen Fall ausdrücklich anders geregelt1377 (Rz. 1418, 1734). 14. Aufrechnung am forum derogatum 1777 Die Aufrechnung im deutschen Erkenntnisverfahren mit einer Forderung, hinsichtlich derer eine ausschließliche internationale Zuständigkeit eines ausländischen Staates vereinbart wurde, ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs unzulässig1378 (s. auch Rz. 3817). 1778 Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durch Auslegung des Parteiwillens zu erforschen, ob die Parteien mit der Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit auch die Geltendmachung der Forderung im Wege der Aufrechnung vor deutschen Gerichten ausschließen wollten.1379
1377 R. Geimer, IPRax 1986, 212 Fn. 37; Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 37; a.A. BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, MDR 1982, 137 = NJW 1981, 2644 = WM 1981, 938 = RIW 1981, 703 = ZZP 96 (1983), 364 (kritisch Pfaff) = IPRspr. 1981 Nr. 165; BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, GRUR 1986, 325 (Jacobs) = IPRspr. 1985 Nr. 136; v. Falkenhausen, RIW 1982, 387. Die besten Argumente für die hier vertretene Ansicht finden sich bei BGH v. 20.1.1983 – I ZR 90/81, MDR 1983, 554 = NJW 1983, 1266 = RIW 1983, 375 = IPRspr. 1983 Nr. 38. Dort werden deutlich die Nachteile und Risiken des Beklagten bei der Durchsetzung der Gegenforderung geschildert. Für den Bereich des CMR erklärt der BGH deshalb den vertraglichen Ausschluss der Widerklagemöglichkeit für unwirksam. 1378 BGH v. 20.12.1972 – VIII ZR 186/70, BGHZ 60, 85 = ZZP 86 (1973), 332 (Walchshöfer) = NJW 1973, 422 (kritisch R. Geimer 951) = AWD 1973, 165 = IPRspr. 1972 Nr. 143 und BGH v. 9.7.1980 – IVb ARZ 536/80, MDR 1980, 918 = FamRZ 1980, 989 = NJW 1980, 2477 = RIW 1979, 713. Ebenso BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, MDR 1982, 137 = NJW 1981, 2644 = WM 1981, 938 = RIW 1981, 703 (705) = ZZP 96 (1983), 364 (kritisch Pfaff) = IPRspr. 1981 Nr. 165 auch für den Fall, dass eine Partei abredewidrig am forum derogatum klagt. Der Beklagte habe es in der Hand, vor der Einlassung (§ 39 ZPO) die Aufhebung des Aufrechnungsverbots zu vereinbaren. Ebenso OLG Hamm, RIW 1999, 787; a.A. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1–23 EuGVVO Rz. 193; Gottwald, IPRax 1986, 10; Schütze, DIZPR2, Rz. 176. Vgl. auch (zu CMR) BGH v. 20.1.1983 – I ZR 90/81, MDR 1983, 554 = NJW 1983, 1266 = RIW 1983, 375 = IPRspr. 1983 Nr. 38; OLG Hamm v. 7.10.1970, MDR 1971, 217 = IPRspr. 1970 Nr. 26; OLG Hamburg v. 11.11.1971, AWD 1973, 101 = VersR 1972, 784 = IPRspr. 1971 Nr. 134; LG Mainz v. 22.12.1978, IPRspr. 1978 Nr. 150; LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, RIW 1996, 960 = IPRax 1998, 97 (Gebauer 79) = IPRspr. 1996 Nr. 32. 1379 Ebenso für Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 9.11.1978 – Rs. C-23/78 – Meeth/Glacetal, Slg. 1978, 2133 = RIW 1978, 814 = NJW 1979, 1100 und EuGH v. 7.3.1985 – Rs. C-48/84 – Spitzley/Sommer, Slg. 1985, 787 = RIW 1985, 313 = IPRax 1985, 27 (Gottwald 10) = EWiR 1985, 781 (Schlosser); v. Falkenhausen, RIW 1982, 388; Wagner, IPRax 1999, 65 (75).
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Eine Vermutung zugunsten des Ausschlusses der Aufrechnungsmöglichkeit be- 1779 steht nicht.1380 Treffend hebt der Bundesgerichtshof1381 hervor, dass dem Beklagten sonst die Möglichkeit genommen werde, seine Gegenansprüche auf einfachem Weg in demselben Verfahren geltend zu machen. Stattdessen würde er auf ein gesondertes Verfahren mit u.U. anderem – möglicherweise auch ausländischem – Gerichtsstand verwiesen. Dies könne zur Vorleistung und zu erhöhten Schwierigkeiten und Risiken bei der Realisierung der Gegenforderung führen. 15. Streitverkündung am forum derogatum Wurde die internationale Zuständigkeit derogiert, so kann der Streitgegenstand 1780 der Zuständigkeitsvereinbarung gleichwohl Gegenstand einer Streitverkündung sein, sofern die Parteien nicht auch diese Möglichkeit ausschließen wollten.1382 16. Beweissicherung am forum derogatum Die Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands umfasst im Zwei- 1781 fel auch nicht den Ausschluss der internationalen Zuständigkeit zur Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO1383 bzw. eines Verklarungsverfahrens nach §§ 522 ff. HGB a.F. (vgl. Rz. 1246, 1756, 2540). 17. Derogationseffekt der Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits Internationalrechtliche Fragestellungen ergeben sich erst, wenn ein auslän- 1781a disches Schiedsgericht, d.h. ein Schiedsgericht mit Verfahrensort außerhalb Deutschlands (§§ 1025 I, 1043 I ZPO) vereinbart ist. Es handelt sich nicht um einen Fall der internationalen Unzuständigkeit Deutschlands (Rz. 3801). Gleichwohl ist § 328 I Nr. 1 ZPO analog anzuwenden (Rz. 2907). 18. Wirksamkeit der Derogation trotz Fehlens eines Prozesskostenhilfesystems bzw. trotz fehlender Kostenerstattung am forum prorogatum Das Fehlen eines Prozesskostenhilfesystems oder fehlende Kostenerstattung an 1781b dem von den Parteien vereinbarten bzw. durch Satzung etc. (Rz. 1781d) fest1380 A.A. Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 590. 1381 BGH v. 20.1.1983 – I ZR 90/81, MDR 1983, 554 = NJW 1983, 1266 = RIW 1983, 375 (unwirksames Aufrechnungsverbot im internationalen Frachtvertrag gemäß CMR). 1382 R. Geimer, NJW 1970, 387. Mansel, ZZP 109 (1996), 62 stellt folgende „Zweifelsregel“ auf: Die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes sei im Zweifel zugleich als ein die Streitverkündung auf das gewählte Forum beschränkender Prozessvertrag auszulegen. Dagegen Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 22 Rz. 81: „Die Derogationsabrede wirkt sich auf die Zulässigkeit der Streitverkündung nicht aus“. 1383 Anders im Ergebnis wohl OLG Düsseldorf v. 7.7.2008 – I-20 W 152/07, SchiedsVZ 2008, 258 (Schlosser) = IPRspr. 2008 Nr. 197.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
gelegten (ausschließlichen) Forum führt grundsätzlich nicht zur Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung am forum prorogatum mit der Folge der Unwirksamkeit oder Kündbarkeit der Gerichtsstandsklausel. Die vom Bundesgerichtshof in einer umstrittenen Entscheidung zur Schiedsvereinbarung entwickelte Rechtsprechung1384 kann nicht auf (ausschließliche) Zuständigkeitsvereinbarungen übertragen werden.
XXV. Gerichtsstandsbestimmung 1781c Im Wege der Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 I Nr. 3 ZPO kann der Prorogations- bzw. Derogationseffekt nicht unterlaufen werden.1385
XXVI. Gerichtsstandsklauseln in Satzungen und Gesellschaftsverträgen 1781d Der EuGH1386 betrachtet die Satzung als solche als Gerichtsstandsvereinbarung i.S. von Art. 17 EuGVÜ bzw. nunmehr Art. 25 EuGVVO n.F. An diese sind die Gesellschafter/Aktionäre unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs ihrer Beteiligung gebunden.1387 Damit modifizierte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zum autonom auszulegenden Erfordernis der tatsächlichen Willenseinigung der Parteien und zum Formerfordernis der (halben) Schriftlichkeit; dies ist aber im Interesse der Praktikabilität (Zuständigkeitskonzentration der gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten am Sitz der Gesellschaft über Art. 24 Nr. 2 EuGVVO n.F. bzw. Art. 22 Nr. 2 LugÜ 2007 hinaus) unvermeidlich.1388 Zu kritisieren ist aber die Renationalisierung der Frage des wirksamen Zustandekommens einer Gerichtsstandsklausel in der Satzung bzw. in dem Gesellschaftsvertrag, weil der EuGH insoweit auf die nationalen Rechtsgrundsätze im Gesellschaftsrecht verweist. Im autonomen deutschen Recht führt die Anwendung von § 38 ZPO zu unbefriedigenden Ergebnissen. Daher sollte man § 1066 ZPO analog anwenden.1389
1384 BGH v. 14.9.2000 – III ZR 33/00, MDR 2001, 106 = NJW 2000, 3720. 1385 BGH v. 19.3.1987 – I ARZ 903/86, MDR 1987, 735 = NJW 1988, 646. 1386 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit, IPRax 1993, 32 (Koch 19) = EWiR 1992, 353 (R. Geimer) = ZEuP 1994, 138 (Karré-Abermann). 1387 Zu eng jedoch hinsichtlich der Bestimmtheit des Streitgegenstandes (Rz. 1682) OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, AG 1993, 42 = RIW 1993, 141 = EWiR 1992, 989 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 195. 1388 Skeptisch aber Jayme/Kohler, IPRax 1992, 351. 1389 Bork, ZHR 157 (1993), 59 (64).
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
XXVII. Kompetenzkonflikt im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Beurteilung der Wirksamkeit einer ausschließlichen Zuständigkeitsvereinbarung durch das forum prorogatum und das forum derogatum 1. Negativer Kompetenzkonflikt Ein solcher tritt ein, wenn das forum prorogatum die (ausschließliche) Zustän- 1782 digkeitsvereinbarung für unzulässig oder unwirksam hält und deshalb keine Entscheidung in der Sache erlässt, umgekehrt aber das forum derogatum die Vereinbarung für wirksam und daher die eigene internationale Zuständigkeit für ausgeschlossen hält.1390 Ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands derogiert, so ist die Ablehnung einer Sachentscheidung durch das aus deutscher Sicht wirksam vereinbarte forum prorogatum ein Grund, die Derogation der internationalen Zuständigkeit als gegenstandslos zu betrachten (Rz. 1763), auch wenn bereits eine rechtskräftige Klageabweisung als unzulässig durch das forum derogatum vorliegt. Im umgekehrten Fall (Deutschland ist nach §§ 12 ff. ZPO international unzu- 1783 ständig, einziger Zuständigkeitsanknüpfungspunkt wäre die Prorogation, die aber aus deutscher Sicht unwirksam ist) wäre an die Eröffnung einer Notzuständigkeit (Rz. 1030) zu denken, wenn sonst die totale Justizverweigerung droht (weil das forum derogatum „hart“ bleibt, Rz. 1812). 2. Positiver Kompetenzkonflikt Es gibt keine Bindung des forum derogatum an die Entscheidung des forum pro- 1784 rogatum zur Frage der Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung (Rz. 1872). Der deutsche Richter beurteilt die Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung nach der für ihn maßgeblichen Rechtsordnung (Rz. 1675, 1677), der ausländische nach seiner lex fori oder eventuell nach der von seinem internationalen Privatrecht bestimmten lex causae. An der Verschiedenheit des Prüfungsmaßstabes scheitert daher von vornherein eine Bindung. Anders ist es im geschlossenen Zuständigkeits- und Anerkennungssystem der EuGVVO und des LugÜ.1391 Jedoch bringen die Regeln über die Beachtung der ausländischen Rechtshängig- 1785 keit (Rz. 2688) eine gewisse Abmilderung. Der später angerufene Richter muss die Entscheidung des zuerst angerufenen abwarten, wenn die Anerkennungsprognose positiv ist.1392
1390 Eine vergleichbare Konstellation liegt vor, wenn das staatliche Gericht die Schiedsvereinbarung für wirksam hält und sich daher für unzuständig erklärt und andererseits das Schiedsgericht die Schiedsvereinbarung für unwirksam erachtet und deshalb eine Sachentscheidung ablehnt. Vgl. auch Rz. 1781a. 1391 R. Geimer in FS Kralik, 1986, 185; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 210 ff. Vgl. auch Schack, IPRax 1991, 272. 1392 Ebenso EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – Turner/Grovit, RIW 2004, 541 (Krause 533; Mankowski 497).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
XXVIII. Arbeitssachen 1786 Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten (Rz. 1187, 1774) sind Zuständigkeitsvereinbarungen nicht ausgeschlossen.1393 § 2 I ArbGG betrifft nur die Abgrenzung zu den ordentlichen Gerichten, regelt also nicht die internationale Zuständigkeit.1394 1787 Bezüglich der Zulässigkeit von Derogationen will das Bundesarbeitsgericht jedoch auf den Einzelfall abstellen (Rz. 1774). 1788 Einstweilen frei
XXIX. Freiwillige Gerichtsbarkeit 1789 Zuständigkeitsvereinbarungen sind im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich unzulässig.1395
XXX. Schiedsgerichtliche Erledigung 1790 Eine vorsorgliche Zuständigkeitsvereinbarung für den Fall, dass eine Schiedsklausel unwirksam ist, ist zulässig und sinnvoll.1396 Eine Umdeutung einer unwirksamen Schiedsvereinbarung in eine wirksame (konkludent geschlossene) Gerichtsstandsvereinbarung ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände nur selten möglich.1397
1393 BAG v. 5.12.1966, BAGE 19, 164 = NJW 1967, 1152 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 51; v. BAG 18.12.1967, WM 1968, 524 = BB 1968, 590 = AP Nr. 11 zu IPR-ArbeitsR (Beitzke) = SAE 69, 33 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 52, BAG v. 20.7.1970, NJW 1970, 2180 = MDR 1970, 1043 = AWD 1970, 577 (Trinkner) = AP Nr. 4 zu § 38 Internationale Zuständigkeit (E. Lorenz) = SAE 71, 178 (Fikentscher) = IPRspr. 1970 Nr. 190c (dort auch die Entscheidung der Vorinstanzen: ArbG Rheine und LAG Hamm); BAG v. 5.9.1972, AP Nr. 159 zu § 242 BGB Ruhegehalt (Grunsky/Wuppermann) = MDR 1973, 529 = IPRspr. 1972 Nr. 142; BAG v. 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119 = JZ 1979, 647 (R. Geimer) = IPRspr. 1978 Nr. 144; BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131; Fikentscher, SAE 69, 33. 1394 Vorrangig sind jedoch Art. 25 IV, Art. 23 EuGVVO bzw. Art. 23 V, Art. 21 EuGVVO, Rz. 1605. 1395 OLG Düsseldorf v. 29.3.1978, FamRZ 1978, 622; Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 411; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 196; Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 97 Fn. 37. Ausnahme: § 344 I 2 FamFG. 1396 BGH v. 3.11.1983 – I ZR 101/83, MDR 1984, 649 = LM Nr. 23 zu § 38 ZPO = IPRspr. 1983 Nr. 196; BGH v. 3.4.1985 – I ZR 101/83, NJW RR 1987, 227 = GRUR 1986, 325 (Jacobs) = LM Nr. 18 zu § 33 ZPO = IPRspr. 1985 Nr. 136. 1397 OLG Hamburg v. 6.1.1972, MDR 1972, 429 = VersR 1972, 854 = AWD 1972, 162 = IPRspr. 1972 Nr. 136.
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Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
XXXI. Erfüllungsortvereinbarung Ist eine Erfüllungsortvereinbarung im Hinblick auf § 29 II ZPO unbeachtlich 1791 (Rz. 1490), so ist zu prüfen, ob sie im Wege der Umdeutung als Gerichtsstandsklausel aufrechterhalten werden kann.1398
XXXII. Staatsverträge Literatur: Kaufmann-Kohler, La clause d’élection de for dans les contrats internationaux, 1980; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, 2000, Rz. 1173. Sieht man von Art. 23 LugÜ (Rz. 1643) und dem Haager Übereinkommen 1792 (Rz. 244a) ab, so sind staatsvertragliche Regelungen, die für die internationale Entscheidungszuständigkeit (compétence directe) von Bedeutung sind, relativ selten; sie sind in einzelnen Spezialabkommen verstreut, z.B. in Art. 31 I CMR;1399 Prorogationen sind zulässig, jedoch nicht mit ausschließlicher Wirkung (Derogationsverbot).1400 Das LG München I1401 will für Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung mit der BGH-Rechtsprechung (Rz. 1678) die lex causae anwenden. Diese Spezialübereinkommen haben Vorrang, Art. 71 I EuGVVO, Art. 67 I LugÜ. Zuständigkeitsvereinbarungen lassen folgende Übereinkommen erst nach Ein- 1793 tritt des Schadens bzw. Entstehen der Streitigkeit zu: – Art. 21 V, 23 des VN-Übereinkommens über die Beförderung von Gütern auf See vom 31.3.1978 (Hamburger Regeln);1402 – Art. 9 des Übereinkommens über Personenbeförderung auf See 1961; – Art. 17 des Athener Übereinkommens vom 13.12.1974 über die Passagier- und Gepäckbeförderung i.d.F. der Protokolle von 1976 und 1990 (für Deutschland nicht in Kraft).1403 1398 OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = RIW 1985, 890 (893) = IPRspr. 1984 Nr. 150. 1399 Hierzu Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 317 ff.; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96 ff. 1400 OLG Hamburg v. 26.4.1984 – 6 U 252/83, VersR 1984, 687 = TranspR 1984, 194 (v. Dannenberg) = IPRspr. 1984 Nr. 136. Vgl. AG Köln v. 6.2.1985 – 119 C 270/84, RIW 1986, 384 = IPRspr. 1985 Nr. 133 betreffend § 65b ADSp. 1401 LG München I v. 27.11.1990 – 9 HKS 15821/90, RIW 1991, 150 = IPRspr. 1990 Nr. 181. 1402 Von Deutschland nicht ratifiziert, aber weitgehend ohne völkerrechtliche Bindung umgesetzt. Deutsche Übersetzung European Transport Law 14 (1979), 553; hierzu Basedow, RabelsZ 49 (1985), 189; Rabe, Seehandelsrecht4, Vor § 556 Rz. 210 ff.; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 125; Staudinger/Sturm/Sturm, 2012, Einl. zum IPR, Rz. 370. 1403 Hierzu z.B. Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 487. In Deutschland s. die Anlage zu § 664 HGB a.F., die in Ablehnung an das Athener Übereinkom-
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1794 Ein absolutes Verbot von Zuständigkeitsvereinbarungen bringt Art. 13 des Übereinkommens über die Haftung für Passagiergepäck auf See vom 27.5.1967. 1795 Die Haager Übereinkommen – über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 15.4.19581404 und – über die Wahl des Gerichtsstandes vom 25.11.19651405 sind gescheitert. Einen neuen Anlauf machte die Haager Konferenz mit dem Übereinkommen vom 30.6.2005 (Rz. 244a).1406 Ob dieses weltweite Verbreitung erlangen wird, ist derzeit nicht absehbar. Die Europäische Union möchte diese Konvention demnächst ratifizieren.1407 1796 Die Regeln über die (internationale) Zuständigkeitsvereinbarung in den Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen betreffen nur die internationale Anerkennungszuständigkeit (compétence indirecte). 1797–1804 Einstweilen frei
XXXIII. Internationale Anerkennungszuständigkeit 1. Prorogation des Erststaates 1805 Da der Erstrichter seine internationale Entscheidungszuständigkeit aufgrund seines nationalen Zuständigkeitsrechts prüft, kann es vorkommen, dass für ihn die Gerichtsstandsvereinbarung gar nicht entscheidungserheblich ist. Zu denken ist etwa an die Fälle der Art. 14, 15 Code civil oder des forum legis. Die Zuständigkeitsvereinbarung erlangt dann erst bei der Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit Bedeutung.1408 Umgekehrt ist auch denkbar, dass der Erstrichter seine internationale Zuständigkeit auf eine Zuständigkeitsvereinbarung gestützt hat, während aus der Sicht des Zweitstaates der Erststaat kraft Gesetzes international zuständig ist, z.B. nach §§ 328 I Nr. 1, 23 ZPO (Rz. 1393, 2896). 1806 Der Zweitrichter prüft nur die internationale Zuständigkeit des Erststaates, nicht auch die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts (Rz. 2898).
1404 1405 1406
1407 1408
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men formuliert ist. Hierzu Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 4051; Rabe, Seehandelsrecht4, Anl § 664 Art. 14 Rz. 2. Innerstaatlich wurde Art. 17 des Athener Übereinkommens in § 30 ZPO umgesetzt, Rz. 1469. Hierzu F. E. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997, 262 ff. Hierzu F. E. Sandrock, a.a.O., 265 ff. Hierzu R. Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100; Vrellis, The validity of a Choice of Court Agreement under The Hague Convention of 2005, in Liber Amicorum Siehr, 2010, 763; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 89, 161, 185, 209, 267, 367. Vorschlag der Kommission v. 30.1.2014, COM(2014) 46 final. Hierzu Entwurf eines deutschen Durchführungsgesetzes, BT-Drucks. 18/2846. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1538.
Zuständigkeitsvereinbarungen
Vierter Teil
Noch weitgehend ungeklärt ist, nach welchen Grundsätzen das Prorogationssta- 1807 tut vom Zweitrichter zu bestimmen ist (Fragen der Zulässigkeit und Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung). Ist das Recht des Zweitstaates auch dann heranzuziehen, wenn die Zuständigkeitsverlagerung aufgrund der Prorogation den Zweitstaat gar nicht tangiert? Beispiel: Ein Kairoer und ein Istanbuler vereinbaren die Zuständigkeit der Gerichte in New York.1409
2. Derogation der internationalen Zuständigkeit des Erststaates a) Sachentscheidung des forum derogatum Ist die internationale Zuständigkeit des Erststaates aus deutscher Sicht derogiert, 1808 hat aber das erststaatliche Gericht gleichwohl eine Sachentscheidung erlassen, dann ist die internationale Unzuständigkeit nur auf Rüge des Beklagten zu beachten. Eine Versagung der Anerkennung von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Die Rüge der Derogation ist präkludiert, wenn der Beklagte diesen Einwand 1809 nicht bereits im Erstverfahren vorgebracht hat (Rz. 1425, 1714, 1820, 2907). Dem (im Erststaat verurteilten) Beklagten kann nicht gestattet werden, im Verfahren vor dem Zweitrichter, der über die Anerkennung des ausländischen Urteils zu befinden hat, im Wege neuen Tatsachenvortrags erstmals den Einwand der Derogation der an sich nach dem Recht des Zweitstaates gegebenen internationalen Zuständigkeit des Erststaates zu erheben.1410 Beispiel: 1810 Wird ein in Moskau wohnhafter Beklagter dort verklagt und lässt er dort gegen sich Versäumnisurteil ergehen, dann kann er gegen die Anerkennung dieses Urteils in Deutschland nicht geltend machen, Russland sei international unzuständig, weil die ausschließliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts prorogiert (und damit die internationale Zuständigkeit Russlands derogiert) gewesen sei. Dem Beklagten wäre zuzumuten gewesen, vor dem Gericht in Moskau den Derogationseinwand zu erheben. Durch den vertraglichen Ausschluss der an sich gegebenen internationalen Zuständigkeit des Erststaates wird die Last zur Einlassung vor dem an sich international zuständigen Gericht des Erststaates nicht im Ganzen beseitigt, sondern nur die Einlassungspflicht zur Hauptsache. Hält sich der Kläger nicht an die Zuständigkeitsvereinbarung oder besteht über ihre Wirksamkeit Streit und erhebt er deswegen Klage in einem nach dem Recht des Zweitstaates an sich international zuständigen Staat, so ist es dem Beklagten zuzumuten, dass er vor dem Gericht dieses Staates erscheint bzw. sich ordnungsgemäß vertreten lässt, um den Unzuständigkeitseinwand zu erheben. Damit wird keine Einlassungspflicht vor allen Gerichten dieser Erde nach freier Wahl des Klägers postuliert. Einlassungspflichtig ist der Beklagte nur vor den Gerichten solcher Staaten, die nach deutscher Auffassung (§ 328 I Nr. 1 ZPO; gegebenenfalls auch § 109 I Nr. 1 FamFG) bei Nichtberücksichtigung der Derogation international zuständig wären (Rz. 906).
1409 Für großzügige Bejahung Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 115. 1410 A.A. Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 394.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
b) Klageabweisung als unzulässig durch forum derogatum 1811 Nach § 328 ZPO und § 109 FamFG sind anerkennungsfähig nur Sachentscheidungen, keine Prozessurteile, auch wenn diese nach dem Recht des Erststaates res iudicata-Wirkung entfalten (Rz. 2788).1411 1812 Eine Bindung des forum prorogatum via Anerkennung der Klageabweisung als unzulässig im forum derogatum ist daher abzulehnen. Gleichwohl sollte das forum prorogatum nach Möglichkeit eine Abweisung der bei ihm erhobenen Klage wegen Unzulässigkeit oder Unwirksamkeit der Prorogation verhindern, weil sonst ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt droht (Rz. 1783).
11. Kapitel: Prüfung der internationalen Zuständigkeit I. Zweck der Zuständigkeitsprüfung 1813 Soweit nicht eine (von der h.M. postulierte) ausschließliche internationale Zuständigkeit Deutschlands auf dem Spiele steht, an deren Beachtung ein unmittelbares staatliches Interesse besteht,1412 dient die Prüfung von Amts wegen dem Schutz des Beklagten.1413
II. Terminanberaumung 1814 Ist nach Auffassung des Vorsitzenden für die Klage/den Antrag die internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht gegeben, so ist dies kein Grund, die Zustellung der Klage und die Terminbestimmung zu unterlassen.1414 Über die Frage der internationalen Zuständigkeit ist vielmehr stets aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden, gegebenenfalls kann gesonderte Verhandlung gem. § 280 I ZPO angeordnet werden (Rz. 1848). 1815 Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen die internationale Zuständigkeit Deutschlands gem. § 39 ZPO bzw. Art. 26 EuGVVO und Art. 24 LugÜ begründet 1411 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1415; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 39. S. auch OLG München v. 10.10.2002 – U (K) 1651/02, SpuRt 2003, 199 = IPRspr. 2002 Nr. 223 = DIS-Datenbank, www.dis-arb.de. Hierzu Martens/Feldhoff-Mohr, SchiedsVZ 2007, 11 (19). 1412 Zu der hier vertretenen These, dass es solche Konstellationen überhaupt nicht gibt, oben Rz. 878; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1548. Anders für die Schweiz z.B. Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff. 1413 Unrichtig daher BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = EWiR 1985, 659 (Birk) = IPRspr. 1985 Nr. 48: Die internationale Zuständigkeit müsse von Amts wegen beachtet werden, „da es um die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte und die Belange der Gerichtsbarkeit geht“. 1414 Unrichtig daher LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142: Klage gegen einen Matrosen an Bord eines in einem deutschen Hafen ankernden Schiffs unter ausländischer Flagge sei „frivol“.
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werden kann, sondern auch dann, wenn der Vorsitzende der Auffassung ist, dass die ausschließliche internationale Zuständigkeit eines ausländischen Staates1415 zu bejahen ist1416 oder aus sonstigen Gründen die vom Kläger/Antragsteller behauptete internationale Zuständigkeit Deutschlands offensichtlich nicht gegeben sei.
III. Prüfung von Amts wegen 1. Überblick Die internationale Zuständigkeit ist als (eigene) Prozessvoraussetzung (Rz. 1008) 1816 von Amts wegen zu prüfen.1417 Nur wenn feststeht, dass die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist, darf ein Sachurteil ergehen. Andererseits hängt die Bejahung der internationalen Zuständigkeit vom Verhalten des Beklagten ab, Rz. 1817. Er kann sich ausdrücklich oder konkludent (durch Verzicht auf die rechtzeitige Rüge der internationalen Unzuständigkeit) der Jurisdiktion der Bundesrepublik Deutschland unterwerfen (Rz. 1396). Deshalb bedarf der Satz, die internationale Zuständigkeit sei in jeder Lage des Verfahrens – ohne Rüge1418 – von Amts wegen zu prüfen1419, der Einschränkung: Eine Amtsprüfung ist – im kontradiktorischen Verfahren – nur dort von der ratio legis gefordert, wo die internationale Zuständigkeit nicht durch rügelose Einlassung des Beklagten/Antragsgegners nach § 39 ZPO oder nach Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ begründet werden kann.1420 Deshalb kommt – jedenfalls im Grundsatz – eine Pro-
1415 Art. 16 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 22 EuGVVO. 1416 OLG Frankfurt v. 5.10.1981 – 4 WF 35/81, FamRZ 1982, 316 = IPRspr. 1981 Nr. 176. Anders für „frivole“ Klagen LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142.l. 1417 BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = RIW 1984, 316 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131. Weitere Nachw. z.B. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 204. 1418 BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = EWiR 1985, 659 (Birk) = IPRspr. 1985 Nr. 48; BAG v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94–5 AZR 18/94, IPRax 1996, 416 (Mankowski 405) = MDR 1995, 1241 = EWiR 1995, 1191 (Mankowski) = IPRspr. 1995 Nr. 57. 1419 Großer Senat des BGH v. 14.6.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 (52) = NJW 1965, 1665 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 224; BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = MDR 1987, 228 = LM Nr. 9 zu § 175 ZPO = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = Rpfleger 1987, 26 = WM 1986, 1444 = IPRspr. 1986 Nr. 144; BGH v. 23.2.1995 – I ZR 15/93, MDR 1995, 813 = NJW-RR 1995, 810 = BB 1995, 945 = LM § 1 UWG Nr. 686/687 = IPRspr. 1995 Nr. 122; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 (129) = MDR 1997, 288 = IPRspr. 1996 Nr. 160; BGH v. 25.2.1999 – VII ZR 408/97, MDR 1999, 670 = NJW 1999, 2442 (2443) = RIW 1999, 456 = IPRax 2001, 331 (Pulkowski 306) = IPRspr. 1999 Nr. 110; OLG Koblenz v. 28.3.1991 – 2 U 849/89, RIW 1991, 592 = IPRspr. 1991 Nr. 172; KG v. 22.10.1997 – 3 UF 1976/97, FamRZ 1998, 378 = NJW 1998, 2062 = IPRspr. 1997 Nr. 87. 1420 R. Geimer, RIW 1988, 221. Zustimmend Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 45.
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zessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit vor Klagezustellung1421 und damit Begründung der Rechtshängigkeit (§§ 253, 261 ZPO) nicht in Betracht. Soweit eine Prüfung von Amts wegen zu erfolgen hat, kann neuer Tatsachenvortrag nicht nach § 531 II ZPO zurückgewiesen werden; denn diese Vorschrift gilt nur für solche, die zur Begründung des Sachantrags dienen, nicht jedoch für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die sich auf von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen beziehen; für diese gilt § 532 ZPO.1422 2. In Betracht kommende Hypothesen Deshalb sind folgende Hypothesen zu unterscheiden:1423 a) Beklagter nimmt am Verfahren teil 1817 Die internationale Zuständigkeit ist nur dann zu prüfen, wenn er die internationale Unzuständigkeit rügt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn weder § 39 ZPO noch Art. 26 EuGVVO noch Art. 24 LugÜ zur Anwendung kommen können (Rz. 1402).1424 1818 Beispiel: Ehescheidungs-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen. Ob die internationale Zuständigkeit Deutschlands gem. §§ 98 ff. FamFG zu bejahen ist oder nicht, hat das deutsche Gericht von Amts wegen zu prüfen.
b) Beklagter nimmt am Verfahren nicht teil 1819 Nimmt der Beklagte am Rechtsstreit nicht teil, so hat der Richter gem. Art. 28 I EuGVVO und Art. 26 I LugÜ1425 von Amts wegen zu prüfen, ob Deutschland international zuständig ist (Rz. 1414). Kommt er zu dem Ergebnis, dass eine Zuständigkeitsanknüpfung i.S. der Art. 4 ff. EuGVVO und Art. 2 ff. LugÜ nicht gegeben ist, so hat er sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Zu Recht bezeichnet der Jenard-Bericht (zu Art. 20 EuGVÜ) diese Vorschrift als eine „der wichtigsten Bestimmungen“; denn diese Bestimmung soll den Beklagtenschutz sicherstellen.1426 1820 Der Beklagte braucht nicht am erststaatlichen Verfahren (= Erkenntnisverfahren) teilzunehmen, nur um die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend zu machen. Ausnahmen gelten aber für die Fälle des vertraglichen Ausschlusses der an sich gegebenen Zuständigkeit des Gerichtsstaates durch Derogation bzw. 1421 Zur Zustellung der Klage an Immune s. oben Rz. 479, 484 ff., 525, 527a, 639. 1422 OLG Düsseldorf v. 2.3.2004 – 4 U 141/03, NJW-RR 2004, 1720 = OLGReport 2005, 69 (71). 1423 S. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 41. 1424 R. Geimer, RIW 1986, 118. 1425 Aus Sicht eines deutschen Gerichts hat nach Art. 64 LugÜ (Rz. 1886), der auch für das Verhältnis zwischen EuGVVO n.F. und LugÜ anzuwenden ist, Art. 28 I EuGVVO Vorrang. 1426 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 26 EuGVVO Rz. 4.
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für den Einwand der Schiedsvereinbarung (Rz. 1809). Der Erstrichter braucht nicht von Amts wegen zu forschen, ob eine Derogation oder eine schiedsgerichtliche Erledigung vereinbart worden ist. Erfährt er jedoch davon, sei es aus dem Vortrag des Klägers, sei es aus anderen prozessordnungsgemäßen Quellen, dann hat er sich für unzuständig zu erklären, im Fall der Vereinbarung der schiedsgerichtlichen Erledigung jedoch nur, wenn nach seiner lex fori eine Rüge des Beklagten nicht erforderlich ist. So dürfen deutsche Gerichte die Schiedsvereinbarung nur auf Einrede des Beklagten beachten (§ 1032 I ZPO), es sei denn, in der Schiedsvereinbarung wurde vereinbart, dass die Schiedsvereinbarung auch von Amts wegen zu beachten sei.1427 Nicht so klar ist die Regelung im autonomen deutschen Prozessrecht. Beantragt 1821 der Kläger gegen den nicht erschienenen Beklagten ein Versäumnisurteil, so ist – jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes – das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers auch bezüglich der Zuständigkeitstatsachen als zugestanden anzusehen. Eine Ausnahme gilt gem. § 331 I 2 ZPO nur für das Vorbringen zur Vereinbarung des Erfüllungsortes (§ 29 II ZPO) und zur Zuständigkeitsvereinbarung.1428 Der Beklagtenschutz ist also weniger intensiv als nach dem europäischen Ein- 1822 heitsrecht. Die Abgrenzung des Anwendungsbereiches des Art. 28 I EuGVVO und Art. 26 I LugÜ zum autonomen deutschen Recht hat erhebliche praktische Bedeutung, es sei denn, man wendet wegen § 335 I Nr. 1 ZPO die Geständnisfiktion des § 331 ZPO hinsichtlich der Zuständigkeitstatsachen generell nicht an. Hierfür sprechen gute Gründe; denn nach dem Wortlaut des § 331 ZPO hätten alle Beklagten dieser Welt die prozessuale Last, sich vor einem deutschen Gericht einzulassen, nur um zu rügen, dass nach §§ 12 ff. ZPO Deutschland international unzuständig ist (Rz. 1526).1429 3. Regelungsbereich des Brüssel I-Systems Auch bezüglich der Modalitäten der Prüfung von Amts wegen bringen die 1823 EuGVVO und das LugÜ Abgrenzungsprobleme.1430 Grundsätzlich bestimmt das nationale Recht, in welcher Weise die Prüfung von Amts wegen erfolgt. Insoweit räumen die EU-Verordnung und das Lugano-Übereinkommen den Mitgliedbzw. Vertragsstaaten einen Spielraum ein. So kann das nationale Recht den Richter verpflichten, zuständigkeitsrelevante Tatsachen nach der Inquisitionsmaxime selbst zu erforschen. Es kann jedoch auch anordnen, dass der Richter, der an der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zweifelt, der interessierten Partei auferlegt, bestimmte Nachweise zu erbringen. 1427 R. Geimer, WM 1986, 118. A.A. Schlosser in Stein/Jonas, ZPO23, § 1032 Rz. 1 Fn. 4. 1428 Hierzu OLG Karlsruhe v. 22.3.2002 – 14 U 148/01, MDR 2002, 1269. 1429 R. Geimer, NJW 1973, 1151; R. Geimer, WM 1986, 119. Für wortgetreue Anwendung des § 331 I ZPO Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 97. S. auch Schoibl in FS Schütze, 1999, 777. 1430 Zu Art. 20 EuGVÜ/LugÜ 1988 R. Geimer, WM 1986, 241; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 164 ff.; Schoibl in FS Schütze, 1999, 777.
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1824 Für alle Mitglied- bzw. Vertragsstaaten einheitlich gilt jedoch der europarechtliche Satz: Der Richter darf seine Zuständigkeit nicht aufgrund bloßer Behauptungen des Klägers/Antragstellers bejahen1431, sondern nur dann, wenn er von der Existenz aller Umstände voll überzeugt ist, die seine Kompetenz begründen. Solange er diese Überzeugung nicht hat, kann bzw. muss er den Kläger auffordern, die notwendigen Beweise zu liefern. Werden die Beweise nicht erbracht, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Andererseits besteht ein Verbot der Amtsprüfung bei kontradiktorischem Verfahren, Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ. 4. Doppelrelevante Tatsachen 1825 Vorstehendes gilt auch für die sog. doppelrelevanten Tatsachen, also für solche, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen sowohl für den Kompetenzbestand als auch für die Begründetheit der Klage relevant ist.1432 1826 Nach h.M. genügt für die Begründung der Zuständigkeit nach § 29 ZPO/Art. 7 Nr. 1 EuGVVO/Art. 5 Nr. 1 LugÜ bzw. nach § 32 ZPO/Art. 7 Nr. 2 EuGVVO/Art. 5 3 LugÜ die Behauptung des Klägers/Antragstellers, die (tatsächlichen) Voraussetzungen des Kompetenztatbestandes lägen vor (Rz. 1494, 1526).1433 Dies genügt aber nicht; vielmehr ist erforderlich, dass der äußere Tatbestand eines Vertragsabschlusses bzw. eines Delikts etc. gegeben ist.1434 Ob die subjektiven Voraussetzungen vorliegen oder nicht, spielt keine Rolle. Dies ist vielmehr eine Frage der Begründetheit der Klage. Für die Zuständigkeitsprüfung irrelevant ist z.B. der Einwand des Dissenses oder der Irrtumsanfechtung. Nicht ausreichend ist jedoch die unsubstantiierte Behauptung des Klägers, es habe ein Vertragsabschluss stattgefunden, sonst würde im Versäumnisfall die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten unzumutbar ausgeweitet werden. Nimmt der Beklagte am Verfahren nicht teil bzw. rügt der Beklagte die internationale Unzuständigkeit, 1431 Anders die h.M.: Es genüge, wenn der Kläger die Zuständigkeitstatsachen schlüssig behauptet, vgl. z.B. BGH v. 30.10.2003 – I ZR 59/00, RIW 2004, 228; KG v. 30.1.2001 – 5 W 8942/00, NJW-RR 2001, 1509 (1510). 1432 Ausführlich Schumann in FS Nagel, 1987, 402, 515; Nachw. bei Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 7, 183 ff., 249 ff., 314 ff., 386 ff.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 1 Rz. 21, § 29 Rz. 57, § 32 Rz. 15. 1433 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, NJW 1994, 1413 = ZZP 108 (1995), 359 (H. Koch) = LM § 32 ZPO Nr. 15 (R. Geimer); BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, NJW 1996, 1411 = IPRax 1997, 187 (Mankowski 173) = JZ 1997, 88 (Gottwald) = LM § 29 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = ZZPInt 2 (1997), 117 (U. Wolf); BGH v. 29.6.2010 – VI ZR 122/09, MDR 2010, 943; OLG München v. 23.7.1996 – 25 U 4715/95, NJW-RR 1997, 229 = TranspR 1997, 33 = IPRspr. 1996 Nr. 151; Mansel, IPRax 1989, 86; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 95; M. Stürner, IPRax 2006, 450 (451); Weller, IPRax 2000, 202 (204). Anders Schumann in FS Nagel, 1987, 420. Differenzierend Linke/Hau, IZVR5, Rz. 159. Umfangreiche Nachw. bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 23 ff., 57, 61, 65. 1434 R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 213 (241); zustimmend Trunk, IPRax 1998, 448 (450); Rosenkranz, IPRax 2007, 524 (525). Noch weiter geht Mankowski, Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auf dem Prüfstand der internationalen Zuständigkeit, IPRax 2006, 454. Er verlangt vollen Beweis aller Tatbestandselemente.
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so hat das Gericht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung1435 zu untersuchen, ob Tatsachen vorliegen, die möglicherweise auf einen Vertragsabschluss hindeuten.1436 Ob dagegen ein Vertrag wirksam zustande gekommen ist, gehört nicht mehr zur Zuständigkeitsprüfung, sondern zur Begründetheit der Klage. § 29 ZPO und Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1 LugÜ umfassen also auch solche Fälle, in denen gerade darum gestritten wird, ob ein Vertrag vorliegt oder nicht.1437 Gleiches gilt für die Zuständigkeitsprüfung gem. § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 1827 EuGVVO, Art. 5 Nr. 3 LugÜ. Das Gericht hat zu untersuchen, ob der vom Kläger behauptete Geschehensablauf, der u.U. die Klage begründen könnte, tatsächlich stattgefunden hat. Ob dieser Sachverhalt jedoch das Klagebegehren stützen kann, ist nicht eine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern der Begründetheit. Wird z.B. die Klage auf einen Verkehrsunfall gestützt, so muss das Gericht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung untersuchen, ob überhaupt ein Zusammenstoß oder ein sonstiger Schädigungsvorgang stattgefunden hat.
IV. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Zuständigkeitstatsachen 1. Eintritt der Zuständigkeitsvoraussetzungen erst während des Rechtsstreits Es ist ausreichend, dass die Zuständigkeitstatsachen erst während des Rechts- 1828 streits eingetreten sind; denn es wäre unsinnig, eine Klage abzuweisen, die sofort wiederholt werden könnte.1438 Maßgebender Zeitpunkt ist die letzte mündliche Verhandlung bzw. der dieser gleichgestellte Zeitpunkt; auch in der Revisionsinstanz ist die Einbürgerung noch zu beachten.1439 Es genügt, dass die Voraussetzungen für die Bejahung der internationalen Zuständigkeit während des Revisionsverfahrens unstreitig oder offenkundig eingetreten sind.1440 Ist die Einbürgerung beantragt und kommt es für die Bejahung der deutschen in- 1829 ternationalen Zuständigkeit auf die deutsche Staatsangehörigkeit einer Partei an, weil die Voraussetzungen des § 98 I Nr. 2–4 FamFG nicht vorliegen, so ist der Eherechtsstreit auszusetzen.1441 Gleiches gilt auch für Lebenspartnerschaftssachen, § 103 I Nr. 1 FamFG.
1435 Art. 28 I EuGVVO bzw. Art. 26 I LugÜ. 1436 R. Geimer, WM 1986, 119. 1437 Großzügiger BGH RIW 1986, 992 = EWiR 1986, 991 (R. Geimer), der sich mit „schlüssigem Vortrag der die Zuständigkeit begründenden Tatsachen“ begnügt. Differenzierend Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, 1999, 99 ff. S. auch Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 188 ff., 203 ff., 249 ff. 1438 Skeptisch gegenüber dieser Überlegung OLG Dresden v. 11.4.2007 – 8 U 1939/06, NJW-RR 2007, 1145 = IPRspr. 2007 Nr. 135. 1439 BGH v. 17.12.1969, BGHZ 53, 128 = FamRZ 1970, 139 = MDR 1970, 309 = NJW 1970, 1007 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 209; BGH v. 21.2.1975, StAZ 1975, 338 = IPRspr. 1975 Nr. 55; BGH v. 27.10.1976, NJW 1977, 498 = FamRZ 1977, 46 = IPRspr. 1976 Nr. 87. 1440 Mankowski in FS Heldrich, 2005, 867, 875. 1441 OLG Hamburg, JW 1937, 963; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 80.
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2. Fortfall der Zuständigkeitsvoraussetzungen während des Rechtsstreits 1830 Es ist bestritten, ob der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 III Nr. 2 ZPO) auch für die internationale Zuständigkeit1442 gilt.1443 1831 Aus der Rechtsnatur des Arrestprozesses als eines summarischen Eilverfahrens ergibt sich, dass hier Rechtshängigkeit bereits mit Einreichung des Antrags begründet wird, also nicht erst mit seiner Zustellung.1444 3. Stellungnahme 1832 Das Problem der perpetuatio competentiae internationalis1445 wird in der Praxis vorwiegend in Statussachen, vor allem in Ehesachen1446 aktuell. Beispiel: Der letzte/einzige sich in Deutschland gewöhnlich aufhaltende Ehegatte (§ 98 I Nr. 4 FamFG, Rz. 1279) einer Ausländerehe (bei Beteiligung eines deutschen Partners käme § 98 I Nr. 1 FamFG zum Zuge, Rz. 1323) verzieht ins Ausland oder wird dorthin gegen seinen Willen von der Ausländerbehörde abgeschoben.1447
1442 Er gilt nicht für die Gerichtsbarkeit, Rz. 843g. 1443 Dafür Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Civilprozessrechts, 1903, 98; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 46; Linke/Hau, IZVR5, Rz. 164; Neuner, Internationale Zuständigkeit, 1929, 43; Bergmann, JW 1932, 601; Massfeller, DJ 1936, 8681; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 76 ff.; Reu, Die staatliche Zuständigkeit im IPR, 1938, 194; Rabel, Conflicts of Laws I2, 484; Pagenstecher, RabelsZ 22 (1937), 449 ff. (mit der Einschränkung, dass der Zweck eines deutschen Gesetzes nicht vereitelt werden dürfe); R. Geimer, JZ 1979, 648; OLG Celle v. 24.10.1989 – 16 U 77/87, RIW 1990, 320 = IPRspr. 1989 Nr. 196. Ebenso aus schweizerischer Sicht Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 112. Dagegen Damrau in FS Bosch, 1976, 103 ff. m.w.N.; Jakobs, Die perpetuatio fori im int. Recht des Zivilprozesses und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1962, 75, 85 (Ausnahme: § 24 ZPO, wenn Grundstück durch Grenzänderung nicht mehr zum deutschen Staatsgebiet gehört, und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in den Fällen des § 98 I Nr. 1 FamFG, vormals § 606a ZPO). Nachw. bei Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 247 ff.; Schütze, DIZPR2, Rz. 111; Pollinger, Intertemporales Zivilprozessrecht, 1988, 60 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 294. Durch die Neufassung des Satzes 2 des § 29 JN mit Wirkung ab 1.1.1998 durch die Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1997 (WGN 1997) hat der österr. Gesetzgeber klargestellt, dass der Grundsatz der perpetuatio fori auch für die int. Zuständigkeit gilt, hierzu Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (306). Zu unterscheiden von dem vorstehenden Fragenkomplex ist die Frage der perpetuatio fori bei der Prüfung der int. Zuständigkeit des Erststaates aus Anlass der Anerkennung bzw. Vollstreckung ausländischer. Entscheidungen, Rz. 2902. 1444 OLG Hamburg v. 8.6.1989 – 6 U 135/88, IPRax 1990, 400 (Mankowski/Kerfack 372) = RIW 1990, 225 = TranspR 1989, 374 (Mankowski, TranspR 1990, 213) = IPRspr. 1989 Nr. 67. 1445 von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 69 ff. 1446 Hierzu Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 294 ff. 1447 OLG Hamm v. 12.6.1985, IPRspr. 1985 Nr. 58.
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Prüfung
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Im Anwendungsbereich der §§ 12–40 ZPO sind nur wenige Fälle bekannt geworden: Internationale Zuständigkeit gem. § 23 ZPO, da dem Beklagten eine inländische Forderung zustand. Diese ging während des Prozesses durch Aufrechnung bzw. Erfüllung unter.1448 Angesichts der Vielzahl der Zuständigkeitsanknüpfungen (§§ 20–40 ZPO) dürfte 1833 bei Wegfall der tatsächlichen Voraussetzungen eines Gerichtsstandes die internationale Zuständigkeit Deutschlands meistens unberührt bleiben, da eine andere Zuständigkeitsanknüpfung Platz greift: Wer seinen Wohnsitz während des Prozesses ins Ausland verlegt, hat meistens noch Vermögen im Inland (§ 23 ZPO), z.B. Ansprüche auf Lohnsteuerrückerstattung, Ansprüche aus der Sozialversicherung oder Lebensversicherung etc. oder aus einem Kontokorrentverhältnis mit einer deutschen Bank. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen die deutsche internationale Zuständig- 1834 keit von der (unmittelbaren oder analogen) Anwendung des § 261 III Nr. 2 ZPO abhängt: ein exterritorialer Deutscher, der nie in Deutschland wohnte, verliert seine Exterritorialität (§ 15 ZPO); ein ausländisches Unternehmen löst seine Niederlassung in Deutschland auf (§ 21 ZPO).1449 In all diesen Fällen bleibt die internationale Zuständigkeit Deutschlands trotz 1835 Wegfalls der Zuständigkeitstatsachen unberührt.1450 Maßgebend sollte der Schutz des Vertrauens des Klägers in den fortbestehenden Anspruch auf Justizgewährung sein.1451 Die Zulässigkeit der Klage soll im Interesse der Rechtssicherheit für den Kläger möglichst voraussehbar sein. Verschiebungen der Zuständigkeitstatsachen nach Klageerhebung können nicht zu seinen Lasten gehen.1452 Sein Anspruch auf Justizgewährung im Inland (Rz. 250, 1906) sollte nicht durch nachträgliche Veränderungen des Sachverhalts, die ja vorwiegend in der Sphäre des Beklagten, sicher aber nicht in der des Klägers liegen, in Frage gestellt werden. Auf einem anderen Blatt steht, ob dem Kläger mit einem deutschen Urteil noch genützt ist. Dies zu entscheiden, ist aber allein seine Sache. Will er aufgrund der
1448 RG v. 7.6.1904, RGZ 58, 258 wandte § 263 II Nr. 2 = jetzt § 261 III Nr. 2 ZPO an. S. auch OLG Hamburg v. 22.8.1995 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 203 = IPRspr. 1996 Nr. 115a: „Zumindest im Rahmen des § 23 ZPO, der allein an das inländische Vermögen anknüpft, ist der Grundsatz der perpetuatio fori uneingeschränkt zu bejahen. Andernfalls könnte sich der ausländische Beklagte durch Verlagerung seines Vermögens während des Prozesses ohne weiteres dem inländischen Verfahren entziehen.“ Dieses Urteil wurde vom BGH v. 24.4.1996 – IV ZR 263/95, NJW 1996, 2096 = FamRZ 1996, 855 = IPRax 1998, 211 (Michaels 192) = MDR 1996, 819 = ZEV 1996, 225 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 115b bestätigt. 1449 Weitere Beispiele bei Damrau in FS Bosch, 1976, 116. 1450 BAG v. 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119 = JZ 1979, 647 (R. Geimer) = IPRspr. 1978 Nr. 144. Ebenso für die Parallelproblematik im Anwendungsbereich der EuGVVO BGH v. 1.3.2011 – XI ZR 48/10, BGHZ 188, 373 = NJW 2011, 2515 = WuB VII B. Art. 2 EuGVVO – Nr. 1.11 (R. Geimer) = IPRspr. 2011 Nr. 188. S. auch Geimer/Schütze, EuZPR3, A 1 – Art. 2 Rz. 137 ff., 173, 211 und Art. 27 Rz. 64. 1451 R. Geimer, NJW 1987, 3085. 1452 Ausführlich zum Diskussionsstand Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009, 36 ff.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
neuen Situation den Rechtsstreit nicht mehr weiter betreiben, so sollte man ihm die Möglichkeit geben, ohne Einwilligung des Beklagten die Klage zurückzunehmen. 1836 Beispiel: Beklagter verzieht ins Ausland und transferiert auch dorthin sein Vermögen.
1837 Die in der bisherigen Diskussion gegen die perpetuatio vorgebrachten Argumente überzeugen nicht: Wenn es für die internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht auf die Anerkennung des deutschen Urteils durch das Ausland ankommt, dann spielt dieser Gesichtspunkt auch im Rahmen des hier erörterten Problems keine Rolle. Das Gleiche gilt für das Souveränitätsargument in den Fällen des § 24 ZPO.1453 4. Perpetuatio competentiae internationalis in der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1838 Auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit wird die perpetuatio competentiae internationalis kontrovers diskutiert.1454 Art. 5 KSÜ bzw. Art. 1 MSA stellt auf den Zeitpunkt ab, in dem die Schutzmaßnahme erfolgen soll. Die einmal begründete internationale Zuständigkeit Deutschlands entfällt, wenn der Minderjährige während der Rechtshängigkeit des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat verlegt, Art. 5 MSA.1455 Zieht er jedoch in einen Nichtvertragsstaat, dann gilt das autonome deutsche internationale Zivilverfahrensrecht.1456 Hat das deutsche Gericht vor Aufenthaltswechsel bereits eine (einstweilige) Anordnung er-
1453 Nach Damrau, a.a.O., 113 verlangt das staatliche Interesse die Prozessabweisung: Der inländische Prozessapparat werde dadurch am geringsten belastet. Dieses Interesse ist aber gegenüber dem Justizgewährungsanspruch des Klägers zweitrangig. S. aber auch Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009, 57. 1454 OLG Düsseldorf v. 11.5.1981 – 4 UF 66/81, FamRZ 1981, 1005; BayObLG v. 11.2.1982, FamRZ 1982, 640 = IPRspr. 1982 Nr. 194; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 259. Für perpetuatio fori W. J. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit7, § 11 III A 3d; dagegen KG v. 5.11.1997 – 3 UF 5133/97, FamRZ 1998, 440 = NJW 1998, 1565 = IPRax 1998, 274, 275 (Henrich 247); Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit4, Rz. 182, „wenn in einer besonderen Schutzpflicht die internationale Zuständigkeit begründet war und dieser Anknüpfungspunkt weggefallen ist“. Skeptisch auch Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 108 Fn. 53; Hau in Prütting/Helms, FamFG3, vor §§ 98–106 Rz. 12; Zöller/Geimer, ZPO30, vor § 97 FamFG Rz. 14. Die Frage offen lassend BGH v. 5.6.2002 – XII ZB 74/00, NJW 2002, 2955 = FamRZ 2002, 1182 (Henrich) = IPRax 2003, 145 (Bauer) = MDR 2002, 1250 = IPRspr. 2002 Nr. 100. S. auch Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009, 67 ff. 1455 AG Bingen v. 28.3.1985, IPRspr. 1985 Nr. 73; OLG Stuttgart v. 6.7.1989 – 8 W 258/89, OLGZ 1989, 419 = NJW-RR 1989, 1355 = FamRZ 1989, 1110 (1111) = IPRspr. 1989 Nr. 130. 1456 KG v. 5.11.1997 – 3 UF 5133/97, FamRZ 1998, 440 = NJW 1998, 1565 = IPRax 1998, 274, 275 (Henrich 247).
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lassen, so bleibt diese nach Art. 5 I MSA bestehen, auch wenn sie noch in der Rechtsmittelinstanz voll überprüft werden kann.1457 Gleiches gilt nunmehr im Anwendungsbereich des KSÜ, vgl. Art. 3 KSÜ. 5. Internationale Insolvenzzuständigkeit Der Wegfall der bei Antragstellung gegebenen Zuständigkeitstatsachen lässt die 1839 internationale Zuständigkeit Deutschlands nicht entfallen (Rz. 3470). Es genügt aber auch, wenn während des Eröffnungsverfahrens die Zuständigkeitstatsachen eintreten.1458
V. Reihenfolge der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Gefüge der einzelnen Prozessvoraussetzungen Nach h.M. ist die örtliche Zuständigkeit vor der internationalen Zuständigkeit 1840 zu prüfen.1459 Dies kann nur bedeuten, dass nur das nach den Regeln der §§ 12 ff. ZPO bzw. der §§ 122, 152, 170, 232, 267, 270 FamFG ermittelte deutsche Gericht die Befugnis haben soll, rechtskraftfähig über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der deutschen internationalen Zuständigkeit zu entscheiden.1460 Hierzu sollte jedoch jedes deutsche Zivilgericht befugt sein (vgl. auch Rz. 1547). Vor der internationalen Zuständigkeit ist aber in jedem Fall die Zulässigkeit des 1841 Rechtsweges zu prüfen.1461 Wurde z.B. ein Scheidungsantrag vor einem Verwaltungsgericht anhängig gemacht, so erfolgt Antragsabweisung wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges oder Verweisung an ein Zivilgericht, nicht jedoch Abweisung mangels deutscher internationaler Zuständigkeit. Die diffizile Frage der internationalen Zuständigkeit bleibt der Entscheidung der ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte) vorbehalten.
1457 OLG Hamburg v. 1.11.1985 – 2 WF 142/85, IPRax 1986, 386 (Henrich) = IPRspr. 1985 Nr. 91. 1458 LG Stuttgart v. 16.11.1982 – 2 T 781/82, RIW 1983, 955 = IPRspr. 1982 Nr. 205. S. auch Art. 2 III des dt.-österr. Konkurs- und Vergleichsvertrages. 1459 OLG Bremen v. 5.5.2000, informacones 2001, 114 = IPRspr. 2000, 124; so schon Raape, Staatsangehörigkeitsprinzip und Scheidungsakt, 1943, 106 f.; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 215, 322; Matthies, Die deutsche internationale Zuständigkeit, 1955, 62 ff.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 222 ff.; Pohle, ZZP 81 (1968), 171; Beitzke, FamRZ 1967, 592 bei Fn. 6; kritisch Neuhaus, FamRZ 1961, 540; Kralik, ZZP 74 (1961), 36. 1460 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 104 Fn. 42; R. Geimer, NJW 1974, 1046; für Prüfung der internationalen Zuständigkeit vor der örtlichen Zuständigkeit Schima, JBl. 1961, 508; Einmahl, RabelsZ 34 (1970), 762 f. Für Prüfung frei nach Gesichtspunkten der Praktikabilität Roth, IPRax 1989, 281. 1461 Weniger dezidiert Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 42.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1842 Die internationale Zuständigkeit setzt zwar rechtslogisch die Bejahung der Gerichtsbarkeit voraus.1462 Dies hindert jedoch nicht, die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit abzuweisen und die Frage der Gerichtsbarkeit offen zu lassen (Rz. 846).
VI. Entscheidung über die internationale Zuständigkeit 1. Endurteile 1843 Eine ausdrückliche Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit ergeht i.d.R. nicht. Vielmehr prüft das Gericht die internationale Zuständigkeit nur incidenter (präjudizielle Prüfung). Kommt es zu dem Ergebnis, dass die internationale Zuständigkeit fehlt, so weist es die Klage durch Prozessurteil ab (Rz. 1010). Bejaht es die internationale Zuständigkeit, so erwähnt es dies i.d.R. in den Gründen der Entscheidung (vgl. aber Rz. 1848). 1844 In beiden Fällen ist die Zuständigkeitsfrage nach h.M. gleichwohl Gegenstand der res iudicata-Wirkung, obwohl sie nicht im Tenor entschieden ist. Das Prozessurteil stellt fest, dass die internationale Zuständigkeit zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung fehlt.1463 Dies kann in einem zweiten Prozess bei unverändertem Sachverhalt und unveränderten Parteirollen nicht in Frage gestellt werden. (Im zweiten Prozess ist aber die Behauptung nicht präkludiert, der Beklagte habe nunmehr seinen Wohnsitz ins Inland verlegt oder in der Zwischenzeit Vermögen im Inland erworben etc.) 1845 Auch ein in der Sache (positiv oder negativ) entscheidendes Urteil (Sachurteil) enthält die von der res iudicata-Wirkung erfasste Feststellung der Zulässigkeit der Klage, mithin auch die Feststellung, dass die internationale Zuständigkeit zum Zeitpunkt des Urteilserlasses gegeben ist. Es handelt sich nicht um eine bloße Vorfrage, die an der Rechtskraft nicht teilnimmt, sondern um einen selbständigen Teilausspruch des Urteils, der nur in dem Tenor nicht ausdrücklich hervorgehoben ist.1464 1846 Beispiel: Wurde die Klage als zurzeit unbegründet abgewiesen (z.B. wegen noch nicht eingetretener Fälligkeit), so kann im zweiten Prozess (Kläger behauptet nunmehr die Fälligkeit) wegen
1462 Vgl. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 479 ff. 1463 Innerprozessual verneint OLG Düsseldorf v. 11.8.1994 – 6 U 227/93, RIW 1996, 598 = IPRspr. 1995 Nr. 140a (bestätigt durch BGH v. 17.1.1985, IPRspr. 1995 Nr. 140b) eine Bindung des Rechtsmittelgerichts an seine eigene die internationale Zuständigkeit Deutschlands bejahende Entscheidung, wenn der Rechtsstreit nach Zurückverweisung an die untere Instanz im „zweiten Durchgang“ wieder zum Rechtsmittelgericht kommt. Im konkreten Fall hatte das OLG Düsseldorf 1989 die internationale Zuständigkeit gem. § 23 ZPO bejaht und die Sache an das LG zurückverwiesen. Nunmehr wollte es unter Hinweis auf BGHZ 115, 90 (Rz. 1077a) § 23 ZPO nicht mehr anwenden, weil eine „objektive“ Zuständigkeitserschleichung vorliege. 1464 R. Geimer, WM 1986, 120.
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der Feststellungswirkung des ersten Urteils nicht die Zulässigkeit der zweiten Klage insgesamt und daher auch nicht die internationale Zuständigkeit verneint werden.1465
Fehlentscheidungen zur Frage der internationalen Zuständigkeit werden mithin 1847 nach h.M. mit Eintritt der Unanfechtbarkeit nicht nur für den konkreten Prozess „geheilt“, sondern qua Postulierung einer res iudicata-Wirkung auch mit Wirkung für künftige Prozesse perpetuiert.1466 2. Zwischenurteil Denkbar ist auch der Erlass eines Zwischenurteils (§ 280 ZPO), aber nur, wenn – 1848 möglicherweise erst in der Rechtsmittelinstanz (Rz. 1863) – die internationale Zuständigkeit bejaht wird (anderenfalls erfolgt Prozessabweisung durch Endurteil, Rz. 1843).1467 Stellt dieses Urteil generell fest, dass die Klage zulässig ist, wird wiederum nur incidenter über die internationale Zuständigkeit entschieden; anders ist es aber, wenn es feststellt, dass die Prozessvoraussetzung „internationale Zuständigkeit“ gegeben ist. Bejaht das Zwischenurteil verbis expressis nur die örtliche Zuständigkeit, dann liegt darin auch die Feststellung, dass die internationale Zuständigkeit gegeben ist.1468 Eine Ausnahme ist nur in den Fällen zu machen, in denen die Doppelfunktionsregel nicht gilt (Rz. 949). Ein Zwischenurteil entfaltet nur eine innerprozessuale Bindungswirkung, keine 1849 res iudicata-Wirkung für nachfolgende Verfahren. 3. Keine Verweisung ins Ausland Verneint das Gericht die internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik 1850 Deutschland, dann ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Eine Verweisung an ein ausländisches Gericht findet nicht statt (Rz. 1010). 4. Keine Feststellung, welche(r) Staat(en) international zuständig wäre(n) Ob die aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO) international zuständigen Gerich- 1851 te sich der Sache annehmen werden, also sich aufgrund ihres eigenen Zuständigkeitsrechts für international zuständig erachten und auch sonst bereit sind, Rechtsschutz zu gewähren, braucht das deutsche Gericht grundsätzlich nicht zu prüfen. 1465 Plastisch die Konzeption W. J. Habscheids (Der Streitgegenstand im Zivilprozess und im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1956, 141 ff.), der Streitgegenstand umfasse neben der Rechtsfolgebehauptung auch die Verfahrensbehauptung des Klägers, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Klage gegeben seien. Blomeyer, Zivilprozessrecht Erkenntnisverfahren2, § 40 II, meint, jedes Verfahren habe zwei Streitgegenstände, einen sachlichen und einen prozessualen (= Vorliegen der Prozessvoraussetzungen). 1466 Kritisch R. Geimer, WM 1986, 120. 1467 Ausführlich Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 62 ff. Zur Zulässigkeit eines Zwischenentscheids über die internationale Zuständigkeit praeter legem im FamFG-Bereich OLG Stuttgart v. 6.5.2014 – 17 UF 60/14, FamFG 2014, 1930. 1468 A.A. OLG München v. 22.6.1983 – 7 U 5522/82, IPRax 1984, 319 (Jayme 303) = IPRspr. 1983 Nr. 129b.
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1852 Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine Not- bzw. Ersatzzuständigkeit Deutschlands (Rz. 1030) geltend gemacht wird. 1853 Von Amts wegen, also ohne Antrag bzw. ohne Rüge des Klägers, braucht das Gericht jedoch nicht zu untersuchen, ob Deutschland im konkreten Fall eine internationale Not- bzw. Ersatzzuständigkeit eröffnen muss. Den Kläger trifft also die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nirgendwo anders auf dieser Welt ihm Rechtsschutz gewährt wird. Dieser Beweis wird sich in vielen Fällen nur führen lassen, wenn der Kläger eine prozessabweisende Entscheidung des/der aus der Sicht des deutschen Rechts (§ 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG) international zuständigen Staates/-en vorlegt. Die Rechtskraft der deutschen (ersten) Prozessabweisung steht dann der Wiederholung des Rechtsstreits vor deutschen Gerichten nicht entgegen (vgl. auch Rz. 1766, 1782). 5. Bindungswirkung gem. § 281 II ZPO 1854 Verweist ein deutsches Gericht an ein anderes wegen örtlicher Unzuständigkeit, so gilt die Bindung gem. § 281 II ZPO auch für die internationale Zuständigkeit, wenn das verweisende Gericht die Frage der internationalen Zuständigkeit geprüft hat.1469 (Vgl. auch Rz. 1848). 6. Bindungswirkung gem. § 36 I Nr. 6 ZPO und § 5 FamFG 1854a Nach h.M. wird im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nur über die örtliche Zuständigkeit bindend entschieden. Das so als örtlich zuständig bestimmte Gericht hat über das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit Deutschlands zu befinden. Für Prüfung der internationalen (Un-)Zuständigkeit Deutschlands bereits im Verfahren nach § 36 I Nr. 6 ZPO/§ 5 FGG (nunmehr § 5 Nr. 1 FamFG) plädiert aber Herbert Roth.1470 Dann hätte wohl – was Roth nicht erörtert – (im Falle der internationalen Unzuständigkeit) das Bestimmungsgericht den Antrag/ die Klage als unzulässig zu verwerfen/abzuweisen. 7. Prozessvergleich 1854b Eine Entscheidung über die internationale Zuständigkeit erübrigt sich, wenn die Parteien einen Prozessvergleich (§ 794 I Nr. 1 ZPO) schließen. Dessen Beurkundung ist auch zulässig, wenn Deutschland für die Sachentscheidung international unzuständig wäre (Rz. 1216a; vgl. auch Rz. 554a). 8. Vollstreckbare Urkunde 1854c Auch die Errichtung einer vollstreckbaren Urkunde (§ 794 I Nr. 5 ZPO) setzt nicht die internationale Zuständigkeit Deutschlands für den hypothetischen Rechtsstreit über den zu titulierenden Anspruch voraus (Rz. 1216).
1469 A.A. OLG Karlsruhe v. 15.7.1988 – 14 U 129/87, NJW-RR 1989, 187 = IPRspr. 1988 Nr. 160; Schütze, RIW 1995, 630; Schütze, DIZPR2, Rz. 108. 1470 H. Roth, IPRax 1989, 281.
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Prüfung
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VII. Nachprüfung der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit durch die Rechtsmittelgerichte 1. Unanwendbarkeit von § 513 II und § 545 II ZPO bzw. § 65 IV und § 72 II FamFG §§ 513 II, 545 II ZPO stehen einer Nachprüfung der internationalen Zuständig- 1855 keit nicht entgegen (Rz. 1009). Diese betreffen nur die örtliche und sachliche Zuständigkeit.1471 Das Gleiche gilt für § 571 II 2 und § 576 II ZPO sowie für §§ 65 IV, 72 II FamFG.1472 Stellt sich bei der Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht heraus, dass zwar 1856 ein Gerichtsstand im Inland gegeben, die internationale Zuständigkeit Deutschlands also zu bejahen ist, dass aber ein anderes Gericht örtlich zuständig ist, so greift allerdings das Verbot der §§ 513 II, 545 II, 571 II 2, 576 II ZPO bzw. §§ 65
1471 BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, NJW 2003, 426 (427) (Leible 407) = IPRax 2003, 346 (Piekenbrock/Schulze 328) = JZ 2003, 850 (Staudinger) = ZZPInt 8 (2003), 481 (Mörsdorf-Schulte 407) = ZZP 117 (2004), 87 (Oberhammer) = LMK 2003, 79 (Pfeiffer); BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, NJW 2003, 2916 = IPRax 2004, 59 (MörsdorfSchulte 59) = LMK 2004, 14 (Leible); BGH v. 16.12.2003 – XI ZR 474/02, BGHZ 157, 224 = MDR 2004, 707; BGH v. 7.12.2004 – XI ZR 366/03, IPRax 2006, 40 (Looschelders 14) = NJW-RR 2005, 581 (583); hierzu Mankowski, RIW 2005, 561 (568) und Kröll, EWiR 2005, 635; BGH v. 24.2.2005 – I ZR 101/02, BGHZ 162, 246 = NJW 2005, 1788 = MDR 2005, 1066; BGH v. 19.4.2007 – I ZR 90/04, MDR 2007, 1436 = BGHReport 2007, 1193 (1194); BGH v. 28.5.2013 – X ZR 88/12, MDR 2013, 995 = MMR 2013, 578; OLG Celle v. 14.8.2002 – 9 U 67/02, IPRax 2003, 252 (Pfeiffer 233); OLG Düsseldorf v. 3.4.2003 – 6 U 147/02, RIW 2004, 230; Staudinger, IPRax 2001, 298; Mankowski, RIW 2004, 587, 591; Mankowski in Dieterich/Neef/Schwab, ArbeitsrechtBlattei sub Arbeitsgerichtsbarkeit V E. Int. Zuständigkeit 160.5.5 Rz. 15; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 1; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 38; Stein/Jonas/Althammer, ZPO22, § 513 Rz. 16 und Stein/Jonas/Jacobs, ZPO22, § 545 Rz. 30. Zum alten Recht BGH Großer Senat v. 14.6.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665; BGH v. 30.5.1983 – II ZR 135/82, IPRax 1985, 27 (Trappe 8); hierzu Mann, NJW 1984, 2741 sowie Rabe, TranspR 1985, 83; BGH v. 5.5.1982 – IVb ZR 697/80, NJW 1982, 1947 = IPRax 1983, 33, 34 (Beitzke 16); BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, NJW 1990, 990 = MDR 1990, 622 = IPRax 1991, 183 (Flessner/Schulz 162); BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239); BGH v. 4.12.1996, NJW-RR 1997, 690; BAG v. 27.1.1983 – 2 AZR 188/81, NJW 1984, 1320 = IPRax 1985, 276 (E. Lorenz 256) = IPRspr. 1983 Nr. 131; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 = MDR 1997, 288 = NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = WiB 1997, 494 (Ralle); BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = IPRspr. 1985 Nr. 48. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit gilt § 513 II ZPO nicht nur für End-, sondern auch für Zwischenurteile, BGH v. 10.11.1997 – II ZR 336–96, NJW 1998, 1230. 1472 OLG Hamm v. 2.2.2011, IPRspr. 2011 Nr. 249; OLG Hamm v. 7.5.2013 – II-3 UF 267/12, NJOZ 2013, 1524 (1525 sub C I 1).
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Internationale Zuständigkeit
IV, 72 II FamFG ein. Denn insoweit geht es nur um die örtliche Zuständigkeit.1473 1856a Bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit ist der Bundesgerichtshof – da es sich um eine Prozessvoraussetzung handelt (Rz. 1008) – an die tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht gebunden. Ob z.B. der Beklagte seinen Wohnsitz in Deutschland hat, prüft er selbständig auch in tatsächlicher Hinsicht.1474 Soweit dabei ausländisches Recht relevant sein kann, ist er ebenfalls an die Feststellungen des OLG nicht gebunden (Rz. 2606).1475 2. Bedeutung des § 39 ZPO und des Art. 26 EuGVVO bzw. des Art. 24 LugÜ 1857 In (vermögensrechtlichen) Rechtsstreitigkeiten, in denen die internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung des Beklagten1476 begründet werden kann, darf – sofern der Beklagte am Verfahren teilgenommen hat – das Berufungsgericht bzw. das Revisionsgericht die internationale Zuständigkeit nur auf Rüge prüfen.1477 Daher kann auch die Frage, ob Deutschland international unzuständig ist, weil eine internationale Zuständigkeitsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen sei, nur auf Rüge geprüft werden.1478 1858 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 39 ZPO und des Art. 26 EuGVVO bzw. des Art. 24 LugÜ ist die internationale Zuständigkeit auch in der Berufungs- und Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Einer Verfahrensrüge 1473 So schon zu §§ 512a, 549 ZPO a.F. BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 = NJW 1977, 900 = MDR 1977, 654; BGH v. 16.12.1997 – VI ZR 408/96, MDR 1998, 406 = NJW 1998, 988 = IPRax 1999, 172 (Knapp 161) = IPRspr. 1997 Nr. 163; OLG Hamburg v. 31.10.1985 – 6 U 117/85, RIW 1987, 149 = IPRspr. 1985 Nr. 45. 1474 BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, NJW 1991, 3092 (R. Geimer 3072) = RIW 1991, 856 (Fischer, RIW 1992, 57) = JZ 1992, 51 (Schack) = LM § 23 ZPO Nr. 7 (Pfeiffer) = IPRax 1992, 160 (Schlosser 140) = DWiR 1991, 245 (Schütze 239). 1475 Zur selbständigen Auslegung einer Zuständigkeitsvereinbarung durch das Revisionsgericht, wenn das OLG sich auf allgemeine Hinweise zu den Auslegungskriterien beschränkt hat, BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, MDR 1998, 1496 = NJW-RR 1999, 137 = RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (Schulze) = LM Nr. 1 zu LugÜ (R. Geimer) = IPRspr. 1998 Nr. 137. 1476 § 39 ZPO, Art. 26 EuGVVO, Art. 24 LugÜ. 1477 R. Geimer, NJW 1971, 324; R. Geimer, WM 1977, 68; R. Geimer, WM 1986, 118; Martin, Prozessvoraussetzungen und Revision, 1974, 67 bei Fn. 224; OLG München v. 22.3.1974, WM 1974, 583 = IPRspr. 1974 Nr. 149; BAG v. 10.4.1975, WM 1976, 194 = RIW 1975, 521 = IPRspr. 1975 Nr. 30b; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 = IPRax 1999, 367 (Dörner/Staudinger 338) = ZZP 110 (1997), 353 (Pfeiffer) = LM § 38 Nr. 32 (R. Geimer) = WiB 1997, 494 (Ralle). Offen gelassen von BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = RIW 1986, 991 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = EWiR 1987, 93 (R. Geimer); a.A. BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910. 1478 R. Geimer, NJW 1971, 324: a.A. BGH v. 30.1.1969, MDR 1969, 479 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 202. Wie hier BAG v. 18.12.1967, WM 1968, 524 = BB 1968, 590 = AP Nr. 11 zu IPR-ArbeitsR (Beitzke) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 52; BAG v. 18.6.1971 – 5 AZR 13/71, NJW 1971, 2143 (R. Geimer, NJW 1972, 407) = IPRspr. 1971 Nr. 132. S. auch Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (November 2010), II 1 C Rz. 48.
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bedarf es grundsätzlich nicht; eine Ausnahme gilt nur dann, wenn keine öffentlichen Interessen auf dem Spiele stehen (vgl. Rz. 1820).1479 Der Beklagte muss während des ganzen Prozesses an seiner Rüge der internatio- 1859 nalen Unzuständigkeit festhalten. Hat er zwar rechtzeitig in limine litis die internationale Unzuständigkeit geltend gemacht, aber danach zu erkennen gegeben, dass er diese Rüge nicht mehr weiter verfolge, dann ist gem. § 39 ZPO oder Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ die internationale Zuständigkeit begründet. Legt der Beklagte Rechtsmittel ein, so muss er auch in der Rechtsmittelinstanz 1860 die Rüge der internationalen Unzuständigkeit weiterverfolgen. Anderenfalls liegt in dem Verzicht auf die Aufrechterhaltung des Einwandes der internationalen Unzuständigkeit eine vorbehaltlose Einlassung, mit der Folge, dass Deutschland international zuständig wird. Diese Rechtsfolge ergibt sich nicht erst aus der Prüfungsbeschränkung des § 532 ZPO, sondern bereits aus § 39 ZPO, Art. 26 EuGVVO bzw. Art. 24 LugÜ.1480 Fazit: Soweit die deutsche internationale Zuständigkeit durch die rügelose Ein- 1861 lassung des Beklagten begründet werden kann (Rz. 1396), darf – sofern der Beklagte am Verfahren teilgenommen hat – das Berufungsgericht bzw. das Revisionsgericht die internationale Zuständigkeit nur auf Rüge prüfen (Rz. 1412). 3. Abweichende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zur Zuständigkeitsfrage Verneint das Gericht erster Instanz die internationale Zuständigkeit und weist 1862 deshalb die Klage ab, kommt aber das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die internationale Zuständigkeit zu bejahen sei, so hebt es die Prozessabweisung auf und verweist den Rechtsstreit gem. § 538 II Nr. 3 ZPO an die untere Instanz zurück.1481 Der Richter erster Instanz ist analog § 563 II ZPO an die Rechtsmeinung des Be- 1863 rufungsgerichts gebunden. Des Erlasses eines Zwischenurteils (Rz. 1848) durch das Berufungsgericht bedarf es nicht, jedoch ist ein solches zulässig.1482 Ein solches Zwischenurteil ist selbständig rechtsmittelfähig, § 280 II 1 ZPO. 1864 Wird gegen das Zwischenurteil der Berufungsinstanz keine Revision eingelegt oder ist diese nicht statthaft, so ist die Frage der internationalen Zuständigkeit verbindlich entschieden. Dies hat für die erste und zweite Instanz keine praktische Bedeutung; denn die erste Instanz ist analog § 563 II ZPO gebunden und die zweite Instanz nach § 318 ZPO an ihre eigene Entscheidung. Bedeutsam wird die verbindliche Entscheidung über die internationale Zuständigkeit (§ 280
1479 Doch dann kommt wohl auch § 39 ZPO wieder zum Zuge. 1480 R. Geimer, NJW 1971, 324; R. Geimer, WM 1986, 110 Fn. 15. Wegen des Verhältnisses zum Rügeverlust OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 = RIW 1988, 555 = IPRspr. 1988 Nr. 157. Dagegen fordert BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 eine Prüfung von Amts wegen. 1481 OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296 = RIW 1985, 890 (893) = IPRspr. 1984 Nr. 150. 1482 R. Geimer, WM 1986, 121; R. Geimer, IPRax 1986, 82.
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II 1 ZPO) nur für die Revisionsinstanz. Gelangt der Rechtsstreit „im zweiten Durchgang“, d.h. durch Rechtsmittel gegen die zweite landgerichtliche Entscheidung (die nach der Rückverweisung ergangen ist), durch Revision gegen das (bestätigende) Urteil des Oberlandesgerichts zum Bundesgerichtshof, so ist auch für diesen die Frage der internationalen Zuständigkeit verbindlich entschieden. Anders wäre es, wenn nur eine Aufhebung und Rückverweisung erfolgt wäre. 1865 Wenn das Gericht erster Instanz durch Zwischenurteil die deutsche internationale Zuständigkeit bejaht hat, das Berufungsgericht diese aber verneint, hat das Berufungsgericht nicht etwa das Zwischenurteil aufzuheben und die Sache gem. § 538 II Nr. 3 ZPO an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen. Es hat vielmehr selbst die Klage durch Prozessurteil abzuweisen (Rz. 1843, 1848).1483 4. Anspruchskonkurrenz 1866 Ist nur für eine Anspruchsgrundlage die internationale Zuständigkeit gegeben, für die andere jedoch nicht, so ist nach h.M.1484 die Kognitionsbefugnis des angegangenen Gerichts beschränkt (anders die hier vertretene Meinung, Rz. 1492, 1523).1485 1867 Beispiel: Eine internationale Zuständigkeit für vertragliche Anspruchsgrundlagen entfällt, weil der Erfüllungsort nicht im Inland liegt (§ 29 ZPO, Art. 7 Nr. 1 EuGVVO/Art. 5 Nr. 1 LugÜ). Ist aber ein Gerichtsstand gem. § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F. bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ gegeben, so ist nach der (hier abgelehnten) h.M. die Kognitionsbefugnis des Gerichts auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung beschränkt. Die Eingrenzung der Kognitionsbefugnis führt zur Beschränkung des Streit- und Urteilsgegenstandes. Die Rechtskraft umfasst nicht diejenigen Anspruchsgrundlagen, die nicht Gegenstand der Kognitionsbefugnis waren, sofern sich das Gericht daran gehalten hat. Entscheidet jedoch das nach h.M. unzuständige Gericht unter Überschreitung seiner Kognitionsbefugnis auch über die vertraglichen Ansprüche und wird die Entscheidung unanfechtbar und damit rechtskräftig, so kann der Kläger im Gerichtsstaat seine vertraglichen Ansprüche nicht mehr geltend machen.1486
1868 Hinsichtlich der Anspruchsgrundlage, für die eine internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist, ist nach früher h.M. die Klage als unzulässig abzuweisen. Doch geschieht dies nicht im Tenor, sondern in den Gründen des Urteils. Wie ist zu tenorieren, wenn ein Zwischenurteil (§ 280 ZPO) erlassen werden soll? In diesem Fall ist aus der Sicht der früher h.M. (Rz. 1492, 1523) im Tenor das Fehlen der internationalen Zuständigkeit bezüglich der einen Anspruchsgrundlage
1483 Beispiel: OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 = RIW 1992, 670 = IPRax 1992, 165 (Rauscher 143) = IPRspr. 1991 Nr. 180. 1484 BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, MDR 2003, 345 = NJW 2003, 828 = VersR 2003, 663 (Spickhoff) = ZIP 2003, 1860 = JZ 2003, 687 (Mankowski) = JR 2003, 374 (Humberg) = LMK 2003, 71 (Patzina) = IPRspr. 2002 Nr. 160; s. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 1 Rz. 7 ff. 24, § 29 Rz. 22, § 32 Rz. 16. 1485 Wie hier aber OLG Stuttgart v. 7.12.2005 – 5 U 71/05, NJW-RR 2006, 1362 = OLGR 2006, 452 = IPRspr. 2005 Nr. 128; hierzu Handorn, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kraft Sachzusammenhangs, IHR 2007, 25. 1486 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 139; 393, 466.
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festzustellen. Durch Rechtsmittel gelangt der gesamte Zuständigkeitsstreit in die nächste Instanz, also auch bezüglich der Anspruchsgrundlage, hinsichtlich der die internationale Zuständigkeit verneint wird.1487
VIII. Klage auf Feststellung, dass Deutschland für einen bestimmten Rechtsstreit international zuständig ist Eine solche Feststellungsklage ist grundsätzlich unzulässig, da kein Feststel- 1869 lungsinteresse besteht. Es geht nicht an, die Frage, ob die internationale Zuständigkeit für einen hypothetischen Rechtsstreit zu bejahen sei, in einem (gesonderten) Feststellungsprozess zu klären1488 (s. auch Rz. 1113). Anders ist es, wenn zwischen den Parteien streitig ist, ob eine Zuständigkeits- 1870 vereinbarung wirksam ist, oder wenn Meinungsverschiedenheiten über deren Umfang bestehen (Rz. 1705).
IX. Keine Bindung an ausländische Zuständigkeitsentscheidungen Das deutsche Gericht prüft die internationale Entscheidungszuständigkeit 1871 Deutschlands ohne Bindung an eine (positive oder negative) Zuständigkeitsentscheidung eines ausländischen Gerichts (Rz. 1784, 2906). Hat das ausländische Gericht seine Zuständigkeit mit der Begründung verneint, die deutschen Gerichte seien zuständig, etwa weil der Beklagte in München wohne, so ist diese Entscheidung für den deutschen Richter nicht bindend. Dieser prüft vielmehr anhand des für ihn maßgeblichen Zuständigkeitsrechts,1489 ob eine Zuständigkeit im Inland eröffnet ist. Dies gilt selbst dann, wenn in concreto die Prüfungsmaßstäbe (für den ausländischen und den inländischen Richter) übereinstimmen. Deshalb ist z.B. im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ der deutsche Richter bei seiner Zuständigkeitsprüfung1490 auch dann nicht gebunden, wenn ein Gericht eines anderen Vertragsstaates die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit abgewiesen hat mit der Begründung, der Wohnsitz des Beklagten bzw. der Erfüllungsort für die eingeklagte vertragliche Verbindlichkeit etc. liege in Deutschland.1491 Etwas anderes gilt für das Verhältnis zwischen forum prorogatum und forum derogatum, wenn die Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung1492 in Zweifel gezogen wird (s. auch Rz. 1873b). Von den Bindungsproblemen zu trennen ist die Frage, wie ein negativer interna- 1871a tionaler Kompetenzkonflikt zu lösen ist. Da Rechtsschutzverweigerung verboten
1487 R. Geimer, WM 1986, 121; a.A. BGH v. 16.10.1984 – VI ZR 14/83, MDR 1985, 397 = NJW 1985, 561 = IPRax 1986, 102 (kritisch R. Geimer 86) = IPRspr. 1984 Nr. 145. 1488 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 941; R. Geimer, WM 1986, 121. 1489 Art. 4 ff. EuGVVO oder §§ 12 ff. ZPO, Rz. 1263, 1278, 1643, 1887 ff. 1490 Art. 28 I EuGVVO. 1491 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 347, 986; a.A. Schlosser-Bericht Nr. 191. 1492 Art. 25 EuGVVO bzw. Art. 23 LugÜ.
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ist, ist die Eröffnung einer internationalen Notzuständigkeit in Betracht zu ziehen (Rz. 1030). 1871b Die Nichtanwendbarkeit des Anerkennungsregimes der Art. 36 ff. EuGVVO, Art. 32 ff. LugÜ bzw. des § 328 ZPO sowie des § 109 FamFG wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Anerkennungsversagungsgründe der Art. 45 I EuGVVO sowie des Art. 34 und 35 LugÜ wirft. Diese betreffen allein die Befugnis zum Erlass einer Sachentscheidung (jugement sur le fond; judgment on the merits). Daraus lässt sich schließen: Art. 36 ff. EuGVVO, Art. 32 ff. LugÜ bzw. § 328 ZPO und § 109 FamFG erfassen nur solche Sachentscheidungen. 1871c Die (partielle) Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats gem. Art. 45 I (e) EuGVVO bzw. nach Art. 35 I LugÜ hat eine meritorische Entscheidung im Auge. Dass der Ursprungsstaat immer die Jurisdiktion dafür haben muss, um über seine internationale Zuständigkeit für eine Sachentscheidung befinden zu können, d.h. seine Befugnis, in der Sache zu entscheiden, ist evident und ergibt sich aus der Natur der Sache. Auch der nach Art. 4 EuGVVO ff. bzw. Art. 2 ff. LugÜ unzuständige Staat darf und muss durch Urteil oder Beschluss seine internationale Unzuständigkeit feststellen und darf über die Kosten des Verfahrens entscheiden etc. (Rz. 1570). Denn es geht um jurisdictional discovery (jurisdiction to order discovery to determine jurisdiction), die im Brüssel I- bzw. Lugano-System nicht in Art. 36 ff. bzw. in Art. 32 ff., sondern in Art. 28 I EuGVVO bzw. Art. 26 I LugÜ angesiedelt ist (Rz. 1547). Sinnlos, weil wirkungslos wäre, hinsichtlich einer solchen Unzuständigkeitsentscheidung eine ordre public-Prüfung (Art. 45 I [a] EuGVVO, Art. 34 Nr. 1 LugÜ) vorzunehmen und gegebenenfalls die „Anerkennung“ zu verweigern, weil die Zuständigkeitsprüfung in einem unfairen Verfahren oder aus sonstigen Gründen ordre public-widrig stattgefunden hat.1493 Das Gleiche gilt für die Prüfungen nach Art. 45 I (b) – (e) EuGVVO, Art. 34 Nr. 2 bis Nr. 5 LugÜ (Rz. 2780, 2788b).
X. Heilung des Mangels der internationalen Zuständigkeit 1872 Ab Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln ist der Mangel der internationalen Zuständigkeit Deutschlands geheilt (Rz. 1011).
XI. Exkurs I: Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit 1873 Hier liegt bereits eine Sachentscheidung vor (Rz. 2788), die zur Anerkennung im Inland ansteht. Im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen bzw. der Versagungsgründe hat der deutsche Zweitrichter auch zu prüfen, ob die internationale Zuständigkeit des Erststaates aus deutscher Sicht anzuerkennen ist. 1493 Das Verbot des Art. 45 III 2 EuGVVO bzw. 35 III 2 LugÜ hat den umgekehrten Fall im Auge: Das Gericht im Ursprungsstaat hat seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht bejaht und eine Entscheidung in der Sache erlassen. Auch dies deutet darauf hin, dass Art. 2 (a) EuGVVO bzw. Art. 32 LugÜ Unzuständigerklärungen nicht mit einschließt.
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Diese Prüfung dient dem Schutz des Beklagten (des Erstprozesses) vor unzumutbaren Foren. Sie ist deshalb nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag/Rüge des Beklagten durchzuführen (Rz. 1939, 2903). Dieser kann also darüber befinden, ob das ausländische Urteil trotz fehlender internationaler Zuständigkeit anerkannt werden soll.
XII. Exkurs II: Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren Hier geht es nicht um die Frage der Gerichtsbarkeit (Rz. 405), sondern um die 1873a Frage, ob das deutsche Kompetenzrecht (Rz. 1219 ff.) eingehalten worden ist. Beispiel: Pfändungsbeschluss ultra vires (Rz. 1571).
XIII. Exkurs III: Weit gehende „europäische“ Bindungswirkung einer Prozessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit Weist ein in einem gesetzlichen Gerichtsstand (z.B. des Erfüllungsorts, Art. 7 1873b Nr. 1 EuGVVO, Art. 5 Nr. 1 LugÜ) angerufenes Gericht die Klage als unzulässig ab, weil die ausschließliche internationale Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates und damit die Derogation der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichtsstaates vereinbart sei, so bindet diese Entscheidung die Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH1494 in umfassender Weise: Diese müssen nicht nur hinnehmen, dass die Gerichte des angerufenen Mitgliedstaates international unzuständig sind, sondern auch – sofern sie im konkreten Fall nicht selbst prorogiert sind –, dass sie international unzuständig sind infolge der ausschließlichen Prorogation auf die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats. Das bedeutet: Das zuerst angerufene Gericht entscheidet verbindlich für alle Gerichte in den anderen Mitgliedstaaten nicht nur über die eigene Derogation, sondern auch über die Derogation der an sich nach Art. 4 ff. EuGVVO bzw. Art. 2 ff. LugÜ gegebenen internationalen Zuständigkeiten anderer Mitgliedstaaten. Aber auch die Richter (im [angeblichen] forum prorogatum) sind gebunden: Sie können die ihnen von dem fremden Gericht „zugesprochene“ internationale Zuständigkeit nicht mehr in Frage stellen, auch wenn es sich um eine evidente Fehlentscheidung handelt. Ausnahme: Es liegt ein Anerkennungsversagungsgrund vor, den die interessierte Partei nach Art. 45 I EuGVVO bzw. Art. 34 f. LugÜ geltend gemacht hat. Von selbständiger Prüfung der eigenen
1494 EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11 – Gothaer/Samskip, EuZW 2013, 60 = IPRax 2014, 163 (H. Roth 136) = LMK 2013, 341521 (Hau); hierzu Adolphsen in in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 15 ff.; Geimer in FS Kaissis, 2012, 287; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2012, 1 (19); Bach, EuZW 2013, 56; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812 (835); Duintjer Tebbens in FS Vrellis, 2014, 263. S. auch Ferrand, Res Judicata – From National Law to a Possible European Harmonisation?, in FS Gottwald, 2014, 165, 179.
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internationalen Zuständigkeit (Art. 28 I EuGVVO bzw. Art. 26 I LugÜ) kann keine Rede mehr sein (Rz. 1873e). 1873c Zu fragen ist, ob der europäische Gesetzgeber wirklich so weit gehen wollte, oder ob es nicht viel näher läge, anzunehmen, jeder Mitgliedstaat habe – da die Verordnung eine bindende Verweisung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat nun einmal nicht vorsieht – nur die Jurisdiktion, über die eigene internationale Zuständigkeit verbindlich gem. Art. 28 I EuGVVO bzw. Art. 26 I LugÜ zu entscheiden. Mit dieser Frage setzt sich leider der EuGH en detail nicht auseinander. Er kommt vielmehr zu dem von ihm favorisierten Ergebnis ohne lange Umschweife über das Anerkennungsrecht (Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 32 ff. LugÜ), nämlich via Anerkennung des Prozessurteils des zuerst angerufenen Gerichts, das die eigene internationale Zuständigkeit wegen der Prorogation der Gerichte eines anderen Staates verneint.1495 1873d Wie ist es aber, wenn die Rechtskraft des Prozessurteils nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates (Art. 2 lit. d EuGVVO) gar nicht so weit reicht? Auch das ist kein Problem für die europäischen Richter. Sie ignorieren einfach die bisher allseits anerkannte Wirkungserstreckungsdoktrin, wonach aufgrund der Anerkennung in den übrigen Mitgliedstaaten einem gerichtlichen Urteil (Art. 2 lit. a EuGVVO) nicht mehr Wirkungen1496 zugesprochen werden können, als dieses im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO) entfaltet.1497 Der Gerichtshof übergeht einfach die Frage, welche Wirkungen die zur Anerkennung anstehenden Prozessabweisung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates hat, und postuliert kurzerhand eine „europäische Rechtskraftwirkung“ der Prozessabweisung, die auch die Gründe der Entscheidung mitumfasst.1498 Gottwald übernimmt – entgegen der hier vertretenen Auffassung (Rz. 2788a) – diese Sichtweise auch für den Bereich des autonomen deutschen Anerkennungsrechts.1499 1873e Im Ergebnis marginalisiert der Europäische Gerichtshof das Gebot der selbständigen Prüfung der eigenen internationalen Zuständigkeit für alle Gerichte der EU-Mitgliedstaaten bzw. Lugano-Vertragsstaaten. Er ignoriert, dass Art. 28 I EuGVVO bzw. Art. 26 LugÜ ohne Wenn und Aber jedem Gericht in der Europäischen Union und darüber hinaus im geografischen Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, die ausnahmslose Pflicht zur selbständigen und ei-
1495 Die besseren Argumente sprechen aber gegen die Anerkennung von Prozessurteilen; hierzu unten Rz. 2788a. Dagegen auch Geimer in FS Kaissis, 2012, 287, 292 ff. und in FS Gottwald, 2014, 197, 199 sowie in Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 39 ff. S. auch H. Roth, IPRax 2014, 136. 1496 Zu den unterschiedlichen Rechtskraftkonzeptionen Ferrand, a.a.O., S. 165. 1497 Hierzu Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 112 m.w.N. 1498 Zustimmend Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 20, 23, 24. Wohlwollend auch Schack, IZVR6, Rz. 1009a: „Das geht über die objektiven Grenzen der Rechtskraft des deutschen Rechts weit hinaus, sichert aber die einheitliche Beurteilung der internationalen Zuständigkeit.“ A.A. Geimer in FS Kaissis, 2012, 287, 292 ff. 1499 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 143: „Klageabweisende Prozessurteile sollen nach h.M. nicht anerkennungsfähig sein bzw. keine anerkennungsfähigen Inhalt haben. Es besteht aber durchaus ein Bedürfnis, z.B. die rechtskräftige Klageabweisung wegen wirksamer Schiedsvereinbarung auch in einem anderen Staat anzuerkennen.“
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genständigen Prüfung der eigenen internationalen Zuständigkeit auferlegt.1500 Ausnahmen hätte der europäische Gesetzgeber normieren bzw. hätten die Vertragsstaaten im Text des Lugano-Übereinkommens stipulieren müssen. Schlosser hat sich für die Einbeziehung von Prozessabweisungen in das Anerken- 1873f nungsregime des Brüssel I-Systems ausgesprochen, allerdings nur in begrenztem Umfang: Das später angerufene Gericht kann seine internationale Zuständigkeit nicht mit dem Argument verneinen, die Gerichte in dem zuerst angerufenen Staat seien international zuständig.1501 Diesem Ansatz sind einige in der Literatur gefolgt.1502 Selbst wenn man sich die im Anschluss an den Schlosser-Bericht in der Literatur 1873g vertretenen Ansichten zur Bindung an die Prozessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit zu eigen machen wollte, wären die Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten bzw. Lugano-Vertragsstaaten nur insoweit gebunden, dass die Gerichte in dem Ursprungsstaat (in dem die Prozessabweisung erfolgt ist) international unzuständig seien, nicht jedoch darüber hinaus in dem Sinne, dass die Gerichte in einem bestimmten anderen Staat (innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bzw. des LugÜ) international zuständig seien. Wenn überhaupt, ist nur diese beschränkte Bindung in Betracht zu ziehen.1503 1500 Ebenso Art. 18 EuEheVO, Art. 8 i.V.m. Art. 6 EuMahnVO, Art. 11 EuUntVO, Art. 16 EuErbVO. 1501 Schlosser-Bericht, Rz. 191: „Entscheidungen, welche eine Klage als unzulässig abweisen, sind anerkennungspflichtig. Erklärt sich ein deutscher Richter für unzuständig, so kann ein englisches Gericht seine eigene Zuständigkeit nicht mit der Begründung leugnen, der deutsche Kollege sei in Wirklichkeit doch zuständig gewesen.“ Der Bericht ist z.B. wiedergegeben in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 601–180. 1502 Kropholler/von Hein, EuZPR9, vor Art. 33 EuGVVO Rz. 13; Rauscher/Leible, EuZPR/ EuIPR, 2011, Art. 33 Brüssel I-VO Rz. 5; Gottwald in MüKo.ZPO5, Art. 33 EuGVVO Rz. 4; Schuler in Oetiker/Weibel, LuÜ, 2011, Art. 33 Rz. 14. 1503 Vgl. z.B. auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 33 Brüssel I-VO Rz. 5: „Beachtlich ist auch die materielle Rechtskraft von Prozessurteilen. Sie können jedoch nur in dem Rahmen wirken, wie das nationale Recht Sachurteilshindernisse kennt. Erklärt sich ein deutsches Gericht für nicht zuständig, so kann ein niederländisches Gericht die Klage nicht mit der Begründung als unzulässig abweisen, das deutsche Gericht sei zuständig.“ Ebenso Kropholler/von Hein, EuZPR9, Rz. 13 vor Art. 33: „Auch Entscheidungen, welche die Klage als unzulässig abweisen, sind anerkennungspflichtig. Erklärt sich ein deutscher Richter für unzuständig, so kann ein belgisches Gericht seine eigene Zuständigkeit nicht mit der Begründung leugnen, der deutsche Kollege sei in Wirklichkeit doch zuständig gewesen.“ S. auch Rassi in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozeßgesetzen2, Bd. V/1, Art. 32 EuGVVO Rz. 24: „Wie oben dargelegt (Rz. 15 f.), wird eine gerichtliche Entscheidung als eine Entscheidung definiert, die über zivilrechtliche Ansprüche zwischen den Parteien abspricht. Daraus ergibt sich, dass in erster Linie Sachentscheidungen von der EuGVO umfasst sind. Es ist dabei einerlei, ob dem Klagebegehren stattgegeben oder ob die Klage abgewiesen wurde. Daraus kann aber nicht zwingend abgeleitet werden, dass ein Beschluss (oder ein „Prozessurteil“), mit dem eine Klage als unzulässig zurückgewiesen wird, nicht anerkennungsfähig ist, weil mit der Zurückweisung der Klage der Richter zumindest im entsprechenden Titelverfahren endgültig über den Sachantrag des Gläubigers entschieden hat. Wenn ein dt Gericht eine Klage mangels Zu-
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1873h Sonderfall: Positive oder negative Klage auf Feststellung der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung: Die Frage der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung kann in einem Feststellungsprozess geklärt werden. In dieser Konstellation ist die (Un-)Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung nicht Vorfrage im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung, sondern Streitgegenstand und daher das Feststellungsurteil Entscheidung in der Sache. Eine solche fällt in den Anwendungsbereich der Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 32 ff. LugÜ.1504 1873i Die Besonderheit des vom EuGH entschiedenen Falls lag darin, dass der Zuständigkeitsstreit nicht nur die Gerichte innerhalb der Europäischen Union betraf, sondern dass ein Gericht außerhalb derselben, nämlich in Island prorogiert worden war. Für die Prorogation isländische Gerichte ist Art. 23 LugÜ maßgeblich. Die isländischen Gerichte sind aber an die Entscheidung des EuGH nicht strikt gebunden, sie müssen lediglich den in dieser entwickelten Grundsätzen nach dem Protokoll 2 zum Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007 „gebührend Rechnung tragen“. Wie weit diese Berücksichtigungspflicht geht, ist im Einzelnen unklar.1505 Doch so viel steht fest: Die isländischen Gerichte können die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gem. Art. 26 I LugÜ selbstständig prüfen und gegebenenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass die Prorogation unwirksam ist. Dann käme es zu einer Rechtsschutzverweigerung, wollte man nicht in der Europäischen Union wieder einen Notgerichtsstand eröffnen. 1873j Noch komplizierter und fragwürdiger erscheint das Judikat des EuGH, wenn ein Gericht eines Drittstaates außerhalb des Lugano-Systems vereinbart wurde. Die EuGVVO bzw. das Lugano-Übereinkommen erfassen in Art. 36 ff. EuGVVO bzw. in Art. 32 ff. LugÜ nur Entscheidungen aus EU-Mitglied- bzw. Vertragsstaaten. Hat ein Gericht eines Drittstaates sich mit der Begründung für international unzuständig erklärt, das Gericht eines EU-Mitgliedstaates bzw. Lugano-Vertragsstaates sei international zuständig, ist sedes materiae das jeweilige nationale Anerkennungsrecht, sofern nicht mit dem betreffenden Drittstaat ein völkerrechtlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag besteht. Im Anwendungsbereich des genuin deutschen Anerkennungsrechts fehlt eine ausdrückliche Regelung der oben erörterten Bindungsproblematik. Im Übrigen wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG nur Sachentscheidungen erfasst, nicht aber Entscheidungen über prozessuale Punkte
ständigkeit zurückgewiesen hat, kann ein finnisches Gericht die Zurückweisung seiner Klage nicht darauf stützen, dass doch das dt Gericht zuständig ist. Der Gläubiger wird in diesem Fall keine Möglichkeit haben, seinen Anspruch in Deutschland geltend zu machen.“ Nachw. z.B. auch bei Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 116. 1504 Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 Rz. 136. S. auch Linke/ Hau, IZVR5, Rz. 439. 1505 Domej in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 1 Protokoll 2 Rz. 10: „Tragweite der Berücksichtigungspflicht schwer präzise zu erfassen.“
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(Rz. 2788).1506 Darüber hinaus gilt auch im autonomen deutschen Recht der Grundsatz, dass das deutsche Gericht seine internationale Zuständigkeit selbständig und ohne Bindung an andere Judikate zu prüfen hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH seinen Standpunkt zur Anerkennungs- 1873k fähigkeit von Prozessurteilen und deren weitreichende (weil auch die Gründe erfassende) „Rechtskraftwirkung nach europäischem Recht“ modifizieren wird, ist gering. Wenn nunmehr die Praxis davon ausgehen muss, dass auch für Prozessurteile das Anerkennungsregime der Art. 36 ff. EuGVVO (Art. 32 ff. LugÜ) zur Anwendung kommt, muss auch über die Möglichkeit der Nichtanerkennung solcher Prozessurteile nachgedacht werden. In Betracht kommt vor allem der anerkennungsrechtliche ordre public (Art. 45 I 1873l lit. a EuGVVO, Art. 34 Nr. 1 LugÜ). Dieser ist u.a. dann verletzt, wenn rechtliches Gehör nicht gewährt wurde oder auch sonst die Garantien eines fairen Verfahrens nicht eingehalten worden.
XIV. Exkurs IV: Prozessabweisung wegen Zuständigkeit eines Schiedsgerichts Weist das zuerst angegangene staatliche Gericht eines EU-Mitgliedstaates die 1873m Klage durch Prozessurteil ab, weil für die Entscheidung der Hauptsache ein Schiedsgericht zuständig sei, so fragt es sich, ob auch in einem solchen Fall die vom EuGH aufgestellte Doktrin gilt oder ob die Bereichsausnahme des Art. 1 II lit. d EuGVVO greift. Danach ist die Brüssel I-VO nicht anzuwenden auf die Schiedsgerichtsbarkeit. Diese Ausnahme erläutert Erwägungsgrund 121507: „Diese Verordnung sollte nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit gelten. Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. 1506 Schütze, IZPR in der ZPO2, § 328 Rz. 14; Wieczorek/Schütze, ZPO3, § 328 ZPO Rz. 10: „Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung erfordert, dass in der Sache entschieden worden ist. Reine Prozessentscheidungen sind nicht anerkennungsfähig. Solche nicht anerkennungsfähigen Prozessentscheidungen sind: Prozessabweisungen. Dies gilt auch dann, wenn diese nach innerstaatlichem Recht in Rechtskraft erwachsen …“. Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 328 Rz. 54, 55: „Das ‚Urteil‘ i.S. des § 328 ZPO deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff der „Entscheidung“ in Art. 32 EuGVO. …“ „Nicht anerkennungsfähig sind ausländische Prozessurteile, da sie keinen endgültigen Ausspruch zur Hauptsache enthalten. Weist das fremde Gericht die Klage als unzulässig ab, weil es ein deutsches Gericht für zuständig hält, so ist das deutsche Gericht in einem Zweitprozess daran nicht gebunden.“ Stadler in Musielak, ZPO10, § 328 Rz. 5: „Es entspricht der allgemeinen Meinung, dass jede zivilrechtliche Sachentscheidung eines ausländischen Gerichts … anerkennungsfähig ist. Die Entscheidung muss allerdings in der Sache und nicht lediglich über prozessuale Fragen ergangen sein; Prozessurteile und prozessuale Zwischenentscheidungen bleiben nach h.M. für den deutschen Richter ohne Bedeutung.“ 1507 Hierzu Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 29.
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Entscheidet ein Gericht eines Mitgliedstaats, ob eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte diese Entscheidung ungeachtet dessen, ob das Gericht darüber in der Hauptsache oder als Vorfrage entschieden hat, nicht den Vorschriften dieser Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung unterliegen. Hat hingegen ein nach dieser Verordnung oder nach einzelstaatlichem Recht zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt, dass eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte diese Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache dennoch gemäß dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt werden können. Hiervon unberührt bleiben sollte die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten, über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Einklang mit dem am 10. Juni 1958 in New York unterzeichnen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („Übereinkommen von New York von 1958“) zu entscheiden, das Vorrang vor dieser Verordnung hat.“
1873n Fazit: Das Anerkennungsregime der Verordnung kommt nicht zur Anwendung. Maßgeblich ist – vorbehaltlich völkerrechtlicher Verträge – das nationale Anerkennungsrecht.1508 Stellt ein staatliches Gericht vorfragenweise fest, es liege eine wirksame Schiedsvereinbarung bzw. Schiedsanordnung (§ 1066 ZPO) vor und weist deshalb die Klage als unzulässig ab,1509 so kommen Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 32 ff. LugÜ wohl schon wegen der Bereichsausnahme (Art. 1 I lit. d) nicht zur Anwendung. Darüber hinaus liegt keine Entscheidung in der Sache1510 vor (Rz. 3891). 1873o Anders ist es wiederum, wenn – wie z.B. in Verfahren nach § 1032 II ZPO1511 – die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO) bzw. Schiedsanordnung (§ 1066 ZPO) Streitgegenstand eines Feststellungsverfahrens vor einem staatlichen Gericht war. Hier wird man die für die Feststellungsurteile staatlicher Gerichte zur (Un-)Wirksamkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen gefundenen Lösung (Rz. 1873h) anzuwenden haben (Rz. 3942). 1873p Weist vice versa das Schiedsgericht die Schiedsklage ab, weil keine wirksame Schiedsvereinbarung vorliege, so besteht für diesen „Prozessschiedsspruch“ keine Anerkennungspflicht gem. § 1061 ZPO i.V.m. Art. V des New Yorker Übereinkommens 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Denn auch dieses setzt eine Entscheidung in der Sache voraus (Rz. 3891).1512
1508 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 143. 1509 Vgl. z.B. § 1032 Abs. 1d ZPO. 1510 Zöller/Geimer, ZPO30, § 1032 Rz. 28. S. auch Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 352. 1511 Rechtsvergleichend Steinbrück, a.a.O., 346 ff. 1512 Zöller/Geimer, ZPO30, § 1061 Rz. 14.
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Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
12. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts I. VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 (EuGVVO n.F.) Auf der Basis von Art. 65 EGV a.F. (nunmehr Art. 81 AEUV, Rz. 245a) wurde die 1874 VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1513 (Rz. 245c; Brüssel I-VO) erlassen. Diese „vergemeinschaftete“ mit Wirkung zum 1.3.2002 die Brüsseler Konvention vom 27.9.1968/29.11.1996 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1514 (Rz. 246). Die bisherigen Konventionsnormen wurden nahezu inhaltsgleich sekundäres Gemeinschaftsrecht. An die Stelle der VO (EG) Nr. 44/2001 tritt am 10.1.2015 die VO (EU) Nr. 1215/2012, die die bisherige Zuständigkeitsordnung im Wesentlichen übernimmt.1515 Die Änderungen sind überschaubar. Der Anwendungsbereich des sekundären Unionsrechts wurde in Art. 6 I EuGVVO n.F. zu Lasten des nationalen Zuständigkeitsrechts partiell ausgeweitet. Auch inhaltlich wurde die bisherige Zuständigkeitsordnung nur an wenigen Stellen verändert.1516 Im Einzelnen gilt:1517 Den Vorschlag der Europäischen Kommission, das nationale Zuständigkeitsrecht 1874a (Art. 4 I EuGVVO a.F.) total zurückzudrängen und das Unionskompetenzrecht universell anzuwenden1518, hat der europäische Gesetzgeber verworfen.1519 Gleichwohl hat er den Anwendungsbereich des Unionsrechts in Art. 6 I n.F. gegenüber Art. 4 I a.F. nicht unbedeutend erweitert. Als Grundsatz bleibt: Hat der Beklagte keinen Wohnsitz (Art. 62 EuGVVO n.F.) 1874b bzw. Sitz (Art. 63 EuGVVO n.F.) im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, genauer im geografischen Anwendungsbereich der Verordnung, so bestimmt sich – vorbehaltlich vorrangiger völkervertraglicher Regelungen (Art. 71 EuGVVO n.F.) – die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaates nach dessen eigenem 1513 ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, 1. 1514 BGBl. II 1972, 773; BGBl. II 1998, 1411. 1515 Intertemporal ist die VO (EU) Nr. 1215/2012 gemäß Art. 66 I nur für gerichtliche Verfahren maßgeblich, die nach dem 9.1.2015 eingeleitet worden sind, und für öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche, die nach diesem Datum errichtet worden sind. Die VO (EG) Nr. 44/2001 bleibt somit über den Stichtag hinaus anwendbar für gerichtliche Entscheidungen, die in vor dem 10.1.2015 eingeleiteten Verfahren ergangen sind sowie für vor diesem Zeitpunkt errichtete öffentliche Urkunden und geschlossene gerichtliche Vergleiche, Art. 66 II. Insoweit bleibt das Erfordernis der Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff. der VO (EG) Nr. 44/2001 i.V.m. §§ 55 ff. AVAG a.F. bestehen, R. Geimer in FS Gottwald, 2014, 197. S. auch oben Rz. 1605. – Zum maßgeblichen Zeitpunkt Nachw. auch in BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rz. 14. 1516 ABl. EU Nr. L 351 v. 22.12.2012, 1. 1517 Zum Folgenden s. auch Geimer in FS Delle Kart, 2013, 319 und R. Geimer in FS Gottwald, 2014, 197. 1518 Hierzu Geimer in FS Simotta, 2012, 163, 166. 1519 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 44.
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Recht. In Versicherungs-, Verbraucher- und individuellen Arbeitssachen (Art. 11 II, Art. 16 II und Art. 20 II EuGVVO n.F.) führt – wie bisher – bereits eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung des Versicherers, des Vertragspartners des Verbrauchers bzw. des Arbeitgebers zur Anwendbarkeit des Unionsrechts. Auch nach alten Recht (Art. 22 EuGVVO a.F.) waren die Regeln über ausschließliche internationale Zuständigkeiten (Art. 24 EuGVVO n.F.) immer anzuwenden, ohne Rücksicht darauf, wo sich der Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten befindet. 1874c Diese Ausnahmen werden nunmehr erweitert durch die universelle Anwendbarkeit des Art. 18 I EuGVVO n.F. (Klagemöglichkeit des Verbrauchers, insbes. dessen forum actoris1520) und des Art. 21 II EuGVVO n.F. (Klagemöglichkeiten des Arbeitnehmers am Ort der einstellenden Niederlassung), s. Erwägung 14. Hinzu kommt noch der universelle Geltungsanspruch des Art. 25 EuGVVO n.F., der internationale Zuständigkeitsvereinbarungen regelt. 1874d Obwohl dies in Art. 6 I EuGVVO nicht ausdrücklich angesprochen ist, beanspruchen auch Art. 15, Art. 19 und Art. 23 EuGVVO n.F. universelle Geltung; denn diese Vorschriften begrenzen die Prorogationsfreiheit und sind deshalb systematisch Ergänzungen bzw. Modifikationen des Art. 25 EuGVVO n.F. Dies gilt für den gesamten Bereich der Abschnitte 4, 5 und 6, also nicht nur für Zuständigkeitsvereinbarungen im Zusammenhang mit den in Art. 6 I EuGVVO n.F. angesprochenen Gerichtsständen des Art. 18 I und des Art. 21 II EuGVVO n.F.1521 1874e Auch wenn die Zuständigkeitsbegründung aufgrund vorbehaltloser Einlassung (Art. 26 EuGVVO n.F., bisher Art. 24 EuGVVO a.F.) in Art. 6 I EuGVVO n.F. nicht aufgeführt ist, wird man auch diese Regel nunmehr universell, d.h. ohne Rücksicht auf den Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten, zur Anwendung bringen,1522 auch wenn man Art. 26 EuGVVO n.F. dogmatisch nicht in Zusammenhang mit der Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 25 EuGVVO n.F.) sehen möchte.1523 1874f Zuständigkeitsvereinbarungen (Rz. 1643): Folge der (punktuellen) Erweiterung des Anwendungsbereiches des Unionskompetenzrechts (Art. 6 I EuGVVO n.F.) ist eine Zurückdrängung des nationalen Zuständigkeitsrechts. Dies macht sich gegenüber dem bisherigen Rechtszustand vor allem im Bereich der Zuständigkeitsvereinbarungen deutlich bemerkbar. Außerhalb der Bereichsausnahmen des Art. 1 II EuGVVO n.F. wird künftig das nationale Zuständigkeitsrecht in puncto Zuständigkeitsvereinbarung keine Rolle mehr spielen.1524 Das Unionsrecht kommt insoweit auch dann zur Anwendung, wenn gem. Art. 6 I EuGVVO n.F. im Übrigen nationales Zuständigkeitsrecht gilt. Auch wenn der Beklagte außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung seinen Wohnsitz (Art. 62 1520 Zur Rechtslage davor z.B. Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensachverhalte, 2014, 70. 1521 Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., vor §§ 83a, 83b JN Rz. 101/3. 1522 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 244; Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., vor §§ 83a, 83b JN Rz. 113/1. Ebenso schon zu Art. 24 a.F. Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 24 EuGVVO Rz. 14. 1523 Geimer/Schütze, EuZPR3, A 1 – Art. 24 Rz. 10. 1524 Zum Verhältnis zu Art. 23 LugÜ s. unten Rz. 1886c.
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Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
EuGVVO n.F.) bzw. Sitz (Art. 63 EuGVVO n.F.) hat und damit – vorbehaltlich Art. 71 EuGVVO n.F. – nationales Recht zur Anwendung kommt, regelt das Unionsrecht die Zulässigkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen, allerdings nur soweit, als diese eine internationale Dimension haben. Veränderungen der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des an sich „kraft Gesetzes“ (Art. 4 ff. EuGVVO n.F.) international zuständigen Mitgliedstaates normiert nach wie vor das nationale Recht dieses Staates (Rz. 1646).1525 Ein Eingriff des europäischen Gesetzgebers auch in diesen Bereich wäre durch Art. 81 AEUV (Rz. 245a) nicht gedeckt. Bisher war nicht eindeutig geklärt, ob das Zustandekommen einer wirksamen Ver- 1874g einbarung im Einzelfall allein nach Unionsrecht zu beurteilen ist oder ob in einem gewissen Umfang ein Rückgriff auf das nationale Recht in Betracht kommt.1526 So wollte z.B. Gottwald die Zulässigkeit, Form und Wirkung nach Art. 23 EuGVVO a.F. beurteilen, während für die Elemente des Abschlusstatbestandes (Geschäftsfähigkeit, Vollmacht, Fehlen von Willensmängeln) und der Wirksamkeit der Vereinbarung dagegen grundsätzlich die kollisionsrechtlich zu bestimmende lex causae maßgeblich sei. Allerdings wurde zum Teil aus der Rechtsprechung des EuGH abgeleitet, dass Konsens- und Formfragen weitgehend verschmolzen sind und die Unterscheidung nicht aufrechterhalten werden kann. Art. 23 EuGVVO a.F. verdränge daher die lex causae auch für das Zustandekommen der Einigung zumindest in den Fällen der Gepflogenheiten zwischen den Parteien und der Handelsbräuche.1527 In diesem Punkt bringt die neue Brüssel I-VO eine gewichtige Änderung (vgl. 1874h Rz. 1605, 1675): Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zu Gunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, soll sie gem. Erwägungsgrund 20 nach dem Recht (einschließlich des Kollisionsrechts) dieses Mitgliedstaats entschieden werden. Etwas präziser formuliert Art. 25 I EuGVVO n.F.: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig.“ Den Verweis auf das Recht des forum prorogatum hat der europäische Gesetzgeber aus Art. 5 I des Haager Gerichtsstandsübereinkommens von 30.6.2005 (Rz. 244a)1528 übernommen.1529
1525 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 188; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 Rz. 188 und Art. 23 Rz. 36 ff.; Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 23 EuGVVO Rz. 21 ff. 1526 Nachw. z.B. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 140 ff.; Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO, 2012, Art. 23 Rz. 56; Stein/ Jonas/G. Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 23 EuGVVO Rz. 32, 40, 76. 1527 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 201. 1528 Hierzu ausführlich Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 300 ff.; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 89 ff., 160. 1529 Hierzu z.B. Simotta, Zur materiellen Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO), in FS Schütze 80, 2014, 541.
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Internationale Zuständigkeit
1874i Vom Wortlaut nicht erfasst sind reine Derogationsvereinbarungen. Sind mehrere Mitgliedstaaten „kraft Gesetzes“, also nach Art. 4 ff. EuGVVO n.F., international zuständig, so macht es in der Praxis durchaus Sinn, dass die Parteien die Klagemöglichkeiten in dem einen oder anderen Mitgliedsstaat ausschließen, es im Übrigen aber bei den gesetzlichen Zuständigkeiten belassen können.1530 1874j Erwägungsgrund 20 und Art. 25 Abs. 1 EuGVVO n.F. sprechen die Prorogation von Gerichten in Nicht-EU-Mitgliedstaaten nicht an. Wollte man die Haager forum prorogatum-Regel universell anwenden, also über die Wirksamkeit einer ausschließlichen Zuständigkeitsvereinbarung zu Gunsten eines Gerichts eines Nichtmitgliedstaates das Recht dieses Staates entscheiden lassen, so wäre dies mit dem Primärrecht der Europäischen Union nicht vereinbar. Denn es kann nicht dem Recht eines Nichtmitgliedstaates überlassen werden, darüber zu befinden, ob der Rechtsschutz in der gesamten Europäischen Union infolge der Derogation ausgeschlossen ist.1531 1874k Aus dem Wortlaut des Art. 25 EuGVVO n.F. kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die neue Brüssel I-VO die Prorogation auf Gerichte eines Nichtmitgliedstaates verbietet. Der europäische Gesetzgeber kann zwar die Gerichte fremder Staaten (Nichtmitgliedstaaten) zur Annahme der Prorogation nicht verpflichten, er kann jedoch die Voraussetzungen für eine Derogation der an sich nach Art. 4 ff. EuGVVO n.F. international zuständigen Mitgliedstaaten regeln. Mit der universellen Anwendbarkeit des Art. 25 EuGVVO n.F. (Art. 6 I EuGVVO n.F.) stellt der europäische Gesetzgeber nunmehr klar, dass auch der Derogationseffekt (infolge der Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines Gerichts in einem Nichtmitgliedstaat) von Art. 25 EuGVVO n.F. geregelt wird.1532 Diese Frage war in Kontext mit Art. 23 EuGVVO a.F. umstritten.1533 1874l Fazit: Die Übernahme der Haager Formel in Art. 25 EuGVVO n.F. ist als Rückschritt zu bedauern. Besser wäre es gewesen, wenn der europäische Gesetzgeber auch das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung einheitlich geregelt hätte. Das Abstellen auf das Recht des forum prorogatum kompliziert die Prozesse, weil i.d.R. ausländisches Recht erforscht werden muss, und führt zu neuen Abgrenzungsschwierigkeiten zum Unionsrecht, die in der Vergangenheit schon als überwunden galten. Die Haager Regel wird noch für so manche Verunsicherung sorgen. 1874m Anders als Art. 4 IV der europäischen Unterhaltsverordnung regelt die neue Brüssel I-VO das Verhältnis zum Lugano-Übereinkommen nicht. Auch für die neue Verordnung (als Nachfolgerin der VO [EG] Nr. 44/2001) kommt Art. 64 II 1530 Zur Zulässigkeit von (reinen) Derogationen s. auch Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 104 JN Rz. 172/1; Hausmann in Simons/ Hausmann, Brüssel I-VO, 2012, Art. 23 Rz. 43. 1531 Diesen Gesichtspunkt muss die EU auch bei der Ratifikation des Haager Gerichtsstandsübereinkommens v. 30.6.2005 (Rz. 244a) in Betracht ziehen und einen entsprechenden Vorbehalt erklären. 1532 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 Rz. 41 ff.; wohl auch Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 191. 1533 Hierzu z.B. Stein/Jonas/G. Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 23 EuGVVO Rz. 29 ff.; Kilias in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 23 Rz. 25.
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Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
des Lugano-Übereinkommens vom 30.10.2007 zur Anwendung: Wird ein Gericht in einem Lugano-Vertragsstaat prorogiert, der nicht EU-Mitgliedstaat ist, ist sedes materiae Art. 23 LugÜ (Rz. 1886). Exkurs: Universelle Geltung beanspruchen auch die Zuständigkeitsordnungen 1874n der EuUnterhVO und der EuErbVO; damit gelten Art. 4 EuUnterhVO1534 und Art. 5 EuErbVO1535 universell und verdrängen das nationale Recht. Gegenüber Art. 25 EuGVVO n.F. sind die Prorogationsmöglichkeiten nach Art. 4 EuUnterhVO und Art. 5 EuErbVO1536 mehr limitiert. Konkurrierende Rechtshängigkeiten: Sind in der gleichen Sache Gerichtsverfah- 1874o ren in mehreren Mitgliedstaaten anhängig, so war nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 EuGVVO a.F.1537 ohne Ausnahme das zuerst angerufene Gericht befugt, verbindlich über die Wirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung zu entscheiden. Auch die Entscheidung des forum derogatum war für das forum prorogatum maßgeblich. Dies ändert nun Art. 31 II EuGVVO n.F., der dem forum prorogatum den Entscheidungsvorrang einräumt.1538 Die Gerichte in den anderen Mitgliedstaaten setzen ihr Verfahren solange aus, bis das auf der Grundlage der Zuständigkeitsvereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist. Hält sich das forum prorogatum für zuständig, erklären sich die Gerichte in den Mitgliedstaaten zu Gunsten dieses Gerichts für unzuständig, Art. 31 III EuGVVO n.F.1539 Streitgenossenzuständigkeit: Die neue Brüssel I-VO ordnet in Art. 6 I EuGVVO 1874p n.F. nicht die universelle Anwendung der Streitgenossenzuständigkeit (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO n.F.1540) an. Auch hatte der EuGH in seinem Urteil zur lex lata (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO a.F.) eine analoge Anwendung auf Personen mit Wohnsitz/
1534 Hierzu z.B. Mankowski, IPRax 2014, 249, 250; Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 104 JN Rz. 114/13 ff. 1535 Hierzu z.B. Simotta in Fasching/Konecny, a.a.O., § 104 JN Rz. 114/27 ff. 1536 Hierzu z.B. Simotta in Fasching/Konecny, a.a.O., § 77 JN Rz. 74 ff. 1537 Klagt eine Partei unter Missachtung der ausschließlichen Zuständigkeitsvereinbarung in einem anderen Mitgliedstaat, so muss das forum prorogatum die frühere anderweitige Rechtshängigkeit nach Art. 27 EuGVVO a.F. beachten, EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-166/02 – Erich Gasser GmbH/MISAT, Slg. 2003, I-14693. Es darf auch nicht die Prozessführung am forum derogatum verbieten, EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – Turner/Grovit, Slg. 2004, I-3565 = IPRax 2004, 425 (Rauscher 405) = RIW 2004, 541 (Krause 533; Mankowski 497); EuGH v. 10.2.2009 – Rs. C-185/07 – West Tankers, SchiedsVZ 2009, 120. Hierzu Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 203; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 257 ff. 1538 Erwägung 22. S. auch Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 205; Stein/Jonas/ G. Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 23 EuGVVO Rz. 159. 1539 Diese Regelungen gelten nach Art. 31 IV EuGVVO n.F. nicht für Streitigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und individuellen Arbeitsstreitigkeiten, wenn der Kläger Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist und die Zuständigkeitsvereinbarung nach einer der Bestimmungen der Abschnitte 2, 4 oder 5 nicht gültig ist. 1540 Zur Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen z.B. Harms, EuZW 2014, 129.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
Sitz außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung abgelehnt.1541 1874q Da das geltende nationale deutsche Zuständigkeitsrecht keinen allgemeinen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft1542 kennt, sind de lege lata Personen mit Wohnsitz bzw. Sitz außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung zuständigkeitsrechtlich privilegiert.1543 Der deutsche Gesetzgeber sollte diese Ungleichbehandlung baldmöglichst beseitigen. 1874r Aufgrund des Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks1544 gilt die Verordnung nicht für Dänemark.1545 Insoweit blieb das EuGVÜ auch nach Inkrafttreten der EG-Verordnung bis zum Inkrafttreten des Übereinkommens vom 19.10.2005 der Europäischen Gemeinschaft mit Dänemark1546 am 1.7.2007 in Kraft. 1874s Die VO (EU) Nr. 1215/2012 ersetzt – wie zuvor schon die VO (EG) Nr. 44/2001 – zwar nicht die nationalen Prozessordnungen durch eine europäische Zivilprozessordnung. Sie ist keine umfassende Kodifikation. Aber in entscheidenden Punkten wurde europäisches Einheitsrecht geschaffen, welches das nationale Recht verdrängt oder doch zumindest überlagert. Es kommt zu einem interessanten Zusammenspiel zwischen europäischem Unionsrecht und nationalem Prozessrecht.1547 1874t Den Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und sonstigen Titeln (Art. 36 ff.) wird eine Zuständigkeitsordnung (Art. 4 ff.) vorangestellt. Zwischen diesen beiden Hauptkomplexen stehen Vorschriften über die internationale Beachtung der (früheren) Rechtshängigkeit bei identischem oder konnexem Streitgegenstand (Art. 29–34). Daneben regelt die Verordnung trotz der schmalen Gesetzgebungskompetenz der Union (Art. 81 AEUV, Rz. 245a)1548 eine Reihe von Punkten, die schon im Erkenntnisverfahren (Erstprozess) auf das nationale Prozessrecht einwirken; so kennt sie z.B. Vorschriften über die Prüfung der internationalen Zuständigkeit (Art. 27, 28 I) und die Sicherung des rechtlichen Gehörs für den Beklagten (Art. 28 II–IV). 1874u Die Verordnung begründet für die Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Justizgewährung, wenn eine Kompetenzanknüpfung i.S. von Art. 4 ff. gegeben ist. Aus Sicht
1541 EuGH v. 11.4.2013 – Rs. C-645/11 – Land Berlin/Sapir, Buschet, NJW 2013, 1661 = IPRax 2014, 167 (Lund 140) = LMK 2013, 347220 (Wais); a.A. R. Geimer, WM 1979, 350 (354) und Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 Rz. 155; Art. 6 Rz. 4 ff. Zustimmend OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83. 1542 Zu den wenigen Ausnahmen oben Rz. 1162 ff. 1543 Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 93 JN Rz. 14/3. 1544 Früher Protokoll Nr. 5 zum Vertrag von Amsterdam und Art. 69 EGV. Hierzu z.B. Hoppe in Lenz/Borchardt (ed.), EU-Verträge5, Vorb. Art. 67 AEUV Rz. 9. 1545 Vgl. Ziffer 21 der Präambel. 1546 ABl. EU Nr. L 299 v. 16.11.2005, 62. 1547 Hierzu m.w.N. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, 2010, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 86 ff. 1548 Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bleibt unberührt, Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 154 ff.; s. auch Geimer, NJW 2013, 2625 (2627).
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Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
des Klägers/Antragstellers bedeutet dies – ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit – die Fundierung seines Justizgewährungsanspruchs.1549 Das Zuständigkeitssystem der EuGVVO kommt grundsätzlich nur dann zur An- 1874v wendung, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz (Art. 62) bzw. Sitz (Art. 63) in einem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einschließlich Dänemarks1550 (Rz. 1874a) hat1551, Art. 4 I, 5 I (Rz. 1264). Ist dies nicht der Fall, so ist die internationale Zuständigkeit des Gerichtsstaates nicht nach europäischem Unionsrecht, sondern – vorbehaltlich Art. 71 EuGVVO und Art. 2 ff. LugÜ – nach dem nationalen Zuständigkeitsrecht zu beurteilen, Art. 6 I. Selbst wenn grundsätzlich Art. 4 ff. nicht anwendbar sind, können jedoch einzel- 1874w ne Bestimmungen der Verordnung, welche die Zuständigkeit betreffen, gleichwohl zum Zuge kommen. So gilt z.B. für internationale Zuständigkeitsvereinbarungen europäisches Einheitsrecht (Art. 25, Rz. 1645). Auch wenn keine der Parteien in einem Vertragsstaat wohnt, ist Art. 25 anzu- 1874x wenden.1552 Sonderregeln über den Anwendungsbereich gelten auch für Art. 24. Diese Vor- 1874y schrift stipuliert einen Katalog ausschließlicher internationaler Zuständigkeiten. Sie beansprucht Geltung ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Beklagten. Auch hier ergeben sich Überschneidungen zwischen nationalem Zuständigkeitsrecht (wenn der Beklagte nicht in einem Mitgliedstaat wohnt) und Unionsrecht. Denn grundsätzlich ist zwar nationales Zuständigkeitsrecht maßgeblich, Art. 6 I. Dieses wird jedoch in einem Teilaspekt vom europäischen Unionsrecht überlagert. Da für die Anwendbarkeit der europäischen Zuständigkeitsordnung der VO (EU) 1874z Nr. 1215/2012 grundsätzlich der Wohnsitz/Sitz des Beklagten entscheidend ist, kommt es bei einer Rechtsbeziehung zwischen einer Person mit Wohnsitz/Sitz innerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung und einer solchen mit Wohnsitz/Sitz in einem dritten Staat oder ohne irgendeinen Wohnsitz/Sitz auf die Parteirolle an, also darauf, wer wen verklagt. Für Klagen gegen den Versicherer mit Sitz in einem Nichtmitgliedstaat reicht 1875 auch eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung innerhalb des geographischen Anwendungsbereichs der Verordnung für die (partielle) An1549 R. Geimer, WM 1976, 830; zustimmend z.B. Kropholler/von Hein, EuZPR9, vor Art. 2 Rz. 2; Peter Huber, Die englische forum non conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994, 171. 1550 Trotz EuGVVO-Erwägungsgrund 41 wird die EuGVVO auch in Dänemark angewandt aufgrund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr: Europäischen Union) und dem Königreich Dänemark v. 19.10.2005 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- u. Handelssachen, ABl. EU v. 17.11.2005 L 300/55, in Kraft seit 1.7.2007, ABl. EU v. 4.4.2007 L 94/70. Dänemark hat mitgeteilt, dass das Abkommen auch für die VO (EU) v. 12.12.2012 gilt. 1551 Genauer: Im geografischen Anwendungsbereich der VO, vgl. Ziffer 21 der Präambel. 1552 Enger ist der Anwendungsbereich des Art. 23 LugÜ. Gleichwohl legt für solche Fälle Art. 23 III eine Kompetenzkompetenz des forum prorogatum fest.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
wendbarkeit des europäischen Zuständigkeitsrechts aus, Art. 11 II.1553 Für Streitigkeiten aus dem Bereich der Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung gelten dann die Zuständigkeitsregeln der Art. 11 ff. einschließlich Art. 7 Nr. 5. Für andere Klagen gegen den Versicherer, die nicht mit dem Betrieb der Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung zusammenhängen, kommt dagegen das nationale Zuständigkeitsrecht zur Anwendung, Art. 10 i.V.m. Art. 6 I. 1875a Die gleiche Regelung gilt auch für Verbrauchersachen.1554 Für Klagen gegen den Vertragspartner des Verbrauchers (Verkäufer, Kreditgeber etc.1555), der in keinem Mitgliedstaat seinen Sitz hat, aber in einem Vertragsstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung unterhält, gilt die Zuständigkeitsordnung der EuGVVO (Art. 17 ff.), soweit der Streitgegenstand aus dem Betrieb dieser Niederlassung bzw. Agentur herrührt, Art. 17 II.1556 Im Übrigen kommt nationales Zuständigkeitsrecht zum Zuge mit einer Ausnahme: Art. 18 I gilt gemäß Art. 6 I universell. Damit sind – anders als nach Art. 16 I LugÜ – die Klagemöglichkeiten des Verbrauchers gegen seinen Vertragspartner auch dann durch das Unionsrecht gewährleistet, wenn letzterer weder Wohnsitz/Sitz noch eine Niederlassung im geografischen Anwendungsbereich der Verodnung hat. 1876 Auch für Streitigkeiten aus individuellen Arbeitsverträgen findet sich in Art. 20 II eine Parallelregelung zu Art. 11 II und Art. 17 II.1557 Zudem wird gemäß Art. 22 II i.V.m. Art. 6 I – ohne Rücksicht auf den Wohnsitz/Sitz des Arbeitgebers bzw. dessen Niederlassung – zugunsten des Arbeitnehmers ein Forum in dem Mitgliedstaat eröffnet, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder verrichtet hat. Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet hat, wird ihm eine Klagemöglichkeit in dem Mitgliedstaat eröffnet, in dem sich die einstellende Niederlassung1558 befindet oder befand. 1553 Außer den Kommentaren s. z.B. auch die Nachw. bei Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 112 ff. 1554 Außer den Kommentaren s. Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR Rz. 124 ff. 1555 Der Begriff „anderer Vertragspartner“ in Art. 18 EuGVVO erfasst auch den im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ansässigen Vertragspartner des Wirtschaftsteilnehmers, mit dem der Verbraucher den betreffenden Vertrag geschlossen hat, EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-478/12 – Armin Maletic u. Ehefrau/lastminute.com GmbH und TUI, EuZW 2014, 33; hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (14): Eheleute hatten über die Website eines Reisevermittlers in München eine von einem österr. Reiseveranstalter durchgeführte Reise gebucht und verklagten sowohl den Reisevermittler als auch den Reiseveranstalter gemeinsam an ihrem Wohnsitz in Österreich. Die EuGVVO ist nach EuGH nur bei Auslandsbezug anwendbar und da der Reiseveranstalter im gleichen EU-Mitgliedstaat ansässig ist wie der Kläger, stellte sich die Frage, ob der Anwendungsbereich der EuGVVO hinsichtlich des Reiseveranstalters eröffnet war und sich die Kläger insoweit auf Art. 18 I EuGVVO berufen können. 1556 R. Geimer, EuZW 1993, 564; R. Geimer, RIW 1994, 59; R. Geimer, EWiR 2004, 971. 1557 Hierzu z.B. C. Müller, Die internationale Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte und das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht, 2004; Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR Rz. 153 ff. 1558 In diesem Fall ist Unionsrecht schon aufgrund Art. 20 II EuGVVO n.F. anzuwenden. Zur einstellenden Niederlassung Knöfel, IPRax 2014, 130.
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Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
In den Fällen des Art. 11 II, Art. 17 II und Art. 20 II kommt es zu einer Spaltung 1877 des maßgeblichen Kompetenzrechts: Für Klagen, welche den Betrieb der Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung betreffen, gilt europäisches Unionsrecht, für sonstige Klagen dagegen nationales Zuständigkeitsrecht. Diese Erweiterung des Anwendungsbereiches durch Art. 11 II, Art. 17 II und 1878 Art. 20 II gilt nur für Klagen gegen den Versicherer, den Vertragspartner des Verbrauchers und den Arbeitgeber. Für Klagen in umgekehrter Richtung bleibt es bei der beschriebenen Grundregel: Wohnt der Versicherungsnehmer, Versicherte, Begünstigte oder sonst wie am Versicherungsvertragsverhältnis Beteiligte, der Verbraucher bzw. der Arbeitnehmer nicht in einem Mitgliedstaat, so kommt nicht Art. 14 bzw. Art. 18 II bzw. Art. 22 zur Anwendung, sondern das nationale Zuständigkeitsrecht, Art. 6 I (vgl. Rz. 1288). In Versicherungssachen hielt der europäische Gesetzgeber – anders als nach Art. 18 I und Art. 22 II i.V.m. Art. 6 I – eine universell geltende Absicherung der Klagemöglichkeiten der typischerweise schwächeren Partei (Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter, Geschädigter etc.) für nicht erforderlich. Es kommt nach wie vor nationales Kompetenzrecht zur Anwendung, wenn der beklagte Versicherer weder Wohnsitz/Sitz noch eine Niederlassung (Art. 11 II) im geografischen Anwendungsbereich der Verordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt hat.
II. VO (EG) Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 (EuEheVO) Art. 1 II EuGVVO enthält einen umfangreichen Katalog von Materien, die aus 1879 dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeklammert sind. Zur partiellen Ausfüllung des Ausschlusstatbestandes des Art. 1 II lit. a wurde die VO (EG) Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (EuEheVO, Rz. 245c)1559 erlassen, die im Verhältnis zu Dänemark nicht gilt.
III. VO (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 (EuUnterhVO) Die Bereichsausnahme des Art. 1 II lit. e EuGVVO füllt die VO (EG) Nr. 4/2009 1879a vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerken-
1559 Bis 28.2.2005 galt die VO (EG) Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, 9. Vorausgegangen war das (nicht in Kraft getretene) Übereinkommen v. 26.5.1998 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. EG Nr. C 221/1 v. 16.7.1998) im Rahmen der dritten Säule des EUV in der Maastrichter Fassung (Brüssel II). Dieses wurde nach dem „Säulenwechsel“ von Amsterdam (Rz. 245a) auf der Grundlage des Art. 65 EGV durch die EG-VO Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 ersetzt.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
nung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUnterhVO1560, s. Rz. 245c, Rz. 3197).
IV. VO (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 (EuErbVO) Literatur: Bonomi/Wautelet, Le droit européen des succession – Commentaire du Reglement no 650/2012 du 4 juillet 2012, 2013; Buschbaum in GS Hübner, 2012, 589; Buschbaum in FS Martiny, 2014, 259; Dörner, ZEV 2010, 221; Dörner, ZEV 2012, 505; Dutta, FamRZ 2013, 4; Dutta in MüKo.BGB6, EuErbVO (im Erscheinen); Dutta/Herrler, Europäische Erbrechtsverordnung, 2014; R. Geimer, Die geplante Europäische Erbrechtsverordnung, in Reichelt/Rechberger, Europäisches Erbrecht, 2011, 1; R. Geimer, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, in Hager (ed.), Die Europäische Erbrechtsverordnung, 2013, 9; R. Geimer, „Annahme“ ausländischer öffentlichern Urkunden in Erbsachen gemäß Art. 59 EuErbVO, in Dutta/Herrler, a.a.O., 142; R. Geimer in Zöller, ZPO30, 2014, Anh II J; Janzen DNotZ 2012, 484; Kleinschmidt, RabelsZ 77 (2013), 723; Kohler/Pintens, FamRZ 2012, 1425 (1426); M. Kohler, NotBZ 2012, 1; Kunz, GPR 2012, 208 (253); Lange, DNotZ 2012, 168; Lange, ZErb 2012, 160; Lechner, NJW 2013, 26; Leitzen, ZEV 2012, 520; St. Lorenz, ErbR 2012, 39; St. Lorenz, informaciones 2012, 3; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (6); Nordmeier, ZEV 2012, 513; Remde, RNotZ 2009, 65; Richters, ZEV 2012, 576; Schauer, EF-Z 2012, 245; Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte – Eine Untersuchung auf Grundlage des FamFG und der Erbrechtsverordnung, Diss. Konstanz, 2011, 162 ff.; Schauer/ Scheuba (ed.), Europäische Erbrechtsverordnung, 2012; Jessica Schmidt, Der Erbnachweis in Deutschland ab 2015: Erbschein vs. Europäisches Nachlasszeugnis, ZEV 2014, 389; Simon/Buschmann, NJW 2012, 2393; Simotta, Die internationale Zuständigkeit in Erbsachen im Fall einer Rechtswahl des Erblassers (Art. 59 EuErbVO), in FS Gottwald, 2014, 619; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 497; Sturm/Sturm in FS Sajko, 2012, 309; Süß, Das Europäische Nachlasszeugnis, ZEuP 2013, 725; Vollmer, ZErb 2012, 227 und ZEV 2014, 129; M. Volmer, Rpfleger 121 (2013), 421; R. Wagner, DNotZ 2010, 506; Werner, StBW 2012, 857; Wilsch, ZEV 2012, 530. 1880 Die VO (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO; Rz. 245c)1561 schließt eine weitere Bereichsausnahme des Art. 1 II (f) EuGVVO. Sie gilt jedoch nicht für Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich. Zentraler Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit in Erbsachen ist der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes, Art. 4.1562 1560 ABl. EU Nr. L 7 v. 10.1.2009. 1561 ABl. EU v. 27.7.2012 Nr. L 201, 107. 1562 Für prämortale erbrechtliche Klagen z.B. auf Feststellung der (Un)Wirksamkeit eines Erbvertrags (wegen Rücktritts oder Anfechtung) oder eines Pflichtteilsentzugs eröffnet Art. 4 EuErbVO kein Forum, weil der letzte gewöhnliche Aufenthalt des präsum-
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Vierter Teil
Hat der Erblasser für seine Rechtsnachfolge von Todes wegen gem. Art. 22 das 1880a Recht seines Heimatstaates gewählt, so können seine Erben und sonstigen am Nachlass Beteiligten – nicht aber er selbst1563 – die Gerichte dieses Staates als zuständig vereinbaren, sofern es sich um einen Mitgliedstaat i.S. dieser Verordnung handelt, Art. 5 ff.1564 Nicht wählbar sind derzeit (vor einem evtl. opt-in) Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich. Im Falle einer Rechtswahl können sich die Gerichte des Aufenthaltsstaats (Art. 4) zugunsten der Gerichte des Heimatstaates des Erbassers nach Maßgabe von Art. 6 für unzuständig erklären. Die internationale Zuständigkeit des Heimatstaats kann auch unter den Voraussetzungen des Art. 9 durch rügelose Einlassung begründet werden. Hatte der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufent- 1880b halt außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Verordnung, so eröffnet Art. 10 I eine Belegenheitszuständigkeit, wobei dem Mitgliedstaat, dem der Erblasser angehört hatte, der Vorrang gebührt, ersatzweise dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser vor seinem Wegzug mindestens fünf Jahre seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ansonsten sind – sofern eine internationale Zuständigkeit nach Art. 10 I nicht gegeben ist – die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen über dieses zuständig, Art. 10 II; sie haben dann nur eine gegenständlich beschränkte Jurisdiktion. Die örtliche Zuständigkeit fixiert § 2 AusfErbVO-RefE bei dem Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Ersatzweise wird beim AG Berlin-Schöneberg ein Forum eröffnet. Auch für eine Notzuständigkeit (Art. 11 I) hat der europäische Gesetzgeber ge- 1880c sorgt, um Rechtsschutzverweigerung vorzubeugen. Die Sache muss aber einen ausreichenden Bezug zum angerufenen Mitgliedstaat haben, Art. 11 II. Auch in solchen Konstellationen ist nach § 2 AusfErbVO-RefE Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers; ansonsten ist das AG Berlin-Schöneberg örtlich zuständig. Flankiert wird dieses Kompetenzsystem durch eine erweiternde Regelung zur 1880d Entgegennahme von Erklärungen (Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils etc.) zugunsten des Mitgliedstaats, in dem die betreffende (erklärende) Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 13. Örtlich zuständig ist nach § 31 AusfGErbVO-RefE das Nachlassgericht, in dessen Bezirk die erklärende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Schlichter Aufenthalt (z.B. anläßlich eines beruflichen oder geschäftlichen Termins oder aus sonstigen Gründen auf einer Durchreise etc.) genügt nicht. Hier tiven Erblassers noch nicht feststeht. Statt auf den gegenwärtigen Erblasseraufenthalt abzustellen, sollte man trotz der Bereichsausnahme des Art. 1 II (f) EuGVVO Art. 4 ff. EuGVVO anwenden. Abzulehnen ist die These, es bestünde eine Regelungslücke zwischen EuGVVO und EuErbVO, mit der Folge, dass auf prämortale Klagen nach wie vor das nationale Kompetenzrecht anzuwenden wäre, Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 1 EuGVVO Rz. 43b; Art. 1 EuErbVO Rz. 4. 1563 Er könnte jedoch nach § 1066 ZPO ein Schiedsgericht für die seinen Nachlass betreffenden Streitigkeiten einsetzen. Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, § 1066 ZPO Rz. 15 ff., 19. 1564 Hierzu R. Geimer in Hager, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, 2013, 9, 22.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
kommt aber notarielle Beurkundung bzw. Beglaubigung in Betracht und Versendung der Erklärung an das vorgenannte Nachlassgericht oder direkt an das (ausländische) Gericht bzw. die (ausländische) Behörde, für welche(s) die Erklärung bestimmt ist. Die Weisheit des § 31 AusfGErbVO-RefE – sollte er denn Gesetz werden – darf bezweifelt werden.
V. VO (EU) Nr. 655/2014 vom 15.5.2014 (EuvKpfVO) Literatur: Domej, Das Rechtsbehelfsverfahren bei der europäischen vorläufigen Kontenpfändung, in FS Simotta, 2012, 129; Domej, Ein wackeliger Balanceakt: Die geplante Verordnung über die Europäische vorläufige Kontenpfändung, ZEuP 2013, 496; Hess, Der Vorschlag der EU-Kommission zur vorläufigen Kontenpfändung – Ein weiterer Integrationsschritt im Europäischen Zivilverfahrensrecht, in FS Kaissis, 2012, 399; Hess/Raffelsieper, Eckpunkte der Kontenpfändungsverordnung, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 215; Nunner-Krautgasser, Der geplante Rechtsakt zur europäischen Kontenpfändung, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 125; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 391 ff.; Rauscher/Weller, EuZPR/EuIPR4, 2014, EU-BvKpfVO; Stamm, Plädoyer für einen Verzicht auf den Europäischem Beschluss vorläufige Kontenpfändung – Zehn gute Gründe gegen dessen Einführung, IPRax 2014, 124; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 10. 1880e Die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 v. 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (Kontopfändungsverordnung; Rz. 245c)1565 kreiert ab 18.7.2017 einen per se europaweit vollstreckbaren Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung, Art. 22 (Rz. 3198). Dieser soll nach den Vorstellungen des europäischen Gesetzgebers in grenzüberschreitenden Fällen die vorläufige Pfändung von Geldern auf Bankkonten erleichtern.1566 1880f Das neue Verfahren verdrängt nicht die Verfahren nach nationalem Recht zur Erwirkung von Sicherungsmaßnahmen (Art. 35 EuGVVO n.F.), die stark von einander divergieren und im grenzüberschreitenden Kontext im Hinblick auf die Anerkennungsproblematik1567 oft als sehr aufwendig und wenig effizient erachtet werden.1568 Es soll verhindern helfen, dass die spätere Vollstreckung einer Forderung dadurch gefährdet wird, dass Gelder bis zu dem im Beschluss angege-
1565 1566 1567 1568
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ABl. EU Nr. L 189 v. 27.6.2014, S. 1; Vorschlag der Kommission: KOM (2011) 445. Die vorläufige Kontensperre verfügt das Gericht der Hauptsache. Zu Art. 2 (a) (ii) i.V.m. Art. 36 EuGVVO n.F. s. unten Rz. 3107. Vorreiter sollte die EuUnterhVO sein: Nach Art. 34 und Art. 35 des Entwurfs sollten monatliche Pfändungen und vorübergehende Kontensperren angeordnet werden können. Dies wurde jedoch letztendlich nicht akzeptiert, Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europ. Rechtsraum, 2012, 255 ff.
Entscheidungszuständigkeit kraft sekundären Unionsrechts
Vierter Teil
benen Betrag, die vom Schuldner auf einem in einem Mitgliedstaat geführten Bankkonto geführt werden, überwiesen oder abgehoben werden, Art. 1 I. Das neue Unionsverfahren ist nach Art. 5 statthaft:
1880g
a) bevor der Gläubiger in einem Mitgliedstaat ein Verfahren gegen den Schuldner in der Hauptsache einleitet oder während eines solchen Verfahrens, bis die gerichtliche Entscheidung erlassen oder ein gerichtlicher Vergleich gebilligt oder geschlossen wird; b) nachdem der Gläubiger in einem Mitgliedstaat eine gerichtliche Entscheidung, einen gerichtlichen Vergleich oder eine öffentliche Urkunde erwirkt hat, mit der bzw. dem der Schuldner aufgefordert wird, die Forderung des Gläubigers zu erfüllen. In Fällen, in denen der Gläubiger noch keine gerichtliche Entscheidung, keinen gerichtlichen Vergleich oder keine öffentliche Urkunde erwirkt hat, sind für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung die Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig, die „gemäß den einschlägigen anzuwendenden Zuständigkeitsvorschriften“, d.h. nach Art. 4 ff. EuGVVO1569, für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind. Ist der Schuldner Verbraucher und wurde der in in concreto maßgebliche Vertrag mit dem Gläubiger zu einem Zweck geschlossen, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Schuldners zugerechnet werden kann, sind für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung zur Sicherung einer Forderung aus diesem Vertrag die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz hat, ausschließlich zuständig, Art. 6. Hat der Gläubiger bereits eine gerichtliche Entscheidung oder einen gericht- 1880h lichen Vergleich erwirkt, so sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung erlassen wurde oder der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen wurde, für den Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung über die in der gerichtlichen Entscheidung oder dem gerichtlichen Vergleich angegebene Forderung zuständig. Bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Urkunde errichtet wurde, zuständig. Der Kontenpfändungsbeschluss wird ohne Anhörung des Schuldners (Art. 11) 1880i in einem ex parte-Verfahren erlassen. Die Zustellung an den Schuldner erfolgt nach Maßgabe von Art. 28 (Rz. 2074g).
1569 Aus Sicht eines deutschen Gerichts kommen nach der Kollisionsregel des Art. 64 LugÜ 2007 (Rz. 1886), die auch für das Verhältnis zwischen EuGVVO n.F. und LugÜ anzuwenden ist, Art. 2 ff. LugÜ selten zum Zuge. S. aber z.B. BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, MDR 2014, 794 = NZI 2014, 521 (Hübler 495).
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
13. Kapitel: Internationale Entscheidungszuständigkeit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen I. Vorrang vor §§ 12 ff. ZPO 1881 Die vom deutschen Gesetzgeber innerstaatlich in Kraft gesetzten Abkommen und Übereinkommen verdrängen als Spezialregelungen in ihrem Anwendungsbereich – soweit sie die internationale (und örtliche) Zuständigkeit normieren – die Regeln des autonomen deutschen Rechts (§§ 12 ff. ZPO). 1881a Die meisten einschlägigen völkerrechtlichen Verträge sind self executing, d.h. sie sind so formuliert, dass sie ohne weiteres – nach ihrer innerstaatlichen Inkraftsetzung – von den nationalen Gerichten angewandt werden können (Rz. 223). Es gibt aber auch Fälle, in denen der deutsche Gesetzgeber den Inhalt des völkerrechtlichen Übereinkommens in ein nationales Gesetz umgegossen hat mit der Folge, dass die deutschen Gerichte das Übereinkommen nicht unmittelbar anwenden. So wurde z.B. der Inhalt des Brüsseler Übereinkommens vom 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit für Schiffszusammenstöße1570 durch das Seerechtsänderungsgesetz1571 in das HGB (§§ 738 ff. a.F.) transponiert (Rz. 225). S. nun § 618 HGB n.F. und §§ 30, 30a ZPO.
II. Normierung der internationalen Entscheidungszuständigkeit 1882 In dem hier zu behandelnden Zusammenhang interessieren nur die Verträge, welche die internationale Zuständigkeit mit Wirkung für das Erkenntnisverfahren regeln (internationale Entscheidungszuständigkeit; compétence directe). Außer Betracht bleiben die Regelungen der internationalen Anerkennungszuständigkeit (compétence indirecte). Diese geben nur eine Richtschnur für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit fremder Staaten aus Anlass der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile. Solche finden sich z.B. in den Zuständigkeitskatalogen der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge.1572 1882a Ist die internationale Entscheidungszuständigkeit (also nicht bloß die internationale Anerkennungszuständigkeit) in einem völkerrechtlichen Vertrag geregelt, so ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob dieser Vertrag nur die Jurisdiktionssphären der vertragsschließenden Staaten begrenzen soll in dem Sinne, dass es ihnen freigestellt bleibt, ob sie bei Vorliegen einer Zuständigkeitsanknüpfung ihre Gerichte in der Sache entscheiden lassen, oder ob sie zur Justizgewährung verpflichtet sind. Im Zweifel ist letzteres gewollt. Die Vertragsstaaten müssen daher durch Gesetz ein kompetentes Gericht zur Verfügung stellen. Tun sie dies nicht, ist das Gericht der Hauptstadt örtlich zuständig (Rz. 965).1573
1570 BGBl. II 1972, 663. Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 125. 1571 BGBl. I 1972, 966. 1572 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1497. 1573 Vgl. auch Kohler in FS Matscher, 1993, 251.
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Entscheidungszuständigkeit in völkerrechtlichen Vereinbarungen
Vierter Teil
III. Brüsseler Übereinkommen Die Brüsseler Konvention vom 27.9.1968/29.11.1996 über die gerichtliche Zu- 1883 ständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1574 hat den europäischen Integrationsprozess auf prozessualem Gebiet enorm gefördert (Rz. 246). Sie hat zwar mit dem Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 44/2001 (Rz. 1874) am 1.3.2002 in weiten Bereichen ihre praktische Bedeutung verloren. Doch blieb sie bis 1.7.2007 in Kraft im Verhältnis zu Dänemark (Rz. 1874a). Auch gilt sie fort außerhalb der in Art. 355 AEUV1575 definierten Territorien der Mitgliedstaaten.1576 Schließlich gilt das Zuständigkeitsrecht des EuGVÜ für alle vor dem 1.3.2002 er- 1884 hobenen Klagen bzw. eingebrachten Anträge.1577
IV. Lugano-Übereinkommen Durch das Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und 1885 die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.19881578 werden die Zuständigkeitsregeln der Brüsseler Konvention (Rz. 1883) auf die EFTA-Staaten ausgedehnt. Hinzu kommen die Staaten, die nach Art. 62 LugÜ beitreten durften.1579 Das Übereinkommen vom 30.10.2007 brachte eine Neufassung, die sich stark an der EuGVVO orientiert (Rz. 247b). Die Rechtsprechung des EuGH zu den inhaltsgleichen Normen der EuGVVO ist nach Maßgabe des Protokolls 2 zum Lugano-Übereinkommen auch bei der Auslegung des LugÜ zu beachten, und zwar auch in den Vertragsstaaten, die nicht der Europäischen Union angehören. Aus der „Binnensicht“ der Europäischen Union ist das Lugano-Übereinkommen 2007 Teil des Unionsrechts, so dass insoweit auch Art. 267 AEUV für die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten greift. Um das faktische Übergewicht des EuGH bei der Auslegung auch des LuganoÜbereinkommens einzuschränken und so für die nicht der EU angehörenden LugÜ-Vertragsstaaten eine einigermaßen gesichtswahrende Balance zu schaffen, hat Kohler vorgeschlagen, für die Auslegung des Lugano-Übereinkommens einen
1574 BGBl. II 1972, 773; BGBl. II 1998, 1411. 1575 Zum territorialen Anwendungsbereich s. auch Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rz. 28, S. 261. 1576 Art. 68 EuGVVO. 1577 Art. 66 EuGVVO. 1578 ABl. EG Nr. L 319 v. 25.11.1988 = BGBl. II 1995, 221; für Deutschland seit 1.3.1995 in Kraft. Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – EuGVVO, Einl. Rz. 37; Zöller/Geimer, ZPO30, Anh. I Art. 1 EuGVVO Rz. 3. 1579 Mit Wirkung zum 1.2.2000 ist Polen beigetreten, BGBl. II 2000, 1246; hierzu Sawczuk in FS Schütze, 1999, 733; Wagner, WiRO 2000, 47; Martiny/Ernst, IPRax 2001, 29. Seit 1.5.2004 gilt vorrangig die EuGVVO.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
eigenen Gerichtshof zu errichten oder die Zuständigkeiten des EFTA-Gerichtshofs entsprechend zu erweitern.1580 1886 Das Verhältnis der Lugano-Konvention vom 30.10.2007 zur VO (EG) Nr. 44/2001. regelt Art. 64 (Rz. 247b):1581 (1) Dieses Übereinkommen lässt die Anwendung folgender Rechtsakte durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unberührt: der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen einschließlich deren Änderungen, des am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und des am 3. Juni 1971 in Luxemburg unterzeichneten Protokolls über die Auslegung des genannten Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Fassung der Übereinkommen, mit denen die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften jenem Übereinkommen und dessen Protokoll beigetreten sind, sowie des am 19. Oktober 2005 in Brüssel unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. (2) Dieses Übereinkommen wird jedoch in jedem Fall angewandt a) in Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Staates hat, in dem dieses Übereinkommen, aber keines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente gilt, oder wenn die Gerichte eines solchen Staates nach Artikel 22 oder 23 dieses Übereinkommens zuständig sind; b) bei Rechtshängigkeit oder im Zusammenhang stehenden Verfahren im Sinne der Artikel 27 und 28, wenn Verfahren in einem Staat anhängig gemacht werden, in dem dieses Übereinkommen, aber keines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente gilt, und in einem Staat, in dem sowohl dieses Übereinkommen als auch eines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente gilt; c) in Fragen der Anerkennung und Vollstreckung, wenn entweder der Ursprungsstaat oder der ersuchte Staat keines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente anwendet. (3) Außer aus den in Titel III vorgesehenen Gründen kann die Anerkennung oder Vollstreckung versagt werden, wenn sich der der Entscheidung zugrunde liegende Zuständigkeitsgrund von demjenigen unterscheidet, der sich aus diesem Übereinkommen ergibt, und wenn die Anerkennung oder Vollstreckung gegen eine Partei geltend gemacht wird, die ihren Wohnsitz in einem Staat hat, in dem dieses Übereinkommen, aber keines der in Absatz 1 aufgeführten Rechtsinstrumente gilt, es sei denn, dass die Entscheidung anderweitig nach dem Recht des ersuchten Staates anerkannt oder vollstreckt werden kann.
1886a Diese Abgrenzungsnorm findet auch auf die Neufassung der EuGVVO durch die VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 (Rz. 245c) Anwendung. Deren Verhältnis zum Lugano-Übereinkommen 2007 (Erwägung 8 und Art. 73 I EuGVVO) regelt dessen Art. 64, auch wenn dieser nur die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Abs. 1 im Blick hat und eine dem Art. 68 II der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 entsprechende ausdrückliche Verweisungsklausel fehlt, sowie weil das Protokoll 3
1580 Kohler, Balancing the judicial dialogue in Europe: Some remarks on the interpretation on the 2007 Lugano Convention on jurisdiction and jugdments, FS Allegría Borrás, 2013, 565. 1581 Nachw. z.B. bei Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes LugÜ, 2009.
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Vierter Teil
zum LugÜ nicht anwendbar ist.1582 Gleichwohl sind nach der ratio conventionis die dort stipulierten Abgrenzungen auch für die neue Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 anzuwenden. Nach seinem Art. 64 II (a) wird das Lugano-Übereinkommen in jedem Fall ange- 1886b wandt in Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Staates hat, in dem dieses Übereinkommen, aber keines der in Art. 64 I aufgeführten Rechtsinstrumente gilt, oder wenn die Gerichte eines solchen Staates nach Art. 22 oder 23 dieses Übereinkommens zuständig sind. Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit durch die Gerichte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 maßgeblich, soweit die Beklagten zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz bzw. Sitz innerhalb der Europäischen Union haben oder gemäß Art. 6 I und Art. 20 I EuGVVO eine Zuständigkeitsnorm universelle Anwendung beansprucht.1583 Dies wird nicht von allen so deutlich gesehen.1584 Beispiel: Der in der Schweiz wohnhafte Beklagte (Gläubiger) betreibt eine Zwangsvollstreckung in Deutschland. Hiergegen klagt der betroffene Vollstreckungsschuldner vor einem deutschen Gericht (§ 767 ZPO). Grundlage für die internationale Zuständigkeit Deutschlands ist nicht Art. 22 Nr. 5 LugÜ1585, sondern Art. 24 Nr. 5 i.V.m. Art. 6 I EuGVVO. Art. 22 Nr. 5 LugÜ kommt für eine vollstreckungsrechtlich einzuordnende Klage zum Zuge, wenn die Zwangsvollstreckung in der Schweiz stattfindet und dort geklagt wird, auch wenn der Beklagte in Deutschland wohnt; denn trotz des etwas locker formulierten Wortlauts des Art. 64 LugÜ ist dessen Sinn und Zweck klar: Die in Art. 22 LugÜ definierten (ohne Rückicht auf den Beklagten[wohn]sitz anzuwendenden) ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten der Vertragsstaaten, die nicht der Europäischen Union angehören, haben Vorrang vor Art. 64 I LugÜ.
Vorbehaltlich des vorbeschriebenen universellen Geltungsanspruchs der EuGV- 1886c VO ist Rechtsgrundlage für Beklagte mit Wohnsitz bzw. Sitz in einem Vertragsstaat, der nicht zur Europäischen Union gehört, das Lugano-Übereinkommen: Für die Gerichte in Island, Norwegen und die Schweiz ist allein das LuganoÜbereinkommen relevant; für sie gilt das Unionsrecht nicht. Da z.B. sowohl der Anwendungsbereich als auch der Inhalt des Art. 23 LugÜ von Art. 25 EuGVVO n.F. abweichen, kann es zu unterschiedlichen Beurteilungen der Wirksamkeit ein und derselben Zuständigkeitsvereinbarung kommen, weil die EU-Gerichte über die Wirksamkeit der Derogation ihrer eigenen Zuständigkeit nach dem gemäß Art. 6 I EuGVVO stets anzuwendenden Art. 25 EuGVVO (Rz. 1643, 1874f) entscheiden.1586 Für das Anerkennungsregime ist sedes materiae Art. 64 Abs. 2 (c) und Abs. 3 1886d LugÜ. 1582 1583 1584 1585
Zum Folgenden R. Geimer in FS Schütze 80, 2014, 109. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 261. Z.B. Domej in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, 2011, Art. 64 Rz. 3 ff. So aber ohne Begründung BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12 MDR 2014, 794 = NZI 2014, 521 (Hübler 495). 1586 Anders ist jedoch die Schweizer Sichtweise, Domej in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, 2011, Art. 64 Rz. 5.
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Internationale Zuständigkeit
V. Völkerrechtliche Verträge, die Vorrang vor der europäischen Zuständigkeitsordnung haben gem. Art. 71 I EuGVVO bzw. Art. 67 LugÜ 2007 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu erwähnen: 1887 1. Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (Convention relative aux Transports Internationaux Ferroviaires [COTIF]) vom 9.5.19801587 i.d.F. des Protokolls vom 3.6.1999 (COTIF 1999)1588 umfasst als Anhang A die Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag, die über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV),1589 und als Anhang B die Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM).1590 Nach Art. 52 § 1 ER-CIV ist für Ansprüche wegen Tötung und Verletzung von Reisenden ausschließlich der Staat international zuständig, auf dessen Gebiet sich der Unfall des Reisenden ereignet hat. Im Übrigen können die durch das Übereinkommen begründeten Ansprüche nur vor den Gerichten des Staates geltend gemacht werden, dem die in Anspruch genommene Eisenbahn angehört, Art. 52 § 2 ER-CIV und Art. 56 ERCIM.1591 1888 2. Art. 31 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (Convention relative au Contrat de transport international de marchandises par route [CMR]) vom 19.5.19561592 normiert die internationale Zuständigkeit nicht nur für (vertragliche) Ansprüche, die sich unmittelbar aus dem CMR ergeben, sondern für alle Ansprüche im Hinblick auf eine unter das CMR fallende Beförderung, insbes. auch deliktische.1593 Gem. Art. 31 CMR hat der Kläger die Wahl zwischen dem Gerichtsstand des Aufenthaltsortes, der Niederlassung und der Geschäftsstelle des Beklagten und dem 1587 BGBl. II 1985, 130, 666, in Kraft seit 1.5.1985, BGBl. II 1985, 1001. Hierzu z.B. Schmidt-Bendun, Haftung der Eisenbahnverkehrsunternehmen: Auf dem Wege zu einem harmonisierten Eisenbahn- und Luftverkehrsrecht in Europa, 2007 Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 479. 1588 Protokoll von Vilnius, BGBl. II 2002, 2140, 2142. 1589 BGBl. II 1985, 179. 1590 BGBl. II 1985, 225. Hierzu z.B. Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 65 und Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 480. 1591 Zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Zugzusammenstoß auf dem Badischen Bahnhof in Basel s. OLG Karlsruhe v. 24.11.1978, VersR 1979, 655 = IPRspr. 1978 Nr. 149. Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 104 ff. 1592 BGBl. II 1961, 1119. Zum Anwendungsbereich OLG Hamburg v. 30.3.1989 – 6 U 169/88, TranspR 1989, 321 = IPRspr. 1989 Nr. 62; Fremuth/Thume, Frachtrecht, 1997, Art. 31 CMR Rz. 2; Kadletz in Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 18 Rz. 11; Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 63; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 317 ff.; Kreuzer/Wagner, a.a.O., Rz. 96 ff.; Schack, IZVR6, Rz. 264. 1593 BGH v. 31.5.2001 – I ZR 85/00, MDR 2002, 283 = NJW-RR 2002, 31 = RIW 2001, 941 = IPRspr. 2001 Nr. 144.
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Vierter Teil
Gerichtsstand des Übernahme- oder des Ablieferungsortes des Transportgutes.1594 Weiterhin sind Prorogationen – allerdings nur auf Vertragsstaaten – zulässig; jedoch können die sonstigen Zuständigkeitsanknüpfungen nicht derogiert werden (also keine „ausschließliche internationale Zuständigkeit“ aufgrund von Zuständigkeitsvereinbarung, Rz. 1792). Ablieferungsort (Rz. 1470) ist der Erfüllungsort des Frachtvertrages.1595 Den Erfüllungsort bestimmt die nach deutschem internationalem Privatrecht ermittelte lex causae, Rz. 1482.1596 Deutschland ist völkerrechtlich verpflichtet, Justiz zu gewähren, wenn der Ablieferungsort im Inland liegt. Dies verkennt der Bundesgerichtshof (Rz. 968).1597 Daher wurde in das deutsche Zustimmungsgesetz zum CMR eine entsprechende Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit am Ablieferungsort (Art. 1a) eingefügt.1598 3. Art. 28 des Warschauer Übereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln 1889 über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12.10.19291599 i.V.m. Art. VIII des Guadalajaraer Zusatzabkommens vom 18.9.1961.1600 Art. 28 Warschauer Übereinkommen: (1) Die Klage auf Schadensersatz muss in dem 1890 Gebiet eines der Hohen Vertragschließenden Teile erhoben werden, und zwar nach der Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, wo der Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat oder wo sich seine Hauptbetriebsleitung oder diejenige seiner Geschäftsstel-
1594 Hierzu z.B. BGH v. 13.3.2014 – I ZR 36/13, NJW-RR 2014, 1064; BGH v. 19.4.2007 – I ZR 90/04, MDR 2007, 1436; OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152 = IPRspr. 2001 Nr. 145. S. auch EuGH v. 4.5.2010 – Rs. C-533/08, NJW 2010, 1736 = EuZW 2010, 517; hierzu Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, 2010, 358 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 16. 1595 OLG Düsseldorf v. 1.3.1979 – 18 U 162/78, RIW 1980, 665. 1596 Bestritten ist, ob Art. 31 I b neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit regelt. Bejahend Willenberg, NJW 1968, 1024; LG Hamburg v. 22.1.1979 – 62 O 136/78, RIW 1980, 665; wohl auch BGH v. 9.12.1982 – I ZR 25/81, VersR 1983, 282 = IPRspr. 1982 Nr. 149. Gegen eine örtliche Zuständigkeit am Abnahmeort OLG Düsseldorf v. 1.3.1979 – 18 U 162/78, RIW 1980, 665 = VersR 1981, 1081 = IPRspr. 1980 Nr. 146A und BGH v. 6.2.1981 – I ZR 148/78, BGHZ 79, 332 = MDR 1981, 639 = RIW 1981, 412 = NJW 1981, 1902 (Kropholler) = VersR 1981, 633 = IPRspr. 1981 Nr. 154; OLG Hamm v. 17.4.1986 – 18 U 45/84, RIW 1987, 470 = IPRspr. 1986 Nr. 132. 1597 BGH v. 6.2.1981 – I ZR 148/78, BGHZ 79, 332 = MDR 1981, 639 = NJW 1981, 1902 = IPRspr. 1981 Nr. 154; wie hier jedoch KG v. 13.1.2000 – 19 W 5398/99, NJW 2000, 2283 = EWiR 2000, 439 (R. Geimer) = IPRax 2001, 44 (Mankowski 33) = IPRspr. 2000 Nr. 114. 1598 Hierzu LG Hannover v. 4.9.1991 – 22 O 120/90, NJW 1992, 3109 = TranspR 1992, 327 = IPRspr. 1991 Nr. 177. Die Vereinbarung der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit ist zulässig, OLG Hamburg v. 30.4.1981, IPRspr. 1981 Nr. 151b. In Österreich ist man durch § 28 JN (Ordination) flexibler, Garber in Fasching/Konecny, (Österrr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., § 28 JN Rz. 12 ff., 176. 1599 RGBl. II 1933, 1040 i.d.F. des Änderungsübereinkommens v. 28.9.1955 (BGBl. II 1958, 312 = Haager Fassung). Hierzu z.B. BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548. 1600 BGBl. II 1963, 1161. Hierzu z.B. OLG Frankfurt/M. v. 18.4.2007 – 13 U 62/06, NJOZ 2007, 4701 = TranspR 2007, 367 (Müller-Rostin) = IPRspr. 2007 Nr. 40; Kadletz in Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 18 Rz. 54, 95; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 470.
707
Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
len befindet, durch die der Vertrag abgeschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsortes. (2) Das Verfahren richtet sich nach den Gesetzen des angerufenen Gerichts. Art. 29 Warschauer Übereinkommen: (1) Die Klage auf Schadensersatz kann binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren erhoben werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort angekommen ist, oder an dem es hätte ankommen sollen, oder an dem die Beförderung abgebrochen worden ist. (2) Die Berechnung der Frist bestimmt sich nach den Gesetzen des angerufenen Gerichts. Art. VIII Zusatzabkommen: Eine Klage auf Schadensersatz im Sinne des Artikels VII muss nach Wahl des Klägers entweder bei einem der Gerichte erhoben werden, bei denen eine Klage gegen den vertraglichen Luftfrachtführer nach Artikel 28 des Warschauer Abkommens erhoben werden kann, oder bei dem Gericht des Ortes, wo der ausführende Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat oder wo sich seine Hauptbetriebsleitung befindet. Art. VII betrifft Schadensersatzklagen bezüglich der von dem ausführenden Luftfrachtführer durchgeführten Beförderung.
1891 Art. 28 des Warschauer Übereinkommens1601 kommt nur zur Anwendung auf Klagen, die im dritten Kapitel des Warschauer Abkommens behandelt sind, also Klagen gegen den Frachtführer (Art. 17–Art. 19), nicht jedoch auf Klagen, die aus anderen Rechtsgründen gegen ihn erhoben werden, auch nicht auf Klagen des Frachtführers gegen seinen Vertragspartner (z.B. aus Art. 10 oder Art. 16) oder wegen Nichterfüllung des Beförderungsvertrages.1602 Umstritten ist, ob Art. 28 WA anzuwenden ist auf Klagen, die zwar nicht auf das Abkommen gestützt sind, für die aber das 3. Kapitel des Übereinkommens gewisse (einschränkende) Regeln aufstellt, z.B. Art. 22 III (Handgepäckbeförderung) oder Art. 25 WA (Klagen gegen Hilfspersonen des Frachtführers). Zuständigkeitsvereinbarungen sind nur nach Eintritt des Schadensfalls zulässig, Art. 32.1603 1892 Nach Art. 28 WA ist die Klage auf Schadensersatz vor den Gerichten eines Vertragsstaates zu erheben. Der Kläger kann wählen zwischen folgenden vier Gerichtsständen:1604 Wohnsitz des Luftfrachtführers, Ort seiner Hauptbetriebsleitung, Ort seiner Geschäftsstelle, durch welche der Vertrag abgeschlossen worden ist (auch IATA-Agentur),1605 oder dem Bestimmungsort. Bestritten ist, ob das 1601 Hierzu Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Art. IX EGJN Rz. 64; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 120 ff. 1602 OLG München v. 20.9.1982 – 21 U 1442/82, RIW 1983, 127; OLG Frankfurt v. 31.1.1984 – 11 U 43/83, TranspR 1984, 297 = IPRspr. 1984 Nr. 41 (Nichtbeförderung eines Fluggastes wegen Überbuchung). 1603 Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1967, 61; unpräzise Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975, 220. 1604 Hierzu z.B. BGH v. 22.10.2009 – I ZR 88/07, MDR 2010, 67 = NJW-RR 2010, 548. 1605 BGH v. 16.6.1982 – I ZR 100/80, BGHZ 84, 339 = MDR 1983, 25 = RIW 1982, 910 = NJW 1983, 518 = IPRax 1984, 27 (Nagel 13) = IPRspr. 1982 Nr. 142; LG Frankfurt/M. v. 5.3.1982, RIW 1982, 437 = ZLW 1983, 63 = IPRspr. 1982 Nr. 134: a.A. OLG Hamburg v. 27.3.1980 – 6 U 17/80, VersR 1982, 303 = IPRspr. 1980 Nr. 142A; LG Hamburg v. 5.5.1982 – 21 O 181/81, RIW 1982, 756 (Moeser) = IPRspr. 1982 Nr. 137; GiemullaMölls, NJW 1983, 1953; Nagel, IPRax 1984, 13.
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Entscheidungszuständigkeit in völkerrechtlichen Vereinbarungen
Vierter Teil
Warschauer Abkommen auch die örtliche Zuständigkeit abschließend regelt1606 oder ob die §§ 12 ff. ZPO ergänzend neben Art. 28 WA treten. Art. VIII des Guadalajaraer Zusatzabkommens erweitert das Wahlrecht des Klägers gem. Art. 28 WA (4 Gerichtsstände) um weitere Zuständigkeitsanknüpfungen: Wohnsitz und Sitz der Hauptbetriebsleitung des ausführenden Frachtführers. Art. 28 WA ist auf Schadensersatzklage gegen Leute des Luftfrachtführers nicht anzuwenden.1607 4. Art. 33 des Montrealer Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimm- 1893 ter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.19991608 Das neue Übereinkommen ersetzt im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten das Warschauer Abkommen.1609 Art. 33 – Jurisdiction 1. An action for damages must be brought, at the option of the plaintiff, in the territory of one of the States Parties, either before the court of the domicile of the carrier or of its principal place of business, or where it has a place of business through which the contract has been made or before the court at the place of destination. 2. In respect of damage resulting from the death or injury of a passenger, an action may be brought before one of the courts mentioned in paragraph 1 of this Article, or in the territory of a State Party in which at the time of the accident the passenger has his or her principal and permanent residence and to or from which the carrier operates services for the carriage of passengers by air, either on its own aircraft, or on another carrier’s aircraft pursuant to a commercial agreement, and in which that carrier conducts its business of carriage of passengers by air from premises leased or owned by the carrier itself or by another carrier with which it has a commercial agreement.
1606 So LG Köln, ZLR 11 (1962), 311. 1607 BGH v. 6.10.1981 – VI ZR 112/80, RIW 1982, 49 (Schoner) = NJW 1982, 524 = IPRax 1983, 124 (Reifarth). 1608 BGBl. II 2004, 458; für Deutschland in Kraft seit 28.6.2004. Hierzu Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2831; Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2005; Schmid, R./Giemulla (ed.), Montreal Convention, 2006; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 478. 1609 Schack, IZVR6, Rz. 264; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 123 ff. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 181. In den Anwendungsbereich des Art. 33 MÜ fallen nicht Ansprüche auf Ausgleich und Betreuungsleistungen wegen ausgefallener Flüge nach Art. 7 I (a) Der VO (EG) Nr. 261/2004, OLG München v. 16.5.2007 – 20 U 1641/07, NJWRR 2007, 1428 = OLGR 2008, 63. Siehe auch § 56 III Luftverkehrsgesetz: „Ist auf die Luftbeförderung eine der in § 44 Nr. 1 bis 4 genannten Übereinkünfte anzuwenden, bestimmt sich der Gerichtsstand nach dieser Übereinkunft. Sind deutsche Gerichte nach Artikel 33 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens zuständig, ist für Klagen auf Ersatz des Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung eines Reisenden entstanden ist, das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Reisende zum Zeitpunkt des Unfalls seinen Wohnsitz hatte.“
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
3. For the purposes of paragraph 2, (a) „commercial agreement“ means an agreement, other than an agency agreement, Made between carriers and relating to the provision of their joint services for carriage of passengers by air; (b) „principal and permanent residence“ means the one fixed and permanent abode of the passenger at the time of the accident. The nationality of the passenger shall not be the determining factor in this regard. 4. Questions of procedure shall be governed by the law of the court seised of the case. Art. 33 – Gerichtsstand (1) Die Klage auf Schadensersatz muss im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsorts. (2) Die Klage auf Ersatz des Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung eines Reisenden entstanden ist, kann bei einem der in Absatz 1 genannten Gerichte oder im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats erhoben werden, in dem der Reisende im Zeitpunkt des Unfalls seinen ständigen Wohnsitz hatte und in das oder aus dem der Luftfrachtführer Reisende im Luftverkehr gewerbsmäßig befördert, und zwar entweder mit seinen eigenen Luftfahrzeugen oder aufgrund einer geschäftlichen Vereinbarung mit Luftfahrzeugen eines anderen Luftfrachtführers, und in dem der Luftfrachtführer sein Gewerbe von Geschäftsräumen aus betreibt, deren Mieter oder Eigentümer er selbst oder ein anderer Luftfrachtführer ist, mit dem er eine geschäftliche Vereinbarung geschlossen hat. (3) Im Sinne des Absatzes 2 bedeutet a) „geschäftliche Vereinbarung“ einen Vertrag zwischen Luftfrachtführern über die Erbringung gemeinsamer Beförderungsdienstleistungen für Reisende im Luftverkehr mit Ausnahme eines Handelsvertretervertrags, b) „ständiger Wohnsitz“ den Hauptwohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des Reisenden im Zeitpunkt des Unfalls. Die Staatsangehörigkeit des Reisenden ist in dieser Hinsicht nicht entscheidend. (4) Das Verfahren richtet sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts.
1894 5. Art. 34 II der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.19681610 1895 6. Art. 25 II des Moselschifffahrtsübereinkommens vom 27.10.19561611 1896 7. Art. 1 und Art. 2 des Übereinkommens vom 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen1612 1897 8. Art. 7 des Übereinkommens vom 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die vorsorgliche Beschlagnahme (Arrest) von Seeschiffen.1613 Das Übereinkommen regelt nur die internationale Arrestzuständigkeit. Ansonsten enthält es
1610 BGBl. II 1969, 597. Hierzu Basedow, TranspR 1986, 94. 1611 BGBl. II 1956, 1837. 1612 BGBl. II 1972, 653, 663. Hierzu Basedow, VersR 1978, 495; Schlosser-Bericht Nr. 121; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 125. 1613 BGBl. II 1972, 653. Hierzu Kreuzer/Wagner, a.a.O., Rz. 124.
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Entscheidungszuständigkeit in völkerrechtlichen Vereinbarungen
Vierter Teil
keine abschließende Regelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit, Art. 2 HS 2. So ist z.B. § 32 ZPO anwendbar.1614 9. Art. 20 des Römischen Abkommens vom 7.10.1952 über die Regelung der 1898 von ausländischen Flugzeugen verursachten Flur- und Gebäudeschäden1615 begründet die ausschließliche internationale Zuständigkeit desjenigen Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet der Schaden entstanden ist. 10. Art. 13 des Pariser Übereinkommens vom 29.7.1960 über die Haftung gegen- 1899 über Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie nebst Zusatzprotokoll vom 12.2.20041616 stipuliert die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Genehmigungsstaates. 11. Brüsseler Zusatzübereinkommen vom 3.1.19631617
1900
12. Art. X Abs. 4 des Brüsseler Übereinkommens vom 25.5.1962 über die Haf- 1901 tung der Inhaber von Reaktorschiffen nebst Zusatzprotokoll1618 sieht die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Genehmigungsstaates und des Staates, in welchem der Schaden eingetreten ist, vor. 13. Art. IX Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens vom 29.11.1969 über 1902 die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden1619 schreibt die ausschließliche internationale Zuständigkeit desjenigen Vertragsstaates fest, in welchem der Schaden verursacht wurde bzw. eingetreten ist.1620 Dieses Übereinkommen wurde von Deutschland mit Wirkung vom 15.5.1998 gekündigt. Nunmehr gilt das 14. Art. IX des Internationale Übereinkommens vom 27.11.1992 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden (Haftungsübereinkommen)1621 sowie 15. Art. 9 und Art. 10 des Internationalen Übereinkommens vom 23.3.2001 über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung1622 (noch nicht in Kraft).1623
1614 BGH v. 8.1.1985 – VI ZR 145/83, VersR 1985, 335 = IPRspr. 1985 Nr. 129. Vgl. Schlosser-Bericht Nr. 121. Zu den immunitätsrechtlichen Aspekten Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 228. 1615 Nicht in Kraft für Deutschland. 1616 BGBl. II 1975, 959. Das Protokoll v. 12.2.2004 ist noch nicht in Kraft. Hierzu Kreuzer/ Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 134. 1617 BGBl. II 1975, 992, 1021; Neubekanntmachung BGBl. II 1976, 310. 1618 BGBl. II 1975, 957, 997. 1619 BGBl. II 1975, 305. 1620 Näher Ramming, Zur Zuständigkeit deutscher Gerichte für Ansprüche wegen Ölverschmutzungsschäden, TranspR 2007, 13. 1621 BGBl. II 1996, 670. Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 128. 1622 BGBl. II 2006, 578; BT-Drucks. 16/736. 1623 Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 130.
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Vierter Teil
Internationale Zuständigkeit
1903 16. Art. 1 Haager MinderjährigenÜbereinkommen vom 5.10.1961 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen1624 eröffnet internationale Zuständigkeit im Aufenthaltsstaat der Minderjährigen für Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen. Daneben besteht die internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit des Heimatstaates des Minderjährigen, Art. 4 MSA. Es wurde mit Wirkung ab 1.1.2011 ersetzt durch das nachfolgend aufgeführte Haager übereinkommen vom 19.10.1996. Es gilt nur noch im Verhältnis zur Türkei und zu Macao (VR China). 1903a 17. Art. 5 ff. des Haager Übereinkommens vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern.1625 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben Art. 8 ff. EuEheVO Vorrang, Art. 61 EuEheVO. 1904 18. Art. 19 III des UNIDROIT-Entwurfs 1986 einer Gefahrgutkonvention.1626
VI. Örtliche Zuständigkeit 1905 Regelt der Staatsvertrag nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit, dann ergeben sich keine Probleme. Andernfalls (keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit) ist wie folgt zu differenzieren: Sieht der Vertrag nur eine Zuständigkeitsbegrenzung (limitation of jurisdiction) vor, so steht es Deutschland völkerrechtlich frei, ob es eine internationale Zuständigkeit eröffnet. Solche Vertragstypen sind selten. Meist verpflichten die Verträge auch zur Justizgewährung. Dann muss Deutschland auch ein örtliches Gericht zur Verfügung stellen (Rz. 968).1627
1624 BGBl. II 1971, 217. Dieses Übereinkommen soll ersetzt werden durch das KSÜ (Rz. 1903a), Rz. 244a. 1625 BGBl. II 2009, 602. 1626 Text in RabelsZ 51 (1987), 478. 1627 Kohler in FS Matscher, 1993, 251. Vgl. auch Art. 19 III des UNIDROIT-Entwurfs 1986 einer Gefahrgutkonvention, RabelsZ 51 (1987), 478: „Each contracting State shall ensure that its courts possess the necessary jurisdiction to entertain such actions for compensation.“
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Fünfter Teil: Justizgewährungsanspruch I. Überblick 1. Liberalismus der deutschen Zivilprozessordnung Dass auch einem ausländischen Kläger in Deutschland Justiz gewährt wird, ist – 1906 in Zivilsachen (Rz. 250)1 – so selbstverständlich, dass die deutsche ZPO darüber kein Wort verliert.2 Die grundsätzliche Gleichstellung von In- und Ausländern (Ausnahmen: Staatsangehörigkeitszuständigkeiten, Rz. 1323, 1947) war ein erklärtes Ziel der Verfasser der ZPO, die sich ganz bewusst distanzierten von dem Konzept der Art. 14, 15 Code civil.3 2. Ehedem: Das Gegenkonzept der Art. 14 und 15 Code civil In Frankreich und in den vom Code civil beeinflussten Rechtsordnungen wurde 1907 der Anspruch auf Justizgewährung als Bürgerrecht aufgefasst. Nur solche Rechtsstreitigkeiten wurden von französischen Gerichten zur Entscheidung angenommen, an denen ein Franzose beteiligt war (Rz. 1138).4 Für Prozesse unter Ausländern erklärte sich Frankreich für international unzuständig.5 Dieser Ansatz wurde erst durch die Patino-Entscheidung der Cour de Cassation6 überwunden. Ebenso wie im deutschen Recht (Rz. 943) tragen nun in Frankreich die Gerichtsstandsvorschriften auch internationale Zuständigkeit.7 3. Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht erforderlich Rechtsschutzgewährung im Inland hängt nicht davon ab, dass der Heimat- bzw. 1908 Aufenthaltsstaat des Klägers „Gegenrecht hält“, d.h. ceteris paribus auch seiner-
1 Zum öffentlich-rechtlichen Rechtsschutz s. Art. 19 IV GG, Nachw. bei Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 25 Fn. 25. 2 So aber der am 31.12.1998 außer Kraft getretene § 5 KO, für den es aber in der InsO keine Parallelvorschrift gibt. Die Gleichstellung der Ausländer sei außer Frage, BR-Drucks. 1/92, 236; Trunk in Gilles, Transnationales Prozessrecht, 1995, 169. 3 R. Geimer in FS Nagel, 1987, 36; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 435. Deutlich auch LG München I v. 29.2.2000 – 7 O 3106/00, SpuRt 2000, 155 = IPRspr. 2000 Nr. 182a sowie OLG München v. 26.10.2000 – U (K) 3208/00, SpuRt 2001, 64 = IPRspr. 2000 Nr. 182b. 4 Nachw. z.B. bei Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 288 ff. 5 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 1975, 35. 6 Civ. Rev. crit. 38 (1949), 483 ff.; sehr klar auch arrêt Scheffel, Civ. 20.10.1962, Rev. crit. 1963, 387 (Francescakis) = Dalloz 1963, 109 (Holleaux): „L’extranéité des parties n’est pas une cause d’incompétence des juridictions françaises“. 7 „La nationalité des parties (art. 14 et 15 C. civ.) ne constitue plus aujourd’hui qu’un critère supplémentaire de compétence“, Mayer/Heuzé, Droit international privé10, Nr. 282.
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Fünfter Teil
Justizgewährungsanspruch
seits in einer vergleichbaren Situation seine Gerichte zur Verfügung stellt.8 Die Verbürgung der Gegenseitigkeit ist also nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage eines Ausländers. Dieses Erfordernis könnte bei (völkerrechtswidrigem) déni zwar auf völkerrechtlicher Ebene im Wege der Vergeltung eingeführt werden. Innerstaatlich fehlt aber seit Abschaffung des § 24 EGZPO9 eine Rechtsgrundlage (vgl. Rz. 648).
II. Rechtsgrundlagen 1. Völkerrecht a) Völkergewohnheitsrecht 1909 Das völkerrechtliche Fremdenrecht garantiert im Rahmen des internationalen Mindeststandards Ausländern den Zugang zu den Gerichten (Rz. 129, 384).10 Es verlangt einen angemessenen gerichtlichen Rechtsschutz für Ausländer; die Verweigerung des Gerichtsschutzes ist ein Völkerrechtsdelikt gegenüber dem Heimatstaat des ausländischen Klägers.11 Die Pflicht zur Stellung einer Prozesskostensicherheit (§ 110 ZPO) ist völkerrechtlich zulässig12 (s. aber auch Rz. 246u).13 1910 Das völkerrechtliche Fremdenrecht betrifft nur den Rechtsstatus von Ausländern. Aber auch Inländer haben im Rahmen der durch das Völkerrecht geschützten Menschenrechte Anspruch auf Gerichtsschutz, vgl. Art. 10 der (allerdings völkerrechtlich unverbindlichen) Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948: Danach hat „jeder Mensch in voller Gleichberechtigung Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über seine Rechte und Verpflichtungen … zu entscheiden hat“. Ebenso Art. 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.196614 und Art. 6 EMRK, (Rz. 147, 1035) sowie Art. 47 II EuGrundrechtecharta. 1911 Es wird behauptet, dass der nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht geschuldete Mindeststandard der Ausländerbehandlung im Grunde nichts anderes sei 8 Hiervon zu unterscheiden ist die in § 917 II ZPO n.F. vorausgesetzte Situation: Einstweiliger Rechtsschutz in Deutschland wird nicht gewährt, wenn das (deutsche) Hauptsache-Urteil im Ausland vollstreckt werden kann. 9 Aufgehoben mit Wirkung zum 1.10.1998 durch Gesetz v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2030, 2033. Hierzu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10871, 16. 10 BVerfGE 60, 303. 11 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1213 Fn. 4, 1272. 12 Gottwald in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1991, 9; Seidl-Hohenveldern/Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer (ed.), Österr. Handbuch des Völkerrechts4, 2004, Bd. I Rz. 1301. 13 Zur begrifflichen Abgrenzung sei noch angemerkt: Die exhaustion of local remedy rule (Rz. 199) bedeutet keine Rechtsweggarantie. Ein Aufenthaltsstaat wird dadurch nicht verpflichtet, dem Ausländer gegen jede Maßnahme seiner Organe einen Rechtsweg zur Verfügung zu stellen; Jaenicke, Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Bd. III: Rechtsvergleichung, Völkerrecht, hrsg. vom MPI für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht, 1971, 294. 14 BGBl. II 1973, 1533.
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als die jedem Menschen zustehenden Menschenrechte, die jeder Staat gegenüber allen seiner territorialen Jurisdiktion unterliegenden Individuen (gegenüber Ausländern ebenso wie gegenüber eigenen Staatsangehörigen) zu respektieren habe.15 Dem hat Jaenicke zu Recht widersprochen und darauf hingewiesen, dass die Forderung nach einer völkerrechtlichen Garantie bestimmter Menschenrechte und Grundfreiheiten viel jüngeren Datums ist als die Forderung nach Respektierung eines Mindeststandards für die Ausländerbehandlung.16 Der fremdenrechtliche Mindeststandard kann daher auf eine Privilegierung 1912 der Ausländer gegenüber Inländern hinauslaufen („Inländerdiskriminierung“). Darauf haben vor allem Vertreter der Staaten der Dritten Welt hingewiesen und deshalb die Forderung nach einer Gleichsetzung des fremdenrechtlichen Mindeststandards mit den völkerrechtlich garantierten Menschenrechten und Grundfreiheiten erhoben.17 Der Mindeststandard für Ausländer könne allenfalls gleichbedeutend sein mit der Gleichbehandlung von In- und Ausländern. Eine Besserbehandlung von Ausländern gegenüber Inländern könne nicht verlangt werden.18 Dabei wird jedoch der Vorrang des völkerrechtlichen Mindeststandards vor dem Gleichheitssatz der innerstaatlichen Verfassung übersehen.19 Dieser Meinungsstreit dürfte in Europa auf dem hier interessierenden Gebiet der 1913 völkerrechtlichen Garantie der Justizgewährung keine praktische Bedeutung haben, sofern der Ausbau der Rechtsschutzgarantien gem. Art. 6 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte20 weiter zügig vorangetrieben wird.21 Global gesehen bleibt es aber wichtig festzuhalten: Der völkerrechtlich garan- 1914 tierte Mindeststandard für die Rechtsstellung der Fremden ist nicht abhängig davon, wie der verpflichtete Staat seinen eigenen Angehörigen behandelt.22 Auch eine vertragliche oder einseitige Unterwerfung des Einzelnen unter die für Inländer geltenden Bedingungen (Calvo-Klausel)23 ist unwirksam. Denn der völkerrechtliche Anspruch auf Gewährung eines bestimmten fremdenrechtlichen Mindeststandards steht dem jeweiligen Heimatstaat zu (Mediatisierung des Menschen im Völkerrecht, Rz. 132).24 Soweit das innerstaatliche Recht für Fremde günstiger ist als der völkerrecht- 1915 liche Mindeststandard, kann der solche weitergehenden Rechte gewährende Staat Ausländer verschiedener Staatsangehörigkeit verschieden behandeln. Eine
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Nachw. bei Jaenicke, a.a.O., 286. Jaenicke, a.a.O., 287. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1214. Nachw. bei Jaenicke, a.a.O., 288. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 553, 1597. Hierzu z.B. Karl in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1479 ff. Vgl. OVG Koblenz v. 3.2.1988 – 13 B 308/87, NJW 1988, 1477. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 143 Fn. 64. Nachw. bei Samtleben, RabelsZ 47 (1983), 741 und Oschmann, Calvo-Doktrin und Calvo-Klauseln, 1993, 149 ff., 255 ff. Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1602.
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Gleichbehandlung oberhalb des Mindeststandards schreibt das Völkergewohnheitsrecht nicht vor (Rz. 130).25 1916–1918 Einstweilen frei b) Völkervertragsrecht 1919 In Art. 16 der Genfer Flüchtlingskonvention26 und in Art. 16 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung von Staatenlosen27 wird der „freie und ungehinderte Zugang zu den Gerichten“ (libre accès devant les tribunaux) garantiert.28 Das Gleiche gilt für eine Reihe weiterer völkerrechtlicher Verträge; so z.B. Art. VI des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handelsund Schifffahrtsvertrages29, Art. VIII Abs. 1 des deutsch-französischen Niederlassungsvertrages30, Art. 1 II des deutsch-türkischen Rechtshilfeabkommens31 (Rz. 390). 1920 Nicht mehr anwendbar ist Art. 277 des Versailler Vertrages: „Die Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte sollen auf deutschem Gebiete … freien Zutritt zu den Gerichten haben.“32 1921 Nach Art. 7 Satz 2 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.195533 sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten die gleichen Rechtsschutzgarantien zu gewähren, die den eigenen Staatsangehörigen zustehen. Eine gleichartige Regelung sieht die Europäische Niederlassungskonvention vom 20.1.196634 für Handelsgesellschaften und andere Vereinigungen, die nach dem Recht eines Vertragsstaates mit eigener Rechtspersönlichkeit oder eigenen Rechten ausgestattet sind, vor.35 1922 Der Umfang dieser Rechtsschutzgarantien ist unklar. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass der Ausländer Zugang zu den Gerichten haben muss, dass ihm im Verfahren ausreichendes Gehör gewährt werden muss, dass das Verfahren Min-
25 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht10, Rz. 1594; Seidl-Hohenveldern/Hummer/Kriebaum in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. I, Rz. 1295; von Hoffmann/Thorn, IPR9, § 3 Rz. 101. 26 Hierzu Lass, Der Flüchtling im deutschen Internationalen Privatrecht, 1995, 176 ff. 27 Hierzu Erman/Hohloch, BGB14, Art. 5 EGBGB Rz. 60. S. auch Staudinger/Bausback, 2013, Art. 5 EGBGB Rz. 59 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 115. 28 Vgl. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 30. 29 Vertrag v. 29.10.1954, BGBl. II 1956, 487. 30 Vertrag v. 27.10.1956, BGBl. II 1957, 1661. 31 Abkommen v. 28.5.1929, RGBl. II 1930, 6. 32 Vgl. auch RGZ 104, 189 = IPRspr. 1926–27 Nr. 184 mit ausführlicher Übersicht über die Vertragspraxis des Deutschen Reichs. 33 BGBl. II 1959, 998. Hierzu auch Schack, IZVR6, Rz. 634. 34 Laut Fundstellennachweis B des Bundesgesetzblatts, abgeschlossen am 31.12.2008, von Deutschland nicht ratifiziert. 35 Hierzu Jaenicke, Gerichtsschutz gegen die Exekutive, Bd. III: Rechtsvergleichung, Völkerrecht, hrsg. vom MPI für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht, 1971, 301.
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destgarantien für eine unparteiliche Rechtsfindung enthalten muss und dass das Verfahren nicht ungebührlich verzögert wird36: Das Schwergewicht der Rechtsschutzgarantie wird in der institutionellen und organisatorischen Gewährleistung eines effektiven Verfahrens gesehen: Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, Gewährleistung ausreichenden rechtlichen Gehörs, Gelegenheit zur Beweisführung, Vorkehrungen gegen Verschleppung des Verfahrens etc. Inwieweit neben diesen Verfahrensgarantien auch eine Rechtsweggarantie besteht, ist dagegen nicht eindeutig. Unbestritten ist, dass eine funktionierende zivile Gerichtsbarkeit vorausgesetzt wird, wobei der Zugang zu den Zivilgerichten dem Ausländer zur Verfolgung und Verteidigung seiner Rechte gegenüber anderen Privatpersonen oder juristischen Personen in gleicher Weise offen stehen muss wie den Inländern; die Forderung nach Sicherheitsleistung für die Prozesskosten37 und der (in Deutschland abgeschaffte) Ausschluss von der Gewährung der Prozesskostenhilfe machen den Zugang zu den Gerichten nicht unmöglich und gelten nach der bisherigen völkerrechtlichen Praxis als sachlich gerechtfertigte Differenzierung zwischen In- und Ausländern.38 Diese Rechtsschutzklausel gewähre nur das „ius standi in iudicio“ und gewähre keine besonderen prozessualen Vergünstigungen; diese seien im Haager Zivilprozessübereinkommen abschließend geregelt.39 2. Verfassungsrecht Im Grundgesetz fehlt eine ausdrückliche Norm. Jedoch ist heute unbestritten, 1923 dass der Anspruch auf Justizgewährung verfassungsrechtlich garantiert ist (Rz. 250).40
III. Verflochtenheit eines effektiven Rechtsschutzes mit nahezu allen Bereichen des internationalen Verfahrensrechts 1. Regeln für die internationale Entscheidungszuständigkeit Auf der Hand liegt der Zusammenhang zwischen Justizgewährungsanspruch 1924 und den Normen über die internationale Zuständigkeit. Ist z.B. Deutschland international unzuständig, so bedeutet dies, dass seine Gerichte die Klage als unzulässig abweisen (Rz. 1010, 1843) und sich nicht mit der Sache beschäftigen, auch wenn außer Zweifel ist, dass die Klage begründet ist. Die Normen für die
36 Jaenicke, a.a.O., 304, 307. 37 RG v. 16.10.1934, RGZ 146, 8 = JW 1935, 346 (Jonas) = Giur. comp. d.i.p. 6 (1940) 239 Nr. 204 (Eckstein) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 504. 38 Jaenicke, a.a.O., 294. 39 KG v. 5.11.1929, JW 1930, 1877 = IPRspr. 1930 Nr. 120. 40 S. auch R. Geimer, ZfRV 1992, 323; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 108; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 337 ff., 659; Wenckstern in Handbuch IZVR, Bd. II/1, 1994, Kap. I Rz. 165, S. 52; Sawang, Geheimhaltung und rechtliches Gehör im Schiedsverfahren nach deutschem Recht, 2010, 68 ff.
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internationale Zuständigkeit beeinflussen ganz maßgeblich den Ausgang des Prozesses41: Sie bestimmen das Kollisionsrecht und damit mittelbar das Recht, das in der Sache zum Zuge kommt (Rz. 94). Der Richter des Forumstaates wendet jeweils sein eigenes Kollisionsrecht an. Die kollisionsrechtlichen Systeme weichen stark voneinander ab. Aber selbst wenn sie in concreto übereinstimmen, können sich Divergenzen ergeben durch Beachtung/Nichtbeachtung der Rück- und/oder Weiterverweisung oder weil die Auslegung von Land zu Land verschieden ist. 1925 Das Forum bestimmt – nach dem weltweit praktizierten lex fori-Prinzip (Rz. 319) – das anwendbare Verfahrensrecht. Dies kann für den Ausgang des Rechtsstreits von ganz entscheidender Bedeutung sein. Dies gilt insbes. für das Beweisrecht. 1926 Im Übrigen spielt – ganz allgemein – das „Rechtsklima“ am Forum eine große Rolle (Rz. 96, 1102).42 Dieses divergiert von Land zu Land, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Juristenausbildung und der unterschiedlichen Rechtstraditionen. So wird z.B. der Grundsatz pacta sunt servanda von englischen Richtern viel strikter und härter gehandhabt als von deutschen, die unter Hinweis auf Treu und Glauben (Wegfall der Geschäftsgrundlage) eher geneigt sind, Einwendungen des Schuldners zu hören und Billigkeitsentscheidungen zu fällen. Auch die Generalklauseln des Familienrechts werden – um ein weiteres Beispiel zu nennen – unterschiedlich gehandhabt.43 1927 Schließlich kann die Verfahrensdauer eine Rolle spielen und der Umstand wie weltoffen bzw. provinziell die Richter im Forumstaat eingestellt sind. 2. Zustellungsrecht 1928 Das Zustellungsrecht ist prima vista „rein technisches Recht“. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es ganz substantielle Bedeutung hat für die Justizgewährung.44 Deutschland vertritt einen vom internationalen Standard abweichenden rigorosen Standpunkt. § 183 I 2 und IV 2 ZPO verlangt auch dann die beurkundete Übergabe der Klageschrift, wenn sich der Beklagte im Ausland aufhält. Damit wird – worauf die Vertreter der remise au parquet-Länder, die auf der 10. Haager Konferenz den Vorbehalt des Art. 15 II HZÜ (Rz. 229) durchgesetzt haben, immer wieder hinweisen – der Beklagtenschutz zu Lasten des Justizgewährungsanspruchs des Klägers übertrieben.
41 R. Geimer in FS Nagel, 1987, 36. 42 Zustimmend z.B. Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010) II 1 A Rz. 21. S. auch Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 111. 43 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit, 1998, 77; Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, 2003, 343. 44 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 305: Das Zustellungsrecht „dient … der Verwirklichung elementarer Postulate prozessualer Gerechtigkeit …“. Vgl. auch Schack, FamRZ 2004, 1595.
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Weil die Zustellung ein Hoheitsakt ist, dürfen deutsche Justizorgane im Ausland 1929 nicht tätig werden (Rz. 414, 2075). Es muss daher – vorbehaltlich § 183 I Satz 2 Alt. 1 und V ZPO – ausländische Rechtshilfe in Anspruch genommen werden, was oft zu langen Wartezeiten und Verzögerungen führt. Die Möglichkeit der Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO), die unbestritten kein Hoheitsakt ist45, wird nicht erwogen. Die Rechtsverfolgung vor deutschen Gerichten wird dadurch (de facto) ganz erheblich erschwert:46 Erst wenn die Klage dem Beklagten durch Gewährung ausländischer Rechtshilfe zugestellt worden ist, kann das weitere Verfahren durch Aufgabe zur (inländischen) Post (§ 184 ZPO vereinfacht werden.47 Dies bedeutet, dass der vor deutschen Gerichten Klagende ein Handicap hat im Vergleich zu ausländischen Rechtsordnungen, bei denen die Auslandszustellung im Inland erfolgt durch Niederlegung bei der Staatsanwaltschaft (remise au parquet) (s. auch Rz. 1933, 2082, 2087). Es stellt sich daher sowohl aus völkerrechtlicher (Rz. 1910) als auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Frage nach der Toleranzgrenze (Rz. 2090). Wann werden überlange (durch Einschaltung ausländischer Rechtshilfe bedingte) Wartefristen für den Kläger/ Antragsteller unzumutbar? Dieses Problem taucht grundsätzlich in jedem Zivilprozess mit einem im Ausland sich aufhaltenden Beklagten auf, vor allem aber, wenn das Verfahren besonders eilbedürftig ist, wie z.B. im Wechsel- und Scheckprozess.48 Nach sechs Monaten sollte öffentlich zugestellt werden (Rz. 2090).49 (S. auch Rz. 252). Eine Sechsmonatsfrist sieht auch Art. 9 III des deutsch-marokkanischen Vertra- 1929a ges vom 29.10.198550 vor, dagegen eine Achtmonatsfrist Art. 17 II des deutschtunesischen Rechtshilfevertrages vom 19.7.1966.51 Dadurch wird nicht nur ein Mindeststandard vorgeschrieben, welcher die für den Beklagten misslichen Auswirkungen der remise au parquet, der öffentlichen Zustellung und der Ersatzzustellung, die das rechtliche Gehör des Zustellungsadressaten auch nicht sicher wahrt, abmildern soll, sondern dem Kläger ein Anspruch auf Erlass einer Versäumnisentscheidung bzw. einer Entscheidung nach Lage der Akten gegeben. § 335 I Nr. 2 ZPO wird – möglicherweise (vgl. Rz. 2098) – auch modifiziert hin-
45 Hierzu G. Geimer, a.a.O., 135. 46 Gottwald in FS Schütze, 1999, 225. 47 BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = MDR 1987, 228 = LM Nr. 9 zu § 175 ZPO = EWiR 1987, 93 (R. Geimer). 48 Offen gelassen von LG Kiel v. 20.5.1983 – 13 T 113/83, SchlHA 1983, 165 = IPRspr. 1983 Nr. 162. Dezidierter OLG Düsseldorf v. 14.10.2003, OLG-Report 2004, 456 (457). 49 A.A. BGH v. 20.1.2009 – VIII ZB 47/08, MDR 2009, 462 = RIW 2009, 489 = IPRax 2010, 247 (Geimer 224) = LMK 2009, 280234 (Geimer) = IPRspr. 2009 Nr. 211; OLG Köln v. 26.5.2008 – 16 Wx 305/07, MDR 2008, 1061: Die Voraussetzungen des § 185 I Nr. 3 ZPO liegen in einer gewöhnlichen vermögensrechtlichen Streitigkeit – kein Eilverfahren – (noch) nicht vor, wenn eine Auslandszustellung innerhalb eines Jahres (voraussichtlich) erfolgreich durchgeführt werden kann. 50 BGBl. II 1988, 1054. 51 BGBl. II 1969, 889.
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sichtlich Beklagter, denen in Tunesien zuzustellen ist.52 Die Sechsmonatsfrist greift auch im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15.11.1965,53 da Deutschland eine Erklärung gem. Art. 15 II HZÜ54 abgegeben hat (Rz. 2090). Wie nach Ablauf der Sechsmonatsfrist zu verfahren ist, ist umstritten. Besteht nun trotz § 335 I Nr. 2 ZPO Anspruch auf Erlass eines Versäumnisurteils oder einer Entscheidung nach Lage der Akten oder sind nach Verstreichen der Sechsmonatsfrist lediglich die in Art. 15 I HZÜ (Rz. 231) errichteten Hürden beseitigt, so dass dann nach § 185 Nr. 3 ZPO öffentliche Zustellung erfolgen muss? Letzteres dürfte zutreffen.55 1929b Gem. § 21 I ZPO kann gegen einen im Ausland Domizilierten im Inland Klage an dem Ort erhoben werden, an dem dieser zum Betrieb eines Gewerbes eine Niederlassung unterhält, von der aus unmittelbar Geschäfte abgeschlossen werden (Rz. 2108). Betrifft die Klage ein solches Geschäft, dann ist die Zustellung an den Beklagten im Ausland (§ 183 ZPO) nicht erforderlich. Es genügt – anders als in den Fällen der §§ 20, 22 ff. ZPO – eine Inlandszustellung (§ 178 I Nr. 2 ZPO) in der inländischen Niederlassung (Rz. 2110).56 3. Beachtlichkeit ausländischer Rechtshängigkeit auf der Grundlage des Prioritätsprinzips 1930 Anders als früher manche romanischen Rechtsordnungen, aber in Übereinstimmung mit dem Standard der internationalen Vertragspraxis beachtet das deutsche internationale Zivilprozessrecht die Rechtshängigkeit der Streitsache im Ausland, wenn mit der Anerkennung der von dem ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (Rz. 2688). Die Rechtshängigkeit der Streitsache im Ausland steht dann der Sachentscheidung durch ein deutsches Gericht entgegen. Es wird also die Justizgewährung im Inland blockiert. Dies gilt zunächst während der Dauer des zuerst anhängigen Verfahrens. Endet dieses mit einer Entscheidung in der Sache, so kommt es darauf an, ob die ausländische Entscheidung im Inland anerkennungsfähig ist. Ist dies der Fall, erübrigt sich ein zweites Verfahren bzw. ein solches wäre unzulässig. Ein Anspruch auf eine gleich-
52 Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 515.36 Art. 17 Fn. 76. 53 BGBl. II 1977, 1452. 54 BGBl. II 1993, 704. 55 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 36. Bei öffentlicher Zustellung sollte man im Anwendungsbereich der EuVTVO Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 das zuzustellende Schriftstück parallel per E-Mail versenden, wenn zwar eine „normale“ Zustellung nicht möglich ist, aber eine E-Mail-Adresse des Beklagten existiert. Sendet der Beklagte eine Empfangsbestätigung i.S. von Art. 13 I (d) der genannten VO, so kann auch in den Fällen des § 185 ZPO eine Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel erfolgen, Rauscher/Pabst in Rauscher, EuZPR2, Art. 13 Rz. 17. Allerdings ist nach Rauscher/Pabst, a.a.O., Rz. 16 für die Empfangsbescheinigung per E-Mail eine digitale Signatur erforderlich. 56 LG Frankfurt/M. v. 9.12.1985, RIW 1987, 221 = IPRspr. 1985 Nr. 33.
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lautende Sachentscheidung besteht nicht.57 Insoweit ist der Anspruch auf Justizgewährung im Inland erloschen. Wird die ausländische Entscheidung im Inland nicht anerkannt, so muss zur Wiederholung des Rechtsstreits ein kompetentes Gericht im Inland bereitgestellt werden, wenn Justizverweigerung zu befürchten ist (Rz. 1030). Der Anspruch auf Justizgewährung lebt wieder auf.58 Endet das ausländische Verfahren ohne Entscheidung in der Sache, z.B. durch 1931 Klage-/Antragsrücknahme, so kann der Kläger/Antragsteller wieder von seinem Wahlrecht Gebrauch machen. Er hat Anspruch auf Justizgewährung im Inland, sofern dann noch ein Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist und die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen. Dies gilt auch dann, wenn das ausländische Gericht die Klage bzw. den Antrag als unzulässig zurückgewiesen hat, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Prozessurteil nach dem Recht des Urteilsstaates Rechtskraftwirkungen entfaltet oder nicht. Denn im Inland anerkennungsfähig sind nur Entscheidungen in der Sache, nicht solche über prozessuale Vorfragen und Zwischenpunkte (Rz. 2788). Die durch die ausländische Rechtshängigkeit nach Maßgabe des Prioritätsprin- 1932 zips bewirkte Blockade einer Sachentscheidung durch die deutschen Gerichte ist nur dann vertretbar, wenn das ausländische Gericht das Verfahren zügig vorantreibt. Wird der Rechtsstreit ohne triftigen Grund verschleppt, so ist irgendwann der Punkt erreicht, wo der Justizgewährungsanspruch der Parteien tangiert wird und deshalb die ausländische Rechtshängigkeit nicht mehr beachtet werden darf. Sind die Parteirollen im inländischen und ausländischen Verfahren gleich, so entfällt aber die Sperrwirkung der ausländischen Rechtshängigkeit nur unter ganz besonderen Umständen.59 Denn der Kläger hat die Prozesstaktik selbst bestimmt. Zu Recht stellt der Bundesgerichtshof strengere Anforderungen als an den Fall, in welchem der inländische Kläger im Ausland verklagt wird.60 Allgemein gilt aber für beide Fälle: Eine lange Verfahrensdauer allein reicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, welche die Sperrwirkung des ausländischen Verfahrens als eine für den inländischen Kläger unzumutbare Beeinträchtigung des Rechtsschutzes erscheinen lassen.61
57 A.A. ist der Bundesgerichtshof, der eine gleich lautende Sachentscheidung erlassen will, Rz. 2801. 58 Zustimmend McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 59. 59 BGH v. 10.10.1985 – I ZR 1/83, NJW 1986, 2195 = RIW 1986, 218 = EWiR 1985, 1015 (R. Geimer) = WM 1986, 115 = IPRspr. 1985 Nr. 167; R. Geimer, NJW 1984, 529; a.A. EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02 – Gasser/MISAT Srl, RIW 2004, 289 (Thiele) = IPRax 2004, 243 (Grothe 205; Schilling 294). Hierzu zu Recht kritisch Heß in FS Jayme, 2004, 339, 356. 60 BGH v. 28.11.1985 – III ZR 3/85, IPRax 1986, 293 (Rauscher 274) = RIW 1986, 217 = IPRspr. 1985 Nr. 169; OLG München v. 31.10.1984 – 7 U 1937/83, IPRax 1985, 338 (Rauscher 317) = RIW 1986, 815 = IPRspr. 1984 Nr. 169. 61 OLG Frankfurt v. 8.12.1986 – 5 W 42/86, MDR 1987, 412 = RIW 1987, 151 (153) = NJWRR 1988, 572 = IPRax 1988, 24 (Schumann 13) = IPRspr. 1986 Nr. 168; zu streng OLG München v. 2.6.1998 – 7 W 1461/98, RIW 1998, 631 = Forum Int. R. 1998, 11 (R. Geimer) = EWiR 1998, 977 (Mankowski) = IPRspr. 1998 Nr. 177.
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1933 Am Rande sei hier auch darauf aufmerksam gemacht, wie ungünstig sich das den Kläger benachteiligende strenge Zustellungsrecht des § 183 I Satz 2 Alt. 2 ZPO im Zusammenspiel mit den Regeln über die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit auswirken kann, wenn der vor dem deutschen Gericht Verklagte von der gegen ihn eingereichten Klage erfährt. Er kann in seinem Wohnsitzstaat oder in einem Drittstaat, in dem mittels remise au parquet (Rz. 124a, 246w, 2087) oder Postbrief die Klage zugestellt wird, eine negative Feststellungsklage (zeitlich früher) erheben: Da die Rechtshängigkeit in Deutschland erst mit Zustellung der Klage eintritt (§§ 253 I, 261 I ZPO), kann die inländische Klage durch einen Parallelprozess im Ausland „überrundet“ werden mit der Folge, dass nach dem Prinzip der Priorität (§ 261 III Nr. 1 ZPO) im Inland eine Klagesperre eintritt, weil die zeitlich frühere Rechtshängigkeit im Ausland zu beachten ist. Ein auch für einen ganz idealistisch und universalistisch denkenden und über jeden Chauvinismus erhabenen Internationalisten wenig erfreuliches Ergebnis! (S. aber auch Rz. 1115, 2699). Nach englischem Recht kann eine an sich nach RSC Order 11 erforderliche Auslandszustellung durch Order for Service by Alternative Method ersetzt werden, „if practical for any reason.“ Auch dadurch kann die Klageerhebung in Deutschland überrundet werden.62 4. Immunitätsrecht 1934 Die Vorschriften über Immunitäten führen zu einer Rechtlosstellung des Klägers (Rz. 641) und damit zu einer ganz entscheidenden Beeinträchtigung seines Justizgewährungsanspruchs. Déni de justice (Rz. 1909) liegt jedoch nicht vor, bloß weil der Aufenthaltsstaat dem Fremden die Durchsetzung seiner Ansprüche gegen einen dritten Staat verweigert.63 Jedoch muss in dem Staat, der im Ausland Immunität in Anspruch nimmt, ein Forum eröffnet werden64 (Rz. 783, 1273). 1935 Bei der Überwindung der Doktrin von der absoluten Immunität der Staaten spielte das Rechtsschutzpostulat eine bedeutende Rolle (Rz. 559).65 5. Parteifähigkeit 1936 Im Lichte des Justizgewährungsanspruchs gewinnt die Streitfrage, wie die Parteifähigkeit im internationalen Verfahrensrecht anzuknüpfen ist, eine neue Dimension: Ob nämlich das deutsche internationale Verfahrensrecht auf die Vorschriften über die Rechtsfähigkeit verweist oder ob es direkt auf das prozessuale Heimatrecht zusteuert. Aus der Sicht des Justizgewährungsanspruchs ist nicht ein Entweder-Oder sinnvoll, sondern ein Sowohl-als-Auch (Kumulationstheorie, Rz. 2203).
62 Hierzu R. Geimer in FS Schütze, 1999, 205 sowie OLG Frankfurt v. 31.1.2002 – 12 W 229/01, IPRax 2002, 523 (Homann 502) = IPRspr. 2002 Nr. 187. 63 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 16. 64 R. Geimer, ZfRV 1992, 404. 65 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 16; v. Schönfeld, NJW 1986, 2981.
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6. Verfahrensbeschleunigung Der Justizgewährungsanspruch kann erheblich tangiert werden bei Einschaltung 1937 ausländischer Rechtshilfeorgane (Ersuchen um Zustellung bzw. Beweisaufnahme). Das Gericht ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Verzögerungen zu vermeiden. Es ist verpflichtet, wenn die Zustellung durch Rechtshilfe lange Zeit in Anspruch nehmen würde, von den Möglichkeiten des § 184 ZPO Gebrauch zu machen (Rz. 2122) oder sich mit einer schriftlichen Stellungnahme des Zeugen zu begnügen.66 7. Anerkennungsrecht Ein effektiver Rechtsschutz hängt – aus internationaler Sicht – auch in weitem 1938 Umfang von der internationalen Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen und sonstiger Titel ab. Ein großzügiges Anerkennungsrecht ist deshalb erforderlich. Wir sind aber de lege lata von diesem Postulat noch weit entfernt, vor allem wegen des atavistischen Erfordernisses der Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG).67 Dabei geht es nicht nur um einen ausgewogenen Schutz des Klägers/Antragstel- 1939 lers. Auch der Beklagte muss durch eine sinnvolle Auslegung der Anerkennungsvorschriften geschützt werden: Anerkennungshindernisse, die ausschließlich dem Schutz des Beklagten dienen, führen nur dann zur Verweigerung der Anerkennung, wenn sich der Beklagte darauf beruft (Rz. 1873). Wollte man z.B. die res iudicata-Wirkung eines die Klage als unbegründet abweisenden Urteils deshalb nicht anerkennen, weil der Urteilsstaat aus deutscher Sicht international unzuständig war (§ 328 I Nr. 1 ZPO) oder weil dem Beklagten das rechtliche Gehör verweigert worden war, so würde man den Normzweck in sein Gegenteil verkehren: Der Beklagte würde benachteiligt und dem Kläger ein ungerechtfertigter Vorteil gewährt. Dessen Justizgewährungsanspruch ist nämlich bereits mit Klageerhebung im Ausland verbraucht, Rz. 1930. Bei Nichtanerkennung könnte der Kläger seine Klage wiederholen, und diesmal vielleicht mit mehr Aussicht auf Erfolg (Rz. 1873).
IV. Justizgewährungsanspruch und Kompetenzrecht 1. Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in der Sphäre des Beklagten als Hemmschuh für den Justizgewährungsanspruch Ausgangspunkt des deutschen Kompetenzrechts ist die Regel actor sequitur fo- 1940 rum rei (Rz. 1138, 1265). Damit hat es der Schuldner (Beklagte, Antragsgegner) 66 Die Einholung einer solchen Aussage ist kein Eingriff in die Souveränität des Aufenthaltsstaates und damit nicht völkerrechtswidrig, Rz. 437, 2384. 67 Man denke nur an den armen Unterhaltsgläubiger, der für seine – unbestrittenermaßen bestehende – Forderung nach langem Prozess im Ausland einen Titel erlangt hat, diesen aber in Deutschland nicht vollstrecken kann, weil die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist, oder an den armen Geschiedenen, der bei uns noch als verheiratet bzw. sogar als Bigamist gilt, bloß weil das ausländische Familiengericht bzw. Zustellungsorgan einen Zustellungsfehler gemacht hat (§ 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG).
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in der Hand, durch Wohnsitzverlegung das Forum zu bestimmen und den Justizgewährungsanspruch des Klägers zu beeinflussen.68 Es bedarf daher zum Schutz des Klägers eines Korrektivs (Rz. 1127). Dies ist punktuell geschehen, z.B.: 1941 – für vertragliche Verpflichtungen durch den Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Rz. 1481). Der Schuldner ist dort gerichtspflichtig, wo er nach materiellem Recht leisten muss. Diesen Zusammenhang zwischen Ort der Leistungsverpflichtung und dem Forum sollte man nicht auseinanderreißen durch Stipulierung eines prozessualen Erfüllungsortsbegriffes, wie er von Anhängern der Theorie vom Forum am Ort der vertragscharakteristischen Leistung angestrebt wird. Die Faszination über den einheitlichen Vertragsgerichtsstand übersieht elementare Notwendigkeiten der Justizgewährung;69 1942 – für deliktische Klagen durch den Gerichtsstand sowohl am Ort der Handlung als auch am primären Schadensort (Rz. 1497). 1943 Den ganz großen Pendelschlag weg vom favor defensoris und hin zur Erleichterung der Rechtsverfolgung für den Kläger bringt der Vermögensgerichtsstand (§ 23 ZPO). Um die internationale Zuständigkeit Deutschlands zu eröffnen, genügt es, dass der Beklagte im Inland irgendeinen Vermögensgegenstand besitzt. Ein Zusammenhang zum Streitgegenstand muss nicht bestehen. Die Legitimität dieses Gerichtsstandes ist heftig umstritten (Rz. 1352). 2. Zuständigkeitsanknüpfungen in der Sphäre des Klägers/Antragstellers 1944 Aus der Sicht des Klägers/Antragstellers am „praktischsten“ für die Verwirklichung seines Justizgewährungsanspruchs sind Zuständigkeitsanknüpfungen in seiner Person. Vom Statusverfahren (Rz. 1145, 1533) abgesehen, sind jedoch Klägergerichtsstände im deutschen Recht selten. Sie dienen vorwiegend dem Schutz typischerweise besonders schutzbedürftiger Personen, wie z.B. Unterhaltsgläubigern und Konsumenten (Rz. 1157, 1297). 3. Ausschließliche internationale Zuständigkeit ausländischer Staaten 1945 Auch wenn ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt in concreto gegeben ist, wie z.B. Wohnsitz, Deliktsort, Erfüllungsort etc., entfällt die internationale Zuständigkeit Deutschlands nach h.M., wenn für den Streitgegenstand ein ausländischer Staat ausschließlich international zuständig ist. Dadurch wird der Justizgewährungsanspruch des Klägers ganz erheblich tangiert.70 Die Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat sollte – wie bereits oben Rz. 929 dargelegt – ihre Gerichte auch über ausländischen Grundbesitz (§ 24 ZPO) bzw. Wohnraum (§ 29a ZPO) entscheiden lassen. Der Beklagte hat kein schützenswertes Interesse, den Prozess nicht vor den deutschen Gerichten, sondern am forum rei sitae führen 68 Maßgebend ist der Zeitpunkt der Klageerhebung, Rz. 1828. 69 R. Geimer, IPRax 1986, 87. Zu der Kompromisslösung des Art. 5 Nr. 1b EuGVVO mit seinen vielen Auslegungsproblemen (hierzu Mankowski, IHR 2009, 46: „ein immer größer werdendes Rätsel“) s. Rz. 1482. 70 Z.B. OLG Karlsruhe v. 6.3.1984 – 16 UF 46/84, IPRax 1985, 106 (Henrich 88) = IPRspr. 1984 Nr. 156.
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zu müssen. Sein Recht auf angemessene Verteidigung ist in seinem Wohnsitzstaat am besten gewährleistet.71 Für das forum rei sitae spricht zwar die Beweisund Sachnähe des Belegenheitsstaates. Dieses Verfahrensinteresse ist aber nicht so stark, dass daraus die internationale Ausschließlichkeit folgt.72 4. Intertemporales Recht Intertemporal wendet der Bundesgerichtshof – mangels einer ausdrücklichen 1945a Übergangsbestimmung – die erst während des Prozesses in Kraft getretenen neuen Regeln über die internationale Zuständigkeit an.73 Dies trifft sicher in den Fällen zu, in denen die internationale Zuständigkeit Deutschlands im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand erweitert wurde. Denn weshalb soll man die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit als unzulässig abweisen, wenn der Kläger seine Klage sofort wieder einreichen kann und diesmal die internationale Zuständigkeit zu bejahen ist. Anders ist es jedoch bei Einschränkung der internationalen Zuständigkeit durch das neue Recht; denn das Vertrauen des Klägers auf die bestehende Justizgewährungsmöglichkeit im Inland ist zu schützen. Dabei ist es eine Frage des juristischen Geschmacks, ob man dieses Ergebnis auf § 261 III Nr. 2 ZPO stützen will.74
V. Keine Beachtung von Verboten ausländischer Gerichte, im Inland zu klagen Antisuit-injunctions75 sind keine Sachentscheidungen i.S. von § 328 ZPO/§ 108 1945b FamFG bzw. Art. 2 lit. a EuGVVO/Art. 32 LugÜ. Ihre Anerkennung kommt daher 71 Zustimmend KG v. 14.6.2001 – 2 U 67/01, KGReport Berlin 2001, 401; Wenner in FS Jagenburg, 2002, 1013, 1021. 72 Ähnlich Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 487. Vgl. auch OLG Köln v. 23.10.1985 – 2 U 79/85, OLGZ 1986, 210 = MDR 1986, 239 = IPRspr. 1985 Nr. 145: „Die Auffassung …, wonach zwei deutsche Staatsbürger entgegen ihrer Rechtsverfolgungsabsicht gehalten sein könnten, … Streitigkeiten wegen tatsächlicher Vorgänge, die sich in Deutschland abgespielt haben, vor einem türkischen Gericht auszutragen, … dürfte kaum mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes zu vereinbaren sein“. 73 Es ging um den (am 1.9.2009 durch § 98 Nr. 1 FamFG ersetzten) § 606a I ZPO n.F. 74 R. Geimer, NJW 1987, 3085. 75 Nachw. bei Bermann, The Use of Anti-Suit Injunctions in International Litigation, Col. J. Trans.L. 28 (1990), 589; Berti, Englische anitsuit injunctions im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Siehr, 2000, 33; Hartley, Comity and the Use of Anti-Suit Injunctions in International Litigations, Am J. Comp. L. 35 (1987), 487; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 191; Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 91 ff.; Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, 2005; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999; Mansel, EuZW 1996, 335; Graf von Praschma, Die Einwirkung auf ausländische Prozesse in Unterlassungs- und Schadensersatzklagen, 1971; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (802); Stürner, ZZP 109 (1996), 224; Thiele, RIW 2002, 383. Instruktiv der „Laker-Fall“. Hierzu
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nicht in Betracht (Rz. 2792). Wir lassen uns nicht von ausländischen Gerichten vorschreiben, wann wir Rechtsschutz im Inland zu gewähren haben und wann nicht; wie auch umgekehrt nach der hier vertretenen Auffassung (Rz. 1119) die deutschen Gerichte nicht befugt sind, die Klageerhebung bzw. Antragstellung vor ausländischen Gerichten zu verbieten oder den Kläger zum Abbruch des ausländischen Verfahrens durch Klagerücknahme etc. aufzufordern (Rz. 1118).76
VI. Verbot individuellen Rechtsschutzes durch Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens – vis attractiva concursus 1945c Die Anerkennung der Wirkungen ausländischer Insolvenzverfahren (Rz. 3394, 3500) führt zum Verlust bzw. zur Beeinträchtigung der – an sich nach §§ 12 ff. ZPO bzw. Art. 4 ff. EuGVVO n.F./Art. 2 ff. LugÜ gegebenen – Rechtsschutzmöglichkeiten im Inland, wenn man sich entschließt, das lege concursus bestehende Verbot individueller Rechtsverfolgung77 bzw. die nach manchen ausländischen Rechtsordnungen viel stärker als im deutschen Recht eingreifende vis attractiva concursus78 und damit die ausschließliche internationale Zuständigkeit des ausländischen Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für die Feststellung streitiger Forderungen anzuerkennen.79 Diese soll nach dem Vorschlag der Kommission zur Reform der EuInsVO im Text der Verordnung (Art. 3a I) verankert werden.80
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Lange, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, dargestellt am Beispiel des Falles „Laker“ in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 65. Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse, 2003, 91 ff. S. auch Schlosser, Anti-suit injunctions zur Unterstützung von internationalen Schiedsverfahren, RIW 2006, 486; Schmidt, Anti-suit injunctions im Wettbewerb der Rechtssysteme, RIW 2006, 492; Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 200. S. auch EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – Turner/Grovit, RIW 2004, 541 (Krause 533, Mankowski 497): Im Brüssel I-System sind antisuit injunctions unzulässig, EuGH v. 1.3.2005 – Rs. C-281/02 – Owusu, Slg. 2005 I-1383 = EuZW 2005, 345. Positive Kompetenzkonflikte sind allein nach Art. 27 ff. EuGVVO zu lösen, Rz. 1118. Hierzu Vorlage des House of Lords v. 13.12.2001 (2001) UKHL 65. S. auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803) sowie Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 201. Z.B. den automatic stay nach § 362 US Bankruptcy Code. Hierzu E. Habscheid, Grenzüberschreitendes (int.) Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der BRD, 1998, 136 ff. R. Geimer, LM § 305 BGB Nr. 57. Zum US-Recht E. Habscheid, a.a.O., 74 ff., 368; E. Habscheid, ZIP 1999, 1113; E. Habscheid, NZI 2003, 238 (240). Für Anwendung des Art. 3 I EuInsVo (Rz. 245c) auf insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C-339/07 – RA Seagon als Insolvenzverwalter/Deko Marty Belgium N.V., ZIP 2009, 427 = DB 2009, 613 = NZI 2009, 199 = EWiR 2009, 411 (K. Müller). Dies gilt auch dann, wenn der Anfechtungsgegner außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der EuInsVO seinen Wohnsitz bzw. Sitz hat, EuGH v. 16.1.2014 – Rs. C-328/12 – Ralph Schmid/Lilly Hertel, NJW 2014, 610. Hierzu Thole, ZEuP 2014, 39 (59).
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VII. Blockade individuellen Rechtsschutzes in Deutschland durch deutsches Insolvenzverfahren Ein in Deutschland eröffnetes Insolvenzverfahren blockiert – ohne Rücksicht auf 1945d die lex causae der geltend zu machenden Forderung – individuellen Rechtsschutz in Deutschland, §§ 87, 89 InsO. Davon unberührt bleibt die Verweisung bestimmter Komplexe, z.B. Feststellung bestrittener Forderungen (§§ 179 ff. InsO, vgl. Rz. 3464) in den Zivilprozess durch das deutsche Insolvenzrecht.
VIII. Justizgewährung ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien 1. Überblick Die Staatsangehörigkeit der Parteien ist grundsätzlich ohne Bedeutung für die 1946 Justizgewährung im Inland. Aus dem Umstand, dass er deutscher Staatsangehöriger ist, kann der Kläger keinen Anspruch auf Justizgewährung im Inland81 herleiten82 (Rz. 1020). Das Gleiche gilt für die Staatsangehörigkeit des Beklagten. Nur weil der Beklagte Deutscher ist, eröffnet Deutschland nicht den Zugang zu seinen Gerichten83 (Rz. 1021). Umgekehrt kann in reinen Ausländerprozessen der an sich nach §§ 12 ff. eröffnete Zugang zu den deutschen Gerichten nicht versperrt werden (Rz. 1171). 2. Staatsangehörigkeitszuständigkeit Die Gleichbehandlungsthese (Rz. 253, 1906) bedarf jedoch einer erheblichen 1947 Einschränkung im Kompetenzrecht. Die Gleichbehandlung von In- und Ausländern84 ist so lange einleuchtend, als im Kompetenzrecht nicht nach der Staatsangehörigkeit differenziert wird. Dies ist in §§ 12 ff. ZPO der Fall. Auch § 23 ZPO ist kein Ausländerforum in dem hier diskutierten strikten Sinn, weil er sich auch gegen Deutsche, die nicht im Inland wohnen, richtet und weil auch Ausländer in diesem Gerichtsstand klagen dürfen (Rz. 1172). Anders ist es jedoch in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen: Hier haben wir eine Konstellation, die mit der nach Art. 14, 15 Code civil vergleichbar ist (näher Rz. 1145): Die deutsche Staatsangehörigkeit einer jeden Partei, auch des Klägers/Antragstellers, vermittelt eine ausreichende Anknüpfung, um die internationale Zuständigkeit zu eröffnen. Ein sonstiger Bezug im Inland braucht nicht vorzuliegen (Rz. 1323 ff.).85 81 Anders Art. 14 Code civil sowie früher § 184 II DDR-ZPO. 82 S. auch Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 367. 83 Anders Art. 15 Code civil und ehedem § 184 II DDR-ZPO. 84 Zur Gleichbehandlung im Schiedsverfahrensrecht s. z.B. Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 51. 85 Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 370. S. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 9.
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1948 Beispiel: Ein Deutsch-Mexikaner heiratet in Brasilien eine Peruanerin. Jeder der Ehegatten kann in Deutschland das Scheidungsverfahren anhängig machen, § 98 I Nr. 1 FamFG (Rz. 1332).86
1949 Die internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit in der Ausprägung des deutschen Rechts dient also nicht nur dem Zweck, den eigenen Staatsbürgern eine „Heimatzuflucht“ zu gewährleisten, d.h. deutschen Rechtsschutz durch deutsche Gerichte zu geben87, sondern verwirklicht insoweit „Zuständigkeitsgleichheit“, als sie dem ausländischen Ehegatten des Deutschen auch den Zugang zu deutschen Gerichten ermöglicht (Rz. 1333). 1950 Diese internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit wurde durch die IPR-Reform noch erweitert (Rz. 1337). Es reicht nun aus, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung deutscher Staatsangehöriger war. Welchem Staat nun die Ehegatten bei Scheidung angehören und wo sie sich aufhalten, spielt keine Rolle. 1951 Das Schlagwort „Heimatzuflucht“ hat den Blick dafür getrübt, dass die Gerichtspflichtigkeit des (nicht deutschen) Ehegatten des Deutschen (wenn dieser klagt) bzw. des Deutschen (wenn sein [nicht deutscher] Ehegatte klagt) außerhalb seines Wohnsitzes/Aufenthaltsstaates bzw. des Staates, in dem die Ehe (zuletzt) „gelebt“ wurde, erheblich erweitert wird. Dies gilt aber nicht nur für gemischtnationale Ehen, sondern auch für Ehen, in denen beide Ehegatten (nicht) effektiv Deutsche sind.88 1952 Im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c) wird auf die Staatsangehörigkeit nur dann eine internationale Zuständigkeit gegründet, wenn beide Ehegatten die Staatsangehörigkeit des Gerichtsstaats besitzen, Art. 3 I (b). Ob dies AEUV-konform ist, erscheint fraglich (Rz. 246v). 3. Justizgewährung für Ausländer in Statussachen 1953 Die alleinige Verwendung der Staatsangehörigkeit als Kompetenzanknüpfung in Statusverfahren würde zur Verweigerung jeden Rechtsschutzes für Ausländer und Staatenlose führen. Dies ist indiskutabel, weil völkerrechtswidrig (déni de justice, Rz. 1909)89 und mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Rz. 250) unvereinbar (Rz. 130). 1954 Rechtsschutz wird nicht nur dann gewährt, wenn an dem Verfahren ein Deutscher beteiligt ist, sondern auch in reinen Ausländersachen (Rz. 1171). Als Zuständigkeitsanknüpfung dient dann in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen (§§ 98 I Nr. 2–4, 99 I Nr. 2, 100 Nr. 2, § 103 I Nr. 2
86 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bei R. Geimer in FS Schwind, 1993, 17, 24. 87 So z.B. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 89, 108, 176 Fn. 21. Vgl. auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 86: „protektionistische Zuständigkeitspolitik“. 88 Nicht überzeugend Adam, Internationaler Versorgungsausgleich, 1985, 108. 89 Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1969, 88 Fn. 86, 135 Fn. 73.
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FamFG) der gewöhnliche Aufenthalt (Rz. 299) einer Partei (auch des Klägers/ Antragstellers) im Inland. Auf die Anerkennung der deutschen Entscheidung im Ausland kommt es nicht an (Rz. 1066). Eine Ausnahme gilt jedoch in Ehesachen, wenn nur (noch) einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Die deutsche internationale Entscheidungszuständigkeit entfällt aber nur dann, wenn offensichtlich ist, d.h. auf der Hand liegt, dass keiner der Heimatstaaten die deutsche Entscheidung anerkennen wird, § 98 I Nr. 4 FamFG, früher § 606a I 1 Nr. 4 ZPO. Diese Regelung verbessert die Möglichkeiten für Ausländer, im Inland Rechtsschutz zu erlangen. Eine positive Anerkennungsprognose (§ 606b Nr. 1 ZPO a.F.) ist zur Eröffnung der internationalen Zuständigkeit Deutschlands nicht mehr erforderlich, wenn beide Ehegatten im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, § 98 I Nr. 2 FamFG. Gleichwohl bestehen gegen § 98 I Nr. 4 FamFG schwere verfassungsrechtliche Bedenken, weil die in Deutschland sich aufhaltenden Ausländer in zwei Gruppen aufgeteilt werden, nämlich in solche, denen es gestattet ist, Rechtsschutz vor deutschen Gerichten zu erlangen, und solche, denen der Rechtsschutz im Inland verweigert wird.90 Das den Rechtsschutz im Inland einschränkende Anerkennungserfordernis ist 1954a aus der Sicht des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts systemwidrig (Rz. 1066); es ist daher einschränkend auszulegen. In keinem Fall darf es im Wege der Analogie auf andere Statusverfahren ausgedehnt werden, insbes. nicht auf Kindschafts- und Abstammungssachen91 oder auf Adoptionen92 (Rz. 992). Für Lebenspartnerschaftssachen hat dies der Gesetzgeber klar normiert, § 103 I 1954b Nr. 2 FamFG. Es fragt sich, ob die kompetenzrechtliche Benachteiligung von Ehegatten (weniger Rechtsschutzmöglichkeiten im Inland) mit Art. 3 I und 6 I GG vereinbar ist.
IX. Keine Justizgewährung aufgrund Maßgeblichkeit deutschen Rechts Allein aus dem Umstand, dass in der Sache deutsches Recht zur Anwendung 1955 kommt, ergibt sich kein Anspruch auf Justizgewährung in Deutschland.93 Es gibt keinen positiven Gleichlauf zwischen forum und ius und deshalb auch kein forum legis (Rz. 1041).
X. Keine Rechtsschutzverweigerung bei fremder lex causae Umgekehrt gibt es aber auch keinen negativen Gleichlauf. Der Umstand, dass in 1956 der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt und dass der Staat der lex
90 Zustimmend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 496 ff. Zurückhaltender Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 24. 91 Zöller/Geimer, ZPO30, § 100 FamFG Rz. 8; OLG Nürnberg v. 30.10.1985 – 4 U 1705/84, NJW-RR 1986, 301 = IPRax 1986, 305 = IPRspr. 1985 Nr. 84. 92 S. auch Klinkhardt in MüKo.BGB4, Art. 22 EGBGB Rz. 71 ff. 93 Zustimmend z.B. Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 308.
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causae die deutsche Entscheidung nicht anerkennt, ist kein Grund, die an sich gegebene internationale Zuständigkeit Deutschlands zu verneinen (Rz. 1064, 1755).
XI. Forum non conveniens 1957 Besonders gefährlich für den Justizgewährungsanspruch des Klägers wäre es, würde sich die deutsche Rechtsprechung den aus dem anglo-amerikanischen Rechtsbereich stammenden forum non conveniens-Theorien anschließen (Rz. 1072). Justizgewährung im Inland (Rz. 1075) darf nicht mit der Begründung verweigert werden – die Beweise müssten im Ausland erhoben werden, selbst dann nicht, wenn der ausländische Staat die Erledigung von Rechtshilfeersuchen – allgemein oder im konkreten Fall – ablehnt. In solchen Fällen darf auch das Verfahren nicht ausgesetzt werden;94 – für die Vollstreckung des beantragten Leistungsurteils fehle pfändbares Vermögen des Beklagten (Schuldners) im Inland bzw. für das beantragte Feststellungsurteil fehle das Rechtsschutzbedürfnis im Inland; – durch Versagung der Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) mit der Begründung, der Kläger könne „billiger“ im Ausland klagen;95 – wegen Scheiterns der Zustellung an den Beklagten im Ausland: dies ist kein Grund, die Justizgewährung im Inland zu verweigern.96 Es muss – als ultima ratio – öffentliche Zustellung erfolgen, § 185 Nr. 2 ZPO (Rz. 1091, 1229).97 1958–1962 Einstweilen frei
94 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1983 – 16 U 136/81, FamRZ 1983, 825 (Grunsky) = IPRspr. 1983 Nr. 160. 95 Ebenso (aber weniger dezidiert) OLG Frankfurt v. 19.5.1982 – 3 WF 200/81, IPRax 1983, 46; OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, ROW 1986, 200 = EWiR 1986, 205 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 171. 96 S. auch EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-292/10 – G/de Visser, IPRax 2013, 341 – Rz. 56. 97 Diese kann im Beschwerdeweg erzwungen werden, OLG Köln v. 23.3.1987 – 1 W 14/87, RIW 1988, 301. Aus innerstaatlicher Sicht ist die öffentliche Zustellung gleichwertig und gleichrangig wie eine „normale“ Zustellung an den Zustellungsadressaten. Die öffentliche Zustellung ist verfassungskonform, G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 11. Die gegen den Beklagten in absentia ergangene gerichtliche Entscheidung ist existent und wirksam, obwohl er unverschuldet keine Ladung und auch sonst keine Kenntnis vom Verfahren erhalten hat. Das Urteil kann auch nicht ohne weiteres wieder beseitigt werden. Eine Analogie zu § 579 I Nr. 4 ZPO kommt nach BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, FamRZ 2003, 672 = NJW 2003, 1326 selbst dann nicht zum Zuge, wenn der Gegner die öffentliche Zustellung arglistig erschlichen hat. In Betracht kommen nach Maßgabe von § 581 ZPO (rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung) nur die Nr. 1 und 4 des § 580 ZPO. Ob das BVerfG diese BGH-Rechtsprechung billigen wird, ist derzeit offen. Kritisch auch Piekenbrock in FS Rolf Stürner, 2013, 405.
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XII. Justizgewährung am forum prorogatum Es spielt keine Rolle, ob die internationale Zuständigkeit Deutschlands in con- 1963 creto auf Gesetz oder auf einer Zuständigkeitsvereinbarung (Rz. 1739) beruht. Haben – bei Fehlen einer gesetzlichen Zuständigkeitsanknüpfung – die Parteien die internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland vereinbart, dann haben sie Anspruch auf Justizgewährung wie in den „gesetzlichen“ Fällen. Eine Zurückweisung des Klageantrags aus forum non conveniens-Gründen ist unzulässig (Rz. 1084, 1755).98 Dies gilt auch dann, wenn nach deutschem internationalem Privatrecht in der Sache nicht deutsches, sondern ausländisches Recht zur Anwendung kommt, wenn Beweiserhebungen (nur) im Ausland möglich sind oder wenn der Rechtsstreit keinerlei Beziehungen zum Inland aufweist (Rz. 1745).
XIII. Ausschluss des Rechtsschutzes im Inland Die Parteien können die internationale Zuständigkeit Deutschlands und damit 1964 den Zugang zu den deutschen Gerichten auch durch isolierten Derogationsvertrag oder durch Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines anderen Staates oder durch Vereinbarung der Zuständigkeit eines inländischen oder ausländischen Schiedsgerichts ausschließen (Rz. 1757). Damit entfällt der Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte. Im Rahmen und 1965 nach näherer Maßgabe der Vereinbarung der Parteien entfällt der Justizgewährungsanspruch im Inland. Dieser kann aber u.U. wieder aufleben, wenn es am forum prorogatum nicht zu einer Sachentscheidung kommt, sei es, weil das forum prorogatum Zuständigkeitsvereinbarungen generell nicht annimmt oder weil es in concreto die Zuständigkeitsvereinbarung nicht für zustande gekommen hält oder sonst für unwirksam erachtet, oder weil es wegen Stillstands der Rechtspflege zu keinem Urteil kommt oder weil schließlich das am forum prorogatum erlassene Sachurteil in Deutschland nicht anerkannt bzw. vollstreckt werden kann, aber vollstreckungsfähiges Vermögen sich nur im Inland befindet (Rz. 1032, 1763 ff.). Bestritten ist, ob § 40 II 1 ZPO der Derogation der internationalen Zuständigkeit 1966 Grenzen setzt. Kropholler99 will diese Vorschrift ohne Modifikationen anwenden mit der Folge, dass in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten eine Derogation ausgeschlossen ist. Fraglich ist, ob Derogation der internationalen Aufenthaltszuständigkeit in Statussachen möglich ist. Sicher ist aber: die internationale Staatsangehörigkeitszuständigkeit ist derogationsfest (Rz. 1344, 1773). Vom Verzicht auf den Streitgegenstand (auf das materielle Recht), der nach der 1967 vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmten lex causae zu beurteilen
98 S. auch Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 324. 99 Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 528.
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ist, zu unterscheiden ist der Verzicht auf Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte. Rechtsverzicht und Verzicht auf Rechtsschutz sind mithin deutlich auseinanderzuhalten. Über letzteren befindet ausschließlich die deutsche lex fori (Rz. 1677, 1757). 1968 Vom generellen Rechtsschutzverzicht (all over the world) logisch zu trennen ist der Verzicht auf Rechtsschutz gerade durch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (genereller: durch die Gerichte des Staates A oder der Staaten A, B, C …). Daraus folgt: – Ein Rechtsschutzverzicht ist denkbar auch in den Fällen, in denen die lex causae einen Verzicht auf das materielle Recht bzw. die betreffende Rechtsposition nicht zulässt. – Ein Verzicht auf Rechtsschutz gerade durch die deutschen Gerichte ist nicht immer schon dann ausgeschlossen, wenn ein genereller Rechtsschutzverzicht unzulässig ist. Beispiel: Ein Verzicht auf die Erhebung der Scheidungsklage – etwa bei Eingehung oder während der Ehe in einem Ehevertrag – ist sicher unwirksam. Denkbar ist aber, dass die Parteien sich verpflichten, den Scheidungsantrag – sollte ein solcher notwendig werden – in einem der Heimatstaaten bzw. im gemeinsamen Heimatstaat zu stellen. In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll, die aus dem (gemeinsamen) Aufenthalt im Inland fließende internationale Zuständigkeit Deutschlands zu derogieren.100
1969 Logisch nicht zwingend ist schließlich eine Kongruenz zwischen Erweiterung der internationalen Zuständigkeit über die im Gesetz vorgesehenen Zuständigkeitsanknüpfungspunkte hinaus (internationale Prorogation) einerseits und dem Verzicht auf Rechtsschutz durch die deutschen Gerichte (internationale Derogation) andererseits (Rz. 1637). Beide Komplexe sind auseinanderzuhalten. So ist es denkbar, für den Derogationsaspekt andere Regeln zu entwickeln als für den Prorogationsaspekt. So zeigt die Rechtsvergleichung, dass viele Staaten zwar Prorogationen (= Erweiterung ihrer internationalen Zuständigkeit) aufgeschlossen gegenüberstehen, aber Derogationen ihrer an sich (kraft Gesetzes) gegebenen internationalen Zuständigkeit ablehnen.101 (Vgl. Rz. 1788). 1970 Mit Sicherheit folgt aus der Bejahung einer Derogationsmöglichkeit nicht, dass Deutschland (gesetzlich) verpflichtet wäre, ceteris paribus eine Prorogation anzunehmen: Auch wenn hinsichtlich eines bestimmten ausländischen Staates spiegelbildlich die Voraussetzungen vorliegen, unter denen wir eine Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit zulassen, folgt daraus noch nicht, dass wir zur Annahme der Prorogation verpflichtet sind. Haben z.B. Angehörige
100 Dieser Fragenkomplex wird kontrovers diskutiert, Rz. 1773. 101 S. z.B. die Hinweise auf ein australisches Gesetz und die Rspr. in den USA und in Belgien in Bill of Lading, Report by the Secretariat of UNCTAD (1971) 50, Nr. 299 f. In den USA bahnt sich erst seit der grundlegenden Entscheidung M/S Bremen v. Zapata Offshore Co., 92 S. Ct. 1907 (1972) eine Wende an. Hierzu Wagner, Prozessverträge, 1998, 181 ff.; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, 210 Fn. 305.
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der Staaten A/B die internationale Aufenthaltszuständigkeit des Staates C ausgeschlossen, dann bedeutet dies noch nicht, dass sie (in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten) die internationale Zuständigkeit Deutschlands vereinbaren können. Das gilt auch umgekehrt. Aus der (de lege ferenda theoretisch möglichen) Zulassung der Prorogation in Ehesachen folgt z.B. noch nicht die Zulässigkeit der Derogation der an sich nach § 98 FamFG gegebenen internationalen Zuständigkeit. Schließlich besteht keine Kongruenz zur internationalen Anerkennungszustän- 1971 digkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG).102 Hat der Kläger/Antragsteller (in einer Sache, für die nach §§ 12 ff. ZPO auch die 1972 internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist) die Gerichte eines anderen Staates angerufen, dann entfällt sein Anspruch auf Justizgewährung, sofern aus deutscher Sicht die Rechtshängigkeit zu beachten ist (Rz. 2688, 2725). Ausschluss durch Vereinbarung eines (ausländischen) Schiedsgerichts: Da es 1973 um den Ausschluss der deutschen Jurisdiktion geht, beurteilt sich die objektive Schiedsfähigkeit103 nach der deutschen lex fori (Rz. 3811).104
XIV. Zugang zu den deutschen Gerichten auch für ausländische Staaten und juristische Personen des öffentlichen Rechts Auch ausländischen Staaten und Körperschaften des öffentlichen Rechts 1974 (Rz. 565, 567, 634, 706) steht der Zugang zu den deutschen Gerichten offen (Rz. 2211).105 So kann z.B. der Träger der niederländischen Arbeitslosenversicherung die Rückzahlung zu viel geleisteter Arbeitslosenunterstützung vor deutschen Gerichten (Sozialgerichten) einklagen.106 Die Gerichte lehnen es aber bisher ab, sich „zum Büttel eines fremden Staates“107 1975 machen zu lassen und durch Anwendung des der Eingriffsverwaltung zuzurechnenden ausländischen öffentlichen Rechts den Hoheits- oder Machtanspruch des ausländischen Staates de facto auf das Inland zu erstrecken.108 Nach dieser na-
102 103 104 105 106
Kropholler in Basedow/Kropholler, Handbuch des IZVR, Bd. I, 1982, Kap. III Rz. 149. Hierzu rechtsvergleichend z.B. Niedermaier, a.a.O., 60 ff., 326. Birk, BerDGesVR 18 (1978), 360. Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993. A.A. LG Offenburg v. 30.12.1960, IPRspr. 1960–1961 Nr. 172; BSG v. 26.1.1983 – 1 S 2/82, BSGE 54, 250 = IPRspr. 1983 Nr. 130. Skeptisch gegenüber BSG auch Mann in FS Kegel, 1987, 365, 374; Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlichrechtlicher Ansprüche im Inland, 1994, 45, 111. Hierzu auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 278. 107 BGH v. 18.2.1957, BGHZ 23, 333. Weitere Nachw. bei Dutta, a.a.O., S. 23, 57, 312; Dutta, Vollstreckung in öffentlichrechtliche Forderungen ausländischer Staaten, IPRax 2007, 109; Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2005, 362. 108 Ausführlich Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., Einl. Rz. 48 ff. vor Art. IX EGJN.
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hezu weltweit praktizierten Doktrin müssen die Gerichte alles unterlassen, was kausal für die Durchsetzung einer öffentlich-rechtlichen Forderungen eines fremden Staates wäre, also nicht nur das direkte Zusprechen eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs, sondern auch alle gerichtlichen Maßnahmen, die indirekt einen solchen Anspruch realisieren. Das inländische Gericht darf nach diesem Ansatz keine Maßnahmen treffen, durch die der ausländische Staat bekommen würde, was ihm nach seinem öffentlichen Recht zusteht.109 Begründet wird dies mit drei Argumenten:110 1. Souveränitätsargument: Die gerichtliche Durchsetzung einer fremden öffentlich-rechtlichen Forderung tangiere die Souveränität des Forumstaats, weil sie im Ergebnis die Staatsgewalt des fremden Staates auf das Inland ausweite. 2. Gewaltenteilungsargument: Betroffen seien bei der Durchsetzung fremder öffentlich-rechtlicher Forderungen die äußeren Angelegenheiten des Forumstaates; diese seien aber eine Domäne der Exekutive, Art. 32 I GG. Die Gerichte würden daher gegen das Gewaltenteilungsprinzip der Verfassung verstoßen, wollten sie sich solcher Forderungen annehmen. 3. Interessenargument: Generell habe der Forumstaat kein Interesse, dass seine Gerichte die Interessen fremder Staaten durchsetzen.111 Bei näherem Zusehen erweisen sich jedoch alle vorgenannten Argumentationslinien im Zeitalter der Globalisierung als wenig stichhaltig.112 Dies hat Dutta jüngst ausführlich dargelegt.113 „No state can be said to have a legitimate policy against payment of its neighbor’s taxes.“114 Weder das Völkerrecht, noch das Unionsrecht noch das deutsche Grundgesetz noch das einfache deutsche Recht verbieten den deutschen Gerichten, im öffentlichen Recht fremder Staaten wurzelnde Ansprüche im Inland durchzusetzen.115 Auch haben die Gerichte (Art. 92 ff. GG) hierfür die verfassungsrechtliche Kompetenz; Art. 32 I GG steht nicht entgegen. Das Gewaltenteilungsargument ist mithin ohne Substanz. Das deutsche Verfahrensrecht und das deutsche Kollisionsrecht sind durchaus in der Lage, die Durchsetzung fremder öffentlich-rechtlicher Ansprüche zu meistern. Diese Erkenntnis ist neu und harrt noch ihrer Verwirklichung in der Rechtspraxis. Daher wird im Folgenden ein Überblick über den derzeitigen Stand der Rspr. gegeben.
109 110 111 112 113 114 115
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Dutta, a.a.O., 431. Umfassende Nachw. bei Dutta, a.a.O., 5 ff., 18 ff. Dutta, a.a.O., 312 ff. Dutta, a.a.O., 220 ff. Dutta, a.a.O., 5 ff., 431. Milwaukee County v. M.E. White Co, 56 SCt 229 (1935) 234 (Stone J). Ganz im Gegenteil gibt es eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen und sekundäreuroparechtlichen Rechtsakten, die zur Durchsetzung ausländischer öffentlich-rechtlicher Forderungen verpflichten, so z.B. Art. 30 EuInsVO (Durchsetzung von Steuerforderungen und Ansprüchen der Sozialversicherungsträger, Virgós Schmitt-Bericht Nr. 265) sowie die RL 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückführung illegal ausgeführter Kulturgüter, ABl. EG 1993 Nr. L 74, 74, Rz. 1982. Näher hierzu Dutta, a.a.O., 232 ff.
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Einem ausländischen Staat wird zur Durchsetzung seiner Steuer- und Gebühren- 1976 forderungen der inländische Justizapparat bisher nicht zur Verfügung gestellt.116 (Vgl. Rz. 264a). Ebenso nicht zur Durchsetzung seines Konfiskationsrechts.117 Ist es dem früheren Eigentümer gelungen, die enteignete Sache ins Ausland zu schaffen, dann stehen die deutschen Gerichte für eine rei vindicatio (zugunsten des enteignenden Staates) nicht bereit.118 Allerdings gibt es Abkommen, in denen sich die Staaten zur (gegenseitigen) Vollziehung von Steuerbescheiden verpflichten.119 So haben sich z.B. Deutschland und Dänemark in Art. 33 des Steuerabkommens vom 22.11.1995120 zur gegenseitigen Beitreibung von steuerlichen Ansprüchen verpflichtet, als handele es sich um eigene.121 Schwierig sind die Abgrenzungen.122 Ist z.B. der Zugang zu den deutschen Ge- 1977 richten auch dann versperrt, wenn der ausländische Staat bzw. eine ausländische öffentlich-rechtliche Körperschaft die Erstattung von Aufwendungen verlangen? Beispiel: Die Stadt Wien musste erhebliche Kosten aufwenden, um die Einsturzgefahr für ein Haus abzuwenden, das einem in Deutschland wohnhaften Eigentümer gehörte. Sie erließ einen Erstattungsbescheid und verklagte den Eigentümer vor dem LG Hamburg.123 Dieses hielt den Rechtsweg für eröffnet, auch wenn es einräumt, dass dies bei „strenger Betrachtung“ nicht der Fall sei. Es gehe nicht darum, ausländisches hoheitliches Handeln auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Vielmehr sei das Klagebegehren darauf gerichtet, vermögensrechtliche Ersatzansprüche auf Zahlung von Geld zu verfolgen.
116 KG v. 19.11.1908, OLGE 20 (1910), 91; OLG Hamburg v. 25.11.1959, IPRspr. 1958–1959 Nr. 61; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 232; Kegel/ Schurig, IPR9, § 23 I; Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 = Beiträge zum IPR, 1976, 201; Frank, RabelsZ 34 (1970), 57; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht10, Rz. 1509; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 328 Fn. 69; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 2 Rz. 28; Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlichrechtlicher Ansprüche im Inland, 1994, 37, 107. S. auch Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 75 ff. und Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 240 Rz. 296. Anders soll es jedoch sein, wenn ein Hoheitsträger einen Bürgen aufgrund einer Bürgschaft für Zölle und andere öffentliche Abgaben in Anspruch nimmt, OLG Frankfurt v. 17.11.1999, OLGR 2000, 71 = IPRspr. 1999 Nr. 133; EuGH v. 15.5.2003 – Rs. C-266/01 – TIRAD/Nederlanden, Slg. 2003 I 4867 = IPRax 2003, 528 (R. Geimer 512). 117 Umfassende Nachw. bei Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 82 ff. 118 Staudinger/Stoll, Internationales Sachenrecht13, Rz. 147, 150. 119 Nachw. bei Papier/Olschewski, DVBl. 1976, 475; Roloff, a.a.O., 173. 120 BGBl. II 1996, 2565. 121 Nachw. z.B. bei Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 341 ff. 122 Vischer, IPRax 1991, 209; Pfeiffer Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 712. S. auch AG Münster v. 23.11.1994 – 29 C 517/94, DAR 1995, 165 (Schulte) = IPRspr. 1994 Nr. 146 (Parkraumbenützungsgebühr einer niederländischen Gemeinde; hierzu Schmittmann/Kocker, DAR 1996, 293; Dutta, a.a.O., S. 139) sowie Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 639. 123 LG Hamburg v. 9.3.1977, IPRspr. 1977 Nr. 115. Hierzu auch Roloff, a.a.O., 47, 111 sowie Dutta, a.a.O., 372.
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Dieses Argument ist nicht überzeugend: Auch der ausländische Steuerbescheid verlangt „nur“ Zahlung von Geld. Gewichtiger ist die weitere Erwägung: Es komme nicht darauf an, dass das österreichische Recht Ersatzansprüche der geltend gemachten Art als öffentlich-rechtliche Ansprüche qualifiziere; entscheidend sei vielmehr die „Natur“ des materiellen Anspruchs. Hier biete sich der Vergleich mit Schadensersatz- oder Erstattungsansprüchen zivilrechtlicher Art an; der Erstattungsanspruch aus Ersatzvornahme ähnele einem auch zwischen zwei Privaten denkbaren und möglichen Ersatzanspruch, etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag. 1978 Wenn aber überhaupt von deutschen Gerichten Rechtsschutz gewährt werden soll, dann wären hierzu aufgrund der Normen über die Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den verschiedenen Zweigen der deutschen Gerichtsbarkeit die Verwaltungsgerichte berufen, § 40 VwGO.124 Daran hat auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel gelassen in einem Gebührenrechtsstreit zwischen einem deutschen Lufttransportunternehmen und der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol).125 1979 In dem hier erörterten Zusammenhang geht es um die Frage, ob und wann der ausländische Staat bzw. dessen juristische Person Anspruch auf Erlass einer Sachentscheidung durch das deutsche Gericht hat. Hiervon zu unterscheiden ist die Gewährung von Rechtshilfe. Diese wird auch auf Gebieten geleistet, in denen bisher aus den in Rz. 1977 genannten Gründen eine Sachentscheidung nicht zu erlangen ist. So ist die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts und des Steuer-, Zoll- und sonstigen Abgabenrechts besonders intensiv.126 Die Inanspruchnahme der deutschen Rechtshilfe führt ausländische Staaten mitunter weiter als die Erhebung der rei vindicatio vor deutschen Gerichten, wenn es um die Rückschaffung von in Deutschland gelegenen Vermögenswerten geht, die ein ehemaliges Staatsoberhaupt oder ein sonstiger Amtsträger sich durch eine (auch aus deutscher Sicht) strafbare Handlung angeeignet hat. Zu denken wäre an Beschlagnahme und Übergabe an den ersuchenden Staat.127
124 Abzulehnen – weil zu pauschal Vischer, IPRax 1991, 210: „Der Verwaltungsrechtsweg ist in aller Regel dem ausländischen Staat verschlossen, da die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Anwendung des eigenen öffentlichen Rechts beschränkt ist.“ Nicht überzeugend auch Dutta, a.a.O., 372: „Das inländische Recht kann dem ausländischen Staat gar nicht die Verfügungsbefugnis über seine öffentlichrechtlichen Forderungen nehmen. Mithin erscheint der Beibringungsgrundsatz des Zivilprozesses besser auf die Durchsetzung fremder öffentlichrechtlicher Forderungen zu passen“. 125 BVerwG v. 16.9.1977, NJW 1978, 1759 = JZ 1979, 133 = IPRspr. 1977 Nr. 129. Hierzu Schwenk, ZLW 27 (1978), 71. 126 Nachw. z.B. bei Dutta, a.a.O., 246 ff. 127 Vischer, IPRax 1991, 211 (213); Dormann Bessenich, Der ausländische Staat als Kläger, 1993, 207 ff., 216 ff. In Art. 20 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens v. 13.12.1957 (BGBl. II 1964, 1369) haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, auf Verlangen des ersuchenden Staates Gegenstände zu beschlagnahmen und dem zu ersuchenden Staat zu übergeben, die aus der strafbaren Handlung herrühren und im Zeitpunkt
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Fünfter Teil
Sofern nach den vorstehenden Ausführungen einem ausländischen Staat oder 1980 einer ausländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts der Zugang zu den deutschen Gerichten nach herrschender Doktrin versperrt ist, kann diese Blockade nicht durch eine Zession an eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts beseitigt werden.128 Dies liegt auf der Hand, wenn der Zessionar die Ansprüche zwar im eigenen Namen, aber intern für Rechnung des Zedenten geltend macht. Nicht anders zu beurteilen ist die Rechtslage, wenn er ein eigenes Interesse an der Durchsetzung der auf ihn übergegangenen öffentlich-rechtlichen Forderung hat. Denn die Rechtsnatur des Anspruchs ist nach der Zession die gleiche. Auch der von § 426 II BGB bzw. § 774 II BGB bzw. von den Parallelvorschriften der lex causae angeordnete Forderungsübergang ändert den Charakter als öffentlich-rechtliche Forderung nicht.129 Jedoch kann der privatrechtlich zu qualifizierende Rückgriffsanspruch aus Vertrag, Geschäftsführung oder ungerechtfertigter Bereicherung in Deutschland eingeklagt werden, sofern nach den allgemeinen Regeln ein Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit gegeben ist.130 Man hat jedoch zu Recht einen Rückgriffsanspruch in einem besonders gelagerten Fall abgelehnt, weil es in Wirklichkeit um die Durchsetzung einer verschleierten Steuerforderung für einen ausländischen Staat ging.131 Mit der Globalisierung der Menschheitsprobleme und der daraus resultierenden 1981 Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit wird das Prinzip der Unklagbarkeit öffentlich-rechtlich zu qualifizierender ausländischer Ansprüche immer fragwürdiger. Beispiel: Abweisung der Klage des haitianischen Staates gegen seinen ehemaligen Diktator Duvalier.132
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der Festnahme im Besitz der verlangten Person gefunden worden sind oder später entdeckt werden. S. auch § 66 IRG und Koch, IPRax 1993, 192 sowie die umfangreichen Nachw. bei Jenn, Illegal nach Deutschland verbrachtes Staatsvermögen, 2004. A.A. Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 91. OLG Hamburg v. 25.11.1959, IPRspr. 1958–1959 Nr. 61; BAG AP Nr. 9 und 20 zu § 670 BGB; a.A. BGH v. 2.4.1973, NJW 1973, 1077 (1078) (allerdings in einem Fall ohne Auslandsberührung; hierzu Stolterfoht, JZ 1975, 658): „Die als Steuerforderung entstandene Forderung diene in der Hand des Bürgen der Durchsetzung seines privatrechtlichen Rückgriffsanspruchs gegen den Hauptschuldner und keinen öffentlichen Belangen mehr. Deshalb kann sie in seiner Hand auch nur noch eine privatrechtliche Forderung sein, für die der ordentliche Rechtsweg gegeben ist“. OLG Hamm, OLGE 1912, 333; RG, IPRspr. 1928 Nr. 37; Roloff, Die Geltendmachung ausländischer öffentlichrechtlicher Ansprüche im Inland, 1994, 38, 121. OLG Hamburg v. 25.11.1959, IPRspr. 1958, 1959 Nr. 61. Zur Behandlung der Steuerforderungen in der Insolvenz s. unten Rz. 3381. Rechtsvergleichend zum US-Recht E. Habscheid, Grenzüberschreitendes (int.) Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der BRD, 1998, 100. Cass. civ. Rev. crit. 1991, 386 (Bischoff 388); hierzu Roloff, a.a.O., 101, 140.
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Fünfter Teil
Justizgewährungsanspruch
1982 Innerhalb der Europäischen Union kommen für öffentlich-rechtliche Streitgegenstände mitunter europäische Rechtsinstrumente zum Zuge, z.B. die Richtlinie 76/308/EWG vom 15.3.1976 i.d.F. der Richtlinie 2001/44/EG vom 15.6.2001 für die Beitreibung von Abgaben, Zöllen, Steuern u sonstigen Maßnahmen.133 Auch der öffentlich-rechtliche Anspruch auf Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern wird durch die Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993134 und seine Klagbarkeit vor den Gerichten der Mitgliedstaaten anerkannt. Das deutsche Gesetz zur Umsetzung dieser Richtlinie vom 18.5.2007 (Kulturgüterrückgabegesetz)135 eröffnet in § 13 I den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten.136
XV. Ausschluss öffentlich-rechtlicher Ansprüche für Ausländer 1983 Von dem Ausschluss der Durchsetzung von Ansprüchen nach ausländischem öffentlichen Recht vor deutschen Gerichten zu unterscheiden ist der Ausschluss von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen deutschen Rechts für Ausländer. Beispiel: Ausschluss von Amtshaftungsansprüchen bei fehlender Verbürgung der Gegenseitigkeit (Rz. 192a), der jedoch nicht gilt, sofern der Anspruch kraft Gesetzes in statu nascendi auf einen Inländer bzw. inländischen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.137
Es liegt hier keine verfahrensrechtliche Fragestellung vor; denn es wird nicht das Klagerecht für einen bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch ausgeschlossen, vielmehr fehlt es an einem solchen.
XVI. Einstweiliger Rechtsschutz 1984 Der Justizgewährungsanspruch umfasst auch das Recht auf Erlass einstweiliger Maßnahmen (Arreste, einstweilige Verfügungen und einstweilige Anordnungen) nach Maßgabe der deutschen lex fori.138 133 Hierzu EuGH v. 14.1.2010 – Rs. C-233/08 – Kyrian/Celní úrˇad Tábor, EuZW 2010, 146; s. auch BGH v. 21.7.2009 – VII R 52/08, EuZW 2010, 116. 134 ABl. EG Nr. L 74, 74. Geändert durch RL 96/100/EG v. 17.2.1997, ABl. EG Nr. L 60, 59. Nachw. hierzu bei Peya, Die Ausfuhr von Kulturgütern im nationalen und Gemeinschaftsrecht, 2002. 135 BGBl. I 2007, 757. Der vollständige Titel des Gesetzes lautet: Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der RL 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern. 136 Hierzu Fuchs, IPRax 2000, 281 (283); Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 235, 367. 137 OLG Frankfurt v. 9.5.1985 – 1 U 193/84, VersR 1985, 1191 = IPRspr. 1985 Nr. 38. 138 Zustimmend Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 413. Angesichts der stark divergierenden nationalen Systeme und der Zurückhaltung der EuGVVO (Art. 2 [a] [ii]; Art. 35) steht beim grenzüberschreitenden einstweiligen
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Die Staatsangehörigkeit der Parteien und das in der Sache anwendbare Recht sind in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, §§ 916, 935, 940 ZPO sowie §§ 49 ff. 119 FamFG sind daher immer – ohne Rücksicht auf die lex causae – anzuwenden.139 1985
Beispiel: Art. 59 III Schweizer Bundesverfassung a.F. bestimmte140 in Erfüllung eines Postulates der Aufklärung: „Die Schuldnerhaft ist abgeschafft.“ Ein persönlicher Arrest ist nach Schweizer Recht unzulässig. Gleichwohl kann ein solcher nach § 918 ZPO angeordnet werden, auch wenn die Forderung Schweizer Recht unterliegt.141
Umgekehrt besteht kein Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz nach auslän- 1986 dischem Recht (Rz. 339). Die Rechtsordnungen divergieren sehr stark.142 So kann z.B. – auch wenn englisches Recht lex causae ist – von einem deutschen Gericht keine world-wide freezing (früher: Mareva) injunction (Rz. 399b)143 erlassen werden.144 Haben die Parteien die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Ge- 1987 richts vereinbart, so ist damit i.d.R. auch die internationale Zuständigkeit Deutschlands für den einstweiligen Rechtsschutz (Arrest und einstweilige Verfügung) abbedungen (Rz. 1767). Wird das vom prorogierten ausländischen Gericht erlassene Urteil im Inland nicht anerkannt, dann kann in Deutschland er-
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Rechtsschutz in der EU, geschweige denn im Rest der Welt, die Praxis vor erheblichen Problemen bei der konkreten Rechtsdurchsetzung. Auf einem Teilgebiet soll die EuKontenpfändungsVO (Rz. 245c) ein wenig Besserung bringen (Rz. 1884d, 3198). OLG Düsseldorf v. 13.2.1978, WM 1978, 359 = IPRspr. 1978 Nr. 138; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 5. A.A. Grunsky, ZZP 89 (1976), 258. Rechtsvergleichende Hinweise zu den verschiedenen nationalen Systemen Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 157 ff.; Schlosser, EUZivilprozessrecht3, Art. 31 EuGVVO Rz. 32 f. Vgl. Art. 30 der revidierten BV. Hierzu Walther, ZZPInt 5 (2000), 295 (297); HoffmannNowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 299 ff. Nachw. bei Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweiz. Recht I, 1984, § 1 Rz. 6. Rechtsvergleichende Hinweise bei Meier, 48, Dohmann, 157 und Koch, 193 in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992. Hierzu die umfangreichen Nachw. bei Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 153 ff. und Heinze, Grenzüberschreitende Vollstreckung englischer freezing injunctions – Die Dadourian Guidelines, IPRax 2007, 343. S. auch Grunert, Die „world-wide“ Mareva Injunction, 1998. Weitergehend Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 432: In den Fällen des § 1025 II ZPO seien auch einstweilige Maßnahmen nach ausländischem Recht statthaft, wie z.B. worldwide freezing orders nach engl. Recht oder Abschlagszahlungen nach franz. Recht (réferé provision). Doch wies Schlosser (berichtet von Heß, IPRax 1992, 201) mit einleuchtenden Argumenten darauf hin, dass auch nach deutschem Recht durch einstweilige Verfügung ein vergleichbares allgemeines Verfügungsverbot erlassen werden könne. Zu den Unterschieden OLG Karlsruhe v. 19.12.1995, ZZPInt 1 (1996), 91 (Zuckermann/Grunert) = IPRspr. 1995 Nr. 166.
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neut geklagt werden, sofern nicht Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes gewollt war (Rz. 1766).
XVII. Rechtsschutzbedürfnis 1988 Der an sich eröffnete Zugang zu den deutschen Gerichten darf nicht wieder mit dem Argument verschlossen werden, in Deutschland bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis.145 Der Kläger könne sich vielmehr woanders viel besser und viel sachnäher eine Entscheidung beschaffen. Die bereits in Rz. 1957 abgelehnten forum non conveniens-Gesichtspunkte dürfen nicht unter dem neuen Etikett „Rechtsschutzbedürfnis“ doch noch zu einer Prozessabweisung führen.146 Es steht vielmehr im Belieben des Klägers, ob er von der ihm eröffneten internationalen Zuständigkeit Gebrauch machen will oder nicht. Eine Reihenfolge oder Prioritätenliste für die einzelnen Zuständigkeitsanknüpfungen, z.B. Wohnsitz- vor Vermögens- oder Erfüllungsortsgerichtsstand, kennt das deutsche Recht nicht. Sie darf auch nicht über die Allerweltsformel „Rechtsschutzbedürfnis“ eingeführt werden.147
XVIII. Wesenseigene Zuständigkeit 1989 Unter diesem wenig bildhaften Begriff wird die Frage diskutiert, ob und in welchen Fällen deutsche Gerichte in Anwendung des vom deutschen internationalen Privatrecht berufenen ausländischen Rechts eine im deutschen Recht nicht vorgesehene Tätigkeit ausüben können, die aus deutscher Sicht völlig wesensfremd ist. Man ist sich zwar darüber einig, dass eine dem deutschen Rechtssystem völlig wesensfremde und daher von der deutschen Justiz nicht zu bewältigende Tätigkeit abgelehnt werden kann.148 Doch sind solche Konstellationen in der Praxis bisher nicht vorgekommen. Dass die vom ausländischen Recht vorgeschriebene richterliche Tätigkeit als solche dem deutschen Recht unbekannt ist, rechtfertigt noch nicht, dass die deutschen Gerichte die Vornahme einer solchen Handlung ablehnen.149 Nur wenn diese das deutsche Rechtssystem schlechthin sprengen würde, ist eine Ablehnung indiziert.150 Meist kann aber
145 S. auch oben Rz. 977. 146 Weniger dezidiert Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh. IV Rz. 113. 147 OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRax 1983, 120, 122 (Jayme 105) = IPRspr. 1981 Nr. 13; KG v. 4.12.1989 – 12 U 5286/89, NJW 1990, 842 (Rupf) = IPRax 1990, 184 (Wandt 166) = IPRspr. 1989 Nr. 61; a.A. BGH v. 11.3.1982 – III ZR 171/80, WM 1982, 619 = MDR 1982, 828 = IPRspr. 1982 Nr. 172 = IPRax 1982, 249 (v. Hoffmann) für den Fall, dass der Kläger ein deutsches Feststellungsurteil im ausländischen Rechtsstreit verwenden will. 148 Haunhorst, Die „wesenseigene (Un-)Zuständigkeit“ deutscher Gerichte, 1994; Nagel/ Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 53, § 3 Rz. 417. S. auch Kropholler, IPR6, § 57 II 2. 149 Beitzke, FamRZ 1967, 594. 150 Solche Fälle sind in der deutschen Praxis nicht oder äußerst selten vorgekommen. Vgl. auch Klinkhardt in MüKo.BGB4, Art. 22 EGBGB Rz. 77.
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schon dadurch geholfen werden, dass man die deutschen Verfahrensvorschriften analog anwendet oder das deutsche Erkenntnisverfahren den ausländischen Verfahrensvorschriften anpasst.151 So kann z.B. das deutsche Gericht zur Wiederaufnahme des ehelichen Lebens nach türkischem Recht auffordern.152 Die Fälle der wesenseigenen Unzuständigkeit (Rz. 1001)153 sind von dem An- 1989a wendungsbereich des ordre public (Art. 6 EGBGB, Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 I Rom II-VO, Art. 12 Rom III-VO, Art. 24 EuErbVO) klar zu unterscheiden. Die Frage der wesenseigenen Unzuständigkeit kann nur dann auftauchen, wenn die in Betracht kommende ausländische Rechtsnorm bereits die Hürde des inländischen ordre public passiert hat. Wäre dies nicht der Fall, so würde das aus deutscher Sicht maßgebliche Ersatzrecht zum Zuge kommen. Bei den unter dem Stichwort „wesensfremde Tätigkeit“ diskutierten Fällen geht 1989b es vielmehr um folgende Hypothese: Das ausländische Sachrecht ist zwar mit dem deutschen ordre public vereinbar, es ist also nicht diametral entgegengesetzt zu den Grundwerten der inländischen Rechtsordnung. Die vom deutschen Richter verlangte Tätigkeit stellt diesen aber vor verfahrensmäßig unüberwindliche Probleme. Das „Angleichungspotential“154 des deutschen Verfahrensrechts ist total erschöpft.155
151 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 19; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 702; R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 122 ff. (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 247. So ist eine dem deutschen Recht unbekannte Klage auf Trennung von Tisch und Bett (z.B. Art. 150 ff. Codice civile; hierzu z.B. OLG Karlsruhe v. 21.3.1991 – 2 UF 45/90, FamRZ 1991, 1308 = IPRspr. 1991 Nr. 88) einschließlich des Ausspruchs über die Verantwortlichkeit für die Trennung (Art. 151 II Codice civile) analog §§ 606 ff. ZPO (nun §§ 122 ff. FamFG) zu behandeln, BGH v. 1.4.1987 – IVb ZR 40/86, MDR 1987, 828 = FamRZ 1987, 793 = NJW 1988, 636 = IPRax 1988, 173 (Hepting) = IPRspr. 1987 Nr. 59; OLG München v. 4.4.1978, NJW 1978, 1117 = IPRspr. 1978 Nr. 64; OLG Düsseldorf v. 15.10.1980, FamRZ 1981, 146 = IPRspr. 1980 Nr. 154; OLG Schleswig v. 8.1.1980, DAVorm 1982, 709 = IPRspr. 1981 Nr. 68. Zuständig ist das Familiengericht (§ 23b I Nr. 1 GVG); a.A. OLG Frankfurt v. 30.12.1977, FamRZ 1978, 520 = IPRspr. 1977 Nr. 133b. Im Statusverfahren (§§ 122 ff. FamFG) ist auch über einen Antrag auf gerichtliche Bestätigung der einvernehmlichen Trennung (Art. 158 Codice civile) zu entscheiden, AG Offenbach v. 7.10.1977, FamRZ 1978, 509 (Jayme) = IPRspr. 1977 Nr. 135. – Weitere Einzelheiten, um die Anerkennung deutscher Scheidungsurteile in Italien sicherzustellen, OLG Bremen v. 16.12.1982 – 5 WF 183/82b, IPRax 1985, 46, 47 (Jayme); Grundmann, NJW 1986, 2167. Überholt durch die umfassende Anerkennungspflicht nach Art. 21 ff. EuEheVO. 152 A.A. OLG Stuttgart v. 28.6.2005 – 17 UF 280/04, IPRax 2007, 131 (zu Recht kritisch Heiderhoff 118). 153 Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 308. 154 Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 634. 155 Nur wenn das deutsche System schlechthin gesprengt werden würde, ist eine Ablehnung indiziert. Daher unzutreffend KG v. 11.1.1993 – 3 WF 7099/92, FamRZ 1994, 839 = IPRspr. 1993 Nr. 150, das Scheidung von Juden israelischer Staatsangehörigkeit in Deutschland ablehnt, weil Mitwirkung des Rabbinatsgerichts unverzichtbar sei. Hierzu näher Herfarth, Die Scheidung nach jüdischem Recht im internationalen Zivil-
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XIX. Anspruch auf Zwangsvollstreckung 1990 Der Justizgewährungsanspruch ist nicht auf das Erkenntnisverfahren beschränkt. Er umfasst auch den Anspruch auf Durchführung der Zwangsvollstreckung.156 Das liegt auf der Hand bei Vorliegen eines deutschen Vollstreckungstitels. Dem Gläubiger kann nicht entgegengehalten werden, er könne im Ausland viel effektiver, ergiebiger, leichter oder sonst wie vorteilhafter vollstrecken. Dies zu beurteilen ist nicht Aufgabe der deutschen Vollstreckungsorgane.157 1991 Der Justizgewährungsanspruch umfasst aber auch das Recht des Gläubigers auf Vollstreckbarerklärung seines im Ausland erlangten Titels, sofern die Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen gegeben sind bzw. kein Versagungsgrund vorliegt (Rz. 3114). Die öffentlichen Interessen des Inlandes (Abfluss inländischer Vermögenswerte in das Ausland) werden durch die devisen- und außenwirtschaftlichen Bestimmungen und etwaige sonstige Ausfuhrverbote (z.B. für Kulturgüter)158 geschützt.
verfahrensrecht, 2000, 166; Kropholler, IPR5, § 59 II 2 g.E. Das Gleiche gilt für KG v. 27.11.1998 – 3 UF 9545/97, IPRax 2000, 126 (Herfahrt) = IPRspr. 1998 Nr. 163A: Die Scheidung irakischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens sei in Deutschland nicht möglich, da eine – dem deutschen Recht wesensfremde – Mitwirkung des Sharia-Gerichts nicht in Betracht komme. Rechtsvergleichend Herfarth, IPRax 2002, 17 sowie Einhorn, Jewish Divorce in the International Arena, in FS Siehr, 2000, 135. Im gleichen Sinne wie hier (das Urteil des KG v. 27.11.1998 aufhebend) BGH v. 6.10.2004 – XII ZR 225/01, MDR 2005, 149 = FamRZ 2004, 1952 (Henrich) = IPRax 2005, 346 (Rauscher 313) = NJW-RR 2005, 81 = LMK 2005, 8 (Finger) = IPRspr. 2004 Nr. 135. S. auch die Nachw. bei Hirschfeld, Die Anwendung von Get Statutes und die Anerkennung von auf Get Statutes beruhenden ausländischen Urteilen in Deutschland, 2006, sowie OLG Oldenburg v. 7.3.2006 – 12 UF 125/05, FamRZ 2006, 950 = IPRax 2007, 137 = JuS 2006, 1133 (Hohloch) = IPRspr. 2006 Nr. 56: Der Zwang, an einer Get-Scheidung in Israel mitzuwirken, sei im Hinblick auf Art. 4 GG mit dem deutschen ordre public unvereinbar. 156 Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 182; Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 38. 157 S. auch Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 113 und Rz. 1230, 2143 sowie allgemein R. Geimer, NJW 1991, 3071. Das Grundgesetz verbietet vollstreckungsfreie Oasen in Deutschland. 158 Zur Ausfuhr des in das „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“ bzw. in das „Verzeichnis national wertvoller Archive“ eingetragene Kultur- bzw. Archivgut ist die Genehmigung des Bundesministers des Innern erforderlich. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn bei Abwägung der Umstände des Einzelfalles wesentliche Belange des deutschen Kulturbesitzes überwiegen, §§ 1 IV, 5 I, 10 III, 12 I des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in der Fassung v. 8.7.1999 (BGBl. I 1999, 1754). Nachw. bei Peya, Die Ausfuhr von Kulturgütern im nationalen und Gemeinschaftsrecht, 2002; Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 235. S. auch das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG – Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens v. 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der RL 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus
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XX. Justizgewährung nach Maßgabe der Ausgestaltung des deutschen Zivilprozessrechts Ist der Zugang zu den deutschen Gerichten eröffnet, so entscheidet über Art und 1992 Umfang der Justizgewährung sowie die Ausgestaltung des Verfahrens die deutsche lex fori. Eine kollisionsrechtliche Verweisung auf ausländische Rechtsordnungen ist abzulehnen (Rz. 49). Dies gilt z.B. für: 1. Gerichtsverfassung Auch wenn in der Sache das Recht eines US-Bundesstaates oder englisches 1993 Recht zur Anwendung kommt, kann der Kläger nicht die Bildung einer Jury (Rz. 50) verlangen. Oder würde nach französischem Recht das Handelsgericht zuständig sein, so kommt die Sache gleichwohl vor eine allgemeine Zivilkammer, sofern nicht die Voraussetzungen gem. §§ 95 ff. GVG für die Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen vorliegen.159 2. Notwendigkeit der Einreichung einer Klageschrift Die Klageschrift hat im deutschen Zivilprozess (§ 253 ZPO) eine viel größere Be- 1994 deutung als in manchen ausländischen Rechtsordnungen.160 Insbes. ist der Kläger gezwungen, nicht nur sein Klagebegehren vorzutragen, sondern auch den Sachverhalt schlüssig darzustellen und Beweismittel anzugeben. Dies gilt auch für ausländische Kläger und für Streitgegenstände, die nach ausländischem Recht zu beurteilen sind. So kann z.B. ein US-Bürger nicht etwa verlangen, dass erst einmal pre-trial discovery (Rz. 88) betrieben wird. Ist das Recht eines USBundesstaates lex causae, dann genügt nicht etwa der lapidare Satz „You have hurt me and I want some of your money.“161 Die ratio des § 253 ZPO, der für In-
dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern) v. 18.5.2007, BGBl. I 2007, 757. Hierzu Halsdorfer, Der Beitritt Deutschlands zum UNESCO-Kulturgutübereinkommen und die kollisionsrechtlichen Auswirkungen des neuen KultGüRückG, IPRax 2008, 395. 159 Vgl. auch Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 150. 160 Hierzu tiefschürfend Reinhard, Klageerhebung und Beklagtenschutz nach US-amerikanischem und deutschem Zivilprozessrecht: Eine Untersuchung anhand der US-amerikanischen Federal Rules of Civil Procedure und der ZPO am Beispiel ausgewählter Rechtsfragen, 2006; Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 65. 161 Erforderlich ist nur „a short and plain statement of the claim“, FRCP 8 (a). Die US-Klageschriften gleichen einem „Schuss in den Nebel“, Reufels, RIW 1999, 667 (668). Zum „notice pleading“ Stürner, JZ 2006, 60 (62). Zu unbezifferten Klageanträgen s. aber auch Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 122. Ausführliche Nachw. auch bei Reinhard, Klageerhebung und Beklagtenschutz nach US-amerikanischem und deutschem Zivilprozessrecht, 2006, 35 ff. Einschränkend Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 127 S. Ct. 1955 (2007): Der Kläger muss Tatsachen vortragen, die den Antrag aus Sicht des Gerichts plausibel machen, d.h. nicht nur denkbar. Hierzu Hay, US-Amerikanisches Recht4, Rz. 156.
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wie Ausländer, ganz gleich wo sie sich aufhalten, gilt, beschreibt treffend Bruns162: „Es ist die erste Stufe der Objektivierung eines Rechtsstreits; der Kläger, der Bilanz ziehen muss, wird aus der Dumpfheit bloßer Gefühlsreaktion, wie sie zu allen Zeiten einen Teil der Prozesse motiviert, herausgehoben …“.163 3. Verhandlungsgrundsatz 1995 Der Verhandlungsgrundsatz in der Ausformung des deutschen Rechts gilt auch dann, wenn in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt (Rz. 2266, 2271). 4. Präklusion 1996 Das Gleiche gilt für die Präklusionsvorschriften, Rz. 361, 2273. 5. Beweisverfahren 1997 Die vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmte lex causae fixiert das Beweisthema. Sie legt die darzulegenden und gegebenenfalls zu beweisenden Tatsachen fest. Dagegen sagt die deutsche lex fori, wie zu beweisen ist. Sie bestimmt die Zulässigkeit der Beweismittel und die technische Durchführung der Beweiserhebung (Rz. 2260, 2268). Beispiel A: Im deutschen Zivilprozess ist die Parteieinvernahme ein subsidiäres Beweismittel, § 445 ZPO. Dies ist auch dann zu berücksichtigen, wenn die lex causae, wie z.B. das US-amerikanische Recht, eine Vernehmung von Parteien unbeschränkt zulässt. Beispiel B: Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt auch dann, wenn die lex causae, wie z.B. das französische Recht (Rz. 2339), an Beweisregeln festhält.164
1997a Die lex fori gilt auch für die Substantiierung der Beweisanträge. Ist der Beweisantrag nicht hinreichend bestimmt, lehnt ihn das deutsche Gericht ab, ohne Rücksicht darauf, wie ceteris paribus ein Gericht im lex causae-Staat prozedieren würde.165
162 Bruns, Zivilprozessrecht2, Rz. 137c. 163 Hess, EuZPR, 2010, § 3 Rz. 75 (S. 121) hält eine Vereinheitlichung bzw. Standardisierung des klageeinleitendes Schriftstücks wie bei den „Claim Forms“ des englischen und den Mahnanträgen des österr. und deutschen Prozessrechts innerhalb der EU für hilfreich. Diese sollten eine Minimalinformation über den Klagegegenstand und das eingeleitete Verfahren enthalten, die den Beklagten in die Lage versetzen zu entscheiden, ob er sich verteidigen will und kann (vgl. 694 ZPO). Dieses Klageformular solle fristwahrend i.S.v. § 167 ZPO sein. 164 Zur Beweiswürdigung nach der deutschen lex fori z.B. Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 314 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). 165 Zum US-Recht Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 113.
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6. Versäumnisverfahren Auch hier gilt allein die deutsche lex fori (Rz. 359). Ist nach deutschem interna- 1998 tionalem Privatrecht in der Sache z.B. das Recht eines US-Bundesstaates anzuwenden, dann steht der Erlass eines Versäumnisurteils nicht im Ermessen des Gerichts, wie dies das amerikanische Zivilprozessrecht166 vorsieht. 7. Instanzenzug Die Parteien haben Anspruch auf Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen 1999 durch Rechtsmittelinstanzen nur nach Maßgabe der deutschen Vorschriften.
XXI. Dispositionsgrundsatz Wo kein Kläger, da kein Richter. Weltweit gilt im Zivilprozess der Grundsatz, 2000 dass eine richterliche Entscheidung nur auf Antrag vorzunehmen ist.167 Im Einzelnen verlaufen die Grenzen dieses Grundsatzes von Rechtsordnung zu Rechtsordnung verschieden, insbes. bezüglich der Frage einer Klageänderung und Klagerücknahme ohne Zustimmung des Gegners und bezüglich der Frage, wann von Amts wegen ein Verfahren einzuleiten ist. Aus der Sicht des deutschen Rechts kommt hier vorwiegend der Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht. All diese Fragen werden von der lex fori und nicht von der lex causae entschieden. Die lex fori bestimmt z.B. über „Justizgewährung auch von Amts wegen“.
XXII. Pflicht zur Entscheidung Das Gericht muss eine Sachentscheidung auch dann erlassen, wenn der Sach- 2001 verhalt oder der Inhalt des nach deutschem internationalem Privatrecht maßgeblichen ausländischen Rechts nicht (eindeutig) aufklärbar ist. Eine absolutio ab instantia bei einem non liquet wäre eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs. Dies gilt auch dann, wenn der Richter der lex causae eine Sachentscheidung ablehnen dürfte. Dies ist für den deutschen Richter ohne Bedeutung. Bei Unaufklärbarkeit des maßgeblichen ausländischen Rechtssatzes kommen die Regeln über das Ersatzrecht (Rz. 2292, 2598) zum Zuge, bei einem non liquet im Tatsächlichen die Regeln über die Beweislast. Die Beweislastvorschriften sind der lex causae zu entnehmen (Rz. 2340). Fehlen solche, so kommen ersatzweise die deutschen Beweislastvorschriften zum Zuge.
166 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, 43. 167 Rechtsvergleichende Hinweise bei Hartwieg, JZ 1997, 381 (388).
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XXIII. Sicherheitsleistung für Prozesskosten 2002 Wird der Beklagte mit einer (unbegründeten) Klage überzogen, so wird – jedenfalls im Idealfall – die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Beklagte hat jedoch die Last, sich zu verteidigen. Er wird i.d.R. einen Anwalt beauftragen. Hierdurch entstehen ihm nicht unerhebliche Kosten. Der Beklagte erhält zwar im Falle seines Obsiegens einen Titel auf Erstattung der Kosten gem. §§ 91 ff. ZPO bzw. §§ 81 ff. FamFG, die immer gelten ohne Rücksicht auf das in der Sache anzuwendende Recht (lex causae).168 Die Durchsetzung dieses Kostentitels und damit die Effektivität der Kostenerstattung ist jedoch sein Risiko. Dieses besteht gleichermaßen in In- und Auslandsfällen. Jedoch tritt es besonders deutlich zu Tage, wenn der Kläger im Ausland seinen Wohnsitz/Aufenthalt bzw. nur dort Vermögen hat. Deshalb geben viele Prozessordnungen dem Beklagten die Möglichkeit, vom Kläger Sicherheit für die dem Beklagten entstehenden Kosten zu verlangen. Von der Sicherheitsleistung wird die Justizgewährung abhängig gemacht. Wird die Sicherheit nicht geleistet, so wird auf Antrag des Beklagten die Klage für zurückgenommen erklärt bzw. das Rechtsmittel verworfen, § 113 ZPO. Dies ist rechtspolitisch sinnvoll; denn in vielen Fällen mit Auslandsberührung muss der Beklagte seinen Kostenerstattungsanspruch im Ausland durchsetzen. Dies ist oft wegen des Fehlens der Anerkennungs- und Vollstreckungsbereitschaft des ausländischen Staates bezüglich deutscher Titel nicht möglich oder zu schwierig und wirtschaftlich wegen geringer Werte oft sinnlos.169 2003 Sedes materiae im deutschen Recht ist § 110 ZPO n.F.170 Dieser schützt den Beklagten, ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit und auf seinen Wohnsitz. Auch ausländische Beklagte und Beklagte mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben einen Anspruch gegen den Kläger auf Prozesskostensicherheit selbst dann, wenn beide Parteien dem gleichen Staat angehören.171 Diese kosmopolitische Sicht ist zu begrüßen. 2004 Kritikbedürftig war jedoch § 110 ZPO a.F. insoweit, als er auf die Staatsangehörigkeit des Klägers abstellte. Nur ausländische Kläger hatten früher Sicherheit zu leisten, nicht jedoch deutsche.172 Dies war nicht stimmig.173 Denn dasselbe Risiko läuft ein Beklagter auch mit einem Auslandsdeutschen.174 168 S. z.B. Mankowski, NJW 2005, 2346. 169 Schütze, DIZPR2, Rz. 243. Ausführliche Nachw. bei Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, Rz. 228 ff. 170 Hierzu umfassend Schütze, IZPR in der ZPO2, 17 ff. 171 OLG Hamburg v. 15.12.1982 – 8 U 175/82, NJW 1983, 526 = RIW 1983, 787 = IPRspr. 1982 Nr. 129. S. auch Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 613. 172 Die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit spielte keine Rolle, Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 468. 173 Aber nach BVerfGE 30, 409 mit dem Grundgesetz vereinbar. Zu den Details Altenkirch, Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten, 2013, 17 ff. S. auch allgemein zur Schlechterstellung der Ausländer Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 606. 174 Die Durchsetzungsprobleme gegen den im Ausland domizilierten deutschen Kläger sind für den siegreichen Beklagten genau die gleichen wie gegenüber einem Ausländer, Schütze, DIZPR2, Rz. 244.
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Umgekehrt wurde die Rechtsverfolgung ausländischer Kläger im Inland durch 2004a § 110 ZPO oft grundlos erschwert. Beispiel: Eine amerikanische Großbank mit zahlreichen Niederlassungen im Inland klagt eine Forderung ein. Sie musste Sicherheit leisten, obwohl der Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht gefährdet ist.175
Bei Staatenlosen kam es darauf an, ob sie in Deutschland ihren Wohnsitz oder 2004b ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.176 Gegen EU- und wohl auch gegen EWR-Marktbürger war § 110 ZPO im Anwen- 2004c dungsbereich des AEUV bzw. des EWRV wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des jeweiligen Vertrages ohnehin nicht mehr anzuwenden (Rz. 246u). Gerechter ist es, darauf abzustellen, wo der Kläger wohnt bzw. wo er vollstreckungsfähiges Vermögen hat, wenn man sich nicht dazu entschließt, generell – auch für reine Inlandsfälle – dem Beklagten einen Anspruch auf Sicherheitsleistung zu gewähren. Deshalb ist der deutsche Gesetzgeber von der Staatsangehörigkeits- zu der Aufenthaltsanknüpfung übergegangen.177 Nach § 110 I ZPO n.F. sind – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit – solche Kläger auf Verlangen des Beklagten zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten verpflichtet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Europäischen Union bzw. außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben.178 Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger/Antragsteller nicht innerhalb der Europäischen Union bzw. außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, trägt der Beklagte/Antragsgegner/Streithelfer, der eine Kaution nach § 110 I ZPO verlangt.179 Klagt eine juristische Person oder eine Personenvereinigung, z.B. oHG oder KG, 2004d so ist der Sitz der tatsächlichen Hauptverwaltung (Rz. 2208) – außerhalb des EGund des EWR-Bereichs – entscheidend.180
175 OLG Frankfurt v. 28.9.1972, MDR 1973, 232 = AWD 1974, 53 = IPRspr. 1972 Nr. 134. 176 Art. 16 II und III des VN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen, BGBl. II 1976, 473. 177 Hierzu Schütze, RIW 1999, 10; Schütze, IPRax 2001, 193; Schütze, RIW 2002, 299; Altenkirch, Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten, 2013, 33 ff. 178 Die Neufassung ist ohne Übergangsregelung in Kraft getreten. Sie erfasste auch bereits anhängige Verfahren, BGH v. 13.12.2000 – VIII ZR 260/99, NJW 2001, 1219 = RIW 2001, 369 = IPRspr. 2000 Nr. 106. 179 OLG Hamm v. 12.10.2004 – 29 U 71/04, IPRspr. 2004 Nr. 93. 180 OLG München v. 24.6.2010 – 29 U 3381/09, IPRax 2011, 267 (Schütze 245) = EWiR 2010, 763 (Knöfel) = IPRspr. 2010 Nr. 174. Zur sitzlosen Spaltgesellschaft LG Hamburg v. 13.3.1974, AWD 1974, 410 = IPRspr. 1974 Nr. 135.
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2005 Reformiert wurden auch die Befreiungstatbestände des § 110 II ZPO.181 Danach kann der Beklagte keine Prozesskostensicherheit verlangen182, 1. wenn aufgrund völkerrechtlicher Verträge Sicherheitsleistung ausgeschlossen ist. Auch ohne eine solche ausdrückliche Vorschrift läge der Vorrang der staatsvertraglichen Regelung klar auf der Hand. Während nach dem derzeit noch geltenden Art. 17 des Haager Zivilprozessübereinkommens vom 1.3.1954183 die Befreiung des Klägers/Intervenienten von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung auf Angehörige der Vertragsstaaten beschränkt ist, wird das Benefizium der Inländerbehandlung durch Art. 14 des für Deutschland noch nicht in Kraft getretenen Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 zur Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten (Rz. 244a, 2761) auf alle Personen ausgedehnt, die in einem Vertragsstaat ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit. Art. 9 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.1955184 verbietet die Anordnung einer Sicherheitsleistung für Ausländer aus den anderen Vertragsstaaten unabhängig vom Wohnort des Klägers, nicht jedoch für juristische Personen (Art. 30).185 Weitere Befreiungsklauseln enthalten viele andere Staatsverträge, die Spezialmaterien regeln. So verdrängt z.B. Art. 36 I der Revidierten Rheinschifffahrtsakte (Rz. 1894) § 110 I ZPO. Ebenso Art. 9 II des Übereinkommens vom
181 Gem. § 110 II Nr. 1 ZPO a.F. entfiel die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung bei Verbürgung der Gegenseitigkeit, OLG Hamburg v. 11.9.1986 – 6 U 233/85, TranspR 1987, 69 = IPRspr. 1986 Nr. 44. Es genügte, wenn z.B. dem Kläger in den USA ein Verfahren vor den Federal Courts zur Verfügung steht, in dem er keine Prozesskostensicherheit leisten muss. Dann war die Gegenseitigkeit auch im Verhältnis zu den Staatsgerichten des betreffenden Bundesstaats verbürgt, auch wenn nach dem für diese maßgeblichen Recht eine Sicherheitsleistung verlangt wird. Es reichte mithin aus, dass dem deutschen Kläger ein Verfahren eröffnet ist, in dem er nicht prozesskostenpflichtig ist, auch wenn er in concreto das andere (sicherheitspflichtige) Verfahren gewählt hat, OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, RIW 1997, 960 (Schütze 1039) = IPRax 1998, 474 (Haas/ Stangl 452) = IPRspr. 1997 Nr. 133. Früher waren Klagen im Urkunden- bzw. Wechselprozess (Nr. 2 a.F.) und Klagen aus Rechten, die im Grundbuch eingetragen sind (Nr. 5 a.F.), generell von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung befreit. Diese Befreiungstatbestände wurden gestrichen, um dem Beklagteninteresse den Vorrang einzuräumen (vor dem Interesse an einem beschleunigten Verfahren), BT-Drucks. 13/10871, 18. 182 Die Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit kann nicht umgangen werden durch fraudulöse Abtretung oder Begründung von Schein(wohn)sitzen in der EU bzw. in sonstigen privilegierten Staaten, LG Berlin EWiR 2010, 35 (Knöfel); zurückhaltender LG München I EWiR 2010, 99 (Linnerz). Allerdings ist die Rechtsprechung noch sehr unsicher, Schroeder, IPRax 2011, 58. 183 BGBl. II 1958, 576. 184 BGBl. II 1955, 998. 185 OLG Düsseldorf v. 10.2.1993 – 15 U 146/92, NJW 1993, 2447 = EuZW 1993, 326 = IPRspr. 1993 Nr. 128; OLG Saarbrücken v. 6.10.1995 – Rs. C-323/95, EWS 1996, 76 = IPRspr. 1995 Nr. 136.
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20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland.186 Die Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit kann nicht umgangen werden durch fraudolöse Abtretung oder Begründung von Schein(wohn)sitzen in der Europäischen Union bzw. in sonstigen privilegierten Staaten.187 2. wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten aufgrund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde.188 3. wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten ausreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt. Verringert sich das inländische Vermögen des Klägers nach Beginn des Prozesses, so kann der Beklagte Sicherheit verlangen, soweit das inländische Vermögen nicht (mehr) ausreicht, § 111 ZPO. 4. bei Widerklagen. Ratio legis ist folgende Erwägung: Der Widerkläger hat das Forum nicht gewählt. Die Widerklage ist nur ein qualifiziertes Verteidigungsmittel. Deshalb ist der Widerkläger von der Sicherheitsleistung befreit. Anders ist es jedoch, wenn der Beklagte eine selbständige Klage erhebt, obwohl er Widerklage erheben könnte.189 Auch ist § 110 II Nr. 4 ZPO bei insolventen Widerklägern bzw. deren Insolvenzverwaltern nicht anzuwenden, sofern für Kostenersatz (§§ 91 ff. ZPO) die Masse nicht ausreichend zur Verfügung steht.190 Dies verbieten das GG, die EuGRC und die EMRK.191 Die unbeschränkte Gerichtspflichtigkeit als solche, d.h. sich gegen einen unbegründeten Angriff verteidigen zu müssen, ist per se schon eine schwere Last. Darüber hinaus noch erhebliche Vermögenseinbußen erleiden zu müssen, weil bereits bei Widerklageerhebung feststeht, dass eine Kostenerstattung unrealistisch ist, ist unverhältnismäßig und unzumutbar. Es kann nicht sein, dass jemand, der einen überschaubaren Betrag einklagt, durch eine Widerklage mit einem Gegenstandswert in astronomischer Höhe einem existenzgefährdenden Vermögensverlustrisiko ausgesetzt wird, ohne dass er dagegen irgendetwas unternehmen kann. Sofern man den Schutzbereich der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) als nicht tangiert ansieht, muss jedenfalls der Justizgewährungsanspruch des Widerklägers von Verfassungs wegen bzw. im Lichte des Art. 6 I EMRK und des Art. 47 II EuGRCh ausbalanciert werden gegenüber den Verteidigungsrechten des Widerbeklag-
186 BGBl. II 1959, 149. 187 LG Berlin v. 29.10.2009 – 33 O 433/07, IPRax 2011, 83 = EWiR 2010, 35 (Knöfel); enger (auf zustellungsfähige Adresse abstellend) LG München v. 20.5.2009 – 21 O 12220/08, ZIP 2009, 1979 = NZG 2009, 1239 = EWiR 2010, 99 (Linnerz). Allerdings ist die Rechtsprechung noch sehr unsicher. 188 Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Anh. IV; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 94 ff. 189 Schütze, DIZPR2, Rz. 249. 190 Geimer, GWR 2010, 227; Schütze, IZPR in der ZPO2, § 110 Rz. 18; a.A. OLG München v. 25.2.2010 – 29 U 1513/07, IPRax 2011, 505 (Stadler 480) = GWR 2010, 227 (Geimer) = NZI 2010, 826 = IPRspr. 2010 Nr. 338. 191 Zustimmend Altenkirch, Die Sicherheitsleistung für Prozesskosten, 2013, 142.
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ten; sonst ist das grundrechtlich, unions- u. internationalmenschenrechtlich geschützte Recht des Widerbeklagten auf ein faires Verfahren verletzt. Dieses verbietet eine einseitige Abwälzung der Kostentragungslast auf ihn in den Fällen eines insolventen Widerklägers. Art. 3 I GG untersagt zudem, arme Parteien (§§ 114 ff. ZPO) von nahezu jedem Kostentragungsrisiko freizustellen192, während andere das Kostenersatzrisiko voll trifft. Eine solche typologische Ungleichbehandlung fällt nicht mehr in den Spielraum des Gesetzgebers, der vom GG hingenommen wird.193 5. bei Klagen, die aufgrund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden. Gedacht war an Klagen nach § 957 ZPO im Aufgebotsverfahren. Seit 1.9.2009 ist dieses nunmehr ein Beschlussverfahren nach § 433 ff. FamFG. 6. bei Bewilligung der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe, § 122 I Nr. 2 ZPO, § 76 FamFG. 2006 Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren sind im Ausnahmekatalog des § 110 II ZPO nicht aufgeführt. Da aber die Sicherheitsleistung nur auf Antrag des Beklagten angeordnet wird, kommt bei Erlass einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes ohne mündliche Verhandlung i.d.R. die Anordnung einer Sicherheitsleistung gegen den Antragsteller nicht in Betracht. Etwas anderes gilt, wenn der Antragsgegner eine Schutzschrift eingereicht hat, in der er Sicherheit verlangt.194 Ähnlich ist die Situation im Mahnverfahren. Wenn ein Antrag des Schuldners fehlt, ist eine Sicherheitsleistung des Gläubigers nicht erforderlich. Nach Übergang in das Streitverfahren ist jedoch Sicherheit zu leisten.195 2006a Da im selbständigen Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO grundsätzlich196 keine Kostenentscheidung ergeht und deshalb ein Kostenerstattungsanspruch des Antragsgegners nicht auf dem Spiel steht, besteht eine Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nicht.197 2006b Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel sind aufgrund der einschlägigen Verträge von der Prozesskostensicherheit befreit.198
192 S. auch Schütze, JZ 1995, 238. 193 Art. 99 Abs 1 (b) Schweizer ZPO sieht generell die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung vor, wenn die klagende Partei „zahlungsunfähig erscheint, namentlich wenn gegen sie der Konkurs eröffnet oder ein Nachlassverfahren im Gang ist oder Verlustscheine bestehen.“ Ebenso House of Lords ([1994] 2 All ER 449) in Coppée-Lavalin SA-NV/KenRen; Voest-Alpine AG/Ken-Ren. Details bei Altenkirch, a.a.O., 139 f., 221 ff. 194 OLG Düsseldorf v. 10.2.1993 – 15 U 146/92, NJW 1993, 2447 = EuZW 1993, 326 = IPRspr. 1993 Nr. 128. 195 Schütze, WM 1980, 1438; OLG Köln v. 13.2.1986 – 12 U 179/85, IPRax 1986, 368 (Schütze 350) = NJW 1987, 76 = IPRspr. 1986 Nr. 120. 196 Ausnahme: §§ 97, 494a II ZPO. 197 S. aber § 525 II HGB a.F., der eine Kostenerstattungspflicht stipuliert hatte. 198 Schütze in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1192, sowie II, 1972, 152. Ebenso generell auch für das autonome deutsche Recht, jedoch zu weitgehend OLG Frankfurt v. 19.11.1993 – 27 W 57/93, RIW 1994, 686 = IPRspr. 1993 Nr. 130.
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Der Kläger ist nicht verpflichtet, dem Nebenintervenienten (auf der Beklagten- 2006c seite) Sicherheit zu leisten.199 Über Art und Höhe der Sicherheit entscheidet das Gericht nach freiem Ermes- 2007 sen, § 109 ZPO. Geld ist bei der Gerichtskasse einzuzahlen. Es handelt sich aber nicht um Gerichtskosten; denn § 110 ZPO schützt die gegnerische Partei, nicht den Justizfiskus.200 Eine andere Frage ist, ob der Beklagte vom Kläger/Antragsteller auch insoweit Sicherheit wegen der Gerichtskosten verlangen kann, als er gegenüber der Staatskasse haftet. Diese ist zu bejahen. Siegt der Kläger, so kann er nach Unanfechtbarkeit des Urteils Rückgabe der Sicherheit verlangen, § 109 ZPO. Die – verzichtbare – Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit muss in erster Instanz vor der Verhandlung zur Hauptsache bzw. innerhalb der Klageerwiderungsfrist für alle Instanzen erhoben werden; sie unterliegt der Präklusion nach §§ 283, 296 III, 532 Satz 3 ZPO.201 Über die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung wird im Streitfall durch Zwi- 2008 schenurteil (nicht durch Beschluss)202 entschieden; dieses ist selbständig anfechtbar, sofern das Gericht die Einrede des § 110 ZPO verwirft, § 280 II 1 ZPO. Dagegen kann ein Zwischenurteil, welches der Einrede stattgibt und Sicherheitsleistung anordnet, nicht selbständig angefochten werden, sondern erst das im nachfolgenden Verfahrensabschnitt ergehende Endurteil (§ 113 Satz 2 ZPO).203 Bei Einvernehmen der Parteien (auch über die Höhe) ergeht (nur) Beschluss. Auch dieser ist nicht selbständig anfechtbar. Stellt sich heraus, dass die Voraussetzungen für die Sicherheitsleistung wegge- 2008a fallen sind, z.B. weil während des Prozesses die Voraussetzungen für einen der Befreiungstatbestände des § 110 II ZPO bzw. des § 122 I Nr. 2 ZPO eingetreten
199 Ausnahme bei streitgenössischer Nebenintervention, OLG Hamburg v. 7.9.1989 – 6 U 128/88, NJW 1990, 650 = RIW 1990, 754 = IPRspr. 1989 Nr. 175. 200 OLG Stuttgart v. 28.5.1985 – 8 W 212/85, RIW 1986, 382 = MDR 1985, 1033 = IPRspr. 1985 Nr. 126. Die Überweisung an die Zahlstelle des Prozessgerichts ist daher ungenügend, BGH v. 25.7.2002 – VII ZR 280/01, NJW 2002, 3259. 201 BGH v. 30.6.2004 – VIII ZR 273/03, RIW 2004, 862 (863); OLG Hamburg v. 4.2.1982 – 3 U 136/81, RIW 1983, 124 = IPRspr. 1982 Nr. 133; BGH v. 23.11.1989 – IX ZR 23/89, NJWRR 1990, 378 = MDR 1990, 432 = LM Nr. 12 zu § 112 ZPO = IPRspr. 1989 Nr. 176; OLG Frankfurt v. 26.4.1991 – 20 U 1/91, RIW 1992, 767 = MDR 1992, 188 = IPRspr. 1991 Nr. 161; OLG Stuttgart v. 16.3.1992 – 5 U 47/91, RIW 1993, 421 = IPRspr. 1992 Nr. 175. 202 OLG Oldenburg v. 7.9.2004 – 9 U 45/04, RiW 2005, 149 = OLGR 2004, 594. – Hat das Gericht (fehlerhaft) durch Beschluss statt durch Zwischenurteil entschieden, kann die beschwerte Partei nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz sich Zugang zum Rechtsmittelgericht entweder durch sofortige Beschwerde oder durch Berufung verschaffen. Wurde Beschwerde eingelegt, so ist das Rechtsmittelverfahren nicht im Beschwerde-, sondern im Berufungsverfahren zu führen, OLG Düsseldorf v. 16.2.2010 – 24 U 8/09, NJOZ 2010, 1480. 203 BGH v. 25.11.1987 – IVa ZR 135/86, BGHZ 102, 232, 234 = MDR 1988, 298; OLG Saarbrücken v. 16.9.1998 – 1 U 597/98-109, NJW-RR 1998, 1771 = RIW 1999, 466 = IPRspr. 1998 Nr. 133; OLG Düsseldorf v. 16.2.2010 – 24 U 8/09, NJOZ 2010, 1480.
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sind, kann die Entscheidung geändert werden.204 Vice versa gilt das Gleiche, § 111 ZPO. 2008b Sicherheitsleistung durch Bürgschaft: Eine im EU-Ausland als Zollbürge zugelassene Bank kann bei hinreichendem EU-Auslandsbezug des Rechtsstreits zugelassen werden, wenn sich die Bank in der Bürgschaftsurkunde der Geltung deutschen Rechts und der internationalen Zuständigkeit Deutschlands unterwirft sowie einen in Deutschland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten bestellt.205
XXIV. Prozess- und Verfahrenskostenhilfe 2009 Von ganz entscheidender Bedeutung für einen effektiven Rechtsschutz im internationalen Kontext ist die Prozesskostenhilfe für wirtschaftlich schwache Personen. In diesem Punkt ist § 114 ZPO bzw. § 76 FamFG sehr großzügig. Man gewährt In- und Ausländern Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie im Inland ihren Wohnsitz/Aufenthalt haben.206 Nach § 121 III ZPO kann der im Ausland sich aufhaltenden Partei sogar ein Verkehrsanwalt beigeordnet werden.207 2009a Nur für juristische Personen und parteifähige Vereinigungen mit (tatsächlichem) Verwaltungssitz im Ausland sah das Gesetz Prozesskostenhilfe bisher nicht vor, § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO.208 Dies bedeutet eine Diskriminierung209 von juristischen 204 OLG Hamburg v. 5.2.1991 – 6 W 10/91, RIW 1992, 315 = NJW 1991, 3103 = IPRspr. 1991 Nr. 160. 205 OLG Hamburg v. 4.5.1995 – 5 U 118/93, NJW 1995, 2859 = RIW 1995, 775 = EWS 1995, 280 (Toth) = EWiR 1995, 1035 (Mankowski) = IPRspr. 1995 Nr. 133; OLG Düsseldorf v. 18.9.1995 – 4 U 231/93, RIW 1996, 512 = WM 1995, 1993 = EWS 1996, 187 = WuB VII A. § 108 ZPO Nr. 1.96 (Mankowski) = EWiR 1995, 1139 (Zeller) = WiB 1996, 87 (Ralle) = IPRspr. 1995 Nr. 135. Hierzu ausführlich Fuchs, RIW 1996, 280: Mit Art. 49 ff. EGV (Garantie des freien Dienstleistungsverkehrs) nicht zu vereinbaren wäre die Forderung, der Bürge (§ 239 BGB) müsse im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand haben. Nach Art. 18 der Zweiten BankenrechtskoordinierungsRL 89/646/EWG müssen die Mitgliedstaaten die notwendigen Vorkehrungen treffen, dass die Bankgeschäfte, wie die Übernahme von Bürgschaften, „im Wege des Dienstleistungsverkehrs von jedem Kreditinstitut ausgeübt werden können, das durch die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats gemäß dieser RL zugelassen und kontrolliert wird, soweit die betreffenden Tätigkeiten durch die Zulassung abgedeckt sind.“ Diese (unmittelbar nicht anwendbare) RL ist in Deutschland unzureichend umgesetzt, weil § 239 BGB nicht angepasst worden ist. Überholt OLG Koblenz v. 29.3.1995 – 2 W 105/95, RIW 1995, 775 = EWS 1995, 282 = IPRspr. 1995 Nr. 131. 206 OLG Düsseldorf v. 15.11.1993 – 20 W 67/93, RIW 1994, 879 = MDR 1994, 301 = IPRspr. 1993 Nr. 131. S. auch Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 648. 207 Verneinend für „normales“ Scheidungsverfahren OLG Karlsruhe v. 6.4.1998 – 2 WF 35/98, FamRZ 1999, 304. 208 Jedoch gewähren viele Staatsverträge Prozesskostenhilfe auch für juristische Personen ausländischen Rechts, z.B. Art. 44 EuGVÜ/LugÜ (vgl. auch Art. 50 EuGVVO), Art. 20 HZPÜ, Art. 14 des dt.-brit. Rechtshilfevertrages, Art. 18 des dt.-griech. Rechtshilfevertrages, Art. 17 des dt.-marokk. Rechtshilfevertrages, Art. 5 des dt.-türk. Rechtshilfevertrages. 209 Art. 18 AEUV, Art. 4 EWR-Abkommen.
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Justizgewährungsanspruch
Fünfter Teil
Personen und parteifähigen Vereinigungen aus dem Bereich der Europäischen Union bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum. Daher wurde durch das EGProzesskostenhilfegesetz210 § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO entsprechend ausgeweitet. Darüber hinausgehend plädieren auch juristische Personen und parteifähige Ver- 2009b einigungen aus Drittstaaten, d.h. aus dem Rest der Welt, mit bisher wenig Erfolg auf Gleichstellung unter Berufung auf das Gleichbehandlungsgebot und die Justizgewährungsgarantie des Grundgesetzes (verfassungsrechtliche Ebene, Rz. 250) sowie auf das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) und auf Art. 6 I EMRK, der auch das Recht auf Zugang zu einem Gericht garantiert (internationalmenschenrechtliche Ebene). Gegenüber dem in Strafsachen maßgeblichen Art. 6 III lit. c EMRK ist jedoch der in Zivilsachen aus Art. 6 I EMRK abgeleitete Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe begrenzter, insbes. im Hinblick auf juristische Personen. Die Verwendung öffentlicher Gelder für private Rechtsstreitigkeiten zu kontrollieren und zu limitieren, ist ein legitimes Anliegen. Das Gleiche gilt für die Anwendung des Gegenseitigkeitsprinzips.211 (S. auch Rz. 2949). Deutsche Prozesskostenhilfe wird nur für Verfahren vor deutschen Gerichten 2009c gewährt, also nicht für die Prozessführung im Ausland,212 auch wenn es um die Anerkennung eines deutschen Urteils im Ausland geht.213 Diese Differenzierung ist sachgerecht und mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) zu vereinbaren.214 Prozesskostenhilfe ist auch für die (notwendige) Inanspruchnahme auslän- 2009d discher Rechtshilfe zu gewähren, z.B. für die Zustellung eines deutschen Unterhaltstitels ins Ausland215 oder in den Fällen des § 132 BGB, nicht jedoch für deutscher Rechtshilfehandlungen zur Unterstützung eines ausländischen Gerichtsverfahrens, sofern dies nicht über § 114 ZPO hinaus ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung muss Aussicht auf 2009e Erfolg bieten; sie darf nicht mutwillig erscheinen, § 114 I ZPO. Mutwilligkeit ist immer dann gegeben, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen oder einen billigeren Weg wählen würde, insbes. auch dann, wenn mit Rücksicht auf die kaum bestehenden Aussichten für die Beitreibung des Anspruchs eine nicht die Prozesskostenhilfe beanspruchende Partei von einer Prozessführung absehen würde (Rz. 1094a).216
210 BR-Drucks. 267/04. 211 EGMR v. 22.3.2013 – 19508/07 – Granos Organicos Nacionales S.A./Deutschland Rz. 45 ff., NJW-RR 2013, 1075. 212 Wax in MüKo.ZPO3, § 114 Rz. 27. 213 S. aber z.B. Art. 50 LugÜ, Art. 15 UVÜ 1973, Art. 14 des deutsch-spanischen Vertrages, hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1152, 1194; Baumann in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen, 795.148; Karl in Geimer/Schütze a.a.O., 663.45 ff. Art. 14 Fn. 4. 214 A.A. Bungert, Das Recht ausländischer Kapitalgesellschaften, 1994, 469. 215 LG Freiburg, DAVorm 1985, 345 = IPRspr. 1985 Nr. 131. 216 Daher hat das LG Wuppertal v. 22.1.1985 – 6 T 941/84, Rpfleger 1985, 210 zu Recht PKH abgelehnt, wenn gegen einen in Pakistan lebenden Unterhaltsschuldner ein Titel begehrt wird, dessen Vollstreckung in Pakistan aussichtslos erscheint. So schon OLG
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Fünfter Teil
Justizgewährungsanspruch
2009f In der Europäischen Union wurde die grenzüberschreitende Übermittlung und Bearbeitung von Prozesskostenhilfeanträgen durch die Richtlinie 2002/8/EG vom 27.1.2003217 vereinfacht und beschleunigt. In Deutschland findet man die zur Umsetzung erforderlichen Normen in §§ 1076 ff. ZPO.
XXV. Beratungshilfe 2009g Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nach dem Beratungshilfegesetz vom 18.6.1980218 wird – ebenso wie die Prozesskostenhilfe – auch Ausländern mit Wohnsitz im Ausland gewährt.219 Das Beratungsbedürfnis muss aber in Deutschland zu lokalisieren sein, z.B. Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils im Inland.
XXVI. Einreise 2010 Wenig diskutiert ist die Frage, ob der Kläger Anspruch auf persönliche Anwesenheit vor Gericht hat und daher verlangen kann, dass eine (gegebenenfalls erforderliche) Einreisebewilligung erteilt wird. Ein solcher Anspruch auf Einreise zum Zwecke der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung bzw. zur Beratung mit dem inländischen Anwalt wird mitunter bejaht.220 Das Völkergewohnheitsrecht kennt kein allgemeines Recht auf Einreise in einen fremden Staat.221 (Vgl. auch Rz. 2596). 2011 Die gleiche Problematik taucht auf aus der Sicht des Beklagten. Hier wird die Verweigerung eines Anspruchs auf Einreise noch prekärer. Während der Kläger es sich noch überlegen kann, ob er vor einem deutschen Gericht einen Prozess beginnt, obwohl er keine Möglichkeit hat, persönlich an diesem teilzunehmen, kann man ernsthaft darüber streiten, ob es zulässig ist, dass Deutschland eine im
217 218 219 220 221
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Hamburg v. 15.10.1935, HansRGZ 35 B 584 = IPRspr. 1935, 1944 Nr. 89. Ist nur zweifelhaft, ob Vollstreckung im Ausland möglich ist, muss dem Antrag auf PKH stattgegeben werden, OLG Hamm v. 13.9.1985 – 5 WF 84/83, IPRax 1986, 234 (Böhmer 216) = IPRspr. 1985 Nr. 180; ähnlich OLG Zweibrücken v. 12.2.1999, IPRax 1999, 475 (Mansel). Strenger OLG Celle v. 5.1.1998, IPRax 1999, 171 (Mankowski 155): Es sei mutwillig i.S.v. § 114 ZPO, wenn der im Ausland lebende und dort durch einen Verkehrsunfall geschädigte Kläger PKH für eine Klage gegen den in Deutschland niedergelassenen Versicherer begehrt, anstatt die Klage im Ausland am forum delicti commissi zu erheben. ABl. EG Nr. L 26, S. 41. S. auch Hess, EuZPR, 2010, § 8 Rz. 63, S. 476. BGBl. I 1980, 689. BVerfG v. 20.8.1992 – 2 BvR 1712/89, NJW 1993, 383. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 1 Rz. 30, § 5 Rz. 10; skeptisch aber Gottwald noch in Habscheid/Beys, Grundfragen des Zivilprozessrechts, 1991, 29. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, § 1210; weitere Nachw. z.B. bei Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht. Überlegungen zu den völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einer europäischen Asylrechtsharmonisierung, 1997, 35, 191.
Justizgewährungsanspruch
Fünfter Teil
Ausland wohnhafte Person im Inland zwar gerichtspflichtig macht (Rz. 1193), ihr aber die Möglichkeit verwehrt, persönlich vor Gericht anwesend zu sein. Beispiel: Ein deutscher Ehemann beantragt bei einem deutschen Amtsgericht die Scheidung von seiner ausländischen Frau (Nicht-EU-Angehörige). Daraufhin hat die deutsche Ausländerbehörde die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert.222
Jedenfalls garantiert Art. 7 HBÜ die Teilnahme der Parteien und ihrer Vertreter an der Beweisaufnahme vor deutschen Rechtshilfegerichten (Rz. 2511). Daraus folgt auch ein Anspruch auf Einreise.223 Fraglich ist, ob ein solcher auch aus den Inländergleichbehandlungsklauseln (Rz. 390, 1921) abzuleiten ist.
XXVII. Sicheres Geleit Das deutsche Gericht kann sicheres Geleit (§ 295 StPO) anordnen (Rz. 2390). Ein 2012 genereller Anspruch von Parteien und Dritten (Zeugen, Sachverständigen) hierauf besteht jedoch nicht.224 Nach ihrer Einreise unterliegen sie den allgemeinen Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland. Es können an sie (persönliche) Zustellungen durchgeführt werden, sie können wegen anderer Streitgegenstände mit persönlichem Arrest belegt werden; es können auch strafrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem anhängigen Rechtsstreit oder wegen anderer Komplexe gegen sie eingeleitet werden (z.B. wegen Falschaussage, Prozessbetrug etc.).225 Wenn und solange sich jemand allein im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren (solely on business with the court) in den USA aufhält, ist er gegen die Zustellung einer sub poena in einem anderen Verfahren immun.226 Eine solche Regel kennt das deutsche Recht nicht.
XXVIII. Rechtshilfe Unter dem Stichwort „Justizgewährung“ wird i.d.R. nur über die Frage dis- 2013 kutiert, ob durch inländische Gerichte in der Sache („on the merits“) Rechtsschutz gewährt wird, d.h. ob
222 Anders BVerwG v. 21.5.1985 – 1 C 36/82, NJW 1985, 2099 für Ehegatten mit Staatsangehörigkeit eines EG-Mitgliedstaates (vor Herstellung der vollkommenen Freizügigkeit in der EU): Diese seien bis zur Rechtskraft der Scheidung zu einem weiteren Aufenthalt berechtigt. 223 Besonders deutlich Art. 11 HZPÜ: Benachrichtigung von Zeit und Ort der mündlichen Verhandlung, „damit die beteiligte Partei ihr beizuwohnen in der Lage ist“. 224 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 11; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 294. Weitere Nachw. bei G. M. Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts, 2006, 193 ff. 225 BGH v. 24.2.1988 – 3 StR 476/87, MDR 1988, 598. 226 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 158 Fn. 77.
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Fünfter Teil
Justizgewährungsanspruch
– im Erkenntnisverfahren über das Bestehen/Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses eine Feststellung getroffen wird und eventuell zur Leistung verurteilt wird, oder – ein Rechtsverhältnis durch Richterspruch gestaltet wird oder – im Vollstreckungsverfahren ein inländischer oder im Inland für vollstreckbar erklärter ausländischer Vollstreckungstitel (Rz. 3100) durchgesetzt wird, nicht jedoch, ob die deutschen Justizorgane für einen im Ausland anhängigen Prozess Hilfestellung gewähren. Aus kosmopolitischer Sicht (Weltrechtspflege) kann man jedoch unter Justizgewährung im weiteren Sinne auch die Rechtshilfe deutscher Justizorgane für Verfahren vor ausländischen Gerichten begreifen. Dabei wäre es eine unzulässige Verengung, wenn man die Perspektive darauf beschränken würde, dass hier Deutschland „ausländischen Staaten“ Rechtshilfe gewährt. Es geht vielmehr darum, die Aufgaben und Ziele des Zivilprozesses nicht an den nationalen Grenzpfählen enden zu lassen; es sollte also der Gedanke im Vordergrund stehen, dass die inländischen Justizorgane mithelfen, Wahrheitsfindung und Befriedung (ut sit finis litium) auch an anderen Punkten der Erde zu ermöglichen. Diesen Zwecken dient es z.B., wenn deutsche Justizorgane Zustellungen für ausländische Gerichte vornehmen oder Beweiserhebungen durchführen.227 2014 Diese Betrachtungsweise ist aber aus der Sicht der kontinentaleuropäischen Staaten erschwert durch eine starke Hervorhebung von Souveränitätsgesichtspunkten. Während es aus der Sicht der common law-Staaten keineswegs anstößig ist, dass ausländische Gerichte auf ihrem Territorium Zustellungen veranlassen (Rz. 414) und selbst oder durch commissioners (Rz. 458, 2426) Beweiserhebungen durchführen, wird in Deutschland und in den meisten europäischen Staaten die Auffassung vertreten, hier liege hoheitliches Handeln ausländischer Staatsorgane vor und damit ein Eingriff in die Souveränität des Staates, auf dessen Territorium diese Handlungen vorgenommen werden. 2015 Die Gewährung deutscher Rechtshilfe ist nicht davon abhängig, dass der ausländische Staat, dessen Gericht um Rechtshilfe ersucht, aus deutscher Sicht international zuständig ist228 und dass die Anerkennungsprognose positiv ist,229 dass also die vom ausländischen Gericht zu erlassende Entscheidung voraussichtlich anerkannt wird.230 Die Rechtshilfe wird isoliert und „wertneutral“ gewährt. Die Teleologie des ausländischen Verfahrens bleibt außer Betracht.
227 Vgl. auch Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 73 Rz. 100: „Eine besonders qualifizierte Form der internationalen Zusammenarbeit stellt die internationale Rechtshilfe dar. Sie bedeutet Förderung eines ausländischen Untersuchungs- oder Gerichtsverfahrens durch die Tätigkeit inländischer Behörden“. 228 Zustimmend Nagel/Gottwald, IZPR7, § 7 Rz. 20. 229 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 271; Witte, Der US-amerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 175; Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 7 Fn. 25. 230 Vgl. Art. 4, 11 III HZPÜ, Art. 13 HZÜ, Art. 12 HBÜ. Hierzu Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 61, 188; Nagel, IPRax 1984, 240 Fn. 5; Junker, Discovery
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Justizgewährungsanspruch
Fünfter Teil
Die deutsche Rechtshilfe wird nicht als Beihilfe“231 zu einem aus deutscher Sicht unzulässigen oder unerwünschten ausländischen Verfahren“ gesehen; daher ist Rechtshilfe nicht zu verweigern, wenn der ersuchende Staat aus deutscher Sicht international unzuständig ist, ja auch dann,232 – wenn die Bundesrepublik Deutschland eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht oder aus ihrer Sicht ein dritter Staat ausschließlich international zuständig ist; – wenn das Gerichtsverfahren im ersuchenden Staat dem deutschen Recht völlig wesensfremd ist, Art. 12 II 2. Hs. HBÜ: „Die Erledigung darf nicht deswegen abgelehnt werden, weil der ersuchte Staat … ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für welches das Ersuchen gestellt wird“;233 – wenn abzusehen ist, dass das ausländische Verfahren zu einer Entscheidung führen wird, die mit dem deutschen ordre public nicht zu vereinbaren ist, Rz. 2487, 2756; – wenn in der gleichen Sache bereits im Inland eine Entscheidung ergangen ist oder in einem dritten Staat und diese im Inland anzuerkennen ist. Auf das Tätigwerden der deutschen Justizorgane zum Zwecke der Rechtshilfe 2016 haben nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht ausländische Staaten keinen Anspruch.234 Ein völkerrechtlicher Anspruch besteht nur nach Maßgabe der geltenden Staatsverträge. Das Gleiche gilt für den in concreto Betroffenen, also denjenigen, der an der Durchführung der Rechtshilfebehandlung ein Interesse hat (denkbar wäre allenfalls ein aus einem Menschenrecht fließendes Recht, Rz. 151). Auch das innerstaatliche Recht gewährt keinen Anspruch.235 Der Betroffene hat allenfalls einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, die nach §§ 23 ff. EGGVG überprüfbar ist (Rz. 3637). Hinzu kommt, dass die Effektivität der Rechtshilfe mitunter an Grenzen stößt. 2017 Es kann z.B. eine Zustellung oder Beweiserhebung gegenüber einer hierzu nicht bereiten Person nur durchgeführt werden, wenn eine gesetzliche Grundlage be-
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im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 271 Fn. 111. Weitere Nachw. bei Brand, NJW 2012, 1116 (1117); Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens, 2010. Zum völkerrechtlichen Beihilfebegriff s. Art. 16 der Resolution 56/83 v. 12.12.2001 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit, angenommen durch die Resolution des Generalversammlung, in deutscher Sprache abgedruckt bei Neuhold/Hummer/Schreuer, Österr. Handbuch des Völkerrechts4, Bd. II D 325 S. 511. S. auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 176, 192, 203. Junker, a.a.O., S. 268. Junker, a.a.O., S. 270 Fn. 106. Nachw.: Harvard Law School, AmJ IntL 33 (Supp 1939), 43. Zustimmend Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 81.
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Fünfter Teil
Justizgewährungsanspruch
steht. Solche Gesetze wurden jedoch nur zur Ausführung der Staatsverträge erlassen. Im vertragsfreien Raum besteht also keine gesetzliche Handhabe für Zwangsmaßnahmen gegen einen nicht bereiten Zustellungsadressaten, Zeugen oder Sachverständigen (Rz. 2151, 2321, 2445). 2018–2070 Einstweilen frei
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Sechster Teil: Internationales Zustellungsrecht Literatur: Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 295 ff.; Amiel, Recent Developments in the Interpretation of Article 10 (a) of the Hague Convention on the Service Abroad of Judicial and Extrajudicial Documents in Civil or Commercial Matters, Suffolk Transnational Law Revue 24 (2001), 387; Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweizerischem Recht, 2007, 179 ff.; Bernasconi, Provisional Version of the new Practical Handbook on the operation of the Hague Convention of 15 November 1965 on the service abroad of judicial and extrajudicial documents in civil or commercial matters, Preliminary Document No. 1 of July 2003 for the attention of the Special Commission of October/November 2003, ftp://ftp. hcch.net/doc/lse_pd01e.pdf; Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 1997; Breitenmoser/Ehrenzeller (ed.), Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009; Campbell/Cotter, Serving Process and Obtaining Evidence abroad, The Comparative Law Yearbook of International Business, Special Issue, 1998; von Dannwitz, Verfassungsfragen des deutsch-amerikanischen Rechtsverkehrs, DÖV 2004, 501; Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozessrechts unter verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekten, 1996; Fritz, Punitive/exemplary damages in den USA und ihre Qualifikation als Zivilsache, 2004; Gauthey/Markus, L’entraide judiciaire internationale en matière civile, 2014; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Gottwald, Sicherheit vor Effizienz? – Auslandszustellung in der Europäischen Union, in Festschrift Schütze, 1999, 225; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung – Die inländische Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsentscheidungen mit ausländischem Leistungsort, 2010, 219 ff.; Heß, Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, NJW 2001, 15; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat – Die Zustellung einer US-amerikanischen class action in Deutschland, 2006; Koch/Horlach/Thiel, US-Sammelklage gegen deutsches Unternehmen? – „Napster“ und die bittere Pille danach, RIW 2006, 356; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung: Eine Untersuchung zu den Chancen und Risiken „grenzüberschreitender“ Vollstreckungsmaßnahmen in Forderungen und sonstige Vermögensrechte unter besonderer Berücksichtigung der VO (EG) Nr. 1348/2000 und des Zustellungsreformgesetzes, Diss. Saarbrücken 2004, 275 ff.; Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung in Gottwald, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht, Bd. 10, 1999, 95 ff.; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 17; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 99 ff.; Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impre759
Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
sa/Europa XII (2007), 613, 644 ff.; Manteuffel, Zustellung von Klageschriften von Deutschland in die USA – Service of Process from the USA to Germany, IDR 2005, 37; Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“ – Klagen, 1995; Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971; Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens – zugleich ein Beitrag zum Deutsch-Amerikanischen Justizkonflikt, 2010; Otto, Der prozessuale Durchgriff – die Nutzung forumansässiger Tochtergesellschaften in Verfahren gegen ihre auswärtigen Muttergesellschaften im Recht der USA, der Europäischen Gemeinschaften und der Bundesrepublik Deutschland, zugleich ein Beitrag im Justizkonflikt mit den USA, 1993, 157; Otto, Tücken der Zustellung im internationalen Rechtsverkehr – Rechtsstaatlicher Schutz vor Schikane und Rechtsmissbrauch, in Festschrift Birk, 2008, 575; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen, 1987; Pfennig, Die internationale Zustellung, 1988; RasmussenBonne, The Pendulum swings back: The Cooperative Approach of German Courts to International Service of Process, in Liber Amicorum Tibor Várady, 2009, 231; Reisenhofer, Die Zustellung fremdsprachiger Schriftstücke im Zivilverfahren, in Clavora/Garber (ed.), Sprache und Zivilverfahrensrecht, 2013, 105 ff.; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 240 ff.; H. Roth, Heilung von Zustellungen im internationalen Zivilrechtsverkehr, in Festschrift Walter Gerhardt, 2004, 799; Sauerwein, Die Anwendung moderner Kommunikationstechnologie im nationalen und internationalen Zivilverfahrensrecht, Diss. Konstanz 2002; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, 2011, Rz. 90 ff.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht6, 2014, Rz. 655 ff.; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 89 ff.; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 202; Schütze, Übersetzungen im europäischen und internationalen Zivilprozessrecht – Probleme der Zustellung, RIW 2006, 352; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, 2009, Rz. 233 ff.; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009; Sengstschmid in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österr.) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, § 38 JN; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 49 ff.; Strasser, Die Inlandszustellung an Auslandsgesellschaften, ZIP 2008, 2111; Stroschein, Parteizustellung im Ausland – Eine systemvergleichende Untersuchung des Gemeinschafts- und Staatsvertragsrechts unter Einbeziehung des deutschen, französischen, englischen und US-amerikanischen Rechts, 2008; Stroschein, Parteizustellung im im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, DJAV 2009, 170; Rolf Stürner/Therese Müller, Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2008, 339; Wiehe, Zustellungen, Zustellungsmängel und Urteilsanerkennung am Beispiel fiktiver Inlandszustellungen in Deutschland, Frankreich und den USA, 1993; Wilske/Krapfl, Zur Qualität von Übersetzungen bei Zustellung ausländischer gerichtlicher Schriftstücke, IPRax 2006, 10; Zeidler, Can Service of Process of a U.S. Complaint on a Defendant in Germany Be Prevented?, Lessons from the Bertelsmann Decision, IDR 2005, 40.
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Literatur
Sechster Teil
Literatur zur EU-Zustellungsverordnung: Bajons, Internationale Zustellung und Recht auf Verteidigung, in Festschrift Schütze, 1999, 49; Marie Odile Baur, Erläuternder Bericht zum Europäischen Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EZÜ), ABl. EG Nr. C 261 vom 27.8.1997, S. 26; Brenn, Europäische Zustellungsverordnung, 2002; Fabian, Die europäische Mahnverfahrensverordnung im Kontext der Europäisierung des Prozessrechts, 2010; Frauenberger-Pfeiler, Das neue Zustellrecht aus österreichischer Sicht in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich II – 10 Jahre nach dem Vertrag von Amsterdam, 2009, 89; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 298 ff.; Gottwald, Sicherheit vor Effizienz? – Auslandszustellung in der Europäischen Union in Zivil- und Handelssachen, in Festschrift Schütze, 1999, 228; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung – Die inländische Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsentscheidungen mit ausländischem Leistungsort, 2010, 219 ff.; Gsell, Direkte Postzustellung an Adressaten im EU-Ausland nach neuem Zustellungsrecht, EWS 2002, 115; Hausmann, Auslegungsprobleme der Europäischen Zustellungsverordnung, EuLF II 2007, 1; Hausmann, Problems of interpretation regarding the European Regulation on Service, EuLF I 2007, 8; Heckel, Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug – Rückwirkungen des europäischen Zustellungsrechts auf das nationale Recht, IPRax 2008, 218; Heiderhoff, Keine Inlandszustellung an Adressaten mit ausländischem Wohnsitz mehr?, EuZW 2006, 235; Heidrich, Amts- und Parteizustellungen im internationalen Rahmen: Status quo und Reformbedarf, EuZW 2005, 743; Heß, Die Zustellung von Schriftstücken im Europäischen Justizraum, NJW 2001, 15; Heß, Neues deutsches und europäisches Zustellungsrecht, NJW 2002, 2417; Heß, Rechtspolitische Überlegungen zur Umsetzung von Art. 15 der Europäischen Zustellungsverordnung – VO (EG) Nr. 1393/2007, IPRax 2008, 477; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 8 Rz. 1, S. 443; Jastrow, Auslandszustellung im Zivilverfahren – Erste Praxiserfahrungen mit der EG-Zustellungsverordnung, NJW 2002, 3382; Jastrow, Europäische Zustellung und Beweisaufnahme 2004 – Neuregelungen im deutschen Recht und konsularische Beweisaufnahme, IPRax 2004, 2; Jastrow in Gebauer/Wiedmann (ed.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss – Die richtlinienkonforme Auslegung des BGB und anderer Gesetze – Erläuterung der wichtigsten EG-Verordnungen, 2005, Kap. 28 (S. 1269 ff.): Europäische Zustellungsverordnung; Kenneth, Enforcement of Judgments in Europe, 2000, 201; Kondring, Voraussetzungen, Wirkung, Wirksamkeit und Rechtswirkung der Zustellung: Eine scheinbar babylonische Begriffsverwirrung um das auf die internationale Zustellung anwendbare Recht. Zugleich ein Beitrag zur entgegenstehenden Rechtshängigkeit, IPRax 2007, 138; Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich, Diss. Passau 2007, 129 ff.; de Lind van Wijngaarden-Maack, Internationale Zustellung nach der EuZVO und internationale Zuständigkeit bei Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Exklusivvertriebsvertrages, IPRax 2004, 212; Lindacher, Europäisches Zustellungsrecht – Die VO (EG) Nr. 1348/2000 – Fortschritt, Auslegungsbedarf, Problemausblendung, ZZP 114 (2001), 179; Linke, Probleme der internationalen Zustellung in Gottwald (ed.), Grundfragen der Ge761
Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
richtsverfassung, 1999, 95; Linke, Europäisches Zustellungsrecht, ERA Forum 2005, 205; Mankowski, Übersetzungserfordernisse und Zurückweisungsrecht des Empfängers im europäischen Zustellungsrecht – Zugleich ein Lehrstück zur Formulierung von Vorlagefragen, IPRax 2009, 180; J. Meyer, Europäisches Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, IPRax 1997, 401; Micklitz/Rott, Vergemeinschaftung des EuGVÜ in der VO (EG) Nr. 44/2001, EuZW 2001, 325 und EuZW 2002, 15, 19; Möller, Auslandszustellung durch den Gerichtsvollzieher, NJW 2003, 1571; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7, 2013, § 8 Rz. 54 ff.; Panzarola, La notificazione degli atti giudiziarie ed extragiudiziali negli Stati membri dell’ Unione Europea, Le nuove Legge Civili 23 (2000), 1161; Schack, Einheitliche und zwingende Regeln der internationalen Zustellung, in Festschrift Geimer, 2002, 931; englische Version: Schack, Transnational Service of Process: a Call for uniform and Mandatory Rules, Rev. dr. unif. 2001, 827; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht6, 2014, Rz. 656; Holger Schmidt, Parteizustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein – Ein gangbarer Weg? – Anmerkungen zum neuen Zustellungsrecht und dem EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz, IPRax 2004, 13; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 91 ff.; Sengstschmid in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österr.) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, § 38 JN; Sharma, Zustellungen im Europäischen Binnenmarkt, 2003; Springer, Die direkte Postzustellung gerichtlicher Schriftstücke nach der europäischen Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1348/2000, 2008; Stadler, Neues europäisches Zustellungsrecht, IPRax 2001, 514; Stadler, Die Reform des deutschen Zustellungsrechts und ihre Auswirkungen auf die internationale Zustellung, IPRax 2002, 471; Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 190 ff.; Stadler in Musielak, Zivilprozessordnung6, 2008, Texte zum europäischen Prozessrecht Anh. 1, S. 2811 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 20 ff.; Tarko, Ein Europäischer Justizraum: Errungenschaften auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, ÖJZ 1999, 401; Tarko, Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union, 2001; Tarko, Die EU als einheitlicher Justizraum: Errungenschaften auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in Barrett (ed.), Creating a European Judicial Space – Die Schaffung eines europäischen Justizraumes – Perspectives d’amélioration dans la coopération judiciaire en matière civile dans l’Union européenne, 2001, 17. Das österr. Bundesministerium für Justiz hat am 23.4.2001 einen „Einführungserlass“ bekannt gegeben (österr. JABl. 2001/17, 77), abgedruckt auch bei Brenn, a.a.O., 161.
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Rechtsquellen
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1. Kapitel: Rechtsquellen I. Völkerrechtliche Verträge 1. Haager Übereinkommen 1954 (HZPÜ) Im Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 über den Zivilprozess1 (HZPÜ) sind 2071 Art. 1–7 einschlägig.2 Die Vorschriften kommen derzeit noch zur Anwendung für Zustellungen aus Deutschland nach Kirgisistan, Libanon, Suriname, Usbekistan, Vatikan und vice versa. Im Verhältnis zu Island ist allerdings noch das Vorgängerübereinkommen vom 17.7.19053 anzuwenden. 2. Haager Übereinkommen 1965 (HZÜ) Das Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher 2072 und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen4 (HZÜ) soll hinsichtlich der internationalen Zustellungen (Art. 1–7 HZPÜ) das HZPÜ ablösen, Art. 22 HZÜ.5 Das HZÜ ist für Deutschland seit 26.6.1979 in Kraft.6 Es ist derzeit relevant für Zustellungen aus Deutschland nach Ägypten, 1 BGBl. II 1958, 576. Hierzu z.B. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 8 Rz. 1142 ff. und Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 81 ff. 2 Hierzu OLG München v. 22.6.1972, NJW 1972, 2186 = IPRspr. 1972 Nr. 157. Das HZPÜ ist in Deutschland in Kraft seit 1.1.1960 (BGBl. II 1959, 1388), und gilt im Verhältnis zu Ägypten, Argentinien, Armenien, Belarus, Belgien, Bosnien und Herzegowina, China, Dänemark, Finnland, Frankreich, Israel, Italien, Japan, ehemaliges Jugoslawien, Kirgisistan, Kroatien, Lettland, Libanon, Luxemburg, Marokko, Mazedonien, Republik Moldau, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Schweden, Schweiz, Serbien und Montenegro, Slowakei, Slowenien, Spanien, Suriname, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Usbekistan, Nachfolgestaaten der UdSSR (Einzelheiten im Verhältnis zu GUS-Staaten s. BGBl. II 1993, 1936 ff.), Vatikanstadt und Zypern. Mit folgenden Staaten wurden (insbesondere den Übermittlungsweg vereinfachende) Zusatzabkommen geschlossen: Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Marokko, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden und mit der Schweiz. 3 RGBl. 1909, 409. Hierzu deutsches Ausführungsgesetz v. 5.4.1909, RGBl. 430. 4 BGBl. II 1977, 1453. Nachw. hierzu z.B. auch bei Nagel/Gottwald, IZPR7, § 8 Rz. 85 ff. 5 Hierzu Hollmann, RIW 1982, 784; Wölki, RIW 1985, 530; Böckstiegel/Schlafen, NJW 1978, 1073. 6 BGBl. II 1979, 779; BGBl. II 1980, 1281. Vertragsstaaten sind: Ägypten, Albanien, Antigua und Barbuda, Argentinien, Armenien, Australien, Bahamas, Barbados, Belarus, Belgien, Belize, Bosnien-Herzegowina, Botswana, Bulgarien, China, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Kroatien, Kuweit, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malawi, Malta, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Moldau, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, San Marino, Schweden, Schweiz, Serbien, Seychellen, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, St. Vincent und die Grenadinen, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Venezuela, USA, Vereinigtes Königreich und Zypern. Literaturnachweise z.B. bei Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 644 ff.
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Albanien, Antigua und Barbuda, Argentinien, Armenien, Australien, Bahamas, Barbados, Belize, Bosnien und Herzegowina, Botsuana, China, Indien, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Kuweit, Malawi, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Moldau, Monaco, Montenegro, Norwegen, Pakistan, Russische Föderation, San Marino, Schweiz, Serbien, Seychellen, Sri Lanka, St. Vincent und die Grenadinen, Türkei, Ukraine, Venezuela, USA, Weißrussland und vice versa. 3. Bilaterale Rechtshilfeverträge 2073 Solche bestehen mit Griechenland, Tunesien, der Türkei, dem Vereinigten Königreich (das deutsch-britische Abkommen gilt auch für viele Staaten des ehemaligen Commonwealth of Nations).7 Die Verträge mit Griechenland und dem Vereinigten Königreich werden jedoch durch die EU-Zustellungsverordnung (Art. 20) überlagert. Das deutsch-britische Rechtshilfeabkommen vom 20.3.1928 hat jedoch weiterhin Bedeutung für Zustellungen nach Australien, Bahamas, Barbados, Dominika, Fidschi, Gambia, Grenada, Jamaika, Kanada, Lesotho, Malawi, Malaysia, Mauritius, Nauru, Neuseeland8, Nigeria, Salomonen, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Swasiland, Tansania, Trinidad und Tobago und vice versa. Dies gilt auch insoweit, als diese aus dem ehemaligen British Empire bzw. Commonwealth of Nations hervorgegangenen Staaten das Haager Zustellungsübereinkommen (Rz. 2072) in Kraft gesetzt haben, Art. 25 HZÜ. 4. Europäische Menschenrechtskonvention 2074 Bajons9 leitet aus Art. 6 I EMRK, der effektiven Rechtsschutz garantiert, eine völker(vertrags)rechtliche Pflicht zur Rechtshilfe ab. Ob sich diese Ansicht durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Im Ergebnis würde der Regelungsspielraum der Vertragsstaaten der EMRK beim Abschluss von Rechtshilfeverträgen erheblich eingeschränkt, Rz. 2374.10 (S. auch Rz. 246w).
II. Recht der Europäischen Union 1. Zustellungsverordnung VO (EG) Nr. 1393/2007 2074a Die VO (EG) Nr. 1348/2000 vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitglied-
7 Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 100 ff. Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich hat die EUZustVO Vorrang, Art. 20. S. auch Rz. 2370 sowie Nagel/Gottwald, IZPR7, § 8 Rz. 158 ff. 8 OLG Frankfurt v. 8.2.2010, IPRspr. 2010 Nr. 257. 9 Bajons, Zivilverfahren, 1991, Rz. 31 sowie in Fasching, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen2, 1. Bd. 2000, § 38 JN Rz. 2. Hierzu z.B. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 206, 211. 10 Skeptisch auch Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 81 Fn. 5.
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staaten11 und deren Nachfolgerin, die VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 (EuZustVO)12 (Rz. 245c), sind keine eigenständigen Schöpfungen; sie lehnen sich stark an die Regelungen des Haager Zustellungsübereinkommens (Rz. 2072) an. Sie bringen daher keinen Durchbruch in Richtung Harmonisierung des Zustellungsrechts in der Europäischen Union. Insbes. wurde das aus dem Blickwinkel des Art. 6 I EMRK bzw. des Art. 47 II EuGrundrechtecharta äußerst bedenkliche, aber im romanischen Rechtskreis sehr verbreitete System der remise au parquet (Rz. 2093) nicht beseitigt.13 Auch die öffentliche Zustellung nach § 185 ZPO bleibt weiterhin zulässig.14 Allerdings will der EuGH aus der Verordnung herauslesen, dass fiktive Inlandszustellungen in ihrem geografischen Anwendungsbereich verboten sind.15 Daher sei nach h.M. (Rz. 2082) § 184 ZPO gegenüber Zustellungsadressaten im geografischen Anwendungsbereich der Verordnung nicht mehr anzuwenden. Dies folgerte der BGH16 schon aus § 183 V ZPO. Diese Vorschrift dient aber nur der Klarstellung. Der deutsche Gesetzgeber wollte damit keinesfalls § 184 ZPO ausschließen.17 2. Vollstreckungstitelverordnung VO (EG) Nr. 805/2004 Die VO (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen 2074b Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO; Rz. 245c) stipuliert ein eigenständiges Zustellungssystem. Dieses verdrängt aber nicht das nationale Zustellungsrecht, denn es enthält keine „Befolgungsnormen“, sondern
11 ABl. EG Nr. 2000 Nr. L 160, S 37. Hierzu G. Geimer, Neuordnung des int. Zustellungsrechts, 1999, 298 ff.; Heß, NJW 2001, 15 (19); Jastrow, NJW 2002, 3382; Jastrow, IPRax 2004, 11; Lindacher, ZZP 114 (2001), 179. 12 ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. 13 Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig, EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-522/03 – Scania, NJW 2005, 3627 = RIW 2005, 940 = IPRax 2006, 157 (Stadler 116); EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-325/11 – Alder/Orlowski, NJW 2013, 443. Unter Hinweis auf diese Urteile wird auch die weitere Anwendbarkeit von § 184 ZPO im Anwendungsbereich des europ. Unionsrechts verneint, Rz. 2082. 14 EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-292/10 – G/de Visser – Rz. 56, EuZW 2012, 381 = IPRax 2013, 341 = GRUR Int 2012, 544 = MMR 2012, 560; OLG Koblenz v. 27.5.2010 – 2 U 790/09, NJOZ 2010, 1937 = IPRspr. 2010 Nr. 249. 15 EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-325/11 – Alder/Orlowski, NJW 2013, 443 = EuZW 2013, 187 = IPRax 2013, 157 (Heinze 132); hierzu Hau/Eichel, GPR 2012, 94 (101); Strasser, Rpfleger 2013, 585; Sujecki, EuZW 2013, 408 (409). Zu Recht kritisch Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2013, 1 (28): „Selbstermächtigung durch Uminterpretierung eindeutiger Vorschriften“. S. auch Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 79a. 16 BGH v. 2.2.2011 – VIII ZR 190/10, NJW 2011, 1885 = LMK 2011, 317529 (Heiderhoff) = IPRspr. 2011 Nr. 252; BGH v. 11.5.2011 – VIII ZR 114/10, MDR 2011, 1064 = NJW 2011, 2218 = RIW 2011, 544. Kritisch Sujecki, EuZW 2012, 327 (329). 17 Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 79a; zustimmend Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 245. A.A. Hüßtege, IPRax 2009, 321 (323).
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nur „Beurteilungsnormen“: Nur wenn die Voraussetzungen der Art. 12 ff. der Verordnung vorliegen bzw. deren Kautelen eingehalten sind, kann der nationale Vollstreckungstitel zu einem „europäischen Vollstreckungstitel“ avancieren (Rz. 2944, 3186). 3. Mahnverfahrensverordnung VO (EG) Nr. 1896/2006 2074c Die VO (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO, Rz. 245c) geht schon einen Schritt weiter: Der Europäische Zahlungsbefehl ist gem. Art. 12 V EuMahnVO dem Antragsgegner gemäß den nationalen Rechtsvorschriften in einer Weise zuzustellen, die den Mindestvorschriften der Art. 13, 14 und 15 EuMahnVO genügen muss. Im Unterschied zur EuVTVO kommen die europäischen Zustellungsregeln nicht erst in einem nachgelagerten Bestätigungsverfahren zur Anwendung (wenn das Erkenntnisverfahren nach nationalem Zustellungsrecht bereits „gelaufen“ ist), sondern bereits in dem besonderen (nach der EuMahnVO organisierten) Erkenntnisverfahren. Das Gericht muss nach seinem nationalen Recht einen Zustellungsweg wählen, der mit Art. 13 ff. EuMahnVO konform ist.18 So ist eine öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) bei unbekanntem Aufenthaltsort des Antragsgegners ausgeschlossen, Erwägung 19, Art. 14 II EuMahnVO, § 1089 I 2 ZPO. 4. Bagatellverfahrensverordnung VO (EG) Nr. 861/2007 2074d Die VO (EG) Nr. 861/2007 vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuBagatellVO; Rz. 245c) greift ganz offen in das nationale Recht ein.19 Art. 13 etabliert ein eigenes Zustellungsregime: „Unterlagen“ werden durch Postdienste mit Empfangsbestätigung zugestellt. Ansonsten kann die Zustellung nach den Regeln der Art. 14 und 15 EuBagatellVO zugestellt werden. 5. Unterhaltsverordnung VO (EG) Nr. 4/2009 2074e Die VO (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUnterhVO; Rz. 245c) bringt keine Mindeststandards nach dem Muster der Art. 13 ff. EuVTVO.20
18 Kodek in Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 570, 135 – Art. 13 EuMahnVO Rz. 1 ff.; Kormann, Das neue Europ. Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Dt. und Österr., 2007, 129 ff.; Frauenberger-Pfeiler, Das neue europ. Zustellungsrecht aus österr. Sicht in König/Mayr, EuZVR in Österr. II, 2009, 89, 90. 19 Hess, EuZPR, 2010, § 3 Rz. 71, S. 119. 20 Der Vorschlag der Kommission zu einer ausführlichen Regelung der Zustellungsfragen in Art. 22 wurde nicht akzeptiert. Hierzu Hess, EuZPR, 2010, § 7 Rz. 105, S. 430.
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6. Erbrechtsverordnung VO (EU) Nr. 650/2012 Die VO (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwen- 2074f dende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses21 widmet dem Komplex Zustellung wenig Beachtung. Art. 67 II dekretiert lapidar: „Die Ausstellungsbehörde unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Berechtigten von der Ausstellung des Zeugnisses zu unterrichten“. 7. Kontenpfändungsverordnung VO (EU) Nr. 655/2014 Die VO (EU) Nr. 655/2014 vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für ei- 2074g nen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen22 (Rz. 1884d, 3198) verweist in Art. 48 (a) zwar grundsätzlich auf die EuZustVO, sieht aber einige Modifikationen vor, z.B. für die Zustellung des Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung an den Schuldner (Art. 28). So verlangt Art. 29 nur „Übermittlung mit geeigneten Mitteln“, die die „mühelose“ Lesbarkeit des übermittelten Schriftstücks gewährleisten. 8. Gewaltschutzverordnung VO (EU) Nr. 606/2013 Sedes materiae ist Art. 8 II der VO (EU) Nr. 606/2013 vom 12.6.2013 über die ge- 2074h genseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen:23 „Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz im Ursprungsmitgliedstaat, so erfolgt die Zustellung der Bescheinigung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Hat die gefährdende Person ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ursprungsmitgliedstaat oder in einem Drittstaat, so erfolgt die Zustellung per Einschreiben mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg.“
III. Autonomes deutsches Recht Die Zustellung ins Ausland ist in §§ 183, 184, 829 II, 835 ZPO und § 8 InsO 2075 geregelt. § 183 IV ZPO verlangt förmlich beurkundete Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks im Ausland. Da die förmliche Zustellung ein staatlicher Hoheitsakt ist24 – anders das common law, das Zustellung durch Privatpersonen kennt25 –, dürfen deutsche Zustellungsorgane auf dem Territorium eines auswärtigen Staates nicht tätig werden, es sei denn, es geschieht mit dessen Zustimmung (z.B.: Zustellung durch deutsche Konsularbeamte, Rz. 447).
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ABl. EU Nr. L 201 v. 27.7.2012, S. 107. ABl. EU Nr. L 189 v. 27.6.2014, S. 1. ABl. EU Nr. L 181 v. 29.6.2013, S. 4. G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 23, 129; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 166 Rz. 19, vor §§ 183, 184 Rz. 1; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 240. 25 Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 12.6.
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2076 Eine Auslandszustellung ist aber nur bei Verfahrensbeginn notwendig, sofern nach § 183 ZPO die Klage bzw. das sonstige verfahrenseröffnende Schriftstück zugestellt worden ist.26 Die umständliche Zustellung gem. § 183 ZPO ist – jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZustVO (Rz. 2082) – im Hinblick auf § 184 ZPO nur erforderlich für die Verfahrenseinleitung (Rz. 2122). Eine solche Reduzierung der Notwendigkeit der Auslandszustellung ist – im Interesse des Justizgewährungsanspruchs des Klägers und im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens der Justiz27 – dringend geboten. Es ließe sich nämlich kein Prozess mehr ordnungsgemäß durchführen, wenn während des Verfahrens für jede Mitteilung an Zustellungsadressaten im Ausland der Weg nach § 183 ZPO zwingend vorgeschrieben wäre.28 2077 Ist nach § 183 ZPO ordnungsgemäß zugestellt, so genügt die Zustellung nach § 184 ZPO auch bei Klageerweiterung.29 2078 Auch die Zustellung der Urteile und Beschlüsse erfolgt nach § 184 ZPO, einschließlich der Versäumnisurteile, die im schriftlichen Verfahren erlassen worden sind (§ 331 III ZPO, Rz. 2115). 2079 Fehlerhaftigkeit der nach § 183 ZPO erforderlichen Auslandszustellung führt nicht zur Nichtigkeit oder sonstigen Wirkungslosigkeit der deutschen Sachentscheidung.30
IV. Verhältnis des völkerrechtlichen Vertragsrechts zum autonomen deutschen Recht 2080 Die völkerrechtlichen Verträge über Auslandszustellungen gehen nach Maßgabe der nationalen Transformationsgesetze (Rz. 223 ff.) vor, soweit sie nach ihrem Regelungsgegenstand in das nationale Recht eingreifen bzw. dieses überlagern, wie z.B. Art. 15 HZÜ.31 Die Haager Übereinkommen wollten aber das nationale Zustellungsrecht, insbes. die remise au parquet (Rz. 2093) und die fiktive Inlandszustellung nach § 184 ZPO32, unberührt lassen. Dieses bestimmt autonom,
26 Z.B. OLG Hamm v. 10.8.2011 – 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62. 27 BGH v. 24.7.2000 – II ZB 20/99, NJW 2000, 3284 (3285) = MDR 2000, 1333 = WM 2000, 1972 = IHR 2001, 120 = IPRspr. 2000 Nr. 139. 28 Hierauf weist auch der BGH v. 4.12.1991 – IV ZB 4/91, MDR 1992, 515 = RIW 1992, 398 hin. S. auch Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 87. 29 A.A. Stürner, JZ 1992, 333; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 184 Rz. 41. S. auch unten Rz. 2927d. 30 A.A. LG Hamburg v. 23.5.1991 – 5 O 149/89, RIW 1991, 767 = MDR 1991, 1089: Mangels Rechtshängigkeit sei das Urteil wirkungslos. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Urteil zwar wirksam, aber aufhebbar, Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 34. S. aber auch Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 102 f. 31 Im Bereich der EU wiederum vorrangig Art. 19 EuZustVO. 32 OLG Hamm v. 10.8.2011 – 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62. Anders aber EuGH für die EuZustVO (Rz. 2082).
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Sechster Teil
ob eine Auslandszustellung notwendig ist oder ob eine (fiktive) Inlandszustellung genügt.33 Auch für prozesseinleitende Schriftstücke schreiben die Staatsverträge eine (echte) Auslandszustellung nicht vor.34 Die völkerrechtlichen Verträge verpflichten mithin die Vertragsstaaten nicht, 2081 ausländische Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen.35 Die deutsche Delegation konnte sich mit ihrer Forderung nicht durchsetzen, in das innerstaatliche Zu-
33 BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 (1188) = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = IPRspr. 1998 Nr. 171 (S. 329); BGH v. 25.2.1999 – VII ZR 408/97, MDR 1999, 670 = NJW 1999, 2442 (2443) = RIW 1999, 456 = WM 1999, 1182 = IPRax 2001, 331 (Pulkowski 306) = IPRspr. 1999 Nr. 110; BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 48/10, FamRZ 2011, 289 = NJW-RR 2011, 417 = MDR 2011, 121 = IPRspr. 2010 Nr. 245b; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 180; Schack in FS Geimer, 2002, 931; Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 20; m.w.N. z.B. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 95 ff.; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 22. Anders verläuft aber die Entwicklung im europäischen Gemeinschaftsrecht, Rz. 2082. 34 So deutlich die deutsche Denkschrift zum HZÜ und HBÜ, BT-Drucks. 7/4982, 38, 40: „Das Übereinkommen geht nicht so weit, einheitlich für alle Vertragsstaaten festzulegen, in welchen Fällen zur Einleitung und während eines gerichtlichen Verfahrens eine Zustellung im Ausland notwendig ist. Es bestimmt sich vielmehr allein nach dem Recht des Gerichts, vor dem ein Verfahren schwebt, in welchen Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden muss.“ Ebenso aus Schweizer Sicht Gauthey/Markus, L’entraide judiciaire internationale en matière civile, 2014 Rz. 259. Allerdings diametral anders eine amicus curiae-Stellungnahme der deutschen Bundesregierung vor dem US Supreme Court: Für die Zustellung von US-Klagen an deutsche Beklagte (mit Aufenthalt außerhalb der USA) gelte ausschließlich das Haager Zustellungsübereinkommen, vgl. Bericht von Heidenberger (damals Prozessbevollmächtigter der BRD) RIW 1988, 90 (91). Der US Supreme Court ist der Exklusivitätstheorie nicht gefolgt, VW AG v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988). Hierzu z.B. Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 890 ff. Auch das deutsche Schrifttum lehnt diesen Ansatz überwiegend ab, Junker, JZ 1989, 121 (123); Stürner, JZ 1992, 325 (327); Baumbach/ Henkel, RIW 1997, 727 (729); m.w.N. bei Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 112; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 97. S. auch Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments: Trans-Atlantic Lawmaking for Transnational Litigation, 2003, 100, und Alio, Haftungsrisiken deutscher Unternehmen beim Vertrieb ihrer Produkte in den USA, IHR 2007, 177, 181; a.A. (für Exklusivität des HZÜ) Heidenberger/Barde, RIW 1988, 683; Koch, IPRax 1989, 313. 35 BT-Drucks. 8/217, 42: „Eine verbindliche Verpflichtung für einen Vertragsstaat, notwendige Zustellungen an Personen im Ausland gemäß dem Übereinkommen auch im Ausland durchführen zu lassen, wenn nach dem Recht des Vertragsstaates die Zustellung bereits im Inland bewirkt werden kann, enthält das Übereinkommen nicht.“ Ebenso Schack, IZVR6, Rz. 686. Ist der Zustellungstatbestand nach dem autonomen Recht so ausgestaltet, dass der Zustellungsvorgang außerhalb des Gerichtsstaats (genauer: auf dem Territorium eines anderen Staates) stattzufinden hat, kommt allein das Haager Zustellungsübereinkommen zum Zuge, d.h. die dort vorgesehenen Übermittlungswege sind abschließend und exklusiv, m.w.N. bei Hopt/Kulms/von Hein, a.a.O., 98.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
stellungsrecht einzugreifen, insbes. die remise au parquet zu verbieten. Als Kompromiss wurde Art. 15 HZÜ konzipiert.36 Über die Notwendigkeit der Auslandszustellung sagen die völkerrechtlichen Verträge nichts aus.37 Wo zuzustellen ist, am Heimatort/Aufenthaltsort im Ausland oder im Geschäftslokal im Inland (§§ 178 ff. ZPO38), bestimmt das deutsche Recht (Rz. 2108). Ob ausländische Rechtshilfe in Anspruch genommen werden soll, ist somit nach dem autonomen deutschen Recht zu beurteilen.39 2081a Die Zustellungsverträge regeln nur das Wie (Übermittlungswege, Zustellungsverfahren nach der lex fori bzw. in „besonderen Formen“), falls Zustellung im Ausland nach autonomem deutschem Recht erforderlich ist, begründen aber keine völkerrechtliche Verpflichtung, im Interesse der Beteiligten (insbes. des Beklagten/Antragsgegners) deren Menschenrecht auf ein faires Verfahren zu realisieren, vor allem fiktive Zustellungen zu vermeiden und daher die im Vertrag festgelegten Übermittlungswege in Anspruch zu nehmen, falls der Zustellungsempfänger im Ausland wohnt bzw. sich dort aufhält.40
V. Verdrängung des nationalen Zustellungsrechts durch das sekundäre Unionsrecht? 2082 Vorstehendes soll nach Auffassung des EuGH41 nicht gelten im Anwendungsbereich der EuZustVO. Er hält fiktive Inlandszustellungen für unvereinbar mit der EuZustVO, soweit die Zustellung an einen Adressaten im geografischen An36 Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 75; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 137; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 34; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europ. Rechtsraum, Diss., 2012, 40. S. auch Rz. 2361. Weniger deutlich Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 79. 37 OLG Hamm v. 10.8.2011 – 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62. 38 Ein dem Zustellungsadressaten zurechenbare Rechtsschein eines inländischen Geschäftslokals genügt, OLG Hamburg v. 6.9.2005 – 5 W 71/05, OLGR 2006, 297. 39 OLG München v. 28.9.1988 – 7 U 1759/88, IPRax 1990, 111 (Roth 90) = IPRspr. 1988 Nr. 176. 40 OLG Oldenburg v. 22.8.1991 – 1 W 74/91, RIW 1991, 950 = IPRax 1992, 169 (Nagel 150) = IPRspr. 1991 Nr. 209; US Supreme Court Volkswagenwerk AG v. Schlunck 486 U.S. 694 (1988); hierzu Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 235; Roth, IPRax 1990, 92 Fn. 41; a.A. Heidenberger, RIW 1988, 683; Koch, IPRax 1989, 313; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 1 HZÜ Rz. 7. Danach habe das HZÜ den Vertragsstaaten eine verbindliche Grenze für die Konstruktion von Inlandszustellungen an im Ausland sich aufhaltende Adressaten stipuliert. 41 EuGH 19.12.2012 – Rs. C-325/11 – Alder/Orlowski NJW 2013, 443 = EuZW 2013, 187 = IPRax 2013, 157 (Heinze 132); hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (28) u. 2014, 1 (19); Hau/Eichel, GPR 2012, 94 (101); Strasser, Rpfleger 2013, 585; Sujecki, EuZW 2013, 408 (409); Margonski, GPR 2013, 296. S. auch EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-522/03 – Scania, NJW 2005, 3627 = RIW 2005, 940 = IPRax 2006, 157 (Stadler 116) betreffend Verbot der remise au parquet im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜProtokolls.
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Rechtsquellen
Sechster Teil
wendungsbereich dieser Verordnung erfolgen soll. Das soll nach h.M. auch für § 184 ZPO gelten.42 Davor hatte bereits der BGH43 solche Zustellungen nach § 184 ZPO abgelehnt aufgrund des allein zu bloß mnemotechnischen Zwecken konzipierten Hinweises in § 183 V ZPO (Rz. 2074a).
VI. Völkerrechtliche Schranken für Mitteilungen an Adressaten im Ausland Die Übermittlung einer Ladung, eines Schriftsatzes, z.B. einer Streitverkün- 2083 dung44, oder einer gerichtlichen Entscheidung durch schlichten Postbrief ist keine Verletzung der Souveränität des ausländischen Staates (in dem der Empfänger sich aufhält); denn der deutsche Hoheitsakt wird in Deutschland vollzogen:45 Dort ergeht die Ladung bzw. wird das Urteil oder der Beschluss erlassen (Rz. 416, 2174). Die Übersendung ins Ausland auf dem Postwege dient lediglich der Benachrichtigung über einen im Inland vollzogenen Hoheitsakt.46
42 Heiderhoff, EuZW 2006, 235 (237); Sharma, Zustellungen im Europäischen Binnenmarkt, 2003, 73; Frauenberger-Pfeiler, Das neue Zustellrecht aus österr. Sicht, in König/ Mayr, EuZVR in Österreich II, 2009, 89, 98; Markus/Rodriguez in Breitenmoser/Ehrenzeller (ed.), Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, 101, 110; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 261 ff.; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 282 m.w.N. S. auch OLG Düsseldorf 11.1.2008 – 17 U 86/07, IPRax 2010, 169 (Heinze 155) = OLGR 2008, 501, 502; Hüßtege, IPRax 2009, 321 (323); Peer in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Kap. 81 (2010) Art. 1 EuZVO Rz. 5. Dagegen Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 79a, 84. 43 BGH v. 2.2.2011 – VIII ZR 190/10, NJW 2011, 1885. 44 Koch in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 127. 45 Zustimmend Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 33. Enger Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 241. 46 Vgl. § 184 ZPO, § 23 AusfG dt.-österr. Konkursvertrag (BGBl. I 1985, 538); § 10 AsylVfG; BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, MDR 1999, 311 = NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = JZ 1999, 414 (H. Roth) = IPRspr. 1998 Nr. 171; H. Roth, IPRax 1990, 93 Fn. 61; a.A. Rosenbaum, Die Zwangsvollstreckung in Forderungen im internationalen Rechtsverkehr, 1930, 45; Wengler, Völkerrecht II, 1964, 962; Schmitz, Fiktive Auslandszustellung, 1980, 102. Kritisch auch Schlosser in FS Stiefel, 1987, 685; Nachw. bei Gottwald in FS Habscheid, 1989, 123; Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 21; Klaus-P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 254, 323; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 285 Fn. 72 differenziert, ob das zugestellte Schriftstück bloße Mitteilungs- bzw. Hinweisfunktion hat oder sanktionsbewehrt (sub poena) ist. S. auch z.B. § 121 österr. ZPO und § 37 II dStPO a.F. In Art. 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens (Schengen II) sind unmittelbare Postzustellungen ausdrücklich zugelassen; hierzu Schomburg, NJW 1995, 1931. – Eine Heilung nach § 189 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn gar kein Zustellungsversuch gewollt war, vielmehr nur eine formlose Mitteilung; OLG Thüringen v. 19.12.1996, FamRZ 1998, 1446. Jedoch kann durch rügelose Einlassung die Rechtshängigkeit begründet werden. Zustimmend Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 37 a.E.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2084 Nach den Haager Übereinkommen ist die Zustellung durch die Post grundsätzlich zulässig, Art. 6 Nr. 1 HZPÜ, Art. 10 Buchst. a HZÜ. Die Postzustellung wird auch von den meisten Vertragsstaaten geduldet.47 Art. 6 II HZPÜ und Art. 21 II HZÜ geben jedoch ein Widerspruchsrecht, von dem Deutschland und u.a. auch die Schweiz Gebrauch gemacht haben (Rz. 418, 2176). 2085 Die Postzustellung „nach außen“, also in Vertragsstaaten, die nicht widersprochen haben, wäre also völkerrechtlich zulässig (Rz. 418). Die deutsche Praxis48 legte bisher jedoch – innerstaatlich – den deutschen Vorbehalt gegen Postzustellung „allseitig“ aus. Dieser Standpunkt war aber bereits vor Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes vom 26.6.2001 (Rz. 2098a)49 unter dem Blickwinkel des Art. 103 I GG zu modifizieren (Rz. 418), und ist seit 1.7.2002 überholt.50 Dies gilt erst recht für die aktuelle Fassung des § 183 I ZPO durch das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.2008.51 2085a Die Europäische Zustellungsverordnung52 (Rz. 245c) hat nach ihrem Art. 20 Vorrang vor dem Haager Zustellungsübereinkommen und den sonstigen Übereinkommen. Nach Art. 14 steht es jedem Mitgliedstaat frei, Personen, die ihren Wohnsitz/Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche und außergerichtliche53 Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Die Empfangs-Mitgliedstaaten können dieser Direktzustellung nicht mehr widersprechen. 2085b Die Zustellung an Personen auf einem unter ausländischer Flagge fahrenden Schiff, das in einem inländischen Hafen ankert, ist völkerrechtlich erlaubt. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich (zollrechtlich) um einen Freihafen handelt.
47 Vgl. Zusammenstellung zu § 31 des österr. Rechtshilfeerlasses für Zivilrechtssachen, 1997 bei Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen – Rechtshilfeerlass 1997, Staatsverträge über Rechtshilfe und Vollstreckung, 1998, 59. Zur Zulässigkeit der Postzustellung im Verhältnis zur früheren DDR BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490 = MDR 1997, 574 = NJW 1997, 2051. 48 OLG Düsseldorf v. 8.2.1999 – 3 W 429/98, Rpfleger 1999, 287 = IPRspr. 1999 Nr. 140; m.w.N. bei Kondring, RIW 1996, 722 (723) und Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 35. 49 BGBl. I 2001, 1206. 50 Zustimmend LG Hamburg v. 7.2.2013 – 327 O 426/12, GRUR-RR 2013, 230; Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 230; H. Schmidt, IPRax 2004, 13 (14); a.A. Heß, NJW 2002, 2417 (2424) wegen fehlender Gegenseitigkeit. Hierauf stellt aber das Haager Zustellungsübereinkommen – anders als die Parallelvorschrift des Europäischen Zustellungsübereinkommens in Verwaltungssachen – nicht ab, G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 184. 51 BGBl. I 2008, 2122. Hierzu G. Vollkommer/St. Huber, NJW 2009, 1105 (1109); Zöller/ Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 6 m.w.N. 52 ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. 53 Art. 16 EuZustVO.
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Sechster Teil
Es liegt eine Inlandszustellung vor, die auch ohne Zustimmung des Kapitäns an Bord nach § 177 ZPO vorgenommen werden kann (Rz. 415a).54 Die Zustellung an aus Deutschland entsandte Mitglieder einer deutschen Aus- 2085c landsvertretung, z.B. Zustellung eines Scheidungsantrags an Ehefrau des Botschafters oder eines Vaterschaftsfeststellungsantrags an einen (zum Schutz der deutschen Botschaft) entsandten Angehörigen des Bundesgrenzschutzes ist Inlandszustellung, § 183 III ZPO.55
VII. Verfassungsrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör Das Völkergewohnheitsrecht verpflichtet die Staaten nicht, einander gegenseitig 2086 Rechtshilfe bei der Durchführung von Zustellungen zu leisten. Wirkt der ausländische Staat bei der Zustellung nicht mit, dann verbleibt nach der Konzeption der ZPO nur die öffentliche Zustellung, § 185 Nr. 3 ZPO. Dies bedeutet aber in den meisten Fällen, dass der Zustellungsadressat von der Zustellung nichts erfährt.56 Daher kann es mit der öffentlichen Zustellung allein nicht sein Bewenden ha- 2087 ben. Art. 103 I GG57 gebietet dem deutschen Gericht, zusätzlich alle Möglichkeiten von Amts wegen auszuschöpfen, dass der Zustellungsempfänger auch tatsächlich Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erlangt.58 Neben der öffentlichen Zustellung (§ 185 Nr. 3 ZPO) muss das Gericht, ersatzweise der Kläger/Antragsteller, das zuzustellende Schriftstück auf dem Postwege (Einschreiben mit Rückschein) ins Ausland versenden59 (Rz. 131, 252, 418). Das Gericht muss notfalls Schreiben in „neutraler Aufmachung“ versenden, wenn zu befürchten ist, dass Schreiben mit Absenderangabe von der ausländischen Post nicht weitergeleitet wird.60 Missglückt auch die Übermittlung auf dem Postwege
54 A.A. LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142. 55 Anders wohl die Praxis, die auch in diesen Fällen das Prüfungsverfahren verlangt. 56 BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827 sowie BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, FamRZ 2003, 672 = NJW 2003, 1326. Kritisch Piekenbrock in FS Rolf Stürner, 2013, 405. 57 Ebenso Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGRCh. S. auch EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-292/10 – G/de Visser – Rz. 56, EuZW 2012, 381 = IPRax 2013, 341 = GRUR Int 2012, 544 = MMR 2012, 560. 58 Vgl. auch BVerfG v. 26.10.1987 – 1 BvR 198/87, MDR 1988, 832 = NJW 1988, 2361. 59 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 47; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 254. Vgl. auch Passauer, FamRZ 1990, 15 und den Fall des OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, NJW-RR 1988, 682 = RIW 1988, 133 = IPRspr. 1987 Nr. 20. 60 OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, FamRZ 1985, 1278 = MDR 1986, 244 = ROW 1986, 200 = EWiR 1986, 205 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 171; KG v. 13.7.1983 – 3 WF 2891/83, FamRZ 1983, 1155 = ROW 1984, 191 = ZaöRV 1985, 116 (Haverland) = IPRspr. 1983 Nr. 163.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
und ist auch eine sonstige Kontaktaufnahme per Telefon, Telefax oder Telex nicht möglich, so ist in den Fällen des § 185 ZPO ein Verfahrenspfleger zu bestellen.61
VIII. Völkerrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör 2088 Der Beklagte hat – aus international-menschenrechtlicher Sicht – sogar einen völkerrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies ist die Kehrseite seiner Gerichtspflichtigkeit im Inland.62 2089 Den gleichen Anspruch hat auch der Heimat- bzw. Aufenthaltsstaat des Beklagten (Rz. 131, 132, 1909). Dieser kann ihn jedoch nicht gegen den Willen des betroffenen Individuums durchsetzen. Beispiel: Entschließt sich der Beklagte, gegen ein ihm vorteilhaftes Urteil, das aufgrund eines Verfahrens zustande gekommen ist, das seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat, keine „local remedies“ einzulegen, dann kann der Heimat- bzw. Aufenthaltsstaat dies nicht mehr aus eigenem Recht tun.
IX. Gefährdung bzw. Vereitelung des Justizgewährungsanspruchs durch überlange Verzögerung der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes 2090 Deutschland hat am 19.11.1992 einen Vorbehalt gem. Art. 15 II HZÜ63 erklärt (Rz. 232). Gleichwohl war schon vorher sowohl aus der völkerrechtlichen als auch aus der verfassungsrechtlichen Perspektive (Verbot der Justizverweigerung) die Frage der Zumutbarkeit für den Kläger zu stellen (Rz. 1929). Nach sechs Monaten sollte man die öffentliche Zustellung bewilligen64, aber gleichzeitig versuchen, den Zustellungsadressaten durch Post und/oder Telefax, notfalls per Telefon von dem gegen ihn anhängigen Verfahren zu unterrichten65 (Rz. 1929 a.E.).
61 R. Geimer, NJW 1974, 1631. Zum Spannungsverhältnis zwischen Art. 32 I GG und Art. 103 I GG R. Geimer, NJW 1989, 2177, 2205. 62 Ähnlich Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 1981, § 14a 1 nach Fn. 22. 63 BGBl. II 1993, 704. 64 A.A. BGH v. 20.1.2009 – VIII ZB 47/08, NJW-RR 2009, 855 = MDR 2009, 462 = FamRZ 2009, 684 = RIW 2009, 489 = IPRax 2010, 247 (Geimer 224) = LMK 2009, 280234 (Geimer) = IPRspr. 2009 Nr. 211. Vgl. auch OLG Köln v. 27.11.1997 – 14 WF 160/97, MDR 1998, 434 = NJW-RR 1998, 1683 = FamRZ 1998, 561 = IPRspr. 1997 Nr. 175. 65 R. Geimer, NJW 1989, 2204 sowie R. Geimer, NJW 1991, 1432. Gegen diesen Sechsmonats-Vorschlag Fischer, ZZP 107 (1994), 171; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 156. Kritisch auch Piekenbrock in FS Stürner, 2013, 405.
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Sechster Teil
X. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 16 HZÜ Das Haager Zustellungsübereinkommen bemüht sich, die Fälle der (tatsäch- 2091 lichen) Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch fehlgeschlagene Auslandszustellungen möglichst zu reduzieren:66 Nach Art. 16 HZÜ (Rz. 231) kann der Zustellungsempfänger unter erleichterten Bedingungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen. Diese ist dem (kontumazierten) Beklagten aber nur dann zu bewilligen, wenn er ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig von dem (verfahrenseinleitenden) Schriftstück Kenntnis erlangt hat, dass er sich hätte verteidigen können, bzw. nicht so rechtzeitig von der Entscheidung, dass er sie hätte anfechten können. Der Bundesgerichtshof verlangt auch von juristisch nicht gebildeten Laien, sich alsbald nach Zugang einer nachteiligen Entscheidung über Form und Frist zu erkundigen. Dies gilt gleichermaßen für In- und Ausländer.67 Art. 16 HZÜ macht weiter die Einschränkung, dass der Richter die Wiedereinset- 2091a zung verweigern kann, wenn die Verteidigung des Beklagten von vornherein aussichtslos erscheint oder wenn der Antrag nicht innerhalb „angemessener Frist“ gestellt worden ist (maximal ein Jahr). Die Wiedereinsetzungsmöglichkeit nach Art. 16 HZÜ (Rz. 2091) soll also nur die ultima ratio sein, wenn keinerlei Anfechtungsmöglichkeiten nach nationalem Recht vom Beklagten ausgenutzt werden konnten. Auf dänischen Wunsch wurden jedoch Entscheidungen über den Personenstand von der Wiedereinsetzungsmöglichkeit ausgenommen. Dies ist aus deutscher Sicht nicht verständlich.68 Der Antrag gem. Art. 16 I HZÜ ist statthaft gegen alle Entscheidungen, gleich 2091b wie diese nach der lex fori zu qualifizieren sind. Wichtig ist nur, dass der Beklagte am Verfahren nie teilgenommen hat. Im Ergebnis übereinstimmend, jedoch missverständlich ist die Feststellung in der deutschen Denkschrift, kontradiktorische Urteile seien ausgeklammert, weil „sich der Beklagte dann auf das
66 Auch schon nach autonomem deutschen Recht begründet bei der öffentlichen Zustellung die fehlende Kenntnis der Partei von der Zustellung einer Entscheidung dann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie unverschuldet ist, was dann der Fall ist, wenn die Partei nicht mit ihr rechnen musste, z.B. weil sie dem Gegner zeitgerecht einen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat oder der Gegner auf andere Weise die öffentliche Zustellung durch Falschangaben erschlichen hat, oder wenn sie auf Grund besonderer Umstände nicht in der Lage war, Kenntnis von der Zustellung zu erlangen. Jedoch soll nach Ablauf der Jahresfrist des § 234 III ZPO eine Wiedereinsetzung nicht mehr möglich sein; diese Frist laufe ohne Rücksicht auf die Kenntnis der betroffenen Partei von dem gegen sie laufenden Verfahren bzw. dem gegen sie ergangenen Urteil. „Billigkeitsgesichtspunkte“ hätten außer Acht zu bleiben, OLG Hamm, MDR 1997, 1150; hierzu kritisch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 44. – S. auch Rz. 2105. 67 BGH v. 22.2.1989 – IVb ZB 150/88, FamRZ 1989, 1287 (Hausmann) = IPRspr. 1989 Nr. 203. Tendenziell großzügiger nun wohl BGH v. 24.7.2000 – II ZB 20/99, NJW 2000, 3284 = MDR 2000, 1333 = WM 2000, 1972 = IHR 2001, 120 = IPRspr. 2000 Nr. 139 sowie OLG Köln v. 1.2.1999 – 14 UF 197/98, FamRZ 1999, 1083 = IPRspr. 1999 Nr. 138. 68 Kritisch Sturm, Zu Art. 16 Abs. 4 HZÜ und Art. 19 Abs. 5 EuZustVO. Werft das dänische Kuckucksei aus dem Nest, FS Strätz, 2009, 575.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
Verfahren eingelassen hat und spätere Zustellungen meist im Inland an einen Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigten bewirkt werden“.69 Dies ist nicht ganz korrekt. Es kommt nicht darauf an, wie nach dem Recht des Gerichtsstaates das Urteil einzuordnen ist; vielmehr ist entscheidend, ob der Beklagte am Verfahren teilgenommen hat oder nicht. Daher ist der Begriff des Versäumnisurteils konventionsimmanent zu interpretieren. Dies kommt auch im Text des Übereinkommens klar zum Ausdruck (wo von einer Entscheidung gegen den Beklagten die Rede ist, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat). 2091c Für eine großzügige Gewährung der Wiedereinsetzung nach Art. 16 I HZÜ spricht auch der Umstand, dass der Schutz des Art. 15 I HZÜ durch den Vorbehalt des Art. 15 II, den die meisten remise au parquet-Staaten (Rz. 2093), aber auch Deutschland70 erklärt haben, erheblich eingeschränkt wird. Daher muss über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ein gewisser Ausgleich hergestellt werden.
XI. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 19 IV und V EuZustVO 2091d Die Regelung des Art. 16 HZÜ wurde – einschließlich des verunglückten, weil sachlich nicht gerechtfertigten Art. 16 II HZÜ (Rz. 2091a) – in Art. 19 IV und V der EuZustVO Nr. 1393/2007 vom 13.11.200771 (Rz. 245c) übernommen. Diese Verordnung beansprucht nach ihrem Art. 20 in ihrem Anwendungsbereich Vorrang vor dem Haager Zustellungsübereinkommen.
XII. Rechtsvergleichende Hinweise 2092 Das deutsche Recht schützt – zu Lasten des Klägers (was die Vertreter der remise au parquet-Länder72 hervorheben)73 – die Belange des Zustellungsempfängers wesentlich besser als das französische Recht und die von diesem beeinflussten Rechtssysteme des romanischen Rechtskreises: Auch wenn die Zustellung im Ausland zu erfolgen hat, ist nach deutschem Recht reale Übergabe des Schriftstücks an den Zustellungsadressaten erforderlich. Sie muss durch ein Zustellungszeugnis nachgewiesen werden (§ 183 IV ZPO).74 2093 Völlig anders ist das französische Konzept: Sobald eine Zustellung im Ausland erforderlich wird, macht man vom Grundsatz der Aushändigung des Schrift-
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BT-Drucks. 8/217, 48. Am 19.11.1992, BGBl. II 1993, 704. ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. Hierzu z.B. Heckel, Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug, IPRax 2008, 218 (221); Nagel/Gottwald, IZPR7, § 8 Rz. 16; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 5. 73 Vgl. die deutsche Denkschrift zum Haager Zustellungsübereinkommen, BT-Drucks. 8/217, 48. 74 Hierzu BGH v. 13.11.2001 – VI ZB 9/01, MDR 2002, 350 = NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237.
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Rechtsquellen
Sechster Teil
stücks an den Empfänger eine Ausnahme: Die Zustellung erfolgt durch remise au parquet, d.h. Aushändigung einer Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks an die zuständige Staatsanwaltschaft. Damit ist der Zustellungsvorgang abgeschlossen.75 Der Zugang an den Zustellungsadressaten wird – wie nach § 184 ZPO – fingiert.76 Dieser wird zwar von der remise au parquet benachrichtigt. Diese notification hat aber keine selbständige rechtliche Bedeutung.77 Das deutsche Recht bevorzugt die Amtszustellung, d.h. die Zustellungen werden 2093a in den meisten Fällen nicht von der Partei, sondern vom Gericht veranlasst, §§ 166 II, 270 ZPO. Dagegen sehen viele ausländische Prozessordnungen – ebenso wie die deutsche Civilprozessordnung in ihrer ursprünglichen Fassung – die Parteizustellung vor, d.h. die interessierte Partei hat die Zustellung zu veranlassen.78
75 Zu den verschiedenen „Zustellungstatbeständen“ G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 30 ff. S. auch Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 107. 76 Heckel, Die fiktive Inlandszustellung auf dem Rückzug, IPRax 2008, 218 (221 f.). Zur Abschwächung der remise au parquet in jüngerer Zeit: Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/ EuIPR4, 2014, EG-ZustVO, Art. 19 Rz. 6 ff. m.w.N. Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig, EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-522/03 – Scania, NJW 2005, 3627 = RIW 2005, 940 = IPRax 2006, 157 (Stadler 116). Unter Hinweis auf diese Urteile wird nunmehr auch die weitere Anwendbarkeit von § 184 ZPO im Anwendungsbereich des europäischen Gemeinschaftsrechts verneint, Rz. 2082. 77 Vgl. Art. 683 ff. Nouveau Code de procédure civile (hierzu ausführlich Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 88 und Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 197, 203) sowie OLG Saarbrücken v. 24.11.1997 – 5 W 282/97-94, RIW 1998, 632; Art. 142 Codice di procedura civile; Art. 40 II belg. Code Judiciaire (Moons, RIW 1989, 903); Art. 69 Nr. 10 lux. Code de Procédure civile; Art. 4 niederländisches Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering; Art. 135, 137 griech. ZPO; Art. 9 tunes. ZPO; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 49; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 29, 39, 147; Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 127; W. J. Habscheid und Schlosser in Wedekind, Justice and Efficiency, 1989, 180; OLG Düsseldorf v. 19.10.1984 – 3 W 319/84, MDR 1985, 242 = RIW 1985, 493 = IPRax 1985, 289 (Schumacher 265). Vergleichbar ist die Zustellung an den „secretary of state“ in den USA, Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung – Internationale Zustellung, Veröff. der Wiss. Vereinigung für Int. Verfahrensrecht, Bd. 10, 1999, 103; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 107. 78 Vgl. z.B. Art. 55 Nouveau Code de Procédure civile, Art. 163 IV Codice di procedura civile, Civil Procedure Rules Part 6; Federal Rules of Civil Procedure 4 (c) (1). Hierzu Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 86.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2. Kapitel: Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren I. Das deutsche Konzept: Grundsätzlich keine Zustellungsfiktion, sondern tatsächlich ausgeführte förmliche Zustellung im Ausland 1. Grundsatz 2094 Das deutsche Recht begnügt sich nicht – wie so manche ausländische Rechtsordnung (Rz. 2093) – mit einer Zustellungsfiktion (etwa nach dem Muster der remise au parquet), wenn die Zustellung an einen im Ausland sich aufhaltenden Beteiligten durchzuführen ist. Vielmehr ist für die Verfahrenseinleitung eine förmliche Zustellung im Ausland erforderlich, allerdings aufgelockert durch die Postzustellung (§ 183 I und V ZPO, Rz. 2098a).79 Nur nach ordnungsgemäß durchgeführter Auslandszustellung der Klage bzw. der Antragsschrift genügt im Allgemeinen die Aufgabe zur Post (§ 184 ZPO, Rz. 124a, 2082, 2114). Hier wird eine Inlandszustellung fingiert (Rz. 2116). 2095 Sofern nicht eine Direktzustellung (i.d.R. durch die Post, § 183 I Satz 2, V ZPO) in Betracht kommt (Rz. 2098a), erfolgt eine im Ausland zu bewirkende Zustellung gem. § 183 I Satz 2 Alt. 2 ZPO in den meisten Fällen mittels Ersuchen der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staat residierenden diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Bundes (§ 183 II ZPO). Diese Norm verlangt also im Verfahren vor den staatlichen Gerichten – anders als in Verfahren vor Schiedsgerichten, wo Übersendung per Einschreiben mit Rückschein genügt (Rz. 3860) – auch dann die förmlich beurkundete Zustellung (§ 183 IV ZPO), wenn eine Zustellung im Ausland erforderlich wird. Das deutsche Gericht darf auch in „Auslandsfällen“ auf den urkundlichen Nachweis80 nicht verzichten. Dies ist durch Art. 103 I GG nicht geboten (danach wären auch andere Beweismittel für den [rechtzeitigen] Zugang der Klage- bzw. Antragsschrift ausreichend). § 183 IV ZPO verlangt ein Zustellungszeugnis der ersuchten Behörde. In den Fällen der Direktzustellung durch die Post (§ 183 I Satz 2 Alt. 1 ZPO) „genügt“ aber der Rückschein, § 183 IV Satz 1 ZPO; d.h. der Beweis für die ordnungsgemäße Zustellung kann auch durch andere Beweismittel erbracht werden.81 Dies sollte man auch bei den anderen Zustellungsformen zulassen. Das deutsche Gericht darf ein Versäumnisurteil oder eine Entscheidung nach Lage der Akten erst erlassen, wenn der Beklagte/Antragsgegner ordnungsgemäß und rechtzeitig geladen war.82 Widrigenfalls ist zu vertagen, § 337 ZPO. Wichtig
79 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 30 spricht vom „System der effektiven Zustellung“. 80 BGH v. 13.11.2001 – VI ZB 9/01, MDR 2002, 350 = NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237. S. auch Pfeil-Kammerer, a.a.O., 154. Rechtsvergleichend Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 230, 253. 81 Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 183 Rz. 47. 82 § 335 I Nr. 2 ZPO, Art. 20 II EuGVÜ/LugÜ, Art. 15 I HZÜ, Art. 17 I dt.- tunes. Vertrag, Art. 9 I dt.- marokk. Vertrag. S. auch Art. 26 II EuGVVO sowie Art. 19 EuZustVO.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
sind auch § 184 II Satz 2 ZPO und § 339 II ZPO (individuelle Fristbestimmung, Rz. 2116). Ausnahme: Auf einen Zustellungsnachweis kommt es nicht an, wenn der Be- 2096 klagte am deutschen Verfahren teilnimmt oder sich auch nur in einer Form „gemeldet“ hat, aus der zur Überzeugung des Gerichts zweifelsfrei hervorgeht, dass der Beklagte die Klage bzw. verfahrenseinleitende Antragsschrift erhalten hat. Den maßgeblichen Zustellungsadressaten bestimmt die deutsche lex fori. So 2096a können z.B. nach § 619 HGB Zustellungen an den Kapitän oder Schiffer unter folgenden Voraussetzungen vorgenommen werden: „Eine Klage eines Schiffsgläubigers auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Schiff sowie ein Urteil oder ein Beschluss in einem Verfahren über einen Arrest in ein Schiff können dem Kapitän dieses Schiffes oder, soweit ein Binnenschiff betroffen ist, dem Schiffer zugestellt werden.“
2. Sonderregelung im deutsch-tunesischen und im deutsch-marokkanischen Vertrag Nach Art. 17 III des deutsch-tunesischen Vertrages ist die Entscheidung nach 2097 acht Monaten seit der Übermittlung des Zustellungsantrags zu erlassen. Eine Parallelnorm findet sich in Art. 9 III des deutsch-marokkanischen Vertrages. Dort beträgt die Frist sechs Monate. Fraglich ist, ob dadurch nicht nur ein Minimumstandard vorgeschrieben wird, 2098 welcher die für den Beklagten misslichen Auswirkungen der remise au parquet83, der öffentlichen Zustellung bzw. der Ersatzzustellung (welche das rechtliche Gehör des Zustellungsempfängers auch nicht sicher gewährleistet, weil offen bleibt, ob die Ersatzperson die zuzustellenden Schriftstücke an den Beklagten weitergeleitet hat) abmildern soll, oder ob – in Modifizierung des § 335 I Nr. 2 ZPO – der Kläger einen Anspruch auf Erlass eines Versäumnisurteils bzw. einer Entscheidung nach Lage der Akten hat84 (Rz. 1929). Die Formulierung „kann der Richter auch“ würde also nicht bedeuten, dass nur ein internationaler Minimumstandard eingeführt werden sollte, wie dies durch Art. 15 HZÜ geschehen ist (Rz. 229). 3. Zustellungsreformgesetz vom 25.6.2001 Das am 1.7.2002 in Kraft getretene Zustellungsreformgesetz85 brachte insofern 2098a eine Lockerung, als es in § 183 I Nr. 1 und III ZPO a.F. (nunmehr § 183 I 2 und V ZPO n.F.) für die Zustellung im Ausland die Übersendung durch Einschreiben mit Rückschein zulässt, soweit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen bzw. nach Art. 14 EuZustVO (Rz. 245c) Schriftstücke unmittelbar durch die Post zugestellt werden dürfen. In diesem Fall genügt der Rückschein als Zustellungsnachweis, § 183 IV 1 ZPO. Fehlt es an einer völkerrechtlichen Vereinbarung, ist 83 Art. 9 der tunes. ZPO. 84 So Bülow in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 515, Art. 17 Fn. 76. 85 BGBl. I 2002, 1206; BT-Drucks. 14/4554 und 14/5564.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZustVO die unmittelbare Postzustellung (ohne Einschaltung der Rechtshilfekanäle des Aufenthaltsstaates des Zustellungsadressaten) nach dem Wortlaut des § 183 I ZPO unzulässig.86 Die ratio legis verbietet aber eine solche nicht, wenn der betroffene Staat die Direktzustellung auch ohne völkerrechtliche Vereinbarung duldet.87 Eine weitere Liberalisierung strebt das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.200888 durch „strukturierte“ Neufassung des § 183 ZPO an.
II. Verfahren nach § 183 I 2 ZPO 2098b Im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 (EuZustVO)89 ist eine Zustellung unmittelbar durch die Post nach Art. 14 nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein oder mit „gleichwertigem Beleg“ zulässig, §§ 183 V, 1068 I ZPO. 2099 Die Zustellung ins Ausland erfolgt bei Zustellung im Amtsbetrieb auf Veranlassung des Vorsitzenden, ohne dass es eines besonderen Antrages des Klägers bedarf90, bei Zustellung im Parteibetrieb (§§ 191 ff. ZPO) auf Grund eines von der Partei an den Vorsitzenden des Prozessgerichts gerichteten Antrages, der nicht dem Anwaltszwang (§ 78 ZPO) unterliegt.91 2100 Im Zwangsvollstreckungsverfahren, z.B. Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 828, 829, 835 ZPO) ist der Vollstreckungsrichter bzw. der Rechtspfleger für die Anordnung der Auslandszustellung zuständig. 2100a Gleiches gilt für den Notar hinsichtlich der Zustellung seiner (vollstreckbaren) Kostenrechnung (§ 89 GNotKG) sowie der sonstigen von ihm veranlassten Zustellungen (§ 20 I BNotO).92
III. Vereinbarungen über die Modalitäten der Zustellung 2101 Die Parteien können – z.B. in Zusammenhang mit einer Zuständigkeitsvereinbarung – § 183 I 2 ZPO abbedingen und durch eine andere Mitteilungsform ersetzen, die ebenfalls geeignet ist, das rechtliche Gehör des Zustellungsadressaten zu gewährleisten, z.B. Einschreiben mit oder ohne Rückschein. Daran ist das Gericht auch für die von Amts wegen vorzunehmenden Zustellungen (§ 166 II ZPO) gebunden. Der hoheitliche Charakter der Zustellung steht dem nicht entgegen; denn der Beklagte kann auf den Schutz des § 183 I ZPO verzichten.93 86 87 88 89 90 91 92 93
H. Schmidt, IPRax 2004, 13 (14). Stadler, IPRax 2002, 471 (473). BGBl. I 2008, 2122. ABl. EU Nr. L 324 S. 79 v. 10.12.2007. §§ 270, 183 I Nr. 2 ZPO. RGZ 17, 392. Zustimmend Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 183 Rz. 22. Im Ergebnis wie hier Schlosser in FS Matscher, 1993, 387, 392; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 359; H. Schmidt, IPRax 2004, 13 (14). A.A. Heß, RIW 1989,
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
IV. Heilung von Zustellungsmängeln Zustellungsmängel werden auch im internationalen Rechtsverkehr nach § 189 2102 bzw. § 295 ZPO geheilt.94 Eine unter Verletzung des Völkerrechts durchgeführte Zustellung (Rz. 418) ist – trotz Art. 25 GG – innerstaatlich gleichwohl wirksam.95 Der Zweck einer Zustellung besteht dem Adressaten gegenüber darin, zu gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Insoweit dienen die Zustellungsvorschriften der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. § 189 ZPO soll verhindern, dass Mängel eines streng formalisierten Zustellungsvorgangs die Zustellung unwirksam machen, wenn feststeht, dass der Adressat das Dokument erhalten hat und sachlich so gestellt ist, als ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt wäre, ihr Zweck also erreicht ist. Der Zustellungsfehler führt dann zwar unter Umständen dazu, dass der weitere Zweck einer förmlichen Zustellung, den Zeitpunkt der Übergabe eindeutig nachweisen zu können, nicht erreicht wird. Der Anspruch des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör ist dagegen gewahrt, wenn er das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. Dies rechtfertigt es, den Verfahrensfehler zu ignorieren und eine wirksame Zustellung zu fingieren.96
258 Fn. 91; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 132; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 6. S. auch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 283. Zum „waiver of notice“ im US-Recht vgl. Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 12.5. 94 R. Geimer, NJW 1972, 1624; Kondring, a.a.O., 184 ff., 204; R. Geimer, RIW 1996, 722 (724); Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens2, Rz. 596 Fn. 183; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 145; Schack, IZVR6, Rz. 692 ff. m.w.N. Im Ergebnis übereinstimmend BGH v. 13.7.1978, RzW 1979, 186 = IPRspr. 1978 Nr. 152, der § 295 ZPO anwendet; OLG Hamm v. 28.6.1988, FamRZ 1988, 1292 = IPRspr. 1988 Nr. 172; OLG Hamm v. 1.9.1999 – 5 UF 84/99, FamRZ 2000, 898 = IPRspr. 1999 Nr. 142; OLG Köln v. 26.3.2002 – 3 U 214/01, NJW-RR 2002, 1682 = VersR 2003, 269 = TranspR 2003, 111; OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde) = EWir 2002, 1167 (Gerkan) = NZG 2003, 136 = IPRspr. 2002 Nr. 178; a.A. BGH v. 24.2.1972 – II ZR 7/71, BGHZ 58, 177 = NJW 1972, 1004 (R. Geimer 1624) = IPRspr. 1972 Nr. 151; OLG Hamm v. 30.9.1994, RIW 1996, 156 (Kondring 722) = IPRspr. 1994 Nr. 161. Offen gelassen von BGH v. 22.11.1988 – VI ZR 226/87, NJW 1989, 1154 = RIW 1989, 481 = WM 1989, 238 = MDR 1989, 345 = VersR 1989, 168 = IPRspr. 1988 Nr. 178 und LG Frankfurt/M. v. 12.4.1989, RIW 1989, 486 = IPRax 1990, 177 (Roth) = MDR 1990, 757. S. auch Schlosser in FS Matscher, 1993, 396. 95 Vogler/Wilkitzki, IRG-Kommentar, 1992, vor § 68 Rz. 6 unter Hinweis auf BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343. Vgl. den von Weinschenk, RIW 1980, 548 berichteten Fall. Hierzu Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 116. 96 BGH v. 14.9.2011 – XII ZR 168/09, MDR 2011, 1374 = NJW 2011, 3581 (Rauscher) = LMK 2011, 32597 (Magnus) = IPRspr. 2011 Nr. 258.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2102a Diesen Grundsatz will der Bundesgerichtshof97 bei Zustellungsmängeln im internationalen Rechtsverkehr nicht uneingeschränkt gelten lassen. Eine Heilung nach § 189 ZPO lässt er nur unter folgenden Prämissen zu:98 Werden bei einer Auslandszustellung die Anforderungen des Haager Zustellungsübereinkommens (HZÜ) gewahrt und bei der Zustellung nur Formvorschriften des Verfahrensrechts des ersuchten Zustellungsstaates verletzt, wird der Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt, wenn das Schriftstück dem Zustellungsempfänger tatsächlich zugegangen ist, und zwar auch dann, wenn das gem. Art. 5 lit. a HZÜ anwendbare Recht des Zustellungsstaates eine Heilung nicht vorsieht. Zwar finden bei einer Auslandszustellung nach Art. 5 I lit. a HZÜ die Zustellungsvorschriften des ersuchten Staates Anwendung, so dass auch dessen Heilungsvorschriften herangezogen werden können. Sieht dagegen das autonome Recht des Zustellungsstaates eine Heilung nicht vor, schließt das einen Rückgriff auf § 189 ZPO nicht aus, weil das Zustellungsverfahren Teil des deutschen Verfahrens des Prozessgerichts ist und damit jedenfalls die für die Ordnungsmäßigkeit einer Zustellung maßgeblichen Vorschriften der §§ 166 ff. ZPO Anwendung finden. 2102b Anders soll es jedoch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs bei Nichtbeachtung bzw. Verletzung der Vorschriften des HZÜ sein. Die Anforderungen, die dieses Übereinkommen an eine wirksame Zustellung zwischen den Vertragsstaaten stellt, dienten – anders als Zustellungsvorschriften sonst – nicht primär dem Schutz des rechtlichen Gehörs des Zustellungsempfängers. Sie sollen vielmehr die Belange eines geordneten zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs sicherstellen und die Zustellungsmodelle im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr vereinheitlichen. Dieser besondere Schutzzweck verbiete es, die Beachtung der Bestimmungen des HZÜ den Heilungsvorschriften des ersuchenden Staates zu unterstellen. 2102c Außerdem bestünde die Gefahr einer Aushebelung der völkervertraglich vereinbarten Zustellungswege und es würde letztlich die Beachtung der in dem Übereinkommen festgelegten Zustellungsvoraussetzungen zur Disposition des nationalen Rechts gestellt. Hinzu komme, dass ein Verstoß gegen wesentliche Förmlichkeiten des internationalen Rechtsverkehrs sanktionslos bliebe, wenn das zuzustellende Schriftstück den Beklagten nur auf irgendeine Weise erreicht hat. Dies liefe dem erstrebenswerten Ziel einer einheitlichen Anwendung des Abkommens in den Vertragsstaaten zuwider. 2102d Bei Wahl der falschen Zustellungsart (Zustellung im Parteibetrieb statt Zustellung von Amts wegen, § 166 II ZPO) soll eine Heilung ausgeschlossen sein.99 97 BGH v. 14.9.2011, a.a.O. (Fn. 95). 98 Ohne diese Einschränkungen R. Geimer, NJW 1972, 1624; Rauscher/Heiderhoff, Art. 19 EuZustVO Rz. 21; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 295. Im Ergebnis übereinstimmend BGH, RzW 1979, 186 = IPRspr. 1978 Nr. 152, der § 295 ZPO anwendet. Anders OLG Saarbrücken v. 9.2.2010 – 4 U 449/09, NJOZ 2010, 1152 = IPRax 2012, 157 (Fucks 140); OLG Hamm v. 28.6.1988 – 13 UF 113/88, FamRZ 1988, 1292 = IPRspr. 1988 Nr. 172; OLG Hamm v. 1.9.1999 – 5 UF 84/99, FamRZ 2000, 898. Vgl. auch BGH v. 22.11.1988 – VI ZR 226/87, MDR 1989, 345 = NJW 1989, 1154 = IPRspr. 1988 Nr. 178. 99 BGH v. 19.5.2010 – IV ZR 14/08, NJOZ 2010, 2115.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
V. Mahnverfahren Im Mahnverfahren ist Zustellung ins Ausland grundsätzlich unzulässig, § 688 2103 III ZPO.100 Ausnahmen gelten nach §§ 1, 32 I AVAG für die EU-Staaten im Anwendungsbereich der EuGVVO, der Vertragsstaaten des LugÜ und des Haager Übereinkommens vom 2.10.1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen101 sowie im Verhältnis zu Israel und Norwegen.102 S. auch § 688 II Nr. 3 ZPO (Rz. 2105a).
VI. Vereitelung der Zustellung durch den Zustellungsadressaten Will der Zustellungsadressat unerreichbar sein (indem er seine Anschrift ver- 2104 heimlicht), so hat er sich eine durch das Scheitern der Zustellung bedingte Beeinträchtigung seines rechtlichen Gehörs selbst zuzuschreiben (Rz. 250).103 Auch muss ein Wohnsitz- bzw. Sitzwechsel erst beachtet werden, wenn der Beklagte ihn dem Gericht oder dem Gegner angezeigt hat.104
VII. Öffentliche Zustellung Aber auch in den Fällen, in denen der Zustellungsadressat es nicht zu vertreten 2105 hat, dass er keine Zustelladresse105 hat oder dass sein Aufenthalt unbekannt ist, erfolgt öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 1 ZPO.106 Die Rspr. lässt allerdings
100 Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 16. 101 BGBl. II 1986, 825. 102 Anders § 448 II Nr. 3 österr. ZPO. Danach darf ein Zahlungsbefehl nicht erlassen werden, „wenn der Beklagte seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat.“ Hierzu Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (307). 103 BGH v. 2.10.1991 – IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = RIW 1992, 56 = WM 1992, 286 = IPRax 1993, 324 (Linke 295) = IPRspr. 1991 Nr. 209; LG Kiel v. 20.5.1983 – 3 T 113/83, SchlHA 1983, 165 = IPRspr. 1983 Nr. 162. Ebenso in einem Inlandsfall OVG Münster v. 20.8.1987 – 16 A 1599/85, NJW 1989, 121 L = NVwZ-RR 1988, 57. Vgl. auch BGH v. 4.10.1989 – IVb ZB 47/89, FamRZ 1990, 143; OLG Zweibrücken v. 4.8.2004 – 2 WF 48/04, FamRZ 2005, 997 = NJOZ 2004, 4287 = IPRspr. 2004 Nr. 176; OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187; Schwab/Gottwald in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, 54 Fn. 334; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 12; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor § 183, 184 Rz. 4 sowie § 185 Rz. 19. – Vgl. auch die Wertung des Gesetzgebers in § 1028 ZPO. 104 BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 (1189) = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = IPRspr. 1998 Nr. 171. 105 Zu den Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift bei der Mutter in Kasachstan, wenn diese bestreitet, dass ihr Sohn sich dort aufhalte, OLG Hamm v. 8.3.2013 – II-2 WF 9/13, NJOZ 2013, 1818. Zu den (weniger strengen) Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntmachung nach § 9 III InsO BGH v. 16.5.2013, NJW-RR 2013, 1200. 106 Zur Zustellung an Binnenschiffer auf angeblich gewohnheitsrechtlicher Basis Blankenheim, MDR 1992, 926.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
die subjektive Unkenntnis nicht genügen, sondern verlangt die objektive Unmöglichkeit der Ermittlung der Anschrift dessen, an den zugestellt werden soll.107 Dass eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt erfolglos war, reicht nicht aus, um eine öffentliche Zustellung zu bewilligen. So soll der Antragsteller gehalten sein, einen internationalen Suchdienst einzuschalten.108 Doch dürfen die Anforderungen an die Nachforschungslast nicht übertrieben werden, um den Anspruch auf effektive Justizgewährung nicht ad absurdum zu führen.109 2105a Öffentlich zuzustellen ist auch, wenn die Zustellung im Ausland scheitert oder keinen Erfolg verspricht, § 185 Nr. 3 ZPO.110 Maßgebend ist die Feststellung der Justizverwaltung (§ 9 ZRHO).111 Die Gewährung des Rechtsschutzes durch die deutschen Gerichte darf in diesen Fällen nicht mit der Begründung verweigert werden, der Kläger solle sich an die ausländischen Gerichte wenden (Rz. 251).112 Vorstehendes gilt auch bei überlanger Dauer des ausländischen Rechtshilfewegs, da zu dem vom Grundgesetz und durch Art. 6 I EMRK bzw. durch Art. 47 II EuGrundrechtecharta gewährleisteten Justizgewährungsanspruch113 auch gehört, dass Rechtsschutz „in angemessener Zeit erlangt werden kann“ (effektiver Rechtsschutz, Rz. 2090). Das im internationalen Kontext ohnehin nur beschränkt statthafte Mahnverfahren (Rz. 2103) ist gem. § 688 II Nr. 3 ZPO unzulässig, wenn die Zustellung des Mahnbescheids nach § 185 ZPO erfolgen müsste. S. auch § 1089 I 2 ZPO.
107 Grundlegend BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827. S. auch Schack, IZVR6, Rz. 670. 108 AG Landstuhl v. 23.9.1992 – 1 F 105/92, FamRZ 1993, 212 = IPRspr. 1992 Nr. 210; AG Landstuhl v. 29.9.1993 – 2 F 50/93, FamRZ 1994, 309 = IPRspr. 1993 Nr. 159. 109 S. auch EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-292/10 – G/de Visser – Rz. 56, IPRax 2013, 341. Kritisch Piekenbrock in FS Rolf Stürner, 2013, 405. Wurde die öffentliche Zustellung bewilligt und durchgeführt, so ist diese Zustellungsform völlig gleichwertig mit allen anderen. Die ergangene gerichtliche Entscheidung ist existent und wirksam, obwohl der Beklagte unverschuldet keine Ladung und auch sonst keine Kenntnis vom Verfahren erhalten hat. Das Urteil kann auch nicht ohne Weiteres wieder beseitigt werden. Zwar gibt es die Möglichkeit der Wiedereinsetzung, aber nur zeitlich befristet, § 234 III ZPO, Rz. 2091. Eine Analogie zu § 579 I Nr. 4 ZPO lehnt BGH v. 11.12.2002 – XII ZR 51/00, FamRZ 2003, 672 = NJW 2003, 1326 selbst dann ab, wenn der Gegner die öffentliche Zustellung arglistig erschlichen hat. In Betracht kommen nach Maßgabe von § 581 ZPO (rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung) nur die Nr. 1 und 4 des § 580 ZPO. 110 BGH v. 2.10.1991 – IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = RIW 1992, 56 = WM 1992, 286 = IPRax 1993, 324 (Linke 295) = IPRspr. 1991 Nr. 209; OLG Düsseldorf v. 14.10.2003, OLGR 2004, 456 (457). 111 OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, RIW 1988, 133 = IPRax 1990, 43 = IPRspr. 1987 Nr. 20; OLG Köln v. 23.3.1987 – 1 W 14/87, RIW 1988, 301 = IPRax 1987, 233 (Mansel 210) = IPRspr. 1987 Nr. 140. Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 185 Rz. 26. 112 OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, FamRZ 1985, 1278 = MDR 1986, 244 = ROW 1986, 200 = EWiR 1986, 205 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 171. 113 Zur bisherigen Rspr. des EuGH Nachw. z.B. bei Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 305 ff.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
Eine öffentliche Zustellung an eine Nicht-Partei war nach dem Wortlaut des 2105b § 203 I ZPO a.F. unzulässig. Anders nunmehr § 185 Nr. 1 ZPO (Rz. 2143). Demnach war die öffentliche Zustellung an einen gesetzlichen Vertreter, Prozessbevollmächtigten, Zeugen oder Drittschuldner (Rz. 2142) nicht möglich. Zulässig war aber die öffentliche Zustellung an den Streitverkündungsgegner und den Nebenintervenienten sowie an den Gläubiger und den Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren. Durch die öffentliche Zustellung wird das verfassungsmäßige Recht des Zustel- 2105c lungsadressaten auf rechtliches Gehör in den meisten Fällen vereitelt. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege hingenommen.114 Auf jeden Fall können Manipulationen des Prozessgegners nicht toleriert wer- 2105d den. Die von einer Partei in Kenntnis des Aufenthalts des Prozessgegners erwirkte öffentliche Zustellung eines Urteils ist rechtsmissbräuchlich und grenzt an Prozessbetrug. Dem Prozessgegner ist deshalb auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der nicht eingehaltenen Frist zur Anfechtung des Urteils (§ 233 ZPO) zu gewähren.115 Eine förmliche Aufhebung des die öffentliche Zustellung bewilligenden Gerichtsbeschlusses ist nicht erforderlich.116
VIII. Zustellung an Dritte § 183 ZPO gilt auch für Zustellungen an Dritte (= Nicht-Parteien), z.B. Streitver- 2106 kündungsempfänger, Zeugen, Sachverständige etc. Die deutsche lex fori befindet darüber, ob förmliche Zustellung erforderlich ist.117
IX. Maßgeblichkeit der lex fori für Zustellungsverfahren Über das Zustellungsverfahren entscheidet auch bei ausländischem Sachstatut 2107 allein die deutsche lex fori: Ist z.B. in der Sache französisches Recht anzuwenden, so kann das deutsche Gericht gleichwohl nicht durch remise au parquet zustellen118 oder bei Maßgeblichkeit des Rechtes eines US-Bundesstaates nach den FRCP.
114 Zusammenstellung der Judikatur bei Roth, JZ 1991, 91. S. auch Graßhof in FS Merz, 1992, 133; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 10 sowie BVerfG v. 3.6.1991 – 2 BvR 511/89, NJW 1992, 224. 115 BGH v. 6.4.1992 – II ZR 242/91, MDR 1992, 997. 116 Überholt BGH v. 6.10.1971, BGHZ 57, 108 (110). 117 Zöller/Geimer, ZPO30, § 363 Rz. 13. 118 Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig, EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-522/03 – Scania, NJW 2005, 3627 = RIW 2005, 940 = IPRax 2006, 157 (Stadler 116). Weitergehend z.B. Frauenberger-Pfeiler, Das neue Zustellrecht aus österr. Sicht in König/Mayr, EuZVR in Österreich II, 2009, 89, 98 m.w.N. S. auch Markus/Rodriguez in Breitenmoser/Ehrenzeller, Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, 101, 110;
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
X. Notwendigkeit der Auslandszustellung 2108 Auch hierüber befindet allein die deutsche lex fori (Rz. 2081).119 So ist z.B. Auslandszustellung nicht erforderlich, wenn der Beklagte eine Zweitwohnung120 oder ein Geschäftslokal (§ 178 ZPO)121 im Inland hat (Rz. 1929b) oder bereits einen inländischen Rechtsanwalt oder Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat122 oder sich der Zustellungsadressat (zufällig) im Inland aufhält, z.B. bei einem Besuch einer Messe123 oder einer Tagung, § 177 ZPO.124 Der Gerichtsvollzieher darf die Zustellung nicht unter Hinweis auf § 27 GVGA verweigern; widrigenfalls kommt Amtshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB) in Betracht.125 2109 Hält sich der Zustellungsadressat – wenn auch nur vorübergehend – im Gerichtsstaat auf, so wird eine Auslandszustellung entbehrlich, wenn es gelingt,
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Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 282 ff.; Hüßtege, IPRax 2009, 321 (323); Peer in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Kap. 81 (2010) Art. 1 EuZVO Rz. 5; Rauscher/Heiderhoff, EuZPR/EuIPR, 2010, EG-ZustVO, Einl. Rz. 40; Art. 1 Rz. 16, Art. 19 Rz. 2. Dagegen Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 79a, 84. Differenzierend Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 225. Anders allerdings nun die Tendenz des EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-325/11 – Alder/Orlowski, NJW 2013, 443 (Rz. 124a, 2082). OLG Köln v. 16.8.1988 – 22 W 30/88, RIW 1989, 814 = NJW-RR 1989, 443 = IPRspr. 1988 Nr. 175; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 54. OLG Düsseldorf v. 11.5.1978, MDR 1978, 930 = IPRspr. 1978 Nr. 140; BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = IPRax 1997, 335 (Schack 318) = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194; BGH v. 25.2.1999 – VII ZR 408/97, MDR 1999, 670 = NJW 1999, 2442 (2443) = RIW 1999, 456 = IPRax 2001, 331 (Pulkowski 306) = IPRspr. 1999 Nr. 110. Ein dem Zustellungsadressaten zurechenbarer Rechtsschein eines inländischen Geschäftslokals genügt, OLG Hamburg v. 6.9.2005 – 5 W 71/05, OLGR 2006, 297. BGH v. 22.11.1988 – VI ZR 226/87, NJW 1989, 1154 = RIW 1989, 481 = MDR 1989, 345 = IPRspr. 1988 Nr. 178; maßgeblicher Zeitpunkt: OLG Hamburg v. 6.11.1987 – 14 U 127/87, NJW-RR 1988, 1277 = IPRspr. 1987 Nr. 170. Der Schadensregulierungsbeauftragte einer ausländischen Versicherungsgesellschaft gem. RL 2000/26/EG v. 16.5.2000 (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL) hat keine Zustellungsempfangsvollmacht. Daher ist das verfahrenseinleitende Schriftstück der Beklagten im Ausland an deren Sitz zuzustellen. KG v. 5.3.2008 – 22 W 6/08, NJW-RR 2008, 1023 = OLGR 2008, 556. OLG Köln v. 13.8.2009 – 17 W 181/09, NJW-RR 2010, 646. S. auch Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 98; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 23. Art. 1 EuZustVO erfasst nicht Zustellungen im Gerichtsstaat. Daher Zustellung durch deutsche Gerichtsvollzieher (§ 177 ZPO) an EU-Ausländer, die sich vorübergehend in Deutschland aufhalten, weiterhin möglich, LG Hamburg v. 12.3.2013, RdTW 2013, 288 (Grau); Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (20). S. auch Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 Rz. 25, 33. Auch steht nicht entgegen, dass bereits um ausländische Zustellungshilfe ersucht worden ist, die Auslandszustellung aber noch nicht durchgeführt worden ist, OLG Köln v. 13.8.2009 – 17 W 181/09, NJW-RR 2010, 646.
Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
die Zustellung im Inland durchzuführen.126 Bei Zustellung an einen sich nur vorübergehend im Inland aufhaltenden Adressaten (§ 177 ZPO)127 will Koch128 „im Interesse der Gewährleistung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens für den Adressaten“ die Kautelen der Rechtshilfeverträge analog anwenden; er verlangt insbes. analog Art. 5 III HZÜ und Art. 48 II EuGVÜ/LugÜ 1988129 eine „Übersetzung in die Adressatensprache“.130 Diese Privilegierung von Durchreisenden ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Gerichtssprache ist Deutsch (§ 184 GVG) auch für Ausländer.131 Die h.M.132 betrachtet sogar das Hotelzimmer des durchreisenden Fremden als 2109a Wohnung i.S. des § 178 I Nr. 1 ZPO, um eine Ersatzzustellung an das Hotelpersonal zu ermöglichen. Diese Begriffsakrobatik geht aber zu weit.133 An Gesellschaften und juristische Personen mit dem Sitz der tatsächlichen Ver- 2109b waltung im Ausland kann im Inland an deren vertretungsberechtigte Organe zugestellt werden, sofern diese sich im Inland aufhalten.134 Im Fall des § 21 ZPO ist Auslandszustellung nicht erforderlich; es genügt die 2110 Zustellung an die inländische Zweigniederlassung135 (Rz. 3252). Im deutschen Recht ist – anders als in den Vereinigten Staaten von Amerika136 – 2111 ein „Zustellungsdurchgriff“ unzulässig. Daher kommt eine Zustellung an
126 Stürner, JZ 2006, 60 (62). 127 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 362. 128 Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 203. Ebenso mittlerweile auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 223. 129 S. Art. 55 II EuGVVO a.F./LugÜ 2007 sowie Art. 57 EuGVVO n.F. 130 S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 265 zur Ableitung eines Übersetzungserfordernisses aus Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGrundrechteCharta. 131 Zustimmend Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 255; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 23. Eine solche Zustellung ist nach deutschem Zustellungsrecht (§ 177 ZPO, § 3 II VwZG, § 14 SGB X) möglich. Es handelt sich um eine normale Inlandszustellung. Differenzierend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 56 ff. 132 Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 178 Rz. 18; Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 178 Rz. 7: „Zimmer eines Durchreisenden im Gasthof“. 133 Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 284; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 48, 149. 134 G. Geimer, a.a.O., 149. 135 Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 246, 294. Vgl. auch LG Frankfurt/M. v. 9.12.1985, RIW 1987, 221 = IPRspr. 1985 Nr. 33. Zur Ersatzzustellung im Geschäftslokal S. Rz. 3252. 136 VW AG v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988): „service on an affiliated corporation“. Der Fall betraf eine Klage gegen die VW AG in Wolfsburg, die deren US-Tochtergesellschaft in den USA zugestellt worden war. Hierzu Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 143 ff.; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 150; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 237; Stürner, JZ 2006, 60 (62); Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 105. Man streitet darüber, ob diese Methode der Umgehung der Auslandszustellung
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
100 %-ige inländische Tochtergesellschaft für die ausländische Muttergesellschaft nicht in Betracht.137
XI. Fiktive Inlandszustellung gem. § 184 I 2 ZPO 1. Überblick 2112 Die Zustellung im Ausland ist bei Zustellungsadressaten – jedenfalls außerhalb des geografischen Anwendungsbereichs der Europäischen Zustellungsverordnung (Rz. 2074a, 2082) – entbehrlich, wenn gem. § 184 I 2 ZPO138 die Zustellung an einen im Ausland befindlichen Adressaten im Inland durch Aufgabe der Sendung zur Post bewirkt werden kann, also regelmäßig in einem bereits rechtshängigen Verfahren (Rz. 2076)139; das Gleiche gilt in den Fällen der §§ 829 II 4, 835 III 1, 841, 844 II, 875 II ZPO und außerhalb der ZPO gem. § 4 ZVG; § 127 I Nr. 5 PatG; § 31 EuRAG (Rz. 2227a), § 8 I 2 InsO (Ausnahme: Zustellung an Gläubiger im Verbraucherinsolvenzverfahren, § 307 I 3 InsO).140
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mit dem HZÜ vereinbar ist, Nachw. bei Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995, 176 Fn. 651. Bejahend Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 1 HZÜ Rz. 7; verneinend z.B. Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, 49 Rz. 65 ff. Böhmer, NJW 1990, 3052; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 175, 185; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 24. Anders Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 252 mit der vor allem aus der Perspektive des Art. 103 I GG einleuchtenden Erwägung, die Bekanntgabe an die Tochtergesellschaft sei einer fiktiven Zustellung vorzuziehen. Auch Fleischhauer (Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 293) will den „Zustellungsdurchgriff über die Grenze“ in den deutschen Zivilprozess implementieren. Denn es sei ungerecht, den Kläger auf die Auslandszustellung zu verweisen, wenn eine ausländische Gesellschaft im Inland durch eine hier ansässige Tochtergesellschaft am inländischen Marktgeschehen teilnimmt … Das strikte gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip werde den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten nicht gerecht. Zudem sei davon auszugehen, dass international operierende Unternehmen in ihrem internen Bereich besser als staatliche Behörden für die schnelle Weiterleitung einmal zugestellter Schriftstücke sorgen können. Beispiel: Zustellung in die Türkei, OLG Hamm v. 10.8.2011 – 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62 = IPRspr. 2011 Nr. 257. § 175 ZPO a.F. war keine legislatio in fraudem legis internationalis (so aber Schlosser in FS Stiefel, 1987, 683), auch geht es nicht nur um das Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Souveränitätsanspruch und dem Anspruch der (beklagten) Prozesspartei auf ein faires Verfahren (Schlosser in FS Matscher, 1993, 387); vielmehr diente § 175 ZPO a.F. (§ 184 ZPO n.F.) neben dem Postulat der Prozessökonomie dem Justizgewährungsanspruch des Klägers. Dies heben BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/ Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = IPRspr. 1998 Nr. 171, sowie BGH v. 24.7.2000 – II ZB 20/99, NJW 2000, 3284 (3285) = MDR 2000, 1333 = WM 2000, 1972 = IHR 2001, 120 = IPRspr. 2000 Nr. 139 deutlich hervor. Rechtsvergleichend zu den Methoden der Inlandszustellung nach US-Recht Hopt/ Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 103 ff. Zur Zustellung nach der InsO Sabel, ZIP 1999, 305.
Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
Es handelt sich um eine (fiktive) Inlandszustellung. Der Zustellungstatbestand des § 184 I 2 ZPO ist bereits mit Einwurf in den (im Inland befindlichen) Postkasten erfüllt. Diese Zustellungsvariante setzt eine Anordnung des Gerichts voraus, die nicht selbständig mit der Beschwerde anfechtbar ist, § 567 I ZPO.141 Die Befugnis zur Zustellung durch Aufgabe zur Post entfällt, sobald der Zustel- 2113 lungsadressat doch noch einen Zustellungsbevollmächtigten oder Prozessbevollmächtigten bestellt oder wenn er seinen Wohnsitz in das Inland verlegt und dies dem Gericht bzw. dem Gegner mitteilt.142 Die Zustellung der Klage bzw. der Antragsschrift an einen im Ausland lebenden 2114 Beklagten durch Aufgabe zur Post (§ 184 I 2 ZPO) ist fehlerhaft (Rz. 2094). Eine solche Zustellung setzt voraus, dass die im Ausland wohnende Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, obwohl sie dazu gem. § 184 I ZPO verpflichtet war.143 Eine solche Prozessförderungspflicht besteht aber erst nach Rechtshängigkeit, also nach rechtswirksamer Zustellung der Klage bzw. der Antragsschrift bzw. des Mahnbescheides.144 Vorher ist nach § 183 I ZPO zu verfahren. Auch die Zustellung von Urteilen, einschließlich von Versäumnisurteilen, kann 2115 durch Aufgabe zur Post gem. § 184 I 2 ZPO erfolgen (Rz. 2078).145 Nichts anderes gilt im Anwendungsbereich der bi- und multilateralen Verträge. Diese regeln nur die Art und Weise der Zustellung, nicht jedoch die Frage, wann eine Zustellung im Ausland erforderlich ist (Rz. 2082).146 Auch Vollstreckungsbescheide können nach § 184 I 2 ZPO zugestellt werden, sofern bei Zustellung des Mahnbescheids gem. § 183 I 2 ZPO der Schuldner aufgefordert worden war, innerhalb angemessener Frist einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu ernennen.
141 Anders ist es nach österr. Recht Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 287. 142 Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 308; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 40. 143 OLG München v. 10.4.1987 – 23 U 6422/86, RIW 1989, 57 = IPRax 1988, 164 (Hausmann 140) = IPRspr. 1987 Nr. 142. 144 BGH v. 13.11.2001 – VI ZB 9/01, MDR 2002, 350 = NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237 = VersR 2003, 345 = IHR 2003, 44 = LM § 202 ZPO Nr. 1 = IPRspr. 2001 Nr. 168. 145 BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, BRAK 1999, 255 m. Anm. Jungk = NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer) = IPRspr. 1998 Nr. 171; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 42; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 227. Zur Wiedereinsetzung (§ 233 I ZPO), wenn die Sendung verloren geht, BGH v. 24.7.2000 – II ZB 20/99, NJW 2000, 3284 = MDR 2000, 1333 = WM 2000, 1972 = IHR 2001, 120 = IPRspr. 2000 Nr. 139. 146 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 46. Anders jedoch OLG Düsseldorf v. 11.1.2008 – 17 U 86/07, IPRax 2010, 169 = OLGR 2008, 501 für den Anwendungsbereich der EuZustVO; Hüßtege, IPRax 2009, 321 (323).
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2116 Die Zustellung durch Aufgabe zur Post ist nach der Fiktion des § 184 II 1 ZPO reine Inlandszustellung.147 § 339 II ZPO kommt nach h.M. deshalb nicht zur Anwendung.148 Die Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsfristen liefen gem. § 175 I 2 ZPO a.F. nach h.M. ab Aufgabe zur Post, ohne Rücksicht darauf, dass eine realistische Chance auf (rechtzeitigen) Zugang beim Empfänger besteht, ja selbst dann, wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt.149 Doch gebot und gebietet Art. 103 I GG, die Fristen richterlich zu bestimmen.150 Wesentlich moderater ist nunmehr § 184 II ZPO formuliert: Danach gilt das Schriftstück zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Das Gericht kann eine längere Frist setzen.
147 BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = MDR 1999, 311 = IPRspr. 1998 Nr. 171; BGH v. 3.2.1999 – VIII ZB 35/98, MDR 1999, 759 = NJW 1999, 1871 = RIW 1999, 454 = IPRax 2000, 21 (H. Roth 11) = LM § 175 ZPO Nr. 13 (R. Geimer) = IPRspr. 1999 Nr. 139. 148 BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = RIW 1986, 991 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = LM Nr. 9 zu § 175 ZPO = EWiR 1987, 93 (R. Geimer); BGH v. 4.12.1991 – IV ZB 4/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1701, 1702 = RIW 1992, 398; BGH v. 13.11.2001 – VI ZB 9/01, MDR 2002, 350 = NJW 2002, 521 = RIW 2002, 237. Die Frage, ob die Einspruchsfrist nach § 339 II ZPO individuell zu bestimmen ist, brauchte im Fall von BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, MDR 1999, 311 = NJW 1999, 1187 nicht entschieden zu werden; gleichwohl bekundet der BGH auch in dieser Entscheidung deutlich Sympathie für die Anwendung des § 339 I ZPO, da der Zustellungstatbestand des § 175 ZPO a.F. (jetzt § 184 ZPO: Einwurf in den deutschen Briefkasten) als Inlandszustellung konstruiert ist, hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 38. 149 OLG München v. 15.3.1940, DR 1940, 991 (Schönke) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 623; KG v. 3.2.1936, JW 1936, 1689 (Maßfeller) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 657. 150 G. Geimer, Neuordnung des int. Zustellungsrechts, 1999, 43. Anders BGH v. 4.12.1991 – IV ZB 4/91, MDR 1992, 515 = RIW 1992, 398: „Derartige Fälle lassen sich aber mit Hilfe einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 339 II ZPO nicht allgemein lösen, sondern allenfalls entschärfen. Das geeignete Mittel … ist vielmehr das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Einen entsprechenden Weg geht Art. 16 I (a) HZÜ.“ Der BGH verlangt auch von juristisch nicht vorgebildeten Laien, dass sie sich alsbald nach Zugang einer (nachteiligen) Entscheidung über Form und Frist einer Anfechtung dieser Entscheidung, insb. über die Wirkung einer Zustellung durch Aufgabe zur Post erkundigen. Diese prozessuale Last trifft gleichermaßen In- und Ausländer, BGH v. 22.2.1989 – IVb ZB 150/88, FamRZ 1989, 1287 (Hausmann) = IPRspr. 1989 Nr. 203. Kritischer Bachmann, FamRZ 1996, 1276 (1277). Offen gelassen von BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) = IPRspr. 1998 Nr. 171. Allerdings ist allein der Umstand, dass die im Ausland wohnende Partei entgegen § 184 I ZPO n.F. bzw. § 174 II ZPO a.F. keinen Zustellungsbevollmächtigten im Inland bestellt hat, kein ausreichender Grund, die Wiedereinsetzung zu verweigern, BGH v. 24.7.2000 – II ZB 20/99, NJW 2000, 3284 = MDR 2000, 1333 = IPRspr. 2000 Nr. 139. Die Rspr. des BGH wurde (bisher) vom BVerfG nicht beanstandet. Vgl. BVerfG v. 19.2.1997 – 1 BvR 1353/95, NJW 1997, 1772 = IPRspr. 1997 Nr. 171. Hierzu Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 1999, 44.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
§ 184 ZPO gilt auch für die anschließende Zwangsvollstreckung (Rz. 3246), 2117 nicht jedoch für (selbständige) Annexverfahren, wie z.B. nach § 240 FamFG. Denn das Verfahren zur Festsetzung des Regelunterhalts knüpft zwar an den vorausgegangenen Unterhaltsprozess an, wird aber erst durch einen selbständigen Antrag in Gang gesetzt.151 2. Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post Der Bundesgerichtshof152 erachtet eine Zustellung durch Aufgabe zur Post als 2118 unwirksam, wenn auf dem zu übergebenden Schriftstück nicht das Land vermerkt ist, wohin die Sendung habe gelangen sollen. Dies sei, wenn eine Postsendung für einen Empfänger im Ausland bestimmt ist, ein Teil der Adresse, der für den ordnungsgemäßen störungsfreien Postweg wesentlich sei. Der (bisherige) Standpunkt des Bundesgerichtshofs ist zu starr; er läuft im Einzelfall auf Förmelei hinaus, etwa wenn eine Sendung nach Zürich oder nach Rom geht.153 3. Drohende internationale Entscheidungsdisharmonie wegen Gefahr der Nichtanerkennung deutscher Entscheidung im Ausland Die Zustellungsfiktion des § 175 ZPO a.F., vor allem aber der harte – mit Art. 103 2119 I GG nicht zu vereinbarende – Standpunkt der Rspr. zur Frage der Rechtsmittelund Rechtsbehelfsfristen (da es sich um eine „Inlandszustellung“ handelt, gewährt man schlicht und einfach nur die Fristen für „Inlandsfälle“, Rz. 2116) gefährdet(e) die internationale Entscheidungsharmonie, da die Gefahr besteht, dass das deutsche Urteil im Ausland nicht anerkannt wird. Art. 45 I (b) EuGVVO n.F. bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ154 bzw. die einschlägigen Pa- 2120 rallelvorschriften der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge155 bzw. das jeweilige autonome Anerkennungsrecht dürften zwar i.d.R. nicht zum Zuge kommen, wenn die Eröffnung des deutschen Verfahrens ordnungsgemäß (durch
151 LG Aachen v. 14.10.1982 – 5 T 220/82, Rpfleger 1983, 74 = IPRspr. 1982 Nr. 165. 152 BGH v. 7.3.1979 – V ZR 30/78, BGHZ 73, 378 (388) = MDR 1979, 750 = RIW 1979, 714. 153 OLG Köln v. 30.10.1985, MDR 1986, 244 = EWiR 1986, 205 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 171. Kritisch auch Hausmann, IPRax 1988, 143 Fn. 33. Großzügiger allerdings BGH v. 10.11.1998 – VI ZR 243/97, NJW 1999, 1187 = LM § 174 ZPO Nr. 8 (R. Geimer) = RIW 1999, 295 (Kiethe/Groeschke 249) = MDR 1999, 311 = IPRax 2000, 23 (Fleischhauer 13) und BGH v. 13.6.2001 – V ZB 20/01, NJW-RR 2001, 1361 = MDR 2001, 1130 = VersR 2001, 505 (2003, 345) bei falscher Schreibweise des Zustellungsortes im Ausland. Der BGH spricht sich gegen übertriebene formalistische Anforderungen bei der Schreibweise der Zustellungsanschrift aus und zieht deshalb die Unwirksamkeit der Zustellung allenfalls dann in Betracht, wenn die unvollständige oder unrichtige Schreibweise zu einer realistischen Verwechslungsgefahr führt. Eine solche ist trotz inkorrekter Schreibweise des Bestimmungsortes nicht gegeben, wenn die Postleitzahl stimmt. 154 Prinzipiell anerkennungsfreundlicher nunmehr Art. 45 I (b) EuGVVO n.F. und Art. 34 Nr. 2 LugÜ; hierzu Gottwald in FS Schumann, 2001, 149. 155 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1472.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
Zustellung an den Beklagten gem. § 183 ZPO) und die Ladung rechtzeitig156 erfolgt sind, m.a.W. der Beklagte von dem gegen ihn in Deutschland eingeleiteten Verfahren rechtzeitig Kenntnis erlangt hat.157 Doch kann das deutsche Verfahren im Ausland auch unter dem Gesichtspunkt des ordre public (Rz. 2945 ff.) kontrolliert werden.158 Dieses Risiko dürfte nach Inkrafttreten des ausgewogeneren § 184 ZPO n.F. kleiner geworden sein. 2121 Will die interessierte Partei (i.d.R. der Kläger bzw. Antragsteller) dennoch das Risiko der Nichtanerkennung der deutschen Entscheidung möglichst vermeiden, dann ist auf ihren Antrag zusätzlich nach § 183 I 2 ZPO zuzustellen, auch wenn die Voraussetzungen des § 184 ZPO gegeben sind.159 Wird kumulativ nach § 184 ZPO und § 183 ZPO zugestellt, dann sind die Rechtsmittelfristen individuell (richterlich) zu bestimmen.160 4. Ermessensspielraum des Gerichts? 2122 Weder das Gericht noch die Geschäftsstelle haben – entgegen dem Wortlaut des Gesetzes – im Regelfall einen Ermessensspielraum. Ohne Antrag der interessierten Partei muss nach § 184 I 2 ZPO verfahren werden. Das Gericht darf nicht von sich aus – im Interesse der internationalen Entscheidungsharmonie bzw. zur Wahrung der Autorität der deutschen Justiz, für welche das ausländische Verdikt der ordre public-Widrigkeit des deutschen Verfahrens kein Kompliment ist – den zeitraubenden Weg des § 183 I Satz 2 Alt. 2 ZPO wählen. Denn weder die deutsche internationale Entscheidungszuständigkeit noch die Durchführung des deutschen Verfahrens hängen davon ab, dass das Ausland die zu erwartende deutsche Entscheidung anerkennt.161 2123 Der Anspruch auf Justizgewährung hat Vorrang (Rz. 68, 1929, 1937).162 Den Kläger/Antragsteller mit universalistischen Ideen zu bevormunden, gestattet die ZPO nicht. Dieser kann z.B. an einer schnellen Entscheidung interessiert sein, weil er nur so Zugriff auf im Inland belegenes Vermögen erlangen kann. Auch in Ehesachen kann z.B. eine „rasche Scheidung“ sinnvoll sein, weil der Antragsteller in Deutschland bleiben will und ihm die Anerkennung der deutschen Ent156 Hierzu R. Geimer, IPRax 1988, 271. 157 Ausgenommen die Fälle, in denen die deutsche Klage/Antragsschrift de facto den Beklagten nicht erreicht hat, z.B. wegen öffentlicher Zustellung. Grundlegend zum Spannungsverhältnis mit dem Erfordernis rechtlichen Gehörs BGH v. 19.12.2001 – VIII ZR 282/00, MDR 2002, 600 = NJW 2002, 827. 158 Zurückhaltend jedoch gegenüber § 175 ZPO a.F. das Schweizerische Bundesgericht in ständiger Rspr., BGE 102a I a 308, 103 Ia 199, 105 Ib 45, zustimmend Egli, RIW 1991, 983. 159 Schlosser in FS Stiefel 1987, 692; LG Berlin v. 15.12.1988 – 52 T 52/88, NJW 1989, 1434 = IPRspr. 1988 Nr. 179. Enger OLG München v. 10.4.1987 – 23 U 6422/86, RIW 1989, 57 = IPRax 1988, 164 (Hausmann 140, 144) = IPRspr. 1987 Nr. 142. 160 Schlosser in FS Stiefel, 1987, 693; Hausmann, IPRax 1988, 146; Roth, IPRax 1990, 92. Zurückhaltend jedoch Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 247. 161 Einzige Ausnahme: § 98 I Nr. 4 FamFG, s. Rz. 1954a. 162 R. Geimer, NJW 1989, 2204.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
scheidung in seinem Heimatstaat oder in dem seines (früheren) Ehepartners gleichgültig sein kann. Das Gleiche trifft für die Aufhebung einer Lebenspartnerschaft (§ 269 I Nr. 1 FamFG) zu.163 5. Kritik Es zeigt sich wieder, dass das Festhalten an der förmlichen Auslandszustellung 2124 (§ 183 I 2 ZPO) und die Ablehnung der Anwendung des § 189 ZPO durch den Bundesgerichtshof (Rz. 2102) es äußerst schwer machen, die wirklich skandalösen Fälle, die Schlosser bei seiner harten Kritik an § 175 ZPO a.F. im Auge hatte164, abzugrenzen von den Fällen, in denen dem Zustellungsadressaten das rechtliche Gehör unstreitig gewährt wurde (weil außer Zweifel steht, dass er das zu übermittelnde Schriftstück samt Ladung etc. erhalten hat), er aber sein Heil in Förmelei165 sucht, um so seiner Gerichtspflichtigkeit in Deutschland zu entgehen oder zumindest den deutschen Prozess zu verschleppen und um für das Anerkennungsstadium einen „internationalen Revisionsgrund“ zu konstruieren. Ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten zu fördern, kann nicht Aufgabe der Justiz in einem zusammenwachsenden Europa und in einer immer stärker vernetzten Welt sein.166 6. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit § 15 II FamFG lässt – neben der Zustellung nach §§ 166 bis 195 ZPO, also auch 2125 nach §§ 183, 184 ZPO – die Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post zu.167
XII. Verhältnis zwischen Judikative und Exekutive Den Zustellungsempfänger bestimmt das Gericht. Insoweit kann die Justizver- 2126 waltung keine Weisung geben, allenfalls bei offensichtlichen Irrtümern notwendige Hinweise. Die Anordnung der Auslandszustellung168 erfolgt in richterli-
163 Das Thema hat aber auch eine Kehrseite: Um die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung einer deutschen gerichtlichen Entscheidung im Ausland zu ermöglichen, ist auf Antrag der (interessierten) Partei die Auslandszustellung im förmlichen Rechtshilfeweg zu wiederholen, wenn Zustellung nur nach § 184 ZPO erfolgt war, OLG Stuttgart v. 11.5.2011 – 5 W 8/11, NJW-RR 2011, 1631 = IPRspr. 2011 Nr. 256. 164 Schlosser in FS Stiefel, 1987, 683: „legislatio in fraudem legis internationalis“. 165 Dass die Förmlichkeiten des Zustellungsrechts kein Selbstzweck sind, sondern das rechtliche Gehör sicherstellen sollen, betont (in anderem Zusammenhang) sehr deutlich der BGH (BGH v. 21.3.2001 – VIII ZR 244/00, MDR 2001, 889 = NJW 2001, 1946). 166 R. Geimer, EuZW 1991, 445. 167 Zum alten Recht (§ 16 FGG) OLG Bamberg v. 16.11.1998 – 2 UF 173/98, FamRZ 1999, 938. 168 Diese ist als prozessleitende Verfügung grundsätzlich nicht selbständig mit der Beschwerde anfechtbar, OLG München v. 23.6.2008 – 7 W 1649/08, MDR 2008, 1298 = OLGR 2008, 812; jedoch ist Beschwerde gegen Anordnung eines Kostenvorschusses
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
cher Unabhängigkeit (Art. 97 GG). Die Ausführung fällt in den Bereich der Pflege der auswärtigen Beziehungen, für welche die Bundesregierung zuständig ist, Art. 32 I GG. Diese überlässt die praktische Durchführung zwar den Ländern. Gleichwohl bleibt die Erledigung – wie bei der Weiterleitung von Ersuchen um Beweisaufnahme – materiell Sache des Bundes (Rz. 263, 2395). Trotz der Zustimmung des Bundes zur ZRHO ist die Zuständigkeit nicht auf die Länder übertragen. Dies wäre verfassungswidrig. Es handelt sich nicht um eigene Angelegenheiten der Länder (Art. 84 I GG); sie führen die ihnen vom Bund übertragenen Aufgaben vielmehr im Auftrag des Bundes aus.169 Dort ist sie Angelegenheit der Justizverwaltung; sie gehört daher nicht zum Bereich der Rspr.170 2127 Die Justizverwaltung ist berechtigt, die Weiterleitung des Rechtshilfeersuchens abzulehnen, wenn die Weiterleitung keinen Erfolg verspricht, z.B. weil der ersuchte Staat aller Voraussicht nach diesem Ersuchen nicht Folge leisten wird oder weil das Ersuchen gegen internationale Gepflogenheiten verstoßen würde171 oder die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt außenpolitische Bedenken erhebt.172 2128 § 839 II BGB gilt nicht. Daher kommt Staatshaftung (Art. 34 GG) in Betracht, wenn der deutschen Justizverwaltung oder dem Auswärtigen Amt ein Fehler vorzuwerfen ist.173 2129 Ist in einem völkerrechtlichen Vertrag der unmittelbare Verkehr der Gerichte vereinbart, so liegt gleichwohl materiell keine Rspr. (Art. 92 GG) vor. Das Gericht nimmt vielmehr kraft Delegation eine Aufgabe der Justizverwaltung wahr und ist insoweit weisungsgebunden.174 Die „auswärtige Gewalt“ und die aus Art. 32 I GG resultierenden Befugnisse der Regierung bzw. der Exekutive (Justizverwal-
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(in diesem Zusammenhang, z.B. für Übersetzungskosten etc.) statthaft; dabei wird die Rechtmäßigkeit der Auslandszustellung geprüft, KG v. 5.3.2008 – 2 W 6/08, NJWRR 2008, 1023 = VersR 2009, 93 = OLGR 2008, 556; Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 47. A.A. Schlosser in GS Constantinesco, 1983, 660; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 115; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 78. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 89 Fn. 60; Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 47; R. Geimer, NJW 1989, 2177, 2205; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 7 Rz. 22. Kritisch Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung in Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung, Bd. 10, 1999, 100. OLG Frankfurt v. 22.9.1987 – 5 U 60/86, NJW-RR 1988, 682 = RIW 1988, 133 (134) = IPRspr. 1987 Nr. 20. S. auch LG Bonn v. 11.2.1987 – 5 T 151/86, IPRax 1987, 231 (Mansel 210) = IPRspr. 1987 Nr. 140a und OLG Köln v. 23.3.1987 – 1 W 14/87, RIW 1988, 301 = IPRax 1987, 231 (Mansel 210) = IPRspr. 1987 Nr. 140. S. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 247. Vgl. auch vice versa, Rz. 2155 sowie Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 131 Fn. 144 und Heidrich, EuZW 2005, 743. Das Gleiche gilt für Art. 2 I EuZustVO, Zöller/Geimer, ZPO30, § 1069 Rz. 1.
Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
tungen der Länder) sind durch den Abschluss der völkerrechtlichen Vereinbarung innerstaatlich keineswegs „verbraucht“.175
XIII. Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Rechtshilfebehörde Die Entscheidungen der Prüfungsstelle (§ 9 ZRHO) bzw. der Zentralen Stelle 2130 sind Justizverwaltungsakte.176 Gegen die Ablehnung der Auslandszustellung durch die Justizverwaltung ist der Antrag der Partei(en) auf gerichtliche Entscheidung zum Oberlandesgericht zulässig, §§ 23 ff. EGGVG.177 Anfechtungsberechtigt sind sowohl diejenige Partei, die an der Durchführung der Zustellung interessiert ist, als auch der Parteivertreter als „ersuchende Stelle“178; nicht jedoch der ausländische Staat, welcher die Zustellung beantragt hat.179 Das ersuchende Gericht kann keine (gegenteilige) Weisung an die Justizverwal- 2131 tung erlassen.180
XIV. Durchführung der Auslandszustellung nach § 183 I 2 ZPO Die Auslandszustellung wird vom Vorsitzenden veranlasst (Rz. 2099). Er sendet 2132 das Zustellungsersuchen – gegebenenfalls mit Begleitschrift (§§ 24, 25 ZRHO) – an die Prüfungsstelle, §§ 9, 29 ZRHO. Diese hat festzustellen, ob die Bestimmungen der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge und der ZRHO beachtet sind. Ist anzunehmen, dass ein fremder Staat die Durchführung eines deutschen Gerichtsaktes als Eingriff in seine Hoheitsrechte betrachten wird (z.B. Zustellung einer Klage gegen den fremden Staat)181, ist der Landesjustizverwaltung zu berichten, § 29 II ZRHO. Die Prüfungsstelle leitet das Ersuchen nach Prüfung, gegebenenfalls nach Behebung von Mängeln weiter, § 30 ZRHO.
175 S. auch Pfeiffer in FS Paul Kirchhoff, 2013, 1315, 1325 – § 121 Rz. 22. A.A. Karen Ilka Mössle, a.a.O., 133 im Anschluss an Schlosser in Gedächtnisschrift Constantinesco, 1983, 661. 176 OLG Köln v. 7.8.1986 – 7 VA 3/86, RIW 1988, 55; Stadler, IPRax 1992, 147 Fn. 6; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 132. 177 OLG Düsseldorf v. 11.1.1980, IPRspr. 1980 Nr. 177; OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199. 178 OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, RIW 1989, 483 (484) = NJW 1989, 3102 (Greger) = IPRax 1990, 175 (Stürner/Stadler 157) = IPRspr. 1989 Nr. 205. 179 R. Geimer, NJW 1989, 2177. Vgl. auch Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 92. Zur Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Auslandszustellung besteht Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 1 HZÜ Rz. 17. 180 OLG Köln v. 30.10.1985 – 4 WF 141/85, FamRZ 1985, 1278 (1279) = IPRspr. 1985 Nr. 171. 181 Früher auch bei Zustellung von Pfändungs- und Überweisungsabschlüssen an einen Drittschuldner, die sich gegen ausländisches, nicht der deutschen Zwangsgewalt unterworfenes Vermögen richten, s. Rz. 2165.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2133 Das Gericht stellt entweder – Antrag auf formlose Zustellung (remise volontaire ou amiable), aufgrund deren die Zustellung durch einfache Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger bewirkt werden soll, sofern er zur Annahme bereit ist, § 5 Nr. 1a ZRHO, Art. 2 Satz 2 HZPÜ, Art. 5 II HZÜ182 oder – Antrag auf förmliche Zustellung, aufgrund deren die Zustellung entweder in der Form, die durch die Gesetzgebung des ersuchten Staates für eine gleichartige Zustellung vorgeschrieben ist, oder in einer besonderen Form bewirkt werden soll, die das ersuchende deutsche Gericht gewünscht hat, § 5 Nr. 1b ZRHO, Art. 3 II 1 HZPÜ, Art. 5 I HZÜ183, Art. 7 I EuZustVO. 2134 Im vertragslosen Verkehr kommt nur eine formlose Zustellung in Betracht. Im vertraglich geregelten Verkehr (Rz. 2071) ist im Zustellungsersuchen anzugeben, ob formlose oder förmliche Zustellung verlangt wird und gegebenenfalls ob die förmliche Zustellung nach dem Zustellungsrecht des ersuchten Staates oder in besonderen Formen erfolgen soll, § 51 III ZRHO.184 2135 Eine förmliche Zustellung (auch gegen den Willen des Zustellungsadressaten) ist nur bei Einschaltung der ausländischen Rechtshilfeinstanzen (Behörden des ersuchten Staates) möglich (aktive Rechtshilfe), nicht jedoch im Wege der Zustellung durch die deutschen Auslandsbehörden (§ 183 II ZPO). Diese dürfen nur formlos zustellen.185 Diese formlose Zustellung ist eine vollgültige Zustellung i.S. der ZPO. Sie wird durch das Zustellungszeugnis der ersuchten Auslandsvertretung nachgewiesen, § 16 KonsularG (Rz. 3138). 2136 Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks in die Amtssprache des um Zustellung ersuchten ausländischen Staates (nicht Sprache, deren der Zustellungsadressat präsumtiv kundig ist) schreiben die Haager Übereinkommen186 und die bilateralen Rechtshilfeverträge und Zusatzvereinbarungen zu den Haager Übereinkommen nur für förmliche Zustellungen vor.187 Bei formloser Zustellung geht man davon aus, dass sich der Empfänger zur Annahme des fremdsprachigen
182 Hau, IPRax 1998, 456 sowie G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 66. 183 Hierzu auch Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 102. 184 Anders ist es im Anwendungsbereich der EuZustVO: Keine formlose Zustellung, § 101 III ZRHO. 185 § 14 II ZRHO. S. auch Rz. 2140. 186 Art. 5 III HZÜ, Art. 3 II HZPÜ. Allgemein zur Verkomplizierung des internationalen Rechtsverkehrs durch das Übersetzungserfordernis Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 102 ff.; Reisenhofer, Die Zustellung fremdsprachiger Schriftstücke im Zivilverfahren, in Clavora/ Garber, Sprache und Zivilverfahrensrecht, 2013, 105 ff. 187 S. auch Wilske/Krapfl, Zur Qualität von Übersetzungen bei Zustellung ausländischer gerichtlicher Schriftstücke, IPRax 2006, 10.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
Schriftstückes nur entschließen wird, wenn er dessen Inhalt versteht oder bereit und in der Lage ist, sich eine Übersetzung zu verschaffen.188 Die VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher 2136a und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten189 (EuZustVO, Rz. 245c) bringt eine gewisse Auflockerung. Anders als nach Art. 5 III HZÜ darf die förmliche Zustellung auch dann nicht verweigert werden, wenn das zuzustellende fremdsprachige Schriftstück nicht von einer Übersetzung begleitet ist. Die Übermittlungsstelle hat den Antragsteller (d.h. das ersuchende Gericht) nach Art. 5 zu informieren, dass der Empfänger die Entgegennahme nach Art. 8 verweigern kann oder das Schriftstück binnen einer Woche zurücksenden darf, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht in der bzw. einer der Amtssprachen des Empfangsmitgliedstaates oder in einer Sprache abgefasst ist, welche der Empfänger verstehen kann.190 In Strafsachen schreibt Art. 52 II des Schengener Durchführungsübereinkom- 2136b mens vom 14.6.1990 (Schengen II)191 für die Übermittlung gerichtlicher Urkunden unmittelbar durch die Post (ohne Einschaltung der Rechtshilfeinstanzen des Aufenthaltsstaates des Zustellungsadressaten) eine Übersetzung vor, „wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist.“192 Eine solche Rücksichtnahme kennt das autonome deutsche Zustellungsrecht nicht. § 183 ZPO verlangt nicht die Beifügung einer Übersetzung in die Amtssprache bzw. eine der Amtssprachen des Aufenthaltsstaates des Zustellungsadressaten (Rz. 2650). Werden im Strafprozess zivilrechtliche Ansprüche im Adhäsionsverfahren 2136c (§§ 403 ff. StPO) geltend gemacht, kommen insoweit die für den Zivilprozess maßgeblichen Verträge bzw. Rechtsinstrumente zur Anwendung, soweit möglich. Dies ist der Grundsatz, der jedoch Ausnahmen zulässt. So wird der (die Zivilklage surrogierende) Antrag nach § 404 StPO (Rz. 107) nicht separat nach § 183 ZPO zugestellt, sondern zusammen mit der Strafklage nach § 37 StPO; dies gilt auch, wenn der Antrag erst während des Strafprozesses gestellt wird.193 Übermittlungswege: Es gibt vier staatsvertraglich vereinbarte Möglichkeiten der 2137 Übermittlung194: – der diplomatische Weg, bei dem die diplomatische Vertretung des ersuchenden Staates die Erledigung des Zustellungsersuchens durch die zustellende Behörde des ersuchten Staates vermittelt,
188 BGH v. 20.9.1990 – XI ZB 1/88, NJW 1991, 641 = RIW 1990, 1010; OLG Düsseldorf v. 2.9.1998 – 3 W 148/98, IPRax 2000, 307 = RIW 1999, 464; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 51. 189 ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. 190 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 93 ff. 191 BGBl. II 1993, 1010. 192 Hierzu Schomburg, NJW 1995, 1931. 193 Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 83. – Zur Anerkennungsperspektive s. unten Rz. 2927e. 194 Hierzu Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 92.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
– der konsularische Weg, bei dem der Konsul des ersuchenden Staates die Erledigung wie bei a) vermittelt oder selbst vornimmt (vgl. Art. 5j WÜK), – der ministerielle Verkehr: Zuleitung an eine „Zentrale Behörde“, Art. 2 ff., Art. 21 HZÜ und – der unmittelbare Verkehr zwischen den Behörden beider Staaten (aufgrund besonderer Vereinbarungen, z.B. zwischen Deutschland und Belgien, Dänemark, Frankreich195, Luxemburg, Marokko, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz).196
XV. Zustellung durch die deutschen Auslandsvertretungen 2138 Die deutschen Auslandsvertretungen nehmen Zustellungen in eigener Zuständigkeit vor, soweit der Adressat deutscher Staatsangehöriger und zur Entgegennahme der Zustellung bereit ist. In allen anderen Fällen sind i.d.R. die zuständigen ausländischen Behörden zu ersuchen, § 16 KonsularG und § 51 ZRHO.197 Für die Ausführung der Zustellung durch Konsularbeamte gelten nicht die §§ 168 ff. ZPO. Es genügt deren Zeugnis, § 183 IV 2 ZPO, § 21 ZRHO.198 Dieses darf sich nicht auf die Feststellung der erfolgten Zustellung beschränken; es muss vielmehr Auskunft geben, wann, an wen und in welcher Form das zuzustellende Schriftstück übergeben worden ist. Bescheinigt der deutsche Konsularbeamte, dass ein Schriftstück zu einem bestimmten Zeitpunkt zugestellt worden ist, so wird damit konkludent bezeugt, dass dieses Schriftstück zu dem genannten Zeitpunkt dem Empfänger persönlich ausgehändigt worden ist, weil Konsularbeamte ohnehin keine „Zwangszustellungen“ an Ersatzpersonen vornehmen dürfen.199 Allerdings besteht die Möglichkeit, den Nachweis der Unrichtigkeit des Zeugnisses zu führen.200 2139 Ob deutsche Konsularbeamte nicht nur an deutsche, sondern auch an andere Staatsangehörige (des Empfangsstaates oder eines dritten Staates) und Staatenlose zustellen dürfen, hängt davon ab, wie großzügig der Empfangsstaat ist.201 2140 Kann die deutsche Auslandsvertretung die Zustellung in eigener Zuständigkeit bewirken, so sollte sie vor Neufassung der ZRHO gleichwohl die Zustellung nur besorgen, wenn mit der Anerkennung und Vollstreckung des deutschen Urteils im Ausland zu rechnen ist, §§ 32 IV, 13 III ZRHO a.F. Dies war zu viel der Fürsorge. Die genannte Passage ist nun in § 51 IV ZRHO n.F. gestrichen, nicht je-
195 Ausführlich Schumacher, IPRax 1985, 265. 196 Zur Fortgeltung der bilateralen Vereinbarungen in der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) S. Art. 20 EuZustVO. 197 Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, 3. Lfg. (Stand: Aug. 2007), 2008, § 5 Rz. 43; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 72, 111; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 7 Rz. 50 ff. 198 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 136; Kronke, IPRax 1995, 256; OLG Hamm v. 30.9.1994 – 35 U 29/94, RIW 1996, 156 (Kondring 722) = IPRspr. 1994 Nr. 161. 199 BVerwG v. 20.5.1999 – 3 C 7.98, NJW 2000, 683. 200 § 418 II ZPO. 201 Übersicht über die Staatenpraxis im Länderteil der ZRHO.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
doch in § 14 III 2 ZRHO n.F. Beantragt jedoch der Kläger/Antragssteller ausdrücklich Zustellung durch Inanspruchnahme ausländischer Rechtshilfe (nicht durch die deutsche Auslandsvertretung), so ist diesem Antrag stattzugeben, um zu verhindern, dass später bei der Anerkennung und Vollstreckung Schwierigkeiten auftreten.
XVI. Fristwahrung Zur Fristwahrung (z.B. nach § 929 II und III 2 ZPO) genügt Einreichung des Zu- 2141 stellungsgesuchs beim Vorsitzenden, § 167 ZPO. Die Rückwirkungsfiktion202 soll auch dann eingreifen, wenn Auslandszustellung vom Gericht verzögert wurde.203 Diese Rückwirkung gilt auch bei Maßgeblichkeit ausländischen Rechts in der Hauptsache.204 Im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1393/2007 (Rz. 245c) kommt es nach deren Art. 9 II auf das Recht des Übermittlungsmitgliedstaates an.205
XVII. Forderungspfändung Lehnt die ausländische (nach § 183 I 2 ZPO ersuchte) Rechtshilfebehörde – oder 2142 schon die deutsche Justizverwaltung (§ 29 II ZRHO, Rz. 1229) – die Zustellung ab, so war auch der Weg über § 203 ZPO a.F. nicht gangbar. Eine öffentliche Zustellung an Drittschuldner kam nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht in Betracht, weil der Drittschuldner nicht Partei i.S. von § 203 I ZPO a.F. ist (Rz. 1081). Nunmehr schließt § 185 ZPO n.F. eine öffentliche Zustellung nicht mehr aus.206 2143 Allerdings ist die Zahlung an den Vollstreckungsschuldner (= Gläubiger des Drittschuldners) in Unkenntnis der Pfändung nach § 804 ZPO i.V.m. §§ 1275, 407 BGB schuldbefreiend (Rz. 3249).
202 Hierzu z.B. BGH v. 18.5.1995 – VII ZR 191/94, MDR 1995, 844 = NJW 1995, 2230 (3380); BGH v. 11.7.2003 – V ZR 414/02, FamRZ 2003, 1462 = NJW 2003, 2830 = RIW 2004, 147 = MDR 2003, 1368 = IPRspr. 2003 Nr. 158; AG Köln v. 9.10.2003 – 323 F 251/93, FamRZ 2004, 468 = IPRspr. 2003 Nr. 163; Brand, NJW 2004, 1138; Schumann in FS Rolf Stürner, 2013, 541, 566 m.w.N. 203 OLG Hamburg v. 6.11.1987 – 14 U 127/87, NJW-RR 1988, 1277 = IPRspr. 1987 Nr. 170. Anders OLG Köln v. 16.2.1987 – 2 Wx 67/86, MDR 1987, 593 = NJW-RR 1987, 851 = IPRspr. 1987 Nr. 187, wenn Zustellungsadressat seinen Wohnsitz vom Ausland ins Inland verlegt. Vgl. auch LG Frankfurt/M. v. 12.4.1989, RIW 1989, 484 (unzulässige Zustellung nach § 175 ZPO a.F., jetzt § 184 ZPO) und OLG Schleswig v. 29.7.1988 – 14 U 251/87, NJW 1988, 3104 = RIW 1989, 309 = IPRspr. 1988 Nr. 173 (Verspätung, weil Gläubiger förmlich Zustellung [hilfsweise] zu beantragen versäumt hatte). 204 So für § 270 III ZPO a.F. Däubler, IPRax 1992, 83 gegen LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97 = IPRspr. 1991 Nr. 62. Ausführlich Nordmeier, ZZP 2011, 95. 205 Hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 54. 206 Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, vor §§ 183, 184 Rz. 2; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 256 ff.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
XVIII. Immunitätsrecht 1. Zustellung an ausländische Staaten 2144 Soweit ein fremder Staat für acta iure gestionis der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt, wird die Zustellung – auch im Anwendungsbereich der EuZustVO (Rz. 245c) – grundsätzlich auf diplomatischem Wege bewirkt (Rz. 415, 648a, 651).207 I.d.R. werden die Auslandsvertretungen Deutschlands mit der Übermittlung der Zustellung betraut, § 54 ZRHO. Die Zustellung an einen fremden Staat über dessen diplomatische Mission in Deutschland kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das Einverständnis des Missionschefs vorliegt, da dieser i.d.R. zur Entgegennahme nicht ermächtigt ist (Rz. 651).208 Lehnt der fremde Staat die Annahme der Zustellung ab, so ist öffentlich zuzustellen (Rz. 2105). 2145 Nach Art. 16 II des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität (Rz. 666) ist das Außenministerium des beklagten Staates auch dann zur Entgegennahme der (prozesseinleitenden) Schriftstücke verpflichtet, wenn es der Ansicht ist, das deutsche Gericht sei nicht zuständig bzw. der beklagte Staat könne Immunität geltend machen. Wenn der beklagte Staat gleichwohl die Annahme verweigert, dann ist wiederum nach § 185 Nr. 4 ZPO zu verfahren.209 2. Zustellung an Personen, die Immunität genießen 2146 Fraglich ist, ob in der Zustellung an einen Diplomaten ein „Akt deutscher Zwangsgewalt“ zu sehen ist, wie dies Pfennig210 behauptet.211 Beispiel: Ein in Berlin akkreditierter ausländischer Diplomat betätigt sich im Inland freiberuflich. In Zusammenhang mit dieser Tätigkeit besteht deutsche Gerichtsbarkeit, Art. 31 I (c) WÜD (Rz. 769). In diesem Verfahren notwendig werdende (Zwangsgewalt beinhaltende) Maßnahmen seien ihm gegenüber aber – auf inländischem Territorium – unzulässig. Auch wenn er im konkreten Einzelfall keine Immunität genieße, so bleibe der Beklagte doch Diplomat und in dieser Eigenschaft grundsätzlich von der deutschen Zwangsgewalt befreit. Deshalb könnten dem Diplomaten gegenüber – obwohl er bei bestimmten Klagen ausnahmsweise der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt – Zustellungen nicht anders als auf diplomatischem Wege bewirkt werden.
207 Heß, RIW 1989, 225; Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 111, 123; Mann, NJW 1990, 618. S. auch Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 490 ff. sowie Matscher in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., 2013, Art. IX EGJN Rz. 201. 208 Pfennig, a.a.O., 122. 209 Pfennig, a.a.O., 122. 210 Pfennig, a.a.O., 111, 114. 211 Zur Rechtslage in Österreich Horn in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, 1. Bd., §§ 32, 33 JN Rz. 4.
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Zustellungen für deutsche Gerichtsverfahren
Sechster Teil
Diese Differenzierung ist nicht überzeugend. Mehr Gewicht hat jedoch der Hin- 2147 weis auf den besonderen Status der Räumlichkeiten der diplomatischen Missionen und der Privatwohnung des Diplomaten, Art. 22 I, Art. 30 WÜD, Art. 31 I WÜK. Der Grundsatz ne impediatur legatio (Rz. 593, 796) verbietet Inlandszustellungen an Diplomaten im Empfangsstaat212, nicht jedoch an den Konsul, weil dessen Privatwohnung nicht von der Immunität erfasst ist.213 Die direkte Zustellung an einen Diplomaten ist nach Pfennig214 – als Akt deut- 2148 scher Zwangsgewalt – nur zulässig und wirksam, wenn der Entsendestaat insoweit auf die Immunität des Diplomaten verzichtet (= Einwilligung in die Zustellung), Art. 32 I, II WÜD, Art. 45 I, III WÜK (Rz. 791). Lehnt der Entsendestaat des Diplomaten, Konsul etc. die Durchführung der Zustellung ab, so ist öffentlich zuzustellen, § 185 Nr. 4 ZPO.215 Hierzu Rz. 2105.
XIX. Freiwillige Gerichtsbarkeit Das FGG216 hatte nicht pauschal auf die Zustellungsvorschriften der ZPO ver- 2149 wiesen. § 16 II FGG bestimmte lediglich, dass die Bekanntmachung gerichtlicher Verfügungen „durch Zustellung nach den für die Zustellung von Amts wegen geltenden Vorschriften der ZPO“ erfolgt, wenn mit ihr der Lauf einer Frist in Gang gesetzt wird; durch die Landesjustizverwaltung kann jedoch für Zustellungen im Ausland eine einfachere Art der Zustellung angeordnet werden.“ Diese Befugnis findet sich in § 15 II FamFG nicht mehr. Die in Rz. 2075 und 2085 erörterten völkerrechtlichen und verfassungsrecht- 2150 lichen Grundsätze gelten auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit. Jedoch hat es den Anschein, dass sich die Gerichte im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht sonderlich darum kümmern. Sie benutzen nicht die bewährten Rechtshilfekanäle, sondern verständigen die Beteiligten im Ausland auf dem Postwege oder per Telefax oder Telefon. Dies ist nicht unproblematisch.217
212 213 214 215 216 217
Ipsen, Völkerrecht4, § 35 Rz. 46. S. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 281. Pfennig, a.a.O., 114. Pfennig, a.a.O., 118. Außer Kraft getreten mit Ablauf des 31.8.2009. R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 100 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 251.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
3. Kapitel: Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland I. Aktive Rechtshilfe für ausländische Staaten: Zustellung durch deutsche Rechtshilfebehörden 1. Rechtsgrundlagen 2151 Die Zustellung für ausländische Gerichte ist – anders als in Strafsachen (§ 59 IRG) – weder in der ZPO noch im GVG geregelt.218 Einzige gesetzliche Grundlage sind – außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten219 und des § 1068 II ZPO220 – die Ausführungsgesetze zu den in Rz. 2071 ff. genannten Verträgen. In Betracht kommen221 – § 1 II des Ausführungsgesetzes vom 5.4.1909222 zum Haager Zivilprozessabkommen vom 17.7.1905223 – § 2 des Ausführungsgesetzes vom 18.12.1958224 zum Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954225 – §§ 4 II, 5 des Ausführungsgesetzes vom 22.12.1977226 zum Haager Zustellungsübereinkommen vom 15.11.1965227 218 Zur Rechtslage in den USA Restatement (Third) of the Foreign Relations Law § 472 (2) (1987); Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 902 ff. 219 ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. 220 Bis 1.1.2004 galt der inhaltsgleiche § 2 II des EG-Zustellungsdurchführungsgesetzes. Hierzu amtliche Begründung, BT-Drucks. 14/5910, 7: „Absatz 2 stellt für den herkömmlichen Rechtshilfeverkehr klar, dass die Rechtshilfegerichte ein Zustellungsersuchen, welches sie auf dem herkömmlichen Rechtshilfeweg erhalten haben, auch in der Weise erledigen können, dass sie das zuzustellende Schriftstück durch Einschreiben mit Rückschein weiterleiten. Dieser Klarstellung bedarf es, weil die VO selbst nicht regelt, wie eine Empfangsstelle mit einem ihr übermittelten Schriftstück zu verfahren hat. Aus Artikel 7 Abs. 1 der VO geht lediglich hervor, dass die Empfangsstelle die Zustellung zu bewirken oder zu veranlassen hat, und zwar nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats oder in einer von der Übermittlungsstelle gewünschten besonderen Form, die dem Recht des Empfangsmitgliedstaats aber nicht widersprechen darf. Mit der im EG-Zustellungsdurchführungsgesetz vorgesehenen Regelung wird sichergestellt, dass die Weiterleitung zuzustellender Schriftstücke durch Einschreiben mit Rückschein auch dann mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar ist, wenn es sich um eine Zustellung auf dem herkömmlichen Rechtshilfeweg handelt“. 221 Vorrangig ist jedoch das europäische Unionsrecht, Art. 20 EuZustVO. 222 RGBl. 1909, 430. 223 RGBl. II 1909, 409. 224 BGBl. I 1958, 939. 225 BGBl. II 1958, 576. 226 BGBl. II 1977, 3105. 227 BGBl. II 1977, 1452.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
– Art. 1 der Ausführungsverordnung vom 5.3.1929228 zum deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928229 – Art. 1 der Ausführungsverordnung vom 26.8.1931230 zum deutsch-türkischen Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 28.5.1929231 – Art. 1 § 1 der Ausführungsverordnung vom 31.5.1939232 zum deutsch-griechischen Abkommen über die gegenseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handels-Rechts vom 11.5.1938233 – § 3 des Ausführungsgesetzes vom 29.4.1969234 zum deutsch-tunesischen Vertrag vom 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit.235 Im vertragslosen Verkehr erfolgt die Zustellung „kraft Verwaltungsauftrags“ (§ 110 I 2 ZRHO). Außerhalb des Anwendungsbereichs der Zustimmungsgesetze zu den Staatsverträgen und außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZustVO (§§ 1067 ff. ZPO) fehlt somit die gesetzliche Grundlage für „Zwangszustellungen“ (= Zustellungen an nicht annahmebereite Adressaten), § 114 II ZRHO.236 (S. auch Rz. 2321, 2445). Die Zustellung ist Aufgabe des Bundes (Art. 32 I GG); für diesen werden die Jus- 2152 tizverwaltungen der Länder tätig. Sie handeln nach Auffassung der Bundesregierung (Rz. 263) im Auftrag des Bundes.237 (S. auch Rz. 2395). Die Ausführung ausländischer Zustellungsersuchen gehört nicht zum Bereich der Rechtspflege; sie ist vielmehr eine Aufgabe der Justizverwaltung, die dem Rechtspfleger übertragen ist.238 Die Zustellung wird grundsätzlich nach der deutschen lex fori durchgeführt. 2153 Auf Wunsch des ausländischen Gerichts erfolgt sie aber in einer besonderen Form gem. Art. 7 I EuZustVO, Art. 3 II HZPÜ, Art. 5 I Buchst. b HZÜ, § 116 II ZRHO.239
228 229 230 231 232 233 234 235 236
RGBl. II 1929, 135. RGBl. II 1928, 623. RGBl. II 1931, 537. RGBl. II 1930, 6. RGBl. II 1939, 847. RGBl. II 1939, 848. BGBl. I 1969, 333. BGBl. II 1969, 889. R. Geimer, NJW 1989, 645. Die bloße Entgegennahme des Schriftstücks bedeutet nicht ohne Weiteres Annahmebereitschaft. Der Widerspruch (Protest) gegen die Zustellung kann auch danach erklärt werden, BGH v. 21.12.2006 – VII ZR 164/05, FamRZ 2007, 461 = NJW 2007, 775, 778. 237 Vogler, NJW 1982, 469. Kritisch Rellermeyer, Rpfleger 2000, 479. Fundamental-Nachw. bei Röben, Außenverfassungsrecht, 2007. 238 § 29 RPflG bzw. § 110 ZRHO. 239 BGH, MDR 1976, 310.
803
Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2154 Um Zustellung ersuchen i.d.R. Gerichte oder Behörden. Anträge von Privatpersonen sind jedoch statthaft, wenn diesen – wie z.B. im US-Zivilprozess üblich – aufgegeben wurde, selbst für die Zustellung zu sorgen, § 2 II 2 ZRHO (Rz. 3749).240 2155 Da Zustellung von Schriftstücken für ausländische Gerichtsverfahren keine richterliche Aufgabe (Art. 97 GG) ist (§ 110 ZRHO241), kommt § 839 II BGB nicht zur Anwendung. Daher greift (unbeschränkte) Staatshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB), wenn Zustellung infolge Verschuldens der deutschen Justizverwaltung nicht rechtzeitig durchgeführt wird, z.B. weil nicht schnell genug eine deutsche Übersetzung beschafft wurde242 und deshalb der Beklagte im Ausland (z.B. in Belgien) seine Rechtsbehelfsfristen versäumt hat und nun gegen ihn (dort) vollstreckt wird oder wenn sonst – z.B. aufgrund Formfehlers des Rechtspflegers243 – ein Schaden entstanden ist.244 (S. auch vice versa Rz. 2128). 2. Ablehnung von ausländischen Zustellungsersuchen 2156 Im vertragslosen Verkehr ist Deutschland völkerrechtlich frei, Rechtshilfe zu gewähren oder abzulehnen.245 Innerstaatlich ist die Justizverwaltung jedoch – im Rahmen des Art. 3 I GG – an ihre Verwaltungspraxis gebunden.246 Im Anwendungsbereich der Verträge darf Deutschland die Durchführung der Zustellung nur verweigern, wenn seine Hoheitsrechte (Souveränität) oder seine Sicherheit gefährdet würden, Art. 4 HZPÜ247, Art. 13 HZÜ248, § 84 ZRHO, sowie die Parallelnormen in den bilateralen Verträgen. Keinerlei Weigerungsrecht besteht mehr gegenüber Zustellungsersuchen von Gerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union; denn in der VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außerge-
240 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 3 HZÜ Rz. 1.; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 101. Enger Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 129. 241 BGH v. 11.7.2003 – V ZR 414/02, FamRZ 2003, 1462 = NJW 2003, 2830 (2831) = RIW 2004, 147 (149) = MDR 2003, 1368 = IPRspr. 2003 Nr. 158; Pfeil-Kammerer, Deutschamerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 61; vgl. auch allgemein Schlosser, Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit2, Rz. 493. Anders aus Sicht des österr. Rechts (§ 38 JN) Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 132. 242 Moons, RIW 1989, 904. 243 Vgl. OLG Karlsruhe v. 31.7.1984 – VA 2/84, OLGZ 1985, 201 = RIW 1986, 62 = IPRspr. 1984 Nr. 172. 244 R. Geimer, IPRax 1988, 275 Fn. 57. 245 Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 260. 246 Zustimmend Grothaus, a.a.O., 261. 247 Hierzu z.B. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 196 ff. 248 Hierzu z.B. m.w.N. bei Brand, NJW 2012, 1116 (1117); Nieden, Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen in Deutschland nach Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens, 2010.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
richtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten249 (Rz. 245c) fehlt ein entsprechender Vorbehalt.250 Auch Klagen, die punitive oder treble damages251 zum Gegenstand haben, betref- 2157 fen eine Zivilsache (Art. 1 HZÜ)252 und sind zuzustellen. Art. 13 HZÜ kommt nicht zum Zuge.253 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn z.B. ein US-Bundesstaat als parens patriae dreifachen Schadensersatz begehrt, der „seiner Wirtschaft als Ganzes“ zugefügt wurde. Das Gleiche gilt, wenn das ausländische Gericht wegen Wettbewerbs- bzw. Kartellverstößen Geldbußen zugunsten der Staatskasse verhängt (vgl. Rz. 2444).254 Dass der (um Zustellung ersuchende) Gerichtsstaat aus deutscher Sicht international unzuständig ist (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG, § 343 I 2 Nr. 1
249 ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007. 250 Hierzu G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 213; de Lind van Wijngarden-Maack, IPRax 2003, 153 (154 Fn. 13); Krause, RIW 2004, 533 (535 Fn. 19); Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 129; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 162 f. 251 OLG Celle v. 20.7.2006 – 16 VA 4/05, OLGR 2006, 686 (687) = IPRspr. 2006 Nr. 170. Hierzu z.B. R. Stürner/Th. Müller, IPRax 2008, 339; Zekoll/Rahlf, JZ 1999, 384 sowie Sikora, Die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile in England: Punitive damages, Treble damages nach RICO und der Protection of Trading Interests Act, 1998. S. auch die Nachw. bei Mahlzahn, GATT-widrige Treble Damages-Klagen auf der Grundlage der US Antidumping Act 1916: Eine Untersuchung der Rechtsstellung beklagter deutscher Unternehmen im US-amerikanischen und deutschen Recht, 2003; Schütze, Prozessführung und -risiken im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 2004, 242 und in FS Boguslawskij, 2004, 325; Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 26. 252 A.A. OLG Koblenz v. 27.6.2005 – 12 VA 2/04, IPRax 2006, 25 (Piekenbrock) = ZIP 2006, 1020. Hierzu Alio, Haftungsrisiken deutscher Unternehmen beim Vertrieb ihrer Produkte in den USA, IHR 2007, 177 (181). 253 BVerfG v. 7.12.1994 – 1 BvR 1279/94, NJW 1995, 649 = RIW 1995, 320 = IPRax 1996, 112 (Tomuschat 83) = EWiR 1995, 161 (R. Geimer) = EuZW 1995, 218 (Kronke) = JZ 1995, 716 (Stadler) = IPRspr. 1994 Nr. 160b; OLG Celle v. 20.7.2006 – 16 VA 4/05, OLGR 2006, 686 (687) = IPRspr. 2006 Nr. 170; OLG Frankfurt v. 1.6.2004 – 20 VA 12/09, NZG 2010, 1314 = IPRspr. 2004 Nr. 154a; BVerfG v. 11.6.2004 – 2 BvR 1133/04, NJW 2004, 3552 = WM 2004, 1402 = IPRspr. 2004 Nr. 154b; BVerfG v. 24.1.2007 – 2 BvR 1133/04, IPRax 2009, 249 = RIW 2007, 211. S. aber (wohl überholt) BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 (Zekoll 2885); hierzu Oberhammer, IPRax 2004, 40 und Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat – Die Zustellung einer US-amerikanischen class action in Deutschland, 2006, 77 ff. mit weiteren umfassenden Nachw. für Zustellung im Anschluss an BVerfG v. 17.12.1994 Kronke, BerDGVR 38 (1998), 35; Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, 1999, 14 ff.; Witte, Der US-amerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 175; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 77. A.A. Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“ – Klagen, 1995, 113 sowie Braun, ZIP 2003, 2225 und neuerdings auch Schütze in FS Boguslawskij, 2004, 325, 328. Rechtsvergleichendes auch bei Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, Habilitation Kiel 2004. 254 OLG Frankfurt v. 8.2.2010 – 20 VA 15/09, IPRax 2012, 242 (Bittmann 216).
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
InsO), ist kein Grund, die Zustellung zu verweigern, selbst dann nicht, wenn Deutschland eine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt, Art. 13 II HZÜ.255 2158 Die Zustellung einer Klage bzw. eines ausländischen Urteils ist auch dann durchzuführen, wenn dieses in Deutschland nicht anerkennungsfähig ist, insbes. wenn es gegen den deutschen ordre public verstößt (Rz. 2487, 2756).256 2159 Wann die Durchführung eines ausländischen Zustellungsersuchens die Hoheitsrechte und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, konnte bisher niemand klar definieren (Rz. 254b).257 Rolf Stürner258 hält dies für denkbar z.B. bei Klagen auf Eingehung einer Ehe oder auf Unterlassung jedweder beruflichen Tätigkeit, empfiehlt aber zu Recht in kritischer Auseinandersetzung mit dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts259 äußerste Zurückhaltung.260 Denn auch im deutschen Zivilprozess besteht kein Zustellungsverbot für schikanöse, missbräuchliche oder sonstige exorbitante Klagen. Das deutsche System ist deshalb in diesem Punkt z.B. dem US-System nicht überlegen. Im Zustellungsstadium kann keine wirksame präventive Missbrauchsbekämpfung stattfinden261; denn auch die Zustellungsverweigerung schützt nicht vor Verurteilung und Vollstreckung im Ausland.262 255 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 69. 256 Vogler/Wilkitzki, IRG-Kommentar, 1992, § 59 IRG Rz. 18. Zum Verhältnis zu § 328 I Nr. 4 ZPO; OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, RIW 1989, 483 (484) = NJW 1989, 3102 (Greger) = IPRax 1990, 175 (Stürner/Stadler 157) = IPRspr. 1989 Nr. 205; OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 69; Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, 43 Rz. 2.45. Kritisch Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 99. 257 R. Geimer, ZZP 103 (1990), 489; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 119 ff.; Rasmussen-Bonne in FS Hay, 2005, 323; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 247; OLG Düsseldorf v. 19.2.1992 – 3 VA 1/91, CR 1993, 506 = RIW 1992, 846; OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199. Für restriktive Handhabung dieser Vorbehaltsklausel Stürner/Stadler, IPRax 1990, 157 (159); Stadler, IPRax 1992, 150 Fn. 35; Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356. Umfangreiche Nachw. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 135 ff. 258 Stürner, JZ 2006, 60 (61). 259 BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, NJW 2003, 2598 (Zekoll 2885) = JZ 2003, 956 (Heß 923) = IPRax 2004, 61 = IPRspr. 2003 Nr. 176. Es handelt sich um eine einstweilige Abordnung. Es kam wegen Erledigungserklärung der Zustellungsadressatin nicht zur Entscheidung in der Hauptsache. Hierzu Oberhammer, IPRax 2004, 40; Braun, ZIP 2003, 2225; Heß, AG 2006, 809 (815); Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356; Prütting in FS Jayme, 2004, 709, 715; Schack, AG 2006, 823; Zeidler, IDR 2005, 40. 260 Weiteres Beispiel bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 152: Klage auf Verurteilung zur Schuldknechtschaft i.S. von Art. 1 (a) des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavenähnlicher Einrichtungen und Praktiken v. 7.9.1956, BGBl. II 1958, 203. 261 In diese Richtung tendiert aber OLG Celle v. 1.6.2007 – 16 VA 1/07, OLGR 2008, 88. 262 Wesentlich zurückhaltender mit Tendenz zu der hier vertretenen Auffassung BVerfG v. 24.1.2007 – 2 BvR 1133/04, IPRax 2009, 249 = RIW 2007, 211 sowie BVerfG v.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
Die Rechtshilfebehörde ist grundsätzlich – falls nicht eine Rückfrage nach Art. 4 HZÜ erforderlich ist – bei der Prüfung, ob ein Ablehnungsgrund vorliegt, auf die vom ausländischen Gericht übersandten Unterlagen, z.B. die Klageschrift nebst Begleitpapieren, beschränkt. Sie darf keine Ermittlungen über Hintergrund, Anlass und Berechtigung des Klagebegehrens vornehmen. Die Rechtshilfebehörde hat auch nicht den Zustellungsempfänger vor der Zustellung zu hören.263 Die Zustellung von Sammelklagen (class actions)264 und sonstigen Klagen, mit denen punitive oder treble damages265 vor US-Gerichten geltend gemacht werden, kann nicht unter Hinweis auf den vorgenannten Vorbehalt abgelehnt werden.266 Das Gleiche gilt für die Zustellung einer US-amerikanischen AntiDumping-Klage, auch wenn die Streitschlichtungsorgane der Welthandelsorganisation (WTO) festgestellt haben, dass die für die Klage maßgeblichen Vorschriften des US-Rechts gegen die GATT-Vorschriften verstoßen.267 Abgelehnt
263 264 265 266
267
14.6.2007 – 2 BvR 2247, 2248, 2249/06, WM 2007, 1392 = WuB VII C. § 13 HZÜ (R. Geimer). Hierzu auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803) sowie R. Stürner/Th. Müller, IPRax 2008, 339. OLG Düsseldorf v. 19.2.1992 – 3 VA 1/91, CR 1993, 506 = RIW 1992, 846. Z.B. OLG Düsseldorf v. 22.7.2009 – 3 VA 9/03, NJW-RR 2010, 573 = IPRspr. 2009 Nr. 225. S. auch Brand, NJW 2012, 1116 (1117). A.A. OLG Koblenz v. 27.6.2005 – 12 VA 2/04, IPRax 2006, 25 (Piekenbrock) = ZIP 2006, 1020. Kritisch Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356 und Alio, IHR 2007, 177 (181). OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, NJW 1989, 3102 (Greger) = RIW 1989, 483 = IPRax 1990, 157 (Stürner/Stadler) = IPRspr. 1989 Nr. 205; OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199; OLG München v. 15.7.1992 – 9 VA 1/92, CR 1993, 150 = NJW 1992, 3113 = RIW 1993, 70 = IPRax 1993, 309 (Koch/Zekoll 288) = IPRspr. 1992 Nr. 216; KG v. 5.7.1994 – 1 VA 4/94, OLGZ 1994, 587 = IPRspr. 1994 Nr. 159; BVerfG v. 7.12.1994 – 1 BvR 1279/94, NJW 1995, 649 = RIW 1995, 320 = IPRax 1996, 112 (Tomuschat 83) = EWiR 1995, 161 (R. Geimer) = EuZW 1995, 218 (Kronke) = JZ 1995, 716 (Stadler) = IPRspr. 1994 Nr. 160b; BVerfG v. 14.6.2007 – 2 BvR 2247, 2248, 2249/06, WM 2007, 1392 = WuB VII C. § 13 HZÜ (R. Geimer); Kronke, BerDGVR 38 (1998), 35; OLG Frankfurt v. 3.12.2009 – 20 VA 12/09, NZG 2010, 1314 = IPRspr. 2009 Nr. 227; Witte, Der US-am. RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 175. S. auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803). Zum Strafschadensersatz s. auch Knapp, Die USam. Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 103; Mahlzahn, GATT-widrige Treble Damages-Klagen auf der Grundlage der US Antidumping Act 1916, 200; Sikora, Die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile in England, 1998. S. nun aber auch BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, BVerfGE 108, 238 = CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 (Zekoll 2885) = JZ 2003, 956 (Heß 923). Hierzu Oberhammer, IPRax 2004, 40; Braun, ZIP 2003, 2225; Prütting in FS Jayme, 2004, 709, 715; R. Stürner, JZ 2006, 60; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 131; m.w.N. bei Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893. OLG Frankfurt v. 13.2.2001 – 20 VA 7/00, NJW-RR 2002, 357 = RIW 2001, 464 = IPRspr. 2001 Nr. 174.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
wurde aber die Zustellung einer antisuit injunction (Verbot eines ausländischen Gerichts, einen in Deutschland anhängigen Prozess fortzuführen, Rz. 1014).268 Noch nicht klar genug ist, wann durch die Berufung auf die deutsche Souveränität nicht nur unmittelbare Staatsinteressen (vgl. Rz. 2493), sondern auch Belange der privaten Beteiligten geschützt werden können.269 2160 Nach §§ 29 II, 84 III ZRHO kann eine Gefährdung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland gegeben sein, wenn es sich bei dem Ersuchen um einen Antrag auf Zustellung einer Klage, eines Mahnbescheides, einer Streitverkündung u.Ä. gegen Deutschland oder eines seiner Länder handelt. 2161 Nach der bis 1998 geltenden Fassung des § 59 II ZRHO a.F. sollte das Gleiche gelten für ausländische Ersuchen um Zustellung einstweiliger Verfügungen und einstweiliger Anordnungen. Dies war unlogisch.270 Denn es kann keinen Unterschied machen, ob einem im Inland ansässigen Prozessbeteiligten ein im Ausland gegen ihn im Hauptsacheverfahren ergangenes Urteil zugestellt wird, was unbestritten möglich ist, oder eine im Ausland gegen ihn im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene einstweilige Verfügung.271 268 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 VA 11/95, RIW 1996, 237 = IPRax 1997, 260 (Hau 245) = EuZW 1996, 351 (Mansel 335) = EWiR 1996, 321 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 167 = ZZP 109 (1996), 221 (kritisch Stürner); zustimmend Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803). Der Kritik Stürners, ZZP 109 (1996), 221, folgen Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 529; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 79; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 13 HZÜ Rz. 2 g.E. – Da die EuZustVO keinen ordre public-Vorbehalt vorsieht, kann die Zustellung von antisuit injunctions nicht verweigert werden, Rz. 2156; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (803). Solche sind aber im Brüssel I-System unzulässig, EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – Turner/Grovit, RIW 2004, 541 (Krause 533, Mankowski 497), s. Rz. 1118, 1945b; EuGH v. 1.3.2005 – Rs. C-281/02 – Owusu, Slg. 2005 I-1383 = EuZW 2005, 345; EuGH v. 10.2.2009 – Rs. C-185/07 – Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica Di Sicurità SpA/West Tankers Inc., SchiedsVZ 2009, 120 = IHR 2009, 86. S. auch die Nachw. bei Bermann, The Use of Anti-Suit Injunctions in International Litigation, Col. J. Trans.L. 28 (1990), 589; Berti, Englische anitsuit injunctions im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Siehr, 2000, 33. Instruktiv der „Laker-Fall“. Hierzu Lange, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, dargestellt am Beispiel des Falles „Laker“ in Habscheid (ed.), Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 65. S. auch Schlosser, Anti-suit injunctions zur Unterstützung von internationalen Schiedsverfahren, RIW 2006, 486; Schmidt, Anti-suit injunctions im Wettbewerb der Rechtssysteme, RIW 2006, 492; Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 201. 269 R. Geimer, ZZP 103 (1990), 490. Zur Stürnerschen „Schutzschildtheorie“ (hierzu zuletzt Stürner, JZ 2006, 60[ 65]) s. Rz. 2184. Vgl. auch Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 288: „Staatliche Souveränität umfasst auch den Schutz eigener Staatsbürger oder im Staatsgebiet Anwesender vor fremden Hoheitsakten, die diese zu Werkzeugen des fremden Staates auf heimischem Territorium machen.“ Skeptisch R. Geimer, ZfRV 1992, 403; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 151. 270 Darauf hatte vor allem Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 125 hingewiesen. 271 So im Anschluss an Nagel, a.a.O., 125 Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivilund Handelssachen, 1988, 100.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
Dem kann nicht entgegengehalten werden, für die Entscheidung über dingliche 2162 Arreste oder einstweilige Verfügungen sei ausschließlich der Staat international zuständig, auf dessen Gebiet sich die Vermögensgegenstände befinden bzw. wo die Handlung oder Unterlassung durchgesetzt werden soll.272 Deshalb könne dieser Staat ein ausländisches Ersuchen um Zustellung dinglicher Arreste oder einstweiliger Verfügungen als Eingriff in seine Souveränität betrachten. Diese Ansicht vermischte die Durchsetzung bzw. Vollstreckung der vorläufigen Entscheidung einerseits und das (logisch vorgängige) Stadium der Anordnung andererseits. Selbstverständlich ist nur der Belegenheitsstaat in der Lage, den dinglichen Arrest oder die einstweilige Verfügung/Anordnung unmittelbar durchzusetzen. Es ist jedoch eine andere (zu bejahende) Frage, ob nicht auch ein anderer Staat zur Entscheidung über den Erlass eines dinglichen Arrestes bzw. einer einstweiligen Verfügung international zuständig ist. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren ist nämlich kein Vollstreckungsverfahren, sondern ein summarisches Erkenntnisverfahren (Rz. 399b).273 Soweit es nur um die Zustellung eines ausländischen Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung geht, können die Sicherheit oder die Hoheitsrechte Deutschlands nicht betroffen sein. Eine andere Frage ist, ob Deutschland völkervertraglich verpflichtet ist, im Aus- 2163 land erlassene Arreste und einstweilige Verfügungen zu vollstrecken. Dies ist nicht eine Frage der internationalen Rechtshilfe, sondern des Anerkennungsrechts.274 Etwas anderes soll für die Zustellung von ausländischen Arresten und einstweili- 2164 gen Verfügungen dann gelten, wenn diese „von zusätzlichen Entscheidungen“ begleitet werden, mit denen die Durchsetzung der Hauptentscheidung im ersuchten Staat verfolgt werden soll.275 Hier handle es sich um ein Übergreifen in die allein dem ersuchten Staat zustehenden Regelungsbefugnisse; den damit verbundenen Eingriff in seine Hoheitsgewalt brauche der betroffene Staat keineswegs zu dulden. Was darunter zu verstehen ist, bleibt im Dunklen. Sollten Zwangsgeldandrohungen gemeint sein, so ist das Argument nicht zwingend; denn solche gibt es auch im Hauptsacheverfahren.276 Dass Deutschland z.B. eine einstweilige Verfügung mit einer Zwangsgeldandrohung zustellt, gefährdet seine Sicherheit genauso wenig wie die Zustellung eines ausländischen im Hauptsacheverfahren ergangenen Urteils, das eine Zwangsgeldandrohung enthält. Denn entscheidend ist die zwangsweise Durchsetzung. Eine solche findet aber erst aufgrund der deutschen Vollstreckbarerklärung bzw. Vollstreckung statt. Die Zustellung als solche kann deutsche Hoheitsrechte nicht tangieren.277 (S. auch Rz. 424 ff.).
272 So aber Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 665, 668. 273 Nicklisch, RIW 1978, 639; Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1991 30, 39; Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 178, 196, 201. Vgl. auch KG v. 4.9.1998 – 25 U 266/98, IPRax 2001, 236 (Mennicke) = IPRspr. 1998 Nr. 170. 274 Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 121 bei Fn. 111. Hierzu ausführlich Eilers, a.a.O., 267 ff. Koch, a.a.O., 190. 275 Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 101. 276 Vgl. z.B. Art. 55 EuGVVO und Art. 49 LugÜ. 277 Gottwald, IPRax 1999, 395 (396).
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2165 Vorstehendes gilt auch für die Zustellung von Zwangs(geld)androhungen (z.B. in Unterlassungsverfügungen278) und die Zustellung ausländischer Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse. Die alte Fassung des § 59 III Nr. 1 ZRHO sah dann eine Gefährdung der Sicherheit Deutschlands, wenn das Substrat der Pfändung Vermögen im Inland betrifft. Wurde z.B. ein Erbanteil gepfändet und lag das zum Nachlass gehörende Vermögen ausschließlich im Ausland, so war die Ausführung des ausländischen Zustellungsersuchens auch nach § 59 II ZRHO a.F. unbedenklich. Anders war es jedoch, wenn das von der ausländischen Maßnahme erfasste Vermögen (vorwiegend) in Deutschland lag. Auch diese Einschränkung war logisch nicht zwingend. Denn durch die Zustellung eines ausländischen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch die deutschen Rechtshilfebehörden wird nichts ausgesagt zur Frage der Anerkennung und Vollstreckung (Durchsetzung) des ausländischen Aktes im Inland (Rz. 408). Diesem Argument haben sich nun auch die deutschen Justizverwaltungen als Rechtshilfebehörden angeschlossen und auf Änderung des 59 III Nr. 1 ZRHO279 gedrängt (Rz. 1229). Sie lehnen ausländische Ersuchen um Zustellung an in Deutschland domizilierte Drittschuldner nicht mehr ab. Nunmehr bestimmt § 84 IV 6 ff. ZRHO Ein Antrag auf Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an einen Drittschuldner in Deutschland steht der Erledigung des Ersuchens nicht entgegen. Der Empfänger ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Zustellung keine Aussage darüber beinhaltet, ob und im welchem Umfang eine ausländische Entscheidung Rechtswirkungen im Inland entfaltet oder ob der Empfänger berechtigt oder verpflichtet ist, der Zahlungsaufforderung nachzukommen und ob ihm durch die Befolgung oder Nichtbefolgung der Zahlungsaufforderung im Inland oder im Ausland rechtliche Nachteile entstehen. Ist dem Drittschuldner auch eine Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung zuzustellen, ist der Empfänger darauf hinzuweisen, dass die zugestellte Aufforderung in der Bundesrepublik Deutschland keinerlei Verpflichtung begründet, allerdings etwaige nachteilige Rechtsfolgen im Vollstreckungsstaat nicht ausgeschlossen sind.
3. Keine Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers 2166 Wo die deutschen Rechtshilfebehörden zustellen sollen, muss der ersuchende ausländische Staat mitteilen. Die deutschen Rechtshilfebehörden sind nicht verpflichtet (aber berechtigt), nach der Adresse des Zustellungsempfängers zu forschen. Arg. Art. 1 II HZÜ.280 Ausnahme: Art. 31 II des deutsch-marokkanischen Vertrages.281 Im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 hat nach Art. 6 II die Empfangsstelle auf schnellstmöglichem Wege Verbindung zu der Übermittlungsstelle aufzunehmen, um die fehlenden Angaben oder Schriftstücke zu beschaffen.
278 279 280 281
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KG v. 4.9.1998 – 25 U 266/98, IPRax 2001, 236 (Mennicke) = IPRspr. 1998 Nr. 170. Z.B. BayJMBl. 1999, 48; hierzu Gottwald, IPRax 1999, 395. Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 58. S. auch Art. 6 II EuZustVO.
Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
4. Zustellungszeugnis Nach Durchführung der Zustellung sendet die deutsche Rechtshilfebehörde das 2167 Zustellungszeugnis (Art. 10 I EuZustVO, Art. 6 HZÜ, §§ 118 ff. ZRHO) an den ersuchenden Staat.282 5. Rechtsmittel Gegen die Ablehnung des Zustellungsersuchens des ausländischen Gerichts 2168 kann die betroffene Partei gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG beantragen, ebenso gegen die Zustellungsverfügung und ihre Durchführung, auch wenn das Zustellungszeugnis bereits ins Ausland versandt worden ist (Rz. 3637).283 Mitunter muss auch das Bundesverfassungsgericht mit einstweiligen Anordnungen nach § 32 I BVerfGG eingreifen.284
II. Passive Rechtshilfe: Dulden von Zustellungen durch ausländische Stellen (ohne Einschaltung deutscher Rechtshilfebehörden) auf deutschem Territorium 1. Zustellung durch konsularische oder diplomatische Vertreter – an eigene Staatsangehörige des Entsendestaates Diese ist – sofern sie ohne Anwendung von Zwang erfolgt (so genannte formlose 2169 Zustellung) und der Konsul die Grenzen seines Amtsbezirks nicht überschreitet – nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht zulässig.285 Diese Regel des Völkergewohnheitsrechts wird bestätigt durch die Haager Über- 2170 einkommen. Danach hat der Empfangsstaat kein Recht, der Zustellung an eigene Staatsbürger des Entsendestaates zu widersprechen.286
282 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 107. 283 OLG Düsseldorf v. 19.2.1992 – 3 VA 1/91, CR 1993, 506 = RIW 1992, 846; OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199; kritisch Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 147, die eine Verletzung des HZÜ annimmt, wenn das nach Art. 6 HZÜ erteilte Zustellungszeugnis aufgrund eines nach nationalem Recht möglichen Rechtsbehelfs wieder beseitigt wird. Sie will Zustellungsadressaten (in Deutschland) aber die Möglichkeit geben, der Zentralen Behörde bereits den Erlass einer Zustellungsverfügung bzw. die Rücksendung des Zustellungszeugnisses durch einstweilige Anordnung analog § 123 VwGO zu verbieten (Zulässigkeit in Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG sehr bestritten, aber im Hinblick auf Art. 19 IV GG zu bejahen). 284 S. z.B. BVerfG v. 25.7.2003 – 2 BvR 1198/03, CR 2003, 762 = NJW 2003, 2598 (Zekoll 2885). 285 Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 101.8 Fn. 35; Pfennig, a.a.O., 35. 286 Art. 6 I Nr. 3 i.V.m. II 2 HZPÜ, Art. 8 II HZÜ. – Vgl. auch die Zusatzvereinbarungen mit Norwegen (Art. 4) und Schweden (Art. 2) sowie die Rechtshilfeverträge mit Griechenland (Art. 6), Marokko (Art. 7), Tunesien (Art. 16), Türkei (Art. 17) und Vereinigtes Königreich (Art. 5). Die gleiche Formulierung findet sich nun auch in Art. 13 II der VO (EG) Nr. 1393/2007 v. 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außer-
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
– an Deutsche 2171 Eine Duldungspflicht stipuliert das Völkergewohnheitsrecht nicht. Die Haager Übereinkommen287 geben ein Widerspruchsrecht, von dem Deutschland Gebrauch gemacht hat.288 Bei Doppelstaatern hat die deutsche Staatsangehörigkeit Vorrang.289 Nichts anderes gilt im Anwendungsbereich der EuZustVO Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 (Rz. 245c), da Deutschland gem. Art. 13 II i.V.m. § 1067 ZPO Zustellungen durch diplomatische oder konsularische Vertretungen nur an Staatsangehörige des Übermittlungsmitgliedstaates (= Entsendestaates) zulässt.290 – an Staatsangehörige dritter Staaten 2172 Es gilt das Gleiche wie für Deutsche, jedoch sehen einige Staatsverträge vor, dass an Personen, welche die Staatsangehörigkeit des Entsendestaates und eines dritten Staates besitzen, zugestellt werden darf. Hauptbeispiel: Nach Art. 5 des deutsch-britischen Abkommens darf auch an Drittstaater auf deutschem Boden zugestellt werden.291
– an Staatenlose 2173 Es gilt das Gleiche wie für Staatsangehörige dritter Staaten.
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gerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 324, S. 79 v. 10.12.2007 (s. Rz. 245c). Art. 6 II HZPÜ, Art. 8 II HZÜ. Art. 5 (j) Wiener Konsularrechtskonvention als solcher ist keine ausreichende Rechtsgrundlage, da dieser auf die geltenden internationalen Übereinkommen, ersatzweise auf das Recht des Empfangsstaates verweist. Anders aus schweizerischer Sicht Audétat, Die internationale Forderungspfändung nach schweiz. Recht, 2007, 184. Ebenso Art. 13 II der VO (EG) Nr. 1348/2000. Anderer Ansicht Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 241. Hierzu die amtliche Begründung zu § 1 ZustDG = 1067 ZPO, BT-Drucks. 14/5910, 6: „Die Vorschrift macht die Zulässigkeit von Zustellungen, die im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar durch diplomatische oder konsularische Vertretungen anderer Mitgliedstaaten vorgenommen werden, von der Voraussetzung abhängig, dass der Adressat Staatsangehöriger des Übermittlungsmitgliedstaats ist. Als Zustellungsadressaten kommen danach nur natürliche Personen in Betracht. Dagegen sind ausländische juristische Personen in die Regelung nicht einbezogen, da sie ihren Sitz im Ausland haben. Die Regelung entspricht dem § 6 Satz 1 des Gesetzes v. 22.12.1977 zur Ausführung des Haager Übereinkommens v. 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager Übereinkommens v. 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. I 2007, 3105), der für den grenzüberschreitenden Zustellungsverkehr mit Staaten fortgilt, in denen die VO nicht anzuwenden ist“. Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2014 Fn. 68.
Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
2. Zustellung aus dem Ausland durch die Post a) Völkergewohnheitsrecht Das Völkergewohnheitsrecht verbietet die Postzustellung nicht (Rz. 419, 2174 2083).292 Enger formuliert Pfennig293: „Infolge ständiger Übung und entsprechender rechtlicher Überzeugung“ existiere die Verpflichtung unter den Staaten formlose Mitteilungen über erfolgte Zustellungen ausländischer Gerichte auf dem Postwege (durch einfachen oder eingeschriebenen Brief) zu dulden. Pfennig294 macht einen Unterschied zwischen Mitteilungen über die bereits im Gerichtsstaat erfolgte Zustellung (wie bei § 184 ZPO und der remise au parquet, Rz. 2082) und der Durchführung des Zustellungsaktes im Ausland. Die Zustellung unmittelbar durch die Post an einen im Ausland befindlichen Adressaten sei unzulässig, nicht jedoch – als rechtliches Minus – das Übersenden einer formlosen Mitteilung ins Ausland über die bereits im Inland (= Gerichtsstaat) bewirkte Zustellung. Jeder Staat müsse „das Übersenden solcher formlosen Mitteilungen ausländischer Behörden auf seinem Territorium dulden, um den sich auf seinem Staatsgebiet aufhaltenden Adressaten ein Mindestmaß an Schutz vor Übervorteilungen in ausländischen Gerichtsverfahren zuteil werden zu lassen“.295 Anders sei es jedoch, wenn „die Zustellung direkt in das Ausland gesendet wird“. Dann wäre „die Zustellung erst mit der Übergabe durch die Post an den Adressaten bewirkt, d.h. dass der dem Bewirken der Zustellung immanente staatliche Hoheitsakt auf ausländischem Territorium vollzogen würde“, was „unzweifelhaft einen Eingriff in die Souveränität des betreffenden Staates darstellen würde; dies wäre solange völkerrechtswidrig, wie nicht das ausdrückliche, zumindest durch Dulden stillschweigend zum Ausdruck gebrachte Einverständnis des ausländischen Staates vorliegt“.296 Nach Klaus P. Mössle297 „haben Souveränitätsrechte keinen Ewigkeitsanspruch, 2175 sondern unterliegen einem ständigen Wandel“. Er plädiert de lege ferenda für eine sinnvolle Fortentwicklung des Zustellungsrechts: Keine Souveränitätsverletzung durch Postzustellung, wenn das zugestellte Schriftstück – gleich welchen Inhalts – mit einer amtlichen Übersetzung versehen ist und der „Heimatstaat“ (gemeint ist wohl der Aufenthaltsstaat, wo Zustellung erfolgt) des Zustellungsadressaten benachrichtigt wird, damit dieser den Zustellungsempfänger „auf Bedeutung und rechtliche Konsequenzen einer Zustellung aus dem Ausland hinweisen und nötigenfalls beraten“ kann. Anders de lege lata Stadler298: Der Postbedienstete werde vom ausländischen Staat (= Gerichtsstaat) „zur Amtshilfe 292 Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 252. Dies ist jedoch nicht unbestritten. 293 Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 31 ff. 294 Pfennig, a.a.O., 35. 295 Pfennig, a.a.O., 65. 296 Kritisch zu dieser feinsinnigen Unterscheidung der gängigen Doktrin Schlosser in FS Stiefel 1987, 683 sowie Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 91. 297 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990, 255. 298 Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 285 Fn. 73.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
missbraucht, da er den Inhalt oder Absender der zu transportierenden Schriftstücke nicht kontrolliert“.299 b) Haager Übereinkommen 2176 Nach den Haager Übereinkommen ist die Zustellung durch die Post grundsätzlich zulässig, Art. 6 Nr. 1 HZPÜ, Art. 10 lit. a) HZÜ, Art. 6 II HZPÜ und Art. 21 II lit. a HZÜ geben jedoch ein Widerspruchsrecht, von dem Deutschland Gebrauch gemacht hat (Rz. 418, 2084).300 Es wurde jedoch angezweifelt, ob dies auch für das HZPÜ wirksam geschehen ist.301 2177 Deutschland hat auch der unmittelbaren Postzustellung gem. Art. 11 II des Europäischen Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen vom 24.11.1977302 widersprochen. Dies wurde folgendermaßen begründet: Andernfalls könnten die deutschen Behörden nicht prüfen, „ob das Ersuchen den zum Schutz des Zustellungsempfängers aufgestellten Erfordernissen (Art. 5) entspricht“ und „ob das Ersuchen nach Art. 14 I (b) wegen eines Verstoßes gegen den ordre public abgelehnt werden muss“. Bei dieser Formulierung haben die Verfasser der deutschen Denkschrift303 übersehen, dass im Falle der passiven Rechtshilfe eben kein Ersuchen des ausländischen Staates an Deutschland (zur aktiven Rechtshilfe: hier Zustellung) ergeht; das ausländische Zustellungsorgan nimmt die Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks an den sich in Deutschland aufhaltenden Zustellungsempfänger vielmehr selbst in die Hand. Die Post ist dabei nur Bote. Diese unmittelbare Postzustellung auf Veranlassung des ausländischen Gerichts ist mit dem bisherigen offiziellen deutschen Souveränitätsverständnis nicht zu vereinbaren. Es gibt aber auch de lege lata Ausnahmen: z.B.304 § 24 des Ausführungsgesetzes zum deutsch-österreichischen Konkursvertrag305 sowie Art. 10 des deutsch-österreichischen Amts- und Rechtshilfevertrages in Verwaltungssachen vom 31.5.1988.306 Den von Deutschland gegen Art. 10 HZÜ erhobenen Widerspruch bezieht Pfennig307 nur auf die Zustellung auf dem Postweg, nicht auf Zustellungen, die mit der Methode des § 184 ZPO vergleichbar sind (Rz. 2174).308 299 Hierzu kritisch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 170. 300 OLG Frankfurt v. 21.2.1991 – 20 W 154/90, MDR 1991, 900 = RIW 1991, 587; Stadler, a.a.O., 285 Fn. 73. Aus der Sicht der Schweiz Egli, RIW 1991, 98; Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 227. 301 Jayme, IPRax 1997, 195. 302 BGBl. II 1981, 533. 303 BT-Drucks. 9/68, 32. 304 Weitere Beispiele bei G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 199. 305 BGBl. II 1990, 535. 306 BGBl. II 1990, 358. 307 Pfennig, a.a.O., 66. 308 Vgl. auch Karen Ilka Mössle, a.a.O., 158. Zur Zulässigkeit der Übersendung der notification (= Benachrichtigung von der remise en parquet, Rz. 2093) mit der Post skeptisch Karen Ilka Mössle, a.a.O., 203.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
c) Deutsch-britisches Abkommen Trotz Art. 6 ist die Zustellung unmittelbar durch die Post im Anwendungs- 2178 bereich des deutsch-britischen Abkommens vom 20.3.1928 über den Rechtsverkehr309 in Deutschland unzulässig.310 d) Zustellungsverordnung VO (EG) Nr. 1393/2007 Jeder Mitgliedstaat kann nach Art. 14 der VO (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 2178a (EuZustVO, Rz. 245c) in seinem autonomen nationalen Zustellungsrecht die Direktzustellung durch die Post zulassen.311 Dieser Zustellungsmethode können die anderen Mitgliedstaaten – anders als nach den Haager Übereinkommen – nicht widersprechen. Sie müssen diese die üblichen Rechtshilfekanäle vermeidende Zustellungsart dulden. In den Anwendungsbereich des Art. 14 fallen nicht nur die gerichtlichen Schriftstücke, sondern nach Art. 16 auch die sonstigen (außergerichtlichen) i.S. von Art. 1 der Verordnung. In anderen Mitgliedstaaten ist die Zustellung in weitem Umfang Sache der Par- 2178b teien und ihrer Vertreter. Soweit diese Staaten gem. Art. 2 IV die dort innerstaatlich zugelassenen Zustellungspersonen als Übermittlungsstellen (Art. 2 I) benannt haben, können auch Privatpersonen, z.B. Rechtsanwälte, nach Art. 14 zustellen.312 3. Direkte Beauftragung von Zustellungsorganen im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten Die Möglichkeit, dass die Parteien und sonstigen Beteiligten – im Parteibetrieb – 2178c sich an die Zustellungsorgane im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten wenden und diesen direkt Zustellungsaufträge erteilen, sehen die Haager Übereinkommen (Art. 6 I Nr. 2, HZPÜ, Art. 10 lit. c HZÜ) sowie Art. 15 der EuZustVO vor. Deutschland hat jedoch für den Anwendungsbereich der Haager Übereinkommen widersprochen.313 Der Widerspruch wirkt aber nicht „allseitig“ (Rz. 2085).314 Er blockiert nur Zustellungen aus dem Ausland an Zustellungsadressaten in Deutschland.315
309 RGBl. II 1928, 623. Zum Geltungsbereich s. Rz. 2073. 310 OLG Frankfurt v. 21.2.1991 – 20 W 154/90, MDR 1991, 900 = RIW 1991, 587; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 194. A.A. Rauscher, IPRax 1992, 71 (72); Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 114; Heidrich, EuZW 2005, 743 (746). 311 In Deutschland ist dies in §§ 181 III, 1068 ZPO geschehen. 312 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 3 – Art. 14 Rz. 9; a.A. Emde, NJW 2004, 1830. 313 Vgl. § 6 des Ausführungsgesetzes zum HZÜ. 314 LG Hamburg v. 7.2.2013 – 327 O 426/12, GRUR-RR 2013, 230; Zöller/Geimer, ZPO30, § 183 ZPO Rz. 6 m.w.N. 315 Das kann zu misslichen Situationen führen, wenn das maßgebliche ausländische Recht Parteizustellung vorschreibt.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
2178d Nach Art. 15 n.F. EuZustVO können die Mitgliedstaaten dieser Zustellungsmethode nicht mehr widersprechen. Beispiel: Ein Gläubiger möchte in Deutschland gegen seinen hier ansässigen Schuldner vollstrecken und beauftragt einen deutschen Gerichtsvollzieher, den dänischen Vollstreckungstitel nach § 192 I ZPO zuzustellen.316
4. Zustellung durch Private 2179 Nach Völkergewohnheitsrecht ist die Zustellung durch Private erlaubt317; im Anwendungsbereich der Haager Übereinkommen ist jedoch bestritten, ob diese die Zustellung durch Private ausschließen.318 5. Sanktionen bei Verletzung der deutschen Justizhoheit a) Keine automatische Nichtanerkennung der ausländischen Sachentscheidung 2180 Nicht jede völkerrechtswidrige (weil von Deutschland nicht geduldete) Zustellung führt automatisch zur Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung, die aus einem Verfahren hervorgegangen ist, in dem diese Zustellung passiert ist (Rz. 2768).319 Beispiel320: Ein US-Gericht hat Postzustellung der Klage zugelassen,321 obwohl Deutschland dem widersprochen hat (Rz. 2176).322
2181 Es ist klar zu unterscheiden zwischen den unmittelbar staatlichen Interessen Deutschlands und den Interessen der Parteien.323 Als deutsche Reaktion auf die Verletzung der deutschen Souveränität wäre zwar – auf der Ebene des Völkerrechts, und zwar auch im Anwendungsbereich der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge – die Nichtanerkennung denkbar und zulässig. Sie ist aber nicht zwingend geboten. Auf innerstaatlicher Ebene sollte man bedenken, dass wir vice versa von deutschen Gerichten zu verantwortende völkerrechtswidrige Zustellungen hinnehmen (Rz. 2102) und dass generell jede Prinzipienreiterei und
316 OLG Hamm v. 6.6.2003 – 15 VA 7/02, FamRZ 2004, 1593 (Schack) = IPRax 2005, 146 (Fogt/Schack 118) = IPRspr. 2003 Nr. 175. 317 Zustimmend Heidrich, EuZW 2005, 743 (747); a.A. G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 132. 318 Klaus P. Mössle, a.a.O., 324. 319 Ausführlich G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 109 ff., 165 ff. 320 S. auch den Fall des OLG Frankfurt v. 21.2.1991 – 20 W 154/90, MDR 1991, 900 = RIW 1991, 587. 321 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 126. 322 S. auch den Fall des BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 104/00, IPRax 2002, 395 = RIW 2002, 63: Zustellung der Klageschrift durch Einschreiben mit Rückschein. 323 Diese Unterscheidung findet sich leider bei BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 104/00, IPRax 2002, 395 = RIW 2002, 63 nicht.
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Zustellungen für ausländische Gerichtsverfahren in Deutschland
Sechster Teil
jeder Justamentstandpunkt schädlich sind, weil durch die Nichtanerkennung der inländische Justizapparat belastet wird (Wiederholung des im Ausland bereits entschiedenen Prozesses) und weil der völkerrechtliche Konflikt nicht auf dem Rücken der Parteien ausgetragen werden sollte, die de facto die Folgen der Nichtanerkennung zu spüren bekommen, und nicht der Staat, welcher die deutsche Souveränität verletzt hat.324 Im Übrigen wäre es aus deutscher Sicht in vielen Fällen ein „Eigentor“, wollte 2182 man das im Ausland zugunsten der deutschen Partei mühsam erstrittene Urteil in Deutschland nicht anerkennen und der (ausländischen) Gegenpartei eine Chance geben, vor einem deutschen Gericht vielleicht das Glück „zu wenden“. Es besteht keinerlei Veranlassung, die (deutsche) Partei um die Früchte ihres Prozesssieges zu bringen. Außerdem ist – was in der Literatur nicht klar genug herausgestellt wird – zu be- 2183 tonen, dass aus der Verletzung der deutschen Souveränität keine der Parteien Vorteile ziehen kann. Dies ist völkerrechtlich klar, da die völkerrechtliche Rechtsfähigkeit fehlt (Rz. 132). Aber auch innerstaatlich kann keine Partei aus der Souveränitätsverletzung als solcher ein Recht auf Nichtanerkennung herleiten. Sie kann nur geltend machen, ihr Recht auf rechtliches Gehör bzw. ihr Recht auf ein faires Verfahren sei verletzt. Aus dieser Sicht liegt die Anerkennung auf der Hand, wenn der Beklagte am ausländischen Rechtsstreit teilgenommen hat. Aber auch wenn er sich nicht eingelassen hat, aber feststeht, dass er die den 2184 ausländischen Rechtsstreit einleitenden Schriftstücke erhalten hat, besteht kein Anlass, den Versagungsgrund des Art. 45 I (b) EuGVVO n.F., Art. 34 Nr. 2 LugÜ, § 328 I Nr. 2 ZPO, § 109 I Nr. 2 FamFG einzusetzen. Denn die Souveränität Deutschlands ist kein Schutzschild für den einzelnen Bürger.325 Dessen schutzwürdige Rechtsposition (Art. 103 I GG) ist gewahrt, wenn feststeht, dass er die Klage (rechtzeitig) erhalten hat. Aus dem Umstand, dass der Gerichtsstaat gegenüber Deutschland ein völkerrechtliches Delikt begangen hat (Rz. 193), ergeben sich – auf der Ebene des innerstaatlichen Anerkennungsrechts – keine zwingenden Konsequenzen in Richtung Nichtanerkennung.326 Deutschland weiß seine Souveränität mit anderen Mitteln (Protest, Retorsionsmaßnahmen) zu verteidigen. (S. auch Rz. 2537).
324 Vgl. z.B. den Scheidungsfall BGH v. 27.6.1990 – XII ZB 38/88, MDR 1990, 1008 = FamRZ 1990, 1100 = NJW 1990, 3090. 325 Egli, RIW 1991, 982; R. Geimer, ZfRV 1992, 402; kritisch auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 196; Fleischhauer, Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 69; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 170, 174; Greiner, Die Class action im amerikanischen Recht und deutscher Ordre public, 1998, 160. Nachw. zur „Schutzschildtheorie“ bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 151. 326 R. Geimer, IPRax 1988, 275 Fn. 57. Ebenso im Ergebnis BGH v. 27.6.1990 – XII ZB 38/88, MDR 1990, 1008 = FamRZ 1990, 1100 = NJW 1990, 3090.
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Sechster Teil
Internationales Zustellungsrecht
b) Keine strafbare Amtsanmaßung 2185 Die Mitwirkung eines deutschen Rechtsanwaltes bei der Übermittlung einer Klageschrift und Ladung vor ein ausländisches, z.B. ein US-Gericht327, unter Umgehung der für die Gewährung von Rechtshilfe zuständigen deutschen Behörden, insbes. die Abgabe eines Affidavits328, verstößt möglicherweise gegen das Standesrecht, ist aber nicht als Amtsanmaßung (§ 132 StGB) strafbar (Rz. 464a).329
4. Kapitel: Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke 2186 Auch die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke von Deutschland ins Ausland ist möglich. Sie ist in den internationalen und europäischen Rechtsinstrumenten ausdrücklich angesprochen. Außergerichtliche Schriftstücke sind solche, die mit einem gerichtlichen Verfahren nicht oder noch nicht in Zusammenhang stehen.330 Nach § 132 BGB (der auch bei ausländischem Schuldstatut zur Anwendung kommt) kann die an der Zustellung interessierte Partei bei dem deutschen Gerichtsvollzieher die Zustellung beantragen. Dieser wendet sich im Anwendungsbereich der EuZustVO (Rz. 245c) entweder an die Übermittlungsstelle (Art. 2) oder gem. Art. 15 direkt an den Gerichtsvollzieher oder die sonstige Zustellungsperson im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten. Das Gleiche gilt für Zustellungen durch den deutschen Notar (§ 20 I 2 BNotO). 2187 Während Art. 1 HZPÜ und Art. 16 EuZustVO generell für die „Zustellung von Schriftstücken“ ohne Einschränkung gelten, ist Art. 17 HZÜ zurückhaltender formuliert. Dort ist von außergerichtlichen Schriftstücken die Rede, „die von Behörden und Justizbeamten eines Vertragsstaats stammen“. Doch ist diese Voraussetzung bereits erfüllt, wenn der Gerichtsvollzieher bzw. der Notar mit der Zustellung beauftragt wird und diese veranlasst. 2188–2199 Einstweilen frei
327 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 84, 123. 328 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 126. 329 A.A. Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 170. Weitergehend als das deutsche StGB ist Art. 271 Schweizer StGB: Amtliche Handlungen in der Schweiz für einen fremden Staat sind (generell) strafbar, Egli, RIW 1991, 983 Fn. 72; Greiner, ZZPInt 1996, 187 (197, 198). 330 Bülow in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 101.2 Fn. 8.
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Siebenter Teil: Parteien und ihre Vertreter Literatur: Baumgarten, Der richtige Kläger im deutschen, französischen und englischen Zivilprozess. Ein Beitrag zur Prozessführungsbefugnis und funktionsverwandten Instituten, Diss. Potsdam 2001; Brombach, Das Internationale Gesellschaftsrecht im Spannungsfeld von Sitztheorie und Niederlassungsfreiheit, 2006; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, Diss. Heidelberg 1995; Haertlein, Ausländische Parteien im Bankprozess, in Festschrift 600 Jahre Universität Leipzig, 2009, 453; Hausmann in Reithmann/ Martiny, Internationales Vertragsrecht7, 2010, Rz. 5181; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht9, 2007, § 3 Rz. 102 f.; Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, Diss. Hamburg 2005; Kropholler, Internationales Privatrecht einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts6, 2006, § 56 IV 5; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 11; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 270 ff.; Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264; Schmidtbleicher, Verwaltungssitzverlegung deutscher Kapitalgesellschaften im Europa: „Sevic“ als Leitlinie für „Cartesio“?, BB 2007, 613; Staudinger/Hausmann/Hepting/Weick/Winkler von Mohrenfels, Internationales Recht der natürlichen Personen – Art. 7, 9–12, 47 EGBGB, Neubearbeitung 2007; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 1; Stein/Jonas/Jacoby, ZPO23, 2014, § 50 Rz. 48 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006; G. Wagner, Scheinauslandsgesellschaften im Europäischen Zivilprozessrecht in Lutter (ed.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland mit Rechts- und Steuerfragen des Wegzugs deutscher Gesellschaften, 2005, 223 ff.
I. Parteibegriff Der Parteibegriff des deutschen Zivilprozessrechts wird auch in Fällen mit Aus- 2200 landsberührung nicht nach der lex causae, sondern nach der deutschen lex fori bestimmt.1 Der Parteibegriff hat nicht nur theoretische, sondern auch praktische Bedeutung für den Prozessausgang. Die Parteien können als Subjekte des Prozessrechtsverhältnisses weder dem Gegner als Nebenintervenient beitreten noch Zeuge sein. Diese Unterscheidung wird z.B. im anglo-amerikanischen Prozess nicht so scharf gesehen.
II. Parteiänderung Auch für die Parteiänderung gilt die lex fori. Jedoch ist hervorzuheben, dass bei 2201 der Subsumtion der Tatbestandsbegriffe der deutschen lex fori nicht selten die 1 Das Gleiche gilt für den Beteiligtenbegriff (§ 7 FamFG). Wer am deutschen Verfahren zu beteiligen ist, bestimmt im Grundsatz die deutsche lex fori, Rz. 2223.
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Siebenter Teil
Parteien und ihre Vertreter
Anwendung ausländischen Rechts erforderlich ist. So ist z.B. die Frage, wer nach dem Tode eines Menschen Rechtsnachfolger geworden ist, nach dem Erbstatut (Art. 21 ff. EuErbVO; davor Art. 25 EGBGB) zu beurteilen, bei Umwandlung der Rechtsform, bei Verschmelzungen und Abspaltungen das Gesellschaftsbzw. Unternehmensstatut.
III. Parteifähigkeit 1. Verweisung auf das materielle und/oder prozessuale Personalstatut? 2202 Die Parteifähigkeit ist eine Prozessvoraussetzung, und damit gilt grundsätzlich die lex fori (Rz. 320). § 50 ZPO verweist aber auf das bürgerliche Recht (Bestimmungen über die Rechtsfähigkeit) einschließlich des Kollisionsrechts. Nach Pagenstecher2 kennt das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht eine ungeschriebene Kollisionsnorm, wonach sich die Parteifähigkeit einer natürlichen Person nach deren prozessualem Heimatrecht bestimmt. Das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht verweist danach nicht auf das materielle Recht (Normen über die Rechtsfähigkeit), sondern auf das Prozessrecht (Normen über die Parteifähigkeit) des Heimatstaates.3 So ist z.B. eine ausländische offene Handelsgesellschaft, die nach ihrem Gesellschaftsstatut nicht rechtsfähig ist, parteifähig, wenn das maßgebliche ausländische Recht eine dem § 124 HGB entsprechende Norm kennt. Das Gleiche gilt für die ausländischen Parallelnormen zur Parteifähigkeit der Kommanditgesellschaft (§ 161 II HGB), Reederei, Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 II PartGG i.V.m. § 124 HGB). 2202a Die Gegenansicht will dagegen auf die Normen über die Rechtsfähigkeit abstellen.4 Diese Unterscheidung dürfte bei natürlichen Personen nur selten praktische Bedeutung haben, weil wohl die meisten Prozessgesetze auf die Normen über die Rechtsfähigkeit Bezug nehmen. Allenfalls kann sie bei der Parteifähigkeit des nasciturus eine Rolle spielen. Deshalb hat die Frage, ob über § 50 ZPO auch Art. 12 Satz 1 EGBGB anzuwenden ist, nur theoretische Relevanz. 2203 Im Übrigen sollte die richtige Antwort nicht „entweder – oder“ lauten, sondern „sowohl als auch“. Denn im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes ist die Parteifähigkeit alternativ an die Rechts- und an die Parteifähigkeit anzuknüpfen (Rz. 1936).5 Treffend betont Lüderitz6, dass Parteifähigkeit Personenzusammenschlüssen und Vermögensmassen zuerkannt wird, um die Rechtsverfolgung 2 Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249 (251), ebenso Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 54 ff., 120 ff. Weitere Nachw. bei Schemmann, Parteifähigkeit im Zivilprozess, 2002, 125. 3 Zustimmend Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 15. 4 Schütze, DIZPR2, Rz. 186 mit Nachw. Gründliche Auseinandersetzung mit den Thesen Pagenstechers bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 128 ff. 5 Zustimmend Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 161 ff., 173; Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5181; skeptisch Schemmann, Parteifähigkeit im Zivilprozess, 2002, 126. S. auch OLG Koblenz v. 4.1.2013 – 9 U 129/11, NZG 2013, 1183. 6 Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, Art. 10 EGBGB Anh. Rz. 29.
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Parteien und ihre Vertreter
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im Erkenntnisverfahren und in der Zwangsvollstreckung zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Parteifähig ist also – wer nach seinem Personalstatut rechtsfähig ist oder – wer nach seinem Personalstatut parteifähig ist. Dagegen möchte Grasmann7 analog § 55 ZPO die Parteifähigkeit ausländischer Rechtsgebilde nur anerkennen, wenn sie parteifähigen deutschen Gesellschaften entsprechen. 2. Schutz des inländischen Rechtsverkehrs Parteifähig ist darüber hinaus, wer nach dem Sitzrecht so organisiert ist wie eine 2204 inländische Einrichtung, die allgemeine oder passive Parteifähigkeit genießt, ohne dass es insoweit auf Parteifähigkeit im Ausland ankommt; denn für die Durchführung des inländischen Verfahrens ist es ohne Bedeutung, ob Personenzusammenschlüsse oder Vermögensmassen im Inland oder im Ausland verwaltet werden. Passiv parteifähig gem. § 50 II ZPO ist in Deutschland daher der nicht rechtsfähige ausländische Verein auch dann, wenn er im Sitzstaat nicht als solcher verklagt werden kann.8 Es handelt sich um eine eigenständige Norm des internationalen Verfahrensrechts.9 Rechtlich verselbständigte Zweigniederlassungen von Banken und Versicherun- 2205 gen im Inland, wie sie durch § 53 II Nr. 1 KWG, §§ 106–108 VAG vorgeschrieben werden, haben keine besondere Rechtspersönlichkeit; denn Träger der vermögensrechtlichen Rechte und Pflichten ist die ausländische juristische Person. Jedoch gilt zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs: Eine Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz im Ausland, die am inländischen Rechtsverkehr teilnimmt, kann in Deutschland verklagt werden, auch wenn sie nach dem Recht ihres Sitzes nicht parteifähig ist, sofern sie nach deutschem Recht passiv parteifähig ist. Es gilt „der allgemeine Rechtsgedanke, dass Gebilde ohne Rechtspersönlichkeit, die im Rechtsverkehr wie juristische Personen auftreten, unter bestimmten Voraussetzungen als solche wenigstens verklagt werden können, dann nämlich, wenn Erfordernisse des redlichen Geschäftsverkehrs dies verlangen“.10 Aus den gleichen Gründen ist aus inländischer Sicht die Parteifähigkeit der ju- 2206 ristischen Person trotz Erlöschens im Sitzstaat als noch vorhanden zu betrachten, solange sich im Inland noch Vermögen befindet.
7 Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, 1970, 478 Rz. 860. 8 OLG Frankfurt v. 3.3.1982 – 16 W 11/82, IPRax 1982, 201. 9 Art. 12 EGBGB betrifft – soweit überhaupt via § 50 ZPO anwendbar – nur natürliche Personen. 10 BGH v. 28.1.1960, NJW 1960, 1204 = MDR 1960, 665 = RIW 1960, 155 = WM 1960, 662 = IPRspr. 1960–1961 Nr. 186. Ausführliche Analyse des BGH-Ansatzes bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 132 ff. Zu § 53 I 1 KWG LAG Frankfurt/M. v. 28.3.1994 – 10 Sa 595/93, ZIP 1994, 1626 (Trunk 1586) = EWiR 1994, 967 (Windbichler) = KTS 1995, 60 = IPRspr. 1994 Nr. 63.
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Siebenter Teil
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Beispiel: Eine Corporation nach dem Recht von Liberia bleibt trotz Verlustes ihrer Rechtsfähigkeit nach dem Gesellschaftsstatut in Deutschland bis zur vollständigen Beendigung ihrer Liquidation aktiv und passiv parteifähig, solange sie in Deutschland noch Vermögen hat.11
Das Gleiche gilt für die passive Parteifähigkeit bei Sitzverlegung nach Deutschland.12 2207 Ist für die inländische Zweigstelle eines ausländischen Kreditinstituts von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Abwickler bestellt, dann ist das Kreditinstitut für den Geschäftsbereich des Abwicklers parteifähig, ohne Rücksicht darauf, wie sich die Rechtslage nach dem maßgeblichen ausländischen Recht darstellt.13 3. Personalstatut juristischer Personen nach der Sitztheorie außerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit des AEUV und des EWR-Abkommens 2208 Das deutsche internationale Gesellschaftsrecht stellt bei juristischen Personen und Personenvereinigungen für die Frage der Rechtsfähigkeit auf den Sitz der (tatsächlichen) Hauptverwaltung ab (Sitztheorie)14, d.h. auf das Recht, das am Ort des effektiven Verwaltungssitzes gilt.15 Dies ist der Ort, wo die Geschäftsfüh11 OLG Stuttgart v. 18.3.1974 – 5 U 17/72, NJW 1974, 1627 (Cohn, NJW 1975, 499) = IPRspr. 1974 Nr. 7. 12 OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, RIW 1985, 494 = IPRax 1985, 342 (Rehbinder 324) = IPRspr. 1984 Nr. 120. Dazu Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 134 und kritisch Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 336. 13 Ebenso für Klage auf Grundbuchberichtigung gegen liechtensteinische „Briefkastenfirma“, wenn diese in deutschem Grundbuch eingetragen ist, BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 = MDR 1986, 742 = GmbHR 1986, 351 = NJW 1986, 2194. Hierzu Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 133. 14 Zu der (anstehenden) Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts in Richtung Anknüpfung an das Gründungsrecht Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen Gesellschaftsrechts, 2007. 15 BGH v. 30.1.1970, BGHZ 53, 183 = MDR 1970, 403 = DNotZ 1970, 290 = NJW 1970, 998 = IPRspr. 1970 Nr. 7; BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (334) = IPRspr. 1980 Nr. 41; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 = GmbHR 1986, 351 = MDR 1986, 742 = NJW 1986, 2194 = RIW 1986, 822 = IPRspr. 1986 Nr. 19; BFH v. 13.11.1991 – I B 72/91, RIW 1992, 338 = GmbHR 1992, 315 = IPRspr. 1991 Nr. 26; BFH v. 12.6.1995 – II S 9/95, RIW 1996, 85 (H. Braun) = BB 1995, 2099 (Schuck) = IPRspr. 1996 Nr. 20; BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, AG 1992, 456 = MDR 1992, 1039 = GmbHR 1992, 529 = RIW 1992, 674; OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, NJW 1986, 2199 = IPRspr. 1986 Nr. 18; OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, IPRax 1998, 358 = RIW 1997, 237 = IPRax 1998, 358 (Bungert 339) = IPRspr. 1996 Nr. 23; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, NJW-RR 1997, 1127 = RIW 1997, 597 = DZWiR 1997, 332 (Thümmel) = GmbHR 1997, 708 = IPRax 1998, 360 (Bungert 339) = IPRspr. 1997 Nr. 19; OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, GmbHR 1998, 1037 = NJW-RR 1999, 543 = IPRspr. 1998 Nr. 23; BayObLG v. 26.8.1998 – 3 Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 = RIW 1998, 966 = IPRax 1999, 364 (Behrens 323) = IPRspr. 1998 Nr. 24; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998, JZ 2000, 203 (Ebke) = IPRspr. 1998 Nr. 25; LG Marburg v. 27.8.1992 – 1 O 115/92, NJW-RR 1993, 222 = AG 1993, 472 = RIW 1994, 63 = IPRspr. 1992 Nr. 26; OLG
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rung bzw. die dazu berufenen Vertretungsorgane tätig werden.16 Es handelt sich um eine Gesamtverweisung.17 Verweist das Sitzrecht auf den Gründungsstaat (Registerstaat), so ist diese Verweisung zu beachten.18 2209
Beispiel A: Eine auf den niederländischen Antillen inkorporierte NV mit faktischem Sitz in London ist rechts- und parteifähig, da das englische Recht von der Gründungstheorie ausgeht und daher auf das Recht der niederländischen Antillen verweist.19 Beispiel B: Limited partnership kanadischen Rechts mit faktischem Sitz in der Schweiz. Art. 154 I IPR-Gesetz folgt der Gründungstheorie.20 Beispiel C: Eine nach dem Recht von Panama errichtete Gesellschaft hat ihren Verwaltungssitz in Genf21 oder Luxemburg.22
Anders war es vor dem Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum EWR-Ab- 2210 kommen am 1.5.1995 bei einer liechtensteinischen Briefkastenfirma mit faktischem Sitz in München.23 Das deutsche Recht verweist nach der Sitztheorie nicht auf das liechtensteinische Recht. Fazit: Die liechtensteinische Gesellschaft
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Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, NJW-RR 2001, 341 = RIW 2001, 373 = ZIP 2000, 2172 = NZI 2001, 32 = EWiR 2001, 233 (Paulus) = KTS 2001, 131 = IPRspr. 2000 Nr. 15; OLG München v. 12.9.2002 – 19 U 1844/02, ZIP 2002, 2132. Nachw. bei Nagel/ Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 21. OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 (237) = IPRax 1998, 358 (Bungert 339) = IPRspr. 1996 Nr. 23b zu einer Cayman Islands Company. Kindler in MüKo.BGB5, IntGesR, Bd. 11, Rz. 484 ff. BGH v. 2.12.2004 – III ZR 358/03, TranspR 2005, 74 = IPRspr. 2004 Nr. 17; BGH v. 30.6.1965, NJW 1965, 1666 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 4; LG Frankfurt/M. v. 29.1.1982 – 2/3 O 16/82, IPRax 1982, 201 = IPRspr. 1982 Nr. 10; BAG v. 5.12.1966, BAGE 19, 164 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 51; BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (279) = AG 1986, 116 = GmbHR 1985, 335 = RIW 1986, 295 = IPRspr. 1985 Nr. 214; BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, GmbHR 1986, 305 = BayObLGZ 1986, 61 (67) = IPRax 1986, 368 (Großfeld 351) = NJW 1986, 3029 (Riegel 2999) = RIW 1986, 548 = IPRspr. 1986 Nr. 20; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 87 ff., 90. Dagegen Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249. Enger auch Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, vor Art. 7 EGBGB Rz. 267. S. auch Siehr, IPR 2001, 311. Schütze, DIZPR, 1985, 73. Nachw. bei Rindisbacher, Anerkennung gesellschaftsrechtlicher Gebilde im IPR, 1996; s. auch LG Hamburg v. 12.2.1986, IPRspr. 1986 Nr. 17 und LG Weiden v. 27.10.1995 – 2 O 816/95, NJW-RR 1996, 438 = IPRspr. 1995 Nr. 35. OLG Frankfurt v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, AG 1990, 494 = MDR 1990, 832 = IPRax 1991, 403 (Großfeld/König 379). OLG Jena v. 17.12.1997 – 2 U 244/94, IPRax 1998, 364 (Bechtel 348) = DB 1998, 1178 = IPRspr. 1997 Nr. 22. BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, RIW 1992, 867 (Ebenroth/Auer 998) = IPRax 1993, 248 (Großfeld/Luttermann 229) = GmbHR 1993, 184 = DB 1992, 2067 (Knobbe-Keuk) = EWS 1992, 315 = IPRspr. 1992 Nr. 24; OLG Koblenz v. 4.1.2013 – 9 U 129/11, NZG 2013, 1183 = ZIP 2013, 1237.
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war nach diesem Ansatz im Prinzip nicht aktiv parteifähig, gleichwohl aber passiv parteifähig, aus den in Rz. 2204 genannten Gründen. Die Rechtsverfolgung gegen die als juristische Person sich gerierende Vermögensmasse wäre unnötig erschwert, wenn man ihr die passive Parteifähigkeit abspräche. Das EWR-Abkommen (Rz. 2215d) garantiert – ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 54 i.V.m. Art. 49) – in Art. 37 i.V.m. Art. 40 die Niederlassungsfreiheit.24 Daher muss Deutschland – auf der Basis der Rspr. des EuGH spätestens nach der Überseering- und der Inspire Art-Entscheidung25 – die Rechts- und Parteifähigkeit der liechtensteinischen Gesellschaften und juristischen Personen anerkennen, die nicht ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Fürstentum Liechtenstein haben.26 Im Übrigen ist – auch außerhalb des EU- und EWR-Bereichs und des Anwendungsbereichs des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags27 – die Problematik weitgehend dadurch entschärft, dass der Bundesgerichtshof der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Rechts- und damit auch die Parteifähigkeit zugebilligt und diese Doktrin zur Entschärfung der Sitztheorie eingesetzt hat; er qualifiziert einfach nach der strengen Sitztheorie als juristische Personen nicht anerkennungsfähige ausländische Gebilde seit seinem Jersey-Urteil28 zu Personengesellschaften um29 (Rz. 2215n). Daher ist in den meisten Fällen auch die aktive Parteifähigkeit der im Ausland gegründeten und registrierten juristischen Person mit Verwaltungssitz in Deutschland zu bejahen, da nach deutschem Recht zumindest eine rechts- und damit auch parteifähige Personengesellschaft (§ 14 II BGB) gegeben ist.30 2210a Einer englischen Non Resident Limited, die nur formell in England gegründet und registriert ist, aber in Wahrheit ihre Geschäftstätigkeit in Deutschland – mit oder ohne Zweigniederlassung – entfaltet, fehlte vor der Rspr. des EuGH
24 Der EFTA-Gerichtshof betont in ständiger Rspr., dass die Niederlassungsfreiheit nach dem EWR-Abkommen den gleichen Inhalt hat wie nach dem EG-Vertrag, EFTA-GH, Slg. 1988, 205 – Rz. 21 – Rainford-Towning; Slg. 2000–2001, 123 – Rz. 7 – Brändle; Slg. 2000–2001, 163 – Rz. 7 – Mangold; Slg. 2000–2001, 203 – Rz. 7 – Tschannett. 25 Ausführlich z.B. Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5052. 26 OLG Frankfurt v. 28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (Baudenbacher/Buschle 26) = IPRspr. 2003 Nr. 16. 27 Umfangreiche Nachw. bei Kaulen, Zur Bestimmung des Anknüpfungsmoments unter der Gründungstheorie unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-US-amerikanischen Freundschaftsvertrages, IPRax 2008, 389. 28 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, NJW 2002, 3539 = IPRax 2003, 62 (Kindler 41) = MDR 2002, 1382 (Haack) = BB 2002, 2031 (Gronstedt). Hierzu Bayer, BB 2003, 2357 (2362); Goette, DStR 2002, 1678; Kindler, IPRax 2003, 41; Leibke/Hoffmann, DB 2002, 2203. 29 Hierzu ausführlich Binz/Gerd Mayer, BB 2005, 2361. 30 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, NJW 2002, 3539 = IPRax 2003, 62 (Kindler 41) = MDR 2002, 1382 (Haack) = BB 2002, 2031 (Gronstedt).
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(Rz. 2215b) bzw. des Bundesgerichtshofs die Parteifähigkeit.31 Ihr „Direktor“ haftet analog § 11 II GmbHG.32 Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland führte vor der Reform des GmbH-Rechts durch das Gesetz vom 23.10.200833 (Rz. 2215m) zur Auflösung einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft bzw. juristischen Person.34 Anders war es nur dann, wenn sowohl das Recht des Gründungsstaates und das Recht am Sitz der neuen (effektiven) Verwaltung den Fortbestand der Rechtsfähigkeit bejahen. Dann war dies auch aus deutscher Sicht zu respektieren.35 Für die Parteifähigkeit einer Personenhandelsgesellschaft (offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, partnership) ist das Recht am Ort der tatsächlichen Geschäftsführung maßgebend.36
31 Hahn/Swoboda, GmbHR 1984, 85; LG Köln v. 25.11.1985 – 16 O 41/84, GmbHR 1986, 314 = RIW 1987, 54 = IPRspr. 1985 Nr. 23; ebenso für irische Limited LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, ZIP 1999, 2021; a.A. OLG Frankfurt v. 23.7.1999 – 22 U 219/97, RIW 1999, 783 und OLG Frankfurt v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, RIW 2000, 56 (Borges 167) = GmbHR 1999, 1254 = ZIP 1999, 1710 = IPRax 2001, 132 (Thorn 102) = IPRspr. 1999 Nr. 18, wenn die Gesellschaft überhaupt keinen tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Der BGH (Beschluss v. 29.1.2001 – II ZR 383/99, IPRspr. 1999 Nr. 18 Fn. 1) hat die Revision nicht angenommen, „da der Klägerin in Deutschland jedenfalls den Status einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zuzuerkennen war; als solche besitzt sie für ihre im Geschäftsverkehr begründeten Rechte und Pflichten Rechts- und Parteifähigkeit“. 32 Staudinger/Ebke/Großfeld, Internationales Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2008, Rz. 341. 33 BGBl. I 2008, 2026. 34 BGH v. 11.7.1957, BGHZ 25, 134 (144); BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, AG 1992, 456 = MDR 1992, 1039 = GmbHR 1992, 529 = BayObLGZ 1992, 113; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, GmbHR 2001, 438 = BB 2001, 901 (Emde) = IPRspr. 2001 Nr. 14; BayObLG v. 11.2.2004 – 3 Z BR 175/03, BayObLGZ 2004, 24; Bungert, RIW 1999, 109 (110). Dies gilt auch innerhalb der EU. Art. 52, 54, 58 EGV stehen nach h.M. entgegen, OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = NJW-RR 1998, 615 = RIW 1997, 874 = IPRax 1998, 363 (Bechtel 348) = ZIP 1997, 1696 (Neye) = EWS 1998, 470 (Kruse 444) = WiB 1997, 1242 (Mankowski) = EuZW 1998, 31 = IPRspr. 1997 Nr. 20. Zur Erleichterung der EU-weiten Niederlassung hat die Kommission einen „Vorschlag für eine 14. RL des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgeblichen Rechts“ vorgelegt. Text mit Begründung, ZIP 1997, 1721. Diese RL hält Bechtel, IPRax 1998, 348 für überflüssig, weil er bereits de lege lata eine grenzüberschreitende Sitzverlegung nach Deutschland für möglich hält. Weitere Nachweise auch bei Gillessen, Europäische transnationale Sitzverlegung und Fusion im Vereinigten Königreich und Irland, 2000. 35 OLG Jena v. 17.12.1997 – 2 U 244/94, IPRax 1998, 364 (Bechtel 348): Sitzverlegung von Panama nach Luxemburg. 36 OLG Frankfurt v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (Ahrens 355) = IPRspr. 1985 Nr. 21; Kegel/Schurig, IPR9, § 17 III. Zur (fehlenden) Parteifähigkeit einer (spanischen) Wohnungseigentümergemeinschaft OLG Koblenz v. 17.10.1985 – 9 U 99/83, RIW 1986, 137 = IPRspr. 1985 Nr. 22.
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2210b Es besteht eine Vermutung, dass eine nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Ausland hat; diese Vermutung ist aber z.B. bei einer Non Resident Limited Company widerlegt.37 Eine ausländische juristische Person, welche im Inland die Zwangsvollstreckung betreibt, ist für die Voraussetzungen ihrer Parteifähigkeit (insbes. für den Sitz ihrer effektiven Verwaltung) darlegungs- und beweispflichtig.38 Umgekehrt gilt das Gleiche für den Wegfall der Parteifähigkeit wegen Statutenwechsels.39 2210c Existiert der Staat nicht, nach dessen Gesetzen ein als juristische Person auftretendes Gebilde nach eigenen Angaben gegründet sein soll, so ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass dieses Gebilde in keinem Staat seinen Hauptsitz hat und als juristische Person nicht besteht.40 2210d Der ordre public (Art. 6 EGBGB) kann zur Anwendung kommen, wenn das Haftungskapital extrem niedrig ist.41 2210e § 56 I ZPO verpflichtet die deutschen Gerichte nicht, in jedem Rechtsstreit von Amts wegen eine umfassende Prüfung aller Prozessvoraussetzungen vorzunehmen. Steht bei einer juristischen Person außer Frage, dass sie ursprünglich rechtsund parteifähig (§ 50 I ZPO) war, so ist vom Fortbestand dieser Eigenschaft aus-
37 OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422 = RIW 1990, 1019 = IPRspr. 1989 Nr. 26; vgl. KG v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW 1989, 3100 = RIW 1990, 496 = IPRspr. 1989 Nr. 29; KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97, NJW-RR 1998, 447 = IPRspr. 1997 Nr. 21; hierzu Michaels, ZEuP 1999, 197; LG Stuttgart v. 31.7.1989 – 7 O 64/89, IPRax 1991, 118 (Fischer 100) = IPRspr. 1989 Nr. 30. Großzügiger LG Weiden v. 27.10.1995 – 2 O 816/95, NJW-RR 1996, 438 = IPRspr. 1995 Nr. 35: Ausreichend seien 4 bis 5 Sitzungen pro Jahr, auf denen die Geschäftspolitik und das zukünftige geschäftliche Engagement der Limited Company besprochen wird. Vgl. auch LG Traunstein v. 9.2.1998 – 8 T 98/98, IPRspr. 1998 Nr. 21. Zur Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des faktischen Sitzes/Verwaltungssitzes BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 = GmbHR 1986, 351 = MDR 1986, 742 = NJW 1986, 2194 = RIW 1986, 822 = IPRspr. 1986 Nr. 19; OLG München v. 6.5.1986 – 5 U 2562/85, GmbHR 1986, 351 = NJW 1986, 2197 = RIW 1986, 820 = IPRspr. 1986 Nr. 21; OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 (237) = IPRax 1998, 358 (Bungert 339) = IPRspr. 1996 Nr. 23b; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, IPRax 1998, 360 (361) (Bungert 339) = GmbHR 1997, 708 = DZWiR 1997, 332 (Thümmel) = IPRspr. 1997 Nr. 19. Zur (aktiven) Parteifähigkeit einer nach niederländischem Recht gegründeten Stiftung islamischen Rechts OLG Köln v. 30.4.1999 – 6 U 62/98, OLGR 1999, 377 = IPRspr. 1999 Nr. 16. 38 LG Mainz v. 7.10.1996 – 8 T 253/96, Rpfleger 1997, 178 = IPRspr. 1996 Nr. 24. 39 Die Parteifähigkeit ist zwar in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine Präklusion wegen verspäteten Vorbringens gibt es nicht. Allerdings kommt eine Prüfung des Wegfalls der unstreitig ursprünglich vorhandenen Parteifähigkeit nur in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen. Behauptet die beklagte Partei, sie habe die Rechts- und Parteifähigkeit (inzwischen) verloren, so muss sie Tatsachen vorlegen, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit ihrer Behauptung ergeben, BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, MDR 2004, 1197. 40 KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97, NJW-RR 1998, 447 = IPRspr. 1997 Nr. 21; hierzu Michaels, ZEuP 1999, 197 („My Own Private Switzerland“). 41 LG Hamburg v. 12.2.1986, IPRspr. 1986 Nr. 17; a.A. OLG Hamburg v. 21.1.1987 – 4 U 54/86, RIW 1988, 816 = IPRspr. 1987 Nr. 10.
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zugehen, es sei denn, dass hinreichende Anhaltspunkte für das Gegenteil gegeben sind. Eine beklagte Partei, die behauptet, sie habe ihre Rechts- und Parteifähigkeit inzwischen verloren, muss daher Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung ergeben. Die Behauptung, die Gesellschaft sei schon vor Jahren liquidiert worden, reicht nicht aus.42 Verliert die beklagte juristische Person während des Prozesses ihre Parteifähig- 2210f keit, so ist die ursprünglich zulässige Klage nicht durch Prozessurteil kostenpflichtig als unzulässig abzuweisen.43 Vielmehr ist die Hauptsache erledigt; über die Kostentragung ist nach § 91a ZPO zu entscheiden. 4. Völkerrechtssubjekte Ausländische Staaten sind in Deutschland aktiv parteifähig, auch wenn sie von 2211 Deutschland nicht anerkannt sind (Rz. 565). Die Zuerkennung der aktiven Parteifähigkeit44 steht nicht im Belieben der Staaten; diese gebietet vielmehr das allgemeine Völkergewohnheitsrecht.45 Die Staaten sind im Prinzip auch passiv parteifähig; jedoch wird dies faktisch durch die Immunitätsregeln (Rz. 578) relativiert, wobei aber passive Parteifähigkeit kraft Völkerrechts und Immunität klar zu unterscheiden sind. Das Gleiche gilt für internationale Organisationen, soweit Deutschland Mitgliedstaat ist. Andernfalls ist streitig, ob nur relative Völkerrechtssubjektivität (im Verhältnis zu Mitgliedstaaten) ausreichend ist.46 5. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts steht der Zugang zu den 2212 deutschen Gerichten grundsätzlich offen (Rz. 1976). 6. Inländische Niederlassungen ausländischer Gesellschaften Inländische Niederlassungen ausländischer Gesellschaften sind wegen ihrer 2213 rechtlichen Unselbständigkeit (anders als bei selbständiger Tochtergesellschaft,
42 BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94 = NJW 2004, 2523 = WM 2004, 1404 = MDR 2004, 1197. 43 So aber OLG Rostock v. 28.6.2001 – 1 U 203/99, ZIP 2001, 1590 = EWiR 2002, 171 (M. Vollkommer). 44 Hierzu auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 364; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 36. 45 Kren Kostkiewicz, Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweiz. Recht, 1998, 482. 46 Hofmann, NJW 1988, 586 Fn. 5. Dezidiert jedoch Wenckstern in Handbuch IZVR, Bd. II/1, 1994, Kap. I Rz. 90, S. 30: „Insgesamt gesehen ist damit die Rechtsfähigkeit wohl sämtlicher internationaler Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet, sofern sie nur in irgendeinem anderen Staat rechtsfähig sind.“ Vgl. auch Pfeiffer, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, 42 (2007), 93, 100; Kegel/ Schurig, IPR9, § 17 II 3b.
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z.B. deutsche GmbH) nicht selbst parteifähig. Partei ist vielmehr die ausländische Gesellschaft (Rz. 2003). Maßgeblich ist deren Gesellschaftsstatut.47 7. Spalt- und Restgesellschaften trotz Löschung im Ausland 2214 Eine (nach Enteignung) in Deutschland verbliebene „Restgesellschaft“, die früher ihren Sitz im Ausland hatte48, betrachtet Deutschland als fortbestehend und daher konsequenterweise als parteifähig. Das Gleiche gilt z.B. für englische private limited companies, die im Gesellschaftsregister des Companies House wegen Nichterfüllung ihrer Publizitätspflichten gelöscht worden sind.49 8. Deutsch-amerikanischer Freundschaftsvertrag und deutsch-spanisches Investitionsschutzabkommen 2215 In Art. XXV (5) des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages mit den USA wird die Gründungstheorie anerkannt50; ebenso z.B. im deutsch-spanischen Investitionsschutzabkommen.51 47 Zur Zustellung an die Niederlassung s. Rz. 2110. 48 BGH v. 30.9.1991 – II ZR 47/91, AG 1992, 27 = MDR 1992, 241 = RIW 1991, 1041. Hierzu auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 341. Zur Theorie der Restgesellschaft weitere Nachweise bei OLG Jena v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, ZIP 2007, 1709 = RIW 2007, 864 (865) (Röder) und OLG Düsseldorf v. 10.5.2010 – 24 U 160/09, NZG 2010, 1226. 49 Das in Deutschland gelegene Vermögen der Limited fällt nicht nach Art. 654 ff. Companies Act der englischen Krone an, OLG Jena v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864 (Röder). S. auch OLG Düsseldorf 10.5.2010 – I-24 U 160/09, EWiR 2011, 67 (kritisch Mock); Mansel, Liber amicorum Kegel, 2002, 111, 117. Bei (vorzeitiger) Löschung einer liechtensteinischen Aktiengesellschaft im Öffentlichkeitsregister stellt das OLG Karlsruhe v. 4.1.2013 – 9 U 129/11, WM 2013, 1276 = NZG 2012, 1183 auf das Gesellschaftsstatut ab, ob die Gesellschaft fortbesteht, weil sie noch Vermögen hat. 50 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = NJW 2003, 1607 = IPRax 2003, 265 (Behrens 193; Weller 324) = ZIP 2003, 720 = BB 2003, 810 (Kindler) = EWiR 2003, 661 (Mankowski) = IPRspr. 2003 Nr. 10; OLG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 6 U 93/94, NJW-RR 1995, 1184 = IPRspr. 1995 Nr. 18; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, NJW-RR 2004, 1618 = RIW 2004, 787 (Ebke 740) = IPRax 2005, 339 (Stürner 305) = IPRspr. 2004 Nr. 15; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, RIW 2005, 147 (Paal 735) = GmbHR 2005, 51 = CR 2005, 175 = MDR 2005, 560 = BB 2004, 2595 (Elsing 2596) = ZIP 2004, 2230 = IPRax 2005, 340 (Stürner 305) = IPRspr. 2004 Nr. 16; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO23, § 17 Rz. 13; a.A. (für Sitztheorie) Berndt, JZ 1996, 187. Zum gleichen Ergebnis (Nichtanerkennung) kommt OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/94, GmbHR 1995, 595 = WM 1995, 808 = ZIP 1995, 1009 (Ebenroth/Kemner/Willburger) durch Anwendung des ordre public. Weitere Nachweise und Vorschläge zur Konkretisierung der Gründungstheorie bei Kaulen, Zur Bestimmung des Anknüpfungsmoments unter der Gründungstheorie – unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-US-amerikanischen Freundschaftsvertrags, IPRax 2008, 389. Ausführlich z.B. auch Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5071 ff. 51 Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1 zu Heft 3. S. auch Bungert, WM 1995, 2125 und Steiger, RIW 1999, 169. Angesichts der Rspr. des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV, davor Art. 43, 48 EGV, Rz. 2215a) dürfte dem dt.- span. Abkommen keine große praktische Bedeutung im Hinblick auf das Gesellschaftsstatut zukommen.
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9. Bedeutung von Art. 49, 54 AEUV und Art. 31, 34 EWR-Abkommen Das zur Ausführung des Art. 293 (ex 220) EGV geschlossene Übereinkommen 2215a vom 29.2.1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen52 ist wegen der Verweigerung der Ratifikation durch die Niederlande seinerzeit gescheitert. Doch auch ohne staatsvertragliche Regelung sind Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund Art. 49, 54 AEUV verpflichtet, nach dem Recht eines anderen EU-Staates gegründete juristische Personen vorbehaltlos als rechts- und damit auch als parteifähig anzuerkennen.53 Es verstößt gegen europäisches Unionsrecht, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Sitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten abgesprochen wird.54 Macht eine solche Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.55
52 BGBl. II 1972, 370. 53 EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – Überseering BV/Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), RIW 2002, 945 (Leible/Hoffmann 925) = ZIP 2002, 967 (Eidenmüller 2233) = EWiR 2002, 1003 (Ney) = IPRax 2003, 65 (Wulf-Henning Roth 117; Berends 193). Ausführlich z.B. Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5041 ff.; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 20. 54 Hierzu s. auch die Stellungnahmen bei Sonnenberger, Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts – vorgelegt im Auftrag der zweiten Kommission des Deutschen Rates für IPR, Spezialkommission internationales Gesellschaftsrecht, 2007. 55 Hierzu BayObLG v. 19.12.2002 – 2Z BR 7/02, BayObLG 2002, 413 = IPRax 2003, 244 (Behrens 193) = NZG 2002, 290 (Leible/Hoffmann) = AG 2003, 430 = GmbHR 2003, 299 = ZIP 2003, 398 = IPRspr. 2002 Nr. 23; Zimmer, BB 2003, 1; Lutter, BB 2003, 7. Umfangreiche Nachw. bei Stork, Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union: Zur Reichweite der Niederlassungsfreiheit unter Berücksichtigung der positiven und negativen Integration, 2003. Die Entscheidung erging aufgrund des Vorlagebeschlusses des BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, RIW 2000, 555 = EuZW 2000, 412 = AG 2000, 473 = ZIP 2000, 967 = BB 2000, 1106 = GmbHR 2000, 715 (Meilicke 693) = IPRspr. 2000 Nr. 13; hierzu Anträge des Generalanwalts Colomer, ZIP 2002, 75 sowie Forsthoff, BB 2002, 318. Schlussentscheidung: BGH v. 13.3.2003 – VII 370/98, MDR 2003, 825 = GmbHR 2003, 527 (Stieb) = AG 2003, 386 = NJW 2003, 1461 = IPRax 2003, 344 (Weller 324) = ZIP 2003, 718 (Leible/Hoffmann 925) = IPRspr. 2003 Nr. 13. Ohne Bedenken weiterhin für Sitztheorie und damit überholt durch die EuGH-Rspr. OLG Brandenburg v. 31.5.2000 – 14 U 144/99, ZIP 2000, 1616 = RIW 2000, 798 = IPRspr. 2000 Nr. 14; OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = RIW 2001, 373 = IPRspr. 2000 Nr. 15. S. auch Forsthoff, Abschied von der Sitztheorie, BB 2002, 318 sowie die umfangreichen weiteren Nachw. bei Rammeloo, Corporations in Private International Law, 2001 sowie bei Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext, 2002, 297 ff.
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Parteien und ihre Vertreter
2215b Spätestens seit Inspire Art56 – richtigerweise schon seit Centros57 – hat der EuGH jeder Beschränkung der Zuzugsmöglichkeit von Gesellschaften, die in der Europäischen Union errichtet wurden, eine eindeutige Absage erteilt.58 Auch für Scheinauslandsgesellschaften gilt – im Anwendungsbereich des AEUV- und des EWR-Vertrages – nur noch die Gründungstheorie59: Sie müssen EU- bzw. EWR-weit nach dem Organisationsrecht ihres Gründungsstaates, z.B. als private company limited by shares etc., anerkannt werden und können unter ihrer Original-Firma (z.B. Inspire Art Ltd.) ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Insbes. können sie wahlweise im Staat ihrer (tatsächlichen) Aktivitäten auch eine Zweigniederlassung nach Maßgabe der Zweigniederlassungsrichtlinie60 eintragen lassen.61 2215c Die bisher herrschende Sitztheorie (Rz. 2208) hat der EuGH zugunsten der Gründungstheorie eliminiert für Gesellschaften und juristische Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union registriert sind.62 2215d Das Gleiche gilt für den EWR-Bereich. Das EWR-Abkommen garantiert – ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 54 i.V.m. Art. 49) – in Art. 37 i.V.m. Art. 40 die Niederlassungsfreiheit (Rz. 2210).63 2215e Im Übrigen bleibt im Verhältnis zu dritten Staaten – außerhalb des Anwendungsbereichs von völkerrechtlichen Verträgen, welche ebenfalls die Gründungstheorie festschreiben, wie z.B. Art. XXV (5) 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts56 EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 – Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art, MDR 2003, 1303 = NJW 2003, 3331 (Zimmer 3585) = BB 2003, 2195 = GmbHR 2003, 1260 (Neilicke) = JZ 2004, 37 (Eidenmüller 24) = DNotZ 2004, 55 (Binge/Thölke 21) = RIW 2003, 957 (Spindler/Brenner) = IPRax 2004, 46 (Behrens) = ZIP 2003, 1885 (Ziemons) = EWiR 2003, 1029 (Drygala) = NZG 2003, 1100. Hierzu Altmeppen, NJW 2004, 97; Bayer, BB 2003, 2357 (2362); Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167; Kindler, NZG 2003, 1086; Kleinert/Probst, DB 2003, 2217; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677; Meilicke, GmbHR 2003, 1271; Merkt, RIW 2004, 1; Wachter, GmbHR 2003, 1254 sowie 2004, 88; Weller, DStR 2003, 1800. 57 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, Slg. 1999 I-1459 = FR 1999, 449 (Dautzenberg) = GmbHR 1999, 474 = MDR 1999, 752 (Risse) = AG 1999, 226 = NJW 1999, 2027 (Kindler 1993) = RIW 1999, 447 (Cascante) = DB 1999, 625 (Meilicke) = IPRax 1999, 360 (Behrens 323) = JZ 1999, 669 (Ebke 656; Ulmer 662) = NZG 1999, 298 (Leible); hierzu OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 (Ebke) und österr. OGH v. 15.7.1999, JZ 2000, 199 (Mäsch); österr. OGH, EuZW 2000, 256 (Höfling); Bayer, BB 2003, 2357 (2360); Günther H. Roth, ZIP 1999, 861; Sandrock, BB 1999, 1337; Sedemund/Hausmann, BB 1999, 810; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721; Höfling, DB 1999, 1206; Thorn, IPRax 2001, 102; Werlaff, ZIP 1999, 867; Zimmer, ZHR 2000, 23. 58 Zum Folgenden ausführlich R. Geimer, Gesellschaften und juristische Personen auf Wanderschaft in Europa, 2004, Ludwig Boltzmann-Institut für Europarecht (Wien), Heft 20. 59 Stein/Jonas/Jacoby, ZPO23, § 50 Rz. 51 m.w.N. 60 ABl. EG Nr. L 395, 36 v. 30.12.1989. 61 Hierzu ausführlich Ringe, Überseering im Verfahrensrecht, IPRax 2007, 388. 62 Zu den weittragenden Konsequenzen dieser Rspr. aus dem Blickwinkel des Gläubigerschutzes sehr eindringlich Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 2007. 63 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, MDR 2006, 105 (Haack) = GmbHR 2005, 1483 (Wachter) = NJW 2005, 3351 = ZIP 2005, 1869 = IPRspr. 2005 Nr. 7.
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vertrags64 oder eine Verpflichtung zur Inländergleichbehandlung, Meistbegünstigung65, Niederlassungsfreiheit oder sonstigen Schutz vor Diskriminierung vorsehen66 – derzeit noch die Sitztheorie (Rz. 2208) die maßgebliche kollisionsrechtliche Anknüpfung in Deutschland.67 Wie man de lege ferenda in den den nationalen Gesetzgebern noch verbliebenen Bereichen agieren wird, ist eine andere Frage.68 Innerhalb der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums ist 2215f wiederum zwischen der Zuzugs- und Wegzugsperspektive zu unterscheiden. Die Zuzugsfälle sind vom EuGH nun geklärt. Nach dem Centros-Urteil vom 9.3.1999 (Rz. 2215b) kann eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete und eingetragene Gesellschaft – auch wenn sie in diesem Staat keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet – in jedem anderen Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung errichten und wirtschaftlich tätig werden. Der EuGH stellt im Ergebnis die Zweigniederlassung und die inländische Auslandsgesellschaft gleich. Damit verwirft er das Argument, die Zweigniederlassung der (englischen) Briefkastenfirma sei in Wirklichkeit deren Hauptniederlassung.69 Die Zweigniederlassungsrichtlinie komme daher nicht zur Anwendung. Eine Gesellschaft kann sich auch dann auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn sie ihre Tätigkeit „ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt“; dabei sind die „Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde“, ohne Belang.
64 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, IPRax 2003, 265 (Weller 324) = RIW 2003, 473 = ZIP 2003, 20 = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = DB 2003, 818 (Bungert 1043). 65 Hierzu Kindler in MüKo.BGB5, IntGesR, Bd. 11, Rz. 311 ff. 66 Vgl. BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, FR 2003, 912 = GmbHR 2003, 722 = RIW 2003, 627. Hierzu Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (956). 67 Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21 (28); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, AG 2007, 870 = GmbHR 2007, 763 (Ringe) = BB 2007, 1519 (Binz/Gerd Mayer), allerdings mit deutlichen Sympathien für einen „allgemeinen Übergang zur Gründungstheorie“. Dagegen will OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, AG 2007, 332 = GmbHR 2006, 1163 = BB 2006, 2487 (Wachter) = ZIP 2006, 1822 ganz offen die Rechts- und Parteifähigkeit einer schweiz. AG auch nach dem Gründungsrecht beurteilen, weil nur dadurch der Grundsatz der Rechtssicherheit und -klarheit sowie die Einheitlichkeit der Anknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht gewahrt werden könne. Dagegen energisch BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = GmbHR 2009, 138 (Wachter) = AG 2009, 84 = NotBZ 2009, 135 = NJW 2009, 289 (Kieninger) = IPRax 2009, 259 (Kindler 180) = IPRspr. 2008 Nr. 11. 68 Für Anwendung der Gründungstheorie auch im Verhältnis zu Drittstaaten Eidenmüller, JZ 2003, 526 (528); Behrens, IPRax 2003, 193 (206). Für Beibehaltung der Sitztheorie BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192; Ebke, JZ 2003, 927 (930); Bayer, BB 2003, 2357 (2364). – De lege ferenda s. Sonnenberger, Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts – vorgelegt im Auftrag der zweiten Kommission des Deutschen Rates für IPR, Spezialkommission internationales Gesellschaftsrecht, 2007. 69 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 (Mildner/Kleinert) = BB 2003, 2644 = ZIP 2003, 2297. S. auch OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, RIW 2003, 542 = BB 2003, 864 = MDR 2003, 1363 (Haack) = IPRspr. 2003 Nr. 11 sowie Wachter, GmbHR 2004, 88 (93).
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2215g Im Überseering-Urteil vom 5.11.2002 stellte der EuGH70 darüber hinaus klar, dass eine innerhalb der Europäischen Union gegründete Gesellschaft auch ihren faktischen Sitz in jeden anderen Mitgliedstaat verlegen kann, ohne ihre Rechtsund Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates zu verlieren. Die Sitztheorie darf also bei einem Zuzug nach Deutschland nicht mehr zur Verteidigung und Durchsetzung des eigenen deutschen Rechts, insbes. Gesellschaftsrechts, eingesetzt werden, auch nicht in Form der Überlagerungstheorie.71 2215h Die in den Niederlanden gegründete und dort nach wie vor registrierte Überseering BV hatte ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Es ging darum, ob ihr deshalb die Anerkennung als juristische Person zu versagen und sie daher vor deutschen Gerichten als nicht rechts- und parteifähig zu behandeln sei. In seinem Vorlagebeschluss72 hatte der VII. Senat des Bundesgerichtshofs dargelegt, dass die von Überseering BV erhobene Zahlungsklage gegen einen Werkunternehmer, der mangelhaft gearbeitet hatte, wegen fehlender Parteifähigkeit als unzulässig abzuweisen sei.73 Dieses Ergebnis folge aus der Anknüpfung des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts an den Sitz der tatsächlichen Verwaltung. 2215i Dem widersprach der EuGH fundamental: Dass eine in einem anderen Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft nach Verlegung ihres Verwaltungssitzes nach Deutschland jedwede rechtliche Anerkennung vom Zuzugsstaat versagt werde, sie vielmehr unter Beachtung der deutschen Normen neu gegründet werden müsse und bis dahin als nicht existent angesehen werde, sei eine glatte Negierung der im AEUV (damals noch EGV) garantierten Niederlassungsfreiheit. Hierfür gebe es keine Rechtfertigung. Denn auch zwingende Gründe des Gemeinwohls könnten in keinem Fall dazu führen, einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen.74
70 EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002 I-9919 = GmbHR 2002, 1137 = AG 2003, 37 = NJW 2002, 3614 = JZ 2003, 947 (Ebke 927) = MDR 2003, 96 (Haack) = EWiR 2002, 1003 (Neye). S. auch Behrens, IPRax 2003, 193; Kindler, NJW 2003, 1073; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925; Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259; Leible/Hoffmann, RIW 2003, 925; Lutter, BB 2003, 7; Paefgen, WM 2003, 561; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117; Schulz, NJW 2003, 2705; Schulz/Sester, EWS 2002, 545; Weller, IPRax 2003, 207, 324; Zimmer, BB 2003, 1. 71 Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Behrens, IPRax 2004, 20 (25). Das OLG Frankfurt v. 28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (Baudenbacher/Buschle 26) = IPRspr. 2003 Nr. 16 geht einen Schritt weiter und wendet die Grundsätze des Überseering-Urteils auch auf Gesellschaften an, die in einem (nicht zur EU gehörenden) EWR-Staat gegründet worden sind. 72 BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, IPRax 2000, 423 = GmbHR 2000, 715 = AG 2000, 473 = ZIP 2000, 967 = RIW 2003, 474. 73 So das Berufungsurteil des OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 (Ebke). 74 Überseering s. Rz. 93: „Eine solche Maßnahme kommt nämlich der Negierung der den Gesellschaften in den Art. 43 EG und Art. 48 EG zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleich“.
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Fazit: Gesellschaften, die mit Billigung des Gründungsstaates aus diesem weg-, 2215j und in einen anderen Mitgliedstaat ziehen, sind in vollem Umfang in allen anderen EU-Staaten anzuerkennen, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer nach dem Gründungsstatut zu beurteilenden Rechts- und Parteifähigkeit, als auch hinsichtlich ihrer Prozessfähigkeit. Allerdings hält der EuGH Wegzugssperren des Gründungsstaates mit der Nie- 2215k derlassungsfreiheit des Unionsrechts für vereinbar. In der Daily Mail-Entscheidung75 hat er dargelegt, „dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann.“76 Nach Ansicht des EuGH sind das Ob und Wie einer identitätswahrenden 2215l Sitzverlegung nach dem nationalen Recht des Gründungsstaates zu beurteilen (Rz. 70 ff.). Der Gründungsstaat kann mithin den Wegzug blockieren. Insofern kann er noch an der Sitztheorie festhalten.77 Daher steht die Niederlassungsfreiheit in der Interpretation von Daily Mail und Cartesio der Behinderung des Wegzugs durch den Gründungsstaat nicht entgegen. Dafür spricht prima vista, dass der Gründungsstaat die Voraussetzungen der Gründung der Gesellschaft und ihres Fortbestandes definieren darf.78 Daher muss er auch normieren dürfen, wann eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft als solche endet, d.h. nicht mehr existiert. Gesellschaften sind nämlich – anders als natürliche Personen – keine metajuristischen Phänomene, sondern juristische Geschöpfe, die einer bestimmten Rechtsordnung zuzuordnen sind und nur nach deren Maßgabe entstehen und vergehen. So sagt denn auch der EuGH in Daily Mail, dass eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft jenseits der Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regelt, keine Realität hat.79 Ähnlich formuliert z.B. Schön80: „Wenn ein Mitgliedstaat seine eigenen ‚Geschöpfe‘ in ihrer zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit beschneidet, muss dies vom Gemeinschaftsrecht im Grundsatz hingenommen werden.“ Gleichwohl setzen Art. 49 und Art. 54 AEUV bzw. Art. 31 und Art. 34 des EWRAbkommens auch dem Recht des Gründungsstaats Schranken.81 Denn auf die
75 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5505 = NJW 1989, 2186 = RIW 1989, 304 = IPRax 1989, 381 (Behrens 354). Hierzu z.B. auch Bayer, BB 2003, 2357 (2359). 76 Überseering s. Rz. 70. 77 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242). 78 Zum Folgenden sehr instruktiv Eidenmüller, a.a.O., sowie Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29). 79 Daily Mail s. Rz. 19; Überseering s. Rz. 67, 81. Die englische Version ist prägnanter: „… a Company exists only by virtue of the national legalisation which determines its corporation and functioning.“ Hierzu Zimmer, BB 2003, 1 (2). 80 Schön in FS Lutter, 2000, 685, 702, 703. 81 Generalanwalt Colomer wollte in seinen Schlussanträgen (EuGH v. 4.12.2001 – Rs. C-208/00, MDR 2003, 96 = AG 2003, 37 = GmbHR 2002, 29 = ZIP 2002, 75 = BB 2002, 326 [Forsthoff 318]) sub Rz. 26 den Regelungsspielraum des Gründungsstaates sogar sehr eng begrenzen.
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durch das Unionsrecht verbürgte Niederlassungsfreiheit kann sich eine einmal wirksam gegründete Gesellschaft auch gegenüber ihrem Gründungsstaat berufen.82 So weit will der EuGH derzeit (noch) nicht gehen. Beim „gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“ könnten die Mitgliedstaaten es einer nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihr Gründungsstatut beizubehalten, d.h. ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet wurde.83 Allerdings gewährt der EuGH in Cartesio der wegziehenden Gesellschaft das Recht auf formwechselnde Sitzverlegung, d.h. sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht des Zuzugsstaats umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist.84 Immerhin hat der EuGH schon die grenzüberschreitende Verschmelzung zugelassen.85 § 1 I UmwG ist nicht unionsrechtskonform und darf im EU-Binnenmarkt und darüber hinaus auch nicht im EWR-Bereich angewendet werden. In seinen Schlussanträgen hatte Generalanwalt Tizzano sich generell gegen Wegzugsbeschränkungen gewandt86: Auch solche nationale Maßnahmen seien durch die Niederlassungs82 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243): „Der Gründungsstaat kann mit einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft nicht einfach machen, was er will. Wegzugsbeschränkungen (einschließlich eines Statutenwechsels anlässlich bei Wegzug) sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit … rechtfertigungsbedürftig. Allerdings sind die Maßstäbe dafür nicht die gleichen wie im Zuzugsfall: Aufgrund der Freiheit der Entscheidung, überhaupt eine bestimmte Gesellschaftsform zuzulassen und die Gründungsvoraussetzungen zu bestimmen, muss der Gründungsstaat auch eine größere Freiheit als der Zuzugsstaat besitzen, wenn es um Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch einen intendierten Wegzug geht. Zudem können sich die Gründer bei der Gesellschaftsgründung das Gründungsrecht aussuchen und sich dementsprechend auch auf einschlägige Wegzugsbeschränkungen einstellen. Dies spricht dafür, dass jedes legitime Interesse des Gründungsstaates ausreicht, um eine bestimmte Wegzugsbeschränkung zu rechtfertigen“. 83 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03 – SEVIC Systems AG, Slg. 2005, I-10805 = GmbHR 2006, 140 mit Anm. Haritz = AG 2006, 80 = BB 2006, 11 = NJW 2006, 425 = IPRax 2006, 596 (Doralt 572) = ZIP 2005, 2311: Es ist unvereinbar mit Art. 54 i.V.m. Art. 49 AEUV, dass in einem Mitgliedstaat die Eintragung einer Verschmelzung durch Auflösung ohne Abwicklung einer Gesellschaft und durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf eine andere Gesellschaft in das nationale Handelsregister generell verweigert wird, wenn eine der beiden Gesellschaften ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, während eine solche Eintragung, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, möglich ist, wenn beide an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ihren Sitz im Zielmitgliedstaat haben. 84 EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, GmbHR 2009, 86 (Meilicke) = AG 2009, 79 = ZIP 2009, 24 = NJW 2009, 569 = EWiR 2009, 141 (Schulz/Schröder). Hierzu Leible/ Hoffmann, BB 2009, 58; Kieninger, EWS 2008, 297; Zimmer/Naendrupp, NJW 2009, 545. Vorlage des Regionalgerichts Szeged; hierzu Neye, EWiR 2006, 459. Schmidtbleicher, Verwaltungssitzverlegung deutscher Kapitalgesellschaften im Europa: „Sevic“ als Leitlinie für „Cartesio“?, BB 2007, 613. Ausführlich z.B. auch Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5056. 85 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03 – SEVIC Systems AG, a.a.O.; hierzu Generalanwalt Tizzano, DB 2005, 512 Rz. 44, 45 und 49. 86 EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, GmbHR 2009, 86 (Meilicke) = AG 2009, 79 = ZIP 2009, 24 = NJW 2009, 569 = DNotZ 2009, 553 = WM 2009, 223 = EWiR 2009,
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freiheit verboten, die „bloß geeignet sind, einen Wirtschaftsbeteiligten davon abzuschrecken, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.“ Ein Mitgliedstaat dürfe nicht nur die Niederlassung ausländischer Wirtschaftsbeteiligter im Inland nicht verhindern oder beschränken, sondern dürfe auch die Niederlassung inländischer Wirtschaftsbeteiligter in einem anderen Mitgliedstaat nicht behindern. „Mit anderen Worten sind sowohl Beschränkungen des Zugangs zum nationalen Hoheitsgebiet als auch Beschränkungen des Wegzugs aus diesem Gebiet verboten.“ Dieser Ansatz war dem EuGH aber zu kühn. Der deutsche Gesetzgeber hat die Einmauerung der deutschen Gesellschaften 2215m beseitigt, d.h. er hat die Wegzugssperre für deutsche juristische Personen aufgehoben durch Streichung von § 4a II GmbHG und § 5 II AktG durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG).87 Er hat die Regel über Bord geworfen, wonach eine in Deutschland registrierte Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliert, wenn deren Verwaltungssitz ins Ausland verlegt wird. Das deutsche Recht verlangt nicht mehr Identität von Satzungs- und Verwaltungssitz. 10. Bedeutung von Art. XXVIII des General Agreement on Trade in Services Es wurde die Frage aufgeworfen, ob Art. XXVIII des General Agreement on Trade 2215n in Services (GATS)88 im gleichen Sinne zu interpretieren ist, wie dies der EuGH für Art. 54 AEUV/Art. 48 EGV a.F. getan hat. Dann müsste Deutschland – unter Außerachtlassung der Sitztheorie auch alle jene Gesellschaften und juristischen Personen anerkennen, die nach dem Recht eines der anderen Mitgliedstaaten der WTO gegründet wurden. Dies ist jedoch zu verneinen.89 11. Relevanz der Gründungstheorie aufgrund von Art. 6 und Art. 14 EMRK? Die Maßgeblichkeit der Gründungstheorie wollte die französische Cour de cassa- 2215o tion90 aus Art. 6 und Art. 14 EMRK herleiten. Doch nimmt die EMRK zum Theorienstreit nicht Stellung.91 12. Parteifähigkeit der Insolvenzmasse Nach deutschem Recht ist die Insolvenzmasse weder nach der Amts- noch nach 2215p der Vertretertheorie ein rechtsfähiges Sondervermögen; sie ist daher nicht parteifähig. Für sie ist vielmehr der Insolvenzverwalter kraft Amtes prozessführungsbefugt. Er ist Partei kraft Amtes. Ist jedoch die Insolvenzmasse nach dem maß-
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141 – Rz. 112. Hierzu Leible/Hoffmann, Cartesio – fortgeltende Sitztheorie, grenzüberschreitender Formwechsel und Verbot materiell-rechtlicher Wegzugsbeschränkungen, BB 2009, 58 (60). Gesetz v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. BGBl. II 1994, 1643. Lehmann, RIW 2004, 816. Cass. civ. v. 12.11.1990, Recueil Dalloz Sirey 1992, 29 (Bouloc); hierzu Meilicke, RIW 1992, 578. Großfeld/Bonin, JZ 1993, 370; Meilicke, BB 1995, Beilage 9 zu Heft 31.
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geblichen Insolvenzstatut rechtsfähig, dann ist sie auch in Deutschland rechtsund damit parteifähig, wenn das ausländische Insolvenzverfahren nach § 343 InsO in Deutschland anzuerkennen ist.92 13. Parteifähigkeit der hereditas iacens 2215q Das Gleiche gilt, wenn nach dem maßgeblichen Erbstatut (Art. 21 ff. EuErbVO; davor Art. 25 EGBGB) die hereditas iacens rechtsfähig ist, wie z.B. im österreichischen Recht. 14. Parteifähigkeit der Europäischen Wirtschaftlichen Vereinigung und der Europäischen Aktiengesellschaft 2215r Die Parteifähigkeit der Europäischen Wirtschaftlichen Vereinigung ergibt sich aus Art. 1 II EWIVVO. Das Gleiche gilt für die Europäische Aktiengesellschaft (S.E.). 15. Exkurs: Anerkennungsstadium 2216 Der Umstand, dass die Gerichte des Erststaates die Frage der Parteifähigkeit nach anderen Regeln beurteilt haben und deshalb zu anderen Ergebnissen gekommen sind, als dies die deutschen Gerichte anhand des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts getan hätten, ist kein Grund, die Anerkennung des von ihnen erlassenen Sachurteils (Rz. 2788) zu verweigern.93 Davon zu trennen ist das Erfordernis der Parteifähigkeit im zweitstaatlichen Zwangsvollstreckungsverfahren.
IV. Prozessfähigkeit und gesetzliche Vertretung 1. Prozessuales Personalstatut 2217 Die Prozessfähigkeit eines Ausländers ist nach seinem prozessualen Heimatrecht zu bestimmen.94 Ist ein Ausländer nach seinem Heimatrecht prozessfähig, aber nicht geschäftsfähig, so steht auch aus deutscher Sicht seine Prozessfähigkeit fest. Das Recht des Staates, dem der Ausländer angehört, bestimmt mithin über seine Prozessfähigkeit, ohne Rücksicht auf Wohnsitz, Aufenthalt und Ge-
92 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 = MDR 1997, 473 = NJW 1997, 657 = RIW 1997, 426 = IPRax 1998, 199 (Gottwald/Pfaller 170; Sonnentag 330) = JZ 1997, 568 (Leipold) = IPRspr. 1996 Nr. 234. 93 Ausführlich Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 179 ff. 94 Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 276; Sonnenberger in MüKo.BGB5, Bd. 10, IPR Einl. Rz. 436; Stein/Jonas/Jacoby, ZPO23, § 55 Rz. 1; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 84 Fn. 440; Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 209. S. auch KG v. 21.6.1991 – 23 W 2989/91, FamRZ 1991, 1456 = IPRspr. 1991 Nr. 10: Erwerb der Geschäfts- und damit der Prozessfähigkeit durch Eheschließung.
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schäftsfähigkeit bzw. materiell-rechtliche Verpflichtungsfähigkeit.95 Bei Mehrstaatern genügt auch irgendeine nicht effektive – Staatsangehörigkeit. Art. 5 I 2 EGBGB findet insoweit keine Anwendung. Zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs knüpft jedoch § 55 ZPO96 alterna- 2218 tiv an das deutsche Recht an.97 Beispiel: 2219 Ein dänisches Filmsternchen (16 Jahre) tritt mit Zustimmung seiner Eltern in Deutschland als Tänzerin und Actrice auf. Sie ist gem. § 55 ZPO i.V.m. § 113 BGB insofern prozessfähig, als es um diese Tätigkeit geht. So kann sie ein deutsches Magazin verklagen wegen Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild.98
2. Gesetzliche Vertreter a) Natürliche Personen Nicht das Heimatrecht des Prozessfähigen bestimmt, wer gesetzlicher Vertreter 2220 ist. Es kommt vielmehr auf die Rechtsordnung an, die für die elterliche Sorge99 maßgeblich ist bzw. für die Betreuung oder Vormundschaft,100 soweit keine staatsvertragliche Sonderregelung besteht.101 Diese Rechtsordnung legt auch fest, ob der Vertreter allein handeln kann oder es einer besonderen Genehmigung oder Ermächtigung bedarf.102 Die deutsche lex fori kommt jedoch auch bei im Ausland wohnenden Ausländern zum Zuge, wenn das deutsche Gericht einen „besonderen“ Vertreter nach § 57 ZPO bestellt.103 b) Personenverbindungen und Vermögensmassen Das Recht am Sitz der Hauptverwaltung (Rz. 2208) ist auch maßgeblich für die 2221 Frage, wer für Personenverbindungen und (selbständige) Vermögensmassen im
95 A.A. BGH v. 7.12.1955, JZ 1956, 535 (kritisch Neuhaus). Der Bundesgerichtshof geht noch von der mittlerweile überholten Theorie aus, wonach prozessfähig sei, wer nach seinem Heimatrecht geschäftsfähig ist. Diese Ansicht berücksichtigt nicht die Fälle, in denen Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit auseinanderfallen. 96 Hierzu – außer den Kommentaren – z.B. Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, Art. 13 Rom I-VO Rz. 36. 97 Dies gilt für die Verfahrensfähigkeit im Bereich der fG, BayObLG v. 26.3.2002 – 1Z BR 35/01, BayObLGZ 2002, 99 = FamRZ 2002, 1282 = IPRspr. 2002 Nr. 112. 98 KG v. 12.6.1940, Ufita 1940, 160 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 514. Vgl. auch den (eine Gastarbeiterin betreffenden) Fall BVerwG v. 18.4.1972, IPRspr. 1972 Nr. 2. 99 Art. 21 EGBGB. 100 Art. 24 EGBGB. 101 Vgl. Stein/Jonas/Jakoby, ZPO23, § 55 Rz. 7. 102 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 423; OLG Nürnberg v. 28.10.1980, FRES 7, 383 = IPRspr. 1980 Nr. 98. Zur Bestellung eines Ergänzungspflegers (Art. 1, 2 MSA, § 1909 BGB) KG v. 10.11.1981 – 1 W 4715/81, OLGZ 1982, 175 = NJW 1982, 526 = IPRspr. 1981 Nr. 103. Auch Bestellung eines Prozesspflegers (§ 57 ZPO) ist möglich. 103 Linke, FamRZ 2001, 721.
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Prozess als Organ bzw. gesetzlicher Vertreter handeln kann.104 § 55 ZPO ist auch auf Personenverbindungen anwendbar.105 c) Vertretungsbefugnis des Bundesamts für Justiz als Zentrale Behörde 2222 Das Bundesamt für Justiz kann auch ein im Ausland lebendes Kind im Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 5 II Auslandsunterhaltsgesetz106 vertreten, wenn diese Feststellung Voraussetzung für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ist.107 3. Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 2223 Sedes materiae ist § 9 V FamFG, der auf §§ 53 bis 58 ZPO verweist. Nach § 55 ZPO genügt, dass der Beteiligte für das in Betracht kommende Verfahren nach deutschem Recht verfahrensfähig ist.108 4. Exkurs: Anerkennungsstadium 2224 Der Umstand, dass die Gerichte des Erststaates die Frage der Prozessfähigkeit nach anderen Regeln beurteilt haben und daher zu anderen Ergebnissen gekommen sind, als dies die deutschen Gerichte anhand des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts getan hätten, ist für sich allein noch kein Grund, die Anerkennung zu verweigern.109
V. Postulationsfähigkeit 1. Anwaltszwang 2225 Ob Anwaltszwang besteht, bestimmt die deutsche lex fori.110 Im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO, § 114 FamFG) müssen sich die Parteien durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Anwalt vertreten lassen. Damit scheidet außerhalb des Anwendungsbereichs des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (EuRAG, Rz. 2227)111 die Vertretung durch Anwäl-
104 BGH v. 23.10.1963, BGHZ 40, 197 = MDR 1964, 134 = NJW 1964, 203 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 184 (Vertretung der [früheren] Republik Jugoslawien in einem Rechtsstreit betreffend Grundbuchberichtigung). 105 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 423; Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, 1970 Rz. 860. 106 Vgl. auch Schack, IZVR6, Rz. 436. 107 OLG Hamburg v. 8.10.2002 – 12 WF 90/02, MDR 2003, 458 = FamRZ 2003, 318 = IPRspr. 2002 Nr. 183. 108 Zöller/Geimer, ZPO30, § 9 FamFG Rz. 9. Ebenso schon zum alten Recht BayObLG v. 26.3.2002 – 1Z BR 35/01, BayObLGZ 2002, 99 = FamRZ 2002, 1282 = IPRspr. 2002 Nr. 112. 109 So deutlich schon Staudinger/Beitzke, BGB10/11, Art. 7 EGBGB Rz. 33. 110 Schütze, DIZPR2, Rz. 200. 111 BGBl. I 2000, 182, 1349.
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te aus, die (nur) bei einem ausländischen Gericht zugelassen bzw. in ein ausländisches Rechtsanwaltsregister eingetragen sind.112 2. Anwendung des § 79 ZPO Soweit kein Anwaltszwang herrscht, sind Ausländer Inländern gleichgestellt. Wo 2226 sie wohnen – ob im Inland oder Ausland – ist gleichgültig. Entscheidend ist vielmehr, dass sie die Besorgung von Rechtsangelegenheiten in Übereinstimmung mit § 79 II ZPO und dem Rechtsdienstleistungsgesetz erlaubtermaßen betreiben. Andernfalls sind sie als Bevollmächtigte und Beistände vor deutschen Gerichten ausgeschlossen, ohne Rücksicht darauf, wo sie ihren Sitz haben. § 79 ZPO findet auch auf geschäftsmäßig tätige Prozessvertreter mit Wohnsitz/Sitz außerhalb Deutschlands Anwendung.113 Auch ausländische Rechtsanwälte (= Rechtsanwälte, die nicht Mitglied einer Anwaltskammer bei einem deutschen Gericht sind) fallen unter § 79 ZPO, sofern nicht §§ 25 ff. des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) vom 9.3.2000 zur Anwendung kommt.114 Für Rechtsanwälte aus anderen EU- bzw. EWR-Staaten ohne Niederlassung in 2227 Deutschland gilt Art. 5 Alt. 2 der Richtlinie 77/249/EWG vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte115, die den EU-Anwalt gegenüber dem deutschen Rechtsanwalt privilegiert, weil für ihn § 28 BRAO nicht zur Anwendung kommt. Entsprechendes gilt für Rechtsanwälte, die in EWR-Staaten niedergelassen sind.116 Nach wie vor dürfen (in Deutschland nicht niedergelassene) Anwälte aus anderen EU- bzw. EWR-Staaten in gerichtlichen Verfahren, für die nach der deutschen lex fori Anwaltszwang herrscht, als Vertreter nur im Einvernehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt handeln, der selbst in dem Verfahren handlungsbefugt ist, § 28 EuRAG („Gouvernantenklausel“).117 Der deutsche „Einvernehmens-Anwalt“ ist 112 Beispiel: LSG BW v. 12.9.1984 – L 2 Ua 1985/83, NJW 1985, 582 = IPRspr. 1984 Nr. 194. 113 Unklar LSG BW v. 12.9.1984 – L 2 Ua 1985/83, NJW 1985, 582 = IPRspr. 1984 Nr. 194. 114 Umfassende Nachw. bei Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005; Zöller/Vollkommer, ZPO30, vor § 78 Rz. 8. 115 ABl. EU 1977 Nr. L 78, 17. 116 Hierzu z.B. Schack, IZVR6, Rz. 543 ff. 117 „Für die Ausübung der Tätigkeiten, die mit der Vertretung … im Bereich der Rechtspflege verbunden sind, kann ein Mitgliedstaat den unter Art. 1 fallenden Rechtsanwälten als Bedingung auferlegen, … dass sie im Einvernehmen … mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt, der gegebenenfalls diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, … handeln.“ Von diesem Vorbehalt hat Deutschland in § 4 des DurchführungsG v. 16.8.1980 (BGBl. I 1980, 1453) Gebrauch gemacht. Der EuGH v. 25.2.1988 – Rs. C-427/85 – Kommission/BRD, Slg. 1988, 1123 = BRAK 1988, 152 = RIW 1988, 303 = NJW 1988, 887 = IPRax 1989, 33 (Commichau 12) = JuS 1988, 729 (Emmerich) erklärte den dt. Vorbehalt für unwirksam. Daraufhin wurde das Gesetz zur Durchführung der RL des Rates der EG v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (RADG) mit Gesetz v. 14.3.1990 (BGBl. I 1990, 479) geändert.
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weder ein weiterer Bevollmächtigter des Mandanten, noch hat er zu überprüfen, ob der EU-Anwalt dessen Interessen „richtig“ wahrnimmt. Der deutsche Rechtsanwalt hat nur sicherzustellen, dass der europäische Rechtsanwalt bei der Vertretung „die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet“, d.h. das inländische Verfahrensrecht und das Berufsrecht einhält.118 Eine Prozesshandlung, die der ausländische Anwalt ohne das Einvernehmen mit dem deutschen Rechtsanwalt vornimmt oder für die der Nachweis des entsprechenden Einvernehmens zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nicht vorliegt, ist unheilbar unwirksam, § 29 III EuRAG.119 Ein Schwebezustand soll vermieden werden; daher ist eine nachträgliche Genehmigung durch einen deutschen Rechtsanwalt oder durch den Mandanten selbst nicht möglich.120 Die Prozessführung des nicht postulationsfähigen ausländischen Rechtsanwalts kann auch nicht als Ganzes rückwirkend genehmigt werden.121 2227a Für Zustellungen bringt § 31 EuRAG eine Modifikation des § 172 ZPO. Um Auslandszustellungen an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt zu vermeiden, hat dieser einen in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt als inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, sobald er in Deutschland in Verfahren vor Gerichten oder Behörden tätig wird. Fehlt ein Zustellungsbevollmächtigter, so konnte früher durch Aufgabe zur Post (§ 175 I ZPO, hierzu Rz. 2112 ff.) zugestellt werden.122 (vgl. Rz. 2076, 2082). 2227b Anwälte aus anderen EU- bzw. EWR-Staaten dürfen unter ihrer ausländischen Berufsbezeichnung (in der Amtssprache des Herkunftsstaates) – sie dürfen sich also nicht „Rechtsanwalt“ nennen – in Deutschland nur i.S. einer grenzüberschreitenden Dienstleistung die Tätigkeiten eines deutschen Rechtsanwalts nach Maßgabe von §§ 25 ff. EuRAG als „dienstleistende europäische Rechtsanwälte“ ausüben. 2227c Wollen sie dauernd in Deutschland tätig sein, müssen sie nach der Freizügigkeitsrichtlinie 98/5/EG123 i.V.m. §§ 2 ff. EuRAG als „niedergelassene europäische Rechtsanwälte“ Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer in Deutschland werden124 oder nach §§ 11 ff. EuRAG ihre Zulassung als deutscher Rechtsanwalt nach der BRAO betreiben.125 Einem EU-Anwalt darf die deutsche Zulassung
118 EuGH v. 25.2.1988 – Rs. C-427/85 – Kommission/BRD, Slg. 1988, 1123 = NJW 1988, 887 (888 Nr. 23). 119 BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 303/12, NJW 2013, 1620. 120 BFH v. 28.7.1999 – II R 34/99, DStR 1999, 1564. 121 LSG BW v. 12.9.1984 – L 2 Ua 1985/83, AnwBl. 1985, 35 = IPRspr. 1984 Nr. 194. 122 Darin sieht der EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-564/07 – Kommission/Österreich, EuZW 2009, 493 (Storost) = IPRax 2009, 242 (R. Geimer 226) eine unzulässige Behinderung der Dienstleistungsfreiheit und damit einen Verstoß gegen Art. 54 i.V.m. Art. 49 AEUV. Hierzu Schack, IZPR6, Rz. 672. 123 ABl. EG Nr. 1998 Nr. L 77, 36 = EuZW 1998, 523. Hierzu Sobotta/Kleinschnittger, EuZW 1998, 645; Lach, NJW 2000, 1609; Kranz, BB 2000, 989. 124 Diese Regelung verstößt nicht gegen den EGV. Der EuGH hat eine Klage Luxemburgs abgewiesen, EuGH v. 7.11.2000 – Rs. C-168/98, NJW 2001, 137. S. auch BVerfG v. 4.12.2013 – 2 BvE 6/13, NJW 2014, 619. 125 Zur Niederlassung eines Angehörigen eines Mitgliedstaates der WTO s. § 206 BRAO.
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nicht deshalb versagt werden, weil er bereits in einem anderen EU-Staat zugelassen ist.126 Ein zulässigerweise in Deutschland tätiger EU- bzw. EWR-Anwalt hat die glei- 2227d chen Rechte und Pflichten wie ein in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt. Er kann daher – soweit nicht eine anderslautende Vereinbarung in concreto geschlossen worden ist – gegenüber seinen inländischen Mandanten nach dem deutschen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechnen.127 Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation 2227e (WTO) sind nach Maßgabe von § 206 I BRAO zur Rechtsbesorgung befugt, allerdings beschränkt auf das Recht ihres Herkunftsstaates und das Völkerrecht. Noch enger sind die Befugnisse von Rechtsanwälten aus sonstigen Staaten. Sie sind auf das Recht ihres Herkunftsstaates beschränkt; zudem muss nach § 206 II BRAO die Gegenseitigkeit zum Herkunftsstaat verbürgt und durch eine Rechtsverordnung bestätigt sein. Die Postulationsfähigkeit eines deutschen Gewerkschaftsvertreters, der für Mit- 2228 glieder einer niederländischen Gewerkschaft auftreten will, bejaht das LAG Niedersachsen.128 Der in Deutschland akkreditierte Botschafter und sein Attaché (Sozialattaché) 2229 darf als Prozessbevollmächtigter für Angehörige (Gastarbeiter) seines Heimatlandes nicht auftreten. Das Recht und die Pflicht, dem eigenen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz angedeihen zu lassen (Art. 5 Buchst. i WÜK), umfasst nicht das Recht zur Prozessvertretung.129 3. Auftreten ausländischer Anwälte bei Beweisaufnahme vor deutschem Rechtshilfegericht § 79 ZPO trifft hier nicht zu.130
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126 EuGH v. 12.7.1984 – Rs. C-107/83 – Ordre des avocats au barreau de Paris/Onno Klopp, Slg. 1984, 2971 = NJW 1985, 1275. 127 LG Hamburg v. 18.3.1999 – 302 S 159/98, NJW-RR 2000, 510 = RIW 1999, 466 = IPRspr. 1999 Nr. 175; OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, NJW-RR 2000, 1367 = RIW 2001, 374 = IPRspr. 2000 Nr. 175 (Rz. 2975). 128 LAG Nds. v. 5.11.1975, IPRspr. 1975 Nr. 31b. 129 ArbG Ludwigsburg v. 29.10.1971, IPRspr. 1971 Nr. 35 = BB 1972, 90; OVG Münster v. 27.10.1980 – 4 B 764/80, RIW 1981, 196 = NJW 1981, 1173 = IPRspr. 1979 Nr. 146; BayObLG v. 4.1.1985 – 3 ObOWi 162/84, AnwBl. 1985, 277 = NJW 1985, 1300 L = IPRspr. 1985 Nr. 188. A.A. LAG Bayern v. 12.2.1970, BB 1970, 757 = IPRspr. 1970 Nr. 37b; LAG Schl.-Holst. v. 31.1.1969, AuR 1969, 313 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 50b; ArbG Bamberg v. 8.4.1971, IPRspr. 1971 Nr. 34; ArbG Hamm v. 31.8.1877, DB 1977, 2288 = IPRspr. 1977 Nr. 45. 130 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 339.
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4. Exkurs: Anerkennungsstadium 2231 Der Umstand, dass ausländische Rechtsordnungen keinen oder gegenüber dem deutschen Recht weniger umfangreichen Anwaltszwang kennen, ist für sich allein noch kein Grund zur Versagung der Anerkennung.131
VI. Prozessvollmacht 2232 Maßgebend ist der Ort, wo die Wirkungen der Vollmacht sich entfalten sollen. Bestand und Wirkung der Vollmacht richten sich nach den Sachnormen am Ort des Gerichts, bei dem von der Vollmacht Gebrauch gemacht wird.132 Für Prozessvollmachten, die in Verfahren vor deutschen Gerichten verwendet werden sollen, ist daher die deutsche lex fori anzuwenden133 einschließlich der deutschen Grundsätze über die Anscheinsvollmacht.134 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Person, welche die Vollmacht erteilt hat, z.B. Geschäftsführer oder Prokurist, nach dem Gesellschaftsstatut berechtigt war, d.h. ausreichende Vertretungsmacht zur Erteilung der Vollmacht hatte.135 2233 Streng zu trennen von der Vollmacht ist der Anwaltsvertrag. Hier gibt es – wie auch sonst im internationalen Schuldrecht – die Möglichkeit der Rechtswahl, Art. 3 Rom I-Verordnung; fehlt eine solche, so kommt es auf das Recht des Staates an, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 4 I (b) Rom I-Verordnung, bzw. in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihre berufliche Niederlassung hat. Dies ist der Residenzort des Anwalts. Hat dieser auch in einem anderen Staat eine Niederlassung und ist nach Vertrag oder Sachlage die Leistung des Anwalts von der Niederlassung aus zu erbringen, so ist im Zweifel das Recht des Staates maßgebend, in dem sich diese Niederlassung befindet.136
131 BayObLG v. 25.9.1973, NJW 1974, 418 (R. Geimer) = IPRspr. 1973 Nr. 156. 132 OLG Frankfurt v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (Ahrens 355) = IPRspr. 1985 Nr. 21; BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, MDR 1991, 236 = IPRax 1991, 247 (Ackmann 221); IPG 2000/2001 Nr. 11 Rz. 6 (Köln); Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 5469. 133 BGH v. 5.2.1958, AWD 1958, 56 = MDR 1958, 319 = ZZP 71 (1958), 471 = IPRspr. 1958–1959 Nr. 38; OLG Zweibrücken v. 29.1.1974, RzW 1974, 157 = RIW 1975, 347 = IPRspr. 1974 Nr. 191; OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, RIW 1994, 513 = IPRax 1996, 33, 35 (D. Otto 22) = IPRspr. 1994 Nr. 2; LG Frankfurt/M. v. 3.11.1978, RIW 1980, 291 = MDR 1979, 411 = IPRspr. 1978 Nr. 8; IPG 2000/2001 Nr. 39 Rz. 30 (Leipzig); Spellenberg in MüKo.BGB5, vor Art. 11 EGBGB Rz. 84; Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht 1, 2011, Anh II zu Art. 1 Rom I-VO Rz. 38. 134 BGH v. 23.10.1963, BGHZ 40, 197 (203) = MDR 1994, 134 = NJW 1964, 203 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 184. 135 BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, MDR 1991, 236 = IPRax 1991, 247 (Ackmann 221); KG v. 29.10.1997, IPRspr. 1997 Nr. 23. 136 S. auch Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 1423 ff.
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Bei einer Sozietät wird im Zweifel ein Mandat allen Sozien erteilt; dies gilt nach 2233a h.M. uneingeschränkt auch für internationale Sozietäten.137
VII. Inländischer Zustellungsbevollmächtigter für im Ausland domizilierte Partei Wohnt der Beklagte bzw. Antragsgegner nicht in Deutschland, so kann das Ge- 2233b richt z.B. bei der Zustellung nach § 183 ZPO anordnen, dass die Partei innerhalb einer angemessenen Frist einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat, falls sie nicht einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat.138 Wird kein Zustellungsbevollmächtigter benannt, so können spätere Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift der Partei zur Post gegeben wird. In der Anordnung ist auf diese Rechtsfolgen hinzuweisen, § 184 II 2 ZPO.
VIII. Prozessstandschaft 1. Lex fori-Prinzip Die Prozessführungsbefugnis ist Prozessvoraussetzung. Deshalb gilt grundsätz- 2234 lich die lex fori, soweit das deutsche internationale Zivilverfahrensrecht nicht auf ausländisches Recht verweist.139 So kann z.B. vor deutschen Gerichten keine
137 Grams, BRAK-Mitt. 2001, 76 (77); Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung4, Kap. VIII Rz. 7 ff. 138 Ebenso § 56 III VwGO, § 63 III SGG, § 53 III FGO. – Strenger war § 174 II ZPO a.F. 139 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, NJW 1992, 3096, 3098 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; OLG Düsseldorf v. 28.5.1991, RIW 1991, 594; OLG Hamburg v. 21.9.1995 – 6 U 178/94, NJW-RR 1996, 510 = RIW 1996, 862, 863 = IPRspr. 1995 Nr. 169; OLG Karlsruhe v. 17.6.2004 – 12 U 22/04, VersR 2005, 1551 (Dumbs) = IPRspr. 2004 Nr. 33; LG Hamburg v. 23.4.1997 – 315 O 4/97, RIW 1998, 894 = IPRspr. 1997 Nr. 123; LG Aachen v. 10.12.1993 – 43 O 175/93, VuR 1994, 37 (Micklitz) = IPRspr. 1993 Nr. 126; LG München v. 2.4.1992 – 4 HKO 21509/91, VuR 1993, 62 = IPRspr. 1993 Nr. 117a für Prozessführungsbefugnis eines Schutzverbandes gem. § 13 II Nr. 2 UWG a.F.; Reich, RabelsZ 56 (1992), 445 (470); dagegen für Maßgeblichkeit der lex causae OLG München v. 15.6.1993, IPRspr. 1993 Nr. 117b sowie Grunsky, ZZP 89 (1976), 241 (257) (s. hierzu Rz. 332). Für deutsche lex fori im Ergebnis auch BGH v. 26.11.1997 – I ZR 148/95, NJW 1998, 1227 = EuZW 1999, 32 = RIW 1998, 398 = WM 1998, 842 = EWiR 1998, 187 (Bunte) = IPRspr. 1997 Nr. 128: Ein deutscher Verbraucherverein ist nicht klagebefugt für ausschließlich gegen Ausländer im Ausland gerichtete Wettbewerbsverstöße eines deutschen Unternehmens. S. auch Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 468; Spellenberg in MüKo.BGB5, vor Art. 11 EGBGB Rz. 88; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, 120 sowie Schütze, DIZPR2, Rz. 191.
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„Stellvertreter“-Klage erhoben werden, die in den USA als Class Action bekannt ist (Rz. 2663).140 2. Prozessführungsbefugnis aufgrund materiellen Rechts 2235 Eine solche Verweisung ist gegeben, wenn sich die Prozessführungsbefugnis auf eine Vorschrift des materiellen Rechts gründet; dann sind ihre Zulässigkeit und ihre Voraussetzungen nach der Rechtsnorm zu beurteilen, die nach deutschem bzw. in Deutschland geltendem internationalem Privatrecht maßgeblich ist.141 Die lex causae bestimmt, unter welchen Umständen eine Prozessführung durch einen Dritten (der nicht Inhaber des materiellen Rechts ist) zulässig ist. Welche Wirkungen diese hat (Rechtskraft, Vollstreckbarkeit, Kostenfolgen), regelt jedoch wieder die deutsche lex fori.142 2236 In Betracht kommen z.B. folgende Fälle143: – die Befugnisse des Nießbrauchers und des Pfandgläubigers zur Einziehung und gerichtlichen Geltendmachung der (dinglich belasteten) Forderung144: Die Prozessführungsbefugnis ist hier die flankierende Maßnahme zur Durchsetzung der materiellen Einziehungsbefugnis; §§ 1077, 1281 BGB kommen also nur zur Anwendung, wenn in der Sache deutsches Recht maßgeblich ist. Ansonsten ist die (ausländische) lex causae zu befragen; 2237 – die Befugnisse des Miterben, Ansprüche, die zum Nachlass gehören, gerichtlich geltend zu machen. Auch in diesem Fall ist die Prozessführungsbefugnis 140 Ausführliche Nachw. zum US-amerikanischen Recht (F.R.C.P. 23 [a] [b]) z.B. bei Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation: The Role of Class Actions for Monetary Damages in the United States, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, 215, 220 ff.; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Heß, Transatlantische Justizkonflikte, AG 2006, 809 (813); Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 3 ff.; Röhm/Schütze, RIW 2007, 241. S. aber auch Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 624 ff.; Gerhard Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, 66. DJT, Bd. I, 2006, Gutachten A 68 ff. Zu Gesetzesinitiativen auf europäischer Ebene Mattil/Desoutter, Die europäische Sammelklage, WM 2008, 521; Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action, 2008. 141 Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264 (293). 142 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 427; Niederländer, RabelsZ 20 (1955), 50; Wunderlich, Zur Prozessstandschaft im internationalen Recht, 1970, 159; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 725. Vgl. auch Koch in FS Siehr, 2000, 341, 349. 143 Zur Klagebefugnis in Ehesachen ausführlich Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 111. S. auch die Zusammenstellung bei Schack, IZVR6, Rz. 621 ff. 144 Fragistas in FS Hans Lewald, 1953, 482; Wunderlich, Zur Prozessstandschaft im internationalen Rechtsverkehr, 1970, 170.
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nur eine Widerspiegelung der materiell-rechtlichen Berechtigung der Miterben im Prozessrecht; diese ist mit dem materiellen Recht so eng abgestimmt und verflochten, dass es wenig sinnvoll erscheint, immer die deutsche lex fori (§ 2039 BGB) anzuwenden. Man denke nur an die Verlassenschaftsabhandlung des österreichischen Rechts oder die Nachlassabwicklung durch einen executor/administrator/trustee im anglo-amerikanischen Rechtskreis; – die Möglichkeiten der Gesellschafter, gegen Mitgesellschafter (actio pro so- 2238 cio)145, gegen Geschäftsführer (actio ut singuli) oder Gesellschaftsschuldner (derivative stockholder action) Ansprüche der Gesellschaft einzuklagen.146 Auch diese sind so stark mit dem maßgeblichen Gesellschaftsrecht verwoben, dass man mit starken Brüchen und Spannungen rechnen müsste, wenn man nicht auf die lex causae rekurrieren wollte147; – die Befugnisse des Gesamtgläubigers einer unteilbaren Leistung; – die Befugnisse der Verwahrstelle gem. § 78 KAGB; – Befugnis des einen Ehegatten, kraft Güterrechts die Rechte des anderen Ehegatten geltend zu machen; – die Prozessführungsbefugnis des trustee für den trust148. – Befugnis des Kommissionärs und des Gläubigers nach Art. 1166 Code civil, 2239 die Rechte seines Schuldners geltend zu machen (action oblique).149 Eine ähnliche Regelung kennt das italienische (azione surrogatoria) und das griechische Recht.150 – Befugnis des Versicherungsnehmers, bei der Versicherung für fremde Rechnung die Ansprüche des Versicherten im eigenen Namen geltend zu machen (§ 44 II VVG). – Befugnis des Versicherungsnehmers, Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag mit einem bei Lloyd’s vereinigten Einzelversicherer, gegen den Haupt-
145 Rechtsvergleichend Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264. 146 Hierzu z.B. Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 635. S. auch Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action-Urteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008; Thümmel, Shareholder derivative suits im deutschen Aktienrecht?, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, 235; Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privatund Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264 (296 ff.). Zu Gesetzesinitiativen auf europäischer Ebene Mattil/Desoutter, Die europäische Sammelklage, WM 2008, 521. 147 Schütze, DIZPR2, Rz. 194. 148 OLG Celle v. 27.10.2010 – 3 U 84/10, IPRspr. 2010 Nr. 178. 149 S. auch Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 473. 150 Birk, ZZP 82 (1969), 70 (92). Zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Beschädigung des Guts gegen den Frachtführer durch den Empfänger von Gut und Frachtbrief im eigenen Namen (Art. 13 I 2 CMR), BGH v. 21.12.1973, NJW 1974, 412 = AWD 1974, 160 = IPRspr. 1973 Nr. 26.
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bevollmächtigten mit Wirkung gegen alle an dem Versicherungsvertrag beteiligten Versicherer geltend zu machen;151 – Befugnis des Kommissionärs; – Befugnis zur Geltendmachung von Unterhalt (Art. 11 lit. d Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007 (früher Art. 18 VI Nr. 2 EGBGB [aufgehoben])152. – Prozessführungsbefugnis für Abänderungsverfahren bezüglich ausländischer Titel153: Hat ein Elternteil – z.B. im Scheidungsverfahren – gegen den anderen als Prozessstandschaft des Kindes (§ 1629 III BGB154 bzw. die Parallelnorm der lex causae) im Ausland einen Titel wegen des Unterhalts des Kindes erwirkt, so ist im deutschen Abänderungsverfahren das Kind die richtige Partei (Kläger), nicht die im Erstprozess prozessführungsbefugte Mutter.155 – Das Gleiche gilt für das Vollstreckbarerklärungsverfahren.156 2240 Bei Maßgeblichkeit italienischen Unterhaltsrechts handelt es sich nicht um eine Prozessstandschaft, vielmehr steht der Unterhaltsanspruch bezüglich minderjähriger Kinder dem anderen Ehegatten ex iure proprio zu.157 (S. auch Rz. 2695).
151 Hierzu bestimmt § 110b II VAG: „Ansprüche aus dem im Inland über eine Niederlassung betriebenen Versicherungsgeschäft der bei Lloyd’s vereinigten Einzelversicherer können nur durch und gegen den Hauptbevollmächtigten gerichtlich geltend gemacht werden. Ein gemäß Satz 1 erzielter Titel wirkt für und gegen die an dem Versicherungsgeschäft beteiligten Einzelversicherer. § 727 der Zivilprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden. Aus einem gegen den Hauptbevollmächtigten erzielten Titel kann in die von ihm verwalteten, im Inland belegenen Vermögenswerte aller in der Vereinigung zusammengeschlossenen Einzelversicherer vollstreckt werden.“ 152 Z.B. AG Berlin-Schöneberg v. 2.2.2010 – 20b F 270/07, FamRZ 2010, 1566 = IPRspr. 2010 Nr. 101: § 1629 III 1 BGB kommt nur bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts zur Anwendung; Siehr in MüKo.BGB4, Art. 18 EGBGB Rz. 27 sowie Art. 18 EGBGB Anh. I Rz. 280. 153 BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, NJW 1983, 1976 = MDR 1983, 1007 = FamRZ 1983, 806 = IPRax 1984, 320 (Spellenberg) = IPRspr. 1983 Nr. 95; BGH v. 29.4.1992 – XII ZR 40/91, NJW-RR 1993, 5 = FamRZ 1992, 1060 = MDR 1993, 54 = IPRspr. 1992 Nr. 207. 154 Hierzu KG v. 22.10.1997 – 3 UF 1976/97, FamRZ 1998, 378 = NJW 1998, 2062 = IPRspr. 1997 Nr. 87. 155 AG Groß-Gerau v. 27.6.1985 – 7 F 272/85, FamRZ 1985, 1071 = IPRspr. 1985 Nr. 94; OLG Hamburg v. 26.2.1985 – 2 UF 192/84, DAVorm 1985, 509 = IPRspr. 1985 Nr. 158. 156 AG Lahnstein v. 18.10.1985 – 5 F 125/85-UK, NJW-RR 1986, 560 = FamRZ 1986, 289 = IPRspr. 1985 Nr. 182; OLG Stuttgart v. 23.1.1998 – 5 W 46/98, FamRZ 1999, 312 = IPRax 2001, 130 (Andrae 98) = IPRspr. 1998 Nr. 197; Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 64. Anders AG Stuttgart v. 16.1.1985 – 25 F 1118/85, DAVorm 1986, 737 = IPRspr. 1985 Nr. 156: Das Kind könne gegen seinen Vater Unterhaltsklage („Erstklage“) erheben. 157 BGH v. 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, NJW 1986, 662 = IPRax 1987, 314 (Jayme 295) = IPRspr. 1985 Nr. 166. Zur Rechtslage bei Maßgeblichkeit türkischen Rechts AG Gummersbach v. 9.8.1985 – 6a M 1519/85, NJW-RR 1986, 1391 = IPRax 1986, 235 (Schack 218) = IPRspr. 1985 Nr. 178.
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– § 8 III Nr. 2 UWG158 gibt einem deutschen Verbraucherschutzverein nicht die Prozessführungsbefugnis, nach ausländischem Recht159 zu beurteilende Wettbewerbsverstöße geltend zu machen, die sich ausschließlich im Ausland ereignet haben.160 Die im Lauterkeitsrecht h.M. geht jedoch davon aus, dass den in § 8 III UWG genannten Verbänden und Institutionen ein eigener materiellrechtlicher Anspruch zusteht; sie klagen daher eigene Rechte ein.161 Nach diesem Ansatz befindet nicht die lex fori, sondern die lex causae über die Aktivlegitimation.162 Doch sind die Dinge auf dem Hintergrund der Richtlinie 98/27/EG vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen163 in Bewegung geraten. Durch die gegenseitige Anerkennung der Klagebefugnisse der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden (sehr unterschiedlich organisierten) Schutzeinrichtungen wurden – aus praktischer Sicht – die meisten Hürden für grenzüberschreitende Unterlassungsklagen abgebaut.164 Wird eine Forderung in ein ausländisches Insolvenzverfahren einbezogen, so bestimmt das ausländische Insolvenzrecht, ob und mit welchen Rechtsfolgen sie aus der Masse freigegeben ist. Das Schuldstatut spielt keine Rolle.165 3. Prozessführungsbefugnis aufgrund Prozessrechts Basiert die Prozessführungsbefugnis auf einer Vorschrift des deutschen Prozess- 2241 rechts, so spielt es keine Rolle, ob der Rechtsstreit gemäß dem deutschen internationalen Privatrecht nach deutschem oder ausländischem materiellen Recht zu entscheiden ist.
158 Hierzu Drexl in MüKo.BGB5, IntUnlWettbR Rz. 136. – Übersicht über „Klagen im Allgemeininteresse“ bei Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 25 vor § 253. S. auch Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 12 und Schack, IZVR6, Rz. 625. 159 Aus der Sicht des deutschen IPR. 160 Offen gelassen von BGH v. 26.11.1997 – I ZR 148/95, NJW 1998, 1227 = RIW 1998, 398 = IPRspr. 1997 Nr. 128. 161 A.A. W. J. Habscheid, GRUR 1952, 222 und Hadding, JZ 1970, 305 (311): Es handle sich um eine Prozessstandschaft. 162 Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, 2006, Rz. 611. 163 ABl. EG Nr. L 166, 51 v. 11.6.1998. Hierzu z.B. Teixeira de Sousa, Über die grenzüberschreitende Popularklage zum Schutz der Verbraucherinteressen, in FS Geimer, 2002, 1317 m.w.N. 164 Rott/von der Ropp, Zum Stand der grenzüberschreitenden Unterlassungsklage in Europa, ZZPInt 9 (2004), 3, 21. 165 BGH v. 6.5.1985 – II ZR 132/84, GmbHR 1985, 355 = MDR 1986, 28 = NJW 1985, 2719 = EWiR 1985, 685 (Fleck) = IPRspr. 1985 Nr. 217.
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a) Veräußerung der streitbefangenen Sache 2242 So ist es z.B. im Fall des § 265 II ZPO unerheblich, ob sich die Abtretung nach deutschem oder ausländischem Recht beurteilt.166 b) Gewillkürte Prozessstandschaft 2243 Ob eine Prozessführungsermächtigung zulässig ist oder nicht, ist ausschließlich nach deutschem Recht als der lex fori167 zu prüfen. Auch wenn eine solche nach dem Recht des Schuldstatuts nicht möglich ist, kann eine Forderung von einem Rechtsfremden eingeklagt werden, wenn die vom deutschen Recht geforderten Voraussetzungen vorliegen.168 Die Frage, ob ein Ausländer eine wirksame Ermächtigung abgegeben hat, ist nach dem Recht des Aufenthaltsortes des Erklärenden zu beurteilen.169 Die Rechtslage ist ähnlich wie beim Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung (Rz. 1677). Die gewillkürte Prozessstandschaft basiert auf einem Prozessvertrag, der nach der deutschen lex fori zu beurteilen ist. Zulässigkeit und Wirkung des Vertrages bestimmen sich nach deutschem Prozessrecht, ebenso das Zustandekommen sowie die Wirksamkeit und der Umfang der Prozessführungsermächtigung.170 4. Versicherungsgeschäft der bei Lloyd’s vereinigten Einzelversicherer 2243a Ansprüche aus dem in Deutschland betriebenen Versicherungsgeschäft der bei Lloyd’s vereinigten Einzelversicherer können nur durch und gegen den Hauptbevollmächtigten gerichtlich geltend gemacht werden, § 110b II 1 VAG (Rz. 2239).171 5. Auslandsinsolvenz 2244 Durch den Auslandskonkurs verliert der Gemeinschuldner die passive Prozessführungsbefugnis, sofern das ausländische Insolvenzverfahren im Inland anerkannt wird (Rz. 3508).172 166 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 427; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 5 Rz. 65; Wunderlich, Zur Prozessstandschaft im internationalen Rechtsverkehr, 1970, 160. 167 Ebenso österr. OGH v. 25.6.1998 – Ob 364/97f, IPRax 1999, 383 (Kieninger). Das österr. Recht kennt eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht. Der OGH lehnt es ab, auf die (deutsche) lex causae abzustellen. S. auch Mock, Die actio pro socio im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 72 (2008), 264 (293). 168 BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = MDR 1994, 1205 = NJW 1994, 2549 = RIW 1995, 242 = LM § 237 KO Nr. 7/8 (Ehricke) = IPRax 1995, 168 (Gottwald 157). 169 Gottwald, IPRax 1995, 157. 170 A.A. Schütze, DIZPR2, Rz. 193, wonach Erteilung, Bestand und Mangel der Übertragung der Prozessführungsbefugnis sich nach dem Schuldstatut richten. Offen gelassen von BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 = MDR 1994, 1205 = NJW 1994, 2549 = IPRspr. 1994 Nr. 198. 171 S. auch Schack, IZVR6, Rz. 621. 172 Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch4, § 132 Rz. 31.
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6. Exkurs: Anerkennungsstadium Vorschriften des ausländischen Prozessrechts, die eine dem deutschen Recht 2245 nicht bekannte Prozessführungsbefugnis begründen, sind für den deutschen Richter im Erkenntnisverfahren unbeachtlich. Die Anerkennung des im Ausland ergangenen Urteils einschließlich etwaiger Rechtskrafterstreckung auf Dritte (z.B. im Falle einer class action173) in Deutschland ist dagegen nicht von vornherein ausgeschlossen. Unter dem Blickwinkel des § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 3 FamFG kann die Prozessstandschaft relevant werden, wenn es um die Frage der Unvereinbarkeit der zur Anerkennung anstehenden ausländischen Entscheidung mit einer im Inland erlassenen geht. So scheitert die Anerkennung eines Urteils aufgrund einer im Ausland erhobenen negativen Feststellungsklage, wenn ein von einem Dritten als Prozessstandschaft erstrittenes deutsches Leistungsurteil vorliegt.174
IX. Beteiligung Dritter am Rechtsstreit Die Stellung und die Befugnisse des Nebenintervenienten im deutschen Zivil- 2246 prozess sind immer nach § 67 ZPO zu beurteilen.175 Das Gleiche gilt für die Streitverkündung. Dass die lex causae möglicherweise weitergehende prozessuale Möglichkeiten vorsieht, etwa in Form der Garantieklage (assignation au garantie; third party procedure, Rz. 2820), ist ohne Bedeutung. Einstweilen frei 2247–2259
173 Zum US-Recht (F.R.C.P. 23 [a] [b]) z.B. Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen in Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, herausgegeben von Leuenberger/Guy, 2004, 111; Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation: The Role of Class Actions for Monetary Damages in the United States, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, 215, 220 ff.; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Heß, Transatlantische Justizkonflikte, AG 2006, 809 (813); Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 155; Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action-Urteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008. Vgl. auch die Nachw. bei Hopt/Basedow/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess, 1999; Heß, JZ 2000, 373; Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 624 ff.; Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action-Urteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008. S. auch Rz. 341a. Zu Gesetzesinitiativen auf europäischer Ebene Mattil/Desoutter, Die europäische Sammelklage, WM 2008, 521. 174 OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde) = EWiR 2002, 1167 (Gerkan) = NZG 2003, 136 = IPRspr. 2002 Nr. 178. 175 Nagel/Gottwald, IZPR6, § 6 Rz. 5.
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Achter Teil: Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht Literatur: Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 58; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, 2011, Kommentierung der §§ 363, 364, 485 ff.: jeweils mit umfangreichen Nachw.; Blanchard, Die prozessualen Schranken der Formfreiheit: Beweismittel und Beweiskraft im EG-Schuldvertragsübereinkommen in deutsch-französischen Vertragsfällen, Diss. Heidelberg 2002; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983; Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000; Dörner, Beweissicherung im Ausland, 2000; de Freitas, The Law of Evidence in the European Union – Das Beweisrecht in der Europäischen Union – Le Droit de la Preuve dans L’Union Européenne, 2004; Gauthey/Markus, L’entraide judiciaire internationale en matière civile, 2014; Heinze, Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480; St. Huber, Der optionale Charakter der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung – Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 6. September 2012 und 21. Februar 2013, ZEuP 2014, 642; Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376 [Kommentar zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen] und Nr. 662 [Kommentar zur Europäischen Beweisaufnahme-Verordnung]); Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 18; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 337 ff., 368 ff.; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7, 2013, § 10; Nigg, Das Beweisrecht bei internationalen Privatrechtsstreitigkeiten, 1999; Rauscher/von Hein, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Bearbeitung 2011, Art. 18 Rom I-VO Rz. 4 ff.; Rauscher/Jakob/Picht, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Bearbeitung 2011, Art. 22 Rom II-VO Rz. 4 ff.; Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, 2010, Rz. 344 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht6, 2014, Rz. 733 ff.; Schoch, Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Lichte des internationalen Rechts, 1934; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 220; Spellenberg in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch5, 2010, Art. 18 Rom I-VO Rz. 13 ff.; Art. 11 EGBGB Rz. 35 ff.; Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht2, Neubearb. 2011, Art. 18 Rom I-VO Rz. 15 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 154 ff.; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Neubearbeitung 2012, Rz. 307; Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten Europäischen Kollisionsrecht – ein Prüfstein für die Abgrenzung zwischen lex causae und lex fori, IPRax 2010, 285; Tiwisina, Sachverständigenbeweis im deutschen und englischen Zivilprozess, Diss. Osnabrück 2005.
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Spannungsfeld zwischen lex causae und lex fori
Achter Teil
1. Kapitel: Internationales Beweisrecht im Spannungsfeld zwischen lex causae und lex fori I. Abgrenzungsproblematik Prima vista scheint die Grenzziehung zwischen den „Zuständigkeitsbereichen“ 2260 der lex causae und der lex fori ganz einfach zu sein: die lex causae bestimmt das Beweisthema, also die darzulegenden und gegebenenfalls zu beweisenden Tatsachen; dagegen regelt die lex fori, wie zu beweisen ist. Sie bestimmt die Zulässigkeit der Beweismittel und die technische Durchführung der Beweisaufnahme.1 Zum Beispiel kann das deutsche Gericht keine telefonische Zeugenvernehmung nach FRCP 30 (6) (7)2 durchführen. Hier beginnen bereits die Zweifel und Abgrenzungsschwierigkeiten.3 Wie ist es 2261 mit den Regeln der romanischen und der angelsächsischen Rechtsordnungen, die einen Zeugenbeweis für bestimmte Rechtsgeschäfte verbieten (Rz. 2317, 2329)? Wie ist es mit dem Beweismaß (Rz. 2334)? Bestimmt das Beweismaß die lex causae oder die lex fori? Wie ist es mit der Beweislast? Die Regeln der Beweislast sind unbestritten der lex causae zu entnehmen (Rz. 2340). Wie ist es aber mit dem gewohnheitsrechtlichen Verfahrensrechtssatz des deutschen Zivilprozessrechts, wonach bei schuldhafter Vereitelung der Beweisführung eine Beweislastumkehr eintritt? Vor allem Coester-Waltjen und Buciek4 haben die starke Verflochtenheit der Beweisregelung mit dem materiellen Recht hervorgehoben. Sie plädieren deshalb für die Anwendbarkeit der lex causae, soweit nicht die Entscheidungseffizienz des Forums die Anwendung des Gerichtsrechts fordert. So sind nach Coester-Waltjen5 Regelungen, die auf eine Verkürzung der Wahrheitsermittlung abzielen, insbes. indem sie die Dispositionsbeschränkungen der Beteiligten im materiellen Recht auch in das Beweisrecht verlängern (Rz. 2277), der lex causae zu entnehmen. Im Übrigen sei die lex fori zuständig.6 Eine Verkürzung der Wahrheitsermittlung bezwecken
2262
– Verbote unerwünschter Beweise (Rz. 2293);7 – Beweisvermutungen,8
1 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 464; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 137; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 266. 2 Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 360. 3 Vgl. auch Erman/Hohloch, BGB14, Art. 11 EGBGB Rz. 14. 4 Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht. Eine Untersuchung zum Grundsatz des Verfahrens nach eigenem Recht, 1984. 5 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 658. 6 Ähnlich Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 598. S. auch Staudinger/Sturm/ Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 307. 7 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 291; Keller/Siehr, a.a.O., 599. 8 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 309, 314, 329, 336; Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht2, Art. 17 Rom I-VO Rz. 17 ff.
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– Beweismaß- und Beweislastregelungen (Rz. 2334);9 – die Vorschriften über den Ausschluss des Zeugenbeweises (Rz. 2317).10 2263 Diese Vorschriften wollen jeweils die gerichtliche Feststellung des Eintritts der im materiellen Recht vorgesehenen Rechtsfolge ermöglichen, ohne dass der diese Rechtsfolge auslösende Tatbestand mit absoluter Sicherheit nachgewiesen ist. Dabei sind folgende Varianten auseinanderzuhalten:11 – entweder man verlangt für den Nachweis einer Tatbestandsvoraussetzung nicht absolute Sicherheit, – oder man erleichtert den Eintritt einer Rechtsfolge dadurch, dass statt der Tatsachen der Tatbestandsvoraussetzungen andere leichter zu beweisende Tatsachen nachgewiesen werden können. Dies ist bei Vermutungen oder dem Ergänzungseid der Fall. 2264 Bei Anwendung dieser wahrheitsverkürzenden Vorschriften braucht der festgestellte Sachverhalt – anders als bei der Fiktion – nicht vom tatsächlichen Geschehen abzuweichen. Entscheidend ist allein, dass die Sachverhaltsaufklärung nicht zu der vollen Gewissheit vom Vorliegen eines Tatbestandsmerkmales führen muss. 2265 Ganz verschiedene Gründe können den (ausländischen) Gesetzgeber bewegen, eine Regel über die Verkürzung der Wahrheitsermittlung aufzustellen. So kann sie dem Schutz einer Partei oder des Familien- oder Rechtsfriedens dienen oder der Lockerung bzw. Intensivierung der vertraglichen Bindung. Weiter kommen in Betracht Wahrscheinlichkeitserwägungen und Gesichtspunkte der Prozessökonomie (zur Vermeidung umständlicher Beweiserhebungen).12 In all diesen Fällen liegt – unabhängig von den legislatorischen Motiven im Einzelnen – eine materiell-rechtliche Verflochtenheit vor. 2266 Dies zeigt sich auch bei den Grenzen der Parteiherrschaft, insbes. der Verfügungsbefugnisse über den Streitgegenstand, der Einflussnahmemöglichkeit der Parteien auf die Feststellung des Sachverhalts und den Verfahrensablauf sowie ihre Dispositionsmöglichkeiten über verfahrens- und beweisrechtliche Fragen.13 Auf die Sachverhaltsfeststellungen können die Parteien am stärksten im US-amerikanischen Zivilprozess Einfluss nehmen. Hier ist das kontradiktorische Verfahren (adversary system, Rz. 84) nahezu lupenrein verwirklicht.14 Die Parteien bestimmen den Verhandlungsgegenstand, die Beweismittel und den Gang des Verfahrens. Sie bringen die Beweismittel bei, sorgen für die Anwesenheit der Zeugen und Sachverständigen15 und führen im Prinzip die Vernehmung durch. Die Rolle des Richters ist passiv. Außer bei Sachverständigenbeweisen kann er nur in 9 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 259, 368, 385; Buciek, a.a.O., 97, 278; Staudinger/Magnus, a.a.O., Art. 17 Rom I-VO Rz. 20 ff. 10 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 446; Buciek, a.a.O., 20, 26, 286; Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozess, 1967, 283. 11 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 624. 12 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 626. 13 Rechtsvergleichende Hinweise bei Hartwieg, JZ 1997, 381 (389). 14 Hierzu z.B. Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 82 ff. 15 Nachw. z.B. bei Timmerbeil, Witness Coaching und Adversary System, 2004.
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besonderen Verfahren (z.B. in Sorgerechtssachen zwischen den Eltern) von Amts wegen Beweise erheben.16 Anders das moderne deutsche und französische Recht: Der Zivilprozess wird 2267 nicht mehr als Privatsache der Parteien, sondern als service public verstanden (Rz. 85). Deshalb hat der Richter weitgehendere Befugnisse.17 Eine Schranke für die Beweiserhebung durch den Richter kennt das deutsche Recht nur für den Zeugenbeweis (arg. §§ 144, 273 II, 287, 448 ZPO; § 128 I 3 FamFG). Im französischen Recht darf der Richter sogar sein Urteil auf Tatsachen stützen, die nicht ausdrücklich von den Parteien vorgetragen worden sind.18 Auch in England macht sich seit den Civil Procedure Rules 199919 ein Wandel vom adversary procedure zum case management bemerkbar.20
II. Beweisverfahren als Domäne der lex fori Für das Beweisverfahren gilt die lex fori. Dies sei an einigen Beispielen verdeut- 2267a licht und abgegrenzt. 1. Kein Kreuzverhör In den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen steht die Parteiherrschaft viel 2268 stärker im Vordergrund als in den kontinentaleuropäischen (Rz. 2266). So führen z.B. die Parteien (durch ihre Anwälte) die Zeugenvernehmung allein durch.21 Die Vernehmung der Zeugen, zu denen man alle Auskunftspersonen – auch Parteien und Sachverständige – zählt, erfolgt – wie im römischen Zivilprozess22 – durch cross-examination. Die Partei, die den Zeugen benannt hat, vernimmt diesen zuerst (direct-examination), sodann darf der Gegner dem Zeugen Fragen stellen (cross-examination). Danach hat die erste Partei Gelegenheit zur redirectexamination; daran kann sich recross-examination des Gegners anschließen. Wollte der Richter den Zeugen selbst vernehmen, so wäre dies in den Augen eines angelsächsischen Juristen ein schwerer Mangel bei der Wahrheitsfindung. Denn „dann steigt er sozusagen hinunter in die Arena, und es kann sein, dass ihm der aufgewirbelte Staub die Sicht nimmt“.23 Anders ist es auf dem europäischen Kontinent. Hier liegt die Beweisaufnahme in der Hand des Richters. Dieser vernimmt die Zeugen selbst. Die Parteien haben nur das Recht, Fragen vor-
16 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 31; rechtsvergleichend auch Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 153. 17 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 32; Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 162 ff. 18 Art. 7 II Nouveau Code de procédure civile: parmi les éléments des débats; CoesterWaltjen, a.a.O., Rz. 32; Schlosser, JZ 1991, 599. 19 Part 32–35 CPR. 20 Hierzu Andrews, ZZPInt 4 (1999), 3; Sobich, JZ 1999, 775 (776). 21 Cohn, ZZP 80 (1967), 231; Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 402, 406. 22 Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, 1967, 146, 275. 23 Wie es der Court of Appeal in Sachen Jones v. National Coal Board (Weekly Law Reports 1957 II 767) einmal formulierte (zitiert bei Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 153).
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zulegen, sofern der Richter den Anwälten nicht gestattet, an die Zeugen unmittelbar Fragen zu richten, § 397 ZPO. Maßgebend ist die deutsche lex fori, nicht die lex causae. Daher können die Parteien bzw. ihre Anwälte auch bei Maßgeblichkeit englischen Rechts im deutschen Erkenntnisverfahren kein Kreuzverhör veranstalten.24 2. Beweisbeschluss 2269 Entsprechendes gilt auch für die Notwendigkeit eines Beweisbeschlusses (§§ 358 f. ZPO), den z.B. das US-amerikanische Recht nicht kennt.25 Dieser ist auch zu erlassen, wenn in der Sache das Recht eines US-Bundesstaates anzuwenden ist.26 3. Einführung einer Urkunde in den Prozess 2270 Umgekehrt ist die Überwindung des Formalismus des Beweisverfahrens im deutschen Prozess auch dann zu beachten und durchzusetzen, wenn die lex causae einen solchen nicht vorsieht. Beispiel: Das französische Recht verlangt zur Einführung einer Urkunde in den Prozess eine sog. vérification d’écriture, zum Nachweis ihrer Fälschung eine inscription de faux.27 Maßgebend ist die deutsche lex fori, nicht die lex causae.28
4. Verhandlungsmaxime 2271 Die lex fori bestimmt auch den Umfang des Geltungsbereichs des Verhandlungsgrundsatzes. Grundsätzlich obliegt es den Parteien, die jeweils anspruchs- bzw. einrede- und einwendungsbegründenden Tatsachen in den Prozess einzuführen und – für den Fall des Bestreitens durch den Gegner – Beweis anzutreten (Rz. 1995, 2280). Hingegen muss im Geltungsbereich der Untersuchungsmaxime das Gericht von sich aus die entscheidungserheblichen Tatsachen ermitteln. Dagegen bestimmt grundsätzlich die lex causae, welche Partei darlegungs- und beweispflichtig ist (Rz. 2340).
24 Anders ist es jedoch im Rechtshilfeverfahren, wenn das deutsche Amtsgericht auf Ersuchen eines britischen oder irischen Gerichts oder eines sonstigen Gerichts aus dem common law-Bereich ein Kreuzverhör gestattet; Rz. 2463, 2505; Hess, EuZPR, 2010, § 3 Rz. 76, S. 122. 25 Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, 272; Heck, ZVglRWiss 84 (1985), 208; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 77 Fn. 25 (evidence decree). 26 Zur Relevanzkontrolle (Bedeutung des zu erhebenden Beweises für die Entscheidung des Rechtsstreits) im englischen Zivilprozess Stürner in FS Stiefel, 1987, 765 und im US-Zivilprozess Stürner, a.a.O., 764; v. Bodungen/Jestaedt in FS Stiefel, 1987, 76. 27 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 404. 28 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 411, 537. Zu Art. 59 II EuErbVO s. Rz. 2330v.
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5. Indizienbeweis Die deutsche lex fori legt fest, inwieweit nicht nur Tatsachen, die unmittelbar 2272 die Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Norm ausfüllen, Gegenstand der Beweiserhebung sein können, sondern auch mittelbare Tatsachen, aus denen sich Rückschlüsse auf einen tatbestandserheblichen Vorgang bzw. Zustand ziehen lassen (Zulässigkeit des Indizienbeweises).29 6. Zurückweisung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel Maßgebend ist die lex fori. Es kommt nicht darauf an, ob die lex causae eine den 2273 §§ 296, 531 ZPO vergleichbare Vorschrift kennt (Rz. 361). 7. Beweisverfahrensarten (Strengbeweis, Freibeweis, Glaubhaftmachung) Die lex fori bestimmt,
2274
– ob ein förmliches Beweisverfahren mit den von der ZPO zugelassenen fünf Beweismitteln (Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Parteivernehmung) erforderlich ist (Strengbeweis, §§ 284, 355–484 ZPO); oder – ob der Richter die Möglichkeit zum Freibeweis hat, dessen Gestaltung in 2275 seinem Ermessen liegt.30 Hier muss der Richter nicht die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens (§§ 355 ff. ZPO) einhalten; er ist insbes. nicht auf die fünf gesetzlichen Beweismittel beschränkt. Er kann vielmehr Erkenntnisquellen jeglicher Art benutzen, wie z.B. amtliche Auskünfte, schriftliche Versicherungen von Privatpersonen oder Akten aus anderen Verfahren.31 So ist z.B. das Gericht bei der Ermittlung von Erfahrungssätzen nicht auf die gesetzlichen Beweismittel beschränkt. Hauptbeispiel auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts ist die Feststellung des Inhalts ausländischer Rechtsnormen nach § 293 ZPO, Rz. 2583. Hier darf das Gericht alle Erkenntnisquellen benutzen (Rz. 2579)32; oder – ob schließlich Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) genügt. 8. Beweiserleichterung nach § 287 ZPO Dem Beweisverfahren ist auch § 287 ZPO zuzuordnen. Deshalb hat der deutsche 2276 Richter bei ausländischer lex causae nach § 287 ZPO (einer den Beweis erleichternden bzw. erübrigenden Regel) zu verfahren (Rz. 2337).33
29 Vgl. Rz. 2279 und den Fall des OLG Frankfurt v. 5.12.1986 – 1 UF 121/86, FamRZ 1987, 155 = IPRspr. 1986 Nr. 54 (Eheaufhebung nach englischem Recht). 30 Zustimmend z.B. Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR in Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q, Rz. 589. 31 Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 340. 32 BGH v. 24.11.1960, NJW 1961, 410 = IPRspr. 1960–1961 Nr. 5. 33 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 466; für lex causae Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 163; Niederländer, RabelsZ 20 (1955), 33 (51).
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9. Geständnis 2277 Die Bindung des Richters an ein Geständnis34 gilt grundsätzlich auch, wenn die lex causae etwas anderes vorschreiben sollte (Rz. 358). Anders ist es aber, wenn die Bedeutungslosigkeit des Geständnisses Ausdruck fehlender (materiell-rechtlicher) Dispositionsfreiheit ist (Rz. 357). So ist z.B. ratio legis des § 113 IV Nr. 5 ff. FamFG die auch verfahrensmäßige Durchsetzung des Grundsatzes, dass die Auflösung der Ehe nicht zur Disposition der Ehegatten steht. Das Fehlen der Privatautonomie soll auch verfahrensrechtlich sichtbar gemacht werden. Die enge Verbindung der Beschränkung der Geständniswirkung mit der materiell-rechtlichen Begrenzung der Verfügungsbefugnis der Beteiligten führt zur Maßgeblichkeit der lex causae; deshalb ist § 113 IV Nr. 5 FamFG nur bei Anwendbarkeit deutschen Rechts zu beachten.35
III. Beweisfrage 2278 Die lex causae bestimmt, welche Tatsachen vorliegen müssen bzw. nicht vorliegen dürfen, wenn dem Klagebegehren stattzugeben ist. Denn welche Tatsachen klagebegründend sind, kann sich nur nach dem anwendbaren materiellen Recht richten.36
IV. Beweiserheblichkeit 2279 Nach deutschem Recht sind alle Tatsachen, die nach Logik und Erfahrung vernünftigerweise eine Schlussfolgerung auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer direkten Tatsache zulassen, beweiserheblich. Enger das französische Recht: Eine Tatsache, aus der auf das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals geschlossen werden kann (pertinent), ist nur dann beweiserheblich, wenn sie auch concluant ist, d.h. wenn sie die Überzeugung des Richters beeinflussen kann. Dies ist zu verneinen, wenn der Richter vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der behaupteten Tatsache bereits überzeugt ist. Es kommen also bereits bei der Frage der Beweiserheblichkeit Momente der Beweiswürdigung ins Spiel.37 Für die Beweiserheblichkeit ist die lex fori maßgeblich. Sonst wäre die Entscheidungseffizienz nicht gewährleistet.38 (S. auch Rz. 2272).
V. Beweisbedürftigkeit 2280 Die meisten Rechtsordnungen gehen davon aus, dass nur bestrittene Tatsachen des Beweises bedürfen, wobei das Schweigen des Gegners als Nichtbestreiten
34 § 288 ZPO. 35 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 601. 36 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 267; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q, Rz. 585. 37 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 273. 38 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 276.
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ausgelegt wird.39 Der Grundsatz, dass nur bestrittene Tatsachen des Beweises bedürfen, ist Ausfluss der Verhandlungsmaxime. Maßgeblich ist die lex fori (Rz. 2271).40 Die deutschen Gerichte haben einen abweichenden Standpunkt der lex causae 2281 grundsätzlich nicht zu beachten.41 Eine Ausnahme ist jedoch zu machen, wenn nach der lex causae auch unbestrittene Tatsachen des Beweises bedürfen.42 Denn die Beweisbedürftigkeit (trotz Nichtbestreitens) ist Ausdruck der fehlenden Parteiautonomie für die materiell-rechtliche Beziehung, die sich als verfahrensrechtliche Verfügungsbeschränkung fortsetzt.43
VI. Offenkundige Tatsachen Offenkundige Tatsachen bedürfen auch dann keines Beweises und auch keines 2282 Vortrags durch die Parteien, um Prozessstoff zu werden,44 wenn in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt.45
VII. Beweisvermutungen Beweisvermutungen unterteilen sich in
2283
– sog. gesetzliche Vermutungen (presumptions of law; présomptions légales). Diese zerfallen wieder in unwiderlegbare (praesumtiones iuris et de iure; présomptions absolues; irrebuttable oder conclusive presumptions) und widerlegbare (praesumtiones iuris tantum; rebuttable oder disputable presumptions; présomptions simples); – die aus Lebenserfahrung und Erfahrungssätzen resultierenden tatsächlichen Vermutungen (presumptions of fact; présomptions du fait oder praesumtiones hominis).46 Maßgeblich ist die lex causae; dies bestimmt für vertragliche Schuldverhältnisse 2284 Art. 18 I Rom I-VO47, sowie für außervertragliche Art. 22 I Rom II-VO.
39 Nachw. bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 277. 40 Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q, Rz. 585. 41 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 281. 42 Für das deutsche Recht § 113 IV FamFG, Rz. 357, 2277; vgl. aber auch Rz. 2293. 43 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 282 ff. 44 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 111 Rz. 25 ff. 45 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 288. 46 Hierzu Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 307. 47 Davor Art. 14 I des Römischen Schuldvertragsübereinkommens = Art. 32 III 1 EGBGB; hierzu überzeugend der Lagarde-Bericht, BT-Drucks. 10/503, 68: „Die gesetzlichen Vermutungen, bei denen derjenige keine Beweise erbringen muss, zugunsten dessen diese Vermutungen bestehen, sind in Wirklichkeit Sachnormen, die bei vertraglichen Schuldverhältnissen zur Präzisierung der Verpflichtungen der Parteien beitragen und mithin nicht von dem für den Vertrag maßgeblichen Recht getrennt werden können.“ Vgl. auch Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 394;
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1. Gesetzliche Vermutungen a) Unwiderlegliche Vermutungen 2285 Hier wird aufgrund eines Rechtssatzes aus dem Vorliegen einer Tatsache A auf das Gegebensein der für das Eintreten einer bestimmten Rechtsfolge C wesentlichen Tatsache B geschlossen, ohne dass die Möglichkeit besteht, das Nichtvorliegen der Tatsache B zu beweisen (im Unterschied zur Fiktion, bei der die fingierte Tatsache sicher nicht gegeben ist, kann die unwiderlegbar vermutete Tatsache vorliegen). Der Schluss kann aber auch unmittelbar auf das Gegebensein eines bestimmten Rechts oder Rechtsverhältnisses, also nicht erst auf eine Tatsache im engeren Sinne, gerichtet sein.48 2286 Die unwiderlegbaren Vermutungen modifizieren den Tatbestand, an den eine gewisse Rechtsfolge angeknüpft ist, indem sie die Wahrheitsermittlung verkürzen und unwiderlegbar vom Vorliegen der Tatsache B ausgehen, obwohl nur das Gegebensein der Tatsache A nachgewiesen ist. Sie haben im Ergebnis die gleiche Wirkung wie eine Rechtsnorm, die als Tatbestandsvoraussetzung für das Eintreten der Rechtsfolge C das Vorliegen der Tatsache A verlangt. Mit der Normierung einer unwiderlegbaren Vermutung trifft der Gesetzgeber eine Regelung, die er ebenso gut mit einer rein materiell-rechtlichen Vorschrift erreichen könnte. Solche Vermutungen sind zwar nicht materiell-rechtliche Vorschriften, sie bleiben vielmehr Beweisvorschriften, weil sie die Frage betreffen, wie die Tatsache B vor Gericht nachzuweisen ist. Sie sind jedoch mit dem materiellen Recht so stark verflochten, dass sie der lex causae zu unterstellen sind.49 b) Widerlegbare Vermutungen 2287 Nach deutschem und französischem Recht führen alle widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen zur Umkehr der Beweislast. Die beweispflichtige Partei braucht nur das Vorliegen der Tatsache A (Ausgangstatsache) nachzuweisen, der Gegner muss das Nichtvorliegen der vermuteten Tatsache B darlegen und unter Beweis stellen. Solange das Gericht vom Nichtvorliegen der Tatsache B nicht voll überzeugt ist, bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung, dass B gegeben ist. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis braucht der Gegner nur darzutun, dass das Vorliegen der vermuteten Tatsache B nicht wahrscheinlich ist. Diese Vermutungen tangieren also nur das evidential burden (burden of producing evidence). Wegen der materiell-rechtlichen Verflochtenheit dieser Regelung ist auf die lex causae abzustellen. So hat z.B. der deutsche Richter bei Maßgeblichkeit des Rechtes eines US-Bundesstaates die Wirkung einer Vermutung, die nur das burden of producing evidence berührt, in der Weise zu berücksichtigen, dass er bei nur wenig umfangreichem Beweismaterial die vermutete Tatsache für nicht gegeben hält. Damit erreicht er den gleichen Effekt wie im amerikanischen Zivil-
Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 340; Koch in FS Siehr, 2000, 341 (353). 48 Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 292 Rz. 6. 49 Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 149; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 309.
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prozess durch einen positiven Bescheid auf eine motion for a directed verdict (Rz. 2344).50 Dies gilt jedoch nicht für prozessuale Vermutungen, z.B. § 267 ZPO. Die Frage, 2288 ob eine Klageänderung zulässig ist, bestimmt ausschließlich die deutsche lex fori (Zustimmung zur Klageänderung, wenn Beklagter – ohne Widerspruch – sich zur abgeänderten Klage eingelassen hat). Deshalb gilt die Vermutung des § 267 ZPO ohne Rücksicht auf das in der Sache anwendbare Recht.51 2. Tatsächliche Vermutungen, insbesondere der Beweis des ersten Anscheins Art. 1053 Code civil fordert Erfahrungssätze, die „graves, précises et concor- 2289 dants“ sind. Im anglo-amerikanischen Recht muss es sich um ein „self-evident result of human reason and experience“ handeln. Im deutschen Recht verlangt man einen gewissen „Erfahrungssockel“.52 Klassischer Anwendungsfall für eine tatsächliche Vermutung ist im deutschen 2290 Recht der sog. Anscheins- oder prima facie-Beweis.53 Es geht dabei um einen Sachverhalt, bei dem „die Dinge nach der Erfahrung des täglichen Lebens in bestimmter Weise zu verlaufen pflegen, die besonderen Umstände des jeweiligen Falles bei einer Gesamtbetrachtung hinter das typische Erscheinungsbild des Geschehens völlig zurücktreten und der Schluss auf einen gleichen Geschehensablauf sich ohne weiteres auch in dem Einzelfalle aufdrängt“.54 In den angloamerikanischen Rechtsordnungen findet sich die (enger gefasste) Regel „res ipsa loquitur“: Danach wird das Verschulden desjenigen vermutet, in dessen Gefahrenkreis ein schädigendes Ereignis stattgefunden hat.55 Die tatsächlichen Vermutungen berühren die Beweislast nicht; sie unterliegen 2291 der freien richterlichen Beweiswürdigung. Im Hinblick auf die materiell-rechtliche Verflochtenheit der tatsächlichen Vermutung ist aber die jeweilige lex causae maßgebend.56
50 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 325. 51 So auch die amtliche Begründung zu Art. 32 III 1 EGBGB = Art. 14 I des Römischen Schuldvertragsübereinkommens = nunmehr Art. 18 I Rom I-VO, BT-Drucks. 10/504, 82: „Beweisvorschriften, die keinen direkten Bezug zu materiell-rechtlichen Normen des vertraglichen Schuldrechts aufweisen, sondern allein verfahrensrechtlicher Art sind, fallen nicht unter diese Regelung.“ Hierzu auch Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 329. 52 Nachw. bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 332. 53 S. auch Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten Europäischen Kollisionsrecht, IPRax 2010, 285. 54 BGH, VersR 1956, 696. 55 Nachw. bei Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 162, 210; Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 333. 56 Buciek, a.a.O., 257; Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 353; Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht2, Art. 18 Rom I-VO Rz. 25; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 175; AG Geldern v. 27.10.2010 – 4 C 356/10, NJW 2011, 686 (Staudinger 650) = DAR 2011, 210 = IPRspr. 2010 Nr. 54. Anders die (noch) h.M., welche den Anscheinsbeweis der lex fori zuord-
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VIII. Beweis ausländischen Rechts 2292 Die Rechtsvergleichung bringt recht unterschiedliche Standpunkte zu Tage: Einerseits Amtsermittlung im deutschen Recht (Rz. 2577), auf der anderen Seite Beweispflichtigkeit der Parteien im englischen und französischen Recht. In der Mitte stehen die US-amerikanischen Rechte mit der Möglichkeit der judicial notice.57 Die Art der Ermittlung des ausländischen Rechts im deutschen Verfahren bestimmt immer die deutsche lex fori. Es handelt sich aus deutscher Sicht nicht um ein Beweisproblem. Denn bei der Ermittlung ausländischen Rechts geht es nicht um den Beweis von Tatsachen, sondern um die Ermittlung des Inhalts einer ausländischen Norm (Rz. 2585). Gleichwohl tauchen ähnliche Probleme wie bei einem non liquet im Tatsächlichen auf, wenn der Inhalt der nach deutschem internationalem Privatrecht anwendbaren Norm nicht oder nicht in der für die zu treffende Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit ermittelt werden kann (Rz. 2001, 2598).
IX. Beweisthemenverbote 2293 Das deutsche Recht kennt im Wesentlichen nur das Verbot des Ausforschungsbeweises.58 Anders z.B. das Verbot des Art. 322, Art. 322–1 Code civil, der in Abstammungsstreitigkeiten bei Übereinstimmung des Familienstandes und der Geburtsurkunde (außer in den Fällen der Kindesunterschiebung oder der Kindesverwechslung) den Nachweis der anderen Abstammung untersagt59 oder die Regel des englischen Rechts, dass im Schadensersatzprozess der Beweis über eine unentgeltliche Zuwendung Dritter an den Geschädigten verboten ist. Beide Beweisverbote verbieten „unerwünschte Beweise“: Eine an sich für den Tatbestand der materiell-rechtlichen Norm relevante Frage soll nicht aufgeklärt werden. Diese Verbote haben die gleiche Wirkung wie eine Vorschrift über die Unzulässigkeit der Ehelichkeitsanfechtungsklage bzw. eine Norm des Inhalts, dass für die Berechnung des Schadensersatzanspruchs die unentgeltlichen Zuwendungen Dritter außer Betracht bleiben. Statt durch (prozessuale) Beweisverbote hätte man den gleichen Effekt durch eine andere Fassung des Tatbestandes der materiellen Norm erzielen können. Wie der Gesetzgeber rechtstechnisch verfährt, bleibt in seinem Belieben. Entscheidend ist, dass der Regelungsgegenstand materiellrechtlich eingefärbt ist. Deshalb ist für das Verbot unerwünschter Beweise die lex causae maßgeblich, vorbehaltlich des Eingreifens des deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB).60
57 58 59 60
net. Nachw. bei Schack, BerDGVR 32 (1992) 341 und bei Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 145, 175. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 289. Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, 108; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 284 Rz. 42. Hierzu Spellenberg, FamRZ 184, 117 ff., 239 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 160. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 291.
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Dagegen ist das Verbot des Ausforschungsbeweises (Rz. 1994, 2482) ein rein pro- 2294 zessrechtliches Institut ohne Verflechtungen mit dem materiellen Recht. Maßgebend ist deshalb immer die deutsche lex fori. Das deutsche Ausforschungsverbot kommt auch bei Anwendbarkeit ausländischen Sachrechts zur Anwendung. Noch weiter geht Schütze.61 Den Umfang der Wahrheitsermittlung bestimme allein und immer die deutsche lex fori. Das Grundgesetz garantiere dem Rechtsuchenden vor deutschen Gerichten ein im Rahmen der Verhandlungsmaxime der Wahrheit entsprechendes Urteil, das eine Beschränkung von Beweisen nur dann zulässt, wenn das deutsche Recht Beweisverbote aufstellt.
X. Beweisverbote des Estoppel 1. Vollmachtsmangel Eine Partei ist in bestimmten Fällen vom Beweis einer Tatsache ausgeschlossen 2295 (estopped), wenn aus ihrem früheren eindeutigen und klaren Verhalten das Gegenteil zu schließen war (Ausnahme: wenn damit eine Rechtsvorschrift umgangen würde).62 Beispiel: Der Vertretene darf den Mangel der Vertretungsmacht in bestimmten Fällen nicht nachweisen. Die gleiche Problematik wird im deutschen Recht materiell-rechtlich nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht gelöst. Die Verflechtung der estoppel-Regelung mit dem die Vertretung regelnden Recht ist hier so offensichtlich, dass man diese Vorschrift der lex causae zuordnen muss.63
2. Estoppel by record Estoppel by record schließt den Beweis für Tatsachen aus, die mit der Tatsachen- 2296 feststellung eines früheren Urteils zusammenhängen.64 Eine estoppel-cause of action liegt vor, wenn die Tatsache, deren Beweis ausgeschlossen ist, Gegenstand des Klagebegehrens in einem Rechtsstreit bzw. des in diesem ergangenen Urteils war.65 Vom estoppel of issue spricht man, wenn diese Tatsache im Erstverfahren hätte geltend gemacht werden können (entspricht der Präklusionswirkung des deutschen Rechts). Dieser englischen Terminologie entsprechen in den Vereinigten Staaten von Amerika merger, bar und collateral estoppel.66 Bar (für den Beklagten) und merger (für den Kläger) schließen die in den früheren VerSchütze, DIZPR2, Rz. 223. Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 297. Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 298. S. auch Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht3, 73. Hierzu Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 71. 66 Hierzu Koshiayama, Rechtskraftwirkungen und Urteilsanerkennung nach amerikanischem, deutschem und japanischem Recht, 1996, 2, 128; Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 133; Stürner in FS Schütze, 1999, 913. Nachw. auch bei Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class actionUrteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008.
61 62 63 64 65
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fahren erörterten Punkte und die Tatsachen, die dort hätten vorgebracht werden können, im zweiten Prozess aus, wenn es sich um den gleichen (eine Geldsumme betreffenden) Streitgegenstand handelt. Dagegen schließt die doctrine of collateral estoppel nur den Beweis über das Nichtvorliegen der im ersten Verfahren geltend gemachten wesentlichen Streitpunkte aus; sie gilt auch für andere Verfahren, nicht nur für solche, bei denen es um Zahlung einer Geldsumme geht. 2297 Diese Regelungen sollen die Belastung der Gerichte verringern (interest rei publicae ut sit finis litium), den Gerichtsurteilen Respekt verschaffen sowie den Sieger im ersten Verfahren vor schikanösen Klagewiederholungen schützen (nemo bis vexari potest pro una et eadem causa).67 Sie verfolgen ähnliche Zwecke wie in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen die Lehre von der materiellen Rechtskraft. Sie sind daher nicht qua kollisionsrechtlicher Verweisung zu beachten68; vielmehr kommen die Regeln über die Anerkennung der Wirkungen ausländischer Urteile zum Zuge, auch wenn die lex causae hier ein Beweisproblem sieht. Estoppel by record ist – aus deutscher Sicht – eine prozessuale Urteilswirkung und daher vom deutschen Gericht nur zu beachten, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen bzw. keine Versagungsgründe geltend gemacht werden (Rz. 2787).
XI. Unsichere Beweise 2298 Mit dem Verbot des Beweises vom Hörensagen (hearsay evidence) im US-amerikanischen Zivilprozess wird die Wiedergabe einer von einem Dritten außerhalb der Gerichtsverhandlung gemachten Äußerung untersagt zum Beweis der Tatsache, die Gegenstand jener Äußerung ist. Der Dritte kann nicht unter Eid vernommen, er kann nicht einem cross-examination unterzogen werden und seine Abwesenheit in der Verhandlung verhindert eine sachgemäße Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit durch die Jury. Solche Beweisverbote sind auf die Besonderheiten des amerikanischen Zivilprozesses zugeschnitten und deshalb vom deutschen Gericht nicht zu beachten.69
XII. Beweishindernisse 2299 Ist die Verwertung bestimmter Beweise generell oder für bestimmte Beweistatsachen verboten, spricht man von Beweishindernissen.70 So sind z.B. im Urkunden- und Wechselprozess nur Urkunden und die Parteivernehmung zugelassen, §§ 592, 595, 605 I ZPO. Andere Beweismittel sind ausgeschlossen. Hier ist die lex fori maßgeblich (Rz. 2633). Diese entscheidet nicht nur über die Zulässigkeit dieser besonderen Verfahrensart, sondern auch über die Ausgestaltung dieses Verfahrens in beweismittelrechtlicher Hinsicht.71 Die deutsche lex fori ist auch 67 68 69 70 71
Cohn in FS Nipperdey, 1965, 878. So aber Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 304. Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 294. Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 284 Rz. 57. Ebenso die amtliche Begründung zu Art. 32 III 2 EGBGB (s. Rz. 2303).
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maßgeblich, wenn zu entscheiden ist, ob dem Zeugenbeweis die Schweigepflicht entgegensteht, § 383 III ZPO; der Antrag auf Vernehmung eines Arztes als Zeuge über Tatsachen aus dem Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses ist daher auch abzulehnen, wenn der Arztvertrag bzw. die Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient nach den Regeln des internationalen Privatrechts ausländischem Recht untersteht. Unzulässig ist auch die Vernehmung eines Zeugen, gleich welcher Nationalität, dem ein deutsches Gericht gem. § 174 III GVG ein Schweigegebot auferlegt hat. Fraglich ist jedoch, ob ein von einem ausländischen Gericht verhängtes Schweigegebot zu beachten ist. Sicher ist jedenfalls, dass der Umfang eines solchen (gegebenenfalls zu beachtenden) Gebots nach der ausländischen Rechtsnorm (nach welcher der ausländische Richter verfahren ist) zu ermitteln ist72 und dass eine Anerkennung nach prozessualem Anerkennungsrecht (§ 328 ZPO) nicht in Betracht kommt (Rz. 2799). Eine ähnliche Problematik ergibt sich aus dem Verbot der Beweiserhebung über 2300 Vorgänge bei der richterlichen Entscheidungsfindung (Beratung und Abstimmung). Schließlich richtet sich der Umfang von Beweishindernissen infolge von Zeugnisverweigerungsrechten nach der lex fori (Rz. 2310).
XIII. Beweisverwertungsverbote Die lex fori befindet darüber, wann und unter welchen Umständen die Verwer- 2301 tung rechtswidrig erlangter Beweismittel73 verboten ist.74
XIV. Beweismittel 1. Überblick Für Maßgeblichkeit der lex fori plädiert Schütze.75 Wer z.B. Zeuge sein kann, 2302 bestimme allein die deutsche lex fori. Da die Beweismittel ganz wesentlich die Wahrheitsermittlung bestimmen, könne man sich nicht durch ausländische Gesetze vorschreiben lassen, in welcher Weise die heimischen Gerichte Recht finden sollen.76 Hinzu komme ein praktischer Grund: Zahlreiche Verbote der Benutzung von Beweismitteln beruhen auf den Besonderheiten des ausländischen Verfahrens. So beruht das Verbot des Zeugenbeweises durch Hörensagen (hearsay rule des common law) auf der Zweiteilung des Verfahrens zwischen Richter und Jury (Rz. 2344). Die lex fori bestimmt, ob Strengbeweis notwendig ist oder ob Freibeweis genügt. 2303 Ebenso legt sie den numerus clausus der zulässigen Beweismittel. In Deutsch72 Vgl. auch Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 270. 73 Nachw. bei Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 284 Rz. 86. Rechtsvergleichende Hinweise bei Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 51; Schwab/Gottwald in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, 1983, 72. 74 Zur Anerkennungsperspektive s. Rz. 2962. 75 Schütze, DIZPR2, Rz. 225. S. auch Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q, Rz. 589. 76 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 468.
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land sind dies: Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Parteivernehmung.77 Art. 18 II der Rom I-VO78 und Art. 22 II Rom II-VO79 lassen darüber hinaus Beweismittel des Formstatuts zu. Art. 18 II Rom I-VO bestimmt: „Zum Beweis eines Rechtsgeschäfts sind alle Beweisarten des Rechts des angerufenen Gerichts oder eines der in Art. 11 bezeichneten Rechte, nach denen das Rechtsgeschäft formgültig ist, zulässig, sofern der Beweis in dieser Art vor dem angerufenen Gericht erbracht werden kann.“
Art. 22 II Rom II-VO ist nahezu textgleich: „Zum Beweis einer Rechtshandlung sind alle Beweisarten des Rechts des angerufenen Gerichts oder eines der in Art. 21 bezeichneten Rechte, nach denen die Rechtshandlung formgültig ist, zulässig, sofern der Beweis in dieser Art vor dem angerufenen Gericht erbracht werden kann.“
Hierzu bemerkt treffend Schack80: „Diese Vorschriften verlängern das kollisionsrechtliche Günstigkeitsprinzip des Art. 11 EGBGB (Formgültigkeit eines Rechtsgeschäfts alternativ nach Ortsrecht oder Geschäftsstatut) in den Prozess. Sie erlauben ein „maximum des preuves“, damit sich die Formgültigkeit, auf die die Vertragspartner vertrauen, auch im Prozess bewähren kann.“81 Vorausgegangen war Art. 14 II des Römischen Schuldvertragsübereinkommens. Zu dessen innerstaatlicher Umsetzung bestimmte Art. 32 III 2 EGBGB a.F.82: „Zum Beweis eines Rechtsgeschäfts sind alle Beweismittel des deutschen Verfahrensrechts und, sofern dieses nicht entgegensteht, eines der nach Artikel 11 und 29 Abs. 3 maßgeblichen Rechte, nach denen das Rechtsgeschäft formgültig ist, zulässig.“
Hierzu erläuterte die amtliche Begründung83: „Für den Nachweis von Rechtsgeschäften lässt Satz 2 die Beweismittel des deutschen Verfahrensrechts als der lex fori und darüber hinaus diejenigen der Rechtsordnung zu, aus der sich gem. den Art. 11 und 29 Abs. 3 EGBGB-E die Formgültigkeit des Rechtsgeschäfts ergibt. Damit ist sichergestellt, dass keine Erwartungen enttäuscht werden, welche die Vertragsschließenden in Bezug auf die Beweisbarkeit eines Rechtsgeschäfts mit den für die Formgültigkeit dieses Rechtsgeschäfts maßgeblichen Regelungen verbinden. Soweit allerdings ein Beweis nach deutschem Verfahrensrecht nicht erbracht werden kann, ist eine Beweisführung nach Satz 2 nicht zulässig. Der Beweis kann also in keinem Fall mit einem Beweismittel geführt werden, das dem Recht des Gerichts grundsätzlich fremd ist (z.B. Vernehmung einer Partei als Zeuge vor einem deutschen Gericht). Nach Satz 2 ist es ferner ausgeschlossen, dass innerhalb einer bestimmten Verfahrensart, die – wie z.B. der deut-
77 Schack, IZVR6, Rz. 757. 78 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, 6. Vorgängernorm war Art. 14 II des Römischen Schuldvertragsübereinkommens. Hierzu z.B. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 12. 79 VO (EG) Nr. 864/2007 v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 199, 40. 80 Schack, IZVR6, Rz. 757. 81 Anders Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 503. 82 Vgl. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 157. 83 BT-Drucks. 10/504, 82.
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sche Urkundenprozess – nur bestimmte Beweismittel zulässt, Beweismittel eingeführt werden können, die nach der lex fori unzulässig sind.“
Diese Explikationen basieren wiederum auf dem Bericht von Lagarde zu Art. 14 2304 II des Römischen Schuldvertragsübereinkommens84: „Der Text sieht die alternative Anwendung der lex fori und des für die Form des Rechtsgeschäfts maßgebenden Rechts vor. Diese liberale Lösung, die zum Beweis des Rechtsgeschäfts äußerst günstig ist, gilt bereits in Frankreich und in den Benelux-Ländern. Sie dürfte die einzige Lösung sein, die sowohl den Erfordernissen der lex fori wie dem Bemühen entspricht, die berechtigten Erwartungen der Parteien beim Abschluss ihres Rechtsgeschäfts zu beachten. Die lex fori ist normalerweise dazu berufen, die Beweisarten für das Rechtsgeschäft zu bestimmen. Wenn die lex fori beispielsweise den Nachweis eines Vertrages durch Zeugen zulässt, muss sie angewendet werden, ohne Rücksicht darauf, ob es in diesem Fall strengere Bestimmungen des Rechts gibt, das für das Rechtsgeschäft in materieller oder formeller Hinsicht maßgebend ist. Begnügt sich hingegen im entgegengesetzten Fall das für die Form des Rechtsgeschäfts maßgebende Recht mit einer mündlichen Vereinbarung und lässt zu, dass der Beweis dieser Vereinbarung durch Zeugen erbracht werden kann, würden die Erwartungen der Parteien, die ihr Vertrauen in dieses Recht gesetzt haben, zunichte gemacht, wenn ihnen die Erbringung dieses Beweises allein mit der Begründung verwehrt würde, dass das Recht des befassten Gerichts für alle Rechtsgeschäfte den Urkundenbeweis erfordert. Daher muss den Parteien gestattet werden, sich vor dem befassten Gericht auf die Beweisarten zu berufen, die von dem für die Form maßgebenden Recht zugelassen sind.
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Diese liberale Regelung darf jedoch nicht dazu führen, dass dem befassten Richter Beweisarten vorgeschrieben werden, deren Benutzung sein Prozessrecht nicht gestattet. Art. 14 regelt nicht die Frage der Beweisaufnahme, die das Recht eines jeden Vertragsstaats dem Recht des befassten Richters unterstellt. Die zulässige Anwendung der Beweisarten eines anderen Rechts als der lex fori darf nicht dazu führen, dass die Regeln der lex fori über die Beweisaufnahme außer Kraft gesetzt werden.
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So erklärt sich der Hinweis, der es dem Richter prinzipiell erlaubt, ohne sich dabei auf die öffentliche Ordnung zu berufen, die in seinem Prozessrecht im Allgemeinen nicht zugelassenen Beweisarten abzulehnen, wie z.B. den Eid, die Zeugenaussage einer der Parteien oder den Beweis durch die öffentliche Meinung „commune renommée“. Bedacht wurde ferner der Fall der Rechte, die der Eintragung in ein öffentliches Register bedürfen, wobei die Auffassung vertreten wurde, dass die mit der Führung dieses Registers beauftragte Behörde nach dieser Bestimmung nur die Beweisarten zulassen kann, die in ihrem eigenen Recht vorgesehen sind.
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Nach Annahme des allgemeinen Grundsatzes war es erforderlich, das auf die Form anwendbare Recht, das alternativ mit der lex fori gelten soll, näher zu bestimmen. Der Text bezieht sich auf eines jeder in Art. 9 bezeichneten Rechte, nach denen das Rechtsgeschäft formgültig ist. Ist also das Rechtsgeschäft beispielsweise nach dem Recht rechtsgültig, das für das Rechtsgeschäft in materieller Hinsicht maßgeblich ist, nicht jedoch nach dem Recht des Ortes, an dem es vorgenommen wurde, können sich die Parteien nur auf die Beweisarten berufen, die im erstgenannten dieser beiden Rechte vorgesehen sind; dies gilt auch, wenn das zweitgenannte Recht in der Frage der Beweiserbringung liberaler ist. Der in beweisrechtlicher Hinsicht dem für die Form maßgebenden Recht eingeräumte Platz 84 BT-Drucks. 10/503, 69. Hierzu s. auch Blanchard, Die prozessualen Schranken der Formfreiheit: Beweismittel und Beweiskraft im EG-Schuldvertragsübereinkommen in deutschfranzösischen Vertragsfällen, 2002.
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setzt natürlich voraus, dass dieses für die Form maßgebende Recht eingehalten worden ist. Ist das Rechtsgeschäft hingegen nach beiden Rechten (lex causae und lex loci actus) gem. Art. 9 formgültig, so können sich die Parteien auf die Beweisarten berufen, die in einem dieser Rechte vorgesehen sind.“
S. auch Rz. 2319 und 2329. 2. Zeugen 2309 Wer Zeuge sein kann, ist nach der lex fori zu beurteilen.85 Eine Ausnahme gilt für die Beschränkung der Zeugnisfähigkeit von Abkömmlingen in Scheidungsprozessen. Durch diesen Ausschluss soll das Beweismaterial beschränkt werden. Die Abkömmlinge „wissen zu viel“. Auf ihre Aussagen soll die Scheidung nicht gestützt werden.86 2310 Auch bei Zeugnisverweigerungsrechten ist die deutsche lex fori maßgeblich.87 Ein Ausländer kann sich nicht darauf berufen, dass er nach seinem Heimat- oder Wohnsitzrecht88 nicht als Zeuge auszusagen braucht. Allen Zeugnisverweigerungsrechten89 ist gemeinsam: Sie wollen bestimmte Bereiche des menschlichen Lebens vor Aufdeckung im Prozess schützen. Im Vordergrund steht nicht die Verkürzung der Wahrheitsermittlung; diese wird lediglich als Nebeneffekt in Kauf genommen. Da mit dem Zeugnisverweigerungsrecht allein der Schutz bestimmter Privat- bzw. Berufsbereiche intendiert wird und keinerlei Bezug zum Streitgegenstand besteht, fehlt es an einer Verflechtung mit der lex causae. Daher ist immer nur die lex fori anzuwenden.90 2311 Exkurs: Soweit die Beweisaufnahme nicht der Vorbereitung einer Sachentscheidung eines deutschen Gerichts dient, sondern im Wege der Rechtshilfe für ein im Ausland anhängiges Verfahren durchgeführt wird, bringt das HBÜ ein zeugenfreundliches Konzept, das voraussichtlich auch auf die staatsvertraglich nicht geregelten Bereiche der Rechtshilfe (mittelfristig) ausstrahlen wird: Nach Art. 11 HBÜ (Rz. 2509) kann der Zeuge nicht nur auf die lex fori, sondern auch auf das Recht des ersuchenden Staates (also des Staates, in dem der Rechtsstreit 85 Schack, IZVR6, Rz. 760; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 590 Fn. 1824. In den USA sind z.B. auch juristische Personen – durch ihre Repräsentanten – zur Aussage verpflichtet, FRCP 30 [B] [6], Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 153, 155; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 98. Zu § 320 Ziffer 1 österr. ZPO s. z.B. Schneider, Der Minderjährige als Zeuge, in Clavora/Garber (ed.), Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, 243. 86 Grasmann, ZZP 83 (1970), 219; Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 590 Fn. 1825. 87 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 11 HBÜ Rz. 7. 88 Anders z.B. das US-am. Recht, F.R.Ev. 501; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 125; hierzu auch Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 266. 89 Rechtsvergleichend v. Bodungen/Jestaedt in FS Stiefel, 1987, 81; Stürner in FS Stiefel, 1987, 773; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 124, 126 Fn. 66, 210; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 166, 191, 203. 90 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 597; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 599.
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anhängig ist, für den die Beweisaufnahme durchgeführt wird) rekurrieren, wenn er sich auf sein Recht zur Aussageverweigerung oder auf sein Aussageverbot berufen will (Rz. 2509).91 Ob nach dem ausländischen Recht ein Weigerungsrecht besteht, hat der deut- 2312 sche Richter zu entscheiden. Aus Art. 3 II HBÜ folgt nichts Gegenteiliges.92 Verschwiegenheitspflicht: Mitunter kennen die Rechtsordnungen der US-Bun- 2313 desstaaten eine Beweislastumkehr zu Lasten derjenigen Partei, die den zur Verschwiegenheit verpflichteten Zeugen nicht von seiner Pflicht entbinden will.93 Derartige Vorschriften regeln eine Verkürzung der Wahrheitsermittlung und sind materiell-rechtlich verflochten. Sie gehören in den Zuständigkeitsbereich der lex causae.94 (Vgl. aber Rz. 2342). Dagegen ist das Zeugnisverweigerungsrecht der lex fori zu entnehmen (Rz. 2310). 2314 Kennt die lex fori kein Zeugnisverweigerungsrecht, so taucht die Frage der Beweislastumkehr selbst dann nicht auf, wenn die lex causae eine solche vorsieht. Geht die lex fori von der Zeugnisverweigerungsmöglichkeit aus, dann kann eine Beweislastumkehr der lex causae angewandt werden. Kann der Betroffene nach der lex fori den Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht nicht befreien95, so besteht keine Veranlassung zur Beweislastumkehr. Beispiel: 2315 Das englische Recht kennt kein Zeugnisverweigerungsrecht für Verhältnisse zwischen Arzt und Patient, folglich auch keine Beweislastumkehr.96
Kennt die lex fori kein Zeugnisverweigerungsrecht, würde sich der Zeuge aber 2316 nach einem anderen Recht (z.B. nach seinem Heimatrecht) durch eine Aussage strafbar machen, sollte man von einer Sanktion für die Verletzung der Zeugnispflicht absehen (im Hinblick auf die Unfähigkeit des Zeugen, seiner Zeugenpflicht nachzukommen).97 Verbot des Zeugenbeweises: Für den Beweis bestimmter rechtsgeschäftlicher 2317 Schuldverhältnisse fordern Art. 1341, 1985 Code civil (Rechtsgeschäfte mit einem Gegenstandswert von mehr als 1500 Euro)98, Art. 2721 Codice civile und 91 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 303, 417. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 11 HBÜ Rz. 1. 92 A.A. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 303 Fn. 14 und 247; Lord Denning im Fall Westinghouse, der meinte, über das englische Privileg entscheide das Rechtshilfegericht in London, über das amerikanische (Vth Amendment) das US-Gericht. 93 Ähnlich die dt. Rspr., wenn für die Nichtentbindung kein plausibler Grund vorliegt, OLG München v. 30.10.1985 – 7 U 1915/85, NJW-RR 1987, 1021; OLG Frankfurt v. 19.9.1979, NJW 1980, 2758. 94 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 385, 591. 95 S. auch Nagel/Gottwald, IZPR6, § 10 Rz. 80, 105 ff. für das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes. 96 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 591. 97 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 592. S. auch Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, 2004, 136. 98 Näher Schack, IZVR6, Rz. 763 ff.; Staudinger/Winkler von Mohrenfels, 2007, Art. 11 EGBGB Rz. 141; Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Internationales Vertragsrecht2,
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sec. 4 Statute of frauds eine Urkunde, auch wenn für die entsprechenden rechtsgeschäftlichen Erklärungen kein Formzwang besteht.99 2318 Das Verbot des Zeugenbeweises wurde im englischen Recht immer mehr eingeengt. Während sec. 4 Statute of frauds 1677 für alle Verträge Beweis durch die Vertragsurkunde verlangte, gilt dies heute nur noch für Grundstücksgeschäfte100 und für einige andere Geschäfte gem. sec. 1 Law Reform (Enforcement of Contracts) Act 1954.101 2319 Die kollisionsrechtliche Einordnung der Notwendigkeit des Urkundenbeweises für Rechtsgeschäfte war lebhaft umstritten. Die einen favorisierten die lex fori, andere qualifizierten diese Normen als Formvorschriften (so die h.M. in Deutschland), wieder andere stellten auf die Funktion dieser Regeln ab und ordneten diese der lex causae (Schuldstatut) zu (s. Rz. 2329). 1986 hat der Gesetzgeber gesprochen: Art. 32 III 2 EGBGB a.F. bzw. nunmehr Art. 18 II der Rom I-VO102 kumuliert die lex fori mit dem Formstatut (Rz. 2329). 2320 Ladung von Zeugen im Ausland (Rz. 2388): Die völkerrechtlichen Grenzen wurden bereits in Rz. 379 diskutiert. Die Ladung von Zeugen, die sich im Inland aufhalten, und die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des Ausbleibens ist kraft Gebietshoheit völkerrechtlich unbedenklich, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Zeugen.103 Gegen deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz/ Aufenthalt im Ausland können nach allgemeinem Völkerrecht (Personalhoheit) Zwangsmaßnahmen im Inland angedroht werden. Doch fehlt eine gesetzliche Grundlage. Auch wenn man § 377 ZPO für „weltweit anwendbar“ hält, greifen doch in den allermeisten Fällen §§ 375 I Nr. 2 bzw. Nr. 3, 381 ZPO. Ausländer mit Wohnsitz bzw. Aufenthalt im Ausland können nur gebeten werden, freiwillig im Inland zu erscheinen. Die Androhung von Zwangsmaßnahmen gegen ihr inländisches Vermögen wäre völkerrechtswidrig. Bestritten ist, ob Zeugenladun-
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Art. 11 Rom I-VO Rz. 54; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 309; Rouhette in Nagel/Bajons, Grundzüge des zivilprozessualen Beweisrechts in Europa, 2003, 184; Spellenberg in MüKo.BGB5, Art. 11 EGBGB Rz. 37 ff.; Ausnahme: Art. 109 Code de commerce, hierzu z.B. Teske, Der Urkundenbeweis im französischen und deutschen Zivil- und Zivilprozessrecht, 1990, 44 ff.; Erman/Hohloch, BGB14, Art. 11 EGBGB Rz. 14; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 1011. Diese Bestimmungen gehen zurück auf die Ordonnance de Moulin 1566 und den Statute of frauds 1677; beide entstanden aus dem Misstrauen gegen den Zeugenbeweis. Nachw. für die Verbreitung des Verbots des Zeugenbeweises bei Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 20; Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 446; Donath, IPRax 1994, 333; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, 127 ff.; Zellweger, Die Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 1990, 89; s. auch Schack, IZVR6, Rz. 763 ff. Sec. 40 Law of property Act 1925. Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 446, 456; Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 20. Das englische Statute of frauds 1677 ist von den meisten US-Einzelstaaten übernommen und in einigen Staaten bis heute, wenn auch mit Änderungen, in Kraft. VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, 6. E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 241, 249.
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gen direkt durch die Post (Rz. 416) versandt werden dürfen104 oder ob – sofern eine Zustellung durch den deutschen Konsul nicht möglich ist – ausländische Rechtshilfe außerhalb des Anwendungsbereichs von § 183 I Satz 2 Alt. 1 und Abs. V ZPO (Direktzustellung durch die Post) in Anspruch genommen werden muss.105 Vernehmung von Zeugen im Auftrag ausländischer Gerichte (Rechtshilfe): Die 2321 Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung gelten nur für Verfahren, die auf eine Entscheidung durch deutsche Gerichte intendieren, aber nicht für Zeugenvernehmungen, welche die deutschen Gerichte im Rahmen der Rechtshilfe oder ein Beauftragter des ausländischen Gerichts für ein im Ausland schwebendes Verfahren durchführen. Die ZPO bietet daher keine Handhabe, gegen einen nicht bereiten Zeugen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen (Rz. 2445). Gesetzliche Grundlage für solche Maßnahmen sind vielmehr – im Rahmen der völkervertraglich vereinbarten Rechtshilfe – die Zustimmungs- und Ausführungsgesetze zu den völkerrechtlichen Verträgen und Übereinkommen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verträge fehlt es aber an einer Grundlage für Zwangsmaßnahmen.106 Anders ist es im Anwendungsbereich der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung (Rz. 245c). Hier ist das europäische Unionsrecht (Art. 13 EuBeweisVO) die Basis für Zwangsmaßnahmen. Exkurs: Anerkennungsstadium: Gewährt das Recht des Erststaates ein Zeugnis- 2322 verweigerungsrecht, welches das deutsche Recht nicht kennt, so ist dies für sich allein kein Grund, die Anerkennung zu verweigern, wenn das Zeugnisverweigerungsrecht tatsächlich in Anspruch genommen worden ist.107 Das Gleiche gilt im umgekehrten Fall: Das deutsche Recht kennt ein Zeugnisverweigerungsrecht, im Erststaat wurde ein solches jedoch nicht gewährt.108 3. Sachverständige Maßgeblich ist die deutsche lex fori (§§ 402 ff. ZPO). Dies gilt insbes. für die Un- 2323 terscheidung zwischen Zeugen und Sachverständigen.109 Direkte Zwangsmaßnahmen gegen sich im Ausland aufhaltende Sachverständige sind unzulässig (Rz. 2381).110
104 Vgl. G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 288 ff. 105 In Strafsachen ist die Ladung durch die Post (§ 37 II StPO) z.B. in Art. 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens (Schengen II) zugelassen, Schomburg, NJW 1995, 1931; Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 112, 125. 106 Anders z.B. die Rechtslage in den USA, wo 28 U.S.C. §§ 1781, 1782 generell – ohne Rücksicht auf einen Staatsvertrag – eine rechtliche Grundlage für Zwangsmaßnahmen geben, Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 217. 107 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 595. 108 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 595. 109 S. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 187 ff. 110 Zur Stellung des Sachverständigen im Zivilprozess in den USA Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 134; s. auch Tiwisina, Sachverständigenbeweis im deutschen und englischen Zivilprozess, 2005.
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4. Parteivernehmung 2324 Die Parteivernehmung ist im deutschen Recht nur ein subsidiäres Beweismittel, § 445 ZPO; dagegen zählen andere Rechtsordnungen (z.B. die der US-Bundesstaaten) die Parteien zu den Zeugen.111 Viele Gesetzgeber halten die Aussage der Partei für weniger glaubwürdig als die eines Zeugen. Im common law will man dem mit obligatorischer Vereidigung begegnen. Im Übrigen gibt es im adversary system (Rz. 84) nur die von der Partei gestellten, vorbereiteten und bezahlten Zeugen und Sachverständigen, die genauso „parteilich“ sind wie die Partei selbst.112 2325 Die Parteivernehmung bestimmt sich stets nach der deutschen lex fori.113 Der formelle Parteieid und die damit verbundene Bindung des Richters an die Bekundung einer Partei wurde in Deutschland bereits durch die ZPO-Novelle 1924 abgeschafft. Anders noch der romanische Rechtskreis114: Leistet die Partei den ihr zugeschobenen Eid, so ist der Richter daran gebunden. Diese Normen sind für die deutschen Richter unbeachtlich (Rz. 2339). 5. Urkunden 2326 Auch der Beweis durch eine Urkunde wird nach der deutschen lex fori beurteilt.115 Dies gilt nach h.M. auch für die Beweiskraft öffentlicher Urkunden, da es um die Einengung der freien Beweiswürdigung des (deutschen) Richters gehe.116 Die Gegenmeinung will wegen der engen Verbundenheit von materiellem und Verfahrensrecht den Umfang der einer Urkunde beizumessenden Beweiskraft nach dem Recht des Errichtungsstaates der Urkunde beurteilen.117 Die Vermutung der Echtheit (§ 437 ZPO) gilt für ausländische öffentliche Urkunden nur nach Maßgabe von § 438 II ZPO. Zu Art. 59 EuErbVO s. unten Rz. 2330 ff.
111 Rule 601 F.R.Ev.: „Every person is competent to be a witness except as otherwise provided in the rules.“ Nachw. z.B. bei Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 176. 112 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 149; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 184 Fn. 18, 314; Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozess, 1967, 302. Umfassende Nachw. bei Timmerbeil, Witness Coaching und Adversary System: Der Einfluss der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten auf Zeugen und Sachverständige im deutschen und US-amerikanischen Zivilprozess, 2004. Einschränkend jedoch nunmehr in England Part 32–35 CPR. 113 Zustimmend OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, RIW 1994, 513 = IPRax 1996, 33, 35 (D. Otto 22) = IPRspr. 1994 Nr. 2. 114 Perrot in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, 1983, 108; ausführlich Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269 (272); Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295; Sutter-Somm, ZZP 113 (2000), 327; Rouhette in Nagel/Bajons, Grundzüge des zivilprozessualen Beweisrechts in Europa, 2003, 186. 115 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 474. 116 Neumayer, RabelsZ 43 (1979), 225 (236). 117 Bungert, IPRax 1998, 339 (347); wohl auch Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 535 ff.
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Die prozessuale Verpflichtung der Parteien, Urkunden vorzulegen118, richtet 2327 sich nach der deutschen lex fori. Dies gilt insbes. für den Beweis durch Urkunden, die sich im Besitz des Prozessgegners befinden, §§ 142, 423 ZPO.119 Davon unberührt bleiben nach der lex causae zu behandelnde materiell-rechtliche Verpflichtungen aus Vertrag oder Gesetz (z.B. auf Auskunftserteilung).120 (Vgl. auch Rz. 440). Hinsichtlich des Unterschieds zwischen öffentlichen und privaten Urkunden 2328 besteht weitgehende Übereinstimmung im deutschen und französischen Recht (§ 415 ZPO, Art. 1317 Code civil).121 Einen völlig anderen Begriffsinhalt hat das public document in den anglo-amerikanischen Rechten, da diese an den kontinentaleuropäischen Rechtsentwicklungen des Lateinischen Notariats nicht partizipiert haben. Eine öffentliche Urkunde in diesem Sinne ist nur dann gegeben, wenn sich die Urkunde auf eine öffentliche Angelegenheit (public matter) bezieht und von einem public officer in seiner offiziellen Funktion ausgestellt ist. Das englische Recht verlangt außerdem, dass die öffentliche Urkunde der Öffentlichkeit zugänglich ist. Innerhalb der öffentlichen Urkunden unterscheidet man zwischen records, register certificates, judicial records etc.122 Notwendigkeit des Urkundenbeweises für Rechtsgeschäfte: Die doctrine moder- 2329 ne in Frankreich123 favorisiert eine Kumulation der Beweismittel. Sie wendet grundsätzlich die lex fori an, lässt aber daneben die lex loci actus zu, so dass stets das liberalere der beiden Rechte angewendet wird. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die rule of validation im common law.124 Diese Lehren sind in Art. 14 II des Römischen Schuldvertragsübereinkommens 1980 (= Art. 32 III 2 EGBGB a.F.) und nunmehr in Art. 18 Rom I-VO sowie in Art. 22 II Rom II-VO übernommen worden (Rz. 2303). Für den Nachweis eines Rechtsgeschäfts sind danach Beweismittel des deutschen Verfahrensrechts (lex fori) und darüber hinaus solche des Formstatuts zugelassen, also nach Art. 11 EGBGB grundsätzlich die lex causae und die lex loci actus. Der Beweis kann aber nicht mit einem Beweismittel geführt werden, welches dem deutschen Recht fremd ist (Rz. 1982).
118 §§ 142 I, 143, 273 II Nr. 1 und 2, 423 ZPO. Dabei kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit an, ebenso nicht darauf, ob die Partei im In- oder Ausland wohnt bzw. ihren Sitz hat, Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 148; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129. 119 Hierzu z.B. Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 24 ff. Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei vom Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333 = BGHR 2007, 982 (Laumen). Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. S. auch Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der Zivilprozessordnung, 2008; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010. 120 Anders z.B. das US-Recht, Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 418; Schlosser, JZ 1991, 599. 121 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 420. 122 Nachw. bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 421. 123 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 147 ff. 124 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 503.
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2329a Nach der in vielen anglo-amerikanischen Rechtsordnungen verbreiteten parol evidence rule (Notwendigkeit des Urkundenbeweises für Vertragsergänzungen und -änderungen) kann die Behauptung, dass der Inhalt einer schriftlichen Übereinkunft durch andere Absprachen ergänzt oder geändert wurde oder nicht, dem tatsächlich Vorgebrachten entspricht, nur durch weitere Urkunden, nicht aber durch andere Beweismittel bewiesen werden.125 Diese Regel ist auch vom deutschen Richter im Rahmen der lex causae-Verweisung zu beachten.126 Im deutschen Recht besteht zwar auch die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Urkundentextes bei schriftlichen Verträgen. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. 2330 Exkurs: „Annahme“ ausländischer öffentlicher Urkunden in Erbsachen gem. Art. 59 EuErbVO127: Hier geht es um die Annahme (acceptance) ausländischer öffentlicher Urkunden, die in einem anderen Mitgliedstaat errichtet worden sind.128 Dies ist eine wichtige Klarstellung: Der Entwurf der Kommission war da noch vollmundiger: Dort war noch von „Anerkennung öffentlicher Urkunden“ die Rede. Da man befürchtete, mit der Anerkennung habe die Kommission die generelle Anerkennung von Rechtslagen im Sinn mit der Folge, dass z.B. die materielle Wirksamkeit eines von einem Notar in Frankreich beurkundeten Testaments in Deutschland hätte nicht mehr überprüft werden können, wurde der Begriff Anerkennung durch den der Annahme ersetzt. Es handelt sich also bei dem Terminus Annahme um eine bewusste und gezielte Reduktion. 2330a Trotzdem gibt es immer noch Stimmen, welche die klare Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zugunsten der klassischen kollisionsrechtlichen Methode, d.h. weg von der schleichenden Annäherung an die das IPR verdrängende Anerkennung von Rechtslagen, nicht akzeptieren wollen.129 Sie behaupten z.B., die von der lex causae angeordnete Bindungswirkung eines Erbvertrags ergebe sich in den übrigen Mitgliedstaaten nicht aus der Maßgeblichkeit des nach Art. 25 EuErbVO bestimmten Errichtungsstatuts, sondern aus der „Annahme“ des konkreten Erbvertrags gem. Art. 59 EuErbVO, insbes. auch in den Mitgliedstaaten, deren Erbrecht bindende Verfügungen von Todes wegen nicht zulässt. 2330b Art. 59 EuErbVO betrifft nur die formelle Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde. Erfasst wird allein das instrumentum (d.h. gewissermaßen die Urkunde als „Mantel“), nicht das negotium (also nicht die Wirksamkeit des in der Urkunde angesprochenen Rechtsverhältnisses). Aus Absatz 3 i.V.m. dem 63. Erwägungsgrund, der u.a. vom Inhalt der Urkunde handelt, kann nicht das Gegenteil herge125 Hierzu z.B. Spellenberg in MüKo.BGB5, Art. 11 EGBGB Rz. 44. 126 Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 521, 538. 127 Zum Folgenden R. Geimer, Die „Annahme“ ausländischer öffentlicher Urkunden in Erbsachen gem. Art. 59 EuErbVO in Dutta/Herrler, Europäische Erbrechtsverordnung, 2014, 143. Ausführliche Nachw. zur Entstehungsgeschichte bei Bonomi/Wautelet, Le droit européen des succession – Commentaire du Reglement no 650/2012 du 4.7.2012, 2013; Dutta in MüKo.BGB6, EuErbVO (im Erscheinen); Kleinschmidt, RabelsZ 77 (2013), 723; M. Volmer, Rpfleger 121 (2013), 421. 128 Die VO gilt nicht für Dänemark, Irland und das Vereinigte Köngreich. 129 Hierzu Buschbaum in FS Martiny, 2014, 259 (261).
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leitet werden. Ganz im Gegenteil macht der IPR-Hinweis in Absatz 3 Satz 1 HS 2 des Art. 59 nochmals ganz deutlich, dass es keine Rechtslagenanerkennung gibt. Abgrenzung zum Formstatut: Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden – gleich ob 2330c inländische oder ausländische – ist klar zu trennen von den Formanforderungen des nach den IPR-Regeln anzuwendenden materiellen Rechts. Es gibt keinen Gleichlauf zwischen den Anforderungen an den Nachweis der Existenz von Erklärungen und den Voraussetzungen für deren Formwirksamkeit. Art. 59 EuErbVO gilt nur für öffentliche Urkunden aus anderen EU-Mitgliedstaa- 2330d ten. Öffentliche Urkunden kennen immerhin 22 der 28 EU-Mitgliedstaaten. Unbekannt ist die öffentliche Urkunde nur den Rechtssystemen Dänemarks, Finnlands, Irlands, Schwedens, Zyperns und des Vereinigten Königreichs. Hinsichtlich (funktional ähnlicher) Urkunden bzw. Rechtsakte, die aus diesen Mitgliedstaaten stammen, z.B. deeds aus dem common law-Bereich, begründet Art. 59 EuErbVO keine Annahmepflicht für die übrigen Mitgliedstaaten. Umgekehrt sind Finnland, Schweden und Zypern verpflichtet, ohne Wenn und Aber öffentliche Urkunden aus den übrigen 22 Mitgliedstaaten (d.h. Urkunden in der Tradition des Lateinischen Notariats) gem. Art. 59 EuErbVO anzunehmen.130 Ohne Bedeutung ist der Errichtungsort, sofern die völkerrechtlichen Grenzen 2330e staatlicher Souveränität gewahrt sind. Eine z.B. in Berlin oder Frankfurt/M. errichtete konsularische Urkunde ist dem jeweiligen Entsendestaat zuzuordnen. Für Urkunden, die aus Nichtmitgliedstaaten stammen, zu denen auch Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich zählen, gilt das autonome internationale Verfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedstaates. Art. 59 EuErbVO ist allerdings immer dann anzuwenden, wenn es in einem in den Anwendungsbereich des Art. 1 EuErbVO fallenden Verfahren um die Beweiskraft einer aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden öffentlichen Urkunde (Art. 3 I 1 lit. i EuErbVO) geht und keine Bereichsausnahme des Art. 1 II EuErbVO greift. Es kommt nicht darauf an, ob ansonsten ein Bezug zu diesem Mitgliedstaat be- 2330f steht. Auch wenn alle Beteiligten (außer dem Erblasser) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtmitgliedstaat haben und auch sonst keine Bezüge zum geografischen Anwendungsbereich der Erbrechtsverordnung bestehen, ist die Beweiswirkung nach Art. 59 EuErbVO zu beurteilen, wenn in einem nach Art. 4 ff. EuErbVO international zuständigen Mitgliedstaat anhängigen Verfahren eine öffentliche Urkunde aus einem anderen Mitgliedstaat vorgelegt wird. Beispiel: 2330g Ein Schweizer mit Heimatrecht im Kanton Basel-Stadt und gewöhnlichem Aufenthalt (zum Zeitpunkt seines Todes) in Hamburg hatte sein Testament vor einem Notar im (damals) nahe gelegenen Elsass errichtet. Für dieses gilt Art. 59 EuErbVO. Ansonsten sind im deutschen Nachlassverfahren nur deutsche und schweizerische Urkunden entscheidungsrelevant. Für erstere gilt § 437 ZPO und für letztere § 438 ZPO.
Der Begriff der öffentlichen Urkunde ist autonom, also europaweit unionsein- 2330h heitlich zu bestimmen. Als öffentliche Urkunde definiert Art. 2 I lit. i EuErbVO 130 Das Gleiche gälte für Irland und das Vereinigte Königreich nach einem eventuellen opt-in. Vice versa wären deeds nicht unter Art. 59 EuGVVO zu subsumieren.
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ein Schriftstück in Erbsachen, das als öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft erstens sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und zweitens durch eine Behörde oder eine andere vom Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist. 2330i Soweit die Bereichsausnahmen des Art. 1 II EuErbVO reichen, kommt Art. 59 EuErbVO nicht zum Zuge. Dies gilt z.B. für Personenstandsurkunden gem. Art. 1 II lit. a EuErbVO. 2330j Anwendungsbereich der Verordnung: Art. 1 I EuErbVO erfasst alle Bereiche der Rechtsnachfolge von Todes wegen. Gem. Art. 3 I lit. a und Art. 23 EuErbVO sind dies die gesetzliche und gewillkürte Erbfolge, die Pflichtteils- bzw. Noterbrechte, die Modalitäten des Anfalls und des Übergangs des Nachlasses vom Erblasser auf die Erben bzw. sonstigen Bedachten, die Erbenhaftung und – je nach rechtstechnischer Ausgestaltung außerhalb des konsensualen Bereichs – möglicherweise auch die Erbauseinandersetzung. Weiter ist für gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Ausgleichungs- und Anrechnungspflicht das Erbstatut maßgeblich und nicht das Vertragsstatut. Letzteres gilt aber im Übrigen für Zuwendungen inter vivos (Art. 23 II lit. i EuErbVO). Die Erbrechtsverordnung erfasst nicht lebzeitige Zuwendungen, einschließlich solcher in Form von Verträgen zu Gunsten Dritter auf den Todesfall, Erwerb aufgrund von Anwachsungsrechten und sonstigen Rechtsübergang nach Gesellschaftsrecht (Art. 1 II lit. g und h EuErbVO). Auch die vertragliche Erbauseinandersetzung nach dem Modell des deutschen Rechts fällt nicht mehr unter Art. 1 EuErbVO. 2330k Für die Schenkung auf den Todesfall kommt allerdings als spezielle Form eines „Übergangs von Vermögenswerten von Todes wegen“ (Art. 3 I lit. a EuErbVO) die Verordnung zur Anwendung. Ganz schwierig ist die Abgrenzung in Richtung des ehelichen Güter- und Unterhaltsrechts (Art. 1 II lit. d und e EuErbVO). 2330l Auf den hier angedeuteten verschwimmenden Grenzlinien sind Verfahren denkbar, wo Teilaspekte des Verfahrensgegenstandes nach den Regeln der Verordnung und damit (in beweisrechtlicher Hinsicht) auch nach Art. 59 EuErbVO entschieden werden müssen, andere dagegen nicht.131
131 Ein klassischer Anwendungsfall für Art. 59 EuErbVO kann in der Praxis das notarielle Testament sein: Aufgrund der „Annahme“ eines in Frankreich beurkundeten Testaments steht in einem Nachlassverfahren bzw. Zivilprozess für den deutschen Richter zunächst fest, dass der Erblasser zum in der Urkunde angegebenen Zeitpunkt beim beurkundenden Notar war und die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen abgegeben hat. Das ist aus deutscher Sicht nichts Neues, weil § 418 ZPO auch für ausländische Urkunden gilt (und im Verhältnis zu Frankreich schon bisher eine Apostille nicht erforderlich ist). In anderen Mitgliedstaaten kann dies aber durchaus anders sein. Dort führt erst Art. 59 EuErbVO zu dem Ergebnis, dass eine ausländische öffentliche Urkunde Beweiskraftwirkungen entfalten kann. Eine andere Frage ist dagegen, ob die anzunehmende Urkunde formwirksam ist. Eine Überschneidung von Art. 27 EuErbVO (Formstatut) und Art. 59 EuErbVO scheidet aus. So kann für den deutschen Richter zwar feststehen, dass der Erblasser eine Urkunde am Tag X in Frankreich errichtet hat, diese aber – wenngleich aufgrund des favor testamenti selten – formal unwirksam ist. Denkbar erscheinen beim „Export“ deutscher Urkunden beispielsweise Verstöße
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Zwei Fragenkomplexe darf man im Urkundenrecht nicht miteinander ver- 2330m mischen, nämlich erstens die Prüfung der Echtheit einer öffentlichen Urkunde, die aus einem anderen Staat stammt, und zweitens die Beweiskraft einer als echt befundenen öffentlichen Urkunde. Hier wirbelt der europäische Gesetzgeber im 62. Erwägungsgrund einiges durcheinander: „Die ‚Authentizität‘ einer öffentlichen Urkunde sollte ein autonomer Begriff sein, der Aspekte wie die Echtheit der Urkunde, die Formerfordernisse für die Urkunde, die Befugnisse der Behörde, die die Urkunde errichtet, und das Verfahren, nach dem die Urkunde errichtet wird, erfassen sollte. Der Begriff sollte ferner die von der betreffenden Behörde in der öffentlichen Urkunde beurkundeten Vorgänge erfassen, wie z.B. die Tatsache, dass die genannten Parteien an dem genannten Tag vor dieser Behörde erschienen sind und die genannten Erklärungen abgegeben haben.“
Weltweit ist anerkannt: Die kollisionsrechtlichen Verweisungen erfassen nicht 2330n das Verfahren (Rz. 319). Für das Verfahren vor den Gerichten und sonstigen Justizbehörden gilt nicht die vom IPR berufene lex causae, sondern die lex fori. Die Europäische Union hat keine generelle Regelungsbefugnis für das gerichtliche Verfahren. Art. 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht eine solche nicht vor. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bleibt unberührt. Diese sind lediglich verpflichtet, das Unionsrecht nach dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsprinzip in ihren nationalen Verfahren zum Vollzug zu bringen.132 Der europäische Gesetzgeber darf allenfalls eingreifen zur Regelung internationaler Sachverhalte.133 Dies gibt Anlass zu einer restriktiven Auslegung des Art. 59 EuErbVO. Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden bedeutet im Ergebnis eine – je nach de- 2330o ren Ausgestaltung gegebenenfalls massive – Einschränkung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung.134 Wir bewegen uns also auf der Ebene der lex fori des jeweiligen Gerichtsstaats135, wo die Regelungsbefugnisse der Europäischen Union nach dem eben Gesagten einer besonderen Begründung bedürfen, auch wenn dies die Kommission und der Europäische Gerichtshof vielleicht nicht so deutlich sehen, weil die Europäisierung der nationalen Verfahrensautonomie ihren Intentionen näher ist. Dies bedeutet, dass generell für den jeweiligen Gerichtsstaat, d.h. den Mitglied- 2330p staat, in dem das Verfahren anhängig ist, ausländische Beweismittelbeschränkungen unbeachtlich sind136, und damit auch solche, die aus der Beweiswirkung ausländischer öffentlicher Urkunden resultieren, es sei denn, es handelt
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gegen Mussvorschriften des Beurkundungsverfahrens, die das beurkundete Rechtsgeschäft bei zwingendem Beurkundungserfordernis zumindest nach der lex loci actus formunwirksam werden lassen, aber die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde nicht verlieren. Hess, EuZPR, 2010, § 2; Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 155. Art. 59 EuErbRVO verweist auf das Recht des Errichtungsmitgliedstaates (aus dem die öffentliche Urkunde stammt). Vgl. auch Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 10. Rauscher/von Hein, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 18 Rom I-VO Rz. 3; Magnus in Staudinger, Internationales Vertragsrecht2, Art. 18 Rom I-VO Rz. 34; Schack, Internationales Verfahrensrecht6, Rz. 779. Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Vor § 415 Rz. 17.
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Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
sich bei unionseinheitlicher autonomer Qualifikation in Wahrheit um eine verkappte materiell-rechtliche Formvorschrift.137 Dann ist sedes materiae aber nicht Art. 59, sondern Art. 27 EuErbVO bzw. das nach Art. 75 EuErbVO vorrangig anzuwendende Haager Testamentsabkommen aus dem Jahre 1961. Über das Verhältnis zwischen Formstatut und Beachtung der Beweiskraft ausländischer Urkunde hat treffend Schack138 Folgendes sinngemäß konstatiert: Das Formstatut, also z.B. in Deutschland Art. 11 EGBGB, schützt nur das Vertrauen auf die Formgültigkeit des Rechtsgeschäfts, wenn die Ortsform eingehalten ist. Auch Art. 18 II Rom I-VO und Art. 22 II Rom II-VO regeln nicht die Beweiswirkung ausländischer Urkunden.139 Sie erleichtern durch Zulassung von Beweismitteln eines fremden Verfahrensrechts den Beweis, dass die Form eingehalten wurde. Dieser Vertrauensschutz geht aber nicht so weit, den Richter an die Beweiskraftregeln einer ausländischen lex loci actus zu binden. Unanwendbar ist z.B. in einem deutschen Verfahren Art. 1328 franz. Code civil, der aus Angst vor Falschdatierungen das Datum einer Privaturkunde erst ab deren Registrierung bzw. ab dem Tod des Ausstellers gegenüber Dritten wirken lässt.140 2330q Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht – d.h. außerhalb des Anwendungsbereichs spezieller völkervertraglicher Vereinbarungen – muss kein Staat die Beweiswirkung ausländischer öffentlicher Urkunden beachten, er muss sie insbes. nicht seinen eigenen öffentlichen Urkunden gleichstellen. Eine Alles- oder Nichts-Lösung dürfte in der Staatenpraxis selten sein. Verbreitet ist vielmehr folgendes z.B. auch in Deutschland praktiziertes Konzept: Die Beweiswirkung ausländischer öffentlicher Urkunden wird – soweit der Echtheitsbeweis geführt ist – beachtet, aber nur bis zum Level der Beweiswirkung der eigenen inländischen öffentlichen Urkunden. Eine weitergehende Einschränkung der freien Beweiswürdigung der eigenen Gerichte durch ausländische Urkunden kommt nicht in Betracht.141 Umgekehrt wird der ausländischen öffentlichen Urkunde auch nicht mehr Beweiswirkung zuerkannt, als sie im Ursprungsstaat hat.142 2330r Grenzen der Wirkungserstreckung: Letzteres bringt Art. 59 I EuErbVO klar zum Ausdruck: „Eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde hat in einem anderen Mitgliedstaat die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat oder die damit am ehesten vergleichbare Wirkung, sofern dies der öffentlichen Ordnung (ordre public) des betreffenden Mitgliedstaats nicht offensichtlich widersprechen würde.“ Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Vor § 415 Rz. 19. Schack, Internationales Verfahrensrecht6, Rz. 779. Magnus in Staudinger, Internationales Vertragsrecht2, Art. 18 Rom I-VO Rz. 32. Schack, Internationales Verfahrensrecht6, Rz. 779: „Die Schwächung der (nach deutschem Recht gem. § 416 ZPO ohnehin nicht vorhandenen) Beweiskraft wirkt wie eine Beweismittelbeschränkung und unterliegt auch aus diesem Grund der lex fori.“ 141 Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 17 Vor § 415; OLG Hamm 1.10.1999 – 20 U 200/98, NJW 1999, 406 (407): Die Beweiskraft kann nicht weiter gehen, als die einer entsprechenden deutschen Urkunde. 142 Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Vor § 415 Rz. 17 und § 438 Rz. 5. Zumindest missverständlich ist die oft anzutreffende Behauptung, ausländische öffentliche Urkunden hätten dieselbe Beweiskraft wie eine inländische öffentliche Urkunde. Vgl. z.B. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 130. 137 138 139 140
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Umstritten ist, ob die Verordnung – wie im autonomen internationalen Verfah- 2330s rensrecht üblich – die Beweiswirkungen auf dem Level des Zielstaates einfriert oder ob die „Annahme“ der im Ursprungsmitgliedstaat kreierten Beweiswirkungen zu Lasten der freien richterlichen Beweiswürdigung darüber hinausgeht und nur im Falle eines offensichtlichen ordre public-Verstoßes eine (imaginäre) Grenze findet. Letzteres behauptet z.B. Dutta mit dem Hinweis, dass sonst der ordre public-Vorbehalt keinen Sinn mehr machte, wenn die ausländische Beweiswirkung bereits am Niveau der lex fori des Zielmitgliedstaates abgebremst und herunterreguliert werde.143 Er kann sich auch auf Erwägung Nr. 61 berufen, deren Schlusssatz lautet: „Somit richtet sich die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates.“ Nach der Gegenansicht ist die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nur in 2330t den Grenzen des Rechts des Zielmitgliedstaats grenzüberschreitend zu beachten. Dies ergebe sich aus der Wendung „die damit am ehesten vergleichbare Wirkung“.144 Der praktische Vorteil dieses Ansatzes bestünde darin, dass der Richter im Verwendungsmitgliedstaat das ihm unbekannte Recht des Herkunftsstaats der öffentlichen Urkunde nicht zu Rate ziehen müsste. Dies will ihm Abs. 1 Unterabs. 2 durch ein im Ursprungsmitgliedstaat erstelltes Formular abnehmen, in dem der Umfang der Beweiskraft näher beschrieben ist, der der öffentlichen Urkunde aus diesem Staat innewohnt. Doch dürften in der Praxis sich diese Bestätigungen in abstrakten und formalisierten Wendungen erschöpfen, deren geringer Erkenntniswert weitere Nachforschungen des mit der Entscheidung befassten Richters im Zielmitgliedstaat notwendig macht.145 Auf jeden Fall führt die Notwendigkeit der Erforschung ausländischer Beweiskraftwirkungen zu einer Verfahrensverzögerung, die konträr ist zu den Intentionen der Verordnung. Zudem würde die ungefilterte Erstreckung der Beweiswirkung nach dem Recht 2330u des Ursprungsmitgliedstaates dazu führen, dass im Zielstaat die Beweiswirkung einer Urkunde aus einem anderen Mitgliedstaat unterschiedlich weit reichen würde, wenn in der gleichen Erbsache unterschiedliche Rechtsquellen zu beachten wären. D.h. keine Begrenzung der Beweiswirkung der ausländischen Urkunde im Anwendungsbereich der Erbrechtsverordnung (Art. 1), jedoch Einschränkung durch die lex fori des Zielmitgliedstaates, soweit in den durch die Verordnung nicht erfassten Randbereichen das genuin nationale Verfahrensrecht zum Zuge kommt.146
143 Dutta, FamRZ 2013, 4 (14); Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 11. S. auch Wautelet in Bonomi/Wautelet, Le droit européen des succession, 2012/2013, Art. 59 N. 25. 144 Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393 (2397); Buschbaum in Hager (ed.), Die neue Europäische Erbrechtsverordnung, 2013, 39, 43; Janzen, DNotZ 2012, 484 (491). S. auch Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, 2013, 136 Rz. 284. 145 Anders wohl Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 15: „Diese Bescheinigung wird man – auch wenn die Vorschrift hierzu schweigt – als verbindlich für den ‚Annahmemitgliedstaat‘ ansehen müssen.“ 146 Als Beispiel sei auf den in Rz. 2330g erwähnten dt.-schweiz. Fall verwiesen, in dem nur eine einzige französische Urkunde präsentiert wird.
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2330v Echtheitsprüfung nur im Ursprungsmitgliedstaat. Art. 59 II EuErbVO bestimmt: „Einwände mit Bezug auf die Authentizität einer öffentlichen Urkunde sind bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats zu erheben; über diese Einwände wird nach dem Recht dieses Staates entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen Mitgliedstaat keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist.“
2330w Zweifel über die Authentizität einer öffentlichen Urkunde, zu denen nach Erwägungsgrund Nr. 62 u.a. auch die Frage der Echtheit der öffentlichen Urkunde zählt, sind mithin bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates zu erheben. Diese entscheiden nach dortigem Recht. Bis zur endgültigen Entscheidung durch die Gerichte im Ursprungsmitgliedstaat entfaltet die in Streit stehende öffentliche Urkunde im Zielmitgliedstaat keine Beweiskraft. Die Verordnung verwendet nicht ausdrücklich die Formulierung, der Ursprungsmitgliedsstaat sei ausschließlich international zuständig.147 Doch führt Art. 59 II EuErbVO zu einem solchen Ergebnis: Eine Feststellungsklage hinsichtlich der Echtheit der aus dem Ursprungsmitgliedstaat stammenden öffentlichen Urkunde148 im Zielmitgliedstaat ist unzulässig. Das Gleiche gilt auch für eine Inzidentprüfung im Zielstaat, auch wenn diese anhand des Rechts des Ursprungsmitgliedstaates erfolgt. 2330x Die Sperre des Absatzes 2 kann nicht dadurch überwunden werden, dass das Gericht im Zielmitgliedstaat einen Sachverständigen im Ursprungsmitgliedstaat mit der Prüfung der Echtheit der Urkunde beauftragt. Denn Art. 59 II EuErbVO verlangt eine gerichtliche Entscheidung. Der Sachverständige ist aber kein Gericht (Art. 3 II EuErbVO). 2330y Da erhebt sich die Frage: Was sind die anerkennungsrechtlichen Konsequenzen, wenn diese Regeln von den Gerichten außerhalb des Urkundenursprungsmitgliedstaats verletzt werden? Ist dann die Verweigerung der Anerkennung des betreffenden Judikats zwingend? Die Antwort lautet: Nein; denn die Jurisdiktionsüberschreitung ist kein im Katalog des Art. 40 EuErbVO aufgeführter Anerkennungsversagungsgrund. In Betracht kommen allenfalls lit. c und d des Art. 40 EuErbVO, wo von Urteilskollisionen die Rede ist. 2330z Keine obligatorische Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung im Errichtungsmitgliedstaat: Eine solche Aussetzung schreibt die Verordnung nicht vor. Dies ist einerseits problematisch im Hinblick auf Verfügungen des potentiellen „Scheinerben“ über Nachlassgegenstände, andererseits sinnvoll im Interesse effektiven, d.h. zeitnahen Rechtsschutzes. Zu entscheiden ist also ohne Berücksichtigung der „angefochtenen“ Urkunde, d.h. diese ist in toto zu ignorieren. Der Richter im Zielmitgliedstaat darf nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 59 II EuErbVO nicht etwa im Wege der freien Beweiswürdigung die Urkunde für echt halten und dann deren Beweiswirkung beachten. 2331 Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten in ihren Ausführungsgesetzen eine Aussetzungspflicht anordnen könnten. Eine solche wäre aber rechtspolitisch nicht zu 147 Von „alleiniger Zuständigkeit“ spricht Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 8, 16. 148 Zur Zulässigkeit solcher Klagen nach § 256 ZPO allgemein Ahrens in Wieczorek/ Schütze, ZPO4, § 437 Rz. 9.
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empfehlen. Denn dann wäre ein neuer Italian torpedo kreiert: Jeder Verfahrensbeteiligte könnte das Nachlassverfahren nach Lust und Laune ad infinitum in die Länge ziehen, wenn er durch entsprechende Echtheitsrüge gegen eine ausländische öffentliche Urkunde die Prozedur nach Art. 59 II EuErbVO im Ursprungsmitgliedstaat in Gang setzen könnte. § 45 IntErbRGRefE stellt die Aussetzung in das Ermessen des Gerichts. Ohne Aussetzungspflicht kann allerdings eine andere Problematik entstehen: Wie ist zu verfahren, wenn die im Zielstaat nach der Anordnung des Art. 59 II EuErbVO ignorierte öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat letztendlich doch für echt befunden wurde? Das deutsche Erbscheinverfahrensrecht ist da flexibel genug. Die Feststellungen des Erbscheins erwachsen nicht in materielle Rechtskraft. Wurde z.B. die Echtheit eines in Frankreich errichteten notariellen oder konsularischen Testaments bestritten und deshalb in Deutschland ein Erbschein gemäß Intestaterbfolge erteilt, kann dieser als unrichtig eingezogen und ein neuer erteilt werden, der die Verfügungen des Erblassers in seinem für echt befundenen öffentlichen Testament wiedergibt. Schwieriger wird es, wenn die Rechtsnachfolge von Todes wegen Gegenstand ei- 2331a nes Zivilprozesses war und das Urteil schon in materielle Rechtskraft erwachsen ist. § 580 Nr. 2 ZPO lässt die Restitutionsklage zu, „wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war“. Diese Vorschrift ist nicht passgenau. Denn sie hat die gegenteilige Konstellation im Auge, dass das Urteil auf eine unechte oder verfälschte Urkunde gestützt ist. Man sollte sie aber analog anwenden, weil die ratio legis auch die eben dargestellte Situation erfassen will. Noch schöner wäre es natürlich, wenn der deutsche Gesetzgeber den Gesetzestext in dem hier empfohlenen Sinne neu formulieren würde. In den vorbeschriebenen Situationen verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten zur Rechtskraftdurchbrechung. Denn andernfalls wäre das nach Art. 59 II EuErbVO im Ursprungsmitgliedstaat durchzuführende Verifikationsverfahren l’art pour l’art, wenn der Zielstaat es bei der Entscheidung zur Erbrechtslage belassen dürfte, die die im Ursprungsmitgliedstaat letztlich für echt befundene Urkunde ignoriert hat. Wie ist es aber, wenn der Ursprungsmitgliedstaat ein solches förmliches Ver- 2331b fahren gar nicht vorsieht, sondern wie z.B. im deutschen Recht (§ 418 II ZPO) den Gegenbeweis in jeder Verfahrenslage inzidenter zulässt?149 Dann macht die komplizierte Regelung des Art. 59 II EuErbVO keinen Sinn. Man sollte sie dann einfach nicht anwenden. Diese restriktive Auslegung gebietet die relativ schmale Gesetzgebungsbefugnis des Art. 81 AEUV (Rz. 245a). Dagegen will § 46 IntErbRGRefE ein Verifikationsverfahren einführen, das Vorrang vor § 256 ZPO haben soll. Bei gerichtlichen Urkunden entscheidet das Gericht, das die Urkunde errichtet hat, ansonsten das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Urkunde errichtet worden ist. Wo konsularische Urkunden anzudocken sind, lässt der Entwurf offen. Sinnvoll wäre eine Zuständigkeit bei einem Berliner Amtsgericht. 149 Zu § 418 II ZPO z.B. m.w.N. bei Zöller/Geimer, ZPO30, § 418 Rz. 4. S. auch BGH 13.11.2001 – VI ZB 9/01, NJW 2002, 521 (522).
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2331c Zu einem anderen Ergebnis käme man allerdings dann, wollte man auch in den vorgenannten Situationen ein absolutes Entscheidungsverbot außerhalb des Ursprungsmitgliedstaates in den Art. 59 II EuErbVO hineinlesen. Dann würde die Notwendigkeit der Erhebung einer Feststellungsklage in Deutschland unausweichlich.150 Die internationale Zuständigkeit Deutschlands basierte dann wohl direkt auf Art. 59 EuErbVO, ohne Rücksicht darauf, wo die beklagte Partei domiziliert ist etc. Mit der örtlichen Zuständigkeit, die die Verordnung in Art. 4 EuErbVO dem nationalen Recht überlässt, wird es dann möglicherweise eng. Dann sind kraft Unionsrechts die Gerichte der Hauptstadt örtlich zuständig, wenn der deutsche Ausführungsgesetzgeber nichts anderes stipuliert hat.151 2331d Unklar ist der Sinn und Zweck des Art. 59 II EuErbVO. Die Einzelheiten der Gesetzgebungsgeschichte liegen zwar weitgehend im Dunkeln. Pate stand das Modell des französischen procedure d’inscription de faux contre les actes authentiques gem. Art. 303 ff. nouveau code de procedure civile, wobei man nicht die inscription incidente, sondern die inscription principale im Auge hatte. Die auch nach französischem Recht mögliche Inzidentkontrolle öffentlicher Urkunden152 wird in diesem Zusammenhang schlichtweg „ausgeblendet“. Man wollte die Echtheitsprüfung durch einen mit dem Urkundsrecht des Ursprungsmitgliedstaats nicht vertrauten ausländischen Richter bei grenzüberschreitenden Vorgängen schlicht und einfach verhindern und hat sie deshalb für politisch unerwünscht erklärt. Von dem uneingeschränkten gegenseitigen Vertrauen in die Justiz aller Mitgliedstaaten und in deren Produkte, das ansonsten überall nahezu hymnisch besungen wird, ist da auf dem unscheinbaren Rechtsgebiet der öffentlichen Urkunden wenig bis nichts übrig geblieben. 2331e In der Literatur bisher nicht behandelt wird die an sich naheliegende Frage: Muss die im Ursprungsmitgliedstaat zur Echtheitsfrage ergangene Entscheidung ohne Wenn und Aber hingenommen werden oder darf bzw. muss die Anerkennungsfrage nach Art. 39 ff. EuErbVO gestellt werden? Oder ist es vielleicht möglich und auch ausreichend, gegen eine aberwitzige Entscheidung aus dem Ursprungsmitgliedstaat den ordre public-Vorbehalt des Art. 59 I EuErbVO in Stellung zu bringen? Die die Echtheit bestätigende Entscheidung wirkt auf jeden Fall nur inter partes des Verifikationsverfahrens im Ursprungsmitgliedstaat. Doch wie ist es vice versa, wenn die Unechtheit festgestellt wird? 2331f Wie ist zu verfahren, wenn für das mit der Erbsache befasste Gericht feststeht, dass die für die Entscheidung relevante Urkunde evident unecht ist, aber keiner der (ggf. kollusiv agierenden) Beteiligten ein Verfahren nach Absatz 2 im Ursprungsmitgliedstaat in Gang setzt? Kann dann das Gericht kraft Unionsrecht von sich aus ein Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat starten oder ist es in solchen Situationen befugt, kurzerhand mit der ordre public-Keule zu hantieren, um die Beurteilungssperre des Absatzes 2 zu beseitigen?
150 Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 18 sieht „womöglich Bedarf für eine Ausführungsgesetzgebung“. 151 Geimer, WM 1976, 831; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, Art. 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 179. 152 Art. 306 -313 nouveau code de procedure civile.
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Dutta meint, es müssten auch unechte Urkunden angenommen werden, solange 2331g ihre Unechtheit noch nicht im Ursprungsmitgliedstaat geltend gemacht wurde. „Das kann zu der bemerkenswerten Situation führen, dass etwa eine unechte Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat zwar keine Beweiskraft zeitigt (weil sie unecht ist und nach dem Ursprungsverfahrensrecht keines Beseitigungsverfahrens bedarf), wohl aber in anderen Mitgliedstaaten, weil diese nicht über die Authentizität entscheiden dürfen.“153 Allerdings müsse jedenfalls der äußere Anschein einer öffentlichen Urkunde bestehen. Evident falschen Urkunden (plumpe Fälschungen, Urkunden mit fiktiven Errichtungsbehörden etc.) dürfe eine „Annahme“ verweigert werden.154 Jedoch betont – wenn auch in anderem Zusammenhang (ordre public) – auch er, dass der Richter grundsätzlich nicht gezwungen sein darf, „sehenden Auges eine Entscheidung auf falscher Tatsachengrundlage zu treffen“.155 Diese vorstehend vorwiegend am (missratenen) Wortlaut orientierte Auslegung 2331h (grundsätzliche Annahmepflicht auch für unechte öffentliche Urkunden) kann wohl kaum der Weisheit letzter Schluss sein; sie entspricht auch nicht den Intentionen des europäischen Gesetzgebers, auch wenn bekannt ist, dass dessen Gesetzgebungskunst sich in Grenzen hält. Art. 59 II EuErbVO kommt nur dann zur Anwendung, wenn nach der lex fori die 2331i Echtheit der ausländischen Urkunde überhaupt zu prüfen ist. Setzt eine solche Prüfung lege fori ein Bestreiten der Echtheit voraus, so hat es sein Bewenden, wenn in concreto die Echtheit nicht bestritten wurde. Art. 59 II EuErbVO schreibt mithin keine Prüfung von Amts wegen vor. Ein solcher massiver Eingriff in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wäre durch die Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 AEUV (Rz. 245a) nicht gedeckt. Streitigkeiten im Hinblick auf die beurkundeten Rechtsverhältnisse: Art. 59 III 2331j und IV EuErbVO lautet: „(3) Einwände mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse sind bei den nach dieser Verordnung zuständigen Gerichten zu erheben; über diese Einwände wird nach dem nach Kapitel III anzuwendenden Recht entschieden. Eine öffentliche Urkunde, gegen die solche Einwände erhoben wurden, entfaltet in einem anderen als dem Ursprungsmitgliedstaat hinsichtlich des bestrittenen Umstands keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. (4) Hängt die Entscheidung des Gerichts eines Mitgliedstaats von der Klärung einer Vorfrage mit Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse in Erbsachen ab, so ist dieses Gericht zur Entscheidung über diese Vorfrage zuständig.“
Bei Streitigkeiten „in Bezug auf die in einer öffentlichen Urkunde beurkundeten 2331k Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse“ ist – anders als bei Absatz 2 – von einer ausschließlichen internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates keine Rede. Es kommt vielmehr die allgemeine Zuständigkeitsordnung der
153 Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 16. 154 Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 8, 18. 155 Dutta in MüKo.BGB6, Art. 59 EuErbVO Rz. 14.
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Verordnung und deren Anerkennungsregime zur Anwendung. Auch lässt Art. 59 IV EuErbVO die vorfrageweise Entscheidung durch das mit der Erbsache befasste Gericht zu. Im Grunde bringt Absatz 3 wortreich nur die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass das nach Art. 4 ff. EuErbVO zuständige Gericht über die (materiell-rechtlichen) Streitfragen zu entscheiden hat. 2331l Allerdings entfaltet die betreffende öffentliche Urkunde, gegen die Einwände in Bezug auf die in ihr beurkundeten Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse erhoben worden sind, nach Art. 59 III 2 EuErbVO in einem anderen als dem Ursprungsmitgliedstaat hinsichtlich des bestrittenen Umstands keine Beweiskraft, solange die Sache bei dem zuständigen Gericht anhängig ist. Auch insoweit ist eine Aussetzung der bei anderen Gerichten anhängigen Verfahren nicht vorgeschrieben und es kann wieder ein ähnlicher Schwebezustand entstehen, der bereits im Zusammenhang mit Absatz 2 angesprochen worden ist. Auch hier lässt sich die Anerkennungsfrage stellen. 6. Richterlicher Augenschein 2332 Es gilt die lex fori, insbes. für prozessuale Duldungspflichten, für Besichtigungen, Untersuchungen, medizinische Eingriffe und die Duldung zur Entnahme von Blutproben in Abstammungsprozessen.156 7. Numerus clausus der Beweismittel 2333 Die deutsche Zivilprozessordnung lässt nur die vorgenannten fünf Beweismittel zu. Diese Beschränkung hat der deutsche Richter auch dann zu beachten, wenn nach deutschem internationalem Privatrecht in der Sache ausländisches Recht zur Anwendung kommt.157
XV. Beweismaß 2334 Nach der lex causae ist die Frage zu beantworten, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit für die Erbringung des Beweises erforderlich ist.158 Wird der höchste Wahrscheinlichkeitsgrad („an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“) verlangt oder genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit?159
156 Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 599; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 168. Zu den völkerrechtlichen Grenzen Rz. 120, 442; Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 37. 157 Vgl. auch Art. 14 II des Römischen Schuldvertragsübereinkommens (Rom I-VO) = Art. 32 III 2 EGBGB (Rz. 2303). 158 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 365 und Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 278; a.A. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 56: Die lex fori legt das Beweismaß fest; ebenso Sujecki, EuZW 2013, 408 (414); LG Saarbrücken v. 9.3.2012 – 13 S 51/11, NJW-RR 2012, 885. 159 Diese Frage ist im deutschen Recht umstritten: Kegel in FS Kronstein, 1967, 333; Bruns, ZZP 91 (1978), 66; Musielak in FS Kegel, 1977, 461 lassen jeweils überwiegen-
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Die anglo-amerikanischen Rechtsordnungen lassen überwiegende Wahrschein- 2335 lichkeit ausreichen. Es genügt „preponderance of probabilities“.160 Ähnlich wirkt das överviktsprinzip in den skandinavischen Rechtsordnungen.161 Für die „Zuständigkeit“ der lex causae spricht die Nähe der Beweismaßregeln 2336 zum materiellen Recht. „Beweismaßbestimmung ist letzten Endes nichts anderes als Haftungsbestimmung, jede Verringerung der erforderlichen Beweisstärke immer zugleich Erweiterung der Ersatzansprüche und umgekehrt.“162 Ausnahme: § 287 ZPO (der u.a. auch das Beweismaß tangiert) sollte man aus 2337 Praktikabilitätsgründen und im Interesse der Effektivität der Abwicklung des Verfahrens auch dann anwenden, wenn in der Sache nach ausländischem Recht zu entscheiden ist (Rz. 2276).163
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de Wahrscheinlichkeit genügen. Dagegen fordert die h.M. (BGHZ 53, 256; Walter, Freie Beweiswürdigung, 1980, 173) den höchsten Wahrscheinlichkeitsgrad. Dies folge aus dem Anspruch des Beklagten auf ein richtiges und nicht nur ein möglicherweise richtiges Urteil. Zwar ist absolute Gewissheit über die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung bzw. eines Erfahrungssatzes bzw. einer ausländischen Rechtsnorm (§ 293 ZPO) nicht erforderlich (Rz. 2586). Andererseits genügt ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit nicht. Der Richter muss vielmehr zwischen beiden Positionen einen Mittelweg suchen und sich mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, BGH v. 17.2.1970, BGHZ 53, 245 (256). Ist dieser Grad von Gewissheit erreicht, dann ist der Hauptbeweis geführt. Dem Gegner bleibt es jedoch gestattet, den Gegenbeweis zu führen. Dieser zielt darauf ab, den Richter von der Annahme eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit abzuhalten, Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 341. Er ist daher bereits dann erfolgreich, wenn die Überzeugung des Richters von der Wahrheit der beweisbedürftigen Tatsache erschüttert wird, Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 286 Rz. 128 ff. S. auch Baumgärtel und Kargados in Habscheid/Beys, Grundfragen des ZPR – die internationale Dimension, 1991, 690; Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187; R. Geimer, RabelsZ 60 (1996), 370. Zum „Regelbeweismaß“ des § 272 österr. ZPO Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts – Erkenntnisverfahren6, Rz. 580: „hohe Wahrscheinlichkeit“. Zum „flexiblen“ englischen Recht Gottwald in FS Henrich, 2000, 165. Umfangreiche Nachw. auch bei Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, 2006. Maassen, Beweisaufnahmeprobleme im Schadenersatzprozess, 1975, 43. Nachw. auch bei Paulus in FS Walter Gerhardt, 2004, 747. Nachw. bei Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 280; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 361; Motsch, Vom rechtsgenügenden Beweis, 1983, 56; Hinweise für Skandinavien Motsch, a.a.O., 37 ff. und Musielak in FS Kegel, 1977, 451; für Österreich Rechberger, ZfRV 1985, 305. Zur conviction intime des franz. Rechts Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozess, 1967, 72. Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 283; Spellenberg in MüKo.BGB5, Art. 11 EGBGB Rz. 47; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 162. OLG Hamm v. 7.7.1987 – 1 UF 645/86, FamRZ 1987, 1307 = IPRspr. 1987 Nr. 69; BGH v. 24.3.1987 – VI ZR 112/86, MDR 1987, 833 = NJW 1988, 648 = IPRax 1988, 227 (Gottwald 210) = IPRspr. 1987 Nr. 1.
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Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
XVI. Beweiswürdigung 2338 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt auch dann, wenn in der Sache ausländisches Recht anzuwenden ist164 und dieses in stärkerem Umfang als das deutsche Recht (Beweiskraft des Protokolls, § 165 ZPO, des Tatbestandes, § 314 ZPO, und die verschieden ausgestaltete Beweiskraft der Urkunden)165 gesetzliche Beweisregeln nach dem Muster der (dogmengeschichtlich überwundenen) legalen Beweistheorie kennt.166 Die Beweiswürdigung ist immer nach der lex fori vorzunehmen.167 An ausländische Beweisregeln ist der deutsche Richter nicht gebunden, insbes. nicht an die Beweisregeln des angelsächsischen Prozesses, die aus dem Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten der mit Laienrichtern besetzten Jury (Rz. 79) entstanden sind (Verbot des hearsay evidence, opinion evidence)168 „dass sich die Beweiswürdigung nach der lex fori richtet, ist allgemein anerkannt.“169 2339 Nicht gebunden ist daher der deutsche Richter an den einer Partei zugeschobenen Parteieid, den heute z.B. noch das französische Recht kennt (Rz. 2325).170
164 Zustimmend z.B. Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 314 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB); Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 161. 165 S. hierzu die Kommentare zu § 286 II und zu §§ 415 ff. ZPO. 166 Rechtsvergleichend Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozess, 1967, 72; Perrot Nr. 27 in Habscheid, Effektiver Rechtsschutz, 1983, 112. 167 Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 265; Staudinger/Sturm/ Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 307. S. auch OLG Hamm v. 26.4.1994 – 29 U 293/88, IPRspr. 1994 Nr. 113 und OLG Stuttgart v. 13.2.2012 – 17 UF 331/11, FamRBint 2012, 57 (Streicher), jeweils betreffend einen Fall der Verweigerung der Blutentnahme (in Polen) zur Feststellung der Abstammung. 168 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 293; Schütze, DIZPR2, Rz. 223. 169 BGH v. 30.7.1954, JZ 1955, 702 (Gamillscheg) = ZZP 68 (1955), 89 = Rev. crit. 44 (1955), 58 (Mezger) = IPRspr. 1954–1955 Nr. 1; OLG Düsseldorf v. 25.11.1992 – 5 UF 80/92, FamRZ 1993, 1083 = IPRspr. 1992 Nr. 83; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 466; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 154; Kau/Wiehe, RIW 1991, 35 Fn. 37; OLG Nürnberg v. 21.9.1978, IPRspr. 1978 Nr. 16; a.A. Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 288, der nur „gänzlich unvernünftige Beweisregeln“, wie z.B. „Entscheidungen durch Gottesurteil oder Zweikampf“ qua ordre public aus dem deutschen Verfahren heraushalten will. 170 Anders Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 618 (vorbehaltlich der Anwendung des ordre public im konkreten Einzelfall). Wie hier im Ergebnis OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, RIW 1994, 513 = IPRax 1996, 33, 35 (Dirk Otto 22) = IPRspr. 1994 Nr. 2.
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Spannungsfeld zwischen lex causae und lex fori
Achter Teil
XVII. Beweislast 1. Grundsatz: Maßgeblichkeit der lex causae Die allgemeinen Beweislastregeln (burden of proof, charge de la preuve) sind 2340 materiell-rechtlich zu qualifizieren und daher der lex causae zu entnehmen.171 Dies gilt auch dann, wenn die Parteien im Rahmen der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie das für einen Schuldvertrag maßgebliche Recht vereinbaren; das vereinbarte Recht entscheidet dann auch über die Beweislast.172 Kann der deutsche Richter – trotz gehöriger Anstrengungen – den Inhalt der ausländischen Beweislastnormen nicht ermitteln, gelten die zu § 293 ZPO entwickelten Regeln über das Ersatzrecht (Rz. 2592, 2598). Notfalls sind die deutschen Beweislastnormen anzuwenden (Rz. 2001). 2. Ausnahme: Maßgeblichkeit der lex fori Nicht die lex causae, sondern die lex fori bestimmt, welche Auswirkungen auf 2341 die Beweislast das Verhalten der Parteien im (deutschen) Verfahren hat, z.B. Terminversäumnisse, Schweigen auf Befragung und Verweigerung der Mithilfe bei der Ermittlung ausländischen Rechts.173 Beispiel: 2342 Umkehr der Beweislast als Sanktion für bestimmtes Verhalten: Dem Gegner des Beweisführers wird die dem an sich dem Beweisführer obliegende Beweislast zugeschoben, wenn er die Beweisführung vereitelt oder erschwert hat; es handelt sich um eine Verallgemeinerung des in §§ 427, 444 ZPO niedergelegten Gedankens.174 Maßgeblich ist – abgesehen von den in Rz. 2313 erörterten Fällen – die deutsche lex fori.175
171 Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 144; CoesterWaltjen, a.a.O., Rz. 371; Otto, IPRax 1996, 23; Schack, BerDGVR 32 (1992), 341; Schack, IZVR6, Rz. 674; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 322; Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.), sub Q, Rz. 586; BGH v. 8.11.1951, BGHZ 3, 342 (346); OLG Celle v. 31.3.1987 – 16 U 96/84, RIW 1988, 137 = IPRspr. 1987 Nr. 17. Für das internationale Vertragsrecht ausdrücklich Art. 32 III 1 EGBGB (= Art. 14 des Römischen Schuldvertragsübereinkommens 1980). 172 BGH v. 26.11.1964, BGHZ 42, 385 (388) = NJW 1965, 489 = MDR 1965, 461 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 62; BGH v. 14.4.1969, AWD 1969, 329 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 1. 173 Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 265; Giuliano/Lagarde-Bericht (BT-Drucks. 10/503, 68) und amtl. Begründung zu Art. 32 III EGBGB (BT-Drucks. 10/504, 82). 174 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht17, § 114 Rz. 20. 175 Zöller/Geimer, ZPO30, § 100 FamFG Rz. 24. Zustimmend Staudinger/Magnus, Internationales Vertragsrecht2, Art. 17 Rom I-VO Rz. 26. A.A. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 386: Danach kommt es auf diejenige Rechtsordnung an, für die sich die Pflicht zur Unterlassung der Beweisvereitelung ergibt. Denn die Pflicht und die Sanktion seien kollisionsrechtlich einheitlich zu behandeln. Oft ergebe sich die Unterlassungspflicht als vertragliche Nebenpflicht, oft aber auch aus Prozessrecht. Damit kommt Coester-Waltjen im Ergebnis in den meisten Fällen wieder zur lex fori.S. auch die Nachw. bei Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten Europäischen Kollisionsrecht, IPRax 2010, 285 (288).
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Achter Teil
Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
3. Besonderheiten der angelsächsischen Rechtsordnungen: Aufgabenteilung zwischen Richter und Jury 2343 Eine subjektive Beweislast (Darlegungs- bzw. Behauptungslast, Beweisführungslast) gibt es nur dann, wenn einer Partei die Beibringung der Beweismittel obliegt, also nur im Verfahren mit Verhandlungsmaxime. Folge der subjektiven Beweislast ist es, dass das Gericht seine Anregung zur Bezeichnung der Beweismittel (§ 139 I ZPO) in erster Linie an die beweisbelastete Partei richten wird und dass ein vom nicht beweisbelasteten Gegner angebotener Beweis (Gegenbeweis) nicht zu erheben ist, wenn die beweispflichtige Partei selbst keinen Beweis angeboten hat.176 In anglo-amerikanischen Rechtssystemen spricht man von evidential burden, burden of going forward oder von burden of producing evidence; in Frankreich von charge de la preuve.177 2344 Im deutschen und französischen Recht regelt die Beweisführungslast im Wesentlichen nur die Beweisinitiative: Sie legt fest, wer – bei Vermeidung des Prozessverlustes – durch eigene Tätigkeit Beweis für eine streitige Tatsache zu führen hat. In anglo-amerikanischen Rechten hat die Beweisführungslast eine weitergehende Bedeutung für den Gang der Beweisaufnahme und die Beteiligung der Jury. Die Jury (Rz. 79) hat Tatsachen nur dann festzustellen, wenn Beweismaterial vorgebracht worden ist, das unterschiedliche Schlüsse zulässt. Wenn derjenige, der zuerst seine Beweise erbringen muss (z.B. der Kläger), seine Beweisaufnahme abgeschlossen hat, kann der Beklagte im Wege der „motion for directed verdict“ beantragen, dass der Richter ohne Einschaltung der Jury die Klage abweist, weil nicht einmal ein Minimum des Nachweises vom Kläger erbracht ist. Dem hat der Richter zu entsprechen, wenn das Beweismaterial des Klägers so wenig überzeugend ist, dass die Jury den geltend gemachten Anspruch keinesfalls zusprechen könnte.178 Anders ist es, wenn die Möglichkeit besteht, dass eine vernünftige Jury möglicherweise annehmen könnte (nicht müsste), dass die Behauptungen des Klägers durch seine Beweise bestätigt sind (prima facie-Beweis). In diesem Fall hat der Beklagte die Möglichkeit, seine Gegenbeweise zu erbringen. Tut er dies nicht, so wird der Fall der Jury zur Beurteilung überwiesen, die dann möglicherweise die Klage abweist, weil die Beweise des Klägers nicht überzeugend genug waren. Der Beklagte hat also nicht die Beweisführungslast für den Gegenbeweis. Bringt der Beklagte jedoch keine ausreichenden Beweise vor, so riskiert er, dass die Jury die Beweise des Klägers für ausreichend hält und deshalb zu dessen Gunsten erkennt.179 Die Beweisführungslast betrifft mithin in den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen auch die Frage, wer innerhalb der einzelnen Beweisabschnitte Beweise antreten muss. Im Falle eines non liquet am Ende des Prozesses wird aber unabhängig davon, wer im Augenblick die Beweisführungslast hat, immer derjenige verlieren, der den legal burden trägt.180
176 177 178 179 180
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Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 286 Rz. 51. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 389. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, 66. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 391. Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 393.
Grundfragen
Achter Teil
Die Regeln über den evidential burden können im deutschen Prozess wegen Fehlens einer Jury nicht angewendet werden.181
XVIII. Beweisvereitelung Die Folgen einer Beweisvereitelung richten sich nicht nach der lex causae, son- 2345 dern nach der (deutschen) lex fori.182
XIX. Pflicht zur Sachentscheidung Die Pflicht zur Sachentscheidung bei Unaufklärbarkeit des Sachverhalts richtet 2346 sich nach der deutschen lex fori; eine Sachentscheidung ist auch dann zu erlassen, wenn wegen des non liquet nach der lex causae eine solche verweigert werden müsste bzw. dürfte (Rz. 2001).
2. Kapitel: Internationales Beweisverfahrensrecht – Grundfragen Literatur: Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 2007; Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005, Rz. 348 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 15; Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie in Festschrift Loscheder, 2010, 1; Bareiß, Pflichtenkollisionen im transnationalem Beweisverkehr – Offenbarungspflichten im Zivilprozessrecht der USA und Offenbarungsverbote nach deutschem und europäischem Recht, 2013; Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments: Trans-Atlantic Lawmaking for Transnational Litigation, 2003, 81 ff.; Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen in Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, herausgegeben von Leuenberger/Guy, 2004, 111, 119 (discovery bei class actions); Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, 2010; Betetto, Introduction and Practical Cases on Council Regulation (EC) No 1206/2001 on Cooperation between the Courts of the Member States in the Taking Evidence in Civil or Commercial Matters, EuLF 2006, 137; Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 2006, 907 ff.; Brandt, Das englische Disclosure-Verfahren – Ein Modell für Zugang zu Information und Beweis im deutschen Zivilprozess?, 2013; Breitenmoser/Ehrenzeller (ed.), Aktuelle Fragen der 181 Näher Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 398, 630. 182 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 159, 320; OLG Hamm v. 26.4.1994 – 29 U 293/88, IPRspr. 1994 Nr. 113; BGH v. 9.4.1986 – IVb ZR 27/85, MDR 1986, 831 = FamRZ 1986, 663 = NJW 1986, 2371 = IPRax 1987, 176 (Schlosser 153) = JZ 1987, 42 (Stürner) = IPRspr. 1986 Nr. 94.
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Achter Teil
Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009; Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zur Beschaffung von Beweisurkunden aus dem Ausland, in Festschrift Schlosser, 2005, 147; Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000; Dörner, Beweissicherung im Ausland, 2000; Davis, Taking Evidence by Video-Link in International Litigation in Essays in Memory of Peter E. Nygh, 2004, 69; Decker, Grenzüberschreitende Exhumierungsanordnungen und Beweisvereitelung – Zur Vaterschaftsfeststellung bei deutschem Vaterschaftsstatut und verstorbenem italienischen Putativvater, IPRax 2004, 229; Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess. Zur Bedeutung des US-amerikanischen Discovery-Verfahrens für das deutsche Erkenntnisverfahren, Diss. Heidelberg 2000, 2002; Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89; Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; Fumagalli, Conflitti tra giurisdizione nell’assunzione dio prove civili all’estero, 1990; Gebhardt, Pre-Trial Discovery von elektronisch gespeicherten Dokumenten, IDR 2005, 30; Ewald Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998; Gidi, The recognition of U.S. class action judgments abroad: The case of Latin America, Brooklyn Journal of International Law 37 (2012), 893; Walther J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986; Hess/Zhou, Beweissicherung und Beweisbeschaffung im europäischen Justizraum, IPRax 2007, 183; Holzapfl, Sachaufklärung und Zwangsvollstreckung in Europa, 2009, 191 ff.; Stefan Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren am Beispiel der Dokumentenvorlage, 2008; Ibbeken, Das TRIPS-Übereinkommen und die vorgerichtliche Beweishilfe im gewerblichen Rechtsschutz, 2004; Jayme, Extraterritoriale Beweisverschaffung für inländische Verfahren und Vollstreckungshilfe durch ausländische Gerichte, in Festschrift Geimer, 2002, 375; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987; Junker, Electronic Discovery gegen deutsche Unternehmen, 2008; Knöfel in Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376 [Kommentar zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen] und Nr. 662 [Kommentar zur Europäischen Beweisaufnahme-Verordnung]); Knöfel, Internationale Beweishilfe für Schiedsverfahren, RIW 2007, 832; Knöfel, Vier Jahre Europäische Beweisaufnahmeverordnung – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen, EuZW 2008, 267; Knöfel, Beweishilfe im deutsch-türkischen Rechtsverkehr, IPRax 2009, 46; Knöfel, Bismarcks Blaustift und das gesetzliche Internationale Zivilverfahrensrecht – Eine rechtshistorisch-vergleichende Skizze, ZfRV 2008, 273; Knöfel, Judizielle Loyalität in der Europäischen Union – Zur Rechts- und Beweishilfe im Verhältnis der Unionsgerichtsbarkeit zu den Gerichten der Mitgliedstaaten, EuR 2011, 618; Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, Diss. Köln 2007; Robert Magnus, Das Anwaltsprivileg und sein zivilprozessualer Schutz – Eine rechtsvergleichende Analyse des deutschen, französischen und englischen Rechts, 2010; Marauhn (ed.), Bausteine eines europäischen Beweisrechts, 2007; Andreas L. Meier, Die Anwendung des Haager Beweisübereinkommens in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung der Beweisaufnahme für U.S.-amerikanische Zivilprozesse, Diss. Basel 1999; Michailidou, Vorprozessuale Möglichkeiten zur Beweissammlung, Dike International 39 (2008), 370; 888
Grundfragen
Achter Teil
Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht, 1990; Murray, Taking Evidence Abroad – Understanding American Exceptionalism, ZZPInt 10 (2005), 343; Musielak, Beweiserhebung bei auslandsbelegenen Beweismitteln, in Festschrift Geimer, 2002, 761; Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971; Nagel/Bajons, Beweis – Preuve – Evidence: Grundzüge des zivilprozessualen Beweisrechts in Europa, 2003; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7, 2013, § 9; Niehr, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlage im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, 2004; Norouzi, Die audio-visuelle Vernehmung von Auslandszeugen – Ein Beitrag zum transnationalen Beweisrecht im deutschen Strafprozess, 2008; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtshilfeverkehr, 1987; Reufels/Scherer, Pre-Trial Discovery nach Haager Beweisübereinkommen, IPRax 2005, 456; Richter, Bessere Aussichten für das Haager Beweisübereinkommen – Jüngste Gerichtsentscheidungen wecken Hoffnung, RIW 2005, 815; Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999; Saathoff, Möglichkeiten und Verfahren gerichtlicher Hilfe bei der Beweisaufnahme zugunsten fremdnationaler Handelsschiedsgerichtsverfahren, Diss. Köln 1987; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, Diss. Freiburg/Br. 1996; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen USA und Europa, 1985; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, 2003; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 113 ff.; Schönknecht, Beweisbeschaffung in den USA zur Verwendung in deutschen Verfahren, GRUR Int 2011, 1000; Schoibl, Grenzüberschreitende Rechtshilfe im Europäischen Justizraum: Die unmittelbare Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen nach der VO (EG) 1206/2001 – eine Skizze, in Festschrift zum 80. Geburtstag von Rudolf Machacek und Franz Matscher, 2008, 883; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, 2009, Rz. 262 ff.; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, 2006; Seibl, Die Beweislast bei Kollisionsnormen, 2009; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009; Sengstschmid in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österreichischen) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, § 38 JN; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses im deutschen und US-amerikanischen Zivilprozess und im Rechtshilfeverfahren, 1989; Stadler, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme in der Europäischen Union – die Zukunft der Rechtshilfe in Beweissachen, in Festschrift Geimer, 2002, 1281; Staudinger/ Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 163 ff.; Rolf Stürner/Therese Müller, Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2008, 339; Teske, Der Urkundenbeweis im französischen und deutschen Zivil- und Zivilprozessrecht, 1990; Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996; Zhou, Einstweiliger Rechtsschutz in China und im Europäischen Justizraum (Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Niederlande), Diss. Heidelberg 2007. Zur EU-Beweisaufnahmeverordnung: Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie, Festschrift Loscheder, 2010, 1; Berger, Die EG-Verordnung über die Zusammenarbeit der Gerichte auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, IPRax 2001, 522; Dörschner, Beweissicherung im Ausland: Zur gerichtlichen vorprozessualen Beweisaufnahme in Deutschland, Frankreich und der Schweiz 889
Achter Teil
Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
am Beispiel des privaten Baurechts sowie zur Beweissicherung bei Auslandssachverhalten und zur Verwertung ausländischer vorsorglicher Beweisaufnahmen im deutschen Hauptsacheprozess, 2000; Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269; Ewald Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998; Hau, Gerichtssachverständige in Fällen mit Auslandsbezug, RIW 2003, 822; Hau, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, ERA Forum 2005, 224; Heß/Müller, Die Verordnung 1206/01/EG zur Beweisaufnahme, ZZPInt 6 (2001), 149; Hess, Rechtspolitische Überlegungen zur Umsetzung von Art. 15 der Europäischen Zustellungsverordnung – VO (EG) Nr. 1393/2007, IPRax 2008, 477; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 8 Rz. 1, S. 444; Jastrow, Europäische Zustellung und Beweisaufnahme 2004 – Neuregelungen im deutschen Recht und konsularische Beweisaufnahme, IPRax 2004, 2; Stefan Huber in Gebauer/Wiedmann (ed.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss – Die richtlinienkonforme Auslegung des BGB und anderer Gesetze – Erläuterung der wichtigsten EG-Verordnungen, 2005, Kapitel 29 (S. 1337 ff.): Europäische Beweisaufnahmeverordnung; Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 662 [Kommentar zur Europäischen Beweisaufnahme-Verordnung]); Knöfel, Vier Jahre Europäische Beweisaufnahmeverordnung – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen, EuZW 2008, 267; Markus, Neue Entwicklungen bei der internationalen Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 65; Mougenot, Le règlement européen sur l’obtention des preuves, Journal des Tribunaux 2001, 17; Achim Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht7, 2013, § 9 Rz. 8 ff.; Neumayr/Kodek in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2005, Kapitel 83; Nigg, Das Beweisrecht bei internationalen Privatrechtsstreitigkeiten, Diss. St. Gallen 1999; Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischem Zivilprozessrecht – Der Vorrang der traditionellen Rechtshilfe im Spannungsverhältnis mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, ZZPInt 10 (2005), 81; Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union: Das Spannungsfeld von Nationalstaatlichkeit und Europäischer Integration, Diss. Bayreuth 2005; Schulze, Dialogische Beweisaufnahmen im internationalen Rechtshilfeverkehr – Beweisaufnahmen im Ausland durch und im Beisein des Prozessgerichts, IPRax 2001, 527; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 95 ff.; Sengstschmid in Fasching/Konecny, Kommentar zu den (österreichischen) Zivilprozessgesetzen3, 1. Bd., 2013, § 38 JN; Stadler, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme in der Europäischen Union – die Zukunft der Rechtshilfe in Beweissachen, in Festschrift Geimer, 2002, 1281; Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 191; Wilke, Der Urkundenbeweis in transnationalen deutsch-amerikanischen Prozessen und im Schiedsverfahren, IDR 2004, 88. Zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen: Bimboese/Reufels, Pre Trial-Discovery und Haager Beweisübereinkommen: Entwicklungen und Praxishinweise, IDR 2004, 189; Busse, Umfang des Fragerechts bei Beweisaufnahmen nach dem Haager Beweisübereinkommen, IDR 2004, 193; Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376 [Kommentar zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen]). 890
Grundfragen
Achter Teil
Zu ausländischen Rechtsordnungen: Österreich (§§ 39, 39a JN, § 291a ZPO) P. Mayr in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2005, Kapitel 82; Rechberger/Mc Guire, Die Umsetzung der EuBewVO im österreichischem Zivilprozessrecht – Der Vorrang der traditionellen Rechtshilfe im Spannungsverhältnis mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, ZZPInt 10 (2005), 81. Zu Parallelregelungen auf dem Gebiet des Strafverfahrens: Gazeas, Die Europäische Beweisanordnung – Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung?, ZRP 2005, 18.
I. Überblick Die Beweisaufnahme erfolgt nach der deutschen ZPO wie sonst auch in Kon- 2347 tinentaleuropa183 durch das Gericht. Sie ist hoheitliche Tätigkeit.184 Deutsche Gerichte dürfen daher auf dem Gebiet fremder Staaten nicht agieren, es sei denn, der betroffene Staat erteilt hierzu seine Zustimmung (Rz. 120, 442).185 Aber auch im Falle der Zustimmung des ausländischen Staates bedarf das deutsche Gericht der Genehmigung der Bundesregierung, da die Pflege der auswärtigen Beziehungen (Art. 32 I GG)186 tangiert ist, § 61 II ZRHO (Rz. 257).187 Zu Beweisaufnahmen in ihrem jeweiligen Empfangsstaat sind die deutschen 2348 Konsularbeamten i.d.R. befugt.188 Daher sieht § 363 II ZPO primär diesen Weg vor. Dieser hat den Vorteil, dass der deutsche Konsularbeamte nach deutschem Verfahrensrecht verfährt und dass die zeitliche Verzögerung des deutschen Prozesses sich i.d.R. in Grenzen hält (Rz. 2406).189
183 Anders die common law-Staaten Rz. 2268. 184 BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, JZ 2000, 471 (Vassilaki). 185 Schlosser, IPRax 1987, 153; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 146 ff.; Stürner, JZ 1987, 45; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 319. Besonders großzügig sind die USA Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 2006, 995 beim Thema taking of evidence in the United States without court assistance: Unlike some civil law jurisdictions, the United States imposes no general prohibition against the taking evidence on U.S. territory for use in foreign judicial proceedings.“ S. auch Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 434, 437. Innerhalb der EU (mit Ausnahme Dänemarks) besteht ab 1.1.2004 ein Anspruch auf Zustimmung nach Maßgabe von Art. 17 EuBeweisVO Nr. 1206/2001 v. 28.5.2001 (s. Rz. 245c, 2378a). 186 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der auswärtigen Gewalt allgemein Röben, Außenverfassungsrecht – Eine Untersuchung zur auswärtigen Gewalt des offenen Staates, 2007. 187 BGH v. 16.4.1985 – RiZ (R) 1/85, MDR 1986, 142 = NJW 1986, 664. 188 Noch sehr vage Art. 15 HZPÜ, konkreter Art. 15, 16 HBÜ (hierzu OLG Frankfurt v. 13.7.1995 – 16 U 3/95, NJW-RR 1996, 575 = IPRspr. 1995 Nr. 163) sowie die Rechtshilfeverträge mit Belgien (Art. 7), Frankreich (Art. 7), Griechenland (Art. 14), Marokko (Art. 12), Niederlande (Art. 7), Norwegen (Art. 8), Österreich (Art. 6), Tunesien (Art. 26), Türkei (Art. 17 II) und dem Vereinigten Königreich (Art. 11). 189 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 354, 431; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 96.
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2349 Jedoch sind die deutschen Konsularbeamten nicht befugt, Zwang anzudrohen oder gar Zwang auszuüben. Sie werden meist auch von den (Gerichts-)Behörden des Empfangsstaates nicht mit Zwangsmaßnahmen unterstützt. Art. 18 HBÜ ist mehr ein idealistisches Programm denn geltender Standard (s. aber Rz. 2372, 2434). Zudem ist den deutschen Konsularbeamten meist die Vernehmung von Angehörigen des Empfangsstaates und dritter Staaten untersagt. Daher bleibt nur die Möglichkeit, den ausländischen Staat, in dem sich die zu vernehmende Person aufhält bzw. der Beweisgegenstand sich befindet, um Rechtshilfe zu ersuchen, § 363 I ZPO. 2350 Nach Völkergewohnheitsrecht sind die Staaten zu einer solchen Zusammenarbeit nicht verpflichtet (Rz. 2016).190 Ein völkerrechtlicher bzw. unionsrechtlicher Anspruch Deutschlands besteht nur im Rahmen der bestehenden völkerrechtlichen Verträge bzw. des europäischen Unionsrechts (Rz. 245c). 2351 Wie sehr die strikte Handhabung der Souveränität durch die kontinentaleuropäischen Staaten – die common law-Staaten sind viel großzügiger, da sie die Vernehmung durch den Richter nicht kennen (adversary system, Rz. 2266, 2268)191 und daher die hoheitliche Qualifikation ablehnen – den internationalen Rechtsverkehr behindert und die Wahrung prozessualer Grundrechte gefährdet oder sogar unmöglich macht, hat Nagel eindringlich dargestellt.192 Die Folgen gegenseitiger Behinderung von Beweisaufnahmen und anderer gerichtlicher Handlungen tragen nicht die beteiligten Staaten (diese halten nur Prinzipien hoch), die Folgen tragen vielmehr die Parteien (i.d.R. die beweispflichtige Partei): Beweisaufnahmen, die für den Ausgang des Prozesses von eminenter Bedeutung sein können, unterbleiben oder finden nur mit erheblicher Verzögerung statt. Die Ergebnisse der ausländischen Beweisaufnahmen sind für das Prozessgericht nicht oder nur schwer verwertbar (so insbes. für englische oder US-Gerichte), wenn nicht nach deren Prozessrecht verfahren worden ist. Folge: Der Rechtsstreit wird nicht aufgrund des wahren, sondern aufgrund eines fiktiven Sachverhalts – möglicherweise falsch – entschieden. Auf jeden Fall ist das elementare Recht auf Beweis193 als Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör194 verkürzt.
190 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 674; Pfeil-Kammerer, Deutschamerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 57. 191 Junker, a.a.O., 434; Pfeil-Kammerer, a.a.O., 309. S. auch die umfangreichen Nachw. bei Timmerbeil, Witness Coaching und Adversary System: Der Einfluss der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten auf Zeugen und Sachverständige im deutschen und US-amerikanischen Zivilprozess, 2004. 192 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 49. S. auch Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 22; R. Geimer, NJW 1989, 2177. 193 Zur Frage der individualrechtlichen Dimension des Haager Beweisübereinkommens s. Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), HBÜ-Einl. Rz. 11 ff. Enger wohl Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 34. 194 R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 242.
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Der Grundsatz der Unmittelbarkeit bleibt weitgehend auf der Strecke.195 Alle 2351a Versuche, dieses Dilemma zu überwinden, sind Stückwerk geblieben. So möchte z.B. die Europäische Beweisaufnahmeverordnung die unerfreulichen Auswirkungen der Spaltung des Beweisverfahrens, nämlich Beweisaufnahme durch das Rechtshilfegericht nach der dortigen lex fori einerseits und Anordnung der Beweisaufnahme und Beweiswürdigung durch das Prozessgericht nach dessen lex fori andererseits durch die Möglichkeit der Teilnahme (eines Mitglieds) des Prozessgerichts an der Beweisaufnahme im Ausland196 abmildern. Verfassungsrechtlich, unionsrechtlich (Art. 47 II EuGRCh) und international- 2351b menschenrechtlich (Art. 6 I EMRK) inakzeptabel ist die Neigung deutscher Gerichte, unter Hinweis auf § 244 III StPO (Rz. 2404a) die Vernehmung von Auslandszeugen möglichst „abzuwimmeln“. Das Argument, nur im Rahmen einer persönlichen Vernehmung könne das Gericht Vorhalte machen und sich ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit der Beweisperson verschaffen, ist kein Grund, den Beweisantrag zu übergehen. Nur ganz selten kann – bevor der Inhalt der Zeugenaussage bekannt ist – einigermaßen seriös beurteilt werden, ob es auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ankommt; darüber hinaus besteht praktisch immer die Möglichkeit, dass der deutsche Richter an der Beweisaufnahme durch das ersuchte ausländische Gericht teilnimmt, um sich ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit zu machen, wenn er nicht gem. Art. 17 EuBeweisVO selbst die Beweisaufnahme im Ausland durchführen will. Eine vorbehaltlose Anwendung des § 244 III StPO (den der Gesetzgeber aus guten Gründen nicht in die ZPO übernommen hat) würde dazu führen, dass die Gerichte mehr oder weniger willkürlich jede Vernehmung von Auslandszeugen ablehnen könnten.197 Zumindest muss eine Videovernehmung in Betracht gezogen werden.198 Die Beweisaufnahme durch nicht richterliche Personen (deutscher Konsul; 2352 nicht richterliche Rechtshilfebehörde des ersuchten ausländischen Staates, z.B. USA: Erledigung durch US Attorney)199 ist verfassungsgemäß (Rz. 260, 2416).
195 Zu diesem Defizit sehr deutlich Zöller/Geimer, ZPO30, § 363 Rz. 6; Rechberger/ McGuire, Die Umsetzung der EuBeweisVO im österr. Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81. 196 So genannte „dialogische“ Beweisaufnahme, Art. 12 EuBeweisVO; hierzu Rechberger/ McGuire, ZZPInt 10 (2005), 81, 96. 197 So nun erfreulich klar OLG Stuttgart v. 24.3.2010 – 3 U 214/09, BeckRS 2010, 13002 = IPRspr. 2010 Nr. 258. Zustimmend Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269. Anders noch (aber überholt) OLG Saarbrücken v. 11.2.1998 – 1 U 293/97-67, NJW-RR 1998, 1685 = IPRspr. 1998 Nr. 165; OLG Saarbrücken v. 6.7.2000 – 1 U 55/99-13, WM 2001, 2055 = ZIP 2001, 1318 = IPRspr. 2001 Nr. 30. 198 Dötsch, MDR 2011, 269 (273); BGH v. 24.7.2013 – IV ZR 110/12, IHR 2014, 115 = BeckRS 2013, 15529. 199 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 411.
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II. Rechtsquellen 1. Staatsverträge a) Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954 2353 Es regelt in Art. 8–16 HZPÜ200 den Rechtshilfeverkehr, ergänzt durch bilaterale Zusatzvereinbarungen.201 b) Haager Übereinkommen vom 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen 2354 Das Haager Übereinkommen vom 18.3.1970 (HBÜ)202 ersetzt im Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander Art. 8–16 HZPÜ, Art. 29 HBÜ. Wichtig in der Praxis ist die Anwendung vor allem im Verhältnis zu den USA.203 2355 Ziel des Übereinkommens war es vor allem, den common law-Ländern den Beitritt zu ermöglichen. Diese Länder kennen die Beweisaufnahme durch Gerichtsbeauftragte (commissioners, Rz. 458, 2421, 2426). Sedes materiae ist Art. 17 HBÜ und § 12 AusfG.204 Gegenüber Art. 11 III HZPÜ schränkt Art. 12 HBÜ die Gründe für die Ablehnung des Rechtshilfeersuchens in zwei Punkten ein: Zweifel an der Echtheit des Ersuchens sind kein Ablehnungsgrund. Auch darf die Ablehnung nicht darauf gestützt werden, dass der ersuchte Staat für den Rechtsstreit eine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder dass er für den Streitgegenstand den Rechtsweg zu den Gerichten nicht zulässt, d.h. ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für welches das Ersuchen gestellt wird. 200 BGBl. II 1958, 576 und BGBl. II 1959, 1388. Hierzu z.B. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 97 ff. 201 S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 113 ff. Zur deutsch-dänischen Vereinbarung z.B. OLG Koblenz 26.6.2009 – 2 U 212/09, NJOZ 2010, 898. 202 BGBl. II 1977, 1472 und BGBl. II 1979, 780; deutsches Ausführungsgesetz, BGBl. I 1977, 3105. Vertragsstaaten sind: Argentinien, Australien, Barbados, Belarus, BosnienHerzegowina, Bulgarien, China (einschließlich Macau), Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Israel, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Mazedonien, Mexiko, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Singapur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Sri Lanka, Südafrika, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Venezuela, USA, Vereinigtes Königreich, Zypern. Ausführlich Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), HBÜ-Einl. Rz. 2; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 36 ff. S. auch Markus/Rodriguez in Breitenmoser/Ehrenzeller (ed.), Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, 101, 108. 203 Wölki, RIW 1985, 530; Heidenberger, RIW 1984, 841. Zur Bedeutung des HBÜ in transatlantischer Perspektive auch Paulus, ZZP 104 (1991), 409 und Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 130 ff. 204 Enger das Zusatzprotokoll zur interamerikanischen Konvention über die Beweisaufnahme im Ausland von Panama (1975), verabschiedet 1984 auf der Konferenz von La Paz. Man konnte eine Parallelnorm zu Art. 17 HBÜ nicht durchsetzen, Samtleben, RabelsZ 56 (1992), 27 Fn. 168, Text, a.a.O., 156.
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Zeugnisverweigerungsrechte bzw. Aussageverbote regelt Art. 11 HBÜ: Der Zeu- 2356 ge kann sich wahlweise auf das Recht des ersuchten Staates und auf das Recht des ersuchenden Staates berufen (Rz. 2509).205 Gem. Art. 33 I, 23 HBÜ hat Deutschland einen Vorbehalt bezüglich pre-trial dis- 2357 covery of documents erklärt (Rz. 2489).206 Deutsches und englisches, vor allem aber amerikanisches Zivilprozessrecht207 2358 unterscheiden sich stark in Bezug auf die Vorlagepflicht von Urkunden. Dies kann prozessentscheidend sein. Nach US-Recht besteht ein grundsätzlich unbeschränktes Einsichtsgewährungsrecht und eine Vorlagepflicht bezüglich Urkunden sowohl für den Prozessgegner wie für Dritte; anders § 423 ZPO.208 Nach deutschem Recht kann nur die Aussage von Dritten (nicht der Parteien) er- 2359 zwungen werden, §§ 380, 390 ZPO. Von §§ 142, 144, 372a ZPO sowie § 178 FamFG abgesehen, darf das deutsche Gericht im Übrigen unmittelbaren Zwang gegenüber Parteien und Dritten nicht anordnen (Rz. 2451, 2514). Es kann weder Urkundenvorlage209 noch Duldung der Augenscheineinnahme erzwingen.210 205 AG München v. 9.6.1981 – 131a AR 354/80, RIW 1981, 850 und LG München v. 10.6.1981 – 13 T 9173/81, RIW 1981, 851 = IPRax 1982, 28, Nr. 8b. Drittstaatliche Weigerungsrechte scheiden aus, weil Deutschland keine Erklärung nach Art. 11 II HBÜ abgegeben hat. 206 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 233 ff., 253; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 305; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 201 will Art. 23 HBÜ, § 14 I AusfG nicht anwenden, wenn das US-Prozessgericht am Ende des pretrial discovery-Verfahrens die Entscheidungserheblichkeit einer genau bezeichneten Beweisaufnahme begründet darlegt. – Zum Entwurf der Urkundenvorlageverordnung gem. § 14 II AusfG Böhmer, NJW 1990, 3053; Koch/Kirchner, AG 1988, 127; Greger, ZRP 1988, 164; Junker, JZ 1989, 127; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 342. – Zum Parallelproblem im interamerikanischen Verhältnis s. Art. 16 des Zusatzprotokolls von La Paz (1984), an dem die USA besonders interessiert waren. Hierzu Samtleben, RabelsZ 56 (1992), 27. Zur Vorlage von Dokumenten und Zeugenvernehmungen für Zivilprozesse vor USGerichten (pretrial discovery) Stiefel/Petzinger, RIW 1983, 242; Martens, RIW 1981, 725; Schlosser, ZZP 94 (1981), 369; Schlosser, Justizkonflikt 17, 20; Stürner, JZ 1981, 521; Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 33; Nagel, IPRax 1982, 139; von Hülsen, RIW 1982, 225 und 537; Heidenberger, RIW 1982, 874; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 374; Beckmann, IPRax 1990, 202; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 96. Zur discovery and inspection des englischen Prozesses Schaaf, RIW 1989, 844; vgl. auch Wittuhn, RIW 1989, 424 (Kanada). 207 Hierzu Lowenfeld, IPRax 1984, 51; Bosch, IPRax 1984, 127; Schack, IPRax 1984, 186; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 61; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 76. 208 Hierzu z.B. Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 103. 209 Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei vom Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Dazu Rz. 57a. 210 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 327, 418; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 255. Rechtsvergleichend Schlosser in FS Sonnenberger, 2004, 135. Eine allgemeine prozes-
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Kann nun ein deutsches Gericht auf dem Umweg über ein ausländisches Rechtshilfeersuchen nach der dortigen lex fori (z.B. USA, Rz. 2520) mehr Zwang mobilisieren als es dies nach deutschem Prozessrecht könnte?211 Die Antwort lautet: Nein (Rz. 2514).212 In solchen Fällen ist ein Rechtshilfeersuchen unzulässig. Nach Junker erwächst aus diesem rechtlichen Minus des deutschen Rechts der betreffenden Person ein Weigerungsrecht i.S. von Art. 11 HBÜ. Jedoch bedarf es gar nicht eines Rückgriffs auf diese Vorschrift. Vielmehr ist zu betonen: Art. 10 HBÜ erweitert nicht die Zwangsbefugnisse des deutschen Prozessgerichts nach der ZPO. Diese sind auch dann auf das durch die ZPO festgelegte Maß begrenzt, wenn ein ausländisches Rechtshilfegericht oder eine sonstige ausländische Instanz um Beweisaufnahme gebeten wird.213 2360 Das HBÜ verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, auf Ersuchen eines anderen Vertragsstaates einen Zeugen oder Sachverständigen vor ein ausländisches Gericht (= Gericht des ersuchenden oder eines dritten Staates) zu laden und im Weigerungsfall Zwangsmittel (nach der lex fori des ersuchten Staates) anzuwenden. Jedoch besteht nach Art. 3 HZPÜ sowie nach dem HZÜ (Rz. 2072) und den bilateralen Rechtshilfeverträgen die Verpflichtung, Zeugenladungen zuzustellen.214 Das HBÜ kennt aber – anders als Art. 10 des Europäischen Rechtshilfeüberein-
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suale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine Abkehr vom Grundsatz nemo contra se edere tenetur lehnt die h.M. ab; dies sei eine Frage des materiellen Rechts. Es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts einen solchen Anspruch praeter legem zu schaffen; denn keine Partei sei verpflichtet, ihrem Gegner erst die Mittel zum Prozesssieg zu verschaffen. Zurückhaltender aber im Ergebnis BGH v. 17.2.2004 – X ZR 108/02, BGHR 2004, 786 = MDR 2004, 898 = NJW-RR 2004, 989. Dagegen fordern eine generelle Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts immer mehr Stimmen in der Literatur im Anschluss an Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozess, 1976, 92 ff., Nachw. bei Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren, 2006, 49; Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459 (468). Nach diesem Ansatz wäre auch die nicht risikobelastete Partei – ohne Rücksicht auf das Bestehen eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs – zur Urkundenvorlage verpflichtet. Allerdings kann die Vorlage auch nach dieser Meinung nicht unmittelbar erzwungen werden, sondern nur mittelbar dadurch, dass der unsubstantiierte Tatsachenvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei widerlegbar als wahr fingiert wird. Diese Frage stellt Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 419. E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 166; Zöller/Geimer, ZPO30, § 363 Rz. 37; zustimmend Berger, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme zwischen Österreich und Deutschland, in FS Rechberger, 2005, 39, 44; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 117. A.A. Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 383. Anderer Ansicht Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 10 HBÜ Rz. 3. E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 45; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 288; Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 451. Dagegen soll nach Stürner, JZ 1987, 608 Fn. 10 die Zustellung einer Zeugenladung völkerrechtlich unzulässig sein; vielmehr stelle das Ersuchen um Rechtshilfe den einzig zulässigen Weg dar. Ebenso Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery: Grundfragen des IZPR, 1989, 59 ff., 64 Fn. 123.
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kommens in Strafsachen215 – keine Verpflichtung für den ersuchten Staat – neben der Zustellung der Ladung des ausländischen Gerichts (hierfür gilt nicht HBÜ, sondern HZÜ) – den Zustellungsempfänger (Zeugen, Sachverständigen) nochmals selbst aufzufordern, vor dem ausländischen Gericht zu erscheinen (= Befehl des ersuchten Staates, Rz. 2528). Heftig umstritten ist die Frage, inwieweit das HBÜ vorschreibt, ausländische 2361 Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen.216 Nach richtiger Auffassung verpflichtet es nur die Vertragsstaaten, Rechtshilfe zu gewähren, wenn sie darum ersucht werden, verpflichtet aber nicht die Vertragsstaaten, solche in Anspruch zu nehmen (vgl. auch Rz. 2081). Nach der Gegenmeinung217 wollte das HBÜ „Einschränkungen im Direktzugriff“ 2362 festlegen. Das HBÜ ist demnach – auch nach Auffassung der deutschen Bundesregierung – für den ausländischen Forumstaat (= Staat, in dem der Prozess stattfindet, für den die Beweise benötigt werden) eine abschließende Regelung (nicht für Deutschland als Beweisaufnahmestaat, Art. 27 HBÜ) und verbietet ausländischen Gerichten, die im HBÜ geregelten Beweisaufnahmemethoden – unter Umgehung der deutschen Rechtshilfebehörden (Zentrale Behörden) – direkt anzuordnen. Entscheidend sei der Ort der Beweisaufnahme, irrelevant dagegen, ob die Beweisperson Partei oder ein Dritter ist und ob die Beweisaufnahme freiwillig oder zwangsbedroht ist.218 Das HBÜ erfasst nur Beweisaufnahmen im Ausland. Ob eine solche notwendig 2363 ist, entscheidet nach der hier vertretenen Ansicht allein das deutsche autonome Recht. Insoweit ist Deutschland durch das HBÜ nicht gebunden.219 Das HBÜ findet – ebenso wie die EuBeweisVO (Rz. 245c) – keine Anwendung, 2364 wenn die Beweisaufnahme zwar Personen außerhalb des Gerichtsstaates betrifft, jedoch im Inland (Forumstaat) stattfindet.220 Es verbietet insbes. nicht gerichtliche Anordnungen gegenüber Parteien, Urkunden, die im Ausland liegen, vorzulegen oder Beweispersonen aus dem Ausland vor das Prozessgericht zu schaffen (Rz. 434, 440).221
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Hierzu BT-Drucks. IV/382, 45. Nachw. bei Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 308 ff. Z.B. Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 317. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 369, 370, 392. Anders die US-Sicht, Rz. 432; von Bodungen/Jestaedt in FS Stiefel, 1987, 70 Fn. 20. 219 Diese Frage ist einer der Hauptstreitpunkte im dt.-amerik. Justizkonflikt. S. z.B. Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 124; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 361, 401; Schack, IZVR6, Rz. 808, 825. A.A. Heidenberger, RIW 1988, 310; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 288, 447, 456: Rechtshilfeweg sei zwingend, wenn der Inlandsbezug zum Gerichtsstaat nicht besteht. 220 Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 98; Drobnig in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 114; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 201. 221 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Einl. zur Europäischen Beweisaufnahme-VO Rz. 29.
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2365 Bestritten ist, ob die Anordnung der Urkundenvorlage eine Beweisaufnahme im Forumstaat darstellt (also keine Beweisaufnahme im Ausland, so vor allem der US-amerikanische Standpunkt) oder ob die Beweisaufnahme im Lagestaat der Urkunde zu lokalisieren ist, in dessen Gebietshoheit völkerrechtswidrig eingegriffen wird.222 2366 Deutschland vertritt – im Gegensatz zur Praxis der US Gerichte223 – die Auffassung, die völkerrechtlich relevante Handlung finde auf deutschem Boden statt, wenn ein ausländisches Gericht (z.B. ein US District Court) die Vorlage von Urkunden anordnet. Es handle sich mithin um eine Beweisaufnahme im Ausland.224 Das ausländische Gericht greife auf Sachen zu, die ausschließlich deutscher Hoheitsgewalt (Gebietshoheit) unterliegen. Maßgebend sei nicht die Verwertung, sondern das Sammeln von Beweismaterial.225 Diese Argumentation überzeugt nicht.226 Problematisch wird dieser Standpunkt jedenfalls bei der
222 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 367; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 209; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 343. 223 US Supreme Court, Societé nationale Aerospatiale v. US District Court for the Southern District of Iowa, 482 U.S. 522 (1987) = 107 S. Ct. 2542 (1987) = JZ 1987, 984 (Übersetzung von Stadler) mit Anm. Stürner 988; deutlich jüngst wieder US District Court for the Eastern District of Pennsylvania 6.3.2012 True Position Inc. v. LM Ericsson – Telephone Company et alii GRUR Int 2012, 474: Eine Beweiserhebung (discovery) braucht auch dann nicht nach den Regeln des Haager Beweisübereinkommens erfolgen, wenn in dem Herkunftsland der ausländischen Partei ein sog. Sperrgesetz (blocking statute) existiert, welches bei Nichtbeachtung des Haager Beweisübereinkommens Sanktionen vorsieht. Auch in solchen Fällen ist für US-Gerichte die exklusive Anwendung des Haager Beweisübereinkommens erforderlich. Ob nach den Regeln des HBÜ oder (nur) des autonomen US-Prozessrechts (F.R.C.P.) zu verfahren ist, hängt neben den Konstellationen böser Absicht der die discovery verweigernden Partei und der Berücksichtigung unangemessener Härte für die der discovery unterliegende Partei von den vom Supreme Court in Aerospatiale festgelegten folgenden fünf Faktoren ab: (1) Bedeutung der offenzulegenden Dokumente bzw. Informationen, (2) Spezifität der Offenlegungsforderungen, (3) Belegenheit der Informationen, (4) mögliche alternative Informationsquellen und (5) Abwägung des Interesses der USA an der Anwendung US-Rechts gegenüber dem Interesse des ausländischen Staates an der Anwendung des Haager Beweisübereinkommens. S. hierzu die Zusammenfassung in GRUR Int 2012, 474. 224 Amicus Curiae Brief der Bundesregierung im Fall Aérospatiale, 25 ILM, 1539, 1546 (1986): „The Federal Republic of Germany also considers it a violation of its judicial sovereignty when a foreign court enforces the production in the United States of evidence which is located in Germany, since only a German court has the legal power to enforce compliance. Even though issued in the United States, such order constitutes an extraterritorial assertion of sovereignty, because it requires acts to be performed in the Federal Republic of Germany where the evidence must be gathered“. 225 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 209, 368, 375, 392. Vgl. auch Stürner, ZVglRWiss 81 (1981), 211; Zekoll, US-amerikanisches Haftpflichtrecht vor deutschen Gerichten, 1987, 142. 226 Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 127.
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Grundfragen
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EDV-Datenspeicherung und -übermittlung.227 Darüber hinaus muss im Auge behalten werden, dass auch die Bundesregierung228 in anderem Zusammenhang die Auslandsbelegenheit von Dokumenten keineswegs als Hindernis für das deutsche Vorlageverlangen erachtet hat.229 Ebenso sind Anordnungen gegenüber ausländischen Dritten zulässig, die sich 2367 im Gerichtsstaat (Deutschland) befinden230 und als Auskunftsperson zur Verfügung stehen („Zeugnispflicht“, Rz. 380), auch wenn sie sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, z.B. bei Besuch einer Messe, einer Konferenz oder anlässlich eines Ferienaufenthaltes oder auch nur einer Durchreise.231 Bei der Anwendung des HBÜ sind viele Schwierigkeiten im Verhältnis zu den 2368 USA entstanden. Discovery im Ausland findet nach FRCP in vier Varianten statt.232 Die Partei kann (1) ein Rechtshilfeersuchen (letter rogatory) beantragen, FRCP 28 (b) (3); (2) beantragen, einen Beauftragten (commissioner) zu ernennen; in Betracht kommen in- oder ausländische Privatpersonen (z.B. ein Rechtsanwalt) oder ein Amtsträger (z.B. US Magistrate, deutscher Notar), FRCP 28 (b) (2); (3) dem Gegner schriftlich mitteilen (notice), dass die Beweisaufnahme (a) vor einem US-Konsul oder (b) vor einer anderen zu Eidesabnahme befugten inoder ausländischen Person (z.B. US court reporter, deutscher Notar)233 stattfinden wird, FRCP 28 (b) (1); (4) sich mit dem Gegner über irgendeine (andere) Methode der Beweiserhebung einigen (stipulation) FRCP 29. Die Beweiserhebungsmethoden (1), (2), (3a) sind im HBÜ geregelt und nur mit Erlaubnis der deutschen Zentralen Behörde statthaft. Außerhalb des Regelungsbereichs der HBÜ bleiben daher nur 3b und 4.234 c) Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.6.1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland Beim VN-Übereinkommen vom 20.6.1956235 ist sedes materiae Art. 7.
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227 Zu „Datenoasen“ im Ausland Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 326. 228 DB 1983, 1086. Nachw. auch bei Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 109 Fn. 32. 229 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 354, 443; s. auch R. Geimer, ZfRV 1992, 336; Schlosser in FS Lorenz, 1991, 504: „Die ‚judicial sovereignty‘ gibt es nicht“. 230 Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 377 Rz. 13. 231 Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 59 Rz. 19. A.A. Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 20. 232 Text bei Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 45; s. auch Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 370. 233 Junker, a.a.O., 372. 234 Junker, a.a.O., 373. 235 BGBl. II 1959, 150.
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d) Deutsch-britisches Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928 2370 Das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928236 ist von großer praktischer Bedeutung, weil es noch in den meisten Staaten gilt, die aus den ehedem zum British Empire gehörenden Kolonien/Territorien entstanden sind.237 Im Verhältnis zum Vereinigten Königreich hat jedoch nunmehr die EuBeweisVO Vorrang. 2371 Beweisaufnahmen durch den special examiner ermöglicht Art. 11 des deutschbritischen Rechtshilfevertrages. Die Auslandsvertretungen beider Staaten können ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der zu vernehmenden Personen in eigener Zuständigkeit Beweisaufnahmen durchführen. Für die Beamten der deutschen Auslandsvertretung ergibt sich die funktionelle Zuständigkeit generell aus § 15 KonsularG. Einer speziellen Beauftragung bedarf es nicht. 2372 Im Gegensatz zum HZPÜ und zu den anderen zweiseitigen Abkommen sowie zur Haltung Deutschlands zu Art. 18 HBÜ (Rz. 451, 2433) muss nach Art. 12 (a) II das Gericht des Empfangsstaates „die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Zeugen und die sonstigen zu vernehmenden Personen erscheinen und ihre Aussagen machen und dass die Urkunden vorgelegt werden, wobei es, falls erforderlich, von seiner Zwangsgewalt Gebrauch macht“. Zwangsmaßnahmen sind aber nur gegen Angehörige des ersuchenden Staates (Entsendestaates) zulässig (Rz. 2434).238 e) Sonstige Rechtshilfeabkommen 2373 Griechenland (Abkommen vom 11.5.1938)239; Tunesien (Vertrag vom 19.7.1966); Türkei (Abkommen vom 28.5.1929); sowie die Zusatzvereinbarungen zum HZPÜ mit Belgien (25.4.1959), Frankreich (6.5.1961), Marokko (29.10.1985), Niederlande (30.8.1962), Norwegen (23.11.1979), Österreich (6.6.1959). Die Zusatzabkommen mit Dänemark (1.6.1910), Luxemburg (1.8.1909), Schweden (1.2.1910), Schweiz (30.4.1910) regeln nur den unmittelbaren Behördenverkehr, sind aber ansonsten für die Beweisaufnahme ohne Bedeutung. f) Europäische Menschenrechtskonvention 2374 Bajons240 leitet aus Art. 6 I EMRK (Recht auf effektiven Rechtsschutz) eine Pflicht zur Rechtshilfe her. Ob sich diese Ansicht durchsetzen wird, ist sehr
236 RGBl. II 623. Nachw. auch bei Niehr, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlage im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, 2004. 237 Australien, Bahamas, Barbados, Dominica, Fidschi, Gambia, Grenada, Jamaica, Kanada, Lesotho, Santa Lucia, Malawi, Malaysia, Malta, Mauritius, Nauru, Neuseeland, Nigeria, Salomonen, Seychellen, Sierra Leone, Singapur, St. Vincent und Grenadinen, Swasiland, Trinidad und Tobago und Zypern. 238 Zur verfassungsrechtlichen Problematik dieser Vorschrift R. Geimer in FS Matscher, 1993, 151. 239 Nachw. in Geimer/Schütze, IRV, 102 ff. – Zur Beibehaltung der bilateralen Abkommen s. Art. 21 II EuBeweisVO. 240 Bajons, Zivilverfahren, 1991, Rz. 31.
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fraglich.241 (S. auch Rz. 2074). Nicht zu bestreiten ist aber, dass ein effizientes Beweisaufnahmeverfahren zur wirksamen Rechtsdurchsetzung bzw. Rechtsverteidigung gehört (Rz. 2351) und daher das Menschenrecht auf ein faires und effizientes Verfahren (Art. 6 I EMRK) involviert ist.242 g) Andere Rechtsgebiete In Verwaltungssachen gilt das Europäische Übereinkommen über die Erlan- 2375 gung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland vom 15.3.1978.243 In Strafsachen ist das Europäische Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsa- 2376 chen vom 20.4.1959244 einschlägig. Dieses wird jedoch in der Europäischen Union in weiten Bereichen überlagert durch das Übereinkommen vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union245 samt Protokoll vom 16.10.2001.246 Im Adhäsionsverfahren (Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren) lässt sich die für den zivilrechtlichen Teil des Prozesses erforderliche Beweisaufnahme allermeistens nicht von dem des strafrechtlich relevanten Komplex trennen. Besonders intensiv ist die internationale Zusammenarbeit der Finanz- und 2377 Zollbehörden.247 2. Völkergewohnheitsrecht Das deutsche Gericht darf ohne Zustimmung des betroffenen ausländischen 2378 Staates nicht ins Ausland reisen und dort Beweisaufnahmen durchführen, auch wenn die Parteien und Beweispersonen kooperationsbereit sind (Rz. 120). Das deutsche Gericht darf aber Beweise aus dem Ausland beschaffen.
241 Vorsichtig zustimmend Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 75. 242 R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 213, 242. Weitergehend Achim Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004, 14. 243 BGBl. II 1981, 553; dazu Ausführungsgesetz BGBl. I 1981, 665. S. auch Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 257; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 174; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 192; Jellinek, NVwZ 1982, 535; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 304. 244 BGBl. II 1964, 1369, 1386, in Kraft seit 1.1.1977, BGBl. II 1976, 1799. 245 BGBl. II 2005, 650; hierzu BT-Drucks. 15/4233. 246 BGBl. II 2005, 661; hierzu BT-Drucks. 15/4230. 247 Dabei taucht die (im IZVR sich nicht stellende) Frage auf, ob ein Datenaustausch ohne Wissen der Betroffenen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 GG, BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1), Art. 103 I GG oder das Rechtsstaatsprinzip verstößt, Schwochert, RIW 1991, 843; vgl. auch für Strafsachen Lagodny in Schomburg, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen4, § 59 Rz. 32, der sich gegen „ungezügelten Datenfluss“ ausspricht.
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3. EU-Beweisaufnahme-Verordnung 2378a Deutschland hatte die Initiative ergriffen und einen Entwurf248 vorgelegt, welcher die Grundsätze der EG-Zustellungsverordnung Nr. 1348/2000 vom 29.5.2000 (Rz. 245c) auf das Gebiet der Beweisaufnahme übertragen soll.249 Erfreulich schnell wurde die VO (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBeweisVO) erlassen.250 2378b Im Vordergrund steht – wie bei den Haager Übereinkommen (Rz. 2353 ff.) – das Rogationsprinzip, d.h. Beweisaufnahme nicht durch das Gericht des Mitgliedstaates, in dem der Rechtsstreit anhängig ist, sondern wie bisher auf dessen Ersuchen (Art. 4 ff. EuBeweisVO) durch die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaates, in welchem sich die Beweisperson aufhält oder der Beweisgegenstand sich befindet, Art. 10 ff. EuBeweisVO. Ein allgemeiner ordre public-Vorbehalt (Rz. 2476) ist nicht vorgesehen.251 Ein Beweisaufnahmeersuchen kann nur nach Maßgabe von Art. 14 EuBeweisVO abgelehnt bzw. nicht erledigt werden. 2378c Die eigentliche Neuerung liegt – neben den Versuchen zur Beschleunigung der Übermittlungsvorgänge u.a. durch Einrichtung von Zentralstellen (Art. 3 EuBeweisVO) und der Abmilderung des Sprachen- bzw. Übersetzungsproblematik durch Verwendung standardisierter mehrsprachiger Formblätter – in der Zulassung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Gericht des Gerichtsstaates nach dessen Recht. Einschlägig ist Art. 17 EuBeweisVO, der allerdings reichlich kompromissbehaftet ist252: Der betroffene Mitgliedstaat kann Überwachungspersonen zu der Beweisaufnahme entsenden; er kann die unmittelbare Beweisaufnahme unter den Voraussetzungen des Art. 17 V EuBeweisVO ablehnen, d.h. untersagen, wenn die direkte Beweisaufnahme wesentlichen Rechtsgrundsätzen des eigenen Rechts widerspricht.253 Auch ist die unmittelbare Beweisaufnahme nach Art. 17 EuBeweisVO nur statthaft, „wenn sie auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann.“ Diese Einschränkung mindert die praktische Bedeutung dieser Beweisaufnahmemethode ganz erheblich.254 Da man bei der übereilten Verabschiedung der EuBeweisVO die Beweisaufnahme durch diplomatische bzw. konsularische Vertreter schlichtweg vergessen hat,
248 ABl. EG Nr. C 314 v. 3.11.2000, 1. Näher hierzu Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Einl. zur EuBeweisVO Rz. 5. 249 Vgl. auch Bohnen, DRiZ 1996, 411 (414); Bohnen in Zerdick, Die juristische Zusammenarbeit zwischen Frankreich, Spanien und Deutschland, 1999, 99, 101. 250 ABl. EG Nr. L 324 v. 10.12.2007, 79. 251 S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 162. 252 Hierzu z.B. Schneider, Der Minderjährige als Zeuge, in Clavora/Garber (ed.), Die Rechtsstellung von Benachteiligten im Zivilverfahren, 2012, 243, 268. 253 In Deutschland wird die nach Art. 17 zuständige Stelle durch Landesverordnungen bestimmt, § 1074 III Nr. 2 ZPO. 254 Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBeweisVO im österr. Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81, 95.
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Vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren
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verbleibt es weiterhin bei dem vage gefassten Art. 15 des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens.255
3. Kapitel: Auslandsbeweisaufnahmen für vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren I. Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland 1. Die verschiedenen in Betracht kommenden Rechtsebenen In der völkerrechtlichen und zivilprozessualen Literatur – einschlägige Judikate 2379 behandeln das Thema nur marginal – wurden noch keine klaren Linien herausgearbeitet, wann Maßnahmen des deutschen Gerichts zur Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland die Souveränität des Staates, aus dem die Beweismittel beschafft werden sollen, beeinträchtigen (völkerrechtliches Problem).256 Zudem ist noch nicht klar, inwieweit – auf innerstaatlicher Ebene – das Gericht in die Prärogative der Bundesregierung zur Pflege der auswärtigen Beziehungen (Art. 32 I GG) eingreift (verfassungsrechtliches Problem, Rz. 263).257 2. Entscheidungsfreiheit des deutschen Gerichts §§ 363, 364 ZPO schränken die Entscheidungsfreiheit der deutschen Gerichte 2380 hinsichtlich Herbeischaffung von Beweismitteln aus dem Ausland nicht ein,258 ebenso nicht das HBÜ (Rz. 2361).259 Das Gleiche gilt für die EuBeweisVO.260 Diese Vorschriften normieren nur das Vorgehen, wenn das Gericht eine Beweis255 Dies ist allerdings nicht unbestritten. 256 Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 43 ff., 65 ff.; Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987, 144; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 170 Fn. 47; Gottwald in FS Habscheid, 1989, 125, 128; v. Bodungen/Jestaedt in FS Stiefel, 1987, 75; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 275; Schlosser in FS Lorenz, 1991, 497. Weitere Nachw. bei Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000, 81 ff. Gegenstand der Kritik und diplomatischer Proteste ist die extensive US-Praxis, hierzu Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 912. Vgl. auch Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 109 ff. 257 R. Geimer, NJW 1989, 2205. 258 OLG Schleswig v. 3.12.1988 – 1 Str 31/88, RIW 1989, 910 = IPRspr. 1988 Nr. 183. S. auch Achim Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Europäischen Justizraum, 2004, 153; Musielak in FS Geimer, 2002, 761, 763; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 321. 259 Bestritten, Nachw. bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 402; Schulze, IPRax 2001, 527 (531). 260 EuGH v. 6.9.2012 – C-170/11 – Maurice Robert Josse Marie Ghishlain Lippens u.a./ Hendrikus Cornelis Kortekaas u.a., NJW 2012, 3771 = EuZW 2012, 831 (Bach) = RiW 2012, 874 = IPRax 2013, 262; hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 1 Rz. 4; St. Huber,
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Achter Teil
Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
aufnahme im Ausland für richtig hält, nicht aber die Frage, ob eine solche stattfinden muss. Vielmehr kann und muss unter Umständen das Gericht einen anderen Weg gehen und anstelle der Beweisaufnahme im Ausland darauf hinarbeiten, dass Beweismittel aus dem Ausland „importiert“ werden. Dabei bedarf die Durchbrechung des Prinzips der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht stets einer Rechtfertigung.261 Die Frage, ob und in welchem Umfang ein deutsches Gericht innerhalb der völkerrechtlichen Grenzen (Rz. 426, 437, 2320) die Herbeischaffung von Beweismitteln aus dem Ausland anordnen bzw. den Parteien auferlegen und durch (mittelbaren) Zwang durchsetzen kann, ist nach der lex fori zu beantworten. Ist z.B. das Recht eines US-Bundesstaates Schuldstatut, dann kann das deutsche Gericht nicht etwa sub poena-Anordnungen nach FRCP262 verfügen. Es ist vielmehr nach deutschem Verfahrensrecht zu prozedieren. 3. Befugnisse des deutschen Gerichts a) Überblick 2381 Es ist noch einiges unklar.263 Sicher ist, dass das deutsche Gericht das persönliche Erscheinen einer im Ausland domizilierten Partei (Rz. 426) anordnen und das (unentschuldigte) Nichterscheinen durch Prozessnachteile ahnden kann.264 Fraglich ist jedoch, ob es Ordnungsgeld (§ 141 III ZPO) festsetzen kann, das im Wege des Vollstreckungszugriffs auf inländisches Vermögen eingetrieben wird.265 Sicher ist auch, dass gegen im Ausland wohnende Zeugen und Sachverständige, die nicht freiwillig vor einem deutschen Gericht erscheinen, keine Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Dies wäre zwar gegen deutsche Staatsangehörige kraft Personalhoheit völkerrechtlich zulässig,266 hierfür fehlt jedoch innerstaatlich die gesetzliche Grundlage (Rz. 2320).267 Unpräzise ist der im Anschluss an Riezler268 verbreitete Satz, die (öffentlichrechtliche) Zeugnispflicht (Pflicht zum Erscheinen, §§ 377, 380, 382 ZPO), zur wahrheitsgemäßen Aussage (§§ 393 ff., 376, 390 ZPO) und zur Beeidung der Aussagen (§§ 391, 390 ZPO) obliege – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörig-
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Der optionale Charakter der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung, ZEuP 2014, 642. Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 45 m.w.N. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 157. Nachw. z.B. bei Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996, 184 ff.; Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österr. Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81, 116 ff. Zustimmend Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 445; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 606a ZPO Rz. 164. Verneinend BGH v. 25.3.2010 – I ZB 116/08, MDR 2010, 717 = FamRZ 2010, 890 – Rz. 12; OLG Hamm v. 2.10.2008 – 19 W 21/08, NJW 2009, 1090; OLG München v. 5.9.1995 – 28 W 2329/95, NJW-RR 1996, 59 = IPRspr. 1995 Nr. 134; Giebel, IPRax 2009, 324 (326); Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 59 Rz. 84. Anders wohl Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 451. Nagel, IPRax 1992, 302. Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 474.
Vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren
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keit – jedem, der der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist, Rz. 380; man meint wohl nur die Gebietshoheit (Rz. 119, 166, 372).269 Unter „internationaler Beweiszuständigkeit“ versteht Klaus P. Mössle270 im An- 2382 schluss an den in den USA verwendeten Begriff jurisdiction over evidence271 „die Befugnis der Gerichte oder Behörden, im Ausland befindliche Beweismittel … direkt, d.h. ohne Inanspruchnahme von Rechtshilfe, durch extraterritoriale Auskunftsverlangen anzufordern und bei Nichtbefolgung der Anordnung Sanktionen zu verhängen“. Klaus P. Mössle272 sieht in der extraterritorialen Anwendung von Beweisbeschaffungsnormen „un troisième type de juridiction“.273 Die Befugnis, Beweisanordnungen mit Auslandsbezug zu erlassen, folgt noch nicht aus der allgemeinen internationalen Zuständigkeit (vgl. Rz. 1206). Beweisrechtliche Fragen internationaler Verfahren seien als „separates Phänomen“ aufzufassen.274 Für die internationale Zuständigkeit (in Richtung gegen den Beklagten) gibt es kaum völkerrechtliche Grenzen (Rz. 377). Erst recht gilt dies für die „internationale Beweiszuständigkeit“. Daher könnten extraterritoriale Auskunftsverlangen nur schwer einer völkerrechtlichen Kontrolle unterzogen werden.275 Eine solche strebt aber Mössle276 an. Er versucht die US-Doktrin zu verallgemeinern, die auf drei zentrale Begriffe des US-Zivilprozesses fixiert ist: – personal jurisdiction – internationale Zuständigkeit – control – Verfügungsmacht über die Beweismittel – comity – Grenzen extraterritorialer Auskunftsverlangen. Sind die Voraussetzungen nach dem Recht des Gerichtsstaats für Erlass und Durchsetzung extraterritorialer Auskunftsverlangen gegeben (internationale Zuständigkeit und Verfügungsmacht des Adressaten über die Beweismittel), dann soll auf völkerrechtlicher Ebene dem comity-Gedanken zum Durchbruch verholfen werden mit einer zweistufigen Prüfung: – völkerrechtliche Grenzen der Beweiszuständigkeit: Nur wenn und soweit Tatsachen, auf die sich die angeforderten Beweisstücke beziehen, sachgemäße Inlandsbezüge aufweisen, soll die Beweiszuständigkeit gegeben sein.277 – Ausübung der aus der Beweiszuständigkeit folgenden Befugnisse: Die allgemeine völkerrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (Rz. 171) führt zur res-
269 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit, von (sich im Ausland aufhaltenden) Inländern die Übermittlung von (körperlich existierenden) Dokumenten und (abstrakten) Informationen zu verlangen, Nordmann, Die Beschaffung von Beweismitteln aus dem Ausland durch staatliche Stellen, 1979, 104. 270 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 200. 271 Hermann, Conflicts of National Laws with International Business Activity: Issues of Extraterritoriality, 1982, 78. 272 Klaus P. Mössle, a.a.O., 334. 273 Im Anschluss an Kaufmann-Kohler (Conflits en matière d’obtention de preuves à l’étranger, Schweizer. JbiR XLI [1985], 117). 274 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 200. 275 Klaus P. Mössle, a.a.O., 207. 276 Klaus P. Mössle, a.a.O., 307 ff. 277 Klaus P. Mössle, a.a.O., 433–448.
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triktiven Anwendung des nationalen Rechts.278 Die dann noch verbleibenden Konfliktfälle seien durch eine „Harmonisierung bzw. Optimierung“ zu entschärfen.279 Bei der Konfliktlösung lehnt Mössle das Alles-oder-Nichts-Prinzip ab, da i.d.R. beide Positionen, nämlich Aufklärungs- wie Abwehrrechte, „schutzfähig und schutzwürdig“ sind.280 Die beteiligten Staaten sollen die „verfahrensrechtlichen Voraussetzungen“ dafür schaffen, „dass sich die widerstreitenden Interessen jeweils möglichst weitgehend realisieren lassen“. Im Einzelnen schlägt Mössle281 vor: – Auskunftserteilung gegen Zusicherung der ausländischen Stelle, die Beweismittel nur im Rahmen des Verfahrens zu verwenden, für das sie angefordert werden; – Schutzanordnungen gem. FRCP 26 (c) statt Zeugnisverweigerung; – den von Lord Denning entwickelten „blue pencil approach“; – Verständigung auf Regierungsebene nach dem Vorbild des schweizerisch-USamerikanischen Memorandum of Understanding aus dem Jahre 1983 zur Verbesserung der Rechtshilfe auf dem Gebiet des Insiderrechts. 2383 All diese Vorschläge haben die wissenschaftliche Diskussion bereichert.282 Sie führen aber zu keiner konkreten Lösung der praktischen Probleme des internationalen Beweisverfahrensrechts.283 Insbes. wird auch nicht klar, wo Mössle die Grenzen der deutschen lex lata ziehen will. § 377 ZPO kennt keinerlei geographische Grenzen. Auch bleiben die Normen des Völkergewohnheitsrechts für die Inanspruchnahme einer internationalen Beweiszuständigkeit auf weiten Strecken im Dunkeln. Angesichts dieser Prämissen ist es nur folgerichtig, dass Mössle die Unterscheidung zwischen Gerichtsbarkeit (= der vom Völkerrecht gesetzte Rahmen) und internationaler Zuständigkeit nicht plausibel darlegen kann. So bleibt offen, in welchen Fällen Deutschland keine internationale Beweiszuständigkeit beansprucht, obwohl es hierzu völkerrechtlich in der Lage wäre. Die von Klaus P. Mössle284 erwähnten Anknüpfungen Staatsangehörigkeit, Aufenthalt und geschäftliche Tätigkeit im Inland dürften den völkerrechtlichen Rahmen voll ausschöpfen. Dass in Deutschland die Diskussion über die internationale Beweiszuständigkeit erst in den Anfängen steckt, hängt vor allem damit zusammen, dass die deutsche ZPO – sieht man von dem Zwang gegen Zeugen und Sachverständige (Rz. 2448) und von den Fällen des § 372a ZPO sowie des § 178 FamFG ab – die unmittel-
278 279 280 281 282
Klaus P. Mössle, a.a.O., 452–459. Klaus P. Mössle, a.a.O., 459–464. Klaus P. Mössle, a.a.O., 450 f., 459. Klaus P. Mössle, a.a.O., 461 ff. Hierzu z.B. Kindler, ZZP 105 (1992), 378; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 36. Aus österr. Sicht Rechberger/McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO im österr. Zivilprozessrecht, ZZPInt 10 (2005), 81, 116 ff. 283 Ebenso im Ergebnis Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 4. 284 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 181.
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bare Erzwingung der Beweisaufnahme – anders als z.B. der US-Zivilprozess und Art. 11 Nouveau Code de procédure civile (Rz. 2522) – nicht kennt.285 b) Schriftliche Befragung Eine schriftliche Befragung (§ 377 III ZPO) von im Ausland sich aufhaltenden 2384 Beweispersonen (Parteien, Zeugen, Sachverständigen) durch das deutsche Gericht ist völker- und verfassungsrechtlich zulässig (Rz. 437).286 Es bedarf auch keiner (dienstrechtlichen) Genehmigung im Hinblick auf die Prärogative der Exekutive (Art. 32 I GG). Sie kann sogar verfassungsrechtlich geboten sein, z.B. wenn anders der Zeuge überhaupt nicht zur Verfügung stünde.287 c) Telefonische Vernehmung Auch eine telefonische Vernehmung durch das deutsche Gericht der sich im 2385 Ausland aufhaltenden Beweisperson wäre völkerrechtlich zulässig (Rz. 436b)288; jedoch fehlt in Deutschland innerstaatlich eine Rechtsgrundlage.289 Eine Ausnahme gilt allerdings in amtsgerichtlichen Verfahren mit einem Streitwert bis zu 600 Euro, § 495a ZPO.
285 R. Geimer, ZfRV 1992, 336. Moderat auch §§ 142, 144 ZPO, s. Rz. 2514. S. z.B. OLG Frankfurt v. 18.10.2006 – 1 U 19/06, OLGR 2007, 466 (468): „Die Neufassung der Vorschrift hat jedenfalls die in §§ 422 f. ZPO gezogenen Grenzen einer Vorlegungspflicht unberührt gelassen und nichts an dem bewährten Grundsatz des deutschen Zivilprozessrechts geändert, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt“. 286 Zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 165; Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 41. Anders die h.M. (§ 62 Satz 3 ZRHO) „da der ausländische Staat darin einen unzulässigen Eingriff in seine Hoheitsrechte erblicken kann“, Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 452; Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 23; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 279, 301; OLG Hamm v. 8.12.1987 – 10 U 31/87, NJW-RR 1988, 703 = IPRspr. 1987 Nr. 146; BGH v. 10.5.1984 – II ZR 29/83, NJW 1984, 2039 = IPRspr. 1984 Nr. 164. Vgl. auch Vogler/Wilkitzki, IRG, 1992, vor § 68 Rz. 6. 287 Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, 2004, 381. 288 Zustimmend Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Einl. zur EuBeweisVO Rz. 29. Zur US-Praxis Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 2006, 933. 289 Beispiel: House of Lords v. 10.2.2005 – Polanski/Condé Nast Publications Ltd. [2005] UKHL 10; [2005] 1 WLR 637; [2005] 1 All ER 945; RIW 2006, 301 (Knöfel 303). S. auch BGH v. 8.12.1994 – 4 StR 536/94, NStZ 1995, 244 = StV 1995, 173 (für Strafverfahren) sowie Schomburg, NJW 1995, 1933. Anders z.B. in USA: FRCP 30 (b) 7, Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 360.
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d) Audiovisuelle Vernehmung 2385a Das Gleiche gilt für eine audiovisuelle Vernehmung.290 § 128a ZPO291 eröffnet eine solche Möglichkeit, wenn die Parteien ihr Einverständnis erklären.292 e) Anordnung der Vorlage von Urkunden, die sich im Ausland befinden 2386 Auch dies ist – entgegen der unter Rz. 2362, 2366 dargestellten Standpunkte – völkerrechtlich unbedenklich (Rz. 440).293 Wegen der innerstaatlichen Rechtslage s. aber Rz. 2359, 2408. f) Beauftragung von Sachverständigen, die sich im Ausland aufhalten 2387 Auch die Beauftragung von (ausländischen) Sachverständigen, die sich im Ausland (gewöhnlich) aufhalten, ist völkerrechtlich zulässig,294 ebenso das Tätigwerden von Sachverständigen im Ausland, welche das deutsche Gericht hierzu beauftragt hat (Rz. 441, 445).295 Beispiel296: Das Handelsgericht Paris erlässt ordonnance de référé expertise, wonach ein französischer Sachverständiger beauftragt und ermächtigt wird, eine gewerbliche Anlage in Essen zu besichtigen.
290 Zustimmend Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 398. A.A. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, JZ 2000, 471 (Vassilaki): Erforderlich sei Einverständnis des Aufenthaltsstaates der zu vernehmenden Person. 291 Bis zur Zivilprozessreform 2001 fehlte dem deutschen Recht – anders als im Strafprozess (§ 247a StPO) – eine Norm, welche die Vernehmung im Wege der „Fernsehkonferenz“ gestattet. Hierzu z.B. Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269 (273). 292 Auch im Anwendungsbereich der EuBeweisaufnahmeVO keine Genehmigung des betroffenen Mitgliedstaats (Art. 17) erforderlich, House of Lords v. 10.2.2005 – Polanski/ Condé Nast Publications Ltd., [2005] UKHL 10; [2005] 1 WLR 637; [2005] 1 All ER 945; RIW 2006, 301 (Knöfel 303). Anders die h.M., Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung, in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 41; Stadler, ZZP 115 (2002), 413, 441; Schulze, IPRax 2001, 527 (529); Schultzky, NJW 2003, 313 (314). 293 Vgl. § 90 II AO (oben Rz. 462); Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 25; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 322. Zur Erzwingung der Beibringung von Beweisen aus dem Ausland Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 300 Fn. 52. 294 Junker, a.a.O., 402. Ablehnend Stadler, ZZP 110 (1997), 253, 255. 295 Anders § 63 I ZRHO, eine bloße Verwaltungsvorschrift, der aber die h.M. ohne Wenn und Aber folgt, z.B. Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 301; Stadler in FS Geimer, 2002, 1281, 1287. Vgl. auch Art. 17 III der EuBeweisVO Nr. 1206/2001 v. 28.5.2001 (s. Rz. 245c, 2378a). 296 OLG Hamm v. 14.6.1988 – 20 W 24/88, RIW 1989, 566 (Bloch) = IPRspr. 1988 Nr. 187.
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g) Ladung von Beweispersonen Die Ladung von deutschen Staatsangehörigen, die sich im Ausland aufhalten, ist 2388 – kraft Personalhoheit der Bundesrepublik Deutschland, die auch nicht von der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates überlagert bzw. verdrängt wird297 – mit (einfachem) Postbrief (= Nichteinschaltung/„Umgehung“ der ausländischen Rechtshilfebehörde, also nicht nach § 183 I 2 ZPO) zulässig (Rz. 381, 427, 2320).298 Des Weiteren ist die formlose Bitte/Anfrage an Ausländer, freiwillig ins Inland 2389 zu kommen, völkerrechtskonform (Rz. 437).299 Die – aufgrund Ladung/Aufforderung des deutschen Gerichts – aus dem Aus- 2390 land anreisenden Zeugen haben keinen Anspruch auf freies Geleit.300 Das (auf Betreiben des Bundesrats)301 von Deutschland nicht ratifizierte Haager Übereinkommen vom 25.10.1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zur Rechtspflege302, will freies Geleit sicherstellen. Sein Art. 20 bestimmt:
297 Zustimmend z.B. Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 74 Fn. 265. 298 Schack, IZVR6, Rz. 795. Anders die h.M., z.B. Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 21; Nagel, IPRax 1992, 301; Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery-Grundfragen des IZPR, 1989, 46; Stein/Jonas/Berger, ZPO22, § 363 Rz. 11; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, vor § 402 Rz. 62; OLG Hamm v. 8.12.1987 – 10 U 31/87, NJW-RR 1988, 703 = IPRspr. 1987 Nr. 146. Anders wohl Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 360. Weitere Nachw. bei Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 2000, 95. 299 Gottwald in FS Habscheid, 1989, 128; Musielak in FS Geimer, 2002, 761, 767; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 84. Vgl. auch BGH v. 11.7.1990 – VIII ZR 366/89, NJW 1990, 3088 (3090). Skeptisch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 67. In der Praxis überlässt man dies meist der beweispflichtigen Partei.S. auch Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89 (95 ff.); Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269 Fn. 2. 300 BGH v. 24.2.1988 – 3 StR 476/87, MDR 1988, 598. (Jedoch kann nach freiem Ermessen des Gerichts sicheres Geleit nach § 295 StPO bewilligt werden, BGH v. 12.6.1991 – 4 BJs 42/89-3 2 BGs 177/91, MDR 1991, 882 = NJW 1991, 2500; Ahrens in Wieczorek/ Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 69.) Nachw. bei Gertraud Maria Bauer, Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts, 2006. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 11 EuBeweisVO Rz. 14. Vgl. auch Art. 12 EuRhÜ (BGBl. II 1960, 1347, 2319) und Art. 52 III, 48 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 14.6.1985 (Schengen II) i.V.m. Art. 12 EuRhÜ. Hierzu Rz. 2530; Lagodny in Schomburg, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen4, § 59 Rz. 54; Schomburg, NJW 1995, 1932. Sie können – im Wege der deutschen Rechtshilfe (§§ 156 ff. GVG) – auch von einem grenznahen AG vernommen werden, OLG Schleswig v. 3.12.1988 – 1 Str 31/88, RIW 1989, 910. Tedenziell ablehnend Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 68. 301 BR-Drucks. 182 Nr. 87. 302 Text in RabelsZ 46 (1982), 768, 779 sowie z.B. bei Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, Anh. D, S. 296. S. auch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 291, sowie unten Rz. 2530.
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„(1) Wird ein Zeuge oder Sachverständiger, der Angehöriger eines Vertragsstaats ist oder der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, von einem Gericht eines anderen Vertragsstaats oder von einer Partei mit Genehmigung dieses Gerichts wegen eines dort anhängigen Verfahrens namentlich vorgeladen, so darf er wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Einreise in den ersuchenden Staat dort weder verfolgt noch in Haft gehalten noch einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden. (2) Der in Absatz 1 vorgesehene Schutz beginnt sieben Tage vor dem für die Vernehmung des Zeugen oder Sachverständigen festgesetzten Zeitpunkt; er endet nach Ablauf von sieben Tagen, nachdem der Zeuge oder Sachverständige durch die Justizbehörden davon unterrichtet wurde, dass er während der genannten Frist die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet zu verlassen, er aber dort geblieben oder nach Verlassen dieses Gebiets freiwillig dorthin zurückgekehrt ist.“303
2391 Die Praxis geht nicht selten den völkerrechtlichen Problemen der h.M. scheinbar dadurch aus dem Weg, dass sie der (beweispflichtigen) Partei gestattet, selbst eine schriftliche Erklärung des Zeugen im Ausland einzuholen, die dann als Urkunde vorgelegt wird.304 Dies setzt aber – da Verstoß gegen Grundsatz der unmittelbaren Beweisaufnahme – Einverständnis (§ 295 ZPO) beider Parteien voraus.305
303 Hierzu bemerkt im Anschluss an den Rapport explicatif von Möller (Rapport explicatif sur la Convention tendant à faciliter l’accès international à la Justice, Conférence de La Haye de Droit International Privé, Actes et Documents de la Quatorzième session 6 au 25 octobre 1980, Tome IV: Entraide judiciaire/Judicial co-operation, S. 260, 286) Volken, Die internationale Rechtshilfe in Zivilsachen, 1996, Rz. 7.14, S. 259: „Die Idee des freien Geleits ist vor allem in der internationalen Strafrechtshilfe bekannt. In der zivilen zwischenstaatlichen Rechtshilfe ist mit den Haager Zivilprozess-Übereinkünften von 1893 und 1905 das Ersuchungsschreiben eingeführt worden, so dass im zivilen Beweisaufnahmeverfahren international grundsätzlich Papier und Dokumente zirkulieren, nicht Menschen. In den modernen Wirtschaftsprozessen hat sich aber gezeigt, dass die Verteidigung oft effizienter und letztlich kostengünstiger ausfällt, wenn wichtige Zeugen oder Sachverständige unmittelbar vor dem Urteilsrichter vernommen bzw. angehört werden können. Das bedingt, dass dem angerufenen Zeugen oder Sachverständigen Gewähr dafür geboten wird, dass ihm aus seiner Hilfsbereitschaft im vorliegenden Verfahren nicht Nachteile erwachsen, die aus einem anderen Zusammenhang hergeleitet werden können. Aus diesem Grund soll dem Zeugen oder Sachverständigen, der Angehöriger eines Vertragsstaates ist oder in einem Vertragsstaat wohnt und in einem anderen Vertragsstaat auf Antrag einer Partei und mit richterlicher Billigung vor den Schranken des Urteilsgerichts erscheint, Verfolgungsimmunität zugesichert sein … Die Idee dieser Bestimmung, die auf schweiz. Vorschlag aufgenommen wurde (Conférence de La Haye de Droit International Privé, Actes et Documents de la Quatorzième session 6 au 25 octobre 1980, Tome IV: Entraide judiciaire/Judicial co-operation, S. 149, document de travail No. 21), ist für das internationale Zivilprozessrecht neu. Vor allem die britischen Vertreter konnten sich mit ihr nicht anfreunden, weshalb hiergegen in Art. 28 eine Vorbehaltsmöglichkeit vorgesehen ist. Es ist aber nicht einzusehen, dass im zivilen Rechtsverkehr nicht Recht sein sollte, was im strafrechtlichen längst billig ist. Die Verweigerung des freien Geleits würde letztlich nicht den inkriminierten Zeugen oder Sachverständigen treffen, sondern die Prozesspartei, die auf deren Bericht oder Aussage vor Gericht angewiesen ist.“ Vgl. auch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 292. 304 Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery – Grundfragen des IZPR, 1989, 66. 305 Schack, IZVR6, Rz. 805.
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4. Verwertungsverbot bei völkerrechtswidriger Beweisbeschaffung Wurden aus dem Ausland unter Verstoß gegen Völkerrecht oder gegen deutsches 2392 Recht Beweise beschafft, besteht ein Verwertungsverbot.306
II. Beweisaufnahme für deutsche Zivilprozesse im Ausland 1. Grundsätzliches Sie erfolgt aus den in Rz. 2347 dargestellten Gründen nur ausnahmsweise durch 2393 das Prozessgericht oder einen beauftragten Richter (Art. 17 HBÜ, § 361 ZPO)307 selbst. Das Prozessgericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen308 das Betreiben der Beweisaufnahme – anstatt nach § 363 I ZPO zu verfahren – dem Beweisführer überlassen. Der Weg nach § 364 ZPO steht alternativ, nicht nur subsidiär zur Verfügung.309 Maßgebend sind Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit. Empfehlenswert ist die Vorgehensweise nach § 364 ZPO besonders für Beweisaufnahmen in common law-Staaten. Auch wenn der ausländische Beweisaufnahmestaat gegen die Anwesenheit von 2394 deutschen Richtern keine Einwendungen hat, wie z.B. die USA, kann ein deutscher Richter Beweisaufnahmen im Ausland nur mit Genehmigung der Bundesregierung, die über die Landesjustizverwaltung einzuholen ist,310 selbst durchführen oder an Beweisaufnahmen der von ihm ersuchten ausländischen Rechtshilfebehörde (Art. 8 HBÜ) teilnehmen, § 61 ZRHO. Dies gilt auch dann, wenn der deutsche Richter bei einer Vernehmung durch den deutschen Konsul oder diplomatischen Vertreter (§ 363 II ZPO) zugegen sein will. Art. 97 GG ist nicht verletzt311 (s. auch Rz. 262, 446).
306 FG BW v. 8.5.1990 – IV K 267-268/89, RIW 1991, 178. A.A. BVerfG v. 17.7.1985 – 2 BvR 1190/84, MDR 1986, 463 = NJW 1986, 1427; BVerfG v. 3.6.1986 – 2 BvR 837/85, NJW 1986, 3021; zustimmend Herdegen, EuGRZ 1986, 1; kritisch Mann, NJW 1986, 2167; Trechseler, EuGRZ 1987, 75. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das deutsche Gericht seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 286 I ZPO) genügt hat und seine Bemühungen um das Erscheinen eines im Ausland wohnenden Zeugen einstellen darf, der zwar auf wiederholte Ladung ausgeblieben ist, sein Erscheinen vor dem Prozessgericht jedoch grundsätzlich zugesagt hat, BGH v. 29.1.1992 – VIII ZR 202/90, MDR 1992, 708 = IPRax 1992, 319 (Nagel 301) = ZZP 105 (1992), 500 (Leipold) = LM Nr. 23 zu § 286 (E) ZPO = IPRspr. 1992 Nr. 204. Anders Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 327. 307 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 432, 437. 308 Koch in Alternativ-Kommentar zur ZPO, 1987, § 363 Rz. 6. 309 Im Ergebnis ähnlich LG Neubrandenburg v. 23.1.1996 – 2 O 247/95, MDR 1996, 1186 = IPRspr. 1996 Nr. 173a; OLG Rostock v. 22.4.1996, IPRspr. 1996 Nr. 173b. Anders die h.M. (für Subsidiarität). Sehr kritisch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 58 Rz. 64. 310 Einzelheiten: Junker, DRiZ 1985, 161. 311 BVerfG v. 17.4.1979, DRiZ 1979, 219.
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2395 Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich bei einem Ersuchen an einen fremden Staat um Rechtshilfe „um ein Teilgebiet der Pflege der auswärtigen Beziehungen i.S. des Art. 32 I GG“ (Rz. 263, 2152). Es ist daher „ausschließlich Sache des Bundes, in Rechtshilfeangelegenheiten mit auswärtigen Staaten zu verkehren“. Die Rechtshilfeverträge werden von den Ländern „nicht als eigene Angelegenheit ausgeführt“. „Die Länder nehmen insoweit nur Befugnisse des Bundes wahr“312 (s. auch Rz. 2126, 2453, 2465). 2. Beschlussfassung über die im Ausland durchzuführende Beweisaufnahme 2396 Die Beschlussfassung über die im Ausland durchzuführende Beweisaufnahme ist eine von der Unabhängigkeitsgarantie des Art. 97 I GG gedeckte richterliche Handlung. Allerdings steht die Ausführung unter dem Vorbehalt des Art. 32 I GG (Rz. 2395). Fazit: Ein deutsches Prozessgericht darf Beweiserhebung im Ausland beschließen. Die Exekutive kann jedoch die Ausführung verweigern.313 Dagegen können (nur) die Parteien (nicht aber das Gericht) gem. §§ 23 ff. EGGVG vorgehen (vgl. vice versa Rz. 2495). 2397 Die Notwendigkeit bzw. Zweckmäßigkeit der Beweiserhebung im Ausland (z.B. in den USA)314 hat das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen. Beide Parteien sind zu hören. 2398 Das deutsche Gericht hat den Antrag auf Beweiserhebung im Ausland abzulehnen, wenn ganz sicher feststeht, dass der ausländische Staat dem Rechtshilfeersuchen nicht nachkommen wird.315 Es muss aber versuchen, mit dem Zeugen unmittelbar Kontakt (schriftliche Befragung) aufzunehmen.316 3. Verständigung der Parteien von dem Beweistermin im Ausland 2399 Die Parteien sind zu verständigen, § 357 ZPO, Art. 11 II HZPÜ, Art. 7 HBÜ, Art. 11 EuBeweisVO. Ist dies unterblieben, steht es im Ermessen des Gerichts, 312 BT-Drucks. IV/382, 49, BT-Drucks. 7/2836, 14. 313 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 437; für den Bereich des Strafprozesses Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 256. 314 Nachw. bei Junker, a.a.O., 410. 315 OLG Köln v. 16.3.1983 – 16 U 136/81, FamRZ 1983, 825 (Grunsky) = IPRspr. 1983 Nr. 160. S. auch BGH v. 18.5.2000 – 4 StR 647/99, NJW 2000, 2517 (Strafsache): Ablehnung der audiovisuellen Vernehmung eines am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhinderten Auslandszeugen, wenn von ihr keine weitergehende oder bessere Sachaufklärung zu erwarten ist als durch das Vorlesen eines bereits vorliegenden richterlichen Vernehmungsprotokolls. 316 Zur Zulässigkeit von Beweisaufnahmen im Ausland vor der mündlichen Verhandlung BGH v. 25.3.1980 – KZR 10/79, NJW 1980, 1848 (1849) = MDR 1980, 735 (unentschieden). Zur Zurückweisung von Beweisantritten (§ 528 II ZPO a.F., vgl. nunmehr § 531 ZPO), wenn die Zeugen im Ausland zu laden sind, BGH a.a.O.; zur Bedeutung von Verfahrensfehlern des ausländischen Gerichts bei der Beweisaufnahme LG Frankfurt/M. v. 19.12.1980 – 2/2 O 59/76, IPRax 1981, 218 = IPRspr. 1980 Nr. 158a.
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ob es das Beweisergebnis verwendet317, soweit die Belange der nicht verständigten Partei (Art. 103 I GG, konkretisiert durch das Fragerecht, § 397 ZPO) nicht beeinträchtigt sind.318 4. Kosten für die Teilnahme am ausländischen Beweistermin Kosten aus Anlass der Teilnahme am Beweistermin im Ausland sind erstat- 2400 tungsfähig.319 5. Verfahren des deutschen Prozessgerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme im Ausland Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch den deutschen Konsularbeam- 2401 ten (§ 363 II ZPO) bzw. die ausländische Rechtshilfebehörde (§ 363 I ZPO) sind die Parteien entsprechend § 362 ZPO zu benachrichtigen; gem. § 285 ZPO ist Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen. 6. Verwertung der Ergebnisse der ausländischen Beweisaufnahme Die Verletzung der ausländischen lex fori ist unbeachtlich, § 369 ZPO (hierzu 2402 Rz. 2398).320 Unter Umständen ist eine Zeugenvernehmung zu wiederholen, wenn das Protokoll des ausländischen Rechtshilferichters über die Zeugenvernehmung zu farblos ist.321 Hat das deutsche Gericht um Vernehmung durch einen Richter ersucht, ist diese aber – unter Verletzung von Art. 9 II HBÜ – unterblieben und erfolgte die Vernehmung nur durch einen Polizeibeamten, so wird die Partei, die den Zeugen benannt hat, nicht beweisfällig.322 Auch kann z.B. der deutsche Konsularbeamte über seine Eindrücke bei der Ver- 2403 nehmung eines Zeugen oder bei sonstigen Wahrnehmungen als Zeuge vernommen werden. Die Vernehmung darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, damit werde gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen. Auch die Vernehmung eines Zeugen, der aus eigener Kenntnis nur Bekundungen Dritter über entscheidungserhebliche Tatsachen wiedergeben kann, ist grundsätzlich zulässig. Der Zeuge vom Hörensagen bekundet ein Indiz, dem nicht in jedem Fall von vornherein jede Bedeutung für die Beweiswürdigung abgesprochen werden kann, mag sein Beweiswert i.d.R. auch gering sein.323 Dies
317 BGH v. 6.7.1960, BGHZ 33, 63 = NJW 1960, 1950. 318 Weiter LG Göttingen v. 22.6.1983, IPRspr. 1983 Nr. 170. Vgl. auch BGH v. 3.11.1987 – 5 StR 579/87, MDR 1988, 157 = NJW 1988, 2187 (Strafsache). 319 OLG Koblenz v. 14.1.1986 – 14 W 27/86, MDR 1986, 764 = IPRspr. 1986 Nr. 192. 320 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 472–477; Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozess, 1967, 424; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 335 Fn. 11. Zur Parallelproblematik im Strafprozess Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 271 ff. 321 BGH v. 11.7.1990 – VIII ZR 366/89, NJW 1990, 3088, 3089. 322 OLG Celle v. 28.10.1993 – 14 U 29/93, NJW-RR 1994, 830 = IPRspr. 1993 Nr. 160. 323 BGH v. 10.5.1984 – II ZR 29/83, NJW 1984, 2039 = IPRspr. 1984 Nr. 164.
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gilt insbes., wenn nach Auffassung des Gerichts die Aussage des im Ausland vernommenen Zeugen „zu farblos“ ist. Mit dieser Begründung darf eine im Ausland protokollierte Zeugenaussage nicht übergangen werden, denn die „Farbigkeit“ und Präzision der Niederschrift hängt in erster Linie nicht von dem Zeugen, sondern von dem Vernehmenden ab, insbes. dann, wenn die Vernehmung in Abwesenheit der Partei und ihrer Prozessbevollmächtigten im Ausland erfolgt ist. Hinzu kommt, dass der Vernehmende oft keinerlei weitere Aktenkenntnis hat und nicht weiß, auf welche Einzelheiten es dem deutschen Gericht für die Beweiswürdigung ankommt. 7. Nichterledigung des deutschen Beweisaufnahmeersuchens im Ausland 2404 Erledigt die ersuchte ausländische Behörde das deutsche Rechtshilfeersuchen nicht innerhalb angemessener Frist, so ist nicht etwa schon das Beweismittel als unerreichbar anzusehen;324 vielmehr ist der beweispflichtigen Partei gem. § 364 ZPO eine Frist zu setzen, nach deren fruchtlosem Ablauf der angetretene Beweis unberücksichtigt gelassen wird, sofern nicht in der Zwischenzeit das Rechtshilfeersuchen von den ausländischen Behörden (positiv) erledigt wird, § 364 III 2 ZPO.325 8. Absehen von einer Beweisaufnahme analog § 244 III StPO? 2404a Weigert sich der sich im Ausland aufhaltende Zeuge, einer Ladung vor das deutsche Prozessgericht nachzukommen, so soll es nach der Rechtsprechung326 möglich sein, analog § 244 III StPO von der Beweiserhebung abzusehen, wenn nur die Anhörung durch das deutsche Gericht zur Wahrheitsfindung beizutragen vermag.327 Auch sei das deutsche Gericht nicht verpflichtet, nach § 363 ZPO um Rechtshilfe zu ersuchen und an der Vernehmung des Zeugen durch die ausländische Rechtshilfebehörde teilzunehmen. Ein solches Procedere mag zwar in extremen Ausnahmesituationen gerade noch zulässig sein. I.d.R. dürfte jedoch das verfassungsmäßige Recht auf Beweis328 verletzt sein (Rz. 2351b).
324 So aber Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 364 Rz. 5. 325 BGH v. 10.5.1984 – II ZR 29/83, NJW 1984, 2039 = IPRspr. 1984 Nr. 164. 326 OLG Saarbrücken v. 11.2.1998 – 1 U 293/97-67, NJW-RR 1998, 1685. Undifferenziert zustimmend Saenger, ZPO4, § 284 Rz. 54. Weitere Nachw. bei Dötsch, Auslandszeugen im Zivilprozess, MDR 2011, 269 (270 ff.). 327 Vgl. auch die Nachw. zur Judikatur der Strafgerichte bei Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 143, 413, 451. Zur Beweisantizipation bei ausländischen Zeugen wegen mangelnder Deutschkenntnisse, VerfGH Berlin v. 29.8.2003 – VerfGH 14/03, NJW 2004, 1791; Schomburg/Hackner in Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, Rz. 48 vor § 68 IRG. 328 R. Geimer, ZfRV 1992, 410. S. auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 33.
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Vor deutschen Gerichten anhängige Verfahren
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III. Beweisaufnahme durch deutsche Konsularbeamte 1. Überblick Die Beweisaufnahme durch deutsche Konsularbeamte (ohne Inanspruchnahme 2405 ausländischer Rechtshilfebehörden) ist der vom Gesetz (§ 363 II ZPO) vorgesehene Regelfall329, in der Praxis jedoch die Ausnahme, weil die meisten Staaten nur die Vernehmung deutscher Staatsangehöriger, allenfalls Angehöriger dritter Staaten gestatten, nicht jedoch die Vernehmung der eigenen (Rz. 447, 2348).330 Zudem darf der Konsularbeamte keinen Zwang anwenden.331 Die Beweisaufnahmemethode nach § 363 II ZPO ist vorteilhaft, weil die Beweis- 2406 aufnahme nach dem deutschen Recht erfolgt (§ 15 III 1 KonsularG, vgl. vice versa Rz. 2420). Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist deshalb für den deutschen Prozess leichter verwertbar. Der Konsularbeamte fungiert anstelle des Richters332, auch wenn ein Mitglied des deutschen Prozessgerichts angereist ist (Rz. 262). Dies ist verfassungskonform (Rz. 260, 2352). Die Beweisaufnahme durch Konsularbeamte führt bei Mitwirkungsbereitschaft der zu vernehmenden Person sehr schnell zum Erfolg. Um nicht unnötig Zeit zu vergeuden, sollte die beweispflichtige Partei aber vorab klären, ob die zu vernehmende Person zur Aussage vor einem deutschen Konsul bereit ist. 2. Befugnisse der deutschen konsularischen Vertreter Auf der Ebene des Völkerrechts333 sind die Befugnisse der deutschen Konsular- 2407 beamten in Art. 5j WÜK, Art. 15, 16 HBÜ wegen der vielen Vorbehaltsmöglichkeiten (Art. 33 HBÜ) nicht abschließend geregelt, von denen (leider) auch Deutschland ausgiebigen Gebrauch gemacht hat. Die restriktive deutsche Haltung ist aber für den deutschen Prozessrichter ohne Bedeutung; entscheidend ist vielmehr die Haltung des ausländischen Beweisaufnahmestaates: Hat dieser keine Vorbehalte nach Art. 33 HBÜ erklärt, gelten Art. 15, 16 HBÜ als Mindeststandard. Der Empfangsstaat (= Beweisaufnahmestaat) ist nicht gehindert, liberaler zu sein, Art. 27 (b) HBÜ. Besonders großzügig sind die USA.334
329 Anders § 14 I ZRHO: „nur in Ausnahmefällen“. Kritisch zu dieser Verwaltungsvorschrift Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 431. 330 S. auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 96. 331 Einzelheiten zur konsularischen Beweisaufnahme bei Hecker/Müller-Chorus/Bindseil, Handbuch der konsularischen Praxis2, 3. Lfg. (Stand: August 2007), § 5 Rz. 22 ff. S. auch E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 123 ff. 332 §§ 15, 19 KonsularG; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 181, 286; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 354. 333 S. auch OVG NW v. 28.3.2013 – 13 A 412/12.A, NJW 2013, 3323. 334 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 430; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 180, 261, 288. Überblick im Länderteil der ZRHO.
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2408 Innerstaatlich sind die Befugnisse der deutschen Konsularbeamten in §§ 15, 19 KonsularG normiert. Der Konsul darf Zeugen vernehmen, selbständig schriftliche Auskünfte (§ 377 III ZPO) einholen und den Eid abnehmen.335 Nach dem HBÜ kann der Konsul Beweisaufnahmen jeder Art vornehmen, nach den bilateralen Verträgen sind seine Befugnisse meist auf die Vernehmung von Zeugen und die Aufforderung zur Vorlage von Urkunden beschränkt.336 Da die deutschen Gerichte im Zivilprozess – anders als im Strafprozess und möglicherweise auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – die Vorlegung von Urkunden nicht mit unmittelbarem Zwang durchsetzen (vgl. Rz. 2514), dürfte die Befugnis der Konsularbeamten, um die Vorlage von Urkunden zu ersuchen, keine große praktische Bedeutung haben, weil dies die Gerichte auch selbst machen können.337 2409 Wenn es dem ersuchenden Gericht für die Beweiswürdigung auf bestimmte Einzelheiten ankommt, so muss es dies dem Konsularbeamten mitteilen.338 Möglich ist auch, den deutschen Konsulatsbeamten, der die Vernehmung durchgeführt hat, als Zeugen über seine Eindrücke und Wahrnehmungen zu vernehmen, insbes. dann, wenn das konsularische Protokoll zu „farblos“ ist (Rz. 2402). 3. Überwachung der Beweisaufnahme des deutschen Konsularbeamten durch Organe des Beweisaufnahmestaates 2410 Der Staat, der eine solche Beweisaufnahme auf seinem Staatsgebiet duldet, kann eine Kontrollperson (Art. 19 HBÜ) etablieren und auch sonstige Auflagen machen, Art. 16 II HBÜ, vor allem wenn es sich um seine eigenen Staatsangehörigen handelt. Anders ist die Rechtslage nach Art. 11 des dt.-brit. Abkommens (Rz. 2370). Danach können die Konsularbeamten nicht nur die eigenen Staatsangehörigen des Entsendestaates, sondern alle sich in ihrem Amtsbezirk aufhaltenden Personen zur Vernehmung vorladen, wobei der Empfangsstaat auf jede Art von Überwachung oder Kontrolle verzichtet. 4. Teilnahmerecht der Parteien 2411 Die Parteien haben das Recht, in Person zugegen zu sein und sich durch „Rechtsberater“ (Art. 11 EuBeweisVO; Art. 20 HBÜ), genauer: durch Anwälte oder durch jede andere Person vertreten zu lassen, welche die Befugnis haben, vor den Gerichten eines der beiden Länder aufzutreten (Art. 11 lit. c deutsch-britisches Rechtshilfeabkommen [Rz. 2370]). Auch ist der deutsche Konsul inner335 Hierzu E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 128. 336 R. Geimer in FS Matscher, 1993, 146. 337 Die Anordnung der Urkundenvorlage richtet sich an die Partei, s. Rz. 2520. Sie ist keine Souveränitätsverletzung, Daoudi, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im deutschen Zivilprozess, 2000, 134. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 15 HBÜ Rz. 11. 338 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 29/83, NJW 1984, 2039 = MDR 1985, 30 = RIW 1984, 740 = IPRspr. 1984 Nr. 164.
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staatlich verpflichtet, die Parteien des deutschen Zivilprozesses vom Beweisaufnahmetermin zu verständigen, § 15 III 1 KonsularG. Um Zeit und Kosten zu sparen, empfiehlt § 62 ZRHO bei den Parteien des deutschen Prozesses ein Einverständnis mit der schriftlichen Befragung der zu vernehmenden Person(en) (§ 377 III ZPO) einzuholen. Damit wird jedoch das Fragerecht der Parteien, das für das Gesamtergebnis der Aussage eminent wichtig sein kann, erheblich beeinträchtigt.
IV. Beweisaufnahme durch ausländische Rechtshilfebehörden 1. Notwendigkeit der Inanspruchnahme ausländischer Rechtshilfe Wo die konsularische Beweisaufnahme nach Lage der Dinge nicht in Betracht 2412 kommt, z.B. wegen größerer örtlicher Entfernung des Konsulats vom Wohnsitz des Zeugen oder wegen der Unzulässigkeit der Einvernahme nicht deutscher Personen durch deutsche Konsularbeamte oder weil der Empfangsstaat nach Art. 18 HBÜ gegen (widerspenstige) Beweispersonen keinen Zwang anwendet, erfolgt die Beweisaufnahme durch Ersuchen der ausländischen Behörde um Beweisaufnahme, § 363 I ZPO. Bestehen Zweifel, ob eine Beweiserhebung durch deutsche Konsularbeamte möglich ist, kommt ein Eventualersuchen in Betracht. Sedes materiae ist in Deutschland § 14 ZRHO: „(1) Die deutschen Auslandsvertretungen sollen zur Erledigung in eigener Zuständigkeit nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen werden. Ausnahmefälle sind regelmäßig gegeben, wenn die zuständigen Stellen des betreffenden Staates zur Rechtshilfe nicht bereit sind, vorrangige Regelungen über die unionsrechtliche oder zwischenstaatliche Rechtshilfe nicht bestehen (vertragloser Zustand) oder im Einzelfall besondere Gründe die Inanspruchnahme der Auslandsvertretung rechtfertigen (beispielsweise in Eilsachen oder weil Erklärungen nach deutschem Recht beurkundet werden sollen). (2) Ferner können die Auslandsvertretungen Zustellungsanträge und Rechtshilfeersuchen nur dann selbst erledigen, wenn sie hierzu im Empfangsstaat befugt sind. Die Befugnisse ergeben sich aus dem jeweiligen Länderabschnitt. Hängt die Befugnis von der Staatsangehörigkeit des Zustellungsempfängers oder der zu vernehmenden Person ab, ist im Ersuchen alles anzugeben, was über die Staatsangehörigkeit dieser Person bekannt ist. (3) Im Übrigen ist zu prüfen, ob die Zustellung durch eine Auslandsvertretung im Einzelfall zweckmäßig erscheint. Hiervon wird zum Beispiel möglichst abzusehen sein, wenn eine den Rechtsstreit einleitende Ladung in einem Staat zugestellt werden soll, in dem mit der Anerkennung deutscher Entscheidungen in Zivilsachen gerechnet werden kann. In einem solchen Fall wird i.d.R. zunächst die ausländische Stelle um Zustellung zu ersuchen sein. (4) Soll ein Vernehmungsersuchen an eine deutsche Auslandsvertretung gerichtet werden, deren ständige Besetzung mit einem gemäß § 19 Absatz 1 des Konsulargesetzes befugten oder gemäß § 19 Absatz 2 des Konsulargesetzes ermächtigten Beamten nicht gewährleistet ist, empfiehlt es sich, vorher Rückfrage beim Auswärtigen Amt (auch telefonisch) wegen der derzeitigen Besetzung zu halten.“
2. Form und Inhalt des Ersuchens des deutschen Gerichts Akten dürfen nicht mitübersandt werden; daher ist wichtig, dass das deutsche 2413 Gericht die ausländische Rechtshilfeinstanz über den Sachverhalt eingehend 917
Achter Teil
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informiert. Der deutsche Beweisbeschluss ist auch Grundlage für die Beweisaufnahme im Ausland. Gleichwohl verbietet § 20 II ZRHO die Übersendung solcher Beschlüsse. Deren Inhalt soll vielmehr in das Ersuchen mit aufgenommen werden. Das deutsche Gericht muss eine klare und leicht verständliche Darstellung des Sachverhalts (§ 17 I ZRHO) geben.339 Der Zweck dieser Vorschrift ist: Einmal sollen die Regeln der Höflichkeit gegenüber dem ersuchten ausländischen Staat gewahrt werden, zum anderen wird dadurch das deutsche Prozessgericht gezwungen, die Beweisfragen besonders deutlich zu formulieren. Alle Fragen, auf deren Beantwortung es dem deutschen Prozessgericht besonders ankommt, sollen aufgeführt werden. Abweichend von §§ 396 I, 451 ZPO wird die Beweisperson mit einem Fragenkatalog konfrontiert.340 Im Übrigen muss das Ersuchen angeben, in welcher Eigenschaft die zu vernehmenden Personen gehört werden sollen (als Zeugen, Sachverständige oder Parteien) und ob die Vernehmung eidlich oder nicht eidlich erfolgen soll. Auf die Vorschriften der deutschen ZPO ist nur zu verweisen, wenn es durch den Gegenstand des Ersuchens oder sonst im Einzelfall geboten erscheint, z.B. bezüglich der Belehrung über Zeugnisverweigerungsrechte. Die einschlägigen deutschen Bestimmungen, nach denen ein Aussageverweigerungsrecht bestehen könnte, müssen im Wortlaut aufgeführt werden, mit der Bitte, eine entsprechende Belehrung vorzunehmen, § 57 II ZRHO. Diese soll sich auch darauf erstrecken, ob und wann eine zu vernehmende Person den Eid verweigern darf, § 57 III ZRHO. Wichtig ist z.B. der Hinweis, dass eine Partei berechtigt ist, die Aussage und/oder den Eid zu verweigern, § 57 IV ZRHO.341 2414 Art. 3 HBÜ (Rz. 2458, 2474) umreißt exemplarisch den Inhalt von Rechtshilfeersuchen; diese sollen enthalten – die ersuchende Behörde und nach Möglichkeit die ersuchte Behörde, – den Namen und die Anschrift der Parteien sowie deren Vertreter, – die Art und den Gegenstand des Prozesses und eine gedrängte Darstellung des Sachverhalts, – die aufzunehmenden Beweise oder andere gerichtliche Handlungen, die durchgeführt werden sollen, – die Namen und Anschriften der zu vernehmenden Personen, – die an diese zu richtenden Fragen oder die Tatsachen, über die sie vernommen werden sollen, – die Urkunden und andere Gegenstände, die geprüft werden sollen, – den Antrag, die Vernehmung unter Eid oder sonstiger Bekräftigung vorzunehmen unter Angabe der dafür zu verwendenden Formeln, – den Wunsch, die Vernehmung in einer besonderen Form durchzuführen, wobei diese anzugeben ist,
339 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 4 EuBeweisVO Rz. 6. 340 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 409. 341 S. auch Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 46.
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– die Angabe darüber, unter welchen Voraussetzungen die zu vernehmende Person ein Zeugnisverweigerungsrecht hat oder sich auf Privilegien berufen kann, Art. 11 HBÜ, § 57 ZRHO. 3. Zuständiger Funktionsträger für die Beweisaufnahme im Ausland Das Recht des ersuchten Staates bestimmt die ausländische Rechtshilfebehörde, 2415 d.h. den Funktionsträger, der die Beweisaufnahme im ersuchten Staat für das deutsche Gericht vorzunehmen hat (Richter, Verwaltungsbehörde, neutrale Person, z.B. Anwalt, Notar). Auch das HZPÜ und das HBÜ enthalten insoweit keine Festlegung; vorgesehen ist lediglich die Vernehmung durch eine autorité judiciaire (judicial authority).342 Die Vernehmung durch einen Richter schreibt auch § 363 ZPO nicht vor (Rz. 2352). Eine solche ist aber nach dem Gesamtkonzept der deutschen ZPO erstrebenswert.343 Legt das deutsche Gericht auf richterliche Vernehmung wert, sollte es – zumindest im common law-Bereich – ausdrücklich darum ersuchen.344 Theoretisch könnte der deutsche Richter (§ 61 ZRHO) zum commissioner des US District Courts bestellt werden und so sein eigenes Rechtshilfeersuchen ausführen. Dann wäre aber der Weg des Art. 17 HBÜ vorzuziehen (das deutsche Gericht ernennt den Beauftragten). 4. Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates Die Beweisaufnahme im ersuchten Staat erfolgt grundsätzlich nach dem dort 2416 geltenden Recht. Jedoch sehen die Haager Übereinkommen (Art. 14 II HZPÜ, Art. 9 II HBÜ) vor, dass einem Antrag des ersuchenden Gerichts, „nach einer besonderen Form zu verfahren“, nach Möglichkeit zu entsprechen ist.345 5. Teilnahme der Beteiligten an der ausländischen Beweisaufnahme Bei der Vorbereitung des Ersuchens ist zu klären, ob die Beteiligten von ihrem 2417 Recht, der Beweisaufnahme beizuwohnen (§ 357 ZPO), Gebrauch machen wollen und deshalb auf die Benachrichtigung über den Beweistermin Wert legen.
342 Art. 9 I HBÜ, Art. 14 I HZPÜ. Anders Art. 10 der EuBeweisVO Nr. 1206/2001 (s. Rz. 245c, 2378a). 343 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 414. 344 Für USA s. 28 U.S.C. § 1782 (a). Hierzu z.B. Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 1002; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 10 Rz. 27; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 148 ff. S. auch Steinbrück, US-amerikanische Beweisrechtshilfe für ausländische private Schiedsverfahren, IPRax 2008, 448. 345 Zur Beweisaufnahme durch ausländische Rechtshilfebehörden für deutsche Strafverfahren ausführlich Rose, Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses, 1999, 224, 237 ff. Die deutsche Doktrin und die Rspr. verlangen – anders als für den deutschen Zivilprozess – einmütig, dass das deutsche Tatgericht im Strafprozess darauf hinwirkt, dass auch vom ausländischen Rechtshilfeorgan die deutschen Beweisaufnahmeregeln beachtet werden.
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§ 60 II ZRHO empfiehlt, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass die Benachrichtigung von dem Termin die Erledigung des Ersuchens durch die ausländische Rechtshilfebehörde i.d.R. erheblich verzögert und dass es daher zweckmäßig ist, die Benachrichtigung nur dann zu verlangen, wenn die Absicht besteht, den Termin wahrzunehmen. Ein Verzicht der Beteiligten auf Terminsnachricht ist im Ersuchen zu vermerken. Ansonsten ist um Benachrichtigung vom Termin zu bitten. 2418 Auf der Ebene des Völkerrechts ist der Beweisaufnahmestaat gegenüber Deutschland nach Maßgabe der bestehenden Verträge zur Benachrichtigung verpflichtet.346 2419 Das ersuchende deutsche Gericht hat nach Eingang der Benachrichtigung durch die ausländische Behörde die Beteiligten von dem Termin sofort in Kenntnis zu setzen. Halten die Beteiligten sich im ersuchten Staat auf, so wird die ersuchte Behörde zu bitten sein, die Beteiligten direkt zu benachrichtigen. Zu diesem Zweck ist die genaue Anschrift der Beteiligten in dem Ersuchen anzugeben. Ebenso ist zu verfahren, wenn die unmittelbare Benachrichtigung der Beteiligten aus anderen Gründen zweckmäßig erscheint. § 60 ZRHO bestimmt: „(1) Soweit das deutsche Zivilprozessrecht nicht entgegensteht, können im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung Parteien und gegebenenfalls ihre Vertreter bei der Beweisaufnahme des ausländischen Gerichts anwesend und beteiligt sein, eine Beteiligung an der Beweisaufnahme kann das ersuchte Gericht jedoch an Bedingungen knüpfen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verordnung bleibt die Teilnahme der Beteiligten grundsätzlich der Entscheidung des ersuchten Gerichts vorbehalten. (2) Bei der Vorbereitung des Ersuchens ist zu klären, ob die Beteiligten, die nach den deutschen Vorschriften das Recht haben, der Beweisaufnahme beizuwohnen, hiervon Gebrauch machen wollen und deshalb auf die Benachrichtigung von dem Beweistermin Wert legen. Hierbei empfiehlt es sich, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass die Benachrichtigung von dem Termin die Erledigung des Ersuchens in der Regel erheblich verzögert und dass es daher zweckmäßig ist, die Benachrichtigung nur dann zu verlangen, wenn die Absicht besteht, den Termin wahrzunehmen. Die Beteiligten sind um Erklärung zu ersuchen, ob sie und gegebenenfalls ihre Vertreter unter diesen Umständen auf eine Terminsnachricht verzichten oder, sofern die EG-Beweisaufnahmeverordnung Anwendung findet, ob sie bei der Beweisaufnahme anwesend sein wollen und eine Beteiligung an dem ausländischen Verfahren gewünscht wird. (3) Haben die Beteiligten auf eine Terminsnachricht verzichtet, so ist dies in dem Ersuchen zu vermerken und anzugeben, dass eine Mitteilung über den Termin zur Beweisaufnahme nicht erforderlich ist. Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung erübrigen sich bei einem Anwesenheits- und Beteiligungsverzicht der Beteiligten weitere Angaben im Formblatt A. (4) Wenn die Beteiligten auf eine Terminsnachricht nicht verzichtet haben, muss das Ersuchen die Bitte enthalten, das ersuchende Gericht von dem anberaumten Termin so zeitig zu benachrichtigen, dass die Beteiligten noch rechtzeitig verständigt werden können.
346 Art. 11 II HZPÜ, Art. 7 HBÜ, Art. 10 II dt.-griech. Abkommen, Art. 9 lit. e) dt.-brit. Abkommen, Art. 13 III dt.-türk. Abkommen und Art. 21 I dt.-tunes. Vertrag. Ab 1.1.2004 ist vorrangig Art. 11 der EuBeweisVO Nr. 1206/2001 (s. Rz. 245c, 2378a) anzuwenden.
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(5) Haben die Beteiligten und gegebenenfalls ihre Vertreter im Anwendungsbereich der EGBeweisaufnahmeverordnung ihre Anwesenheit bei der Beweisaufnahme im Ausland angekündigt beziehungsweise ihre Beteiligung gewünscht, ist dies im Formblatt A gemäß Artikel 11 entsprechend zu vermerken. (6) Das ersuchende Gericht hat nach Eingang der Benachrichtigung die Beteiligten von dem Termin sofort in Kenntnis zu setzen. Halten die Beteiligten sich im ersuchten Staat auf, so ist die ersuchte Stelle zu bitten, die Beteiligten unmittelbar zu benachrichtigen; zu diesem Zweck ist die genaue Anschrift der Beteiligten in dem Ersuchen anzugeben. Ebenso ist zu verfahren, wenn die unmittelbare Benachrichtigung der Beteiligten aus anderen Gründen zweckmäßig erscheint (s. hierzu auch Artikel 7 des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens vom 18. März 1970). (7) Im Anwendungsbereich der EG-Beweisaufnahmeverordnung ist eine Benachrichtigung der Beteiligten von dem Termin durch das ersuchende Gericht nicht vorgesehen.“
6. Teilnahme deutscher Richter an der ausländischen Beweisaufnahme Hierzu Rz. 446; vice versa Rz. 2512. In der Europäischen Union (mit Ausnahme 2419a Dänemarks) regelt diesen Komplex Art. 12 EuBeweisVO vom 28.5.2001 (Rz. 245c, 2378a). 7. Weigerungsrechte der Beweispersonen Nach Art. 11 HBÜ können die Beweispersonen Weigerungsrechte sowohl nach 2419b deutschem Recht als auch nach dem Recht des ersuchten Staates geltend machen.347 Das deutsche Gericht hat vor Erlass seines Rechtshilfeersuchens nicht zu prüfen, ob nach dem Recht des ersuchten Staates Weigerungsrechte bestehen.348 8. US-amerikanische pre-trial discovery für deutsche Prozesse? Pre-trial discovery für deutsche Prozesse lässt sich in den Vereinigten Staaten 2419c von Amerika sowohl im Rahmen der Beweishilfe (Rule 28 United States Code § 1782) als auch der Beweissicherung (Rule 27 [a] FRCP) organisieren.349 Ein solches Vorgehen befürwortet vor allem Eschenfelder.350
347 Vgl. vice versa Rz. 2509 sowie Art. 14 I der EG-BeweisaufnahmeVO Nr. 1206/2001 (s. Rz. 245c, 2378a). 348 BGH v. 20.11.1997 – III ZR 57/96, NJW-RR 1998, 411 = MDR 1998, 814 = IPRspr. 1997 Nr. 181. 349 U.S. Supreme Court v. 21.6.2004 – Intel Corp. v. Advanced Micro Devices Inc., 124 S.Ct. 2466, 159 L.Ed.2d 355 (2004). Hierzu Rieckers, RIW 2005, 19; Kraayvanger/Richter, RIW 2007, 177. 350 Eschenfelder, IPRax 2006, 89; Eschenfelder, RIW 2006, 443; Schönknecht, Beweisbeschaffung in den USA zur Verwendung in deutschen Verfahren, GRUR Int 2011, 1000.
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§ 1782 lautet351: (a) The district court of the district in which a person resides or is found may order him to give his testimony or statement or to produce a document or other thing for use in a proceeding in a foreign or international tribunal, including criminal investigations conducted before formal accusation. The order may be made pursuant to a letter rogatory issued, or request made, by a foreign or international tribunal or upon the application of any interested person an may direct that the testimony or statement be given, or the document or other thing be produced, before a person appointed by the court. By virtue of his appointment, the person appointed has power to administer any necessary oath and take the testimony or statement. The order may prescribe the practice and procedure of the foreign country or the international tribunal, for taking the testimony or statement or producing the document or other thing. To the extent that the order does not prescribe otherwise, the testimony or statement shall be taken, and the document or other thing produced, in accordance with the Federal Rules of Civil Procedure. A person may not be compelled to give his testimony or statement or to produce a document or other thing in violation of any legally applicable privilege. (b) This chapter does not preclude a person within the United States from voluntarily giving his testimony or statement, or prducing a document or other thing, for use in a proceeding in a foreign or international tribunal before any person and in any manner acceptable to him.
V. Anwendung deutschen Strafrechts für Eides- und sonstige Aussagedelikte 2419d Die Straftatbestände der §§ 153–156 StGB (falsche uneidliche Aussagen, Meineid und falsche Versicherung an Eides Staat) kommen gem. § 5 Nr. 10 StGB auch für im Ausland begangene Taten zur Anwendung.352
4. Kapitel: Beweisaufnahmen auf deutschem Territorium für im Ausland anhängige Verfahren I. Grundfragen 2420 Aus common law-Sicht (vor allem des Vereinigten Königreichs und der USA) ist die Beweisaufnahme durch Einschaltung ausländischer (deutscher) Rechtshilfe-
351 Deutsche Übersetzung bei McDonald/Wetzler, RIW 2000, 212 (213). S. auch Steinbrück, US-amerikanische Beweisrechtshilfe für ausländische private Schiedsverfahren, IPRax 2008, 448; Nachw. auch bei Knöfel, Judizielle Loyalität in der Europäischen Union, EuR 2011, 618 (636 Fn. 112). 352 Nachw. bei Stoffers, JA 1994, 77. S. auch RG, WarneyerRspr. 1935, 47 = KTS 1935, 103 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 614: Mit Eingang der im Ausland aufgenommenen Beweise beim deutschen Gericht seien die tatsächlich im Ausland (Aufenthaltsstaat der Beweisperson) abgegebenen Erklärungen bzw. gemachten Aussagen als im Inland vorgenommen zu betrachten. Angesichts der klaren Regelung in § 5 Nr. 10 StGB bedarf es dieser Konstruktion nicht.
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instanzen zwar möglich (letter of request)353, aber unbefriedigend, weil der enge Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren unterbrochen wird.354 So haben sich (früher) englische Gerichte geweigert, das im Wege der kontinentaleuropäischen Rechtshilfe erzielte Beweisergebnis zu verwerten, weil kein Kreuzverhör (Rz. 2268) stattgefunden hatte. Grundsätzlich müssen Beweisaufnahmen in England – in Übereinstimmung mit 2421 den kontinentaleuropäischen Verfahrensordnungen – in open court, d.h. vor dem Prozessgericht in öffentlicher Verhandlung erfolgen. Andere Beweisaufnahmemethoden lässt man nur zu, wenn es unbedingt erforderlich ist. Wenn Zeugen sich im Ausland aufhalten, kann das Prozessgericht u.a. die Vernehmung durch ein anderes Gericht oder einen special examiner (nichtrichterliche Person) anordnen. Häufig werden britische Konsuln als special examiner beauftragt. Im Übrigen können im Ausland lebende Zeugen ihre Aussagen schriftlich abgeben mit der eidesstattlichen Versicherung, dass ihre Angaben wahr seien. Diese „affidavits“ müssen vor einem Commissioner for Oaths (z.B. barristers, solicitors, attorneys) beschworen werden. Deutschland steht – wegen des generell engherzigen Souveränitätsverständnis- 2422 ses der civil law-Länder – der Beweisaufnahme durch konsularische Vertreter (Art. 15, 16 HBÜ) und erst recht durch sonstige Beauftragte (Art. 17 HBÜ) sehr skeptisch gegenüber, wie die vielen deutschen Vorbehalte (Art. 33 HBÜ) zeigen. Während nach den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen das Gericht die Beweiserhebung (auf Antrag der Parteien) anordnet (Beweisbeschluss, Beweisurteil, s. Rz. 2269) und selbst die Beweise erhebt, ist diese Methode den common law-Ländern fremd. Wollte der Richter z.B. Zeugen selbst vernehmen, so wäre dies in den Augen eines angelsächsischen Juristen ein schwerer Fehler (Rz. 2268).355 Die Beweisaufnahme ist vielmehr grundsätzlich Sache der Parteien und ihrer 2423 Anwälte356, und zwar auch dann, wenn die Beweisaufnahme im Ausland erfolgen soll. Anders die kontinentaleuropäische Sicht: Werden Parteivertreter oder Dritte als Beauftragte des Gerichts (commissioners) tätig, betrachten dies die civil law-Staaten als Verletzung ihrer Souveränität (Rz. 464).357 Aber auch wenn kein Auftrag des (ausländischen) Gerichts in concreto vorliegt, 2424 soll pre-trial discovery (durch die Parteien/Vertreter) völkerrechtswidrig sein, weil gerichtsverwertbare Beweisstücke (FRCP 32) produziert werden.358
353 FRCP 28 (b), 28 U.S.C.A. § 1781. 354 Memorandum of the US with Respect to the Revision of Chapter II of the 1954 Convention of Civil Procedure, Actes et Documents IV (1970), 14. 355 Zum US-Verfahrensverständnis Stürner in FS Stiefel, 1987, 763. 356 FRCP 26 ff. Hierzu prägnant Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 11. 357 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 173, 182, 263. 358 Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 23; er sieht darin – unzutreffend (s. Rz. 462) – sogar eine verbotene Amtsanmaßung (§ 132 Alt. 2 StGB), auch wenn der Betroffene freiwillig mitwirkt, Stürner,
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2425 Völlig anders ist die US-Sicht359: Danach ist discovery ohne Gerichtsbeauftragten (Art. 17 HBÜ) reine Privatsache (solely private matter), solange die Zeugenvernehmung freiwillig und ohne staatlichen Zwang stattfindet (discovery does not need judicial attention).360
II. Beweisaufnahme ohne Einschaltung deutscher Stellen (Direktmethode) 1. Überblick 2426 Hier wird die Beweisaufnahme nicht von deutschen Justizorganen durchgeführt. Aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um passive Rechtshilfe: Sie duldet das Tätigwerden ausländischer Amtsträger bzw. Beauftragter auf ihrem Territorium, wenn es auch aus deutscher Sicht „beruhigender“ wäre, die eigenen Gerichte als Rechtshilfebehörden tätig werden zu lassen.361 Eine lange Tradition hat die Beweisaufnahme durch diplomatische und konsularische Vertreter (Rz. 447).362 Hinzu kommt die Beweisaufnahme durch (sonstige) Beauftragte des Gerichts, die – sieht man von den bilateralen Abkommen ab (vgl. Art. 12 des dt.-brit. Abkommens, Rz. 2370) – erstmals in Art. 17 HBÜ geregelt ist (Rz. 2355). 2427 Die Beweisaufnahme durch das ausländische Prozessgericht würde das Postulat der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme am besten verwirklichen. Sie ist jedoch – jedenfalls in Zivilsachen – bisher unüblich und im HBÜ nicht vorgesehen. Dort findet sich nur die Variante, dass das ausländische Prozessgericht eines seiner Mitglieder zum Beauftragten363 ernennt, Art. 17 HBÜ (Rz. 458).364
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ZVglRWiss 81 (1982), 170 (202 Fn. 242). „Nur die schriftliche Bitte einer Prozesspartei an Dritte um Auskunft oder Urkundenübersendung, die sich völlig außerhalb der Förmlichkeiten des ‚pretrials‘ bewegt und ohne jede gerichtliche ‚order‘ erfolgt, wird man als unbedenklich bezeichnen dürfen.“ Vgl. auch a.a.O., 211. Großzügiger gegenüber „Beweisaufnahmen auf eigene Faust“ (private Beweisaufnahme) Rudolf, BDGesVR 11 (1973), 33; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 373. Hierzu z.B. Murray, Taking Evidence Abroad – Understanding American Exceptionalism, ZZPInt 10 (2005), 343. Actes et Documents IV (1970) 55/56; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 368; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 180, 264. „Rechtliche Bedenken stehen … einer Beweisaufnahme durch Privatpersonen nicht entgegen. Allerdings kann die vernehmende Person – mangels rechtlicher Grundlage – in Deutschland keine förmliche Vernehmung, z.B. unter Eidesabnahme, durchführen.“ Drobnig, American-German Private International Law2, 341. Rapport de la commission speciale, Actes et Documents IV (1970) 55. S. auch E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 177 ff.; Schabenberger, Der Zeuge im Ausland im deutschen Zivilprozess, 1996, 49. Hierzu E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 180 ff. Hierzu Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 71 ff. Ebenso Art. 17 III EuBeweisaufnahmeVO.
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Will das ausländische Gericht in voller Besetzung in Deutschland Beweise erhe- 2428 ben, ist gem. Art. 32 I GG die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich, die wohl aufgrund (stillschweigender) Delegation (ZRHO) von der Landesjustizverwaltung zu erteilen ist.365 (S. auch Rz. 2512). Die Beweisaufnahme durch Private ohne Auftrag des ausländischen Gerichts 2429 (pre-trial discovery), ist ebenfalls im HBÜ nicht angesprochen.366 Man streitet darüber, ob die Souveränität Deutschlands durch Aktivitäten Privater berührt wird, weil die Ergebnisse später einem ausländischen Gericht als „Beweise“ präsentiert werden sollen (Rz. 462, 464, 2424).367 2. Überwachung durch deutsches Amtsgericht In Deutschland wird die Beweisaufnahme durch ausländische diplomatische 2430 und konsularische Vertreter hinsichtlich eigener Staatsangehöriger des ausländischen Entsendestaates von den deutschen Justizbehörden nicht überwacht (obwohl dies nach Art. 15 II HBÜ möglich wäre).368 Auch unter Hinweis auf die Gefährdung ihrer Hoheitsrechte oder ihrer Sicherheit kann die Bundesrepublik Deutschland dem ausländischen Konsul die Vernehmung eigener Staatsangehöriger des Entsendestaats nicht verbieten; denn im Kapitel II des HBÜ findet sich keine Verweisung auf Art. 12 I (b) HBÜ. Ein Schutz der Angehörigen des Entsendestaates ist nach Auffassung der Bun- 2431 desregierung nicht erforderlich, weil der Konsul den Schutz seiner Staatsangehörigen selbst zu wahren imstande ist, Art. 5 (a) WÜK.369 Dagegen wird die konsularische Vernehmung drittstaatlicher Staatsangehöriger (sofern diese nicht gleichzeitig Angehörige des Entsendestaates sind) und von Staatenlosen von den deutschen Rechtshilfebehörden kontrolliert. Insbes. können Auflagen gemacht werden.370 Das Gleiche gilt in verstärktem Maße für die Beweisaufnahme durch Beauftragte des ausländischen Gerichts (Art. 17 HBÜ). Diese Art der im common law-Bereich üblichen Beweisaufnahme betrachtet man in Deutschland besonders skeptisch (Rz. 461).
365 Zu großzügig Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 59 IRG Rz. 39, der Handlungen ausländischer Funktionsträger, die – weil ohne Zwang erfolgend – auch von einem Privatmann vorgenommen werden dürfen (z.B. schlichte Befragung von Zeugen), auch ohne Genehmigung der Bewilligungsbehörde – selbst nach kontinentaleuropäischem Souveränitätsverständnis – für völkerrechtlich unbedenklich hält. 366 Vgl. für den umgekehrten Fall § 364 ZPO. 367 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 373; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 267; Lagodny, a.a.O., § 59 IRG Rz. 39. 368 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 138; Pfeil-Kammerer, a.a.O., 290, 294. 369 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 181; R. Geimer in FS Matscher, 1993, 150. 370 Art. 16 HBÜ, § 11 Satz 2 und 3 AusfG; Junker, a.a.O., 234.
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3. Verbot der Vernehmung deutscher Staatsangehöriger 2432 Eigene Staatsangehörige (Deutsche) will Deutschland auf deutschem Boden auf keinen Fall durch diplomatische oder konsularische Vertreter fremder Staaten vernehmen lassen oder sonst einer Beweisaufnahme aussetzen, Art. 16 HBÜ, § 11 Satz 1 AusfG.371 Verboten ist diese Beweisaufnahme auch, soweit sich die deutschen Beweispersonen kooperationsbereit zeigen.372 2432a Deutschland will auf diese Weise die eigenen Staatsangehörigen schützen und seine Hoheitsrechte wahren.373 Ein absolutes Verbot ist jedoch vom Grundgesetz nicht vorgeschrieben und rechtspolitisch übertrieben.374 Es würde zum Schutz der deutschen Beweisperson eine Überwachung durch geeignete Auflagen genügen.375 2432b Anders ist die Rechtslage nach Art. 11 (a) des dt.-brit. Rechtshilfevertrages (Rz. 2370) und aufgrund des dt.-amerik. Notenwechsels. 2432c Vernehmung auch deutscher Staatsangehöriger ist jedoch möglich nach Art. 17 HBÜ (vgl. auch Rz. 452a, 461).376 4. Keine Anwendung von Zwang 2433 Ausländische konsularische Vertreter und Beauftragte dürfen Zwang weder androhen noch anwenden, Art. 15–17 HBÜ. Sie könnten aber nach dem Konzept des HBÜ (Art. 18) den Empfangsstaat (Deutschland) um Zwangsmaßnahmen ersuchen. Deutschland unterstützt aber Konsuln und Beauftragte nicht mit Zwangsmaßnahmen. Nach Ansicht der Bundesregierung weicht die konsularische Beweisaufnahme so erheblich von dem allgemeinen Beweisaufnahmeverfahren ab, dass sie nur Personen zugemutet werden kann, die mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind (Rz. 451).377 Erst recht unterstützt sie nicht die Tätigkeit von Beauftragten (Art. 17 HBÜ). 2434 Kooperationsbereitschaft besteht aber nach Art. 12 (a) (2) des deutsch-britischen Abkommens vom 20.3.1928 (Rz. 2370).378 Leistet z.B. ein kanadischer Staatsangehöriger der Aufforderung der kanadischen diplomatischen oder konsularischen Beamten (in dessen Eigenschaft als special examiner), als Partei oder Zeuge auszusagen, nicht Folge oder verweigert er bei der Vernehmung durch diesen 371 S. Rz. 452; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 93. 372 Berechtigte Kritik an dem engherzigen Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland bei Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 352, 355; PfeilKammerer, a.a.O., 294. 373 BT-Drucks. 8/217, 51. 374 Vgl. auch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 231. 375 Junker, a.a.O., 357; R. Geimer in FS Matscher, 1993, 142. 376 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 17 HBÜ Rz. 1. 377 BT-Drucks. 8/217, 57. Kritisch Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 358; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 297. 378 RGBl. II 1928, 623; RGBl. II 1935, 848; BGBl. II 1954, 15. Hierzu Art. 2 III–V der deutschen Ausführungs-VO v. 5.3.1929, RGBl. II 1929, 135.
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die Aussage, so finden §§ 380, 390, 409 ZPO entsprechende Anwendung. Es kann jedoch nicht mehr Zwang angewendet werden als in einem deutschen Zivilprozess. Erforderlich ist ein Rechtshilfeersuchen (letter of request). Anders als im Falle des Art. 9 führt das ersuchte deutsche Amtsgericht die Beweisaufnahme als Rechtshilfegericht nicht selbst durch, sondern überlässt die Erledigung dem Beamten der Auslandsvertretung, Art. 12 (a) (1). Das kanadische Rechtshilfeersuchen bezieht sich mithin nur auf die Anwendung von Zwangsmitteln. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der kanadische diplomatische 2435 oder konsularische Beamte, der die Beweisaufnahme vorzunehmen hat, seinen Sitz hat.379 Die Entscheidung des deutschen Amtsgerichts erfolgt aufgrund der amtlichen Mitteilung des kanadischen Beamten von Amts wegen. Vor der Beschlussfassung sind der Zeuge oder die sonstigen zu vernehmenden Personen – und auf Verlangen auch der Staatsanwalt – zu hören. Gegen den Beschluss findet die Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) statt, die auch dem Staatsanwalt zusteht. 5. Befugnisse der Konsuln und Gerichtsbeauftragten Da man den Begriff der Beweisaufnahme nach dem Recht des ersuchten Staates 2436 definiert, können Konsularbeamte und commissioners in Deutschland – anders als in Ländern, die Bluttests zur Vaterschaftsfeststellung nicht kennen380 – Bluttests durchführen (sofern die notwendige medizinische Betreuung sichergestellt ist). Anders die bilateralen Vereinbarungen; diese beziehen sich i.d.R. nur auf „Rechtshilfeersuchen, aufgrund deren eigene Staatsangehörige vernommen oder zur Vorlegung von Urkunden angehalten werden sollen“, z.B. Art. 6 der dt.-österr. Vereinbarung oder Art. 12 des dt.-marokk. Rechtshilfevertrages.381 Exkurs: Konsuln und Beauftragte dürfen nur Beweisaufnahmen durchführen, 2437 nicht aber „andere gerichtliche Handlungen“ vornehmen, Art. 1 I und III HBÜ (z.B. Sühnetermin in Ehesachen, Anhörung der Parteien).382 Insoweit ist der Anwendungsbereich des Kapitels II des HBÜ enger als der des Kapitels I.383 Konsularbeamte und Beauftragte dürfen Beweise nur für anhängige Gerichtsver- 2438 fahren erheben, während Rechtshilfeersuchen (Kapitel I des HBÜ) auch für „künftige gerichtliche Verfahren“ zulässig sind, Art. 1 II HBÜ. Konsularbeamte dürfen nur innerhalb ihres Amtsbezirks Beweise erheben, Art. 15, 16 HBÜ, während Beauftragte (Art. 17 HBÜ) – im Rahmen der ihnen erteilten Genehmigung – territorial nicht beschränkt sind.
379 Art. 2 II 1 Ausführungs-VO. 380 Vgl. auch Jayme in FS Geimer, 2002, 375. S. auch zum Haager Unterhaltsabkommen v. 24.10.1956 Siehr in MüKo.BGB4, Art. 18 EGBGB Anh. II Rz. 54. 381 Nachw. bei R. Geimer in FS Matscher, 1993, 146. 382 Zu den „anderen gerichtliche Handlungen“ ausführlich Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 92 ff. 383 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 280, 408; PfeilKammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 203.
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6. Schutz der Beweispersonen bei Beweisaufnahmen durch nichtdeutsche Stellen (Konsuln oder Beauftragte) 2439 Zum Schutz der Beweispersonen stipulieren Art. 19–21 HBÜ folgende Kautelen (Rz. 453)384: – Benachrichtigung der Zentralen Behörde vom Beweisaufnahmetermin, Art. 19 Satz 2 HBÜ, – Anwesenheit einer deutschen Aufsichtsperson, Art. 19 Satz 2 HBÜ, § 12 AusfG, – Beiziehung eines Rechtsberaters, Art. 20, 21 (c) HBÜ, – Ladung in deutscher Sprache, Art. 21 (b) HBÜ, – Belehrung in der Ladung, dass die Beweisperson nicht erscheinen muss, Art. 21 (c) HBÜ, – Hinweis auf Weigerungsrechte, Art. 11, 21 (e) HBÜ.
III. Aktive Rechtshilfe: Erledigung ausländischer Ersuchen um Beweisaufnahme durch deutsche Stellen 1. Rechtsgrundlagen a) Völkerrecht 2440 Das Völkergewohnheitsrecht verpflichtet die Staaten nicht zu gegenseitiger Rechtshilfe. Eine solche Verpflichtung besteht nur aufgrund und im Rahmen der bestehenden völkerrechtlichen Verträge. Das wichtigste ist das HBÜ, welches das HZPÜ abgelöst hat.385 2441 Die Verträge gelten nur für Ersuchen in Zivil- und Handelssachen. Man streitet darüber, wie dieser Begriff zu qualifizieren ist. Eine vertragsautonome Interpretation – wie zu Art. 1 I EuGVÜ/LugÜ bzw. zu Art. 1 I EuGVVO386 vom EuGH propagiert – ist theoretisch denkbar und wurde in Den Haag von der Expertenkommission der Vertragsstaaten des HBÜ im April 1989 favorisiert, scheidet aber schon aus praktischen Gründen aus, weil eine supranationale Instanz fehlt, die eine solche einheitliche Auslegung sicherstellen könnte387 (Rz. 318).
384 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 21 HBÜ Rz. 1. 385 Das HBÜ wird ab 1.1.2004 in der EU mit Ausnahme Dänemarks überlagert durch die vorrangig anzuwendende EGBeweisVO Nr. 1206/2001 (s. Rz. 245c, 2378a). 386 Hierzu – außer den Kommentaren – z.B. auch Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, IntVertrVerfR Rz. 10. 387 Für autonome Qualifikation aber Markus/Rodriguez in Breitenmoser/Ehrenzeller (ed.), Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, 101, 108. Flexibel Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 41.
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Ein Abstellen auf das Recht des ersuchenden Staates388 würde jedem Vertrags- 2442 staat die Möglichkeit geben, den Umfang der Rechtshilfeverpflichtung der anderen Vertragsstaaten beliebig auszudehnen. So genügte es z.B., wenn die USA erklärten, Steuersachen seien civil matters, um Deutschland zur Rechtshilfe zu verpflichten. Die Beschränkung auf Zivil- und Handelssachen in Art. 1 HBÜ hätte im Ergebnis ihren Sinn verloren.389 Da rebus sic stantibus die rechtslogisch beste Lösung einer konventionsimma- 2443 nenten Definition des Umfangs der Verpflichtung zur Gewährung von Rechtshilfe praktisch (Fehlen einer supranationalen Instanz) nicht durchsetzbar ist und die Qualifikation nach dem Recht des ersuchenden Staates zu unakzeptablen Ergebnissen führt, bleibt derzeit nur die Qualifikation nach dem Recht des ersuchten Staates.390 Maßgebend ist also die Unterscheidung des deutschen Rechts zwischen Zivilsachen (§ 13 GVG) und den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten (§ 40 VwGO).391 Rechtshilfe ist daher – da eine Zivilsache nach deutscher Rechtsvorstellung (§ 1 2444 I ZRHO) vorliegt392 – zu gewähren z.B. in folgenden Fällen: In Insolvenzsachen sowie dann, wenn im Ausgangsverfahren in den USA punitive damages oder treble damages Streitgegenstand sind.393
388 So Böckstiegel/Schlafen, NJW 1978, 1974 (1976); Martens, RIW 1981, 731; deutsche Denkschrift zum dt.-marokk. Vertrag BT-Drucks. 11/2026, 11 in Geimer/Schütze, IRV, 470.13. 389 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 259, 407. Vgl. Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 469 m.w.N.; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 308; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 143. 390 Junker, IPRax 1986, 205; Junker, RIW 1986, 337 (346); Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 73. Anders ist es dagegen im Anwendungsbereich der EuBeweisVO (s. Rz. 245c). Der Begriff „Zivil- oder Handelssachen“ ist – losgelöst von den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – EU-einheitlich auszulegen, Zöller/Geimer, ZPO30, Art. 1 EuBeweisVO Rz. 5. 391 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 260. Offen gelassen von OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, RIW 1989, 483 (484) = NJW 1989, 3102 (Greger) = IPRax 1990, 175 (Stürner/Stadler 157) = IPRspr. 1989 Nr. 205. 392 A.A. OLG Koblenz v. 27.6.2005 – 12 VA 2/04, IPRax 2006, 25 (Piekenbrock) = ZIP 2006, 1020. Kritisch Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356 und Alio, IHR 2007, 177 (181). 393 OLG Düsseldorf v. 19.2.1992 – 3 VA 1/91, CR 1993, 506 = NJW 1992, 3110 = RIW 1992, 846 = IPRspr. 1992 Nr. 215; OLG Naumburg v. 9.2.2006 – 4 VA 1/04, WuW/E DE-R 1774 = IPRspr. 2006 Nr. 165; OLG Düsseldorf v. 21.4.2006 – I-3 VA 12/05, OLGR 2006, 777 = RIW 2006, 629 = IPRspr. 2006 Nr. 167; OLG Frankfurt v. 15.3.2006 – 20 VA 7/05, NJOZ 2006, 3575 = IPRspr. 2006 Nr. 166; OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, RIW 1989, 483, 484 = NJW 1989, 3102 (Greger) = IPRax 1990, 175 (Stürner/Stadler 157) = IPRspr. 1989 Nr. 205; OLG München v. 15.7.1992 – 9 VA 1/92, NJW 1992, 2113 = RIW 1993, 70 = IPRspr. 1992 Nr. 216; OLG München v. 7.6.2006 – 9 VA 03/04, 9 VA 3/04, OLGR 2006, 801, 802 = IPRspr. 2006 Nr. 168; Junker, Discovery im deutschamerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 263; Kronke, BerDGVR 38 (1998), 175; MörsdorfSchulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, 1999, 5; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 198; Stürner in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den
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Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ein US-Bundesstaat als parens patriae dreifachen Schadensersatz begehrt, der „seiner Wirtschaft als Ganzes“ zugefügt wurde. Das Gleiche gilt, wenn das ausländische Gericht wegen Wettbewerbs- bzw. Kartellverstößen Geldbußen zugunsten der Staatskasse verhängt (Rz. 2157). b) Innerstaatliche Ebene 2445 Eine gesetzliche Regelung findet sich in Zivilsachen – anders als in Strafsachen (§ 59 IRG) und in Steuer- und Abgabeangelegenheiten (§ 117 III AO) – weder in der ZPO noch im GVG,394 sondern nur in den Zustimmungs- bzw. Ausführungsgesetzen zu den völkerrechtlichen Verträgen (Rz. 2321).395 Das bedeutet, dass nur im vertraglich geregelten Bereich Zwangsmittel gegen sich sträubende Betroffene eingesetzt werden können, dass also nur in diesem Bereich eine Beweisaufnahme gegen den Willen des Betreffenden möglich ist, § 83 I ZRHO.396 (S. auch Rz. 2151). 2446 Treffend hebt Stürner397 hervor, dass das deutsche Ausführungsgesetz zum HBÜ nur eine gesetzliche Grundlage für Formen der Beweisaufnahme gibt, die im HBÜ vorgesehen sind, nicht jedoch für sonstige nach deutschem Recht (im Verfahren vor deutschen Gerichten) mögliche, Art. 27 (c) HBÜ. Weiter kann man bezweifeln, ob für die Vernehmung in „besonderen Formen“ (Art. 9 II HBÜ)398, die nicht etwa durch Verweis auf das Recht des ersuchten (oder eines dritten) Staates konkretisiert sind, eine ausreichende Gesetzesgrundlage vorhanden ist, denn dem deutschen Gesetz fehlt es insoweit an jeder Bestimmtheit.399
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Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 10 Fn. 18, 32 Fn. 150; Siehr, RIW 1991, 705; Witte, Der US-amerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 175; a.A. Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995, 113. Zum Meinungsstand ausführlich Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 75; Fritz, Punitive/exemplary damages in den USA und ihre Qualifikation als Zivilsache, 2004; Mahlzahn, GATT-widrige Treble Damages-Klagen auf der Grundlage der US Antidumping Act 1916: Eine Untersuchung der Rechtsstellung beklagter deutscher Unternehmen im US-amerikanischen und deutschen Recht, 2003. S. vice versa auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004. Man hat absichtlich die internationale Rechtshilfe nicht geregelt, um bei Vertragsverhandlungen mit fremden Staaten „flexibel“ bleiben zu können, Hahn, Materialien zur CPO, I, 1881, 131; Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 26 Fn. 27. Sehr kritisch zur Zurückhaltung des deutschen Gesetzgebers Knöfel, ZfRV 2008, 273. Im Anwendungsbereich der EuBeweisVO ist Rechtsgrundlage Art. 13. Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 220; Nehlert, JR 1958, 122; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative CoOperation, RdC 284 (2000), 9, 154. Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 202. Ausführlich Schlosser, ZZP 94 (1981), 387. Ebenso zu Art. 13 EuBeweisVO Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 175.
Im Ausland anhängige Verfahren
Achter Teil
Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr verlangt § 3 I Nr. 3 ZRHO „gegenseitiges 2447 Entgegenkommen“. Das Gegenseitigkeitserfordernis wird aber nicht so strikt gehandhabt wie bei § 328 I Nr. 5 ZPO und § 109 IV FamFG. Vielmehr ist die Justizverwaltung flexibel.400 2. In Betracht kommende Rechtshilfehandlungen Die wichtigste ist die Vernehmung von Zeugen. Hier kann im vertraglich gere- 2448 gelten Verkehr nach Maßgabe von §§ 380, 390 ZPO Zwang gegen den Zeugen eingesetzt werden (Rz. 2514). Weiter kommen in Betracht401: Entnahme von Blutproben und körperliche Untersuchungen, § 372a ZPO, § 178 2449 FamFG. Im Falle der Weigerung des Betroffenen bestimmt sich das Verfahren nach § 372a II ZPO bzw. § 178 II FamFG i.V.m. §§ 386–390 ZPO, Art. 10 HBÜ. Gegen die Verhängung von Zwangsmaßnahmen (§ 390 ZPO) ist die (einfache) Beschwerde statthaft, § 390 III ZPO.402 Ob die Blutentnahme zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet, verhältnis- 2450 mäßig und dem Zeugen zumutbar ist oder eine unzulässige Anforderung darstellt, hat nicht das ausländische Prozessgericht (vgl. § 387 I ZPO) bindend für das deutsche Rechtshilfegericht zu entscheiden, dieses befindet vielmehr selbst darüber anhand der Kriterien des § 372a I ZPO. Das deutsche Gericht prüft jedoch nur, ob die Voraussetzungen für die Duldungspflicht nach § 372a ZPO gegeben sind. Die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegende Beweisanordnung des ausländischen Gerichts ist dagegen der Überprüfung durch das deutsche Rechtshilfegericht entzogen. Soweit der Zeuge seine durch den Beweisbeschluss erfolgte Einbeziehung in die Blutuntersuchung beanstandet, muss er sich an das ausländische (ersuchende) Gericht wenden.403 Sonstiger Augenschein: Dieser kann nach der ZPO nicht mit unmittelbarem 2451 Zwang durchgesetzt werden (Rz. 2518). Parteivernehmung: Auch hier besteht nach deutschem Recht nicht die Möglichkeit, eine sich sträubende Partei zur Aussage zu zwingen. Das Gleiche gilt für die Vorlage von Urkunden (Rz. 2520). Sachverständige (Rz. 2516) können auf Ersuchen des ausländischen Gerichts be- 2452 stellt und vernommen werden. Jedoch sind solche Fälle wohl selten, auch der, dass der von einem ausländischen Gericht bestellte Sachverständige in Deutschland vom deutschen Rechtshilfegericht (eidlich) vernommen werden soll.
400 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 66, 69 Fn. 131. – In Strafsachen hat das IRG das Gegenseitigkeitsprinzip in weiten Bereichen aufgegeben. Ausnahme: § 5 IRG, Vogler/Wilkitzki, IRG, 1992, vor § 59 Rz. 6. Ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeitserwägungen wird in Österreich gem. § 38 JN Rechtshilfe gewährt. 401 Vgl. auch Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 59 IRG Rz. 62. 402 Vgl. auch Jayme in FS Geimer, 2002, 375. 403 OLG Düsseldorf v. 21.10.1985 – 3 W 399/85, FamRZ 1986, 191 = IPRspr. 1985 Nr. 170.
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Achter Teil
Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
3. Rechtshilfe als Aufgabe des Bundes gem. Art. 32 I GG 2453 Über die Zuständigkeit des Bundes herrscht Streit; die vor allem auf Art. 32 I GG gestützte Begründung der Bundesregierung wird von den süddeutschen Ländern nicht akzeptiert, weil die Rechtshilfe zur Rechtspflege gehöre und diese grundsätzlich Sache der Länder sei (Rz. 263a, 2395, 2465). 4. Überblick über die fünf Abschnitte der internationalen Rechtshilfe a) Erster Abschnitt: Das ausländische Gericht ersucht um Rechtshilfe 2454 Ob und unter welchen Voraussetzungen das ausländische Gericht innerstaatlich zu einem Rechtshilfeersuchen befugt ist, ist eine Sache der dortigen lex fori, Art. 1 HBÜ.404 Die deutsche Rechtshilfebehörde bzw. die deutsche Zentrale Behörde hat diesen Punkt nicht nachzuprüfen.405 Deutschland gewährt Rechtshilfe grundsätzlich nur Staaten, nicht aber supranationalen Organisationen406, es sei denn, Deutschland hat sich in einem völkerrechtlichen Vertrag hierzu verpflichtet.407 2455 Oft übersenden im common law-Bereich (vgl. auch § 364 ZPO) Parteien bzw. deren Vertreter das Ersuchen an die deutsche Zentrale Behörde. Dies ist zulässig, auch wenn in Art. 1 I HBÜ von Ersuchen „gerichtlicher Behörden“ nach ihren „innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ die Rede ist.408 2456 Das Rechtshilfeersuchen muss in deutscher Sprache übermittelt werden, Art. 4 I HBÜ; es genügt nicht Abfassung in Englisch oder Französisch, da Deutschland einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hat, Art. 31 I, 4 II HBÜ.409 2457 Übermittlungswege: Das HBÜ (Art. 2) sieht unmittelbaren Behördenverkehr über die Zentrale Behörde vor. Dies bedeutet eine erhebliche Beschleunigung gegenüber dem langwierigen diplomatischen und konsularischen Weg; jedoch hat sich – wegen des „Flaschenhalseffektes“ – auch diese Methode als nicht übertrieben effizient erwiesen. Deshalb dezentralisiert Art. 2 EuBeweisVO (Rz. 245c) die Übermittlung.
404 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 238. 405 Zustimmend Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 111. S. auch Lagodny in Schomburg, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen4, § 59 Rz. 11. 406 Denkschrift zum IRG, BT-Drucks. 9/1338, 79. 407 Zu der Pflicht, den Organen der EG Rechtshilfe zu leisten (vice versa) EuGH v. 13.7.1990 – Rs. C-2/88, Slg. 1990-I, 3365 = NJW 1991, 2409. 408 OLG München v. 27.11.1980 – 9 VA 4/80, RIW 1981, 556 = ZZP 94 (1981) 464; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 231; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 1 HBÜ Rz. 2. Anders der US-Standpunkt vice versa, Junker, a.a.O., 406. 409 Junker, a.a.O., 231; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 271.
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Im Ausland anhängige Verfahren
Achter Teil
Inhaltliche Konkretisierung der gewünschten Beweisaufnahmehandlung: Art. 3 2458 HBÜ (Rz. 2414)410 ersetzt im internationalen Rechtsverkehr – cum grano salis – den Beweisbeschluss, der den common law-Staaten nicht bekannt ist.411 Die Expertenkommission für das HBÜ hat ein (unverbindliches) Muster ausgearbeitet, das aber bisher in Deutschland nicht verwendet wird. Anders in den USA. Eine Legalisation des Beweisaufnahmeersuchens ist nicht erforderlich, Art. 3 III HBÜ.412 b) Zweiter Abschnitt: Entscheidung über die Gewährung deutscher Rechtshilfe Rechtshilfebehörden sind im Anwendungsbereich des HBÜ die Landesjustizver- 2459 waltungen als Zentrale Behörden (Art. 2, 24 II HBÜ, § 7 AusfG, § 82 IV ZRHO)413, im Übrigen die Prüfungsstellen, nämlich im Zweifel die Landgerichtspräsidenten, § 57 I ZRHO. Diese nehmen das ausländische Ersuchen entgegen und entscheiden, ob Rechtshilfe zu gewähren ist.414 Dabei ist fraglich, ob – entgegen der (bisherigen) Praxis – dem bei Durchführung der Rechtshilfe Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren ist.415 Sieht die Rechtshilfebehörde nach Prüfung des ausländischen Ersuchens in for- 2460 meller und materieller Hinsicht keinen Grund zur Ablehnung (hierzu Rz. 2470), übersendet sie die Akten an das Amtsgericht. c) Dritter Abschnitt: Durchführung der Beweisaufnahme Zuständigkeit: Zuständig ist im vertraglich geregelten Rechtshilfeverkehr – de 2461 lege lata – das Amtsgericht auch für Angelegenheiten, die zur Arbeitsgerichtsbarkeit gehören.416 Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr gilt das Gleiche aufgrund Verwaltungsauftrags, § 127 I 2 ZRHO (s. auch Rz. 1206a). Nach § 127 III ZRHO finden die Vernehmungen stets vor dem Richter statt. Von der Ermächtigung des § 10 GVG ist nicht Gebrauch zu machen; ein Referendar soll mit der Vernehmung nicht beauftragt werden.417
410 Im Anwendungsbereich der EuBeweisVO ist sedes materiae für Form und Inhalt des Ersuchens Art. 4, der auf Formblätter zurückgreift. 411 Schlosser, ZZP 94 (1981), 385; Junker, a.a.O., 308. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 3 HBÜ Rz. 1. 412 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 270; Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 3 HBÜ Rz. 14. 413 Junker, a.a.O., 230. 414 Zur Rechtslage nach Art. 2 EuBeweisVO Zöller/Geimer, ZPO30, § 1072 Rz. 8. 415 Dafür Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 59 IRG Rz. 41. 416 Vgl. § 2 I AusfG HZPÜ, § 8 AusfG HBÜ, Art. 1 und 2 AusfVO zum dt.-brit. Abkommen, § 1 AusfG dt.-griech. Abkommen, § 1 AusfG dt.-türk. Abkommen, § 3 Abs. 1 AusfG dt.-tunes. Vertrag. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 2 HBÜ Rz. 6. 417 Für den Bereich der EuBeweisVO s. § 1074 ZPO.
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2462 Umfang der Bindung des Amtsgerichts an die Weisungen der Bewilligungsbehörde: Die Zentrale Behörde bzw. die Prüfungsstelle (§ 9 ZRHO) entscheidet für das Rechtshilfegericht (Amtsgericht) verbindlich über – die Zulässigkeit der Rechtshilfe: Bei Ablehnung wird das Amtsgericht überhaupt nicht befasst. Bei Bejahung kann das Amtsgericht nicht eine gegenteilige Auffassung vertreten.418 So kann z.B. das Amtsgericht nicht – entgegen der Rechtsauffassung der Justizverwaltung – in Zweifel ziehen, dass eine Zivilund Handelssache (Rz. 2441) vorliegt,419 und damit argumentieren, dass keine (völkerrechtliche) Verpflichtung Deutschlands zur Gewährung von Rechtshilfe und daher auch keine gesetzliche Grundlage zu zwangsweisem Vorgehen gegeben sei.420 Dies alles gilt jedoch erst, wenn die Exekutive die Bedenken des Rechtshilfegerichts (§ 84 VI ZRHO) (ausdrücklich) zurückgewiesen hat; – den Umfang der Beweisaufnahme;421 2463 – die Art der Durchführung: Die Bewilligungsbehörde kann dem Amtsgericht bindende Anweisungen bezüglich des anzuwendenden Rechts (Art. 9 HBÜ) geben.422 Sie kann dem Amtsgericht auch vorschreiben, dass die Auskunftsperson zu vereidigen ist (sofern kein Weigerungsrecht in concreto gegeben ist), dass ein Wortprotokoll423 anzufertigen ist und dass ein Kreuzverhör (Rz. 2268) zugelassen wird. 2464 Die Zentrale Behörde bzw. Prüfungsstelle hat keine Weisungsbefugnis bezüglich der Weigerungsrechte (Art. 11 HBÜ, Rz. 2490).424 Sie kann aber die Erledigung des Beweisaufnahmegesuchs des ausländischen Gerichts bzw. der ausländischen Behörde ablehnen (und daher die Akten erst gar nicht an das Rechtshilfegericht weiterleiten), wenn ihr bekannt ist, dass der Zeuge bzw. die Auskunftsperson sich auf ein zweifelsfrei gegebenes Weigerungsrecht berufen wird (Rz. 2492).425 2465 Auch nach Bewilligung der Rechtshilfe und Übersendung der Rechtshilfeakten an das Amtsgericht bleibt die Landesjustizverwaltung als Beauftragte der Bundesregierung (dort ist der Bundesminister der Justiz federführend, Rz. 264a,
418 Die Rechte der Betroffenen sind durch §§ 23 ff. EGGVG geschützt. 419 Martens, RIW 1981, 730; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 254. 420 Anders Schlosser in GS Constantinesco, 1983, 655. 421 Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 206 Fn. 267. 422 Anders Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 9 HBÜ Rz. 6. 423 Martens, RIW 1981, 733. 424 Zustimmend R. Stürner/T. Müller, Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2008, 339 (343). Wenig deutlich Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 212 Fn. 6: „Das AG entscheidet im Zusammenwirken mit der Zentralen Behörde über die weitere Durchführung der Beweisaufnahme, z.B. über das anzuwendende Recht (Art. 9 HBÜ) und die Weigerungsrechte (Art. 11 HBÜ).“ Vgl. auch Pfeil-Kammerer, a.a.O., 341, 349. S. auch OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – I-3 VA 2/06, 3 VA 2/06, OLGR 2007, 393. 425 OLG Hamburg v. 3.5.2002 – 2 Va 4/01, RIW 2002, 717, 718 (Busse) = IPRspr. 2002 Nr. 182. S. auch OLG Saarbrücken v. 29.4.2011 – 1 VA 2/10, IPRspr. 2011 Nr. 262.
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2395) Herrin des Rechtshilfeverfahrens. Sie darf den Amtsrichter anweisen, die Beweisaufnahme zu unterlassen, z.B. den Vernehmungstermin abzusetzen.426 Die Beweisaufnahme für das ausländische Gerichtsverfahren erfolgt nach deut- 2466 schem Recht, sofern nicht ausdrücklich im ausländischen Ersuchen besondere Wünsche geäußert werden, deren Erfüllung nicht zwingende deutsche Vorschriften entgegenstehen.427 d) Vierter Abschnitt: Rückgabe der Akten nach der Erledigung durch das Amtsgericht an die Rechtshilfebehörde (Prüfungsstelle bzw. Zentrale Behörde) Mit der Durchführung der Beweisaufnahme ist der dem Amtsgericht von der 2467 Rechtshilfebehörde erteilte Auftrag erledigt. Die Akten sind der Rechtshilfebehörde zurückzugeben, § 89 II ZRHO. Keinesfalls darf das Amtsgericht die Akten dem ersuchenden ausländischen Staat zusenden. Damit würde es in die Prärogative der Exekutive zur Pflege der auswärtigen Beziehungen, die von der Bundesregierung an die Landesregierungen und von dieser weiter auf die Prüfungsstellen delegiert wurde, eingreifen. Nur die Exekutive hat darüber zu befinden, ob die Ergebnisse der vom Rechtshilfegericht durchgeführten Beweisaufnahme dem ersuchenden Staat zugänglich gemacht werden. Theoretisch kann sich erst jetzt die Exekutive auf den Standpunkt stellen, dass ein Ablehnungsgrund (Rz. 2470 ff.) vorhanden ist. Dies gilt auch, wenn der unmittelbare Verkehr von Gericht zu Gericht vereinbart ist. Die Entscheidung, die Ergebnisse der Beweisaufnahme ins Ausland zu schicken, fällt in den Aufgabenbereich der Justizverwaltung, und zwar auch im Anwendungsbereich der EuBeweisVO. e) Fünfter Abschnitt: Rückleitung der Akten durch die Rechtshilfebehörde an den ersuchenden Staat Das Nähere regelt Art. 13 I HBÜ bzw. § 135 ZRHO. Die Verwertung der vom 2468 deutschen Rechtshilfegericht aufgenommenen Beweise erfolgt nach der dortigen lex fori. Sofern nicht schon die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Genehmigung des ausländischen Ersuchens (= Anordnung der Beweisaufnahme) ohne Erfolg ergriffen worden sind (vgl. Rz. 2495), kann sich auch nach Durchführung der Beweisaufnahme die Beweisperson oder die betroffene Partei im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zur Wehr setzen. In Betracht kommt gegebenenfalls ein Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, welche die Versendung der
426 Vogler/Wilkitzki, IRG, 1992, § 74 Rz. 33; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 74 Rz. 14. 427 § 128 I ZRHO, Art. 14 HZPÜ, Art. 9 HBÜ, Art. 9 (i) dt.-brit. Abkommen, Art. 13 dt.griech. Abkommen, Art. 13 II dt.-türk. Abkommen, Art. 21 II dt.-tunes. Vertrag; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 413; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 307. Im Anwendungsbereich der EuBeweisVO regeln Art. 10 ff. die Beweisaufnahme durch das ersuchte Gericht.
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Beweisgegenstände bzw. der Beweisaufnahmeprotokolle ins Ausland verbietet (s. auch Rz. 2500). 2469 Bestritten ist, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch noch nach Absendung ins Ausland zulässig ist.428 (Näher Rz. 2500). 5. Ablehnung des ausländischen Ersuchens durch die Justizverwaltung a) Überblick 2470 Über die Gewährung oder Ablehnung der vom ausländischen Gericht erbetenen Rechtshilfe befindet allein die Exekutive (Rechtshilfebehörde), nicht das Rechtshilfegericht.429 Die Zentrale Behörde bzw. die Prüfungsstelle (§§ 9, 82 ZRHO) kann die Erledigung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens ablehnen, mit der Begründung,430 2471 – die Erledigung des Ersuchens falle in Deutschland nicht in den Bereich der Gerichte (within the functions of the judiciary; dans les attributions du pouvoir judiciaire)431 oder – das ausländische Verfahren, für das um Beweisaufnahme ersucht wird, betreffe keine Zivil- oder Handelssache (Rz. 2441) oder – es sei nicht sichergestellt, dass die Beweisaufnahme nur für das Ausgangsverfahren (Zivilverfahren) bestimmt sei. Der ersuchende Staat darf das ihm im Wege deutscher Rechtshilfe zur Verfügung gestellte Material nur für das Ausgangsverfahren verwenden, nicht z.B. (anschließend) für einen Strafprozess und/oder ein Verwaltungsverfahren. Die deutsche Rechtshilfebehörde darf daher eine Spezialitätszusage verlangen.432 2472 Die Ablehnung kann auch damit begründet werden, dass das ausländische Ersuchen nicht von einer gerichtlichen Behörde ausgehe, oder dass kein Ersuchen um Beweisaufnahme vorliege, Art. 1 I HBÜ. Die Briten grenzen bloße Beweisermittlung („Beweisfischzüge“) aus Art. 1 I HBÜ aus, anders die deutsche Praxis.433 428 Verneinend Stadler, IPRax 1992, 148; großzügiger OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 416 = IPRax 1992, 166 und in Strafsachen OLG Karlsruhe v. 26.6.1990 – 1 AK 22/90, MDR 1990, 947 = NJW 1990, 2208; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, vor § 59 IRG Rz. 36. 429 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 244, 248, 273; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 213. 430 Wesentlich eingeschränkter die Ablehnungsbefugnisse nach Art. 14 EuBeweisaufnahmeVO. 431 Art. 12 I (a) HBÜ, Art. 11 III Nr. 2 HZPÜ, Art. 1 Nr. 2 dt.-tunes. Vertrag; Junker, a.a.O., 244, 248, 273; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 215. 432 Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 198; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 248, 274; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 194, 206, 213. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 1 HBÜ Rz. 34. Anders der Ansatz bei Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 372. 433 Junker, a.a.O., 284.
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Auch der deutsche Vorbehalt gegen discovery of documents kann der Erledi- 2473 gung entgegenstehen, Art. 23 HBÜ, § 14 I AusfG (Rz. 2489).434 Bestritten ist, ob Art. 23 HBÜ ein Erledigungsverbot begründet, das auch bei freiwilliger Mitarbeit zu beachten ist, ob also die deutsche Rechtshilfebehörde oder das deutsche Rechtshilfegericht Urkunden entgegennehmen und weiterleiten darf, wenn ein Dritter diese freiwillig vorlegt.435 Wenn der Inhalt des ausländischen Ersuchens – nach Auffassung der deutschen 2474 Bewilligungsbehörde – nicht den Bestimmtheitsanforderungen an das Beweisthema (Art. 3 [f] HBÜ) oder an das Beweismittel (Art. 3[e, g] HBÜ) entspricht, sollte man nicht sofort deutsche Rechtshilfe ablehnen, sondern Gelegenheit zur Nachbesserung geben.436 Im Übrigen handelt es sich bei Art. 3 HBÜ (Rz. 2414) nicht nur um eine bloße 2475 Ordnungsvorschrift, sondern auch um eine Schutznorm zugunsten der Beweispersonen (Schutz vor zu weitem Eindringen in deren Freiheitssphäre).437 b) „Ordre public“-Vorbehalt Deutsche Rechtshilfe kommt nicht in Betracht, wenn die Erledigung des auslän- 2476 dischen Ersuchens die Hoheitsrechte oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.438 Beispiel: Ersuchen um Zeugenvernehmung oder Vorlage von Dokumenten, die Aufschluss über Staatsgeheimnisse geben sollen.439
Wesentlich prägnanter als die Vorbehaltsklauseln in den für die Rechtshilfe in 2477 Zivilsachen geltenden Haager Übereinkommen (Rz. 2353 ff.) und sonstigen Rechtshilfeverträgen (Rz. 2370 ff.) ist Art. 2 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (Rz. 2376)440 formuliert: Danach kann Rechtshilfe verweigert werden, „wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, dass die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen“.
434 Ausführlich Junker, a.a.O., 285; Brand, NJW 2012, 1116 (1118); Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 233 ff., 253. S. auch Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (806) und Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 79 ff. 435 Dafür Reufels, RIW 1999, 667 (671); Schlosser, ZZP 94 (1982), 397. Dagegen von Hülsen, RIW 1982, 549; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 202; Junker, a.a.O., 333. 436 Junker, a.a.O., 307. Wesentlich „formloser“ ist insoweit § 59 I IRG: selbst mündliche Ersuchen werden akzeptiert, hierzu Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 59 Rz. 4. 437 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 253; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 46 vor § 485. 438 Art. 12 (b) HBÜ; Art. 11 III Nr. 3 HZPÜ; Art. 10 III dt.-griech. Vertrag; Art. 22 I Nr. 3 dt.tunes. Vertrag; Art. 32 dt.-marok. Vertrag. 439 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 472 Fn. 21. 440 BGBl. II 1964, 1369.
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2478 Auch nach § 73 IRG ist Rechtshilfe für ausländische Verfahren unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Hierzu führt die Bundesregierung aus:441 „Ausschlaggebend … ist die Erwägung, dass die kaum zu übersehende Vielfalt der in Betracht kommenden Rechtshilfeleistungen, die Unterschiedlichkeit ausländischer Rechtssysteme und die im Vergleich zum DAG herabgesetzten Anforderungen an die Zulässigkeitsvoraussetzungen eine ausdrückliche Bindung an den ordre public ratsam erscheinen lassen. So wird die Vorschrift bei den Arten der Rechtshilfe eine größere Rolle spielen, bei denen das Gesetz weniger strenge Anforderungen als bei der Auslieferung stellt, insbes. bei der ‚kleinen Rechtshilfe‘ … Gleichwohl gilt die Vorschrift für alle Bereiche der Rechtshilfe.442
2479 Unzulässig ist die Rechtshilfe nur, aber dann auch immer, wenn sie ‚wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung‘ widersprechen würde. Durch diese Fassung der Bestimmung ist klargestellt, dass nicht jedem ausländischen Verfahren, das in materiellrechtlicher oder prozessualer Hinsicht Eigenarten aufweist, welche von unserem innerstaatlichen Recht abweichen, die Unterstützung durch Rechtshilfe versagt werden muss. Andererseits bedeutet das Abstellen darauf, ob die ‚Leistung der Rechtshilfe‘ gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verstieße, keine Begrenzung der erforderlichen Prüfung auf die jeweilige Rechtshilfehandlung. Vielmehr sind auch und gerade solche Verstöße zu berücksichtigen, die sich nicht mit dem jeweils aktuellen Verfahrensabschnitt, sondern in dem zu fördernden ausländischen Verfahren insgesamt manifestieren und auf die rechtliche Bewertung der einzelnen Rechtshilfehandlung zurückwirken.
2480 Gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung wird die Rechtshilfe insbes. dann verstoßen, wenn das ausländische Verfahren zu elementaren verfassungsrechtlichen oder völkerrechtlichen Geboten des Grundrechts- bzw. Menschenrechtsschutzes in offenbarem Widerspruch steht … Zu den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung gehört … der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er hat nach der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang und gilt daher für den durch den Entwurf geregelten Sachbereich auch ohne ausdrückliche Regelung … Da eine … Festlegung auf bestimmte Abwägungskriterien im Bereich der Rechtshilfe – insbes. wegen der Vielfalt und des grenzüberschreitenden Charakters der zu regelnden Sachverhalte – nicht durchführbar erscheint, verzichtet der Entwurf auf eine Ausformulierung …“.
c) Grundrechtsschranken 2481 Wenig systematisiert und konturiert sind bisher die Grundrechtsschranken für die Bewilligung von Rechtshilfe für ausländische Gerichtsverfahren. Das Bundesverfassungsgericht443 fordert Ablehnung des ausländischen Zustellungsersuchens, „wenn das mit der Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaates verstößt.“444 Art. 16 II 1 GG bzw. die allgemei441 BT-Drucks. 9/1338, 93. 442 Umfangreiche Nachw. bei Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 73 IRG Rz. 49 ff. 443 BVerfG v. 7.12.1994 – 1 BvR 1279/94, BVerfGE 91, 335 = CR 1995, 221 = NJW 1995, 649 = RIW 1995, 320 = IPRax 1996, 112 (Tomuschat 83) = EWiR 1995, 161 (R. Geimer) = EuZW 1995, 218 (Kronke) = JZ 1995, 716 (Stadler) = IPRspr. 1994 Nr. 160b. 444 Nachw. bei Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 125, 139; Fritz, Punitive/exemplary damages in den USA und ihre Qualifikation als Zivilsache, 2004; Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995, 123 ff., 142 ff.; Lagodny, a.a.O., § 59 IRG Rz. 20.
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Im Ausland anhängige Verfahren
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ne Schutzpflicht des Staates445 stehen der Leistung von Rechtshilfe für ein ausländisches Verfahren gegen einen Deutschen nicht entgegen.446 Grundrechtsschutz genießen alle Beweispersonen, genauer: alle, die Objekte der 2482 Beweisaufnahme für ein ausländisches Gericht sind. Das Ausforschungsverbot des deutschen Zivilprozesses447 ist über die rechtshilferechtliche Vorbehaltsklausel (Rz. 2476) auch gegenüber ausländischen Rechtshilfeersuchen durchzusetzen.448 Enger formuliert Schlosser449: Ablehnung, wenn ausländisches Gericht verlangt 1. zur Ermittlung der Glaubwürdigkeit des Zeugen in weite Bereiche seines Privatlebens einzudringen oder 2. Dinge auszukundschaften, deren Geheimhaltung einem wichtigen nationalen Wirtschaftsinteresse entspricht (z.B. der Strategien eines Großunternehmens bei der Entwicklung/Verwertung neuer Technologien).450 Problematisch sind die im US-Zivilprozess üblichen „fishing expeditions“. Die Klageschrift braucht den geltend gemachten Anspruch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht schlüssig darzulegen. Eine dem § 253 ZPO vergleichbare Norm fehlt (Rz. 1994). So wird z.B. ein Verkehrsunfall mit völlig „unverdächtigem“ Verlauf, also ohne jeden Anhaltspunkt für einen Produktfehler, oft dazu benutzt, die Vorlage einer detaillierten Dokumentation der Entwicklung und Herstellung des am Unfall beteiligten Kfz-Typs zu verlangen nach dem Motto „If you ransack enough files, something will turn up“.451 Damit wird nicht unerheblich in Unternehmensgeheimnisse eingegriffen.452 445 Hierzu R. Geimer, ZfRV 1992, 402; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 236. 446 Für Strafsachen OLG Hamburg, v. 1.10.1984 – Ausl 11/84, StV 1984, 521. 447 Stürner, JZ 1981, 521 Fn. 2, 6; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 284 Rz. 42. 448 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 322; deutsche Denkschrift BT-Drucks. 7/4892, 58; auch OLG München v. 31.10.1980 – 9 VA 3/80, OLGZ 1981, 232 (235) = RIW 1981, 554 = JZ 1981, 538 = ZZP 1981, 462 = IPRax 1982, 150 (Nagel 138) = IPRspr. 1980 Nr. 161a will möglichst großen Schutz vor Ausforschung gewähren. Hierzu auch Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 191. Zurückhaltend aber OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – I-3 VA 2/06, 3 VA 2/06, OLGR 2007, 393. Anders wohl Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 371. 449 Schlosser, ZZP 94 (1981), 382. 450 Ähnlich Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 226. Umfassende Nachw. bei Stadler, Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen im deutschen und amerikanischen Zivilprozess und im Rechtshilfeverfahren, 1989; Kersting, Der Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses im Zivilprozess, 1995. 451 Stiefel, RIW 1979, 518. Zu den Taktiken im Zusammenhang mit fishing expeditions Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 104, 149, 441; Paulus, ZZP 104 (1991), 397; Kindler, ZZP 105 (1992), 376; Reitz, ZZP 104 (1992), 385; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 143. 452 Hierzu von Hülsen, RIW 1982, 228. S. auch Ploch-Kumpf, Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung in der Gesamtrechtsordnung, 1996.
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d) Staatliche Wirtschaftsinteressen 2484 Noch ungeklärt ist, ob und inwieweit über die Vorbehaltsklausel (Rz. 2476) auch staatliche Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gewahrt werden können. Dies gilt vor allem für Beweisaufnahmeersuchen im Zuge von Produkthaftpflichtprozessen, Kartellverfahren, Patentverletzungs- und Umweltschutzprozessen.453 2485 Für die Rechtshilfe in Strafsachen ist folgende Formel üblich: „Rechtshilfe ist abzulehnen, wenn durch deren Leistung ein Geschäfts-, Berufs- oder sonstiges Geheimnis eines in Deutschland von der Rechtshilfehandlung Betroffenen unbefugt verletzt und dadurch ihm ein mit dem Zweck der Rechtshilfe nicht zu vereinbarender Schaden entstehen könnte“.454 2486 Ebenso die amtliche Begründung455 zu § 72 des Entwurfs zum IRG (= § 73 IRG, Rz. 2478): „Als Beispiel für eine besondere Ausgestaltung des ordre public in Teilgebieten der Rechtshilfe kann auf den Grenzbereich zwischen strafrechtlicher Rechts- und steuerrechtlicher Amtshilfe verwiesen werden: Hier kann ein Verstoß gegen § 72 (= § 73 IRG) auch darin liegen, dass Tatsachen aus dem wirtschaftlichen Bereich, die nach deutschem Recht Geheimnisschutz genießen (Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Berufsgeheimnisse, Geschäftsverfahren), durch die Rechtshilfe offenbart würden und dadurch einem deutschen Beteiligten ein mit ihrem Zweck nicht zu vereinbarender Schaden entstünde. Dass dieser Tatbestand in § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO 1977 selbständig neben dem steuerrechtlichen ordre public genannt ist, hindert nicht, ihn im Rahmen der strafrechtlichen Rechtshilfe als Unterfall des § 72 zu werten.“
In diesem Kontext zu erwähnen ist auch die deutsche Denkschrift (s. Rz. 2376) zu Art. 2 (b) des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959:456 „Wesentliche Interessen des Staates können auch dann beeinträchtigt werden, wenn das Betriebsgeheimnis einer bestimmten Firma offenbart werden müsste. Entscheidend ist hierbei, ob der Staat selbst an dem Schutz des Betriebsgeheimnisses interessiert ist.“457
e) Verhältnis zu § 328 ZPO und § 109 FamFG 2487 Eine Beweisaufnahme darf jedenfalls dann nicht abgelehnt werden, wenn das im ausländischen Prozess zu erwartende Urteil, für welches die Beweisaufnahme benötigt wird, Aussicht auf Anerkennung in Deutschland hat. Aber auch
453 Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 355; enger Pfeil-Kammerer, Deutschamerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 218. 454 BGH v. 23.6.1977, BGHSt. 27, 222 (227); OLG Düsseldorf v. 31.3.1989 – 1 Ws 960/88, JMBl. NRW 1989, 173. Vgl. auch die Nachw. bei Daub, Die Verletzung von Unternehmensgeheimnissen im deutschen und US-amerikanischen Recht, 1996; Kersting, Der Schutz des Wirtschaftsgeheimnisses im Zivilprozess, 1995. Zum deutschen Recht Ploch-Kumpf, Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung in der Gesamtrechtsordnung, 1996. 455 BT-Drucks. 9/1338, 93. 456 BGBl. II 1964, 1369, 1386. 457 BT-Drucks. IV/382, 44.
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wenn der anerkennungsrechtliche ordre public atténué (Rz. 27) verletzt und damit eine Anerkennung ausgeschlossen ist, ist damit noch nicht automatisch der Ausschluss deutscher Rechtshilfe begründet (Rz. 2756).458 Die Unzumutbarkeitsschwelle ist vielmehr höher anzusetzen, vgl. auch Art. 12 2488 II HBÜ.459 Ein ausländisches Ersuchen um Beweisaufnahme ist nur dann abzulehnen, wenn die Beweisaufnahme durch deutsche Richter Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen oder zu einem absolut unmoralischen Verfahren bedeutete, das jeden – wie auch immer gearteten – Bezugs zur Rechtsidee ermangelt. Beispiel: Der ersuchende Staat hat völkerrechtswidrig Gerichtsgewalt über eine immune Person oder Sache (Staatsschiff) in Anspruch genommen.
f) Pre-trial discovery of documents US-amerikanische Ersuchen um pre-trial discovery of documents scheitern be- 2489 reits am deutschen Vorbehalt gem. Art. 23 HBÜ (Rz. 2357, 2473).460 Dieser macht aber Zeugenvernehmungen über den Inhalt von Urkunden nicht unzulässig;461 denn nach deutschem Recht ist die Vernehmung von Zeugen über den Inhalt von Urkunden, die nicht herausgegeben oder vorgelegt werden müssen, grundsätzlich zulässig. Im Übrigen besteht das Ausforschungsverbot nach deutschem Recht462 nur zum 2490 Schutz des Beweisgegners, welcher der beweisführenden Gegenpartei die Waffen zur Führung des Rechtsstreits grundsätzlich nicht zur Verfügung zu stellen braucht463, nicht aber im Interesse von Zeugen, die durch Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte genügend geschützt sind.464 Da gem. Art. 11 I (a) HBÜ das deutsche Rechtshilfegericht die Aussageverweigerungsrechte und -verbote des deutschen Rechts beachten muss, darf die Zentrale Behörde die Erledi-
458 OLG München v. 9.5.1989 – 9 VA 3/89, RIW 1989, 483 (484) = NJW 1989, 3102 (Greger) = IPRax 1990, 175 (Stürner/Stadler 157) = IPRspr. 1989 Nr. 205; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 677; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 205; Hopt/ Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 126 ff.; Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 12 HBÜ Rz. 13. 459 S. auch OLG Saarbrücken v. 29.4.2011 – 1 VA 2/10, IPRspr. 2011 Nr. 262. 460 S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 23 HBÜ Rz. 10; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 (806); Brand, NJW 2012, 1116 (1118); Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 79 ff. 461 Schlosser, ZZP 94 (1981), 395; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 244. 462 Nachw. bei Chudoba, Der ausforschende Beweisantrag, 1993, besprochen von Stadler, ZZP 107 (1994), 382. 463 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, 1491. 464 OLG München v. 27.11.1980 – 9 VA 4/80, OLGZ 1981, 235 = IPRspr. 1980 Nr. 161b; OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – I-3 VA 2/06, 3 VA 2/06, OLGR 2007, 393.
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gung des Rechtshilfeersuchens unter Hinweis auf das Ausforschungsverbot nicht von vornherein ablehnen.465 Andere nicht unter Art. 23 HBÜ fallende Formen von pre-trial discovery dürfen nicht pauschal unter Hinweis auf das deutsche Ausforschungsverbot nach Art. 12 I (b) HBÜ abgelehnt werden.466 g) Beweisaufnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht, auch wenn die gewünschte Beweisaufnahmemethode dem deutschen Recht unbekannt ist 2491 Eine Beweisaufnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht findet grundsätzlich auch dann statt, wenn die vom ausländischen Gericht gewünschte Beweisaufnahmemethode dem deutschen Zivilprozessrecht unbekannt ist. Ein ausländisches Ersuchen um Beweisaufnahme darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das deutsche Rechtshilfegericht dürfe keine Beweisaufnahme durchführen, die es im eigenen Zivilprozess nicht anberaumen dürfe. Ein solcher Vorbehalt findet sich weder im Text des HBÜ noch ist er mit dessen Sinn und Zweck zu vereinbaren.467 Im Gegenteil bestimmt Art. 12 II HBÜ ausdrücklich: „Die Erledigung [des ausländischen Ersuchens um Beweisaufnahme] darf nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden, dass der ersuchte Staat ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für welches das Ersuchen gestellt wird.“468 So ist z.B. der dem deutschen Recht nicht (mehr) bekannte „zugeschobene Eid“ abzunehmen (Rz. 2508).469 Schlüssig wäre aber die Ablehnung des ausländischen Ersuchens mit dem Hinweis, die erbetene Beweisaufnahme in einer besonderen Form nach Art. 9 II HBÜ sei wegen eines konkreten Verbots des deutschen Rechts nicht durchführbar. 2492 Denkbar ist auch die Verweigerung der vom ausländischen Gericht erbetenen Beweisaufnahme, weil in concreto ein Aussageverbot bzw. ein Aussageverweigerungsrecht (Art. 11 HBÜ) besteht (Rz. 2509).470 Doch dürften sich die meisten Weigerungsrechte nur auf einzelne Aspekte der gewünschten Vernehmung beziehen oder ihre Geltendmachung in der Entschließung der Beweisperson stehen. Deshalb kommt Ablehnung durch die Zentrale Behörde bzw. die Prüfungsstelle in den meisten Fällen nicht in Betracht (Rz. 2464).471 465 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 253. Vgl. auch Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 191 ff. 466 S. auch OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – 3 VA 2/06, NJOZ 2007, 685 = OLGR 2007, 393. Strenger wohl Brand, NJW 2012, 1116 (1119). 467 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 282, 322; a.A. wohl Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 201; von Hülsen, RIW 1982, 554 Fn. 141. 468 Ebenso Art. 14 III EuBeweisVO. 469 Zustimmend Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 10 EuBeweisVO Rz. 22; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR4, EG-BewVO Art. 14 Rz. 19. 470 OLG Saarbrücken v. 29.4.2011 – 1 VA 2/10, IPRspr. 2011 Nr. 262. 471 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 253, 341, 345, 349.
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h) Ablehnung im unmittelbaren Staatsinteresse Die Ablehnung des ausländischen Ersuchens im unmittelbaren Staatsinteresse, 2493 ohne dass die subjektiven Rechte Einzelner betroffen sind, hat die amtliche Begründung zu § 72 des Entwurfs (= § 73 IRG, Rz. 2478) im Auge: „Gesichtspunkte, die in Art. 2 Buchst. b) des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen neben dem ordre public aufgeführt sind (Souveränität, Sicherheit, andere wesentliche Interessen des Landes), [können] weder unter die Definition des § 72 [des Entwurfs = § 73 IRG] subsumiert noch in diese Vorschrift ausdrücklich aufgenommen werden. Hierbei handelt es sich nämlich um Gesichtspunkte, die typischerweise nicht im Rahmen der (gerichtlichen und behördlichen) Zulässigkeitsprüfung, sondern im Rahmen der Ermessensentscheidung der Bewilligungsbehörde (§ 73) zu berücksichtigen sind. Umstände dieser Art, die zur Ablehnung der Rechtshilfe Anlass geben können, aber nicht müssen, werden vom Regelungsgehalt des Entwurfs nicht erfasst; ihre Einbeziehung verbietet sich schon wegen der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen, auf die das Gesetz im vertragslosen Rechtshilfeverkehr Anwendung finden soll.“
Auch bei der Rechtshilfe in Zivilsachen kann die Ablehnung auf Gründe gestützt werden, die im unmittelbaren Staatsinteresse liegen. Bei einer solchen Hypothese sind subjektive Rechte einzelner Beteiligter nicht betroffen. Dies hat Auswirkungen auf die Rechtsmittelmöglichkeiten (Rz. 2495). i) Verfahren bei Ablehnung der erbetenen Rechtshilfe Lehnt die Zentrale Behörde bzw. die Prüfungsstelle die Erledigung des Rechts- 2494 hilfeersuchens ab, so ist Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, dies dem ersuchenden Staat mitzuteilen, Art. 13 II HBÜ, Art. 13 HZPÜ. 6. Innerstaatliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Justizverwaltung a) gegen die Ablehnung der vom ausländischen Gericht erbetenen Beweisaufnahme Die negative Entscheidung der Justizverwaltung kann der interessierte Betroffe- 2495 ne wegen Ermessensfehlgebrauchs (Rz. 3637) nach §§ 23 ff. EGGVG anfechten.472 Rechtsmittelbefugt ist die im ausländischen Verfahren beweispflichtige oder in sonstiger Weise an der Durchführung der Beweisaufnahme in Deutschland interessierte Partei, nicht aber auch der ausländische Staat, dessen Gericht um Rechtshilfe ersucht hat. Der aus dem HBÜ fließende völkervertragliche Anspruch auf Gewährung von Rechtshilfe kann nur auf völkerrechtlicher Ebene geltend gemacht werden (Art. 36 HBÜ). Mit der innerstaatlichen Inkraftsetzung des HBÜ hat der deutsche Gesetzgeber den Vertragsstaaten – außerhalb der völkervertraglichen Ebene – nicht die Möglichkeit geben wollen, innerstaatliche Rechtsmittel einzulegen, um die Erfüllung des HBÜ zu erzwingen.473
472 OLG München v. 31.10.1980 – 9 VA 3/80, OLGZ 1981, 232 = RIW 1981, 554 = ZZP 94 (1981), 462 = IPRax 1982, 150 (Nagel 138) = IPRspr. 1980 Nr. 161a; OLG München v. 27.11.1980 – 9 VA 4/80, RIW 1981, 555; von Hülsen, RIW 1982, 553. 473 R. Geimer, NJW 1989, 2177.
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b) gegen die Bewilligung der Rechtshilfe der vom ausländischen Gericht erbetenen Beweisaufnahme 2496 §§ 23 ff. EGGVG kommen auch zum Zuge, wenn die Bewilligungsbehörde, also die Zentrale Behörde bzw. die Prüfungsstelle, die Erledigung des Rechtshilfeersuchens – wie auch immer, z.B. konkludent durch Übersendung der Akten an das Amtsgericht (Rechtshilfegericht) – für zulässig erklärt.474 Dies ist für die Rechtshilfe in Zivilsachen – anders als in Strafsachen475 – unbestritten. 2497 In Strafsachen will eine Meinung allen Rechtsschutz hinsichtlich der Leistungsermächtigung in den „Vornahmerechtsschutz“ verlagern.476 2498 Anders ist es dagegen in Zivilsachen. Hier kann bereits gegen die Bewilligung der Rechtshilfe (= Anweisung der Justizverwaltung an das Amtsgericht, die Beweisaufnahme durchzuführen) Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden. So können z.B. die betreffenden Zeugen geltend machen, dass sie mit der Genehmigung ihrer Vernehmung als Zeugen im konkreten Fall zu Unrecht der erzwingbaren Verpflichtung zum Erscheinen und zur Aussage vor einem deutschen Richter für ein ausländisches Gerichtsverfahren unterworfen werden.477 2499 Die Durchführung der genehmigten Zeugenvernehmung kann auch in die Rechtssphäre des Arbeitgebers der als Zeugen in Betracht kommenden Arbeitnehmer eingreifen, wenn betriebliche Vorgänge Beweisthema sind. Tangiert ist dessen absolutes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Geheimhaltung vor Wettbewerbern).478 474 Stürner, JZ 1981, 522; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 232. 475 Nachw. bei Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, vor § 59 IRG Rz. 24 und Vogler, NJW 1982, 468. 476 Lagodny, a.a.O., vor § 59 IRG Rz. 38. Nach der Konzeption des IRG kann nur der von der „Herausgabe-Rechtshilfe“ Betroffene (= Herausgabe von Gegenständen z.B. zu Beweiszwecken) das OLG gem. §§ 61, 66 IRG anrufen, nicht jedoch derjenige, der von sonstigen Rechtshilfemaßnahmen (z.B. Zeugenvernehmung) tangiert ist. Er kann seine Einwendungen nur im Vornahmeverfahren vor dem Rechtshilfegericht vortragen. Soweit dieses sie für begründet hält, kann es das OLG nach § 61 I 1 IRG anrufen, Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 61 IRG Rz. 17. 477 Allerdings hat das Oberlandesgericht nicht zu prüfen, ob die vom ausländischen Gericht aufgestellten Beweisthemen bzw. die von ihm gestellten Fragen für die Entscheidung des ausländischen Rechtsstreits tatsächlich von Bedeutung sind. Denn ebenso wenig wie sich ein Zeuge darauf berufen kann, seine Befragung bedeute eine Ausforschung (Rz. 2490), kann er geltend machen, eine Frage sei für die Entscheidung des Rechtsstreits irrelevant. Insoweit kann sich der Zeuge bzw. die Auskunftsperson allein auf (bestehende) Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte (Art. 9 HBÜ) berufen, z.B. hinsichtlich Fragen zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auf §§ 383 I Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO. Fragen, die hiervon nicht erfasst werden, müssen aber beantwortet werden, auch wenn ihr Sinn oder ihre Entscheidungserheblichkeit nicht erkennbar sind, OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – I-3 VA 2/06, 3 VA 2/06, OLGR 2007, 393. 478 OLG München v. 27.11.1980 – 9 VA 4/80, OLGZ 1981, 235 = RIW 1981, 555 = JZ 1981, 540 (Mann 840) = ZZP 94 (1981) 462 = IPRspr. 1980 Nr. 161b; Schlosser, ZZP 94 (1981), 369. Hierzu Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 193.
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Selbst wenn die Beweisaufnahme vor dem deutschen Gericht abgeschlossen 2500 und die Akten bereits dem ausländischen Staat, der um Rechtshilfe ersucht hat, zurückgesandt worden sind, ist das Feststellungsinteresse weiter gegeben.479 Der Betroffene kann sich auch vorbeugend zur Wehr setzen und der Zentralen Behörde im Wege der einstweiligen Anordnung analog § 123 VwGO die Bewilligung der Beweisaufnahme verbieten lassen. Allerdings wird – angesichts der Anfechtungsmöglichkeiten (einschließlich der Möglichkeit der Anordnung aufschiebender Wirkung) – die Glaubhaftmachung eines Rechtsschutzbedürfnisses für vorbeugenden Rechtschutz schwierig sein.480 Das für die Durchführung der von der Justizverwaltung bewilligten Beweisauf- 2501 nahme zuständige Rechtshilfegericht hat kein Remonstrationsrecht oder eine sonstige Möglichkeit, die Entscheidung des OLG herbeizuführen.481 Ein betroffener Dritter ist auf das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG nicht be- 2502 schränkt, er kann auch gegen die Beweisperson (Zeugen) auf Unterlassen der Aussage klagen bzw. einstweilige Verfügung beantragen (Rz. 1113).482 7. Verfahren vor dem deutschen Rechtshilfegericht a) Überblick Das Rechtshilfegericht darf die Durchführung der Beweisaufnahme nicht wegen 2503 Überlastung ablehnen.483 Ein Akteneinsichtsrecht der Beweisperson ist zu verneinen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf ein faires Verfahren folgt das Recht, (auf eigene Kosten) einen Beistand zuziehen zu dürfen.484 Etwa erforderliche Aussagegenehmigungen sind von Amts wegen einzuholen, 2504 § 132 ZRHO.
479 Vgl. OLG Frankfurt v. 21.3.1991 – 20 VA 2/91, RIW 1991, 417 = IPRax 1992, 166 (Stadler 147) = IPRspr. 1991 Nr. 199 und für Strafsachen OLG Karlsruhe v. 26.6.1990 – 1 AK 22/90, MDR 1990, 947 = NJW 1990, 2208. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), HBÜ-Einl. Rz. 18. 480 Einzelheiten bei Stadler, IPRax 1992, 148. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), HBÜ-Einl. Rz. 20. 481 Anders in Strafsachen § 61 I 1 IRG, hierzu OLG Stuttgart v. 19.12.1988 – 3 ARs 127/88, MDR 1989, 667 = NJW 1989, 3104. 482 LG Kiel v. 30.6.1982 – 10 O 72/82, RIW 1983, 206 = IPRax 1984, 146 (U. Bosch 127) = ILM 1983, 740 = IPRspr. 1982 Nr. 131 (hierzu Stiefel/Petzinger, RIW 1983, 242 sowie Stürner in Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 8, 31); skeptisch Stiefel/Petzinger, RIW 1983, 247; ausführlich Schlosser, Justizkonflikt zwischen USA und Europa, 1985, 37; Stürner, a.a.O., 52. 483 OLG Hamm v. 2.9.1970, MDR 1971, 69. 484 Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 59 IRG Rz. 44.
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b) Bei der Beweisaufnahme vom deutschen Rechtshilfegericht anzuwendendes Recht 2505 Die Beweisaufnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht erfolgt grundsätzlich nach deutschem Verfahrensrecht.485 Die Forderung der Wissenschaft, Beweise sollen grundsätzlich nach den Vorschriften des ausländischen Prozessgerichts, nicht nach der lex fori des ersuchten Staates aufgenommen werden, ist – da praktisch nur schwer durchführbar – nicht verwirklicht.486 Gegenüber Art. 14 II HZPÜ ist Art. 9 II HBÜ sogar noch rückschrittlicher, weil die vom ausländischen Prozessgericht gewünschte Beweisaufnahme „in besonderen Formen“ nicht nur dann abgelehnt werden kann, wenn sie mit den deutschen Gesetzen unvereinbar ist, sondern auch dann, wenn die Ausführung des Ersuchens nach der gerichtlichen Übung im ersuchten Staat (in Deutschland) oder wegen tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich ist.487 So wäre es kein Verstoß gegen die völkerrechtliche Vertragspflicht, wenn sich z.B. die kontinentaleuropäischen Staaten weigerten, ein Kreuzverhör nach den common law-Vorschriften durchzuführen.488 In jedem Fall sollte man in Deutschland, auch wenn keine völkerrechtliche Vertragspflicht besteht, dem ausländischen Wunsch nach einem Kreuzverhör (Rz. 2268) und einem Wortprotokoll entsprechen.489 2506 Die stärkere Betonung der lex fori des ersuchten Staates in Art. 9 I HBÜ bewirkt, dass Beweise für ein und denselben Prozess nach unterschiedlichen Prozessvorschriften erhoben werden. Beispiel: Ein Teil der Beweise wird vor dem Prozessgericht nach der dortigen lex fori aufgenommen, ein anderer im Rechtshilfestaat A nach der dort geltenden lex fori und im Rechtshilfestaat B nach der dortigen (wieder anders ausgestalteten) lex fori.490
c) Vernehmung in der erleichterten Form der schriftlichen Befragung (§ 377 III ZPO) 2507 Sie ist nur dann vorzunehmen, wenn die ersuchende Behörde dies ausdrücklich wünscht oder für zulässig erklärt hat, § 129 ZRHO. Falls die zu vernehmende Person bei ihrer Vernehmung eine Aufzeichnung überreicht, muss das Protokoll erkennen lassen, dass sie über die in ihr Wissen gestellten Tatsachen befragt worden ist und sich darauf wie in dem überreichten Schriftstück geäußert hat, dass ihr dann das Schriftstück vorgelesen wurde und sie erklärt hat, der Inhalt entspreche ihrer soeben abgegebenen Aussage. Von diesem Verfahren ist jedoch
485 Art. 9 I HBÜ, Art. 14 I HZPÜ, § 128 I ZRHO. 486 Zum Kompromisscharakter des Art. 9 HBÜ kritisch Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 135. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 376), Art. 9 HBÜ Rz. 10. 487 Hierzu Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 336. 488 Bestritten: Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 136; Junker, a.a.O., 338; Stürner, JZ 1981, 524. Dafür Schlosser, ZZP 94 (1981), 388; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 9 Rz. 53. 489 Schlosser, ZZP 94 (1981), 372 Fn. 7. 490 Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 136.
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bei Zeugen nur in besonderen Ausnahmefällen Gebrauch zu machen, da diese Erledigung unter Umständen nach den Gesetzen des ersuchenden Staates keine ordnungsgemäße Vernehmung darstellt und so zu Rechtsnachteilen für die beweisführende Partei führen kann, § 130 ZRHO. d) Eidesabnahme durch das deutsche Rechtshilfegericht Wird um die Vernehmung von Zeugen und um ihre Beeidigung oder andere Be- 2508 kräftigung „soweit zulässig“ oder „soweit ein gesetzlicher Hinderungsgrund nicht vorliegt“ ersucht, so hat die Beeidigung in den Fällen des § 393 ZPO zu unterbleiben. Im Begleitschreiben (§ 88 ZRHO) ist darzulegen, dass und weshalb die Beeidigung nicht erfolgt ist; hierfür genügt die bloße Anführung deutscher gesetzlicher Bestimmungen nicht, § 131 I 3 ZRHO. Das Gleiche gilt, wenn ohne jede Einschränkung um eidesstattliche Vernehmung ersucht wird, § 131 II ZRHO. Ersuchen um eidesstattliche Vernehmung sind auch dann zu erledigen, wenn die erbetene Prozesshandlung für den gleichen Fall dem deutschen Recht unbekannt ist, z.B. zugeschobener Eid, § 131 III ZRHO. e) Weigerungsrechte der Beweispersonen Die Beweispersonen können sich wahlweise hinsichtlich der ihnen zustehenden 2509 Weigerungsrechte auf die deutsche lex fori oder auf das Recht des ersuchenden Staates berufen, Art. 11 I HBÜ (Rz. 2419b).491 Eine Erklärung nach Art. 11 II HBÜ, wonach auch drittstaatliche Weigerungs- 2510 rechte anerkannt werden, hat Deutschland nicht abgegeben. f) Teilnahmerechte der Parteien Die Parteien und ihre Vertreter (es besteht kein Anwaltszwang)492 dürfen immer 2511 anwesend sein.493 Art. 7 HBÜ begründet wohl auch einen Anspruch auf Einreise in die Bundesrepublik Deutschland,494 denn ohne einen solchen wäre das Teilnahmerecht sinnlos (Rz. 2012).495 g) Anwesenheit des ausländischen Prozessgerichts Mitgliedern des ersuchenden ausländischen Prozessgerichts kann die Teilnahme 2512 (Rz. 446) an der Beweisaufnahme, welche das deutsche Rechtshilfegericht durch491 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 417; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 350; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 204; Schlosser, ZZP 94 (1981) 398; ausführlich Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 325 ff. 492 Junker, a.a.O., 339. 493 S. auch Berger, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme zwischen Österreich und Deutschland, in FS Rechberger, 2005, 39, 50. Zur Beweisaufnahme im Anwendungsbereich der EuBeweisVO s. Art. 11. 494 A.A. Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 11 EuBeweisVO Rz. 14. 495 Vgl. auch BGH v. 19.3.1996 – 1 StR 497/95, MDR 1996, 836.
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Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
führt, von der Zentralen Behörde gestattet werden, Art. 8 HBÜ, § 10 AusfG, § 133 ZRHO. Da im US-amerikanischen pre-trial discovery-Verfahren die Vernehmung der Beweispersonen nicht vom Richter, sondern von den Parteivertretern durchgeführt wird, will das Bundesministerium der Justiz amerikanische Parteivertreter unter Art. 8 HBÜ subsumieren.496 Von der hier beschriebenen Hypothese der aktiven Rechtshilfe (Beweisaufnahme durch deutsches Amtsgericht als Rechtshilfegericht in Anwesenheit von Mitgliedern des ersuchenden ausländischen Gerichts) scharf zu unterscheiden ist das Dulden der Beweisaufnahme durch das ausländische Gericht (Rz. 2428) oder eines seiner Mitglieder als beauftragtem Richter (Art. 17 HBÜ) auf deutschem Territorium als Anwendungsfall der passiven Rechtshilfe. 8. Zwangsmittel a) Androhung und Anwendung von Zwangsmitteln nur nach der deutschen lex fori 2513 Zwang kommt nur im vertraglich geregelten Rechtshilfeverkehr in Betracht (Rz. 2445).497 Dort sind Zwangsmittel nicht nur in den Fällen des Art. 9 I HBÜ (Beweisaufnahme nach deutschem Recht) zulässig, sondern auch – sofern man die in Rz. 2446 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt – in der Alternative des Art. 9 II HBÜ, also bei Beweisaufnahme in den vom ausländischen Gericht gewünschten besonderen Formen, vorgesehen.498 2514 In beiden Fällen ist jedoch die Androhung bzw. Anwendung von Zwang nur insoweit zulässig, als diesen das deutsche Recht (also die ZPO) zulässt, Art. 10 HBÜ.499 In Betracht kommen Ordnungsgeld und Ordnungshaft, wenn ein Zeuge (= Dritter = Nicht-Partei) nicht erscheint, nicht aussagt oder den Eid verweigert, §§ 380, 390 ZPO.500 Die gleichen Zwangsmittel kann das Rechtshilfegericht gegen jede Person (auch Partei) ergreifen, welche die Untersuchung (§ 372a ZPO; § 178 FamFG) zur Abstammungsfeststellung (= Sonderform der Augenscheineinnahme) verweigert. Im Übrigen kann die Durchführung des Augenscheins nicht erzwungen werden, z.B. nicht das Betreten einer Wohnung oder eines Betriebsgeländes. Daran hat auch § 144 III ZPO n.F. nichts geändert, arg. § 371 III ZPO n.F. Ebenso gestattet die deutsche ZPO dem Richter im deutschen Zivilprozess und damit – über die Ausführungsgesetze zu den Haager Übereinkommen und den sonstigen Rechtshilfeverträgen – auch dem deutschen Rechtshilferichter nicht, die Parteivernehmung zu erzwingen. Das Gleiche gilt für Urkundenvor496 497 498 499
Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 276. In der EuBeweisVO findet sich die maßgebliche Norm in Art. 13. Martens, RIW 1981, 729; Pfeil-Kammerer, a.a.O., 277. Pfeil-Kammerer, a.a.O., 278, 314 ff., 327. S. auch Knöfel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 562), Art. 13 EuBeweisVO Rz. 9; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 353, 375. S. auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 60 Rz. 22. 500 Gegen einen Sachverständigen kann nur Ordnungsgeld festgesetzt werden, § 409 I ZPO. Auch können ihm die durch sein Fehlverhalten verursachten Kosten auferlegt werden. Nicht in Betracht kommen aber Haft oder zwangsweise Vorführung.
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lagen.501 Jedoch kann gegen Dritte, die trotz gerichtlicher Anordnung Urkunden nicht vorlegen, Ordnungsgeld und Ordnungshaft nach §§ 142 II 2, 390 ZPO angeordnet werden.502 (S. auch Rz. 2359). Andererseits darf der deutsche Rechtshilferichter die Zwangsmittel nach der ZPO auch dann einsetzen, wenn das ersuchende ausländische Gericht nach seiner lex fori über solche nicht verfügt.503 b) Vergleich der Zwangsmittel nach deutschem und US-Bundesrecht504 aa) Vernehmung von Aussagepersonen Zeugen: Auferlegung der Kosten, Ordnungsgeld, Haft (§§ 380, 390 ZPO), 2515 zwangsweise Vorführung (§ 380 II ZPO). In den USA: das Gleiche, mit Ausnahme von zwangsweiser Vorführung, FRCP 37 (a) (4) und (b) (1) (D).505 Sachverständige, die sich weigern, ihrer Pflicht zum Erscheinen und zur Erstel- 2516 lung eines Gutachtens nachzukommen: Kostenerstattung und Ordnungsgeld §§ 407, 409 ZPO. Das US-Recht (FRCP 706) kennt insoweit keine Zwangsmittel; jedoch ist zu beachten, dass Sachverständige eine andere Stellung haben. Bei einer Person, die eine Partei als Sachverständigen zur Aussage im trial hinzugezogen hat, kann das US-Prozessgericht Zwangsmittel nach FRCP 37 (b) 31, 30, 26 (b), (4) anwenden. Nach Pfeil-Kammerer506 kann das deutsche Prozessgericht gegen solche von der Partei ernannten Sachverständigen keine Zwangsmaßnahmen (§§ 407, 409 ZPO) anordnen, weil das deutsche Gericht Zwangsmaßnahmen nur gegenüber gerichtlich ernannten Sachverständigen kennt. Doch dürfte es sich bei dem von der Partei benannten Sachverständigen um einen sachverständigen Zeugen handeln, gegen den Zwangsmittel nach §§ 380, 390 ZPO zulässig sind. Vernehmung von Parteien: Die deutsche ZPO sieht keinen unmittelbaren Zwang 2517 vor, sondern nur prozessuale Nachteile, §§ 138 III, 427 Satz 2, 444, 446 ZPO.507 Anders dagegen ist die Rechtslage in den USA: Zwangsmaßnahmen wie bei Zeugen. Man unterscheidet nicht zwischen Partei und Zeugen, also weitergehende Mitwirkungspflicht, FRCP 34, 35.508 501 Im Falle der Weigerung der Partei sieht § 142 I ZPO keine Beugemittel vor. Zur Würdigung einer Weigerung s. Rz. 57a. 502 Stadler in FS Beys, 2003, 1625, 1631; zum Vergleich mit dem US-amerikanischen discovery-Verfahren Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3133). 503 Zur umgekehrten Situation (mehr bzw. andere im Ausland zulässige Zwangsmittel in Beweisaufnahmeverfahren im Ausland aufgrund deutschen Ersuchens nach § 363 ZPO) s. Rz. 2359. 504 S. auch Rz. 89 sowie Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 190, 326; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 66 ff.; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 125 ff. 505 Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 278. 506 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 281. 507 Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 203; Schack, IZVR6, Rz. 794. 508 Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 96, 101, 156; Stadler, Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses, 1989, 338.
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bb) Duldung des Augenscheins 2518 Anordnung gegenüber Parteien: In Deutschland findet kein unmittelbarer Zwang statt. Anders in den USA. Hier ist Zwang möglich, FRCP 37 (b). Anordnungen gegenüber Dritten: In Deutschland gibt es grundsätzlich (s. aber § 144 II ZPO) keinen Zwang, so aber in den USA, FRCP 45 (f). 2519 Sonderfälle: Körperliche Untersuchungen nach § 372a ZPO509 bzw. § 178 FamFG, meist zur Feststellung der Abstammung, werden nach der deutschen ZPO durch Ordnungsgeld oder Haft (§§ 372a II 1, 390 ZPO; § 178 II FamFG) durchgesetzt, bei wiederholter unberechtigter Weigerung auch durch unmittelbaren Zwang, § 372a II 2 ZPO.510 In den USA ist die Rechtslage weniger strikt als in Deutschland511 (Rz. 2523). cc) Vorlage von Urkunden 2520 Anordnungen gegenüber Parteien: In Deutschland drohen nur Prozessnachteile, §§ 142, 427 ZPO, § 258 HGB, kein (unmittelbarer) Zwang.512 Anordnungen gegenüber Dritten: Nach der deutschen ZPO ist eine zwangsweise Durchsetzung während desselben Zivilprozesses nicht möglich. Die beweisbeschwerte Partei muss gesondert auf Herausgabe klagen, §§ 427, 429 ZPO. Erforderlich ist eine Anknüpfung für die internationale Zuständigkeit Deutschlands in Richtung gegen den Dritten nach allgemeinem Kompetenzrecht (Wohnort/Sitz, Erfüllungsort etc.).513 Anders ist es in den USA, FRCP 34, 45.514 2521 Man streitet darüber, ob ein Gesetz oder eine Verordnung zur Ausführung des HBÜ (vgl. § 14 II AusfG) eine solche Vorlagepflicht zum Zwecke der Rechtshilfe für ausländische Prozesse anordnen dürfte, ohne dass Gleiches für den deut-
509 Beispiel: OLG Hamm v. 26.4.1994 – 29 U 293/88, IPRspr. 1994 Nr. 113. 510 Das Gleiche gilt für die Durchsetzung von Auskunfts- und Duldungstiteln (z.B. zur Besichtigung eines Grundstücks oder eines Gegenstandes) gem. §§ 890, 892 ZPO, Ahrens, Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der EnforcementRL in FS Loschelder, 2010, 1, 3; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 87; Zöller/Geimer, ZPO30, Rz. 14 vor § 415 ZPO. 511 Pfeil-Kammerer, a.a.O., 280. 512 Krapfl, Die Dokumentenvorlage im internationalen Schiedsverfahren, 2007, 24 ff. Anders z.B. FRCP 34, 45. Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei vom Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden. Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Durch dieses Erfordernis soll der Beibringungsgrundsatz gewahrt und eine Ausforschung von Amts wegen ohne entsprechenden Tatsachenvortrag einer Partei vermieden werden. Im Falle der Weigerung der Partei sieht § 142 I ZPO keine Beugemittel vor; dazu Rz. 57a. S. auch Kapoor, Die neuen Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände in der ZPO, 2008. 513 Die Durchsetzung erfolgt mit den in § 888 ZPO erwähnten Zwangsmitteln bei Auskunfts- und Vorlegungsansprüchen; ein Herausgabetitel bezüglich eines Dokuments wird jedoch ausschließlich durch Wegnahme nach § 883 ZPO vollstreckt, Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 442. 514 Stürner, JZ 1981, 524.
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schen Zivilprozess eingeführt würde, oder ob dies dem Art. 3 I GG entgegenstünde.515 c) Rechtsvergleichendes Fazit Die deutsche Zivilprozessordnung erzwingt nur ein Minimum: Zeugenbeweis 2522 und körperliche Untersuchung, §§ 372a, 380, 390 ZPO, § 178 FamFG. Viel weiter geht dagegen z.B. Art. 11 Nouveau Code de procédure civile, der eine mit Erzwingungsstrafe (astreinte) bewehrte Vorlagepflicht aufgrund richterlicher Anordnung stipuliert.516 Das deutsche Rechtshilfegericht kann also Parteien – mangels gesetzlicher Grundlage in der ZPO, auf welche die deutschen Ausführungsgesetze verweisen – weder zur Aussage noch zur Urkundenvorlage noch zur Duldung der Ortsbesichtigung zwingen.517 Wer Partei ist und wer nicht, bestimmt die lex fori des ausländischen Prozessgerichts.518 Weiter gehen – per saldo – die Zwangsbefugnisse des Gerichts im US-Zivilpro- 2523 zess: Medizinische Untersuchungen kann der US-Richter zwar – anders als der deutsche (§ 372a ZPO; § 178 FamFG) – nicht unmittelbar erzwingen, FRCP 37 (b) (2) (D) (E). Im Übrigen kann er aber nach contempt of court-Regeln Parteien wie Dritte519 veranlassen, zu erscheinen, auszusagen, den Eid zu leisten, FRCP 30, 31, 45, sowie vorlagefähige Sachen (insbes. Urkunden) beizubringen, FRCP 34, 45. Nur die Parteien (nicht Dritte) kann er zwingen, Fragebögen (written interrogatories) zu beantworten (FRCP 33) und Ortsbesichtigungen zu dulden, FRCP 34. Treffend heben Schlosser520 und Schack521 hervor, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika das prozessrechtliche Institut „pre-trial discovery“
515 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 330; Stürner, JZ 1981, 524; Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 159, 203; Pfeil-Kammerer, a.a.O., 283, Schlosser, ZZP 94 (1981), 395. 516 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 328; Schlosser, ZZP 94 (1981), 393; Schlosser in FS Sonnenberger, 2004, 135; Stürner, ZZP 98 (1985), 247; Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 141; Klinker, Die Astreinte im französischen Zivilrecht, 2002. 517 Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine Abkehr vom Grundsatz nemo contra se edere tenetur lehnt die in Deutschland h.M. ab. 518 Junker, a.a.O., 327. 519 Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 190, 191. Moderater dagegen §§ 142 II, 144 II ZPO. S. z.B. OLG Frankfurt v. 18.10.2006 – 1 U 19/06, OLGR 2007, 466 (468): „Die Neufassung der Vorschrift hat jedenfalls die in §§ 422 f. ZPO gezogenen Grenzen einer Vorlegungspflicht unberührt gelassen und nichts an dem bewährten Grundsatz des deutschen Zivilprozessrechts geändert, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.“ Zwar kann auch die nicht beweisbelastete Partei vom Gericht von Amts wegen zur Herausgabe verpflichtet werden, BGH 26.6.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333 = BGHReport 2007, 982 (Laumen). Allerdings setzt § 142 I ZPO voraus, dass eine Partei sich tatsächlich auf eine konkrete Urkunde bezogen hat. Dazu Rz. 57a. 520 Schlosser, IPRax 1987, 155. 521 Schack, IZVR6, Rz. 823.
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in großem Umfang diejenigen Bereiche abdeckt, die im deutschen Recht durch Ansprüche auf Auskunft und Urkundenvorlage materiell-rechtlich gesichert sind. Noch nicht ausreichend untersucht ist die Frage, inwieweit die US-Regeln im Wege der Anpassung einer kollisionsrechtlichen Verweisung zugänglich gemacht werden können (s. Rz. 57). 9. Kosten und Kostenerstattung 2524 Die Kostenerstattung regeln Art. 14 II, 26 HBÜ, § 146 ZRHO.522 Zeugen und Sachverständige haben Anspruch auf Entschädigung nach §§ 401, 413 ZPO bzw. dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG). Im Einzelnen bestimmt die ZRHO: § 146 Umfang der Kostenerstattungspflicht (1) Inwieweit im vertraglichen Rechtshilfeverkehr Kosten zu erstatten sind, ergibt sich aus dem Länderteil. In den Geltungsbereichen der EG-Zustellungsverordnung und der EG-Beweisaufnahmeverordnung dürfen für die Erledigung der Ersuchen Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden (Artikel 11 Absatz 1 der EG-Zustellungsverordnung und Artikel 18 Absatz 1 der EG-Beweisaufnahmeverordnung). Davon sind jedoch Kosten nach Artikel 11 Absatz 2 der EG-Zustellungsverordnung sowie die in Artikel 18 Absatz 2 der EG-Beweisaufnahmeverordnung genannten Kosten ausgenommen. Wegen der formgerechten Anforderung eines etwaigen Kostenvorschusses im Rahmen der EG-Beweisaufnahmeverordnung wird auf § 128 Absatz 4 verwiesen. (2) Im vertraglosen Rechtshilfeverkehr wird von deutscher Seite die Erstattung von Kosten nur verlangt, soweit auch die ausländischen Behörden für die Erledigung deutscher Ersuchen um Rechtshilfe die Erstattung verlangen. Letzteres ergibt sich aus dem Länderteil. (3) Im Verkehr mit einzelnen Staaten (siehe Länderteil) hat die ersuchte deutsche Behörde den Betrag der Auslagen, die vereinbarungsgemäß vom ersuchenden Staat nicht zu erstatten sind, der ersuchenden Behörde mitzuteilen, damit diese sie von den Personen einziehen kann, die nach den ausländischen Vorschriften zur Erstattung verpflichtet sind. Für die Mitteilung ist der Vordruck ZRH 5 zu verwenden. Als Auslagen sind nur solche Beträge anzugeben, die nach den bestehenden bundes- oder landesrechtlichen Kostenvorschriften erhoben werden können. § 147 Kostenschuldner (1) Die Pflicht zur Erstattung der Rechtshilfekosten trifft unmittelbar den ersuchenden Staat, nicht die Beteiligten. Ein Kostenvorschuss ist daher nicht einzufordern. (2) Ist in dem Ersuchen ausnahmsweise die Bitte ausgesprochen, die Rechtshilfekosten von einer Privatperson einzuziehen, oder wird gleichzeitig die Mitein ziehung von Kosten, die im ersuchenden Staat erwachsen sind, erbeten, so ist das Ersuchen der Landesjustizverwaltung zur Entscheidung vorzulegen.
522 Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 421. Zur Kostenregelung im Anwendungsbereich der EuBeweisVO s. EuGH v. 17.2.2011 – Rs. C-283/09 – Artur Weryn´ski/Mediatel, Slg. I 2011, 621 = NJW 2011, 2493 = RiW 2011, 310: Das ersuchende Gericht muss nicht dem ersuchten Gericht einen Vorschuss für die Entschädigung eines Zeugen zahlen oder die dem vernommenen Zeugen gezahlte Entschädigung erstatten.
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Ladung von Zeugen ins Ausland
Achter Teil
§ 148 Verfahren bei der Einziehung (1) Soweit gemäß § 146 erstattungspflichtige Kosten entstanden sind, ist eine Kostenrechnung ohne Angabe des Kostenschuldners zu fertigen und den Erledigungsstücken beizufügen. Ein Vordruck ist hierfür nicht zu benutzen. In dem Begleitschreiben an die ersuchende Behörde (§ 7 Nummer 1 Buchstabe b, § 88) ist die Bitte auszusprechen, die in der Kostenrechnung aufgeführten Kosten an die Gerichtskasse unter Angabe der auf der Rechnung vermerkten Geschäftsnummer alsbald zu erstatten. Für die Anforderung von kleinen Kostenbeträgen gelten die hierfür erlassenen allgemeinen Vorschriften. Ist danach von einem Erstattungsantrag abzusehen, braucht eine Kostenrechnung nicht beigefügt zu werden. (2) Gehen die Kosten binnen Jahresfrist nicht bei der Gerichtskasse ein, so ist der Landesjustizverwaltung zu berichten. (3) Eine Gebühr nach den Nummern 201 und 202 des Gebührenverzeichnisses zur Justizverwaltungskostenordnung ist nur zu erheben, wenn im vertraglosen Rechtshilfeverkehr beiderseits die Erstattung von Kosten verlangt wird. Die Gebühr wird vom Gericht unter Berücksichtigung der Tätigkeit der Prüfungsstelle festgesetzt.
5. Kapitel: Ladung von Zeugen ins Ausland Von dem Komplex „Beweisaufnahme in Deutschland“ (entweder durch Funk- 2525 tionsträger des Gerichtsstaats oder durch das deutsche Rechtshilfegericht) zu trennen ist die Ladung von Beweispersonen in Deutschland zu einer Beweisaufnahme im Ausland (= Gerichtsstaat). Hauptbeispiel ist die Zeugenladung.523
I. Ladung ohne Einschaltung deutscher Stellen Das Völkergewohnheitsrecht lässt die Ladung eines Zeugen ohne Einschaltung 2526 der deutschen Rechtshilfeinstanzen zu.524
II. Übermittlung der Ladung des ausländischen Gerichts durch die deutschen Rechtshilfeinstanzen Bittet der Gerichtsstaat Deutschland um Zustellung einer Ladung im Wege der 2527 Rechtshilfe, kann eine Souveränitätsverletzung nicht vorliegen.525 Die deutsche Rechtshilfe beschränkt sich im Falle der Ladung durch das auslän- 2528 dische Gericht auf die Übermittlung der ausländischen Ladung (mit oder ohne Zwangsandrohung, Rz. 2360). Es erfolgt also keine (deutsche) Ladung von Beweispersonen vor ausländische Gerichte durch deutsche Rechtshilfebehörden 523 Hierzu E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 45; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 288. 524 Strittig; s. näher Rz. 2320, 2388. Vgl. auch vice versa Nagel, IPRax 1992, 301. 525 A.A. Leipold, Lex fori, Souveränität, Discovery – Grundfragen des IZPR, 1989, 63, der stets Beweisaufnahme in Deutschland durch deutsches Rechtshilfegericht (s. Rz. 2440 ff.) verlangt.
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oder Gerichte. Der Befehl an eine sich in Deutschland aufhaltende Beweisperson, vor dem ausländischen Gericht zu erscheinen, stammt von diesem, nicht von einer deutschen Behörde oder einem deutschen Gericht. Die deutschen Rechtshilfebehörden beschränken sich auf die Zustellung der ausländischen Ladung, enthalten sich aber einer eigenen Aufforderung an die Beweisperson, vor dem ausländischen Gericht zu erscheinen. Ob der Geladene der Aufforderung Folge leistet oder nicht, interessiert aus deutscher Sicht nicht. Das deutsche Gericht hat keine Rechtsgrundlage, den Geladenen zu zwingen, der ausländischen Ladung Folge zu leisten. Dies steht aus deutscher Sicht in dessen Belieben. Eine andere Frage ist, welche Auswirkungen das Fernbleiben nach dem Recht des ersuchenden Staates (= Gerichtsstaates) hat. Es gibt auch keine „Anerkennung“ der Ladungen ausländischer Gerichte (Rz. 2824). 2529 Eine Parallelvorschrift zu Art. 8 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen kennt das HBÜ nicht. Diese Vorschrift stipuliert Strafschutz für Beweispersonen, die der Ladung eines ausländischen Gerichts nicht Folge leisten. Sie lautet: „Der Zeuge oder Sachverständige, der einer Vorladung, um deren Zustellung ersucht worden ist, nicht Folge leistet, darf selbst dann, wenn die Vorladung Zwangsandrohungen enthält, nicht bestraft oder einer Zwangsmaßnahme unterworfen werden, sofern er sich nicht später freiwillig in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begibt und dort erneut ordnungsgemäß vorgeladen wird.“
III. Freies Geleit 2530 Das HBÜ sichert Beweispersonen, die der Ladung eines ausländischen Gerichts Folge leisten, kein freies Geleit zu (vgl. vice versa Rz. 2390). Anders Art. 12 des Europäischen Übereinkommens vom 20.4.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen: „(1) Ein Zeuge oder Sachverständiger, gleich welcher Staatsangehörigkeit, der auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint, darf in dessen Hoheitsgebiet wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt, noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden. (2) Eine Person, gleich welcher Staatsangehörigkeit, die vor die Justizbehörden des ersuchenden Staates vorgeladen ist, um sich wegen einer ihr zur Last gelegten Handlung strafrechtlich zu verantworten, darf dort wegen nicht in der Vorladung angeführter Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor ihrer Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt noch in Haft gehalten, noch einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden. (3) Der in diesem Artikel vorgesehene Schutz endet, wenn der Zeuge, Sachverständige oder Beschuldigte während fünfzehn aufeinander folgenden Tagen, nachdem seine Anwesenheit von den Justizbehörden nicht mehr verlangt wurde, die Möglichkeit gehabt hat, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen, und trotzdem dort bleibt, oder wenn er nach Verlassen dieses Gebietes dorthin zurückgekehrt ist.“
Die Parallelbestimmung für Zivil- und Handelssachen findet sich in Art. 20 des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die Erleichterung des internatio-
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Nichtanerkennung ausländischer Entscheidungen
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nalen Zugangs zur Rechtspflege, das jedoch von Deutschland nicht ratifiziert wurde (Rz. 2390).
6. Kapitel: Mitwirkung an einer (angeblich souveränitätsverletzenden) Beweisaufnahme Wo die vom Völkergewohnheitsrecht gesetzten Grenzen verlaufen, weiß derzeit 2531 niemand. Sicher ist nur, dass das deutsche Souveränitätsverständnis526 zu eng ist und keine Grundlage in der Staatenpraxis findet (Rz. 432 ff.). Es ist wohl kaum mit dem Gebot des Grundgesetzes zur internationalen Zusammenarbeit zu vereinbaren. Es gibt innerstaatlich kein Verbot der freiwilligen Mitwirkung an einer vom aus- 2532 ländischen Gericht – ohne Einschaltung deutscher Rechtshilfeorgane – veranlassten Beweisaufnahme, die (angeblich) die Souveränität Deutschlands verletzt. Auf keinen Fall macht sich eine Partei oder ein Zeuge wegen Beihilfe zur Amtsanmaßung (§ 132 Alt. 2 StGB) strafbar, der freiwillig die Anordnungen des ausländischen Gerichts befolgt (Rz. 464a527, s. auch Rz. 2185). Das Gleiche gilt für beratende bzw. begleitende Rechtsanwälte. In Deutschland gibt es ein (sehr moderates) „Abwehrgesetz“ nur im Seerecht: 2533 § 11 Seeaufgabengesetz in der Fassung vom 18.9.1998/31.10.2006.528
7. Kapitel: Nichtanerkennung ausländischer Entscheidungen, die auf einem völkerrechtswidrigen Beweisverfahren beruhen? I. Verletzung der Justizhoheit Deutschlands Hat das erststaatliche Gericht nach der „Direktmethode“ unter Umgehung der 2534 deutschen Rechtshilfebehörden (Rz. 2426) völkerrechtswidrig, d.h. unter Verletzung des einschlägigen völkerrechtlichen Vertrages bzw. – soweit nicht vorhanden – des Völkergewohnheitsrechts, eine Beweisaufnahme in Deutschland
526 Nachw. bei Heidenberger, RIW 1986, 491. 527 Beckmann, IPRax 1990, 205 Fn. 54; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 363 Rz. 107; Schack, Einführung in das US-am. Zivilprozessrecht4, Rz. 132; a.A. Stürner, ZvglRWiss 81 (1982), 202; Böhmer, NJW 1990, 3054. 528 BGBl. I 1998, 2986; 2006, 2407; s. Rz. 176; Klaus P. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, 1990, 300, 476. Zu den „blocking statutes“ anderer Staaten als Abwehr gegen US-Discovery (s. Rz. 176) Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 242, 395; Brinkhaus, Das britische Abwehrgesetz von 1980 (1990); Schack, IZVR6, Rz. 828.
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Internationales Beweis- und Beweisverfahrensrecht
durchgeführt oder durch Konsularbeamte oder Gerichtsbeauftragte durchführen lassen, so sollte man darauf nicht pauschal mit der Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung antworten (Rz. 2768). 2535 Beispiele: Ein ausländisches Gericht hat bei der Ladung eines Zeugen eine unmittelbare Zustellung durch die Post vorgenommen und damit gegen den von Deutschland erklärten Vorbehalt gem. Art. 10 des HZÜ verstoßen. Der ausländische Richter hat an einer Beweisaufnahme ohne Genehmigung der Bundesregierung teilgenommen. Eine Beweisaufnahme durch den commissioner entspricht nicht den zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts.
2536 Aus der Verletzung der Haager Zustellungs- oder Beweisübereinkommen oder auch des Völkergewohnheitsrechts hinsichtlich einzelner Prozesshandlungen im Zuge des ausländischen Erkenntnisverfahrens ergibt sich nicht unbedingt die Notwendigkeit, dem (Sach-)Urteil (das aufgrund dieses Verfahrens ergangen ist) nur deswegen die Anerkennung zu verweigern, weil in einer (Neben-)Frage des Verfahrens die deutsche Souveränität tangiert wurde. Vielmehr sollte man – angesichts der Unsicherheiten im Völkervertragsrecht und erst recht im Völkergewohnheitsrecht – nach der Schwere und Tragweite des „Übergriffs“ differenzieren und stets in Betracht ziehen, dass es nicht zwingend geboten ist, den Makel der Völkerrechtswidrigkeit von dem einzelnen (vielleicht bei der Gesamtschau der Dinge unbedeutenden) Beweisaufnahmeakt „durchschlagen“ zu lassen auf die vom ausländischen Gericht erlassene Sachentscheidung.529 2537 Auch muss man klar unterscheiden, welches Schutzziel mit der Nichtanerkennung verfolgt werden soll: Wahrung unmittelbarer staatlicher Interessen (Justizhoheit der Bundesrepublik Deutschland als Ausfluss ihrer Souveränität) oder Schutz der Bewohner des Inlands (nicht nur deutscher Bürger). Dagegen behauptete einst Rolf Stürner,530 „dass staatliche Souveränität nicht nur Gemeinwohlinteressen artikuliert, sondern einen Schutzschild für den einzelnen Bürger darstellt, um ihn vor Übergriffen eines ihm fremden Rechtes zu bewahren, das er weder kennt noch in demokratischem Verfahren beeinflussen kann“.531
II. Verletzung der Justizhoheit dritter Staaten 2538 Zwar gilt im internationalen Zivilverfahrensrecht – und speziell im internationalen Anerkennungsrecht – nicht das Sankt-Florians-Prinzip, aber bei Verletzung drittstaatlicher Justizhoheit sollte man mit der Nichtanerkennung noch vorsichtiger hantieren als bei der Verletzung der eigenen.
529 Weitergehend Schütze in FS Stiefel, 1987, 697. 530 Stürner in FS Nagel, 1987, 455. Diese Position nun allerdings weitgehend räumend Stürner, ZZP 109 (1996), 224 (232); Stürner, JZ 2006, 60 (65). S. auch R. Stürner/ T. Müller, Aktuelle Entwicklungen im deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr, IPRax 2008, 339 (341). Zur Schutzschildtheorie Nachw. z.B. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 151. 531 Hierzu Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 85; Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 46 vor § 485. Kritisch R. Geimer, ZfRV 1992, 403. S. auch Rz. 2184.
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Beweissicherung im Ausland
Achter Teil
8. Kapitel: Beweisaufnahme für schiedsgerichtliche Verfahren Die private Schiedsgerichtsbarkeit ist zwar echte Rechtsprechung,532 die Schieds- 2539 richter üben aber keine (vom Staat delegierten) Hoheitsfunktionen aus. Daher sind der Beweisaufnahme durch Schiedsrichter vom Völkerrecht keine territorialen Schranken gesetzt. Denn Schiedsrichter setzen keine Hoheitsakte. Daher können sie das völkerrechtliche Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im Hoheitsgebiet eines fremden Staates nicht verletzen. Ersuchen die Schiedsrichter jedoch das staatliche Gericht (§ 1050 ZPO) um Zwangsmaßnahmen, muss das deutsche Gericht nach § 363 ZPO verfahren, also im Zweifel Rechtshilfe durch den Staat, in dem sich der Zeuge etc. befindet, erbitten.533
9. Kapitel: Beweissicherung im Ausland Die internationale Zuständigkeit Deutschlands für ein selbständiges Beweisver- 2540 fahren (außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits)534 basiert auf § 486 II und III ZPO.535 Die EuGVVO (Rz. 245c) bzw. das LugÜ ist insoweit nicht anwendbar536 (Rz. 2824 a.E.). I.d.R. wird die Einleitung eines ausländischen Beweissicherungsverfahrens 2541 zweckmäßiger sein. Das Ergebnis kann aber im deutschen Hauptsacheverfahren nur im Wege des Urkundenbeweises537 verwertet werden.538 Erfolgt Beweis-
532 Zöller/Geimer, ZPO30, vor § 1025 Rz. 1. 533 Näher Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens2, Rz. 601. Umfassend Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 381 ff. 534 Zur Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands s. Rz. 1781; anders OLG Düsseldorf v. 7.2.2008 – I-20 W 152/07, 20 W 152/07, SchiedsVZ 2008, 258 (Schlosser) = IPRspr. 2008 Nr. 197. 535 Hierzu s. Rz. 1246, 1756, 1781; Ahrens in FS Schütze, 1999, 1; Dörschner, Beweissicherung im Ausland, 2000, 4. Rechtsvergleichend Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 151 ff. 536 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 2 EuGVVO Rz. 92; anders Heß/G. Vollkommer, IPRax 1999, 220 (223 bei Fn. 51); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 32 EuGVVO Rz. 9; Hess/Zhou, Beweissicherung und Beweisbeschaffung im europäischen Justizraum, IPRax 2007, 183; Zhou, Einstweiliger Rechtsschutz in China und im Europäischen Justizraum, 2007; Heinze, Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480. 537 Ahrens in FS Schütze, 1999, 1, 13. 538 Für entsprechende Anwendung des § 493 ZPO Eschenfelder, Beweiserhebung im Ausland und ihre Verwertung im inländischen Zivilprozess, 2000, 2002, 238 ff.; Stefan Huber, Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 29 Rz. 30. Dagegen OLG Köln v. 5.1.1983 – 17 W 482/82, NJW 1983, 2779; OLG Hamburg v. 29.9.1999 – 8 W 235/99, MDR 2000, 53 = IPRax 2000, 530.
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Achter Teil
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anordnung durch ein deutsches Gericht im Verfahren nach §§ 485 ff. ZPO, kommen §§ 363, 364 ZPO zur Anwendung. 2542 Der vom deutschen Gericht ernannte (in- oder ausländische) Sachverständige darf im Ausland frei agieren. Er übt keine hoheitliche Tätigkeit aus und ist deshalb nicht der „verlängerte Arm“ des deutschen Gerichts, das ja selbst – ohne Zustimmung des betroffenen Staates – auf fremdem Territorium nicht tätig werden darf. Allerdings schreibt Art. 17 EuBeweisVO auch bei Sachverständigen eine Genehmigung des ersuchten Staates vor. Dies ist jedoch keine Kodifikation geltenden Völkergewohnheitsrechts (Rz. 445) und der EuGH hat – wenn auch dogmatisch kühn – zu Recht die strikte Anwendung des Art. 17 EuBeweisVO gelockert.539
10. Kapitel: Beweisaufnahme für Verfahren vor den Gerichten der Europäischen Union 2543 Beweisaufnahme unmittelbar durch EU-Gerichte in einem EU-Mitgliedstaat:540 Bestritten ist, ob dem EuGH und den sonstigen Gerichten der Europäischen Union ein europaweiter „Judikationsbereich“ eröffnet ist, der sie zu Verfahrenshandlungen und Beweisaufnahmen außerhalb des Gerichtssitzes (Luxemburg) ohne weitere Gestattung der betroffenen Mitgliedstaaten in dem gesamten geographischen Geltungsbereich des EU-Vertrags berechtigt541 oder ob einer Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates zur direkten Beweisaufnahme bedürfen.542 2544 Beweisaufnahme durch die nationalen Gerichte bzw. sonstigen zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten im Wege der aktiven Rechtshilfe: Die aktive Beweishilfe der nationalen Gerichte/Stellen für die Gerichte der Europäischen Union ist in Art. 29 der EuGH-Satzung (kursorisch) angesprochen; sie ergibt sich im Übrigen ganz allgemein aus der judiziellen Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Union.543 2545–2569 Einstweilen frei
539 EuGH v. 21.2.2013 C-332/11 – ProRail BV/Xpedys NV u.a., EuZW 2013, 313 (Bach) = IPRax 2014, 282 (Thole 255). 540 Hierzu umfassend Knöfel, Judizielle Loyalität in der Europäischen Union, EuR 2011, 618. 541 E. Geimer, Internationale Beweisaufnahme, 1998, 8. 542 Knöfel, a.a.O., 630. 543 Ausführlich Knöfel, a.a.O., 630 ff.
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Neunter Teil: Anwendung ausländischen Rechts durch die deutschen Gerichte Literatur: Adamczyk, Die Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts durch den Bundesgerichtshof und das schweizerische Bundesgericht im Zivilprozess, 1999; Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten im deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht, 1986; Caduff, Die Feststellung des anwendbaren Rechts im Prozess (Art. 16 IPRG), 2000; Fentiman, Foreign Law in English Courts, 1998; Heldrich, Probleme bei der Ermittlung ausländischen Rechts in der gerichtlichen Praxis, in Festschrift Nakamura, 1996, 243; Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten – Grundlagen und europäische Perspektiven der Ermittlung ausländischen Rechts im gerichtlichen Verfahren, 2014; Jansen/Michaels, Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, ZZP 116 (2003), 3; Jaspers, Nachträgliche Rechtswahl im internationalen Schuldvertragsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtspraxis in England, Frankreich, Dänemark und Deutschland, Diss. Saarbrücken 2002, 279 ff.; Jayme, Die Expertise über fremdes Recht, in Nicklisch (ed.), Der Experte im Verfahren, 2006, 109; Jayme, Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens zum ausländischen Recht in einem anderen Verfahren – Zur Verfassungswidrigkeit des § 411a ZPO, IPRax 2006, 587; Körner, Fakultatives Kollisionsrecht in Frankreich und Deutschland, 1995; Küster, Die Ermittlung ausländischen Rechts im deutschen Zivilprozess und ihre Kostenfolgen, 1995; Lesage-Mathieu, Dispositives Kollisionsrecht im prozessualen Kontext, Diss. Heidelberg 2004; Lindacher, Zur Mitwirkung der Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts, in Festschrift Schumann, 2001, 283; Lindacher, Zur Anwendung ausländischen Rechts, in Festschrift Beys, 2003, 909 (zur EG-rechtlichen Dimension); Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 15; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 319 ff.; Markus, [Schweizer] IZPR, 2014, Rz. 1292 ff.; Müller, Juliane, Die Behandlung ausländischen Rechts im Zivilverfahren – Möglichkeiten einer Vereinheitlichung auf europäischer Ebene, 2011; Prütting, Die Überprüfung ausländischen Rechts in der Revisionsinstanz, in FS Schütze 80, 2014, 449; Rogoz, Ausländisches Recht im dt. und engl. Zivilprozess, 2008; Rühl, Die Kosten der Rechtswahlfreiheit: Zur Anwendung ausländischen Rechts durch dt. Gerichte, RabelsZ 71 (2007), 559; Sangiovanni, Die neue ital. Rechtsprechung zur Ermittlung des ausländischen Rechts, IPRax 2006, 513; Schellack, Selbstermittlung oder ausländische Auskunft unter dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen, 1998; Schilken, Zur Rechtsnatur der Ermittlung ausländischen Rechts, in Festschrift Schumann, 2001, 374; Schütze, Feststellung und Revisibilität europäischen Rechts im dt. Zivilprozess, GS Baur, 1992, 93; Schütze, Dt. Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts2, 2005, Rz. 251; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, 2009, Rz. 311 ff.; Seibl, Die Beweislast bei Kollisionsnormen, 2009; Spickhoff, Fremdes Recht vor inländischen Gerichten: Rechts- oder Tatfrage?, ZZP 112 (1999), 265; Spickhoff, Die neue Sachverständigenhaftung und die Ermitt959
Neunter Teil
Anwendung ausländischen Rechts
lung ausländischen Rechts, in FS Heldrich, 2005, 419; Staudinger/Spellenberg, Int. Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 80 ff.; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Neubearbeitung 2012, Rz. 213 ff., 342 ff.; M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in Festschrift R. Stürner, 2012, 1071; Theiss, Die Behandlung fremden Rechts im deutschen und italienischen Zivilprozess, 1990; Thole, Anwendung und Revisibilität ausl. GesellschaftsR in Verf. vor dt. Gerichten, ZHR 176 (2012), 15; Trautmann, Ausl. Recht vor dt. und ausl. Gerichten, ZEuP 14 (2006), 281; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, 2010; Walter/Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz5, 2012, § 6 II; Weckesser-Georgi, Die letztinstanzielle Überprüfung der Behandlung ausländischen Rechts in zivilgerichtlichen Verfahren: Eine Untersuchung aus europäischer Perspektive, Diss. HU Berlin 2006; Wiedemann, Revisibilität ausländischen Rechts im Zivilprozess, Diss. Erlangen 1991.
I. Pflicht zur kollisionsrechtlichen Entscheidung 2570 Das Kollisionsrecht der Europäischen Union1 und ansonsten das deutsche internationale Privatrecht (das sind die von Deutschland ratifizierten und innerstaatlich in Kraft gesetzten kollisionsrechtlichen Staatsverträge bzw. – soweit solche fehlen [Art. 3 II 1 EGBGB] – die Art. 3 ff. EGBGB) bestimmt darüber, ob und gegebenenfalls welches ausländische Recht zur Anwendung kommt. Dabei ist eine etwaige Rück- oder Weiterverweisung des ausländischen Rechts zu beachten, Art. 4 I EGBGB. Die kollisionsrechtliche Frage darf der Richter nur dann offen lassen, wenn sie vom Ergebnis her nicht entscheidungserheblich ist. 2571 Die Regeln des Kollisionsrechts (Rz. 2570) muss der deutsche Richter von Amts wegen beachten.2 Er muss die internationalprivatrechtliche Frage stellen (Rz. 2594).3 Er muss daher die Regeln des internationalen Privatrechts kennen. § 293 ZPO bezieht sich nur auf den Inhalt der vom internationalen Privatrecht berufenen
1 Z.B. Rom I–IV-VO, Haager Unterhaltsprotokoll 2007 (aufgrund der Verweisung in Art. 15 EuUnterhVO), EuErbVO. Zur Genese und zur Struktur des EU-Kollsionsrechts Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, 2010. 2 Zur unionsrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur effektiven Anwendung des EU-Kollisionsrechts M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in FS R. Stürner, 2012, 1071, 1078. 3 BGH v. 7.4.1993 – XII ZR 266/91, MDR 1993, 766 = FamRZ 1993, 1051 = NJW 1993, 2305 = RIW 1993, 585 = EWiR 1993, 671 (Otte) = IPRspr. 1993 Nr. 103; BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, MDR 1996, 105 = NJW 1996, 54 = RIW 1995, 1027 = EWiR 1995, 1187 (R. Geimer) = IPRspr. 1995 Nr. 1. Hierzu Mäsch, NJW 1996, 1453. Die nach deutschem IPR für ein bestimmtes ausreichend konkretisiertes Rechtsverhältnis (z.B. Güterstand von Eheleuten) maßgebliche Rechtsordnung kann rechtskraftfähig durch eine Zwischenfeststellungsklage (§ 256 II ZPO) festgestellt werden, OLG Frankfurt v. 6.12.1999 – 5 UF 11/99, IPRspr. 1999 Nr. 57.
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Anwendung ausländischen Rechts
Neunter Teil
ausländischen Rechtsordnung. Der (etwa entgegengesetzte) Standpunkt der lex causae ist für den deutschen Richter unbeachtlich. Der deutsche Richter darf nicht etwa so lange deutsches Recht anwenden, bis ei- 2572 ne Partei oder ein sonstiger Verfahrensbeteiligter die Anwendung ausländischen Rechts reklamiert.4 Das Kollisionsrecht ist vielmehr zwingend in dem Sinne, dass der Richter in jeder Lage des Verfahrens von sich aus prüfen muss, ob das deutsche internationale Privatrecht die Anwendung des deutschen oder eines ausländischen Rechts vorschreibt.5 Anders ist im Ansatz die Theorie vom fakultativen Kollisionsrecht.6 Diese ist jedoch nicht geltendes Recht.7 Dieser Theorie nähert sich – im internationalen Schuldrecht – allerdings die 2573 Rechtsprechung im praktischen Ergebnis, weil sie eine Rechtswahl im Prozess durch schlüssiges Verhalten zulässt.8 Erörtern die Parteien den Rechtsstreit nach deutschem Recht, so liegt darin im Zweifel die Wahl des deutschen Rechts.9 Un-
4 BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 66/83, NJW-RR 1986, 484 = JZ 1985, 951 = MDR 1985, 1001 = IPRspr. 1985 Nr. 1; OLG Hamm v. 15.4.1985 – 22 U 339/84, IPRspr. 1985 Nr. 28; Kegel/ Schurig, IPR9, § 15 II. Anders früher Cour de cassation v. 12.5.1959, Rev. crit. 1960, 62 (Batiffol). 5 BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = WM 1998, 733 = IPRax 1999, 45 (Stoll 29) = IPRspr. 1997 Nr. 60; Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (761). 6 Nachw. bei Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 216. S. auch Rühl, Die Kosten der Rechtswahlfreiheit: Zur Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Gerichte, RabelsZ 71 (2007), 559 (577); M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in FS R. Stürner, 2013, 1071. 1081. 7 von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 66; Kropholler, IPR6, § 7 II 2. 8 Hierzu E. Lorenz, RIW 1992, 702; Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (761). Dem entspricht in den vom französischen Rechtsdenken beeinflussten Ländern das Beiseiteschieben des IPR durch einen „accord procédural“. 9 BGH v. 29.9.1982 – VIII ZR 320/81, WM 1982, 1249 = IPRspr. 1982 Nr. 1; BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, BGHZ 98, 263 = NJW 1987, 592 = MDR 1987, 228 = RIW 1986, 991 = JR 1987, 157 (Schlosser) = IPRax 2000, 159 (Hausmann 140) = LM Nr. 9 zu § 175 ZPO = EWiR 1987, 93 (R. Geimer) = Rpfleger 1987, 26 = WM 1986, 1444 = IPRspr. 1986 Nr. 144; BGH v. 20.9.1995 – VIII ZR 52/94, BGHZ 130, 371 = MDR 1996, 55 = WM 1995, 2073 = LM § 242 (Cd) BGB Nr. 341 (M. Weber) = IPRspr. 1995 Nr. 31; BGH v. 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140, 167 = MDR 1999, 355 = NJW 1999, 950 = IPRspr. 1998 Nr. 48; BGH v. 9.6.2004 – I ZR 266/00, NJW-RR 2004, 1482 = VersR 2005, 811 = IPRspr. 2004 Nr. 44; OLG Schleswig v. 19.9.1989 – 3 U 213/86, IPRspr. 1989 Nr. 48; OLG Bremen v. 5.12.1985 – 2 U 91/85, TranspR 1986, 153 = IPRspr. 1985 Nr. 46; OLG Hamm v. 9.6.1995 – 11 U 191/94, NJW-RR 1996, 179 = RIW 1996, 689 = IPRax 1998, 269 (Schlechtriem 256) = IPRspr. 1995 Nr. 29; OLG Saarbrücken v. 24.2.1995 – 4 U 277/94-44, RIW 1996, 605 = VersR 1996, 1525 = TranspR 1995, 291 = IPRspr. 1995 Nr. 47; OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470 = IPRspr. 1998 Nr. 27; OLG Düsseldorf v. 19.12.1997 – 22 U 83/97, MDR 1998, 844 = NJW-RR 1998, 1716 = IPRspr. 1997 Nr. 61; OLG Köln v. 28.5.2001 – 16 U 1/01, IHR 2002, 21 = IPRspr. 2001 Nr. 28; OLG Köln v. 19.9.2001 – 26 U 24/01, MDR 2002, 150 = IPRspr. 2001 Nr. 40; OLG Karlsruhe v. 29.11.2001 – 19 U 14/01, NJW-RR 2002, 1206 = IPRspr. 2001 Nr. 34; LG Braunschweig v. 30.7.2001 – 21 O 703/01 (028), 21 O 703/01, IHR 2002, 71 = IPRspr. 2002 Nr. 28a; OLG Braunschweig v. 25.4.2002 – 2 U 130/01, IPRspr. 2002 Nr. 28b; OLG Rostock v. 10.10.2001 – 6 U 126/00, IHR 2003, 17 = IPRspr. 2002 Nr. 29; OLG Köln v. 2.8.2002 – 19 U 152/01, VersR 2002, 1374 = IPRspr. 2002 Nr. 32; OLG Düsseldorf v.
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Neunter Teil
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problematisch sind aber die Fälle, wenn beide Parteivertreter in der mündlichen Verhandlung erklären, der Prozess solle nach deutschem Recht entschieden werden. Daran ist das Gericht – soweit eine Rechtswahl möglich ist – gebunden, auch wenn diese Vereinbarung erst in der Rechtsmittelinstanz getroffen wurde10; auf den Erklärungswillen soll es dabei nicht ankommen.11 Zu Recht wird kritisch darauf hingewiesen12, dass es sich bei der Handhabung der Praxis nicht um die Berücksichtigung eines rechtsgeschäftlichen Willens, sondern um eine Präklusion handelt, weil die kollisionsrechtliche Problematik den Parteien und ihren Anwälten nicht bekannt sein muss.13 Andererseits fördert die stillschweigende Rechtswahl der lex fori durch Prozessverhalten die Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens.14 2574 Auch der Zessionar (= Nichtvertragspartner) kann eine solche stillschweigende Rechtswahl bewirken,15 ebenso der Prozessstandschafter (= Nichtinhaber des materiellen Rechts). Die Rechtswahl wirkt nur inter partes. Sie lässt Rechte Dritter unberührt.16 2575 Auch in Eilfällen – vgl. §§ 916 ff. ZPO, §§ 49 ff., 119, 248 FamFG – ist die internationalprivatrechtliche Frage zu stellen. Das Gericht hat sich jedoch auf präsente Erkenntnisquellen zu beschränken (Rz. 2593).17 Der Antragsteller kann aber das (ihm günstigere) ausländische Recht glaubhaft darlegen.18 Lässt sich der Inhalt des ausländischen Rechts nicht zeitgerecht feststellen, dann kann auf das
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28.5.1986 – 18 U 23/86, RIW 1987, 793 = IPRspr. 1986 Nr. 43 wendet § 528 ZPO a.F. (nunmehr § 531 ZPO) an: Der Vortrag, nicht deutsches, sondern ausländisches Recht anzuwenden, würde den Rechtsstreit verzögern, weil nach § 293 ZPO ein Gutachten eingeholt werden müsste. Kritisch Epping, Die Schiedsvereinbarung im internationalen privaten Rechtsverkehr nach der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts, 1999, 51. BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268 = MDR 1985, 825 = NJW 1985, 2405 = IPRax 1987, 110 (Fikentscher/Waibl) = IPRspr. 1985 Nr. 4; LG Heidelberg v. 21.6.1985 – 2 S 62/84, IPRax 1987, 26 (Boll 11) = IPRspr. 1985 Nr. 26b. BGH v. 26.10.1983 – VIII ZR 119/82, RIW 1984, 151; BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, NJW-RR 1986, 456 = MDR 1986, 576 = IPRax 1986, 292 (Schack 272) = IPRspr. 1986 Nr. 29. Anders aber BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, MDR 2000, 692 = NJW-RR 2000, 1002 (1003) = IPRspr. 2000 Nr. 20; OLG Düsseldorf v. 18.12.2008 – 5 U 88/08, NJW-RR 2009, 1380 = FamRZ 2009, 1626 = IPRspr. 2008 Nr. 23. Schack, NJW 1984, 2736; Schack, IPRax 1986, 272. Zurückhaltend auf rechtsvergleichender Basis auch Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 177 ff. Anders FRCP 44.1 und Art. IV des einzelstaatlichen Uniform Interstate and International Procedure Act; hierzu Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (761). W. Lorenz in FS Coing II, 1982, 274. OLG Frankfurt v. 14.8.1984 – 5 U 14/84, RIW 1984, 919 = IPRspr. 1984 Nr. 26. LG Heidelberg v. 3.4.1991 – 2 O 202/89, IPRax 1992, 170 (Meyer-Grünberg 153) = IPRspr. 1992 Nr. 52a; OLG Karlsruhe v. 27.3.1992, IPRspr. 1992 Nr. 52b. Zustimmend z.B. Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 B Rz. 139. Weiter Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 15 Rz. 26: „alle erreichbaren Quellen, sofern deren Erforschung das Verfahren nicht oder nur unwesentlich verzögert.“ OLG Frankfurt v. 7.11.1968, NJW 1969, 991; Lindacher in FS Schumann, 2001, 283, 289.
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Anwendung ausländischen Rechts
Neunter Teil
deutsche Recht zurückgegriffen werden.19 Dies ist keine Ausnahme vom Prinzip der zwingenden Anwendung des Kollisionsrechts, vielmehr geht es um die Frage des Ersatzrechts (Rz. 2598), wenn das ausländische Recht nicht (rechtzeitig) festgestellt werden kann. Im Urkundenprozess ist bei der Ermittlung ausländischen Rechts wie im norma- 2575a len Zivilprozess zu verfahren. Insbes. darf ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.20 In Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes genügt die bloße Glaubhaftma- 2576 chung auch für die Prüfung ausländischen Rechts.21 Bei Sicherheitsleistung nach § 921 ZPO sind an den Grad der Glaubhaftmachung keine „überzogenen Ansprüche“ zu stellen. Das Gleiche gilt in Bagatellfällen.22
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II. Pflicht, den Inhalt des vom deutschen internationalen Privatrecht berufenen ausländischen Rechts zu ermitteln 1. Rechtsnormqualität ausländischen Rechts Ausländische Rechtsnormen sind für den deutschen Richter Rechtssätze, nicht 2577 Tatsachen.23 Deshalb hat der deutsche Richter auch ausländisches Recht von
19 OLG Köln v. 3.12.1993 – 6 U 247/93, GRUR 1994, 646 = IPRspr. 1993 Nr. 3. 20 BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 292/96, MDR 1997, 879 = NJW-RR 1997, 1154 = RIW 1997, 687 (Küster, RIW 1998, 275) = IPRspr. 1997 Nr. 2. 21 OLG Hamburg v. 8.6.1989 – 6 U 135/88, IPRax 1990, 400 (Mankowski/Kerfack 372) = TranspR 1989, 374 (Mankowski, TranspR 1990, 213) = IPRspr. 1989 Nr. 67; m.w.N. bei Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 222. 22 Staudinger/Sturm/Sturm, a.a.O., Rz. 217 wollen unmittelbar die lex fori anwenden. 23 Schief BAG v. 20.7.1967, AWD 1967, 411 = AP Nr. 10 zu IPR – Arbeitsrecht = IPRspr. 1966–1967 Nr. 50b, wo die Feststellung des Inhalts des ausländischen Rechts als „Tatsachenfeststellung“ gesehen wird; unentschieden BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = IPRspr. 1985 Nr. 48. – Grundsätzlich anders noch heute die englische Praxis, Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559, 568, 578; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (276) und früher die französische Doktrin; Batiffol/Lagarde, Droit international privé, tome I8, Nr. 328: „La loi est appliquée comme un fait observé.“ Dagegen aber überzeugend nunmehr Cass. Civ. 18.9.2002, Bull. Civ. I Nr. 2 (besprochen u.a. von Mégnin, IPRax 2005, 459); Mayer/Heuzé, Droit international privé10, Nr. 179; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 54 ff., 61 ff.; Lindacher in FS Schumann, 2001, 283. So auch ital. Corte di Cassazione (S.U.), v. 23.1.1990, Nr. 362 Giur. ital. 1990 I 1, 260 (Campolo) = RIW 1991, 247. Zum klassischen Faktizitätsprinzip (fact approach to foreign law) des common law Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 12.15; Hay, US-Amerikanisches Recht4, Rz. 200; Ost, EVÜ und fact doctrine, 1995, 46 ff. Der US-amerikanische Richter war im Grundsatz kraft seines Kollisionsrechts nicht verpflichtet, ausländisches Recht zu ermitteln und als solches anzuwenden. Die (interessierte) Partei musste sich vielmehr auf ausländisches Recht berufen und seinen Inhalt beweisen. Ausländisches Recht wurde von der Jury als Tatfrage behandelt mit der Folge der Unnachprüfbarkeit in der Rechtsmittelinstanz. Auch heute müssen die Parteien nach FRCP 44.1 und Art. IV des Uniform Interstate and International Procedure Act sich auf das ausländische Gericht rechtzeitig berufen (reasonable notice). Ist dies recht-
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Amts wegen zu ermitteln (Rz. 2572).24 Auch ein Geständnis bzw. eine Geständnisfiktion aufgrund Säumnis entbindet den Richter nicht, den Inhalt des vom europäischen bzw. deutschen Internationalen Privatrecht berufenen ausländischen Rechts zu ermitteln.25 2578 Der Beweis ausländischen Rechts als Tatsache ist aber nach Schütze26 zulässig und erforderlich bei materiell-rechtlicher Verweisung. Ein ausländischer Rechtssatz verliert nach Schütze seinen Charakter als Rechtsnorm, wenn er nicht aufgrund kollisionsrechtlicher, sondern materiell-rechtlicher Verweisung angewendet wird. Denn es könne keinen Unterschied machen, ob die Parteien z.B. die Verzinsungspflicht im Falle des Verzugs ausdrücklich oder durch Verweisung auf ein bestimmtes (kollisionsrechtlich im Übrigen nicht anwendbares) Recht vereinbaren. Wer sich auf den Inhalt einer aufgrund materiell-rechtlicher Verweisung anwendbaren ausländischen Norm berufe, trage auch die volle Beweislast. 2. „Beweis“ ausländischen Rechts 2579 Dogmatische Grundlagen: Der deutsche Richter hat sich von Amts wegen Kenntnis von allen für die Entscheidung nach deutschem internationalem Privatrecht (Rz. 2571) maßgeblichen ausländischen Rechtsnormen zu verschaffen.27 Es steht aber in seinem Ermessen, in welcher Weise er seiner Verpflichtung zur
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zeitig erfolgt, dann soll nach FRCP 44.1. die Entscheidung über den Inhalt des ausländischen Rechts „be treated as a ruling on a question of law.“ Hierzu Hay/Hampe, RIW 1998, 761. In England und Wales sieht man nunmehr the proof of foreign law immerhin als „a question of fact of a peculiar kind“, Cheshire, North & Fawcett, Private International Law14, 113. Zurückhaltender aber Morris, McLean & Beevers, The Conflict of Laws7, Rz. 1-015. BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916 = MDR 2008, 1358 = IPRspr. 2008 Nr. 44; so schon BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 = MDR 1980, 914 = NJW 1980, 2022 = RIW 1980, 432 = IPRax 1981, 52 (Samtleben 43) = IPRspr. 1980 Nr. 183; BGH v. 23.10.1980 – III ZR 62/79, IPRspr. 1980 Nr. 3; BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 66/83, NJW-RR 1986, 484 = JZ 1985, 951 = MDR 1985, 1001 = IPRspr. 1985 Nr. 1; OLG Hamm v. 15.4.1985 – 22 U 339/84, IPRspr. 1985 Nr. 28; OLG Frankfurt v. 2.3.1999 – 1 WF 36/99, FamRZ 2000, 37 = IPRspr. 1999 Nr. 1. Unrichtig daher BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 94/08, BeckRS 2010, 11721: Partei, die sich (i.Z.m. Art. 13 EuInsVO, § 339 InsO) auf ausländisches Recht berufe, habe Darlegungs- und Beweislast. OLG Koblenz v. 28.3.2002 – 5 U 1425/01, IPRspr. 2002 Nr. 1. Schütze, NJW 1969, 1652. BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 66/83, NJW-RR 1986, 484 = JZ 1985, 951 = MDR 1985, 1001 = EWiR 1985, 1001 (Köndgen) = IPRspr. 1985 Nr. 1; OLG Hamm v. 15.4.1985 – 22 U 339/84, IPRspr. 1985 Nr. 28; BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, 159 = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265; BGH v. 6.3.1995 – II ZR 84/94, MDR 1995, 861 = NJW 1995, 2097 = RIW 1995, 945 = JZ 1995, 784 (Stoll) = LM § 293 ZPO Nr. 21 (Kronke) = IPRspr. 1995 Nr. 61; BGH v. 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321 = RIW 1998, 318 = IPRax 1999, 45 (Stoll 29) = IStR 1998, 223 (Goette) = LM nach Art. 38 EGBGB 1986 Nr. 3 (Dörner) = IPRspr. 1997 Nr. 60; BGH v. 30.1.2001 – XI ZR
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Ermittlung des Inhalts des ausländischen Rechts nachkommen will.28 Es genügt jedoch nicht, den einschlägigen Gesetzestext zu ermitteln; es muss auch dessen Auslegung und Anwendung in der ausländischen Rechtspraxis geklärt werden.29 Dies muss aus den Entscheidungsgründen des Urteils klar genug hervorgehen. Als Faustregel gilt: An die Ermittlungspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klarer Rechtsnormen sind die Anforderungen geringer.30 Die Rechtsmittelgerichte31 wachen darüber, ob der Tatrichter seiner Pflicht aus- 2580 reichend nachgekommen ist, das für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln.32 Eine Verletzung der prozessrechtlichen Ermittlungsverpflichtung des Tatrichters kann auch vor dem Bundesgerichtshof als Revisionsgericht mit der Verfahrensrüge (§ 551 III Nr. 3 [b] ZPO) beanstandet werden.33 Dabei kann das Revisionsgericht die Verfahrensrüge in vollem Umfang aufgrund eigener Kenntnis des auslän-
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357/99, WM 2001, 502 = IPRax 2002, 302 (Hüßtege 292) = IPRspr. 2001 Nr. 1; BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, BGHReport 2001, 894 = IPRspr. 2001 Nr. 2; OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/95, RIW 1996, 329 = IPRspr. 1996 Nr. 26; BVerwG v. 24.10.1995 – 9 C 75/95, NVwZ-RR 1996, 471 = InfAuslR 1996, 225 = IPRspr. 1995 Nr. 3. BGH v. 30.3.1976, NJW 1976, 1581 = LM Art. 7 ff. EGBGB (Deutsches intern. Privatrecht) Nr. 42 = MDR 1976, 832 = RIW 1976, 373 (378) = BB 1976, 672 = IPRspr. 1976 Nr. 2; BSG v. 21.6.1989 – 1 RA 1/87, MDR 1989, 1131 = IPRspr. 1989 Nr. 2; BGH v. 30.1.2001 – XI ZR 357/99, WM 2001, 502 = IPRax 2002, 302 (Hüßtege 292) = IPRspr. 2001 Nr. 1; Gottwald, IPRax 1988, 211. BVerwG v. 20.3.1989 – 1 B 43/89, DVBl. 1989, 893 = IPRspr. 1989 Nr. 1; BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 248 = IPRspr. 1989 Nr. 3. BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, NJW 2006, 762 (764) = RIW 2006, 389 (Mankowski 321) = EuZW 2006, 285 = IPRax 2006, 272 (Pfeiffer 238) = IPRspr. 2005 Nr. 13. Die Kontrolle der ersten Instanz durch das Berufungsgericht (§ 529 II ZPO) erfolgt von Amts wegen; einer Verfahrensrüge bedarf es nicht, OLG Köln v. 1.7.2005 – 19 U 194/04, OLGR 2005, 538 = IPRspr. 2005 Nr. 1. BGH v. 29.6.1987 – II ZR 6/87, MDR 1988, 123 = NJW 1988, 647 = LM § 293 ZPO Nr. 14 = WM 1987, 1265; BGH v. 7.10.1991 – II ZR 252/90, MDR 1991, 1207 = NJW 1992, 362 = RIW 1992, 315 = IPRax 1993, 178 (Kreuzer 157) = LM § 434 BGB Nr. 11 = WM 1992, 29, 30 = IPRspr. 1991 Nr. 72; Fastrich, ZZP 97 (1984), 423 (425). BGH v. 21.1.1991 – II ZR 49/90, MDR 1991, 1151 = WM 1991, 862, 863 = WuB VII A. § 293 ZPO 2.91 (Thode) = IPRspr. 191 Nr. 1b; BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (162) = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265; BGH v. 23.1.1996 – VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732 = RIW 1996, 426 = MDR 1996, 1124 = IPRspr. 1996 Nr. 39; BGH v. 6.11.1998 – V ZR 224/97, informaciones 1999, 121 = IPRspr. 1998 Nr. 3; BGH v. 10.4.2002 – XII ZR 178/99, NJW 2002, 3335 (Pfeiffer 3306) = RIW 2002, 556 = WM 2002, 2387 = MDR 2002, 1024 = IHR 2003, 47 = LM § 554a ZPO Nr. 24 (Geimer) = IPRspr. 2002 Nr. 2; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 = WM 2002, 1186 = MDR 2002, 899 = ZIP 2002, 1155 = BB 2002, 1227 = IHR 2002, 38 = IPRspr. 2002 Nr. 3; BGH v. 23.6.2003 – II ZR 305/01, NJW 2003, 2685 = MDR 2003, 1128 = RIW 2003, 961 = IPRspr. 2003 Nr. 1; ausführlich zur Revisibilität Pfeiffer, NJW 2002, 3306.
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dischen Rechts nachprüfen. Eine Bindung an die Feststellungen der Berufungsinstanz besteht insoweit nicht.34 2581 Diese Rügemöglichkeit ist jedoch nicht unbeschränkt (Rz. 2616). Sie ist nicht gegeben, wenn mit ihr in Wirklichkeit die Nachprüfung (bisher) irrevisiblen ausländischen Rechts bezweckt wird.35 Ferner liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, auf welche Weise er sich die Kenntnis von dem maßgeblichen ausländischen Recht verschafft. Vom Revisionsgericht darf lediglich überprüft werden, ob der Tatrichter die Grenzen dieses Ermessens überschritten hat.36 2582 Vom Revisionsgericht nachprüfbar ist, ob die Ermittlung ausländischen Rechts verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist. Revisibel ist auch die Frage, ob das Gericht bei Ermittlung des fremden Rechts alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat.37 Ermessensfehlerhaft und insoweit revisibel ist es, wenn das OLG, das ersichtlich keine Spezialkenntnisse hat, der Anregung, sachverständigen Rat einzuholen, nicht folgt.38 Es darf sich nicht auf eine bloße „Plausibilitätsprüfung“ beschränken.39 2583 Für die Ermittlung des Inhalts des ausländischen Rechts gelten die Grundsätze des Freibeweises. Das Gericht ist nicht verpflichtet, nach §§ 355 ff. ZPO zu verfahren. Es steht in seinem Ermessen, ob und inwieweit es eine förmliche Beweisaufnahme durchführen will. 2584 Hält es aber eine solche für erforderlich, so muss es bei der Beweisaufnahme – obwohl das ausländische Recht keine Tatsache ist – die Vorschriften der
34 BGH v. 10.4.2002 – XII ZR 178/99, NJW 2002, 3335 (Pfeiffer 3306) = RIW 2002, 556 = WM 2002, 2387 = MDR 2002, 1024 = IHR 2003, 47 = LM § 554a ZPO Nr. 24 (Geimer) = IPRspr. 2002 Nr. 2. 35 BGH v. 29.6.1987 – II ZR 6/87, MDR 1988, 123 = NJW 1988, 647 = LM § 293 ZPO Nr. 14 = WM 1987, 1265 = IPRax 1988, 228 (Gottwald 210) = IPRspr. 1987 Nr. 2; BGH v. 29.3.1990 – III ZR 158/89, RIW 1990, 581; BGH v. 22.9.2004 – VIII ZR 203/03, MDR 2005, 202 = NJW-RR 2005, 357 = IPRspr. 2004 Nr. 1. Allerdings verschwimmen die Grenzen zur Irrevisibilität immer mehr, je kasuistischer die Rspr. des BGH zur revisionsgerichtlichen Überprüfung des § 293 ZPO wird, s. Rz. 2616; Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 46; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265, 275. 36 BGH v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1418 = NJW-RR 1991, 1211 = RIW 1991, 514 (Sommerlad 856) = IPRax 1992, 324 (Kronke 303) = LM § 293 ZPO Nr. 16 = WM 1991, 862, 863 = WuB VII A § 293 ZPO 2.91 (Thode) = IPRspr. 1991 Nr. 1b; BGH v. 12.10.1993 – X ZR 25/92, IPRax 1995, 38 (Scheffler 20) = IPRspr. 1993 Nr. 2. Weniger streng BVerwG v. 28.9.1993 – 1 C 25/92, FamRZ 1994, 627 = NVwZ 1994, 387 = IPRspr. 1993 Nr. 1. Sehr kritisch zur (fall- und ergebnisbezogenen) Handhabung des BGH Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 293 Rz. 42: „Der BGH … benutzt in vielen Fällen den Weg über § 293 ZPO und stellt – wenn ihm das Ergebnis nicht gefällt – Fehler bei der Ermittlung des Inhalts ausländischen Rechts fest.“ 37 BGH v. 24.11.1960, NJW 1961, 410 (411). 38 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, NJW 1984, 2763 = RIW 1984, 644, 646 (Mezger) = MDR 1985, 125 = WM 1984, 1014 = IPRax 1985, 158 (Schlosser 141) = IPRspr. 1984 Nr. 196; BGH v. 18.1.1990 – III ZR 269/88, BGHZ 110, 104 = NJW 1990, 2199 = RIW 1990, 493, 494 = MDR 1990, 703 = WM 1990, 1126 = IPRax 1991, 244 (Schlosser 218) = EWiR 1990, 723 (Bredow) = IPRspr. 1990 Nr. 238. 39 BVerwG v. 4.10.1995 – 1 B 138/95, InfAuslR 1996, 21 = IPRspr. 1995 Nr. 2.
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Anwendung ausländischen Rechts
Neunter Teil
§§ 355 ff. ZPO beachten. Insoweit hat der Tatrichter keinen Ermessensspielraum.40 Obwohl der Grundsatz iura novit curia trotz der missverständlichen Fassung 2585 des § 293 ZPO auch für die Anwendung ausländischen Rechts gilt und dieses nicht als Tatsache betrachtet wird, erfolgt die Ermittlung des ausländischen Rechts in einem förmlichen Beweisverfahren aufgrund eines Beweisbeschlusses.41 Streng genommen darf sich die „Beweiserhebung“ nur auf die Erstattung eines Gutachtens zum Inhalt des relevanten Rechtssatzes beziehen. Das maßgebliche Kollisionsrecht (IPR) müsste das deutsche Gericht als Teil des deutschen Rechts bzw. Europäischen Unionsrechts selbst kennen (Rz. 2571). Gleichwohl ist es üblich, auch die kollisionsrechtlichen Fragen zum Gegenstand des Gutachtens zu machen. Der Bundesgerichtshof hat auf den Beweis ausländischen Rechts durch einen „Sachverständigen“ die Regeln der §§ 402 ff. ZPO angewandt, insbes. § 411 III ZPO; danach kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen zum Zwecke der Erläuterungen seines schriftlich erstatteten Gutachtens.42 Übereinstimmender Vortrag der Parteien: Ein Geständnis oder Nichtbestreiten 2586 der Parteien bindet das Gericht nicht; denn ausländisches Recht ist keine Tatsache, sondern hat Rechtsnormqualität. Aus dem Konsens der Parteien kann nicht auf die Richtigkeit des Parteivorbringens über den Inhalt des ausländischen Rechts geschlossen werden.43 Wenn aber die Parteien dem Staat angehören, dessen Recht zu ermitteln ist, spricht eine Vermutung dafür, dass diese Darstellung des ausländischen Rechts zutrifft. Sieht der Richter in einer solchen Lage von der Erhebung weiterer Beweise ab, so stellt dies keinen Verstoß gegen die ihm obliegende Ermittlungspflicht dar.44 Das Gleiche gilt, wenn die entscheidungsrelevante Rechtsfrage bereits in der Literatur ausreichend geklärt ist.45 Bedeutung des Verhaltens der Parteien für die Ermittlungspflicht des Gerichts: 2587 Vortrag und sonstige Beiträge – etwa Privatgutachten – der Parteien sind also nicht ohne Bedeutung für das Ermittlungsermessen des Gerichts.46 Tragen die Parteien eine bestimmte ausländische Rechtspraxis kontrovers vor, wird der 40 BGH v. 10.10.1974, IPRspr. 1974 Nr. 1b; BGH v. 10.7.1975, NJW 1975, 2142 = WM 1975, 1058 = IPRspr. 1975 Nr. 1; Kritik bei Geisler, ZZP 91 (1978), 176; BGH v. 24.4.1980 – IX ZR 30/79, MDR 1980, 931 = IPRax 1981, 57 (Nagel 47) = IPRspr. 1980 Nr. 157. 41 Bendref, MDR 1983, 892. 42 BGH v. 10.7.1975, NJW 1975, 2142 = WM 1975, 1058 = IPRspr. 1975 Nr. 1. S. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., § 335 Rz. 98. 43 LAG Hamm v. 19.1.1989 – 17 (9) Sa 813/86, BB 1989, 2191 = IPRspr. 1989 Nr. 68. 44 BAG v. 10.4.1975, WM 1976, 194 = MDR 1975, 874 = RIW 1975, 521 = IPRspr. 1975 Nr. 30b; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 98. 45 KG v. 17.3.2014 – 20 U 254/12, NJW 2014, 2737. 46 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 = MDR 1980, 914 = NJW 1980, 2022 = RIW 1980, 432 = IPRax 1981, 52 (Samtleben 43) = IPRspr. 1980 Nr. 183; BGH v. 30.3.1976, NJW 1976, 1581 = LM Art. 7 ff. EGBGB (Deutsches IPR) Nr. 42 = MDR 1976, 832 = RIW 1976, 373 (378) = BB 1976, 672 = IPRspr. 1976 Nr. 2; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 72; Gottwald, IPRax 1988, 210 (211); Hutzel, IPRax 1990, 77 (78); Sommerlad/Schrey, NJW 1991, 1377 (1380); Prütting in MüKo.ZPO2, § 293 Rz. 51 f.
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Anwendung ausländischen Rechts
Richter regelmäßig umfassendere Ausführungen zur Rechtslage machen – gegebenenfalls sämtliche ihm zugänglichen Erkenntnismittel zu erschöpfen haben, als wenn der Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt47 oder sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen.48 Zu Recht warnt der Bundesgerichtshof49 vor Generalisierungen (Rz. 2617). Alles hängt vielmehr von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab. Haben die Parteien zu den Erkenntnisquellen einer ausländischen Rechtsordnung unschwer Zugang, wird man von ihnen in der Regel erwarten können, dass sie das ausländische Recht konkret darstellen.50 2588 Keine Darlegungs- und Beweislast: Die Parteien dürfen nicht nur dem Richter bei der Ermittlung des ausländischen Rechts helfen, z.B. Privatgutachten vorlegen. Sie trifft vielmehr in gewissem Umfang de facto auch die Last, an der Aufklärung des Inhalts des maßgeblichen ausländischen Rechts mitzuwirken. Zwar hat der Richter das ausländische Recht selbst zu ermitteln; die Parteien müssen ihn hierbei jedoch nach Kräften unterstützen, wenn sie sich selbst ohne besondere Schwierigkeiten Zugang zu den Erkenntnisquellen des fremden Rechtskreises verschaffen können. Lässt es eine Partei an einer ihr zumutbaren Mitwirkung fehlen, so kann das Gericht zu deren Nachteil von weiteren Ermittlungen absehen und davon ausgehen, dass durchgreifend neue Erkenntnisse nicht zu gewinnen sind.51 Dies dürften aber nur seltene Ausnahmefälle sein.52 2589 Als Grundsatz gilt: Mangels objektiver Beweislast darf keine Partei wegen Nichtbeibringung einen Nachteil erleiden.53 In jedem Fall hat jede Partei aufgrund Art. 103 I GG das Recht, Darlegungen zum Inhalt des ausländischen Rechts zu machen und Nachweise zu präsentieren. Der Richter darf diese nicht ignorieren. Er muss sie zur Kenntnis nehmen und sich damit auseinander setzen.54
47 BAG v. 10.4.1975, BAGE 27, 99 (109 f.) = NJW 1975, 2160 L = WM 1976, 194 (196 f.). 48 KG v. 30.11.1981 – 22 U 5430/80, VersR 1982, 1199. 49 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265. 50 Gottwald, IPRax 1988, 210 (212); Thode, EWiR 1990, 515; auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 293 Rz. 47. 51 BGH v. 30.3.1976, NJW 1976, 1581 (1583) = LM Art. 7 ff. EGBGB (Deutsches IPR) Nr. 42 = MDR 1976, 832 = RIW 1976, 373 (378) = BB 1976, 672 = IPRspr. 1976 Nr. 2. 52 Auch skeptisch gegenüber einer echten Mitwirkungspflicht Rühl, Die Kosten der Rechtswahlfreiheit, RabelsZ 71 (2007), 559 (571). 53 BGH v. 23.12.1981 – IVb ZR 643/80, NJW 1982, 1215 = RIW 1982, 199 und 435 = MDR 1982, 566 = IPRax 1983, 193; LAG Hamm v. 19.1.1989 – 17 (9) Sa 813/86, BB 1989, 2191 = IPRspr. 1989 Nr. 68; OLG Frankfurt v. 2.3.1999 – 1 WF 36/99, FamRZ 2000, 37 = IPRspr. 1999 Nr. 1; Khadjavi-Gontard/Hausmann, RIW 1983, 8 Fn. 64; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (273); a.A. OLG Hamm v. 9.6.1980 – 8 U 70/77, AG 1981, 198 = WM 1981, 882 = IPRspr. 1980 Nr. 1b: für Darlegungslast derjenigen Partei, die sich auf die Anwendbarkeit ausländischen Rechts beruft. Diese müsse den Inhalt der ausländischen Rechtsnorm substantiiert darlegen. Ausführlich zur Mitwirkung der Parteien Lindacher in FS Schumann, 2001, 283. 54 Lindacher in FS Schumann, 2001, 283 (284).
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Neunter Teil
Ob Parteivorbringen zur Ermittlung ausländischen Rechts nach §§ 282 I, 531 2590 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden kann, ließ der Bundesgerichtshof bisher offen.55 Verfolgt die Partei ihren in der ersten Instanz (erfolglos) gestellten Antrag auf Einholung eines Rechtsgutachtens nicht mehr in der Berufungsinstanz, dann ist es i.d.R. nicht ermessensfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht nicht von Amts wegen ein Gutachten einholt.56 Ein wissenschaftliches Gutachten57 genügt den Anforderungen des § 293 ZPO nicht, wenn der Gutachter keine spezielle Kenntnis des ausländischen Rechts und der ausländischen Rechtspraxis hat.58 Reine „Lehrbuchgutachten“ genügen nicht, weil sie die Handhabung der ausländischen Rechtspraxis (Rz. 2596) nicht erfassen und auswerten.59 Bei der Formulierung der Beweisanordnung gem. § 293 ZPO muss der Richter 2590a jeden Anschein der Parteilichkeit durch Bevorzugung einer Partei vermeiden. Er kann z.B. abgelehnt werden,60 wenn der Sachverständige unabhängig von dem Vortrag des Beklagten Ausführungen dazu machen soll, welche Einwendungen ihm nach dem maßgeblichen ausländischen Recht zustehen könnten, weil dem Beklagten so die Möglichkeit eröffnet wird, seinen Sachvortrag entsprechend anzupassen.61 Pflicht zur Sachentscheidung bei einem non liquet: Ist der Inhalt der einschlägi- 2591 gen ausländischen Norm nicht feststellbar, so darf deshalb eine Sachentscheidung nicht verweigert werden. Diese ist nach dem Ersatzrecht zu erlassen (Rz. 2598). 3. Versäumnisverfahren Die Geständnisfiktion der §§ 331 I, 539 II ZPO gilt nur für Tatsachen, nicht für 2592 Behauptungen über den Inhalt ausländischer Rechtsnormen.62 Auch im Ver55 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, NJW 1984, 2763 = RIW 1984, 644, 646 (Mezger) = MDR 1985, 125 = WM 1984, 1014 = IPRax 1985, 158 (Schlosser 141) = IPRspr. 1984 Nr. 196; BGH v. 18.1.1990 – III ZR 269/88, BGHZ 110, 104 = NJW 1990, 2199 = RIW 1990, 493, 494 = MDR 1990, 703 = WM 1990, 1126 = IPRax 1991, 244 (Schlosser 218) = EWiR 1990, 723 (Bredow) = IPRspr. 1990 Nr. 238. Verneinend RGZ 151, 44. Dafür Lüderitz, IPR2, Rz. 179. Ohne Stellungnahme Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (273). 56 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159) = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265; BGH v. 23.6.2003 – II ZR 305/01, NJW 2003, 2685 = MDR 2003, 1128 = RIW 2003, 961 = IPRspr. 2003 Nr. 1. 57 Hierzu nicht ohne Skepsis Kropholler, IPR6, § 59 III 2. 58 BGH v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1418 (1419) = NJW-RR 1991, 1211 = BGH v. 21.1.1991 – II ZR 49/90, NJW 1991, 1418 = MDR 1991, 1151 = RIW 1991, 514 (Sommerlad 856) = IPRax 1992, 324 (Kronke 303) = LM § 293 ZPO Nr. 16 = WM 1991, 862, 863, WuB VII A § 293 ZPO 2.91 (Thode) = IPRspr. 1991 Nr. 1b. Hierzu kritisch Samtleben, NJW 1992, 3057. 59 Ebenso OLG Düsseldorf v. 24.4.1996 – 3 U 30/95, NJW-RR 1997, 3 = FamRZ 1996, 1154 = IPRspr. 1996 Nr. 2. 60 §§ 42 II, 44 II ZPO. 61 OLG Koblenz v. 4.9.1996, IPRspr. 1996 Nr. 3. 62 Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (273); a.A. OLG München v. 23.10.1975 – 1 U 2364/75, 1 U 2564/75, NJW 1976, 489 (Küppers) = IPRspr. 1975 Nr. 2.
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säumnisverfahren ist der Richter daher der Pflicht zur Ermittlung des ausländischen Rechts nicht enthoben. Er muss sich von der Richtigkeit des Inhalts des anzuwendenden ausländischen Rechtssatzes überzeugen.63 4. Vorläufiger Rechtsschutz – Notwendigkeit einer Eilentscheidung 2593 Das Gleiche gilt im Arrest- sowie im einstweiligen Verfügungs- und Anordnungsverfahren. Allerdings wird im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Eilentscheidung oft das maßgebliche Recht nicht feststellbar sein. Für solche Fälle gelten die in Rz. 2598 dargestellten Regeln über die Anwendung von Ersatzrecht wegen Nichtfeststellbarkeit des Inhalts des an sich anzuwendenden ausländischen Rechts. Dagegen möchte Prütting64 in jedem Einzelfall abwägen, ob dem Justizgewährungsanspruch auf Eilentscheidung (Rz. 1984) Vorrang gegeben werden soll gegenüber dem Interesse des Beklagten/Antragsgegners an einer gründlichen und daher im Zweifel „richtigeren“ Entscheidung.
III. § 293 ZPO als Ausnahme vom Grundsatz „iura novit curia“ 2594 Grundsätzlich muss der deutsche Richter das Recht kennen, d.h. selbständig feststellen, auslegen und anwenden. Hiervon macht das Gesetz nur in den in § 293 ZPO aufgezählten Fällen eine Ausnahme.65 Das bedeutet, dass das Gericht in (scheinbar) international gelagerten Fällen nicht vorab ein (Zeit und Kosten verschlingendes) Gutachten anfordern darf, um sich „die Arbeit leichter zu machen“. Es muss vielmehr anhand des in Deutschland geltenden Kollisionsrechts (Rz. 2570 ff.) zunächst „aus eigener Kraft“ klären, welches Recht zur Anwendung kommt. Erst wenn feststeht, dass – mit großer Wahrscheinlichkeit – ausländisches Recht maßgeblich ist, kann dessen Inhalt nach § 293 ZPO ermittelt werden. 2595 Der deutsche Richter darf also nicht auf die durch § 293 ZPO ermöglichten Hilfen zurückgreifen bei der Feststellung, Auslegung und Anwendung des gesamten inländischen Gesetzesrechts, des Rechtes der Europäischen Union und des Völkergewohnheitsrechts, soweit es in Deutschland über Art. 25 Satz 1, 59 II GG aktualisiert und damit innerstaatlich geltendes Recht ist. Bei Zweifeln im Hinblick auf das Völkerrecht ist gegebenenfalls dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, Art. 100 II GG (hierzu Rz. 274).
63 OLG Koblenz v. 28.3.2002 – 5 U 1425/01, IPRspr. 2002 Nr. 1; Prütting in MüKo.ZPO2, § 293 Rz. 55; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 293 Rz. 55. 64 Prütting in MüKo.ZPO3, § 293 Rz. 56. S. auch LG München I v. 24.8.2001, IPRspr. 2001 Nr. 113 sowie die weiteren Nachw. bei Hohloch, BerDGVR 42 (2007), 252 Fn. 5; Schütze, DIZPR2, Rz. 428 ff. 65 Dies wird aus europarechtlicher Sicht kritisiert, Rz. 246w. Das Unionsrecht verbiete, „dass Rechtsverhältnisse gerade dann mit Sonderrecht belegt werden, wenn sie, den Binnenmarkt verwirklichend, die Binnengrenzen übergreifen“. „Rechtliche Nachteile, die wegen der Überschreitung der Binnengrenzen auferlegt werden, sind per se verboten“, Flessner, ZEuP 2006, 737 (740). Mit gleicher Tendenz Remien, Aufbruch nach Europa – 75 Jahre Max-Planck-Institut, 2001, 617.
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Neunter Teil
IV. Anwendung ausländischen Rechts Der deutsche Richter hat ausländisches Recht so anzuwenden, wie es der Rich- 2596 ter des betreffenden Landes auslegt und anwendet.66 Vor allem hat er sich zu hüten, den ausländischen Rechtsregeln eine eigene Interpretation zu geben. Er hat sich an die ausländische Praxis und Lehre zu halten.67 Sonst wäre der Sinn der kollisionsrechtlichen Verweisung verfehlt: Das Ergebnis wäre ein fiktives, weil mit der tatsächlichen Handhabung des ausländischen Rechts nicht übereinstimmendes Normengebilde.68 Das gilt auch für das internationale Einheitsrecht, wie z.B. das Wechselrecht. Auch hier darf nicht einfach die deutsche Rechtsprechung herangezogen werden (Rz. 2618).69 Eine Prüfung der Vereinbarkeit eines ausländischen Gesetzes oder sonstiger Nor- 2597 men mit der Verfassung des betreffenden Staates darf der deutsche Richter nur vornehmen, wenn auch dem ausländischen Gericht eine solche Prüfung gestattet ist.70 Der deutsche Richter darf aber auch das ausländische Recht fortentwickeln für Sonderfallgestaltungen, welche die Gerichte des Staates, dessen Recht anzuwenden ist, (bisher) nicht entschieden haben. Hierfür sind der Geist und die Systemzusammenhänge des ausländischen Rechts maßgebend. Der deutsche Richter darf nicht auf dem Umweg über die „Fortentwicklung“ dem ausländischen Recht den „deutschen Geist einhauchen“.71
66 BGH v. 30.1.2001 – XI ZR 357/99, WM 2001, 502 = IPRax 2002, 302 (Hüßtege 292) = IPRspr. 2001 Nr. 1; BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, BGHReport 2001, 894 = IPRspr. 2001 Nr. 2; BGH v. 23.6.2003 – II ZR 305/01, NJW 2003, 2685 = MDR 2003, 1128 = RIW 2003, 961 = IPRspr. 2003 Nr. 1. S. z.B. auch Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 40, 128. 67 BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244 (H. Roth 1224) = EuZW 2014, 283 (Vallender) = LMK 2014, 358488 (Magnus). 68 KG v. 8.2.1980, IPRspr. 1980 Nr. 85; BGH v. 23.12.1981 – IVb ZR 643/80, NJW 1982, 1215 = FamRZ 1982, 263 = RIW 1982, 199 und 435 = MDR 1982, 566 = IPRax 1983, 193 = IPRspr. 1981 Nr. 2; BGH v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1418 (1419) = NJW-RR 1991, 1211; BGH v. 21.1.1991 – II ZR 49/90, MDR 1991, 1151 = RIW 1991, 514 (Sommerlad 856) = IPRax 1992, 324 (Kronke 303) = LM § 293 ZPO Nr. 16 = WM 1991, 862 (863) = WuB VII A § 293 ZPO 2.91 (Thode) = IPRspr. 1991 Nr. 1b; BGH v. 30.1.2001 – XI ZR 357/99, WM 2001, 502 = IPRax 2002, 302 (Hüßtege 292) = IPRspr. 2001 Nr. 1; BGH v. 26.6.2001 – XI ZR 241/00, BGHR 2001, 894 = IPRspr. 2001 Nr. 2; LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97 (99) (Däubler 82) = IPRspr. 1991 Nr. 62; KG v. 27.6.2001 – 3 UF 3906/00, FamRZ 2002, 166 (167) = IPRspr. 2001 Nr. 3; Henrich, IPRax 1982, 10. 69 OLG Frankfurt v. 26.3.1985 – 5 U 176/84, RIW 1985, 488 = IPRspr. 1985 Nr. 42; vgl. auch Schütze in FS Matscher, 1993, 430. – Großzügiger Kegel/Schurig, IPR9, § 15 III. 70 Kegel/Schurig, IPR9, § 15 III. – Zur Anerkennungsperspektive R. Geimer, ZfRV 1992, 413. 71 Das AG Charlottenburg v. 13.1.1981 – 176 F 8469/80, IPRax 1983, 128 (Rumpf 114) hielt es für richtig, türkisches Recht (Prozesskostenpflicht unter Ehegatten) fortzuentwickeln, ebenso OLG Stuttgart v. 1.3.1984 – 16 U 11/82, DAVorm 1984, 423 = IPRspr.
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Neunter Teil
Anwendung ausländischen Rechts
V. Ersatzrecht, wenn der Inhalt des ausländischen Rechts nicht festgestellt werden kann 2598 Die Beweislastregeln finden keine Anwendung. Keine Partei ist beweisfällig geworden. Eine Klageabweisung bei einem non liquet (bezüglich des Inhalts des ausländischen Rechtssatzes) ist unzulässig. Ein gegenteiliger Standpunkt der lex causae ist für den deutschen Richter ohne Bedeutung.72 (Vgl. Rz. 2001, 2292). 2599 Ist trotz aller Sorgfalt der Inhalt des ausländischen Rechts nicht festzustellen, will der Bundesgerichtshof ohne große Umschweife deutsches Recht anwenden, jedenfalls dann, wenn starke Inlandsbeziehungen bestehen und die Beteiligten nicht widersprechen.73 2600 Überzeugender ist der Ansatz der Wissenschaft: Danach ist die deutsche lex fori nur dann anzuwenden, wenn über das ausländische Recht keinerlei Informationen zu erlangen sind.74 Anders ist es aber, wenn nur unvollständige Aufschlüsse über das in Betracht kommende ausländische Recht zu bekommen sind. Dann gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an den unbekannten tatsächlichen Rechtszustand. So kann etwa das luxemburgische Recht auch durch Heranziehung belgischer Urteile erhellt werden.75 2600a In keinem Fall geht es an, wegen Nichtfeststellbarkeit des Inhalts des nach deutschem internationalem Privatrecht berufenen ausländischen Rechts „die Flinte ins Korn zu werfen“ und aus forum non conveniens-Erwägungen die Klage als unzulässig abzuweisen76 (Rz. 1075).
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1984 Nr. 1 und AG Kitzingen v. 2.5.1984 – F 252/84, IPRax 1985, 298 = IPRspr. 1985 Nr. 89; Prütting in MüKo.ZPO2, § 293 Rz. 58; großzügiger Däubler, IPRax 1992, 83. BGH v. 24.11.1960, NJW 1961, 410 = IPRspr. 1960–1961 Nr. 5; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 58, 289; Prütting in MüKo.ZPO2, § 293 Rz. 59. BGH v. 26.10.1977 – IV ZB 7/77, BGHZ 69, 387 = NJW 1978, 496 = MDR 1978, 390 = IPRspr. 1977 Nr. 98b; BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 66/83, MDR 1985, 1001 = NJW-RR 1986, 484 = IPRspr. 1985 Nr. 1 (s. Rz. 2133); ähnlich OLG Stuttgart v. 1.3.1984 – 16 U 11/82, StAZ 1984, 423 = IPRspr. 1984 Nr. 1; OLG Frankfurt v. 2.3.1999 – 1 WF 36/99, FamRZ 2000, 37 = IPRspr. 1999 Nr. 1; KG v. 27.6.2001 – 3 UF 3906/00, FamRZ 2002, 166, 167 = IPRspr. 2001 Nr. 3; KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (842); Kropholler, IPR6, § 31 III; Lindacher in FS Schumann, 2001, 283, 284. Ebenso § 4 II österr. IPR-Gesetz und Art. 16 II Schweizer IPR-Gesetz. Von der Nichtfeststellbarkeit des Inhalts des ausländischen Rechts zu unterscheiden ist der Fall des Eingreifens des ordre public (Art. 6 EGBGB) im Hinblick auf den (aus deutscher Sicht nicht akzeptablen, weil stark anstößigen) Inhalt des ausländischen Rechts: Auch hier ist nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs in die lex causae in erster Linie das ausländische Recht in modifizierter Form anzuwenden; nur dann, wenn dies unmöglich oder unbefriedigend wäre, ist die Ersatznorm aus dem deutschen Recht zu entwickeln, OLG Koblenz v. 4.3.2004 – 7 WF 147/04, FamRZ 2004, 1877 = IPRspr. 2004 Nr. 3. S. auch M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in FS R. Stürner, 2012, 1071, 1089. Kegel/Schurig, IPR9, § 15 V 2; Schütze, DIZPR2, Rz. 265; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 293 Rz. 51; weitere Beispiele bei Heldrich in FS Ferid, 1978, 217. In diese Richtung tendiert auch BGH v. 23.12.1981 – IVb ZR 643/80, MDR 1982, 566 = NJW 1982, 1215 = FamRZ 1982, 263 = IPRspr. 1981 Nr. 2. Hierfür plädieren aber Hay/Hampe, RIW 1998, 760 (764).
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VI. Revisibilität ausländischen Rechts 1. Rechtslage seit 1.9.2009 Seit der Neufassung des § 545 I ZPO durch das FGG-Reformgesetz77 und In- 2601 krafttreten des § 72 I FamFG ist ausländisches Recht vom Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht in vollem Umfang zu prüfen und anzuwenden.78 Die bisherigen Kognitionsbeschränkungen (Rz. 2602 ff.) sind entfallen.79 Der Bundesgerichtshof zeigte sich jedoch sehr spröde und machte von seinen erweiterten Befugnissen keinen Gebrauch. Er ermittelte nicht selbst das von ihm als relevant erkannte Recht, sondern verweist im Zweifel an die Vorinstanz zurück, damit diese den Inhalt der ausländischen Normen feststelle.80 Mit Beschluss vom 4.7.2013 lehnte er die Revisibilität ausländischen Rechts definitiv ab.81 Für § 560 ZPO verbliebe kein Raum mehr.82 Fortbildung und Vereinheitlichung ausländischen Rechts sei keine Aufgabe des BGH. Deutsche Richter hätten ausländisches Recht so anzuwenden, wie es im Ausland angewendet werde. Das letzte Wort hätten daher stets die ausländischen Gerichte und nicht der BGH. 2. BGH: Irrevisibilität ausländischen Rechts auch nach neuem Recht Ausländisches Recht ist nach Ansicht des BGH auch nach Neufassung des § 545 2602 I ZPO im Zivilprozess – anders als in der Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 73 I ArbGG) und im Strafverfahren (§ 337 StPO) – irrevisibel, §§ 545 I, 560 ZPO,83 auch wenn es inhaltlich mit deutschem Recht übereinstimmt.84 Das ausländische Recht ist 77 Art. 29 Nr. 14a des Gesetzes v. 17.12.2008, BGBl. I 2008, 2586. 78 Zustimmend M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in FS R. Stürner, 2012, 1071, 1083 m.w.N. Anders Jacobs in Stein/ Jonas, ZPO22, § 545 Rz. 21; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 11 Rz. 54; Sturm, JZ 2011, 74; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 352. 79 Es hat den Anschein, dass der Gesetzgeber diese (von der Wissenschaft heiß ersehnte) Reform gewissermaßen unbewusst dekretiert hat. Im Mittelpunkt der Diskussion um die Neufassung des § 545 ZPO stand das Anliegen, die Revisibilität des Landesrechts auch solcher Bundesländer zu ermöglichen, die nur ein Oberlandesgericht haben. Hierzu Ambrosius, ZRP 2007, 143. Auch hat man in der Eile vergessen, § 576 I ZPO anzupassen. 80 Z.B. BGH v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12, MDR 2013, 866 = FamRZ 2013, 1304 = NZI 2013, 763. 81 BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, MDR 2013, 1364 = NJW 2013, 3656 = RiW 2013, 488 = LMK 2013, 352015 (Robert Magnus); BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244. Kritisch Prütting, Die Überprüfung ausländischen Rechts in der Revisionsinstanz, in FS Schütze 80, 2014, 431. 82 Dies ist im Hinblick auf § 545 II ZPO unzutreffend, Prütting, a.a.O., 452. 83 Nachw. z.B. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 101 ff. Rechtsvergleichend Adamczyk, Die Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts durch den Bundesgerichtshof und das schweizerische Bundesgericht im Zivilprozess, 1999. 84 RG v. 18.6.1935, JW 1935, 3465 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 1; RG v. 29.10.1938, RGZ 159, 33 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 37. Umgekehrt ist z.B. der Code civil revisibel, als er als deutsches Partikularrecht (im Rheinland) fortgilt, BGH v. 25.10.1984 – III ZR 131/83, BGHZ 92, 326 (328) = MDR 1985, 388; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (275).
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auch insoweit irrevisibel, als die Verletzung von Auslegungsregeln und AGB gerügt wird, denn auch die Auslegung sei Rechtsanwendung auf der Basis der ausländischen Rechtsordnung.85 Ob es sich allerdings um aus- oder inländische AGB handelt, entscheidet der Bundesgerichtshof ohne jede Beschränkung. Insoweit bestand Revisibilität.86 Ein Wechsel der Anknüpfungstatsachen ist zu beachten.87 Das Verbot der Nachprüfung war von der Wissenschaft heftig kritisiert worden.88 Besonders problematisch war die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach auch die Auslegung auf der Grundlage ausländischen Rechts formulierter AGB (die von einem ausländischen Unternehmen im Inland verwendet werden = AGB, die „das Gepräge einer ausländischen Rechtsordnung haben“) irrevisibel sind.89 2603 Die Begründungen für die Irrevisibilität ausländischen Rechts sind von geringer Überzeugungskraft.90 Das höchste Gericht solle sein Ansehen nicht gefährden. Ihm solle die Blamage der unrichtigen Auslegung des ausländischen Rechtssatzes erspart bleiben. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof nur die Aufgabe, die „Einheitlichkeit der Anwendung und Fortbildung des nationalen Rechts“ zu wahren.91 2604 Die Gerichte haben die Aufgabe, einen Rechtsstreit auf der Grundlage der nach deutschem internationalem Privatrecht maßgeblichen Rechtsordnung zu entscheiden. Die Instanzgerichte sind oft nicht in der Lage, ausländisches Recht anzuwenden. Wer wäre hierzu besser berufen als das höchste Gericht, welches mit besonders qualifizierten Richtern besetzt ist und die beste Bibliothek besitzt? Wenn der Gesetzgeber schon vorschreibt, ausländisches Recht durch inländische Richter anwenden zu lassen, sollte er die Anwendung durch die bestqualifizierten Richter nicht ausschließen. Gleichwohl hielt der Bundesgerichtshof92
85 BGH v. 16.6.1969, WM 1969, 1140 = AWD 1969, 415 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 3; BGH v. 29.9.1982 – VIII ZR 320/81, WM 1982, 1249 = IPRspr. 1982 Nr. 1; BGH v. 12.12.1986 – V ZR 100/85, WM 1987, 353 = IPRspr. 1986 Nr. 4; BFH v. 29.5.1984 – VIII R 29/80, FR 1984, 565 = RIW 1984, 923 = IPRspr. 1984 Nr. 4; BGH v. 14.1.1986 – X ZR 54/84, MDR 1986, 582 = WM 1986, 461 = ZIP 1986, 653 = EWiR 1986, 533 (Köndgen) = IPRspr. 1990 Nr. 1. 86 BGH v. 19.9.1990 – VIII ZR 239/89, MDR 1991, 144 = CR 1991, 160 = IPRax 1991, 329 (Mankowski 305). 87 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 393. 88 Nachw. bei Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 397; Dessauer, IPRax 1985, 332 Fn. 21; Schütze, DIZPR2, Rz. 273; Theiss, Die Behandlung fremden Rechts im deutschen und im italienischen Zivilprozess, 1990, 221; Krause, Ausländisches Recht und deutscher Zivilprozess, 1990, 71. 89 BGH v. 14.1.1986 – X ZR 54/84, MDR 1986, 582 = WM 1986, 461 = ZIP 1986, 653 = EWiR 1986, 533 (Köndgen) = IPRspr. 1990 Nr. 1. Ebenso für DDR-AGB BGH v. 11.6.1986 – VIII ZR 153/85, NJW-RR 1987, 43 = WM 1986, 1115 = IPRspr. 1986 Nr. 2. 90 S. auch die Kritik von Prütting, Die Überprüfung ausländischen Rechts in der Revisionsinstanz, in FS Schütze 80, 2014, 431. 91 Dagegen richtig Schütze, DIZPR2, Rz. 273; Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 399. 92 BGH v. 24.3.1987 – VI ZR 112/86, MDR 1987, 833 = NJW 1988, 648 = IPRax 1988, 227 (Gottwald 210) = IPRspr. 1987 Nr. 1.
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an der bisherigen Linie fest, „auch wenn diese Regelung im Hinblick auf zunehmende internationale Verflechtungen zuweilen als unzweckmäßig angesehen wird.“ Er verschärfte aber die Nachprüfung des § 293 ZPO und zwang so mittelbar die Instanzgerichte, sich mehr Mühe bei der Ermittlung des Inhalts des maßgeblichen ausländischen Rechts zu machen. Die Irrevisibilität ausländischen Rechts im Europäischen Binnenmarkt soll zudem gegen Art. 18 AEUV und die Grundfreiheiten verstoßen (Rz. 246x). Das Verbot der Nachprüfung ausländischen Rechts durch das Rechtsbeschwer- 2605 degericht galt bis 31.8.2009 nicht im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit; da § 545 I ZPO a.F. in § 27 Satz 2 FGG nicht in Bezug genommen worden war, konnte die weitere Beschwerde auch auf die Verletzung ausländischen Rechts gestützt werden.93 Das Gleiche gilt auch de lege lata für arbeitsgerichtliche Verfahren, § 73 I ArbGG,94 und für Strafverfahren.95 Internationale Entscheidungszuständigkeit der deutschen Gerichte: Hängt die 2606 internationale Zuständigkeit Deutschlands von der (richtigen Anwendung) ausländischen Rechts ab, so war und ist der Bundesgerichtshof im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zur Nachprüfung berechtigt.96 Beispiel A: 2607 Das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung (Prorogation eines deutschen Gerichts) hängt von einer nach ausländischem Recht zu beantwortenden Vorfrage (Geschäfts-/ Prozessfähigkeit) ab.97
93 BGH v. 12.7.1965, BGHZ 44, 121 (127) = IPRspr. 1964–1965 Nr. 94b; OLG Düsseldorf v. 22.3.1985 – 3 W 337/84, MittRhNotK 1985, 198 = IPRspr. 1985 Nr. 114; OLG Hamburg v. 26.7.1989 – 2 W 49/85, FamRZ 1990, 43 = OLGZ 1990, 25 = NJW-RR 1990, 76 = IPRspr. 1989 Nr. 17; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (275). 94 BAGE 27, 99; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG2, § 73 Rz. 2; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (275). 95 RGSt 10, 285, 287. 96 So zu § 606a I 1 Nr. 4 ZPO Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 1986, 405, 429; Kegel/Schurig, IPR9, § 15 IV 2; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 113; Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3, 45; a.A. BGH v. 11.1.1984 – IVb ZR 41/82, BGHZ 89, 325 = MDR 1984, 385 = FamRZ 1984, 350 = NJW 1984, 1302 = IPRax 1984, 208 (Henrich 186) = IPRspr. 1984 Nr. 58. Ohne Stellungnahme BGH v. 6.10.2004 – XII ZR 225/01, MDR 2005, 149 = FamRZ 2004, 1952 (Henrich) = IPRax 2005, 346 (Rauscher 313) = NJW-RR 2005, 81 = LMK 2005, 8 (Finger) = IPRspr. 2004 Nr. 135. 97 BGH v. 8.2.1968, WM 1968, 369 = AWD 1968, 189 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 198; BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, NJW 1991, 1420 = RIW 1991, 1046 = WM 1991, 1124 = MDR 1991, 610 = TranspR 1991, 243 (Karsten Schmidt 217) = Europ. TransportR 1991, 512 = IPRspr. 1991 Nr. 171. A.A. BGH v. 16.6.1969, WM 1969, 1140 = AWD 1969, 415 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 3. Vgl. auch BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, MDR 1998, 1496 = NJW-RR 1999, 137 = RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (Schulze 229) = LM LugÜ Nr. 1 (R. Geimer) = IPRspr. 1998 Nr. 137. Der BGH hat die Vereinbarung der Beteiligten selbst ausgelegt und begründet dies u.a. auch damit, dass es bei der Frage der Ausschließlichkeit der Prorogation eines ausländischen Gerichts (und damit Derogation der an sich nach §§ 12 ff. ZPO gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands) um die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen durchzuführende Prüfung der internationalen Zuständigkeit gehe. Damit deutet sich möglicherweise eine Entwicklung zur (inten-
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Beispiel B: Derogation der an sich kraft Gesetzes gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands. Es gilt das Gleiche wie für A. Beispiel C: Derogation wie B, durch Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts. Es gilt das Gleiche wie für A.
2608 Von der Prognose über die Anerkennungsfähigkeit der (zu erwartenden) ausländischen Entscheidung hängt die Zulässigkeit der im Inland erhobenen Klage ab (Rz. 2688). Deshalb war und ist die revisionsgerichtliche Nachprüfung auch hier statthaft und notwendig.98 2609 Im Rahmen der Gegenseitigkeitsprüfung nach § 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 109 IV FamFG besteht keine Kognitionsbeschränkung nach §§ 545, 560, 576 ZPO und § 72 I FamFG.99 Denn der Inhalt des ausländischen Rechts wird durch die Bezugnahme in § 328 ZPO zum Bestandteil der deutschen Anerkennungsnorm. Das Gleiche gilt z.B. für die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nach dem Recht des Ursprungsstaates gem. § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG. Bei der Ermittlung und Feststellung des Inhalts des ausländischen Rechts und dessen Auslegung war und ist das Revisions- bzw. das Rechtsbeschwerdegericht durch §§ 545, 560, 576 ZPO, § 72 I FamFG nicht an die Feststellungen des OLG gebunden. Es unterliegt insoweit keinen Kognitionsbeschränkungen, da es um die Anwendung deutschen Rechts geht (wenngleich es sich der Aufklärungsmethoden des § 293 ZPO bedienen darf): § 328 I Nr. 2 ZPO und § 109 I Nr. 2 FamFG bzw. die durch das deutsche Zustimmungsgesetz in das nationale Recht Deutschlands transformierten Anerkennungsversagungsgründe des einschlägigen völkerrechtlichen Vertrages100 verweisen zwar auf das Recht des Ursprungsstaates. Aufgrund dieser Verweisung wird aber insoweit der Inhalt des ausländische Rechts Bestandteil der deutschen Anerkennungsvorschriften. Diese wären ohne die „Auffüllung“ durch den Inhalt der ausländischen Normen – weil unvollständig – nicht zu handhaben. §§ 545, 560, 576 ZPO und § 72 I FamFG kommen daher nicht zum Zuge.101 2610 Hat der Tatsachenrichter ausländisches Recht nicht angewendet, weil er es schlicht übersehen hat,102 oder weil die ausländische Rechtsnorm erst nach Ur-
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100 101 102
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siveren) Prüfung der von einer Zuständigkeitsvereinbarung abhängigen internationalen Zuständigkeit Deutschlands durch das Revisionsgericht an. BGH v. 10.10.1985 – I ZR 1/83, NJW 1986, 2195 = RIW 1986, 218 = EWiR 1985, 1015 (R. Geimer) = WM 1986, 115 = IPRspr. 1985 Nr. 167. BGH v. 30.9.1964, BGHZ 42, 194 = NJW 1994, 2350 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 259 (zu § 549 I ZPO a.F.); so schon RG v. 10.12.1926, RGZ 115, 113; s. auch Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3 (45); Schütze in Geimer/Schütze, EuZVR3, E 1 – Rz. 101 sowie Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO3, § 328 Rz. 59. Ebenso zu § 110 ZPO a.F. BGH v. 11.11.1981 – IVa ZR 92/81, MDR 1982, 470 = WM 1982, 194 = IPRspr. 1981 Nr. 143; hierzu Schütze, JZ 1983, 585. Z.B. Art. 34 Nr. 2 LugÜ 2007; Art. 6 HUVÜ 1973; Art. 22 HGUÜ 2007. R. Geimer, LMK 2008, 253019. BGH v. 23.10.1963, BGHZ 40, 197 (200) = MDR 1964, 134 = NJW 1964, 203 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 184; BFH v. 15.4.1996 – VI R 98/95, DB 1996, 1657 = IPRspr. 1996 Nr. 1.
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teilserlass in Kraft trat103, so hindert § 545 I ZPO die Nachprüfung nicht.104 Hat das Berufungsgericht – aus welchen Gründen auch immer – keine Feststellungen zum Inhalt einer (aus der Sicht des Bundesgerichtshofs zur Anwendung kommenden) ausländischen Rechtsordnung getroffen hat, konnte und kann der Bundesgerichtshof die aus seiner Perspektive relevanten ausländischen Rechtsnormen selbst ermitteln (nach den Regeln des § 293 ZPO).105 Er kann aber auch aufheben und zurückverweisen (vgl. Rz. 2601). 3. Unrichtige Anwendung des deutschen Internationalen Privatrechts Das Revisionsgericht ist befugt, die richtige Anwendung des deutschen interna- 2611 tionalen Privatrechts zu überprüfen. Insoweit kann die Anwendung eines falschen Rechts infolge unterlassener oder unrichtiger kollisionsrechtlicher Prüfung als Verletzung deutschen Rechts gerügt werden. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass auf dem Umweg über die Nachprüfung des deutschen internationalen Privatrechts in jeder fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts gleich eine Verletzung des deutschen internationalen Privatrechts gesehen wird.106 Im Hinblick auf eine Rückverweisung auf deutsches Recht (Art. 4 I EGBGB)107 2612 ist das Revisionsgericht befugt, die ausländischen Kollisions- und Sachnormen zu überprüfen, soweit die unrichtige Anwendung bzw. Nichtanwendung deutschen Rechts in Frage steht. Liegt dagegen keine Rückverweisung auf deutsches, sondern eine Weiterverweisung auf ein (drittes) fremdes Recht vor, so bestand vor dem 1.9.2009 (Rz. 2601) keine Nachprüfungsbefugnis.108 Das Revisionsgericht hat auch zu prüfen, ob die nach dem in Deutschland gel- 2613 tenden internationalen Privatrecht zulässige Rechtswahl (Art. 3 ff. Rom I-VO,109 Art. 14 Rom II-VO, Art. 5 Rom III-VO, Art. 22, 24 II, 25 III, 83 IV EuErbVO, Art. 14 II und III, 15 II EGBGB) wirksam zustande gekommen ist. Das Revisionsgericht ist jedoch an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, § 559 II ZPO, mit folgender Ausnahme (vorbehaltlich Rz. 2602: AGB, denen ausländisches
103 BGH v. 21.2.1962, BGHZ 36, 348 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 2; BGH v. 23.10.1963, BGHZ 40, 197 (200); BGH v. 10.10.1985 – I ZR 1/83, NJW 1986, 2195 = RIW 1986, 218 = EWiR 1985, 1015 (R. Geimer) = WM 1986, 115 = IPRspr. 1985 Nr. 167. 104 BGH v. 21.2.1962, BGHZ 36, 348 = IPRspr. 1962–1963 Nr. 2; BSG v. 21.6.1989 – 1 RA 1/87, MDR 1989, 1131 = IPRspr. 1989 Nr. 2; Schütze, DIZPR2, Rz. 279; Spickhoff, ZZP 112 (1999), 265 (275). 105 BGH v. 12.11.2003 – VIII ZR 268/02, WM 2004, 1183 = MDR 2004, 448 = IPRspr. 2003 Nr. 3. 106 BGH v. 8.1.1985 – VI ZR 22/83, BGHZ 93, 214 = MDR 1985, 484 = NJW 1985, 1285 = IPRspr. 1985 Nr. 37; Schütze, DIZPR2, Rz. 280. Großzügiger Fastrich, ZZP 94 (1984), 423; rechtsvergleichend Kerameus, ZZP 99 (1986), 166. 107 Zum Ausschluss der Rückverweisung s. aber Art. 20 Rom I-VO, Art. 24 Rom II-VO, Art. 11 Rom III-VO, Art. 34 II EuErbRVO. 108 BGH v. 2.5.1966, BGHZ 45, 351 (354) = AWD 1966, 331 = MDR 1966, 918 = NJW 1966, 2270 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 3; Raape/Sturm, IPR7, 313. 109 VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU Nr. L 177 v. 4.7.2008, S. 6.
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Recht das „Gepräge“ gibt): Zulässig ist die Nachprüfung sog. typischer Vertragsklauseln in Formularverträgen. Für eine größere Zahl von gleichartigen Rechtsverhältnissen gleichmäßig verwendete Klauseln, z.B. hinsichtlich der Rechtswahl, darf das Revisionsgericht unter den Voraussetzungen des § 545 I ZPO110 selbst auslegen.111 4. Nachprüfung des ausländischen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public 2614 § 545 I ZPO verbietet nicht die Nachprüfung, ob den vom Tatrichter angewandten Normen der deutsche ordre public112 entgegensteht („eviction de la loi normalement compétente par l’ordre public“). Denn der ordre public ist Bestandteil der deutschen Rechtsordnung.113 Dabei ist aber das Revisionsgericht an die tatrichterlichen Feststellungen über den Inhalt der in Rede stehenden ausländischen Norm gebunden. Es kann nicht etwa den ordre public-Verstoß verneinen, weil in Wahrheit der ausländische Rechtssatz anders laute oder anders auszulegen sei. Es kann auch die Anwendbarkeit des ordre public verneinen, obgleich diese Frage das OLG bejaht hatte.114 5. Nachprüfung des § 293 ZPO 2615 Die Frage, ob der Richter seiner Pflicht, den Inhalt des maßgeblichen ausländischen Rechts festzustellen, nachgekommen ist, ist revisibel, denn es geht um die Einhaltung des § 293 ZPO (Rz. 2579, 2587). Das Gericht darf die Parteien nicht mit der Anwendung ausländischen Rechts überraschen. Die Parteien müssen die Möglichkeit haben, zur Maßgeblichkeit dieses Rechts und zu seinem Inhalt Stellung zu nehmen. Anderenfalls ist das rechtliche Gehör verletzt. Der Bundesgerichtshof verschärft zusehends die revisionsgerichtliche Kontrolle der Ermittlung ausländischen Rechts durch die Instanzgerichte. Dies ist zu begrüßen.115 2616 Die revisionsgerichtliche Kontrolle des § 293 ZPO glich vor Neufassung des § 545 ZPO einer Gratwanderung (Rz. 2581). Einerseits sollte das Verbot der Nachprüfung ausländischen Rechts in der Revisionsinstanz – wie sehr dieses 110 BGH v. 17.11.1969, NJW 1970, 321. 111 BAG v. 21.3.1985 – 6 AZR 565/82, IPRspr. 1985 Nr. 49. 112 Art. 6 EGBGB, § 328 I Nr. 4, § 1059 II Nr. 2 (b), § 1061 ZPO i.V.m. Art. V (2) (b) VNÜ; § 109 I Nr. 4 FamFG, § 343 I 2 Nr. 2 InsO. 113 Zustimmend Adamczyk, Die Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts durch den Bundesgerichtshof und das schweizerische Bundesgericht im Zivilprozess, 1999, 129; Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3 (45), jeweils m.w.N. 114 OGH für die britische Zone v. 22.9.1950, OGHZ IV, 251 (254) = NJW 1951, 73 = IPRspr. 1950–1951 Nr. 1; BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, NJW 1985, 2910 = IPRspr. 1985 Nr. 48. 115 BGH v. 16.10.1986 – III ZR 121/85, MDR 1987, 212 = RIW 1987, 150 = NJW 1987, 591 = IPRspr. 1986 Nr. 3; BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265; Fastrich, ZZP 94 (1984), 435; Sommerlad, RIW 1991, 856.
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auch rechtspolitisch umstritten sein mag – nicht auf dem Umweg über die Verfahrensrüge der Verletzung des § 293 ZPO unterlaufen werden können, andererseits bedurfte es aus rechtsstaatlichen Gründen einer wirksamen Kontrolle der Instanzgerichte angesichts des weltweit zu konstatierenden home-trends und der damit zusammenhängenden Reserviertheit gegenüber ausländischen Rechtsordnungen und der Hilflosigkeit, ausländisches Recht zu handhaben. Es musste verhindert werden, dass es im Belieben der unteren Gerichte steht, ob und mit welcher Intensität sie ausländisches Recht ermitteln. Leider lassen sich die Anforderungen nicht generell-abstrakt bestimmen. Dies hat der Bundesgerichtshof116 deutlich dargelegt. Er hat sich damit Flexibilität bei der Nachprüfung vorbehalten, ob den Anforderungen der § 293 ZPO Genüge getan wurde. Dies bedeutet, dass es auf die „jeweiligen Umstände des Einzelfalls“ ankommt. Die Chancen einer auf die Verletzung des § 293 ZPO gestützten Revision lassen sich also schwer abschätzen.117 Sie sind jedoch im Steigen begriffen, weil der Bundesgerichtshof die Anforderungen für die Vorinstanzen zunehmend verschärft.118 Im Einzelnen argumentiert der Bundesgerichtshof wie folgt: Die Anforderungen, 2617 die an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters zu stellen sind, lassen sich nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen. So wird es regelmäßig ermessensfehlerhaft sein, wenn der Tatrichter seiner Entscheidung statt des maßgebenden Rechts eines bestimmten Staates das Recht eines anderen Staates zugrunde legt119 oder wenn er überhaupt nicht zu erkennen gibt, ob und auf welche Weise er zu klären versucht hat, ob ein von ihm angewendeter Rechtssatz in dem ausländischen Recht besteht.120 Es genügt auch
116 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026 = MDR 1992, 765 = RIW 1992, 761 = IPRax 1993, 87 (Hanisch) = LM § 106 KO Nr. 9 (R. Geimer) = IPRspr. 1992 Nr. 265; BGH v. 10.4.2002 – XII ZR 178/99, NJW 2002, 3335 (Pfeiffer 3306) = RIW 2002, 556 = WM 2002, 2387 = MDR 2002, 1024 = IHR 2003, 47 = LM § 554a ZPO Nr. 24 (R. Geimer) = IPRspr. 2002 Nr. 2; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 = WM 2002, 1186 = MDR 2002, 899 = ZIP 2002, 1155 = BB 2002, 1227 = IHR 2002, 38 = IPRspr. 2002 Nr. 3; BGH v. 22.9.2004 – VIII ZR 203/03, MDR 2005, 202 = NJW-RR 2005, 357 = IPRspr. 2004 Nr. 1. 117 Sehr deutlich z.B. Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3 (46), welche die Rspr. des BGH als „kaum konsistent oder vorhersehbar“ bezeichnen: „Will der BGH ein bestimmtes Ergebnis nicht akzeptieren, kann er es darauf zurückführen, die Instanzgerichte hätten nicht genügend ermittelt … Billigt er dagegen das Ergebnis, so kann er sogar … Lücken bei der Ermittlung für irrelevant erklären, weil sie das richtige Ergebnis nicht beeinflusst hätten … Vorschläge in der Literatur für eine objektive Abgrenzung von Ermittlung und Anwendung dürften schon deshalb wenig Aussicht auf Umsetzung haben, weil der BGH sich wahrscheinlich nicht die flexible Möglichkeit wird nehmen lassen wollen, argumentativ nicht überzeugende Urteile ebenso aufzuheben wie deskriptiv falsche“. 118 Z.B. BGH v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12, MDR 2013, 866 = FamRZ 2013, 1304 = NZI 2013, 763. 119 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = MDR 1987, 386 = NJW 1987, 1145 = RIW 1987, 215 = LM § 38 ZPO Nr. 26 = WM 1987, 273 (274) = IPRax 1988, 26 (Basedow 15) = EWiR 1987, 405 (R. Geimer) = IPRspr. 1986 Nr. 128b. 120 BGH v. 29.6.1987 – II ZR 6/87, MDR 1988, 123 = NJW 1988, 647.
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nicht, wenn der Richter das ausländische Recht nur in seinen „Grundlagen“ und nicht als Ganzes ermittelt hat.121 2618 An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist.122 Stimmt eine Norm des ausländischen Rechts mit einer Vorschrift des inländischen überein, ist sie gar von diesem Recht übernommen, wird es namentlich bei auch sonst verwandten Rechtsordnungen nicht selten nahe liegen, der ausländischen Bestimmung dieselbe Bedeutung wie der entsprechenden inländischen beizumessen.123 Zwingend ist dies freilich nicht, weil das ausländische Gesetz im Einklang mit der gesamten ausländischen Rechtsordnung auszulegen ist, so dass auch wörtlich übereinstimmende Normen zweier Rechtsordnungen nicht notwendig dieselben Rechtsfolgen haben müssen.124 Angesichts der vom Bundesgerichtshof abgelehnten Revisibilität ausländischen Rechts (§ 545 I ZPO n.F.; § 72 I FamFG; Rz. 2601) hängt der Erfolg der Revision in Auslandsfällen nach wie vor allein davon ab, ob die Verfahrensrüge der Verletzung des § 293 ZPO das Plazet des Bundesgerichtshofs findet oder nicht.
VII. Recht der Europäischen Union 2618a Für die Feststellung des in Deutschland geltenden primären und sekundären Unionsrechts gilt § 293 ZPO nicht.125
VIII. Keine Kostenvorschusspflicht 2619 Da ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln ist, darf keine Partei zum Kostenvorschuss aufgefordert werden. Geschieht dies dennoch, dürfen den Parteien durch die Nichtzahlung des angeforderten Vorschusses keine Rechtsnachteile entstehen.126
IX. Rechtstatsächliches – Foralpraxis praeter legem 2620 Es wird – ohne dass genaue rechtstatsächliche Untersuchungen vorliegen – die starke Vermutung geäußert, dass vor allem in untergerichtlichen Verfahren die
121 BGH v. 8.5.1992 – V ZR 95/91, NJW 1992, 3106 = RIW 1992, 673. 122 Vgl. etwa BGH v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1418 (1419) = NJW-RR 1991, 1211; BGH v. 21.1.1991 – II ZR 49/90, MDR 1991, 1151 = RIW 1991, 514 (Sommerlad 856) = IPRax 1992, 324 (Kronke 303) = LM § 293 ZPO Nr. 16 = WM 1991, 862 (863) = WuB VII A § 293 ZPO 2.91 (Thode) = IPRspr. 1991 Nr. 1b. 123 Fastrich, ZZP 97 (1984), 423 (430); BGH v. 4.2.1960, LM § 602 ZPO Nr. 1 = WM 1960, 374, 375 = IPRspr. 1960–1961 Nr. 4 unter Nr. 4; BGH v. 28.5.1971, WM 1971, 1094 (1095) = IPRspr. 1971 Nr. 2. 124 BGH v. 13.7.1959, NJW 1959, 1873 = LM § 549 ZPO Nr. 49 = WM 1959, 1110 = IPRspr. 1958–1959 Nr. 3. 125 Schütze, Wege zu einem europäischen Zivilprozessrecht, 1992, 93. 126 Schütze, DIZPR, 1985, 120.
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Anwendung ausländischen Rechts
Neunter Teil
Maßgeblichkeit ausländischen Rechts gar nicht in Erwägung gezogen oder sogar bewusst ignoriert wird. Schwimann spricht von einer Foralpraxis praeter legem.127 Bei Entscheidungen zum internationalen Schuldrecht wird oft erst in der Revisi- 2621 onsinstanz die Frage nach der maßgeblichen Rechtsordnung gestellt; zuvor war der gesamte Rechtsstreit in zwei Instanzen ohne weiteres Nachdenken nach deutschem Recht abgewickelt und entschieden worden. Der Bundesgerichtshof hat hier jeweils eine stillschweigende Wahl des deut- 2622 schen Rechts angenommen. Das ist jedoch bedenklich; denn von einer „Rechtswahl“ kann wohl dann nicht gesprochen werden, wenn den Parteien die kollisionsrechtliche Problematik überhaupt nicht bekannt war (Rz. 2573).
X. Europäisches Übereinkommen vom 7.6.1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht Das Europäische Übereinkommen vom 7.6.1968 betreffend Auskünfte über aus- 2623 ländisches Recht128 sieht nur eine Antwort auf abstrakte Rechtsfragen vor, nicht jedoch die Erstellung eines Gutachtens für den konkreten Rechtsstreit. Daher machen die deutschen Gerichte von den im Übereinkommen vorgesehenen Auskunftsmöglichkeiten nur sehr zurückhaltend Gebrauch.129
XI. Völkerrecht Völkerrecht ist kein ausländisches Recht i.S. von § 293 ZPO. Es gilt vielmehr 2624 der Grundsatz iura novit curia.130 Bei Zweifeln ist nach Art. 100 II GG zu verfahren (Rz. 2595).
XII. Völkerrechtliche Verpflichtung zur Anwendung ausländischen Rechts Ein Staat, der grundsätzlich nur eigenes Recht auf alle Sachverhalte „all over the 2625 world“ anwenden wollte, verstieße gegen das Völkerrecht (Rz. 168, s. aber auch Rz. 175, 271a).
127 Schwimann, ZfRV 1979, 216; Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, 1984, 2. 128 BGBl. II 1974, 938. 129 Einzelheiten bei Schellak, Selbstermittlung oder ausländische Auskunft unter dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen, 1998. 130 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 45 Fn. 108.
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Neunter Teil
Anwendung ausländischen Rechts
XIII. Exkurs I: Internationale Gerichte 2626 Völkerrechtliche Gerichte wenden nur Völkerrecht als Recht an. Sie beachten nationales Recht nur als Tatsachen.131
XIV. Exkurs II: Vorlage der Auslegungsfrage zum ausländischen Recht an das jeweilige ausländische Höchstgericht 2627 In der Literatur132 erörtert und von der Internationalen Vereinigung der Richter133 vorgeschlagen wurde ein Vorlageverfahren an das jeweilige nationale Höchstgericht des Staates, dessen Recht aus der Sicht des konkret angerufenen Gerichts maßgeblich ist. Ein solches Vorlageverfahren ist jedoch bisher nicht eingeführt worden. 2628–2629 Einstweilen frei
131 Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 330 Fn. 66. 132 Nachw. z.B. bei Jansen/Michaels, ZZP 116 (2003), 3 (49). 133 Resolution v. 24.9.1966, RabelsZ 32 (1968), 150.
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Zehnter Teil: Durchführung in Deutschland anhängiger Verfahren mit Auslandsberührung I. Überblick Steht fest, dass für einen konkreten Rechtsstreit die Gerichtsbarkeit (Rz. 371 ff.) 2630 und die internationale Zuständigkeit Deutschlands (Rz. 844 ff.) zu bejahen ist, dann ist der Prozess grundsätzlich nach der deutschen lex fori durchzuführen (Rz. 319). Gleichwohl ergeben sich bei Auslandsberührungen eine Reihe von Abgrenzungsfragen, die – soweit sie nicht bereits in den voranstehenden Kapiteln abgehandelt worden sind – im Folgenden kurz skizziert werden sollen.
II. Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte Allein das deutsche Recht regelt die Verteilung der staatlichen Aufgaben zwi- 2631 schen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Ob in concreto eine Verwaltungsangelegenheit oder eine Rechtsprechungsaufgabe gegeben ist, entscheidet nicht die ausländische lex causae, sondern das deutsche Recht.
III. Aufteilung unter die verschiedenen Gerichtsbarkeiten Das Gleiche gilt für die Aufteilung der Rechtsprechungsaufgaben auf die einzel- 2632 nen Gerichtsbarkeiten. Deshalb befindet z.B. das deutsche Recht darüber, ob ein konkreter Fall in den Bereich der streitigen oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört, vgl. z.B. früher die „Zweispurigkeit“ bei der Ehelichkeitsanfechtung (§ 1599 BGB) und im Vaterschaftsfeststellungsprozess (§ 1600d BGB): Entscheidung im Zivilprozess (streitige Gerichtsbarkeit), wenn beide Parteien (Vater und Kind) (noch) leben; jedoch Zuweisung an die freiwillige Gerichtsbarkeit nach Tod von Vater oder Kind.1 Seit 1.9.2009 wurde durch das FamFG (§§ 169 ff.) diese Verfahrensdiversität beseitigt.
IV. Besondere Formen des Zivilprozesses Ob und wie ein Anspruch im Wechsel- bzw. Scheckprozess geltend gemacht 2633 werden kann, entscheidet nicht die lex causae, sondern die deutsche lex fori.2 Diese bestimmt auch über die Beschränkung der Beweismittel (Rz. 2329). Das Gleiche gilt auch für das Mahnverfahren. § 688 I ZPO n.F. lässt – im Interesse der elektronischen Datenverarbeitung – das Mahnverfahren nur mehr für An1 § 1600e II BGB, §§ 55b, 56c FGG; KG v. 5.11.1997 – 3 U 4564/97, FamRZ 1998, 382 (betr. Restitutionsverfahren). S. auch Siehr in MüKo.BGB4, Art. 19 EGBGB Rz. 54. 2 LG Mainz v. 13.12.1974, WM 1975, 149 = IPRspr. 1974 Nr. 27; BGH v. 7.12.1981 – II ZR 187/81, MDR 1982, 297 = IPRax 1982, 189, s. auch Rz. 2299 und Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 150 Fn. 52.
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Zehnter Teil
In Deutschland anhängige Verfahren
sprüche auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme in Euro zu.3 Welche Prozesse als Ehesachen (§ 121 FamFG) bzw. als Abstammungssachen (§ 169 Nr. 1 und Nr. 4 FamFG) oder als Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 I Nr. 1 und Nr. 2 FamFG) im Statusverfahren zu entscheiden sind, bestimmt allein das deutsche Recht. 2634 Dies schließt nicht aus, die deutschen Verfahrensvorschriften so auszulegen, dass Streitgegenstände, die als solche dem deutschen Recht nicht bekannt sind, unter diese besonderen Verfahrensarten zu subsumieren sind. So ist z.B. anerkannt, dass die Klage auf Trennung von Tisch und Bett (die das deutsche materielle Recht nicht mehr kennt) im Statusverfahren nach § 121 FamFG zu erheben ist.4
V. Klagearten 2635 Die Art und Weise der Rechtsschutzgewährung fällt in den „Zuständigkeitsbereich“ der lex fori.5 So beurteilt sich die Zulässigkeit einer Klage auf künftige Leistung (§ 259 ZPO) nach der deutschen lex fori, nicht nach der lex causae.6 Das Gleiche gilt für Stufenklagen.7 2636 Auch die Zulässigkeit von Feststellungsklagen8 richtet sich nach deutschem Recht9 (Rz. 985). Etwas anderes gilt jedoch für die Zulässigkeit der Vaterschaftsfeststellungsklage. Hierüber befindet die lex causae. 3 Dies verstößt nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV, EuGH v. 29.10.1980 – Rs. C-22/80 – Boussac Saint-Frères/Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427 = RIW 1981, 486, s. Rz. 246t. Zur Geltendmachung von Fremdwährungsforderungen im Mahnverfahren BGH v. 5.5.1988 – VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268 = MDR 1988, 852 = NJW 1988, 1964 = RIW 1988, 736 = WM 1988, 1032 = IPRax 1989, 293 (Hanisch 276). 4 Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 20. 5 Unberührt bleibt die unionale Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihr Verfahren so zu gestalten, dass das Recht der Europäischen Union effizient angewandt wird. Hierzu u.a. z.B. M. Stürner, Effektivität des europäischen Kollisionsrechts und nationales Verfahrensrecht, in FS R. Stürner, 2012, 1071. 6 Diese beantwortet lediglich die materiell-rechtliche Frage, ob ein Anspruch auf künftige Leistung besteht. 7 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 2, 19; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 9; Beispiele: AG Düsseldorf v. 4.7.1995 – 266 F 2282/92, IPRspr. 1995 Nr. 64; OLG Frankfurt v. 9.4.1998 – 15 U 58/97, RIW 1998, 807 = VersR 1999, 1428 = IPRspr. 1998 Nr. 22. 8 Zu den dogmatischen Schwierigkeiten des Common Law, wo money judgments im Vordergrund stehen, z.B. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, Rz. 198. 9 Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 297 Fn. 36; Schack, BerDGVR 32 (1992) 335 (340). A.A. Niederländer, RabelsZ (1955) 50; Grunsky, ZZP 89 (1976), 258; Böhm in FS Fasching, 1988, 117; KG v. 16.5.1968 – 8 U 218/68, FamRZ 1968, 646 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 78. Lässt die lex causae die Klage auf Feststellung von Tatsachen zu, so ist dies für den deutschen Richter unbeachtlich. Umgekehrt gilt das Gleiche: Kennt die lex causae die Feststellungsklage nicht oder nicht in dem Umfang wie das deutsche Recht, so kann gleichwohl gem. § 256 ZPO eine Feststellung begehrt werden. A.A. Niederländer, RabelsZ 50 (1955), 50; Grunsky, ZZP 89 (1976), 258 Fn. 58. Nachw. bei Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR, 1969, 177 Fn. 30. Ob
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In Deutschland anhängige Verfahren
Zehnter Teil
Die Zulässigkeit einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage vor deutschen Ge- 2637 richten10 beurteilt sich nach der lex fori,11 ihre Begründetheit nach der lex causae.12 Ob eine richterliche Rechtsgestaltung notwendig ist, bestimmt die lex causae. 2638 Die Durchführung des Klageverfahrens vor dem deutschen Gericht erfolgt jedoch wieder nach der lex fori. Beispiele: Während nach §§ 119 ff. BGB eine durch Irrtum, Täuschung oder Drohung beeinflusste Willenserklärung durch eine Anfechtungserklärung (§ 142 BGB) vernichtet wird, bedarf es nach französischem Recht einer Anfechtungsklage (action en nullité, Art. 1304 C.c.).13
Bei Nichterfüllung des gegenseitigen Vertrages hat der vertragstreue Vertragspartner ein Rücktrittsrecht, §§ 323, 324, 326 V BGB; nach französischem Recht muss er eine Klage auf Auflösung des Vertrages erheben, Art. 1184 C.c.14 Ebenso Art. 1668, 2226 II ital. Codice civile. Aufrechnung und Verjährung (Rz. 351) können bei Maßgeblichkeit englischen 2639 oder US-amerikanischen Rechts nicht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eingewandt werden. Es muss der Richter eingeschaltet werden.15 Aus deutscher Sicht handelt es sich hierbei nicht um die Anwendung ausländischen Prozessrechts, sondern ausländischen materiellen Rechts, dessen Anwendung das deutsche internationale Privatrecht gebietet (vorbehaltlich Rück- oder Weiterverweisung). Zum vom Kollisionsrecht gesteuerten Aufrechnungsstatut (Art. 17 Rom I-VO, Rz. 868b) zählt z.B. auch das Erfordernis der „Entscheidungsreife“ in Art. 1243 ital. Codice civile, obwohl dieses evident der Verfahrensbeschleunigung dient und damit „eigentlich“ in den Anwendungsbereich der lex fori fiele, Rz. 325. Gleichwohl wird dieser Komplex materiell-rechtlich qualifiziert.16
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ein Feststellungsinteresse gegeben ist, beurteilt sich nach der lex fori, Riezler, IZPR, 1949, 133; Schnorr v. Carolsfeld in FS Lent, 1956, 252 Fn. 33a g.E.; Müller-Freienfels, JZ 1957, 148; kritisch Birk, a.a.O.,180 und H. Roth in FS Stree/Wessels, 1993, 1058. Zur internationalen Zuständigkeit nach EuGVÜ bzw. nach der EuGVVO s. die (erledigte) Vorlage zum EuGH durch BGH v. 17.3.1994 – I ZR 304/91, MDR 1995, 282 = AfP 1994, 288 = RIW 1994, 591, 678 = EWS 1994, 215 (Mankowski 305) = GRUR 1994, 530 = GRUR Int 1994, 762, 963 = IPRspr. 1994 Nr. 138. Böhm in FS Fasching, 1988, 121. A.A. Schack, BerDGVR 32 (1992), 335 sowie LG Frankfurt/M. v. 22.4.1994 – 2/19 O 235/91, NJW-RR 1994, 1493 = JbItR 8 (1995), 246 = IPRspr. 1994 Nr. 48. Weitere Nachw. bei Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003. Hierzu Klein, Die Unwirksamkeit von Verträgen nach französischem Recht, 2009. Ebenso Art. 1427 Codice civile und Art. 1485, 1357 des niederl. Burgerlijke Wetboek; OLG Oldenburg v. 5.11.1975, IPRspr. 1975 Nr. 15. Zur Zurückdrängung des Grundsatzes der richterlichen Vertragsauflösung Cour de cassation (1. Chambre civile) v. 20.2.2001, Bull. Civ. I Nr. 40 = D 2001 Jur 1568 (Jamin) = RIW 2002, 866 (869). Kegel, IPRax 1983, 23; W. J. Habscheid, ZfRV 1985, 308; R. Geimer, IPRax 1986, 210. BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 366/13, WM 2014, 1509 = GWR 2014, 301 (Berg); OLG Düsseldorf v. 28.5.2004, IHR 2004, 203 (208).
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2640 Nach englischem Recht ist eine bigamische Ehe ohne Weiteres nichtig. Einer Aufhebungsklage (§ 1314 I BGB)17 bedarf es nicht.18 Bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Verlobten (Art. 13 EGBGB) sind auf die Wirksamkeit der Eheschließung beide Rechtsordnungen kumulativ anzuwenden. Es gilt der „Grundsatz des ärgeren Rechts“. Liegt nach einer Rechtsordnung eine Nichtehe vor bzw. eine nichtige Ehe, auf deren Nichtigkeit sich jedermann – ohne/vor Durchführung eines (gerichtlichen) Nichtigkeits- bzw. Aufhebungsverfahrens – berufen kann, so ist es unerheblich, welchen Standpunkt die andere Rechtsordnung einnimmt.19 2640a Ähnlich war es vor der Reform des deutschen Kindschaftsrechts bei der Geltendmachung der Nichtehelichkeit eines Kindes ohne Durchführung eines besonderen gerichtlichen Verfahrens.20 2640b Die Erbunwürdigkeit tritt nach französischem Recht (Art. 272 C.c.) eo ipso ohne Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens ein (anders §§ 2340, 2342 BGB).21 2641 Gegen die Zulässigkeit der Rechtsgestaltung durch den deutschen Richter aufgrund ausländischen Rechts lässt sich nicht mit dem Hinweis auf den numerus clausus der Gestaltungsurteile argumentieren. Denn das deutsche internationale Privatrecht bestimmt ja die Anwendbarkeit der ausländischen Norm, welche die Rechtsgestaltung durch den Richter vorsieht.22 2641a Art. 17 II EGBGB begründet – unabhängig von der maßgeblichen lex causae23 – ein Scheidungsmonopol der deutschen Gerichte auch bei ausländischem Scheidungsstatut. Daher ist eine Scheidung von Ausländern in Deutschland durch Rechtsgeschäft aus deutscher Sicht nicht wirksam; anerkannt wird aber eine ausschließlich im Ausland vollzogene Privatscheidung,24 sofern hierfür die Vo-
17 Früher Nichtigkeitsklage, § 23 EheG. 18 LG Hamburg v. 16.5.1973, FamRZ 1973, 602 = IPRspr. 1973 Nr. 34 (zulässig jedoch eine nach der deutschen lex fori zu beurteilende Feststellungsklage). 19 Die Klagebefugnis (insbes. Dritter) richtet sich nach der lex causae. Dies gilt jedoch nicht für die Klagebefugnis des Staatsanwalts bzw. der in § 1316 I Nr. 1 BGB vorgesehenen, durch Landesverordnung bestimmten Verwaltungsbehörde, Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 115. Vgl. auch Rz. 3064. 20 Zöller/Geimer, ZPO30, § 100 FamFG Rz. 17; AG Hamburg v. 16.9.1983 – 60 III 265/82, DAVorm 1983, 748 = IPRspr. 1983 Nr. 76; KG v. 16.3.1983 – 3 U 693/82, IPRax 1984, 42 = IPRspr. 1983 Nr. 77; BGH v. 15.2.1984 – IVb ZB 701/81, BGHZ 90, 129 = NJW 1984, 1299 = FamRZ 1984, 576 = MDR 1984, 563 = IPRax 1986, 35 (Klinkhardt 21) = IPRspr. 1984 Nr. 96. 21 Schlechtriem, Ausländisches Erbrecht im deutschen Verfahren, 1966, 89. 22 IPG 1975 Nr. 39 (München) – Herabsetzungsklage, Art. 522, 525 Schweizer ZGB; IPG 2007/2008 Nr. 42 Rz. 43 (Freiburg). Vgl. auch Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht – Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 EGBGB Rz. 846. 23 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 17. 24 Vorbehaltlich Art. 6 EGBGB. Allerdings soll – bei Maßgeblichkeit eines ausländischen Scheidungsstatuts (Art. 5 ff. Rom III-VO, früher Art. 17 EGBGB) – allein die Einseitigkeit der Scheidungserklärung (Verstoßung, talaq) durch den Ehemann als solche nicht gegen den deutschen ordre public verstoßen. Jedoch sei der verfahrensrechtliche ordre public unter dem Gesichtspunkt des (fehlenden) rechtlichen Gehörs der Ehefrau verletzt, wenn diese von der Verstoßungsabsicht des Ehemanns keine Kenntnis erlangt
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Zehnter Teil
raussetzungen des nach Art. 5 ff. Rom III-VO maßgeblichen ausländischen Rechts eingehalten sind.25 Unwirksam ist aber aus deutscher Perspektive eine im Ausland durchgeführte rechtsgeschäftliche Scheidung (z.B. durch Verstoßung bzw. Übergabe des Scheidebriefs) mit oder ohne Mitwirkung einer ausländischen staatlichen Behörde, eines Notars oder einer religiösen Instanz,26 sofern nach internationalem Privatrecht27 (Art. 5 ff. Rom III-Verordnung) deutsches Recht als Scheidungsstatut maßgeblich ist.28 Denn dieses verlangt Scheidung durch Richterspruch, § 1564 Satz 1 BGB, Art. 17 II EGBGB. Ein Verbot der révision au fond (Rz. 2910) mit der Folge einer nur auf den ordre public beschränkten Sachprüfung kommt nicht in Betracht, weil § 109 FamFG auf Privatschei-
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hat und sie auch im Nachhinein mit der Scheidung nicht einverstanden war, OLG-Präsidentin Frankfurt/M. v. 22.3.2004, StAZ 2004, 367 = IPRspr. 2004 Nr. 4. Für Anwendung des ordre public jedoch schon wegen limitierterer Scheidungsmöglichkeiten der Ehefrau OLG Hamm v. 11.10.2010 – II-6 UF 59/10, 6 UF 59/10, FamRZ 2011, 1056 = IPRspr. 2010 Nr. 97. Zur talaq-Scheidung, ausgesprochen durch die Ehefrau aufgrund Vollmacht des Ehemanns, unwiderruflich erteilt bereits bei Eheschließung, OLG Hamm v. 7.5.2013 – II-3 UF 267/12, 3 UF 267/12, NJOZ 2013, 1524 (1528 sub C IV 1, 2). Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 48; auch bei Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2008. BGH v. 2.2.1994 – XII ZR 148/92, NJW-RR 1994, 642 = FamRZ 1994, 434 (435) = MDR 1994, 690 = IPRax 1995, 111 (Henrich 86) = LM Art. 17 EGBGB Nr. 6 (R. Geimer) = IPRspr. 1994 Nr. 77; BayObLG v. 7.4.1998 – 1Z BR 16/98, BayObLGZ 1998, 103 (106) = FamRZ 1998, 1594 = IPRspr. 1998 Nr. 71; OLG Braunschweig v. 19.10.2000 – 2 W 148/00, FamRZ 2001, 561 (Gottwald) = IPRspr. 2000 Nr. 168. Sehr großzügig OLG-Präsidentin Frankfurt/M. v. 19.11.2001 – 346/3 - I/4 - 89/99, StAZ 2003, 137 = IPRspr. 2002 Nr. 203. Zur Rabbinatsscheidung R. Geimer, LM Art. 17 EGBGB 1986 Nr. 6; Hirschfeld, Die Anwendung von Get Statutes und die Anerkennung von auf Get Statutes beruhenden ausländischen Urteilen in Deutschland, 2006; Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 50 und § 107 FamFG Rz. 27. Ebenso schon vor der IPR-Reform 1986 die Rspr. des BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 = NJW 1982, 517 = FamRZ 1982, 44 = MDR 1982, 126 = IPRax 1983, 37, 38 (Kegel 22) = IPRspr. 1981 Nr. 192 und BGH v. 21.2.1990 – XII ZB 203/87, BGHZ 110, 267 = NJW 1990, 2194 = MDR 1990, 624 = FamRZ 1990, 607 = IPRspr. 1990 Nr. 216: § 1564 Satz 1 BGB habe verfahrensrechtlichen Gehalt insoweit, als er ein gerichtliches Verfahren vorschreibe. Die deutsche lex fori bestimme nicht nur, in welcher Form ein eingeleitetes Verfahren abläuft, sondern auch, ob und welches Verfahren im Inland zur Verfolgung eines bestimmten rechtlichen Ziels beschritten werden muss. Wäre die verfahrensrechtliche Qualifikation richtig, könnten deutsche Eheleute den Scheidungsprozess durch rechtsgeschäftliche Scheidung im Ausland (z.B. Thailand) ersetzen. A.A. Kegel, IPRax 1983, 23. Dies ist nach der vorherrschenden Meinung auch dann der Fall, wenn das maßgebliche Scheidungsstatut in Anwendung von Art. 17 I EGBGB (es kommt auf den Zeitpunkt der Scheidungserklärung an) mangels Anknüpfungspunkten gem. Art. 14 I Nr. 1 – Nr. 3 EGBGB nicht festgestellt werden kann. Es ist dann vom deutschen Recht auszugehen, welches eine Privatscheidung verbietet, Rz. 2600. Direkt auf das deutsche Recht zusteuernd KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (842) = IPRspr. 2001 Nr. 193.
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dungen nicht anzuwenden ist.29 Maßgeblich ist vielmehr der IPR-approach über Art. 5 ff. Rom III-Verordnung. Betroffen von der unbeschränkten Durchsetzung des § 1564 Satz 1 BGB sind nicht nur Ehen zwischen deutschen Staatsangehörigen, sondern auch deutsch-ausländische Ehen30 und Ehen zwischen Ausländern mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten und gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, für die gem. Art. 5 ff. Rom III-Verordnung deutsches Recht als Scheidungsstatut maßgeblich ist.
VI. Klagefristen 2642 Nach h.M. sind die Fristen31 für statusverändernde Klagen in Ehe-, Lebenspartnerschafts-, Abstammungs- und Erbschaftssachen materiell-rechtlich zu qualifizieren, mit der Folge, dass bei ausländischem Statut wegen Ablaufs der Frist im Inland die Klage aussichtslos ist, obwohl bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts die Frist noch nicht abgelaufen wäre. Beispiele: Nach Art. 119 des türkischen ZGB beträgt die Frist zur Anfechtung der Ehe ein halbes Jahr.32 Nach griechischem Recht endet die Frist für die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes nach Eintritt der Volljährigkeit, Art. 1469 Satz 1 Nr. 3, 1470 Nr. 3 griechisches ZGB.33 Die Abweichung von der Zweijahresfrist des § 1600b BGB ist nicht ordre publicwidrig, auch nicht die Sechsmonatsfrist des tschechischen Rechts.34 Der ordre public (Art. 6 EGBGB) ist jedoch verletzt, wenn die lex causae nur dem Ehemann (= Scheinvater), nicht aber dem Kind eine Anfechtungsmöglichkeit gibt.35
Dies gilt jedoch nur, sofern die Klage- bzw. Antragsfristen (vorwiegend) einen materiell-rechtlichen „Hintergrund“ haben. Anders ist es jedoch, wenn die ratio legis auf verfahrensökonomischen Erwägungen basiert, z.B. die Regel, dass Scheidungsunterhalt nur im Verbund mit dem Scheidungsantrag und nicht mehr später in einem eigenen Verfahren geltend gemacht werden kann.36
29 BGH v. 2.2.1994 – XII ZR 148/92, NJW-RR 1994, 642 = FamRZ 1994, 434 = MDR 1994, 690 = IPRax 1995, 111 (Henrich 86) = LM Art. 17 EGBGB Nr. 6 (R. Geimer) = IPRspr. 1994 Nr. 77; Zöller/Geimer, ZPO30, § 107 FamFG Rz. 25. 30 BGH v. 2.2.1994 – XII ZR 148/92, NJW-RR 1994, 642 = FamRZ 1994, 434, 435 = MDR 1994, 690 = IPRax 1995, 111 (Henrich 86) = LM Art. 17 EGBGB Nr. 6 (R. Geimer) = IPRspr. 1994 Nr. 77. 31 Übersicht über die verschiedenen Arten der Klagefristen aus der Sicht des deutschen Rechts z.B. bei Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO4, Rz. 115 ff. vor § 253. 32 Hierzu z.B. AG Lüdenscheid v. 23.12.1997 – 5 F 197/94, NJW-RR 1998, 866 = FamRZ 1999, 441 = IPRspr. 1997 Nr. 65. 33 AG Waldkirch v. 29.3.1985 – 1 C 251/84, IPRspr. 1985 Nr. 81. 34 BGH v. 20.6.1979 – IV ZR 106/78, BGHZ 75, 33 (43) = MDR 1980, 42 = IPRspr. 1979 Nr. 83. 35 OLG Nürnberg v. 30.10.1985 – 4 U 1705/84, NJW-RR 1986, 301 = IPRspr. 1985 Nr. 84 (Rz. 1954). 36 Dann ist die lex fori maßgeblich.
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VII. Präklusionsvorschriften Die Prozessförderungspflicht der Parteien (§ 282 ZPO) ist unabhängig davon, ob 2643 in der Sache deutsches oder ausländisches Recht zur Anwendung kommt: Verspäteter Tatsachenvortrag ist auch bei ausländischer lex causae nach der deutschen lex fori (§§ 296, 531 ZPO) zurückzuweisen. Ist das Vorbringen nach deutschem Recht rechtzeitig, so ist es zu berücksichtigen, auch wenn es nach den Regeln der lex causae verspätet ist.37
VIII. Streitgegenstand Der Streitgegenstand wird nicht durch die kollisionsrechtliche Einordnung be- 2644 grenzt.38 Wird in Frankreich Klage aus einem Vertrag erhoben und behauptet, dieser unterstehe französischem Recht, so ist Identität des Streitgegenstandes gegeben und französische Rechtshängigkeit zu beachten,39 wenn aus dem gleichen Vertrag in Deutschland geklagt wird, aber mit der Behauptung, Vertragsstatut sei deutsches Recht. Ebenso ist es auch bei deliktischen Klagen etc., anders aber im Hinblick auf das Territorialitätsprinzip bei inhaltsgleichen, aber in verschiedenen Staaten registrierten gewerblichen Schutzrechten.40
IX. Urteilsgegenstand Gleiches gilt für den Urteilsgegenstand. Dem widersprechen allerdings die An- 2645 hänger der Lehre von der kollisionsrechtlichen Relativität der Rechtskraft. Diese lässt sich wie folgt skizzieren.41 Hat ein deutsches Gericht eine bestimmte Rechtsordnung angewendet, so be- 2646 grenzt dies seinen Ausspruch. Das Gericht hat lediglich das Rechtsverhältnis nach der im Forumstaat zur Zeit des Urteilserlasses anzuwendenden Rechtsordnung beurteilt. Wird in einem neuen Verfahren die gleiche Frage vorfragenweise beurteilt und wird darauf – was vor allem bei unselbständiger Vorfragenanknüpfung der Fall sein kann – eine andere Rechtsordnung als im Vorprozess angewendet, so steht die Rechtskraft eines früheren Urteils einer anderen Beurtei-
37 Deshalb hat z.B. das LAG München v. 22.8.1990 – 8 Sa 766/83, IPRax 1992, 97 (100) (Däubler 82) = IPRspr. 1991 Nr. 62 in einem Kündigungsschutzprozess gegen einen in Italien domizilierten Arbeitgeber zu Recht Art. 416 I codice di procedura civile nicht angewandt. (Nach dieser Vorschrift müssen alle Einwendungen, die nicht von Amts wegen zu beachten sind, bereits in der Klageerwiderung vorgebracht werden.). 38 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 386. 39 Art. 21 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 27 EuGVVO. 40 S. auch Schack, Die grenzüberschreitende Durchsetzung gemeinschaftsweiter Schutzrechte, in FS Rolf Stürner, 2013, 1337. 41 Nachw. bei Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen v. 27.9.1968, 1992, 249; Kropholler, IPR6, § 32 V, § 60 VI 2; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 126.
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lung nicht entgegen.42 Mithin wird die inländische Rechtskraft relativiert, soweit eine Vorfrage ausländischem Kollisionsrecht unterstellt wird.43 Diese Problematik wird vorwiegend anlässlich der Wiederheirat nach einer Ehescheidung erörtert. 2647 Vice versa ist man der Auffassung, die materielle Rechtskraft eines ausländischen Scheidungsurteils werde durch das angewandte Recht relativiert: Maßgeblich sei die vom Erstgericht zugrunde gelegte Rechtsordnung, da das Urteil auf ihrer Basis gesprochen wurde. Die Anerkennung der Rechtskraft eines Scheidungsurteils bedeute mithin nur eine Bindung an die in dem Urteil getroffene Feststellung, dass nach dem vom Erstgericht angewandten Recht ein Gestaltungsgrund vorgelegen habe. Ist aber nach deutscher (= zweitstaatlicher) Auffassung ein anderes Recht maßgebend, so soll die Rechtskraft nicht entgegenstehen.44 2648 Die res iudicata-Wirkung eines Urteils ist danach „nur eine Feststellung der Rechtslage in dieser Rechtsordnung und für die Rechtsordnung des Forumstaates“ (Wengler). Stellt sich die vom ausländischen Gericht entschiedene Frage (Feststellung einer konkreten Rechtsfolge) in einem anderen Zusammenhang als Vorfrage, so kommt dem Urteil Rechtskraft nur insoweit zu, als sie nach demselben Recht zu beantworten ist, nach dem sie im Forumstaat (als Hauptfrage) durch das ausländische Gericht beantwortet worden ist.45 Beispiel: Scheidung von Italienern in London nach englischem Recht. Über die Zulässigkeit der Wiederholung der Scheidungsklage vor einem deutschen Gericht befindet das nach deutschem internationalem Privatrecht in der Hauptsache anzuwendende italienische Recht; entscheidend sei, ob es die englische Scheidung anerkennt. Wenn nein, könnte und müsste im Inland nochmals geschieden werden.46
2649 Eigenartigerweise wird die Diskussion über die kollisionsrechtliche Relativität (nur) zur res iudicata-Wirkung, nicht zur Gestaltungswirkung geführt. Entscheidend ist der Gedanke, dass das Urteil – losgelöst von der zugrunde gelegten Rechtsordnung – aufgrund des richterlichen Imperiums eine endgültige Feststellung/Gestaltung der Rechtslage trifft. Anders ist die Verbindlichkeit des Fehlurteils nicht erklärbar. Dies gilt auch internationalrechtlich. Selbst wenn die IPR-Systeme aller Staaten der Erde vereinheitlicht wären, wäre es durchaus möglich, dass der Erstrichter infolge falscher Rechtsanwendung oder falscher Tatsachenfeststellung eine (unrichtige) Anknüpfung wählt.
42 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 388; Wengler, JZ 1964, 622; Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 49; Hoyer, Die Anerkennung ausländischer Ehescheidungen in Österreich, 1972, 42. 43 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR2, 295, 349. 44 Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 183, 207. 45 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, 389. 46 Hausmann, a.a.O., 183. Ablehnend auch Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 390.
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X. Gerichtssprache Es gilt die lex fori;47 die Gerichtssprache ist in Deutschland deutsch, § 184 GVG.48 2650 Fremdsprachler haben keinen Anspruch auf Übersetzung der deutschen Beschlüsse und Entscheidungen.49 Eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks sieht das autonome deutsche Recht nicht vor, auch nicht bei Zustellung nach § 183 I ZPO oder nach § 184 ZPO (Rz. 2136b); ebenso keine Rechtsmittelbelehrung.50 Fehlende Sprachkenntnisse können Auswirkungen auf die Handhabung des deutschen Prozessrechts haben. So kann bei einem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht beherrscht und die deutschen Verhältnisse nicht kennt, die Versäumung einer Rechtsmittelfrist auf unabwendbarem Zufall (§ 233 ZPO) beruhen.51 Der Bundesgerichtshof verlangt aber auch von Ausländern, dass sie sich unverzüglich über den Inhalt des in deutscher Sprache verfassten Schriftstücks informieren, insbes. sich über Rechtsmittel- und Wiedereinsetzungsmöglichkeiten erkundigen.52 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) kann verletzt sein, wenn 2650a schriftliche Erklärungen von Zeugen (§ 377 III ZPO) in einer fremden, den Prozessbeteiligten nicht geläufigen Sprache erst in der Berufungsverhandlung oder am Tag davor bei Gericht vorgelegt werden und einer Partei die zur Überprüfung der beigegebenen Übersetzung beantragte Schriftsatznachfrist versagt wird.53 Rechtsmittel müssen nach h.M. immer in deutscher Sprache eingelegt werden. 2651 Die Gerichte können erwarten, in deutscher Sprache angegangen zu werden. Sie sollen nicht gezwungen sein, zunächst Übersetzungen zu veranlassen, um Eingaben sachgerecht bearbeiten zu können. Die h.M. hält eine in fremder Sprache
47 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 43; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 81. 48 In den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung darf vor Gericht sorbisch gesprochen werden, Anlage I des Einigungsvertrages (Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III 1r). Anders als vor den Zivilgerichten können sich EU-Bürger vor deutschen Sozial- und Verwaltungsgerichten im Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 nach deren Art. 84 IV einer Amtssprache der EU bedienen; hierzu Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 646. 49 Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 205; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 23; § 98 FamFG Rz. 24a. 50 BGH v. 22.11.1995 – XII ZB 163/95, NJW-RR 1996, 387 = FamRZ 1996, 347 (kritisch Bachmann 1276) = IPRspr. 1995 Nr. 164. Zur Notwendigkeit der Übersetzung G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 89 ff., 119, 240, 279 m.w.N. 51 BGH v. 23.3.1977, VersR 1977, 646 = IPRspr. 1977 Nr. 144. S. auch R. Geimer, ZfRV 1992, 328 und zum Strafprozess BayObLG v. 13.12.1995 – 4St RR 263/95, NJW 1996, 1836 (Zustellung der Ladung an der deutschen Sprache unkundigen Ausländer). 52 BGH v. 22.11.1995 – XII ZB 163/95, NJW-RR 1996, 387 = FamRZ 1996, 347 (Bachmann 1276) = IPRspr. 1995 Nr. 164. 53 BGH v. 16.5.1977, WM 1977, 948 = IPRspr. 1977 Nr. 137. S. auch vice versa zu § 142 III ZPO BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = IPRax 1997, 335 (Schack 318) = BB 1997, 1642 = ZIP 1996, 2031 (2032) = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 194.
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abgefasste Eingabe für unwirksam und unbeachtlich54, nicht nur für unzulässig.55 Doch ist sehr fraglich, ob dieser rigide Standpunkt mit Art. 103 GG und Art. 6 EMRK vereinbar ist.56 2652 Das in Art. 6 III lit. e EMRK gewährleistete Recht auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers gilt nicht für den Zivilprozess57, auch wenn Streitgegenstand eine unerlaubte Handlung ist, die den Tatbestand einer strafbaren Handlung oder Ordnungswidrigkeit erfüllt. Der Beklagte ist kein Angeklagter i.S. von Art. 6 III EMRK.58 Maßgebend ist allein § 185 GVG.59 Die vorsorgliche Beiziehung eines Dolmetschers liegt im Ermessen des Gerichts.60 Stellt sich aber in der mündlichen Verhandlung heraus, dass dies überstürzt war, weil alle Beteiligten Deutsch sprechen, sind die Kosten niederzuschlagen.61 2652a Der Anwendungsbereich des § 184 GVG erfasst die Verhandlung, die schriftliche Kommunikation des Gerichts mit den Parteien sowie die Abfassung seiner Entscheidungen sowie die Schriftsätze der Parteien, nicht jedoch die Überzeugungsbildung des Gerichts über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Prozessvoraussetzungen im Wege des Freibeweises. Deshalb kann das Gericht z.B. fremdsprachige Urkunden gem. § 142 III ZPO verwerten, ohne eine Übersetzung anfertigen lassen zu müssen.62
XI. Abänderungsverfahren 2653 Logische Voraussetzung für die Abänderung eines ausländischen Titels durch ein deutsches Gericht ist, dass dieser im Inland anzuerkennen ist.63 Nach herrschender Meinung muss die lex causae die Abänderung zulassen64; es kommt wegen der engen Verflechtung mit dem materiellen Unterhaltsrecht also grund-
54 OLG München v. 3.9.1940, HRR 1941 Nr. 46 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 626; KG v. 8.10.1985 – 1 W 3483/85, OLGZ 1986, 125 = MDR 1986, 156 = IPRspr. 1985 Nr. 127. 55 So aber OLG Koblenz v. 14.6.1978, FamRZ 1978, 714 = IPRspr. 1978 Nr. 131: Eine unter Missachtung des § 184 GVG in einer fremden Sprache verfasste Beschwerdeschrift (z.B. nach § 621e ZPO) entbehrt der gebotenen Form und führt zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. 56 Kritisch R. Geimer, NJW 1989, 2204 im Hinblick auf Art. 103 GG. S. auch Leipold in FS Matscher, 1993, 291. 57 Zur Erstattungsfähigkeit von Übersetzungskosten OLG Frankfurt v. 31.7.1980 – 20 W 397/80, RIW 1980, 803 = MDR 1980, 58 = IPRspr. 1980 Nr. 180. 58 EGMR v. 21.2.1984 – Fall Öztürk, NJW 1985, 1273. Vgl. auch BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462. 59 Hierzu z.B. Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 206. Zur Heilung eines Verstoßes durch das Rechtsmittelgericht OLG Hamm v. 7.5.2013 – II-3 UF 267/12, 3 UF 267/12, NJOZ 2013, 1524 (1526 sub C II). 60 Kissel/Mayer, GVG4, § 185 Rz. 5. 61 LAG Hamm v. 26.9.1985 – 8 Ta 242/85, MDR 1986, 172 = IPRspr. 1985 Nr. 195. 62 OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 (237) = IPRspr. 1996 Nr. 23b. 63 Kartzke, NJW 1988, 106; AG Langen v. 24.7.1987 – 11 F 10/87, IPRspr. 1987 Nr. 71. 64 OLG Düsseldorf v. 3.11.1981 – 6 UF 79/81, FamRZ 1982, 631 = IPRax 1982, 152; OLG Nürnberg v. 3.7.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, 353 = IPRspr. 1995 Nr. 173; Nagel/
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sätzlich nicht auf die deutsche lex fori (§ 323 ZPO; §§ 238 ff. FamFG) an, sondern auf das Unterhaltsstatut. Einleuchtender ist jedoch die verfahrensrechtliche Qualifikation.65 Zulässigkeit, Voraussetzungen und Umfang der Abänderung ausländischer Unterhaltsentscheidungen sind auch bei ausländischem Unterhaltsstatut nach § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG zu beurteilen.66 Irrelevant ist die Haltung des ausländischen Urteilsstaates (dessen Entscheidung abgeändert werden soll) zur Frage der prinzipiellen Abänderbarkeit. Die Abänderungsklage bzw. das FamFG-Beschlussverfahren ist – wenn um Rechtsschutz in Deutschland nachgesucht wird – auch dann der richtige Rechtsbehelf, wenn die lex causae eine Nachforderungsklage vorsieht.67 Die Abänderungsklage auf Erhöhung des im ausländischen Titel festgesetzten 2654 Betrages kann – entgegen der h.M.68 – mit der Klage aus § 722 ZPO verbunden werden. Der Einwand, die im Ausland titulierte Forderung habe sich wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (§ 323 I ZPO) verringert, ist im Verfahren nach § 722 ZPO zulässig, allerdings nur in den Zeitgrenzen des § 323 II ZPO.69
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Gottwald, IZPR7, § 6 Rz. 26; Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh IV Rz. 189; Spellenberg, IPRax 1984, 304. Musger, IPRax 1992, 108 (109); Baumann, IPRax 1994, 435 (438). Z.B. OLG Nürnberg v. 3.7.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, 353 = IPRspr. 1995 Nr. 173; OLG Köln v. 20.7.2004 – 25 UF 24/04, NJW-RR 2005, 876 = FamRZ 2005, 534 = IPRspr. 2004 Nr. 175. Zu den schwierigen Abgrenzungen zwischen lex causae und lex fori, die das inländische Abänderungsverfahren beherrscht (Rz. 319), ausführlich Musger, IPRax 1992, 108 (111), der die „Wesentlichkeitsregel“ (vgl. § 323 ZPO: Abänderung nur bei wesentlicher Veränderung der Verhältnisse) ohne Rücksicht auf den Standpunkt der lex causae anwenden will: „Wir ändern Unterhaltsentscheidungen nur ab, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorliegt. Diese Vorgehensweise hat primär den Zweck, unsere Gerichte von Unterhaltsstreitigkeiten um unerhebliche Beträge freizuhalten; weiter soll das Vertrauen der Parteien auf rechtskräftige Entscheidungen geschützt werden. Diese Ratio ist eindeutig verfahrensrechtlich; mit dem Unterhaltsanspruch an sich hat sie nichts zu tun.“ S. auch die Nachweise bei Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 268, 307, 348. BGH v. 6.11.1991 – XII ZR 240/90, MDR 1992, 710 = NJW 1992, 438, 439 = FamRZ 1992, 298 = IPRspr. 1991 Nr. 6; Baumann, IPRax 1994, 438; OLG Nürnberg v. 3.7.1995 – 10 WF 1477/95, FamRZ 1996, 353 = IPRspr. 1995 Nr. 173. Für Anwendung des § 323 ZPO in allen Fällen KG v. 5.2.1993 – 3 UF 4458/92, NJW-RR 1994, 138 = FamRZ 1993, 976 = IPRax 1994, 455 (Baumann 435) = IPRspr. 1993 Nr. 156; KG v. 24.2.1993, IPRspr. 1993 Nr. 76; OLG Schleswig v. 16.4.1993 – 10 UF 15/92, SchlHA 1993, 173 = IPRspr. 1993 Nr. 78; Stein/Jonas/Leipold, ZPO22, § 323 Rz. 26; Leipold in FS Nagel, 1987, 189. Im Sonderfall des § 10 II AUG erfolgt Abänderung der support order stets nach § 323 ZPO, BT-Drucks. 10/3662, 15; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 170. Z.B. OLG Karlsruhe v. 24.5.2013 – 8 W 16/13, FamRZ 2014, 144 (145) mit Nachw. A.A. BGH v. 31.1.1990 – XII ZR 38/89, BRAK 1991, 254 = MDR 1990, 718 = NJW 1990, 1419 = FamRZ 1990, 504 = IPRax 1991, 111 (Böhmer 90) = IPRspr. 1990 Nr. 205, der aber nicht auf die Frage eingeht, ob § 323 ZPO als lex fori immer anzuwenden ist oder nur dann, wenn deutsches Recht Abänderungsstatut ist. Ausführlich Henrich, IPRax 1989, 53; Baumann, IPRax 1990, 32; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im inter-
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Der Abänderungseinwand darf aber nicht zu einer Verzögerung der an sich begründeten Vollstreckbarerklärung führen. Daher ist – wenn nicht auch der Abänderungsantrag entscheidungsreif ist – analog § 302 ZPO vorab über die Vollstreckbarerklärung zu entscheiden und sodann im „Nachverfahren“ über den Abänderungsantrag. Wenn man die entsprechende Anwendung der Vorschriften über das Vorbehaltsurteil ablehnt, wäre nach § 145 ZPO zu verfahren, d.h. die Exequaturklage wäre von der Abänderungsklage zu trennen.70
XII. Prozessvergleich 2655 Auch bei Maßgeblichkeit ausländischen Sachrechts richten sich die prozessuale Zulässigkeit und die prozessualen Wirkungen (Prozessbeendigung, Vollstreckbarkeit) eines Prozessvergleichs (Rz. 1854b) nach der deutschen lex fori.71 Auch wenn z.B. nach der lex causae der Vergleich als solcher den Prozess nicht beendet, sondern ein „Kompromissurteil“ (= Urteil, das aufgrund der Vergleichsvereinbarungen ergeht und mit diesen inhaltlich übereinstimmt: so z.B. judgement by consent des englischen Rechts oder jugement convenu bzw. jugement de donné acte des belg. Rechts) erforderlich ist72, ist dies für den deutschen Richter ohne Bedeutung. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen, insbes. die Frage, ob der Anspruch verzichtbar ist und damit Gegenstand eines Vergleichs sein kann etc., und die materiell-rechtlichen Wirkungen des Vergleichs sind nach der lex causae zu beurteilen (Rz. 554a).73 2656 Ein vor einem deutschen Gericht abgeschlossener Vergleich entfaltet keine res iudicata-Wirkung74, auch wenn die lex causae eine solche kennt. Soll diese angestrebt werden, muss Anerkenntnisurteil beantragt werden. Angesichts der fehlenden res iudicata-Wirkung ist es denkbar, dass über die Frage des anwendbaren Rechts – und damit über die Vergleichsbefugnis der Parteien – auch nach Abschluss des Prozessvergleichs weiter gestritten werden kann.
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nationalen Rechtsverkehr, 2000, 416 ff. S. auch die Nachw. bei OLG Köln v. 20.7.2004 – 25 UF 24/04, NJW-RR 2005, 876 = FamRZ 2005, 534 = IPRspr. 2004 Nr. 175. Da das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem LugÜ – jedenfalls in seiner Anfangsphase nicht kontradiktorisch ausgestaltet ist (Art. 41 LugÜ), kommt eine Verbindung des Exequaturantrags mit dem Abänderungsantrag nicht in Betracht, BGH v. 31.1.1990 – XII ZR 38/89, BRAK 1991, 254 = MDR 1990, 718 = NJW 1990, 1419 = FamRZ 1990, 504 = IPRax 1991, 111 (Böhmer 90) = IPRspr. 1990 Nr. 205. Zum „Statut“ des Prozessvergleichs Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr. Einwendungen gegen einen titulierten Anspruch im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht; mit Vergleichen zum englischen, französischen, schweizerischen und US-amerikanischen Recht, 2000, 320 ff. Vgl. Guldener, Schweizer. ZPR3, 397 Fn. 25; Schlosser, Zivilprozessrecht II, 1984, Rz. 66; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit2, Rz. 809. Weitere Nachw. bei Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 15, 46, 68, 72, 129, 144, 146, 156, 182, 186, 191, 269, 288. Birk, ZZP 82 (1969), 68 Fn. 72. Schlosser, Zivilprozessrecht II, 1984, Rz. 115.
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Zehnter Teil
Beispiel: Das Gericht geht davon aus, dass Güterrechtsstatut deutsches Recht sei und regt Abschluss eines Vergleichs auf der Basis des deutschen Rechts an. Denkbar wäre, dass die Nichtigkeit des Prozessvergleichs damit begründet wird, in Wahrheit sei nicht deutsches, sondern ein ausländisches Recht (nach deutschem IPR) maßgebend und nach diesem seien die Parteien nicht vergleichsbefugt. Etwas anderes gilt, wenn die Parteien von der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 15 II EGBGB Gebrauch gemacht haben und im Prozessvergleich ausdrücklich stipuliert haben, dass sie für ihre güterrechtlichen Beziehungen deutsches Recht (als Aufenthaltsstaat) wählen. Fraglich ist, ob der Abschluss eines Prozessvergleichs vor einem deutschen Gericht und ersichtlich auf der Basis des deutschen Güterrechts bereits eine „stillschweigende“ Rechtswahl beinhaltet.
Da keine materielle Rechtskraftwirkung in Betracht kommt, kann die Frage der 2657 Wirksamkeit des Vergleichs durch Fortsetzung des Rechtsstreits75 geprüft werden (Rz. 1544b): Stellt das Gericht die Wirksamkeit des Prozessvergleichs fest, so ist durch Endurteil bzw. „End“beschluss (§ 38 FamFG) zu entscheiden, das bzw. der nach herrschender Meinung der Rechtskraft fähig ist. Damit sind alle Einwendungen abgeschnitten. Hält das Gericht jedoch den Prozessvergleich für unwirksam, so kann es durch Zwischenurteil die fortbestehende Rechtshängigkeit feststellen. Dieses Zwischenurteil ist der Rechtskraft nicht fähig. Es entfaltet nur eine innerprozessuale Bindungswirkung. Das folgende Urteil, das in der Sache entscheidet, entfaltet wohl keine Rechtskraftwirkung bezüglich der Wirksamkeit des Prozessvergleichs, weil es sich nur um einen präjudiziellen Punkt handelt. Gleichwohl macht es den Prozessvergleich gegenstandslos. Noch eine dritte Hypothese ist denkbar: In dem fortgesetzten Rechtsstreit schließen die Parteien einen neuen Prozessvergleich, über dessen Wirksamkeit dann wieder gestritten werden könnte. Sofern die Einwendungen gegen diesen identisch sind mit denen gegen den ersten Prozessvergleich, wird man wohl eine Präklusion bejahen müssen (gestützt auf § 242 BGB, der auch im Prozessrecht gilt). Die Vollstreckbarkeit des vor einem deutschen Gericht abgeschlossenen Pro- 2658 zessvergleichs (Rz. 1854b) richtet sich – ohne Rücksicht auf die lex causae – nach der deutschen lex fori, ebenso auch die Beurteilung der Frage, wie diese zu beseitigen ist. Die materiell-rechtliche Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit des Vergleichs führt nach h.M. dazu, dass der Prozessvergleich „als Begleitform des materiell-rechtlichen Vergleichs“ seine Wirksamkeit verliert,76 ihm somit jede verfahrensrechtliche Wirksamkeit fehlt. Die Vollstreckbarkeit muss dem Prozessvergleich demnach nicht durch prozessuales Gestaltungsurteil nach §§ 795, 767 ZPO genommen werden.77 Endgültig ist sie eliminiert, wenn – möglicherweise in einem Zwischenurteil – die Unwirksamkeit des Vergleichs festgestellt ist.
75 H.M. Schlosser, Zivilprozessrecht I2, Rz. 335. 76 BGH v. 24.10.1984 – IVb ZR 35/83, MDR 1985, 392 = FamRZ 1985, 166 = NJW 1985, 1962. 77 Schlosser, Zivilprozessrecht II, 1984, Rz. 115, 151. Die h.M. will analog §§ 707, 719, 769 ZPO die Vollstreckbarkeit beseitigen.
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2659 Beim im Ausland gerichtlich bestätigten Vergleich stellt der Bundesgerichtshof78 darauf ab, ob der Vergleich nach der richterlichen Bestätigung seinen vertraglichen Charakter verliert und Bestandteil des Urteils des staatlichen Gerichts wird, mit der Folge, dass auch res iudicata-Wirkung (Feststellungswirkung) eintritt. Nach gerichtlicher Bestätigung hätten die scheidungsrechtlichen Folgen ihren Rechtsgrund im Scheidungsurteil und nicht im Parteiwillen. Handelt es sich nach dem Recht des Erststaates um ein staatliches Urteil, so will der Bundesgerichtshof die Regeln über die Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen anwenden. Behält der Vergleich auch nach der gerichtlichen Bestätigung nach dem Recht des Erststaates den Charakter einer Parteivereinbarung, so gelten die einschlägigen Vorschriften für Vergleiche. Praktische Konsequenz: Gelten die Regeln über die Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Entscheidungen, so ist die internationale Zuständigkeit des Erststaates zu prüfen (§ 328 I Nr. 1 ZPO; § 109 I Nr. 1 FamFG). In jedem Fall ist jedoch für die im Vergleich geregelte Unterhaltsleistungspflicht die internationale Zuständigkeit zu bejahen, da sich alle Parteien der Zuständigkeit des Erststaates unterworfen hatten, § 39 ZPO.79 (S. auch Rz. 2863; Allgemein zum Prozessvergleich: Rz. 554a, 1216a, 1854b, 2861).
XIII. Abfassung deutscher Entscheidungen im Hinblick auf ihre Verwendung im Ausland 2660 In diesem Zusammenhang zu erwähnen sind auch die Regeln über die Begründung von deutschen Entscheidungen. Urteile können an sich in abgekürzter Form (ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe) hergestellt werden, § 313a und b ZPO; nicht jedoch, wenn zu erwarten ist, dass solche Entscheidungen im Ausland geltend gemacht werden sollen, §§ 313a IV, 313b III ZPO. Sind sie gleichwohl in abgekürzter Form abgefasst worden, so kann eine nachträgliche Vervollständigung verlangt werden, § 313a V ZPO, § 30 AVAG.80 Der Antrag auf Vervollständigung ist auch nach Insolvenzeröffnung zulässig.81 Des Weiteren sind Arrestbefehle, einstweilige Anordnungen oder Verfügungen, die im Ausland geltend gemacht werden sollen, mit einer Begründung zu versehen, vgl. z.B. § 30 IV AVAG. Es soll mit der (nachträglichen) Begründung der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Anerkennung deutscher Entscheidungen am ordre public des Anerkennungsstaates scheitert.82 78 BGH v. 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 = FamRZ 1986, 45 = MDR 1986, 660 = RIW 1986, 554 (Wolff 728) = IPRax 1986, 294 (Dopffel 277) = EWiR 1986, 207 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 184; vgl. Rz. 2863. 79 R. Geimer, EWiR 1986, 208. Vgl. auch R. Geimer, IPRax 2000, 366 (369). 80 Ebenso §§ 8, 9 AusfG zum Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen 1958 (OLG Hamm v. 7.11.1984 – 15 W 404/84, DAVorm 1985, 167 = IPRspr. 1984 Nr. 173), §§ 8, 9 AusfG zum dt.-belg. Abkommen und zum dt.-brit. Abkommen, §§ 17, 18 AusfG zum dt.-niederl. Vertrag, §§ 12, 13 AusfG zum dt.-tunes. Vertrag. 81 OLG Frankfurt v. 27.4.2000 – 13 W 21/2000, 13 W 21/00, IPRax 2002, 35 (Rinne/Sejas 28). 82 Zur großzügigen Linie des italienischen Kassationshofes Jayme, IPRax 1992, 269.
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Der gleichen Linie folgt § 245 FamFG (bisher § 790 ZPO): Diese Vorschrift will 2660a die Anerkennungs- und Vollstreckungschancen für dynamisierte Unterhaltstitel (§§ 1612a, 1612b BGB) im Ausland verbessern. Bei diesen Titeln ist der Unterhalt im Tenor nicht als bezifferte Größe, sondern als Prozentsatz des Mindestunterhalts fixiert. Sie sind nur in Zusammenhang mit der Regelbetrag-Verordnung konkretisierbar. Es besteht daher die Gefahr, dass die Vollstreckung im Ausland wegen Unbestimmtheit des Titels abgelehnt wird. Um dem vorzubeugen, eröffnet § 245 FamFG die Möglichkeit, auf dem dynamisierten Unterhaltstitel den zu zahlenden Unterhalt genau zu beziffern.
XIV. Folgen der Fehlerhaftigkeit eines Gerichtsurteils Da der Rechtsstreit irgendwann einmal endgültig entschieden werden muss, 2661 nimmt die deutsche Rechtsordnung – wie übrigens die meisten anderen auch – die Existenz fehlerhafter Entscheidungen in Kauf und verleiht ihnen trotz ihrer möglichen Mängel Rechtsverbindlichkeit, wenn sie unanfechtbar geworden sind. Der Rechtssatz, der alle endgültigen gerichtlichen Entscheidungen verbindlich macht, findet auf alle deutschen Entscheidungen Anwendung, ohne Rücksicht darauf, welches Recht in der Sache anwendbar ist, bzw. tatsächlich – im Fall des Fehlurteils – angewandt worden ist. Ist z.B. das Recht eines US-Bundesstaates lex causae, so sind die Folgen einer fehlerhaften Entscheidung eines deutschen Gerichts nicht nach diesem Recht zu beurteilen, sondern nach dem vorgenannten Satz des deutschen Rechts.
XV. Klagebefugnis von Verbänden Die Klagebefugnis von Verbänden ist nicht nach der lex causae, sondern nach 2662 der lex fori zu beurteilen (Rz. 341).83
XVI. Gruppen- und sonstige Stellvertreterklagen Das Gleiche gilt für Gruppen- und sonstige Stellvertreterklagen (Rz. 2234). Auch 2663 wenn nach deutschem internationalem Privatrecht in der Sache z.B. US-amerikanisches Recht anzuwenden ist, kann vor deutschen Gerichten keine Class Action nach rule 23 (a) (b) FRCP84 erhoben werden. Mit dieser Stellvertreterklage macht der Kläger für sich und als Repräsentant für die mitunter gar nicht namentlich benannten Mitglieder einer Gruppe von Geschädigten (class) Schadensersatzansprüche geltend. Die Wirkungen der streitigen Endentscheidung
83 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 720. 84 Text bei Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation: The Role of Class Actions for Monetary Damages in the United States, in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 215, 234. S. auch Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, Rz. 202 ff.; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 172 ff.
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bzw. des gerichtlich bestätigten verfahrensbeendenden Vergleichs85 erfassen auch die am Verfahren nicht beteiligten Mitglieder der Class, sofern diese nicht rechtzeitig gegenüber dem Gericht ihre opt-out-Option (Austritt aus der class) zugunsten einer individuellen Rechtsverfolgung erklärt haben.86
XVII. Kostenerstattungspflicht der unterlegenen Partei 2664 Für Verfahren vor deutschen Gerichten gelten §§ 91 ff. ZPO sowie §§ 80 ff. FamFG immer, ohne Rücksicht auf das in der Sache anzuwendende Recht (lex causae).87 Ob Kosten zu erstatten sind, bestimmt mithin die deutsche lex fori.88 Die Höhe der zu erstattenden Kosten des ausländischen Verkehrsanwalts richtet sich im Grundsatz nach dem Recht, welches auf den Vertrag zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem ausländischen Verkehrsanwalt anzuwenden ist. Der Bundesgerichtshof hat aber eine Obergrenze eingezogen; er begrenzt die erstattungsfähigen Gebühren ausländischer Anwälte der Höhe nach auf das deutsche Gebührenrecht.89 Damit deckelt er Anwaltshonorare auf das deutsche Maß.90 2665–2684 Einstweilen frei
85 Hierzu näher Buxbaum, a.a.O., S. 220 ff.; Heß, Transatlantische Justizkonflikte, AG, 2006, 809, 813; Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; Hopt/ Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 56. 86 Ausführliche Darstellung der class action z.B. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 3, 161; H. Schneider, Class Actions; Röhm/Schütze, RIW 2007, 241 jew. mwN. 87 S. z.B. Mankowski, NJW 2005, 2346 mwN. 88 OLG Stuttgart v. 15.7.2008 – 8 W 289/08, NJW-RR 2008, 1599 = Rpfleger 2008, 654 = IPRspr. 2008 Nr. 194. 89 BGH v. 8.3.2005 – VIII ZB 55/04, MDR 2005, 895 = BRAK 2005, 137 = FamRZ 2005, 971 = NJW 2005, 1373. S. auch OLG Celle v. 25.4.2008 – 2 W 39/08, OLGR 2008, 543. 90 Ablehnend Mankowski, NJW 2005, 2346 (2348). Zustimmend Zöller/Herget, ZPO30, § 91 Rz. 13 („ausländischer Anwalt“).
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Elfter Teil: Bedeutung eines im Ausland anhängigen Verfahrens bei Identität oder Konnexität des Streitgegenstands Literatur: Bäumer, Die ausländische Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale Zivilverfahrensrecht, 1999; Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 2006, 521 ff.; Breuer in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht, Losebl. (Nov. 2010), II 1 C Rz. 117 ff.; Burckhardt, Internationale Rechtshängigkeit und Verfahrensstruktur bei Eheauflösungen, Diss. Heidelberg 1997; Buschmann, Rechtshängigkeit im Ausland als Verfahrenshindernis unter besonderer Berücksichtigung der Klageerhebung im französischen Zivilprozess, 1996; Carl, Einstweiliger Rechtsschutz bei Torpedoklagen, Diss. Hamburg, 2007; Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, Diss. Münster 1996; Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968, Diss. Heidelberg 1992; Heiderhoff, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehescheidungsverfahren, 1998; Peter Huber, Die englische forum non-conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, Diss. Regensburg 1994; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, Diss. Hamburg 2005; Kurtz, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, Diss. Kiel 2004; Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 19; Malaga, La Litispendencia (Lis alibi pendens, La litispendance, Rechtshängigkeit, La litispendenza), 1999; Marongiu Buonaiuti, Litispendenza e connessione internazionale – Strumenti di coordinamento tra giurisdizioni statali in materia civile, 2008; Marongiu Buonaiuti, Lis alibi pendens and related actions in Civil and Commercial Matters within European Judicial Area, YbPrivIntL 2009, 511; McLachlan, Lis pendens in International Litigation, Recueil des Cours 336 (2009), 199; Mittenzwei, Die Verhinderung von Verfahrenskollisionen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, Diss. Bonn 2006; Nieroba, Die europäische Rechtshängigkeit nach der EuGVVO (Verordnung [EG] Nr. 44/2001) an der Schnittstelle zum nationalen Zivilprozessrecht, Diss. Köln 2006; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen – Gerechtigkeit durch Verfahrensabstimmung?, 1998; Otto, Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, Diss. Freiburg 2007; Rugullis, Litispendenz im internationalen Insolvenzrecht, (Diss. Berlin 2001), 2002; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum – Gültigkeit und Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Rechtsverkehr. – 999
Elfter Teil
Im Ausland anhängiges Verfahren
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Elfter Teil
Im Ausland anhängiges Verfahren
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Literatur
Elfter Teil
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ausländischen Verfahrens nach dem EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen, RIW/AWD 1975, 78; Schütze, Die Wirkungen ausländischer Rechtshängigkeit in inländischen Verfahren, ZZP 104 (1991), 136; Schütze/Kratzsch, Aussetzung des Verfahrens wegen konnexer Verfahren nach Art. 22 EuGVÜ, RIW 2000, 939; Schwander, Ausländische Rechtshängigkeit nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, in Festschrift Vogel, 1991, 395; Stafyla, Die Rechtshängigkeit des EuGVÜ nach der Rechtsprechung des EuGH und der englischen, französischen und deutschen Gerichte, 1998; Tiefenthaler, Die Streitanhängigkeit nach Art. 21 Lugano-Übereinkommen, ZfRV 1997, 67; Walker, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH, ZZP 1998, 429; Walker, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemeineuropäischem Einfluss, ZZP 111 (1998), 429; Walter, Ausländische Rechtshängigkeit und Konnexität nach altem und neuem Lugano-Übereinkommen, in Spühler (ed.), Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht II, 2003, 127; Wieczorek/ Schütze, ZPO4, 2013, Anh. zu § 261; Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994; Chr. Wolf, Rechtshängigkeit und Verfahrenskonnexität nach EuGVÜ, EuZW 1995, 365; M. Wolf, Einheitliche Urteilsgeltung im EuGVÜ, in Festschrift Schwab, 1990, 561; Zeuner, Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art. 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach Regeln der ZPO, in Festschrift Lüke, 1997, 1003; Zeuner, Beobachtungen und Gedanken zum Verhältnis zwischen europarechtlichen Normen und nationalem Recht, in Festschrift Bydlinski, 2002, 495.
I. Überblick 2685 Bis zum Inkrafttreten des Reformgesetzes vom 31.5.1995, das eine totale Kehrtwendung brachte (Art. 7), verkündete der berühmt-berüchtigte Art. 3 Codice di procedura civile ebenso wie viele andere romanische Prozessordnungen als Prinzip splendid isolation: „La giurisdizione italiana non è esclusa dalla pendenza davanti a un giudice straniero della medesima causa o di altra con questa connessa.“1 Anders der Ansatz im deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht2 sowie die französische Rechtsprechung.3 Hier huldigt man dem universalistischen Ideal einer die nationalen Grenzen transzendierenden Rechtspflege: Man beachtet grundsätzlich die ausländische Rechtshängigkeit und will damit einen Beitrag leisten zu einer (einigermaßen) geordneten Rechtspflege im internationalen Bereich.
1 So auch früher die h.M. in Frankreich (Nachw. bei Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen v. 27.9.1968, 1992, 52) und noch heute in den USA. Dort bleibt die Rechtshängigkeit in einem anderen Bundesstaat und erst recht eine solche im Ausland unbeachtet, Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 118. 2 Art. 9 IPR-Gesetz; Nachw. bei Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, 1986, 595. 3 Cour de cassation civ. 1, 26.11.1974, Soc. Miniera di Fragne, JDI 1975, 108 (Ponsard) = RC 1975, 491 (Holleaux), hierzu Audit, Droit international privé2, Nr. 380.
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Dies ist konsequent angesichts
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– des Axioms der internationalen Fungibilität der Gerichte (Rz. 37); – der grundsätzlichen Anerkennungsbereitschaft gegenüber ausländischen Urteilen:4 Wenn die Wirkungen des im Ausland abgeschlossenen Verfahrens bei uns beachtet werden, d.h. qua Anerkennung der res iudicata- und Gestaltungswirkung sich die Durchführung des gleichen Verfahrens mit dem gleichen Streitgegenstand erübrigt (ja sogar unzulässig ist; ne bis in idem, Rz. 2801 f.), ist es konsequent, mit dem „Internationalismus“ zeitlich früher anzufangen und bereits das noch nicht abgeschlossene ausländische Verfahren zu beachten. Gewissermaßen in der Mitte zwischen den romanischen und den deutschrecht- 2687 lichen Systemen steht das common law, das doppelte Rechtshängigkeit zwar grundsätzlich akzeptiert5, aber im Einzelfall mit antisuit injunctions nach forum non conveniens-Regeln einzuschränken versucht.6
4 Zustimmend z.B. Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 57. 5 Zur „parallel proceedings rule“ Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 200. 6 Born/Rutledge, International Civil Litigation in the United States Courts4, 522 ff., 540 ff.; Cube, Die internationale Zuständigkeit der englischen Gerichte, 2004, 84 ff., 147 ff.; Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89; Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1655 Fn. 34; W. J. Habscheid in FS Zweigert, 1982, 109, 122; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 63, 117, 120; Hau, ZZP 9 (2004), 191 (193); Hay in Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, Bd. I, 2001, Rz. 106; Peter Huber, Die englische forum non conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, 1994, 87 ff.; Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008, 2, 7 ff.; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 268 ff.; von Rönn, Die Anwendung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens im Vereinigten Königreich, 1996, 124; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 78 ff.; Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994, 32. Nachw. auch bei Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1999; Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung, 2005; Berti, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Siehr, 2000, 33 und Nygh, Forum non conveniens and Lis alibi opendens: the Australian Experience, in FS Siehr, 2000, 511. Vgl. auch House of Lords (13.12.2001 [2001] UKHL 65); hierzu Thiele, RIW 2002, 383 sowie die weiteren Nachw. bei Schlosser, Anti-suit injunctions zur Unterstützung von internationalen Schiedsverfahren, RIW 2006, 486; C. S. Schmidt, Anti-suit injunctions im Wettbewerb der Rechtssysteme, RIW 2006, 492; Stadler, Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts?, BerDGVR 42 (2007), 177, 200.
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II. Berücksichtigung der ausländischen Rechtshängigkeit nur bei positiver Anerkennungsprognose 1. Autonomes deutsches Recht 2688 Der in Rz. 2686 letztgenannte Gesichtspunkt führt aber sogleich zu einer Eingrenzung der inländischen Bereitschaft zur Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit und zu einer teleologischen Reduktion des (für Auslandsberührung nicht konzipierten) § 261 III Nr. 1 ZPO7: Der Einwand der Rechtshängigkeit eines Prozesses vor einem ausländischen Gericht ist grundsätzlich nur dann zu beachten, wenn mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu fällenden Entscheidung voraussichtlich zu rechnen ist.8 2689 Schütze wendet ein, die h.L. sei unpraktikabel, weil eine Anerkennungsprognose regelmäßig unmöglich sei; diese sei ein reines Ratespiel.9 Man könne nicht voraussagen, ob das ausländische Verfahren an Mängeln kranken werde bzw. ob der ausländische Richter einen ordre public-widrigen Spruch fällen werde. Auch zur Frage der Verbürgung der Gegenseitigkeit sei eine zuverlässige Prognose nicht möglich. Schließlich sei der Gedanke der internationalen Prozessökonomie nicht überzeugend. Der Streit über die Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Urteils erfordere meist einen höheren Aufwand als die Entscheidung über den Anspruch selbst. Eine Doppelprozessführung des Klägers sei nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte (Schuldner) in beiden Gerichtsstaaten Vermö-
7 Sieht man von dem nur für Havarie-Streitigkeiten geltenden § 738a HGB ab, so fehlt im deutschen autonomen Recht eine ausdrückliche Regelung der Beachtlichkeit ausländischer Rechtshängigkeit. Anders z.B. Art. 9 schweizer. IPRG und Art. 7 ital. IPRG. Zur österr. Sicht Matscher, Zur prozessualen Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit, in FS Schlosser, 2005, 561, 576. 8 RG v. 26.1.1892, JW 1892, 124; RG v. 23.6.1893, JW 1893, 350; RG v. 13.4.1901, RGZ 49, 340, 344; RG v. 28.10.1911, JW 1912, 79; RG v. 18.3.1930, HansRGZ 1930 B 311; RG v. 25.8.1938, RGZ 158, 145 = JW 1938, 2844 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 635; BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156; OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, RIW 1980, 875 = MDR 1981, 237 = IPRax 1982, 71 = IPRspr. 1980 Nr. 160; OLG Saarbrücken v. 2.7.1997 – 1 U 847/96-139, RIW 1999, 64 = WM 1998, 833 = IPRspr. 1997 Nr. 54; OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187; ebenso österr. OGH v. 8.9.2005, ZfRV 2006, 37; Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit im Schiedsverfahren, 1991, 168; Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 252; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 114, 153; Hausmann, IPRax 1982, 52 Fn. 10; Krause-Ablass/ Bastuck in FS Stiefel, 1987, 446; Kaiser, RIW 1983, 667; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 376; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 503; Siehr, IPRax 1989, 94 Fn. 7. Ebenso Art. 9 I schweizer. IPRG, hierzu Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994, 123. In Österreich wird für das autonome Recht die Auffassung vertreten, dass die frühere ausländische Streitanhängigkeit kein Prozesshindernis für die gleiche Klage im Inland begründet, Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts – Erkenntnisverfahren6, Rz. 531. 9 Schütze, NJW 1964, 337; zurückhaltender jedoch nun Schütze, DIZPR2, 397 ff.; Wieczorek/Schütze, ZPO4, Anh. zu § 261 Rz. 4 ff.
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gen habe, weil der Gläubiger nicht wisse, wo er vollstrecken werde. Deswegen habe er ein billigenswertes Interesse, seinen Anspruch (gleichzeitig) in verschiedenen Staaten einzuklagen, um ein späteres langwieriges Vollstreckbarerklärungsverfahren zu vermeiden. Die Gefahr divergierender Entscheidungen erzwinge nicht die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit. Die inländische Entscheidung habe immer Priorität. Deshalb könne es aus der Sicht des Inlandes rechtslogisch nicht zu einer Kollision von Urteilswirkungen kommen. Dieser Ansatz mag zwar in manchen Fällen zu praktikablen Ergebnissen führen, er ist jedoch mit dem universalistischen Grundkonzept des deutschen internationalen Verfahrensrechts (Rz. 2685) nicht vereinbar. Die (frühere) ausländische Rechtshängigkeit wird auch dann beachtet, wenn 2690 dies vice versa das ausländische Gericht nicht täte (Rz. 2706).10 2. Völkerrecht und Unionsrecht Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht sind die Staaten – jedenfalls im 2691 Grundsatz – nicht verpflichtet, Entscheidungen anderer Staaten anzuerkennen (Rz. 151, 165, 2757); daraus folgt, dass die Staaten auch nicht zur Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit verpflichtet sind.11 Eine völkerrechtliche Bindung besteht jedoch im Vertragsrecht. Die meisten völkerrechtlichen Verträge verlangen eine positive Anerkennungsprognose.12 Dagegen ist nach Art. 21 ff. EuGVÜ/LugÜ I bzw. nach Art. 29 ff. EuGVVO sowie 2692 Art. 27 ff. LugÜ II die Rechtshängigkeit vor Gerichten anderer Vertragsstaaten immer zu beachten. Eine Anerkennungsprognose ist unzulässig.13 Ebenso ist es im Anwendungsbereich des Art. 8 des Protokolls über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen über den Anspruch auf Erteilung eines europäischen Patents vom 5.10.1973 (Anerkennungsprotokoll).14 Weniger strikt ist dagegen Art. 20 des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen.15 Danach kann das in einem Vertragsstaat anhängige Ehescheidungs- oder Ehetrennungsverfahren ausgesetzt
10 Zustimmend OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187. 11 Wengler, IPR in RGR-Kommentar12, VI, § 3b. 12 Art. 11 des dt.-ital. Abkommens, Art. 15 des dt.-belg. Abkommens, Art. 17 des dt.-österr. Vertrages, Art. 18 des dt.-griech. Vertrages, Art. 18 des dt.-niederl. Vertrages, Art. 44 des dt.-tunes. Vertrages, Art. 22 des dt.-israel. Vertrages, Art. 21 des dt.-norw. Vertrages, Art. 21 des dt.-span. Vertrages. S. auch Art. 31 II CMR sowie Siehr, IPRax 1989, 93 Fn. 6 und Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994, 44 ff. zu den von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen. 13 Nachw. bei Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 156; a.A. Schütze, RIW 1975, 79. 14 BGBl. II 1976, 982. Dieses Protokoll ist Bestandteil des revidierten Europäischen Patentübereinkommens 2000 (Art. 164 I). Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 139. 15 Für Deutschland nicht in Kraft.
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werden, wenn der eheliche Stand eines Ehegatten Gegenstand eines Verfahrens in einem anderen Vertragsstaat ist. Ist ein ausländischer Staat Partei, so ist – sofern dieser Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens vom 16.5.1972 über Staatenimmunität (Rz. 666) ist – die ausländische Rechtshängigkeit von Amts wegen zu beachten, Art. 19 I. Auf die Anerkennungsfähigkeit kommt es nicht an.
III. Identität des Streitgegenstandes 2693 Der Einwand der ausländischen Rechtshängigkeit greift (bei positiver Anerkennungsprognose) nur bei Identität des Streitgegenstandes.16 Es muss also im Inund Ausland der gleiche Streitgegenstand (Rz. 2644) rechtshängig sein.17 So besteht bei parallelem Eheaufhebungs- und Ehescheidungsverfahren im In- und Ausland keine Identität des Streitgegenstandes.18 Das Gleiche gilt für das Verhältnis zwischen Trennung von Tisch und Bett einerseits und Scheidung dem Bande nach.19 Ebenso nicht im Verhältnis zwischen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Hauptsache;20 zwischen Beweissicherungsverfahren und Hauptsacheprozess;21 zwischen Scheckklage und Klage aus dem Grundverhältnis.22 2694 Eine bloße Verbundbefangenheit, also die Möglichkeit, dass das ausländische Gericht nach seiner lex fori im Rahmen des Verbundverfahrens ohne Antrag einer Partei von Amts wegen bestimmte Folgesachen regeln darf oder muss, führt noch nicht zur Blockade des Rechtsschutzes in Deutschland.23 2694a Dagegen postuliert der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff. Auf den Streitgegenstandsbegriff der jeweili-
16 Nachw. z.B. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 21 ff. 17 BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156. Zur Abgrenzung der Verfahrensgegenstände OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde). 18 OLG Karlsruhe v. 2.2.1984 – 2 UF 105/82, IPRax 1985, 36 (Schlosser 16) = IPRspr. 1984 Nr. 165; OLG Karlsruhe v. 22.4.1993 – 2 WF 131/92, FamRZ 1994, 47 = IPRspr. 1993 Nr. 163; OLG Düsseldorf v. 20.3.1985 – 3 WF 36/85, NJW 1986, 2202 = IPRax 1986, 29 (Schumann 14, 15) = IPRspr. 1985 Nr. 164; Gruber, FamRZ 1999, 1563 m.w.N. Anders jedoch das Konzept des Art. 19 EuEheVO. 19 AG Siegburg v. 11.6.1996 – 32 F 272/95, NJW-RR 1997, 388 = FamRZ 1997, 503 = IPRspr. 1996 Nr. 170. Auch die vorläufige Scheidung nach kalifornischem Recht trennt das Eheband nicht, AG Stuttgart v. 4.7.1996, IPRspr. 1996 Nr. 64. 20 BGH v. 22.6.1983 – VIII ZB 14/82, BGHZ 88, 17 = MDR 1983, 1019 = NJW 1984, 568 = RIW 1983, 695 = WM 1983, 914 = JZ 1983, 903 (Kropholler) = IPRax 1984, 202 (Roth 183) = IPRspr. 1983 Nr. 176. 21 OLG Hamm v. 7.3.1984 – 20 U 225/83, IPRspr. 1984 Nr. 166. 22 OLG Hamburg v. 21.12.1984 – 14 U 209/83, WM 1986, 383 = IPRspr. 1984 Nr. 171A. 23 Linke, IPRax 1992, 159; Heiderhoff, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehescheidungsverfahren, 1998, 200 ff. A.A. Gruber, FamRZ 1999, 1563 (1564).
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gen lex fori bzw. lex causae kommt es nicht an.24 Vielmehr ist der Begriff „derselbe Anspruch“ autonom auszulegen. Der EuGH hat es abgelehnt, Art. 21 EuGVÜ (nunmehr Art. 29 EuGVVO) eng auszulegen und im Übrigen nach Art. 22 EuGVÜ (nunmehr Art. 30 EuGVVO) zu verfahren. Er orientiert sich an dem Unvereinbarkeitsbegriff des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (nunmehr Art. 45 I lit. c EuGVVO).25 Nach seiner Ansicht kommt es nicht auf den Klageantrag, sondern darauf an, ob der „Kernpunkt“ beider Verfahren der gleiche ist.26 Diese Kernpunkttheorie schränkt den Justizgewährungsanspruch des Klägers 2694b massiv ein.27
24 Für Übernahme dieses Ansatzes auch im Bereich des autonomen deutschen internationalen Verfahrensrechts OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, OLGR 2007, 305 (308) = NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187. 25 Vgl. nunmehr Art. 34 Nr. 3 EuGVVO. 26 EuGH v. 8.12.1987 – Rs. C-144/86, Slg. 1987, 4861 – Rz. 16 und 17 = NJW 1989, 665 = RIW 1988, 818; EuGH v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92, Slg. 1994 I 5439 = EuZW 1995, 309 (C. Wolf 365) = EWiR 1995, 463 (Otte) = JZ 1995, 616 (P. Huber 603) = IPRax 1996, 108 (Schack 80); BGH v. 8.2.1995 – VIII ZR 14/94, MDR 1995, 845 = NJW 1995, 1758 = EuZW 1995, 378 (R. Geimer) = LM EGÜbk. Nr. 53 (R. Geimer) = IPRax 1996, 192 (Hau 177); OLG München v. 3.12.1999 – 23 U 4446/99, RIW 2000, 712; Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen v. 27.9.1968, 1992, 140 ff., 205 ff. Eingehende Analyse der EuGH-Rspr. bei Gottwald, Dogmatische Grundfragen des Zivilprozesses im geeinten Europa, 2000, 85, 86; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 513 ff.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399; McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 85 ff. und Walker, ZZP 111 (1998), 429 sowie aus österr. Sicht bei Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts – Erkenntnisverfahren6, Rz. 265/1. 27 Kritisch daher z.B. Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen v. 27.9.1968, 1992, 212, 259; Leipold in GS Arens, 1993, 227; Linke, RIW 1988, 824 und in Gerichtshof der EG, Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, 1993, 159; Otte, EWiR 1995, 464; M. Wolf in FS Schwab, 1990, 561; C. Wolf, EuZW 1995, 366. Zustimmend jedoch Peter Huber, JZ 1995, 603 (605); Schack, IPRax 1989, 139 (140); wohl auch Rüßmann, IPRax 1995, 76 (79). Ausführlich auch Carl, Einstweiliger Rechtsschutz bei Torpedoklagen, 2007. Der gemäß Art. 71 EuGVVO an sich vorrangig anzuwendende Art. 31 II CMR weicht von Art. 29 EuGVVO in der Auslegung des EuGH (Kernpunkttheorie) ab. Danach wird die Leistungsklage nicht durch eine negative Feststellungsklage blockiert. Die Rechtsprechung zu Art. 29 EuGVVO ist nach Ansicht des EuGH gleichwohl anzuwenden, weil Art. 71 EuGVVO es verbiete, ein internationales Übereinkommen in einer Weise auszulegen, die die Wahrung der der EuGVVO zugrunde liegenden Ziele und Grundsätze nicht unter mindestens ebenso günstigen Bedingungen gewährleistet wie denen, die die EuGVVO vorsieht, EuGH v. 19.12.1013 – Rs. C-452/12 – Nipponkoa Insurance Co (Europe) Ltd/Inter-Zuid Transport BV, EuZW 2014, 220 – Rz. 39, 49; anders (überholt) BGH NJW-RR 2004, 397 = LMK 2004, 75 (Rauscher). Hierzu Mankowski, RIW 2004, 481 (497); McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Art. 27 EuGVVO Rz. 119. Kritisch Barnert, ZZP 118 (2005), 81. S. EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08 – TNT Express Nederland BV/AXA Versicherung-AG, NJW 2010, 1736 = EuZW 2010, 517. Hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 16.
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Im Ausland anhängiges Verfahren
2694c Die Rechtsprechung des EuGH zwingt mittelbar die nationalen Rechtsordnungen, die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Schnittstelle zwischen Unions- bzw. Konventionsrecht und autonomem Recht für die Rechtsschutz Suchenden nicht zur Falle wird: So kann z.B. die früher erhobene negative Feststellungsklage die spätere Leistungsklage nur blockieren, wenn – entgegen der bisher in Deutschland h.M.28 – auch die negative Feststellungsklage die Verjährung unterbricht oder aber zumindest der Gläubiger als Beklagter der negativen Feststellungsklage Leistungswiderklage erheben kann.29 2694d Art. 29 EuGVVO kommt nach Auffassung des EuGH zum Zuge, wenn die eine Partei auf Leistung und die andere auf negative Feststellung (auf Nichtbestehen der Leistungspflicht) klagt.30 2694e Das Gleiche gilt für die Klage auf Verurteilung aus einer primären oder sekundären vertraglichen Leistungspflicht einerseits und die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages, auch wenn die negative Feststellungsklage die zeitlich frühere ist.31 2694f Der (vermeintliche) Schuldner kann also seinem Gläubiger durch eine negative Feststellungsklage zuvorkommen und nach Auffassung des EuGH so – entgegen der zum autonomen deutschen Prozessrecht vertretenen Auffassung32 – dessen Leistungsklage blockieren.33 2694g Aufrechnung: Nach deutschem Recht wird die zur Aufrechnung gestellte Forderung durch die bloße Verwendung als Verteidigungsmittel nicht rechtshängig, obwohl die Entscheidung über die Aufrechnung auch Rechtskraftwirkungen für die Aufrechnungsforderung nach § 322 II ZPO hervorbringen kann.34 Sie kann selbständig eingeklagt werden; allerdings wird eine Aussetzung (§ 148 ZPO) empfohlen.
28 BGH v. 8.6.1978 – VII ZR 54/76, BGHZ 72, 23 = NJW 1978, 1975. 29 Christian Wolf, EuZW 1995, 306. Vgl. auch die Fallgestaltung BGH v. 21.1.1993 – I ZR 23/91, MDR 1993, 521 = NJW-RR 1993, 741 = WM 1993, 1102 = IPRspr. 1993 Nr. 162. 30 EuGH v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92, Slg. 1994 I-5439 = EuZW 1995, 309 (C. Wolf 365) = EWiR 1995, 463 (Otte) = JZ 1995, 616 (Peter Huber 603) = IPRax 1996, 108 (Schack 80). Vgl. auch BGH v. 11.12.1996 – VIII ZR 154/95, BGHZ 134, 201 = MDR 1997, 387 = NJW 1997, 870 = IPRax 1997, 348 = JZ 1997, 797 (Peter Huber) = EWiR 1997, 455 (R. Geimer). 31 EuGH v. 8.12.1987 – Rs. C-144/86, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665 = RIW 1988, 818; BGH v. 8.2.1995 – VIII ZR 14/94, MDR 1995, 845 = NJW 1995, 1758 = RIW 1995, 413 = EuZW 1995, 378 (R. Geimer) = LM EGÜbk. Nr. 53 (R. Geimer) = IPRax 1996, 192 (Hau 177) = IPRspr. 1995 Nr. 165; OLG München v. 22.12.1993 – 7 W 2919/93, RIW 1994, 511 = EWS 1994, 106 = EuZW 1994, 511 = IPRspr. 1993 Nr. 165; Rüßmann, IPRax 1995, 78 zu OLG Hamm v. 3.12.1993 – 12 U 18/92, IPRax 1995, 104 = IPRspr. 1993 Nr. 164. 32 BGH v. 20.1.1989 – V ZR 173/87, MDR 1989, 623 = NJW 1989, 2064; OLG Hamm v. 28.8.1990 – 11 W 38/90, MDR 1991, 546. 33 EuGH v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92, Slg. 1994 I-5439 = EuZW 1995, 309 (C. Wolf 365) = EWiR 1995, 463 (Otte) = JZ 1995, 616 (Peter Huber 603). 34 OLG Frankfurt v. 26.7.1996 – 8 U 216/94, IPRspr. 1996 Nr. 153; R. Geimer, IPRax 1986, 214.
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Im Ausland anhängiges Verfahren
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Daher wird die Anwendung des Art. 29 EuGVVO abgelehnt35; in Betracht kommt dann nur die Ermessensaussetzung nach Art. 30 EuGVVO.36
IV. Identität der Parteien Notwendig ist in jedem Falle die Identität der Parteien.37 Streiten die Eheleute 2695 z.B. in Italien im Trennungsverfahren über den Kindesunterhalt, so steht dies einem Unterhaltsantrag des Kindes vor einem deutschen Gericht nicht entgegen.38 Dies gilt aber nur, wenn der Unterhalt ex iure proprio geltend gemacht wird, nicht aber, wenn ein Ehegatte gegen den anderen als Prozessstandschaft Ansprüche des Kindes einklagt (Rz. 2240).39
V. Konnexität beider Verfahren Eine Erweiterung bringt Art. 30 EuGVVO bzw. Art. 28 LugÜ: Identität des Streit- 2696 gegenstandes ist nicht erforderlich. Es genügt Konnexität beider Verfahren.40
VI. Prioritätsprinzip Die ausländische Rechtshängigkeit ist nur dann von Bedeutung, wenn das aus- 2697 ländische Verfahren früher begonnen wurde.41 Wird der gleiche Streitgegenstand zum gleichen Zeitpunkt sowohl im In- wie auch im Ausland anhängig gemacht, bringt das Prioritätsprinzip keine Lösung. In einem solchen Falle sollte man dem inländischen Verfahren den Vorzug geben.42
35 OLG Hamm v. 25.9.1985 – 20 U 51/85, IPRax 1986, 233 (R. Geimer 208) = RIW 1986, 383 = IPRspr. 1985 Nr. 165. 36 Offen gelassen von OLG Koblenz v. 30.11.1990 – 2 U 1072/89, RIW 1991, 63 = EuZW 1991, 158, 160 = IPRspr. 1990 Nr. 194. 37 Hierzu Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 287; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 20. 38 BGH v. 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, NJW 1986, 662 = IPRax 1987, 314 (Jayme 295) = IPRspr. 1985 Nr. 166. 39 Weiteres Beispiel: OLG Saarbrücken v. 2.7.1997 – 1 U 847/96-139, RIW 1999, 64 = WM 1998, 833 = IPRspr. 1997 Nr. 54. Danach blockiert die Klage des vermeintlichen Schuldners auf Herausgabe des Wechsels nicht die Klage des Gläubigers auf Zahlung der Wechselsumme. Allgemein zu Klagebefugnissen im Unterhaltsrecht Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 281 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB). 40 Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 28 EuGVVÜ Rz. 11 sowie Geimer, IPRax 2001, 193 und Schütze/Kratzsch, RIW 2000, 939. 41 Allgemein zum Prioritätsprinzip Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 62; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 135. 42 Zustimmend Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 136, 302; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 131, 143.
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Im Ausland anhängiges Verfahren
2698 Der Beginn der ausländischen Litispendenz ist – im Anwendungsbereich des autonomen deutschen Rechts – grundsätzlich nach der ausländischen lex fori zu bestimmen.43 Die spiegelbildliche Anwendung der §§ 253 ff. ZPO scheitert an der Verschiedenheit der ausländischen Prozessnormen über den Beginn des Prozesses.44 Nach vielen Rechtsordnungen tritt die Rechtshängigkeit bereits mit Einreichung bzw. Registrierung der Klage bei Gericht ein, ohne dass es auf die Zustellung an den Beklagten ankäme.45 Art. 9 II schweizer. IPRG versucht sogar noch, diesen Termin auf den möglichst frühesten Zeitpunkt vorzuverlegen. Es genügt die Einleitung eines Sühneverfahrens.46 2699 Jedoch muss der Grundsatz der Maßgeblichkeit der ausländischen lex fori modifiziert werden, insbesondere dann, wenn nach ausländischem Recht „Rechtshängigkeit“ bereits mit Einreichung der Klage/des Antrags bei Gericht eintritt.47 Denn dann wäre der in Deutschland Klagende stets im Hintertreffen:48 Da die Rechtshängigkeit beim deutschen Gericht erst mit der (wegen § 183 I Satz 2 Alt. 2 ZPO besonders komplizierten) Zustellung der Klage bzw. des Scheidungsantrags eintritt (§§ 253 I, 261 I ZPO; § 124 FamFG)49, könnte das vor dem deutschen Gericht anhängig gemachte Verfahren durch einen Parallelprozess im Ausland überrundet werden mit der Folge, dass nach dem Prioritätsprinzip (§ 261 III Nr. 1 ZPO) im Inland eine Klagesperre eintritt, weil die zeitlich frühere Rechtshängigkeit des später begonnenen ausländischen Prozesses zu beachten ist (Rz. 1933).50 Ein solcher Wettlauf der Kläger darf nicht unter unfairen Bedingungen stattfinden. 2700 Das racing to the courthouse darf nicht durch Unterschiede in der Ausgestaltung des Beginns der Rechtshängigkeit in den einzelnen nationalen Gesetzen verzerrt
43 BGH v. 18.3.1987 – IVb ZR 24/86, MDR 1987, 747 = NJW 1987, 3083 (kritisch R. Geimer) = FamRZ 1987, 580 (Gottwald) = IPRax 1989, 104 (Siehr 93) = IPRspr. 1987 Nr. 145; BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, NJW-RR 1992, 642 = FamRZ 1992, 1058 = IPRax 1994, 40 (Linke 17) = IPRspr. 1992 Nr. 211; OLG Bamberg v. 5.11.1999 – 2 WF 192/99, FamRZ 2000, 1289 = IPRspr. 1999 Nr. 148. 44 R. Geimer, NJW 1984, 528; Kaiser/Prager, RIW 1983, 667; Bürgle, IPRax 1983, 284; a.A. Linke, IPRax 1982, 231. 45 Hinweise bei Dohm, a.a.O., 116 ff. 46 Zur Rechtslage in der Schweiz Hau, a.a.O., 146; Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994, 8 und 114. 47 So z.B. in Dänemark (LG Köln v. 17.3.1999 – 91 O 170/98, TranspR 2000, 382 = IPRspr. 1999 Nr. 144), in der Türkei (OLG Frankfurt v. 11.3.1999 – 6 UF 101/98, FamRZ 2000, 35 = IPRspr. 1999 Nr. 143) sowie in vielen Bundesstaaten der USA, Otto, Der prozessuale Durchgriff, 1993, 119. S. auch Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 59. 48 Anders aber das Konzept des Art. 30 EuGVVO. 49 Anders ist es in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Hier tritt Rechtshängigkeit bereits mit Einreichung bei Gericht ein, §§ 81, 90 VwGO; eine dort eingereichte Zivilklage kann nach § 17a GVG an die Zivilgerichte verwiesen werden. Vgl. den Fall des BVerwG v. 5.2.2001 – 6 B 8/01, IPRax 2004, 112 (Grothe 83). 50 Hierzu Hau, a.a.O., 35, 55.
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werden und dadurch sein Ausgang willkürlich werden. Dies verbieten auch Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGRCh.51 Daher ist die These nicht richtig, für die Beurteilung des Beginns der Rechtshän- 2701 gigkeit im Ausland solle ausschließlich die dortige lex fori maßgeblich sein. Denn bei strikter Anwendung dieser Regel würde die Justizgewährung durch deutsche Gerichte unangemessen beschnitten werden. Dass der im Inland Klagende das Rennen um das Forum gewinnt, wäre nahezu aussichtslos. Man wird erinnert an die Fabel vom Wettlauf zwischen Hase und Igel.52 Deshalb ist – entgegen der BGH-Rechtsprechung53 – für den Prioritätstest auf den vergleichbaren Entwicklungsstand beider Verfahren abzustellen.54 Die Anwendung des ordre public (so der Bundesgerichtshof) wäre deplatziert. 2702 Denn es gilt nicht, die Grundwerte der inländischen Rechtsordnung zu verteidigen (die – wie der Bundesgerichtshof richtig hervorhebt – nicht tangiert sind), sondern eine Regel des deutschen internationalen Zivilprozessrechts zu definieren, unter welchen Voraussetzungen ausländische Rechtshängigkeit zu einer Blockade der Justizgewährung im Inland führt. Dabei handelt es sich ebenso wenig um ein ordre public-Problem, wie bei der Frage der Konkurrenz zwischen einem inländischen und einem ausländischen Urteil.55 Es geht vielmehr um die Bedingungen, unter denen der Rechtshängigkeit im Ausland Priorität eingeräumt wird. Dabei müssen die legitimen Interessen desjenigen, der sich (zeitlich früher) an ein deutsches Gericht wendet, berücksichtigt werden. Der Bundesgerichtshof56 ist zu zurückhaltend, wenn er nur mit der exceptio doli 2703 arbeiten will; denn bis heute ist es auch auf anderen Feldern des internationalen Verfahrensrechts nicht gelungen, klar abzustecken, wann derjenige, der von prozessualen Möglichkeiten (für ihn vorteilhaften) Gebrauch macht, arglistig handelt (Rz. 1015). Es entstehen viel weniger Abgrenzungsschwierigkeiten, wenn man in den Fällen, in denen die Rechtshängigkeit nach der ausländischen lex fori bereits mit der Einreichung der Klage bei Gericht beginnt, es auch vice versa
51 Hau, a.a.O., 148. 52 Vgl. auch Hau, a.a.O., 148 m.w.N. 53 BGH v. 18.3.1987 – IVb ZR 24/86, MDR 1987, 747 = NJW 1987, 3083 (R. Geimer) = FamRZ 1987, 580 (Gottwald) = IPRax 1989, 104 (Siehr 93) = IPRspr. 1987 Nr. 145; BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, NJW-RR 1992, 642 = FamRZ 1992, 1058 = IPRax 1994, 40 (Linke 17) = IPRspr. 1992 Nr. 211. 54 OLG Hamm v. 6.7.1988 – 8 Wf 352/88, NJW 1988, 3102 (3103) (R. Geimer) = IPRspr. 1988 Nr. 181; R. Geimer, NJW 1987, 3084; Heiderhoff, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehescheidungsverfahren, 1998, 195; Heiderhoff, IPRax 1999, 392 (394); Zöller/Geimer, ZPO30, § 98 FamFG Rz. 59. Auch das OLG Karlsruhe v. 21.12.1990 – 5 UF 161/89, IPRax 1992, 171 (173) (insoweit ablehnend Sonnenberger, IPRax 1992, 157 sub 6) möchte „die legitimen Interessen desjenigen, der sich zeitlich früher mit einer Klage (Scheidungsantrag) an ein deutsches Gericht wendet“, schützen; a.A. jedoch Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 292 ff., 301. 55 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1667. 56 BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, NJW-RR 1992, 642 = FamRZ 1992, 1058 = IPRax 1994, 40 (Linke 17) = IPRspr. 1992 Nr. 211.
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bei der Beantwortung der Prioritätsfrage genügen lässt, dass die in Deutschland erhobene Klage bei Gericht eingereicht ist.57 2704 EuGH-Rspr.: Nicht Anhängigkeit, d.h. Einreichung der Klage/des Antrags58, sondern (endgültige) Rechtshängigkeit (bestimmt nach dem nationalen Recht, nicht nach europäischem Einheitsrecht) war nach der (überholten) Judikatur des EuGH der maßgebliche Anknüpfungspunkt des Art. 21 EuGVÜ/LugÜ 1988.59 Nunmehr bringt Art. 32 EuGVVO bzw. Art. 30 LugÜ 2007 eine differenziertere Lösung. Wird im Falle einer ausschließlichen Prorogation gleichwohl das forum derogatum zuerst angerufen, musste nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung auch das später angerufene forum prorogatum gem. Art. 27 EuGVVO a.F. bzw. Art. 27 LugÜ 2007 aussetzen.60 Es hatte nicht die Entscheidungsprärogative. Dies ändert nunmehr Art. 32 II–IV EuGVVO n.F. Danach hat grundsätzlich das forum prorogatum über die Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung zu entscheiden, auch wenn es nicht als erstes Gericht i.S. von Art. 29 EuGVVO n.F. angerufen worden ist.61 Diese Außerkraftsetzung des Prioritätsprinzips des Art. 29 EuGVVO n.F. gilt jedoch nicht in Versicherungs-, Verbraucher- und individuellen Arbeitsstreitigkeiten, wenn der Kläger zu dem (wegen seiner angeblichen strukturellen Schwäche) kompetenzrechtlich privilegierten Personenkreis gehört, wenn also der Versicherungsnehmer, Versicherte oder sonst wie aus dem Versicherungsvertrag Begünstigte, der Verbraucher oder Arbeitnehmer klagt. Als Grundsatz bleibt festzuhalten: Auch wenn nach Ansicht des zweiten Richters der zuerst angerufene Richter unzuständig ist, darf der zweite nicht zur Sache entscheiden. Die Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts erfolgt ausschließlich durch dieses selbst bzw. durch die diesem übergeordneten Rechtsmittelgerichte. Im Übrigen kann das an sich international unzuständige Gericht gemäß Art. 26 EuGVVO immer noch zuständig werden. Das Prioritätsprinzip des Art. 29 EuGVVO gilt auch in den Fällen des Art. 24 EuGVVO. Aus Art. 29 EuGVVO lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass das nach Art. 24 EuGVVO ausschließlich zuständige Zweitgericht die Rechtshängig-
57 R. Geimer, EWiR 1987, 310; a.A. BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, NJW-RR 1992, 642 = FamRZ 1992, 1058 = IPRax 1994, 40 (Linke 17) = IPRspr. 1992 Nr. 211. 58 So aber Rauscher, IPRax 1985, 317 um zu vermeiden, dass Spezialgerichtsstände dadurch überrundet werden, dass später eingereichte Klage im Wohnsitzstaat de facto schneller zugestellt wird. 59 EuGH v. 7.6.1984 – Rs. C-129/83 – Zelger/Salinitri, Slg. 1984, 2397 = NJW 1984, 2759 = RIW 1984, 737 (Linke) = IPRax 1985, 336 (Rauscher 317) = Rev. crit. 1985, 374 (Holleaux). 60 EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02 – Erich Gasser GmbH/MISAT Srl, RIW 2004, 289 (Thiele 285) = EuZW 2004, 188; s. auch LG Bonn v. 26.6.2003 – 7 O 22/02, RIW 2004, 460; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Einl. Rz. 113; Art. 23 EuGVVO Rz. 215. 61 Hierzu Hilbig-Lugani, Der gerichtsstandsvereinbarungswidrige Torpedo – Wird endlich alles gut?, in FS Schütze 80, 2014, 195.
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keit des ersten Verfahrens ignorieren und ohne Verzögerung in der Sache entscheiden darf. Das Gleiche gilt in Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie in individuellen Arbeitsrechtsstreitigkeiten. Auch hier darf nicht zu Gunsten des geschützten Personenkreises (Versicherungsnehmer, Versicherte, Verbraucher, Arbeitnehmer) Art. 29 EuGVVO ignoriert werden. Anders soll es aber nach Ansicht des EuGH62 sein, wenn das später angerufene Gericht nach Art. 24 ausschließlich international zuständig ist. Dieses habe Art. 29 EuGVVO zu ignorieren und in der Sache zu entscheiden. Der EuGH geht davon aus, dass bei Verletzung des Art. 24 EuGVVO die Versagung der Anerkennung zwingend ist. Dies trifft nicht zu. Die Versagung der Anerkennung erfolgt vielmehr nur auf Antrag des Beklagten, Art. 45 I EuGVVO, nicht des betreffenden Staats. Ob ein Sühneverfahren, das dem eigentlichen Rechtsstreit (obligatorisch) vor- 2704a geschaltet ist, bereits Rechtshängigkeit im Ausland begründet, die inländischen Rechtsschutz blockiert63, hängt davon ab, ob dieses ein selbständiges Verfahren oder ob es integraler Bestandteil des „Gesamtprozesses“ ist.64 (S. auch Rz. 2727). Selbständige Entscheidung der Prioritätsfrage: Ob die ausländische Rechtshän- 2704b gigkeit früher eingetreten ist als die deutsche, entscheidet das deutsche Gericht selbständig und ohne Bindung an die Rechtsansicht und die tatsächlichen Feststellungen des ausländischen Gerichts. Dies gilt auch im Anwendungsbereich des Art. 29 EuGVVO bzw. Art. 27 LugÜ, des Art. 12 EuUnterhVO, des Art. 17 EuErbRVO sowie des Art. 19 EuEheVO.65 Jedes in Betracht kommende Gericht hat selbständig zu prüfen, ob es das „zuerst“ oder das „später“ angerufene Gericht ist. Denn diese Rechtsinstrumente übertragen – anders als im Fall des Art. 17 I 3 EuGVÜ/LugÜ 198866 bzw. Art. 29 III und Art. 31 III EuGVVO sowie Art. 23 III LugÜ – keinem der beteiligten Gerichte die alleinige Kompetenz für die verbindliche Entscheidung der Frage, welches Gericht zuerst angerufen worden ist. In den wenigen Bereichen, in denen das betreffende Rechtsinstrument ausnahmsweise eine Bindung an die Feststellungen eines Gerichts eines anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaats stipuliert, ist dies im jeweiligen Text ausdrücklich niedergelegt, wie z.B. in Art. 45 II EuGVVO bzw. in Art. 35 II LugÜ. Aus dem Fehlen einer solchen Bindungsregel folgt, dass es bei der selbständigen Prüfungsbefugnis eines jeden mit der Sache befassten Gerichts verbleibt. Möglichkeit, das Übergehen der früheren Rechtshängigkeit abzuwehren: Die 2704c Prüfung im Rahmen des Art. 29 EuGVVO bzw. des Art. 27 LugÜ 2007 ist die einzige effektive Bremse gegen (willkürliche) Ignorierung der früheren deutschen Rechtshängigkeit durch ausländische Gerichte (Rz. 1118). Denn die Missachtung
62 EuGH v. 3.4.2014 – Rs. C-438/12 – Weber/Weber, NJW 2014, 1871 Rz. 58 = EuZW 2014, 469 (Dietze). 63 So ausdrücklich Art. 9 I schweizer. IPRG. 64 Ähnlich Sonnenberger, IPRax 1992, 156. 65 R. Geimer in FS Schweizer, 1999, 175, 184. Zustimmend Dilger, Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der VO (EG) Nr. 2201/2003, 2004, Rz. 344. 66 Vgl. Mankowski, JZ 1998, 900.
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der früheren deutschen Rechtshängigkeit durch das ausländische Gericht ist – anders als nach § 328 I Nr. 3 ZPO und § 109 I Nr. 3 FamFG (Rz. 2735, 2891) – für sich allein kein Grund, die Anerkennung bzw. Vollstreckung einer unter Verletzung des Prioritätsprinzips ergangenen Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat zu versagen. Art. 45 I (c) EuGVVO bzw. Art. 34 I Nr. 3 LugÜ 2007 setzt ein bereits ergangenes deutsches Urteil voraus, mit dem die zur Anerkennung bzw. Vollstreckung anstehende ausländische Entscheidung unvereinbar ist. Eine deutsche Entscheidung ist aber in solchen Konstellationen (noch) nicht ergangen. 2704d Missbräuchliche Inlandszustellung trotz objektiver Notwendigkeit einer Auslandszustellung: Wollte man eine Bindung an die Feststellungen des Gerichts des jeweils anderen Staates bejahen, so würde dies die Gefahr missbräuchlicher Inlandszustellungen in Fällen heraufbeschwören, in denen nach objektiver Rechtslage eine Auslandszustellung erforderlich ist. So wäre z.B. nicht hinzunehmen, dass englische Gerichte nur aufgrund klägerischer Behauptungen von einem Wohnsitz in England ausgehen und deshalb service of claim form within the jurisdiction genügen lassen, obwohl richtig eine Auslandszustellung (service out of jurisdiction) erforderlich gewesen ist. Bei Prüfung nach englischem Recht könnte z.B. das deutsche Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass service within the jurisdiction nicht ausreichend war, weil richtig service out of jurisdiction notwendig gewesen wäre im Hinblick darauf, dass gegebenenfalls nach dem Ergebnis der deutschen Beweisaufnahme der Beklagte nicht mehr in England oder Wales zum fraglichen Zeitpunkt gewohnt hat. 2704e Die Feststellungen des ausländischen Gerichts über den Zeitpunkt bzw. über die Wirksamkeit der Zustellung sind keine Entscheidungen i.S. von Art. 2 lit. a EuGVVO bzw. Art. 32 LugÜ 2007, deren Wirkungen ohne Rücksicht auf ihre sachliche Richtigkeit kraft Anerkennung auf Deutschland zu erstrecken wären. Denn unter die Anerkennungspflicht nach Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 32 ff. LugÜ 2007 fallen – entgegen der Ansicht des EuGH67 – nur Entscheidungen in der Sache (Rz. 2788).68 2704f Positiver Konflikt: Die hier beschriebene Prüfungsmöglichkeit kann zu Konfliktsituationen führen, wenn jedes befasste Gericht sich für das zuerst angerufene hält und daher der Auffassung ist, das jeweils andere habe sein Verfahren nach Art. 27 I EuGVVO/LugÜ II auszusetzen bzw. habe sich für unzuständig i.S. von Art. 27 II EuGVVO/LugÜ II zu erklären, d.h. die Klage als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen. Die EuGVVO bzw. das LugÜ sieht keinen Mechanismus vor, eine solche Konfliktsituation aufzulösen, um widersprüchliche Entscheidungen in der gleichen Sache zu vermeiden.69
67 EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11 – Gothaer/Samskip, EuZW 2013, 60 = LMK 2013, 341521 (Hau); hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2012, 1 (19); Bach, EuZW 2013, 56; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812, 835; Duintjer Tebbens in FS Vrellis, 2014, 263. 68 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 32 EuGVVO Rz. 16. 69 Treffend hebt Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997, 127
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Es kann aber auch zum negativen Konflikt kommen. Hier handelt es sich um fol- 2704g gende Konstellation: Das (vermeintlich) später angerufene Gericht setzt aus, jedoch sieht das andere Gericht (zu dessen Gunsten die Aussetzung erfolgte), die Dinge vice versa anders: Es vertritt die Meinung, es sei das „später angerufene“ Gericht und entscheidet daher nicht in der Sache.70 Ende der Rechtshängigkeit im Ausland: Art. 29 EuGVVO bzw. Art. 27 LugÜ 2704h 2007 setzt – ebenso wie das autonome deutsche Recht – fortbestehende frühere Rechtshängigkeit im Ausland voraus. Die Sperre für eine Sachentscheidung in Deutschland entfällt – ohne Rücksicht auf die Beantwortung der Prioritätsfrage – jedenfalls dann, wenn die Rechtshängigkeit im Ausland endet, gegebenenfalls durch abschließende Entscheidung in der Sache oder durch Vergleich bzw. Klagerücknahme. Eine „stipulation of dismissal“ steht einer neuen Klage nicht entgegen.71 Maßgeblich für das Ende ist – da entsprechendes Unions- bzw. Konventions- 2704i recht fehlt – primär das autonome Recht des jeweiligen Mitglied- bzw. Vertragsstaates. Wenn im Ausland die Rechtshängigkeit aufgehört hat, gibt es kein Verfahrenshindernis mehr für die Durchführung des in Deutschland anhängigen Rechtsstreits. Der Verweis auf das nationale Recht für das Ende der Rechtshängigkeit ist im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ aber nur der gedankliche Ausgangspunkt. Er bedarf der Anpassung und Modifizierung durch das System der EuGVVO bzw. des LugÜ. Es kommt darauf an, ob die im ausländischen Verfahren ergangenen Entscheidungen (z.B. Versäumnisurteile) mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen i.S. von Art. 38 lit. a EuGVVO bzw. Art. 37 und Art. 46 LugÜ 2007 nicht mehr angreifbar sind. Dies ist vor allem für das englische Recht von Bedeutung. Dieses kennt nämlich die in Kontinentaleuropa übliche Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln nicht.72 Die Bedeutung des nationalen Rechts für die Abstimmung zwischen Ende der 2704j Rechtshängigkeit einerseits und der res iudicata andererseits ist durch die EuGVVO bzw. das LugÜ eingeschränkt. Der Gerichtsstaat kann diese Grenze nicht nach freiem Belieben ziehen. Denn es kann im Hinblick auf den europäischen Justizgewährungsanspruch nicht angehen, dass ein Mitglied- bzw. Vertragsstaat die Rechtshängigkeit vor seinen Gerichten andauern lässt und so nach
hervor, dass viele Konstellationen denkbar sind, „in denen es trotz Art. 21 EuGVÜ zu unvereinbaren Urteilen kommen kann“. 70 So der Fall des Schweiz. Bundesgerichts, Urt. v. 26.9.1997, FORUM International 3 (1998), 14, in dem die Parallelvorschrift des Art. 21 LugÜ anzuwenden war: Der mit der Zahlungsklage befasste High Court of Justice setzte das Verfahren aus, weil er frühere Rechtshängigkeit in Zürich für gegeben hielt. Die schweiz. Gerichte kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass – trotz Art. 9 II schweizer. IPR-Gesetz – die Rechtshängigkeit i.S. von Art. 21 LugÜ erst nach derjenigen in London eingetreten sei. 71 OLG Nürnberg v. 14.10.1998 – 12 U 1914/98, NZG 1999, 319 = IPRspr. 1998 Nr. 178. 72 Schlosser-Bericht, Rz. 204.
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Art. 29 EuGVVO bzw. Art. 27 LugÜ den Rechtsschutz vor den Gerichten der anderen Staaten blockiert, aber andererseits keine abschließende (der materiellen Rechtskraft dauerhaft fähige) Entscheidung von seinen Gerichten produzieren lässt. 2704k Anerkennung der materiellen Rechtskraft der ausländischen Sachentscheidung: Einer Sachentscheidung der deutschen Gerichte könnte – trotz Wegfalls der Rechtshängigkeitssperre – die Rechtskraft der im ausländischen Verfahren ergangenen Entscheidungen entgegenstehen. Dies hängt davon ab, welche Wirkungen diese nach dem Recht des jeweiligen Gerichtsstaates (Erststaates) entfalten und ob diese Wirkungen in Deutschland nach Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 33 ff. LugÜ oder nach dem gegebenenfalls anerkennungsfreundlicheren nationalen Recht (§ 328 ZPO, § 109 FamFG) anzuerkennen sind.
VII. Früheres Seerecht 2705 Verbis expressis war im autonomen Recht die Relevanz der ausländischen Rechtshängigkeit nur im Seerecht geregelt. Anlässlich der Ratifikation des Brüsseler Internationalen Übereinkommens vom 10.5.1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen73 wurde der deutsche Gesetzgeber zu dem 2013 gestrichenen § 738a I HGB74 inspiriert: „Ist eine [seerechtliche] Klage auf Schadenersatz … bei einem ausländischen Gericht anhängig, so hat die Klage die in § 261 Abs. 3 Nr. 1 der Zivilprozessordnung bestimmte Wirkung der Rechtshängigkeit, wenn die Zuständigkeit des Gerichts auf einer dem § 738 Abs. 1 [HGB] entsprechenden Regelung beruht und wenn das Gericht des Staates, vor dem die Klage auf Schadenersatz anhängig ist, im Falle einer vor einem deutschen Gericht anhängigen Klage die Wirkungen der Rechtshängigkeit anerkennen würde.“75
VIII. Kein Gegenseitigkeitserfordernis 2706 Das deutsche Recht76 verlangt nicht die Verbürgung der Gegenseitigkeit. Nur mittelbar kommt über § 328 I Nr. 5 ZPO77 bzw. § 109 IV FamFG dieser Gesichtspunkt ins Spiel. Es betrifft aber nur die Anerkennungsprognose (Rz. 2688), nicht jedoch die Relevanz der Rechtshängigkeit als solche.78
73 BGBl. II 1973, 169. Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 125. 74 Seerechtsänderungsgesetz v. 12.6.1972, BGBl. I 1972, 966. 75 Hierzu Basedow, VersR 1978, 496 ff.; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 643. 76 Anders § 738a HGB a.F. 77 Vgl. z.B. OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, OLGR 2007, 305 (307) = NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187. 78 Beispiel bei Schack, IZVR6, Rz. 843.
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IX. Beachtung von Amts wegen Die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit steht nicht im Ermessen des 2707 deutschen Gerichts. Es ist auch nicht auf die Rüge bzw. den Vortrag der Parteien angewiesen.79 Es hat vielmehr von Amts wegen die ausländische Litispendenz zu beachten. Gleichwohl hat das deutsche Gericht den Umfang des ausländischen Streitgegenstandes – zur Prüfung der Identität mit dem inländischen – nicht von Amts wegen aufzuhellen, wenn die Partei des deutschen Prozesses, die sich auf die Rechtshängigkeit beruft, einen substantiierten Vortrag unterlassen hat.80 Mitunter sehen völkerrechtliche Verträge vor, dass die ausländische Rechtshän- 2708 gigkeit nur auf Antrag einer Partei zu beachten ist.81 Gleichwohl ist es nicht vertragswidrig, die ausländische Rechtshängigkeit von Amts wegen zu beachten.82 (Vgl. auch Rz. 2807).
X. Ehesachen Bei der Anerkennungsprognose in Ehesachen kommt – außerhalb des Anwen- 2709 dungsbereichs der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c) – das Feststellungsmonopol der Landesjustizverwaltung bzw. des Oberlandesgerichtspräsidenten nach § 107 FamFG zum Zuge (Rz. 3015). Ist bereits im Ausland ein Urteil ergangen, so darf das Gericht dessen Anerkennungsfähigkeit – auch als Vorfrage – nicht selbständig beurteilen (Rz. 3025).83 Es muss vielmehr das Verfahren aussetzen, bis eine Entscheidung der Landesjustizverwaltung bzw. des Oberlandesgerichtspräsidenten ergangen ist. Diese bindet das Gericht, § 107 IX FamFG. Die Aussetzung steht nicht im Ermessen des Gerichts.84 Auch in der Revisionsinstanz ist § 107 FamFG in jeder Lage des Verfahrens zu beachten; eine Verfahrensrüge ist nicht erforderlich.85
79 Anders OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, OLGR 2007, 305 (307) = NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187 unter Hinweis auf den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz. 80 OLG Hamm v. 25.9.1985 – 20 U 51/85, RIW 1986, 383 = IPRax 1986, 233 (234) (R. Geimer 208, 216) = IPRspr. 1985 Nr. 165. Ebenso aus der Sicht des Art. 19 EuEheVO Dilger in Geimer/Schütze, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 545), Art. 19 EuEheVO Rz. 27. 81 Art. 11 des dt.-ital. Abkommens, Art. 15 des dt.-belg. Abkommens, Art. 44 des dt.-tunes. Vertrages, Art. 22 des dt.-israel. Vertrages. 82 R. Geimer, NJW 1984, 528. 83 A.A. Schumann, IPRax 1986, 15 Fn. 8. 84 Unzutreffend OLG Frankfurt v. 7.10.1980 – 15 W 83/80, IPRspr. 1980 Nr. 159; OLG Bremen v. 25.10.1984 – 3 UF 51/84, IPRax 1985, 296 = IPRspr. 1984 Nr. 92. 85 Dies wurde nicht beachtet in BGH v. 5.2.1975, BGHZ 64, 19 = NJW 1975, 1072 (kritisch R. Geimer 2141) = IPRspr. 1975 Nr. 98.
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2710 Anders ist es, wenn noch keine ausländische Entscheidung ergangen ist. Dann kommt § 107 FamFG nicht zum Zuge. Das deutsche Gericht ist befugt, über die Anerkennungsprognose selbst zu befinden.86
XI. Zwischenurteil 2711 Über die Frage, ob die ausländische Rechtshängigkeit im Inland zu beachten ist (und einem inländischen Sachurteil entgegensteht), kann durch Zwischenurteil (§ 280 ZPO) entschieden werden.87
XII. Aussetzung 2712 § 261 III Nr. 1 ZPO gibt keine Aussetzungsmöglichkeit, um den Ausgang des ausländischen Verfahrens abwarten zu können.88 Eine Aussetzung ist jedoch angesichts der Unsicherheit der Anerkennungsprognose zu befürworten; daher ist § 148 ZPO analog anzuwenden (Rz. 2724).89
XIII. Präjudizialität des ausländischen Verfahrens 2713 Auch wenn der im Ausland anhängig gemachte Prozess nur einen Präjudizialpunkt des inländischen Streitgegenstandes betrifft, will die h.M. dem deutschen Gericht eine Aussetzungsmöglichkeit nach § 148 ZPO bei positiver Anerkennungsprognose geben. Auf das Prioritätsprinzip und Identität der Parteien komme es nicht an.90 2714 Doch ist hier Zurückhaltung geboten, da die Justizgewährung im Inland nicht unzumutbar beschnitten werden darf. Insbes. kann es nicht angehen, dass die im Inland verklagte Partei „ihren“ Prozess dadurch unterläuft, dass sie im Aus-
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Vgl. OLG Hamburg v. 27.1.1986 – 2 WF 49/85, IPRax 1987, 37 = IPRspr. 1986 Nr. 166. OLG Frankfurt v. 9.4.1975, VersR 1975, 646 = IPRspr. 1975 Nr. 156. Für Prozessabweisung ohne Wenn und Aber Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 148 Rz. 60. BGH v. 10.10.1985 – I ZR 1/83, RIW 1986, 218 = NJW 1986, 2195 = EWiR 1985, 1015 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 167; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 1982, 337 Fn. 27; Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 44 (1980), 340; Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 272 ff.; Eschenfelder, Möglichkeiten deutscher Unternehmen, US-amerikanische Discovery auch vor deutschen Gerichten zu nutzen, IPRax 2006, 89; Eschenfelder, Verwertbarkeit von Discovery-Ergebnissen in deutschen Zivilverfahren, RIW 2006, 443; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 160. S. auch in anderem Zusammenhang Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 305. 90 Einschränkend OLG Frankfurt v. 12.11.1985 – 5 W 25/85, NJW 1986, 1443 = RIW 1986, 469 = IPRax 1986, 297 (Nagel 282, Löber 283) = IPRspr. 1985 Nr. 168. S. auch die Nachw. bei Synatschke, Die Unzuständigerklärung des Schiedsgerichts, 2006, 162.
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land einen (eine Vorfrage des inländischen Prozesses betreffenden) Rechtsstreit – nachträglich – anhängig macht.91 Wenn überhaupt, ist eine „internationale Aussetzung“ nur diskutabel, wenn das 2715 ausländische Gericht nach seinem internationalem Privatrecht voraussichtlich seiner Entscheidung die gleiche lex causae zugrunde legen wird wie das deutsche Gericht. Die zu erwartende ausländische Entscheidung mag zwar auch bei Anwendung anderen Sachrechts anerkennungsfähig sein, weil eine kollisionsrechtliche Kontrolle nicht stattfindet (Rz. 2965) und auch mangels Identität des Streitgegenstandes das Anerkennungshindernis des § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 3 FamFG nicht entgegensteht, sie kann aber nicht „hilfreich“ sein für die Rechtsfindung des deutschen Gerichts; deshalb scheidet bei divergierendem internationalem Privatrecht eine Aussetzung von vornherein aus.92
XIV. Relevanz der Beweisaufnahme in einem im Ausland schwebenden Verfahren Liegt weder Identität des Streitgegenstandes (Rz. 2693) noch der Parteien 2716 (Rz. 2695) noch ein Fall der Präjudizialität (Rz. 2713) vor, so kann der im Ausland anhängige Prozess für das deutsche Gericht gleichwohl in tatsächlicher Hinsicht von Bedeutung sein im Hinblick auf Beweisaufnahmen bzw. Beweiswürdigungen. Dies berechtigt jedoch nicht zur Aussetzung.
XV. Positive Anerkennungsprognose Nach autonomem deutschem Recht und den meisten Staatsverträgen93 setzt die 2717 Beachtung der zeitlich früheren ausländischen Rechtshängigkeit eine positive Anerkennungsprognose voraus (Rz. 2688). Dieses Erfordernis wirft neben der Prüfung der Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 I Nr. 5 ZPO; § 109 IV FamFG)94 viele praktische Rechtsanwendungsprobleme auf, wenn das ausländische Verfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist. Denn durch das Prozessverhalten der Beklagten im Ausland kann sich die „Anerkennungslage“ verschieben. So kann die aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 12 ff. ZPO) „an sich“
91 Auch wenn der ausländische Gerichtsstaat grundsätzlich ausländische (hier deutsche) Rechtshängigkeit nach dem Prioritätsprinzip beachtet, steht die frühere (deutsche) Rechtshängigkeit nicht entgegen, da Identität des Streitgegenstandes nicht gegeben ist. 92 R. Geimer, NJW 1987, 3085; a.A. Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 116. Weiter als hier vorgeschlagen geht auch Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 508. 93 Ausnahme: Art. 21 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 27 EuGVVO; hierzu R. Geimer, IPRax 2001, 191; Schütze/Kratzsch, RIW 2000, 939. 94 Vgl. z.B. OLG Hamm v. 28.11.1996, IPRspr. 1996 Nr. 184; BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156.
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nicht gegebene internationale Anerkennungszuständigkeit durch Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Gerichtsstaates oder durch vorbehaltlose Einlassung in der Rechtsmittelinstanz begründet werden (Rz. 1422). Auch kann die dem Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO/LugÜ bzw. § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG „an sich“ nicht genügende Verfahrenseröffnung geheilt werden.95 Angesichts der internationalen Prozessförderungslast der Parteien kann die Berücksichtigung eines Verfahrensverstoßes (unter dem Gesichtspunkt des ordre public) präkludiert sein (Rz. 2922, 2955). 2718 Auch die Beachtung des Einwandes der ordre public-Widrigkeit der (zu erwartenden) Sachentscheidung des ausländischen Gerichts in Deutschland kann davon abhängen, ob die (beschwerte) Partei alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe eingelegt hat (Rz. 2991a). Hat das ausländische Gericht noch keine Sachentscheidung erlassen, kann die Frage nicht beantwortet werden, ob insoweit die Anerkennung an § 328 I Nr. 4 ZPO scheitert.96 2719 Bei einem non liquet ist wie folgt zu entscheiden: Die ordre public-Widrigkeit des ausländischen Verfahrens, insbesondere seiner Einleitung, führt nur dann zur negativen Anerkennungsprognose, wenn eine Heilungsmöglichkeit ausgeschlossen ist.97 Das Gleiche gilt für die ordre public-Widrigkeit der Sachentscheidung des ausländischen Gerichts, wenn diese nach der dortigen Rechtslage durch Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe beseitigt werden kann. Bloße Mutmaßungen über die präsumptive ordre public-Widrigkeit der noch nicht erlassenen Entscheidung zur Sache (Anwendung von Rechtsregeln oder -grundsätzen, die dem anerkennungsrechtlichen ordre public (Rz. 26) widersprechen, bzw. Nichtanwendung von Normen bzw. Rechtsprinzipien, die aus deutscher Sicht „absolut international zwingend“, also auch in der Anerkennungsphase durchzusetzen sind) können nicht zur Ignorierung der ausländischen Rechtshängigkeit führen. Die vom Bundesgerichtshof98 zur Nichtbeachtung der Derogation der internationalen Zuständigkeit Deutschlands angestellten Überlegungen zur hypothetischen Rechtsanwendungsprozedur des ausländischen Gerichts wurden bereits in Rz. 1058, 1770 kritisiert. Sie haben auch bei der Anerkennungsprognose im Zusammenhang mit § 261 III Nr. 1 ZPO keine Berechtigung.
95 Hierzu z.B. Rauscher, IPRax 1992, 16; Gottwald in FS Schumann, 2001, 149. 96 Zustimmend Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 262; Schütze, RabelsZ 31 (1967), 233 (246). 97 Enger OLG Hamburg v. 3.7.1990 – 2 UF 51/88 R, IPRax 1992, 38 (Rauscher 14). 98 BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 = RIW 1985, 78 = IPRax 1985, 216 (Roth 198) = IPRspr. 1984 Nr. 135; BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, IHR 2013, 35 (Antomo 225); OLG Stuttgart v. 29.12.2011 – 5 U 126/11, IHR 2012, 163. S. auch die Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 72 ff.; Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und internationalen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Zöller/Geimer, ZPO30, IZPR Rz. 69 und § 1029 Rz. 56, § 1061 Rz. 30, 51.
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Soweit in der Anerkennungsphase eine Anerkennungsvoraussetzung bzw. ein 2720 Versagungsgrund nur auf Rüge der betroffenen Partei zu prüfen ist (vgl. Rz. 2903, 2937, 2957, 2991), gilt dies auch für die Entscheidungsphase des § 261 III Nr. 1 ZPO. Eine Prüfung von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist auch hier eine Rüge der betroffenen Partei erforderlich, um zu einer negativen Anerkennungsprognose zu kommen. Soweit man entgegen der hier vertretenen Auffassung (Rz. 878) und dem eindeu- 2721 tigen Trend in der modernen Gesetzgebung99 für den Bereich des autonomen deutschen Rechts100 etwa in Anlehnung an Art. 24 EuGVVO Fälle ausschließlicher internationaler Zuständigkeit Deutschlands bejaht, scheidet insoweit eine Anerkennung und damit eine Berücksichtigung der ausländischen Rechtshängigkeit von vornherein aus.
XVI. Abgrenzung zur Anerkennung der res iudicata- und der Gestaltungswirkung der bereits im Ausland ergangenen Entscheidung Ist das Verfahren im Ausland bereits endgültig abgeschlossen, liegt keine Rechts- 2722 hängigkeit im Ausland (mehr) vor, die analog § 261 III Nr. 1 ZPO zu beachten wäre. Es geht vielmehr um die Frage, ob und inwieweit die Wirkungen der im ausländischen Verfahren ergangenen Sachentscheidung (res iudicata-, Gestaltungswirkung etc.) anzuerkennen sind; wurde das Verfahren im Ausland ohne eine Sachentscheidung abgeschlossen, z.B. durch Rücknahme der Klage bzw. des Antrags, ist dies für das deutsche Gericht irrelevant, weil keine Sachentscheidung vorliegt, die Gegenstand der Anerkennung sein könnte (Rz. 2788). Wurde es durch Vergleich erledigt, so ist dessen Beachtung i.d.R. kein Problem des Prozessrechts und damit der Zulässigkeit des inländischen Prozesses, sondern des materiellen Rechts und damit der Begründetheit der Klage. Ausnahme: Wenn – anders als nach deutschem Recht – der Vergleich res iudicata-Wirkung entfaltet (Rz. 2864). Anders als nach deutschem Recht (§ 705 ZPO) treten nach manchen auslän- 2723 dischen Rechtsordnungen die Wirkungen der gerichtlichen Entscheidung bereits mit deren Erlass ein, obwohl der Rechtsstreit noch nicht abgeschlossen ist, weil er durch Einlegung von Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen noch fortgesetzt werden kann. So entfaltet das Urteil eines französischen Gerichts bereits mit Erlass autorité de la chose jugée, die allerdings nach Rechtsmitteleinlegung suspendiert wird. Nach Unanfechtbarkeit erlangt die Entscheidung force de la chose jugée (Rz. 2804). Dies hat Auswirkungen auf das inländische Verfahren: Ist in Frankreich bereits eine Entscheidung ergangen, kann deren autorité de la chose jugée im deutschen Verfahren geltend gemacht werden. Dogmatisch geht es
99 § 106 FamFG (vormals §§ 606a I 2, 640a II 2, 661 III ZPO, §§ 35b II, 43b I 2, 69e FGG). 100 Vgl. zur Parallelfrage in der Schweiz Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff.
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nicht um die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit, sondern der Wirkungen der im Ausland ergangenen Entscheidung.101 Allerdings verschiebt sich die Rechtslage wieder, wenn und solange die Wirkungen des ausländischen Urteils durch Einlegung von Rechtsmitteln nach dem Recht des Urteilsstaates suspendiert werden. Daher ist die „Anerkennung“ noch nicht definitiver Urteilswirkungen bei funktionaler Betrachtungsweise doch nichts anderes als die Beachtung der Anhängigkeit des ausländischen Verfahrens.102 2724 Jedenfalls zeigt die hier dargestellte Konstellation, dass die Aussetzung des inländischen Verfahrens die richtige Reaktion auf den Prozess im Ausland ist und nicht die Prozessabweisung wegen (derzeitiger) Unzulässigkeit des inländischen Verfahrens (Rz. 2712).
XVII. Justizverweigerung im Ausland 2725 Die durch die ausländische Rechtshängigkeit nach Maßgabe des Prioritätsprinzips bewirkte Blockade einer Sachentscheidung durch die deutschen Gerichte ist nur dann vertretbar, wenn das ausländische Gericht das Verfahren zügig vorantreibt. Wird der Rechtsstreit ohne triftigen Grund verschleppt, so ist irgendwann der Punkt erreicht, wo der Justizgewährungsanspruch der Parteien tangiert wird. Dann kann und muss das inländische Gericht entscheiden.103 (Vgl. Rz. 1932). Der gegenteilige Standpunkt des EuGH104 ist mit Art. 6 I EMRK bzw. künftig Art. 47 II EuGrundrechtecharta105 nicht vereinbar.
101 R. Geimer, RIW 1976, 142; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 47; Linke, IPRax 1992, 160. 102 Zustimmend Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 140. 103 BGH v. 26.10.1960, NJW 1961, 124 = IPRspr. 1960–1961 Nr. 200; OLG Frankfurt v. 9.4.1975, VersR 1975, 646 = IPRspr. 1975 Nr. 156. Vgl. auch BGH v. 16.6.1982 – IVb ZR 720/80, MDR 1982, 998 = FamRZ 1982, 917 = IPRspr. 1982 Nr. 168 und BGH v. 10.10.1985 – I ZR 1/83, NJW 1986, 2195 = RIW 1986, 218 = EWiR 1985, 1015 (R. Geimer) = WM 1986, 115 = IPRspr. 1985 Nr. 167; OLG Düsseldorf v. 20.3.1985 – 3 WF 36/85, NJW 1986, 2202 = IPRax 1986, 29 (Schumann 14) = IPRspr. 1985 Nr. 164; OLG Frankfurt v. 8.12.1986 – 5 W 42/86, MDR 1987, 412 = RIW 1987, 151 = NJW-RR 1988, 572 = IPRax 1988, 24 (Schumann 13) = IPRspr. 1986 Nr. 168. Zurückhaltender OLG München v. 2.6.1998 – 7 W 1461/98, RIW 1998, 631 = FORUM Int. 1998, 11 (R. Geimer) = EWiR 1998, 977 (Mankowski) = IPRspr. 1998 Nr. 177. Art. 9 I schweizer. IPRG setzt für Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit voraus, „dass das ausländische Gericht in angemessener Frist eine Entscheidung fällt. Hierzu Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen, 1994, 129. Weitere Nachw. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 19 EheGVO Rz. 25. 104 EuGH v. 9.12.2003 – Rs. C-116/02 – Gasser GmbH/MISAT Srl, RIW 2004, 289 (Thiele) = EuZW 2004, 188 = IPRax 2004, 243 (Grothe 205; Schilling 294). 105 Ebenso Heß in FS Jayme, 2004, 339, 356.
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XVIII. Negative Feststellungsklage Besonderheiten ergeben sich im Verhältnis zwischen der negativen Feststellungs- 2726 klage zur später erhobenen Leistungsklage. Hier gerät das Prioritätsprinzip ins Wanken, wenn man der Ansicht ist, dass das Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) mit Erhebung der Leistungsklage wegfällt, oder wenn man mit der herrschenden Meinung (Rz. 1115) die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis zwischen negativer Feststellungsklage und Leistungsklage leugnet (Rz. 1114, 1933).106 Etwas anderes gilt aber im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ. Nach Auffassung des EuGH blockiert Art. 29 EuGVVO die negative Feststellungsklage die später erhobene Leistungsklage (Rz. 2694d).107 Diese für alle EuGVVO- und mittelbar auch für die LugÜ-Mitgliedstaaten verbindliche Auslegung kann nicht durch die nationalen Gerichte unterlaufen werden, indem sie unter Berufung auf ihre Prozessordnung das Feststellungsinteresse für die negative Feststellungsklage entfallen lassen.108
XIX. Ausländisches Schlichtungsverfahren Ein ausländisches (vorprozessuales) Schlichtungsverfahren blockiert grundsätz- 2727 lich nicht den (an sich zulässigen) Zivilprozess in Deutschland.109
XX. Aufrechnung trotz Rechtshängigkeit im Ausland Eine Aufrechnung trotz Rechtshängigkeit der zur Aufrechnung verwendeten 2728 Forderung im Ausland ist bei deutschem Sachstatut zulässig und wirksam. Fraglich ist nur, ob diese Regel des deutschen Rechts nach dem lex-fori-Prinzip (Rz. 319) stets – ohne Rücksicht auf den Standpunkt der lex causae – anzuwenden ist.
106 Weitere Nachw. bei Dohm, Die Einrede ausländischer Rechtshängigkeit im deutschen internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 283 ff.; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 151 ff.; Gruber, Das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zu den anderen Klagearten im deutschen Zivilprozess, ZZP 117 (2004), 133. 107 EuGH v. 6.12.1994 – Rs. C-406/92 – Tatry/Maciej rataj, Slg. 1994 I-5439 = EuZW 1995, 309 (C. Wolf 365) = EWiR 1995, 463 (Otte) = JZ 1995, 616 (Peter Huber 603) = IPRax 1996, 108 (Schack 80). 108 BGH v. 11.12.1996 – VIII ZR 154/95, BGHZ 134, 201 = MDR 1997, 387 = NJW 1997, 870 = RIW 1997, 421 = WiB 1997, 329 (Mankowski) = JZ 1997, 797 (Peter Huber) = EWiR 1997, 455 (R. Geimer) = IPRspr. 1996 Nr. 171. 109 OLG Stuttgart v. 4.10.1988 – 17 UF 131/88, IPRax 1990, 113 (Kono 93) = IPRspr. 1988 Nr. 89.
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XXI. Verjährungshemmung aufgrund der Klageerhebung im Ausland 2729 Maßgeblich ist die lex causae.110 Bei deutschem Schuldstatut oder aufgrund besonderer Vorschrift, z.B. Art. 32 III CMR, genügt, dass der Gerichtsstaat nach § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG bzw. § 343 I 2 Nr. 1 InsO international zuständig ist (Rz. 2831), und dass die Zustellung der Klageschrift „demnächst“ (§ 167 ZPO)111 erfolgt ist.112
XXII. Familienverfahren und (sonstige) Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 2730 Auch im Bereich der Familienverfahren und der (sonstigen) Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit führt die zeitlich frühere Rechtshängigkeit im Ausland zur Blockade für eine deutsche Sachentscheidung.113 Allerdings sieht man dies im Gegensatz zum klassischen Zivilprozess nicht so streng s. Rz. 1838.114
XXIII. Ausländische Insolvenzverfahren 2731 Denkbar ist, dass aus deutscher Sicht (§ 3 I InsO, vgl. Rz. 1239) sowohl Deutschland als auch ein ausländischer Staat zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens mit universellem Geltungsanspruch international zuständig sind, z.B. in dem Fall, dass der (nicht gewerbliche) Gemeinschuldner mehrere Wohnsitze hat. Möglich ist auch eine Konkurrenz der internationalen Zuständigkeit mehrerer ausländischer Staaten. Man streitet darüber, ob hier das Prioritätsprinzip (§ 3 II InsO) zum Zuge kommt.115
110 Zum österr. Recht (§ 1497 ABGB) IPG 2000/2001 Nr. 2 Rz. 48 (Passau); zum belg. Recht (Art. 2244 Code civil: citation en justice) IPG 2000/2001 Nr. 4 Rz. 22 (Köln). 111 KG v. 4.9.1998 – 25 U 266/98, IPRax 2001, 236 (Mennicke) = IPRspr. 1998 Nr. 170; BGH v. 11.7.2003 – V ZR 414/02, FamRZ 2003, 1462 = NJW 2003, 2830 (2831) = RIW 2004, 146 = MDR 2003, 1368 = IPRspr. 2003 Nr. 158; OLG Köln v. 28.11.2002 – 6 W 110/02, IPRax 2005, 149 (Försterling 124); AG Köln v. 9.10.2003 – 323 F 251/93, FamRZ 2004, 468: Die vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereichte Klage hemmt die Verjährungsfrist auch dann, wenn die Klage im Ausland nicht zugestellt werden kann und daraufhin erst nach Fristablauf im Inland öffentlich zugestellt wird. Ausführliche Nachweise bei McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 221 ff. sowie bei Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 167 Rz. 53 und Nordmeier, ZZP 2011, 95. 112 LG Duisburg v. 2.7.1985 – 15 O 173/83, IPRspr. 1985 Nr. 43. S. auch Rz. 2141 und Nordmeier, ZZP 2011, 95. 113 So für Sorgerechtsverfahren OLG München v. 16.9.1992 – 12 UF 930/92, FamRZ 1993, 349; m.w.N. bei Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 200. Anders für MSA OLG Köln v. 13.7.1999 – 26 UF 63/99, MDR 1999, 1199 (Vogel). 114 Vgl. z.B. Zöller/Geimer, ZPO30, vor § 97 FamFG Rz. 14; Hau in Prütting/Helms, FamFG3, vor §§ 98–106 Rz. 12. 115 Zweifelnd Leipold in FS Waseda Universität, 1988, 797. Dagegen Hanisch, ZIP 1985, 1236 Fn. 30.
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In keinem Fall steht die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens im Aus- 2732 land (das sich auf das im Insolvenzeröffnungsstaat belegene Vermögen des Schuldners beschränkt) der Eröffnung eines deutschen Insolvenzverfahrens mit universellem Geltungsanspruch entgegen. Auch vice versa (Hauptinsolvenzverfahren im Ausland mit universellem Geltungsanspruch) kann in Deutschland unter den Voraussetzungen des § 354 II InsO ein auf das in Deutschland gelegene Vermögen – ohne Rücksicht auf dessen Wert116 – beschränktes Partikularverfahren eröffnet werden (Rz. 3411).
XXIV. Gleichzeitige Zwangsvollstreckung im In- und Ausland Die gleichzeitige Zwangsvollstreckung aus dem gleichen Titel im In- und Aus- 2733 land ist zulässig, solange keine Überbefriedigung zu befürchten ist.
XXV. Eingeschränkte Durchsetzung des Prioritätsprinzips im Anerkennungsstadium Wenn das deutsche Gericht die zeitlich frühere Rechtshängigkeit im Ausland 2734 trotz positiver Anerkennungsprognose missachtet und eine Sachentscheidung erlässt, können dagegen – weil eine Sachurteilsvoraussetzung fehlt – Rechtsmittel eingelegt werden. Wird die Entscheidung jedoch unanfechtbar, so geht sie der ausländischen Entscheidung stets vor, § 328 I Nr. 3 ZPO, § 109 I Nr. 3 FamFG (Rz. 2891). Ignoriert das ausländische Gericht die frühere Rechtshängigkeit in Deutschland, 2735 so ist dies für sich allein ein Versagungsgrund nach § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. § 109 I Nr. 3 FamFG, nicht jedoch nach Art. 45 I (c) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 3 LugÜ.117 Dort wird nicht die Nichtbeachtung früherer deutscher Rechtshängigkeit als solche sanktioniert; es kommt vielmehr auf die Unvereinbarkeit der in den Parallelverfahren ergangenen Entscheidungen an. Im Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ kann die Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung (nur) wegen Nichtbeachtung früherer Rechtshängigkeit in Deutschland auch nicht auf die ordre public-Klausel des Art. 45 I (a) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 1 LugÜ gestützt werden, weil Art. 45 I (c) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 3 LugÜ die Kollision von Verfahren in verschiedenen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten118 für das Stadium der Anerkennung und Vollstreckung abschließend regelt.
116 Reinhart in MüKo.InsO2, Bd. 3, § 354 Rz. 9 ff. 117 Hierzu s. auch Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 146 ff., 207. 118 Urteilskollisionen innerhalb des Ursprungsstaates werden von Art. 45 I (c) (d) EuGVVO n.F. bzw. Art. 34 Nr. 3 und 4 LugÜ nicht erfasst, EuGH v. 26.9.2013 – Rs. C-157/12 – Salzgitter Mannesmann Handel/Laminorul, NJW 2014, 203 = EuZW 2013, 903 (Mäsch 905) = DZWIR 2014, 17. Hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 15.
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Im Ausland anhängiges Verfahren
2736 Bei der Konkurrenz einer ausländischen mit einer drittstaatlichen Entscheidung kommt es nach § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. § 109 I Nr. 3 FamFG nicht auf den Beginn der jeweiligen ausländischen Verfahren, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung (der mit dem Anerkennungszeitpunkt identisch ist, Rz. 2798) an.119
XXVI. Bilanzierungspflicht hinsichtlich des Prozessrisikos 2737 Jedenfalls bei voraussichtlicher Anerkennungsfähigkeit der zu erwartenden ausländischen Entscheidung besteht Pflicht zur Bilanzierung nach §§ 252 ff. HGB.120 2738–2750 Einstweilen frei
119 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 199. 120 Zu den Einzelheiten Röhm/Schütze, RIW 2007, 241.
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Zwölfter Teil
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
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1. Kapitel: Anerkennung ausländischer Entscheidungen I. Überblick 2751 Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ist grundsätzlich nur denkbar vor dem Hintergrund der Fiktion der Gleichwertigkeit der Gerichte in aller Welt (Rz. 37). Es handelt sich um eine Fiktion, weil die Verschiedenheit der Rechts- und Gerichtssysteme auf der Hand liegt.1 Die Anerkennung erfolgt grundsätzlich auch dann, wenn ausländische Entscheidungen in ihrer Qualität inländischen Urteilen nicht entsprechen. § 328 ZPO setzt – ebenso wie §§ 109 FamFG und § 343 InsO – Unterschiede bezüglich der verfahrensmäßigen Standards und Garantien für die Gerichte und Parteien voraus und enthält deshalb eine Reihe von Schutzvorschriften.2 Toleranzgrenze ist der inländische ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG). 1 S. auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1624). 2 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 120.
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Anerkennung
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Für die Anerkennung relevant ist das ausländische Sachurteil in der Fassung 2752 der letzten Rechtsmittelentscheidung; denn Gegenstand der Anerkennung sind die Wirkungen der ausländischen (zur Anerkennung anstehenden) Entscheidung, so wie sie nach dem Recht des Erststaates eintreten. Die Anerkennungsfrage wird also nicht für die Urteile der einzelnen Instanzen separat gestellt (Rz. 1548, 2791). Wurde z.B. die Klage vom ausländischen Rechtsmittelgericht in einem ordre public-widrigen Verfahren abgewiesen, dann kann nicht etwa erwogen werden, das Urteil der Vorinstanz, das der Klage stattgegeben hatte und gegen das keine ordre public-Bedenken bestehen, anzuerkennen.3 Denn dann würden auf das Inland Urteilswirkungen „erstreckt“, die im Erststaat gar nicht vorhanden sind. Anders ist es jedoch unter Umständen, wenn erst das Rechtsmittelgericht den (den deutschen ordre public verletzenden) Verfahrensverstoß begangen, z.B. ein an sich statthaftes Rechtsmittel aus extrem unsachlichen Gründen ohne Sachprüfung verworfen hat (Rz. 2957a). Vorstehende Erwägungen gelten auch nicht für Entscheidungen, die in einem 2752a neuen (separaten) Verfahren ergangen sind. So wird z.B. für Abänderungsurteile (§ 323 ZPO) bzw. -beschlüsse (§ 238 ff. FamFG) die Anerkennungsfrage selbständig gestellt.4 Fraglich, ob dies auch für (kassatorische) Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren gilt.5 Die Anerkennung erfolgt ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Partei- 2753 en. Denkbar sind jedoch Differenzierungen bei den Anerkennungsvoraussetzungen bzw. Versagungsgründen. Zum Beispiel schützten § 328 I Nr. 2 und 3 ZPO a.F. nur deutsche Staatsangehörige. Auch bei der internationalen Anerkennungszuständigkeit wird auf die Staatsangehörigkeit in Statussachen abgestellt, §§ 98 ff. i.V.m. § 109 I Nr. 1 FamFG. Auswirkungen der Anerkennung auf das Internationale Privatrecht in Folge- 2754 verfahren: Ist ein ausländisches Urteil in Deutschland anzuerkennen, so hat dies unter Umständen auch Auswirkungen auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung in Folgeverfahren, die von deutschen Gerichten zu entscheiden sind.6 Dies bewirkt aber nicht die Anerkennung als solche im Sinne einer Wirkungserstreckung. Die „Fortführung“ der vom ausländischen Gericht verwendeten kollisionsrechtlichen Anknüpfung in dem in Deutschland anhängigen Folgeverfahren ist vielmehr von dem in Deutschland geltenden Internationalen Privatrecht vorgeschrieben.
3 R. Geimer, JZ 1969, 16. S. aber auch Rz. 2890b sowie Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 313, 334. 4 Z.B. OLG Köln v. 20.7.2004 – 25 UF 24/04, NJW-RR 2005, 876 = FamRZ 2005, 534 = IPRspr. 2004 Nr. 175. 5 Vgl. auch Rz. 3944 (Aufhebung eines Schiedsspruchs). 6 S. auch BGH, IPRax 1983, 183 (184): „Die materiell bestehende kollisionsrechtliche Lage kann … dadurch überlagert werden, dass über den Anspruch durch das Gericht eines anderen Staates bereits rechtskräftig entschieden ist.“ Hierzu auch R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (746).
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Hauptbeispiel war die in Art. 8 des Haager Übereinkommens vom 2.10.1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht7 stipulierte Verknüpfung des Unterhaltsstatuts mit dem Scheidungsstatut, innerstaatlich umgesetzt in Art. 18 IV EGBGB a.F.8 Nach Scheidung im Ausland hatten die deutschen Gerichte im Scheidungsfolgeverfahren als maßgebliche Anknüpfung für den Unterhalt das Scheidungsstatut zugrunde zu legen, nach dem das ausländische Gericht die Ehe geschieden hat.9 Diese starre Abweichung vom „normalen“ Unterhaltsstatut (Art. 3) ist in Art. 5 des Haager Unterhaltsprotokolls vom 23.11.200710 aufgegeben worden.11 Nun gibt Art. 5 jeder Partei nur die Einrede, 7 BGBl. II 1986, 837. 8 Hierzu z.B. OLG München v. 21.12.1993, IPRspr. 1993 Nr. 88 (Verlust des Unterhaltsanspruchs, der im Scheidungsverfahren nicht geltend gemacht worden ist, nach serbischem Recht); OLG Hamm v. 9.1.1992 – 4 UF 123/90, NJW-RR 1992, 710 = FamRZ 1992, 673 = IPRspr. 1992 Nr. 113 (für Privatscheidung); OLG Hamm v. 20.7.1993 – 3 UF 381/91, NJW-RR 1994, 136 = FamRZ 1994, 582 (Henrich) = IPRspr. 1993 Nr. 82; OLG Hamm v. 11.3.1993 – 4 UF 215/92, NJW-RR 1993, 1352 = FamRZ 1994, 573 (vorrangig ist Art. 18 V EGBGB). 9 OLG Frankfurt v. 4.5.1981 – 4 WF 46/81, FamRZ 1982, 77 = IPRspr. 1981 Nr. 73 mit nicht überzeugender Begründung, im Ergebnis aber zutreffend. – Vgl. auch BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, MDR 1983, 1007 = NJW 1983, 1976 = FamRZ 1983, 806 = IPRax 1984, 320 (Spellenberg 304) = IPRspr. 1983 Nr. 95; danach ist bei Abänderung (§ 323 ZPO) des anerkannten Unterhaltsurteils vom Unterhaltsstatut auszugehen, welches der ausländische Richter seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. BGH v. 26.11.1986 – IVb ZR 90/85, MDR 1987, 393 = NJW 1987, 1146 = RIW 1987, 312 = FamRZ 1987, 370 (372) = IPRspr. 1986 Nr. 183 zur Neuverurteilung aufgrund der res iudicata eines CSSR-Unterhaltstitels: „Dann aber bleibt, nachdem das Urteil in Deutschland anzuerkennen ist, das tschechoslowakische Recht auch für die Folgezeit maßgeblich.“ Zustimmend Schack, IZVR6, Rz. 1039: Beurteilung der Erfüllung (Rz. 3115) nach dem vom Erstgericht tatsächlich angewandten Recht. Vgl. z.B. auch die Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 88 und bei Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 304, 319. Anders aber bei Statutenwechsel (Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes) OLG Köln v. 20.7.2004 – 25 UF 24/04, NJW-RR 2005, 876 = FamRZ 2005, 534 = IPRspr. 2004 Nr. 1754. 10 Anzuwenden ab 18.6.2011, Art. 15 EuUnterhVO. 11 Die alte Regelung gilt noch weiter im Verhältnis zu den Vertragsstaaten, für die das Haager Unterhaltsübereinkommen vom 2.10.1973 noch in Kraft ist, Erman/Hohloch, BGB14, Anh. Art. 18 aF EGBGB Art. 5 UnterhProt Rz. 1. Auch wenn im Ausgangsverfahren über den nachehelichen Unterhalt ein unzutreffendes Unterhaltsstatut zugrundegelegt wurde, hat dies gemäß Art. 8 des Haager Unterhaltsübereinkommens im Rahmen der späteren Abänderung dieses Unterhaltstitels Bestand. § 323 ZPO und §§ 238 ff. FamFG ermöglichen weder eine von der bisherigen Unterhaltsbemessung unabhängige Neufestsetzung des Unterhalts noch eine abweichende Beurteilung der Verhältnisse, die bereits in dem abzuändernden Titel eine Bewertung erfahren haben. Die Abänderungsentscheidung kann vielmehr nur zu einer den veränderten Verhältnissen entsprechenden Anpassung des Unterhaltstitels führen. Auch das dem abzuändernden Titel zugrunde liegende materielle Recht – sei es das inländische oder ein ausländisches – ist nicht austauschbar, sondern bleibt auch für Art und Höhe der anzupassenden Unterhaltsleistung weiterhin maßgeblich. Die Abänderung vollzieht sich mithin im Rahmen dieses Sachrechts entsprechend der Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, BGH v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, NJW 2012, 384 = FamRZ 2012, 281. Hierzu Riegner, FamFR 2012, 54; kritisch nach In-
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Anerkennung
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von der normalen Anknüpfung müsse im Hinblick auf die engere Verbindung des konkreten Falls zu einem anderen Staat zu Gunsten dessen Rechts abgewichen werden.12 Dies muss nicht der Scheidungsstaat sein. Mit der Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils hat all diese kollisionsrechtliche Flexibilisierung des Unterhaltsstatuts nichts zu tun. (S. auch Rz. 3115, 3152). Zeitablauf: Nach Art. 24 des deutsch-israelischen Vertrages kann nach Ablauf 2755 von 25 Jahren seit Unanfechtbarkeit die Anerkennung verweigert werden. Diese Regel ist nicht verallgemeinerungsfähig. Sie ist eng auszulegen und passt im Grunde nur für die Vollstreckbarerklärung, nicht jedoch für die Anerkennung der res iudicata- und Gestaltungswirkung. Internationale Rechtshilfe und Urteilsanerkennung: Rechtshilfe muss auch ge- 2756 währt werden, wenn die Anerkennungsprognose negativ ist, also mit der Anerkennung der Entscheidung nicht zu rechnen ist, die (voraussichtlich) in dem (ausländischen) Verfahren ergehen wird, für das deutsche Rechtshilfe verlangt wird13 (Rz. 2158, 2487). – Umgekehrt präjudiziert die Gewährung deutscher Rechtshilfe nicht die Anerkennung der ausländischen Entscheidung.14
II. Rechtsgrundlagen 1. Europäisches sekundäres Unionsrecht Nach dem „Säulenwechsel“ von Amsterdam (Rz. 245c) ist die gegenseitige Aner- 2756a kennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und sonstigen Titeln innerhalb der Europäischen Union – mit Ausnahme des Verhältnisses zu Dänemark – weitgehend durch sekundäres Unionsrecht geregelt. In Betracht kommen vor allem Art. 36 ff. EuGVVO n.F. (vor dem 10.1.2015 Art. 33 ff. EuGVVO a.F.), Art. 13 ff. EuEheVO, Art. 16 ff. EuUnterhVO, Art. 39 ff. EuErbVO sowie Art. 16 ff. EuInsVO. Seit 10.1.2015 ist die VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung)15 in Kraft. Sie ersetzt gem. Art. 80 Satz. 1 die VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (EuGVVO a.F.).
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krafttreten des HUP 2007 am 18.6.2011 Finger, FamRBint 2012, 29; Gruber, IPRax 2011, 559 (562) im Hinblick auf die Rechtswahlmöglichkeiten. S. auch OLG Nürnberg v. 11.1.2012 – 7 UF 747/11 IPRax 2012, 551 (Coester-Waltjen 528) = FamRBint 2012, 32 (Motzer). Von sich aus – ohne Initiative einer der Parteien – darf das deutsche Gericht nicht von der Regelanknüpfung des Unterhaltsstatuts abweichen. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 97, 125. Dies übersieht Stiefel, RIW 1979, 516 Fn. 40. S. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 369. Nagel, Nationale und internationale Rechtshilfe, 1971, 62; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 271; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 64, 68. ABl. EU L 351/1 v. 20.12.2012. Dänemark hat eine Sonderposition. Es kann gem. Art. 3 des mit der EG als Rechtsvorgängerin der EU geschlossenen Vertrages v. 19.10.2005 erklären, dass es die Änderungen der neuen EuGVVO (EU) Nr. 1215/2012 anwenden
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2756b Das Reformprogramm ist geprägt durch den Wegfall des bisherigen Exequaturerfordernisses (Art. 38 ff. a.F.) und die Einführung eines Anerkennungsversagungsverfahrens (Art. 45 IV EuGVVO n.F.) als Kontrast zum Anerkennungsfeststellungsverfahren (Art. 36 II EuGVVO n.F.), flankiert durch ein Vollstreckungsversagungsverfahren (Art. 47 EuGVVO n.F.).16 Zudem wird verbis expressis dekretiert, dass die Versagungsgründe nur auf Antrag eines „Berechtigten“ (Art. 45 I EuGVVO n.F.) bzw. des Schuldners (Art. 46 EuGVVO n.F.) zum Zuge kommen. Das wirft die (zu verneinende) Frage auf, ob eine Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung ohne den Antrag eines Betroffenen von vorneherein generell ausgeschlossen ist (Rz. 3174u). 2756c Die neue VO (EU) Nr. 1215/2012 bringt die von der Europäischen Kommission schon lange herbeigesehnte Wende (Rz. 3174b). Die Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung des im Ursprungsmitgliedstaat erstellten Vollstreckungstitels als conditio qua non für die Vollstreckung in den anderen Mitgliedstaaten (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) entfällt.17 Grundlage für die Zwangsvollstreckung dort ist nunmehr nicht mehr die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung18, sondern der erststaatliche Vollstreckungstitel selbst i.V.m. der nach Art. 53 EuGVVO n.F. ausgestellten Bescheinigung, Art. 39, Art. 42 I lit. b EuGVVO n.F.19 Insofern kann man im Anwendungsbereich der neuen Verordnung (im Gegensatz zur Vorgängerin20) von einer Anerkennung der erststaatlichen Vollstreckbarkeit i.S. einer Wirkungserstreckung21 sprechen; denn den Umfang der Vollstreckbarkeit bestimmt nicht wie bisher das Recht des ersuchten Mitgliedstaats (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.), sondern das Recht des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.).22 Allerdings ist für die Zwangsvollstreckung als solche im ersuchten Mitgliedstaat dessen Recht maßgeblich, Art. 41 EuGVVO n.F.23
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wird. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 41. Diese Erklärung ist zu erwarten. Text des Vertrags z.B. bei Geimer/Schütze, EuZVR3, A 14. Näher unten Rz. 3005; zum Folgenden schon Geimer in FS Torggler, 2013, 311 ff. Zu den (fragwürdigen) Gründen für die Abschaffung des Exequaturerfordernisses s. z.B. R. Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44; Hilbig in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 576) – EuUnterhVO Art. 17 Rz. 17 ff.; m.w.N. z.B. bei Althammer in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO (Unalex-Kommentar – dt. Sprachfassung), 2012, Art. 38 Rz. 36; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 38 Rz. 9 Fn. 22; Staehlin/Bopp in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 38 Rz. 4. Hierzu z.B. Rauscher/Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 3; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 38 Rz. 5 ff. Zur dogmatischen Einordnung dieser Bescheinigung Hilbig in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 576) – EuUnterhVO Art. 17 Rz. 3 und Art. 20 Rz. 25 ff. Geimer/Schütze, EuZVR3, 2010, A 1 – Art. 33 Rz. 2 und Art. 38 Rz. 1. Hilbig in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Nr. 576) – EuUnterhVO Art. 17 Rz. 22, 28. Hilbig in Geimer/Schütze, a.a.O., EuUnterhVO Art. 17 Rz. 23; Zöller/Geimer, ZPO30, Anh. II Art. 11 EuVTVO Rz. 1. Art. 36 ff. EuGVVO kommen nur für gerichtliche Entscheidungen zur Anwendung, die aus Verfahren stammen, die am 10.1.2015 oder später eingeleitet worden sind, Art. 66 (Rz. 1874 Fn. 1515).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Wird die Anerkennung bzw. Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat verwei- 2756d gert, weil ein Versagungsgrund (Art. 45 I EuGVVO n.F.) mit Erfolg geltend gemacht wurde, entsteht dort eine rechtsschutzfreie Oase, wenn nicht dort ein Forum zur Wiederholung des Rechtsstreits zum Zwecke der Neutitulierung etc. eröffnet wird. Diesen Themenkomplex hat auch die neue Verordnung (wieder) nicht normiert. Gleichwohl ist und bleibt deni de justice in der Europäischen Union verboten. Daher erzwingen Art. 6 I EMRK und Art. 47 II EuGRCh die Bereitstellung eines kompetenten Gerichts, wenn auf andere Weise die Rechtsschutzlücke nicht geschlossen werden kann.24 Unberührt bleibt bis auf weiteres das frühere (der VO ([EG] Nr. 44/2001 entlehn- 2756e te) Anerkennungsregime im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, Art. 73 I EuGVVO n.F., d.h. im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz. Ob diese Staaten sich im Rahmen der „Modernisierung“ des Lugano-Übereinkommens mit den Neuerungen der VO (EU) Nr. 1215/2012 werden anfreunden können, ist derzeit noch eine offene Frage. Dies gilt insbes. für die Abschaffung des Exequaturerfordernisses. Die Anerkennung erfolgt – wie bisher – unmittelbar kraft Gesetzes, Art. 36 I 2756f EuGVVO n.F. Die Wirkungen eines ausländischen Urteils werden – soweit keine Anerkennungsversagungsgründe von einem „Berechtigten“ (Art. 45 I EuGVVO n.F.) geltend gemacht werden – ipso iure auf das Inland erstreckt, ohne dass es
Großzügiger der EuGH zu Art. 66 EuGVVO a.F., der auf den Erlass der Entscheidung abstellt; EuGH v. 21.6.2012 C-514/10 Wolf Naturprodukte GmbH/SEWAR, EuZW 2012, 626 = GRUR Int 2012, 772 = NJW-RR 2012, 1532 = IPRax 2014, 274 (Thomale 239) betreffend eine Konstellation im Hinblick auf den Beitritt neuer EU-Mitgliedstaaten. Die Ansicht des EuGH kann zu einer Rückwirkung der Verschärfung der Einlassungslast des Beklagten führen, die mit dem EU-Primärrecht (Art. 47 EuGRC) und Art. 6 I EMRK nicht vereinbar ist. Der Beklagte muss bei seiner Entscheidung, ob er sich auf die Klage im Ausland einlassen will oder nicht, klar absehen können, ob er mit der Anerkennung und Vollstreckung des im Gerichtsstaat gegen ihn in absentia möglicherweise ergehenden Urteils in seinem Wohnsitzstaat bzw. in dem Staat, in dem er vollstreckbares Vermögen besitzt, rechnen muss. Ist dies bei Verfahrenseröffnung auf Grund der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage nicht der Fall, wird er sich u.U. entschließen, sich nicht einzulassen, weil er Beeinträchtigungen seiner Vermögenssphäre durch den im Ausland schwebenden Prozess nicht befürchten muss. Er wird jedoch in seinen Erwartungen herb enttäuscht, wenn nun „rückwirkend“ ein anerkennungsfreundlicheres Anerkennungsrecht gelten soll. Der Schutz des Vertrauens auf eine stabile und durch rückwirkende Rechtsänderungen nicht gefährdete Anerkennungsprognose fällt unter die Garantie eines fairen Verfahrens, das nicht nur in den nationalen Rechtsordnungen, sondern auch durch das Unionsrecht (Art. 47 EuGRC) und international menschenrechtlich durch Art. 6 I EMRK geschützt ist. S. auch Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Art. 66 Rz. 13; Hk-ZV/Mäsch, ZPO4, Rz. 24 ff. vor Art. 32 ff. EuGVVO. Angesichts der wenigen Abweichungen der neuen von der alten Fassung der EuGVVO dürften in der Praxis wohl ganz selten Probleme entstehen. Größer waren die Divergenzen beim Übergang von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zum anerkennungsfreundlicheren Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a.F. 24 Geimer, NJW 1975, 82; Geimer, NJW 1976, 644; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Einl. Rz. 80, Art. 3 Rz. 7 ff. und Art. 38 Rz. 64; Geimer in FS Simotta, 2012, 163, 170.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
eines besonderen Anerkennungsaktes bedarf. Man spricht deshalb auch von automatischer Anerkennung. Ein obligatorisches Delibationsverfahren ist nicht vorgesehen; dies stellt Art. 36 I EuGVVO n.F. klar. 2756g Die automatische Anerkennung hat zur Folge, dass die Frage, ob ein bestimmtes ausländisches Urteil im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) anzuerkennen ist oder nicht, i.d.R. nur als Präjudizialpunkt jeweils von Fall zu Fall entschieden wird. Jedes Gericht und jede Verwaltungsbehörde, für deren Entscheidung die Frage der Anerkennung relevant ist, muss – allerdings nur auf Antrag eines Berechtigten (Art. 45 I EuGVVO n.F.) – incidenter prüfen, ob Anerkennungsversagungsgründe gegeben sind. Dies hebt Art. 36 III EuGVVO n.F. hervor, wenn auch diese Vorschrift zu eng formuliert ist, weil nur an den Fall gedacht wurde, dass „die Anerkennung in einem Rechtsstreit verlangt“25 wird.26 Zudem muss sie im Kontext mit Art. 45 I EuGVVO n.F. gelesen werden, der einen Antrag eines „Berechtigten“ voraussetzt, um einen Versagungsgrund berücksichtigen zu können.27 Eine Versagung der Anerkennung von Amts wegen, also eine Feststellung eines Versagungsgrundes ohne entsprechenden Antrag eines Berechtigten, sieht der Text der Verordnung nicht vor. Gleichwohl gibt es einige 25 Vgl. auch die Formulierung in Art. 23 III EuUnterhVO sowie in Art. 39 III EuErbVO: „Wird die Anerkennung in einem Rechtsstreit vor einem Gericht eines Mitgliedstaats, dessen Entscheidung von der Anerkennung abhängt, verlangt, so kann dieses Gericht über die Anerkennung entscheiden.“ 26 Weitergehend Leible in Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 33 Brüssel I-VO Rz. 17: Zuständigkeit für ein Zwischenfeststellungsverfahren außerhalb des Feststellungsverfahrens nach Abs. 2. Ebenso Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO35, Art. 33 EuGVVO Rz. 6; Schlosser, EU-Prozessrecht3, Art. 33 Rz. 5; Hk-ZV/Mäsch2, Art. 33 EuGVVO Rz. 20. S. zu § 236 III österr. ZPO Kodek in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht3, Art. 33 Rz. 15; Rassi in Fasching/ Konecny, (Österr.) Zivilprozeßgesetze2, Bd. V/1, Art. 33 EuGVVO Rz. 20. Unklar Teixeira de Sousa/Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO (Unalex-Kommentar – dt. Sprachfassung), 2012, Art. 33 Rz. 19: „Deshalb sollte auch die Inzidentanerkennung nach der Brüssel I-VO für jeden anderen Fall als bindend angesehen werden.“ Auch wenn man eine rechtskraftfähige Entscheidung der Anerkennungsfrage außerhalb des in Art. 36 II EuGVVO n.F. vorgesehenen Feststellungsverfahrens und außerhalb des betroffenen Mitgliedstaats zulassen wollte, käme eine Anerkennung dieser Entscheidung in dem betroffenen Mitgliedstaat gem. Art. 36 EuGVVO n.F. nicht in Betracht. Denn es kann nicht sein, dass ein nicht betroffener Mitgliedstaat, vor allem nicht der Ursprungsmitgliedstaat, verbindlich darüber befinden kann, ob eine bestimmte Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden kann. So können z.B. weder deutsche noch italienische noch britische etc. Gerichte für österr. Rechtsanwendungsorgane verbindlich darüber entscheiden, ob der österreichische ordre public (Art. 45 I lit. a EuGVVO n.F.) verletzt ist oder nicht. Aus österreichischer Sicht können nur österreichische Gerichte rechtskraftfähig feststellen, ob eine Anerkennung in Österreich möglich ist, weil Versagungsgründe (Art. 45 I EuGVVO n.F.) nicht entgegenstehen. 27 Es ginge allerdings zu weit, wollte man aus Art. 45 EuGVVO n.F. ableiten, dass eine Inzidentprüfung die vorherige Durchführung eines Versagungsverfahrens nach Art. 45 IV EuGVVO n.F. voraussetzt. Dann käme eine solche gar nicht mehr in Betracht, weil die im Verfahren nach Art. 45 IV EuGVVO n.F. ergangene Sachentscheidung das (Nicht)Vorliegen von Versagungsgründen inter partes schon rechtskräftig festgestellt hätte.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
wenige Konstellationen, in denen auch ohne Antrag eines Beteiligten die Anerkennung von Amts wegen zu versagen ist.28 Die Inzidententscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Anerken- 2756h nungsversagungsgründe hat Bedeutung nur für das anhängige Verfahren.29 Eine Bindungswirkung für nachfolgende Verfahren besteht nicht. Dadurch ergibt sich die Gefahr widersprechender Entscheidungen. Dies wäre nicht nur dann der Fall, wenn in dem Verfahren A kein Versagungsantrag nach Art. 45 I EuGVVO n.F. gestellt wird, jedoch aber im Verfahren B. Aber auch wenn in beiden Verfahren auf Versagung plädiert wird, kann sich das Gericht A auf den Standpunkt stellen, dass keiner der Anerkennungsversagungsgründe (Art. 45 I EuGVVO n.F.) vorliegt und dass deshalb die Rechtskraft des Urteils aus dem Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) zu beachten sei, während das Gericht B in dem gleichen Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) zu einem anderen Ergebnis in der Anerkennungsfrage gelangt. Eine solche Entscheidungsdisharmonie ist weder für die Parteien zumutbar 2756i noch der Rechtsidee förderlich. Es ist deshalb zweckmäßig, dass die Verordnung ein Verfahren im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) zur Verfügung stellt, in dem ein für alle Mal rechtskraftfähig festgestellt wird, ob die Wirkungen des erststaatlichen Urteils (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) im Zweitstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) zu beachten sind oder nicht. Dies intendiert Art. 36 II i.V.m. Art. 45 EuGVVO n.F.30 Die im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO n.F. zur Anerkennungsfrage ergange- 2756j ne Entscheidung ist – ebenso wie vice versa eine aus einem Versagungsverfahren (Art. 45 IV EuGVVO n.F.) hervorgegangene – für alle Gerichte und Rechtsanwendungsorgane im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) verbindlich und kann inter partes nicht mehr in Frage gestellt werden, Rz. 3174o. Alles andere wäre venire contra factum proprium. Wurde im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO n.F. festgestellt, dass keiner der in 2756k Art. 45 EuGVVO n.F. genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben sei, so kann keine am Verfahren beteiligte Partei das Gegenteil in einem Verfahren nach Art. 45 IV EuGVVO n.F. feststellen lassen. Denn das in diesem Verfahren angerufene Gericht ist an die im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO n.F. EuGVVO n.F. getroffene Feststellung, dass kein Versagungsgrund vorliegt, gebunden. Dies gilt allerdings nur inter partes (einschließlich deren Rechtsnachfolger). Ein 2756l Dritter, der bzw. dessen Rechtsvorgänger nicht an dem vorausgegangenen Feststellungsverfahren nach Art. 36 II bzw. Art. 45 IV EuGVVO n.F. beteiligt war, wird von der vorbeschriebenen Rechtskraftwirkung nicht erfasst. Er kann sehr wohl einen konträren Antrag stellen und das damit befasste Gericht kann sehr 28 Hierzu R. Geimer in FS Torggler, 2013, 311. 29 Hk-ZPO/Dörner, ZPO4, Art. 33 EuGVVO Rz. 14; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 33 EuGVO Rz. 11; Schuler in Oetiker/Weibel, LugÜ (Basler Kommentar), 2011, Art. 33 Rz. 34. 30 Ebenso zu Art. 33 II EuGVVO a.F. Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 33 EuGVO Rz. 2; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 33 Rz. 2.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
wohl in die Prüfung eintreten, ob ein Anerkennungsversagungsgrund gegeben ist oder nicht, und dabei möglicherweise zu einem anderen Ergebnis kommen als das zuerst mit der Anerkennungsfrage befasste Gericht. 2756m Von der vorbeschriebenen Rechtskraftwirkung der in den Verfahren nach Art. 36 II und Art. 45 IV EuGVVO n.F. ergehenden Feststellungsentscheidungen ist zwar im Text der Verordnung nichts zu finden. Sie ergibt sich jedoch zwingend aus dem Sinn und Zweck der vom Unionsgesetzgeber dekretierten Verfahren. 2756n Fazit: Die vorgenannte Rechtskraftwirkung beruht auf Unionsrecht, das nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten steht.31 Dieses überlagert, d.h. verdrängt bzw. ergänzt, etwa abweichendes nationales Recht. 2756o Während auch die reformierte EuGVVO noch Versagungsgründe kennt, die allerdings nur auf Antrag eines Beteiligten bzw. des Schuldners zu prüfen sind, gehen andere europäische Rechtsinstrumente darüber hinaus in Richtung Anerkennung und Vollstreckung ohne jeden Vorbehalt, z.B. Art. 41 I EuEheVO, Art. 5 EuVTVO, Art. 19 EuMahnVO, Art. 1 II, Art. 20 I EuBagatellVO, Art. 17 EuUnterhVO (s. z.B. auch Rz. 3178). 2756p Danach entfällt jede Nachprüfungsmöglichkeit, insbes. auch der ordre publicVorbehalt. Die Mitgliedstaaten müssen danach ihre Bürger und Einwohner ohne jede Kontrolle im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstadium fremden Richtern und Justizsystemen ausliefern. Hiergegen werden verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, weil der AEUV keine full faith and credit clause (wie die USVerfassung) kennt.32 Dieses Argument ist nicht stichhaltig.33 Denn Art. 23 I GG erlaubt den Souveränitätstransfer auf die EU ohne Wenn und Aber. Die Verwirklichung des vereinten Europas ist ein Staatsziel des Grundgesetzes. Ein solches Ziel kann man aber ohne den Verzicht auf nationale Souveränität nicht erreichen, d.h. ohne „Auslieferung“ der eigenen Bürger bzw. Bewohner an die Richter der anderen EU-Mitgliedstaaten lässt sich der einheitliche europäische Justizraum nicht schaffen. Dies bedeutet aber auch, dass die nationale Souveränität kein Schutzschild für die eigenen Bürger mehr sein kann. Das Grundgesetz gebietet nicht, die eigenen Bürger vor unfairen Verfahren oder vor krassen Fehlurteilen der Richter aus den anderen Mitgliedstaaten durch eine ordre publicKontrolle im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung zu schützen.34 Schließlich bleibt auch ein mängelbehaftetes deutsches Urteil, das nicht rechtzeitig mit der Verfassungsbeschwerde angefochten worden ist, wirksam und bestandskräftig.
31 S. auch EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11, EuZW 2013, 60, Rz. 40 = IPRax 2014, 163 (H. Roth 136), wo – wenn auch in anderem Zusammenhang – auf den „Rechtskraftbegriff des Unionsrechts“ abgestellt wird, da in concreto die maßgeblichen EuGVVOVorschriften ihren Ursprung im Unionsrecht haben. S. auch Rz. 1873b sowie Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union, in Hess (ed.), Die Anerkennung im IZPR – Europ. Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 15 ff. 32 Stadler, IPRax 2004, 2 m.w.N. 33 R. Wagner, IPRax 2002, 75 (87). 34 Geimer in FS Németh, 2003, 229, 239; Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 124a, § 328 Rz. 14, § 722 Rz. 1a, Anh II E Art. 5 EuVTVO Rz. 6.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
2. Völkerrecht Nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht besteht keine Pflicht zur Anerken- 2757 nung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen und sonstiger Vollstreckungstitel.35 Eine Ausnahme gilt jedoch für die Anerkennung von Statusentscheidungen aus der Perspektive der Menschenrechte (Rz. 151, 165).36 Auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und sonstiger Titel spielt das Völkervertragsrecht eine große Rolle. Multilaterale Übereinkommen: Vor Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 44/2001 hatte 2758 die größte praktische Bedeutung in West-Europa das Brüsseler Übereinkommen, dessen Konzept durch das Luganer Übereinkommen vom 16.9.1988 auch auf die EFTA-Staaten ausgedehnt worden ist. Das Haager Übereinkommen vom 1.6.1970 über die Anerkennung von Schei- 2759 dungen sowie Trennungen von Tisch und Bett37 hat Deutschland nicht ratifiziert. Das Gleiche gilt für das CIEC-Übereinkommen vom 8.9.1967. Von großer Bedeutung für die Praxis ist die Anerkennungspflicht
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– nach Art. 23 des Übereinkommens v. 19.10.1996 (KSÜ, Rz. 244a), davor nach Art. 7 des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens (MSA) vom 5.10.1961 (BGBl. II 1971, 219) betreffend die Anerkennung von Schutzmaßnahmen nach Art. 1 und 4; sowie – nach Art. 19 ff. des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 (ABl. EU Nr. L 93, S. 9), davor nach dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 (BGBl. II 1986, 826), welches das Haager Übereinkommen vom 15.4.1958 (BGBl. II 1961, 1006) im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten ersetzt hat.38 Deutschland hat gem. Art. 34 einen Vorbehalt hinsichtlich Art. 26 Nr. 2 gemacht. Es gilt nicht für Titel in Unterhaltssachen zwischen Verwandten in der Seitenlinie und zwischen Verschwägerten (BGBl. II 1987, 220).39
35 Zustimmend z.B. R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (746); Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 52. Weitere Nachw. z.B. bei Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 22. 36 Zustimmend für den Bereich insolvenzrechtlicher Entscheidungen z.B. Kolmann, Kooperationsmodelle im internationalen Insolvenzrecht, 2001, 7. 37 Text unter www.hcch.net/e/conventions/text18e.html. Hierzu Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. II Rz. 286. 38 Art. 29, nicht jedoch für Zahlungen vor dem 1.4.1987, Art. 24. 39 Ausführlich zum UVÜ Baumann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltsentscheidungen, 1989; Baumann in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 795-83.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2761 Daneben gibt es eine Fülle von Übereinkommen, welche die Anerkennungsund Vollstreckungspflicht für Entscheidungen auf Spezialgebieten regeln40, wie z.B. – Art. 18 ff. des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1.3.195441 betreffend Kostenentscheidungen42; – Art. 40 der Revidierten Rhein-Schifffahrtsakte vom 17.10.196843 sowie Art. 32 des Vertrags über die Schiffbarmachung der Mosel vom 27.10.195644 betreffend die Entscheidungen der Rhein- und Mosel-Schifffahrtsgerichte45; – Art. 18 § 1 des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9.5.1980 i.d.F. des Protokolls vom 3.6.1999 (COTIF 1999)46; – Art. 31 III des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.5.1956 (Rz. 1888)47; – Art. X Abs. 4 des Brüsseler Übereinkommens über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen vom 25.5.196248 betreffend Entscheidungen, die auf der Grundlage dieses Übereinkommens erlassen wurden. 2762 Bilaterale Verträge: Zur Zeit sind mit folgenden Staaten Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Kraft, wobei darauf hinzuweisen ist, dass diese durch die EuGVVO sowie die VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c) und sonstige europäische Rechtsinstrumente ganz oder teilweise überlagert werden:49
40 Vgl. auch R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 79. 41 BGBl. II 1958, 576; deutsches Ausführungsgesetz BGBl. I 1958, 939. 42 LG Hamburg v. 2.11.1980 – 1 T 139/80, IPRspr. 1980 Nr. 169; OLG Frankfurt v. 12.1.1983 – 3 WF 248/82, IPRax 1984, 32 (Panckstadt 17) = IPRspr. 1983 Nr. 172. Das Übereinkommen v. 1.3.1954 soll abgelöst werden von Art. 15 ff. des Haager Übereinkommens v. 15.10.1980 zur Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten (für Deutschland noch nicht in Kraft, Rz. 244a); Text RabelsZ 46 (1982), 768; hierzu Böhmer, RabelsZ 46 (1982), 654. 43 BGBl. II 1969, 597; BGBl. II 1974, 1385; deutsches Ausführungsgesetz BGBl. I 1952, 641. Hierzu Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 126. 44 BGBl. II 1956, 1838. 45 Nachw. bei Wolff in Handbuch IZVR, Bd. III 2, 1984, Kap. IV Rz. 510. 46 Protokoll von Vilnius, BGBl. II 2002, 2140, 2142. Hierzu Kreuzer/Wagner, a.a.O., Rz. 104 ff.; Schmidt-Bendun, Haftung der Eisenbahnverkehrsunternehmen: Auf dem Wege zu einem harmonisierten Eisenbahn- und Luftverkehrsrecht in Europa, 2007. 47 BGBl. II 1961, 1119. Hierzu Martiny, a.a.O., Rz. 430 betreffend Entscheidungen, die im Rahmen der vom CMR geschaffenen Zuständigkeiten von den Gerichten der Mitgliedstaaten erlassen worden sind. S. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 317 ff. sowie Kreuzer/Wagner, Europäisches IZVR, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Stand: Juni 2007 (19. Lfg.) sub Q Rz. 96 ff. 48 BGBl. II 1975, 977; BGBl. II 1980, 721; BGBl. I 2001, 2331. 49 Art. 56 EuGVÜ/LugÜ sowie Art. 69 EuGVVO.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Schweiz50, Italien51, Belgien52, Österreich53, Vereinigtes Königreich54, Griechenland55, Niederlande56, Tunesien57, Israel58, Norwegen59 und Spanien.60 Anhang I: Wichtige Konventionen, an denen Deutschland nicht beteiligt ist: Nor- 2763 dische Konvention über die Anerkennung von Zivilurteilen vom 16.3.193261; Konvention von Montevideo vom 8.5.197962; Interamerikanische Konvention über die extraterritorialen Wirkungen ausländischer Urteile und Schiedssprüche63; die Haager Übereinkommen (Rz. 244a) über die Anerkennung von Scheidungen und Trennungen von Tisch und Bett vom 1.6.1970 und über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen vom 24.4.1966 mit Zusatzprotokoll vom 1.2.1971.64 Anhang II: Entwürfe: Art. 20 des UNIDROIT-Entwurfs 1986 einer Gefahrgutkonvention.65 3. Autonomes deutsches Recht Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge regelt die Anerkennung und 2764 Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen das deutsche autonome Recht. Die Anerkennung behandeln § 328 ZPO, §§ 107 ff. FamFG, § 343 InsO. Unterhaltstitel im Anwendungsbereich des Auslandsunterhaltsgesetzes (AUG): 2765 Dieses Gesetz (§§ 1 I Nr. 3 [ii], 64) kennt eine förmliche Gegenseitigkeitserklärung ein. Das Bundesamt für Justiz nimmt als Zentrale Behörde die Interessen der ausländischen Unterhaltsgläubiger (kostenlos) wahr, § 5 AUG. Die Bestimmungen des deutschen autonomen Rechts (§§ 328, 722, 723 ZPO; §§ 109 f. FamFG) mussten nicht geändert werden, da sie dem Registriersystem des Revised Uniform Reciprocal Enforcement of Support Act (RURESA)66 im Wesentlichen entsprechen.67 50 51 52 53
54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67
Abkommen v. 2.11.1929, RGBl. II 1930, 1066. Abkommen v. 9.3.1936, RGBl. II 1937, 145; BGBl. II 1952, 986. Abkommen v. 30.6.1958, BGBl. II 1959, 765. BGBl. II 1960, 1245; ergänzt durch Art. 22 ff. des Vertrages v. 25.5.1979 über Konkursund Vergleichs-/Ausgleichsrecht, BGBl. II 1985, 410, welcher wiederum durch Art. 43 der VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (Rz. 3357) mit Wirkung zum 31.5.2001 außer Kraft getreten ist. Abkommen v. 14.7.1960, BGBl. II 1961, 301. Vertrag v. 4.11.1961, BGBl. II 1963, 109. Vertrag v. 30.8.1962, BGBl. II 1965, 26. Vertrag v. 19.7.1966, BGBl. II 1969, 890. Vertrag v. 20.7.1977, BGBl. II 1980, 925. Vertrag v. 17.7.1977, BGBl. II 1981, 341. Vertrag v. 14.11.1983, BGBl. II 1987, 34. Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 507; Kegel/Schurig, IPR9, § 4 III 1. Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 508, 518. Hierzu Samtleben, RabelsZ 44 (1980), 299; Text a.a.O., 387. Kegel/Schurig, IPR9, § 22 V 2. RabelsZ 51 (1987), 478. Abgedruckt bei Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung, 1992, 177. BT-Drucks. 10/3662, 15.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
4. Verhältnis des anerkennungsfreundlicheren autonomen Rechts zum (strengeren) Vertragsrecht 2766 Die völkervertragliche Regelung hat nur Vorrang, soweit sie anerkennungsfreundlicher ist. Sie verdrängt aber prinzipiell nicht das anerkennungsfreundlichere autonome Recht.68 Art. 3 Nr. 2 EGBGB findet nicht Anwendung, da diese Vorschrift nur für das internationale Privatrecht gilt, nicht für das internationale Zivilverfahrensrecht. Die Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge wollen die internationale Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen fördern. Sie begründen grundsätzlich (Rz. 2770) keine Pflicht zur Verweigerung der Anerkennung. Die Vertragsstaaten sind daher frei, ihr anerkennungsfreundlicheres autonomes Recht anzuwenden (Rz. 2769).69 Ob sie dies tun, ist eine Frage des innerstaatlichen Rechts.70 2767 Erfreulich ist die klare Stellungnahme des Bundesgerichtshofs71 hinsichtlich des Verhältnisses der Regelungen in den Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen zum anerkennungsfreundlicheren § 328 ZPO. Man kann davon ausgehen, dass die in den meisten Anerkennungsverträgen vorgesehene kollisionsrechtliche Kontrolle entfällt, da das autonome deutsche Recht eine vergleichbare Anerkennungsschranke nicht mehr kennt (Rz. 2965). 2767a Soweit das EuGVÜ/LugÜ zur Anwendung kommt, kann insoweit nicht auf den durch Art. 55 EuGVÜ/LugÜ außer Kraft gesetzten bilateralen (anerkennungsfreundlicheren) Anerkennungsvertrag zurückgegriffen werden.72
68 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1381; Majoros, RabelsZ 46 (1982), 95; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 30; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (745). 69 So auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, FamRZ 2013, 1620 (1621 f.). 70 R. Geimer, IPRax 1992, 11; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 82; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1383; Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 328 Rz. 3; ähnlich W. J. Habscheid, Schweizer Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht2, Rz. 533; Matscher, ZZP 103 (1990), 311; OLG Hamm v. 5.7.1978, RIW 1978, 689 = IPRspr. 1978 Nr. 162; BGH v. 18.3.1987 – IVb ZR 24/86, MDR 1987, 747 = NJW 1987, 3083 (Geimer) = FamRZ 1987, 580, 582 (Gottwald) = IPRax 1989, 104 (Siehr 96) = IPRspr. 1987 Nr. 145; BayObLG v. 29.3.1990 – BReg. 3 Z 31/89, RR 1990, 842 = FamRZ 1990, 897 (898) = StAZ 1990, 225 = IPRspr. 1990 Nr. 218; OLG Frankfurt v. 29.1.1998 – 6 WF 12/98, FamRZ 1998, 917 = IPRax 1998, 373 (Jayme) = IPRspr. 1998 Nr. 163. Vgl. auch Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 33. Zurückhaltender Spickhoff, ZZP 108 (1995), 480. 71 BGH v. 18.3.1987 – IVb ZR 24/86, NJW 1987, 3084 (R. Geimer) = FamRZ 1987, 580 = MDR 1987, 747 = IPRax 1989, 104 (Siehr 96) = IPRspr. 1987 Nr. 145. 72 BGH v. 18.2.1993 – IX ZB 87/90, MDR 1993, 1014 = NJW 1993, 2688 = RIW 1993, 673 = EuZW 1993, 579 = IPRax 1993, 396 (Rauscher 376) = EWiR 93, 982 (Bungert). Zum Nebeneinander der verschiedenen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge Mankowski, IPRax 2000, 188.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
5. Verhältnis des anerkennungsfreundlicheren nationalen Rechts zum (strengeren) europäischen Unionsrecht Ein Rückgriff auf das anerkennungsfreundlichere nationale Anerkennungsrecht 2767b kommt jedoch nicht mehr in Betracht im Anwendungsbereich des europäischen Unionsrechts (EuGVVO, EuEheVO, EuUnterhVO, EuGVVO, EuInsVO).73
III. Anerkennungsverbote 1. Völkerrecht Das Völkergewohnheitsrecht verbietet allen Staaten, gerichtliche Entscheidun- 2768 gen anzuerkennen, die unter Verletzung der Regeln über die Immunitäten, Exemtionen und sonstigen Befreiungen von der Gerichtsbarkeit erlassen wurden, es sei denn, der betreffende Staat hat die Verletzung seiner Souveränität pardoniert.74 Kein Anerkennungsverbot besteht jedoch, wenn einzelne Verfahrenshandlungen in dem Verfahren, das zu dem anzuerkennenden ausländischen Urteil geführt hat, (möglicherweise) als Eingriff in die Souveränität eines anderen Staates zu bewerten sind (Rz. 2180, 2534).75 Das Völkergewohnheitsrecht stellt keine internationale Zuständigkeitsordnung auf (Rz. 848); deshalb verbietet es auch nicht, solche Urteile anzuerkennen und zu vollstrecken, die in beziehungsarmen Gerichtsständen ergangen sind, sofern
73 Ebenso Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, 2004, 118; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (745); R. Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1622). 74 IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien, Rz. 121 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (206). So schon R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 76; R. Geimer, RIW 1975, 82; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1361, 1487; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 160; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Kap. 42, 2007, § 97 AußStrG Rz. 24; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 285. 75 Wie z.B. Zeugenladungen, unmittelbare Zustellung (unter Umgehung der Zustellungs-/ Rechtshilfeorgane des Staates, in dem sich der Zustellungsempfänger aufhält), Pfennig, Die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen, 1988, 87; Verstoß gegen Art. 6 HZPÜ/Art. 10 HZÜ (Postzustellung trotz Widerspruchs Deutschlands, vgl. BGH v. 27.6.1990 – XII ZB 38/88, MDR 1990, 1008 = NJW 1990, 3090 = FamRZ 1990, 1100 = StAZ 1990, 296 = IPRspr. 1990 Nr. 220); G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 174. Stiefel/Stürner, VersR 1987, 830, wollen aber innerstaatlich den ordre public einsetzen. Dies ist in dieser Allgemeinheit abzulehnen. Nicht überzeugend auch Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 128 und OLG Frankfurt v. 1.9.1987 – 20 W 446/86, IPRspr. 1987 Nr. 157 (Zustellung der Klage durch niederländischen Konsul anstatt durch deutsche Rechtshilfebehörde).
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
nicht der internationale Menschenrechtsschutz (Art. 6 EMRK), der unzumutbare Foren verbietet (Garantie eines fairen Verfahrens), entgegensteht.76 2769 Die Staatsverträge über die Anerkennung und Vollstreckung begründen i.d.R. nur eine Verpflichtung zur Anerkennung (wenn kein Versagungsgrund vorliegt), stellen jedoch keine Anerkennungsverbote auf. Auch wenn ein Versagungsgrund vorliegt, ist der Zweitstaat völkerrechtlich nicht verpflichtet, dem Urteil die Anerkennung zu verweigern. Er kann gewissermaßen „freiwillig“, d.h. ohne aufgrund des einschlägigen Vertrages verpflichtet zu sein, die Anerkennung aussprechen.77 2770 Die Staaten können sich aber gegenseitig verpflichten, bestimmte Urteile nicht anzuerkennen, so Art. 23 des deutsch-norwegischen Vertrages. I.d.R. richten sich solche Anerkennungsverbote gegen dritte Staaten78 (s. Rz. 912). Wurde in einem völkerrechtlichen Vertrag die internationale Entscheidungszuständigkeit geregelt, so bedeutet dies noch nicht, dass alle anderen Staaten verpflichtet wären, Urteilen die Anerkennung zu verweigern, die unter Missachtung dieser Zuständigkeitsregeln erlassen wurden.79 Es sollte vielmehr durch den einschlägigen Vertrag (nur) eine sachgerechte Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben bzw. eine vernünftige Bewertung der Zuständigkeitsinteressen der Parteien erfolgen. 2771 Gegenstand der völkerrechtlichen Normierung war also nicht die Gerichtsbarkeit, sondern die internationale Zuständigkeit. Im Vordergrund steht hierbei der Schutz des Beklagten vor unzumutbaren Gerichtsständen.80 Es wäre z.B. wenig sinnvoll, einem klageabweisenden Sachurteil eines nach Art. 28 Warschauer Abkommen (Rz. 1889) international unzuständigen Staates allein wegen dessen Unzuständigkeit die Anerkennung zu verweigern; dem Kläger hier noch einmal eine Chance zu geben, wäre unbillig. Unmittelbare Staatsinteressen stehen nicht auf dem Spiel. Sein Rechtsanwendungsinteresse (Durchsetzung auch international zwingenden Rechts, wie z.B. Devisenrecht oder Kartellrecht) ist durch den ordre-public-Vorbehalt (Rz. 26) ausreichend gewahrt. Im Übrigen enthält das Warschauer Abkommen keine Normen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung. Maßgebend hierfür sind die bilateralen Anerkennungsverträge, in Ermangelung solcher das autonome Recht. Erlässt z.B. ein israelisches Gericht in einem in Art. 28 Warschauer Abkommen nicht aufgeführten Gerichtsstand
76 R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 226. Ausführlich zur „indirekten Wirkung“ des Art. 6 EMRK Matscher in FS Kollhosser II, 2004, 427. 77 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 58 ff.; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 81; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1362; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 107. 78 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 315. 79 A.A. Matscher, JBl 1979, 245, der übersieht, dass hier nicht Souveränitätsinteressen der Vertragsstaaten auf dem Spiele stehen. Daher auch abzulehnen Bajons, ZfRV 1971, 106. 80 R. Geimer in FS Nakamura, 1996, 169.
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Zwölfter Teil
ein Sachurteil, so ist Deutschland zur Anerkennung verpflichtet, wenn ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt i.S. des Art. 7 des deutsch-israelischen Vertrages gegeben ist. Art. 25 dieses Vertrages greift nicht ein, da das Warschauer Abkommen die Anerkennung nicht normiert. Besonders klar in dem hier vertretenen Sinne ist die Regelung der EuGVVO und 2771a des LugÜ: Auch wenn der Erstrichter bewusst die europäische Zuständigkeitsordnung verletzt hat, darf die Anerkennung grundsätzlich nicht verweigert werden, auch nicht unter Berufung auf den ordre public.81 Aber auch in den Fällen, in denen gem. Art. 45 I (e) EuGVVO bzw. Art. 35 I LugÜ 2007 ausnahmsweise im Anerkennungsstadium die internationale Zuständigkeit des Ursprungsstaats nachgeprüft werden darf, geschieht dies nur auf Rüge des zum geschützten Personenkreis gehörenden Beklagten (Versicherungsnehmer, Versicherten etc., Verbraucher, Arbeitnehmer), Art. 45 I (e) (i) EuGVVO. Im Übrigen ist die Nichtbeachtung der in Art. 24 EuGVVO stipulierten ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten nur ein Versagungsgrund (Art. 45 I [e] [ii] EuGVVO), der zur Disposition des Beklagten steht.82 Er wird nur auf Antrag (Art. 45 I, Art. 46 I EuGVVO) beachtet.83 Von einer Prüfung von Amts wegen kann keine Rede (mehr) sein (Rz. 3093). Ebenso verhält es sich im Anwendungsbereich des Art. 35 I LugÜ, auch wenn 2771b diese Vorschrift nicht so klar formuliert ist, wie die Parallelnormen der EuGVVO. Art. 35 I LugÜ ist im vorgenannten Sinne teleologisch zu reduzieren. Ein Anerkennungsverbot kann sich auch aus der Europäischen Menschen- 2772 rechtskonvention vom 4.11.195084 ergeben, wenn durch Anerkennung eine konventionswidrige Situation herbeigeführt werden würde oder wenn das Urteil in einem gegen die EMRK (insbes. Art. 6) bzw. die EuGrundrechtecharta (Art. 47 II) verstoßenden Verfahren zustande gekommen ist.85 Es gibt kein Beurteilungsmonopol des Auswärtigen Amtes (Art. 32 I GG) hin- 2773 sichtlich (völkerrechtlicher) Teilaspekte der Anerkennung bzw. Nichtanerkennung ausländischer Hoheitsakte (Rz. 272, 522).
81 82 83 84
Art. 28 III Hs. 2 EuGVÜ/LugÜ 1988, Art. 45 III 2 EuGVVO, Art. 35 III 2 LugÜ 2077. Hierzu R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 EuGVVO Rz. 16 ff. S. auch Geimer in FS Gottwald, 2014, 197, 203 ff. BGBl. II 1952, 685, 953; Neufassung in der Bekanntmachung v. 17.5.2002, BGBl. II 2002, 1054. 85 Matscher in FS Neumayer, 1986, 477; Matscher, IPRax 1992, 335; Matscher, ZZP 103 (1990), 316; Boll, Die Anerkennung des Auslandskonkurses, 1990, 35 Fn. 189; R. Geimer, IPRax 1992, 13 Fn. 110; R. Geimer, BerDGVR 33 (1994), 213, 215; R. Geimer, IPRax 2006, 298; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 9, 194, 232; Schlosser, Unzulässige Diskriminierung nach Bestehen oder Fehlen eines EG-Wohnsitzes im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Heldrich, 2005, 1007. S. auch Kinsch, The Impact of Human Rights on the Application of Foreign Law and on the Recognition of Foreign Judgments, in Essays in Memory of Peter E. Nygh, 2004, 197; Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 467 ff.
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2. Recht der Europäischen Union 2773a Auch das Recht der Europäischen Union kann Anerkennungsverbote etablieren. Ein solches sieht z.B. die gegen den Helms-Burton-Act (Rz. 245c, 537) gerichtete EG-Verordnung vom 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebender Maßnahmen vor.86 3. Verfassungsrecht 2774 Verfassungsrechtliche Anerkennungsverbote sind denkbar, weil das Grundgesetz und insbes. dessen Grundrechtsschutz nicht vor Sachverhalten mit Auslandsberührung Halt macht.87 Sie werden über die anerkennungsrechtliche ordre public-Klausel durchgesetzt. Dies heben § 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG und § 343 I 2 Nr. 2 InsO ausdrücklich hervor. Die Überprüfung des Entscheidungsinhalts des ausländischen Urteils (Rz. 28, 2912) auf seine Grundrechtskonformität mit geringerer Intensität als im deutschen Erkenntnisverfahren (ordre public atténué de réconnaissance) ist verfassungskonform.88 Was die Überprüfung des dem ausländischen Urteil vorausgegangenen erststaatlichen Verfahrens anbelangt, betont das Bundesverfassungsgericht89 treffend, dass der Betroffene alles ihm Zumutbare im ausländischen Urteilsstaat unternehmen muss, um die angeblichen Mängel des erststaatlichen Verfahrens bereits dort zu beseitigen, gegebenenfalls im Rechtsmittelwege. Aus Art. 25 GG folgt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Verpflichtung für alle Gerichte und Behörden der Bundesrepublik Deutschland, „alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft“. Auf diese Weise ist der vom
86 ABl. EG Nr. L 309 v. 29.11.1996; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 1997, 391. Vgl. auch Reinmuth, Das US-Embargo gegen Kuba und internationales Recht, 2001. 87 R. Geimer, ZfRV 1992, 407; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 18 ff.; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 119. S. auch die umfangreichen Nachw. bei Becker, Grundrechtsschutz bei Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2004. 88 R. Geimer, ZfRV 1992, 407; s. auch BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999, 371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483, 484 = IPRspr. 1999 Nr. 154 unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG zu Art. 2 I GG, dass Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen dürfen (BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214 [231] = FamRZ 1994, 151 = ZIP 1993, 1775 = EWiR 1994, 23 [Köndgen]), umzusetzen durch Auslegung und über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB: „Soweit es … um die Handlungsfreiheit des Schuldners geht, darf … nicht mehr nach dem Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB geprüft werden, ob gemäß deutschen Vorstellungen ein Leistungsurteil des vorliegenden Inhalts zu erlassen wäre“. 89 BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Völkergewohnheitsrecht umfasste menschenrechtliche Mindeststandard zu realisieren. Nicht der gesamte Bestand der Verfahrensgrundrechte ist im Anerkennungssta- 2775 dium mit der gleichen Intensität durchzusetzen, wie man es in Verfahren vor deutschen Gerichten täte.90 Ohne Abstriche wird jedoch auf Antrag auch im Anerkennungsstadium dem Art. 103 I GG Geltung verschafft.91
IV. Anerkennung bedeutet Wirkungserstreckung 1. Gegenstand der Anerkennung Gegenstand der Anerkennung sind die (prozessrechtlichen, Rz. 2786) Wirkun- 2776 gen des ausländischen Urteils (Rz. 2788), und zwar diejenigen, die diesem nach dem Recht des Urteilsstaates zukommen. Diese Urteilswirkungen sind für den deutschen Richter – da auf dem Recht eines ausländischen Staates beruhend – an sich unbeachtlich. Sie sind für ihn nur dann relevant, wenn dies das deutsche Recht oder das Unionsrecht (Rz. 2773a) anordnet, also die Wirkungen des ausländischen Urteils auf das Inland erstreckt. Diese Erstreckung der einem ausländischen Urteil nach dem Recht des Erststaates (Rz. 2848) zukommenden Wirkungen auf das Inland durch das deutsche Recht bzw. das Unionsrecht und die darauf basierende Beachtlichkeit der ausländischen Entscheidung nennt man Anerkennung.92
90 Vgl. BGE 103 Ia 532. 91 R. Geimer, IPRax 1992, 14 Fn. 111b. Vgl. auch BGH v. 18.1.1990 – III ZR 269/88, BGHZ 110, 104 = NJW 1990, 2199 = RIW 1990, 493, 494 = MDR 1990, 703 = WM 1990, 1126 = IPRax 1991, 244 (Schlosser 218) = EWiR 1990, 723 (Bredow) = IPRspr. 1990 Nr. 238: „Diesbezüglich gelten für inländische und ausländische Verfahren dieselben Regeln“. 92 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 25; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 85; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1385; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen, 1998, 180; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 43; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 112; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (746); s. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., Rz. 35 vor §§ 335 ff. Zustimmend aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 10 ff., 24 „kontrollierte Wirkungsübernahme“. Umfangreiche Nachw. auch bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 121. S. auch Tkatchenko, Anerkennung der Restschuldbefreiung nach der EuInsVO unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Reform der Restschuldbefreiung, 2009, 38 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 190 f. S. z.B. auch Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 298 ff.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2777 Der Umfang der Wirkungen eines im Inland anerkannten ausländischen Urteils ist also nach dem Recht des Erststaates zu beurteilen.93 Beispiel: Nach einigen Rechtsordnungen wirkt die im Scheidungsverfahren der Eltern getroffene Regelung des Kindesunterhalts kraft Rechtskrafterstreckung aufgrund Prozessstandschaft für und gegen das Kind.94
Maßgeblich sind allein diese Wirkungen. Das Recht eines dritten Staates kommt deshalb nur dann zum Zuge, wenn das Recht des Urteilsstaates auf dieses verweist, z.B. wenn sich die Grenzen der res iudicata-Wirkung gemäß der erststaatlichen Rechtsordnung nach der lex causae richten. Ein ausländisches Urteil kann nicht qua Anerkennung im Inland mehr Wirkungen hervorrufen als im Erststaat.95 So kann ein ausländisches Ehetrennungsurteil nicht als Scheidungsurteil im Inland anerkannt werden.96 2778 Dagegen will Matscher97 die prozessrechtlichen Wirkungen einer anzuerkennenden Entscheidung im Zweitstaat nach dessen Prozessrecht beurteilen.98 93 So für die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft RG Seufferts, Archiv 83, Nr. 215, S. 368; OLG Saarbrücken, NJW 1958, 1046; Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997, 155. Vgl. auch Mäsch, FamRZ 2002, 1069 (1075); Stadler in Musielak, ZPO11, § 328 Rz. 34. 94 BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, NJW 1983, 1976 = MDR 1983, 1007 = IPRax 1984, 320 (Spellenberg 304) = FamRZ 1983, 806 = IPRspr. 1983 Nr. 95. Zur Rechtskrafterstreckung auch auf das Kind bei Abweisung der gegen die Mutter gerichteten Abstammungsklage KG v. 17.8.1983, ROW 1984, 96 = IPRspr. 1983 Nr. 185. Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, 1983/84, I 1011, 1020, II 22; Siehr in MüKo.BGB5, UStA Rz. 281 (Anh. I zu Art. 18 EGBGB); IPG 1976 Nr. 46 (Hamburg) sub B I 1; Spellenberg, IPRax 1984, 306; Boll, Die Anerkennung des Auslandskonkurses, 1990, 44. S. auch AG Berlin-Schöneberg v. 2.2.2010 – 20b F 270/07, FamRZ 2010, 1566 = IPRspr. 2010 Nr. 101. 95 Dies verkennt z.B. EuGH v. 15.11.2012 – C-456/11 – Gothaer/Samskip GmbH, EuZW 2013, 60 = IPRax 2014, 163 (H. Roth 136) = LMK 2013, 341521 (Hau); hierzu Mansel/ Thorn/Wagner, IPRax 2012, 1 (19); Bach, EuZW 2013, 56; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812 (835); Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union: Gegenwartsfragen der Anerkennung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 15 ff. S. oben Rz. 1873b. 96 OLG Hamburg v. 7.12.2981 – 2 VA 2/81, IPRspr. 1983 Nr. 184. So auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1628). 97 Matscher, JBl. 1960, 270; Matscher in FS Schima, 1969, 277 ff.; Matscher, ZZP 86, 404 sowie ZZP 103 (1990), 307. Ihm folgt die österreichische Lehre, Nachw. bei Musger, IPRax 1992, 111 Fn. 29. 98 Rechtsvergleichend Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 353, 375 ff., 381 ff. Zu den Anerkennungstheorien R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 86; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1149; Bungert, ZIP 1992, 1719; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht: Überlegungen zur Bewältigung von multi-fora disputes, 1996, 70; Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen, 1997, 31; Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen
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Zwölfter Teil
Die Gleichstellungstheorie (Nostrifizierungstheorie)99 ist zutreffend nur für die 2779 Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel. Hier geht es aber gerade nicht um Anerkennung (keine Erstreckung der erststaatlichen Vollstreckbarkeit auf das Inland100), sondern um die originäre Verleihung der Vollstreckbarkeit nach inländischem Recht (Rz. 3100). Diese dem ausländischen Titel im Inland verliehene Vollstreckbarkeit könnte theoretisch inhaltlich abweichen von der Vollstreckungswirkung, die inländischen Titeln zukommt. Doch ist dies nicht der Fall (Rz. 3162). Insoweit kann man von Gleichstellung sprechen.101 2. Grenzen der Wirkungserstreckung Im Inland können nur solche Urteilswirkungen anerkannt werden, die als solche 2780 dem deutschen Recht bekannt sind, wenn sie auch nicht im Einzelnen mit den Wirkungen eines deutschen Urteils übereinzustimmen brauchen.102 Nach einer
99 100 101
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Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997, 152 ff.; Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts, 2004, 60 ff. Lapidar (ohne Erörterung der Problematik) BGH v. 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, MDR 1983, 1007 = NJW 1983, 1976, 1977 = FamRZ 1983, 806 = IPRax 1984, 320 (Spellenberg 304, 306) = IPRspr. 1983 Nr. 95: „Mit der Anerkennung … wird der ausländische einem inländischen Titel gleichgestellt und in die hiesige Rechtsordnung übernommen.“ Weniger kritisch Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997, 157. Nachw. z.B. Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rz. 81 ff. Anders ist es im Anwendungsbereich der Art. 39 ff. EuGVVO n.F., Rz. 3007f, 3174b, 3199. Unzutreffend BGH v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, MDR 1985, 215 = FamRZ 1984, 1001 = NJW 1985, 552 = IPRax 1985, 224 (Henrich 207) = IPRspr. 1984 Nr. 168, wo die res iudicata-Wirkung eines niederländischen Urteils, das die Unterhaltsklage mangels Leistungsfähigkeit des Beklagten abgewiesen hatte, – ohne die Problematik zu sehen – nach deutschem Recht beurteilt wird. R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 27; Müller, ZZP 79 (1966), 203; Schütze, DIZPR, 1985, 133; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I, Rz. 370; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 112; Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 175. Anderer Ansicht Gottwald, ZZP 103 (1990), 262; Spellenberg in Stoll (ed.), Stellungnahmen und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, 1992, 193. Nachw. bei Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 31 sowie bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 184; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 240 ff.; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 512 ff.; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile – eine Untersuchung zur Fortgeltung des ne-bis-in-idem, 2002, 63; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (750 f.); R. Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1628 m.w.N.).
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anderen Doktrin103 soll der Grundsatz der Maßgeblichkeit des ausländischen Rechts bei der Bestimmung des Umfangs der Urteilswirkungen auch dann gelten, wenn einem vergleichbaren deutschen Urteil geringere Wirkungen zukämen, wenn also der Umfang der Urteilswirkungen des ausländischen Urteils größer ist.104 Wenn z.B. nach dem Recht des Erststaates (z.B. US-Recht:105 issue preclusion, claim preclusion)106 eine Rechtskraftwirkung auch hinsichtlich der rechtlichen Vorfragen – im Gegensatz zum deutschen Recht – eintritt, so soll das ausländische Urteil diese Wirkung auch im Inland entfalten. 2781 Der deutsche Gesetzgeber hat aber mit gutem Grund die Bindung an die Entscheidung von rechtlichen Vorfragen (sofern sie nicht Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage, § 256 II ZPO, sind) abgelehnt: Er wollte die Perpetuierung von Fehlentscheidungen vermeiden.107 Dieser Grundsatz muss auch gegenüber ausländischen Entscheidungen durchgesetzt werden.108 2782 Soweit die erststaatliche Urteilswirkung umfangreicher ist als die vergleichbare deutsche, scheitert nicht etwa die Anerkennung des Urteils im Ganzen. Nicht anerkannt wird lediglich die dem deutschen Recht unbekannte Wirkung. So wird in dem vorgenannten Beispiel die Feststellungswirkung des ausländischen Urteils hinsichtlich der Entscheidung über den Streitgegenstand (deutsche Vergleichsnorm § 322 I ZPO) anerkannt, die darüber hinausgehende Bindung an die festgestellten Tatsachen jedoch nicht.109 2783 Diese Begrenzung der ausländischen Urteilswirkungen gilt nicht für die Gestaltungswirkung. Von Gestaltungsurteilen ein Stück abzuschneiden und den Rest bei der Anerkennungskontrolle passieren zu lassen, macht wenig Sinn.110
103 Bungert, IPRax 1992, 226. Wie hier nun aber Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 328 Rz. 8. 104 Rechtsvergleichend zu den unterschiedlichen Rechtskraftdoktrinen in Europa Ferrand in FS Gottwald, 2014, 175. 105 Stiefel/Stürner, VersR 1987, 842; Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 133. 106 Ebenso nach englischem und französischem Recht, Nachw. bei W. Lüke, ZZP 119 (2006), 131 (133). Doch gelten hier Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 21 ff. EuEheVO. Im Anwendungsbereich dieser VO erfolgt eine unbegrenzte Wirkungserstreckung, Rz. 2784. 107 Zustimmend z.B. Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 149, 187. 108 Hierzu z.B. auch Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 300 ff. 109 Zu weitgehend jedoch AG Hamburg v. 24.1.1985 – 289 F 134/82, IPRax 1986, 114 = IPRspr. 1985 Nr. 71. Gegen eine Wirkungsbegrenzung jedoch z.B. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 125; Max Peiffer, a.a.O., Rz. 257. 110 Schlosser, RIW 1983, 480. S. auch Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen – Gerechtigkeit durch Verfahrensabstimmung?, 1998, 186; Max Peiffer, a.a.O., Rz. 529.
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Ausnahme: Die vorbeschriebenen Begrenzungen durch das Recht des Zweitstaa- 2784 tes gelten nicht für den Bereich der EuGVVO.111 Sind nach dem Recht des Erststaates die Wirkungen der gerichtlichen Entschei- 2785 dungen auf das Gebiet des Erststaates beschränkt, was im Zivilprozess praktisch nicht vorkommt, da die res iudicata-Wirkung und Gestaltungswirkung aus der Sicht des Erststaates universell gelten sollen (Ausnahmen: territorial begrenzte Handlungs- und Unterlassungstitel, Rz. 3235 ff., sowie gegenständlich beschränkte Insolvenzverfahren, Rz. 3436, 3457112), so ist kraft Anerkennungsbefehl des deutschen Rechts gleichwohl Wirkungserstreckung möglich. 3. Materiell-rechtliche Urteilswirkungen Gem. § 328 ZPO, § 109 FamFG und § 343 InsO können nur prozessrechtliche 2786 Wirkungen anerkannt werden.113 Ob ein ausländisches Urteil auf dem Gebiet des materiellen Rechts eine Wirkung (Tatbestandswirkung) hervorrufen kann oder nicht, ist eine Frage der einschlägigen materiellen Rechtsordnung, die nach den Kollisionsnormen des deutschen internationalen Privatrechts zu bestimmen ist (Rz. 2827f).114 Die Qualifikation richtet sich nach deutschem Recht.115 Ob das Recht des Erst- 2787 staates eine Urteilswirkung als prozessual oder materiell-rechtlich qualifiziert, ist gleichgültig.116 So spielt es z.B. keine Rolle, dass das angelsächsische Recht die Frage der Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses (Rechtskraft) als Beweisproblem sieht (Rz. 2297).117
111 R. Geimer, RIW 1976, 141; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 32 EuGVVO Rz. 45. Zustimmend BGH v. 12.12.2007, FamRZ 2008, 400 = IPRspr. 2007 Nr. 203. 112 Z.B. zum universellen Geltungsanspruch des gerichtlich bestätigten Schweizer Nachlassvertrags (Art. 302 Abs. 2 SchKG) s. aber BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 – Rz. 53 ff. 113 Zustimmend z.B. R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (750). 114 Zustimmend Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 120. S. z.B. auch Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 2011, 291. 115 Zustimmend Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 373; Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 25; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 254; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, Bonn 2002, 57. 116 Zustimmend z.B. Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 140, 157. 117 Zu estoppel by record Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 299; Martiny in Handbuch des IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 358; Stürner in FS Schütze, 1999, 913.
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4. Entscheidungen in der Sache 2788 Anerkennungsfähig sind nur Entscheidungen in der Sache.118 Hierher gehören vor allem Erkenntnisse, die der Klage stattgeben oder diese als unbegründet abweisen. Nicht anerkennungsfähig sind Prozessabweisungen oder sonstige Entscheidungen über prozessuale Fragen, auch wenn diese nach dem Recht des Erststaates in materielle Rechtskraft erwachsen sollten. Für den deutschen Richter sind sie ohne Bedeutung. Die Feststellung des ausländischen Gerichts, dass eine Prozessvoraussetzung nach dem Recht des Erststaates gegeben ist oder nicht, spielt für die Entscheidung des deutschen Richters keine Rolle, auch wenn zufällig die Normen des Erststaates mit den deutschen übereinstimmen.119 2788a Dies gilt auch für Prozessabweisungen wegen internationaler Unzuständigkeit (Rz. 1873b). Die Nichtanwendbarkeit des Anerkennungsregimes der Art. 36 ff. EuGVVO und Art. 32 ff. LugÜ bzw. § 328 ZPO und § 109 FamFG wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Anerkennungsversagungsgründe wirft. Diese betreffen allein die Befugnis zum Erlass einer Sachentscheidung. Daraus lässt sich schließen: Art. 36 ff. EuGVVO bzw. Art. 32 ff. LugÜ sowie § 328 ZPO und § 109 FamFG erfassen nur solche.120 Die (partielle) Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats gem. Art. 45 I lit. e (i) (ii) EuGVVO und Art. 35 LugÜ bzw. § 328 I Nr. 1 ZPO und
118 Zustimmend OLG München v. 10.10.2002 – U (K) 1651/02, SpuRt 2003, 199 = IPRspr. 2002 Nr. 223 = DIS-Datenbank, www.dis-arb.de (hierzu Martens/Feldhoff-Mohr, SchiedsVZ 2007, 11 [19]); Borges, a.a.O., 30; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 ZPO Rz. 10; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 185. Ebenso aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 105; Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1625). Teilweise anders Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 143 (für den Fall der Klageabweisung wegen wirksamer Schiedsvereinbarung). Differenzierend auch aus USSicht Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 24.24. S. auch Rz. 3891, 3942. 119 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 89; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1415, II 25; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 383; weitere Nachw. bei Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 181 ff.; BGH v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, MDR 1985, 215 = NJW 1985, 552 (553) = FamRZ 1984, 1001 = IPRax 1985, 224 (Henrich 207) = IPRspr. 1984 Nr. 168. Ausnahme: Rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung, Rz. 1705. Vgl. auch R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 23 EuGVVO Rz. 209. 120 A.A. EuGH v. 15.11.2012 – Rs. C-456/11 – Gothaer/Samskip, EuZW 2013, 60 = IPRax 2014, 163 (H. Roth 136) = LMK 2013, 341521 (Hau); hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2012, 1 (19); Bach, EuZW 2013, 56; Wittwer/Fussenegger, ZEuP 2013, 812 (835); Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union: Gegenwartsfragen der Anerkennung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 15 ff. S. auch Rz. 1873b.
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§ 109 I Nr. 1 FamFG hat eine meritorische Entscheidung (Sachentscheidung) im Auge. Dass der Ursprungsstaat immer die Jurisdiktion dafür haben muss, um über seine internationale Zuständigkeit für eine Sachentscheidung befinden zu können, d.h. seine Befugnis in der Sache zu entscheiden, ergibt sich aus der Natur der Sache. Auch der nach Art. 4 ff. EuGVVO bzw. Art. 2 ff. LugÜ bzw. § 12 ff. ZPO sowie §§ 98 ff. FamFG international unzuständige Staat darf und muss durch Urteil oder Beschluss seine internationale Unzuständigkeit feststellen und darf über die Kosten des Verfahrens entscheiden etc. (Rz. 1547, 1570, 1871c). Es gäbe rechtslogisch wenig Sinn, hinsichtlich einer solchen Unzuständigkeits- 2788b entscheidung eine ordre public-Prüfung (Art. 45 I lit. a EuGVVO und Art. 34 Nr. 1 LugÜ bzw. § 328 I Nr. 4 ZPO und § 109 I Nr. 4 FamFG) vorzunehmen und gegebenenfalls die „Anerkennung“ zu verweigern, weil die Zuständigkeitsprüfung in einem unfairen Verfahren oder aus sonstigen Gründen ordre public-widrig stattgefunden hat. Das Gleiche gilt für die Prüfungen nach Art. 45 I lit. b–d EuGVVO, Art. 34 Nr. 2 bis Nr. 5 LugÜ, § 328 I Nr. 2, 3, 5 ZPO und § 109 I Nr. 2–3, IV FamFG. Auch wenn bei Verfahrenseröffnung gegen die Mindeststandards des Art. 45 I (b) EuGVVO, Art. 34 Nr. 2 LugÜ, § 328 I Nr. 2 ZPO und § 109 I Nr. 2 FamFG verstoßen worden war oder wenn die ausländische Unzuständigerklärung unvereinbar ist mit einer inländischen oder drittstaatlichen Entscheidung, würde sich am Faktum der im Ursprungsstaat nicht mehr anfechtbaren und damit rechtskräftigen Unzuständigerklärung und damit der Verweigerung der Justizgewährung für das konkrete Klagebegehren nichts ändern, wollten wir die Anerkennung verweigern. Denn es kann die an sich richtige Entscheidung (Bejahung der internationalen Zuständigkeit und Entscheidung in der Sache121) nicht simuliert bzw. substituiert werden. Die Kategorie Nichtanerkennung würde hier dogmatisch in die Irre führen.122 Zu den Sachentscheidungen zählen auch Urteile, die – in § 323 ZPO bzw. 2789 §§ 238 ff. FamFG vergleichbaren Fällen – ein deutsches oder drittstaatliches Urteil abändern.123 Ob eine Sachentscheidung oder ein Prozessurteil vorliegt, ist nach deutschen 2790 Rechtsvorstellungen einzuordnen; weist z.B. das Erstgericht eine Klage wegen Verjährung durch Prozessurteil ab, weil es die Verjährung prozessrechtlich qualifiziert hat (vgl. Rz. 351), so handelt es sich aus deutscher Sicht gleichwohl um eine Sachentscheidung.124 Eine Sachentscheidung in dem hier verstandenen Sinn setzt nicht voraus, dass das ausländische Gericht seine Entscheidung nach vollständiger (eigener) Sachprüfung erlassen hat. Z.B. fällt auch ein Anerkennt-
121 Sofern die sonstigen Prozessvoraussetzungen gegeben waren bzw. sind. 122 R. Geimer in FS Kaissis, 2012, 287. 123 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 459; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 307; Stadler in Musielak, ZPO11, § 328 Rz. 5. 124 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 475.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
nisurteil i.S. der jeweiligen ausländischen Parallelnorm zu § 307 ZPO in den Anwendungsbereich des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG.125 2791 Ausländische Rechtsmittelentscheidungen, die auch aus deutscher Anerkennungssicht relevante Punkte tangieren, d.h. Tatbestandsmerkmale der deutschen Anerkennungsnorm (§ 328 ZPO), sind nicht selbständig anerkennungsfähig (Rz. 1549). So ist z.B. die (nach dem Recht des Erststaates rechtskraftfähige) Feststellung des Erstrichters, dem Beklagten sei die Klage ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt und auch sonst sei – während des Verfahrens – das Recht auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden, für den deutschen Zweitrichter nicht bindend.126 2792 Keine Sachentscheidungen in dem eben erörterten Sinne sind Entscheidungen ausländischer Gerichte, durch die es einer Partei untersagt wird, während eines (im Erststaat laufenden Zivilrechtsstreits) in einem anderen Land (in Deutschland oder in einem Drittstaat) Klage zu erheben. Solche Verbote sind vor allem im angelsächsischen Bereich üblich (injunctions restraining foreign proceedings).127 Sie werden nicht anerkannt, weil allein das deutsche Recht bestimmt, wann ein Verfahren vor deutschen Gerichten zulässig ist (Rz. 1014, 1945b).128 5. Ausländische Vollstreckungsakte 2793 Ausländische Entscheidungen über Vollstreckungsmaßnahmen, insbes. ausländische Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse fallen primär nicht in den Anwendungsbereich des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG. Vielmehr gelten für die Beachtung ausländischer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen besondere Regeln (Rz. 3283).129
125 Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 35. – Zur ausländischen Entscheidung, die einen Schiedsrichter ernennt oder absetzt oder einen Schiedsspruch aufhebt bzw. die Aufhebungsklage abweist, s. Rz. 3934. 126 R. Geimer, JZ 1969, 16; R. Geimer, IPRax 1985, 6; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1057. 127 Sie sind jedoch im Brüssel I-System (Art. 27 ff. EuGVVO) unzulässig, EuGH v. 27.4.2004 – Rs. C-159/02 – Turner/Grovit, RIW 2004, 541 (Krause 533, Mankowski 497). 128 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 477; Lindacher, Internationales Wettbewerbsverfahrensrecht, 2009, § 20 Rz. 3; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 774; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 190. Differenzierend Gottwald, ZZP 103 (1990), 267. Für Anerkennungsfähigkeit im Grundsatz aber Stürner, ZZP 109 (1996), 224. Differenzierend Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 34–36 EuGVVO Rz. 5. 129 BAG v. 19.3.1996 – 9 AZR 656/94, MDR 1997, 71 = IPRax 1997, 335 (Schack 318) = EWiR 1996, 1055 (Mankowski) = ZIP 1996, 2031 = IPRspr. 1996 Nr. 194; Marquardt, Das Recht der internationalen Forderungspfändung, 1975, 100 ff.; Stein/Jonas, ZPO22, § 829 Rz. 105, die sich aber wieder eng an § 328 ZPO/§ 16a FGG (nunmehr § 109
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Einzelzwangsvollstreckung: § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG ist nicht unmittelbar 2794 (da er Sachentscheidung im Erkenntnisverfahren im Auge hat)130, aber analog ohne Nr. 2 (arg. § 172 I 2 ZPO) und Nr. 5 anzuwenden.131 (S. auch Rz. 3288). Verfehlt ist der nur internationalprivatrechtliche Ansatz („materiell-rechtlicher approach“): Versteigerung als Eigentumserwerbs- bzw. -verlusttatbestand, daher Anwendung der lex rei sitae-Regel, die – vorbehaltlich Art. 6 EGBGB – zur unkontrollierten Anerkennung der materiell-rechtlichen Wirkungen des ausländischen Zwangsvollstreckungsaktes führt.132 Der IPR-Ansatz tendiert zu einer bloßen Ausrichtung an Machtverhältnissen (die 2795 sich schlagartig verändern können) und vernachlässigt die durch das Grundgesetz maßgeblich beeinflussten Grundwertungen unserer Rechtsordnung. Vor allem aber wird der elementare verfahrensrechtliche Aspekt der ausländischen Zwangsvollstreckung ausgeblendet. Auch ein noch so „gerechtfertigter“ ausländischer Zwangsvollstreckungsakt (Extrembeispiel: Vollstreckung eines deutschen Titels im Ausland) wird bei uns nicht anerkannt, wenn er auf einem ordre public-widrigen Verfahren beruht.133 Insolvenzrechtliche Entscheidungen werden nach Maßgabe von § 343 InsO 2796 anerkannt (Rz. 3385, 3500).
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FamFG) anlehnen. Skeptisch Karen Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung, 1991, 239. Anerkennungsfreundlich im Anwendungsbereich der EuGVVO Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 32 EuGVVO Rz. 5. Zurückhaltender R. Geimer in Geimer/ Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 32 EuGVVO Rz. 49. Ebenso Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 205 passim. Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 369 hält den Rückgriff auf § 343 InsO (betreffend Akte der Gesamtvollstreckung) für naheliegender; s. auch Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 49; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 204, 328 ff.; Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 1091 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 144 m.w.N. So aber BGH v. 22.9.1988 – IX ZR 263/87, MDR 1989, 61 = NJW 1989, 1352 = RIW 1989, 61 = WM 1988, 1739 = IPRspr. 1988 Nr. 58 (wo von „Anwendung“ der Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts die Rede ist; es geht aber um die Anerkennung eines ausländischen Rechtsanwendungsaktes, also nicht um unmittelbare Anwendung ausländischen Rechts) und KG v. 29.9.1987 – 17 U 492/87, NJW 1988, 341 = ROW 1988, 252 = JuS 1988, 739 (Hohloch); ähnlich Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh IV Rz. 218. Wie hier Kreuzer, IPRax 1990, 365. S. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 322, 352. Ähnlich die gegen die h.M. im internationalen Enteignungsrecht vorgetragene Lehre Kreuzers im MüKo.BGB3, Anh. III nach Art. 38 Rz. 16, 20, 23, 35. Tertium comparationis: Anerkennung privatrechtsbeeinträchtigender Entscheidung eines ausländischen Hoheitsträgers. Vgl. auch Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 350.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
6. Durchführung eines Anerkennungsverfahrens nicht erforderlich 2797 Die Anerkennung erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes.134 Die Wirkungen eines ausländischen Urteils werden – soweit die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind – ipso iure auf das Inland erstreckt, ohne dass es eines besonderen Anerkennungsaktes bedarf.135 Man spricht deshalb auch von automatischer Anerkennung. Dies ist logisch nicht die einzige Möglichkeit der Anerkennung ausländischer Entscheidungen. Denkbar ist auch, die Wirkungserstreckung von der Durchführung eines besonderen Anerkennungsverfahrens abhängig zu machen. Nach dieser Variante kann der ausländische Richterspruch im Inland erst beachtet werden, wenn seine Anerkennungsfähigkeit ausdrücklich festgestellt ist. Eine solche Regelung sieht § 107 FamFG für Entscheidungen in Ehesachen vor (Rz. 3015). 7. Zeitpunkt der Anerkennung 2798 Aus dem System der automatischen Urteilsanerkennung kraft Gesetzes (Rz. 2992) folgt, dass die Wirkungen des erststaatlichen Urteils in dem gleichen Zeitpunkt, zu dem sie im Erststaat eintreten, auf den Zweitstaat erstreckt werden (Rz. 29a).136 Es kommt also nicht auf den Zeitpunkt an, in dem die Frage der Anerkennung geprüft wird137 oder in dem die „Inlandsbeziehung“ eintritt.
V. Anerkennungsfähige Urteilswirkungen 1. Überblick 2799 Anerkennungsfähig sind grundsätzlich alle prozessrechtlichen Urteilswirkungen, welche die gerichtliche Entscheidung nach dem Recht des Erststaates hervorbringt, so die Feststellungswirkung (materielle Rechtskraft), Präklusionswir-
134 Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 61; Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1627). 135 Das Gleiche gilt für Art. 32 ff. EuGVVO. S. z.B. McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 165 ff. 136 So nun ausdrücklich § 108 I FamFG. S. auch Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 173; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 95; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1603; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 298; Pollinger, Intertemporales Zivilprozessrecht, 1988, 204. 137 So BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626, 628 = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (Gerfried Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185; BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 78/04, MDR 2005, 641 = NJW-RR 2005, 1071 = RIW 2005, 463 = EWiR 2005, 823 (Balzer) = ZIP 2005, 478 (480) = IPRspr. 2005 Nr. 12; vgl. auch OLG Hamm v. 9.1.1992 – 4 UF 123/90, NJW-RR 1992, 710 = FamRZ 1992, 673 = IPRspr. 1992 Nr. 113 (für Privatscheidung); Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 58 ff., 62; Staudinger/Voltz, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 145.
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Anerkennung
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kung, Gestaltungswirkung, Streitverkündungs- und Interventionswirkung. Soweit die ausländische Entscheidung keine anerkennungsfähige Wirkung entfaltet, kommt eine Anerkennung (mangels auf das Inland erstreckungsfähiger erststaatlicher Wirkungen) nicht in Betracht.138 Entscheidungen ausländischer Gerichte, welche die Berichtigung des auslän- 2800 dischen Personenstandsregisters anordnen, sind als solche nicht Gegenstand einer Anerkennung. Die Wirkung des Urteils erschöpft sich in der Berichtigung des ausländischen Registers. Ihm kommt daher keine weitergehende Bedeutung als der berichtigten Eintragung selbst zu (Rz. 2845, 2860). Diese dient als Beweismittel bei der Feststellung der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache, z.B. des Geburtsdatums.139 Anzuerkennen (nach § 109 FamFG) ist jedoch ein ausländisches Adoptionsdekret, welches das Geburtsdatum des Kindes bewusst ändert, um Nachforschungen der leiblichen Verwandten zu erschweren.140 Es handelt sich beim neuen (fiktiven) Geburtsdatum um eine (anerkennungsfähige) richterliche Rechtsgestaltung.141 2. Materielle Rechtskraft (Feststellungswirkung) Prozessabweisung bei Wiederholung des gleichen Rechtsstreits: Das Vorliegen 2801 einer rechtskräftigen ausländischen Entscheidung führt in einem inländischen Rechtsstreit zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand zur Klageabweisung als unzulässig, also nicht zu einem neuen mit der ausländischen Entscheidung inhaltlich übereinstimmenden Sachurteil. Nach der in Deutschland herrschenden ne bis in idem-Theorie ist eine Klage mit dem gleichen Streitgegenstand, die bereits rechtskräftig entschieden wurde, grundsätzlich unzulässig. Die Rspr. lässt jedoch Ausnahmen zu, wenn ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer zweiten inhaltsgleichen Entscheidung besteht. Der Bundesgerichtshof hält dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis i.d.R. für gegeben, wenn es um die Anerkennung ausländischer Urteile geht.142
138 S. z.B. auch Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., Rz. 35 vor §§ 335 ff. 139 BSG v. 29.10.1985 – 10 RKG 20/83, IPRax 1985, 352 (Henrich). 140 Zum Entscheidungsbegriff s. auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1625). 141 OLG Karlsruhe v. 28.10.2003 – 11 Wx 8/03, FamRZ 2004, 1516 = NJW 2004, 516 = IPRax 2005, 39 (kritisch Looschelders 28). 142 BGH v. 20.3.1964, AWD 1965, 94 = MDR 1964, 587 = NJW 1964, 1626 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 245; BGH v. 9.4.1986 – IVb ZR 28/85, MDR 1986, 832 = NJW 1986, 2193 = FamRZ 1986, 665 (667) = IPRspr. 1986 Nr. 95; BGH v. 26.11.1986 – IVb ZR 90/85, MDR 1987, 393 = NJW 1987, 1146 = RIW 1987, 312 = FamRZ 1987, 370 = IPRspr. 1986 Nr. 183; OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde) = EWiR 2002, 1167 (Gerkan) = NZG 2003, 136 = IPRspr. 2002 Nr. 178. S. auch Stadler in Musielak, ZPO11, § 328 Rz. 37.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2802 Praktisch hat der Bundesgerichtshof damit die ne bis in idem-Lehre für ausländische Urteile außer Kraft gesetzt. Er erlässt ein zweites, mit dem ausländischen inhaltlich übereinstimmendes Sachurteil.143 Dies ist nicht gerechtfertigt.144 2803 Klageabweisung als unzulässig erfolgt aber nur bei Identität des Streitgegenstandes, ansonsten ist bei Präjudizialität (für Vorfragen des Zweitprozesses) das deutsche Gericht an die ausländische res iudicata gebunden. Bleibt offen, ob das ausländische Gericht eine Sachentscheidung mit res iudicata-Wirkung getroffen hat, besteht für das deutsche Gericht insoweit keine Bindung.145 2804 Den subjektiven und objektiven Umfang der res iudicata sowie den Zeitpunkt, ab dem die erststaatliche Entscheidung Rechtskraftwirkung entfaltet, bestimmt ausschließlich der Erststaat (Rz. 2777, 2798). Die meisten Prozessordnungen kennen eine dem § 705 ZPO vergleichbare Regel, wonach Entscheidungen erst nach Eintritt der formellen Rechtskraft, d.h. nach Eintritt der Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln, der materiellen Rechtskraft fähig sind. Anders ist jedoch die Rechtslage in Frankreich und im anglo-amerikanischen Rechtsbereich (Rz. 2856). In Frankreich entfaltet das Urteil sofort mit Erlass autorité de la chose jugée. Diese Wirkung wird allerdings mit Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels suspendiert. Mit Unanfechtbarkeit erlangt die Entscheidung dann volle „materielle Rechtskraft“ (force de la chose jugée). Dieser Unterschied hat insbes. Auswirkungen auf die Beachtung der Rechtshängigkeit (Rz. 2723). Der Rechtshängigkeitseinwand gilt nach französischem Recht nur solange, als kein Urteil vorliegt, also während der ersten Instanz. Ist bereits ein erstinstanzliches Urteil ergangen, kann autorité de la chose jugée in einem neuen Prozess über den gleichen Streitgegenstand geltend gemacht werden.146 Im gleichen Zeitpunkt, in dem die res iudicata-Wirkung im Erststaat nach dem dort geltenden Recht eintritt, wird sie auf das Inland erstreckt (Rz. 2798).
143 Dem BGH folgen z.B. OLG Düsseldorf v. 17.3.1988 – 6 (9) WF 115/87, FamRZ 1989, 97 (98) (Henrich) = IPRspr. 1988 Nr. 195; OLG Braunschweig v. 28.2.1989 – 2 UF 9/89, NJW-RR 1989, 1097 = IPRspr. 1989 Nr. 4; OLG Hamm v. 7.6.1989 – 8 UF 654/88, FamRZ 1989, 1333 = IPRspr. 1989 Nr. 115; OLG Hamm v. 19.9.1990 – 5 WF 298/90, FamRZ 1991, 718 = IPRspr. 1990 Nr. 190; KG v. 5.2.1993 – 3 UF 4458/92, NJW-RR 1994, 138 = FamRZ 1993, 976 = IPRax 1994, 455 (Baumann 435) = IPRspr. 1993 Nr. 156; OLG München v. 24.7.1996 – 7 U 2651/96, NJW-RR 1997, 571 = RIW 1996, 856 = Forum Int 1996, 193 (Simons) = IPRspr. 1996 Nr. 179; OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde); Baumann, IPRax 1990, 29. Weitere Nachw. z.B. bei Bungert, IPRax 1992, 231. 144 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1698. Zustimmend z.B. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 142; Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 229. 145 OLG Hamburg v. 12.12.1989 – 12 WF 154/89, 12 WF 155/89, FamRZ 1990, 535. 146 R. Geimer, RIW 1976, 142; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 380. Zum US-Recht Engelmann/Pilger, Die Grenzen der Rechtskraft im Recht der Vereinigten Staaten, 1973, 32.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Das Recht des Erststaates regelt auch den Konflikt mehrerer im Erststaat ergan- 2805 gener Sachentscheidungen.147 Wurde gegen die Klageforderung im Erstverfahren eine Gegenforderung zur Auf- 2806 rechnung gestellt und erstreckt sich nach dem Recht des Erststaates die Rechtskraft der Entscheidung auch auf die Gegenforderung, so ist auch diese Urteilswirkung anerkennungsfähig, da sie auch dem deutschen Recht (§ 322 II ZPO) als solche bekannt ist. Alle Anerkennungsvoraussetzungen müssen jedoch auch hinsichtlich der Gegenforderung gegeben sein. So scheidet z.B. eine Anerkennung aus, wenn die Gegenforderung öffentlich-rechtlicher Natur ist oder wenn aus deutscher Sicht (§ 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG) der Erststaat für die Entscheidung über das Bestehen der Gegenforderung international nicht zuständig war.148 In vielen Ländern ist die Rechtskraft nur auf Einrede der begünstigten Partei zu 2807 beachten.149 So in Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland, England und den USA. In Frankreich und Belgien betont man, dass die Rechtskraft im Privatinteresse geschaffen sei und ausschließlich ein Mittel der siegreichen Partei sei, ihre wohlerworbenen Rechte zu verteidigen.150 Da ein Urteil im Inland keine stärkere Wirkung haben kann als im Erststaat, darf der deutsche Zweitrichter die ausländische Rechtskraftwirkung nur auf Rüge einer Partei beachten.151 Dies hat auch Auswirkungen auf die Anwendung des § 328 I Nr. 3 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 3 FamFG (s. auch Rz. 2708). Steht das Recht des Urteilsstaates auf dem Standpunkt der materiell-recht- 2808 lichen Rechtskrafttheorie, z.B. die in den USA herrschende Doktrin152, oder der prozessualen Rechtskrafttheorie in der Form des Widerspruchsverbots, so fragt es sich, ob der deutsche Richter – wenn er die Rechtskraftwirkung des ausländischen Urteils beachten muss, da die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind – sich nach diesen Theorien zu verhalten hat, oder ob er sich die in Deutschland herrschende ne bis in idem-Lehre zu Eigen zu machen hat. Die letztere Alternative dürfte die richtige Lösung sein.153 Die Bindungswirkung des ausländi147 Es geht dabei ausschließlich um ein innerstaatliches Problem des Erststaates, nämlich um die parallele Behandlung des in Deutschland durch § 580 Nr. 7a ZPO normierten Komplexes. Hierzu Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997, 18 ff. 148 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1702 und II, 1971, 25. S. auch Hau, IPRax 2000, 437 (439). 149 Für Beachtung von Amts wegen plädiert man in Deutschland; vgl. z.B. Homfeldt, Die Beachtung der Rechtskraft im Zivilprozess von Amts wegen, 2001. 150 W. J. Habscheid in FS Fragistas, 1967, 19 ff.; W. J. Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht2, Rz. 488. Zu den unterschiedlichen Rechtskraftdoktrinen in Europa Ferrand in FS Gottwald, 2014, 175. 151 A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 392. Wie hier im Ergebnis OLG Schleswig v. 15.2.2007 – 5 U 59/06, OLGR 2007, 305 (307) = NJOZ 2007, 2055 = IPRspr. 2007 Nr. 187. 152 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht4, 72. 153 Zustimmend z.B. Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 237.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
schen Urteils nach dem Recht des Erststaates ist im Wege der Anpassung an die Rechtslage in Deutschland anzugleichen. Wie sich der deutsche Richter im Zweitprozess bei Identität des Streitgegenstandes zu verhalten hat, regelt ausschließlich das deutsche Recht. Die Vorschriften über die Anerkennung ausländischer Urteile behandeln nicht die Frage, wie der deutsche Richter die Rechtskraft des ausländischen Urteils zu beachten hat. Sie bestimmen vielmehr nur, dass er sie zu beachten hat. Die prozessuale Technik ist ausschließlich Sache der deutschen lex fori. In den deutschen Normen für die Anerkennung ausländischer Urteile liegt also keine Verweisung auf die Rechtskrafttheorien des Urteilsstaates.154 2809 Auf die Anerkennung bzw. Nichtanerkennung der Rechtskraft eines ausländischen Urteils hat es keinen Einfluss, ob nach dem deutschen internationalen Privatrecht die Rechtsordnung des Erststaates für die Beurteilung des Streitgegenstandes maßgeblich ist oder nicht (Rz. 42). Sind die Anerkennungsvoraussetzungen nicht gegeben, so kann das ausländische Urteil auch dann nicht anerkannt werden, wenn auf den Streitfall das Recht des Erststaates nach deutschem internationalem Privatrecht anzuwenden wäre; selbst dann nicht, wenn nach dem Recht des Erststaates die materiell-rechtliche Rechtskrafttheorie maßgeblich ist, wenn also durch das ausländische Urteil ein neues Recht geschaffen worden ist. Liegen die Anerkennungsvoraussetzungen nicht vor, so darf der deutsche Richter die durch das ausländische Urteil nach dem Recht des Erststaates geschaffene Rechtslage nicht anerkennen, auch wenn das deutsche internationale Privatrecht auf das Recht des Erststaates verweist (Rz. 42). Ist nach deutschem internationalem Privatrecht das Recht eines dritten Staates anzuwenden, ist also nach deutschem internationalem Privatrecht das Recht des Urteilsstaates nicht zur Beurteilung des Streitfalls berufen, so hat dies für die Frage der Anerkennung oder Nichtanerkennung der Rechtskraft des ausländischen Urteils keine Bedeutung. Auf den Standpunkt des dritten Staates zur Frage der Anerkennung oder Nichtanerkennung des Urteils kommt es nicht an. Die Wahrung des deutschen internationalen Privatrechts ist nicht Voraussetzung für Anerkennung ausländischer Urteile. Anders die Lehre von der kollisionsrechtlichen Relativität der Rechtskraft (Rz. 44).155
154 R. Geimer, NJW 1977, 2023; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1698; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 391; Matscher in FS Schima, 1969, 280; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 79. Zu dem unterschiedlichen Rechtskraftverständnis der einzelnen Rechtskreise z.B. Dorda, Res judicata und Schiedsverfahren, in FS Hellwig Torggler, 2013, 169. 155 Nachw. bei R. Geimer, NJW 1974, 1027 Fn. 12; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1401; Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 49, 183, 206; Kropholler, IPR einschließlich der Grundbegriffe des IZVR6, § 60 VI 2; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 385 ff.; Bungert, IPRax 1992, 227; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 185, 211; Isenburg/Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen v. 27.9.1968, 1992, 26, 215 ff.
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Anerkennung
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Der Streit- und Urteilsgegenstand wird durch das vom Erstrichter in concreto 2810 angewandte Kollisionsrecht nicht begrenzt (Rz. 2644).156 Ausnahme: Wenn die erststaatliche Entscheidung nur den kollisionsrechtlichen Streit über die Frage der anwendbaren Rechtsordnung entscheidet. Hierbei handelt es sich wohl meist nicht um eine Sachentscheidung (Rz. 2788). Die Grundsätze über das Verhältnis der Rechtskraft eines ausländischen Urteils 2811 zu dem nach deutschem internationalem Privatrecht anzuwendenden materiellen Recht gelten nicht nur, wenn Identität des Streitgegenstandes vorliegt, sondern auch dann, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts präjudiziell für die Entscheidung des deutschen Richters im zweiten Prozess ist. Liegen die Anerkennungsvoraussetzungen vor, so hat der deutsche Richter die Rechtskraftwirkung des ausländischen Urteils auch dann zu beachten, wenn der Inhalt der ausländischen Entscheidung im Widerspruch steht zu der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts nach derjenigen Rechtsordnung, die nach deutschem internationalem Privatrecht für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblich ist.157 Es gibt in gewissem Umfang für Folgeverfahren Auswirkungen der Anerkennung auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung (Rz. 2754). Als Grundsatz ist jedoch festzuhalten: Die „Überlagerung“ und Verdrängung des internationalen Privatrechts durch das Anerkennungsrecht158 findet nur statt, soweit der Umfang der anerkannten ausländischen Rechtskraft reicht. Im Übrigen (= in den nicht rechtskräftig entschiedenen Bereichen) gilt die vom deutschen (genauer: in Deutschland geltenden) internationalen Privatrecht berufene lex causae.159 3. Präklusionswirkung Soweit ein ausländisches Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates eine von der 2812 materiellen Rechtskraft zu unterscheidende Präklusionswirkung entfaltet, ist diese grundsätzlich anerkennungsfähig.160
156 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1699; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 386. 157 Zustimmend Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 190. 158 Es handelt sich dabei um das „zweite IPR“ i.S. Wenglers, s. Rz. 2966; R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 253. Hierzu auch Benicke, Typenmehrheit im Adoptionsrecht und deutsches IPR, 1995, 180; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (747 ff.). 159 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 384. 160 R. Geimer, RIW 1976, 143; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 152; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1703; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 393; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 243, 258; Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 601. Zustimmend aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 14.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
4. Gestaltungswirkung 2813 Die Anerkennung der Gestaltungswirkung161 hängt nur von § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG162 ab, irrelevant ist die Anerkennung durch die lex causae (Rz. 42).163 Es ist also nicht erforderlich, dass das anzuerkennende Urteil von demjenigen Staat erlassen wurde, dessen Rechtsordnung gemäß deutschem (bzw. in Deutschland geltenden) internationalem Privatrecht164 auf das zu gestaltende Rechtsverhältnis anwendbar wäre, bzw. dass das in einem dritten Staat erlassene Urteil von dem Staat, dessen Rechtsordnung nach deutschem internationalem Privatrecht anzuwenden wäre, anerkannt wird. 2814 Anders die materiell-rechtliche Theorie (lex causae-Theorie).165 So könnte z.B. nach dieser Meinung ein ausländisches Scheidungsurteil nur dann in Deutschland anerkannt werden, wenn das Urteil im lex causae-Staat (Art. 8 Rom III-Verordnung) erlassen wurde oder wenn dieser die in einem dritten Staat ergangene Ehescheidung anerkennt. Diese Ansicht verkennt, dass es bei der Anerkennung ausländischer Urteile wie auch sonst im internationalen Zivilverfahrensrecht keinen Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und dem anwendbaren materiellen Recht gibt (Rz. 1069). Eine kollisionsrechtliche Begrenzung bzw. Relativierung der Gestaltungswirkung ist abzulehnen (Rz. 44).166 2815 Die Gestaltungswirkung tritt kraft Anerkennung im Inland zu dem gleichen Zeitpunkt wie im Erststaat ein; dies folgt aus dem Prinzip der automatischen Urteilsanerkennung (Rz. 2798). 2816 Reichweite der Gestaltungswirkung: Die vom Erstgericht ausgesprochene Gestaltung ist zwar abstrakt und isoliert von einer konkreten Rechtsordnung anzuerkennen, insbes. ohne Rücksicht auf die Frage, ob der Erstrichter sein internationales Privatrecht richtig angewandt hat und ob dieses mit den kollisionsrechtlichen Vorschriften des deutschen internationalen Privatrechts überein161 Zur Gestaltungswirkung aus Sicht des deutschen Rechts z.B. Büscher in Wieczorek/ Schütze, ZPO4, § 325 Rz. 8. 162 Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Anerkennungsnormen erfolgt nach der deutschen lex fori (§ 1 FamFG), Rz. 2883. So auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1625). 163 Zustimmend z.B. Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 4; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 133. 164 Z.B. Art. 17 EGBGB bzw. Art. 8 Rom III-VO. 165 Hierzu Nachw. z.B. bei Nitzinger, Das Betreuungsrecht im IPR, 1998, 117; Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 270. S. auch Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1622). 166 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 39 ff.; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1401, 1394. Für Scheidungsurteile wird dies auch durch Art. 13 II Nr. 3 EGBGB (vgl. hierzu BGH v. 27.11.1996 – XII ZR 126/95, FamRZ 1997, 542 = MDR 1997, 576 = NJW 1997, 2114) bestätigt. Vice versa gibt es auch keine kollisionsrechtliche Relativität der Wirkungen eines deutschen Urteils, Mäsch, IPRax 2004, 103 gegen BayObLG v. 12.9.2002 – 1Z BR 10/02, IPRax 2004, 121.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
stimmt.167 Die vom Erstrichter seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsordnung ist jedoch heranzuziehen, soweit es um die Bestimmung des Urteilsinhalts geht, vor allem auch deshalb, um zu klären, ob es sich um ein Gestaltungs- oder ein Feststellungsurteil handelt.168 Hebt z.B. ein französisches Gericht wegen Leistungsstörung einen Vertrag nach Art. 1184 Cc auf, so entfaltet dieser Akt Gestaltungswirkung. Anders ist es dagegen, wenn das französische Gericht deutsches Recht zugrunde gelegt hat und deshalb die bereits durch Gestaltungserklärung einer Partei (Rücktritt) erfolgte Auflösung des Vertrages feststellt (Rz. 2640). Der Umfang der materiell-rechtlichen Gestaltung ist nach dem Recht des Erst- 2817 staates (einschließlich dessen IPR) zu beurteilen. Der Umfang der Gestaltungswirkung beurteilt sich auch nach der vom ausländischen Richter intendierten Rechtsänderung und beschränkt sich auf diese. Eine ausländische Trennung von Tisch und Bett ist keine Ehescheidung. Wird im Ausland nur die Ehe geschieden, nicht jedoch über die Scheidungsfolgen befunden, so beschränkt sich die Wirkung des ausländischen Scheidungsurteils auf die Eheauflösung. Über die Scheidungsfolgen kann – soweit die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben ist – im Inland entschieden werden, und zwar nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts. In keinem Fall können im Inland dem ausländischen Richterspruch stärkere 2818 (größere) Wirkungen beigelegt werden, als er selbst intendiert hat. Dies folgt aus dem Wesen der Wirkungserstreckung. Dekretiert z.B. der ausländische Richter eine „starke Adoption“, welche die Beziehungen des Kindes zu seinen leiblichen Eltern vollständig auflöst, so ist ihre Anerkennung aus deutscher Sicht unproblematisch. Die Wirkung des ausländischen Richterspruchs ist jedoch auf die Statusänderung (Statusbegründung) beschränkt. Die Adoptionswirkungen beurteilen sich nach der vom deutschen internationalen Privatrecht (Art. 22 EGBGB) berufenen lex causae. Wurde im Erststaat nur eine „schwache Adoption“ ausgesprochen, so kann sie im Inland nicht umfangreichere Wirkungen entfalten als im Erststaat. Der Umstand, dass das deutsche Recht nur eine starke Adoption kennt, steht der Anerkennung nicht entgegen. Die Entscheidung ist jedoch einer Volladoption nicht gleichgestellt.169 Nach der hier vertretenen prozessualen Theorie hat das Anerkennungsrecht Vor- 2819 rang vor dem (nach deutschem internationalem Privatrecht ermittelten) Eheschließungsstatut, das dem erststaatlichen Urteil die Anerkennung versagt.170 Dagegen wollen die Anhänger des materiell-rechtlichen Ansatzes das Heimatrecht des Ausländers, das für seine Ehefähigkeit maßgeblich ist (Art. 13 EGBGB), auch über die Anerkennung befinden lassen, und zwar auch über die Beachtung eines deutschen Scheidungsurteils, mit der Konsequenz, dass die Nichtanerkennung des deutschen oder drittstaatlichen Scheidungsurteils durch die lex causae
167 Zustimmend Kropholler, IPR6, § 32 V. 168 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 413. 169 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 420; AG Schöneberg v. 5.11.1982 – 70 III 534/82, IPRax 1983, 190 (Jayme 169). Vgl. auch Erman/Hohloch, BGB14, Art. 22 EGBGB Rz. 28. 170 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 429.
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die Eheunfähigkeit bewirkt. Damit führt sich die materiell-rechtliche Theorie selbst ad absurdum, wenn man an die Unbeachtlichkeit eines deutschen Scheidungsurteils denkt. Hat aber ein deutsches Scheidungsurteil Vorrang vor dem Eheschließungsstatut, so muss dies konsequenterweise auch für eine im Inland anerkannte ausländische Scheidung (aus einem Drittstaat) gelten.171 5. Streitverkündungs- und Interventionswirkung 2820 Streitverkündungs- und Interventionswirkungen eines ausländischen Urteils sind anerkennungsfähig, sofern diese Wirkungen nach dem Recht des Urteilsstaates im Großen und Ganzen den §§ 66 ff. ZPO172 vergleichbar sind.173 Problematisch ist nur, welche Anerkennungsvoraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Die Voraussetzungen in § 328 I Nr. 1–5 ZPO sind primär auf die Anerkennung der Rechtskraft und der Gestaltungswirkung zugeschnitten. Man wird sich wohl mit dem Vorliegen der internationalen Zuständigkeit (§ 328 I Nr. 1 ZPO)174 und der Vereinbarkeit mit dem ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO) begnügen können.175 Gleiches gilt vice versa für § 109 FamFG. Anerkennungsfähig sind auch Urteile, die aufgrund einer Garantieklage (Gewährleistungsklage)176 oder in einem third party procedure177 ergangen sind. Diese entfalten gegenüber dem Dritten die gewöhnlichen Urteilswirkungen, nämlich Rechtskraftwirkung und Vollstreckbarkeit.178 Es geht also nicht um die Anerkennung der Wirkungen einer Streitverkündung nach dem Modell des deutschen Rechts; die Garantieurteile sind jedoch in ihrer prozessualen Auswirkung für den in den Hauptprozess hineingezogenen Dritten vergleichbar mit der deut-
171 So auch ausdrücklich Art. 13 II Nr. 3 EGBGB. 172 Diedrich, Die Interventionswirkung: Ausprägung eines einheitlichen Konzepts zivilprozessualer Bindungswirkung, 2001. 173 S. auch Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr, 2007, 71. 174 Bezüglich des Beklagten, nicht des Streitverkündeten, s. Rz. 1198. 175 Anders die h.M., die das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des § 328 ZPO verlangt, Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 400; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 128; Stadler in Musielak, ZPO11, § 328 Rz. 39. 176 Hier kann der Beklagte des Hauptprozesses gegen einen Dritten, den er im Falle des Unterliegens seinerseits regresspflichtig machen will, Garantieklage – assignation en garantie – erheben. Zum italienischen Recht z.B. Korf, Die Garantieklage im italienischen Zivilprozessrecht, 2004. Vgl. auch Art. 6 Nr. 2 EuGVVO/EuGVÜ/LugÜ (hierzu R. Geimer, WM 1979, 350 und OLG Hamburg v. 26.9.1974, RIW 1975, 499 = IPRspr. 1974 Nr. 176b; OLG Düsseldorf v. 27.11.1996 – 3 W 124/96, RIW 1997, 330 = IPRax 1998, 478 [Reinmüller 460] = IPRspr. 1996 Nr. 183), Art. 3 I Nr. 10 des deutsch-belgischen Abkommens (OLG Hamm v. 28.4.1977, IPRspr. 1977 Nr. 144) und Art. 4 I Buchst. i des deutsch-niederländischen Vertrages. Weitere Nachw. bei Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 130. 177 Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 158; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 168 ff. 178 OLG Hamburg v. 5.8.1993 – 6 W 92/89, NJW-RR 1995, 191 = IPRax 1995, 391 (Mansel 362) = IPRspr. 1993 Nr. 177.
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schen Streitverkündungswirkung. Der Bundesgerichtshof will die internationale Zuständigkeit des Erststaates zum Erlass eines Garantieurteiles nur dann anerkennen, wenn nach § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt auch in Richtung gegen den Dritten (= Garantiebeklagten) gegeben ist.179 Nach der hier vertretenen Ansicht kommt es nur darauf an, dass die internationale Zuständigkeit für den Hauptprozess (in Richtung gegen den Beklagten [= Garantiekläger]) gegeben ist.180 Wenn wir schon für Deutschland das Recht in Anspruch nehmen, im Wege der 2821 Streitverkündung Dritte vor deutsche Gerichte zu zitieren, auch wenn keiner der in §§ 12 ff. ZPO aufgeführten Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in Bezug auf den Streitverkündungsempfänger vorliegt, und auf sie durch das Damoklesschwert der Streitverkündungswirkung (§§ 74 III, 68 ZPO) mittelbar Druck ausüben, sich am Prozess zu beteiligen, so können wir ceteris paribus fremden Staaten nicht das Recht absprechen, Garantieurteile gegen Dritte zu erlassen.181 Die unbeschränkte Gerichtspflichtigkeit des Streitverkündungsempfängers kann 2822 durch Prozessvertrag ausgeschlossen werden.182 Durch Derogationsvertrag kann der Dritte die Möglichkeit der Streitverkündung bzw. Erhebung der Garantieklage im Ausland ausschließen. Dann ist die internationale Zuständigkeit des Erststaates zum Erlass einer Entscheidung gegen den Dritten nicht anzuerkennen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Dritte den Einwand der Derogation im Erstverfahren geltend gemacht hat. Die Notwendigkeit der Rüge der internationalen Unzuständigkeit im Erstverfahren entfällt nur dann, wenn nach dem Recht des Erststaates der Vortrag der Derogation von vornherein unschlüssig wäre.183 Fehlt in Richtung gegen den Streitverkündungsempfänger eine von Amts wegen 2823 zu prüfende Anerkennungsvoraussetzung (z.B. Streitverkündung an Immunen, Rz. 639) oder liegt ein Versagungsgrund vor (den er auch geltend macht), dann entfällt die Anerkennung der Streitverkündung, nicht jedoch automatisch die 179 BGH v. 15.10.1969, NJW 1970, 387 (R. Geimer) = IPRspr. 1968–1969 Nr. 229 und OLG Karlsruhe v. 10.10.1973, NJW 1974, 1059 = RIW 1975, 47 = IPRspr. 1973 Nr. 155. 180 R. Geimer, NJW 1970, 387; R. Geimer, ZZP 85 (1972), 196; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 155; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1506 Fn. 49, 1706. 181 R. Geimer, ZZP 85 (1972), 196 gegen Milleker, ZZP 84 (1971), 91; Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel 1990, 111; Schack, IZVR6, Rz. 1018. Milleker und Schack wollen aber dem Garantieurteil „zumindest die Wirkung einer Streitverkündung“ beilegen. Dagegen Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 705. – Vgl. auch Mezger, IPRax 1984, 334 Fn. 21 und Koch in Alternativ-Kommentar zur ZPO, 1987, § 328 Rz. 20 sowie ZVglRWiss 85 (1986), 54, der die Streitverkündung und Drittklage im Verhältnis USA/Deutschland (vgl. insbes. FRCP 14) behandelt. Zur third party action (impleader) auch Thümmel, RIW 1988, 361; Junker, Discovery im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, 1987, 365; Koch in W. J. Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, 126. Zur Rechtslage in der Schweiz W. J. Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht2, Rz. 328 sub 6. 182 R. Geimer, ZZP 85 (1972), 196 (206); Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (65). 183 A.A. Bernstein in FS Ferid, 1978, 88.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
der anderen Urteilswirkungen; z.B. ist die inter partes wirkende Rechtskraftwirkung anerkennungsfähig, wenn kein Versagungsgrund vorliegt bzw. die betroffene Partei sich auf diesen (z.B. § 328 I Nr. 2 ZPO) nicht beruft.
VI. Nicht anerkennungsfähige Urteilswirkungen 2824 Nicht anerkennungsfähig sind – Vollstreckungswirkung (Vollstreckbarkeit) nach dem Recht des Erststaates, Rz. 2779, 3100;184 – per definitionem innerprozessuale Bindungswirkungen. Diese haben nur innerhalb des schwebenden Verfahrens im Erststaat eine Bedeutung;185 – Wirkungen von ausländischen Entscheidungen über prozessuale Punkte (Rz. 2788); – Ladungen eines ausländischen Gerichts an eine Partei oder einen Dritten, z.B. Zeugen oder Sachverständigen (Rz. 2526 ff.); – die Beweiswirkung des ausländischen Urteils (Rz. 3056);186 2825 – ausländische Beweisbeschlüsse/Beweisurteile/Beweisaufnahmen. Diese entfalten keine rechtlichen Wirkungen, die Gegenstand einer selbständigen Anerkennung sein könnten.187 Es geht nicht um die Frage der „Anerkennung“, sondern darum, ob die Ergebnisse der ausländischen Beweisaufnahme Gegenstand freier Beweiswürdigung (§ 286 ZPO; Rz. 2338) sein können. Dies ist zu bejahen, soweit Ladung bzw. Benachrichtigung zum bzw. vom Beweisaufnahmetermin entsprechend §§ 493 II, 364 IV, 357 II 2 ZPO unter Beachtung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bzw. dritter Staaten (so die h.M.; vgl. aber Rz. 2537) erfolgt ist und kein Verwertungsverbot besteht; 2826 – Tatbestandswirkungen188: Ob und inwieweit ein ausländisches Urteil solche im Inland entfaltet, beurteilt sich nicht nach Prozessrecht.189 Dies ist vielmehr eine Frage des materiellen Rechts. Die jeweils anwendbare Rechtsordnung (lex causae) hat über die Frage der Anerkennung der ausländischen Tatbe184 Für „formalisierte“ Anerkennung der Vollstreckungswirkung aber Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 408. Anders ist es nach Abschaffung des Exequaturverfahrens im Anwendungsbereich der Art. 39 ff. EuGVVO n.F. s. Rz. 3174d. 185 Zustimmend z.B. Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 14. 186 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 33 EuGVVO Rz. 65; anders für Ergebnisse von Beweissicherungsverfahren Heß/G. Vollkommer, IPRax 1999, 220 (223 bei Fn. 51); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 32 EuGVVO Rz. 9. 187 OLG Hamm v. 14.6.1988 – 20 W 24/88, RIW 1989, 566; Schlosser-Bericht Nr. 187; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 32 EuGVVO Rz. 39; Stürner, IPRax 1984, 301. 188 Zu den Tatbestandswirkungen aus Sicht des deutschen Rechts z.B. Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO30, § 325 Rz. 5. 189 Zustimmend z.B. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 160.
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standswirkungen zu entscheiden.190 Hierbei ist zunächst zu klären, welche Rechtsordnung nach deutschem internationalem Privatrecht auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis zur Anwendung kommt (lex causae).191 Diese hat über die Frage der Anerkennung der ausländischen Tatbestandswirkungen zu entscheiden.192
VII. Tatbestandswirkungen ausländischer gerichtlicher Entscheidungen aus deutscher Sicht Welche Tatbestandswirkungen das deutsche materielle Recht ausländischen Ur- 2827 teilen beilegt, kann nicht generell entschieden werden. Es ist vielmehr die jeweils einschlägige Norm auszulegen. Dabei ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber dann, wenn er an den Erlass eines Urteils eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft hat, nur den Erlass eines inländischen Urteils im Auge hatte, oder ob er diese Rechtsfolge auch dann anordnen wollte, wenn im Ausland ein Urteil ergangen ist. Beispiel: Wann verlängert ein ausländisches Urteil die Verjährungsfrist gem. § 197 I BGB? Man wird in Anlehnung an § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 1 FamFG verlangen müssen, dass der Erststaat international zuständig war193 und die Klage bzw. der verfahrenseröffnende Antrag bzw. Mahnbescheid zugestellt worden ist (Rz. 2729); denn dann ist gewährleistet, dass es nach deutscher Auffassung dem Beklagten zuzumuten ist, im Urteilsstaat sein Recht zu nehmen.194
Darüber hinaus wird man jedoch keine weiteren Anforderungen an ein auslän- 2828 disches Urteil stellen können, um die Rechtsfolgen des § 197 I BGB auszulösen.195 190 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 42; Frankenstein, IPR I, 1926, 599; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 432. 191 Zum österr. Recht (§ 1497 ABGB) IPG 2000/2001 Nr. 2 Rz. 48 (Passau); zum belgischen Recht (Art. 2244 Code civil: citation en justice) IPG 2000/2001 Nr. 4 Rz. 22 (Köln). 192 OLG Karlsruhe v. 26.9.1940, DR 1941, 209 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 458 („materiellrechtliche Anerkennung“, Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 476). Vgl. IPG 1972 Nr. 37 (Hamburg) 378. 193 S. auch OLG Bremen v. 9.10.2003 – 2 U 30/03, OLGR 2004, 65 = IPRspr. 2003 Nr. 41. Diametral anders C. Wolf, Verjährungshemmung auch durch Klage vor einem international unzuständigen ausländischen Gericht?, IPRax 2007, 180. 194 Anders Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 165, der sich auf ordre public-Kontrolle (§ 328 I Nr. 4 ZPO) beschränkt. Ausführliche Nachw. z.B. bei McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 221 ff. und Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, 2006. 195 Vice versa sind die Wirkungen eines deutschen Urteils auf die Verjährungsfrist bei ausländischem Schuldstatut nach diesem zu beurteilen, Palandt/Thorn, BGB74, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12. Dezidiert auch Soergel/von Hoffmann, BGB12, Art. 32 EGBGB Rz. 47: „Die Verjährungsfristen sind der lex causae zu entnehmen.“ Ähnlich Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 372: „Im Internationalen Vertragsrecht gilt das den Anspruch beherrschende Vertragsstatut für die gesamte Ausgestaltung der Verjährung.“ Näher 6. Aufl.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Insbesondere kommt es nicht auf die ordnungsgemäße Ladung196 und auf den Inhalt der ausländischen Entscheidung an. Darauf hat der Gläubiger i.d.R. keinen Einfluss. Auch wenn die Rechtskraft- oder Gestaltungswirkung des ausländischen Urteils wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung oder wegen ordre public-Widrigkeit im Inland nicht anerkannt wird, so ist es doch sinnvoll, dem Kläger die Verjährungsunterbrechung zuzubilligen, damit er seine Klage vor einem deutschen Gericht wiederholen kann.197 2829 Die im Ausland vorgenommene Prozesshandlung hemmt die Verjährung nur, falls und soweit sie den im deutschen Recht dazu vorgesehenen Handlungen gleichwertig ist.198 Bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts bestimmen allein §§ 203 ff. BGB die Dauer der Hemmung der Verjährung. 2830 Nach einer in der Minderheit gebliebenen Meinung199 ist jedes ausländische Urteil in der Lage, die Rechtsfolge des § 197 I BGB auszulösen, ohne dass es auf § 328 ZPO ankommt. Danach ist die Klageerhebung eine qualifizierte Mahnung. Dann ist es nur folgerichtig, wenn man jede Klageerhebung im Ausland genügen lässt,
196 So aber Manfred Wolf in FS Beys, 2003, 1741, 1747. 197 R. Geimer, IPRax 1984, 83 gegen die h.M., die alle Voraussetzungen des § 328 ZPO verlangt, RG v. 18.9.1926, JW 1926, 374; RG v. 8.7.1930, RGZ 129, 395 (387); LG Breslau v. 25.3.1937, ZOR 1937/38, 588 (Eitner) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 55; OLG Breslau v. 19.12.1938, JW 1939, 344 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 57; OLG Düsseldorf v. 9.12.1977, NJW 1978, 1752 = RIW 1979, 59 = IPRspr. 1977 Nr. 8; LG Deggendorf v. 24.11.1981 – O 411/81, IPRax 1983, 125 (Frank 108) = TranspR 1983, 46 = IPRspr. 1981 Nr. 41A; Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, Art. 10 EGBGB Anh Rz. 121; dagegen Neumeyer, JW 1926, 375 und Katinszky, RabelsZ 9 (1935), 746 ff.; Frank, IPRax 1983, 108; Linke in FS Nagel, 1987, 221; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 373; McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht, 2004, 230; Siehr, IPRax 1989, 95 Fn. 19; Siehr, RabelsZ 50 (1986), 597; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1151. Differenzierend Soergel/von Hoffmann, BGB12, Bd. 10, Art. 32 EGBGB Rz. 46. Weitere Nachw. bei Looschelders, IPRax 1998, 296 (301 Fn. 55) und McGuire, a.a.O., 212 ff. S. auch Hauck, „Schiedshängigkeit“ und Verjährungsunterbrechung nach § 220 BGB, 1996, 125. Der BGH hat die Streitfrage bisher unentschieden gelassen, BGH v. 30.6.1964, LM Nr. 14 zu § 328 ZPO a.E. S. jedoch BGH v. 17.4.2002 – XII ZR 182/00, NJW-RR 2002, 937 = FamRZ 2003, 221 = WM 2002, 2389 = MDR 2002, 1142 = IPRspr. 2002 Nr. 25: Der schweizerische Zahlungsbefehl steht einem deutschen Mahnbescheid hinsichtlich der verjährungsunterbrechenden Wirkung nach § 209 I i.V.m. II Nr. 1 BGB a.F. (nun § 212 II BGB) gleich. Anders OLG München v. 22.5.2000 – 26 UF 1569/99, FamRZ 2001, 104 = IPRax 2001, 579 (Walter 547). Das AG Waiblingen v. 21.12.1982, IPRspr. 1982 Nr. 179 stellt nicht auf die lex causae, sondern auf das Recht des Urteilsstaates ab. Zur verjährungsunterbrechenden Wirkung eines ausländischen Beweissicherungsverfahrens LG Hamburg v. 15.9.1998 – 410 O 44/95, TranspR 1999, 35 = EWiR 1999, 345 (Mankowski) = IPRax 2001, 45 (Spickhoff 37) = IPRspr. 1998 Nr. 28. 198 OLG Köln v. 18.9.1980 – 12 U 62/80, RIW 1980, 877 = IPRspr. 1980 Nr. 13 bejaht zu Recht Gleichwertigkeit für schweizer. Zahlungsbefehl im schweiz. Betreibungsverfahren, obwohl das Betreibungsamt kein Gericht ist. 199 Neumayer, JW 1926, 375, Katinszky, RabelsZ 9 (1935), 746 und Frank, IPRax 1983, 108.
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Zwölfter Teil
um die Verjährungsverlängerung eintreten zu lassen.200 Anders die h.M.:201 Ein ausländisches Urteil löst nur dann die Folgen des § 204 I BGB aus, wenn es gem. § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG anzuerkennen ist. Die h.M. führt zu nicht vertretbaren Ergebnissen.202 Oft würde eine Verjährungs- 2831 verlängerung entfallen, da es an der Verbürgung der Gegenseitigkeit fehlt (§ 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG). Der Kläger könnte seine Klage in Deutschland in den meisten Fällen nicht mehr erfolgreich wiederholen, da die Verjährung eingetreten ist. Das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit ist als (untaugliches) Druckmittel gedacht, ausländische Staaten zu veranlassen, auch deutsche Urteile anzuerkennen. Über die Berechtigung dieses Mittels mag man streiten. Jedenfalls dürfte klar sein, dass der Gesetzgeber damit nicht in die materiellrechtlichen Rechtsverhältnisse und deren Behandlung im internationalen Rechtsverkehr eingreifen wollte. Es wäre wohl verkehrt, wenn man die privatrechtliche Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist von der politischen Frage abhängig machen wollte, ob im Verhältnis zum Erststaat die Gegenseitigkeit verbürgt ist.203 Die Gegenansicht, wonach jede Klageerhebung im Ausland die Verjährungsfrist- 2832 verlängerung herbeiführt, ist zu weitgehend. Es bliebe dem Gläubiger überlassen, durch Klageerhebung irgendwo im Ausland (also auch in einem Staate, zu dem weder die Parteien noch der Streitgegenstand irgendeine Beziehung haben) sich den Rechtsvorteil der Verjährungsfristverlängerung zu verschaffen. Dies kann zu Missbräuchen führen.204 Die verschiedenen Hypothesen einer Verjährungshemmung durch Klage in ei- 2833 nem international zuständigen Staat (§ 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG) bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts:205 – Ausländisches Verfahren endet ohne Urteil, z.B. durch Klagerücknahme: Hier liegt kein Fall der Urteilsanerkennung vor. Verjährungshemmung, sofern Klage innerhalb von 6 Monaten wiederholt wird, § 204 II BGB. – Ausländisches Verfahren endet durch Prozessabweisung (Prozessurteil): Mit 2834 der Unanfechtbarkeit des ausländischen Urteils (maßgebend ist das Recht des Erststaates) beginnt die Sechsmonatsfrist des § 204 II BGB.206 200 So z.B. C. Wolf, Verjährungshemmung auch durch Klage vor einem international unzuständigen ausländischen Gericht?, IPRax 2007, 180 mit vielen Nachw. 201 Nachw. bei Raape/Sturm, IPR I6, 358 Fn. 104; von Bar/Mankowski, IPR I2, § 5 Rz. 116; Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 655 f.; Taupitz, IPRax 1996, 145. 202 So im Ergebnis auch C. Wolf, Verjährungshemmung auch durch Klage vor einem international unzuständigen ausländischen Gericht?, IPRax 2007, 180, allerdings von einem völlig anderen Ansatz aus. 203 Zustimmend Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 164. 204 Zustimmend Taupitz, IPRax 1996, 143. 205 Hierzu Frank, IPRax 1983, 111; Taupitz, ZZP 102 (1989), 288; Schack, IZVR6, Rz. 872. 206 Frank, IPRax 1983, 110; Looschelders, IPRax 1998, 296 (298).
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Zwölfter Teil
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2835 Ausländisches Verfahren endet durch Entscheidung in der Sache: – Klageabweisung als unbegründet: – Urteil wird anerkannt: Die Frage der Verjährungshemmung stellt sich nicht mehr, da feststeht, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht besteht.207 – Urteil wird nicht anerkannt: Analog § 204 II BGB beginnt die Sechsmonatsfrist, jedoch nach der hier vertretenen Meinung nur dann, wenn der Erststaat international zuständig war.208 – Der Kläger obsiegt: – Urteil wird anerkannt: Ab Unanfechtbarkeit des ausländischen Urteils läuft die 30-Jahres-Frist des § 197 BGB. – Urteil wird nicht anerkannt: Analog § 204 II BGB läuft eine Sechsmonatsfrist für neue Klage, vorausgesetzt, der Urteilsstaat war international zuständig. 2836 Ausländisches Verfahren endet durch Vergleich: Handelt es sich um einen nach dem Recht des Erststaates vollstreckbaren Vergleich, so kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nach dem maßgeblichen Vertrag bzw. autonomen Recht gegeben sind. 2837 Vorstehendes gilt ceteris paribus auch für die Verjährungshemmung durch Streitverkündung im Ausland.209 Meist kommt es jedoch aufgrund einer action en garantie oder einer third party procedure zu einer Sachentscheidung gegen den Dritten (Streitverkündungsempfänger, Rz. 2820). 2838 Ein Verfahren im Inland hemmt die Verjährung stets, also auch dann, wenn die lex causae anders entscheidet, etwa wegen Nichtanerkennung des deutschen Urteils oder Nichtbeachtlichkeit der Streitverkündung aus der Sicht des Schuldstatuts.210 2839 Nach Art. 13 ff. des New Yorker UNCITRAL-Übereinkommens über die Verjährungsfrist beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 14.6.1974 mit Wiener Änderungsprotokoll vom 11.4.1980211 wird die Verjährungsfrist durch Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens unterbrochen. Diese Wirkung ist, sofern die Klageerhebung in einem Vertragsstaat erfolgt ist, auch in den anderen Vertragsstaaten zu beachten, vorausgesetzt, dass der Gläubiger alle angemessenen Schritte unternommen hat, um sicherzustellen, dass der Schuldner sobald als möglich verständigt wird, Art. 30. Obwohl Deutschland nicht Vertragsstaat
207 208 209 210 211
Schütze, WM 1967, 248. A.A. Frank, IPRax 1983, 111; Looschelders, IPRax 1998, 296 (303 bei Fn. 85). Taupitz, ZZP 102 (1989), 288. Soergel/Lüderitz, BGB12, Bd. 10, Art. 10 EGBGB Anh. Rz. 121. Text RabelsZ 39 (1975), 343; Rabels 51 (1987), 187; für Deutschland nicht in Kraft, obwohl von der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ratifiziert, arg. Art. 12 EinigungsV (s. Rz. 244c); hierzu Enderlein in Jayme/Furtak, Der Weg zur deutschen Rechtseinheit, 1991, 65. S. auch Landfermann, RabelsZ 39 (1975), 271; Magnus, RabelsZ 51 (1987), 123.
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Zwölfter Teil
ist, kann das Übereinkommen vom deutschen Richter anzuwenden sein, wenn das Sachrecht eines Vertragsstaates lex causae ist. Fraglich ist, ob die Hemmung der Verjährung während Bestehens der Ehe gem. 2840 § 207 BGB immer dann endet, wenn in irgendeinem Staat ein Scheidungsurteil ergangen ist. Dies ist wohl zu bejahen; denn die ratio legis lässt sich wie folgt umschreiben: Eine Ehe soll durch Geltendmachung von Ansprüchen zwischen Ehegatten nicht belastet werden. Dieses Anliegen ist nicht mehr zu realisieren, wenn ein Ehegatte gegen den anderen ein Scheidungsurteil erwirkt hat. Die Frage, ob die Wirkungen dieses Urteils im Inland anerkannt werden oder nicht, spielt keine Rolle.212 Der Bürge hat einen Anspruch gegen den Schuldner auf Befreiung, wenn der 2841 Gläubiger gegen ihn einen vollstreckbaren Titel erwirkt hat, § 775 I Nr. 4 BGB, ohne Rücksicht darauf, ob dieser im Inland vollstreckbar ist oder nicht. Denn das Telos dieser Norm ist auf Freistellung des Bürgen schlechthin gerichtet, ohne Rücksicht darauf, an welchem Punkt der Erde er in Anspruch genommen wird.213 Nach h.M. wird der Schuldausspruch des ausländischen Scheidungsurteils 2842 durch das prozessuale Anerkennungsrecht (§ 109 FamFG) auf das Inland erstreckt.214 Nach der Gegenansicht handelt es sich um eine Tatbestandswirkung, für welche die nach deutschem internationalem Privatrecht zu ermittelnde lex causae maßgeblich ist.215 Entscheidungen, die einen Güterstand für beendet erklären, sind Gestaltungs- 2843 urteile, die ohne Rücksicht auf die lex causae anzuerkennen sind.216 Die erbrechtliche Relevanz einer ausländischen Adoption betrachtet das Kam- 2844 mergericht217 nicht als Fall der (prozessualen) Anerkennung, sondern als materiell-rechtliche Frage der nach dem in Deutschland geltenden internationalen Privatrecht (Art. 21 ff. EuErbVO; früher Art. 25 EGBGB) ermittelten Erbrechtsordnung. Wenn allerdings das Adoptionsstatut (Art. 22 EGBGB) dem Adoptivkind das gesetzliche Erbrecht versagt, habe es damit sein Bewenden. Gerichtsurteile, welche die Berichtigung von Personenstandsregistern anord- 2845 nen,218 entfalten keine selbständige anerkennungsfähige Wirkung. Sie haben keine weitergehenden Rechtswirkungen als die Eintragung selbst, deren Wirkun212 A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 431; wie hier im Ergebnis OLG Celle v. 21.12.1966, FamRZ 1967, 56 = NJW 1967, 783 = IPRspr. 1966–1967 Nr. 259. 213 A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 433. 214 Dieser dürfte aus inländischer Sicht nur in ganz seltenen Fällen noch von Bedeutung sein. 215 Jayme/Siehr, FamRZ 1969, 188; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 434. Ebenso BGH v. 1.4.1987 – IVb ZR 40/86, MDR 1987, 828 = FamRZ 1987, 793 = NJW 1988, 636 = IPRax 1988, 173 (Hepting) = IPRspr. 1987 Nr. 59 für Feststellung der Verantwortlichkeit für die Trennung (Art. 151 II ital. Codice civile). 216 A.A. Frankenstein, IPR III, 1934, 398. 217 KG v. 23.9.1987 – 1 W 1962/87, FamRZ 1988, 434 = FamRZ 1988, 881 = NJW 1988, 1471. 218 Vgl. die deutschen Parallelnormen in §§ 48 ff. PStG n.F.
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gen nach der vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmten lex causae zu beurteilen sind. Sie dienen als Beweismittel bei der Feststellung der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache (Rz. 2860, 2800).219 2846 Auch wenn Zwangsvollstreckungsakte und Insolvenzmaßnahmen materiellrechtliche Wirkungen erzeugen (z.B. Pfändungspfandrecht, Eigentumsverlust bzw. -erwerb aufgrund Zwangsversteigerung), gilt § 328 bzw. § 109 FamFG analog, nicht das IPR (Rz. 2795, 3536). 2847 Zu den materiell-rechtlichen Wirkungen (§ 136 BGB) von Verfügungsverboten ausländischer Gerichte sind noch viele Fragen offen.220
VIII. Anerkennung in dritten Staaten 2848 Maßgeblich für die Anerkennung sind lediglich die Wirkungen, die einem Urteil nach dem Recht des Erststaates zukommen (Rz. 2776).221 Wirkungen, die einem ausländischen Urteil von der Rechtsordnung eines dritten Staates beigelegt werden, kommen für die Anerkennung im Inland nicht in Betracht.222 So kann z.B. ein Exequatururteil, durch das ein ausländisches Urteil in einem dritten Staat für vollstreckbar erklärt wird, nicht anerkannt werden.223 2849 Dagegen plädiert Schütze224 für eine Doppelexequierung: Würde man dieser Gegenansicht folgen, so würden die vom deutschen Recht aufgestellten Anerkennungsvoraussetzungen umgangen werden.225 2850 In einen anderen Zusammenhang gehört die staatliche Delibation einer (vorher nach staatlichem Zivilrecht unbeachtlichen) Entscheidung eines kirchlichen
219 BSG v. 29.1.1985, IPRax 1986, 13 = IPRspr. 1985 Nr. 203 und AG Bonn v. 23.12.1985 – 36 III 126/85, StAZ 1986, 253 = IPRspr. 1985 Nr. 210. 220 Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 149. 221 Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 112. 222 Zustimmend z.B. Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung, 1995, 183. 223 Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 38; R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 26 Fn. 7; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 381; Kegel in FS Müller-Freienfels, 1986, 392; Kropholler, BerDGVR 28 (1988), 115; Kropholler, IPR6, § 60 III 2a; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 17; Verwilghen-Bericht Nr. 40; Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 100; Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 171; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 159; Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 570 ff.; Solomon, Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, AG, 2006, 832 (840). 224 Schütze, ZZP 77 (1964), 287; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 94. 225 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 87, 171, 200; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 371, II Rz. 64.
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Gerichts (Rz. 2872) sowie die Verurteilung zur Zahlung der Kosten des drittstaatlichen Exequaturverfahrens.226
IX. Anwendungsbereich des § 328 ZPO 1. Urteil Als Urteil definiert die h.M. im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichs- 2851 gerichts jede Entscheidung, die nach geordnetem Verfahren endgültig über eine aufgestellte Rechtsbehauptung ergeht, wobei Form und Bezeichnung der Entscheidung ohne Bedeutung sind; sie muss jedoch von einem „Gericht“ erlassen worden sein, also von einer mit staatlicher Autorität bekleideten Stelle, die nach den in Frage kommenden ausländischen Gesetzen aufgrund eines förmlichen, beiden Parteien rechtliches Gehör gewährenden Verfahrens zur Entscheidung von privatrechtlichen Streitigkeiten berufen ist.227 Diese Begriffsbildung ist zu eng; denn auch Entscheidungen, die das rechtliche 2852 Gehör verletzen oder sonst gegen elementare Prinzipien eines geordneten Verfahrens verstoßen, sind unter § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG zu subsumieren. Allerdings besteht ein Versagungsgrund, § 328 I Nr. 2 bzw. Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 und Nr. 4 FamFG. Ob dieser zur Verweigerung der Anerkennung führt, hängt vom Verhalten der beschwerten Partei ab. Rügt sie den Mangel des erststaatlichen Verfahrens nicht, so kann die Anerkennung nicht etwa von Amts wegen oder auf Antrag der Gegenpartei versagt werden. Auch kann der Verfahrensverstoß im Anerkennungsstadium dann nicht geltend gemacht werden, wenn die beschwerte Partei nicht alle ihr nach dem Recht des Erststaates zustehenden ordentlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat (Rz. 2922, 2955). Unter § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG fallen nicht nur Urteile und Beschlüsse im 2853 technischen Sinne, sondern alle gerichtlichen Entscheidungen, die einen Rechtsstreit zwischen Parteien aufgrund eines rechtlich geordneten Verfahrens in der Sache rechtskraftfähig entscheiden bzw. eine Gestaltung vornehmen.228 Unerheblich ist, ob es sich um ein Feststellungs-, ein Leistungs- oder ein Gestaltungsurteil handelt, ob zu einem Handeln oder Unterlassen verurteilt wurde, ob die Entscheidung mit Gründen versehen ist oder nicht. Kein Urteil i.S. von § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG sind Entscheidungen während des Laufes des erststaatlichen Verfahrens wie Ladungen, Beweisbeschlüsse (Rz. 2825), also solche, die zeitlich vor der Sachentscheidung (Rz. 2788) liegen.229
226 R. Geimer, IPRax 1990, 192. 227 RG v. 30.6.1886, RGZ 16, 427; RG v. 2.11.1937, JW 1938, 468 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 644b; BGH v. 9.5.1956, BGHZ 20, 323 (329) = IPRspr. 1954–1955 Nr. 63; OLG Düsseldorf v. 22.2.1983 – 1 UF 239/82, FamRZ 1983, 421 (422) = IPRspr. 1983 Nr. 198a. 228 Das Gleiche gilt für den Entscheidungsbegriff der §§ 108 ff. FamFG. 229 Diese entfalten übrigens keine anerkennungsfähigen Wirkungen.
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2854 Anerkennungsfähig sind auch – klageabweisende Urteile, sofern sie der materiellen Rechtskraft nach dem Recht des Erststaates fähig sind und eine Sachentscheidung enthalten230; 2855 – Entscheidungen, die in einem summarischen Verfahren oder in einem Verfahren ohne Beweiserhebung erlassen wurden, wie z.B. Vollstreckungsbescheide231; – Versäumnis- und Anerkenntnisurteile232; – Vorbehaltsurteile, soweit sie (ausnahmsweise) der Rechtskraft fähig sind.233 2856 Unanfechtbarkeit (formelle Rechtskraft) ist entgegen der h.M.234 – anders als bei der Vollstreckbarerklärung (§ 723 II 1 ZPO) – nicht erforderlich.235 Es kommt lediglich darauf an, wann nach dem Recht des Erststaates die Urteilswirkungen eintreten (Rz. 2798). So entfalten in vielen vom Code de procédure civile beeinflussten Staaten Urteile bereits mit ihrem Erlass (nicht erst nach Beendigung des Rechtsstreits) autorité de la chose jugée (Rz. 2804). Dies ist für den Bereich des § 109 FamFG unbestritten. 2857 Bei Entscheidungen, die in einem einstweiligen Verfügungs-, Anordnungs- oder Arrestverfahren ergangen sind, kommt es bei funktionaler Betrachtungsweise darauf an, ob sie de facto geeignet sind, die Streitsache endgültig zu erledigen236 und entsprechende prozessuale Wirkungen zu entfalten (Rz. 3107).237 Tun sie 230 Unabhängig davon kann die Kostenentscheidung nach § 722 ZPO für vollstreckbar erklärt werden. 231 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf v. 21.2.1996 – 3 W 352/95, NJW-RR 1997, 124 = RIW 1996, 431 = IPRspr. 1996 Nr. 175. Ebenso aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 105, 328. 232 Rechtsvergleichend Steinhauer, Versäumnisurteile in Europa. Eine rechtsvergleichende Studie über die Versäumnisgefahr im deutschen, österr., französischen, italienischen und englischen Recht anlässlich eines Entwurfs zur Schaffung einer einheitlichen europäischen Zivilprozessordnung, 1996. S. auch Roland M. Müller, Anerkennung und Vollstreckung schweizerischer Zivilurteile in den USA, 1994, 39. 233 Zu der vom giudice istruttore erlassenen ordinanza ingiuntiva di pagamento OLG Stuttgart v. 15.5.1997 – 5 W 4/97, NJW-RR 1998, 280 = RIW 1997, 684. 234 Hierzu z.B. R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (749). 235 Zustimmend Schlosser, RIW 2001, 81 (89, 90). Anders die h.M. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 169; Schack, IZVR6, Rz. 910; BayObLG v. 29.3.1990 – BReg. 3Z 31/89, FamRZ 1990, 898; rechtsvergleichend Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 450. 236 Zustimmend Hohloch, BerDGVR 42 (2007), 254: „Richtig ist jedenfalls, eine ausländische Eilentscheidung anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären, wenn sie funktional der im Unterhaltsrecht wichtigen Leistungsverfügung i.S. von § 940 ZPO entspricht. Hier liegt das Bedürfnis des Unterhaltsgläubigers an einer Vollstreckung auf der Hand“. 237 Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erwachsen per definitionem nicht in materielle Rechtskraft, Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005, 119 m.w.N.
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dies ausnahmsweise, fallen sie unter § 328 ZPO.238 Doch dürften solche Fälle extrem selten sein, weil nun einmal der einstweilige Rechtsschutz nicht endgültig ist.239 Dagegen wird zumindest im Schrifttum dem § 109 FamFG ein weites Anwendungsfeld für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zugewiesen.240 Kostenentscheidungen sind anerkennungsfähig, sofern sie die Kostenerstat- 2858 tungspflicht zwischen den Parteien rechtskräftig feststellen (andernfalls fehlt es an einer anerkennungsfähigen Urteilswirkung). In jedem Fall kann ihnen das Exequatur (§ 722 ZPO) erteilt werden (Rz. 3109) (anders ist es bei Kostenanforderungen des Gerichtsstaates wegen der Gerichtskosten, da diese Titel öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind).241 Ausländische Urteile, die einen deutschen Titel abändern, sind anerkennungs- 2859 fähig.242 Unerheblich ist, ob die ausländische Entscheidung als „Abänderungsentscheidung“ gekennzeichnet ist. Allein wichtig ist, dass eine frühere Entscheidung zwischen denselben Parteien und über den gleichen Streitgegenstand im Ergebnis abgeändert worden ist.243 Kein Urteil liegt vor, wenn es sich um lediglich eine Urkundstätigkeit des Ge- 2860 richts handelt (Rz. 2800). Die ausländische richterliche Behörde muss nach Prüfung des ihr unterbreiteten Sachverhalts eine Entscheidung erlassen, für die sie die Verantwortung übernimmt.244 Dies ist nicht der Fall bei einverständlicher Scheidung, die lediglich zur Urkunde des ausländischen Standesbeamten zu erklären ist. Ein Urteil liegt jedoch vor, wenn eine Parteivereinbarung vom Gericht konstitutiv bestätigt wird;245 ebenso, wenn die Vereinbarung vom Gericht gebil238 Zustimmend Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 112; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 19; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 223. Im gleichen Sinne für common law undertakings Schlosser, RIW 2001, 81 (90). Vgl. auch Mäsch, FamRZ 2002, 1069. 239 Allgemein zu den Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes auf breiter rechtsvergleichender Grundlage Kofmel Ehrenzeller, Der vorläufige Rechtsschutz im internationalen Verhältnis, 2005. 240 R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (749). 241 Zu den Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 480; R. Geimer, IPRax 1986, 215; IPRax 1992, 8; IPRax 1993, 292. Vgl. auch OLG Schleswig v. 15.3.1996 – 9 B 7b 2/96, RIW 1997, 513. 242 Soergel/Kronke, BGB12, Bd. 10, Art. 38 EGBGB Anh IV Rz. 195; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 243, 504; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 188. 243 AG Landstuhl v. 7.10.1983 – F 20/83, IPRax 1984, 102 = IPRspr. 1983 Nr. 177; OLG Köln v. 15.12.1986 – 26 UF 188/86, IPRax 1988, 30; OLG Zweibrücken v. 10.3.1998 – 5 UF 36/97, FamRZ 1999, 33 = IPRspr. 1998 Nr. 85; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 307; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 58; Henrich, IPRax 1988, 22; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 853. S. auch Art. 8 Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen 1973. 244 RG v. 22.4.1932, RGZ 136, 147 = JW 1932, 2274 (Raape) = IPRspr. 1932 Nr. 146. 245 Für Sorgerechtsregelung OLG Breslau v. 9.5.1938, IPRspr. 1935–1944 Nr. 313.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
ligt wird und dann zu einem abgekürzten Verfahren führt, das mit einer gerichtlichen Entscheidung endet.246 2861 Die Grenze zwischen Prozessvergleich und gerichtlicher Entscheidung ist fließend. In einigen Ländern wird der Vergleich in das richterliche Urteil aufgenommen.247 Dieses Urteil bildet dann den Vollstreckungstitel. Es ist einem deutschen Anerkenntnisurteil vergleichbar.248 2862 Beispiel: Hat das ausländische Gericht die Unterhaltsvereinbarung der Eltern über die Unterhaltsleistung für die Kinder überprüft und genehmigt, liegt eine eigenständige richterliche Entscheidung vor.249
2863 Gerichtliche Vergleiche haben i.d.R. (s. aber Rz. 2864) nach dem Recht des Errichtungsstaates keine anerkennungsfähigen Wirkungen250; das Gleiche gilt für vollstreckbare Urkunden (§ 794 I Nr. 5 ZPO).251 Daher scheidet eine Anerkennung aus.252 Möglich ist jedoch jeweils die Vollstreckbarerklärung.253 (S. auch Rz. 2658). 2864 Bei ausländischen Vergleichen kommt eine Anerkennung dann in Betracht, wenn der Vergleich nach dem Recht des Erststaates prozessrechtliche Wirkungen hat, die einer Anerkennung fähig sind, insbes. eine res iudicata-Wirkung entfaltet (welche das deutsche Recht Vergleichen nicht beilegt, Rz. 2656).254 Der 246 Für New Yorker Unterhaltsentscheidung (Agreement and Order for Support) LG Berlin v. 6.11.1961, IPRspr. 1960–1961 Nr. 192. Für class action settlement Heß, JZ 2000, 347. Nachw. auch bei Hoppe, Die Einbeziehung ausländischer Beteiligter in US-amerikanische class actions: Unter Berücksichtigung des Class Action Fairness Act 2005, 2005. 247 Judgement by consent, jugement convenu, jugement de donné acte. S. auch die umfangreichen Nachw. bei Frische, Verfahrenswirkungen, Rechtskraft, 2005. 248 Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 271, 288; Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 5. 249 OLG Breslau v. 9.5.1938, DR 1939, 869 (Lauterbach) = IPRspr. 1935–1944 Nr. 313. Ebenso für eine Genehmigung nach dem Familiengesetz der früheren CSSR OLG München v. 29.5.1984, IPRspr. 1984 Nr. 176 sowie für Inkorporation eines Unterhaltsabkommens nach schweizer. ZGB BGH v. 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 = FamRZ 1986, 45 = MDR 1986, 660 = RIW 1986, 554 (Wolff 728) = IPRax 1986, 294 (Dopffel 277) = EWiR 1986, 207 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 184. 250 Zustimmend aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 140. Rechtsvergleichende Hinweise bei Koch in FS Schumann, 2001, 267, 273 ff. Wenig informativ in diesem Punkt dagegen Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 184. 251 Rechtsvergleichende Hinweise bei Jametti Greiner, a.a.O., 193 ff. 252 Ungenau daher Roland M. Müller, Anerkennung und Vollstreckung schweizerischer Zivilurteile in den USA, 1994, 40. 253 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 530. Anders die h.M., z.B. Gottwald, in MüKo.ZPO4, § 328 Rz. 49. 254 Zur Rechtskraft von Vergleichen Stürner, Formen der konsensualen Prozessbeendigung in Gottwald, Konsensuale Streitbeilegung, 2001, 5, 23.
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Umstand allein, dass einem ausländischen Vergleich mehr prozessrechtliche Wirkungen zukommen als einem deutschen, verstößt nicht gegen den ordre public.255 Hat der ausländische Prozessvergleich res iudicata-Wirkung,256 so ist die Frage der Wirksamkeit des Vergleichs nach der aus der Sicht des deutschen internationalen Privatrechts richtigen lex causae präkludiert. Die typische Vergleichsproblematik entfällt sowieso, wenn der Vergleich in ein Urteil des staatlichen Gerichts (= Kompromissurteil) aufgenommen wird (Rz. 2861). Hat der ausländische Prozessvergleich – ebenso wie der deutsche – keine res iu- 2865 dicata-Wirkung, kommt nur seine Vollstreckbarerklärung in Betracht (Rz. 2862). Dann sind alle Einwendungen zulässig, auch der Einwand der Unwirksamkeit nach der vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmten lex causae.257 Ist es jedoch nach dem Recht des Erststaates so, dass dem Prozessvergleich – bei materiell-rechtlicher Unwirksamkeit – die Vollstreckbarkeit nicht per se mangelt, sondern erst durch eine prozessuale Gestaltungsklage genommen werden muss, so kann der deutsche Exequaturrichter den Prozessvergleich für vollstreckbar erklären; denn die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Erststaates ist – solange keine Aufhebung erfolgt ist – gegeben. Er kann sich auf die Wahrung des deutschen ordre public beschränken. Dieser ist jedoch nicht schon bei Verletzung einer zwingenden Vorschrift einer ausländischen Rechtsordnung tangiert. „Anerkennung“ des nicht vollstreckungsfähigen Inhalts von öffentlichen Ur- 2865a kunden und sogar auch von Privaturkunden nach Art. 46 EuEheVO? Während Art. 58 und Art. 59 EuGVVO – dogmatisch richtig – nur die Vollstreckung von vollstreckbaren Urkunden und gerichtlichen Vergleichen normieren, spricht Art. 46 EuEheVO auch von deren Anerkennung: Eine solche dürfte aber mangels anerkennungsfähiger (prozessualer) Wirkungen (Rechtskraft bzw. Präklusionswirkung) im Gros der Fälle nicht in Betracht kommen. Rauscher258 will aber den Anerkennungsbegriff des Art. 46 EuEheVO viel weiter fassen und auch auf nichtprozessuale Wirkungen erstrecken.259 Die Einbeziehung der in Art. 46 EuEheVO genannten Urkunden in das Anerkennungssystem der Verordnung gehe deutlich über das eigentliche Ziel der Verstärkung der Vollstreckungs-Hinderungsgründe hinaus. Sie bedeute, dass konsensuale Rechtsakte, die bis dato der Wirksamkeitsprüfung nach dem vom Internationalen Privatrecht berufenen materiellen Recht unterlagen, auch in ihrem materiellen Inhalt, insbes. hinsichtlich ihrer Gestaltungswirkungen, anzuerkennen sind. Damit eröffne die Bestimmung einen weit über ihren Anlass hinausweisenden potentiellen Gestaltungsbereich im europäischen Eherecht.260 255 Zustimmend Koch in FS Schumann, 2001, 267, 269. 256 So z.B. einige kantonale Rechtsordnungen in der Schweiz, Gillard, La transaction judiciaire en procédure civile, 2003, 182. 257 Enger Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 487. 258 Rauscher, EuZPR2, Art. 46 Brüssel IIa-VO Rz. 1. 259 Ausführlich in diesem Sinne schon Ancel/Muir Watt, Rev. crit. d.i.p. 2001, 437 (441). 260 Widersprüchlich aber Rauscher, EuZPR2, Art. 46 Brüssel IIa-VO Rz. 7: „Nicht erfasst sind Urkunden und Vereinbarungen, die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Damit sind insbes. Privatscheidungen auch auf diesem Weg nicht einzubeziehen“.
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2865b Auch Paraschas261 tendiert sehr dezidiert in die gleiche Richtung:262 Die öffentliche Urkunde und Parteivereinbarung müsse nicht notwendigerweise einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben; sie seien gerichtlichen Entscheidungen auch dann gleichgestellt, wenn sie „lediglich“ feststellend oder gestaltend wirken, wie z.B. eine Bestätigung des gesetzlichen Sorgerechts oder die Verteilung des Sorgerechts nach Scheidung, wenn die Urkunde darüber hinaus keine Verpflichtung zu einem Tun (Herausgabe des Kindes) oder Unterlassen enthält. Dies ergebe sich deutlich auch aus Erwägungsgrund Nr. 22 der EuEheVO. Eine Beschränkung auf den nur vollstreckungsfähigen Inhalt der in Art. 46 EuEheVO genannten Urkunden habe der europäische Gesetzgeber nicht gewollt. Wenn z.B. die Eltern eine Vereinbarung über das Sorgerecht und den Umgang wirksam geschlossen haben, so sei die Urkunde nicht nur hinsichtlich des Umgangsrechts anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären; vielmehr sei sie auch bezüglich des Sorgerechts anzuerkennen, auch wenn die Vereinbarung in diesem Punkt nur gestaltend wirkt. Die Anerkennung sei eine echte Wirkungserstreckung: Die Vereinbarung entfalte in allen anderen Mitgliedstaaten die gleichen Wirkungen, die sie im Ursprungsmitgliedstaat hat. Diese Wirkungserstreckung trete unmittelbar ex lege ein; sie könne aber auch Gegenstand eines Feststellungsverfahrens nach Art. 21 III EuEheVO sein.263 2866 Die „Anerkennung“ der (materiell-rechtlichen) Wirkungen rechtsgeschäftlicher Akte, insbes. von Statusveränderungen (Vertragsadoption, Privatscheidung etc.264), fällt nicht unter § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG.265 Maßgebend ist vielmehr die vom deutschen internationalen Privatrecht bestimmte lex causae (materiell-rechtliche Anerkennung).266 2. Zivilrechtliche Streitgegenstände 2867 § 328 ZPO betrifft nur Urteile, durch die über zivilrechtliche Ansprüche im weiteren Sinn (einschließlich der arbeits- und handelsrechtlichen Ansprüche) entschieden wird mit Ausnahme der Entscheidungen in Familiensachen (§§ 1, 111 261 Paraschas in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 545), Art. 46 EuEheVO Rz. 4, 10. 262 Ebenso z.B. Dornblüth, Die europäische Regelung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Ehe- und Kindschaftsentscheidungen, 2003, 63. 263 Paraschas in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 545), Art. 46 EuEheVO Rz. 11; Rauscher, EuZPR2, Art. 46 Brüssel IIa-VO Rz. 8. 264 Nachw. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 FamRÄndG Rz. 38; Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 2008; Zöller/Geimer, ZPO30, § 107 FamFG Rz. 23. 265 Zustimmend z.B. R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (747, 751); Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1629). 266 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, Rz. 477; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 556 ff.; Kohler/Buschmann, IPRax 2010, 313 (316).
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FamFG); für diese gelten §§ 107 ff. FamFG.267 Der Begriff „Zivilsache“ wird von der deutschen lex fori bestimmt.268 Er ist weit zu fassen. Darunter fallen alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten i.S. von § 13 GVG, nicht jedoch die Zivilprozesssachen kraft Zuweisung, da es sich materiell um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten handelt.269 Ist Streitgegenstand aus deutscher Sicht eine öffentlich-rechtliche Forderung, so scheidet die Anwendung des § 328 ZPO aus, auch wenn diese äußerlich durch ein ausländisches Zivilurteil „eingekleidet“ wurde.270 Zu den Zivilsachen gehören auch Entscheidungen in Kartellsachen, soweit sie 2868 Ansprüche unter Privatpersonen betreffen, z.B. solche wegen der Rückabwicklung nichtiger Verträge oder Schadensersatzansprüche wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens.271 US-Entscheidungen, die den Beklagten zu dreifachem Schadensersatz (treble damages) verurteilen, sind nicht nur nach amerikanischer Auffassung, sondern auch nach der Qualifikation des deutschen Rechts Zivilurteile; denn sie erfüllen keinen staatlichen Strafanspruch, sondern verpflichten zu privatem Schadensersatz, soweit dieser nicht – wie in einigen US-Bundesstaaten – wiederum an die Staatskasse abzuliefern ist.272 Eine andere Frage ist, ob der Abschreckungseffekt des dreifachen Schadensersatzes mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren ist (Rz. 2974). Die Einordnung als Zivilsache bejaht grundsätzlich auch der Bundesgerichts- 2869 hof.273 Allerdings sei anders zu entscheiden, wenn die Sanktion überwiegend öffentlich-rechtlichen bzw. strafrechtlichen Charakter habe.274
267 Zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen über öffentlich-rechtliche Ansprüche Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 239 Rz. 294 ff. Zum US-Recht Scoles/ Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 24.43. Allgemein zum „public law taboo“ Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 330 ff. 268 Zur Qualifikationsmethode s. auch Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 37 ff. 269 Zustimmend Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 18. A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 503. 270 Dutta, Die Durchsetzung öffentlichrechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, 2006, 101 ff. 271 Zustimmend z.B. Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 17. 272 Schack, IZVR6, Rz. 1002. A.A. Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 18 m.w.N. 273 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3102 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. Ebenso Stiefel/Stürner, VersR 1987, 837. A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 504, der bereits den zivilrechtlichen Charakter in Zweifel zieht. 274 OLG Frankfurt/M. v. 8.2.2010 – 20 VA 15/09, IPRspr. 2010 Nr. 257.
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3. Gericht 2870 Die Entscheidung muss von einem staatlichen Gericht erlassen worden sein. Dabei sind an den Begriff des Gerichtes nicht die strengen Anforderungen des Art. 92 GG zu stellen (Rz. 263). Ein Urteil eines ausländischen Gerichts liegt bereits dann vor, wenn die Entscheidung von einer mit staatlicher Autorität bekleideten Stelle erlassen worden ist, die nach den betreffenden ausländischen Gesetzen aufgrund eines geregelten Verfahrens zur Entscheidung von privatrechtlichen Streitigkeiten berufen ist.275 Die völkerrechtliche Anerkennung des Urteilsstaates ist nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 328 ZPO.276 2871 Unter § 328 ZPO fallen auch die Entscheidungen von Arbeits- und Handelsgerichten, ja sogar von Straf- und Verwaltungsgerichten, sofern diese (etwa im Adhäsionsverfahren) über zivilrechtliche Ansprüche entscheiden. Letzteres ist jedoch bestritten (Rz. 115b).277 S. auch Rz. 2136c, 2936. 2872 Sprüche privater Gerichte, z.B. von Vereinsgerichten, fallen nicht unter § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG, aber unter Umständen unter § 1061 ZPO.278 Ebenso nicht Entscheidungen geistlicher (= kirchlicher) Gerichte.279 Ausnahme: wenn sie im staatlichen Auftrag (kraft erststaatlicher Delegation) tätig werden.280 Es kommt mithin darauf an, welcher Akt – aus der Sicht des weltlichen Rechts – in der Lage ist, zivilrechtliche Rechtsfolgen hervorzurufen. Diese erzeugt bei Scheidung von Italienern nicht der Spruch des (römisch-katholischen) Kirchengerichts nach kanonischem Recht, sondern (erst) das staatliche (italienische) Delibationsurteil. Dieses kann Gegenstand der Anerkennung in Deutschland sein.281 275 BGH v. 11.10.1956, BGHZ 22, 24 = NJW 1957, 61 = WM 1956, 1504 = IPRspr. 1956–1957 Nr. 191. 276 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 535; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 227. 277 Dafür Frankenstein, IPR I, 1926, 348; Nussbaum, Deutsches IPR, 1932, 430; Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 530; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1425, 1691, II 46 bei Fn. 4; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 498, 504, 519. A.A. Pagenstecher, RheinZ 12, 139 ff.; IPG 1965/66 Nr. 70 (OLG München). Zur besseren Unrechts-Bewältigung durch den Zivilprozess vgl. aber Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, 1997, 303. 278 Schütze, JZ 1982, 636; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 526. 279 Hiervon zu unterscheiden sind Gestaltungen aufgrund Rechtsgeschäfts, z.B. „Privatscheidungen“, s. Rz. 2641a, 3020. Zu den Privat- und Schlichtungsscheidungen in Japan z.B. Nishitani, IPRax 2002, 49. Sie sind nicht anerkennungsfähig, wenn die für die Scheidung maßgebliche Übereinkunft in Deutschland geschlossen wurde, Präsidentin des OLG Frankfurt v. 10.7.2000 – I/4 - 617/99, IPRspr. 2000, Nr. 167a; OLG Frankfurt v. 4.12.2000 – 21 VA 1/00, IPRspr. 2000 Nr. 167b. 280 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 530; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1421. 281 Jayme, IPRax 1990, 32; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 214. Anders LJV BW v. 27.4.1987, IPRax 1990, 51 = IPRspr. 1988 Nr. 201a, wo man auf den Spruch des kirchlichen Gerichts zurückgreift und diesem – da in Deutschland zu lokalisieren – im Hinblick auf das Scheidungsmonopol der deutschen Gerichte (in Deutschland, Rz. 3020) die Anerkennung verweigert.
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Allerdings ist im Verhältnis zu Portugal, Italien, Spanien und Malta seit Inkrafttreten der EuEheVO nicht mehr das autonome Recht maßgebend. Die Pflicht zur Anerkennung ergibt sich vielmehr aus europäischem Unionsrecht, Art. 21 ff. (modifiziert durch Art. 63) EuEheVO.282
282 Die Konkordate betreffen die Ungültigerklärung (Annullierung) nach römisch-katholischem Ritus geschlossenen und staatlicherseits zivilrechtlich anerkannten Ehen (Konkordatsehen), Rauscher, EuZPR2, Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 1, 3. Nach Art. XXV des Konkordats mit Portugal und Art. 1625, 1626 c.c. sind für die Annullierung von katholisch geschlossenen Ehen ausschließlich die Kirchengerichte zuständig. Deren Entscheidungen werden staatlicherseits ohne Überprüfung anerkannt. Allerdings bedarf es einer staatlichen Bestätigung, Bischoff in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr (Nr. 545), Art. 63 EuEheVO Rz. 4. Nach Art. 34 des Konkordats mit Italien sind die kirchlichen Gerichte für die Ungültigerklärung einer Konkordatsehe zuständig, allerdings nicht ausschließlich. Die Konkordatsehe hat erst nach Eintragung in das staatliche Personenstandsregister (trascrizione) zivilrechtliche Wirkung. Entscheidungen der Kirchengerichte, welche die Ehe für ungültig erklären, werden nicht automatisch staatlicherseits anerkannt, sondern erst nach Überprüfung durch die staatlichen Gerichte in einem Delibationsverfahren, welches Art. 796 ff. c.p.c. a.F. nachgebildet ist, Spellenberg, ZZPInt 6 (2001), 109 (122); Bischoff in Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 63 EuEheVO Rz. 3; Rauscher, a.a.O., Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 3. Die Rechtslage nach Art. VI (2) des Konkordats mit Spanien entspricht im Wesentlichen der in Italien. Die Ungültigerklärung einer Ehe durch die Kirchengerichte bedarf ebenso wie in Italien einer staatlichen Delibation nach Art. 80 c.c. Das Gleiche gilt in Malta gem. Art. 5 des Konkordats, Rauscher, a.a.O., Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 4 f. Nachw. auch bei Waldmann, Das System der Konkordatsehe in Italien, 2003. Der Vorbehalt in Art. 63 EuEheVO berechtigt Portugal einem die Ungültigerklärung einer kanonischen Ehe aussprechenden Urteil aus einem anderen Mitgliedstaat die Anerkennung zu verweigern, wenn nach dem Konkordat für die Entscheidung die ausschließliche Zuständigkeit des Kirchengerichts besteht oder wenn die zur Anerkennung anstehende Entscheidung auf andere Ungültigkeitsgründe gestützt ist als die im Katalog des Konkordats zugelassenen, Bórras-Bericht Nr. 121 ff.; Bischoff in Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 63 EuEheVO Rz. 5; Rauscher, a.a.O., Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 7. In den Konkordaten mit Italien, Spanien und Malta ist – anders im Konkordat mit Portugal – keine ausschließliche Zuständigkeit der Kirchengerichte stipuliert. Daher kommt eine Anerkennungsverweigerung nach Art. 63 nur dann in Betracht, wenn die Annullierungsentscheidung aus einem Mitgliedstaat auf einem im betreffenden Konkordat nicht vorgesehenen bzw. nicht zugelassenen Ungültigkeitsgrund beruht, Rauscher, a.a.O., Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 6. Die anderen Mitgliedstaaten sind nach Art. 63 II und III EuEheVO verpflichtet, Urteile kirchlicher Gerichte, die eine Ehe für ungültig erklären, nach Maßgabe von Art. 21 ff. EuEheVO anzuerkennen, soweit und sobald diese im Ursprungsmitgliedstaat zivilrechtliche Wirkungen entfalten. Dies ist in Portugal eo ipso nach Erteilung der staatlichen Bestätigung der Fall, in Italien, Spanien und Malta jedoch erst nach Delibation durch die staatlichen Gerichte. Anzuerkennen ist dann die staatliche Delibationsentscheidung, Bischoff in Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 63 EuEheVO Rz. 4; Rauscher, a.a.O., Art. 63 Brüssel IIa-VO Rz. 7. Für antragsabweisende Entscheidungen begründet die VO wie auch sonst keine Anerkennungspflicht. Die Konkordate verbieten – jedenfalls in ihren aktuellen Fassungen – nicht die Ehescheidungen durch die staatlichen Gerichte. Daher ist insoweit Art. 63 EuEheVO nicht einschlägig. Es gelten vielmehr die allgemeinen Vorschriften (Art. 21 ff. EuEheVO), auch soweit die staatlichen Gerichte der Mitgliedstaaten kanonische Ehen
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2873 Auf Entscheidungen von Verwaltungsbehörden kommt § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG unmittelbar nicht zur Anwendung. Eine analoge Anwendung sollte man zulassen z.B. für Standesamtsscheidungen283 und Unterhaltsentscheidungen, z.B. „Beitragsresolutionen“ des dänischen Rechts.284 S. auch Art. 3 EuGVVO und Art. 62 LugÜ. 4. Streitige Gerichtsbarkeit 2874 § 328 ZPO hat nur Entscheidungen der streitigen Zivilgerichtsbarkeit im materiellen Sinne im Auge. Für Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt § 109 FamFG (Rz. 2882). Im Gegensatz zu § 328 I Nr. 5 ZPO285 verlangt § 109 FamFG nur für die in Absatz 4 genannten Materien die Verbürgung der Gegenseitigkeit. Im Interesse einer erleichterten Anerkennung sind auch Streitsachen dem § 109 FamFG zuzuordnen, wenn diese vom deutschen Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind (Rz. 2883). Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 328 ZPO liegen jedenfalls alle Beschlüsse und Verfügungen, die im klassischen Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangen sind, denen also keine echten Parteistreitigkeiten zugrunde liegen.286 Beispiele: Entmündigungen, auch wenn diese – wie früher im deutschen Recht – im Zivilprozess angeordnet werden287; Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil usw.
5. Insolvenzrechtliche Entscheidungen 2875 Den Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens wird die Anerkennung im Inland nicht mehr verweigert, § 343 InsO (Rz. 3500).
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scheiden, Bischoff in Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 63 EuEheVO Rz. 5; Spellenberg in FS Schumann, 2001, 423, 436. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 219; OLG Koblenz v. 2.3.2004 – 11 UF 250/03, IPRax 2005, 354 (R. Geimer 325). Zur Anerkennung von privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakten bezüglich Namensänderungen LG Bremen v. 15.4.1985 – 2 T 737/84, StAZ 1986, 9 = IPRspr. 1985 Nr. 7a und OLG Bremen v. 12.7.1985 – 1 W 52/85 (a), StAZ 1986, 9 = IPRspr. 1985 Nr. 7b. Z.B. BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156. S. auch R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (749). Anders noch BGH v. 11.5.1953, JZ 1954, 244 (Makarov) = IPRspr. 1952–1953 Nr. 305. Gegen Anerkennungsfähigkeit der Entmündigung eines Deutschen im Hinblick auf Abschaffung der Entmündigung durch das Betreuungsgesetz Erman/Hohloch, BGB14, Art. 8 EGBGB Rz. 3. Differenzierter dagegen Palandt/Thorn, BGB73, Art. 7 EGBGB Rz. 9: Anerkennung der Entmündigung durch Aufenthaltsstaat nur mit den Wirkungen einer weitestgehenden Betreuung nach deutschem Recht.
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6. Schiedssprüche Maßgebend ist nicht § 328 ZPO, sondern § 1061 ZPO.
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7. Entscheidungen der Gerichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Entscheidungen der Gerichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu- 2877 blik waren auch vor dem 3.10.1990 aus westdeutscher Sicht nie ausländische Urteile. § 328 ZPO wurde aber – mit Modifikationen und Adaptionen – angewandt. Nun gilt Art. 18 des Einigungsvertrages.288 8. Entscheidungen völkerrechtlicher Gerichte Die zivilrechtlichen Wirkungen internationaler Gerichte sind meist in den Ver- 2878 einbarungen näher geregelt, die das betreffende Gericht etablieren; im Übrigen kann bei Regelungslücken auf § 328 ZPO, § 109 FamFG zurückgegriffen werden.289
X. Verbürgung der Gegenseitigkeit Die Anerkennung nach autonomem deutschem Recht kommt nur dann in Be- 2879 tracht, wenn im Verhältnis zum Erststaat die Gegenseitigkeit verbürgt ist, d.h. wenn die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils in dem Urteilsstaat auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stößt als vice versa unter den gleichen Umständen ein Urteil aus dem Erststaat in Deutschland, § 328 I Nr. 5 ZPO (Ausnahmen: § 328 II ZPO), § 109 IV FamFG. Entscheidend ist, dass das Anerkennungsrecht und die Praxis der Gerichte im Wesentlichen gleichwertige (nicht notwendig gleichartige) Bedingungen für die Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils im Urteilsstaat schaffen290 (Rz. 2909). Erforderlich ist ein Vergleich des erststaatlichen Anerkennungsrechts mit dem 2880 deutschen. Dieser umfasst das materielle und das Verfahrensrecht. Völlige Deckungsgleichheit ist nur theoretisch denkbar und deshalb nicht zu fordern. Erschwerungen in einem Bereich können durch Erleichterungen in anderer Hinsicht ausgeglichen werden. S. auch unten die Länderübersicht in Anhang II.
288 Beispiel: BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490 = MDR 1997, 574 = NJW 1997, 2051. 289 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1422; Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 254 ff.; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 90. 290 BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156; Nachw. z.B. bei Doser, Gegenseitigkeit der Anerkennung ausländischer Entscheidungen (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), dargestellt am Beispiel Südafrika, 1999.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2881 Es genügt partielle Verbürgung für die in Betracht kommende Urteilsgattung. Dagegen reicht partielle Verbürgung bezüglich einzelner Urteilswirkungen (z.B. nur für die Rechtskraft) nicht aus.291
XI. Anerkennung gem. § 109 FamFG 2882 Für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Familiensachen (§§ 1, 111 FamFG) und ausländischer Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt § 109 FamFG (bis zum 31.8.2009 § 16a FGG).292 Die Qualifikation erfolgt nach der deutschen lex fori. Ob in concreto § 109 FamFG und nicht § 328 ZPO anzuwenden ist, ist mithin nach deutschen Rechtsvorstellungen zu beurteilen. Die Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des § 328 ZPO und dem § 109 FamFG erfolgt also weder nach dem Recht des Erststaates (Entscheidungsstaates) noch nach der (von deutschem internationalen Privatrecht bestimmten) lex causae.293 2883 Der Anwendungsbereich des – gegenüber § 328 ZPO anerkennungsfreundlicheren, weil auf das Erfordernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit (Rz. 2879) weitgehend294 verzichtenden – § 109 FamFG ist i.S. des favor recognitionis weit auszulegen295: – Handelt es sich um eine Angelegenheit, die das deutsche Recht den Familiensachen bzw. der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuweist, ist der anerkennungsfreundlichere § 109 FamFG anzuwenden, auch wenn eine echte Streitsache vorliegt. – Darüber hinaus gilt § 109 FamFG, wenn es sich bei materieller Betrachtungsweise nicht um eine Streitsache, sondern um eine Rechtsfürsorgeangelegen-
291 Länderübersichten bei Schütze in Geimer/Schütze, EuZVR3, E 1 – Rz. 127 ff.: Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland4, Rz. 394; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1309. 292 Hierzu R. Geimer in FS Ferid 80, 1988, 89; Heiderhoff, StAZ 2009, 328; Richardi, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung des autonomen Rechts, 1991; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 176; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (748 ff.); Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 238 ff. 293 LG München I v. 2.6.1997 – 16 T 3295/97, IPRax 1998, 117 (Jayme) = IPRspr. 1997 Nr. 121; R. Geimer in FS Ferid, 80, 1988, 95; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 148. 294 S. aber § 109 IV FamFG. 295 R. Geimer in FS Ferid, 1988, 89, 92; R. Geimer in FS Jayme, 2004, 241, 253; Oelkers, Internationales Betreuungsrecht, 1996, 272 ff.; wohl auch R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (749); R. Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1625).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
heit handelt. Erfolgt z.B. die Entmündigung, wie früher in Deutschland, im Zivilprozess, so ist gleichwohl § 109 FamFG maßgeblich (nicht § 328 ZPO).296 Wurde z.B. die Ehe in Österreich – einvernehmlich – im Außerstreitverfahren geschieden, kam vor Inkrafttreten der EuEheVO gleichwohl nicht § 16a FGG a.F., sondern § 328 ZPO zur Anwendung.297 Nach dem 1.9.2009 gilt vice versa: Wurde die Ehe im Ausland im Zivilprozess geschieden, ist – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuEheVO – Grundlage der Anerkennung nicht mehr § 328 ZPO, sondern § 109 FamFG. Ausländische Erbscheine können nicht anerkannt werden, selbst dann nicht, 2884 wenn das ausländische Gericht einen „deutschen Erbschein“ nach deutschem BGB erteilt hat; denn der Erbschein entfaltet keine prozessualen Wirkungen, die Gegenstand der Anerkennung nach § 109 FamFG sein könnten, insbes. keine Rechtskraftwirkung.298 Nach österreichischem Recht ist die Erbteilung und die Erfüllung der Vermächt- 2885 nisse und Pflichtteilsrechte im Verfahren außer Streitsachen in der Verlassenschaftsabhandlung zu erledigen. Hierher gehört auch die Übertragung von Grundstücken auf einzelne Miterben, Pflichtteilsberechtigte oder Vermächtnisnehmer. Die Eintragung erfolgt aufgrund einer Amtsbestätigung des Verlassenschaftsgerichts (§ 178 AußerstreitG a.F.299), die keine sachenrechtliche Erklärung der Beteiligten ist (§ 178 AußerstreitG a.F. ist lex specialis zum § 684 Satz 2 296 Zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs gegenüber (extensivem) Entzug der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Entmündigungsrecht Staudinger/Hausmann, Internationales Vertragsrecht2, Art. 13 Rom I-VO Rz. 17. 297 KG v. 22.7.2003 – 1 VA 27/02, FamRZ 2004, 275 (277); R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 114 (Veröff. des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI); Richardi, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung des autonomen Rechts, 1991, 97. A.A. Frankenstein, IPR, III, 1934, 25. 298 KG v. 16.6.1938, JW 1938, 2359 = JFG 17, 342 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 733; OG Danzig v. 21.1.1939, DFG 1939, 40 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 734; s. auch OLG Bremen v. 19.5.2011 – 3 W 6/11, NotBZ 2011, 337 = NJW-RR 2011, 1099 = FamRZ 2011, 1892 (Gottwald) = DNotZ 2012, 687 (Hertel) = IPRspr. 2011 Nr. 310; hierzu Schäuble, ZErb 2011, 267. R. Geimer in FS Ferid, 80, 1988, 89, 117 Fn. 23; Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht – Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 EGBGB Rz. 874; Deutsches Notarinstitut, Gutachten DNotI-Report 2000, 81; Odersky, Die Abwicklung deutsch-englischer Erbfälle, 2001, 142; differenzierend Erman/Hohloch, BGB14, Art. 25 EGBGB Rz. 55. Nachw. auch bei Gronle, Nachweis nach § 35 GBO durch ausländische Erbscheine, 2001. Aus schweizerischer Sicht Berther, Die internationale Erbschaftsverwaltung bei schweizerisch-deutschen, -österr. und englischen Erbfällen, 2001; Dallafior, Die Legitimation des Erben, 1990; Kuhn, Anerkennung und Wirkung ausländischer Erbausweise im schweiz. Recht, SZIER 2002, 1. Zur Anerkennung der Befugnisse eines englischen administrators Hausmann in FS Heldrich, 2005, 649. Die Europäische ErbVO lässt die nationalen Erbnachweise unberührt; sie etabliert daneben alternativ einen in allen Mitgliedstaaten (zu denen vor einem evtl. opt-in Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich nicht gehören) zu beachtendes Europäisches Nachlasszeugnis (deutsche Ausführungsgesetzgebung in §§ 33 ff. AusfGErbVO). Hierzu z.B. Buschbaum in Hager, Die neue europäische ErbrechtsVO, 2013, 39 ff. 299 Ab 1.1.2005 § 182 III AußerstreitG n.F.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
ABGB). Eine solche Amtsbestätigung bezüglich eines deutschen Grundstücks genügt nicht zur Eintragung in das deutsche Grundbuch. Insoweit ist eine Auflassung erforderlich. Die österreichische Einantwortungsurkunde ist insoweit bedeutungslos.300 2886 Auch für die Anerkennung ausländischer Adoptionen ist § 109 FamFG maßgebend,301 nicht die lex causae.302 300 Vgl. vice versa KG v. 16.3.1944, DR 1944, 916 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 743; s. auch R. Geimer in Symposion Außerstreitreform, 1992, 118 (Veröff. des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI). 301 Vorrang haben jedoch die völkerrechtlichen Übereinkommen, z.B. das Anerkennungsregime des Haager Übereinkommens v. 29.5.1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption, BGBl. II 2001, 1034, i.V.m. dem deutschen Gesetz v. 5.11.2001 zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Gebiet der internationalen Adoption und zur Weiterentwicklung des Adoptionsvermittlungsrechts, BGBl. I 2001, 2950. Dieses brachte in Art. 2 das Gesetz über die Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (AdWirkG). Hierzu Kropholler, IPR6, § 49 II; S. Lorenz in FS Sonnenberger, 2004, 497; RNotZ 2002, 353; Steiger, DNotZ 2002, 184; Süß, MittBayNot 2002, 88 (90); DNotI 2003, 53; Weitzel, NJW 2008, 186; Winkelsträter, Anerkennung und Durchführung internationaler Adoptionen in Deutschland, 2007; Staudinger/Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, 2012, Rz. 665; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 92, 285. Nachw. auch bei Frank, Neuregelungen auf dem Gebiet des internationalen Adoptionsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Anerkennung von Auslandsadoptionen, StAZ 2003, 257; Schlauß, Die Anerkennung von Auslandsadoptionen in der vormundschaftsgerichtlichen Praxis, FamRZ 2007, 1699; R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (751). Obwohl nach deutschem Recht (§ 1741 II 1 BGB) ein gleichgeschlechtliches Paar trotz Eintragung als eingetragene Lebenspartnerschaft ein Kind nicht gemeinsam adoptieren kann, soll die Anerkennung einer ausländischen Adoptionsentscheidung, die eine gemeinsame Adoption eines inzwischen nach US-amerikanischem Recht verheirateten gleichgeschlechtlichen Paares ausspricht, nicht am deutschen ordre public scheitern. Angesichts der sich auch in Deutschland für gleichgeschlechtliche Paare immer weiter öffnenden Adoptionsmöglichkeiten stehe die Anerkennung nicht (mehr) im eklatanten Widerspruch zu wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, OLG Schleswig v. 23.1.2014 – 12 UF 14/13, NJOZ 2014, 1298. 302 BayObLG v. 21.6.2000 – 1Z BR 186/99, BayObLGZ 2000, 180 = StAZ 2000, 300 = IPRspr. 2000 Nr. 190; OLG Karlsruhe v. 28.10.2003 – 11 Wx 8/03, NJW 2004, 516 = IPRax 2005, 39 (kritisch Looschelders 28); AG Celle v. 18.3.2004 – 40 XVI 59/03, JAmt 2004, 377 (Busch) = IPRspr. 2006 Nr. 201; AG Hamm v. 18.3.2004 – XVI 101/03, JAmt 2004, 375 (Busch) = IPRspr. 2006 Nr. 202; hierzu Beyer, JAmt 2006, 329; OVB Berlin v. 27.5.2004 – 2 N 100.04, InfAuslR 2005, 440 = IPRspr. 2004 Nr. 207; Erman/Hohloch, BGB14, Art. 22 EGBGB Rz. 24; Fuchs, IPRax 2001, 116; Griep, Anerkennung von Auslandsadoptionen, 1989; Krapf-Buhmann, Die Anerkennung ausländischer Adoptionen im Inland, 1989; BVerwG v. 29.5.1986 – 1 B 20/86, StAZ 1987, 20 = FamRZ 1987, 381 = Rpfleger 1986, 383 = IPRspr. 1986 Nr. 104. Das LG Nürnberg-Fürth v. 25.2.1986 – 13 T 2025/85, IPRax 1987, 179 (Klinkhardt) = IPRspr. 1986 Nr. 200 will eine im Ausland ohne die erforderliche Einwilligung eines Elternteils vorgenommene Adoption eines deutschen Kindes anerkennen, wenn die Adoption nach deutschem Recht wegen Ablaufs der Dreijahresfrist (§ 1762 II BGB) und Eintritt der Volljährigkeit des Kindes (§ 1763 BGB) nicht mehr aufhebbar wäre. Noch weitergehend zutreffend LG
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Das Gleiche gilt für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Kindes- 2887 herausgabeanordnung eines ausländischen (Familien-)Gerichts303 bzw. einer Sorgerechtsregelung.304 Auch für die Anerkennung ausländischer Todeserklärungen kommt nur § 109 FamFG zur Anwendung.305
XII. Anerkennung gem. § 343 InsO Hierzu unten Rz. 3500 ff.
2887a
XIII. Anerkennungsvoraussetzungen Fällt die zur Anerkennung anstehende Entscheidung in den Anwendungs- 2888 bereich eines völkerrechtlichen Vertrages (Rz. 2758) oder ist die Gegenseitigkeit verbürgt (Rz. 2879 f.)306, so sind die Wirkungen der ausländischen Entscheidung im Inland anzuerkennen, wenn die Anerkennungsvoraussetzungen des einschlägigen Vertrages bzw. des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG gegeben sind.307 Versucht man diese in eine logische Ordnung zu bringen, so ergibt sich folgendes Bild:
303
304 305
306 307
Berlin v. 29.5.1990 – 83 T 102/90, FamRZ 1990, 1393; AG und LG Offenburg v. 8.7.1988, StAZ 1988, 355 = IPRspr. 1988 Nr. 220b; AG Rottweil v. 14.7.1990, AG Rottweil v. 24.7.1990 – GR.I-26/90, NJW 1991, 1425 = FamRZ 1991, 229 = IPRspr. 1990 Nr. 242; LG Stuttgart v. 29.7.1999 – 2 T 65/99, StAZ 2000, 47 = IPRspr. 1999 Nr. 186; BayObLG v. 11.11.1999 – 1Z BR 155/98, BayObLGZ 1999, 352 = IPRspr. 1999 Nr. 190. S. auch Kropholler, IPR6, § 49 V. Zur (vorsorglichen) Wiederholung einer im Ausland vor einer kirchlichen Behörde (Rz. 2872) durchgeführten Adoption AG Höxter v. 17.9.1986 – 9 XVI 6/86, IPRax 1987, 124 = IPRspr. 1986 Nr. 105; Schurig, IPRax 1986, 221; Beitzke, IPRax 1990, 38; zurückhaltend Palandt/Thorn, BGB74, Art. 22 EGBGB Rz. 18. Ablehnend AG Brühl v. 26.11.1999 – 80 XVI K 3/99, IPRax 2001, 141 (Fuchs 146) = IPRspr. 1999 Nr. 193. Zur Rechtslage in der Schweiz (Art. 78 IPRG) Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 248. Dagegen will Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht – Artikel 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 EGBGB Rz. 567 bei der Ermittlung präjudizieller Rechtsverhältnisse auf die nach Art. 22 EGBGB ermittelte lex causae abstellen. OLG Hamm v. 4.12.1986 – 1 UF 475/86, FamRZ 1987, 506 = IPRax 1987, 326 = IPRspr. 1986 Nr. 204; OLG Bamberg v. 23.7.1986 – 7 UF 40/86, FamRZ 1987, 185 = IPRspr. 1986 Nr. 89 (Italien) und BGH v. 28.5.1986 – IVb ZB 36/84, NJW-RR 1986, 1130 = IPRax 1987, 317 (Mansel 298). OLG Bamberg v. 24.11.1999 – 2 UF 206/99, IPRspr. 1999 Nr. 192. BGH v. 27.10.1993 – XII ZR 140/92, NJW-RR 1994, 264 = FamRZ 1994, 498 (Bosch) = MDR 1994, 171 = IPRspr. 1993 Nr. 7; Erman/Hohloch, BGB14, Art. 9 EGBGB Rz. 11; für IPR-approach aber Staudinger/Dörner, Internationales Erbrecht – Art. 25, 26 EGBGB, 2007, Art. 25 EGBGB Rz. 74. Hierzu Nachw. z.B. bei Doser, Gegenseitigkeit der Anerkennung ausländischer Entscheidungen (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), dargestellt am Beispiel Südafrika, 1999. Gleiches gilt im Anwendungsbereich des europäischen Gemeinschaftsrechts, s. Rz. 2773a.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
1. Wirksamkeit der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung nach dem Recht des Erststaates 2889 Wirkungen eines ausländischen Urteils können auf das Inland nur dann erstreckt werden, wenn sie nach der Rechtsordnung des Erststaats überhaupt eintreten. Die Anerkennung setzt logisch voraus, dass die ausländische zur Anerkennung anstehende Entscheidung nach dem Recht des Erststaates wirksam geworden ist. Unwirksame oder noch nicht wirksame Entscheidungen können nicht anerkannt werden. Urteile, die nach dem Recht des Erststaates nichtig oder unwirksam (ungültig) sind, können nicht Grundlage der Anerkennung sein. Solche Fälle sind selten (vgl. Rz. 2898).308 Bloße Anfechtbarkeit (Aufhebbarkeit) steht der Anerkennung nicht entgegen.309 2890 Das Gleiche gilt für Entscheidungen, die nach dem Recht des Erststaates noch nicht wirksam geworden sind. Beispiel: Nach dem maßgeblichen Recht des Scheidungsorts ist die Eintragung der Scheidung (Transkription) in ein Register (konstitutiv) erforderlich, um dem Urteil volle Wirksamkeit zu verleihen; mitunter ist die Registrierung innerhalb einer bestimmten Frist erforderlich.310 (Vgl. Rz. 3027).
2890a Vice versa kommt eine Anerkennung nicht mehr in Betracht, wenn die ausländische Entscheidung in ihrem Ursprungsstaat aufgehoben worden ist.311 2890b In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Anerkennungsfrage auch für das Aufhebungsurteil des Ursprungsstaates zu stellen. Denkbar ist, dass dieses nicht anerkannt wird mit der Folge, dass der Schiedsspruch nur im Ursprungsstaat als nicht (mehr) existent gilt, während er in anderen Staaten sehr wohl noch seine Wirkungen entfaltet (Rz. 3944). Auch bei staatlichen Urteilen könnte man die Frage stellen, ob die in einem skandalösen Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren oder in sonst willkürlicher Weise erfolgte Kassation 308 Vgl. auch Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 142 ff.; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 553; Hk-ZV/ Netzer, § 723 ZPO Rz. 23. 309 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, NJW 1992, 3102 = MDR 1992, 1181 = CR 1993, 274 = ZIP 1992, 1256 (Bungert). Allgemeine Nachw. bei Hein, Das wirkungslose Urteil, 1996. Zur schweiz. Sicht Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 338; zur polnischen Sicht Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 84. 310 BayObLG v. 28.3.1977, BayObLGZ 1977, 71 = FamRZ 1977, 395 = IPRspr. 1977 Nr. 161; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 491; s. auch die Nachw. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 198 ff. 311 BayObLG v. 20.2.1998 – 1Z BR 15/98, FamRZ 1998, 1305 = IPRspr. 1998 Nr. 199. Vgl. auch den Fall des BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 = MDR 2003, 1177 = NJW 2003, 3488 = VersR 2004, 1312 = LMK 2003, 215 (R. Geimer) = IPRspr. 2003 Nr. 116; bestätigt durch BVerfG v. 15.2.2006 – 2 BvR 1476/03, NJW 2006, 2542 = EuGRZ 2006, 105 = IPRspr. 2006 Nr. 103: Overruling des Areopag durch den Obersten Gerichtshof Griechenlands, s. hierzu Rz. 626c; Heß, BerDGVR 40 (2003), 107 (127); Stürner in FS Georgiades, 2005, 1299, 1307. S. auch Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 313.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
eines an sich nicht beanstandbaren Sachurteils ohne weiteres hinzunehmen ist. Die Antwort wurde bereits in Rz. 2752 gegeben. 2. Festlegung des Vorrangs bei Kollision mehrerer Entscheidungen über die gleiche Sache § 328 I Nr. 3 ZPO312 behandelt zu Recht die Frage des Vorrangs bei Kollision 2891 mehrerer Entscheidungen nicht als Anwendungsfall des ordre public.313 Die Vorschrift ist Art. 27 Nr. 3 und 5 EuGVÜ/LugÜ1988 (nunmehr: Art. 45 I [c] EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 3 LugÜ) nachgebildet.314 Das Prioritätsprinzip gilt nur bei Konkurrenz mehrerer ausländischer Entscheidungen; inländische Entscheidungen, auch wenn sie zu Unrecht die frühere ausländische Rechtshängigkeit missachtet haben (Rz. 2697), sollen immer Vorrang haben.315 Diese Bevorzugung inländischer Urteile ist nicht gerechtfertigt.316 Missachtet das ausländische Gericht die frühere Rechtshängigkeit der gleichen Sache in Deutschland, so ist dies für sich allein bereits ein Grund, die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung zu versagen.317 Es stehen nicht unmittelbare Staatsinteressen auf dem Spiel.318 Deshalb kann ein ausländisches Urteil, das aufgrund eines später als der deutsche Rechtsstreit anhängig gemachten (Scheidungs-)Verfahrens ergangen ist, anerkannt werden, wenn es der Beklagte unterlassen hat, das ausländische Gericht auf die zeitliche 312 Hierzu Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 101, 106; Lenenbach, Die Behandlung von Unvereinbarkeiten zwischen rechtskräftigen Zivilurteilen nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht, 1997. 313 So aber vor der IPR-Reform 1986 die h.M. BayObLG v. 28.1.1983 – BReg. 1Z 48/82, FamRZ 1983, 501 = BayObLGZ 1983, 21, Nachw. bei LJV NW v. 11.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 185. Ebenso nun auch Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209 (211). 314 S. auch Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 37 ff. 315 Zur primautée de la décision française même postérieure Cour de cassation v. 24.9.2002 und v. 27.4.2004, Rev. crit. de droit international privé 93 (2004), 610, 611 (Muir Watt). 316 Besser wäre es gewesen, die Kollision – wie in Österreich, vgl. § 530 VI österr. ZPO (hierzu Musger, IPRax 1992, 109 bei Fn. 9) – nach den gleichen Grundsätzen zu lösen, die gem. § 580 Nr. 7 ZPO bei Vorliegen zweier inländischer Entscheidungen über den gleichen Streitgegenstand gelten. Unter § 328 I Nr. 3 ZPO fallen nicht deutsche Prozessvergleiche, Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 207; AG Gelsenkirchen v. 14.12.1994 – 24 F 308/94, FamRZ 1995, 1160 = IPRspr. 1994 Nr. 173. 317 Vgl. den Fall des OLG Stuttgart v. 2.5.2002 – 20 U 13/01, GmbHR 2002, 1123 (Emde): Einlageschuld wegen verdeckter Sacheinlage eines GmbH-Gesellschafters aus Kapitalerhöhung. Das später angerufene kalifornische Gericht verneinte aufgrund negativer Feststellungsklage das Bestehen eines Anspruchs der GmbH auf (nochmalige) Einzahlung. § 328 I Nr. 3 ZPO ist insoweit weiter gefasst als Art. 45 I lit. c EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 LugÜ, s. Rz. 2735. 318 Anders EuGH v. 6.6.2002 – Rs. C-80/00 – Italian Leather/WECO, Slg. 2002, I-4995, 5027 – Rz. 51 = NJW 2002, 2087 = EuZW 2002, 441 = IPRax 2005, 33 (Heß 23) = RIW 2002, 708 (Chr. Wolf/Lange 2003, 55) = IHR 2003, 37 = EGÜbk. Nr. 65c = ZZPInt 7 (2002), 243 (Fritzsche). Vorlage: BGH v. 10.2.2000 – IX ZB 31/99, WM 2000, 635 = EGÜbk. Nr. 58c = IPRspr. 2000 Nr. 149; Sepperer, Der Rechtskrafteinwand in den Mitgliedstaaten der EuGVO, 2010, 117.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Priorität des deutschen Verfahrens hinzuweisen (sofern im Inland noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt).319 2892 Endet das inländische Verfahren ohne Entscheidung in der Sache, so entfällt das vorgenannte Anerkennungshindernis für die ausländische Entscheidung.320 Wird z.B. das inländische Verfahren durch Klagerücknahme oder Prozessurteil (Prozessabweisung wegen internationaler Unzuständigkeit oder wegen Prozessunfähigkeit) erledigt, so gibt es keine Konkurrenz zwischen den Wirkungen verschiedener Urteile.321 3. Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit des Erststaates (= der Befugnis des Erststaates zur Entscheidung über den Streitgegenstand aus der Sicht des Zweitstaates) 2893 Liegt nach dem Recht des Erststaates ein wirksames Urteil (Rz. 2889) vor und führen auch keine Konkurrenzprobleme mit anderen (in- oder ausländischen) Urteilen über den gleichen Streitgegenstand (Rz. 2891) zur Versagung der Anerkennung bzw. zur Nichtbeachtung, ist zu prüfen, ob dem Erststaat aus deutscher Sicht die Befugnis zukam, über den Streitgegenstand zu entscheiden. Gegenstand dieser Prüfung ist nicht die Frage, ob die vom ausländischen Gericht erlassene Entscheidung richtig oder falsch ist (hierzu Rz. 2911, 2961), sondern die Frage, ob der Urteilsstaat überhaupt in der Sache eine Entscheidung – gleich welchen Inhalts – erlassen durfte.322 Diese Prüfung erstreckt sich darauf, ob der Erststaat Gerichtsbarkeit besaß und ob er für die Entscheidung über das Klagebegehren international zuständig war. a) Gerichtsbarkeit des Erststaates 2894 Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass dem Erststaat für den Streitgegenstand Gerichtsbarkeit (facultas jurisdictionis) zukam. Diese Anerkennungsvoraussetzung ist im Gesetz nicht ausdrücklich genannt, ist aber analog § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG323 und § 343 I 2 Nr. 1 InsO zu fordern (Rz. 533). – Z.B. kann ein Urteil nicht anerkannt werden, das einen im Erststaat akkreditierten und daher immunen Diplomaten (vgl. §§ 18 ff. GVG) verurteilt hat (Rz. 205a).324 Das Gleiche gilt vor allem auch bei Verletzung der Staatenimmuni-
319 LJV NW v. 11.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 185. A.A. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 433. 320 Zustimmend Staudinger/Spellenberg, a.a.O., § 328 ZPO Rz. 431. 321 So für den Fall der Klagerücknahme bzw. Erledigung der Hauptsache OLG Frankfurt v. 29.5.1995 – 3 UF 29/95, FamRZ 1997, 92 = IPRspr. 1995 Nr. 174. 322 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1464. 323 KG v. 10.6.2010 – 1 VA 8/10, FamRZ 2010, 1589. 324 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 75; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 113; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1487; Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 328 Rz. 57; OLG Frankfurt v. 21.10.1980 – 5 w 24/80, MDR 1981, 237 = RIW 1980, 875 =
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Anerkennung
Zwölfter Teil
tät (Rz. 2768).325 Als Kläger bzw. Antragsteller genießt der fremde Staat bzw. Diplomat keine Immunität, auch wenn die Entscheidung gegen ihn ergeht (Rz. 772). Bei der Prüfung der Gerichtsbarkeit des Erststaates findet weder eine Präklusion 2895 neuer Tatsachen noch eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts statt. Es ist vielmehr mit Hilfe der Untersuchungsmaxime der Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären.326 Eine Fehlentscheidung des Zweitrichters (unrichtige Bejahung der Gerichtsbarkeit) ist nicht nichtig (Rz. 3002). b) Internationale Zuständigkeit des Erststaates (internationale Anerkennungszuständigkeit) Die Anerkennung setzt voraus, dass der Erststaat nach deutschem Recht interna- 2896 tional zuständig war. Für die internationale Zuständigkeit fremder Staaten stellt das deutsche Recht keine besonderen Normen auf; § 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG und § 343 I 2 Nr. 1 InsO verweisen vielmehr auf die für deutsche Gerichte geltenden Zuständigkeitsvorschriften.327 Das deutsche Recht328 billigt also grundsätzlich fremden Staaten den gleichen Jurisdiktionsbereich zu, den es für die deutschen Gerichte in Anspruch nimmt, aber auch nur diesen. Man spricht vom Spiegelbildprinzip.329 Die internationale Zuständigkeit des Erststaates ist grundsätzlich (Ausnahmen: Rz. 858) immer dann und nur dann gegeben, wenn bei Anwendung der deutschen Zuständigkeitsvorschriften irgendein Gericht des Erststaates zuständig wäre (Rz. 1301, 1345, 1390, 1422, 1438, 1442, 1464, 1480, 1496, 1531, 1563, 1576, 1594, 1805). Dies führt vor allem in vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Hinblick auf § 23 ZPO zu einer sehr groß-
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IPRax 1982, 71 (Hausmann 51) = IPRspr. 1980 Nr. 160. Vgl. auch Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 155. IGH v. 3.2.2012, Deutschland/Italien Rz. 121 ff. (www.icj-cij.oorg/docket/files/143/ 16883.pdf); hierzu Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht, IPRax 2012, 201 (206). Ebenso BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 = MDR 2003, 1177 = NJW 2003, 3488 = VersR 2004, 1312 = LMK 2003, 215 (R. Geimer) = IPRspr. 2003 Nr. 116; bestätigt durch BVerfG v. 15.2.2006, NJW 2006, 2542 = EuGRZ 2006, 105 = IPRspr. 2006 Nr. 103; Heß, BerDGVR 40 (2003), 107, 127; Stürner in FS Georgiades, 2005, 1299 (1307). R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1492; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, 2007, Kap. 42, § 97 AußStrG Rz. 25. Erweitert durch § 109 II und III FamFG (vormals §§ 606a II und 661 III Nr. 2 und 3 ZPO). S. auch § 109 I Nr. 1 FamFG und § 343 Nr. 1 InsO; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 332. Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel, 1990, 81, 107; R. Geimer, NJW 1988, 651; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 6, 114; R. Geimer, RabelsZ 60 (1996), 371; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1499, 1505, 1710; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 644. Kritisch Gottwald, ZZP 103 (1990), 272. Historisches bei Fricke, Die autonome Anerkennungszuständigkeitsregel im deutschen Recht des 19. Jahrhunderts – zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 1993.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
zügigen Bejahung der internationalen Zuständigkeit fremder Staaten (Rz. 1390, vgl. auch Rz. 2909). 2897 Umgekehrt ist bei Fehlen der Voraussetzungen des § 328 Nr. 1 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 1 FamFG – auf Rüge des Beklagten bzw. Antragsgegners – die Anerkennung auch dann zu versagen, wenn die Zuständigkeitsanknüpfung des Urteilsstaates keineswegs exorbitant, sondern durchaus sinnvoll ist (Rz. 849).330 2897a Es geht hier nicht um die Frage, ob Deutschland fremden Staaten kein weitergehendes Vertrauen entgegenbringt,331 sondern um den Beklagtenschutz. Eine Generalklausel würde die Rechtssicherheit grundlos gefährden332 und wäre – angesichts des aus Art. 20 III GG ableitbaren Bestimmtheitserfordernisses – verfassungswidrig. 2897b Prüfungsmaßstab sind nicht die unionalen Zuständigkeitsnormen. Denn die europäische Zuständigkeitsordnung der EuGVVO bzw. des LugÜ sowie die sonstigen EU-Rechtsakte (EuEheVO, EuUnterhVO, EuErbVO etc.) regeln nicht die internationale Anerkennungszuständigkeit von Drittstaaten. Daher erfolgt die Prüfung nach § 328 I Nr. 1 ZPO, § 109 I Nr. 1 FamFG333 und § 343 I 2 Nr. 1 InsO (Rz. 3514) nach deutschem autonomen Kompetenzrecht, sofern nicht eine völkervertragliche Spezialregelung Vorrang beansprucht. Jedoch gibt es eine Ausnahme: Die ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten nach Art. 24 EuGVVO bzw. Art. 22 LugÜ sind auch gegenüber Drittstaaten durchzusetzen.334 2897c § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG bringt eine abschließende Regelung aller jurisdiktionellen Fragen:335 Steht bei spiegelbildlicher Anwendung des deutschen Kompetenzrechts die internationale Zuständigkeit des Erststaates fest, dann kann dieses Ergebnis nicht durch Rückgriff auf den ordre public (§ 328 I Nr. 4 ZPO, § 109 I Nr. 4 FamFG) wieder in Frage gestellt werden.336 Das Gleiche gilt für Gegenseitigkeitserwägungen nach § 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 109 IV FamFG (Rz. 2909).
330 Anders die französische Rspr. „si le litige se rattache d’une matière caractérisée au pays dont le juge a été saisi et si le choix de la jurisprudence n’a pas été frauduleux“, Cass. civ., 6.2.1985, Rev. crit. dr. i. p. 1985, 369; zum englischen Recht Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel, 1990, 14. 331 So aber von Bar/Mankowski, IPR I2, Rz. 394 Fn. 382. 332 Schack, IZVR6, Rz. 924. 333 Weniger Streng Heiderhoff, IPRax 2014, 264. 334 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 102a; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, Art. 2 Rz. 259. Im Ergebnis zustimmend Schärtl, IPRax 2006, 438, 442. S. auch Samtleben in FS Ansay, 2006, 344, 353 ff.; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 441; Hausmann, Internationales und europäisches Ehescheidungsrecht, 2013, H Rz. 249; Bläsi, Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, 2010, 294 Fn. 1241; Thole in Hess, Anerkennung im IZPR, 2014, 25, (42). Tendenziell anders Rauscher/Andrae, Vorbem. Art. 3 ff. EG-UntVO Rz. 16: Die Anwendung des europäischen Kompetenzrechts sei zu empfehlen. Für Spiegelung der EuEheVO Wall, FamRBint 2011, 15. 335 Das Gleiche gilt ceteris paribus für § 109 I Nr. 1 FamFG und § 343 I 2 Nr. 1 InsO. 336 So auch Wazlawik, RIW 2002, 691 (695).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Ist der Erststaat international zuständig, so ist es gleichgültig, welchem seiner 2898 Gerichte er die Rechtsprechungsaufgabe zuweist. Die örtliche Zuständigkeit und die Zulässigkeit des Rechtsweges sind ein reines Internum des fremden Staates. Von Bedeutung ist nur, ob „die“ Gerichte eines ausländischen Staates (d.h. irgendeines von ihnen) zuständig sind.337 Für die Anerkennung ohne Bedeutung ist, ob der Erstrichter sein Zuständigkeitsrecht richtig angewandt hat. Eine Anerkennung kommt also auch dann in Betracht, wenn der Erstrichter – nach seinem Recht – gar nicht zur Sache hätte entscheiden dürfen. Ausnahme: Der Verstoß gegen das erststaatliche Kompetenzrecht führt zur Nichtigkeit der Entscheidung (Rz. 2889), eine Hypothese, die in der Praxis wohl kaum vorkommt. Dies gilt auch, soweit die internationale Zuständigkeit des Erststaates auf einer 2899 Zuständigkeitsvereinbarung (Prorogation) der Parteien beruht (Rz. 1805). Stützt das ausländische Gericht seine internationale Zuständigkeit auf eine auch nach deutscher Auffassung wirksame internationale Prorogation, so ist der Erststaat international zuständig und das Urteil anzuerkennen, auch wenn der deutsche Zweitrichter zu dem Ergebnis kommen sollte, dass ein anderes Gericht des Erststaates, nicht also das Erstgericht, prorogiert worden war.338 Bei Mehrrechtsstaaten mit jeweils eigenem Gerichtsaufbau (z.B. USA) genügt 2900 Zuständigkeitsbezug zum gesamten Hoheitsgebiet des Urteilsstaates. Nicht erforderlich ist, dass Gerichte gerade des Teilstaats/Rechtspflegegebiets, dessen Urteil zur Anerkennung ansteht, bei hypothetischer Anwendung deutschen Kompetenzrechts zuständig wären. Denn die Aufteilung der Rechtsprechungsaufgabe innerhalb des Gesamtstaates ist nach § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG und § 343 I 2 Nr. 1 InsO irrelevantes Internum des Urteilsstaates.339 Nach der Gegenansicht, bei der Prüfung der internationalen Anerkennungszuständigkeit komme es bei nicht zentralistisch verfassten Staaten darauf an, dass der nach § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 i.V.m. §§ 98 ff. 337 RG v. 21.3.1902, RGZ 51, 135 (137); von Hoffmann/Hau, RIW 1998, 344 (346). 338 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 117; R. Geimer, ZZP 85 (1972), 196; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1538. Unzulässig daher die Prüfung in BGH v. 26.3.1969, BGHZ 52, 30 = NJW 1969, 1536 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 225. 339 LG Heilbronn v. 6.2.1991 – 1b O 2122/89 III, RIW 1991, 343 = IPRspr. 1991 Nr. 201; ebenso nun auch Haas/Stangl, IPRax 1998, 452 (455); von Hoffmann/Hau, RIW 1998, 344 (349); Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 26; Stadler in Musielak, ZPO11, § 328 Rz. 9; Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 25. A.A. LG München v. 28.6.1988 – 28 O 15047/85, RIW 1988, 738 = IPRspr. 1988 Nr. 188; OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, RIW 1997, 960 (961) (Schütze 1041) = IPRax 1998, 474 (Haas/Stangl 452) = IPRspr. 1997 Nr. 133; Jayme, IPRax 1991, 262; Sieg, IPRax 1996, 77 (79); Stein/Jonas/ Roth, ZPO22, § 328 Rz. 77. Vgl. auch Gebauer/Schulze, IPRax 1999, 478 (483) sowie Wazlawik, IPRax 2002, 273. Ausführliche Nachw. bei Baumgartner, The Proposed Hague Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments: Trans-Atlantic Lawmaking for Transnational Litigation, 2003, 108; Schärtl, Das Spiegelbildprinzip im Rechtsverkehr mit ausländischen Staatenverbindungen unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-amerikanischen Rechtsverkehrs, 2005; Schönau, Die Anerkennung von Urteilen in Mehrrechtsstaaten nach § 328 Abs. 1 ZPO am Beispiel der USA und Kanadas, 2009.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
FamFG relevante Zuständigkeitsanknüpfungspunkt gerade in dem Gliedstaat zu lokalisieren sei, in dem das erststaatliche Verfahren stattgefunden hat, würden Elemente der Gerichtsverfassung des ausländischen Staates in die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates hineingetragen mit nicht akzeptablen Folgen für die internationale Gerichtspflichtigkeit des Beklagten: Diese wäre bei Zentralstaaten territorial weiter als bei föderalen Gebilden. Das wäre mit Art. 3 I GG schwerlich zu vereinbaren. Zudem wäre unklar, worauf abzustellen wäre bei Staaten, die eine ähnliche Verschränkung der Bundes- und einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit kennen wie in Deutschland. Wie wäre zu entscheiden, wenn die endgültige Verurteilung nicht das einzelstaatliche Gericht ausspricht, sondern das beim Gesamtstaat angesiedelte Oberste Gericht des Erststaates? 2901 Zweck der Prüfung gem. § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG ist der Beklagtenschutz.340 Nur deshalb belassen wir es nicht bei der Prüfung, ob unsere eigene Jurisdiktionssphäre gewahrt ist.341 Eine solche negative Zuständigkeitsprüfung käme nur zur Verteidigung von (von Deutschland beanspruchten) ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten in Betracht. Solche gibt es aber – entgegen der h.M.342 – nicht (Rz. 878). Über die positive Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates setzen wir die deutschen Vorstellungen über die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten durch. Indem wir unsere Zuständigkeitsnormen zugrunde legen, fixieren wir denjenigen Staat bzw. diejenigen Staaten, vor deren Gerichten es dem Beklagten zugemutet werden kann, sich gegen die Klage zu verteidigen.343 Keinesfalls verfolgt Deutsch340 Im Bereich der klassischen freiwilligen Gerichtsbarkeit geht es um den Schutz des Antragsgegners bzw. des kontradiktorisch Betroffenen, Zöller/Geimer, ZPO30, § 109 FamFG Rz. 33, 49. 341 So aber z.B. das polnische Anerkennungsrecht, Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 95. 342 Ebenso für die Schweiz Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht2, Rz. 1198 ff. 343 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 123; R. Geimer, ZZP 87 (1974), 336; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 48; R. Geimer in FS Nakamura, 1996, 169; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1549; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 640; Haas/Stangl, IPRax 1998, 452 (454); BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, MDR 1993, 473 = IPRax 1994, 204, 206; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht – Zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit bei den Gerichtsständen des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung, 2002, 135. Weitergehend Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 401: § 328 I Nr. 1 ZPO schütze auch das staatliche Interesse des Anerkennungsstaates an der Wahrung seiner Zuständigkeitsregelung. Ähnlich BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (700) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160; Vorinstanz: OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, IPRspr. 1997 Nr. 133: Neben dem Beklagtenschutz solle Nr. 1 sicherstellen, dass das Verfahrensrecht des Erststaates wenigstens im Ansatz auf international akzeptierte Grundsätze Rücksicht nimmt. An erster Stelle sieht der BGH also die ratio legis in der „Internationalpädago-
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Anerkennung
Zwölfter Teil
land mit § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG die Durchsetzung von Rechtsanwendungsinteressen. Das deutsche Interesse, bestimmte (den deutschen Grundvorstellungen diametral entgegenstehende) ausländische Rechtsnormen nicht via Anerkennung in Deutschland (mittelbar) „exekutieren“ zu müssen, wird nicht über Nr. 1, sondern über den ordre public-Vorbehalt der Nr. 4 durchgesetzt.344 Entscheidend ist der Zeitpunkt der ausländischen Klageerhebung bzw. Antrag- 2902 stellung. Jedoch ist § 261 III Nr. 2 ZPO analog anwendbar.345 Der Kläger (der das ausländische Erkenntnisverfahren in Gang gesetzt hat) kann 2903 sich nicht auf die nach deutschem Recht gegebene internationale Unzuständigkeit des Erststaates berufen.346 Nur auf Rüge des Beklagten (des ausländischen Erstverfahrens) oder seines Rechtsnachfolgers darf die positive Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates erfolgen. Sie ist nie von Amts wegen vorzunehmen.347 Wir wollen den Beklagten nicht gegen seinen Willen schützen. Dies gilt nicht nur für die Anerkennung von Urteilen von vermögensrechtlichen Streitigkeiten, sondern auch für die Anerkennung aller sonstigen Entscheidungen, auch solcher in Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Lebenspartnerschaftssachen. Wenn nach den via § 109 I Nr. 1 FamFG spiegelbildlich angewandten deutschen Zuständigkeitsnormen nicht der Urteilsstaat, sondern nur ein dritter Staat für die Scheidung international zuständig wäre, der Beklagte dies aber nicht rügen will (weil er es bei der Scheidung belassen will), dann haben die deutschen Gerichte und Behörden keine Veranlassung, ex officio „internationalpädagogisch“ i.S. Schröders348 auf dem Rücken der Parteien, welche die
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gik“: Dieser Gedanke erweist sich jedoch nicht als tragfähig, R. Geimer in FS Nakamura, 1996, 169. R. Geimer, NJW 1974, 1026 (1029); R. Geimer, NJW 1975, 1079; so auch BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/ Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698, 700 = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160: „Den Schutz des Beklagten vor der Anwendung bestimmten ausländischen Rechts übernimmt allein § 328 I Nr. 4.“ – Vgl. Rz. 905. BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698, 700 = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160; BayObLG v. 12.7.1990 – BReg. 3Z 46/90, BayObLGZ 1990, 219. Vgl. auch Pollinger, Intertemporales Zivilprozessrecht, 1988, 227 ff.; Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess, 2009, 79. Zustimmend z.B. Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 620; aus Sicht der herrschenden Lehre wäre allenfalls eine Ausnahme zu machen für den Fall, dass Deutschland eine eigene internationale ausschließliche Zuständigkeit beansprucht, weil unmittelbare Staatsinteressen berührt sind, s. aber Rz. 874, 878. Zustimmend OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. S. auch Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, 2007, Kap. 42, § 97 AußStrG Rz. 25. Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, 778.
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Folgen der hinkenden Scheidung tragen müssen, tätig zu werden349 und durch die Nichtanerkennung ein Zeichen für eine bessere Zuständigkeitsverteilung in dieser Welt zu setzen.350 2904 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Antragsteller im Ausland obsiegt hat oder unterlegen ist. Z.B. kann eine Ehefrau, die sich im Ausland scheiden ließ, aber nach dem Tode des Ehemannes gerne in den Genuss der Witwenrente der deutschen Sozialversicherung kommen möchte, die Nichtanerkennung des ausländischen Scheidungsurteils nicht mit der Begründung beantragen, nicht der Erststaat, sondern ein dritter Staat sei nach deutschem Recht international zuständig.351 2905 Umgekehrt kann nur der Kläger (Widerbeklagter) rügen, der Erststaat sei für die Widerklage international nicht zuständig.352 2905a Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit des Erststaates trägt im Falle des Bestreitens (Rz. 2903) derjenige, der sich auf die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung beruft.353 2906 Im Rahmen der vorstehend umschriebenen Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates ist der deutsche Zweitrichter an die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des ausländischen Erstgerichts nicht gebunden354, es sei denn, ein Staatsvertrag schreibt ausdrücklich eine Bindung vor.355 Der Zweit-
349 Anders aber noch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 269: im „inländischen öffentlichen Interesse“ sei „zu überprüfen, ob das ausländische Gericht aufgrund exorbitanter Zuständigkeiten entschieden und damit deutschen Vorstellungen internationaler Gerichtsbarkeit und Gerechtigkeit widersprochen hat.“ Ähnlich Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 171 ff. 350 R. Geimer, NJW 1974, 1028; R. Geimer, ZZP 87 (1974), 336; zustimmend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 468 Fn. 130. A.A. BayObLG in ständiger Rspr., z.B. BayObLG v. 19.9.1991 – BReg. 3Z 113/91, NJW-RR 1992, 514 = FamRZ 1992, 584, 586 = StAZ 1992, 176 = IPRspr. 1991 Nr. 217. 351 R. Geimer, NJW 1968, 800; R. Geimer, RIW 1980, 307; Stein/Jonas/Roth, ZPO22, § 328 Rz. 85; Gottwald, ZZP 103 (1990), 274; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, 2007, Kap. 42, § 97 AußStrG Rz. 26. A.A. Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 259; Fricke, Anerkennungszuständigkeit zwischen Spiegelbildgrundsatz und Generalklausel, 1990, 102; Schack, IZVR6, Rz. 974, der jedoch im Ergebnis mit der hier vertretenen Auffassung übereinstimmt, weil auch er dem Kläger, der die internationale Unzuständigkeit rügt, das Verbot des venire contra factum proprium entgegensetzt. 352 R. Geimer, NJW 1972, 2180. 353 OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. 354 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 126 ff. Zustimmend Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 159; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 258. 355 So z.B. Art. 28 II EuGVÜ/LugÜ (danach Art. 35 II EuGVVO a.F., nunmehr Art. 45 II EuGVVO n.F.), Art. 9 UVÜ, Art. 5 I dt.-belg. Abkommen (BGH v. 9.4.1973, BGHZ 60, 344 = NJW 1973, 1552 = AWD 1973, 404 = ZZP 87 [1974], 332 [R. Geimer] = IPRspr.
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Anerkennung
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richter darf neue Beweise erheben; auch findet eine Präklusion neuer, im Erstverfahren nicht vorgebrachter Tatsachenbehauptungen nicht statt (Rz. 1871). Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte im Erstverfahren nicht vertreten war und daher Versäumnisurteil ergangen ist.356 Auch die sog. doppelrelevanten Tatsachen sind zu prüfen, wenngleich diese auch meritorische Bedeutung haben (Rz. 1496, 1531).357 Von diesem Grundsatz sind jedoch zwei Ausnahmen zu machen: Der Einwand, 2907 die an sich gegebene internationale Zuständigkeit des Erststaates sei durch Parteivereinbarung derogiert worden, kann im Zweitverfahren nur geltend gemacht werden, wenn der Einwand der Derogation schon im Erstverfahren vorgebracht wurde (Rz. 1809).358 Das Gleiche gilt für den Einwand, die internationale Zuständigkeit des Erststaates sei durch die Vereinbarung eines Schiedsgerichts ausgeschlossen. Hier ist § 328 I Nr. 1 ZPO analog heranzuziehen.359 Im Bereich der EuGVVO, des LugÜ, der EuEheVO, der EuUnterhVO, der Eu- 2908 ErbVO sowie der EuInsVO (Rz. 3514a) wird die internationale Zuständigkeit des Erststaates grundsätzlich nicht geprüft. Ausnahmen: Art. 45 I (e) EuGVVO
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1973 Nr. 153), Art. 5 I dt.-niederl. Vertrag, Art. 8 II dt.-israel. Vertrag (BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 75/99, RIW 2002, 63), Art. 8 III dt.-norw. Vertrag, Art. 9 II dt.-span. Vertrag, Art. 3 II dt.-österr. Konkurs- und Vergleichsvertrag, Art. 24 ErwSÜ. BGH v. 26.3.1969, BGHZ 52, 30 = MDR 1969, 660 = NJW 1969, 1536 = IPRspr. 1968–1969 Nr. 225 im Anschluss an R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 142; R. Geimer, NJW 1971, 2181; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1564; zustimmend Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 791; Gottwald, ZZP 103 (1990), 277 sowie in MüKo.ZPO4, § 328 ZPO Rz. 63; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 136 m.w.N. Anders grundsätzlich Spickhoff, ZZP 108 (1995), 486. Umfangreiche Nachw. bei Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 350 ff. BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 = MDR 1994, 1240 = NJW 1994, 1413 = RIW 1994, 331 = IPRax 1995, 101 (Gottwald 75) = LM § 32 ZPO Nr. 15 (R. Geimer) = ZZP 108 (1995), 359 (Koch) = IPRspr. 1993 Nr. 180 im Anschluss an R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 102, 163. Hierzu m.w.N. Ost, a.a.O., 139 sowie Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren, 2010, Rz. 400 ff. R. Geimer, RIW 1980, 308; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 123; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, 1989, 142. A.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 714; Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 394. R. Geimer, ZZP 87 (1974), 336; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 210; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 148; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. II Rz. 172; OLG Celle v. 8.12.1977, RIW 1979, 131 = IPRspr. 1977 Nr. 155. A.A. Schlosser in FS Kralik, 1986, 299; Schlosser, Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit2, Rz. 400 g.E.; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 34–36 EuGVVO Rz. 5a; Spickhoff, ZZP 108 (1995), 488, welche die Anwendung des § 328 I Nr. 4 ZPO empfehlen. Vgl. auch Rz. 3960.
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sowie Art. 35 I LugÜ.360 Dies gilt auch für den Bereich der EuInsO, obwohl der Text der Verordnung nicht eindeutig ist (Rz. 3514).361 2909 Soweit die Verbürgung der Gegenseitigkeit gem. § 328 I Nr. 5 ZPO Voraussetzung für die Anerkennung der ausländischen Entscheidung in Deutschland ist (Rz. 2879), führt dies grundsätzlich nicht zu einer Verengung des durch § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO eröffneten Jurisdiktionsbereichs des Urteilsstaates nach dem Motto:362 Die internationale Zuständigkeit eines fremden Staates, die nach § 328 I Nr. 1 ZPO an sich zu bejahen wäre, wird nur dann anerkannt, wenn vice versa aus der Sicht des Urteilsstaates in einem spiegelbildlichen Fall die internationale Zuständigkeit Deutschlands gegeben wäre.363 Ist nach § 328 I Nr. 1 ZPO die internationale Zuständigkeit des Erststaates zu bejahen, weil nach dem Spiegelbildprinzip ein Zuständigkeitsanknüpfungspunkt i.S. von §§ 12 ff. ZPO gegeben ist, will der Bundesgerichtshof gleichwohl noch Gegenseitigkeitserwägungen (Nr. 5) anstellen. Es soll darauf ankommen, ob – spiegelbildlich zu dem vom erststaatlichen Gericht entschiedenen Fall – nach erststaatlichem Recht und dortiger Gerichtspraxis ein deutsches Gericht international zuständig gewesen wäre. Trotz Vorliegens eines Zuständigkeitsanknüpfungspunktes nach § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO wird nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die internationale Zuständigkeit „ausnahmsweise“ nicht anerkannt, „wenn der Urteilsstaat exorbitante Zuständigkeiten nur für sich selbst beansprucht, sie aber anderen Staaten nicht in vergleichbarem Umfang zugesteht.“364
360 Ebenso nach dem durch das EuGVÜ bzw. die genannten Verordnungen (EG) weitgehend obsolet gewordenen dt.-österr. und dt.-griech. Vertrag, R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1507; R. Geimer, IPRax 1987, 144. 361 Gegen Nachprüfung z.B. auch Peter Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146); Kolmann, Kooperationsmodelle im internationalen Insolvenzrecht, 2001, 282; für Nachprüfung Mankowski, EWiR 2003, 767 (768); Mankowski, EWiR 2003, 1240; Mankowski, RIW 2004, 481, 587 (598). 362 Das Gleiche gilt für § 109 IV FamFG. 363 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 125; Schütze, AWD 1970, 495. A.A. BGH v. 9.7.1969 – VIII ZR 185/67, BGHZ 52, 251 (258); BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, EWiR 1993, 195 (Schlechtriem) = WuB 93/VIIA § 328 Abs. 1 ZPO (kritisch Schütze); BGH v. 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966 = IPRspr. 1996 Nr. 177; Vorinstanz: OLG Düsseldorf v. 25.4.1995 – 21 U 244/90, RIW 1995, 947 = IPRspr. 1995 Nr. 167; BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (700) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160. Vgl. auch BGH v. 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 (525) = IPRax 2001, 457 (Schütze 441) = IPRspr. 2000 Nr. 156 sowie OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. 364 Umfassende Nachw. bei Schindler, Durchbrechungen des Spiegelbildprinzips bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen unter vergleichender Berücksichtigung des portugiesischen und brasilianischen Rechts, 2004.
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Anerkennung
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Bei der Vollstreckbarerklärung ausländischer Prozessvergleiche und ausländi- 2909a scher vollstreckbarer Urkunden (Rz. 3107) braucht365 kein besonderer Zuständigkeitsbezug zum Errichtungsstaat gegeben zu sein (Rz. 1854b und 1854c). § 328 I Nr. 1 ZPO bzw. § 109 I Nr. 1 FamFG begründet kein Klageverbot in einem 2909b aus deutscher Sicht international unzuständigen Staat. Wer dort klagt, riskiert die Nichtanerkennung der dort ergangenen Entscheidung im Inland.366 Der Kläger handelt aber grundsätzlich nicht rechtswidrig; er ist daher dem Beklagten nicht zu Schadensersatz367 verpflichtet. Anders ist es allerdings bei offensichtlichen mutwilligen Verstößen gegen eine 2909c vertragliche Verpflichtung, nur in einem bestimmten Staat zu klagen bzw. nicht zu klagen, wenn die Wirksamkeit bzw. Ausschließlichkeit der Zuständigkeitsvereinbarung oder Schiedsvereinbarung außer Zweifel steht, nicht jedoch wenn die Wirksamkeit der Vereinbarung bzw. der Inhalt des Gewollten bzw. die subjektive Reichweite mit halbwegs nachvollziehbaren Argumenten in Abrede gestellt werden kann. Auch wenn der Beklagte in concreto aus Vertrag oder aus § 826 BGB einen Unter- 2909d lassungsanspruch hat, ist dieser nicht einklagbar, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Rz. 1118). Der (im Ausland) Verklagte kann aber unter Umständen nach allgemeinen Grundsätzen (§ 256 ZPO) negative Feststellungsklage erheben (Rz. 1119). 4. Beschränkte Überprüfung der Sachentscheidung Grundsätzlich darf der deutsche Richter die Richtigkeit der ausländischen Ent- 2910 scheidung nicht nachprüfen (Verbot der révision au fond), und zwar weder das dem ausländischen Urteil vorangegangene Verfahren noch die tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen im Urteil selbst. Fehler im Verfahren oder in der Urteilsfindung sind grundsätzlich für die Anerkennung belanglos. Fehlerhafte ausländische Urteile sind genauso hinzunehmen wie fehlerhafte inländische. Es kann nämlich nicht erwartet werden, dass die ausländischen Gerichte „tüchtiger“ sind und weniger fehlerhafte Urteile erlassen als die inländischen.368 365 Unter Berücksichtigung des Spiegelbildprinzips, sofern man hier überhaupt eine kompetenzrechtliche Frage sieht, s. Rz. 1216a und 1216b. S. auch die umfangreichen Nachw. bei Frische, Verfahrenswirkungen, Rechtskraft, 2005. 366 Sofern der Beklage die internationale Unzuständigkeit im Anerkennungsstadium nicht rügt; dieser kann mancherlei Gründe haben, dies nicht zu tun, s. Rz. 2903. 367 Etwa wegen höherer Prozesskosten bzw. wegen fehlender Prozesskostenerstattung oder wegen einer Verurteilung zu mehr als in dem vom Beklagten „angedachten“ Forum nach dortigem Kollisionsrecht möglich. 368 R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 41; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 57; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 321; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 138; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 249; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, 374. Tendenziell ebenso auch BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999,
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2911 Vom Grundsatz, ausländische Entscheidungen nicht zu überprüfen, ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn höherwertige Interessen eine Durchbrechung dringend erfordern. Diese Fälle werden in § 328 I Nr. 4 ZPO369 und § 109 I Nr. 4 FamFG generalklauselartig umschrieben.370 2912 Die Tatsache allein, dass ein ausländisches Urteil zwingendes deutsches Recht nicht beachtet oder falsch anwendet, reicht nicht aus, um § 328 I Nr. 4 ZPO zu bejahen.371 Die nicht beachtete bzw. falsch angewandte deutsche Norm muss vielmehr in allen Fällen Durchsetzung erheischen (Rz. 28). Der ordre public-Vorbehalt greift im Übrigen – zur Wahrung grundlegender (unverzichtbarer) Werte der deutschen Rechtsordnung – nur in ganz krassen Fällen durch.372 Im Verhältnis zur kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB ist zu beachten, dass auch in den Fällen, in denen die Anwendung eines ausländischen Gesetzes durch den deutschen Richter wegen Art. 6 EGBGB ausscheidet, die Anerkennung eines ausländischen Urteils, das auf einem solchen Gesetz beruht, nicht von vornherein ausgeschlossen ist (ordre public atténué de réconnaissance; Rz. 27).373 Die ordre public-Prüfung bezieht sich sowohl auf das dem zur Anerkennung anstehenden ausländischen Urteil vorangegangene Verfahren (z.B. im Erstverfahren trotz Rechtsmitteleinlegung nicht behobener schwerer Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs oder gegen elementare Grundsätze für rechtsstaatliche
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371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483 (484) = IPRspr. 1999 Nr. 154. Die ordre public-Prüfung nach § 328 I Nr. 4 ZPO erfasst nur die gerichtliche Entscheidung (bzw. den sonstigen Titel [§ 722 ZPO]) als solche und das Verfahren, in dem sie erlassen wurde, nicht jedoch die Frage nach der Jurisdiktion des Erststaates. Letztere ist abschließend nach § 328 I Nr. 1 ZPO zu beantworten, s. Rz. 2897a. Die Neufassung der ordre public-Klausel durch das IPR-ReformG bringt inhaltlich keine Änderung mit Ausnahme der im Anschluss an die Haager Konventionspraxis eingefügte Vokabel „offensichtlich“ (die in Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ fehlt, nicht aber in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO). Daraus ließe sich ableiten, dass Nr. 4 die Toleranzschwelle des ordre public zugunsten der Anerkennung verschiebt. Eine aussagekräftige und vor allem randscharfe Abgrenzung ist aber auch nach der Neufassung nicht möglich. Im Anwendungsbereich des EuGVÜ bzw. der EuGVVO beansprucht der Gerichtshof der Europäischen Union das „letzte Wort“ bei der Beantwortung der Frage, wo für die nationalen Gerichte die Grenzen der ordre public-Prüfung verlaufen, EuGH v. 28.3.2000 – Rs. C-7/98 – Krombach/Bamberski, NJW 2000, 1853 = ZIP 2000, 859 (R. Geimer) = EWiR 2000, 441 (Hau) = IPRax 2000, 364 (Piekenbrock 364); hierzu auch Matscher, IPRax 2001, 428. BGH v. 16.9.1993 – IX ZB 82/90, NJW 1993, 3269 (3270); BGH v. 4.3.1993 – IX ZB 55/92, MDR 1993, 904 = NJW 1993, 1801 (1802); BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, RIW 1999, 536 = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483 (484) = IPRax 1999, 371 (Schulze 342); OLG Frankfurt v. 11.11.1998 – 12 W 210/98, RIW 1999, 146. Für restriktive Anwendung des anerkennungsrechtlichen ordre public OLG Köln v. 23.1.2002 – 16 W 44/01, InVo 2002, 521 = IPRspr. 2002 Nr. 186. S. auch Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007. Vgl. auch Roland M. Müller, Anerkennung und Vollstreckung schweizerischer Zivilurteile in den USA, 1994, 117 ff. Zustimmend Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 130 ff.; Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 623.
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Verfahren) (Rz. 2945 ff.) als auch auf die Urteilsfindung selbst (Rz. 2961 ff.).374 Auch wenn das ausländische Gericht völlig korrekt agiert hat, kann drittens der anerkennungsrechtliche ordre public zur Anwendung kommen, wenn eine Partei durch Täuschung oder sonstiges extrem unfaires Verhalten die Wahrheitsbzw. Rechtsfindung durch das sich untadelig verhaltende ausländische Gericht vereitelt hat (Rz. 2986 ff.). a) Überprüfung des ausländischen Verfahrens Gegenstand der ordre public-Prüfung ist nicht nur die Frage, ob der Inhalt der 2913 ausländischen Entscheidung den Grundwertungen der deutschen Rechtsordnung völlig zuwiderläuft (s. hierzu Rz. 2961 ff.). Sie erfasst vielmehr auch das Verfahren im Erststaat, auf dem die zur Anerkennung anstehende ausländische Sachentscheidung beruht (Rz. 2945). Während der Ablauf des erststaatlichen Verfahrens nur auf die Einhaltung elementarer (unverzichtbarer) Forderungen prozessualer Gerechtigkeit geprüft wird, mithin „einfache Verfahrensfehler“ die Anerkennung nicht gefährden, ist die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Beginns des erststaatlichen Verfahrens viel dichter: Es wird die Einhaltung des im Erststaat geltenden Zustellungsrechts (einschließlich der dort in Kraft gesetzten einschlägigen völkerrechtlichen Verträge) kontrolliert. Jeder Zustellungsfehler führt nach dem Wortlaut des § 328 I Nr. 2 ZPO und des § 109 I Nr. 2 FamFG, der jedoch teleologisch zu reduzieren ist (Rz. 2922), zur Versagung der Anerkennung. Eigenartigerweise prüft der deutsche Richter nicht – wie sonst bei der Kontrolle des erststaatlichen Verfahrens – die Einhaltung unverzichtbarer elementarer Verfahrensprinzipien des deutschen Rechts, sondern als „Superrevisionsinstanz“ die Einhaltung des ausländischen Zustellungsrechts. Dies ist ein Systembruch, für den es keine plausible Erklärung gibt.375 aa) Einleitung des Prozesses im Erststaat Es kann vorkommen, dass der Beklagte von dem gegen ihn schwebenden Rechts- 2914 streit keine Kenntnis erlangt (weil ihn die Klageschrift nicht erreichte), und er deshalb nicht in der Lage war, sich zu verteidigen. Für die rechtstechnische Bewältigung dieses Komplexes ist die konturenarme ordre public-Klausel wenig geeignet. Die Praxis der Gerichte würde zu stark divergieren; deshalb gibt der Gesetzgeber dem Richter einigermaßen klare Maßstäbe an die Hand, die aber über das eigentliche Ziel, nämlich die Wahrung des rechtlichen Gehörs des Be-
374 S. auch Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007, 122 ff. 375 Der gleiche Strukturfehler findet sich in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ. Er wurde jedoch in Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a.F. und nun in Art. 45 I lit. b EuGVVO n.F. ausgemerzt. Nachdem der deutsche Gesetzgeber bei der Neufassung des § 328 I Nr. 2 ZPO schon einmal sich am Vorbild des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ orientiert hat, sollte er nicht zögern, auch die nunmehr reformierte Version der neuen VO in das nationale Anerkennungsrecht zu übernehmen. Zustimmend Gottwald in FS Schumann, 2001, 149, 157. S. auch R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 34 EuGVVO Rz. 90.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
klagten, hinausschießen. § 328 I Nr. 2 ZPO376 schreibt wie einst Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ eine doppelte Prüfung vor: Erstens muss die Zustellung der Ladung bzw. des das Verfahren einleitenden Schriftstücks nach dem Recht des Urteilsstaates wirksam erfolgt sein. Zum Zweiten kann die Anerkennung selbst bei ordnungsgemäßer Ladung versagt werden, wenn die Ladung dem Beklagten nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Gelungener ist dagegen die Fassung des Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. des Art. 34 Nr. 2 LugÜ.377 Danach wird die Anerkennung nur dann versagt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. 2915 Bei der Auslegung des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. des § 109 I Nr. 2 FamFG stehen unmittelbare Staatsinteressen nicht auf dem Spiel. Vielmehr sind (nur) die widerstreitenden Interessen der Parteien abzuwägen: Der Beklagte will nur solche Urteile gegen sich gelten lassen, die in Verfahren ergangen sind, von denen er so rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, dass er sich verteidigen konnte. Andererseits will der siegreiche Kläger nicht um die Früchte seines Sieges gebracht werden, nur weil das Gericht oder das Zustellungsorgan irgendeinen von ihm nicht zu vertretenden und von ihm auch nicht abwendbaren Formfehler begangen hat. Schließlich widerspräche es dem Grundanliegen des § 328 ZPO bzw. des § 109 FamFG, die internationale Urteilsanerkennung zu fördern, wollte man die Anerkennung an bloßen Formfragen scheitern lassen, obwohl feststeht, dass der Beklagte rechtzeitig vom Prozess Kenntnis erlangt hat. Deshalb darf die Auslegung des § 328 I Nr. 2 ZPO und des § 109 FamFG nicht in Förmelei erstarren. Eine teleologische Reduktion ist erforderlich.378 2916 Eventuelle Zustellungsmängel sind in Anwendung des in § 189 ZPO niedergelegten allgemeinen Rechtsgedankens als geheilt anzusehen, wenn der Beklagte das zuzustellende Schriftstück tatsächlich erhalten hat.379 Dies gilt auch dann, 376 Ebenso § 109 I Nr. 2 FamFG. 377 Hierzu Gottwald in FS Schumann, 2001, 149; Rauscher in FS Beys, 2003, 1285. 378 R. Geimer, IPRax 1985, 6; R. Geimer, IPRax 1988, 271; R. Geimer, IPRax 1992, 10; R. Geimer, EuZW 1991, 447; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 371. Dagegen Stürner, JZ 1992, 326. Wie hier tendenziell BGH v. 21.3.2001 – VIII ZR 244/00, MDR 2001, 889 = NJW 2001, 1946 = Rpfleger 2001, 360 und OLG Köln v. 6.12.2002 – C-123/91, IPRax 2004, 115 (R. Geimer 97) = IPRspr. 2002 Nr. 196. Zustimmend auch Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 87: „Der Zweck der Zustellung liegt heute in erster Linie in der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Beklagten (Mitteilungsfunktion) und in einer Beweisfunktion in Bezug auf die Verfahrenseinleitung; s. auch US Supreme Court: „… the core function of service is to supply notice of the pendancy of a legal action, in a manner and in a time that affords the defendant a fair opportunity to answer the complaint and present defenses and objections“, Henderson v. United States, 517 US 654, 656. 379 R. Geimer, NJW 1972, 1625; R. Geimer, NJW 1973, 2143; R. Geimer, EuZW 1990, 354; R. Geimer, LM § 328 ZPO Nr. 42; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, 298 ff., 323.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
wenn das Erstgericht mit der von ihm veranlassten Zustellung gegen völkerrechtliche Verträge oder gegen Völkergewohnheitsrecht verstoßen hat.380 (Vgl. auch Rz. 690, Rz. 2102 und Rz. 2920). Die h.M.381 will nur dann eine Heilung von Zustellungsmängeln zulassen, wenn 2917 eine solche das Recht des Erststaates vorsieht. Sicher ist die Zustellung ordnungsgemäß i.S. von § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG, wenn das Recht des Erststaates einen Fehler als geheilt ansieht. Darüber hinaus kommt aber der in § 189 ZPO niedergelegte Rechtsgedanke auch dann zum Tragen, wenn das Recht des Erststaates eine solche Vorschrift nicht oder nicht in dem gleichen Umfang wie § 189 ZPO kennt. § 189 ZPO ist also auch im Anerkennungsstadium mit Blick auf ausländische Entscheidungen anzuwenden. Daher fragt sich, ob es im Hinblick auf das Erfordernis der Rechtzeitigkeit sinn- 2918 voll ist, bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Klagezustellung auf das im Erststaat geltende Zustellungsrecht abzustellen. Denn diese Prüfung ist umständlich und zeitraubend und überfordert nicht selten den Zweitrichter. Vor allem hat sie nur akademische Bedeutung.382 Denn sie entscheidet letztlich nicht über Anerkennung oder Nichtanerkennung. Trotz ordnungsgemäßer Zustellung (nach dem Recht des Erststaates) kann die Anerkennung an dem „Rechtzeitigkeitserfordernis“ scheitern, zum anderen ist eine Anerkennung trotz Zustellungsmängeln möglich, wenn feststeht, dass der Zustellungsempfänger das zuzustellende Schriftstück (rechtzeitig) erhalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob das auch im Anerkennungsstadium durchzusetzende Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör im Erstprozess gewahrt worden ist.383 Klarer war insoweit ehedem § 193 II Nr. 3 DDR-ZPO: „Die Anerkennung ist ausgeschlossen, wenn der unterlegenen Prozesspartei das rechtliche Gehör infolge von Zustellungsmängeln oder sonstigen Verfahrensverstößen versagt war.“384
Zustellung (= körperliche Übergabe) an den Beklagten persönlich ist aus deut- 2919 scher Sicht nicht erforderlich. Es genügt Ersatzzustellung an Hausgenossen etc.385 Verlangt dagegen das Recht des Erststaates Zustellung „zu eigenen Händen“, wie 380 Vgl. EuGH v. 14.2.1972 – Rs. 52/69 – Geigy/Kommission, Slg. XVIII (1972), 787 (825). Hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 I 1, 327 Fn. 63. Vgl. auch die Nachw. bei G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 170. 381 Im Anschluss an EuGH v. 3.7.1990 – Rs. C-305/88 – Lancray/Peters, Slg. 1990, 2725 = RIW 1990, 927 = EuZW 1990, 352 (R. Geimer) = IPRax 1991, 177 (Rauscher 155) BGH v. 14.9.2011 (Rz. 2102a); BGH v. 20.9.1990 – XI ZB 1/88, NJW 1991, 641 = RIW 1990, 1010 = IPRspr. 1990 Nr. 200 und OLG Köln v. 12.4.1989 – 13 W 73/88, OLGZ 1990, 381 = NJWRR 1990, 127 = RIW 1990, 229; OLG Köln v. 8.12.1989 – 2 W 118/89, IPRax 1991, 114 (Linke 92) = IPRspr. 1989 Nr. 213; Stadler, IPRax 2002, 282 (285). 382 Daher wurde sie auch im Text des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO gestrichen. Hierzu Gottwald in FS Schumann, 2001, 149. 383 Ähnlich nun auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 383, 389. 384 Hierzu Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 53; Gottwald, IPRax 1984, 60. 385 BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 43/03, MDR 2004, 1196 = NJW 2004, 2386 = IPRax 2006, 47 (Hau 20) lässt jedoch Nachweis zu, dass die Person, der die Sendung übergeben wurde, nicht Bediensteter des Adressaten ist.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
z.B. bis 2009 das österreichische Recht386, dann ist die Zustellung nicht ordnungsgemäß i.S. von § 328 I Nr. 2 ZPO. Es ist jedoch – ohne Rücksicht auf Heilungsmöglichkeit nach dem Recht des Erststaates – Heilung analog § 189 ZPO möglich. Zustellung an Bevollmächtigten genügt,387 sofern Vollmacht wirksam und in ausreichendem Umfang erteilt ist.388 2920 Sieht das Recht des Erststaates – wie z.B. im österreichischen Rechtskreis üblich389 – die Zustellung an einen vom Erstgericht bestellten Zustellungsbevollmächtigten, Verfahrenspfleger oder Kurator vor, dann ist diese Form der Zustellung – da konform mit dem Recht des Erststaates – ordnungsgemäß i.S. von § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG. Doch fehlt es i.d.R. an der Rechtzeitigkeit, weil sich der Beklagte die Kenntnis des „Zwangsvertreters“ nicht zurechnen lassen muss. Ist die Zustellung an den „Zwangsvertreter“ durch das Recht des Erststaates nicht gedeckt, besteht Heilungsmöglichkeit nach § 189 ZPO, wenn der vom ausländischen Gericht bestellte Verfahrenspfleger (Kurator) die prozesseinleitende Ladung oder Verfügung dem Beklagten durch die Post oder auf andere Weise übermittelt hat.390 Da Deutschland der Postzustellung (Art. 6 HZPÜ, Art. 10 HZÜ) widersprochen hat (Rz. 2176), ist eine gleichwohl nach Deutschland veranlasste Zustellung durch die Post im Anwendungsbereich des Haager Zustellungsübereinkommens völkerrechtswidrig (Rz. 418). Trotzdem ist Anerkennung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Rz. 2768). Vielmehr ist Heilung nach § 189 ZPO zu prüfen.391 2921 Der Versagungsgrund des § 328 I Nr. 2 ZPO und des § 109 I Nr. 2 FamFG entfällt, wenn der Beklagte/Antragsgegner von dem gegen ihn laufenden erststaatlichen Verfahren Kenntnis erlangt hat und es ihm nach dem Recht des Erststaates möglich gewesen war, noch in den Prozess durch Einlegung von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen gegen eine bereits ergangene gerichtliche Entscheidung einzugreifen.392 In Betracht kommen nicht nur ordentliche Rechtsmittel, sondern 386 § 106 österr. ZPO a.F., § 21 österr. ZustellG. Hierzu z.B. Rechberger/Simotta, Grundriss des österr. Zivilprozessrechts – Erkenntnisverfahren7, Rz. 466; Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 168 ff., 205 f., 262 f. Zu § 106 österr. ZPO n.F. (BGBl. I 2009, 52) Frauenberger-Pfeiler, Das neue Zustellrecht aus österreichischer Sicht in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich II, 2009, 89, 103 m.w.N. 387 Bedenklich weit geht jedoch OLG Düsseldorf v. 28.5.1991 – 4 U 119/90, RIW 1991, 594 = VersR 1991, 1161 = IPRspr. 1992 Nr. 218a. Danach soll Zustellung an Strafverteidiger des Beklagten genügen. 388 Vgl. den Fall der LJV BW v. 22.12.2000, FamRZ 2001, 1379 = IPRspr. 2002 Nr. 202a und des OLG Stuttgart v. 30.1.2002 – 17 VA 4/01, IPRspr. 2002 Nr. 202b: Zustellung an (nicht bevollmächtigte) Mutter der Beklagten. 389 Hierzu z.B. Piekenbrock in FS Rolf Stürner, 2013, 405, 413. 390 A.A. BayObLG v. 24.11.1978, IPRspr. 1978 Nr. 176; OLG Hamm v. 7.3.1979, MDR 1979, 680 = IPRspr. 1979 Nr. 195 und 203; OLG Köln v. 29.2.1980 – 17 W 7/80, MDR 1980, 1030 = IPRspr. 1980 Nr. 164. 391 A.A. OLG Köln v. 25.5.1990 – 13 W 42/90, RIW 1990, 668 = EuZW 1990, 488 = IPRspr. 1990 Nr. 199. Differenzierend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 374. 392 R. Geimer, NJW 1973, 2143; R. Geimer, EuZW 1990, 352; R. Geimer, EuZW 1991, 445; R. Geimer, LM § 328 ZPO Nr. 42. Zustimmend OLG Köln v. 12.11.2001 – 16 W 27/01, OLGR 2002, 212 = IPRspr. 2005 Nr. 148a. Dieser Beschluss wurde jedoch vom BGH
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auch der außerordentliche Rechtsbehelf gem. Art. 16 HZÜ (Rz. 229) bzw. Art. 19 IV EuZustVO (Rz. 245c).393 In diesen Fällen hatte es der Beklagte in der Hand, sich rechtliches Gehör vor dem Erstgericht zu verschaffen. Sehr klar war schon Art. 2 Buchst. c Nr. 2 des deutsch-niederländischen Vertrages vom 30.8.1962394 formuliert. Danach ist der Einwand der nicht rechtzeitigen Ladung dann unbeachtlich, wenn „der Kläger nachweist, dass der Beklagte gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er davon Kenntnis erhalten hat“. Diese Regel findet sich auch in Art. 45 I (b) EuGVVO und in Art. 34 Nr. 2 LugÜ 2007 sowie in Art. 24 I (b) EuUnterhVO, ebenso auch in Art. 40 (b) EuErbVO. Sie fehlt aber im Text sowohl des EuGVÜ/LugÜ 1988 als auch des § 328 I Nr. 2 ZPO, ebenso wie in Art. 22 (b) und Art. 23 (c) EuEheVO. Gleichwohl kommt sie als allgemeines Rechtsprinzip der internationalen Urteilsanerkennung zum Zuge. Es kann nicht Aufgabe des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG sein, dem Beklagten/Verfahrensgegner zu ermöglichen, die Anerkennung dadurch zu verhindern, dass er am Erstprozess nicht teilnimmt und die ordnungsgemäße Zustellung vereitelt. Sonst wären die Regeln über die internationale Zuständigkeit entwertet. Ist der Erststaat international zuständig, so bedeutet dies (auch), dass aus deutscher Sicht der Beklagte dort sein Recht nehmen muss. Ist es dem Beklagten nach den Wertungen der einschlägigen Konvention bzw. des § 328 I Nr. 1 i.V.m. §§ 12 ff. ZPO bzw. des § 109 I Nr. 1 FamFG zumutbar, sich im Erststaat zu verteidigen, dann erscheint es im Interesse der Förderung des internationalen Rechtsverkehrs (Freizügigkeit der Urteile) richtig, diese abstrakte Gerichtspflichtigkeit auch konkret dahin zu verdichten, dass der Beklagte sich in den laufenden Erstprozess einschalten muss, will er nicht die Anerkennung der ausländischen Versäumnisentscheidung riskieren. Dies ist ein Unterfall des allgemeinen Grundsatzes, dass nur derjenige die ordre public-Widrigkeit des erststaatlichen Verfahrens vor dem Zweitrichter rügen kann, der alle ihm nach dem Recht des Erststaates zustehenden Möglichkeiten (erfolglos) ausgeschöpft hat, um die Unregelmäßigkeit des erststaatlichen Verfahrens durch die Gerichte des Erststaates beseitigen zu lassen (Rz. 2955). Beispiel: Die prozesseinleitende Verfügung des High Court of Justice395 wird dem in Deutschland wohnhaften Beklagten – etwa wegen einer Verzögerung durch die deutschen Rechtshilfebehörden – nicht rechtzeitig vor dem ersten Termin zugestellt. Kann er nun, wie es die h.M. behauptet, untätig dem Fortgang des Prozesses in London zuschauen, weil er weiß, dass wegen Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ das zu erwartende englische Urteil in Deutschland nie
kassiert, BGH v. 20.1.2005 – IX ZB 154/01, EuLF 2005, I-78 = InVo 2005, 427 = NJOZ 2005, 1301 = IPRspr. 2005 Nr. 148b; a.A. EuGH v. 12.11.1992 – Rs. C-123/91 – Minalmet/Brandeis, Slg. 1992, I-5661 = JZ 1993, 357 (Stürner) = RIW 1993, 65 = EuZW 1993, 39 = Rev. crit. 1993, 85; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 1993, 362. Dem EuGH folgt auch für § 328 ZPO BGH v. 2.12.1992 – XII ZB 64/91, LM § 328 ZPO Nr. 42 (R. Geimer); ebenso OLG Frankfurt v. 21.2.1991 – 20 W 154/90, MDR 1991, 900 = RIW 1991, 587; Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 36. 393 Hierzu z.B. auch Sengstschmid, (Österr.) Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren, 2009, 187 ff. 394 BGBl. II 1965, 27. 395 Hierzu näher von Rönn, Die Anwendung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens im Vereinigten Königreich, 1996, 53.
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Zwölfter Teil
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Aussicht auf Anerkennung hat? Trifft ihn – nicht auch internationalrechtlich – die prozessuale Last, den Ladungsmangel im englischen Prozess zu rügen und Vertagung zu erwirken? Diese Frage ist zu bejahen, und zwar bereits auch vor Inkrafttreten des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a.F. am 1.3.2002.
2922 Fazit: Hat der Beklagte zwar von der den Erstprozess einleitenden Ladung keine Kenntnis erlangt, etwa weil die Zustellung der Klage mittels öffentlicher Zustellung bzw. remise au parquet396 oder Zustellung an eine Ersatzperson oder einen vom Gericht bestellten Verfahrenspfleger erfolgte, aber in einem späteren Stadium des erststaatlichen Verfahrens erfahren, dass gegen ihn eine Klage im Erststaat anhängig ist, dann trägt er die prozessuale Last, sich in das Verfahren einzuschalten. Tut er dies nicht, so kann er sich im deutschen Zweitverfahren nicht auf § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG berufen.397 Der Bundesgerichtshof konnte sich aber dieser Sichtweise bisher nicht anschließen.398 2923 Die h.M.399 gibt dem Beklagten, der sich seiner Gerichtspflichtigkeit nicht stellen will (weil er im Gerichtsstaat kein nennenswertes Vermögen hat), ein leicht
396 Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig, EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-522/03 – Scania, NJW 2005, 3627 = RIW 2005, 940 = IPRax 2006, 157 (Stadler 116). Unter Hinweis auf dieses Urteil wird nunmehr auch die weitere Anwendbarkeit von § 184 ZPO im Anwendungsbereich des europäischen Unionsrechts verneint, Rz. 2082. 397 R. Geimer, NJW 1973, 2143; R. Geimer, IPRax 1985, 6; R. Geimer, IPRax 1988, 271; R. Geimer, EuZW 1990, 355; R. Geimer, EuZW 1991, 445; KG v. 20.2.1976, NJW 1977, 1016 (1018); LG Karlsruhe v. 14.5.1971, IPRspr. 1971 Nr. 146. Im Ergebnis übereinstimmend BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490 = MDR 1997, 574 = NJW 1997, 2051. Vgl. auch (innerstaatlich) BVerfG v. 20.7.1989 – 2 BvR 976/88, NJW 1990, 107; BVerfG v. 24.1.1991 – 2 BvR 1704/90, MDR 1991, 404 = NJW 1991, 1411; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 22 EheGVO Rz. 17. Anders (aber durch Art. 34 Nr. 2 EuGVVO überholt) EuGH v. 12.11.1992 – Rs. C-123/91 – Minalmet/Brandeis, Slg. 1992, I-5661 = JZ 1993, 357 (Stürner) = RIW 1993, 65 = EuZW 1993, 39 = Rev. crit. 1993; EuGH v. 10.10.1996 – Rs. C-78/95 – Bernardus Hendrikman und Maria Feyen/Magenta Druck & Verlag GmbH, Slg. 1996, I-4943 = NJW 1997, 1061 = IPRax 1997, 333 (Rauscher 314) = EuZW 1996, 732 = ZZPInt 1997, 136 (H. Roth) = Rev. crit. 1997, 555 (Droz) = Clunet 1997, 621 (Huet) = Riv.dir.int.priv.proc. 1997, 497 = [1996] All E.R. (EC) 121; BGH v. 2.12.1992 – XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305 = FamRZ 1993, 311 = BRAK 1993, 115 = MDR 1993, 146 = NJW 1993, 598 = JZ 1993, 618 (Schack) = JR 1993, 410 (Rauscher) = ZZP 106 (1993), 391 (Schütze) = LM § 328 ZPO Nr. 42 (R. Geimer) = EWiR 1993, 201 (Otte) = IPRspr. 1992 Nr. 239; BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999, 371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483 (484) = IPRspr. 1999 Nr. 154; OLG München v. 17.11.1994 – 6 U 2499/94, GRUR 1995, 836 und 1996, 144 = IPRspr. 1994 Nr. 170; OLG Hamm v. 5.2.2002 – 29 W 36/01, IPRax 2004, 258 (König 236) = IPRspr. 2002 Nr. 188; LJV BW v. 22.12.2000, FamRZ 2001, 1379 = IPRspr. 2002 Nr. 202a; OLG Stuttgart v. 30.1.2002 – 17 VA 4/01, IPRspr. 2002 Nr. 202b; Stürner, JZ 1992, 332; Braun, Der Beklagtenschutz nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, 1992, 175. 398 BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 2/03, MDR 2005, 177 = NJW 2004, 3189. 399 Nachw. z.B. bei Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 405.
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zu handhabendes Instrument, die Anerkennung in seinem Wohnsitzstaat und in anderen Staaten zu verhindern: Er muss – aus seiner Sicht – alles daran setzen, die ordnungsgemäße (unmittelbare) Zustellung zu verhindern. Schließlich ist ja bekannt, dass mitunter Vorstände von Aktiengesellschaften „geschlossen abtauchen“, um eine Ersatzzustellung zu bewirken.400 Hinzu kommt, dass das Zustellungsrecht mit vielen Formvorschriften befrachtet ist, die in der Praxis – aus Unachtsamkeit der Zustellungsorgane – oft verletzt werden. Dies bedeutet für den Kläger eine nicht zumutbare Verzögerung und oft auch Vereitelung des effektiven Rechtsschutzes. Er hat i.d.R. – mangels Beschwer – nach dem Recht des Erststaates keine Rechtsbehelfsmöglichkeiten, um Zustellungsfehler zu rügen.401 Nachdem der EuGH die Chance verpasst hatte, das EuGVÜ stimmiger und in 2924 sich schlüssiger zu interpretieren, musste der europäische Gesetzgeber eingreifen.402 Er hat die erste Alternative des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ 1988 stark abgeschwächt. Denn im zusammenwachsenden Europa müssen auch die nationalen Justizapparate miteinander vernetzt werden. Sie können nicht isoliert und beziehungslos nebeneinander stehen bleiben. Genauso wie der Streit über Zuständigkeitsfragen (grundsätzlich) im Erststaat konzentriert wird403, muss der Streit über diffizile Zustellungsfragen dort seinen Schwerpunkt haben. Nur wenn der Beklagte im Erststaat keine Möglichkeit hatte, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, sollte als „Notanker“ § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG greifen. Es kann aber auf die Dauer nicht angehen, dass ein nationaler Richter dem anderen nationalen Richter bescheinigt, sein Verfahren sei nicht ordnungsgemäß, da das rechtliche Gehör des Beklagten bei Verfahrenseinleitung verletzt worden sei, nur weil der Beklagte aus irgendwelchen taktischen Gründen es ablehnt, sich gegen die außerhalb seines Wohnsitzstaates erhobene Klage zu verteidigen und daher alles daransetzt, die (ordnungsgemäße) Zustellung in Frage zu stellen. Deshalb ist die neue Formulierung in Art. 45 I [b] EuGVVO, Art. 24 (b) EuUnterhVO, Art. 32 Nr. 2 LugÜ, Art. 40 (b) EuErbVO sehr gelungen.404 Umso mehr ist es zu bedauern, dass die Parallelbestimmungen in Art. 22 (b) und Art. 23 (c) EuEheVO auf halbem Wege stehen bleiben. Dort fehlt der Satz, dass derjenige sich auf den Versagungsgrund der nicht rechtzeitigen bzw. nicht ordnungsgemäßen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht berufen kann, der es versäumt hat, von den ihm im Erststaat zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.405
400 401 402 403
Vgl. auch G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 12. R. Geimer, EuZW 1991, 447. Wie bereits in den Vorauflagen dieses Buches gefordert. Art. 28 III 2 EuGVÜ/Art. 28 IV 2 LugÜ, Art. 45 III 2 EuGVVO, Art. 24 Satz 2 EuEheVO. 404 BGH v. 21.1.2010 – IX ZB 193/07, MDR 2010, 896 = FamRZ 2010, 1071 = NJW-RR 2010, 1001 = RIW 2010, 470 = IPRax 2011, 265 (Bach 241). 405 Diese Dichotomie der Versagungsgründe führt zu wenig überzeugenden Lösungen, wenn es um die Anerkennung von im Entscheidungsverbund ergangenen Eheurteilen geht. Für die Anerkennung der Statusentscheidung (Scheidung, also Trennung des Ehebandes) ist Art. 15 der VO (EG) Nr. 1347/2000 maßgeblich (vgl. Art. 1 I), ebenso für die Regelung der elterlichen Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehe-
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2925 Justizpolitisch ist der heutige Zustand mehr als unerfreulich, denn die Verweigerung der Anerkennung führt – unnötig – zu hinkenden Rechtsverhältnissen, zur Wiederholung der Prozesse (unnötige Belastung der Justiz) bzw. zu Rückforderungsprozessen. Die Ladung bzw. das verfahrenseinleitende Schriftstück braucht – entgegen der h.M. – nur in der Gerichtssprache des Erststaates übermittelt worden sein, auch wenn das im Erststaat maßgebliche Zustellungsrecht bzw. das einschlägige Übereinkommen eine Übersetzung vorschreibt.406 Auf die Einhaltung des erststaatlichen Zustellungsrechts hat der Erstrichter zu achten, nicht aber der Zweitrichter. Wird dem Beklagten eine Ladung eines Gerichts zugestellt, dann hat er es in der Hand, die notwendigen Schritte beim Erstgericht zu unternehmen, um der einschlägigen Vorschrift Geltung zu verschaffen.407 Im Übrigen verlangen das HZPÜ (Art. 2 Satz 2, Art. 3 II) und die bilateralen Rechtshilfeverträge/Zusatzvereinbarungen zum HZPÜ sowie das HZÜ (Art. 5 III) bei formloser Zustellung (§ 113 ZRHO) – anders als bei förmlicher Zustellung (§ 114 I ZRHO)408 – keine deutsche Übersetzung,409 (Rz. 245c). Großzügiger auch bei förmlichen Zustellungen sind Art. 5 I und Art. 8 I (b) EuZustVO. Danach genügt die Abfassung in einer Sprache des Übermittlungsstaates, welche der Empfänger versteht. Der in Berlin wohnende Franzose, welcher der deutschen Sprache unkundig ist, kann danach nicht eine deutsche Übersetzung verlangen, wenn ihm ein französisches Gericht ein Schriftstück in seiner Muttersprache übersendet.
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gatten, nicht jedoch für den unterhaltsrechtlichen Teil der Entscheidung. Hier kommt Art. 34 Nr. 2 EuGVVO zum Zuge; für die sonstigen Scheidungsfolgen verbleibt es – soweit nicht eine staatsvertragliche Sonderregelung eingreift – beim autonomen Recht des § 328 I Nr. 2 ZPO. Zu den verschiedenen Rechtsquellen bei der Anerkennung von Eheverbunds-Entscheidungen R. Geimer, IPRax 1994, 5. Z.B. Art. IV EuGVÜ/LugÜ-Protokoll und die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 5 III HZÜ (BT-Drucks. 7/4892, 44; Pfeil-Kammerer, Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr in Zivilsachen, 1987, 103) i.V.m. § 3 AusfG, hierzu OLG Hamm v. 27.11.1987 – 20 W 34/87, RIW 1988, 131; BGH v. 17.12.1987 – IX ZB 18/87, RIW 1988, 300; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 47. R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 131. Differenzierend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 397 ff. Anders die h.M., z.B. BGH v. 2.12.1992 – XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305 = BRAK 1993, 115 = MDR 1993, 146 = FamRZ 1993, 311; BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 43/03, MDR 2004, 1196 = NJW 2004, 2386 = IPRax 2006, 47 (Hau 20). OLG Düsseldorf v. 2.9.1998 – 3 W 148/98, RIW 1999, 464 = IPRax 2000, 307 (Hüßtege 289) = IPRspr. 1998 Nr. 181. OLG Frankfurt v. 27.5.1986 – 20 W 116/86, RIW 1987, 627 = IPRspr. 1986 Nr. 177; OLG Bamberg v. 18.12.1986 – 4 W 57/86, RIW 1987, 541 (Gerth) = WM 1987, 541 = IPRspr. 1986 Nr. 185; BGH v. 17.12.1987 – IX ZB 18/87, RIW 1988, 300 = WM 1988, 1208 = IPRspr. 1987 Nr. 160; OLG Koblenz v. 3.12.1990 – 2 U 42/90, RIW 1991, 860 = EuZW 1991, 157 = IPRspr. 1990 Nr. 203; OLG Koblenz v. 10.6.1991 – 2 U 123/91, RIW 1991, 667 (668) = IPRspr. 1991 Nr. 207. Näher G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 93.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Im Stadium der Anerkennung genügt es also, wenn das verfahrenseinleitende 2926 Schriftstück in der Gerichtssprache des Erststaates zugestellt worden war. Das Fehlen einer Übersetzung ist für sich allein noch kein Versagungsgrund.410 Allerdings ist in solchen Fällen die Rechtzeitigkeit der Zustellung genau zu prüfen; denn dem Beklagten muss der für eine Übersetzung notwendige Zeitraum zur Verfügung gestanden haben.411 Mit diesem Regulativ lassen sich viel bessere und sachgerechtere Ergebnisse erzielen als mit der starren Linie des EuGH412 und des BGH.413 Wenn es tatsächlich den armen sprachunkundigen Laien in der tiefen Provinz gibt, der die ihm (tatsächlich) zugegangene Klageschrift bzw. Ladung vor ein ausländisches Gericht als solche nicht erkennt und auch bei vernünftiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht erkennen kann, kann ihm geholfen werden. Wer aber weiß, dass ihm eine Klage droht, dem wird z.B. nicht abgenommen, er habe nicht gewusst oder wissen können, was ein „dag vaarding“ ist, jedenfalls dann, wenn er als (mittelständischer) Unternehmer bei den (früheren) Verhandlungen mit dem Kläger keinerlei Verständigungsprobleme hatte.
410 BayObLG v. 29.11.1974, BayObLGZ 1974, 471 = FamRZ 1975, 215 (R. Geimer) = IPRspr. 1974 Nr. 187; OLG Düsseldorf v. 19.10.1984 – 3 W 319/84, MDR 1985, 242 = RIW 1985, 493 = IPRax 1985, 289 = IPRspr. 1984 Nr. 180; OLG Bamberg v. 18.12.1986 – 4 W 57/86, RIW 1987, 541 (Gerth) = WM 1987, 638 = IPRspr. 1986 Nr. 185; OLG Frankfurt v. 27.5.1986 – 20 W 116/86, RIW 1987, 627 = IPRax 1992, 169 (Nagel 150) = IPRspr. 1986 Nr. 177. Zutreffend weist OLG Oldenburg v. 22.8.1991 – 1 W 74/91, RIW 1991, 950 = IPRax 1992, 169 (Nagel 150) = IPRspr. 1991 Nr. 209 darauf hin, dass die remise au parquet eine reine Inlandszustellung ist, vergleichbar mit der nach § 184 ZPO. Die Übersendung einer Kopie des bei der Staatsanwaltschaft niedergelegten Schriftstücks ist lediglich eine Benachrichtigung (notification) über die im Erststaat bereits durchgeführte Zustellung (signification). Die Übermittlung einer Übersetzung ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung in Frankreich, die nach Art. 686 Nouveau Code de procédure civile eine Inlandszustellung ist, OLG Saarbrücken v. 24.11.1997 – 5 W 282/97 - 94, 5 W 282/97, RIW 1998, 632. Deshalb spricht Art. 1 der deutsch-französischen Zusatzvereinbarung nur im Verhältnis Deutschland – Frankreich von Zustellung (signification), nicht jedoch in umgekehrter Richtung Frankreich – Deutschland. Hier ist nur die Rede von Schriftstücken, die für Personen in Deutschland bestimmt sind. Das Wort „Zustellung“ wird vermieden, weil diese bereits in Frankreich erfolgt ist, Nagel, IPRax 1992, 151; G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 31 ff. A.A. OLG Stuttgart v. 3.2.1983 – 8 W 429/82, IPRspr. 1983 Nr. 173; Schack, IZVR6, Rz. 937. Das OLG Karlsruhe v. 12.3.1999 – 9 W 69/97, RIW 1999, 538 = IPRspr. 1999 Nr. 157 sieht einen Verstoß gegen Art. 12 EGV (nunmehr; Art. 18 AEUV), da typischerweise Ausländer betroffen seien. 411 Ähnlich Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 72. 412 EuGH v. 3.7.1990 – Rs. C-305/88 – Lancray/Peters, Slg. 1990, 2725 = RIW 1990, 927 = EuZW 1990, 352 (R. Geimer) = IPRax 1991, 177 (Rauscher 155) = Rev. crit. 1991, 161 (Droz). 413 BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (700) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2927 Verfahrenseinleitendes Schriftstück ist das nach der jeweiligen Verfahrensordnung des Gerichtsstaats vorgesehene Schriftstück, durch welches der Beklagte bzw. Antragsgegner offiziell von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangen soll414, z.B. die Ladung nach Art. 53 franz. Nouveau Code de procédure civile, dagvaarding nach belgischem und niederländischem Recht (= Klageschrift, verbunden mit der Ladung zum Termin).415 Eine bloße Ladung mit der Aufforderung zur Einlassung genügt (unter den Voraussetzungen der Rz. 2927b) ebenso wie umgekehrt die Zustellung einer Klageschrift, auch die Ladung zu einem Vortermin oder die Zustellung eines Mahnbescheides.416 Ob die Ladung durch den Kläger bzw. Antragsteller oder das Gericht erfolgt, ist gleichgültig, ebenso ob die Zustellung im Parteibetrieb oder von Amts wegen durchgeführt wird. 2927a Über den Inhalt des verfahrenseinleitenden Schriftstücks sagen § 328 I Nr. 2 ZPO und § 109 I Nr. 2 FamFG nichts.417 Hält man allein das nationale Recht des jeweiligen Gerichtsstaates für die Modalitäten der Verfahrenseröffnung für maßgeblich, so hätte dies auch für den Inhalt des das Verfahren einleitenden Schriftstücks zu gelten. Diesem Ansatz418 ist der EuGH für den Bereich des EuGVÜ nicht gefolgt. Er hat gewisse Mindestanforderungen für den Inhalt des verfahrenseröffnenden Schriftstücks aufgestellt:419 Da dem Beklagten die Möglichkeit einer sorgsamen Verteidigung gesichert werden müsse, gehöre es zum notwendigen Inhalt eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks, dass der Beklagte über „die Elemente des Rechtsstreits in Kenntnis gesetzt worden ist.“ Deshalb müssen ihm die wesentlichen Klagegründe mitgeteilt werden.420 Die Zustellung des claim form im englischen Zivilprozess reicht danach nicht aus. Erforderlich ist 414 Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 45; Verwilghen-Bericht Nr. 70; Martiny in Handbuch IZVR III/2, 1984, Kap. II Rz. 365; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 378; OLG Koblenz v. 10.6.1991 – 2 U 123/91, RIW 1991, 667 (668) = IPRspr. 1991 Nr. 207. 415 Art. 700 belg. Code Judiciaire, Art. 1 niederl. Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering, OLG Köln v. 23.1.2002 – 16 W 23/01, InVo 2002, 522 = IPRspr. 2002 Nr. 185. S. auch Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 31. 416 EuGH v. 13.7.1995 – Rs. C-474/93 – Hengst Import BV/Anna Maria Campese, Slg. 1995, I-2113 = EuZW 1995, 803 = EWS 1995, 308 betreffend das decreto ingiuntivo i.S. von Art. 633–656 Codice di procedura civile. S. auch OLG Celle v. 3.1.2007 – 8 W 86/06, NJW-RR 2007, 718 = InVo 2007, 251 = IPRspr. 2007 Nr. 192. Dieses ist zusammen mit der verfahrenseinleitenden Antragsschrift als ein „dieses Verfahren einleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ i.S. des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bzw. nunmehr des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO anzusehen. Hierzu Jayme/Kohler, IPRax 1995, 349 und Kruis, IPRax 2001, 56. Zum Zahlungsbefehl des österr. Mahnverfahrens OLG Bdb. v. 23.4.1998 – 8 W 15/98, IPRspr. 1998 Nr. 186. 417 Ebenso Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ, Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a.F. Art. 45 I (b) EuGVVO n.F., Art. 22 (b) und Art. 23 (c) EuEheVO. 418 Z.B. von Hüßtege, IPRax 2000, 289 (290). 419 S. auch Art. 16 EuVTVO, Art. 7 EuMahnVO, Art. 4 EuBagatellVO. 420 EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993, I-1963 – Rz. 39 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (Heß 10); EuGH v. 8.5.2008 – Rs. C-14/07 – Ingenieurbüro Weiss/IHK Berlin, RIW 2008, 462 = IPRax 2008, 419 (Heß 400).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
vielmehr auch die Zustellung des statement of claim.421 Es wäre konsequent, wenn der EuGH für Auskunfts- bzw. Stufenklagen weitere Anforderungen aufstellen würde, um eine für den Beklagten möglichst überschaubare Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes zu erreichen. Die EuGH-Rspr. sollten die deutschen Gerichte auch für die Auslegung des § 328 I Nr. 2 ZPO und mutatis mutandis auch für § 109 I Nr. 2 FamFG übernehmen. Eine bloße Ladung genügt, sofern sich für den Geladenen hinreichend deutlich 2927b ergibt, dass das Verfahren gegen ihn gerichtet ist und um welchen Gegenstand es geht. Ein bestimmter Klageantrag ist nicht erforderlich.422 Es reicht aus, wenn der Beklagte aufgrund der Angaben im klageeinleitenden Schriftstück die Entscheidung sachgerecht zu treffen vermag, ob er sich auf das im Ausland schwebende Verfahren einlassen will oder nicht.423 Ist das erststaatliche Verfahren ordnungsgemäß eröffnet, dann ist der Schutz- 2927c bereich des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG „erschöpft“. Die weitere Kontrolle des erststaatlichen Verfahrens erfolgt über die ordre public-Klausel des § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG (Rz. 2945). § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG gilt deshalb nicht für klageerweitern- 2927d de bzw. klageändernde Schriftsätze.424 Auch der Vollstreckungsbescheid fällt – beim zweistufigen Mahnverfahren (Rz. 2944) – nicht mehr unter § 328 I Nr. 2 ZPO.425 Allerdings genügt Zustellung der Strafklage nicht, wenn (nachher) im Adhäsi- 2927e onsverfahren auch zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden (Rz. 2077). Die allgemeine Möglichkeit, dass nach dem Recht des Erststaates die Zivilklage mit der Strafklage verbunden werden kann, reicht nicht aus.426
421 R. Geimer in FS Schweizer, 1999, 175, 183. 422 BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (7009 = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160. 423 Weitergehend Art. 6 des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens (UVÜ); danach muss das verfahrenseinleitende Schriftstück „mit den wesentlichen Klagegründen“ zugestellt worden sein, OLG Hamm v. 23.1.1996, IPRspr. 1996 Nr. 185; Verwilghen-Bericht Nr. 70; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 45. Umfassende Nachw. bei M. Frank, Das verfahrenseinleitende Schriftstück in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, LugÜ und in Art. 6 Haager Unterhaltsübereinkommen 1973, 1998. 424 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 118; a.A. Stürner, JZ 1992, 325 (332); Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 18 EheGVO Rz. 96. 425 So zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ EuGH v. 16.6.1981 – Rs. C-166/80 – Klomps/Michel, Slg. 1981, 1593 = RIW 1981, 781 = IPRax 1982, 14 (Nagel 5) = Rev. crit. 1981, 726 (Mezger) = Clunet 1981, 893 (Huet) = Riv. dir. int. priv. proc. 1982, 141. 426 Stürner, JZ 1992, 333. A.A. EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993, I-1963 Nr. 44 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (Heß 10, 16); Kropholler, EuZPR8, Art. 27 Rz. 25 („vorhersehbar“); ausführlich M. Frank, Das verfahrenseinleitende Schriftstück in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, LugÜ und in Art. 6 Haager Unterhaltsübereinkommen 1973, 1998, 188 ff.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2927f Wird ein weiterer Beklagter in das Verfahren miteinbezogen, dann muss ihm das Schriftstück, das sich auf seinen Verfahrenseintritt bezieht, nach Maßgabe von § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG zugestellt worden sein. 2928 Trotz ordnungsgemäßer Zustellung ist nicht auszuschließen, dass der Beklagte von dem Erstprozess keine Kenntnis erhalten hat und ihm deshalb das rechtliche Gehör bei Eröffnung des Verfahrens abgeschnitten wird. In Betracht kommen vor allem die Fälle der öffentlichen Zustellung oder der remise au parquet.427 Auch bei Ersatzzustellungen428 ist nicht sichergestellt, dass der Beklagte (= Zustellungsadressat) tatsächlich Kenntnis vom Zustellungsvorgang und vom Inhalt der zugestellten Schriftstücke erhält. Deshalb sieht § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG eine zusätzliche Sicherung vor: Die Anerkennung ist zu versagen, wenn das den Erstprozess einleitende Schriftstück dem Beklagten nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich hätte verteidigen bzw. seine Rechte hätte wahrnehmen können. Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift, die im Interesse der Rechtssicherheit eng auszulegen ist: Sobald feststeht, dass die Möglichkeit bestand, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, scheidet dieser Versagungsgrund aus.429 Eine Zustellung ist daher auch dann rechtzeitig, wenn dem Beklagten zwar eine verhältnismäßig kurze Erwiderungsfrist gesetzt wurde, diese aber nach dem erststaatlichen Recht aufgrund begründeten Antrags ausreichend verlängert wird.430 2928a Bei fiktiven Zustellungsformen stellt sich im Zusammenhang mit dem Rechtzeitigkeitserfordernis die Frage, ob es überhaupt eine Möglichkeit der rechtzeitigen Verteidigung gibt, wenn feststeht, dass der Beklagte von der gegen ihn im Erststaat erhobenen Klage keine Kenntnis erlangt hat. Anders als in manchen (älte-
427 Im Anwendungsbereich des Art. IV des EuGVÜ-Protokolls und der EuZustVO ist die remise au parquet nicht mehr zulässig, Rz. 2082. 428 Z.B. §§ 178–181 ZPO, §§ 181–185 ZPO FRCP 4 [d] 1. Nachw. hierzu z.B. bei Hopt/ Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 78, 85. 429 Anders EuGH v. 27.11.1992 – Rs. C-123/91 – Minalmet/Brandeis, Slg. 1992, I-5661 = EuGH v. 12.11.1992 – Rs. C-123/91, JZ 1993, 357 (Stürner) = RIW 1993, 65 = EuZW 1993, 39 = Rev. crit. 1993, 85; EuGH v. 10.10.1996 – Rs. C-78/95 – Hendrikman und Feyen/Magenta Druck & Verlag GmbH, Slg. 1996, I-4943 = NJW 1997, 1061 = IPRax 1997, 333 (Rauscher 314) = EuZW 1996, 732 = ZZPInt 1997, 136 (H. Roth) = Rev. crit. 1997, 555 (Droz) = Clunet 1997, 621 (Huet) = Riv.dir.int.priv.proc. 1997, 497 = [1996] All E.R. (EC) 121; BGH v. 23.1.1986 – IX ZB 38/85, MDR 1986, 752 = RIW 1986, 302 = NJW 1986, 2196 = IPRax 1986, 366 (Walter 349); BGH v. 2.12.1992 – XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305 = NJW 1993, 598 = RIW 1993, 232 = LM § 328 ZPO Nr. 42 (R. Geimer); Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 406. 430 BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (701) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160; Vorinstanz: OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, IPRspr. 1997 Nr. 133. S. auch BayObLG v. 13.3.2002 – 3Z BR 371/01, FamRZ 2002, 1423 = IPRspr. 2002 Nr. 204.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
ren) Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen431 wird die öffentliche Zustellung in neueren Rechtsinstrumenten nicht verbis expressis als absolutes Anerkennungshindernis apostrophiert. Gleichwohl sehen hier einige ein nicht überwindbares Hindernis für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der ausländischen Versäumnisentscheidung, wenn diese dem Beklagten nicht zur Kenntnis gelangt ist.432 Der Bundesgerichtshof433 lässt dagegen zu Recht eine „Fiktion der Kenntnisnahme“ unter bestimmten Voraussetzungen genügen und stellt klar, dass die öffentliche Zustellung „kein generelles Anerkennungshindernis“ darstellt, weil „auch im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr nicht derjenige Schuldner begünstigt werden solle, der sich der Rspr. im Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht.“ Er verlangt eine Abwägung zwischen den schützenswerten Interessen des Gläubigers und des Schuldners bei der Beantwortung der Frage, ob im konkreten Einzelfall der am ausländischen Erkenntnisverfahren nicht beteiligte Beklagte sich im Exequaturverfahren „auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffektivität der (ordnungsgemäßen) fiktiven Zustellung berufen kann“.434 Insbesondere kann regelmäßig vermutet werden, dass eine Zustellung an die letzte bekannte Adresse rechtzeitig erfolgt ist.435 Im Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsstadium ist ein dem Beklagten zurechenbares Verhalten als einer der Umstände zu berücksichtigen, anhand deren festzustellen ist, ob die Zustellung „rechtzeitig“ erfolgt ist.436 So ist es zumutbar und zu fordern, z.B. durch einen Postnachsendeauftrag sicherzustellen, dass den Beklagten Zustellungen unter der neuen Anschrift sicher erreichen.437 Dies ist verfassungskonform und vereinbar mit der international-menschen- 2928b rechtlichen bzw. unionsrechtlichen Garantie eines fairen Verfahrens in Art. 6
431 Zusammenstellung bei G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 145 Fn. 73. 432 Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 384; Gottwald in MüKo.ZPO4, § 328 ZPO Rz. 83. Flexibler argumentiert Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 37: Bei öffentlicher Zustellung müsse zwar im Grundsatz der Beklagte „genügend Zeit haben, einen Anwalt zu konsultieren, der auf ausländische Prozessführung spezialisiert ist. Dieser wiederum muss in der Lage sein, in der bestimmten Frist zu einem erststaatlichen Anwalt Kontakt aufzunehmen“. … Dabei müsse man jedoch immer das Interesse des Klägers berücksichtigen. „Flüchtet sich der Beklagte an einen unbekannten Aufenthaltsort, um der Zustellung zu entgehen, dann sei auch eine fiktive Zustellung rechtzeitig“. 433 BGH v. 28.11.2007 – XII ZB 217/05, NJW 2008, 1531 = FamRZ 2008, 390 = MDR 2008, 333 = BGHR 2008, 391 = IHR 2008, 74 = LMK 2008, 253019 (Geimer) = IPRspr. 2007 Nr. 179 = IPRax 2010, 360 (Heiderhoff 343). 434 Ebenso im Ergebnis OLG München v. 11.12.2007 – 25 W 2462/07, OLGR 2008, 272. 435 EuGH v. 11.6.1985 – Rs. C-49/84 – Debaeker/Bouwman, Slg. 1985, 1779 = RIW 1985, 967 (970) – Rz. 31. 436 EuGH v. 11.6.1985 – Rs. C-49/84 – Debaeker/Bouwman, Slg. 1985, 1779 = RIW 1985, 967 (970) – Rz. 32. S. auch BGH v. 2.10.1991 – IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1239. 437 OLG München v. 11.12.2007 – 25 W 2462/07, OLGR 2008, 272.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
EMRK bzw. in Art. 47 II EuGrCh. Denn dem Recht auf ein faires Verfahren ist die Notwendigkeit eines balancing test inhärent:438 Die Verfahrensrechte des Beklagten dürfen nicht verabsolutiert werden. Sie stehen nur auf der einen Seite der Medaille „faires Verfahren“. Auf deren anderen Seite sind die Rechte des Klägers eingraviert; diese lauten: Justizgewährung und effizienter Rechtsschutz in angemessener Zeit. Daher steht die These vom absoluten Anerkennungshindernis verfassungs- und international-menschenrechtlich auf tönernen Füßen.439 2929 Der Zweitrichter kann im Zweifel davon ausgehen, dass ein Beklagter seine Verteidigung bereits dann vorbereiten kann, wenn das das Verfahren einleitende Schriftstück seinen Wohnsitz erreicht hat. Er kann sich auf die Prüfung beschränken, ob der von dem Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Zustellung an zu berechnende Zeitraum dem Beklagten ausreichend Zeit für seine Verteidigung gelassen hat. Auf Rüge des Beklagten hat der Zweitrichter jedoch zu untersuchen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche die Annahme nahe legen, dass die Zustellung, obgleich ordnungsgemäß erfolgt, dennoch nicht genügte, um den Beklagten in die Lage zu versetzen, Schritte zu seiner Verteidigung einzuleiten.440 Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, wie z.B. Art und Weise der Zustellung (Fehlen des Vornamens des Zustellungsadressaten)441, Beziehung zwischen den Parteien (z.B. ständige Geschäftsbeziehung), die Art der Maßnahmen, die zur Vermeidung der Versäumnisentscheidung einzuleiten waren. Wurde die verfahrenseinleitende Zustellung durch Niederlegung vollzogen und hat deshalb das zuzustellende Schriftstück den Beklagten nicht erreicht, hat aber der Kläger während des erststaatlichen Erkenntnisverfahrens von der neuen Adresse des Beklagten erfahren, dies aber dem Gericht nicht mitgeteilt, so dass ein erneuter Zustellungsversuch unterblieb und Versäumnisurteil erging, so will der EuGH442 ebenfalls auf die Umstände des Einzelfalls abstellen.443
438 G. Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, 12. 439 R. Geimer, LMK 2008, 253019 (46, 51). 440 EuGH v. 11.6.1985 – Rs. C-49/84 – Debaeker/Bouwman, Slg. 1985, 1779 = NJW 1986, 1425 (L) = RIW 1985, 967. 441 OLG Düsseldorf v. 13.12.1984 – 3 W 278/84, 3 W 290/84, RIW 1985, 897 = IPRspr. 1984 Nr. 182. 442 EuGH v. 11.6.1985, a.a.O. S. auch EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-619/10 – Trade Agency Ltd./Seramico Instruments Ltd., IPRax 2013, 427 (H. Roth 402). 443 Beispiel: Beklagter befindet sich im Ausland in Haft und kann deshalb seine Verteidigung nicht organisieren, BayObLG v. 11.10.1999 – 1Z BR 44/99, FamRZ 2000, 1170 = IPRspr. 1999 Nr. 172. Vgl. auch OLG Köln v. 14.1.2000 – 22 W 19/99, Insolvenz & Vollstreckung 2000, 324 = IPRspr. 2000 Nr. 147; OLG München v. 11.12.2007 – 25 W 2462/07, OLGR 2008, 272. S. auch R. Geimer, LMK 2008, 253019 (46).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Bei der Prüfung des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG ist der deutsche 2930 Richter an die Feststellungen des Erstrichters nicht gebunden.444 Die von § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG und früher von Art. 27 2931 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ 1988 vorgeschriebene Prüfung, ob das erststaatliche Zustellungsrecht bei Beginn des ausländischen Prozesses eingehalten worden ist,445 findet nur statt, wenn der Beklagte „sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat“. Dem Begriff „Einlassung“ kommt mithin eine zentrale Bedeutung im internationalen Anerkennungsrecht zu. Er darf nicht verwechselt werden mit der kompetenzbegründenden Einlassung gem. § 39 ZPO (Rz. 1397). Der Begriff Einlassung ist im Hinblick auf den Normzweck weit auszulegen.446 2932 § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG447 will den Anspruch auf rechtliches Gehör sichern, nicht aber dem böswilligen Schuldner einen bequemen Weg eröffnen, die Anerkennung unter Berufung auf die Nichteinhaltung solcher Formalien verhindern zu können, die seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht tangieren.448 Einlassung ist jede Handlung, durch die der Beklagte sich gegen den Angriff des Klägers verteidigt, aber auch jede über die bloße Passivität hinausgehende Reaktion des Beklagten, aus der sich ergibt, dass er von der gegen ihn erhobenen Klage Kenntnis erlangt hat.449 Ob die Handlung des Beklagten nach dem Recht des Erststaates relevant ist oder nicht, spielt keine Rolle. Beispiel: 2933 Gegen einen im Inland ansässigen Beklagten wird im Ausland Klage erhoben. Der Anwalt des Beklagten schreibt dem Anwalt des Klägers, seine Partei erkenne den Klageanspruch an; im Interesse der Kostenersparnis werde er keinen Anwalt im Gerichtsstaat beauftragen, es solle vielmehr Versäumnisurteil ergehen. Hier kann sich der Beklagte/Antragsgegner auf den Versagungsgrund des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG nicht berufen.450 Das Gleiche gilt, wenn der Beklagte gegen in seiner Abwesenheit ergangene Entscheidung
444 Ebenso EuGH v. 15.7.1982 – Rs. C-228/81 – Pendy Plastic/Pluspunkt, Slg. 1982, 2723 = IPRax 1985, 25 (R. Geimer 6) = Rev. crit. 1983, 521 (Droz) = Clunet 1982, 960 (Huet) = Riv.dir. int priv. proc. 1982, 884; vgl. auch R. Geimer in FS Schütze, 1999, 205, 208. 445 Anders nunmehr Art. 34 Nr. 2 EuGVVO sowie Art. 22 (b) und Art. 23 (c) der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, s. Rz. 245c). 446 Zustimmend OLG Köln v. 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2006, 222 = IPRspr. 2004 Nr. 155. Enger wohl Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 29. 447 An die Stelle der „Einlassung“ tritt in § 109 I Nr. 2 FamFG die „Äußerung zur Hauptsache“. 448 Enger LJV BW v. 31.5.1990, FamRZ 1990, 1015 (1018) = IPRspr. 1990 Nr. 219; OLG Köln v. 8.12.1989 – 2 W 118/89, IPRax 1991, 114 (Linke 92). 449 Zu Recht betont OLG Hamm v. 5.7.1978, RIW 1978, 689 = IPRspr. 1978 Nr. 162, dass aus jeder „Meldung“ bei dem ausländischen Gericht klar wird, dass die beklagte Partei die Ladung erhalten hat. Vgl. auch OLG Hamm v. 28.12.1993 – 20 W 19/93, NJWRR 1995, 189 = RIW 1994, 243 = IPRspr. 1993 Nr. 182; OLG Düsseldorf v. 18.9.1996 – 3 W 264/96, RIW 1996, 1043 = IPRspr. 1996 Nr. 181. 450 Zustimmend Gottwald in MüKo.ZPO4, § 328 Rz. 84.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Rechtsmittel einlegt.451 Nach h.M. liegt dagegen noch keine Einlassung vor, wenn der Beklagte im erststaatlichen Verfahren nur die nach dem Recht des Erststaates mangelhafte Zustellung rügt452 oder die internationale Zuständigkeit des Gerichtsstaates bestreitet.453 Dem hat zu Recht der BGH widersprochen.454
2934 Die für den Beklagten von einem ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen vom ausländischen Gericht bestellten Verfahrenspfleger (Kurator, Rz. 2920) vorgenommenen Prozesshandlungen stellen keine Einlassung i.S. des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG dar, auch wenn dieser außerhalb des Verfahrens mit einem von dem Beklagten bevollmächtigten Anwalt korrespondiert hat.455 Hat sich der Beklagte im vorstehenden Sinne eingelassen, dann entfällt das Anerkennungshindernis des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG ohne Rücksicht darauf, ob er sich am Verfahren beteiligt hat. Dies gilt auch, wenn der vom Beklagten beauftragte Rechtsanwalt im Laufe des Verfahrens sein Mandat niederlegt und deshalb Versäumnisurteil ergeht.456 2934a Falsus procurator – Auftreten eines angeblich mandatierten Vertreters des Beklagten im Erstverfahren: Unter § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG und unter Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ sind auch die Fälle zu subsumieren, in denen im Erstverfahren für den Beklagten ein falsus procurator auftritt, z.B. ein Anwalt, welchen der Beklagte nicht beauftragt hatte. Denn ein Beklagter, der von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren keine Kenntnis hat und für den vor dem Gericht des Urteilsstaates ein Rechtsanwalt oder sonstiger Prozessvertreter erscheint, den er nicht beauftragt hat, ist – ohne Rücksicht auf die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nach dem Recht des Erststaates – außerstan-
451 BayObLG v. 7.5.2003 – 3Z BR 177/02, FamRZ 2004, 274 (275). 452 EuGH v. 14.10.2004 – Rs. C-39/02 – Moersk Oliek Gas As/de Haan en de Boer, Slg. I 2004, 9686 = IPRax 2006, 262; BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 2/03, NJW 2004, 3189; LJV BW v. 31.5.1990, FamRZ 1990, 1015 = IPRspr. 1990 Nr. 219. 453 Nachw. z.B. bei Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 82. 454 BGH v. 15.5.2014 – IX ZB 26/13, NJW 2014, 2365: Nach Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ kann eine Entscheidung auf Antrag des Beklagten nicht anerkannt werden, wenn ihm, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Daher sind die Verteidigungsrechte, die durch Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ geschützt werden sollen, erst recht gewahrt, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung tatsächlich einen Rechtsbehelf eingelegt hat, mit dem er geltend machen konnte, ihm sei das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich habe verteidigen können. Zu solchen Rechtsbehelfen zählt der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil. 455 BayObLG v. 24.11.1978, IPRspr. 1978 Nr. 176; OLG Hamm v. 27.7.1995 – 4 UF 221/95, NJW-RR 1996, 773 = FamRZ 1996, 178 = IPRspr. 1995 Nr. 175; OLG Hamm v. 7.12.1995 – 4 UF 221/95, FamRZ 1996, 951 (952) = IPRspr. 1995 Nr. 176. Zu prüfen ist aber, ob nicht eine Heilung nach § 187 ZPO eingetreten ist. 456 BGH v. 19.9.1977, RIW 1978, 410 (411) = NJW 1978, 1115; OLG Karlsruhe v. 3.12.1990 – 12 W 46/90, RIW 1991, 859.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
de, sich zu verteidigen.457 Im Übrigen gelten die vorstehenden Erwägungen auch hier. Verfahrenseinheit: Wurde die verfahrenseinleitende Ladung oder Verfügung für 2935 ein Vorverfahren dem Beklagten ordnungsgemäß zugestellt, dann hat er selbst dafür zu sorgen, dass er in dem anschließenden Verfahren gehört wird. Eine erneute Prüfung der Kautelen des § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG in Bezug auf das anschließende Verfahren ist nicht erforderlich.458 Wurde der ausländische Prozess mit einer Strafklage begonnen und wurde im 2936 Strafprozess später auch eine nur locker damit verbundene Zivilklage erhoben, muss diese nach § 328 I Nr. 2 ZPO zugestellt worden sein. Anders ist es in (§ 404 StPO ähnlichen) enger strukturierten Konstellationen (Rz. 2927e). Rüge des Beklagten: § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG dient aus- 2937 schließlich dem Schutz des Beklagten bzw. Antragsgegners. Es besteht deshalb kein Anlass, dass der Zweitrichter von Amts wegen den Versagungsgrund prüft.459 Auch der Kläger bzw. Antragsteller des erststaatlichen Erkenntnisverfahrens kann nicht unter Berufung darauf, dass seinem Gegner das rechtliche Gehör verweigert wurde, die Nichtanerkennung des Urteils betreiben. Will sich der Beklagte im Zweitverfahren auf § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG oder Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 LugÜ berufen, so muss er dies in limine litis tun.460 Sonst ist er präkludiert. Wenn über den Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsantrag im einseiti- 2938 gen Verfahren (ohne Beteiligung des Antraggegners) nach Art. 33 II, Art. 41 457 Der EuGH wendet Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ auch in Fällen fehlender bzw. unwirksamer Prozessvollmacht des vor dem ausländischen Gericht auftretenden Rechtsanwalts an, EuGH v. 10.10.1996 – Rs. C-78/95 – Hendrikmann und Feyen/Magenta Druck & Verlag GmbH, Slg. 1996, I-4943 = NJW 1997, 1061 = IPRax 1997, 333 (Rauscher 314) = EuZW 1996, 732 = ZZPInt 1997, 136 (H. Roth) = Rev. crit. 1997, 555 (Droz) = Clunet 1997, 621 (Huet) = Riv.dir.int.priv.proc. 1997, 497 = [1996] All E.R. (EC) 121; BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999, 371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483 (484) = IPRspr. 1999 Nr. 154. 458 R. Geimer, NJW 1973, 2141; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 379; BayObLG v. 2.6.1978, BayObLGZ 1978, 132 = IPRspr. 1978 Nr. 174. Nach LG Hamburg v. 16.8.1974, DAVorm 1974, 682 = IPRspr. 1974 Nr. 178 reicht es aus, wenn der Unterhaltsschuldner im vorhergehenden Abstammungsverfahren gehört wurde. Rechtliches Gehör sei nicht mehr notwendig bei der Festsetzung des Normalunterhaltsbetrages (vergleichbar mit Regelunterhalt); Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 45. Ebenso bei Kostenfestsetzung nach Muster von § 104 ZPO. Hierzu M. J. Schmidt, Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren, 1991, 196. A.A. BayObLG, a.a.O., für Verhältnis zwischen Separationsverfahren und Scheidungsprozess. Skeptisch auch Mezger, IPRax 1985, 302. 459 Verfehlt daher BGH v. 12.12.2007 – XII ZB 240/05, MDR 2008, 463 = NJW-RR 2008, 586 = FamRZ 2008, 586 (Gottwald) = IPRax 2008, 530 (Roth 501) EuZW 2008, 251 = IHR 2008, 79 = IPRspr. 2007 Nr. 204. Wie hier z.B. Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 11. 460 S. auch LJV BW v. 22.12.2000, FamRZ 2001, 1379 = IPRspr. 2002 Nr. 202a und OLG Stuttgart v. 30.1.2002 – 17 VA 4/01, IPRspr. 2002 Nr. 202b.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
EuGVVO a.F./LugÜ 2007 zu entscheiden ist, wird nicht geprüft, ob die Ladung des Beklagten zum erststaatlichen Verfahren ordnungsgemäß war. Es bleibt vielmehr dem Beklagten vorbehalten, durch Beschwerde zum Oberlandesgericht461 die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Ladung zu erheben. Tut er dies, so trägt der Kläger des erststaatlichen Verfahrens (Antragsteller) die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Zustellung.462 Kann dieser die Zustellungsurkunde463 nicht vorlegen, so bleibt es ihm unbenommen, andere Beweismittel beizubringen (Rz. 2943).464 2939 Streitverkündung: § 328 I Nr. 2 ZPO schützt nur den Beklagten.465 Der Anspruch des Streitverkündungsempfängers auf rechtliches Gehör ist über § 328 I Nr. 4 ZPO zu gewährleisten (Rz. 2947). Im Falle einer Verletzung dieses Anspruchs, die mit erststaatlichen Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen nicht beseitigt werden konnte, entfällt lediglich die Anerkennung der Streitverkündungswirkung, nicht aber die der sonstigen Wirkungen (res iudicata-, Gestaltungswirkung) inter partes, wenn nicht insoweit auch ein Verfahrensmangel vorliegt (Rz. 3071). Das gilt auch für den Beklagten einer Garantieklage bzw. eines third party procedure.466 2940 Widerklage: § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG gilt auch nicht für den Widerbeklagten (= Kläger/Antragsteller)467; der verfahrensrechtliche Mindeststandard ist ebenfalls über § 328 I Nr. 4 ZPO durchzusetzen (Rz. 2959). 2941 Eine Nachholung des rechtlichen Gehörs im deutschen Zweitverfahren kommt – wenn der Beklagte die Rüge gem. § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG rechtzeitig erhoben hat – nicht in Betracht.468 2942 Der vorstehende Prüfungsumfang wird durch Art. 6 I EMRK nicht erweitert. Zwar ist Art. 6 I EMRK auch im Anerkennungsstadium durchzusetzen und begründet daher gegebenenfalls – selbständig neben § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG – ein Anerkennungshindernis. Doch genügt die vorstehende Hand-
461 Art. 37 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 43 EuGVVO. 462 Nach Art. 36 ff. EuGVVO ist – anders als nach Art. 37 II (a) EuEheVO – die Vorlage der Zustellungsurkunde nicht erforderlich. Jedoch ist in der Bescheinigung über die relevanten Daten (Art. 53 i.V.m. Anhang I sub 4.3.2) der Zeitpunkt der Zustellung anzugeben. S. auch R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 53 EuGVVO Rz. 84. 463 Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ, Art. 53 II EuGVVO. 464 Art. 48 I EuGVÜ/LugÜ sowie Art. 55 I EuGVVO. Hierzu R. Geimer, IPRax 1985, 8; a.A. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. II Rz. 129. 465 A.A. OLG München v. 17.11.1994 – 6 U 2499/94, GRUR 1995, 836 und GRUR 1996, 144 = IPRspr. 1994 Nr. 170; Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 295; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 376. 466 Hierzu Goetze, Vouching In und Third Party Practice, 1993, besprochen von de Lousanoff, ZZP 109 (1996), 237. 467 A.A. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 377. 468 LG Frankfurt/M. v. 5.2.1986 – 2/9 T 92/86, NJW-RR 1986, 742 = IPRspr. 1986 Nr. 173. – Vgl. aber auch R. Geimer, ZZP 103 (1990), 483.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
habung der Nr. 2 den Anforderungen des Art. 6 I EMRK.469 Nicht anders ist die Rechtslage im Hinblick auf Art. 47 II EuGrundrechtecharta und Art. 103 I GG.470 Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung nach dem Recht des Erststaates 2943 kann mit allen Beweismitteln geführt werden. Dies gilt auch im Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Verträge und des europäischen Unionsrechts (Rz. 245c); die dort enthaltenen Bestimmungen über die Vorlage von Zustellungsurkunden (bei Versäumnisentscheidungen)471 wollen nur die Beweisführung für den Antragsteller erleichtern, nicht jedoch andere Beweismittel ausschließen.472 § 328 I Nr. 2 ZPO, § 109 I Nr. 2 FamFG, Art. 45 I (b) EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 2 2944 LugÜ verlangen nicht die Zustellung der zur Anerkennung anstehenden bzw. für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung des ausländischen Gerichts.473 So fällt beim zweistufigen Mahnverfahren der Mahnbescheid unter Nr. 2, nicht jedoch der Vollstreckungsbescheid.474 Anders ist es im einstufigen Modell des österreichischen Rechts.475 Auf den Mahnbescheid folgt nicht – wie in Deutschland nach § 699 ZPO – der Vollstreckungsbescheid. Der österreichische Mahnbescheid ist sowohl verfahrenseinleitendes Schriftstück i.S. von Nr. 2 als auch Sachentscheidung bzw. Vollstreckungstitel, wenn nicht fristgerecht Einspruch eingelegt wird.476 Liegt nach dem Recht des Erststaates (noch) mangels Zustellung kein existentes Urteil vor, kann dieses keine Wirkungen entfalten, die Gegenstand der Anerkennung sein könnten (Rz. 2889). Ist jedoch trotz fehlender (wirksamer) Zustellung nach dem Recht des Erststaates eine wirksame Entscheidung gegeben, taucht allenfalls die Frage auf, ob das erststaatliche Verfahren ordre public-widrig ist. Dies ist grundsätzlich zu verneinen (Rz. 2960).477
469 470 471 472
473 474
475 476 477
Das Gleiche gilt für Art. 47 II EuGrundrechtecharta. Vgl. BVerfG v. 21.5.1987 – 2 BvR 1170/83, NJW 1988, 1462. Wie z.B. Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜ 1988 sowie Art. 37 II (a) EuEheVO. R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1458 Fn. 4; II 143. Vgl. auch EuGH v. 14.3.1996 – Rs. C-275/94 – van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik, RIW 1996, 505 = EuZW 1996, 240. A.A. OLG Koblenz v. 10.6.1991 – 2 U 123/91, RIW 1991, 667 = IPRspr. 1991 Nr. 207. Für den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit des erststaatlichen Verfahrens sind alle Beweismittel zulässig, OLG Hamm v. 5.8.1992 – 20 W 11/92, RIW 1993, 148 = IPRspr. 1992 Nr. 224. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 34 EuGVVO Rz. 126; OLG Köln v. 17.9.2007 – 16 W 8/07, OLGR 2008, 81 (82). EuGH v. 16.6.1981 – Rs. C-166/80 – Klomps/Michel, Slg. 1981, 1593 = RIW 1981, 781 = IPRax 1982, 14 (Nagel 5); Wagner, RIW 1995, 96. Zu den verschiedenen Varianten der Versäumnisverfahren in den Vertragsstaaten Martin Frank, Das verfahrenseinleitende Schriftstück in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, LugÜ und in Art. 6 HUK 1973, 1998, 130 ff. Rechtsvergleichend z.B. Sujecki, Das elektronische Mahnverfahren, 2008. R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 34 EuGVVO Rz. 124. R. Geimer, ZZP 103 (1990), 490. Sehr großzügig auch BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 75/99, RIW 2002, 63. A.A. unter Hinweis auf Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ OLG Koblenz v. 10.6.1991 – 2 U 123/91, RIW 1991, 667 (669).
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2944a Sammelklagen: Besonders gefährdet ist das rechtliche Gehör bei sog. Sammelklagen (Class actions)478 sowohl bei der Einleitung des Verfahrens als auch bei der Durchführung desselben.479 2944b Art. 13 ff. der VO (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels (EuVTVO) verdrängen weder das im jeweiligen Gerichtsstaat geltende völkervertragliche noch das nationale Zustellungsrecht, auch nicht die Regeln der EuZustVO, Art. 28. Sie sind vielmehr nur „Beurteilungsnormen“: Ihre Einhaltung ist Voraussetzung für die Bestätigung von gerichtlichen Säumnisentscheidungen als europäische Vollstreckungstitel (Rz. 3186). bb) Ablauf des Verfahrens im Erststaat 2945 Nicht nur bei Verfahrenseröffnung (Rz. 2914) können so schwerwiegende Fehler im Erststaat passieren, dass eine Anerkennung der ausländischen Sachentscheidung nicht in Betracht kommt, sondern auch – nach ordnungsgemäßer Einleitung des Rechtsstreits – während des Verlaufs des Prozesses. § 328 I Nr. 2 ZPO bzw. § 109 I Nr. 2 FamFG ist nicht etwa eine Spezialnorm, welche die Kontrolle des ausländischen Verfahrens abschließend regelt; es kommt vielmehr § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG auch bezüglich des erststaatlichen Verfahrens zur Anwendung.480 2946 Es muss sich aber um Extremsituationen handeln, die aus deutscher Sicht schlicht intolerabel sind: Die Anerkennung ist zu verweigern, wenn das erststaatliche Verfahren mit grundlegenden Verfahrensmaximen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Es sind nicht bestimmte deutsche Verfahrensrechtssätze Gegenstand der ordre public-Prüfung, sondern die hinter dem positiven Verfah-
478 Zur amerikanischen Sicht der Dinge Buxbaum, Defining the Function and Scope of Group Litigation: The Role of Class Actions for Monetary Damages in the United States, in Gottwald (ed.), Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz, 2008, 215, 220 ff.; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 172 ff. S. auch die Nachw. bei Hohl, Die US-amerikanische Sammelklage im Wandel, 2008; Koch, Sammelklage und Justizstandorte im internationalen Vergleich, JZ 2011, 438. Zu einem europäischen Projekt Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, 2010; Fiedler, Class Actions zur Durchsetzung des europäischen Kartellrechts, 2010; Stadler, Class Actions in Basedow/Kischel/Sieber, German National Reports to the 18th International Congress of Comparative Law, 2010, 181; Brand, NJW 2012, 1116 (1118). 479 Hierzu z.B. Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen in Leuenberger/Guy (ed.), Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, 2004, 111, 117; Röhm/Schütze, RIW 2007, 241. S. aber auch Mankowski, Crossing the Rhine – On the Enforceability of U.S. Class Action Judgments and Settlements in Germany, Contratto e impresa/Europa XII (2007), 613, 624 ff. und die Nachw. bei Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 172 ff., Perucchi, Anerkennung und Vollstreckung von US class action-Urteilen und -Vergleichen in der Schweiz, 2008 sowie bei Koch/Zekoll, Europäisierung der Sammelklage mit Hindernissen, ZeuP 2010, 107. 480 S. z.B. auch Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 48 ff.
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rensrecht stehenden grundlegenden Verfahrensprinzipien.481 Da nicht erwartet werden kann, dass die ausländischen Gerichte ihre Verfahren nach gleichen oder ähnlichen Regeln gestalten wie die deutschen Gerichte, sind erhebliche und wesentliche Abweichungen des ausländischen Rechts vom deutschen Prozessrecht hinzunehmen. So verstößt es nicht per se gegen den deutschen ordre public, wenn ein englisches Gericht den Beklagten wegen contempt of court von der weiteren Teilnahme am Rechtsstreit ausgeschlossen hat482, solange dies zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens als ultima ratio erforderlich und nicht unverhältnismäßig war.483 Dasselbe gilt für Urteile englischer Gerichte, die im summarischen Verfahren erlassen sind.484 Zu Recht betont das BayObLG485, dass das Fehlen des Anwaltszwangs im österreichischen Scheidungsverfahren aus dem Blickwinkel des deutschen ordre public nicht zu beanstanden ist. Zu den grundlegenden Verfahrensgrundsätzen, die wir auch gegenüber auslän- 2947 dischen Urteilen durchsetzen, gehören alle, die ihre Wurzel in den Forderungen der Rechtsstaatlichkeit haben, so insbes. der – Grundsatz der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts486; – Grundsatz, dass niemand in eigener Sache Richter sein darf487; – Grundsatz des rechtlichen Gehörs488; 481 BGH v. 18.10.1967, BGHZ 48, 327; BGH v. 19.9.1977, RIW 1978, 410 = NJW 1978, 1114, 1115 = IPRspr. 1977 Nr. 151; OLG Hamburg v. 6.9.1984 – 6 U 50/84, RIW 1985, 490 = VersR 1985, 470 = KTS 1985, 158 = IPRspr. 1984 Nr. 198. S. auch Staudinger/ Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 516 und Wagner, Prozessverträge – Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, 66. 482 Motorola Credit Corporation v. Uzan (no. 6) [2004] 1 W.L.R. 113 (C.A.). Hierzu z.B. Naumann, Englische anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen, 2008, 11. 483 EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-394/07 – Gambazzi/DaimlerChrysler, NJW 2009, 1938 – Rz. 28, 41; BGH v. 2.9.2009 – XII ZB 50/06, MDR 2010, 29 = NJW 2010, 153 = FamRZ 2009, 2069 (Gottwald); generell noch einen ordre public-Verstoß verneinend BGH v. 18.10.1967, BGHZ 48, 327. Hierzu Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 139. 484 BGH v. 25.3.1970, BGHZ 53, 357. 485 BayObLG v. 25.9.1973, NJW 1974, 418 (R. Geimer) = IPRspr. 1973 Nr. 156. 486 Die Entscheidungen korrupter oder befangener ausländischer Richter sind nicht anzuerkennen, sofern die betroffene Partei im erststaatlichen Verfahren alle ihr nach dem Recht des Erststaates zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe erfolglos ergriffen hat, s. Rz. 2955. Nachw. z.B. bei Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der U.S.-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 248 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 521. 487 Hierzu z.B. EGMR v. 15.12.2005 – 73797/01 – Kyprianou/Zypern, NJW 2006, 2901. 488 BGH v. 19.9.1977, RIW 1978, 410 (411) = NJW 1978, 1115; OLG Frankfurt v. 15.4.1985 – 20 VA 9/84, OLGZ 1985, 257 = IPRspr. 1985 Nr. 185. Zum Ausschluss einer Partei wegen contempt of court EuGH v. 2.4.2009 – Rs. C-394/07, NJW 2009, 1938 – Rz. 28, 41; BGH v. 2.9.2009 – XII ZB 50/06, BGHZ 182, 204 = MDR 2010, 29 = NJW 2010, 153 = FamRZ 2009, 2069 (Gottwald) = JR 2010, 432 (Rauscher) = IPRspr. 2009 Nr. 248: Es verstößt nicht per se gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren, wenn ein englisches Gericht den Beklagten wegen contempt of court von der weiteren Teilnahme
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2948 – Grundsatz, dass jede Partei einen Anspruch auf ein faires Verfahren hat. Sie muss in der Lage sein, auf den Verfahrensablauf aktiv Einfluss zu nehmen. Es kommt jedoch nur auf die Gelegenheit an, sich am Gerichtsverfahren im Erststaat zu beteiligen.489 Ob die (unterlegene) Partei tatsächlich hiervon Gebrauch gemacht hat, ist für die Anerkennung nicht relevant. Sonst könnte z.B. jeder Beklagte seine (auch) nach deutschem Recht (§ 328 I Nr. 1 ZPO; § 109 I Nr. 1 FamFG; § 343 I 2 Nr. 1 InsO) bestehende Gerichtspflichtigkeit dadurch unterlaufen, dass er sich am ausländischen Verfahren nicht beteiligt.490 2949 Besteht im erststaatlichen Verfahren Anwaltszwang, so haben die Parteien für ihre anwaltschaftliche Vertretung selbst zu sorgen, und zwar auch dann, wenn das Recht des Erststaates wesentlich strengere Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe aufstellt als das deutsche.491 Ein ordre public-Verstoß kann jedoch vorliegen, wenn das erststaatliche Recht Minderbemittelten überhaupt keine Möglichkeit gibt, einen Anwalt im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet zu erhalten und er daher de facto außerstande ist, im erststaatlichen Verfahren ordnungsgemäß vertreten zu sein. 2950 Für ihre ordnungsgemäße Vertretung im erststaatlichen Verfahren muss jede Partei selbst nach besten Kräften sorgen.492 Im Fall der Mandatsniederlegung ihres Anwalts muss die betroffene Partei bemüht sein, für ihre weitere Vertretung zu sorgen. Sie kann nicht damit rechnen, dass das Erstgericht den Verhandlungstermin auf längere Zeit verlegt. Wenn sie nicht geeignete Schritte für ihre
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am Rechtsstreit ausgeschlossen und ein Versäumnisurteil erlassen hat, solange dies zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens als ultima ratio erforderlich und nicht unverhältnismäßig ist. Hierzu Zöller/Geimer, ZPO30, Einl. Rz. 161. Zur ordre public-Kontrolle eines Versäumnisurteils zu Recht zurückhaltend EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-619/10 – Trade Agency Ltd./Seramico Instruments Ltd., IPRax 2013, 427 (H. Roth 402). S. auch R. Geimer in FS Rolf Stürner, 2013, 1223 (1234). BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = MDR 1992, 1181 = CR 1993, 274 = NJW 1992, 3096 (3099) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707) = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = RIW 1993, 132 (Schütze). Gegenüber dem in Strafsachen maßgeblichen Art. 6 III lit. c EMRK ist der in Zivilsachen aus dem Recht auf Zugang zu einem Gericht (Art. 6 I EMRK) abgeleitete Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe begrenzter. Dies gilt insb. für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für juristische Personen, EMRK v. 22.3.2013 – 19508/07 – Granos Organicos Nacionales/Deutschland, NJW-RR 2013, 1075 – Rz. 45 ff. Hinzu kommt noch, dass keineswegs geklärt ist, ob die Nichteinhaltung der durch Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II EuGRCh vorgeschriebenen Mindeststandards zwingend zur Nichtanerkennung führen oder ob von diesen bei der limitierten ordre public attenué-Prüfung Abstriche gemacht werden dürfen oder sogar müssen. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (321 ff.) = CR 1993, 274. = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3102 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (700) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160.
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weitere Vertretung unternimmt und das Gericht den Prozess fortsetzt, dann kann hierin kein Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung gesehen werden; denn sie hatte ja die Möglichkeit, auf das Erstverfahren durch neue Prozessbevollmächtigte aktiv einzuwirken und dort zu Gehör zu kommen.493 Der ordre public ist i.d.R. nicht verletzt, wenn anders als in Deutschland das erststaatliche Verfahrensrecht Anwaltszwang nicht vorsieht.494 Im ausländischen Anwaltsprozess genügen – ebenso wie im deutschen (§ 172 ZPO) – Ladungen und Zustellungen an den Prozessbevollmächtigten.495 Kein Grund, den ordre public anzuwenden, besteht, wenn das ausländische Ge- 2951 richt nur mit Laien besetzt ist, wie z.B. die französischen Handelsgerichte496, oder wenn die Öffentlichkeit nicht in dem Umfang des § 169 GVG gewährleistet ist497 oder wenn nach Art. 186ter des Codice di procedura civile der giudice istruttore aufgrund einer bloßen Schlüssigkeitsprüfung (ohne eine zu diesem Zeitpunkt noch nicht mögliche Beweiswürdigung) eine vorläufige Verurteilung zur Zahlung ausspricht (ordinanza ingiuntiva di pagamento).498 Fraglich ist, inwieweit die Dispositionsmaxime499 im Anerkennungsstadium 2952 auch gegenüber Entscheidungen ausländischer Gerichte durchzusetzen ist.500 Das Ausforschungsverbot soll die gegnerische Partei und Dritte vor Eingriffen in 2953 ihre Freiheitssphäre (Art. 2 I GG) bewahren, soweit der Eingriff nicht notwendig ist, um den Prozess zu fördern.501 Fraglich ist, ob und gegebenenfalls mit welcher Intensität das Ausforschungsverbot international durchzusetzen ist durch 493 BGH v. 19.9.1977, MDR 1978, 488 = NJW 1978, 1114 = IPRspr. 1977 Nr. 151; BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3099 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. S. auch OLG Düsseldorf v. 28.5.1991 – 4 U 119/90, RIW 1991, 594 (596) = IPRspr. 1992 Nr. 218a sowie OLG Karlsruhe v. 3.12.1990 – 12 W 46/90, RIW 1991, 859 = IPRspr. 1991 Nr. 200. 494 BayObLG v. 25.9.1973, NJW 1974, 418 (R. Geimer) = IPRspr. 1973 Nr. 156. 495 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3099 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. 496 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 126. 497 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 135; OLG Saarbrücken v. 3.8.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, 37 (Roth 17) = NJW 1988, 3100 = IPRspr. 1987 Nr. 156. 498 OLG Stuttgart v. 15.5.1997 – 5 W 4/97, NJW-RR 1998, 280 = RIW 1997, 684. 499 Zur Dispositionsmaxime als durch Art. 2 I GG garantiertem Schutz vor rechtlicher Bevormundung Stiefel/Stürner, VersR 1987, 830. 500 Vgl. auch Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche unter besonderer Berücksichtigung der US-amerikanischen Class Action Settlements, 2001, 245. 501 Stürner, JZ 1981, 521; Stürner, Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozess, 1976, 112; Schlosser, ZZP 94 (1981), 379; Schlosser, JZ 1991, 599 (604). Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei und damit eine
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Verweigerung der Anerkennung solcher Entscheidungen, die auf einem Verfahren beruhen, in dem das Ausforschungsverbot nicht beachtet worden ist.502 Jedenfalls konnte der Bundesgerichtshof in der US pre-trial discovery (Rz. 83) als solcher (bisher) keinen ordre public-Verstoß erkennen.503 Allerdings handelte sich um keinen exorbitanten Fall.504 2954 Sieht das Recht des Erststaates grundsätzlich keine Kostenerstattung zugunsten der obsiegenden Partei vor, so ist dies für sich allein noch kein Grund, das ausländische Verfahren in Bausch und Bogen für ordre public-widrig zu erklären und die Anerkennung zu verweigern.505 Das Gleiche gilt, wenn sich die Kostenverteilung nicht am Obsiegen bzw. Unterliegen orientiert.506 2955 Ein Verstoß gegen die ordre public-Maximen kann im Zweitverfahren nicht mehr gerügt werden, wenn er nicht schon im Erstverfahren (erfolglos) geltend gemacht wurde. Es muss also die Beseitigung des Verfahrensfehlers bereits im Erstprozess mit den Mitteln des erststaatlichen Prozessrechts versucht worden sein.507 Die Partei, die von dem Verfahrensverstoß betroffen ist, muss alle ihr bei
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Abkehr vom Grundsatz nemo contra se edere tenetur lehnt die h.M. ab. Dazu sowie zur Gegenansicht s. Rz. 2359. Für Nichtanerkennung Schütze in FS Stiefel, 1987, 697 sowie OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, AG 1993, 42 = RIW 1993, 141; für Anerkennung OLG Düsseldorf v. 28.5.1991 – 4 U 119/90, RIW 1991, 594. Zurückhaltend auch OLG Düsseldorf v. 14.6.2006 – I-3 VA 2/06, 3 VA 2/06, OLGR 2007, 393. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (323) = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3102 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 92. A.A. Schütze in FS Stiefel, 1987, 697. So für die sog. American rule of costs (hierzu Hay, US-Amerikanisches Recht4, Rz. 154) BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3102 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. Zustimmend Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 93; Stürner, JZ 2006, 60 (63). A.A. Schütze, WM 1979, 1176; Schütze, Die Allzuständigkeit amerikanischer Gerichte, 2003, 11. Hierzu Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 133. Weitere Nachw. bei Dörig, Anerkennung und Vollstreckung USamerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 367; Hommelsheim, Kostentragung und -ausgleichung im amerikanischen Zivilprozess, Diss. Bonn 1990; Jestaedt, RIW 1986, 95; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 117; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 209 ff.; Reimann, IPRax 1998, 250 (253); Schütze in FS Németh, 2003, 795; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA, 2010, 85 ff. OLG Stuttgart 27.7.2009 – 5 U 39/09, OLGR 2009, 795 = IPRspr. 2009 Nr. 238. Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 46.
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Zwölfter Teil
realistischer Betrachtungsweise508 zur Verfügung stehenden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe im erststaatlichen Verfahren ausgeschöpft haben.509 Dies gilt z.B. auch für den Vortrag im Zweitverfahren, das Erstgericht habe angebotene Beweise nicht erhoben.510 Verneint ein ausländisches Rechtsmittelgericht einen Verfahrensverstoß oder 2956 die Ursächlichkeit desselben für die angefochtene Entscheidung, so ist der deutsche Zweitrichter daran nicht gebunden. Die Rechtsmittelentscheidung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Zweitrichters. Dieser wird jedoch nicht ohne triftigen Grund von der Meinung des ausländischen Rechtsmittelgerichts abweichen. Das Verbot der révision au fond (§ 723 I ZPO; § 109 V FamFG) kommt inso-
508 Nach dem Recht des Erststaates offensichtlich aussichtslose Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe braucht sie nicht einzulegen. 509 R. Geimer, JZ 1969, 14; R. Geimer, Anerkennung 137 und R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1478 Fn. 33 und II, 83 f.; H. Roth, IPRax 1989, 17 Fn. 51; Gottwald in MüKo.ZPO4, § 328 Rz. 102; Matscher, IPRax 2001, 428 (436); Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 22 EheGVO Rz. 17 sowie § 328 ZPO Rz. 471; OLG Saarbrücken v. 3.8.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, 37 (39); KG v. 22.7.2003 – 1 VA 27/02, FamRZ 2004, 275 (277); so nun auch deutlich BGH v. 21.3.1990 – XII ZB 71/89, FamRZ 1990, 869 = MDR 1991, 53 = RIW 1990, 575 = NJW 1990, 2201 = IPRax 1992, 33 (R. Geimer 5) = IPRspr. 1990 Nr. 207, der hervorhebt, „dass es in erster Linie Sache der Parteien ist, durch aktive Teilnahme am Verfahren auf die Vermeidung sie benachteiligender Fehler des Gerichts hinzuwirken oder hiergegen ein Rechtsmittel einzulegen“. Ebenso BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490 = MDR 1997, 574 = NJW 1997, 2051; OLG Düsseldorf v. 18.9.1998 – 3 U 13/98, FamRZ 1999, 447 (448); OLG Köln v. 8.3.1999 – 16 W 32/98, IPRax 2000, 528 (H. Roth 497) = IPRspr. 1999 Nr. 156; BayObLG v. 8.5.2002 – 3Z BR 303/01, FamRZ 2002, 1637, 1639 = IPRspr. 2002 Nr. 205; OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. Mit anerkennungsfreundlicher Tendenz auch BGH v. 6.10.2005 – IX ZB 360/02, MDR 2006, 467 = NJW 2006, 701 = FamRZ 2006, 198 = IPRspr. 2005 Nr. 159. Ebenso ist es im Verhältnis Schiedsverfahren zum Verfahren vor dem staatlichen Gericht. A.A. LG Hamburg v. 1.4.1981, IPRspr. 1981 Nr. 182; AG Hamburg v. 24.1.1985 – 289 F 134/82, IPRax 1986, 114 = IPRspr. 1985 Nr. 71 („die Gewährung rechtlichen Gehörs ist keine Obliegenheit des Beklagten“); Schack, IZVR6, Rz. 957, der meint, von einem Beklagten, der sich einem unfairen ausländischen Verfahren ausgesetzt sieht, könne man „schwerlich verlangen, dass er das nötige Geld und vor allem Vertrauen in eine Fortsetzung des Rechtsstreits im Ausland investiert“. Dieses Argument übersieht, dass auch deutsche Gerichte schwere Verfahrensfehler begehen, wie vor allem die Rspr. des BVerfG und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beweist. Da hilft es nicht, dass die betroffene Partei erklärt, sie habe kein Vertrauen mehr zur deutschen Justiz. Ihr bleibt nur der Rechtsmittelweg. Dies muss grundsätzlich auch vice versa gelten. S. auch die weiteren Nachw. bei Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren: Eine Studie zu den vom erschlichenen Schiedsspruch aufgeworfenen Fragen des Aufhebungsverfahrens gem. § 1059 ZPO, 2005, 183 ff. 510 OLG Düsseldorf v. 13.11.1996 – 3 W 347/96, NJW-RR 1997, 572 = RIW 1997, 329 = EWS 1997, 108 = EuZW 1997, 284 = IPRspr. 1996 Nr. 182; OLG Düsseldorf v. 18.9.1998 – 3 U 13/98, FamRZ 1999, 447 = IPRspr. 1998 Nr. 201.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
weit nicht zum Zuge, soweit § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG eine Nachprüfung vorschreibt.511 2957 Das ordre public-widrige erststaatliche Verfahren führt nicht von Amts wegen zur Nichtanerkennung. Vielmehr ist – wie bei internationaler Unzuständigkeit und nicht ordnungsgemäßer Verfahrenseröffnung – eine Rüge der betroffenen Partei erforderlich512 (Rz. 3917). Zur Frage des antizipierten Verzichts Rz. 3782. 2957a Hat erst das Rechtsmittelgericht den (den deutschen ordre public verletzenden) Verfahrensverstoß begangen, z.B. ein an sich statthaftes Rechtsmittel aus extrem unsachlichen Gründen ohne Sachprüfung verworfen, so muss die Partei, die sich auf die ordre public-Widrigkeit beruft, darlegen, inwieweit das zur Anerkennung anstehende Urteil erster Instanz (Rz. 23a) verändert worden wäre, hätte das Rechtsmittelgericht den Verfahrensverstoß nicht begangen.513 2958 Ob Kausalität des ordre public-widrigen Verfahrens für den Urteilsinhalt vom Anerkennungsgegner dargetan und bewiesen werden muss, ist noch nicht ausreichend untersucht.514 Bei Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs muss die beschwerte Partei schlüssig darlegen, was sie bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und was dementsprechend das ausländische Gericht bei seiner Entscheidung in Betracht hätte ziehen müssen.515 2959 Vorstehendes gilt vice versa auch für Einwendungen des Klägers gegen die Verurteilung aufgrund Widerklage.516 2960 Die vorstehende Auslegung genügt den Anforderungen des Art. 6 I EMRK517, des Art. 47 II EuGRCh und des Art. 103 I GG sowie des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsmäßigen Rechts auf ein faires Verfahren.518
511 R. Geimer, JZ 1969, 16 Fn. 30; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1468. Für Bindung dagegen BayObLG v. 24.11.1978, IPRspr. 1978 Nr. 176. Unklar BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096 (3098) (Koch 3073) = IPRspr. 1992 Nr. 218b sub A III 3a. Der deutsche Zweitrichter kann jedoch den Beklagten nicht auf die Wiederaufnahmeklage im Erststaat verweisen, R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/1, 1983, 1057; Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile, 1953, 197. 512 Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 157; Gottwald, ZZP 103 (1990), 279. A.A. Kropholler, IPR6, § 60 IV 1d. 513 S. auch R. Geimer, IPRax 2006, 298 (300). 514 R. Geimer, ZZP 103 (1990), 483; Gottwald, ZZP 103 (1990), 279 lässt „wie stets bei Verfahrensfehlern, die Möglichkeit eines fehlerhaften Ergebnisses genügen“. Ebenso Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 518. Weitere Nachw. bei Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren: Eine Studie zu den vom erschlichenen Schiedsspruch aufgeworfenen Fragen des Aufhebungsverfahrens, 2005, 196 ff. Vgl. Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 230. 515 KG v. 22.7.2003 – 1 VA 27/02, FamRZ 2004, 275 (277). 516 OLG Hamburg v. 26.1.1989 – 6 U 71/88, RIW 1991, 152 (155). 517 Das Gleiche gilt für Art. 47 II EuGrundrechtecharta. 518 R. Geimer, IPRax 1991, 10 (13 Fn. 80a, 110).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Fehlende bzw. mangelhafte Zustellung der ausländischen Entscheidung ist für sich allein kein Grund, die Anerkennung unter Berufung auf den deutschen ordre public zu verweigern (Rz. 2944). b) Überprüfung der ausländischen Entscheidungsfindung Die Grundstruktur des anerkennungsrechtlichen ordre public wurde bereits in 2961 Rz. 26 behandelt. Hier sei beispielhaft (vgl. auch Rz. 551) auf einige Aspekte der ordre public-Prüfung eingegangen. Die Andersartigkeit des erststaatlichen Beweisrechts ist kein Grund für den 2962 Einsatz des ordre public.519 Beispiel: Der Erstrichter hat die Beweislast anders verteilt oder er hat den Sachverhalt nicht aufgeklärt im Hinblick auf eine Fiktion oder unwiderlegliche Vermutung oder er hat die Beweise anders gewürdigt als es der deutsche Richter getan hätte. Auch Abweichungen des Beweisverfahrensrechts (Kreuzverhör) oder eine andere Beurteilung der Zeugnisverweigerungsrechte (der Erstrichter hat ein Zeugnisverweigerungsrecht zuerkannt, das im deutschen Recht nicht bekannt ist oder umgekehrt ein dem deutschen Recht bekanntes Zeugnisverweigerungsrecht dem Zeugen nicht gewährt) sind für sich allein keine Gründe, die Anerkennung zu verweigern.520
Am weitesten geht man bei der Überprüfung des erststaatlichen Urteils bezüg- 2963 lich des Beweisrechts in Frankreich. Dies hängt damit zusammen, dass ganz allgemein Voraussetzung für die Anerkennung und Erteilung des Exequaturs die Anwendung des vom französischen Kollisionsrecht vorgeschriebenen „richtigen“ Rechts ist521 (Rz. 595, vgl. auch Rz. 114). Mit dem ordre public werden aber auch in Deutschland untragbare Abweichun- 2964 gen des erststaatlichen Beweisrechts von elementaren deutschen Grundsätzen abgewehrt. So verstößt z.B. die Verurteilung eines nichtehelichen Vaters zum Unterhalt allein aufgrund einer uneidlichen Aussage der Mutter oder Großmutter522 gegen den ordre public (Rz. 2984).523 Auch die Übergehung eines wissen519 OLG Köln v. 16.9.1996 – 11 W 32/96, IPRax 1998, 116 = IPRspr. 1996 Nr. 180; OLG Köln v. 23.1.2002 – 16 W 44/2001, 16 W 44/01, InVo 2002, 521 = IPRspr. 2002 Nr. 186. 520 Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, 1983, Rz. 595. 521 Nachw. bei Coester-Waltjen, a.a.O., Rz. 248 Fn. 867. 522 So der Fall des OLG Köln v. 17.9.2007 – 16 W 8/07, OLGR 2008, 81. S. auch BGH v. 26.8.2009 – XII ZB 169/07, BGHZ 182, 188 = MDR 2009, 1278 = NotBZ 2009, 488 = NJW 2009, 3306 = FamRZ 2009, 1816 (Henrich) = IPRspr. 2009 Nr. 252. 523 A.A. BGH v. 9.4.1986 – IVb ZR 28/85, MDR 1986, 832 = FamRZ 1986, 665 = NJW 1986, 2193 = DAVorm 1986, 656 = IPRax 1987, 247 = IPRspr. 1986 Nr. 95; BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, FamRZ 1997, 490 = MDR 1997, 574 = NJW 1997, 2051; OLG Hamm v. 21.2.2003 – 11 UF 335/02, FamRZ 2003, 1855 = IPRax 2004, 437 (Geimer 419) = IPRspr. 2003 Nr. 78; OLG Köln v. 17.9.2007 – 16 W 8/07, OLGR 2008, 81; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 33. Sehr großzügig auch OLG Hamm v. 22.9.1992 – 29 U 254/91, FamRZ 1993, 438 = DAVorm 1993, 104 = IPRspr. 1992 Nr. 237 und BGH v. 22.1.1997 – XII ZR 207/95, MDR 1997, 574 = FamRZ 1997, 490 (492): Nichteinholung eines Blutgruppengutachtens im Statusverfahren führt für sich allein noch nicht zur
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
schaftlichen Gutachtens, wonach der als Vater in Anspruch genommene Mann zeugungsunfähig ist, stellt einen Verstoß gegen den deutschen ordre public dar, der zur Verweigerung der Anerkennung führt.524 Voraussetzung für die Verweigerung der Anerkennung ist jedoch, dass der Beklagte alle nach dem Recht des Erststaates möglichen Rechtsbehelfe eingelegt hat (Rz. 2991a). US-amerikanische Entscheidungen, die auf pre-trial discovery beruhen, sind grundsätzlich anerkennungsfähig.525 2965 Keine kollisionsrechtliche Kontrolle: Die Anerkennung darf nicht deswegen verweigert werden, weil das Erstgericht den Rechtsstreit nach einer anderen Rechtsordnung entschieden hat, als nach derjenigen, die nach dem inländischen Kollisionsrecht maßgeblich gewesen wäre.526 Damit weicht das deutsche autonome Anerkennungsrecht von den Regelungen mancher Staatsverträge ab, vgl. z.B. Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ/LugÜ 1988.527 Doch ist Deutschland nicht verpflichtet, diese staatsvertraglich vereinbarten Versagungsgründe anzuwenden, sondern vielmehr berechtigt, das anerkennungsfreundlichere autonome Recht zur Geltung zu bringen (favor recognitionis, Rz. 2769). 2966 Das Fehlen einer kollisionsrechtlichen Kontrolle führt (indirekt) zu einer Erstreckung des ausländischen Kollisionsrechts auf das Inland. Man spricht von einem verkappten zweiten Kollisionsrechtssystem des Anerkennungsstaates.528
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Verweigerung des Vaterschaftsurteils. Allerdings vice versa Nichtanerkennung der negativen Feststellungswirkung, wenn Vaterschaftsfeststellungsklage nur deshalb abgewiesen wurde, weil ein eheähnliches Zusammenleben der Kindesmutter mit dem (angeblichen) Erzeuger nicht bewiesen sei, OLG Oldenburg v. 11.11.1992 – 4 U 23/92, FamRZ 1993, 1486 = DAVorm 1993, 835 = IPRspr. 1992 Nr. 238. S. auch R. Geimer, IPRax 2004, 419 (420): Anerkennung, wenn präsumtiver Vater am Erstverfahren nicht teilnimmt oder Beweiserhebung vereitelt. Zustimmend OLG Dresden v. 9.11.2005 – 21 UF 0670/05, 21 UF 670/05, FamRZ 2006, 563 (564). A.A. LG Mainz v. 5.4.1986 – 3 S 611/85, IPRspr. 1986 Nr. 169b. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096 (3102) (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 92. A.A. Schütze in FS Stiefel, 1987, 697. Nachw. bei Hök, Discovery-proceedings als Anerkennungshindernis, 1993. Zustimmend Kropholler, IPR6, § 32 V; Rolf Wagner, Ausländische Entscheidungen, Rechtsgeschäfte und Rechtslagen im Familienrecht aus der Sicht des autonomen deutschen Rechts, FamRZ 2013, 1620 (1622 f.). Anders z.B. das polnische Recht für den Fall, dass nach polnischem IPR polnisches Recht anzuwenden gewesen wäre, Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 134. Dieser Versagungsgrund findet sich weder in Art. 45 EuGVVO noch in Art. 34 LugÜ 2007 noch in Art. 22 und Art. 23 EuEheVO, Art. 24 EuUnterhVO, Art. 40 EuErbVO (s. Rz. 245c). Wengler, RdC 104 (1961 III), 434; Kohler, IPRax 1992, 281; Kropholler, IPR6, § 60 IV 7; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 135.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Als Barriere gegenüber dem Auslandsrecht bleibt nur noch die Schwelle des ordre public, der jedoch nicht deswegen eingesetzt wird, weil ein anderes Recht vom Erstrichter der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, als dies der deutsche Richter getan hätte, sondern weil der Inhalt des vom ausländischen Richter in concreto angewandten Rechts mit elementaren Grundwertungen des deutschen Rechts (also nicht mit derjenigen Rechtsordnung, die aus deutscher Sicht lex causae gewesen wäre) kollidiert.529 Nach h.M. setzt die Anwendung des ordre public eine Inlandsbeziehung vo- 2967 raus.530 Diese wird nicht dadurch hergestellt, dass es um die Anerkennung im Inland geht.531 Vielmehr hat der Zweitrichter – genauso wie wenn er im Erkenntnisverfahren den Fall selbst zu entscheiden hätte – zu prüfen, ob der dem ausländischen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt die nötige Inlandsbeziehung aufweist.532 Möglicherweise muss bei Anwendung des § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG die Beziehung zu Deutschland enger sein als im Erkenntnisverfahren, um die Verweigerung der ausländischen Entscheidung wegen Verstoßes gegen den ordre public zu begründen (ordre public atténué de réconnaissance, Rz. 27).533 Es gibt aber auch Fälle, in denen trotz fehlender Inlandsbeziehung eine Anerkennung ausländischer Urteile ausgeschlossen ist; so bei Anwendung absolut unmoralischen Rechts.534 Verstöße gegen fundamentale Gerechtigkeitsvorstellungen, insbes. gegen elemen- 2968 tare Menschenrechte, können nicht hingenommen werden. Der ordre public
529 Im gleichen Sinne auch EuGH v. 11.5.2000 – Rs. C-38/98 – Renault/Maxicar, Slg. 2000, I-2973 = NJW 2000, 2185 = EWiR 2000, 627 (R. Geimer) = IPRax 2001, 328 (Heß 301) = ZZPInt 5 (2000), 248 (Fritzsche); hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 460 und Dietze/ Schnichels, EuZW 2001, 581 (585). 530 Bungert, ZIP 1993, 815; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 139; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 118; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 231 ff.; aus schweizerischer Sicht Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 354. 531 Von den Fällen des Nichteingreifens des anerkennungsrechtlichen ordre public wegen fehlender Inlandsbeziehung deutlich zu trennen sind die Hypothesen, in denen die vom ausländischen Gericht nicht beachtete deutsche Norm nicht international zwingend ist bzw. Sachverhalte im Ausland gar nicht erfasst. 532 Unklar BGH v. 24.2.1999 – IX ZB 2/98, BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372 = RIW 1999, 457 und 536 = EuZW 1996, 732 = IPRax 1999, 371 (G. Schulze 342) = JR 1999, 841 (A. Staudinger) = JZ 1999, 1117 (H. Roth) = MDR 1999, 757 = ZIP 1999, 483 (484) = IPRspr. 1999 Nr. 154: „Der Inlandsbezug dieser Prüfung liegt lediglich in den Voraussetzungen und Wirkungen der Zwangsvollstreckung“. 533 Leider behandelt Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 1997, die Anerkennungsperspektive nicht. Kritik an der Lehre vom effet atténué bei Pfundstein, Pflichtteil und ordre public, 2010, Rz. 540 ff. 534 R. Geimer, ZfRV 1992, 411 bei Fn. 404; zustimmend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 23 Fn. 73. Distanziert Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 479; Looschelders, IPRax 2005, 28.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
universel sichert ein Minimum an Gerechtigkeit im naturrechtlichen Sinn.535 Damit wird zumindest der Kern des völkerrechtlichen ius cogens erfasst. Beispiel536: Verurteilung zur Schuldknechtschaft i.S. von Art. 1 (a) des Zusatzübereinkommens über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavenähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7.9.1956.537
2969 Mit dem ordre public sollen lediglich die international zwingenden Normen bzw. die Grundwertungen der inländischen Rechtsordnung durchgesetzt werden. Daraus folgt, dass eine Anerkennung nicht mit der Begründung verweigert werden kann, sie verstoße gegen den ordre public eines dritten Staates.538 2969a Ordre public européen539: Die rechtliche Ordnung in der Europäischen Union ist jedoch Bestandteil der deutschen öffentlichen Ordnung.540 Über den deutschen anerkennungsrechtlichen ordre public wird international zwingendes europäisches Unionsrecht ebenso durchgesetzt wie vergleichsweise deutsches.541 Auch Richtlinienvorgaben sind mit zu berücksichtigen.542 2969b Aus Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a.F. und nunmehr Art. 45 I (a) EuGVVO n.F. bzw. Art. 34 Nr. 1 LugÜ ergibt sich klar, dass – außerhalb des Anwendungsbereichs
535 R. Geimer, ZfRV 1992, 401 (411); zustimmend Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999, 118; ablehnend Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 282 ff. Umfangreiche Nachw. auch bei Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007. Zu den Schwierigkeiten der Konkretisierung im Lichte der internationalen Menschenrechtsmindeststandards Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 148 ff. 536 Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 152. 537 BGBl. II 1958, 203. 538 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 139; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1592; enger Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 986; Frankenstein, IPR I, 1926, 237. Weitere Nachw. bei Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 1997; dort aber keine Stellungnahme zu den spezifischen Fragestellungen des anerkennungsrechtlichen ordre public. Zustimmend aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 50; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 467. 539 Nachw. bei Renfort, Über die Europäisierung der ordre public-Klausel, 2002. 540 BGH v. 27.2.1969, NJW 1969, 978 (980) = ZZP 84 (1971), 203 (Habscheid) = IPRspr. 1968–1969 Nr. 255 im Zusammenhang mit der Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs; weitere Nachw. bei Baumert, Europäischer ordre public und Sonderanknüpfung zur Durchsetzung von EG-Recht unter besonderer Berücksichtigung der sog. mittelbaren horizontalen Wirkung von EG-Richtlinienbestimmungen, 1994, 41, 252; Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007. 541 So zu Art. 81 I EGV EuGH v. 1.6.1999 – Rs. C-126/97 – Ecco Swiss, Slg. 1999, I-3055 = NJW 1999, 3549 = EuZW 1999, 565 (Spiegel) = EWS 1999, 345 (348); s. auch Gamauf, ZfRV 2000, 41; Basedow in FS Sonnenberger, 2004, 291; Martiny in FS Sonnenberger, 2004, 523; Hilbig, Das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot im internationalen Handelsschiedsverfahren, 2006, 13. 542 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 139.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
der EuVTVO (Rz. 245c) und der sonstigen europäischen Rechtsakte, die das Vollstreckbarerklärungsverfahren abschaffen und keine substanziellen Versagungsgründe zulassen (Rz. 3198c ff.) – auch im Europäischen Binnenmarkt die ordre public-Prüfung gegenüber Entscheidungen aus anderen EU-Staaten nicht entfällt. Auch ist die Prüfungsdichte gegenüber solchen Entscheidungen im Vergleich zu denen aus Drittstaaten nicht geringer. Es wird aber auch nicht schärfer geprüft. Nicht jeder Verstoß gegen Unionsrecht führt automatisch zur Nichtanerkennung.543 Der Vorschlag der Kommission für die Neufassung der EuGVVO sah vor, die ordre public-Prüfung hinsichtlich des zur Anerkennung anstehenden Inhalts der ausländischen Entscheidung ersatzlos zu streichen.544 Sie konnte sich damit aber nicht durchsetzen, vgl. Art. 45 I (a) EuGVVO. Erfolgreich war sie aber in puncto Beseitigung des Exequaturerfordernisses, Art. 39 EuGVVO (Rz. 3174b, 3199). 2970
Beispiele: Das Fehlen schriftlicher Urteilsgründe ist für sich allein kein Verstoß gegen den ordre public.545 Allerdings wird die Prüfung des erststaatlichen Urteils auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public erschwert. Ein non liquet geht zu Lasten der siegreichen Partei.546
Die Verurteilung zu Zinseszinsen verstößt nicht gegen den deutschen ordre pu- 2971 blic.547 Verurteilt ein ausländisches Gericht zur Auflassung oder zur Kaufpreiszahlung, obwohl der Kaufvertrag nach §§ 311b, 125 BGB formnichtig ist, der deutsche Richter also – hätte er den Erstprozess zu entscheiden gehabt – die Klage abgewiesen hätte, so ist dies für sich allein kein Grund, den ordre public einzusetzen. Dies gilt auch im Falle des Schwarzkaufs (Unterverbriefung).548
543 EuGH v. 11.5.2000 – Rs. C-38/98 – Renault/Maxicar, Slg. 2000, I-2973 = NJW 2000, 2185 = EWiR 2000, 627 (R. Geimer) = IPRax 2001, 328 (Heß 301) = ZZPInt 5 (2000), 248 (Fritzsche); hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 460 und Dietze/Schnichels, EuZW 2001, 581 (585). 544 Geimer in FS Simotta, 2012, 163, 177. 545 Enger möglicherweise Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 208, 532. 546 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3102 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b; OLG Karlsruhe v. 6.12.2001 – 9 W 30/01, FamRZ 2002, 839 (840); R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 144. Zustimmend Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 199; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 181 und aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 97. 547 OLG Hamburg v. 26.1.1989 – 6 U 71/88, RIW 1991, 152 (154). 548 OLG Königsberg v. 28.7.1939, RabelsZ 13 (1940/41), 178 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 647.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2972 Dem sich in Deutschland aufhaltenden Schuldner darf nicht zugemutet werden, dass er vom ausländischen Gericht zu Schadensersatz deshalb verurteilt wird, weil er sich entsprechend den deutschen Gesetzen (insbes. Verbotsgesetzen) und dem EU-Recht verhalten hat. Daraus folgt Nichtanerkennung eines ausländischen Urteils, das den Schuldner zu Schadensersatz wegen Nichterfüllung verurteilt, wenn dieser deshalb nicht geleistet hat, weil ihm dies durch europäisches oder deutsches Devisen-, Außenwirtschafts- oder Kulturschutzrecht (Exportverbote549) verboten war bzw. die erforderliche behördliche Genehmigung nicht erteilt worden ist.550 Anders ist es jedoch, wenn der Schuldner eine Garantie für Beschaffung der (an sich möglichen) Genehmigung übernommen hat, oder wenn er sich um Genehmigung nicht bemüht hat. Hat der Schuldner wegen seiner Untätigkeit die auf europäischen oder deutschen Devisen- bzw. Ausfuhrbestimmungen551 beruhende Unmöglichkeit der (rechtzeitigen) Erfüllung zu vertreten, dann verstößt es nicht gegen deutschen ordre public, wenn er zu Schadensersatz verurteilt wird (Rz. 3921). 2973 Spricht der ausländische Richter Schadensersatz wegen vertraglichen oder außervertraglichen Unrechts zu, obwohl dies die vom deutschen internationalen Privatrecht berufene lex causae nicht oder nicht in diesem Umfang vorsieht, so ist dies für sich allein kein Grund, die Anerkennung zu verweigern. Art. 40 III EGBGB ist gegenüber ausländischen Urteilen nicht durchzusetzen.552 Das Ver549 Z.B. Pieroth/Kampmann, NJW 1990, 1385; Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, Art. 9 Rom I-VO Rz. 61 ff. m.w.N. 550 OLG Bamberg v. 25.3.1937, IPRspr. 1935–1944 Nr. 644a; RG v. 2.11.1937, JW 1938, 468 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 644b; LG Dortmund v. 8.1.1936, JW 1936, 1550 = IPRspr. 1935–1944 Nr. 714; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 176. 551 So bedarf z.B. die Ausfuhr des in das „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“ bzw. in das „Verzeichnis national wertvoller Archive“ eingetragene Kultur- bzw. Archivgut der Genehmigung des Bundesministers des Innern. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn bei Abwägung der Umstände des Einzelfalles wesentliche Belange des deutschen Kulturbesitzes überwiegen, §§ 1 IV, 5 I, 10 III, 12 I des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung i.d.F. v. 8.7.1999, BGBl. I 1999, 1754. S. auch das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG – Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der RL 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern) v. 18.5.2007, BGBl. I 2007, 757. Hierzu Halsdorfer, Der Beitritt Deutschlands zum UNESCO-Kulturgutübereinkommen und die kollisionsrechtlichen Auswirkungen des neuen KultGüRückG, IPRax 2008, 395. 552 BGH v. 22.6.1983 – VIII ZB 14/82, BGHZ 88, 17 = MDR 1983, 1019 = NJW 1984, 568 = RIW 1983, 695 = WM 1983, 914 = JZ 1983, 903 (Kropholler) = IPRax 1984, 202 (Roth 183) = IPRspr. 1983 Nr. 176; grundlegend BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3098 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. S. auch LG Heilbronn v. 6.2.1991 – 1b O 2122/89 III, RIW 1991, 343 = IPRax 1991, 262 = IPRspr. 1991 Nr. 201; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 507; Schack, VersR 1984, 422; Stiefel/Stürner,
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Anerkennung
Zwölfter Teil
bot des Ersatzes immaterieller Schäden (§ 253 I BGB) wurde bereits bei reinen Inlandsfällen von der Rspr. und nun auch vom Gesetzgeber (§ 253 II BGB) aufgelockert. Es ist keinesfalls „blindlings“ gegenüber ausländischen Entscheidungen durchzusetzen. Zu Recht erachtet der Bundesgerichtshof553 ein US-Urteil, das fiktive Heilungskosten zuspricht, für vereinbar mit der deutschen öffentlichen Ordnung. Insbesondere darf eine vor allem im französischen und spanischem Rechtsraum übliche abstrakte Schadensberechnung nicht mit punitive damages gleichgesetzt werden.554 Exorbitante Abweichungen des ausländischen Deliktsrechts vom deutschen 2974 können über § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG abgewehrt werden, so z.B. horrende Schadensersatzsummen zur Sühne immaterieller Schäden, wie sie von US-Gerichten festgesetzt werden555, und zwar durch Reduzierung auf den aus deutscher Sicht erträglichen Teil.556 So hat es der Bundesgerichtshof557 ab-
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VersR 1987, 832; Zekoll, US-amerikanisches Haftpflichtrecht vor deutschen Gerichten, 1987, 27; Gottwald, ZZP 103 (1990), 283; Witte, Der US-amerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998, 179 ff.; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 126 ff.; Kropholler/von Hein in FS Stoll, 2001, 553, 572; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 172 ff.; LG Berlin v. 13.6.1989 – 20 O 314/88, RIW 1989, 988, 989; hierzu Heidenberger, RIW 1990, 804. Ausführlich Stiefel/Bungert in FS Trinkner, 1995, 749. S. auch Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe im Rechtsstaat, 2006, 130; Witte, Der USamerikanische RICO-Act und deutsche Unternehmen, 1998; Sikora, Die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Urteile in England: Punitive damages, Treble damages nach RICO und der Protection of Trading Interests Act, 1998. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = MDR 1992, 1181 = CR 1993, 274 = NJW 1992, 3101. Hierzu Bungert, ZIP 1992, 1714 und Koch, NJW 1992, 3074. Ähnlich OLG Frankfurt v. 18.5.1989 – 1 U 123/87, EWiR 1992, 829 (R. Geimer). BGH v. 8.5.2000 – II ZR 182/98, NJW-RR 2000, 1372 = RIW 2000, 872 = IPRax 2001, 586 (von Hein 567) = IPRspr. 2000 Nr. 2. Hierzu Hoechst, Die US-amerikanische Produzentenhaftung, 1986; Magotsch, RIW 1986, 413; Peterson, IPRax 1990, 187; Otte, RIW 1991, 299. Umfassende Nachw. bei Stiefel/Bungert in FS Trinkner, 1995, 749, 769 ff. sowie bei Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 356 ff. S. auch Buchner, Die Grenzen zulässiger Strafschadensersatzurteile nach der neuesten Rechtsprechung des US Supreme Court, VersR 2003, 1203. Stiefel/Stürner, VersR 1987, 843; Stürner/Stadler, IPRax 1990, 159; Siehr, RIW 1991, 707 (709); Vorpeil, RIW 1991, 1001; Drolshammer/Schärer, Schweizer, JZ 1986, 318; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 81; OLG Düsseldorf v. 28.5.1991 – 4 U 119/90, RIW 1991, 594; a.A. Stojan, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, 1986, 75; LG Berlin v. 13.6.1989 – 20 O 314/88, RIW 1989, 988 (989) (hierzu Heidenberger, RIW 1991, 599); Zekoll, US-amerikanisches Haftpflichtrecht vor deutschen Gerichten, 1987, 156; Schütze in FS Nagel, 1987, 392. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = MDR 1992, 1181 = CR 1993, 274 = NJW 1992, 3096, 3098 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Zekoll 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. Kritisch hierzu Alio, Haftungsrisiken deutscher Unternehmen beim Vertrieb ihrer Produkte in den USA, IHR 2007, 177, 182.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
gelehnt, pauschale Verurteilungen zu punitive damages558 neben der Zuerkennung von Schadensersatz für materielle und immaterielle Schäden für vollstreckbar zu erklären, es sei denn, das ausländische Urteil enthält (in seiner Begründung) plausible und nachvollziehbare Feststellungen, aus denen sich ergibt, dass mit der Verhängung von Strafschadensersatz restliche, nicht besonders abgegoltene oder schlecht nachweisbare wirtschaftliche Nachteile pauschal ausgeglichen oder vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erzielte Gewinne abgeschöpft werden sollen.559 Im Hinblick auf das Verbot der révision au fond (§ 723 I ZPO; § 109 V FamFG) darf der deutsche Zweitrichter – bei Fehlen eindeutig nachvollziehbarer Hinweise des ausländischen Gerichts für die Motive zur Verurteilung zu punitive damages – die tatsächlichen Beweggründe des ausländischen Gerichts nicht selbst erforschen, also nicht nach strafzweckfremden Funktionen560 der Verurteilung zu punitive damages suchen.561 (Vgl. Rz. 3055). 2974a Die Verurteilung eines deutschen Beamten persönlich zu Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung (Nichtbeachtung des Art. 34 GG durch ein ausländisches Gericht)562 verstößt nicht gegen den deutschen ordre public, wohl aber die Ver558 Zum Strafschadenersatz des US-Rechts z.B. Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen, in Leuenburger/Guy (ed.), Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, 2004, 111, 120; Knapp, Die US-amerikanische Produkthaftung in der Praxis der deutschen Automobilindustrie, 1997, 102; Brockmeier, Punitive damages, multiple damages und deutscher ordre public, 1999; Fritz, Punitive/exemplary damages in den USA und ihre Qualifikation als Zivilsache, 2004; Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages, 1999; Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 229 ff. S. auch S. Lüke, Punitive Damages in der Schiedsgerichtsbarkeit, 2003, sowie OLG Koblenz v. 27.6.2005 – 12 VA 2/04, IPRax 2006, 25 (Piekenbrock) = ZIP 2006, 1020. Kritisch Koch/Horlach/Thiel, RIW 2006, 356 und Alio, IHR 2007, 177 (181). 559 Großzügiger Rosengarten, NJW 1996, 1935 im Anschluss an seine Hamburger (1994): Punitive damages und ihre Anerkennung und Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu Besprechung von Zekoll, ZZP 109 (1996), 117. S. auch Griessbach/Cordero, RIW 1998, 592 (596). 560 Hierzu z.B. Wilhelmi, Das Weltrechtsprinzip im internationalen Privat- und Strafrecht, 2007, 26. 561 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3098 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze 141) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. Großzügiger (aber vom BGH insoweit aufgehoben) OLG Frankfurt v. 18.5.1989 – 1 U 123/87, EWiR 1992, 829 (R. Geimer). Vgl. auch LG Heilbronn v. 6.2.1991 – 1b O 2122/89 III, RIW 1991, 343 (344) = IPRax 1991, 262 = IPRspr. 1991 Nr. 201. 562 EuGH v. 21.4.1993 – Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann, Slg. 1993, I-1963 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (Heß 10) = EuZW 1993, 417 = ZEuP 1995, 846 (Kubis) = Rev. crit. 1994, 96 (Gaudemet-Tallon) hatte die Schadensersatzklage gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule – auch wenn das Benutzungsverhältnis nach nationalem Recht öffentlich-rechtlich organisiert ist – als Zivilsache i.S. von Art. 1 I EuGVÜ quali-
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Anerkennung
Zwölfter Teil
urteilung einer Person, die nach § 105 I SGB VII von der Haftung freigestellt ist.563 Nicht ordre public-widrig564 ist die Zuerkennung einer 40 %igen quota litis für 2975 den ausländischen Prozessbevollmächtigten565 der obsiegenden Partei566, obwohl vice versa die Vereinbarung eines Erfolgshonorars mit einem deutschen Rechtsanwalt nach § 49b II 1 Bundesrechtsanwaltsordnung567 i.V.m. § 134 BGB nichtig wäre, weil die Grenzen des § 4a RVG568 bei weitem überschritten wären.569 Das Gleiche gilt gem. § 9 StBerG für die Tätigkeit von Steuerberatern. Soweit der internationale Geltungsanspruch des zwingenden europäischen570 2976 bzw. deutschen Kartellrechts (§ 130 II GWB)571 bzw. Devisenrechts572 reicht, ist
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fiziert. Hierzu Völker, Zur Dogmatik des ordre public – Die Vorbehaltsklauseln bei der Anerkennung fremder gerichtlicher Entscheidungen und ihr Verhältnis zum ordre public des Kollisionsrechts, 1998, 144. BGH v. 16.9.1993 – IX ZB 82/90, BGHZ 123, 268 = MDR 1994, 39 = NJW 1993, 3269 = WM 1993, 2252 = EuZW 1994, 29 = IPRax 1994, 118 (Basedow 85) = JZ 1994, 254 (Eichenhofer) = ZZP 108 (1995), 241 (Haas 219) = EWiR 1994, 51 (Heß) = LM Nr. 4245 zu EGÜbk. (Kronke) = IPRspr. 1993 Nr. 178. OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 7 U 87/00, RIW 2004, 302 = NJOZ 2004, 3369 = IPRspr. 2003 Nr. 184. Weitere Nachw. bei Staudinger/Voltz, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 193; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 251. Zum englischen Recht Schepke, Das Erfolgshonorar des Rechtsanwalts – Gegenläufige Gesetzgebung in England und Deutschland, 1998; Pisani, IPRax 2001, 293. Zum USamerikanischen Recht Herrmann, Die Anerkennung US-amerikanischer Urteile in Deutschland unter Berücksichtigung des ordre public, 2000, 222 ff. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = CR 1993, 274 = MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096, 3098 (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. BVerfG v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, FamRZ 2007, 615 = MDR 2007, 621 = BRAK 2007, 63 = BB 2007, 617 hält § 49b II 1 BRAO mit Art. 12 I GG insoweit für nicht vereinbar, als keine Ausnahme für den Fall zugelassen wird, dass der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Mandanten Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Hierzu Mankowsi in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 1441 ff. Zum Anwendungsbereich des § 49b BRAO OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, NJW-RR 2000, 1367 = RIW 2001, 374 = IPRspr. 2000 Nr. 175. Zu den englischen conditional fee agreements Pisani, IPRax 2001, 293. Zur Nachprüfung einer den wirklichen Aufwand weit überschreitenden Arbeitszeit-Honorarabrechnung eines ausländischen Rechtsanwalts (Stundenhonorar) BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 43/03, MDR 2004, 1196 = NJW 2004, 2386, 2388 = IPRax 2006, 47 (Hau 20). S. auch BGH v. 24.7.2003 – IX ZR 131/00, IPRax 2005, 150 (Spickhoff 125; Staudinger 129). Art. 81 EGV. Vgl. auch Rz. 2969a sowie Hilbig, Das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot im internationalen Handelsschiedsverfahren, 2006, 13, 99; Niggemann, SchiedsVZ 2005, 265. BGH v. 24.3.1981 – KZR 4/80, IPRax 1982, 21 (Rehbinder 7) = IPRspr. 1981 Nr. 136. Zur Durchsetzung international zwingenden Devisenrechts (= i.d.R. gleichbedeutend mit Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Abk., s. Rz. 234) Ebke, Internationales Devisenrecht,
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
dieses grundsätzlich auch gegenüber ausländischen Entscheidungen durchzusetzen.573 2977 Die Verurteilung zur Eingehung der Ehe aufgrund Verlöbnisses verstößt gegen den deutschen ordre public; sie wäre im Übrigen nicht vollstreckbar, § 120 III FamFG. Nicht ordre public-widrig ist jedoch Verurteilung zur Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Verlöbnisbruchs: § 1297 II BGB wird über § 109 I Nr. 4 FamFG nicht durchgesetzt.574 2978 Gegenüber ausländischen Urteilen sind auch zumindest die elementaren Grundsätze des deutschen Verbraucherschutzrechts beachtlich im Hinblick auf § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG, soweit dieses internationale Geltung beansprucht (Art. 9 Rom I-VO), d.h. sofern dieses – hätte der deutsche Richter den Prozess entschieden – ohne Rücksicht auf die lex causae zur Anwendung gekommen wäre.575 2979 Nach Neufassung des § 61 BörsG576 war die deutsche Rspr. zurückhaltender als früher bei der Anwendung des ordre public gegenüber ausländischen Entscheidungen (Rz. 1770, 3926).577 Bei im Ausland geschlossenen Börsentermingeschäften gehörte der Termin- und Differenzeinwand578 nicht mehr zum anerkennungs-
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1991, 214, Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 625 und OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, EWiR 1992, 1291 (R. Geimer). Sehr anerkennungsfreundlich EuGH v. 11.5.2000 – Rs. C-38/98 – Renault/Maxicar, Slg. 2000, I-2973 = NJW 2000, 2185 = EWiR 2000, 627 (R. Geimer) = IPRax 2001, 328 (Heß 301) = ZZPInt 5 (2000), 248 (Fritzsche); hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 460; Dietze/Schnichels, EuZW 2001, 581 (585); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht2, Art. 34–36 EuGVVO Rz. 4. Frankenstein, IPR III, 1934, 45. Vgl. schon RG v. 28.3.1930, JW 1932, 591 = IPRspr. 1931 Nr. 7. A.A. Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 48. BGBl. I 1996, 1030. Hierzu Dannhoff, Das Recht der Warentermingeschäfte, 1993, 212 ff.; de Lousanoff in FS Nirk, 1992, 607; Mankowski, RIW 1996, 1001. Zur Rechtslage auf der Basis der BörsG-Novelle 1989 Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007, 31 ff. Das Fehlen einer Mindestaufklärung über Risiken von Finanztermingeschäften verletzt deutschen ordre public. Diese muss aber nicht unbedingt in den Formen des § 37d WpHG erfolgen, Jordans, a.a.O., 130. S. auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 199. BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626, 628 = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (G. Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185; zum alten Recht BGH v. 26.2.1991 – XI ZR 349/89, NJW-RR 1991, 757 = MDR 1991, 752 = RIW 1991, 420 = IPRax 1992, 380 (Samtleben 362) = EWiR 1991, 559 (Koller) = WuB VII B 3 § 1044 ZPO 1.91 (Schütze) = IPRspr. 1991 Nr. 222; BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 52/92, NJW-RR 1993, 1519 = WM 1993, 2121 = WuB I G 5 BörsG 2.94 (Thode) = IPRspr. 1993 Nr. 194; OLG Frankfurt v. 25.7.1996 – 16 U 157/95, NJWRR 1997, 1202 = RIW 1997, 600 = WM 1996, 2107 = EWiR 1996, 1071 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 152. Zur Abschaffung des Differenzeinwands Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007, 59; Staudinger/Voltz, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 192.
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rechtlichen ordre public.579 Dies gilt auch dann, wenn das Termingeschäft nicht Devisen oder Edelmetalle, sondern andere Waren zum Gegenstand hat. § 37e WpHG580 ist liberaler und muss – im Gegensatz zu § 37g WpHG – nicht mehr über den anerkennungsrechtlichen ordre public durchgesetzt werden.581 Die Anerkennung einer Scheidung einer bigamischen Ehe (statt Aufhebung, frü- 2980 her: Nichtigerklärung) scheitert nicht am deutschen ordre public582, ebenso nicht die Scheidung ohne Einhaltung der Trennungsfrist des deutschen Rechts (§ 1566 BGB).583 Eine einvernehmlich herbeigeführte Scheidung, um die Ausreiseerlaubnis aus einem ehemaligen Ostblockland zu erhalten, verstieß grundsätzlich nicht gegen den ordre public.584 Der ordre public greift jedoch ein, wenn das ausländische Urteil das Bigamie-Verbot ignoriert.585 Ebenso, wenn die ausländischen Behörden Druck auf die Beteiligten ausgeübt haben, um die Scheidung zu erzwingen.586 Die Verstoßung der Ehefrau (ordnungsgemäß registriert von einem Sharia-Gericht des Heimatstaates der Parteien) verstößt jedenfalls dann nicht gegen den deutschen ordre public, wenn auch nach deutschem Recht die Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben gewesen wären.587 (S. auch Rz. 2641a). Auch gegenüber ausländischen Urteilen zur Geltung zu bringen ist § 1614 BGB. 2981 Hält das ausländische Gericht einen Verzicht auf Unterhalt für die Zukunft für wirksam588, so ist das ausländische Urteil, das deswegen die Unterhaltsklage abweist, nicht anzuerkennen. Umgekehrt ist § 1613 BGB (Verbot für die Vergangen-
579 BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626, 628 = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (G. Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185. 580 Zu § 37d WpHG a.F. Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht7, Rz. 2512 ff.; Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz, 2007, 28 ff., 50 ff. S. aber auch BGH v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 = MDR 2010, 807 = IPRax 2011, 497 (Engert/Groh 458) RIW 2010, 391 = IPRspr. 2010 Nr. 49. Hierzu Frisch, VuR 2010, 283. 581 BGH v. 25.1.2005 – XI ZR 78/04, MDR 2005, 641 = NJW-RR 2005, 1071 = RIW 2005, 463 = EWiR 2005, 823 (Balzer) = ZIP 2005, 478, 481 = IPRspr. 2005 Nr. 12. Hierzu auch Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, 199 ff. 582 BayObLG v. 13.5.1993 – 3Z BR 36/93, BayObLGZ 1993, 222 = IPRspr. 1993 Nr. 187. 583 BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175; BayObLG v. 9.6.1993 – 3Z BR 45/93, FamRZ 1993, 1469 = IPRspr. 1993 Nr. 188. 584 LJV NW v. 11.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 184. Hierzu Krzywon, StAZ 1989, 101. 585 LJV BW, FamRZ 1990, 1016. 586 BayObLG v. 11.6.1992 – 3Z BR 18/92, BayObLGZ 1992, 195 = NJW-RR 1992, 1478 = FamRZ 1993, 451 = IPRspr. 1992 Nr. 235. 587 OLG Koblenz v. 21.9.1992 – 11 VA 1/92, NJW-RR 1993, 70 = FamRZ 1993, 563 = IPRspr. 1992 Nr. 236; OLG Köln v. 9.5.1996 – 21 WF 151/95, FamRZ 1996, 1147 = IPRspr. 1996 Nr. 76. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 3.11.1997 – 2 UF 78/97, FamRZ 1998, 1113. 588 So für türkisches Recht OLG Koblenz v. 12.2.1985 – 11 UF 788/84, IPRax 1986, 40 (Henrich 24) = IPRspr. 1985 Nr. 92.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
heit Unterhalt zu verlangen) über § 109 I Nr. 4 FamFG nicht auch gegenüber ausländischen Urteilen durchzusetzen.589 2982 Auch sonst haben sich die deutschen Gerichte bei Anwendung des ordre public in Unterhaltsangelegenheiten sehr zurückgehalten.590 Das Prinzip des § 1600d IV BGB (keine Verurteilung zu Unterhalt ohne [vorherige] statusrechtliche Feststellung der Vaterschaft) wird international nicht durchgesetzt.591 Auch gehört der Grundsatz des verschuldensunabhängigen nachehelichen Unterhaltsanspruchs des (bedürftigen) geschiedenen Ehegatten (eingeschränkt durch § 1579 BGB) nicht zum unantastbaren Bestand der deutschen Rechtsordnung. Die Anerkennung ausländischer Scheidungsfolgenurteile, die auf der Basis des Verschuldens am Scheitern der Ehe die Unterhaltsfrage entschieden haben, scheitert also nicht am ordre public.592 Wenn im Erststaat mehr Unterhalt zugesprochen wurde als in einem deutschen Unterhaltsprozess möglich gewesen wäre, so ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden, ebenso nicht eine Unterhaltspauschalierung für mehrere Jahre, auch wenn diese die Substanz des Schuldnervermögens stark in Anspruch nimmt.593 Die Unterhaltshöhe für Kinder und (geschiedene) Ehegatten divergiert von Rechtsordnung zu Rechtsordnung. Diese Unterschiede sind grundsätzlich hinzunehmen.594 § 109 I Nr. 4 FamFG kommt auch dann nicht zum Zug, wenn das vom Erstrichter angewandte Recht einen Mindestunterhalt ohne Rücksicht darauf gewährt, ob der Pflichtige leistungsfähig ist oder nicht. Allerdings kann der Pflichtige sich im Zweitstaat auf den Pfändungsschutz berufen.595 2983 Ausländischem Unterhaltsrecht, das den Kreis der gesetzlichen Unterhaltsgläubiger weiter zieht als das BGB, steht der ordre public grundsätzlich nicht entgegen.596 Ausnahme: § 61 II AUG. 2984 Auch Zahlvaterschaftsurteile sind anerkennungsfähig.597 Anerkennung einer Unterhaltsentscheidung setzt also kein Abstammungsurteil voraus (Rz. 2982).598
589 BGH v. 17.6.2009 – XII ZB 82/09, EuZW 2009, 671; OLG Düsseldorf v. 25.6.1980 – 5 UF 77/80, DAVorm 1980, 762 = IPRspr. 1980 Nr. 4; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 34. 590 Nachw. bei Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. II Rz. 301; Henrich, IPRax 1992, 86. Vorrangig ist die EuUnterhVO (Rz. 245c). 591 Es ist bereits im deutschen Recht durch § 248 FamFG relativiert. S. aber auch Rz. 3073. 592 Baumann, a.a.O., 33. 593 OLG Karlsruhe v. 6.12.2001 – 9 W 30/01, FamRZ 2002, 839. 594 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 2, 1984, Kap. II Rz. 301; Baumann, a.a.O., 34. 595 Kennt das vom Erstgericht angewandte Recht keinen Selbstbehalt (mit der Folge, dass Eltern und Kinder alles miteinander teilen müssen), so will AG Hamburg v. 27.6.1985 – 289 F 57/85, IPRax 1986, 178 (Henrich) den ordre public anwenden; hierzu Baumann, a.a.O., 35. 596 A.A. LG Düsseldorf v. 24.1.1991 – 13 O 629/90, FamRZ 1991, 581. 597 Baumann, a.a.O., 32; KG v. 22.6.1982 – 1 W 4686/81, FamRZ 1982, 1240 = IPRspr. 1982 Nr. 176. Anders AG Hamburg-Wandsbek v. 15.4.1982 – 714 C 587/79, DAVorm 1982, 706 = IPRspr. 1982 Nr. 184. 598 Anders OLG Hamm v. 9.11.2004 – 29 W 59/04, IPRspr. 2004 Nr. 177.
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Anerkennung
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Im Hinblick auf das Verbot der révision au fond wird die Vorfrage der Abstammung nur in besonders krass gelagerten Fällen (welche die Toleranzschwelle des anerkennungsrechtlichen ordre public [§ 109 I Nr. 4 FamFG] übersteigen) im Exequaturverfahren näher geprüft werden. Macht der Unterhaltsschuldner geltend, er sei nicht der Vater, so kann er im Inland negativen Abstammungsantrag (§ 169 Nr. 1 FamFG) stellen. Ist dieser erfolgreich, so kann er gegen die deutsche Vollstreckbarerklärung des ausländischen Unterhaltstitels mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) vorgehen.599 Ist aber im Ausland ein Abstammungsurteil (isoliert oder im Entscheidungs- 2984a verbund) ergangen, dann kann man nicht einfach die Anerkennungsfähigkeit der Statusentscheidung dahingestellt sein lassen. Denn eine Verurteilung zur Zahlung des Kindesunterhalts basiert rechtslogisch auf der Feststellung der Vaterschaft. Ist die Anerkennungsfähigkeit des statusrechtlichen Teils des ausländischen Urteils zu bejahen, so ist das deutsche Gericht an die Feststellungswirkung (res iudicata) bzw. Gestaltungswirkung des erststaatlichen Urteils gebunden. Kommt eine Anerkennung der Statusentscheidung jedoch nicht in Betracht, so 2984b scheitert die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung des unterhaltsrechtlichen Teils nicht generell. Denn Nichtanerkennung bedeutet nur, dass aus deutscher Sicht keine anerkennungsfähige Feststellungs- oder Gestaltungswirkung der ausländischen Entscheidung zu beachten ist. In diesem Fall hat das deutsche Gericht die Frage der Vaterschaft selbständig als Vorfrage zu prüfen; das in § 1600d IV BGB bzw. in der Parallelnorm des maßgeblichen Abstammungsstatuts niedergelegte Prinzip der vorherigen Feststellung der Vaterschaft steht in einer solchen Konstellation nicht entgegen. Wollte man diese Ausnahme nicht zulassen, so müsste man dem Kind Gelegenheit gegeben, das Vaterschaftsfeststellungsverfahren in Deutschland zu wiederholen, und bis zum Abschluss dieses Verfahrens das Vollstreckbarerklärungsverfahren aussetzen. Steht aufgrund eigener Prüfung der deutschen Gerichte (als Vorfrage oder im Vaterschaftsfeststellungsverfahren) die Vaterschaft fest, dann sind die deutschen Gerichte hinsichtlich der Folgen der Vaterschaftsfeststellung wiederum an die (anerkennungsfähige) Feststellungswirkung der ausländischen Annexentscheidung gebunden. Vorzuziehen ist aber folgender liberaler Ansatz: Im Hinblick auf das Schutzbe- 2984c dürfnis des (minderjährigen) Kindes wird die ordre public-Widrigkeit der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung des unterhaltsrechtlichen Teils der Verbundentscheidung ohne Feststellung der Vaterschaft verneint und der Unterhaltstitel für vollstreckbar erklärt; der Nicht-Vater wird auf die Vollstreckungsgegenklage verwiesen, sofern er mit dem negativen Abstammungsantrag erfolgreich war (Rz. 3073).600 Der deutsche Zweitrichter prüft auch die Vereinbarkeit des dem Titel zugrunde 2984d liegenden Vaterschaftsanerkenntnisses mit dem deutschen ordre public.601 Ein 599 Zum Folgenden R. Geimer, IPRax 2004, 419 mit Nachw. 600 Ebenso im Ergebnis Martiny in Handbuch IZVR III/1, 1982, Kap. I Rz. 333. 601 Das LG Frankfurt/M. v. 18.2.1977, DAVorm 1977, 342 = IPRspr. 1977 Nr. 141; LG Frankfurt/M. v. 22.6.1978, DAVorm 1979, 534 = IPRspr. 1978 Nr. 161, verneinte – wohl
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ordre public-Verstoß ist nicht schon deshalb zu bejahen, weil die Beweisaufnahme, insbes. die serologische Begutachtung, nicht den Anforderungen entspricht, die nach deutschem Recht zu stellen sind.602 Die Vaterschaftsfeststellung ohne medizinische Untersuchung aufgrund der Aussage der Mutter oder Großmutter603 des Kindes verstößt aber gegen den deutschen ordre public (Rz. 2964).604 2985 Die Verurteilung des Schuldners zur Zahlung in (aus der Sicht des Erststaates) fremder Währung (d.h. in der Währung eines dritten Staates) verstößt nicht gegen deutschen ordre public. Schließlich können auch deutsche Gerichte zur Zahlung in ausländischer Währung verurteilen, § 244 I BGB, was in einer Reihe fremder Staaten nicht möglich ist.605
602
603 604
605
zu Unrecht – ordre public-Verstoß, obwohl das polizeiliche Protokoll über das Vaterschaftsanerkenntnis ohne Zuziehung eines Dolmetschers abgefasst worden war. Zur Überprüfung der Vaterschaftsfeststellung auch AG Kassel v. 10.3.1980 – 70 C 72/78, DAVorm 1981, 236 = IPRspr. 1980 Nr. 165; OLG Düsseldorf v. 14.3.1988 – 3 W 45/88, DAVorm 1988, 633 = IPRspr. 1988 Nr. 192b; LG Hamburg v. 4.2.1993 – 302 S 69/92, FamRZ 1993, 980 = IPRspr. 1993 Nr. 4. OLG München v. 17.2.1982 – 20 U 3517/81, DAVorm 1983, 246 = IPRspr. 1982 Nr. 167; KG v. 22.6.1982 – 1 W 4686/81, FamRZ 1982, 1240 = IPRspr. 1982 Nr. 176; LG Hamburg v. 4.2.1993 – 302 S 69/92, FamRZ 1993, 980 = IPRspr. 1993 Nr. 4; OLG Düsseldorf v. 18.9.1998 – 3 U 13/98, FamRZ 1999, 447 = IPRspr. 1998 Nr. 201. Anders AG Hamburg-Wandsbek v. 15.4.1982 – 714 C 587/79, DAVorm 1982, 706 = IPRspr. 1982 Nr. 184. A.A. OLG Köln v. 17.9.2007 – 16 W 8/07, FamRZ 2008, 1763 = IPRspr. 2007 Nr. 208. AG Würzburg v. 4.8.1994 – 15 C 3054/93, FamRZ 1994, 1596 = IPRspr. 1994 Nr. 176. A.A. OLG Hamm v. 21.2.2003 – 11 UF 335/02, FamRZ 2003, 1855 = IPRax 2004, 437 (R. Geimer 419) = IPRspr. 2003 Nr. 78; Gottwald in MüKo.ZPO4, § 328 Rz. 100 unter Hinweis auf BGH v. 9.4.1986 – IVb ZR 28/85, NJW 1986, 2193 = FamRZ 1986, 665 = MDR 1986, 832 = IPRax 1987, 247 (Winkler von Mohrenfels 227) = IPRspr. 1986 Nr. 95; ebenso BSG v. 3.12.1996 – 10 RKg 12/94, BSGE 79, 277 = NJW-RR 1997, 1433 = IPRax 1998, 367 (369) (Eichenhofer 352) = IPRspr. 1996 Nr. 192. Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, Art. 9 Rom I-VO Anh. I Rz. 66. Einen Sonderfall bildete die Praxis der früheren CSFR-Gerichte, die im forum actoris Unterhaltsschuldner mit Wohnsitz in Deutschland zur Zahlung von Unterhalt in DM oder sonstigen westlichen harten Währungen verurteilten. Hintergrund war der chronische Devisenmangel der CSFR. Die westlichen Devisen vereinnahmte die CSFR-Nationalbank, der Gläubiger erhielt Landeswährung zu einem unrealistischen (der Kaufkraft nicht entsprechenden) Wechselkurs. Hauptnutznießer war also der ausländische Urteilsstaat. Gleichwohl haben sich die deutschen Gerichte geweigert, den ordre public einzusetzen. Es sei nicht Aufgabe der deutschen Gerichte, das Devisengebaren der CSFR anzuprangern, BGH v. 26.11.1986 – IVb ZR 90/85, MDR 1987, 393 = NJW 1987, 1146 = RIW 1987, 312 = FamRZ 1987, 370 = IPRspr. 1986 Nr. 183; OLG Düsseldorf v. 26.11.1986 – 5 UF 27/86, DAVorm 1987, 836 = IPRspr. 1986 Nr. 184; OLG München v. 12.11.1984 – 4 UF 354/84, DAVorm 1985, 164 = IPRspr. 1984 Nr. 181; vgl. auch OLG Nürnberg v. 7.11.1984 – 10 WF 2959/84, DAVorm 1985, 345 = IPRspr. 1984 Nr. 170. Doch ist festzuhalten, dass der in Deutschland lebende Unterhaltsschuldner die Unbilligkeiten des Zwangskurses nicht unbegrenzt hinnehmen und „finanzieren“ muss. Fraglich ist nur, wann in concreto die Toleranzgrenze des ordre public überschritten ist, BGH v. 9.5.1990 – XII ZB 133/88, FamRZ 1990, 992 = ZZP 103 (1991), 471 (R. Geimer) = NJW 1990, 2197 = MDR 1991, 52 = IPRspr. 1990 Nr. 210. S. auch OLG Düsseldorf v. 10.11.1986 – 8 WF 233/86, FamRZ 1987, 195 (Hen-
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Der deutsche anerkennungsrechtliche ordre public kann ins Spiel kommen, 2985a wenn das ausländische Gericht die Verfügungs- bzw. Prozessführungsbefugnis des Verwalters eines deutschen Insolvenzverfahrens nicht berücksichtigt hat (Rz. 3478).606 c) Skandalöses Verhalten einer Partei im Erstverfahren Die Anerkennung ist nach § 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG zu ver- 2986 sagen, wenn die zur Anerkennung anstehende Entscheidung das Ergebnis betrügerischer Machenschaften ist.607 Betrug erfordert Vorsatz. Das Delikt muss im ausländischen Erstprozess selbst begangen (z.B. durch Vorlage gefälschter Urkunden oder Falschaussage) und kausal für die Entscheidung sein.608 Der Prozessbetrug muss substantiiert im Verfahren vor dem deutschen Zweitrichter vorgetragen werden und ist nur dann relevant, wenn er während des Erstverfahrens nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. -behelfen geltend gemacht werden
rich/Bytomski 511) = IPRspr. 1986 Nr. 70; OLG Düsseldorf v. 7.3.1986 – 3 UF 111/85, FamRZ 1986, 587 = IPRspr. 1986 Nr. 86; OLG Frankfurt v. 16.6.1986 – 3 WF 125/86, FamRZ 1987, 623 = IPRspr. 1986 Nr. 88; OLG Jena v. 8.12.1994 – 6 W 336/94, DAVorm 1995, 1085 = IPRspr. 1994 Nr. 172; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 36. 606 Dies lässt OLG Karlsruhe v. 24.5.2013 – 8 W 16/13, FamRZ 2014, 144 (145) außer Betracht. 607 BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386 (2388) = IPRax 2006, 47 (Hau 20) = MDR 2004, 1196 = IPRspr. 2004 Nr. 161; BGH v. 15.12.2005 – IX ZB 276/04, AnwBl. 2006, 214 = IPRspr. 2005 Nr. 163; BSG v. 3.12.1996 – 10 RKg 12/94, BSGE 79, 277 = NJW-RR 1997, 1433 = IPRax 1998, 367, 369 (Eichenhofer 352) = IPRspr. 1996 Nr. 192. Vgl. auch BayObLG v. 28.7.1999 – 3Z BR 142/99, BayObLGZ 1999, 211. Allerdings obliegt der an der Nichtanerkennung interessierten Partei die Behauptungs- und Beweislast, BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698, 700 = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160. Zur englischen Sicht Cheshire, North & Fawcett, Private International Law14, 551 ff. Zur parallelen US-Perspektive Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws4, § 24.17. Nachw. auch bei Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren: Eine Studie zu den vom erschlichenen Schiedsspruch aufgeworfenen Fragen des Aufhebungsverfahrens gemäß § 1059 ZPO, 2005, 127, und bei Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 480 ff. 608 BGH v. 10.7.1986 – IX ZB 27/86, NJW-RR 1987, 377 = WM 1986, 1370 = IPRax 1987, 236 (Grunsky 219) = IPRspr. 1986 Nr. 182; BGH v. 15.10.1992 – IX ZR 231/91, MDR 1993, 907 = NJW 1993, 1270 (1271) = WM 1993, 223 = LM Nr. 2 dt.-österr. Anerkennungsvertrag – Zivilsachen; OLG Hamburg v. 1.4.1981, IPRspr. 1981 Nr. 182; OLG Saarbrücken v. 3.8.1987 – 5 W 102/87, IPRax 1989, 37 (39) (Roth 17) = NJW 1988, 3100 = IPRspr. 1987 Nr. 156; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 2, 1984, Kap. II Rz. 360, 1160; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 38; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 144; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 97. Vgl. auch Roland M. Müller, Anerkennung und Vollstreckung schweizerischer Zivilurteile in den USA, 1994, 125 und Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 34–36 EuGVVO Rz. 5b.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
konnte (Rz. 2990).609 Andernfalls ist der Einwand präkludiert.610 Dies soll nach der Rspr. des Bundesgerichtshofs611 jedoch nur gelten, wenn sich der Beklagte im erststaatlichen Verfahren tatsächlich verteidigt hat. Andernfalls soll ihm auch noch im Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsverfahren der Betrugseinwand erhalten bleiben.612 § 581 ZPO kommt nicht zur Anwendung.613 Die Einleitung eines Restitutionsverfahrens im Erststaat ist nicht erforderlich.614 Es muss sich der Geschädigte auf den Betrug berufen. Der Täter kann nicht unter Hinweis auf den eigenen Betrug die Nichtanerkennung verlangen, um im Inland neu und mit mehr Aussicht auf Erfolg klagen zu können. 2987 Beispiele für Urteilserschleichung: Ein Kaufmann erhebt in Pisa gegen seinen in Frankfurt/M. domizilierten Geschäftspartner Klage auf Zahlung des Kaufpreises aus Liefervertrag, der in Wahrheit bereits bezahlt war. Der Beklagte ließ Versäumnisurteil ergehen, weil der Kläger ihm nach Zustellung der Klage erklärt hatte, diese sei „nicht ernst gemeint“. Sie solle lediglich gegenüber der Gläubigerbank die der Gewährung von Krediten zugrundeliegenden Angaben glaubwürdiger erscheinen lassen. Auch nach Erlass des Versäumnisurteils hatte der Kläger nochmals versichert, dass er das Urteil nur aus kreditrechtlichen Gründen brauche und dass er nicht vollstrecken werde. Es würde gegen den deutschen ordre public verstoßen, ein durch Täuschung des ausländischen Erstgerichts erschlichenes Urteil anzuerkennen und zu vollstrecken, zumal der Kläger den Beklagten durch Täuschung davon abgebracht hatte, sich gegen die wahrhaftswidrig begründete Klage und gegen das Versäumnisurteil zu verteidigen.615 Ebenso ist zu entscheiden, wenn der Kläger ein Versäumnisurteil dadurch erschlichen hat, dass er den ordnungsgemäß und rechtzeitig geladenen Beklagten davon abgehalten hat, vor dem ausländischen Gericht zu erscheinen und sich zu verteidigen, weil er ihm mitgeteilt hatte, er werde die Klage zurücknehmen. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei gegenstandslos.616 Das Gleiche gilt, wenn die Parteien während des Rechtsstreits einen außergerichtlichen Vergleich schließen, in dem sich der Kläger zur Rücknahme der Klage verpflichtet.
609 BGH v. 15.5.2014 – IX ZB 26/13, NJW 2014, 2365; BGH v. 10.12.2009 – IX ZB 103/06, IPRspr. 2009 Nr. 241; LG Heilbronn v. 6.2.1991 – 1b O 2122/89 III, RIW 1991, 343 = IPRax 1991, 262 = IPRspr. 1991 Nr. 201. S. auch Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 184. 610 Schon Ludwig von Bar, Theorie und Praxis des IPR2, Bd. 2, 489, konstatierte, „dass die Behauptung des Betrugs keine Einrede gegen die Vollstreckung sei, wenn der begangene Dolus vor den Gerichten des Staates geltend gemacht werden kann oder konnte, in welchem die Hauptsache anhängig ist oder anhängig war“. 611 BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (702) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160; Vorinstanz: OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, IPRspr. 1997 Nr. 133; BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 43/03, MDR 2004, 1196 = NJW 2004, 2386, 2388 = IPRax 2006, 47 (Hau 20). 612 BGH v. 10.12.2009 – IX ZB 38/07, IPRspr. 2009 Nr. 243. 613 So auch Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 836. Anders wohl BGH v. 2.11.2000 – III ZB 55/99, NJW 2001, 373. Vgl. Rz. 3912. 614 BSG v. 3.12.1996 – 10 RKg 12/94, BSGE 79, 277 = NJW-RR 1997, 1433 = IPRax 1998, 367 (369) (Eichenhofer 352) = IPRspr. 1996 Nr. 192. 615 BGH v. 10.7.1986 – IX ZB 27/86, NJW-RR 1987, 377 = WM 1986, 1370 = IPRax 1987, 236 (Grunsky 219) = IPRspr. 1986 Nr. 182. 616 OLG Frankfurt v. 18.2.2002 – 22 W 20/01, OLGR 2002, 132 = IPRspr. 2002 Nr. 190.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
In den vorgenannten Beispielen kommt der ordre public jedoch nur dann zum Zuge, wenn der Beklagte im Erstverfahren erfolglos versucht hat, während des Erstverfahrens mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. -behelfen die Aufhebung des vom Kläger erschlichenen Versäumnisurteil zu erreichen (Rz. 2955).617 Haben beide Parteien einverständlich durch Täuschung des Gerichts ein Urteil erschlichen, dann greift der ordre public grundsätzlich nicht ein.618 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn es um die Wahrung international zwingenden Rechts im unmittelbaren Staatsinteresse (Rz. 2991) geht. d) Prüfungsmaximen Maßgebender Zeitpunkt ist derjenige, zu dem die Wirkungen der ausländischen 2988 Entscheidung eintreten (Rz. 29a, 2798, 2992).619 Nach h.M. soll der Zweitrichter bei der ordre public-Prüfung an die tatsäch- 2989 lichen Feststellungen des ausländischen Gerichts gebunden sein.620 Allerdings
617 Vgl. auch die Nachw. bei Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 260. 618 Präsidentin des OLG Celle v. 14.2.1996, StAZ 1996, 303 = IPRspr. 1996 Nr. 187. 619 A.A. z.B. Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 18: Zeitpunkt der Entscheidung über Anerkennung und/oder Vollstreckbarerklärung. 620 RG v. 30.4.1928, JW 1928, 3044 = HRR 1928 Nr. 1659; RG v. 26.4.1941, RGZ 166, 367, 373 (374) = DR 1941, 1744 = HRR 1941 Nr. 718; BGH v. 10.7.1957, FamRZ 1957, 370; LJV NW v. 2.7.1984 und v. 11.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 814 und 185; BGH v. 9.4.1973, BGHZ 60, 344 (349) = NJW 1973, 1552 = ZZP 87 (1974), 332 (Geimer) = IPRspr. 1973 Nr. 153; BGH v. 11.4.1979, NJW 1980, 529 (531); BGH v. 21.4.1998 – XI ZR 377/97, BGHZ 138, 331 = MDR 1998, 917 = NJW 1998, 2358 = RIW 1998, 626 (628) = ZIP 1998, 1024 = IPRax 1999, 466 (G. Fischer 450) = IPRspr. 1998 Nr. 185; Spickhoff, ZZP 108 (1995), 489 ff. BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175 bejaht sogar eine Bindung an rechtliche Feststellungen; vgl. auch BGH v. 19.9.1977, NJW 1978, 1114 = MDR 1978, 488 = IPRspr. 1977 Nr. 151: Mit denjenigen Beweismitteln, deren sich der Beklagte bereits bei seinem Vortrag im ausländischen Prozess bedient hat oder hätte bedienen können, kann er allein nicht ein betrügerisches Erschleichen des Urteils darlegen; KG v. 22.6.1982 – 1 W 4686/81, FamRZ 1982, 1240 = Rpfleger 1982, 433 = IPRspr. 1982 Nr. 176: kein ordre public-Verstoß, weil Erstgericht von einer weiteren Beweiserhebung zur Vaterschaft abgesehen hat, jedenfalls im Hinblick darauf, dass es der Schuldner (Vater) unterlassen hat, sich am Erstverfahren zu beteiligen und Gegenbeweise anzutreten. Weitere Nachw. bei R. Geimer, Zur Prüfung der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit bei der Anerkennung ausländischer Urteile, 1966, 49; R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 142; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1457, 1716; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, 137; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 410 ff., 422 ff.; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 258; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 226; Eckstein-Puhl, Prozessbetrug im Schiedsverfahren, 2005, 154. Vgl. zur Parallelfrage im polnischen Anerkennungsrecht Weyde, Anerkennung und Vollstreckung deutscher Entscheidungen in Polen, 1997, 126. Gegen jegliche Bindung z.B. Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 14.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
lässt der Bundesgerichtshof621 neuen Tatsachenvortrag zur Darlegung eines ordre public-Verstoßes (§ 328 I Nr. 4 ZPO bzw. § 109 I Nr. 4 FamFG) zu.622 2990 Man sollte unterscheiden zwischen Anerkennungsvoraussetzungen, welche dem Schutz unmittelbarer Staatsinteressen dienen, und solchen, welche die Durchsetzung eines Mindeststandards an inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen und damit den Schutz der Parteien (meist des Beklagten) bezwecken.623 Nur soweit unmittelbare Staatsinteressen auf dem Spiele stehen, kann eine Prüfung von Amts wegen624 oder sogar eine Tatsachenermittlung von Amts wegen (Inquisitionsmaxime) in Betracht kommen.625 In den sonstigen Fällen besteht kein Anlass, die Verhandlungsmaxime auszuschalten.626 So ist z.B. von Amts wegen und gegebenenfalls auch durch Beweiserhebung von Amts wegen zu untersuchen, ob ein ausländisches Urteil gegen in Deutschland geltendes zwingendes Kartelloder Devisenrecht (soweit es internationale Geltung beansprucht) verstößt. Insoweit geht es um unmittelbare Staatsinteressen. Der deutsche Zweitrichter hat jedoch nicht ohne Rüge aufzuklären, ob einem Zahlungsurteil eine Spielschuld oder ein wucherisches Darlehen zugrunde liegt.627 Hier geht es vornehmlich um Parteiinteressen.628 Der Einwand der Undurchsetzbarkeit der Spiel- bzw. Wett-
621 BGH v. 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 = MDR 1999, 1084 = JZ 2000, 107 (Stürner/Bormann 81) = NJW 1999, 3198 = RIW 1999, 698 (703) = LM § 328 Nr. 4852 (R. Geimer) = IPRax 2001, 230 (Haas 195) = IPRspr. 1999 Nr. 160; Vorinstanz: OLG Hamm v. 4.6.1997, IPRspr. 1997 Nr. 133 betreffend Prozessbetrug. 622 Für solche anerkennungsfeindlichen Tatsachen trägt diejenige Partei die Darlegungsund Beweislast, die sich auf die Nichtanerkennung beruft, BGH, a.a.O.; Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 16. 623 Vgl. auch OLG Hamburg v. 12.3.1998 – 6 U 110/97, OLGR 1998, 403 = IPRspr. 1999 Nr. 178. 624 Zu undifferenziert die gängige Meinung, alle Anerkennungsvoraussetzungen seien von Amts wegen zu prüfen. Ja sogar vom Untersuchungsgrundsatz ist die Rede, so z.B. Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 10. 625 Bei der Überschneidung von Privat- und Gemeinwohlinteressen ist zu ermitteln, welcher Interessenstrang prävalent ist. Zu solchen Überlappungen im Wirtschaftsrecht z.B. Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 1990, 123 Rz. 161. 626 Ebenso nun auch Dörig, Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in der Schweiz, 1998, 350: „Die unterlassene Rüge der Ordre-publicWidrigkeit im Entscheidstaat kann Verwirkungsfolgen im Anerkennungsverfahren zeitigen, sofern erststaatliche Rechtsmittel nicht a priori aussichtslos sind …“. Zustimmend weiter Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 95, 230. S. auch Nagel/ Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 184. 627 Zustimmend Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 60/61. A.A. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 33 EuGVVO Rz. 2. Eine andere Frage ist, ob der Anerkennung einer ausländischen Verurteilung zur Zahlung einer Spielschuld überhaupt der deutsche ordre public entgegensteht. So hat das Schweizer Bundesgericht (Bulletin ASA 2001, 310) ein entsprechendes englisches Urteil anerkannt. Zustimmend wohl Schlosser, a.a.O., Art. 34 EuGVVO Rz. 2. 628 Zustimmend wohl Hk-ZV/Netzer, § 723 ZPO Rz. 13.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
schuld629 ist im Übrigen nur dann beachtlich, wenn ihn der Beklagte des Erstverfahrens im deutschen Zweitverfahren rechtzeitig (§ 296 ZPO) vorbringt.630 War der Einwand auch nach dem Recht des Erststaates relevant, so ist der Be- 2991 klagte mit der Rüge der ordre public-Widrigkeit im deutschen Zweitverfahren präkludiert, wenn er ihn nicht schon im ausländischen Erstverfahren (vergeblich) vorgebracht hatte bzw. ihn nicht durch Einlegung von nach dem Recht des Erststaates statthaften Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen (erfolglos) weiterverfolgt hat. Es gilt das Gleiche wie in Rz. 2955.631 Die ordre public-Prüfung dient nicht dazu, eine nachlässige oder unzweckmäßige Prozessführung im Ausland zu korrigieren.632 e) Wirksamkeit der Fehlentscheidung des Zweitrichters zur Frage der ordre public-Widrigkeit Eine Fehlentscheidung des Zweitrichters zur Frage der ordre public-Widrigkeit 2991a (unrichtige Verneinung eines Verstoßes gegen den ordre public) ist wirksam, nicht nichtig.
XIV. Anerkennung unmittelbar kraft Gesetzes ohne Durchführung eines Anerkennungsverfahrens 1. Grundsatz Die Anerkennung erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes. Die Wirkungen eines aus- 2992 ländischen Urteils werden – soweit die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind – ipso iure auf das Inland erstreckt, ohne dass es eines besonderen Anerkennungsaktes bedarf (Rz. 2797). Dies gilt auch in Insolvenzsachen (Rz. 3526). 2. Ausnahme: Ehesachen Möglich wäre auch, die Wirkungserstreckung von der Durchführung eines beson- 2993 deren Anerkennungsverfahrens abhängig zu machen: Dann kann der ausländische Richterspruch im Inland erst beachtet werden, wenn seine Anerkennungsfähigkeit ausdrücklich festgestellt ist. Eine solche Regelung sieht § 107 FamFG für Entscheidungen in Ehesachen vor, sofern nicht beide Ehegatten dem Urteilsstaat angehören (Fall, dass sich Ausländer in ihrem gemeinsamen Heimatstaat haben scheiden lassen); das Gericht darf aber auch nicht von der Nichtanerkennung
629 Nachw. z.B. bei Staudinger/Voltz, 2013, Art. 6 EGBGB Rz. 194. 630 Ohne diese Differenzierung LG Mönchengladbach v. 14.7.1994 – 10 O 87/93, WM 1994, 1374 = WuB VII A. § 328 ZPO Nr. 1.94 (Rauscher) = EWiR 1994, 1151 (Mankowski) = IPRspr. 1994 Nr. 6. Generell zur Einklagbarkeit von Spielschulden Roquette/ Nordemann-Schiffel, ZvglRWiss 99 (2000), 444. 631 R. Geimer, ZZP 103 (1990), 481; Spickhoff, ZZP 108 (1995), 498; OLG Karlsruhe v. 6.12.2001 – 9 W 30/01, FamRZ 2002, 839 (840); BayObLG v. 8.5.2002 – 3Z BR 303/01, FamRZ 2002, 1637 (1639) = IPRspr. 2002 Nr. 205. 632 OLG Düsseldorf v. 18.9.1998 – 3 U 13/98, FamRZ 1999, 447 = IPRspr. 1998 Nr. 201.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
ausgehen, bis ein positiver Feststellungsbescheid der Landesjustizverwaltung ergangen ist (Rz. 3016).633
XV. Bedürfnis nach rechtskraftfähiger Klärung der Anerkennungsbzw. Nichtanerkennungsfähigkeit 2994 Das Prinzip der automatischen Anerkennung bewirkt, dass die Frage, ob ein bestimmtes ausländisches Urteil im Zweitstaat anzuerkennen ist, als Präjudizialpunkt jeweils von Fall zu Fall entschieden werden muss. Jedes Gericht und jede Verwaltungsbehörde, für deren Entscheidung die Frage der Anerkennung relevant ist, muss incidenter prüfen, ob die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind.634 Die Entscheidung hat Bedeutung nur für das anhängige Verfahren. Eine Bindungswirkung für nachfolgende Verfahren entsteht nicht. Daraus resultiert die Gefahr widersprechender Entscheidungen. 1. Feststellungsklage 2995 Die Wirkungen eines ausländischen Urteils im Inland, d.h. seine Anerkennungsfähigkeit, können Gegenstand einer Feststellungsklage635 bzw. eines Feststellungsverfahrens nach dem FamFG sein; Streitgegenstand ist das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen (Versagungsgründe), noch genauer: die Erstreckung einzelner Urteilswirkungen (Rechtskraft, Gestaltungswirkung etc.) auf das Inland. Es kann jedoch auch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des materiellen Rechtsverhältnisses geklagt werden, zu dem das ausländische Urteil eine Aussage macht. Die Anerkennungsfrage ist dann – abgesehen von § 256 II ZPO – nur Vorfrage, die an der Rechtskraft des deutschen Feststellungsurteils nicht teilnimmt. Sie ist aber durch dieses prozessual überholt.636 2996 Ein rechtliches Interesse ist angesichts der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen immer gegeben. Die abstrakte Gefahr reicht aus.637 Der Kläger muss nicht dartun, dass in concreto ein zweites Verfahren anhängig ist oder in Kürze anhängig sein wird, in dem widersprüchlich entschieden werden könnte. 2997 Soweit eine (rechtskräftige) Feststellungsentscheidung über die Anerkennungsfähigkeit ergangen ist, kann diese nur nach den allgemeinen Regeln (§§ 578 ff. ZPO; §§ 48 II, 118, 185 FamFG) beseitigt werden. Ansonsten bindet sie auch den Richter, der über die Vollstreckbarerklärung zu befinden hat (Rz. 3014, 3137, 3165).
633 Art. 7 § 1 FamRÄndG bzw. nunmehr § 107 FamFG kommt seit 1.3.2001 aber nur noch außerhalb des Geltungsbereichs der EuEheVO (s. Rz. 245c) zur Anwendung. 634 R. Geimer, JZ 1977, 147. S. auch Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 61. 635 Hierzu auch R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (750). 636 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung II, 1971, 120. 637 Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Bundesrepublik Deutschland als verfahrensrechtliches Problem, 1960, 35.
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Anerkennung
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Beide Parteien des ausländischen Erkenntnisverfahrens können die Anerken- 2998 nungsfähigkeit eines ausländischen Urteils klären lassen. Die unterlegene Partei braucht nicht zu warten, bis der siegreiche Gegner seinerseits klagt. Die siegreiche Partei erhebt i.d.R. positive Feststellungsklage, die unterlegene negative (s. Rz. 3169, 3174). Es ist aber auch denkbar, dass die im Erststaat siegreiche Partei auf Feststellung der Nichtanerkennung des ausländischen Urteils klagt und umgekehrt.638 Ist z.B. klar, dass ein ausländisches Urteil nicht anerkannt werden kann, weil es dem ordre public widerspricht, so hat der im Erststaat siegreiche Kläger ein rechtliches Interesse, die Unwirksamkeit des ausländischen Titels im Inland feststellen zu lassen. Nach h.M. soll jedoch das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil der Kläger im Inland erneut Leistungsklage erheben kann.639 Sowohl bei der positiven wie bei der negativen Feststellungsklage liegt ein und 2999 derselbe Streitgegenstand zugrunde. Hinsichtlich desselben ausländischen Urteils sind eine positive und eine negative Feststellungsklage nicht gleichzeitig zulässig. Der später erhobenen Feststellungsklage steht der Einwand der Rechtshängigkeit entgegen. Wird die positive Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen, so ist festgestellt, dass das ausländische Urteil im Inland keine Wirkungen entfaltet; wird die negative Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen, so ist festgestellt, dass das ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig ist. Parteien des Feststellungsstreites sind die Parteien des erststaatlichen Erkennt- 3000 nisverfahrens oder deren Rechtsnachfolger. Aber auch Dritte können ein Feststellungsinteresse haben. Die Feststellungsklage setzt voraus, dass im Erststaat bereits ein Urteil ergangen 3001 ist; eine Klage, durch die festgestellt werden soll, dass ein erst in der Zukunft zu erwartendes ausländisches Urteil im Inland (nicht) anerkannt werden kann, ist unzulässig. Die Nichtigkeit des deutschen Feststellungsurteils ist nur in seltenen Fällen ge- 3002 geben. Fehler im Verfahren oder bei der Entscheidungsfindung machen die Entscheidung nur anfechtbar. Sie werden mit Eintritt der Unanfechtbarkeit geheilt, auch dann, wenn das deutsche Zweitgericht das Vorliegen eines ordre public-Verstoßes übersehen hat, selbst wenn unmittelbare Staatsinteressen auf dem Spiele stehen (Rz. 2991). Wäre es anders, so könnte die Wirksamkeit des deutschen Feststellungsurteils ständig mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, die Anerkennung der ausländischen Entscheidung verstoße doch gegen unverzichtbare Grundsätze der deutschen Rechtsordnung.640 Dies gilt selbst dann, wenn es darum geht, ob der Erststaat die Grenzen seiner Gerichtsbarkeit (Rz. 2894) eingehalten hat (s. auch Rz. 3019, 3033). Der Streit über das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen bzw. über die 3003 Frage, ob bestimmte Urteilswirkungen auf das Inland erstreckt werden, ist eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit (§ 13 GVG), auch wenn man § 328 ZPO als bzw. § 109 FamFG öffentlich-rechtliche Norm einordnet.641 638 639 640 641
Zur internationalen Zuständigkeit s. Rz. 1243. Schütze, a.a.O., 35. A.A. BayObLG v. 18.6.1980 – BReg. 1Z 28/80, FRES 6, 421 = IPRspr. 1980 Nr. 173. Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 271, 802.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2. Unionale Anerkennungsfeststellungs- und -versagungsverfahren 3004 Art. 36 II EuGVVO a.F. (Rz. 2756j) bzw. Art. 33 II LugÜ 2007, ergänzt durch Art. 21 III EuEheVO, Art. 23 II EuUnterhVO, Art. 39 II EuErbVO (Rz. 245c), stellt – wie zuvor Art. 26 II EuGVÜ/LugÜ 1988 – ein vereinfachtes Feststellungsverfahren sowie Art. 45 IV EuGVVO ein Versagungsverfahren zur Verfügung; ebenso Art. 9 II deutsch-israelischer Vertrag, Art. 10 III deutsch-spanischer Vertrag. 3005 Feststellungsverfahren nach Art. 36 II EuGVVO n.F. und Versagungsverfahren nach Art. 45 IV, Art. 46 ff. EuGVVO n.F.: Die Verordnung hat ein für alle Mitgliedstaaten einheitliches Feststellungsverfahren eingeführt, Art. 36 II EuGVVO.642 Andernfalls müsste die Anerkennungsfähigkeit der Titel im normalen (nationalen) Klageverfahren geprüft werden, das erfahrungsgemäß zu zeitraubend und deshalb in keiner Weise geeignet ist, eine schnelle Klärung der Anerkennungsfrage zu gewährleisten. Die Vereinfachung und Beschleunigung der gegenseitigen Urteilsanerkennung ist aber gerade eines der Hauptanliegen der Verordnung. Die Einführung eines einheitlichen Anerkennungsfeststellungsverfahrens ist deshalb zu begrüßen.643 Leider hat man aber nicht allzu viel Mühe auf dessen Ausgestaltung verwendet. Art. 36 II EuGVVO verweist auf Art. 46 ff. EuGVVO.644 Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung, dass kein Anerkennungsversagungsgrund (Art. 45 I EuGVVO) vorliegt. Damit korrespondiert dieses Verfahren mit dem nach Art. 45 IV EuGVVO, das vice versa auf die Feststellung abzielt, dass die Anerkennung zu versagen sei, konkreter: dass ein oder mehrere Versagungsgründe (Art. 45 I EuGVVO) vorliegen. 3006 Statthaftigkeit der Feststellungsverfahren nach Art. 36 II und Art. 45 IV EuGVVO – Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat. Erste Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines Feststellungsverfahrens nach Art. 36 II bzw. nach Art. 45 IV EuGVVO ist das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung645 aus einem anderen Mitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO). Die Anerkennungsfähigkeit von 642 Die meisten vor dem EuGVÜ geschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge haben die Regelung des Verfahrens, in dem das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen geprüft wird, dem nationalen Recht überlassen. Dies ist bei einem bilateralen Vertrag noch akzeptabel, jedoch nicht bei einem multilateralen Übereinkommen wie dem EuGVÜ, erst recht nicht bei einer EU-VO. Wollte man auf das nationale Recht der einzelnen Mitgliedstaaten rekurrieren, so wäre die Handhabung von Staat zu Staat unterschiedlich. 643 Deutsches Ausführungsgesetz: §§ 21 ff. AusfGErbVO-RefEntw. 644 Art. 33 II LugÜ 2007 verweist auf die Vorschriften über die Vollstreckbarerklärung (Art. 38 ff. LugÜ). Dadurch wird die Unterscheidung zwischen Anerkennung und Exequaturerteilung verwischt. Das erste Verfahren hat eine Feststellung zum Gegenstand, während das letztere auf eine Rechtsgestaltung hinzielt. Durch die Vollstreckbarerklärung wird dem aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Titel die Vollstreckbarkeit für den Bereich des Zweitstaates originär verliehen. Hierzu s. auch Stein/Jonas/ Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 38 Rz. 5 ff. 645 Vollstreckbare Urkunden (Art. 58 EuGVVO) und gerichtliche Vergleiche (Art. 59 EuGVVO) erzeugen i.d.R. keine der Anerkennung fähigen prozessualen Wirkungen (Rechtskraft etc.) und kommen daher für ein Anerkennungsfeststellungsverfahren (Art. 36 II EuGVVO) nicht in Betracht.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Entscheidungen aus dritten Staaten ist – außerhalb des Anwendungsbereichs des Lugano-Übereinkommens (Art. 33 II LugÜ 2007) – wie bisher in dem vom autonomen Recht eines jeden Mitgliedstaates vorgesehenen Verfahren festzustellen, soweit in völkerrechtlichen Spezialübereinkommen (Art. 71 EuGVVO) nichts Abweichendes geregelt ist s. Rz. 3011. – Entscheidungen, für welche die Verordnung (Art. 36 ff. EuGVVO) nicht zur 3007 Anwendung kommt. Art. 36 II EuGVVO gilt nicht für alle gerichtlichen Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten, sondern nur für solche, die in den Anwendungsbereich der Verordnung gem. Art. 1 EuGVVO fallen.646 So ist z.B. die Frage, ob ein italienisches Scheidungsurteil in Deutschland anzuerkennen ist, nicht im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO zu prüfen, sondern in dem (ebenfalls fakultativen) Feststellungsverfahren nach Art. 21 III EuEheVO. – Entscheidungen, die vor Inkrafttreten der Verordnung bzw. des EuGVÜ/LugÜ 3007a 1988 erlassen worden sind. Für gerichtliche Entscheidungen, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung bzw. des einschlägigen Übereinkommens bzw. vor Inkrafttreten des jeweiligen EuGVÜ-Beitrittsübereinkommens ergangen sind, gilt ebenfalls Art. 36 II EuGVVO n.F. nicht. In Deutschland kommt das normale Klageverfahren nach § 256 ZPO zum Zuge.647 Verfahrensgegenstand nach Art. 36 II und Art. 45 IV EuGVVO: Gem. Art. 36 II 3007b EuGVVO ist Gegenstand des Feststellungsbegehrens, „dass keiner der in Artikel 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist.“ Vice versa ist Art. 45 IV EuGVVO knapper formuliert: Dort ist nur von dem „Antrag auf Versagung der Anerkennung“ die Rede. Gemeint ist die Feststellung, dass mindestens ein Versagungsgrund hinsichtlich einer konkreten zur Anerkennung anstehenden gerichtlichen Entscheidung vorliegt.648 Gegenstand eines Feststellungsverfahrens nach Art. 36 II EuGVVO können nicht 3007c die innerprozessualen Bindungswirkungen des erststaatlichen Verfahrens sein. Diese sind nur innerhalb des schwebenden Rechtsstreits im Ursprungsmitglied-
646 Hierzu z.B. Althammer in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO (Unalex-Kommentar – dt. Sprachfassung), 2012, Art. 38 Rz. 14. 647 Dies galt auch im Anwendungsbereich der Abkommen und Verträge Deutschlands mit Italien, Belgien, Griechenland, Norwegen, den Niederlanden, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Durch die AusführungsVO bzw. Ausführungsgesetze wurde nämlich nur ein vereinfachtes Exequaturverfahren eingeführt, welches das Klageverfahren gem. §§ 722, 723d ZPO verdrängt. Ein beschleunigtes Feststellungsverfahren für die Anerkennung der erststaatlichen Rechtskraft- bzw. Gestaltungswirkung gibt es nicht; anders jedoch Art. 10 III des deutsch-spanischen Vertrages. 648 Auch Art. 33 II LugÜ ist – ebenso wie Art. 33 II EuGVVO a.F. – etwas locker formuliert. Danach ist Verfahrensgegenstand die Frage „ob eine Entscheidung anzuerkennen ist“. Dies ist unpräzise: Gegenstand der Anerkennung können nur die Wirkungen der gerichtlichen Entscheidung sein, welche diese nach dem Recht des Erststaates hervorbringt. Es ist daher empfehlenswert, in dem Feststellungsantrag die Urteilswirkungen näher zu bezeichnen, deren Erstreckung auf den Zweitstaat behauptet wird. I.d.R. dürfte dies die Rechtskraft- bzw. Gestaltungswirkung sein. In Betracht kommen aber auch die Streitverkündungs- und Interventionswirkung.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
staat (Art. 2 lit. d EuGVVO) von Bedeutung. Sie kommen daher für eine Anerkennung in den anderen Mitgliedstaaten nicht in Betracht. 3007d Das Gleiche gilt für die Tatbestandswirkungen (Rz. 3010). Welche Tatbestandswirkungen das erststaatliche Urteil entfaltet, beurteilt sich nicht nach der Verordnung, sondern nach der lex causae. Diese ist nach dem im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) geltenden internationalen Privatrecht zu bestimmen. Ist z.B. für einen Kaufvertrag nach dem in Österreich geltendem Kollisionsrecht (Rom I-VO) türkisches Recht maßgebend, so hat dieses die Frage zu beantworten, ob das Urteil eines italienischen Gerichts die Verjährung zu unterbrechen geeignet ist.649 3007e Auszuscheiden ist ferner im Anwendungsbereichs des Lugano-Übereinkommens (Art. 38 ff.) – ebenso wie des Art. 33 II EuGVVO a.F. – die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Erststaates. Diese ist zwar Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung im Zweitstaat (Art. 38 LugÜ). Sie wird im Vollstreckbarerklärungsverfahren vorfrageweise geprüft, aber als solche nicht auf die übrigen Mitgliedstaaten erstreckt. Daher kommt das Anerkennungsverfahren nach Art. 33 II LugÜ insoweit nicht zur Anwendung. 3007f Anders ist es seit Inkrafttreten der VO (EU) Nr. 1215/2012 am 10.1.2015, die das Exequaturverfahren in Art. 39 ff. EuGVVO abgeschafft hat. Nunmehr wird in deren Anwendungsbereich die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates auf die übrigen Mitgliedstaaten erstreckt (Rz. 3174b, 3199). Daher ist im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO n.F. auch der Antrag zulässig, dass bezüglich eines näher zu bezeichnenden Vollstreckungstitels kein Vollstreckungsversagungsgrund (Art. 46 i.V.m. Art. 45 I EuGVVO) gegeben ist. 3007g Anerkennung in anderen Staaten: Art. 36 II EuGVVO ist insofern ungenau, als er das Feststellungsbegehren verbis expressis nicht auf die Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) beschränkt. Ein Antrag auf Feststellung, dass die Entscheidung des Ursprungsmitgliedstaates (Art. 2 lit. d EuGVVO) in einem dritten Mitgliedstaat anzuerkennen sei, ist unzulässig. Ein solcher Antrag wäre zwar rechtslogisch denkbar, in aller Regel dürfte jedoch das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass z.B. das Zweitgericht im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) vorfragenweise (Art. 36 III EuGVVO) sich mit der Frage befassen kann, ob z.B. ein italienisches Urteil in Frankreich nach der Verordnung anerkennungsfähig ist oder nicht, sofern der nach Art. 45 I EuGVVO erforderliche Versagungsantrag des „Berechtigten“ vorliegt. 3007h Auszuklammern sind auch Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten, durch die festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung oder Vollstreckung einer drittstaatlichen gerichtlichen Entscheidung gegeben sind oder nicht (Rz. 3011). Wird z.B. in Madrid dem Urteil eines mexikanischen Gerichts das Exequatur erteilt, so entfaltet diese Entscheidung nur in Spanien 649 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 38 EuGVVO Rz. 83. S. auch Stein/ Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 38 Rz. 13; Teixeira de Sousa/Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO (Unalex-Kommentar – dt. Sprachfassung), 2012, Art. 33 Rz. 25.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Wirkungen. Die spanische Exequaturentscheidung kann nicht gem. Art. 36 ff. EuGVVO in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Zulässigkeit eines negativen Feststellungsantrags? Nach dem Wortlaut auch der 3007i neuen EuGVVO ist – anders als nach Art. 21 III der EuEheVO (EG) Nr. 2201/2003 – in dem vereinfachten Verfahren des Art. 36 II i.V.m. Art. 46 ff. EuGVVO nur ein positiver Anerkennungsantrag zulässig („dass keiner der in Art. 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist.“).650 Im Falle des Obsiegens im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO) wird dies i.d.R. der Kläger des erststaatlichen Verfahrens sein, im Falle der Abweisung der Klage als unbegründet der dortige Beklagte. Ein negativer Feststellungsantrag, d.h. die Feststellung, dass ein oder mehrere Anerkennungsversagungsgründe vorliegen, wäre danach unzulässig (s. aber Rz. 3013). Die Partei, die sich der Anerkennung widersetzt (i.d.R. der Beklagte), hat das 3007j gleiche Interesse an einer rechtskraftfähigen Entscheidung der Frage, ob Anerkennungsversagungsgründe gegeben sind oder nicht. Ihr muss deshalb das gleiche vereinfachte Verfahren zur Verfügung gestellt werden wie der anderen Partei. Es kann dem im Erstprozess unterlegenen Beklagten nicht zugemutet werden zu warten, bis der Kläger die Initiative ergreift und einen positiven Feststellungsantrag stellt. Dies gilt vor allem für Feststellungs- oder Gestaltungsurteile. Aber auch bei Leistungsurteilen braucht der Schuldner nicht abzuwarten, bis der Gläubiger die Vollstreckung gem. Art. 39 ff. EuGVVO beantragt.651 Auch ein Verfahren, das durch einen positiven Anerkennungsantrag (d.h., dass 3007k kein Anerkennungsversagungsgrund gegeben ist) eingeleitet wird, kann mit einer negativen Feststellung enden, d.h. mit der Feststellung, dass sehr wohl ein Anerkennungsversagungsgrund gegeben ist oder deren mehrere. Das Feststellungsverfahren ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn es die Frage, ob die Wir-
650 Nach dem Wortlaut des Art. 33 II LugÜ kann den Feststellungsantrag (nur) jene Partei stellen, „welche die Anerkennung geltend macht“. 651 Geimer, JZ 1977, 149; R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 33 EuGVVO Rz. 85 ff. Zustimmend Fuchs, RIW 2006, 29 (38); Schlosser, EU-Prozessrecht3, Art. 33 Rz. 4; Hk-ZPO/Dörner4, Art. 33 EuGVVO Rz. 4. Die Gegenmeinung plädiert für die allgemeine Feststellungsklage im normalen Zivilprozess: TGI Paris J. Dr. Int. 1993, 599 (Kessedijan); Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 33 Brüssel I-VO Rz. 13; Wastl, Die Vollstreckung deutscher Titel auf der Grundlage des EuGVÜ in Italien, 1991, 43; Hk-ZV/Mäsch2, Art. 38 EuGVVO Rz. 8; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 (16); Kodek in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht3, Art. 33 Rz. 11; Rassi in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozeßgesetze2, Bd. V/1, Art. 33 EuGVVO Rz. 15; Walther in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 33 Rz. 17; Teixeira de Sousa/Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO (Unalex-Kommentar), 2012, Art. 33 Rz. 15; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 38 Brüssel I-VO Rz. 32. Wenn man auf das nationale Recht verweist, käme es darauf an, ob dieses eine negative Feststellungsklage zulässt. Nach Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 38 Rz. 6 soll der europäische Gesetzgeber ein negatives Feststellungsverfahren in toto verboten haben.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
kungen einer bestimmten ausländischen Entscheidung auf das Inland erstreckt werden oder nicht, endgültig entscheidet.652 3007l Wird der positive Feststellungsantrag als unbegründet zurückgewiesen, weil das Gericht die Auffassung vertritt, dass die Anerkennung nach Maßgabe von Art. 45 EuGVVO653 zu versagen ist, so erwächst inter partes (auch) diese Entscheidung (kontradiktorisches Gegenteil) kraft Unionsrechts654 in materielle Rechtskraft. Sie stellt fest, dass die Entscheidung des Ursprungsgerichts (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) nicht anerkannt werden kann. Der Antragsteller kann inter partes seinen Antrag nicht mehr wiederholen. 3007m Da nun das Feststellungsverfahren nach Art. 36 II mit der rechtskräftigen Entscheidung enden kann, dass eine bestimmte Entscheidung im Zweitstaat nicht anzuerkennen ist, war es unter Geltung des Art. 33 II der VO (EG) Nr. 44/2001 und ist es gem. Art. 33 II LugÜ systemgerecht, von vornherein auch einen negativen Feststellungsantrag zuzulassen. 3007n Nunmehr eröffnet Art. 45 IV der VO (EU) Nr. 1215/2012 jedem „Berechtigten“ (Art. 45 I EuGVVO) die Möglichkeit, „Antrag auf Versagung der Anerkennung“ zu stellen. Für das Verfahren gelten die gleichen unionsrechtlichen Vorgaben wie für dasjenige nach Art. 36 II EuGVVO. Man wird sogar aus den (identischen) Verweisungen in Art. 45 IV und Art. 36 II EuGVVO herauslesen müssen, dass es den nationalen Ausführungsgesetzgebern verboten ist, unterschiedliche Zuständigkeiten (Art. 47 I EuGVVO) zu etablieren. Die Mitgliedstaaten sind vielmehr durch das Unionsrecht verpflichtet, die strukturelle „Durchlässigkeit“ der Verfahren nach Art. 36 II und Art. 45 IV EuGVVO und damit deren funktionale Einheit bzw. Gemeinsamkeit herzustellen. Dies ergibt sich bereits auch aus der Identität der Streitgegenstände beider Verfahren.655 3007o Angesichts des Anerkennungsversagungsverfahrens nach Art. 45 IV EuGVVO ist im Anwendungsbereich der VO (EU) Nr. 1215/2012 – anders als in dem des Lugano-Übereinkommens (Art. 33 II, Rz. 3013) – das Bedürfnis nach Zulassung eines negativen Anerkennungsantrags im Verfahren nach Art. 36 II entfallen. 3007p Identität des Streitgegenstandes des positiven und des negativen Feststellungsantrags: Der positive Anerkennungsfeststellungsantrag (der siegreichen Partei) nach Art. 36 II EuGVVO und der negative Feststellungsantrag (der unterlegenen Partei) nach Art. 45 IV EuGVVO betreffen den gleichen Streitgegenstand: In beiden Verfahren geht es im Kern um die Frage, ob die Wirkungen eines bestimmten ausländischen Urteils im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) anzuerkennen sind oder nicht. Wird ein positiver Anerkennungsfeststellungsantrag gestellt, d.h. nach Art. 36 II EuGVVO beantragt, dass kein Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 45 EuGVVO vorliegt, so kann der Antragsgegner 652 Das Feststellungsverfahren kann nicht nach der „Salami-Methode“ auf einzelne Versagungsgründe beschränkt werden. 653 Hierzu ist der „Antrag eines Berechtigten“ erforderlich. 654 Die Mitgliedstaaten können nichts Anderes festlegen. 655 Das Gleiche gilt für das Vollstreckungsversagungsverfahren (Art. 46 ff. EuGVVO) als „Drittem im Bunde“.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
nicht im Wege der „Widerklage“ einen negativen Antrag nach Art. 45 IV EuGVVO „nachschieben“ und umgekehrt.656 Hat der (im Erstprozess im Ursprungsmitgliedstaat unterlegene) Beklagte einen 3007q negativen Feststellungsantrag nach Art. 45 IV EuGVVO gestellt des Inhalts, dass Anerkennungsversagungsgründe vorliegen oder wenigstens einer davon, so kann dem der Kläger (des Erstprozesses) nicht einen positiven Feststellungsantrag in einem neuen Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO entgegensetzen.657 Ein solcher wäre unzulässig, weil bereits im Verfahren nach Art. 45 IV EuGVVO abschließend über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Versagungsgründe des Art. 45 I EuGVVO entschieden wird.658 Für die Konkurrenz beider Verfahren sollte man im Interesse einer unionsweit 3007r einheitlichen (den nationalen Gesetzgebern entzogenen) Regelung in Analogie zu Art. 29 ff. EuGVVO das Prioritätsprinzip zur Geltung bringen, auch wenn diese Vorschriften verbis expressis nur die Parallelität von Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten im Auge haben, nicht aber die Verfahrenskonkurrenz in einem Mitgliedstaat. Parteien des Feststellungsverfahrens: Antragsteller und Antragsgegner des Fest- 3007s stellungsverfahrens müssen nicht notwendigerweise die Parteien des erststaatlichen Erkenntnisverfahrens bzw. deren Rechtsnachfolger sein, sondern auch Dritte.659 Dies stellt auch die Verordnung klar, die nur vom „Berechtigten“ spricht, Art. 36 II, Art. 45 I EuGVVO. Hierzu zählt nicht der Ursprungsmitgliedstaat. Statthaftigkeit: Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung aus einem anderen 3008 Mitglieds- bzw. Vertragsstaat, die in den Anwendungsbereich der genannten Verordnungen (EU) bzw. des LugÜ fällt. Die Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen aus dritten Staaten ist im allgemeinen Klageverfahren bzw. nach § 108 II FamFG festzustellen, soweit nicht das AVAG das AUG oder das einschlägige Ausführungsgesetz zum Zuge kommen. Wenn in einem ausländischen gerichtlichen Scheidungsurteil nicht nur die 3009 Scheidung ausgesprochen, sondern im Entscheidungsverbund zugleich über 656 Solche Anträge wird man als Abweisungsanträge (kontradiktorisches Gegenteil zum ursprünglichen Antrag) umdeuten. 657 Er kann jedoch in einer Parallelsituation im Anwendungsbereich des LugÜ Antrag auf Vollstreckbarerklärung gem. Art. 38 ff. LugÜ stellen. Insoweit ist nämlich der Streitgegenstand nicht identisch. Das Begehren auf Vollstreckbarerklärung stellt einen Antrag auf Rechtsgestaltung (Verleihung der Vollstreckbarkeit für den Bereich des Zweitstaates) dar. Wird der Vollstreckbarerklärungsantrag gestellt, so wird der negative Feststellungsantrag dadurch nicht unzulässig, R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 33 Rz. 92. 658 Im Verfahren nach Art. 45 IV EuGVVO wird abschließend über das Vorliegen oder Nichtvorliegen aller nach der VO vorgesehenen Versagungsgründe entschieden. Eine Begrenzung auf einzelne Versagungsgründe mit der Konsequenz, sich die Prüfung weiterer Versagungsgründe für spätere Verfahren nach Art. 45 IV EuGVVO vorzubehalten, kommt nicht in Betracht. Versagungsgründe, die im ersten Verfahren nicht geltend gemacht werden, sind inter partes präkludiert. 659 R. Geimer, JZ 1977, 149; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 21 EheGVO Rz. 85.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
den Unterhalt mitentschieden wird, ist die Verurteilung zu Unterhalt nach der EuUnterhVO anzuerkennen, nicht dagegen die Scheidung selbst; für deren Anerkennung sind sedes materiae Art. 21 ff. EuGVVO. Der deutsche Zweitrichter hat das Verfahren nicht auszusetzen, um Gelegenheit zur Einleitung eines Verfahrens nach § 107 FamFG zu geben (vgl. Rz. 3018, 3069). Das obligatorische Feststellungsverfahren nach § 107 FamFG entfällt im Anwendungsbereich der EuEheVO (Rz. 245c). Jede Partei kann jedoch nach Maßgabe des Art. 21 III EuEheVO einen positiven oder negativen Feststellungsantrag stellen. Zuständig hierfür ist in Deutschland das Familiengericht am Sitz des jeweiligen Oberlandesgerichts, im Bezirk des Kammergerichts das Familiengericht Pankow/Weißensee gem. Art. 21 III 2 EuEheVO i.V.m. §§ 10, 12 IntFamRVG (Rz. 3199i ff.). Ausschließlich örtlich zuständig ist nach §§ 10, 12 I und II IntFamRVG das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegner oder ein Kind, auf das sich die Entscheidung bezieht, sich gewöhnlich aufhält, bei Fehlen einer solchen Anknüpfung in dessen Zuständigkeitsbereich das Interesse an der Feststellung hervortritt; dies ist i.d.R. der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragstellers. Ansonsten besteht eine Auffangzuständigkeit beim Familiengericht Pankow/Weißensee. Unter mehreren nach §§ 10, 12 IntFamRVG örtlich zuständigen Familiengerichten hat der Antragsteller die Wahl.660 3009a Die Anerkennung der Rechtskraft des Unterhaltsurteils setzt voraus, dass die Auflösung der Ehe durch das Scheidungsurteil im Zweitstaat anerkannt wird. Anders ist es jedoch bezüglich des Kindesunterhalts (Rz. 3018, 3070).661 3009b Stellt sich das Gericht auf den Standpunkt, dass die erststaatliche Rechtskraft im Inland nicht zu beachten sei, weil dem ausländischen Urteil die Anerkennung zu versagen sei, so muss es wegen der hilfsweise aus dem materiellen Rechtsverhältnis erhobenen Klage den vom ausländischen Gericht entschiedenen Prozess wieder aufrollen, sofern es auch für die Eventualleistungsklage örtlich und sachlich zuständig ist. Ansonsten erfolgt Verweisung nach Maßgabe von § 281 ZPO.662 3010 Gegenstand des Feststellungsverfahrens können nur Urteilswirkungen sein, die nach der VO (EU) Nr. 1215/2012 bzw. nach der VO (EG) Nr. 2201/2003 (Rz. 245c) bzw. nach dem Lugano-Übereinkommen überhaupt anerkannt werden können. In Betracht kommen die materielle Rechtskraft, Präklusions-, Gestaltungs-, Streitverkündungs- und Interventionswirkung erststaatlicher gerichtlicher Entscheidungen und etwaiger sonstiger gleichgestellter Titel, nicht jedoch die innerprozessuale Bindungswirkung und die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Erststaates, soweit ein Exequaturverfahren vorgeschrieben ist, Rz. 2756c, 2779, 3100). Das Gleiche gilt für die Tatbestandswirkungen (Rz. 2827). Auszuscheiden sind auch Entscheidungen von Gerichten anderer Mitglied- bzw.
660 BT-Drucks. 14/4591, 25. 661 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 33 EuGVVO Rz. 78; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1669; a.A. Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 54, der dem Zweitrichter einen Ermessensspielraum geben will. 662 R. Geimer, JZ 1977, 147. Vgl. auch Rz. 3168.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Vertragsstaaten, durch die festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer drittstaatlichen gerichtlichen Entscheidung gegeben sind oder nicht (Rz. 1243).663 Wirksamkeit in einem anderen Mitglieds- bzw. Vertragsstaat: Im Inland kann 3011 nicht die Feststellung begehrt werden, dass das erststaatliche Urteil in einem dritten Mitglieds- bzw. Vertragsstaat anzuerkennen ist. Die zweitstaatliche Feststellung, dass das erststaatliche Urteil in einem dritten Staat nach den Verordnungen (EU) Nr. 1215/2012 und (EG) Nr. 2201/2003 anzuerkennen ist, ist dort i.d.R. unbeachtlich (Rz. 2848). Gerichtsbarkeit des Zweitstaates: Voraussetzung für die Durchführung eines 3012 positiven oder negativen Anerkennungsfeststellungsverfahrens ist, dass der ersuchte Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) Gerichtsbarkeit (facultas iurisdictionis) über den Antragsgegner besitzt. Hat z.B. ein deutsches Gericht in einem Rechtsstreit zwischen dem deutschen Botschafter in Wien und dessen Vermieter eines Ferienhauses am Chiemsee festgestellt, dass das Mietverhältnis besteht oder nicht, so wirkt dieses Urteil zwar in Österreich gem. Art. 36 I EuGVVO, sofern kein Versagungsgrund nach Art. 45 EuGVVO gegeben ist bzw. ein solcher nicht geltend gemacht wird. Ein Streit über das Vorliegen von Versagungsgründen kann jedoch nicht im Verfahren nach Art. 36 II EuGVVO vor einem österreichischen Gericht geklärt werden, weil der deutsche Botschafter Immunität gegenüber der österreichischen Gerichtsbarkeit genießt.664 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn Deutschland sich mit der Durchführung des Verfahrens gegen seinen Amtsträger einverstanden erklärt (Rz. 791). Ein negativer Feststellungsantrag ist nach Art. 33 II LugÜ 2007 nicht zulässig 3013 (Rz. 3007i). Dies ist mit Art. 3 I GG und dem durch das europäische Unionsrecht garantierten Gleichheitssatz nicht vereinbar; denn die Partei, die sich der Anerkennung widersetzt, hat das gleiche Interesse an einer rechtskräftigen Entscheidung der Frage, ob die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen. Ihr muss deshalb das gleiche vereinfachte Verfahren zur Verfügung gestellt werden.665 Leider wurde dieser eindeutige legislative Mangel in Art. 33 II der VO (EG) Nr. 44/2001 fortgeschleppt, während Art. 21 III der VO (EG) Nr. 2201/2003 zutreffend ausdrücklich auch einen negativen Feststellungsantrag zur Frage der Anerkennung zulässt. 3. Verhältnis zwischen Feststellung der Anerkennungsvoraussetzungen und Vollstreckbarerklärung Der Feststellungsantrag kann auch mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung 3014 (Klauselerteilung) verbunden werden. Hat der Kläger im Erststaat ein Leistungs663 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 985, 1106, 1175, 1624; a.A. Hay in Liber Amicorum Várady, 2008, 143. 664 Zur Immunitätsproblematik s. auch BGH v. 30.1.2013 – III ZB 40/12, MDR 2013, 676 = NJW 2013, 3184 = SchiedsVZ 2013, 110 = LMK 2013, 345597 (Wilske/Nettlau). 665 R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 33 EuGVVO Rz. 85; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. II Rz. 239; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht3, Art. 33 EuGVVO Rz. 4.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
urteil erstritten, so kann er neben dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung auch die Feststellung beantragen, dass die Rechtskraftwirkung anzuerkennen ist (vgl. auch Rz. 3137, 3164).666 Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nicht deswegen, weil das Vollstreckungsurteil (§ 722 ZPO) bzw. der Vollstreckbarerklärungsbeschluss (§ 110 II FamFG) der materiellen Rechtskraft fähig ist.667 Diese stellen für nachfolgende Verfahren bindend fest, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung gegeben sind668 (Rz. 3137, 3165). Geht es in einem späteren Verfahren um die Frage, ob die Rechtskraftwirkung eines für vollstreckbar erklärten Urteils zu beachten ist, so ist das Gericht an die Rechtskraft des Vollstreckbarerklärungsurteils bzw. Klauselerteilungsbeschlusses insoweit gebunden, als die Anerkennungs- mit den Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen identisch sind. Dies ist zwar die Regel.669 Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen auseinander fallen, z.B. wenn die Vollstreckbarerklärung (Klauselerteilung) abgelehnt wurde, weil der Beklagte die Urteilsschuld bezahlt hat. Mit dem Erlöschen der Schuld und dem Wegfall der Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung im Zweitstaat muss jedoch nicht automatisch jedes Feststellungsinteresse des Klägers entfallen. Die Feststellungswirkung des Urteils wirkt fort. Dem Kläger ist daran gelegen, dass außer Zweifel bleibt, dass die im erststaatlichen Urteil festgestellte Verbindlichkeit (vor Tilgung) bestanden hat (Rz. 3115).670
XVI. Anerkennungsfeststellungsverfahren für Entscheidungen in Ehesachen 1. Monopolisierung der Entscheidung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen bei der Justizverwaltung 3015 Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen wirkt sich in Ehesachen besonders ungünstig aus.671 Die Rechtsordnung muss die Möglichkeit einer Entscheidungsdivergenz ausschalten. Zu diesem Zwecke muss sie eine Instanz schaffen, die für alle inländischen Staatsorgane verbindlich entscheidet, ob ein ausländisches Urteil im Inland anzuerkennen ist oder nicht. Diese Kompetenz
666 S. auch Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union: Gegenwartsfragen der Anerkennung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 11. 667 Anders wohl Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 33 ff. m.w.N. 668 Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 461. S. auch Schlosser in FS Kerameus, 2009, 1183, 1192. 669 § 723 II 2 ZPO, Art. 46 der VO (EU) Nr. 1215/2014, Art. 45 I der VO (EG) Nr. 44/2001 sowie Art. 31 II der VO (EG) Nr. 2201/2003 (Rz. 245c). 670 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung II, 1971, 221; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 426, sowie Kap. II Rz. 234. 671 R. Geimer, NJW 1967, 1399; NJW 1974, 1631; Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 154; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 1.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
wird durch § 107 FamFG672 für „Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt worden ist“673 – verfassungswidrig (Rz. 264) – der Landesjustizverwaltung übertragen. Diese kann die Zuständigkeit an den OLG-Präsidenten delegieren.674 Dieser agiert nicht als Richter, sondern als (weisungsgebundene) Verwaltungsbehörde.675 Ist die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Ehesachen Streitgegenstand, wird also ein entsprechender Feststellungsantrag (analog § 121 Nr. 3 FamFG) gestellt, so ist dieser als unzulässig abzuweisen; denn der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht gegeben. Es handelt sich zwar um eine Familiensache i.S. von § 13 GVG, aber die Entscheidung ist den ordentlichen Gerichten entzogen und einer Verwaltungsbehörde übertragen; eine Verweisungsmöglichkeit besteht nicht.676 2. Aussetzungspflicht für die Gerichte Das Entscheidungsmonopol der Landesjustizverwaltung bzw. des OLG-Präsiden- 3016 ten begründet – außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c) – für jedes deutsche Gericht und für jede deutsche Behörde, für deren Entscheidung die Frage der Anerkennung von Bedeutung ist, ein Verfahrenshindernis.677 Missverständlich ist daher der von der h.M. verbreitete Satz: Solange seine Anerkennung im Inland nicht festgestellt sei, könne ein ausländisches Scheidungsurteil im Inland keine Wirkungen entfalten.678 Ein Dilemma entsteht allerdings dann, wenn keiner der Antragsberechtigten (Rz. 3028) einen Feststellungsantrag stellt. Weigern sich alle in Betracht kommenden Antragsberechtigten einen Antrag nach § 107 FamFG zu stellen, so geht die Rechtsprechung von der Nichtanerkennung und damit vom Fortbestehen der Ehe aus, und zwar auch dann, wenn die Beantwortung dieser Vorfrage für die Feststellung der Abstammung eines von der (im Ausland geschiedenen) Ehefrau geborenen Kindes entscheidend ist.679 672 Bis 31.8.2009 galt Art. 7 FamRÄndG, BGBl. I 1961, 1221. Vorläufer war § 24 der Vierten DurchführungsVO zum EheG 1938, hierzu R. Geimer, NJW 1967, 1398; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 4. S. auch Heiderhoff, StAZ 2009, 328. 673 Speziell zu den Ehefeststellungsurteilen z.B. A. J. Müller, Die Heilung von formellen Eheschließungsmängeln bei Ehen mit Auslandsberührung nach deutschem Recht, 2008. 674 § 107 III FamFG (früher Art. 7 § 1 [2a] FamRÄndG). 675 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 159. 676 R. Geimer, NJW 1967, 1401; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 12; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 291. 677 R. Geimer, NJW 1967, 1401; R. Geimer, NJW 1974, 1631. 678 Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1674; LJV NW v. 21.2.1984 – 3465 E-II B.614/82, IPRax 1986, 167; OLG Hamm v. 3.1.1989 – 9 WF 456/88, NJW-RR 1989, 514 = FamRZ 1989, 785 = IPRspr. 1989 Nr. 107; Baumann, IPRax 1990, 29. 679 OLG Hamburg 14.4.2014 – 2 W 17/11, BeckRS 2014, 12758.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
3017 Die Aussetzungspflicht besteht auch in den Fällen, in denen die Rechtslage völlig klar ist.680 3. Nebenentscheidungen 3018 Entscheidungen, die nicht die Scheidung selbst, d.h. die Trennung des Ehebandes betreffen, sondern deren Folgen, unterliegen nicht dem Feststellungsmonopol der Landesjustizverwaltung. Dies gilt auch dann, wenn das ausländische Gericht über die Scheidungsfolgen (Unterhalt, Regelung der elterlichen Sorge etc.) uno actu zusammen mit der Scheidung im Entscheidungsverbund erkannt hat.681 Jedoch gibt es keine Anerkennung der Scheidungsfolgen ohne Anerkennung der Scheidung.682 Wurde im Eheurteil auch über die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Kinder mitentschieden, so besteht die genannte Vorgreiflichkeit nicht, da der Unterhaltsanspruch der Kinder gegen die Eltern vom Bestehen der Ehe unabhängig ist (Rz. 3023, 3070).683 4. Feststellungswirkung 3019 Die Sachentscheidung der Justizverwaltung entfaltet Feststellungswirkung erga omnes (§ 107 IX FamFG [früher Art. 7 § 1 VIII FamRÄndG]). Dies gilt auch für Zurückweisungen als unbegründet. Denn Sinn des Anerkennungsverfahrens ist es, ein für allemal zu klären, ob hinsichtlich einer bestimmten ausländischen Ent680 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1721; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1664. Abzulehnen – da den Gesetzeszweck aushöhlend – BGH v. 6.10.1982 – IVb ZR 729/80, MDR 1983, 118 = FamRZ 1982, 1203 = IPRax 1983, 292 (Basedow 278; Bürgle 281). Der BGH will nur auf Antrag (§ 151 ZPO) aussetzen, im Übrigen nach Ermessen (§ 148 ZPO). Eine Aussetzung sei nicht erforderlich, wenn Anerkennung offensichtlich nicht in Betracht komme. Ebenso OLG Köln v. 18.3.1998 – 26 UF 151/97, FamRZ 1998, 1303 (1304) = IPRax 1999, 48 (Henrich) = IPRspr. 1998 Nr. 200; OLG Celle v. 4.6.2007 – 15 WF 109/07, FamRZ 2008, 430 (431) = IPRspr. 2007 Nr. 211. S. auch OLG Frankfurt v. 26.10.2004 – 4 WF 97/04, FamRZ 2005, 989 = IPRspr. 2004 Nr. 182: Zulässig sei ein isoliertes Versorgungsausgleichsverfahren, obwohl noch keine Entscheidung der Justizverwaltung vorliegt. 681 R. Geimer, NJW 1975, 2141; BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175; OLG Hamm v. 17.11.1980, IPRspr. 1980 Nr. 96. 682 BGH v. 5.2.1975, BGHZ 64, 19 = NJW 1975, 1072 (R. Geimer 2141) = IPRspr. 1975 Nr. 98; BGH v. 6.10.1982 – IVb ZR 729/80, MDR 1983, 118 = FamRZ 1982, 1203 = IPRspr. 1982 Nr. 170 (Rz. 227); OLG München v. 28.1.1982 – 26 WF 1316/81, DAVorm 1982, 490 = IPRspr. 1982 Nr. 173; OLG Hamm v. 3.1.1989 – 9 WF 456/88, NJW-RR 1989, 514 = FamRZ 1989, 785 = IPRspr. 1989 Nr. 107; Baumann, IPRax 1990, 29; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 234; Hausmann, IPRax 1981, 6; Basedow, IPRax 1983, 279 Fn. 3; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1667; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 991; Ploeckl, Umgangsrechtsstreitigkeiten im deutsch-französischen Rechtsverkehr, 2003, 195. S. auch R. Geimer, IPRax 2004, 419; Lippke, Der Status im europäischen Zivilverfahrensrecht, 2009. 683 BGH v. 14.2.2007 – XII ZR 163/05, FamRZ 2007, 717 = MDR 2007, 780; OLG München v. 28.1.1982 – 26 WF 1316/81, DAVorm 1982, 490 = IPRspr. 1982 Nr. 173.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
scheidung die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen oder nicht. Die Zurückweisung des positiven Anerkennungsantrages als unbegründet (weil eine Anerkennungsvoraussetzung nicht vorliegt) stellt für alle verbindlich fest, dass die ausländische Ehescheidung nicht anzuerkennen ist. Die Zurückweisung des negativen Feststellungsantrags als unbegründet (weil alle Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind) stellt für alle verbindlich fest, dass die Ehescheidung, Eheaufhebung etc. im Inland anzuerkennen ist.684 Auch offensichtliche Fehlentscheidungen der Justizverwaltung entfalten Feststellungswirkung (Rz. 3002, 3033). 5. Anwendungsbereich Das Anerkennungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Prä- 3020 sidenten des Oberlandesgerichts kommt seit 1.3.2001 nicht in Betracht im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1347/2000 bzw. nunmehr der VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO, Rz. 245c). Hier entfällt eine Monopolisierung der Entscheidung über das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen. Allerdings ist nach Art. 21 III ein positiver wie ein negativer (fakultativer) Feststellungsantrag statthaft. Außerhalb des Anwendungsbereichs der VO (EG) Nr. 2201/2003 (alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks) ist das obligatorische Feststellungsverfahren nach § 107 FamFG vorgeschrieben für alle Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Bande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden wurde oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Parteien festgestellt ist. Privatscheidungen (Scheidungen aufgrund rechtsgeschäftlichen Handelns685) fallen ebenso wenig unter § 107 FamFG (früher Art. 7 FamRÄndG),686 wie Urteile kirchlicher Ehegerichte, sofern diese als rein geistliche Gerichte fungieren, also ohne Delegation der Ehegerichtsbarkeit seitens des (ausländischen) Staates. § 107 FamFG findet aber Anwendung, wenn eine ausländische Behörde oder ausländischer Notar bei der Privatscheidung mitgewirkt hat, z.B. durch Eintragung in ein behördli-
684 BayObLG v. 25.9.1973, BayObLGZ 1973, 251 = NJW 1974, 1628 (R. Geimer) = IPRspr. 1973 Nr. 157; BayObLG v. 10.6.1976, BayObLGZ 1976, 147; BayObLG v. 17.11.1980 – BReg. 1Z 91/79, BayOblGZ 1980, 351 (353); Hausmann, Kollisionsrechtliche Schranken von Scheidungsurteilen, 1980, 154 Fn. 49. A.A. KG v. 18.11.1968, OLGZ 1969, 123 = FamRZ 1969, 96 (97) = NJW 1969, 382 (383) (R. Geimer 801, 1649) = IPRspr. 1968–1969 Nr. 236. Rechtslogisch nicht konsequent, aber pragmatisch, BayObLG v. 11.6.1992 – 3Z BR 18/92, BayObLGZ 1992, 195 = NJW-RR 1992, 1478 = FamRZ 1993, 451 = IPRspr. 1992 Nr. 235: Der Antragsgegner könne Antrag mit entgegengesetztem Ziel stellen. Dagegen für Zulässigkeit der Wiederholung des Anerkennungsantrages aufgrund neuer Tatsachen BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175 und BayObLG v. 17.11.1980 – BReg. 1Z 91/79, BayObLGZ 1980, 351 (352) = IPRspr. 1980 Nr. 175. 685 Hierzu Rz. 2641a; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 FamRÄndG Rz. 38. 686 A.A. OLG-Präsidentin Frankfurt v. 19.11.2001 – 346/3 - I/4 - 89/99, StAZ 2003, 137 = IPRspr. 2002 Nr. 203: alle Privatscheidungen.
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ches Register,687 und zwar auch dann, wenn alle Tatbestandsmerkmale der Privatentscheidung im Inland erfüllt worden sind, z.B. Thai-Scheidung in Berliner Botschaft.688 Ausnahmen: In folgenden Fällen entfällt ein Anerkennungsverfahren: 3021 – Bei gerichtlichen Urteilen bzw. behördlichen Entscheidungen des Heimatstaates beider Ehegatten ist das Anerkennungsverfahren nicht etwa nur fakultativ. Es ist vielmehr ganz ausgeschlossen, § 107 I 2 FamFG.689 3022 – Für klageabweisende Entscheidungen (z.B. Abweisung des Scheidungsantrags) ist ein Anerkennungsverfahren nicht vorgeschrieben.690 3023 – Nebenentscheidungen: Das Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG ist nur für diejenigen Urteilswirkungen konzipiert, deren Herbeiführung das ausländische Verfahren intendierte. Das sind die Gestaltungswirkung bei Ehenichtigkeits-,691 Eheaufhebungs- und Scheidungsverfahren und die Feststellungswirkung (materielle Rechtskraftwirkung) bei Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe. Für die Anerkennung der im ausländischen Eheurteil enthaltenen Nebenentscheidungen, wie z.B. Verurteilung zur Kostenzahlung oder zur Zahlung von Unterhalt an die geschiedene Ehefrau, Regelung der elterlichen Sorge, ist das Anerkennungsverfahren nach 687 BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 (43) = MDR 1982, 126 = FamRZ 1982, 44; BayObLG v. 30.8.1984 – BReg. 1Z 57/84, IPRax 1985, 108 (Henrich) = FamRZ 1985, 75 = NJW 1985, 2095 = IPRspr. 1984 Nr. 187; BayObLG v. 13.1.1994 – 3Z BR 66/93, NJW-RR 1994, 771 = FamRZ 1994, 1263 = IPRax 1995, 324 (Börner 309) = IPRspr. 1994 Nr. 174; BayObLG v. 7.4.1998 – 1Z BR 16/98, BayObLGZ 1998, 103 = FamRZ 1998, 1594 = IPRspr. 1998 Nr. 71; OLG Frankfurt v. 16.5.1989 – 20 VA 27/88, OLGZ 1989, 280 = NJW 1990, 646 = IPRspr. 1989 Nr. 224b; KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 = IPRspr. 2001 Nr. 193; OLG Düsseldorf v. 28.8.2002, IPRspr. 2002 Nr. 206: Deklaratorische Registrierung beim ausl. StA genügt; ebenso OLG Frankfurt v. 26.10.2004 – 4 WF 97/04, FamRZ 2005, 989 = IPRspr. 2004 Nr. 182. Vgl. auch Rauscher, IPRax 2000, 391. Nachw. auch bei R. Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschem Recht, FamRZ 2006, 744 (751). 688 BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 = NJW 1982, 517 = FamRZ 1982, 44 = MDR 1982, 126 = IPRax 1983, 37, 38 (Kegel 22) = IPRspr. 1981 Nr. 192; BayObLG v. 29.8.1985 – BReg. 1Z 22/85, FamRZ 1985, 1258 = IPRax 1986, 180. (Jedoch ist in einem solchen Fall die Anerkennung ausgeschlossen, § 1564 BGB); OLG Hamm v. 9.1.1992 – 4 UF 123/90, NJW-RR 1992, 710 = FamRZ 1992, 673 = IPRspr. 1992 Nr. 113. Ausführlich Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 FamRÄndG Rz. 35; Zöller/Geimer, ZPO30, § 107 FamFG Rz. 24. 689 Näher R. Geimer, NJW 1971, 2138; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 318; OLG Frankfurt v. 15.4.1971, NJW 1971, 1528. Anders die h.M., BGH v. 11.7.1990 – XII ZB 113/87, BGHZ 112, 127 = MDR 1991, 51 = FamRZ 1990, 1228 = NJW 1990, 3081 = IPRspr. 1990 Nr. 221; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 70. Für Zulässigkeit, wenn staats- bzw. völkerrechtliche Zuordnung des Scheidungsurteils unklar ist, OLG-Präsidentin Frankfurt v. 22.9.1998 – 346/3 - I/4 - 610/96, IPRax 2000, 124 (Hohloch 96) = IPRspr. 1998 Nr. 201A. 690 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 322. 691 Ob es sich um eine Gestaltungs- oder Feststellungswirkung handelt, bestimmt die lex causae, Rz. 2640.
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Anerkennung
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§ 107 FamFG nicht vorgesehen.692 Die in den Verurteilungen enthaltene rechtskräftige Feststellung des Bestehens des Leistungsanspruchs wird unmittelbar kraft Gesetzes anerkannt, soweit die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind. Die Vollstreckbarkeit für den Bereich des Inlands muss den ausländischen Entscheidungen nach § 110 II FamFG (bis 31.8.2009 nach §§ 722, 723 ZPO) verliehen werden. Auch wenn wegen der Hauptsachenentscheidung (z.B. Scheidung) ein Anerkennungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts bereits erfolgreich durchgeführt worden ist, wird die Vollstreckbarerklärung nicht überflüssig. Die Justizverwaltung ist nicht ermächtigt, der ausländischen Entscheidung die Vollstreckbarkeit für das Inland zu verleihen.693 Soweit das Verfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Präsidenten 3024 des Oberlandesgerichts nicht statthaft ist, kann die Anerkennungsfrage durch ein Verfahren nach § 108 II FamFG oder durch Antrag auf Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens der Ehe (§ 121 Nr. 3 FamFG) geklärt werden.694 6. Anerkennungsprognose im Zusammenhang mit der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit Es besteht keine Aussetzungspflicht, solange im ausländischen Verfahren kein 3025 (Scheidungs-)Urteil ergangen ist.695 Nach Erlass des Urteils besteht jedoch Aussetzungspflicht, und zwar auch dann, wenn dieses noch keine Wirkungen hervorbringt, z.B. weil es noch nicht formell rechtskräftig ist. 7. Einstweilige Maßnahmen Auch vor Entscheidung der Justizverwaltung ist der Erlass von einstweiligem 3026 Rechtsschutz (Arrest, einstweilige Verfügung bzw. Anordnung) zulässig.696 8. Wirksamkeit der ausländischen Entscheidung nach dem Recht des Erststaates Nach erststaatlichem Recht muss die Ehe aufgelöst bzw. für nichtig erklärt bzw. 3027 aufgehoben sein.697 Die Anerkennung setzt voraus, dass die ausländische zur Anerkennung anstehende Entscheidung nach dem Recht des Erststaates wirk692 BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175; Ploeckl, Umgangsrechtsstreitigkeiten im deutsch-französischen Rechtsverkehr. Bestehende internationale und nationale Regelungen und der geplante europäische Besuchstitel, 2003, 195; Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 246. 693 R. Geimer, NJW 1967, 1400. 694 R. Geimer, NJW 1971, 2139; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1623; BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, MDR 1982, 126 = FamRZ 1982, 44 = IPRspr. 1971 Nr. 191. 695 R. Geimer, NJW 1984, 527; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1660; Schumann, IPRax 1986, 15 Fn. 8; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 1665. 696 R. Geimer, NJW 1967, 1401. 697 BayObLG v. 2.7.1982 – BReg. 1Z 53/81, BayObLGZ 1982, 257 = IPRspr. 1982 Nr. 185.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
sam geworden ist (Rz. 2890). Ist nach dem Recht des Erststaates die Eintragung des Scheidungsurteils in ein Register Voraussetzung für den Eintritt der Scheidung, so muss geprüft werden, ob die Registrierung erfolgt ist.698 Umgekehrt endet die Möglichkeit einer Anerkennung, wenn die (zunächst anerkennungsfähige) ausländische Entscheidung im Erststaat aufgehoben worden ist (Rz. 2889).699 9. Antragsberechtigung 3028 Gem. § 107 IV 2 FamFG kann den Antrag nur derjenige stellen, der ein rechtliches Interesse an der Anerkennung bzw. Nichtanerkennung glaubhaft macht.700 Der Begriff des „rechtlichen Interesses“ ist weit auszulegen. Nicht nur die Parteien des ausländischen Eheverfahrens und deren Gesamtrechtsnachfolger sind antragsberechtigt, sondern auch jede Person701 und jede Stelle, für welche das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe eine rechtliche Bedeutung hat. In Betracht kommen etwa Sozialversicherungsträger702 und früher703 auch Staatsanwaltschaften (im Fall des § 24 EheG a.F.) und nunmehr die durch Landesverordnung gem. § 1316 BGB bestimmte Verwaltungsbehörde704 (vgl. auch Rz. 3064). 3029 Ein nur mittelbares rechtliches Interesse genügt nicht. Nicht antragsberechtigt sind Gerichte und Standesbeamte, auch wenn für deren Entscheidung die Frage der Anerkennung oder Nichtanerkennung als Vorfrage von Wichtigkeit ist.705 Die Antragsberechtigung setzt keine Beschwer im formellen Sinn voraus. Der siegreiche Kläger kann Antrag auf Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung stellen, während umgekehrt der unterlegene Beklagte, der im ausländischen Verfahren Antrag auf Klageabweisung gestellt hatte, Antrag auf Anerkennung stellen kann.706 3030 Die Antragsberechtigung kann nicht verwirkt werden. Wer sich jahrelang mit der ausländischen Scheidung abgefunden hat, ohne etwas zu unternehmen, kann gleichwohl einen negativen Feststellungsantrag stellen.707 Eine andere Frage ist, ob dieser Antrag begründet ist. So kann es vorkommen, dass der Antrag-
698 699 700 701
702 703 704 705 706 707
BayObLG v. 28.3.1977, BayObLGZ 1977, 71 = IPRspr. 1977 Nr. 161. BayObLG v. 20.2.1998 – 1Z BR 15/98, FamRZ 1998, 1305 = IPRspr. 1998 Nr. 199. Richter/Krzywon, IPRax 1988, 349; Krzywon, StAZ 1989, 96. Z.B. von der im Ausland geschiedenen Ehefrau geborene Kinder, wenn (aus deutscher Sicht, Art. 19 EGBGB) für die Feststellung der Abstammung das Fortbestehen der Ehe entscheidungsrelevant ist. Vgl. den Fall des OLG Hamburg 14.4.2014 – 2 W 17/11, BeckRS 2014, 12758. KG v. 10.7.1970, NJW 1970, 2169 = FamRZ 1970, 664. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz) v. 4.5.1998 (BGBl. I 1998, 833) am 1.7.1998. Dies ist z.B. in Bayern die Regierung von Mittelfranken, VO v. 2.5.2000, BayGVBl. 2000, 293. Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 135, 137. R. Geimer, NJW 1967, 1402. A.A. OLG Düsseldorf v. 2.10.1987 – 13 VA 2/87, FamRZ 1988, 198 = IPRspr. 1987 Nr. 165.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
steller sich infolge des Zeitablaufs nicht mehr auf den einen oder anderen Versagungsgrund berufen darf, weil dies treuwidrig wäre.708 Das rechtliche Interesse an der Feststellung der Anerkennungsfähigkeit einer 3031 ausländischen Entscheidung fehlt i.d.R., wenn sie eine Ehe scheidet, die aus deutscher Sicht eine Nichtehe ist.709 10. Deutsche Gerichtsbarkeit Die am Anerkennungsverfahren Beteiligten müssen der deutschen Gerichtsbar- 3032 keit unterworfen sein. Ist der Antragsteller an sich von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit (§§ 18 ff. GVG), so wird die deutsche Gerichtsbarkeit durch seinen Antrag begründet; denn in der Antragstellung liegt i.d.R. eine Unterwerfung unter die deutsche Gerichtsbarkeit, sofern der Entsendestaat einverstanden ist. Anders ist es, wenn der Antragsgegner von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit ist. Ebenso wenig wie eine Feststellungsklage gegen einen Immunen zulässigerweise erhoben werden kann, kann ein Feststellungsverfahren vor der Landesjustizverwaltung bzw. vor dem Präsidenten des Oberlandesgerichts eingeleitet werden, bei dem ein von der deutschen Gerichtsbarkeit Befreiter Antragsgegner ist (Ausnahme: Unterwerfung des Antragsgegners, Rz. 541). 11. Nichtigkeit (= Unwirksamkeit) der Entscheidung der Justizverwaltung Es gelten die gleichen Grundsätze wie für gerichtliche Urteile (Rz. 3002). Im 3033 Zweifel führen Verfahrensfehler und Fehler bei der Entscheidungsfindung nur zur Anfechtbarkeit. Die Anerkennung trotz ordre public-Widrigkeit der ausländischen Entscheidung ist kein Nichtigkeitsgrund, auch wenn in concreto unmittelbare Staatsinteressen auf dem Spiel stehen. Wäre es anders, so könnte jede Entscheidung ad infinitum in Frage gestellt werden mit dem Argument, in Wahrheit sei doch ein ordre public-Verstoß gegeben (Rz. 3002).710 12. Benachrichtigung des Standesbeamten Stellt die Justizverwaltung das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen 3034 fest, so teilt sie dies dem (inländischen) Standesbeamten, bei dem die Ehe geschlossen wurde, zur Beischreibung mit. Bestritten ist, ob beglaubigte Übersetzung des ausländischen Urteils mit übersandt werden muss.711
708 BayObLG v. 19.10.1967, BayObLGZ 1967, 390 = MDR 1968, 151 = NJW 1968, 363 (R. Geimer 800) = IPRspr. 1966–1967 Nr. 266; OLG Düsseldorf v. 13.6.1977, IPRspr. 1977 Nr. 162; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 141. Im Ergebnis wohl zustimmend LJV BW, FamRZ 1995, 1411. Zurückhaltend Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 294. S. auch den Rechtsgedanken des § 1310 III BGB. 709 BayObLG v. 6.2.1980 – BReg. 1Z 47/79, IPRax 1982, 250. 710 A.A. BayObLG v. 18.6.1980 – BReg. 1Z 28/80, FRES 6, 421 = IPRspr. 1980 Nr. 173. 711 Dagegen LJV NW, StAZ 1984, 139. – Zur Eintragung der Versagung der Anerkennung im Familienbuch StAZ 1984, 113.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
13. Verwaltungsverfahren im Einzelnen 3035 Das Verfahren ist durch Bundesgesetz nicht näher geregelt. Es gelten jedoch bundeseinheitlich folgende Verfahrensgrundsätze:712 Die Landesjustizverwaltung bzw. der OLG-Präsident hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Das Geständnis oder das Anerkenntnis eines Beteiligten sind ohne Bedeutung. Ein Säumnisverfahren findet nicht statt. Die Landesjustizverwaltung bzw. der OLG-Präsident hat alle erreichbaren Beweismittel auszuschöpfen.713 Sie können aber gegenüber Zeugen keinen Zeugniszwang (§ 390 ZPO) ausüben. Sie dürfen Zeugen nicht vereidigen. 3036 Es gilt zwar der Grundsatz der Amtsermittlung; gleichwohl kann dem Antragsteller die Beibringung von Urkunden aufgegeben werden.714 Unberührt bleibt auch die Rügelast (vgl. z.B. Rz. 2903, 2937, 2986, 2991). 3037 Dem Antragsgegner muss das Vorbringen des Antragstellers zur Kenntnis gebracht werden. Ihm muss Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen und Anträge zu stellen. Denn der Antragsgegner hat ein Recht auf rechtliches Gehör. Art. 103 I GG gewährleistet das rechtliche Gehör zwar ausdrücklich nur „vor Gericht“. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) verlangt jedoch, dass auch in einem rechtlich geordneten Verwaltungsverfahren jedem materiell Beteiligten rechtliches Gehör gewährt wird. Er darf nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden, Art. 1 GG.715 3038 Als Antragsgegner sind alle diejenigen zu beteiligen, für welche die Entscheidung der Justizverwaltung von unmittelbarer Rechtserheblichkeit ist. In Betracht kommen vor allem der andere Ehegatte und gegebenenfalls dessen Erben. Die Beteiligung der Antragsgegner ist nicht bloß Ermessenssache der Landesjustizverwaltung, sondern Rechtspflicht.716 14. Entscheidung der Justizverwaltung 3039 Hält die Landesjustizverwaltung bzw. der OLG-Präsident die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Verfahren nach § 107 FamFG nicht für gegeben, so ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, z.B. wegen Unstatthaftigkeit des Anerkennungsverfahrens nach § 107 I 2 FamFG, wegen örtlicher Unzuständigkeit oder wegen fehlender Antragsberechtigung. Sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben, ist aber der Antrag sachlich unbegründet, so ist er als unbegründet 712 Ausführlich Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 145 ff. 713 LJV BW v. 23.1.1987, IPRspr. 1987 Nr. 163a; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 146. 714 BayObLG v. 29.3.1990 – BReg. 3Z 31/89, NJW-RR 1990, 842 = FamRZ 1990, 897 = IPRspr. 1990 Nr. 218; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 147. 715 Zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 151. 716 Näher R. Geimer, NJW 1974, 1630; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 151. Vgl. auch BayObLG v. 17.6.1999 – 1Z BR 140/98, FamRZ 2000, 485 = IPRspr. 1999 Nr. 169.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
zurückzuweisen. Die Justizverwaltung darf nicht das Gegenteil dessen, was beantragt ist, feststellen. Ist der Antrag begründet, so hat die Justizverwaltung im Tenor ihres Bescheides festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen bzw. nicht vorliegen. Das Gesetz setzt sich über den allgemeinen Grundsatz des Verfahrensrechts hinweg, dass im Tenor einer Entscheidung immer über den Verfahrensgegenstand und nicht über Präjudizialpunkte zu befinden ist. Inhaltliche Änderungen oder Ergänzungen des anzuerkennenden Urteils darf 3040 die Justizverwaltung nicht vornehmen.717 Trotz des Schweigens des Gesetzes wird man aus rechtsstaatlichen Gründen je- 3041 denfalls dann eine Begründung fordern müssen, wenn der Antrag zurückgewiesen wurde oder wenn dem Antrag trotz der Gegenvorstellungen eines Beteiligten (Antragsgegners) stattgegeben wurde.718 Die Entscheidung der Landesjustizverwaltung bzw. des OLG-Präsidenten wird 3042 nach § 107 VI 2 FamFG grundsätzlich mit Bekanntgabe an den Antragsteller wirksam; auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe an die übrigen Beteiligten kommt es nicht an. Die Landesjustizverwaltung bzw. der Oberlandesgerichtspräsident kann aber auch (im Tenor der Entscheidung) bestimmen, dass die Entscheidung erst nach Ablauf einer von ihr bestimmten Frist wirksam wird. Dadurch kann verhindert werden, dass der Antragsteller eine neue Ehe eingeht, noch bevor der Antragsgegner Gelegenheit hatte, das Oberlandesgericht anzurufen.719 15. Antrag auf gerichtliche Entscheidung Die Entscheidung der Landesjustizverwaltung bzw. des Oberlandesgerichtsprä- 3043 sidenten kann durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden. Über den Antrag befindet das Oberlandesgericht. Es besteht kein Anwaltszwang. Das Gericht darf sich nicht auf eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Rechtsanwendung beschränken, es hat vielmehr als Tatsachengericht den Sachverhalt selbständig aufzuklären. So muss es z.B. Zeugen vernehmen.720 Das Antragsrecht ist in § 107 V und VI 1 FamFG kasuistisch und wenig erschöp- 3044 fend geregelt. Hat die Landesjustizverwaltung bzw. der Oberlandesgerichtspräsident dem Antrag stattgegeben, so kann nach dem Gesetz nur der andere Ehegatte, der den Antrag nicht gestellt hat, das Oberlandesgericht anrufen. Ist dieser gestorben, so kann nach dem Wortlaut des Gesetzes keiner die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragen; dies ist mit Art. 19 IV GG nicht vereinbar. Man wird in verfassungskonformer Auslegung jedem die Anrufung des Oberlandes-
717 Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 167. 718 R. Geimer, NJW 1967, 1402; Staudinger/Spellenberg, a.a.O., Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 169. 719 Näher Staudinger/Spellenberg, a.a.O., Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 171. 720 BayObLG v. 11.6.1992 – 3Z BR 18/92, BayObLGZ 1992, 195 = NJW-RR 1992, 1478 = FamRZ 1993, 451 = IPRspr. 1992 Nr. 235.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
gerichts gestatten müssen, in dessen Rechtssphäre die Entscheidung der Justizverwaltung mit unmittelbarer Rechtserheblichkeit eingreift.721 3045 Hat die Landesjustizverwaltung bzw. der Oberlandesgerichtspräsident dem Antrag stattgegeben, so kann der Antragsteller nicht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.722 Auch kann er seinen Antrag nach Bekanntgabe der Entscheidung der Justizverwaltung nicht mehr zurücknehmen. 3046 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war bis 31.8.2009 an keine Frist gebunden. Das war rechtspolitisch falsch; denn es wurde die Unsicherheit darüber, ob eine ausländische Entscheidung im Inland Wirkungen entfaltet, so lange aufrechterhalten, bis die Entscheidung der Landesjustizverwaltung bzw. des Oberlandesgerichtspräsidenten vom Oberlandesgericht ausdrücklich bestätigt worden war. So konnte die Entscheidung der Verwaltung noch nach Jahrzehnten angefochten werden.723 Diesen Missstand hat der Gesetzgeber beseitigt, §§ 107 VII 3, 63 FamFG. 3047 Eine Verwirkung der Anfechtungsbefugnis war nach Art. 7 § 1 FamRÄndG zwar möglich. Der bloße Zeitablauf genügte jedoch nicht. Zum Zeitablauf mussten noch besondere Umstände hinzutreten, die das Zuwarten als unangemessen und damit die verspätete Anfechtung als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen.724 3048 Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist nach neuem Recht die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach Maßgabe von §§ 70 ff. FamFG statthaft. Anders war es nach altem Recht. Wollte vor dem 31.8.2009 das Oberlandesgericht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, bestand Vorlagepflicht an den Bundesgerichtshof gem. § 28 II FGG, auf den Art. 7 § 1 VI FamRÄndG verwiesen hatte.725
721 OLG Koblenz v. 26.11.1987 – 11 VA 2/87, NJW-RR 1988, 1159 = IPRax 1988, 359 (Richter/Krzywon 349) = IPRspr. 1987 Nr. 167; R. Geimer, NJW 1967, 1402; R. Geimer, FamRZ 1969, 456; zustimmend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 189. 722 BayObLG v. 18.6.1980 – BReg. 1Z 28/80, FRES 6, 421 = IPRspr. 1980 Nr. 173. 723 Beispiel: BayObLG v. 28.7.1975, BayObLGZ 1975, 296 = MDR 1976, 232 (R. Geimer) = IPRspr. 1975 Nr. 180. 724 Eine Verwirkung verneinte BayObLG v. 29.8.1985 – BReg. 1Z 22/85, FamRZ 1985, 1258 (1259), wenn kein weiterer Beteiligter auf den Bestand des Bescheids der LJV vertraute, z.B. wenn Bescheid dem Antragsgegner wegen unbekannten Aufenthalts nicht bekannt gemacht worden war. Vgl. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 184. 725 Hierzu BGH v. 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 = NJW 1982, 517 = FamRZ 1982, 44 = MDR 1982, 126 = IPRax 1983, 37 (Kegel 22) = IPRspr. 1981 Nr. 192; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 205.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
16. Wiederaufnahme Gegen die Justizverwaltungs- bzw. OLG-Entscheidung kann Wiederaufnahme 3049 des Verfahrens analog §§ 579 ff. ZPO beantragt werden.726 Dies stellt § 107 VII 3 i.V.m. § 48 II FamFG klar. 17. Abänderung Wird ein Antrag auf Abänderung eines Bescheides der Justizverwaltung727 ge- 3050 stellt, so gilt § 107 FamFG kraft Sachzusammenhangs auch für das Abänderungsverfahren, obwohl § 107 VII nicht auf § 48 I FamFG verweist. Wendete man §§ 23 ff. EGGVG an, so führte dies zu einem vom Gesetzgeber sicher nicht beabsichtigten Auseinanderfallen der Zuständigkeiten.728
XVII. Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Haager Adoptionsübereinkommen Wichtig im Bereich des internationalen Kindschaftsrechts ist das Feststellungs- 3051 verfahren für die Anerkennung ausländischer Adoptionen. Auf Antrag stellt das Familiengericht (§ 108 II 3 FamFG; konzentrierte Zuständigkeit nach §§ 2 ff., 5 AdWirkG) fest, ob die ausländische Annahme als Kind im Inland anzuerkennen ist.729 Adoptionen – gleich ob Dekret- oder Vertragsadoptionen – aus einem anderen Vertragsstaat des Haager Adoptionsübereinkommens werden anerkannt, wenn der Ursprungsstaat nach Art. 23 I dieses Übereinkommens das konventionsgerechte Zustandekommen bescheinigt hat.730 Gem. § 3 AdWirkG kann eine schwache Adoption in eine Volladoption nach deutschem Recht umgewandelt werden. Dies gilt allerdings nur im Anwendungsbereich des Haager Adoptionsüberein- 3052 kommens. Für Dekretadoptionen aus Nichtvertragsstaaten kommt § 109 FamFG zur Anwendung731, für Vertragsadoptionen das Internationale Privatrecht, d.h. sie sind aus deutscher Sicht unter den Voraussetzungen des Art. 22 I EGBGB
726 R. Geimer, NJW 1974, 1631. Für Rücknahme des Bescheids durch Justizverwaltungsbehörde BayObLG v. 28.7.1999 – 3Z BR 142/99, BayObLGZ 1999, 211 = NJW-RR 2000, 885 = FamRZ 2000, 836 = IPRspr. 1999 Nr. 170. 727 Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit der Abänderung R. Geimer, NJW 1974, 1631 gegen BayObLG v. 25.9.1973, BayObLGZ 1973, 251 (256) = IPRspr. 1973 Nr. 157; BayObLG v. 3.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 175. Differenzierend Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Art. 7 § 1 FamRÄndG Rz. 85, der eine „vorsichtige Anlehnung an § 48 VwVfG“ empfiehlt. 728 BayObLG v. 28.7.1975, BayObLGZ 1975, 232 (301) = MDR 1976, 232 (R. Geimer) = IPRspr. 1975 Nr. 180; BayObLG v. 18.6.1980, FRES 6, 421 = IPRspr. 1980 Nr. 173. 729 § 2 AdWirkG v 5.11.2001, BGBl. I 2001, 2953; Steiger, DNotZ 2002, 184; Ludwig, RNotZ 2002, 353. 730 Hierzu z.B. Schlauß, Die Anerkennung von Auslandsadoptionen in der vormundschaftsgerichtlichen Praxis, FamRZ 2007, 1699. 731 Vgl. z.B. Mörsdorf-Schulte in Schröder/Bergschneider (ed.), Familienvermögensrecht2, Rz. 11.164.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
wirksam.732 Das autonome deutsche Recht sah bis 31.8.2009 ein eigenes Feststellungsverfahren zur Frage der Anerkennungsfähigkeit nach § 16a FGG nicht vor. Gleichwohl wurde ein solches richterrechtlich entwickelt.733 Die große Frage war allerdings, ob auf diesem Wege eine erga omnes-Wirkung der Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit und damit mittelbar auch der Statusfrage herbeigeführt werden konnte. Nunmehr ist sedes materiae § 108 II 2 FamFG.
XVIII. Anerkennungsfeststellungsverfahren nach Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 3053 Zu erwähnen ist auch das Anerkennungsfeststellungsverfahren für den Bereich des Haager Übereinkommens vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen.734 Über die Feststellung der Anerkennung bzw. der Nichtanerkennung einer in einem anderen Vertragsstaat getroffenen Maßnahme (Art. 23 Satz 1 ErwSÜ) entscheidet für alle deutschen Gerichte und Verwaltungsbehörden verbindlich das Amtsgericht im FamFG-Verfahren gem. §§ 8 ff. des deutschen Gesetzes zur Umsetzung dieses Haager Übereinkommens.735
XIX. Folgen der Versagung der Anerkennung 1. Nichtbeachtung der ausländischen Entscheidung 3054 Liegen die Anerkennungsvoraussetzungen nicht vor, so ist dem ausländischen Urteil die Anerkennung im Inland zu versagen (soweit keine Heilung durch Rügeverzicht eintritt). Die ausländischen Urteilswirkungen werden auch dann nicht auf das Inland erstreckt, wenn nach deutschem internationalem Privatrecht das Recht des Erststaates Anwendung findet und wenn im Urteilsstaat die materiell-rechtliche Rechtskrafttheorie gilt (Rz. 42). 2. Rückforderung des aufgrund des ausländischen Urteils Geleisteten 3055 Es wird mitunter behauptet, die ausländische (im Inland nicht anerkannte) Verurteilung schaffe eine Naturalobligation. Das aufgrund des ausländischen Urteils Geleistete könne daher in keinem Fall im Inland zurückgefordert werden.736 Dem ist nicht zu folgen. Wird wegen der Nichtanerkennung des ausländischen Urteils der Prozess zwischen den Parteien im Inland wiederholt und stellt sich das Gericht auf den Standpunkt, dass eine Leistungspflicht des B gegenüber A 732 Süß, MittBayNot 2002, 88 (90); Gutachten DNotI 2003, 53. 733 Zur Zulässigkeit eines selbständigen FG-Feststellungsverfahrens zur Anerkennungsfrage bei ausreichendem Feststellungsinteresse OLG Bremen v. 24.4.1996 – 5 WF 44/96, FamRZ 1997, 107. 734 BGBl. II 2007, 323. Hierzu Bucher, SZIER 2000, 37; Lagarde, Rev. crit. d.i.p. 89 (2000), 159; Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, 2004; Kropholler, IPR6, § 50 I 4. 735 BGBl. I 2007, 314. 736 Matscher, JBl. 1954, 54. Weitere Nachw. bei Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 404 ff.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
nicht besteht, so muss es dem B gestattet sein, das aufgrund der ausländischen Verurteilung an A Geleistete im Inland wieder zurückzufordern.737 Wollte man – bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts – § 814 BGB anwenden, so würde man trotz Nichtvorliegens der Anerkennungsvoraussetzungen das ausländische Urteil im Inland mittelbar doch durchsetzen. Zu beachten ist aber, dass – sofern deutsches Recht Bereicherungsstatut ist – die Rückforderung des aufgrund eines ausländischen Urteils Geleisteten unter dem Gesichtspunkt des § 814 BGB dann ausgeschlossen sein kann, wenn der Verurteilte freiwillig, also ohne drohende Zwangsvollstreckung, an den Kläger geleistet hat.738 Von der auf Bereicherung gestützten Klage ist die auf Delikt (ungerechtfertigte 3056 Zwangsvollstreckung) basierende zu unterscheiden. Anders auch die Hypothese in Rz. 1561. Für die Rückforderungsklage gilt hinsichtlich des Verfahrens die deutsche lex 3057 fori; so kommt z.B. die Präklusionsfrist des Art. 86 schweizerischen SchKG nicht zum Zuge. Denkbar ist auch eine teilweise Rückforderung mit der Begründung, die im Aus- 3058 land gezahlten Schadensersatzbeträge (multiple damages) seien überzogen, die ausländische Verurteilung könne nur in Höhe eines Teilbetrages in Deutschland anerkannt werden. Gegen solches „claw back“ wendet sich Schack739, der einen „juristischen Krieg“ mit den Vereinigten Staaten von Amerika vermeiden will. Wie auch sonst sollten wir den Kläger nicht bevormunden. Dieser mag seine Taktik selbst bestimmen und erwägen, welche Folgen er damit im Erststaat und in den Drittstaaten, welche die erststaatliche Entscheidung anerkennen, verursacht.740 3. Beweiskraft Das im Inland nicht anerkannte ausländische Urteil entfaltet unter den Voraus- 3059 setzungen des § 438 ZPO Beweiskraft für seine Existenz; es wird also bewiesen, dass im Urteilsstaat ein Urteil bestimmten Inhalts ergangen ist.741 Auf Legalisati-
737 Zustimmend Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 707. 738 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 343; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 338. Skeptisch passim Stürner, ZVglRWiss 81 (1982), 207: „Mit der Rückklagemöglichkeit ist der Schritt zum Jurisdiktionskrieg endgültig getan.“ Vgl. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2001, 128 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum, 2012, 130. Kritisch Schack, ZZP 116 (2003), 130 (132). 739 Schack, IZVR6, Rz. 1135. S. auch Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, 531. 740 Hierzu auch Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union: Gegenwartsfragen der Anerkennung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 10 ff. 741 RG v. 8.7.1930, RGZ 129, 385 (387); Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 192.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
on (§ 438 II ZPO) wird in den meisten völkerrechtlichen Verträgen verzichtet.742 Über die Richtigkeit des Inhalts des ausländischen Urteils wird jedoch nichts ausgesagt. Die Beweiskraft bezieht sich nur auf Tatsachen (also keine prozessualen Wirkungen, insbes. keine Feststellungs- und keine Gestaltungswirkung). 4. Parteivereinbarungen 3060 Die Frage, ob ein ausländisches Urteil im Inland anzuerkennen ist, kann nicht unmittelbar Gegenstand von Parteivereinbarungen sein. Steht aber die Geltendmachung eines Versagungsgrundes im Belieben einer Partei, können die Parteien – auch im Vorhinein – vereinbaren, dass der Versagungsgrund nicht geltend gemacht werden darf (Rz. 3132). Ist ein ausländisches Urteil nach der Gesetzeslage nicht anzuerkennen, z.B. im Hinblick auf § 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 109 IV FamFG, so ist eine Parteivereinbarung, dass das Urteil im Inland doch anzuerkennen sei, unwirksam; d.h. die Wirkungen des nicht anerkannten ausländischen Urteils werden aufgrund dieser Vereinbarungen nicht auf das Inland erstreckt. Eine solche Parteivereinbarung kann jedoch materiell-rechtliche Bedeutung haben, sofern die Parteien wirksam über den Streitgegenstand verfügen können. 5. Internationale Ersatzzuständigkeit zur Wiederholung des Rechtsstreits 3061 Wird die Anerkennung in Deutschland verweigert, so muss zur Wiederholung des Erstprozesses ein kompetentes Gericht bereitgestellt werden, um Justizverweigerung zu vermeiden743 (Rz. 1029). Die Entscheidung des deutschen Gerichts wird nicht selten vom Inhalt des (nicht anerkannten) ausländischen Urteils abweichen. Dies kann vielerlei Gründe haben, z.B. – anderer kollisionsrechtlicher Ansatz (das deutsche internationale Privatrecht verweist auf eine andere Rechtsordnung als das internationale Privatrecht des Erststaates); – unterschiedliche Auslegung der für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsnormen; – anderer Sachverhalt, auf welchem das deutsche Gericht seine Entscheidung aufbaut, als der Tatbestand des (nicht anerkannten) ausländischen Urteils. 3062 Dies kann u.U. auch damit zusammenhängen, dass in Deutschland ein kontradiktorisches Verfahren stattfindet, während im ausländischen Erstprozess aufgrund eines ex parte-Verfahrens ohne Beweisaufnahme ein Versäumnisurteil erging oder umgekehrt. Zu denken ist auch an den Fall, dass im ausländischen Prozess mehr Beweismittel zur Verfügung standen. 3063 Die Notwendigkeit der Beweiserhebung im deutschen Prozess kann wegen eines Geständnisses (§ 288 ZPO) – anders als im Erstprozess – entfallen. Umgekehrt kann jede Partei im „Wiederholungsprozess“ in Deutschland Behauptungen des
742 Z.B. Art. 49 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 56 EuGVVO (s. Rz. 245c). 743 Zustimmend Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht, 1996, 109; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, 1995, 442.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Gegners bestreiten, die sie im ausländischen Erstprozess zugestanden bzw. nicht bestritten hatte. Das Geständnis im Erstprozess verhindert also nicht die Beweiserhebung im deutschen Prozess. Jedoch ist das deutsche Gericht berechtigt, das Verhalten der Parteien im Erstprozess in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen. Schließlich können auch unterschiedliche Präklusionsnormen bzw. deren ver- 3064 schiedene Handhabung dazu führen, dass in Deutschland – anders als im Erstprozess – Beweisantritte zurückgewiesen werden oder umgekehrt. Fazit: Dass bei Wiederholung des Rechtsstreits das deutsche Urteil mit dem 3065 nicht anerkannten ausländischen inhaltlich übereinstimmen wird, ist „Glückssache“. Daraus folgt: Die Verweigerung der Anerkennung kann Störungen des internationalen Entscheidungseinklangs zur Folge haben. Dieser Gesichtspunkt fällt vor allem bei Gestaltungsurteilen ins Gewicht. Die Nichtanerkennung von ausländischen Gestaltungsurteilen führt unweigerlich zu „hinkenden Rechtsverhältnissen“. Wird z.B. ein ausländisches Scheidungsurteil nicht anerkannt, dann besteht – aus deutscher Sicht – die Ehe fort mit der Folge, dass u.U. Zugewinn- und Versorgungsausgleich bis zum Zeitpunkt des deutschen Scheidungsverfahrens durchzuführen sind. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes rechtfertigen nicht die analoge Anwendung des Art. 12 Nr. 3 III 1 des 1. EheRG. Der Bundesgerichtshof744 will aber die Härteklauseln (§ 1587c BGB; Art. 12 Nr. 3 III 1 und 4 des 1. EheRG) anwenden, um eine Herabsetzung oder den Ausschluss des Ausgleichs zu erreichen. Scheidungsstatut: Kann man auf eine solche im Ausland bereits geschiedene, 3066 nur mehr im Inland existierende Ehe das nach Art. 8 Rom III-VO maßgebliche ausländische Recht anwenden, obwohl nach diesem Recht die Ehe nicht mehr besteht? Man streitet um die richtige Antwort.745 6. Internationale Zuständigkeit zur Aufhebung bigamischer Ehen Kann ein ausländisches Scheidungsurteil nicht anerkannt werden, so war vor In- 3067 krafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz) vom 4.5.1998746 am 1.7.1998 eine inzwischen geschlossene zweite Ehe auf Antrag eines Ehegatten oder des (deutschen) Staatsanwalts für nichtig zu erklären, § 24 EheG a.F.747 Nunmehr erfolgt Aufhebung der Ehe mit ex nunc-Wirkung auf Antrag der in § 1316 BGB aufgeführten Personen bzw. der von der jeweiligen Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmten Verwal-
744 BGH v. 10.11.1982 – IVb ZB 913/81, FamRZ 1983, 357 (Ehe war 1972 in Rumänien geschieden worden). Vgl. auch BGH v. 26.5.1982 – IVb ZR 675/80, FamRZ 1982, 795 (797). 745 Für deutsches Recht Henrich, IPRax 1985, 108; für Art. 17 EGBGB ohne Abstriche Jayme, IPRax 1982, 250. Vermittelnd Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, 1985, 97. 746 BGBl. I 1998, 833. 747 R. Geimer, NJW 1976, 1039; Basedow, StAZ 1977, 6.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
tungsbehörde.748 In besonders gelagerten Fällen kann jedoch der Aufhebungsantrag missbräuchlich sein749; z.B. dann, wenn die erste Ehe zwischenzeitlich nicht mehr besteht.750
XX. Teilanerkennung 3068 Hinsichtlich eines jeden im ausländischen Urteil entschiedenen (selbständigen) Anspruchs (Streitgegenstands) sind die Anerkennungsvoraussetzungen gesondert zu prüfen, mit der Folge, dass hinsichtlich des einen die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen können und hinsichtlich des anderen nicht. In diesem Fall ist eine Teilanerkennung möglich.751 (Vgl. auch Rz. 3521). 3069 Beispiel: Anordnung einer Wartefrist zu Lasten des Schuldigen in einem Scheidungsurteil verstößt gegen die deutsche öffentliche Ordnung und ist nicht anerkennungsfähig.752 Der Scheidungsausspruch selbst wird jedoch anerkannt.
3070 Teilanerkennung setzt Teilbarkeit voraus. Sie ist gegeben, wenn die ausländische Entscheidung über mehrere selbständige Ansprüche entscheidet, die jeweils eigenständig sind und deshalb auch getrennt anerkannt bzw. vollstreckt werden können. Darüber hinaus ist auch Teilanerkennung hinsichtlich eines Teils eines Anspruchs (Teilteilanerkennung) möglich.753 Kommt in concreto nur Teilanerkennung in Betracht, so erfolgt diese von Amts wegen. Eines besonderen Antrags auf Ausspruch auch von Teilen der beantragten Anerkennung (§ 308 I ZPO) bedarf es nicht.754 748 Dies ist z.B. in Bayern die Regierung von Mittelfranken, VO v. 2.5.2000, BayGVBl. 293. S. auch Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, Anh. zu § 606a ZPO Rz. 115. 749 OLG Karlsruhe v. 12.7.1985 – 16 UF 203/85, IPRax 1986, 166 (Heßler 146) für die frühere Ehenichtigkeitsklage. 750 OLG Nürnberg v. 30.6.1997 – 7 UF 1117/97, FamRZ 1998, 1109 = NJW-RR 1998, 2 = IPRspr. 1997 Nr. 63. 751 Matscher in FS Reimer, 1976, 33; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1641. Zustimmend Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, 78 und aus schweiz. Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 24 ff. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 28.6.2000 – 3 W 434/98, RIW 2001, 303 sowie Reinhart in MüKo.InsO2, 3. Bd., § 343 Rz. 39. 752 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1646; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 324; vgl. auch EGMR v. 18.12.1987 – 21/1986/119/168, EuGRZ 1993, 130 (131). Großzügiger Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 2005, § 328 ZPO Rz. 510. 753 Bungert, ZIP 1992, 1724. Offen gelassen von BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096 (3098) (Koch 3073) = RIW 1993, 132 (Schütze) = JZ 1993, 261 (Deutsch) = ZIP 1992, 1256 (Bungert 1707 sowie ZIP 1993, 815) = EuZW 1992, 705 = EWiR 1992, 827 (R. Geimer) = LM Nr. 38/39/40 zu § 328 ZPO (Kronke) = ZZP 106 (1993), 79 (Schack) = IPRax 1993, 310 (Koch/Rabel 288) = IPRspr. 1992 Nr. 218b. 754 BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, MDR 1992, 1181 = NJW 1992, 3096 (3105); Bungert, ZIP 1992, 1725.
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Anerkennung
Zwölfter Teil
Man differenziert zwischen horizontaler und vertikaler Teilung. Die horizontale 3071 Teilung gliedert die Entscheidung nach den einzelnen Ansprüchen auf, die mehr oder weniger konnex nebeneinanderstehen. Die vertikale Teilung von Urteilsbestandteilen, wie Gründe und Tenor, kommt nicht in Betracht, weil nur der Tenor zur Anerkennung ansteht. Wenn ein Urteilsbestandteil auf dem anderen rechtslogisch aufbaut, wie z.B. Feststellung der Vaterschaft und Verurteilung zum Unterhalt, ist wie folgt zu differenzieren: Wird die Statusentscheidung (z.B. Ehescheidung oder Abstammungsurteil) anerkannt, aber nicht die Folgeentscheidung, so entstehen keine Probleme. Z.B. kann der Verurteilung zu Unterhalt wegen Fehlens der Gegenseitigkeit (§ 109 IV FamFG) die Anerkennung versagt werden, während das Scheidungsurteil bzw. das Abstammungsurteil anerkannt wird. Bei Nichtanerkennung der Statusentscheidung gilt der Grundsatz: Nichtaner- 3072 kennung der Folgeentscheidung bei logischer Priorität einer Entscheidung, die nicht anerkannt werden kann.755 So setzt die Anerkennung der Verurteilung zur Zahlung des nachehelichen Unterhalts die Auflösung der Ehe voraus.756 Ist dies aus inländischer Sicht nicht der Fall (weil der Scheidungsausspruch nicht anerkannt wird und dies die zuständige Landesjustizverwaltung bzw. der Oberlandesgerichtspräsident auch gem. Art. 107 FamFG ausgesprochen hat), so kann die Verurteilung des einen Ehegatten auf Zahlung von Unterhalt an den anderen Ehegatten nicht anerkannt und vollstreckt werden. Etwas anderes gilt jedoch für die Zahlung von Unterhalt an die Kinder (Rz. 3018). 3073 Denn für das Eltern/Kind-Verhältnis ist die Nichtanerkennung der Scheidung irrelevant. Man wird jedoch noch einen Schritt weiter gehen können und wegen der generellen Schutzbedürfnisse des (nichtehelichen) Kindes die Verurteilung zur Unterhaltszahlung anerkennen, auch wenn die Vaterschaftsfeststellung nicht anerkennungsfähig ist.757 Macht der Unterhaltsschuldner geltend, er sei nicht der Vater, kann er im Inland einen negativen Abstammungsantrag stellen bzw. die Vaterschaft anfechten. Ist dieser erfolgreich, so kann er gegen die (deutsche) Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels Vollstreckungsgegenklage erheben, § 767 II ZPO.758 Auch bei subjektiver Klagehäufung (Personenmehrheit) ist eine horizontale Tei- 3074 lung der Entscheidung möglich.759 Ausnahme: Fälle der echten notwendigen Streitgenossenschaft. Es ist denkbar, dass ein am Verfahren beteiligter Dritter (Nebenintervenient, Streitverkündungsempfänger) die Urteilswirkung nicht gegen sich gelten lassen muss, weil das rechtliche Gehör verweigert wurde, aber
755 S. auch R. Geimer, IPRax 2004, 419. 756 Sturm in GS Constantinesco, 1983, 750; anders (auf Einzelfall abstellend) Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 85. 757 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 991; a.A. OLG Hamm v. 15.11.2005 – 29 W 32/05, FamRZ 2006, 967 = IPRspr. 2005 Nr. 172; OLG Hamm v. 26.4.2005 – 29 W 18/04, FamRZ 2006, 968. 758 Näher OLG Hamm v. 8.7.2003 – 29 W 34/02, FamRZ 2004, 719 = IPRax 2004, 437 (R. Geimer 419). 759 Matscher in FS Reimer, 1976, 36.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
unabhängig davon Anerkennung der Wirkungen des Urteils zwischen den Parteien erfolgt (Rz. 2939).
XXI. Aufhebung der ausländischen Entscheidung im Erststaat 3075 Aus dem Prinzip der (automatischen) Wirkungserstreckung folgt, dass die Beseitigung der Urteilswirkung im Erststaat, z.B. im Wege der Wiederaufnahme, dazu führt, dass diese Wirkungen auch im Inland entfallen. Doch ist die Präklusionswirkung einer inländischen feststellenden Entscheidung zu beachten. Wurde im Inland über die Frage der Anerkennungsfähigkeit rechtskräftig entschieden, so ist der Einwand der Aufhebung oder der Unwirksamkeit der ausländischen Entscheidung im Erststaat präkludiert. Die Zeitgrenze des § 767 II ZPO gilt auch für rein feststellende Entscheidungen. (Vgl. auch Rz. 3101).760
XXII. Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 3076 Urteile von Gerichten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (einschließlich Ost-Berlins) waren nie (auch nicht nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrages) ausländische Urteile. § 328 ZPO war deshalb nicht direkt anwendbar. Die DDR-Urteile waren grundsätzlich auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wirksam.761 Sie entstammten jedoch einer anderen Hoheitssphäre. Staatsgewalt und Gerichtsbarkeit waren in beiden Staaten verschieden, Art. 6 Grundlagenvertrag. Angesichts der grundverschiedenen Rechtsentwicklung konnten ihre Wirkungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorbehaltlos anerkannt werden; s. Art. 18 des Einigungsvertrages.
XXIII. Anerkennungsregime der EuGVVO 3077 Das Anerkennungsregime der EuGVVO (Rz. 245c, 2756b) und in ihrem Gefolge des Lugano-Übereinkommens weist viele strukturelle Übereinstimmungen mit dem genuin deutschen Anerkennungssystem auf: Automatische Anerkennung kraft Gesetzes, moderate Versagungsgründe etc. In zwei Punkten bestehen jedoch deutliche Divergenzen. Zum einen ist die Anerkennung nach Unionsrecht nicht abhängig von der Verbürgung der Gegenseitigkeit (vgl. § 328 I Nr. 5 ZPO, § 109 IV FamFG) und zum anderen verzichtet die EuGVVO – anders als § 328 I Nr. 1 ZPO und § 109 I Nr. 1 FamFG – auf die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaates im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung. Bejaht das angegangene Gericht seine interna760 S. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 73. 761 BGH v. 5.5.1982 – IVb ZR 697/80, BGHZ 84, 17 = MDR 1982, 835 = FamRZ 1982, 785 = NJW 1982, 1947 = RIW 1982, 592 = IPRax 1983, 33 (Beitzke 16) = IPRspr. 1982 Nr. 136; BGH v. 14.12.1960 – V ZR 40/60, BGHZ 34, 36; BGH v. 22.9.1982 – IVb ZR 304/81, MDR 1983, 117 = FamRZ 1982, 1189 = IPRax 1983, 184 (von Bar 163).
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Anerkennung
Zwölfter Teil
tionale Zuständigkeit, weil es eine „gesetzliche“ Zuständigkeitsanknüpfung nach Art. 4 ff. EuGVVO (Art. 2 ff. LugÜ) für gegeben hält und in casu die Derogation aufgrund einer Zuständigkeits- bzw. Schiedsvereinbarung für unwirksam hält oder aber als prorogiertes Gericht seine internationale Entscheidungszuständigkeit auf eine Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 25 EuGVVO n.F., Art. 23 LugÜ) stützt, so gilt als Grundsatz (Art. 45 III n.F., Art. 35 III LugÜ): In der Anerkennungsphase darf die internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats nicht nachgeprüft werden.762 Die fehlende internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats ist kein Grund, die Anerkennung bzw. Vollstreckung zu versagen. Dies führt zu einer Erweiterung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten im Anwendungsbereich des Brüsseler bzw. Luganer Anerkennungssystems. Eine Ausnahme gilt jedoch in Versicherungs-, Verbraucher- und nun auch in 3078 Arbeitssachen gem. Art. 45 Abs. 1 lit. e (i), wenn der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist. Damit präzisiert die neue Verordnung den bisher zu allgemein gehaltenen Art. 35 I EuGVVO a.F. und weitet zudem die Nachprüfungsmöglichkeit auf die Arbeitssachen aus, die von der alten Fassung nicht erfasst waren.763 Letzteres gilt jedoch (noch) nicht im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens. 762 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 80. Zum Folgenden schon Geimer in FS Gottwald, 2014, 1978, 203 ff. 763 In dem durch Art. 45 I lit. e EuGVVO n.F. abgesteckten Umfang darf der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) die internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) prüfen, nicht jedoch die örtliche Zuständigkeit des Ursprungsgerichts (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.). Steht fest, dass der Beklagte Versicherungsnehmer etc. zum maßgeblichen Zeitpunkt im Ursprungsmitgliedstaat seinen Wohnsitz hatte und dass die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates (Art. 14 I EuGVVO n.F.) auch nicht wirksam (Art. 15 EuGVVO n.F.) derogiert worden ist, ist Zuständigkeitsprüfung gem. Art. 45 I lit. e (i) EuGVVO n.F. beendet. Welches Gericht innerhalb des Wohnsitzstaates entschieden hat, ist für den Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) ohne Belang. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Art. 14 I EuGVVO n.F. nur die internationale Zuständigkeit regelt, aber keine Norm über die örtliche Zuständigkeit enthält. Die VO verweist, ebenso wie Art. 4 I EuGVVO n.F. (bisher: Art. 2 Abs. 1 a.F.) – insoweit auf das nationale Zuständigkeitsrecht, Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 165. Aber auch dann, wenn die örtliche Zuständigkeit von der VO geregelt wird, wie z.B. im Fall der wirksamen Prorogation der internationalen und örtlichen Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts außerhalb des Wohnsitzstaates (Art. 15, Art. 25 EuGVVO n.F.) kann die Anerkennung nicht daran scheitern, dass innerhalb des prorogierten Staates ein anderes Gericht als das konkret vereinbarte entschieden hat. Die VO will die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und sonstiger Titel gegenüber dem bisherigen Zustand erleichtern, aber nicht durch Einführung neuer Versagungsgründe erschweren. Ist z.B. unstreitig, dass englische Gerichte für den Rechtsstreit prorogiert worden sind, dann muss der deutsche Zweitrichter den englischen Gerichten die endgültige Klärung der Frage überlassen, welches Gericht innerhalb Englands als örtlich zuständig vereinbart worden war, Geimer, RIW 1980, 305 (309); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 44. Zustimmend z.B. Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 6. S. auch Simotta in
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
3079 In Versicherungssachen kann sich der Versicherer im Anerkennungsstadium (Art. 36 ff. EuGVVO n.F.) im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) unter keinen Umständen auf die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) berufen; denn er gehört nicht zu dem durch Art. 10 ff. EuGVVO n.F. (Art. 8 ff. LugÜ) geschützten Personenkreis. Schon Art. 35 EuGVVO a.F. war und Art. 35 LugÜ ist teleologisch zu reduzieren.764 Es war nicht Anliegen der Verfasser der Verordnung, der zur Leistung verurteilten Versicherung entgegen dem als Grundregel im Anerkennungsrecht geltenden Verbot der Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung in den anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu eröffnen, die internationale Unzuständigkeit des Erststaates darzutun und so den erststaatlichen Titel im ersuchten Mitgliedstaat (Zweitstaat, Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) zu Fall zu bringen.765 3080 Auch die geschützten Personen können sich auf die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats nicht berufen, wenn sie dort Kläger bzw. Widerkläger waren; denn nur als Beklagte sind sie schutzbedürftig. Wenn sie selbst angreifen, also den Versicherer in einem nach den Zuständigkeitsregeln des Artikels 10–16 EuGVVO n.F. international unzuständigen Mitgliedstaat verklagen, können sie gem. Art. 45 III lit. e (i) EuGVVO n.F. gegen die Anerkennung nicht einwenden, der Ursprungsmitgliedstaat sei international unzuständig gewesen. Dieses Ergebnis folgte auch schon aus dem Normzweck: Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (als Voraussetzung der Anerkennung im Zweitstaat) dient nur dem Schutz des Beklagten, nicht auch des Klägers des Erstverfahrens. Wollte der Kläger die internationale Unzuständigkeit der von ihm selbst angerufenen Gerichte im Anerkennungsstadium reklamieren, so wäre dies ein Fall des venire contra factum proprium. Dies stellt nunmehr der neue Art. 45 I lit. e (i) EuGVVO n.F. klar. 3081 Eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Erststaates gem. Art. 45 I Buchst. e (I) EuGVVO n.F. (Art. 35 I LugÜ) ist mithin nur zulässig, wenn der im Ursprungsmitgliedstaat verklagte Versicherungsnehmer, Versicherte, Begünstigte, Geschädigte oder sonst wie am Versicherungsverhältnis Beteiligte vor dem Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) mit Erfolg rügt, die zu seinem Schutz geschaffenen Vorschriften der Art. 10 ff. seien verletzt, d.h. nicht oder nicht richtig angewandt worden.766 Es kann z.B. der Beklagte rügen, sein Wohnsitz (Art. 62 EuGVVO n.F.) befinde sich nicht im Ur-
Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, Bd. I, Vor §§ 83a, 83b JN Rz. 108/3; Hausmann in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO, 2012, Art. 23 Rz. 38. 764 Zum Folgenden Geimer, RIW 1980, 305; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 16 ff. 765 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 EuGVVO Rz. 20. Zustimmend z.B. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 35 EuGVVO Rz. 9; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 6. 766 Art. 45 Abs. 1 lit. e (i) EuGVVO n.F. erlaubt – wie auch schon Art. 35 Abs. 1 a.F. – keine Kontrolle der nach Art. 6 Abs. 1 n.F. (Art. 4 I a.F.) EuGVVO anwendbaren Parallelvorschriften des nationalen Rechts oder des Völkervertragsrechts (Art. 71 EuGVVO n.F.).
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sprungsmitgliedstaat (Art. 14 I EuGVVO n.F.); dieser sei auch nicht wirksam prorogiert worden (Art. 15 EuGVVO n.F.). Der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Ar. 2 lit. e EuGVVO n.F.) ist zwar 3082 an die tatsächlichen Feststellungen des Erstrichters (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) nach Art. 45 II EuGVVO n.F. (Art. 35 II LugÜ) gebunden, soweit diese anerkennungsfreundlich sind,767 nicht jedoch an dessen rechtlichen Feststellungen: So kann z.B. der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat die Frage, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz im Ursprungsmitgliedstaat hatte oder zumindest während der Rechtshängigkeit seinen Wohnsitz dorthin verlegt hat, anders beantworten als das Erstgericht.768 Eine Versagung der Anerkennung wegen Fehlens eines Wohnsitzes des Beklagten im Ursprungsmitgliedstaat wird nur dann aktuell werden, wenn der Beklagte am Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat nicht teilgenommen hatte und deshalb eine ex parte-Entscheidung ergangen ist. Der Erstrichter war zwar zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit und damit der Wohnsitzfrage (Art. 14 I, Art. 63 EuGVVO n.F.) von Amts wegen verpflichtet, Art. 28 I EuGVVO n.F. (Art. 26 I LugÜ); wegen des Fernbleibens des Beklagten war aber eine kontradiktorische Verhandlung nicht möglich. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass der Erstrichter die Zuständigkeitsfragen nicht intensiv genug geprüft hat. War jedoch der Beklagte im Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) vertreten und hat er auch durch Einlegung von Rechtsmitteln die internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats bestritten, dann wird das Gericht im ersuchten Mitgliedstaat wohl nur äußerst selten von der Rechtsmeinung des Gerichts im Ursprungsmitgliedstaat abweichen. Ein Grund zur Versagung der Anerkennung (Art. 45 EuGVVO n.F.) bzw. Vollstreckung (Art. 46 EuGVVO n.F.) wird mit größerer Wahrscheinlichkeit dann gegeben sein, wenn der Zweitrichter die Tatbestandsvoraussetzun-
767 Soweit der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) ausnahmsweise berechtigt ist, die internationale Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) nachzuprüfen, ist er an die tatsächlichen Feststellungen des Ursprungsgerichts (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) gebunden, Art. 45 II EuGVVO n.F. Auch das Vorbringen neuer Tatsachen ist ausgeschlossen, soweit diese im Erstverfahren bereits hätten geltend gemacht werden können. Zustimmend Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 15; a.A. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 35 EuGVVO Rz. 15. Die Bindung an die tatsächliche Feststellung des ausländischen Gerichts und die Präklusion neuer Tatsachen gilt aber nicht für anerkennungsfreundliche Tatsachen; diese dürfen jederzeit geltend gemacht werden. So können z.B. im Zweitverfahren im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) Tatsachen nachgeschoben werden, aus denen sich ergibt, dass der Ursprungsmitgliedstaat international zuständig war. Art. 45 II EuGVVO betrifft also nur den Einwand der internationalen Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats, Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 45; a.A. Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 81 bei Fn. 177; Walther in Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 35 Rz. 33. 768 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 23. S. auch Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 17.
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gen für Zuständigkeitsvereinbarungen (Art. 15–16 EuGVVO n.F.)769 anders auslegt als der Erstrichter. Hat sich z.B. das Gericht (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.), in dem der Beklagte unstreitig nicht wohnt, für international zuständig gehalten, weil nach der Entstehung des Streitigkeit (Art. 15 Nr. 1 EuGVVO n.F.770) eine wirksame Prorogation vereinbart worden sei, so ist es durchaus möglich, dass der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat anderer Auffassung ist und die Zuständigkeitsvereinbarung für unwirksam hält; denn er ist an die erstrichterliche Rechtsmeinung nicht gebunden, sondern nach Art. 45 II EuGVVO n.F. nur an die tatsächlichen Feststellungen. 3083 Der beklagte Versicherungsnehmer etc. hat – sieht man vom Einwand der Derogation und vom Einwand der Schiedsvereinbarung ab (Rz. 3086) – nicht die prozessuale Last, sich am Erstprozess im Ursprungsmitgliedstaat zu beteiligen und alle nach dem dortigen Recht zulässigen ordentlichen Rechtsmittel auszuschöpfen, um die internationale Unzuständigkeit des Erststaates nach Art. 14 bzw. Art. 15 EuGVVO n.F. geltend zu machen. Auch wenn er am Erstprozess nicht teilgenommen hat, kann er im Anerkennungsstadium die Rüge der internationalen Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 45 I lit. e [i] EuGVVO n.F.) erheben. Beteiligt er sich jedoch am Erstprozess, dann muss er – um eine Zuständigkeitsbegründung durch vorbehaltlose Einlassung (Art. 26 I EuGVVO n.F.; Art. 24 LugÜ)771 zu vermeiden772 – rechtzeitig die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats geltend machen. Unterliegt er und legt er im Ursprungsmitgliedstaat Rechtsmittel ein, dann muss er seine Rüge der internationalen Unzuständigkeit aufrechterhalten. Andernfalls wird die internationale Zuständigkeit des Erststaates durch rügelose Einlassung in der Rechtsmittelinstanz begründet.773 Das Gleiche gilt, wenn der Beklagte zunächst am Erstverfahren nicht teilgenommen hat, sich aber dann doch entschlossen hat, gegen die im ex parte-Verfahren ergangene Entscheidung Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel einzulegen.774 3084 Der Richter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) darf im Hinblick auf die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats (Art. 45 lit. e [i] EuGVVO n.F.) nicht von Amts wegen die Anerkennung der im Ursprungsmitgliedstaat in Versicherungssachen ergangenen Entscheidung versagen. Vielmehr ist eine Zuständigkeitsrüge des im Ursprungsmitgliedstaat verklagten Versicherungsnehmers, Versicherten, Begünstigten, Geschädigten oder sonst wie am Versicherungsverhältnis Beteiligten notwendig. Dieser allein kann
769 Hierzu Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 166 ff. 770 Hierzu z.B. Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 13. Brüssel I-VO Rz. 4; Stein/Jonas/Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 13 EuGVVO Rz. 6. 771 Hierzu allgemein Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 206 ff. m.w.N. 772 Allerdings schreibt Art. 26 Abs. 2 EuGVVO n.F. – im Gegensatz zu Art. 24 a.F. – eine gerichtliche Belehrung über die Folgen einer vorbehaltlosen Einlassung vor, hierzu Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 249. 773 Stein/Jonas/Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 24 EuGVVO Rz. 31. 774 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 28.
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Zwölfter Teil
und muss darüber befinden, ob er im Anerkennungsstadium die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats geltend machen will oder nicht.775 Dies stellt der Wortlaut des Art. 45 I EuGVVO n.F. nunmehr erfreulicherweise klar; denn dort wird der „Antrag eines Berechtigten“ verlangt. Ein allgemein gehaltener Versagungsantrag umfasst im Zweifel alle nach der Ver- 3084a ordnung zulässigen Anerkennungsversagungsgründe. Der Antragsteller kann seinen Versagungsantrag aber auch auf einzelne Versagungsgründe einschränken. Tut er dies, so ist der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) daran gebunden. Er kann nicht gegen den Willen des Antragstellers auf von ihm ausgeschlossene Versagungsgründe die Verweigerung der Anerkennung stützen.776 Hatte der (beklagte) Versicherungsnehmer etc. sich entschlossen, die internatio- 3085 nale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats nicht geltend zu machen und erging im ersuchten Mitgliedstaat in einem Verfahren nach Art. 45, Art. 46 oder Art. 36 II EuGVVO n.F. eine Entscheidung, welche die Anerkennungsfähigkeit der betreffenden zur Anerkennung anstehenden Entscheidung (Art. 2 lit. a EuGVVO n.F.) festgestellt hat, dann kann er kein neues Versagungsverfahren starten und sich nun auf die internationale Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats berufen mit dem Ziel, die Versagung der Anerkennung zu erreichen. Er ist vielmehr mit diesem Einwand, den er im ersten Verfahren nicht vorgebracht hatte, präkludiert.777 Für den Einwand der Derogation des Wohnsitzstaates des Versicherungsneh- 3086 mers778 gelten Besonderheiten: Der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) darf den Derogationseinwand überhaupt nur dann beachten, wenn der Beklagte im erststaatlichen Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat diesen Einwand erfolglos erhoben hatte. Der Beklagte darf sich den
775 War der beklagte Versicherungsnehmer etc. im Ursprungsmitgliedstaat mit seiner Rechtsverteidigung erfolgreich, d.h. erging ein für ihn vorteilhaftes Urteil, wird er keinen Versagungsantrag stellen. 776 Ausnahmen gelten nur für Konstellationen, in denen eine Anerkennung auch ohne Antrag zum Schutz überindividueller Werte und Rechtsgüter versagt werden muss, hierzu Rz. 3174u und Geimer in FS Torggler, 2013, 311, 335. Solche überindividuellen Werte stehen im Falle des Fehlens der intenationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats nicht auf dem Spiel. 777 S. auch Geimer in FS Torggler, 2013, 311, 316, 332. 778 Es geht dabei um folgende Konstellation: Ein Gericht im Wohnsitzstaat des beklagten Versicherungsnehmers etc. verurteilt diesen. Im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) macht nun der Versicherungsnehmer geltend, der Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) sei international unzuständig gewesen, da gem. Art. 15 EuGVVO die ausschließliche internationalen Zuständigkeit eines anderen Staates vereinbart worden sei und deshalb die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates (Art. 14 Abs. 1) derogiert sei. Es ist denkbar, dass der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e) – anders als der Ursprungsrichter (Art. 2 lit. f), der die Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 15, Art. 25 EuGVVO n.F.) für unwirksam hielt bzw. von dieser überhaupt keine Kenntnis erhalten hatte – zum Ergebnis kommt, dass die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates sehr wohl wirksam abbedungen wurde.
1185
Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Einwand der Derogation nicht bis zum Zweitverfahren im ersuchten Mitgliedstaat aufheben und ihn erst dort vortragen. Denn durch den vertraglichen Ausschluss der an sich gem. Art. 14 I EuGVVO n.F. gegebenen internationalen Zuständigkeit des Wohnsitzstaates wird die Last zur Einlassung vor den Gerichten des Wohnsitzstaates nicht zur Gänze beseitigt, sondern nur die Einlassungspflicht zur Hauptsache.779 Hält sich der Versicherer nicht an die Derogationsvereinbarung und klagt er in dem Staat, in dem der Beklagte wohnt, so ist es diesem durchaus zuzumuten, dass er am Rechtsstreit teilnimmt und vorträgt bzw. vortragen lässt, dass die Zuständigkeit des Wohnsitzstaates derogiert sei. Tut er dies nicht, kann er sich im ersuchten Mitgliedstaat nicht auf die internationale Unzuständigkeit des Wohnsitzstaates (infolge der Derogation) berufen.780 3087 Der Einwand, das staatliche Gericht im Ursprungsmitgliedstaat hätte keine Sachentscheidung lassen dürfen, weil für den Streitgegenstand ein Schiedsgericht zuständig gewesen sei, ist unzulässig.781 Ein solcher Versagungsgrund findet sich nicht in der Liste des Art. 45 I EuGVVO n.F. (bzw. Art. 35 I LugÜ). Diese ist abschließend; es dürfen nicht weitere Versagungsgründe hineininterpretiert werden.782 Aus Art. 1 II lit. d EuGVVO n.F. lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Der Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Ar. 2 lit. e EuGVVO n.F.) darf dem Urteil eines staatlichen Gerichts aus dem Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.), das nach seiner Meinung eine Schiedsvereinbarung übersehen hat oder zu Unrecht für unwirksam gehalten hat, die Anerkennung nicht mit der Begründung verweigern, die Schiedsvereinbarung sei in Wirklichkeit doch gültig gewesen und habe daher die Kompetenz des staatlichen Gerichts verdrängt. Eine Berufung auf Art. 1 II lit. d EuGVVO n.F. geht fehl. Dies bestätigt auch Erwägungsgrund 12. Art. 45 I EuGVVO n.F. hat Ausnahmecharakter und ist deshalb eng auszulegen. Daher wäre es systemwidrig und würde dem Anliegen der Verordnung zuwiderlaufen, wollte man den Einwand der Vereinbarung eines Schiedsgerichts als Grund für die Versagung der Anerkennung der Entscheidung des Ursprungsgerichts (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) zulassen. Auch ein Rückgriff auf den ordre public (Art. 45 I lit. a EuGVVO n.F.) kommt nicht in
779 Gegen eine solche Prüfungseinschränkung Evgenia Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, 2013, 394 f. m.w.N. 780 Das Gleiche gilt, wenn er die Rüge der internationalen Unzuständigkeit des Wohnsitzstaates (infolge der Derogation) im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) nicht mit nach dem dortigen Recht statthaften ordentlichen Rechtsmitteln weiterverfolgt. Nur wenn der Beklagte dort alle möglichen Schritte erfolglos unternommen hat, um den auch nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats schlüssigen Einwand der Derogation durchzusetzen, macht es Sinn, die Anerkennung (Art. 45 EuGVVO n.F.) bzw. Vollstreckung (Art. 46 EuGVVO n.F.) zu versagen, weil aus der Sicht des Zweitrichters die Gerichte im Erststaat die nach Art. 15 EuGVVO n.F. wirksame Derogation nicht beachtet haben. Nur dann ist das Interesse des Beklagten an der internationalen Durchsetzung der Zuständigkeitsvereinbarung schutzwürdig. 781 Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 12 Rz. 84; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 14. 782 Zu intertemporalen Ausnahmen s. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 Rz. 33.
1186
Anerkennung
Zwölfter Teil
Betracht. Jedoch kann die Anerkennung unter Umständen an Art. 45 I lit. b–d EuGVVO n.F. scheitern.783 Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates 3088 in Verbrauchersachen: Die vorstehend dargelegten Grundsätze für die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit in Versicherungssachen gelten vice versa entsprechend für die Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats in Verbrauchersachen.784 Art. 17–19 EuGVVO n.F. (Art. 15–17 LugÜ) dienen allein dem Schutz des Verbrauchers. Sein Vertragspartner (Verkäufer, Lieferant, finanzierende Bank etc.) kann sich ebenso wenig wie der Versicherer auf Art. 45 I lit. e (i) EuGVVO n.F. berufen,785 desgleichen auch nicht der Verbraucher, wenn er als Kläger bzw. Antragsteller auftritt. Für eine Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitglied- 3089 staats (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) bleiben mithin nur die Fälle, in denen der Verbraucher im Ursprungsmitgliedstaat verklagt wurde. So kann der beklagte Verbraucher im Zweitverfahren im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) gegen die Anerkennung (Art. 36 EuGVVO n.F.) bzw. Vollstreckung (Art. 39 EuGVVO n.F.) des ihn zur Zahlung verurteilenden erststaatlichen Urteils des Ursprungsgerichts (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) geltend machen, er habe zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) gewohnt (Art. 18 II EuGVVO n.F.), auch liege keine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 19 Nr. 1 EuGVVO n.F.786) vor. Der Einwand der internationalen Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats 3090 wird nur auf Antrag des (im Ursprungsmitgliedstaat verklagten) Verbrauchers geprüft, nicht von Amts wegen oder auf Antrag seines Vertragspartners. Der Einwand, die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates (Art. 18 II 3091 EuGVVO n.F.) sei durch eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 19, Art. 25 EuGVVO n.F.) ausgeschlossen, darf vom Zweitrichter im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e) nur dann beachtet werden, wenn der Verbraucher den Derogationseinwand in seinem Wohnsitzstaat erfolglos vorgebracht und durch dortige Rechtsmittel erfolglos weiterverfolgt hatte. Auch in Verbrauchersachen kann der Einwand der schiedsrichterlichen Erledigung nicht zur Versagung der Anerkennung einer vom staatlichen Gericht des Wohnsitzstaates (Art. 18 II EuGVVO 783 Details bei Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 1 Rz. 163 und Art. 35 Rz. 33 ff. 784 R. Geimer, RIW 1980, 305 (308); Geimer in Geimer/Schütze, a.a.O., A 1 – Art. 35 EuGVVO Rz. 47 ff. Nicht anwendbar sind die Sonderregeln für Verbraucher, wenn beide Parteien Verbraucher sind, weil die kompetenzrechtliche Privilegierung nur bei typisch ungleichgewichtigen Vertragspartnern der ratio legis entspricht. So auch für Art. 6 EuVTVO EuGH 5.12.2013 C-508/12 – Walter Vapenik/Josef Thurner, EuZW 2014, 147; hierzu Staudinger, LMK 2014, 355575; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 18; Kodek in Geimer/Schütze, IRV 570 Art. 6 Rz. 6; kritisch Kloepfer/Ramic´ GPR 2014, 107. 785 Zustimmend Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 35 EuGVVO Rz. 9. 786 Hierzu z.B. Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 17 Brüssel I-VO Rz. 2; Stein/Jonas/Wagner, ZPO22, Bd. 10, Art. 17 EuGVVO Rz. 5. S. auch Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, Bd. I, Vor §§ 83a, 83b JN Rz. 88/1 ff.
1187
Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
n.F.) bzw. vom forum prorogatum (Art. 19 Nr. 1 EuGVVO n.F.) gefällten Sachentscheidung führen. Die Nachprüfung der örtlichen Zuständigkeit innerhalb des Wohnsitzstaates (Art. 18 II EuGVVO n.F.) ist ausgeschlossen. 3092 Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates in individuellen Arbeitsstreitigkeiten: Art. 45 I lit. e (i) EuGVVO n.F. erweitert gegenüber Art. 35 I EuGVVO a.F. bzw. Art. 35 I LugÜ die Nachprüfungsmöglichkeiten hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats auch auf individuelle Arbeitsstreitigkeiten. Die vorstehenden Ausführungen für Versicherungssachen und Verbrauchersachen gelten entsprechend. Die Versagung der Anerkennung (Art. 45 EuGVVO n.F.) bzw. Vollstreckung (Art. 46 EuGVVO n.F.) wegen internationaler Unzuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats kann nur der Arbeitnehmer beantragen, nicht der Arbeitgeber, und auch nur dann, wenn er im Verfahren vor dem Ursprungsgericht (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) in der Rolle des Beklagten war. Den Derogationseinwand (Art. 23 Nr. 1 EuGVVO n.F.787) gegen die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzstaates des verklagten Arbeitnehmers (Art. 22 I EuGVVO n.F.) kann dieser im Stadium der Anerkennung bzw. Vollstreckung nur geltend machen, wenn er diesen bereits im Ursprungsmitgliedstaat erfolglos vorgebracht hatte. 3093 Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates im Hinblick auf Art. 24 EuGVVO n.F. (Art. 22 LugÜ) wegen Missachtung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats: Art. 45 I lit. e (ii) EuGVVO n.F. führt – wie bisher Art. 35 I EuGVVO a.F. und Art. 35 I LugÜ – die Möglichkeit der Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats im Hinblick auf die Wahrung der in Art. 24 EuGVVO n.F. stipulierten ausschließlichen internationalen Zuständigkeiten des ersuchten Mitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats fort. Während in Zusammenhang mit Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a.F. darüber nachgedacht wurde, ob eine Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung im Hinblick auf Art. 22 a.F. von Amts wegen788 zulässig ist, stellt nun Art. 45 I EuGVVO n.F. klar, dass ein „Antrag eines Berechtigten“789 erforderlich ist. Damit macht der europäische Gesetzgeber deutlich, dass es auch bei den Kompetenznormen des Art. 24 EuGVVO n.F. nicht um überindividuelle Zuständigkeitsinteressen790 geht, die im Anerkennungsstadium auch gegen den Willen des Beklagten durchgesetzt werden müssen.791 787 Hierzu z.B. Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 21 Brüssel I-VO Rz. 3; Simons in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO, 2012, Art. 21 Rz. 11. 788 Dasser/Oberhammer, LugÜ2, Art. 35 Rz. 13. 789 Art. 46 EuGVVO n.F. verlangt für die Versagung der Vollstreckung einen „Antrag des Schuldners“. Der betroffene Staat hat kein Antragsrecht (Rz. 912). 790 So aber z.B. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 35 EuGVVO Rz. 7 zur Nachprüfung der Einhaltung des Abschnitts 6 (Art. 22 EuGVVO a.F.; nunmehr Art. 24 EuGVVO n.F.); Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 7. 791 Allerdings bedeutet dies nicht, dass im Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat nunmehr Art. 24 durch eine Zuständigkeitsvereinbarung (Art. 25 IV EuGVVO n.F.) oder eine vorbehaltlose Einlassung (Art. 26 I EuGVVO n.F.) übergangen werden könnte, Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 252; Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, Bd. I, § 83 JN Rz. 19.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
Art. 24 EuGVVO n.F. begründet ausschließliche internationale Zuständigkeiten 3094 nur für Mitgliedstaaten, nicht jedoch für dritte Staaten.792 Deshalb darf einer Entscheidung (Art. 2 lit. a EuGVVO n.F.) aus dem Ursprungsmitgliedstaat (Art. 2 lit. d EuGVVO n.F.) im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO n.F.) die Anerkennung nicht deswegen verweigert werden, weil das dortige Gericht der Ansicht ist, dass ein Nichtmitgliedstaat für den vom Ursprungsgericht (Art. 2 lit. f EuGVVO n.F.) entschiedenen Rechtsstreit ausschließlich international zuständig sei.793 Eine Ausnahme gilt jedoch nach Maßgabe von Art. 35 I LugÜ für die internationalen ausschließlichen Zuständigkeiten von Lugano-Vertragsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, also für die Schweiz, Norwegen und Island.
XXIV. Europäischer Vollstreckungstitel Die Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel nach der VO (EG) 3095 Nr. 805/2004 (EuVTVO) (Rz. 3174) führt nach Art. 5 zur Anerkennung in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks), „ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann“. Dies spricht gegen die Möglichkeit, Anerkennungsversagungsgründe (Art. 45 I EuGVVO n.F.; früher Art. 34–Art. 35 EuGVVO a.F.) geltend machen zu können; es wäre in der Tat ein Widerspruch, die Vollstreckung vorbehaltlos zuzulassen, aber die sonstigen Wirkungen des Titels (Rechtskraft, Präklusionswirkung etc.) nicht anzuerkennen. Andererseits entfaltet nach Art. 11 EuVTO die Bestätigung „Wirkung nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung“. Einstweilen frei 3096–3099
2. Kapitel: Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel Literatur: Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009; Borges, Doppelexequatur von Schiedssprüchen in der EuGVVO, IHR 2006, 206; Dolge, Internationale Zuständigkeit für zwangsvollstreckungsrechtliche Klagen nach dem revidierten Lugano-Übereinkommen, 2009; Edelmann, Neues aus Lugano: Ein Blick auf neuere Entwicklungen in Fragen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in der Schweiz, gemäß Lugano-Übereinkommen, in Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsverband, 2005, 377; von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel – Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel 792 Anders dagegen für eine „Reflexwirkung“ des Art. 24 EuGVVO n.F. zugunsten dritter Staaten Nagel/Gottwald, IZPR7, § 3 Rz. 257; Joubert/Weller in Simons/Hausmann, Brüssel I-VO, 2012, Art. 35 Rz. 27. S. auch Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO22, Bd. 10, Art. 35 EuGVVO Rz. 10, Simotta in Fasching/Konecny, (Österr.) Zivilprozessgesetze3, Bd. I, § 83 JN Rz. 8 ff. 793 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, A 1 – Art. 35 EuGVVO Rz. 65.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 1998; Gärtner, Probleme der Auslandsvollstreckung von Nichtgeldentscheidungen im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, 1991; R. Geimer, Exequaturverfahren, in Festschrift Georgiades, 2005, 489; Haedicke, Die Vollstreckung deutscher Urteile in Frankreich auf der Grundlage des EuGVÜ, Diss. Münster 1999; Hay, Recognition of a Recognition Judgment within the European Union: „Double Exequatur“ and the Public Policy Barrier, in Liber Amicorum Tibor Várady, 2008, 143 = EuLF 2009, I-61; Hess, Staatenimmunität und ius cogens im geltenden Völkerrecht: Der Internationale Gerichtshof zeigt die Grenzen auf, IPRax 2012, 201, 206; Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, 1998; Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, 1997; Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht5, 2011, Rz. 499 ff.; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000; Oberhammer, Der Europäische Vollstreckungstitel: Rechtspolitische Ziele und Methoden, JBl 2006, 477; Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union – Die Wirkungen der Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen und gemeinschaftsweiter Vollstreckungstitel, 2012; Rauscher, Vollstreckung von Zivilentscheidungen aus Europa und Drittstaaten in Deutschland, International Journal of Procedural Law 2011, 265; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht6, 2014, Rz. 1023 ff.; Schimrick, Die unmittelbar grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum – Aus dem Blickwinkel des deutschen und des französischen Rechts, Diss. Potsdam, 2012; Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Co-Operation, RdC 284 (2000), 9, 200 ff.; Schlosser, Grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit von Nicht-Geldleistungsurteilen, in Festschrift Leipold, 2009, 435; Schlosser, Vollstreckbarerklärung nicht vollstreckungsfähiger Entscheidungen?, in Festschrift Kerameus, 2009, 1183; Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Bundesrepublik Deutschland als verfahrensrechtliches Problem, Diss. Bonn 1960; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz4, 2008; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz – Eine Untersuchung zum autonomen und europäischen Exequaturrecht und zur Abschaffung des Exequaturverfahrens, Diss. Passau, 2010; Stadler, Inländisches Zwangsgeld bei grenzüberschreitender Handlungsvollstreckung, IPRax 2004, 430; Stutz, Die internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung unter dem EuGVÜ, 1992; Stürner, Das grenzüberschreitende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union, in Festschrift Henckel, 1995, 863; Treibmann, Die Vollstreckung von Handlungen und Unterlassungen im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1994; Wendt, Vollstreckung in der EU unter der Regie der EuGVVO: Vollstreckungsgegenklage nach Abschluss eines österreichischen Oppositionsverfahrens, ErbR 2011, 5.
I. Nichtanerkennung der erststaatlichen Vollstreckbarkeit 3100 Die einem ausländischen Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates zukommende Vollstreckbarkeit wird nicht anerkannt, also nicht auf das Inland erstreckt (Rz. 2779, 2824, 3368). Das deutsche Vollstreckungsurteil (§ 722 ZPO) ist kein 1190
Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
Feststellungsurteil, das die Erstreckung der ausländischen Vollstreckbarkeit auf das Inland feststellt, sondern ein (prozessuales) Gestaltungsurteil.794 Die Vollstreckbarkeit, welche dem ausländischen Titel durch das deutsche Vollstreckungsurteil verliehen ist795, beurteilt sich ausschließlich nach deutschem Recht.796 Das Gleiche gilt für den Vollstreckbarerklärungsbeschluss nach § 110 II FamFG.797 Die Unterscheidung zwischen Wirkungserstreckung (= Anerkennung) und Wir- 3101 kungsverleihung wird z.B. dann deutlich, wenn die ausländische Entscheidung (die im Inland für vollstreckbar erklärt wurde) im Urteilsstaat ihre Vollstreckbarkeit verliert, z.B. wegen Aufhebung im ausländischen Wiederaufnahmeprozess. Würde es sich bei der Vollstreckbarerklärung nur um eine Wirkungserstreckung handeln, so wäre das ausländische Urteil auch im Inland nicht mehr vollstreckbar; denn es würde an einer ausländischen Urteilswirkung fehlen, die Gegenstand der Erstreckung sein könnte (Rz. 3072).798 Ein solches Ergebnis wäre mit den Postulaten der Rechtssicherheit nicht vereinbar. Daher bleibt die durch das deutsche Vollstreckungsurteil dem ausländischen Titel verliehene Vollstreckbarkeit auch nach Beseitigung der Vollstreckbarkeit im Erststaat bestehen. Sie kann aber nach § 767 ZPO durch Vollstreckungsgegenklage gegen das deut- 3102 sche Vollstreckungsurteil (Rz. 3153, 3170, 3881) beseitigt werden.799 Damit ist gewährleistet, dass die Voraussetzungen des Wegfalls der Vollstreckbarkeit im Streitverfahren und nicht im Zwangsvollstreckungsverfahren geprüft werden.
794 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 119. 795 Gegen das der „Verleihungstheorie“ innewohnende „extreme, heute überholt erscheinende Hoheitsdenken“ Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 408: „Viel nahe liegender ist es, im Exequatur eine formalisierte Anerkennung der Vollstreckungswirkung der ausländischen Entscheidung zu sehen.“ In der Europäischen Union soll das Erfordernis der Vollstreckbarerklärung möglichst bald beseitigt werden. Den Anfang macht die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen durch die VO (EG) Nr. 805/2004 v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (Rz. 245c). Hierzu z.B. Hüßtege in Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union, 2004, 113; Hüßtege in FS Jayme, 2004, 370; Pfeiffer in FS Jayme, 2004, 674, 687; Nachw. bei R. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR3, 2010, A 1 – Einleitung EuGVVO Rz. 7, 97. 796 Wenngleich die VO (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (Rz. 245c, 3174) die Vollstreckbarerklärung durch den Zweitstaat abgeschafft hat, bleibt es nach Art. 20 EuVTO dabei, dass für das Vollstreckungsverfahren das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates gilt. 797 Anders ist es nach Art. 39 ff. EuGVVO n.F. (Rz. 2756c, 3007f, 3174b, 3199). 798 Die Rechtskraft des deutschen Vollstreckungsurteils stünde nicht entgegen. 799 So ausdrücklich § 14 AVAG; für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche s. § 1060 III ZPO. S. auch Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 505; Regen, Prozessbetrug als Anerkennungshindernis, 2008, Rz. 614.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
3103 Die ausländischen Titeln verliehene Vollstreckbarkeit deckt sich inhaltlich mit der inländischen Titeln zukommenden Vollstreckbarkeit.800 So ist z.B. ein USamerikanischer Titel nach §§ 803 ff. ZPO zu vollstrecken801, nicht nach US-Vollstreckungsrecht (contempt of court-Regeln, Rz. 369).802 3104 Die erststaatliche Vollstreckbarkeit ist Voraussetzung für die Verleihung der deutschen Vollstreckbarkeit an ein ausländisches Urteil.803 Eine Vollstreckbarerklärung kommt also nicht in Betracht, wenn dieses nach dem Recht des Urteilsstaates nicht bzw. nicht mehr vollstreckbar ist804: Feststellungs- und Gestaltungsurteile können nicht für vollstreckbar erklärt werden, abgesehen von der Verurteilung zur Kostenzahlung.805 Dagegen sind vom deutschen Recht abweichende Nuancierungen der Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Erststaates806 unschädlich.807
II. Streitgegenstand des deutschen Vollstreckbarerklärungsverfahrens 3105 Streitgegenstand ist nicht der dem ausländischen Titel zugrundeliegende materiell-rechtliche Anspruch, sondern der Anspruch des Gläubigers auf Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland (vgl. aber auch Rz. 3171).808 Dieser Anspruch
800 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 163; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 1149; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 307 Fn. 94. 801 Weitergehend Mansel, IPRax 1995, 362 für EuGVÜ/LugÜ. 802 Zum englischen contempt of court-System Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992, 105, 108; rechtsvergleichend Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 143. Zu den aus Art. 6 EMRK resultierenden Grenzen EGMR v. 15.12.2005 – 73797/01 Kyprianou/ Zypern, NJW 2006, 2901. 803 Die abstrakte Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat reicht aus, BGH v. 29.10.2008 – IV ZR 272/06, NJW-RR 2009, 244; BGH v. 22.1.2009 – IX ZB 42/06, FamRZ 2009, 686 = MDR 2009, 584 = WM 2009, 766 = RIW 2009, 244 = IHR 2009, 124 = IPRspr. 2009 Nr. 229. So muss z.B. in der Schweiz nicht der Betreibungsweg beschritten und das definitive Rechtsöffnungsverfahren durchgeführt werden. S. auch Zöller/Geimer, ZPO30, 2014, § 722 Rz. 4 m.w.N. 804 Die Gerichte haben in allen Stadien des Vollstreckbarerklärungsverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss uneingeschränkt zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit die ausländische Entscheidung im Ursprungsstaat aufgehoben worden ist, BGH v. 10.12.2009 – IX ZB 143/07, IPRspr. 2009 Nr. 242. 805 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 972, 1615; Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 73, § 722 Rz. 10. 806 Rechtsvergleichend Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 22 ff.; Schlosser in FS Beys, 2003, 1471. 807 S. auch Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung, 2004, 315. 808 Zustimmend z.B. Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 145. S. auch Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 633; Hk-ZV/Netzer, § 722 ZPO Rz. 12.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
ist begründet, sofern die Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen (Rz. 3114) gegeben sind (Rz. 3242).809
III. Vollstreckbarerklärungsfähige Urteile und sonstige Titel Der Kreis der ausländischen Urteile, die für eine Vollstreckbarerklärung in Be- 3106 tracht kommen, deckt sich nicht mit dem der nach § 328 ZPO anerkennungsfähigen Urteile (Rz. 2851). Urteile, die nach dem Recht des Erststaates nicht vollstreckbar sind, scheiden aus. Insoweit ist der Anwendungsbereich kleiner. Auch ein (hinsichtlich der res iudicata) anerkennungsfähiges Leistungsurteil, das bereits vom Schuldner erfüllt bzw. befolgt wurde, kann nicht mehr für vollstreckbar erklärt werden.810 Andererseits umfasst § 722 ZPO auch Vollstreckungstitel, die einer Anerkennung per definitionem nicht fähig sind, weil sie nach dem Recht des Erststaates keine anerkennungsfähigen Wirkungen (res iudicata-, Gestaltungswirkung etc.) entfalten. Beispiel: Vorbehaltsurteil (Rz. 2855) und Prozessvergleich (Rz. 2862) sind zwar vollstreckbar, entfalten aber keine materielle Rechtskraft.
Für „kooperative Anpassung“ zur Überbrückung von Systemunterschieden plädiert Basedow.811 Auch wenn z.B. ein US-Unterhaltsurteil als solches nicht vollstreckbar ist, vielmehr „nur“ der Ungehorsam des Schuldners als „contempt of court“ geahndet wird, liegt Vollstreckbarkeit in dem hier erörterten Sinne vor. In den Anwendungsbereich des § 722 ZPO812 bzw. § 110 FamFG fallen u.a. die 3107 den Vollstreckungsbescheiden entsprechenden ausländischen Staatsakte813, vollstreckbare Prozessvergleiche814 und vollstreckbare Urkunden ausländischer Notare815, nicht dagegen Schiedssprüche (vgl. Rz. 3892), auch nicht die den Schiedsspruch in sich inkorporierende oder für vollstreckbar erklärende Entscheidung 809 S. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 141. 810 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1142, 1145, 1697. 811 Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 153. 812 Zu den Parallelnormen der Art. 31 ff., 50 ff. EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 38 ff., 57 EuGVVO a.F. z.B. Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, 1998. 813 OLGZ 1917, 323; OLG Düsseldorf v. 21.2.1996 – 3 W 352/95, NJW-RR 1997, 124; von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 43. 814 Riezler, IZPR und prozessuales Fremdenrecht, 1949, 530; a.A. Nagel/Gottwald, IZPR7, § 15 Rz. 231, da in § 795 ZPO nicht auf §§ 722, 723 ZPO verwiesen ist. 815 R. Geimer, DNotZ 1975, 464; R. Geimer, Internationale Durchsetzung vollstreckbarer Urkunden, in Rechberger, Die vollstreckbare Urkunde, 2002, 69, 75; Schütze, DNotZ 1992, 66 (81); Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO4, § 328 Rz. 99. A.A. LG Hamburg v. 29.12.1981 – 17 T 25/81, DAVorm. 1982, 394 = IPRspr. 1982 Nr. 180; von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 45; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 357; Nagel/Gottwald, IZPR7, § 15 Rz. 231. Ohne Stellungnahme Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentschei-
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
des staatlichen Gerichts816; ferner nicht Arreste und einstweilige Verfügungen/ Anordnungen817; etwas anderes gilt, wenn sie de facto geeignet sind, die Streitsache endgültig zu erledigen (Rz. 2857).818 Eine Vollstreckungspflicht sehen aber die neueren Übereinkommen vor, insbes. das EuGVÜ/LugÜ 1988819 bzw. nun die EuGVVO und das LugÜ, allerdings nach Auffassung des EuGH nur für einstweilige Maßnahmen, die aufgrund eines kontradiktorischen Verfahrens ergangen sind, nicht jedoch für ex parte-Entscheidungen.820 Leider hatte die VO (EG) Nr. 44/2001 keine ausdrückliche Korrektur der EuGH-Rspr. stipuliert. Dies tut aber nunmehr die VO (EU) Nr. 1215/2012: Nach Art. 2 (a) (2) EuGVVO genügt es, wenn die einstweilige Maßnahme dem Antragsgegner ex post, aber vor Beginn der Vollstreckung zugestellt wird. Dieser Kompromiss hilft der Praxis wenig; denn der schärfte Zahn des einstweiligen Rechtsschutzes, der Überraschungseffekt, ist gezogen. 3108 Die Kostenentscheidung (Kostenfestsetzungen für in der Hauptsache anerkennungsfähige bzw. vollstreckbarerklärungsfähige Entscheidungen, Rz. 2858) folgt als Nebenentscheidung der für die Hauptentscheidung geltenden Rechtsgrundlage, sofern nicht Art. 18 HZPÜ eingreift.821
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dungen, 1997, 29. Vgl. auch Börner, Die Anerkennung ausländischer Titel in den arabischen Staaten, 1996, 74, 135, 373 ff. A.A. BGH v. 27.3.1984 – IX ZR 24/83, MDR 1984, 933 = RIW 1984, 557 (Dielmann und Schütze 734) = NJW 1984, 2765 = IPRax 1985, 157 (Schlosser 141) = IPRspr. 1984 Nr. 174. OLG Stuttgart v. 15.6.1982, IPRspr. 1982 Nr. 175; nicht präzis OLG Düsseldorf v. 22.2.1983 – 1 UF 239/82, FamRZ 1983, 421 = IPRspr. 1983 Nr. 198a. Ebenso für die Rechtslage in der Schweiz (Art. 25 lit. b IPRG) Baumgartner, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz: Neuere Entwicklungen, in Leuenberger/Guy (Hrsg.), Stiftung für die Weiterbildung schweizerischer Richterinnen und Richter, Bd. 5, 2004, 111, 121. R. Geimer, RIW 1975, 86. Beispiel: Gem. Art. 186ter des Codice di procedura civile kann der giudice istruttore aufgrund einer bloßen Schlüssigkeitsprüfung eine vorläufige Verurteilung zur Zahlung aussprechen (ordinanza ingiuntiva di pagamento), OLG Stuttgart v. 15.5.1997 – 5 W 4/97, NJW-RR 1998, 280 = RIW 1997, 684. EuGH v. 21.5.1980 – Rs. C-125/79 – Denilauler/Couchet Frères, Slg. 1980, 1553 = RIW 1980, 510 = IPRax 1981, 95 (Hausmann 79). Die Entscheidung ist zu Recht kritisiert worden, weil alle Vertragsstaaten ex parte-Eilentscheidungen kennen und es nicht beabsichtigt war, durch das EuGVÜ/LugÜ hinter den europäischen Standard zurückzugehen. Schack, IZVR6, Rz. 916: Der EuGH „beraubt den internationalen einstweiligen Rechtsschutz seiner wichtigsten Eigenschaft, des Überraschungseffekts“. Wird der Arrest z.B. nach § 924 ZPO in kontradiktorischen Verfahren bestätigt, dann ist Vollstreckbarerklärung möglich, Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht 1992, 193. Vgl. auch OLG Hamm v. 28.12.1993 – 20 W 19/93, NJW-RR 1995, 189 = RIW 1994, 243 = IPRspr. 1993 Nr. 182 sowie KG v. 4.9.1998 – 25 U 266/98, IPRax 2001, 236 (Mennicke) = IPRspr. 1998 Nr. 170. So für eine Kostenentscheidung gegen den Kläger, welcher die Klage zurückgenommen hatte, OLG Frankfurt v. 12.1.1983 – 3 WF 248/82, IPRax 1984, 32 (Panckstadt 17) = IPRspr. 1983 Nr. 172; R. Geimer, IPRax 1986, 215; R. Geimer, IPRax 1990, 192; R. Geimer, IPRax 1992, 9.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
Beweisbeschlüsse, -anordnungen und Beweissicherungsmaßnahmen fallen 3109 nicht unter § 722 ZPO bzw. § 110 FamFG. So konnte z.B. die ordonnance de référé expertise eines französischen Gerichts, wonach ein französischer Sachverständiger beauftragt wird, in Essen eine gewerbliche Anlage zu begutachten, nicht (nach 38 EuGVVO a.F.) für vollstreckbar erklärt werden.822 Sie kann auch nicht nach Art. 39 ff. EuGVVO n.F. (ohne Exequatur) vollstreckt werden. Sie keine Entscheidung i.S. von Art. 2 (a) (1) EuGVVO n.F. Das Gleiche gilt für die Durchsetzung von Ladungen ausländischer Gerichte an Beweispersonen (Parteien, Zeugen, Sachverständigen), dort zu erscheinen. Die Vollstreckung von Entscheidungen internationaler Gerichte ist in dem 3109a betreffenden Übereinkommen bzw. dem deutschen Ausführungsgesetz näher geregelt. So bestimmt z.B. das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SeeRÜ) vom 10.12.1982823 Anlage VI Art. 39: „Die Entscheidungen der Kammer sind in den Hoheitsgebieten der Vertragsstaaten ebenso vollstreckbar wie Urteile oder Verfügungen des höchsten Gerichts des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Vollstreckung angestrebt wird.“ Deutschland hat zur Umsetzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen das Gesetz über die Vollstreckung von Entscheidungen internationaler Gerichte auf dem Gebiet des Seerechts (Seegerichtsvollstreckungsgesetz – SeeGVG) vom 6.6.1995824 erlassen. Dieses Gesetz erfasst nicht nur Entscheidungen der Meeresbodenkammer, sondern aufgrund der Verweisung auf Art. 21 II Anlage III SeeRÜ auch jede endgültige Entscheidung des Gerichtshofs; dieser ist für Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten aus Konzessionsverträgen mit der Meeresbodenbehörde zuständig, vgl. Anlage III Art. 153 II (b) i.V.m. Art. 187 (c) SeeRÜ.825 EU-Rechtsakte des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank, 3109b die eine Zahlung auferlegen, sind gem. Art. 299 I AEUV vollstreckbare Titel.826 Nicht vollstreckbar sind Titel zu (anderweitigem) Tun oder Unterlassen. Dagegen sind EuGH-Entscheidungen ohne diese Einschränkung vollstreckbar, Art. 280 AEUV.827 Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach dem Recht des betroffenen Mitgliedstaates, in Deutschland mithin nach der ZPO. Als Voraussetzung für Erteilung der deutschen Vollstreckungsklausel darf nur die Echtheit des Titels geprüft werden, Art. 299 II 2 AEUV. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.828 Entscheidungen des EuGH und des Europäischen Gerichts so-
822 OLG Hamm v. 14.6.1988 – 20 W 24/88, RIW 1989, 566. Anders Heß/G. Vollkommer, IPRax 1999, 220 (223 bei Fn. 51); Hess/Zhou, Beweissicherung und Beweisbeschaffung im europäischen Justizraum, IPRax 2007, 183; Heinze, Beweissicherung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2008, 480 (485). 823 BGBl. II 1994, 1799. 824 BGBl. I 1995, 786. 825 Hierzu näher Rensmann, Anationale Schiedssprüche, 1997, 263 Fn. 422. 826 Dies gilt allerdings nicht gegenüber Staaten. 827 Hetmeier in Lenz/Borchardt (ed.), EU-Verträge5, Art. 280 Rz. 2, Art. 299 Rz. 3. 828 BVerfG v. 10.4.1987 – 2 BvR 1236/86, WM 1987, 772; Geiger/Khan/Kotzur, EUV/ AEUV5, Art. 299 Rz. 5. Zweifelnd, LG Bonn v. 16.10.1985 – 1 O 199/85, NJW 1986, 665 (Rupp 640); Sauter, NJW 1988, 1429. Vgl. auch Hellmann/Rehmann, NJW 1988, 611 sowie Terhechte, EuZW 2004, 235.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
wie der Fachgerichte (Rz. 246a) sind wie deutsche Urteile vollstreckbar. Die Vollstreckungsklausel erteilt in Deutschland der Bundesminister der Justiz.829 Das Gleiche gilt für die Erteilung der Vollstreckungsklausel nach Art. 110 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.830
IV. Vollstreckungstitel, für die eine Vollstreckbarerklärung nicht in Betracht kommt 1. Exequaturentscheidungen 3110 Wird im Staat B ein Vollstreckungstitel aus dem Staat A für vollstreckbar erklärt, so bildet dieses Exequatur dort die Grundlage der Zwangsvollstreckung. Dieses kann aber im Inland nicht für vollstreckbar erklärt werden (sondern nur der Vollstreckungstitel aus dem Staat A): L’exequatur sur l’exequatur ne vaut (Rz. 2848).831 2. Leistungsurteile, die aufgrund einer actio iudicati ergangen sind 3111 Was in Rz. 3110 zu den Exequaturentscheidungen gesagt worden ist, gilt mutatis mutandis auch für Leistungsurteile, die ein ausländisches Gericht aufgrund einer actio iudicati erlassen hat. Hier liegt zwar nicht eine bloße Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels vor. Vielmehr erlässt das Gericht selbst ein Leistungsurteil, allerdings ohne eigene Sachprüfung, sondern nur im Hinblick auf die Bindung an die (anzuerkennende) Rechtskraft des Urteils eines anderen Staates. Entscheidungsgrundlage ist nicht die eigene Sachverhaltsfeststellung und Subsumtion, sondern einzig und allein die Rechtskraft der Entscheidung eines Gerichts eines anderen Staates.832 3. Schiedssprüche 3112 Nach den meisten Rechtsordnungen sind Schiedssprüche und sonstige von Schiedsgerichten erlassene endgültige Entscheidungen nicht per se vollstreck829 BGBl. II 1961, 50, WM 1987, 772; Gottwald in MüKo.ZPO4, § 722 Rz. 12. 830 BGBl. II 1994, 588. 831 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 87, 171; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1174; Martiny in Handbuch IZVR, Bd. III 1, 1984, Kap. I Rz. 371; Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweiz. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 98; Solomon, Die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2007, 570 ff.; Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung, 2001, 162. A.A. Schütze, ZZP 77 (1984), 287; Schütze, RIW 1984, 734; Schütze, IPRax 1984, 248; Schütze, DIZPR, 1985, 134. Skeptisch auch Hay, On Comity, Reciprocity, and Public Policy in U.S. and German Judgments Recognition Practice, in FS Siehr, 2000, 237, 247. Hay in Liber Amicorum Várady, 2008, 143 = EuLF 2009, I-61. 832 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 1175. Zur Judikatsklage s. auch Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, Diss Bonn 2002, 118. S. auch Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 23 Fn. 8.
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Vollstreckbarerklärung
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bar. Es bedarf vielmehr eines Exequaturs durch das staatliche Gericht. Aber auch wenn nach dem Recht des Erststaates der Schiedsspruch als solcher Vollstreckungstitel wäre, kommt § 722 ZPO nicht in Betracht, sondern § 1061 ZPO (Rz. 3892). Das Gleiche gilt für die Entscheidungen staatlicher Gerichte, durch welche der 3113 Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt wird, selbst dann, wenn der Schiedsspruch in das staatliche Urteil inkorporiert wird, äußerlich also nunmehr ein Leistungsurteil eines staatlichen Gerichts vorliegt (Rz. 3107).
V. Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen Da Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ihrem Wesen nach voneinander 3114 verschieden sind, sind die Anerkennungsvoraussetzungen logisch von den Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen zu trennen.833 Der Satz, die Anerkennung sei die Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung, ist nicht richtig834, auch wenn er mittlerweile in § 110 I FamFG stipuliert wurde. Deutlich wird dies z.B. bei Vollstreckungstiteln ohne anerkennungsfähige Wirkungen (Rz. 3106). Inhaltlich stimmen die Anerkennungsvoraussetzungen (Rz. 2888) mit den Voll- 3115 streckbarerklärungsvoraussetzungen weitgehend überein. So bestimmt § 723 II 2 ZPO, dass das Vollstreckungsurteil nicht zu erlassen ist, wenn die Anerkennung des Urteils nach § 328 ZPO ausgeschlossen ist.835 Darüber hinaus gibt es jedoch noch besondere Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen, nämlich das Erfordernis der Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils nach dem Recht des Erststaates und das Erfordernis des Vorliegens der Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaates (Zweitstaates) für den zu vollstreckenden Anspruch (gegen den Vollstreckungsschuldner) (Rz. 544, 589). Insoweit ist der Katalog der Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen umfassender als der der Anerkennungsvoraussetzungen. Schließlich darf der Vollstreckungsanspruch noch nicht erloschen sein. Ist dieser durch freiwillige Erfüllung oder Zwangsbeitreibung bzw. Aufrechnung nach Abschluss des erststaatlichen Verfahrens oder aus sonstigen Gründen untergegangen, darf die Vollstreckbarerklärung nicht mehr erfolgen (Rz. 3014). Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Schuldner. Um Entscheidungsdivergenzen zu vermeiden, sollte der deutsche Zweitrichter die für die Einwendungen maßgebliche lex causae nicht nach seinem (deutschen) Kollisionsrecht, sondern nach dem internationalen Privatrecht des Erststaates beurteilen836 (Rz. 2754). Noch besser wäre es, wenn man den Zweitrichter auf diejenige Rechtsordnung 833 Diese Unterscheidung ignoriert leider BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 75/99, RIW 2002, 63, wo von der „Anerkennung des ausländischen Urteils zur Zwangsvollstreckung“ die Rede ist. 834 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1142, 1145, 1624. 835 Ebenso z.B. Art. 46 der VO (EU) Nr. 1215/2012 bzw. Art. 45 der VO (EG) Nr. 44/2001 sowie Art. 31 II der VO (EG) Nr. 2201/2003 (Rz. 245c). 836 Zustimmend Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 611. A.A. Andrae, IPRax 2001, 98 (102); Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 141.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
festlegte, welche der Erstrichter seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.837 (Vgl. aber Rz. 3152).
VI. Vollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Titeln 3116 Nur vorläufig vollstreckbare Titel838 dürfen im Anwendungsbereich des deutschen autonomen Rechts nicht für vollstreckbar erklärt werden, § 723 II 1 ZPO, § 110 III 2 FamFG. Dagegen lässt die moderne Vertragspraxis auch die vorläufig vollstreckbaren Titel zu, sofern diese im Erststaat vollstreckbar sind.839 Der Vollstreckungsschuldner bedarf aber in solchen Fällen eines besonderen Schutzes. So kann z.B. nach nach Art. 46 EuGVVO a.F./LugÜ 2077 der Zweitrichter entweder seine Entscheidung aussetzen oder die Zwangsvollstreckung zwar zulassen, aber diese von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. Voraussetzung für die Anwendung dieser Schutzbestimmung ist, dass gegen die Entscheidung im Erststaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt oder die Frist für einen solchen noch nicht verstrichen ist. Im letzteren Fall kann das Zweitgericht dem Antragsgegner (Vollstreckungsschuldner) zur Einlegung des Rechtsbehelfs eine Frist setzen, Art. 46 I EuGVVO a.F./LugÜ 2007. Wird der ausländische Titel im ausländischen Instanzenzug aufgehoben, muss der die Zwangsvollstreckung in Deutschland betreibende Gläubiger dem Schuldner den daraus resultierenden Schaden ersetzen.840 Auch eine Erledigungserklärung bezüglich des Antrags auf Vollstreckbarerklärung kommt nicht in Betracht. § 91a ZPO ist nicht anzuwenden. Vielmehr sind dem Gläubiger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.841 Ein Pendant zur vorstehenden Regelung findet sich – nachdem Art. 39 EuGVVO n.F. die Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung abgeschafft hat (Rz. 3174b, 3199) – in Art. 44 EuGVVO: Hat der Schuldner im ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 lit. e EuGVVO) ein Vollstreckungsversagungsverfahren nach Art. 46 ff. EuGVVO842 in Gang gesetzt, so können die dortigen Gerichte – entweder Vollstreckungsverfahren auf Sicherungsmaßnahmen beschränken, – die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen oder – das Vollstreckungsverfahren insgesamt oder teilweise aussetzen, insbesondere dann, wenn die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Urprungsmitgliedstaat ausgesetzt ist.
837 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1628. S. auch Schlosser in FS Leipold, 2009, 435, 443. 838 Hierzu rechtsvergleichend Kerameus, Enforcement Proceedings in International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI Chapter 10, 26. 839 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1415 Fn. 18, 1432. 840 §§ 717 II, 945 ZPO; § 28 I 2 AVAG. Maßgebend ist die deutsche lex fori als das Recht des Vollstreckungsortes. Anders (für Anwendung des Art. 40 EGBGB) die h.M., OLG Düsseldorf v. 28.1.1999 – 5 U 128/98, RIW 1999, 873 = IPRspr. 1999 Nr. 29. 841 OLG Düsseldorf v. 10.7.1996 – 3 W 318/95, IPRax 1998, 279 (Hau 255) = AnwBl. 1997, 51 = IPRspr. 1996 Nr. 206. 842 In Deutschland s. auch § 1115 ZPO.
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VII. Insolvenz im Erststaat Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Erststaat oder in einem Drittstaat un- 3117 terbricht das Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht; § 352 I InsO bzw. § 240 ZPO843 kommt nicht zur Anwendung.844 Die ausländische Insolvenz hindert die Vollstreckbarerklärung im Inland nicht, da die Wirkung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland insoweit nicht zu beachten ist, trotz § 343 InsO (Rz. 3387, 3500).845 Es besteht jedoch ein Vollstreckungsverbot hinsichtlich der Insolvenzmasse 3118 (Rz. 3532). Die Singularexekution im Inland ist soweit unzulässig, sofern das im Ausland eröffnete Insolvenzverfahren in Deutschland anzuerkennen ist (Rz. 3533).846 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gläubiger den Vollstreckungserlös 3119 behalten darf oder ob er ihn an den ausländischen Insolvenzverwalter abführen muss (Rz. 3509).847
VIII. Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung Soll aufgrund des ausländischen Urteils keine Zwangsvollstreckung i.e.S., son- 3120 dern eine andere, keinen Zwang gegen den Schuldner enthaltende Handlung, z.B. eine Eintragung in das Grundbuch, vorgenommen werden, so ist ein Vollstreckungsurteil unnötig.848 Kann das ausländische Urteil wegen § 888 III ZPO im Inland nicht vollstreckt werden, z.B. Verurteilung zur Leistung des vereinbarten Dienstes (Art. 319 ZGB), so ist das ausländische Urteil gleichwohl für
843 Maßgebend ist deutsche lex fori auch im Anwendungsbereich der EuInsVO, Art. 15. 844 OLG Saarbrücken v. 1.10.1993 – 5 W 96/93-56, NJW-RR 1994, 636 = IPRax 1995, 35 (Heß 16) = ZIP 1994, 1609 (Mankowski 1577) = IPRspr. 1993 Nr. 179. 845 Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 4. Ebenso der EuGH: Insolvenz im Erst- oder Drittstaat hindert Vollstreckbarerklärung nicht, sofern die insolvenzrechtlichen Wirkungen nicht nach der VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (Rz. 3357) auf das Inland erstreckt werden, EuGH v. 29.4.1999 – Rs. C-267/97, ZZPInt 4 (1999), 272 (Mankowski). So auch zum österr. Abschöpfungsverfahren OLG Frankfurt v. 30.10.2001 – 20 W 587/99, RIW 2002, 148, (zum dt.-österr. Vertrag auf dem Gebiet des Konkurs-, Vergleichs- und (Ausgleichs-)rechts v. 25.5.1979 [BGBl. II 1985, 411]); a.A. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, MDR 2008, 1231; OLG Zweibrücken v. 22.12.2000 – 3 W 181/00, RIW 2001, 700; OLG Bamberg v. 16.2.2006 – 3 W 121/05, IPRax 2007, 454 (U. P. Gruber 426) = IPRspr. 2006 Nr. 179. 846 Vor dem 1.1.1999 war die Einzelzwangsvollstreckung durch den erststaatlichen Konkurs nicht gehindert. Es kam nicht auf die Streitfrage an, ob § 237 KO nur die (weitere) Singularzwangsvollstreckung aufgrund bestehender Titel oder darüber hinaus auch die Erwirkung neuer Titel im Inland zulässt, Nachw. bei Flessner, IPRax 1991, 163 (164); Gottwald, IPRax 1991, 286 bei Fn. 12. 847 Schlosser, RIW 1983, 478; BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = MDR 1983, 930 = NJW 1983, 2147 = IPRax 1984, 264 (Pielorz 241) = IPRspr. 1983 Nr. 205b. 848 RGZ 88, 249. A.A. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO22, § 722 Rz. 4; Grothaus, Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung, 2010, 302.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
vollstreckbar zu erklären.849 Das deutsche Exequatur ist Voraussetzung für die Geltendmachung des Interesses (§ 283 BGB, § 893 II ZPO).850 Dies gilt nicht für die Bereiche, in denen das Exequaturerfordernis abgeschafft ist (hierzu Rz. 3174b ff.). 3121 Kennt das Recht des Erststaates eine dem § 894 ZPO vergleichbare Fiktion, gilt also die Willenserklärung bereits als abgegeben, so ist dies – ohne Rücksicht auf den Standpunkt der nach deutschem internationalem Privatrecht ermittelten lex causae – im Inland analog § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG anzuerkennen; einer Vollstreckbarerklärung bedarf es nicht.851 Anders aber die h.M., die Vollstreckbarerklärung verlangt.852 Da aber die deutsche Vollstreckbarerklärung nicht ex tunc, sondern als Gestaltungsurteil nur ex nunc wirkt, gälte die Willenserklärung zu einem späteren Zeitpunkt als abgegeben als im Erststaat. Ein wenig befriedigendes Ergebnis.853 3122 Fehlt nach dem Recht des Erststaates eine § 894 ZPO vergleichbare Norm und wurde die Abgabe der Willenserklärung im Ausland noch nicht (durch Beugemittel) erzwungen854, dann bedarf es der Vollstreckbarerklärung nach § 722 ZPO. Mit formeller Rechtskraft der deutschen Vollstreckbarerklärung tritt die Fiktion gem. § 894 ZPO ein. Denn für die Durchführung der Zwangsvollstreckung im Inland aufgrund der deutschen Vollstreckbarerklärung ist allein das deutsche Zwangsvollstreckungsrecht maßgebend.855 3123 Zu unterscheiden sind die Fälle, in denen das ausländische Gericht nicht zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, sondern selbst eine Rechtsgestaltung vornimmt, z.B. gem. Art. 166 schweizer. OR eine Forderung auf den Kläger übertragen hat.856 Hier geht es nicht um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Leistungsurteils, sondern um die Anerkennung der Gestaltungswirkung der ausländischen Entscheidung.
849 A.A. Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile, 1953, 193. 850 Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 313 Fn. 2; missverständlich aber S. 318, wo behauptet wird, für die Frage, ob ein ausländischer Titel vollstreckungsfähigen Inhalt habe, sei das Recht des Zweitstaates maßgebend. Dies ist nur richtig hinsichtlich der Durchführung der Zwangsvollstreckung im Inland, nicht jedoch für die Vollstreckbarerklärung. 851 RGZ 88, 244, 249; Schlosser in FS Leipold, 2009, 435, 437. 852 Hellwig/Oertmann, System des deutschen Zivilprozessrechts II, 1919, 255; Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 363; Gottwald, IPRax 1991, 290 sowie Gottwald in MüKo.ZPO4, § 328 Rz. 157; Kropholler, IPR6, § 17 Rz. 38. 853 Weitere Nachw. z.B. bei Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 1112 ff. 854 Zum schweizer. Recht Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 365 Fn. 89; Messerli, Die Vollstreckung des Urteils auf Abgabe einer Willenserklärung nach Art. 407/408 Berner ZPO, 1983; hierzu Besprechung von Peters, ZZP 97 (1984), 230. 855 Ebenso für common law undertakings Schlosser, RIW 2001, 81 (90). 856 Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 366 Fn. 89.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
IX. Vollstreckbarerklärungsverfahren 1. Die verschiedenen Verfahrensarten Von der Ausgestaltung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens im Einzelnen 3124 hängt die Effizienz der internationalen Vollstreckung ganz wesentlich ab. Die ZPO (§§ 722, 723) stellt kein besonderes Verfahren zur Verfügung. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt daher im normalen Klageverfahren bzw. im 3125 (kontradiktorischen) Verfahren nach dem FamFG (§§ 110 III 1, 23 ff.). Ersteres ist kostspielig und Zeit raubend. Es hat sich in der Praxis nicht bewährt.857 Deshalb sehen das AVAG, das AUG und das IntFamRVG – ebenso wie die Ausführungsbestimmungen zu den Staatsverträgen858 – ein vereinfachtes Beschlussverfahren vor. So stellte schon das EuGVÜ/LugÜ (Art. 31 ff.) ein auf Beschleunigung ausgerichtetes schriftliches Verfahren zur Verfügung, dessen Kernpunkt der Ausschluss einer kontradiktorischen Verhandlung im ersten Verfahrensabschnitt ist. Der Zweitrichter entscheidet über die Zulassung zur Zwangsvollstreckung ohne Anhörung des Gegners (Schuldners). Damit wird eine schnelle Vollstreckbarerklärung erreicht. Diese Akzellerierungstendenz wurde in Art. 41 EuGVVO a.F./ LugÜ 2007 noch gesteigert. Danach dürfen die Anerkennungsversagungsgründe der Art. 34 und Art. 35 EuGVVO a.F./LugÜ 2007 im ex parte-Verfahren nicht geprüft werden.859 Hinzu kommt der für die Effizienz internationaler Zwangsvollstreckung beson- 3126 ders wichtige Überraschungseffekt. Dem Schuldner soll nicht Zeit bleiben, sein Vermögen im Zweitstaat dem Vollstreckungszugriff zu entziehen. Die Rechte des Schuldners sind ausreichend gewahrt. Dieser kann sich durch Einlegung eines befristeten Rechtsbehelfs rechtliches Gehör verschaffen.860 Solange die Frist läuft bzw. solange über den Rechtsbehelf nicht entschieden ist, darf die Zwangsvollstreckung in das im Zweitstaat belegene Vermögen des Schuldners nicht über Maßregeln der Sicherung hinausgehen.861 2. Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit Deutschlands zur Vollstreckbarerklärung aus- 3127 ländischer Titel stützt sich zunächst auf § 722 II ZPO, § 35 I 1 AUG, § 110 III 1 FamFG, § 3 II AusfGErbVO-RefEntw. Sie ist aber auch zu bejahen, wenn der Beklagte kein Vermögen im Inland hat (Rz. 1381).862 Fehlt eine örtliche Zuständig857 Zöller/Geimer, ZPO30, § 722. Rz. 36. 858 R. Geimer, NJW 1965, 1413. 859 S. die gründliche Erörterung der Verfahrensinteressen bei Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts, 2004, 123 ff. 860 Art. 36 EuGVÜ/LugÜ bzw. Art. 43 EuGVVO. 861 Art. 39 I EuGVÜ/LugÜ sowie Art. 47 III EuGVVO. 862 R. Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Deutschland, 1995, 174; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1143; Rz. 1245, 1387; Böhmer, IPRax 1991, 91; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 125 ff.; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 182; Solomon, Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen,
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
keit, sind die Gerichte am Sitz der Bundesregierung örtlich zuständig, analog §§ 15 I 2, 27 II ZPO (Rz. 965, 1245).863 Abwegig wäre es, einen „hinreichenden Inlandsbezug“ (vgl. Rz. 1077a) für die Exequaturklage zu verlangen.864 3128 Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Wert des Gegenstandes, für welchen das Vollstreckungsurteil beantragt wird; § 23 Nr. 2 GVG findet keine Anwendung. Ausschließlich zuständig ist somit in allen Sachen bis zu einem Streitwert von 5000 Euro das Amtsgericht, darüber die Zivilkammer des Landgerichts, nicht die Kammer für Handelssachen. In Betracht kommt aber auch der Familienrichter oder der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 110 III 1 FamFG. Im Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Verträge hat die vertragliche Regelung Vorrang; so ist für Vollstreckbarerklärung eines in den Anwendungsbereich des LugÜ fallenden Unterhaltstitels der Vorsitzende der Zivilkammer865 zuständig, nicht der Familienrichter (§ 23b GVG).866 Erst recht hat europäisches (sekundäres) Unionsrecht Vorrang. So regelt die Zuständigkeitsfragen das nationale Recht verdrängend primär Anhang II zu Art. 39 I EuGVVO a.F. Danach ist wie bisher im Anwendungsbereich des EuGVÜ der Vorsitzende einer Kammer des Landgerichts sachlich zuständig; daneben besteht eine konkurrierende Zuständigkeit der Notare nach Maßgabe des § 55 III AVAG. Dagegen ist gem. Art. 29 I EuEheVO i.V.m. §§ 10 ff. IntFamRVG (Rz. 3199i), das jeweilige Familiengericht am Sitz des betreffenden Oberlandesgerichts und im Bezirk des Kammergerichts das Familiengericht Pankow/Weißensee zuständig.867 Für die Vollstreckbarerklärung nach Art. 26 ff. EuUnterhVO ist – soweit eine solche im Hinblick auf Art. 17 EuUnterhVO überhaupt erforderlich ist – in Deutschland nach Art. 27 I EuUnterhVO i.V.m. §§ 35 ff. AUG das Amtsgericht am Sitz des jeweiligen Oberlandesgerichts zuständig. 3129 Ausschließlich örtlich zuständig ist das Gericht, bei welchem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 13–19 ZPO) hat, in Ermangelung eines solchen das Gericht des Ortes, wo sich Vermögen des Beklagten (bei Forderungen der Drittschuldner) befindet, § 23 ZPO, ersatzweise des Sitz der Bundesregie-
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AG 2006, 832 (839); Eichel, Gerichtsgewalt und internationale Zuständigkeit für die Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO bei ausländischem Leistungsort, IPRax 2013, 146 (147). Zweifelnd Nagel/Gottwald, IZPR7, § 15 Rz. 211. LG Heilbronn v. 15.8.1994 – 1b O 287/94, IPRax 1996, 123 (Munz 89) = RIW 1995, 55 (Mankowski) = WM 1994, 1900 = IPRspr. 1994 Nr. 166. Sehr deutlich nun auch BGH v. 28.10.1996 – X ARZ 1071/96, MDR 1997, 496 = NJW 1997, 325 = RIW 1997, 238 (Munz) = JZ 1997, 362 (Schlosser) = LM § 23 ZPO Nr. 16 (R. Geimer) = JR 1997, 462 (Mankowski) = IPRspr. 1996 Nr. 159; Solomon, AG 2006, 832 (834, 839); Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 126. § 3 I AVAG. OLG Düsseldorf v. 5.10.1983 – 2 UFH 27/83, IPRax 1984, 217 = IPRspr. 1983 Nr. 180. Für das Verfahren nach Art. 21 III EuEheVO auf Feststellung, ob eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen ist oder nicht, ist in Deutschland wiederum das Familiengericht nach Maßgabe von §§ 10 ff. IntFamRVG (Rz. 3199i) zuständig. S. auch Art. 27 EuUnterhVO (Rz. 245c).
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Vollstreckbarerklärung
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rung (Rz. 3127). Für Seeleute auf See gilt § 16 ZPO.868 (Vgl. Rz. 1245). Im Bereich der Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge ist die jeweils dort stipulierte Regelung maßgeblich.869 Art. 39 II LugÜ 2007 stellt – ebenso wie Art. 45 II EuErbVO – auf den Wohnsitz/Sitz des Schuldners bzw. auf den Ort ab, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, während Art. 29 II EuEheVO anknüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt der Person, gegen welche die Vollstreckung erwirkt werden soll, und an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes, auf das sich der Antrag bezieht, hilfsweise an den Ort der (beabsichtigten) Vollstreckung. Das gleiche Konzept liegt Art. 27 II EuUnterhVO zugrunde. Parteivereinbarungen sind unzulässig; dies ist jedoch für die sachliche Zustän- 3130 digkeit bestritten.870 Für die Vollstreckbarerklärung von arbeitsgerichtlichen Urteilen sind nicht die 3131 Arbeitsgerichte, sondern die ordentlichen Zivilgerichte zuständig.871 Für die Vollstreckbarerklärung vollstreckbarer Notarurkunden aus anderen Ver- 3131a tragsstaaten als Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Art. 57 LugÜ) sind konkurrierend auch die Notare zuständig, § 55 III AVAG. Für Notarurkunden aus den EU-Mitgliedstaaten ist seit 10.1.2015 das Exequaturerfodernis nach Art. 58 EuGVVO entfallen. 3. Durchführung des Verfahrens nach § 722 ZPO Allein maßgebend ist die deutsche lex fori.872 Das Verfahren richtet sich nach 3132 den allgemeinen Regeln des ordentlichen Zivilprozesses. Der Beklagte kann nach Maßgabe des § 110 ZPO (Rz. 2003 ff.) Prozesskostensicherheit verlangen.873 Ein Anerkenntnis (§ 307 ZPO) bindet das Gericht nicht, soweit es um Vollstreck- 3132a barerklärungsvoraussetzungen bzw. Versagungsgründe geht, die von Amts wegen zu prüfen sind, weil insoweit keine Dispositionsfreiheit der Parteien gegeben ist (Versagungsgründe im unmittelbar staatlichen Interesse). Jedoch ist ein Anerkenntnis bezogen auf Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen (= Nichtvorliegen von Versagungsgründen) möglich, auf deren Geltendmachung die betroffene Partei verzichten kann (Rz. 3057).
868 BGH v. 22.9.1982 – IVb ARZ 37/82, IPRax 1983, 80; anders LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = RIW 1995, 244 = IPRspr. 1994 Nr. 142: Wohnsitz an Bord des Schiffs. 869 Vgl. z.B. Art. 32 II EuGVÜ/LugÜ: Wohnsitz/Sitz des Schuldners im Vollstreckungsstaat, bei Fehlen eines solchen Ortes, wo Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Das Gleiche gilt für Art. 39 II EuGVVO. 870 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1735. 871 BGH v. 30.9.1964, BGHZ 42, 194 = IPRspr. 1964–1965 Nr. 259; R. Geimer in Geimer/ Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1736, II 191. A.A. BGH v. 25.10.1976 – IV ZB 38/76, BGHZ 67, 255 = IPRspr. 1976 Nr. 193b; von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 49. 872 Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 238. 873 Vgl. z.B. OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, RIW 1997, 1039 (Schütze) = IPRax 1998, 474 (Haas/Stangl 452) = IPRspr. 1997 Nr. 133.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
3133 Desgleichen ist ein Vergleich über den Exequaturantrag nicht möglich. Die Parteien können sich jedoch über den dem ausländischen Urteil zugrundeliegenden Anspruch vergleichen.874 3134 Ein Versäumnisverfahren ist zwar nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Jedoch kommt die Geständnisfiktion des § 331 I ZPO insoweit nicht zum Zuge, als die Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen bzw. -versagungsgründe nicht zur Disposition der Parteien stehen (Rz. 2991).875 3135 Ein Klageverzicht (§ 306 ZPO) ist zulässig. Der Kläger verzichtet dadurch auf seinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Verleihung der Vollstreckbarkeit für den Bereich des Inlandes876, nicht jedoch auf die sonstigen Urteilswirkungen, soweit solche nach § 328 ZPO anzuerkennen sind (Rechtskraft etc.). Zu prüfen ist aber stets, ob in dem Klageverzicht auch ein Verzicht auf den dem ausländischen Urteil zugrundeliegenden Anspruch liegt.877 3136 Der Urkunden- und Wechselprozess ist nicht statthaft, weil Streitgegenstand nicht Leistung einer bestimmten Geldsumme oder Menge anderer vertretbarer Sachen ist. 3137 Der Beklagte kann Widerklage erheben, allerdings nicht mit dem Antrag festzustellen, dass die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils unzulässig ist. Denn dies ist bereits Gegenstand des Exequaturprozesses.878 Der Beklagte kann aber beantragen festzustellen, dass das ausländische Urteil im Inland keinerlei Wirkungen habe. Die Frage, ob die sonstigen Urteilswirkungen (nach § 328 ZPO) im Inland anzuerkennen sind, ist nämlich nicht Gegenstand der Exequaturklage (Rz. 3014, 3115, 3164). Sie kann daher zum Streitgegenstand neben der Exequaturklage gemacht werden, ohne Rücksicht darauf, dass die Rechtskraft (Feststellungswirkung) des im Verfahren nach § 722 ZPO ergehenden Urteils auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Anerkennungsvoraussetzungen/Versagungsgründen feststellt, soweit diese sich inhaltlich mit den Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen decken.879 4. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 38 ff. LugÜ 2007 3138 Der Antrag, den Schuldtitel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, kann bei dem Landgericht schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden, § 4 II AVAG. Daher besteht insoweit kein Anwaltszwang (§ 78 III ZPO). Es entscheidet der Vorsitzende einer (Zivil-)Kammer des Landgerichts.880 Wurden in dem ausländischen Urteil mehrere (als Gesamtschuldner) verurteilt, so steht es dem Gläubiger frei, gegen einen, mehrere oder 874 Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 67. 875 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1747, II 203. 876 Zustimmend Gottwald in Nagel/Gottwald, IZPR7, § 15 Rz. 223. 877 Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 68. 878 Anders wohl Nelle, a.a.O., 418. 879 Zöller/Geimer, ZPO30, § 328 Rz. 281, § 722 Rz. 76; ähnlich Wolff in Handbuch IZVR, Bd. I Kap. IV Rz. 126. 880 Art. 32 I EuGVÜ/LugÜ i.V.m. § 3 I AVAG; s. seit 1.3.2002 Anh. II zu Art. 39 EuGVVO.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
alle Schuldner den Antrag auf Vollstreckungsklausel zu stellen. Zulässig ist auch eine subjektive Antragshäufung. Für die örtliche Zuständigkeit gilt im Anwendungsbereich des LugÜ dann analog Art. 6 Nr. 1 LugÜ, nicht § 36 I Nr. 3 ZPO.881 Lässt der Vorsitzende bzw. der Notar (§ 55 III AVAG) die Zwangsvollstreckung aus 3139 dem ausländischen Titel zu, ordnet er also die Erteilung der Vollstreckungsklausel an, so kann der Antragsgegner (Schuldner) dagegen Beschwerde zum Oberlandesgericht einlegen.882 Die Frist beginnt mit Zustellung des mit der deutschen Klausel versehenen ausländischen Titels (§§ 8, 9, 10 AVAG).883 Gegen die Erteilung der (unbeschränkten) Vollstreckungsklausel auf Grund der (vom OLG bestätigten) Anordnung des Vorsitzenden findet keine Beschwerde statt.884 Lehnt der Vorsitzende bzw. der Notar die Erteilung der Vollstreckungsklausel 3140 ab, so kann dagegen der Antragsteller Beschwerde zum Oberlandesgericht einlegen.885 Eine mündliche Verhandlung steht im Ermessen des Oberlandesgerichts.886 Wurde eine Teilvollstreckungsklausel erteilt, so können sowohl der Antragsteller als auch der Antragsgegner (im Rahmen ihrer Beschwer) Beschwerde einlegen. Die Entscheidung trifft ein Zivilsenat des Oberlandesgerichts, nicht entsprechend § 568 ZPO der Einzelrichter.887 Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist Rechtsbeschwerde zum 3141 Bundesgerichtshof statthaft.888 Sie bedarf keiner Zulassung durch das Oberlandesgericht, ist aber nach § 574 I Nr. 1, II ZPO nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.889 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfra881 R. Geimer, NJW 1975, 1087. A.A. BayObLG v. 5.12.2003 – 3Z BR 191/03, NJOZ 2004, 1303 = IPRspr. 2003 Nr. 164. 882 Art. 36, 37 I EuGVÜ/LugÜ, § 11 I AVAG; Art. 43 EuGVVO. 883 OLG Frankfurt v. 28.7.1982 – 20 W 452/82, IPRspr. 1982 Nr. 177. – Zur Wiedereinsetzung bei Versäumung der Beschwerdefrist OLG Koblenz v. 31.3.1988 – 2 U 1653/87, RIW 1988, 739 = IPRspr. 1988 Nr. 184; OLG Frankfurt v. 4.5.1988, IPRspr. 1988 Nr. 197. 884 OLG Düsseldorf v. 8.6.1988, IPRspr. 1988 Nr. 185. 885 Art. 40 I EuGVÜ/LugÜ, § 11 AVAG; Art. 43 EuGVVO. 886 BGH v. 28.6.1984 – IX ZB 31/84, IPRax 1985, 101 (Grunsky 82). Zur Prüfungsbefugnis: OLG München v. 28.5.1974, NJW 1975, 504 (R. Geimer 1086) = IPRspr. 1974 Nr. 177. Zur Bindung (§ 565 II ZPO) BGH v. 21.2.1985 – IX ZB 124/84, IPRax 1986, 157 = IPRspr. 1985 Nr. 173. 887 OLG Köln v. 17.5.2002 – 16 W 13/02, IPRax 2003, 354 (R. Geimer 337) = IPRspr. 2002 Nr. 192; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO35, Art. 43 EuGVVO Rz. 18. 888 Art. 33 II, 44 EuGVVO bzw. Art. 37 II, 41 EuGVÜ/LugÜ, jeweils i.V.m. §§ 15 ff., 25 I, 55 I AVAG, § 133 GVG. 889 Der Bundesgerichtshof prüft nur diejenigen Zulässigkeitsgründe, die in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert dargelegt sind, BGH v. 6.10.2005 – IX ZB 27/02, IHR 2005, 259 = IPRspr. 2005 Nr. 158.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
ge aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Diese Voraussetzungen müssen in der Beschwerdebegründung substantiiert dargelegt werden. Die Rechtsbeschwerde kann auch dann eingelegt werden, wenn sie die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft. Wird sie darauf gestützt, dass das Oberlandesgericht von einer Entscheidung des EuGH abgewichen ist, ist diese konkret zu bezeichnen, §§ 55 I, 16 II 3 AVAG. Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats einzulegen und zu begründen. Der Gegner kann sich der Rechtsbeschwerde anschließen nach Maßgabe von § 574 IV ZPO.890 Die Einlegung beim Oberlandesgericht genügt nicht zur Fristwahrung.891 Die Rechtsbeschwerden können daher nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden.892 Einwendungen i.S. von § 12 AVAG können im Verfahren nach Art. 38 ff. LuGÜ nicht geltend gemacht werden, sondern nur mit der Vollstreckungsgegenklage (§§ 14, 55 AVAG).893 Der Beschluss des Oberlandesgerichts muss den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben, § 13 I 1 AVAG. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht festgestellt hat, § 17 II 2 AVAG i.V.m. §§ 577 II 4, 559 ZPO. Fehlen tatsächliche Feststellungen, so kann der Bundesgerichtshof keine rechtliche Überprüfung vornehmen. Er wird den Beschluss wegen Fehlens der von § 13 I 1 AVAG vorgeschriebenen Begründung aufheben.894 3142 Die Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 LugÜ 2007 ist durch Beschluss zu erteilen bzw. abzulehnen. Ist dies aber irrig durch Urteil geschehen, so ist die Entscheidung mit der Berufung anfechtbar oder nach Wahl des Antragstellers auch mit dem „richtigen“ Rechtsmittel (Beschwerde).895 3143 Das Beschwerdegericht muss nach h.M. den Schuldner nach Art. 43 III LugÜ 2007 auch dann hören, wenn der Antrag des Gläubigers lediglich wegen nicht rechtzeitig vorgelegter Urkunden zurückgewiesen worden ist. Besser ist der Vorschlag Stürners: Aufhebung (ohne Anhörung des Schuldners) und Rückverweisung, damit einseitiges Verfahren „von vorne“ beginnen kann.896 3144 Ist gegen die erststaatliche Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf im Erststaat eingelegt oder die Frist hierfür noch nicht verstrichen, so kann das Oberlandesgericht auf Antrag des Schuldners seine Entscheidung aussetzen oder die 890 891 892 893 894 895 896
Ebenso im Ergebnis Gottwald in MüKo.ZPO4, Art. 33 EuGVVO Rz. 4. BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 18/02, MDR 2002, 962 = ZIP 2002, 1003. Zöller/Geimer, ZPO30, § 16 AVAG Rz. 2. Zu § 55 AVAG a.F. BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 18/02, MDR 2002, 962 = NJW 2002, 2181. BGH v. 20.6.2002 – IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648 = MDR 2002, 1208. LG Hamm v. 6.12.1977, MDR 1978, 324 = IPRspr. 1977 Nr. 168. EuGH v. 12.7.1984 – Rs. C-178/83 – Firma P./Firma K., Slg. 1984, 3033 = RIW 1984, 814 = IPRax 1985, 274 (Stürner 254) = Rev.crit. 1985, 566 (Lagarde) = Clunet 1985, 178 (Huet).
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig machen, Art. 46 LugÜ 2007.897 5. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 28 EuEheVO Das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 28 EuEheVO basiert noch in 3144a weiten Bereichen auf dem „Auslaufmodell“ der Art. 31 ff. EuGVÜ.898 Die in Art. 41 ff. EuGVVO a.F. vorgenommenen „Modernisierungen“ fehlen. Die deutschen Ausführungsvorschriften finden sich in §§ 16 ff. des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes (IntFamRVG). Im Gegensatz zu Art. 47 III EuGVVO a.F. kennt die EuEheVO keine auf „Maßnahmen zur Sicherung“ beschränkte Zwangsvollstreckung für Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung. Daher hält es der deutsche Gesetzgeber für nicht tragbar, schon aufgrund erstinstanzlicher Vollstreckbarerklärung eine unbeschränkte (vollendete Tatsachen schaffende) Zwangsvollstreckung zu eröffnen, ohne dass die Person, gegen die sich der Antrag richtet, zuvor rechtliches Gehör erhalten hätte.899 Daher wird die deutsche Vollstreckbarerklärung erst mit Unanfechtbarkeit des Beschlusses wirksam.900 Erst dann liegt ein in Deutschland verwertbarer Vollstreckungstitel vor. 6. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 26 ff. EuUnterhVO Das Vollstreckbarerklärungsverfahren in Unterhaltssachen folgt weitgehend dem 3144b Modell der Art. 38 ff. EuGVVO a.F. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt – ohne dass in diesem Verfahrensabschnitt die Versagungsgründe geprüft würden – in einem ex parte-Verfahren ohne Beteiligung des Antragsgegners, Art. 30. Dieser kann nur – wie nach Art. 43 EuGVVO a.F. – einen Rechtsbehelf (Art. 32 EuUnterhVO) einlegen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen und die Prüfung der Versagungsgründe (Art. 24 EuUnterhVO) zu erreichen, Art. 34 EuUnterhVO. 897 BGH v. 25.2.1983 – VIII ZB 8/83, MDR 1983, 748 = RIW 1983, 290 und 535; BGH v. 16.5.1983 – VIII ZB 8/83, MDR 1983, 1020 = NJW 1983, 1979; OLG Düsseldorf v. 19.9.1984 – 3 W 306/84, MDR 1985, 151 = RIW 1985, 492; Prütting, IPRax 1985, 137; R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1984, 1216. Die Kassationsbeschwerde des französischen und italienischen Rechts ist ein ordentlicher Rechtsbehelf i.S. des Art. 30, 38 EuGVÜ/LugÜ, EuGH v. 22.11.1977 – Rs. C-43/77 – Industrial Diamond Supplies/Riva, Slg. 1977, 2175 = NJW 1978, 1107 (L) = RIW 1978, 186 = Rev. crit. 1979, 426 (Gaudemet-Tallon) = Clunet 1978, 398 (Huet); R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 1128, 1158. 898 Für Umgangsentscheidungen und bestimmte Entscheidungen, mit denen die Rückgabe des Kindes angeordnet wird, ist seit 1.3.2004 das herkömmliche Verfahren auf Zulassung der Zwangsvollstreckung abgeschafft worden, Art. 40 ff. EuEheVO. Solche Entscheidungen bedürfen keiner Vollstreckbarerklärung mehr. Nach Vorlage einer durch das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats ausgestellten Bescheinigung werden sie im Inland nach den innerstaatlichen Regeln vollstreckt. Zuständig hierfür ist das zentralisierte Familiengericht, §§ 10, 12 IntFamRVG. 899 Auch Art. 31 I EuEheVO sieht – ebenso wie Art. 41 EuGVVO a.F. – in erster Instanz ein ex parte-Verfahren vor. 900 § 22 IntFamRVG.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
7. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 43 ff. EuErbVO 3144c Das Vollstreckbarerklärungsverfahren ist – anders als üblicherweise in den europäischen Rechtsinstrumenten – nicht unionsrechtlich vereinheitlicht. Art. 46 I EuErbVO verweist vielmehr auf das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. In Deutschland sind sedes materiae §§ 3 ff. AusfGErbVO-RefEntw. 8. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 25 I 2 EuInsVO 3144d Das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 25 I 2 EuInsVO entfällt nach Inkrafttreten der VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 am 10.1.2015 nach Maßgabe von Art. 66 EuGVVO n.F., da Art. 39 das Exequaturerfordernis abgeschafft hat, Rz. 3525a. 9. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 71 II 2 EuGVVO n.F. 3144e Auch das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 71 II 2 EuGVVO n.F. ist aus dem gleichen Grund nach Inkrafttreten der VO (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 nach Maßgabe von Art. 66 EuGVVO n.F. weggefallen.901 10. Vollstreckbarerklärungsverfahren auf Grund der deutschen Ausführungsgesetze zu den völkerrechtlichen Verträgen 3144f Die meisten völkerrechtlichen Verträge, die eine Verpflichtung zur gegenseitigen Vollstreckung der in den Anwendungsbereich des jeweiligen Vertrages fallenden Vollstreckungstitel vorsehen, überlassen die nähere Ausgestaltung des Exequaturverfahrens dem Recht des Vollstreckungsstaates (Zweitstaates). Sedes materiae ist vorbehaltlich der vorstehenden Darlegungen unter 8 und 9 in Deutschland – soweit nicht das AVAG, das AUG oder das IntFamRVG zur Anwendung kommt – i.d.R. das jeweilige Ausführungs- bzw. Umsetzungsgesetz zu dem betreffenden völkerrechtlichen Vertrag.902 Dieses verweist meist auf das Beschlussverfahren nach § 1063 I und § 1064 II ZPO.903 3144g Einige Exequaturverfahren sind aber auch im FamFG-Bereich angesiedelt. So erfolgt z.B. in Erfüllung der Vollstreckungspflicht nach Art. 25 des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens vom 13.1.2000904 die Vollstreckbarerklärung nach §§ 8 ff. des deutschen Gesetzes vom 17.3.2007 zur Umsetzung dieses Haager Übereinkommens905 durch das Amtsgericht im FamFG-Verfahren.
901 Geimer in FS Schütze 80, 2014, 109 (120). 902 Übersicht bei Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I/2, 1984, 1635. Texte in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Nr. 610 ff. 903 So z.B. § 5 des Ausführungsgesetzes zum deutsch-tun. Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag. 904 BGBl. II 2007, 323. 905 BGBl. I 2007, 314.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
11. Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 II FamFG In den in § 95 I FamFG aufgeführten Angelegenheiten, in denen die Vollstre- 3144h ckung nach der ZPO zu erfolgen hat (z.B. Entscheidungen zur Zahlung von Unterhalt und über die Verteilung des Hausrats), sieht § 110 II FamFG ein Vollstreckbarerklärungsverfahren vor. Er umfasst ebenso wie § 722 ZPO (Rz. 3107) nach der hier vertretenen Meinung auch vollstreckbare Vergleiche und Urkunden.906
X. Einwendungen gegen den dem Vollstreckungstitel zugrundeliegenden Anspruch 1. Keine Verweisung des Schuldners auf die ihm offen stehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Erststaat Einwendungen gegen den materiell-rechtlichen Anspruch selbst, die erst nach 3145 Erlass des Vollstreckungstitels entstanden sind, kann der Schuldner geltend machen, ohne die ihm nach dem Recht des Erststaates offen stehenden Rechtsbehelfe auszuschöpfen.907 Maßgeblich für die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft bzw. Präklusionswirkung ist das Recht des Erststaates.908 2. Keine Verletzung des Verbots der révision au fond Die Beachtung der später entstandenen Einwendungen ist kein Verstoß gegen 3146 das Verbot der révision au fond (§ 723 I ZPO, § 109 V FamFG).909 Denn diese Einwendungen werden durch das Erstverfahren auch nach dem Recht des Erststaates nicht präkludiert.910
906 Anders die h.M., z.B. Hau in Prütting/Helms, FamFG3, § 110 Rz. 17. 907 Z.B. OLG Celle v. 21.4.2004 – 15 UF 6/04, IPRspr. 2004 Nr. 173. S. auch G. Wagner in Wagner/Schlosser u.a., Die Vollstreckung von Schiedssprüchen, 2007, 1, 48, 67. 908 BGH v. 15.10.1992 – IX ZR 231/91, MDR 1993, 907 = NJW 1993, 1270 (1271) = WM 1993, 223 = LM Nr. 2 deutsch-österr. Anerkennungsvertrag – Zivilsachen (R. Geimer); Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 88. A.A. OLG Düsseldorf v. 6.11.1978, FamRZ 1979, 313. Zum Novenverbot in der Berufungsinstanz nach österr. Recht Konecny, ZZP 107 (1994), 481, 489. S. auch von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 53 f. sowie Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 141. Kritisch gegenüber der h.M. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 420, 463 ff. Er will Vollstreckungsgegeneinwände im Exequaturverfahren nicht berücksichtigen, sie vielmehr einer Klage des Schuldners vorbehalten. Diese sei als Widerklage auch im Exequaturverfahren nach §§ 722, 723 ZPO statthaft. 909 Anders Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 405. 910 Z.B. BGH v. 12.12.2007 – XII ZB 240/05, MDR 2008, 463 = NJW-RR 2008, 586 = FamRZ 2008, 586 (Gottwald) = IPRax 2008, 530 (Roth 501).
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
3. Berücksichtigung im Vollstreckbarerklärungsverfahren 3147 Die nach Abschluss des Erstverfahrens entstandenen Einwendungen gegen den materiellen Anspruch – genauer: diejenigen Einwendungen, die jenseits der zeitlichen Grenzen der erststaatlichen Rechtskraft bzw. Präklusionswirkung liegen (Rz. 3145) – sind im Vollstreckbarerklärungsverfahren vom Zweitrichter zu beachten, sofern sich der Schuldner darauf beruft.911 Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast. Im Fall der Aufrechnung darf die zur Aufrechnung gestellte Forderung erst nach dem genannten Zeitpunkt entstanden sein.912 3148 Soweit danach der Schuldner mit Einwendungen durchdringt, ist nicht das ausländische Urteil „aufzuheben“ (Rz. 466), sondern insoweit das Exequatur zu versagen; daher erfolgt unter Umständen Vollstreckbarerklärung nur hinsichtlich eines Teilbetrages. Der Kläger kann aber auch von sich aus von vornherein nur die Vollstreckbarerklärung hinsichtlich eines Teils beantragen (Teilexequatur).913 3149 Wurde die ausländische Entscheidung, deren Vollstreckbarerklärung beantragt ist, im Erststaat aufgehoben oder abgeändert, so ist dies auch noch in der Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdeinstanz zu beachten.914 Im Vollstreckbarerklärungsverfahren kann auch der Einwand der Herabsetzung der Urteilsschuld und der Einwand der Urteilsverjährung (Rz. 2835) erhoben werden915, nicht jedoch der Einwand der Anspruchsverjährung (dieser wäre im Erstverfahren vorzubringen gewesen und ist deshalb präkludiert). 3150 Die Frage, wie die Einwendungen vorzubringen sind, regelt allein die deutsche lex fori. Unbeachtlich ist daher z.B. Art. 81 I, 85 schweizer. SchKG, wonach nur der Urkundenbeweis zulässig ist;916 § 767 III ZPO ist auch dann anzuwenden,
911 Anders Nelle, a.a.O., 418: Im Verfahren nach § 722 ZPO könnten die Einwendungen nicht vorgebracht werden, sondern nur durch Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO gegen die deutsche Vollstreckbarerklärung. Diese Klage könnte aber auch als Widerklage im Verfahren nach § 722 ZPO erhoben werden. Sind beide Klagen nicht gleichzeitig zur Entscheidung reif, sei durch Teilurteil vorab der ausländische Titel für vollstreckbar zu erklären, sofern der Vollstreckungsgegeneinwand nicht mit liquiden Beweismitteln erwiesen sei oder rechtskräftig feststehe. Der Schuldner könne gegen Sicherheitsleistung die Vollstreckung gem. § 769 ZPO verhindern, Nelle 420. Nach der hier vertretenen Auffassung kann in Anlehnung an § 304 ZPO „Vorbehaltsentscheidung“ über den Exequaturantrag erfolgen, der Vollstreckungsgegeneinwand wird im „Nachverfahren“ behandelt. Wem diese Lösung zu „kühn“ erscheint, kann den Beklagten bzw Antragsgegner gleich auf die Vollstreckungsgegenklage gegen die deutsche Vollstreckbarerklärung verweisen. 912 OLG Bremen v. 4.10.1977, IPRspr. 1977 Nr. 152; OLG Karlsruhe v. 2.1.2002 – 9 W 42/01, 9 W 43/01, InVo 2002, 521 = IPRspr. 2002 Nr. 184. 913 von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 64 ff. 914 BGH v. 30.4.1980 – VIII ZB 34/78, NJW 1980, 2022 = MDR 1980, 1017 = IPRspr. 1980 Nr. 166. 915 AG Waiblingen v. 21.12.1982, IPRspr. 1982 Nr. 179. S. auch Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 85. 916 Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 356.
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Vollstreckbarerklärung
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wenn Ursprungsstaat oder lex causae eine solche Regel nicht kennen (z.B. Art. 86 schweizer. SchKG).917 Die Ausschöpfung der Rechtsmittel, Rechtsbehelfe und sonstigen prozessualen 3151 Möglichkeiten im Erststaat ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einwandes gegen den dem Titel zugrundeliegenden Anspruch. Der Schuldner braucht also im Erststaat nicht die Vollstreckungsgegenklage zu erheben.918 (Vgl. aber Rz. 3153). Ob die Einwendungen919 materiell-rechtlich begründet sind, entscheidet nach 3152 h.M. (s. aber auch Rz. 2754, 3115) – die lex causae, die nach deutschem IPR, nicht nach dem Recht des Erststaates zu ermitteln ist. Für die „Fortsetzung“ des Schuldverhältnisses nach dem für die ausländische res iudicata maßgeblichen Zeitpunkt ist nach h.M. das deutsche internationale Privatrecht maßgeblich. Entfaltet der ausländische Titel keine res iudicata-Wirkung (z.B. vollstreckbare notarielle Urkunde), dann kann der Schuldner einwenden, dass aus der Sicht der nach deutschem internationalem Privatrecht maßgeblichen lex causae eine Nichtschuld vorliege.920 Hat der ausländische Richter eine Aufrechnung nicht beachtet, weil aus seiner Sicht die Aufrechnungsforderung nicht bestand, erwächst aber nach dem Recht des Erststaates diese Entscheidung nicht in Rechtskraft, dann wäre Berücksichtigung der nach deutschem internationalem Privatrecht bestehenden Gegenforderung möglich921; anders ist aber die Rechtslage, wenn der Erststaat eine dem § 322 II ZPO vergleichbare Regel kennt.922 (Vgl. auch Rz. 2754). 4. Berücksichtigung nach Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens Mit Einwendungen, welche der Schuldner im Verfahren nach §§ 722, 723 ZPO 3153 hätte geltend machen können, ist er präkludiert. Danach entstandene Einwendungen kann der Schuldner in Deutschland mit der Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckbarerklärung geltend machen (Rz. 3170).923 Zuständig ist das Exequaturgericht §§ 767 I, 722 II ZPO.924 Das Gleiche gilt ceteris paribus für das Exequaturverfahren nach § 110 II FamFG.
917 Kallmann, a.a.O., 357. 918 A.A. (im Verhältnis zur früheren Deutschen Demokratischen Republik) ohne überzeugende Begründung OLG Düsseldorf v. 6.11.1978, FamRZ 1979, 313. 919 Z.B. Leistung an Erfüllungs statt, Aufrechnung etc. 920 Weniger dezidiert Kallmann, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, 1946, 358. 921 So wohl auch Kallmann, a.a.O., 358. 922 Anders Schack, IZVR6, Rz. 1039. 923 Ihm bleibt jedoch unbenommen, sie im Erststaat nach dem dortigen Recht vorzubringen. Erreicht er dort eine Aufhebung oder Abänderung des in Deutschland für vollstreckbar erklärten Titels, dann ist dies nach Maßgabe von § 27 AVAG auch in Deutschland wiederum relevant. Vgl. Kropholler, EuZPR8, Art. 43 Rz. 30. Kritisch Nelle, a.a.O., 472 ff. 924 G. Wagner in Wagner/Schlosser u.a., Die Vollstreckung von Schiedssprüchen, 2007, 1, 48.
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
XI. Passivlegitimation 3154 Die Frage, wer der richtige Gegner ist, ist nach dem Recht des Erststaates zu beurteilen.925
XII. Grundlage für die Zwangsvollstreckung im Inland 3155 Ausschließlich das deutsche Vollstreckungsurteil ist vollstreckbar und damit Vollstreckungstitel für das Inland, nicht das ausländische Urteil.926 Dieses ist allenfalls zur Ermittlung des Umfangs der angeordneten Vollstreckbarkeit im Wege der Auslegung heranzuziehen, wenn im deutschen Vollstreckungsurteil der Inhalt des ausländischen Urteils nicht ausreichend wiedergegeben ist. Ausschließlich dem deutschen Vollstreckungsurteil ist die Vollstreckungsklausel (§§ 724 ff. ZPO) zu erteilen (nicht zu verwechseln mit Art. 31 ff. EuGVÜ bzw. Art. 38 ff. LugÜ, wo „Klauselerteilung“ nach §§ 8, 9 AVAG Vollstreckbarerklärung bedeutet). Das Bestimmtheitserfordernis gilt nur für deutsche Vollstreckungsurteile, nicht für ausländische Titel.927
XIII. Ergänzungen des erststaatlichen Vollstreckungstitels 1. Grundsatz 3156 Der Zweitrichter hat im Vollstreckbarerklärungsverfahren einzig und allein die Aufgabe, den erststaatlichen Vollstreckungstitel im Inland für vollstreckbar zu erklären. Zu irgendwelchen Ergänzungen, Anpassungen oder Änderungen ist er weder berechtigt noch verpflichtet. Doch keine Regel ohne Ausnahme.928 2. Zwangsgeld 3157 Sieht z.B. der erststaatliche Titel die Zahlung eines Zwangsgeldes in unbestimmter Höhe an den Gläubiger zur Erzwingung einer Handlung oder Unterlassung
925 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 1148. 926 BGH v. 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 = FamRZ 1986, 45 = MDR 1986, 660 = RIW 1986, 554 (Wolff 728) = IPRax 1986, 294 (Dopffel 277) = EWiR 1986, 207 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 184; hierzu Mankowski, ZIP 1994, 1578; Stürner/ Münch, JZ 1987, 178; Roth, IPRax 1989, 15. So auch BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, MDR 2008, 1231. Weitere Nachw. bei Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 127. Skeptisch Max Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, Rz. 637 ff. 927 BGH v. 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440; OLG Düsseldorf v. 18.9.1996 – 3 W 264/96, RIW 1996, 1043 = IPRspr. 1996 Nr. 181; R. Geimer, EWiR 1986, 207; Wolff, RIW 1986, 728; Gottwald in MüKo.ZPO4, § 722 Rz. 15. 928 S. auch Rz. 3974z und Rz. 3199k. – Ausführliche Nachw. bei von Falck, Implementierung offener ausländischer Vollstreckungstitel, 1998, 85 ff., 143 ff.; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr, 2000, 492 ff.; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 155 ff.; Schlosser in FS Kerameus, 2009, 1183.
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
durch den Schuldner vor, so darf der Zweitrichter die endgültige Höhe des Zwangsgeldes festsetzen.929 3. Festsetzung von Zinsen und Mehrwertsteuer Ist der Schuldner verurteilt, gesetzliche Zinsen zu zahlen930, so hat der Zweit- 3158 richter den erststaatlichen Vollstreckungstitel insoweit zu ergänzen931 und die Höhe der Zinsen im Vollstreckbarerklärungsurteil festzusetzen932; dies geschieht aber nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Gläubigers.933 Das Gleiche gilt für die nicht näher bezifferte Mehrwertsteuer.934 4. Dynamisierte Unterhaltstitel Ist der ausländische Unterhaltstitel nicht ziffernmäßig bestimmt935; sind viel- 3159 mehr z.B. zum Mindestunterhalt Sonderbeträge hinzuzurechnen, so hat das 929 Anders Art. 55 EuGVVO und Art. 49 LugÜ. 930 Rechtsvergleichende Hinweise bei Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 57 ff., 161. 931 Eine Ergänzung hinsichtlich der Verzinsung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn das ausländische Gericht eine Verurteilung zur Zinszahlung abgelehnt hat; s. auch OLG Frankfurt/M. v. 26.3.2010 – 26 SchH 7/09, IPRspr. 2010 Nr. 301. 932 S. auch Hess/Bittmann, Die Effektuierung des Exequaturverfahrens nach der Europäischen Gerichtsstands- und VollstreckungsVO, IPRax 2007, 277 (280); OLG München v. 27.5.2010 – 34 Sch 1/10, 34 Sch 001/10, IPRspr. 2010 Nr. 303. 933 Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 59; Münch, RIW 1989, 18; BGH v. 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16 = MDR 1993, 904 = NJW 1993, 1801 = RIW 1993, 588 = IPRax 1994, 367 (H. Roth 350) = WuB VII A § 328 ZPO Nr. 2.93 (Thode) = LM Nr. 38 zu EGÜbk (R. Geimer) = EWiR 1994, 149 (Otte) = IPRspr. 1993 Nr. 171; BGH v. 27.5.1993 – IX ZB 78/92, IPRspr. 1993 Nr. 174; OLG Hamm v. 18.6.1993 – 20 W 28/92, EWS 1993, 300 = IPRspr. 1993 Nr. 176; OLG Düsseldorf v. 27.11.1996 – 3 W 124/96, RIW 1997, 330 (331) = IPRax 1998, 478 (Reinmüller 460) = IPRspr. 1996 Nr. 183; OLG Frankfurt v. 9.4.1998 – 20 W 7/98, RIW 1998, 474 = IPRspr. 1998 Nr. 184; OLG Köln v. 23.1.2002 – 16 W 44/2001, 16 W 44/01, InVo 2002, 521 = IPRspr. 2002 Nr. 186; OLG Zweibrücken 15.12.2004 – 3 W 207/04, OLGR 2005, 223; LG Hamburg v. 10.10.1977, IPRspr. 1977 Nr. 154; LG Hamburg v. 13.1.1978, IPRspr. 1978 Nr. 156; LG Hamburg v. 18.12.1978, RIW 1979, 419 = IPRspr. 1978 Nr. 168; LG Landau v. 23.12.1983 – 4 T 157/83, RIW 1984, 995 = Rpfleger 1984, 241 = IPRspr. 1983 Nr. 182. A.A. OLG München v. 17.7.1980 – 11 WF 938/80, IPRspr. 1980 Nr. 170 sowie OLG Frankfurt v. 28.10.1998 – 20 W 196/97, IPRspr. 1998 Nr. 191. Zu eng OLG Frankfurt v. 2.2.2000 – 20 W 456/98, RIW 2000, 463 = IPRspr. 2000 Nr. 148: Keine Feststellung von Zinseszinsen. Zum Antragserfordernis (keine Konkretisierung von Amts wegen) Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 134. 934 Für liberale Handhabung Koch, Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, 185; Schack, IZVR6, Rz. 1032. Vgl. aber auch BGH v. 4.3.1993 – IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16 = MDR 1993, 904 = NJW 1993, 1801 = IPRax 1994, 367 (H. Roth 350) = ZIP 1993, 834 = IPRspr. 1993 Nr. 171. S. auch Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 167. 935 Rechtsvergleichende Hinweise bei Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 65 ff.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
deutsche Gericht (§ 110 III FamFG) diese auf Antrag des Gläubigers festzusetzen.936 Das deutsche Exequaturgericht hat auch eine Unterhaltserhöhung kraft Gesetzes bzw. kraft Indexierung zu beachten.937 Nimmt der ausländische Vollstreckungstitel auf einen im Erststaat oder einem Drittstaat veröffentlichten Preisindex Bezug, soll unter den heutigen Bedingungen des leichten Zugangs zum Internet die Feststellung des jeweils geschuldeten Geldbetrages den Vollstreckungsorganen überlassen werden.938 Dies kann aber nur für Indices gelten, die technisch leicht erreichbar und sprachlich ohne großen Übersetzungsaufwand verständlich sind. Ansonsten muss das Exequaturgericht einen für deutsche Vollstreckungsorgane zugänglichen „Ersatzindex“ in dem deutschen Vollstreckbarerklärungsbeschluss (§ 110 II FamFG) formulieren, der dem ausländischen Ursprungsindex möglichst nahe kommt. 5. Lohnquotentitel 3159a Ist in Unterhaltstiteln die Höhe des wiederkehrend zu zahlenden Betrages als Bruchteil des jeweiligen Monatseinkommens des Schuldners definiert939, so ist eine Konkretisierung im deutschen Vollstreckbarerklärungsverfahren grundsätzlich auch dann zulässig, wenn für die Feststellung des monatlichen Einkommens des Schuldners eine Beweisaufnahme erforderlich ist.940
936 A.A. OLG Düsseldorf v. 29.4.1981 – 2 UF 42/81, FamRZ 1982, 630 = IPRspr. 1981 Nr. 183, das eine neue Leistungsklage verlangt. 937 BGH v. 6.11.1985 – IVb ZR 73/84, NJW 1986, 1440 = FamRZ 1986, 45 = MDR 1986, 660 = RIW 1986, 554 (Wolff 728) = IPRax 1986, 294 (Dopffel 277) = EWiR 1986, 207 (R. Geimer) = IPRspr. 1985 Nr. 184; OLG Stuttgart v. 28.5.1990 – 5 W 26/90, DAVorm 1990, 713 = IPRspr. 1990 Nr. 211; OLG Düsseldorf v. 22.11.1993 – 3 W 194/93, FamRZ 1994, 1480 = IPRspr. 1993 Nr. 186; OLG Schleswig v. 11.3.1993 – 16 W 279/92, FamRZ 1994, 53 = IPRspr. 1993 Nr. 183; OLG Frankfurt v. 2.7.1993 – 15 W 17/93, DAVorm 1993, 958 = IPRspr. 1993 Nr. 184; LG München II v. 20.10.1993 – 11 O 6039/93, DAVorm 1994, 126 = IPRspr. 1993 Nr. 185; Baumann, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen in Unterhaltssachen, 1989, 27; Münch, RIW 1989, 18; R. Geimer, EWiR 1986, 207. Zustimmend aus schweizerischer Sicht Jametti Greiner, Der Begriff der Entscheidung im schweizer. internationalen Zivilverfahrensrecht, 1998, 99. 938 OLG Düsseldorf v. 23.11.2007 – I-3 W 125/07, 3 W 125/07, FamRZ 2008, 904 (905) betreffend den französischen „Verbraucherindex der städtischen Haushalte, deren Familienvorsteher Arbeiter oder Angestellter sind“. 939 Hierzu Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 74 ff. 940 Seidl, a.a.O., 169 in kritischer Auseinandersetzung mit dem bisher skeptischen Trend in der Rspr. Immerhin soll auch nach h.M. Konkretisierung möglich sein, wenn Gläubiger das Schuldnereinkommen durch unbestrittene Gehaltsbescheinigungen belegt, OLG Zweibrücken v. 10.3.2005 – 5 WF 36/05, InVo 2006, 71 (73).
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Vollstreckbarerklärung
Zwölfter Teil
6. Sonstige nicht exakt formulierte Vollstreckungstitel Allgemein gilt: Wird der ausländische Titel dem für deutsche Titel geltenden Be- 3160 stimmtheitserfordernis nicht gerecht941, ergeben sich jedoch die Kriterien, nach denen sich die Leistungspflicht bestimmt, aus den ausländischen Vorschriften oder ähnlichen, im Inland gleichermaßen zugänglichen und sicher feststellbaren Umständen942, so ist es geboten, den ausländischen Titel im Vollstreckbarerklärungsverfahren zu konkretisieren.943 Gegebenenfalls sind die hierzu erforderlichen ausländischen Rechtsnormen nach Maßgabe von § 293 ZPO zu ermitteln.944 Eine klarstellende Entscheidung (eines deutschen oder ausländischen Gerichts) 3160a vor Durchführung des Exequaturverfahrens ist nicht erforderlich.945 Rechenfehler des ausländischen Gerichts sind unschädlich.946 Auch eine Berichtigung bzw. Ergänzung der Bezeichnung der Parteien ist zulässig.947 Allerdings ist das Verbot der révision au fond (Rz. 2910) zu beachten, welches 3160b jedoch flexibel zu handhaben ist. So war z.B. das OLG Karlsruhe948 zu dogmatisch fixiert, als es einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels abgelehnt hat, der Unterhalt nur unter der Bedingung eines „ernsthaften und zielstrebigen Studiums“ zugesprochen hatte. Eine Implementierung durch das deutsche Exequaturgericht würde die Wertungen des ausländischen Gerichts ersetzen und nicht nur „ausfüllen“. Es entstünde auf diese Weise ein gerichtliches Erkenntnis, in dem sich das ausländische Erst- und das deutsche 941 Zur Konkretisierung von Unterhaltstiteln BGH v. 2.9.2009 – XII ZB 50/06, NJW 2010, 153 = FamRZ 2009, 2069 (Gottwald) = JR 2010, 432 (Rauscher). 942 Solche Gegebenheiten verneint z.B. OLG Köln v. 27.6.2011 – 16 W 3/11, FamRZ 2012, 384 = IPRspr. 2011 Nr. 269, für einen ukrainischen Unterhaltstitel, der auf ein „Viertel von allen Arten des Arbeitslohns“ lautet. 943 So z.B. OLG Köln v. 27.10.1999 – 16 W 19/99, FuR 2000, 374 = InVo 2000, 289 = IPRspr. 1999 Nr. 166 für Unterhalt, der sich an der Inflationsrate in Deutschland orientieren soll. Zu eng OLG Frankfurt v. 2.2.2000 – 20 W 456/98, RIW 2000, 463 = IPRspr. 2000 Nr. 148: keine Feststellung von Zinseszinsen. Zurückhaltend auch BGH v. 26.11.2009 – VII ZB 42/08, FamRZ 2010, 289 = MDR 2010, 231 = NJW 2010, 2137 = EuZW 2010, 159 = IPRspr. 2009 Nr. 240. Zum Ganzen s. auch Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 132. Kritisch zu der hier verwendeten Formel Seidel, 159. 944 OLG Zweibrücken v. 10.3.2005 – 5 WF 36/05, NJOZ 2005, 3309 = IPRspr. 2005 Nr. 165. 945 Vgl. auch OLG Hamburg v. 18.6.1993 – 6 W 21/93, 6 W 57/92, RIW 1994, 424 (Sieg 973) = IPRspr. 1993 Nr. 175 (Klarstellung der Parteibezeichnung). Beispiel: Prozessführung unter Pseudonym. 946 OLG Hamm v. 4.6.1997 – 1 U 2/96, RIW 1997, 960 (Schütze 1039) = IPRax 1998, 474 (Haas/Stangl 452) = IPRspr. 1997 Nr. 133. 947 BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 136/06, NJW-RR 2009, 854 = EuLF 2009, II-95 = EuZW 2009, 391 = IPRspr. 2009 Nr. 230. S. auch OLG Hamburg v. 18.6.1993 – 6 W 21/93, 6 W 57/92, RIW 1994, 424 (Sieg 973) = IPRspr. 1993 Nr. 175; OLG München v. 28.11.2005 – 34 Sch 019/05, 34 Sch 19/05, OLGR 2006, 242. 948 OLG Karlsruhe v. 8.1.2002 – 9 W 51/01, FamRZ 2002, 1430 = IPRax 2002, 527 (Atteslander-Dürrenmat 508) = InVo 2003, 82 = IPRspr. 2002 Nr. 197. Hierzu Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, 2010, 154 ff.
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Zwölfter Teil
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
Zweitgericht die Subsumtion anspruchsbegründender Merkmale aufteilen würden und nicht gewährleistet bliebe, dass tatsächlich das ausländische Urteil anerkannt und vollstreckt würde. Diese filigrane Argumentation hat vielleicht aus dogmatischer Sicht etwas für sich, nicht jedoch aus prozessökonomischer, wenn man in Betracht zieht, dass es dem Gläubiger freisteht, gestützt auf die (anzuerkennende) Rechtskraft des ausländischen Urteils in Deutschland auf Unterhalt zu klagen bzw. diesen ab 1.9.2009 im FamFG-Verfahren geltend zu machen (Rz. 3167). Da erscheint es sinnvoller, wenn die Festsetzung der Unterhaltshöhe das Exequaturgericht erledigt. 3160c Das Gleiche sollte gelten für einen Rückzahlungsanspruch, der daraus entsteht, dass das Rechtsmittelgericht die (vorläufig vollstreckbare) Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben hat, wenn nach dem Recht des Erststaates die Kassation – auch ohne ausdrückliche Tenorierung – einen Vollstreckungstitel darstellt.949 7. Keine Umrechnung des auf ausländische Valuta lautenden Vollstreckungstitels 3161 Eine Umrechnung eines auf ausländische Valuta lautenden Titels in Euro findet nicht statt.950 § 244 BGB gibt dem Schuldner nur die Befugnis, in deutscher Währung zu bezahlen, aber nicht dem Gläubiger das Recht, Zahlung in Euro zu verlangen.951 Auch ein auf Zahlung ausländischer Valuta lautender Titel ist nach §§ 803 ff. ZPO zu vollstrecken, da es sich um eine Geldforderung handelt.952
949 A.A. LG Stuttgart v. 27.10.2004 – 17 O 547/04, RIW 2005, 709 (710) = IPRspr. 2004 Nr. 168. 950 OLG Hamm v. 25.7.2003 – 29 W 30/02, FamRZ 2004, 716 (Grothe); ausführlich Bachmann, Fremdwährungsschulden in der Zwangsvollstreckung, 1994; Martiny in MüKo.BGB5, Bd. 10, Art. 9 Rom I-VO Anh. I Rz. 68; Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 Rz. 53. 951 BGH v. 29.5.1980 – II ZR 99/79, MDR 1980, 911 = NJW 1980, 2017 = RIW 1980, 586 = IPRspr. 1980 Nr. 131; BGH v. 28.6.1984 – IX ZB 31/84, IPRax 1985, 101 (Nagel 83) = IPRspr. 1984 Nr. 177; BGH v. 21.2.1985 – IX ZB 124/84, IPRax 1986, 157 (Mezger 142); OLG Düsseldorf v. 26.2.1988 – 19 W 17/87, RIW 1988, 818 = WM 1988, 558 (Keiner 1459) = IPRax 1989, 295 (Hanisch 276) = IPRspr. 1988 Nr. 205; Martiny in MüKo.BGB4, Art. 34 EGBGB Anh. I Rz. 68; Spieker genannt Döhmann, Die Anerkennung von Rechtskraftwirkungen ausländischer Urteile, 2002, 152 ff. 952 Maier/Reimer, NJW 1985, 2053. OLG Nürnberg v. 24.10.1978, DAVorm 1979, 450 = IPRspr. 1978 Nr. 99 hält passim eine auf res iudicata des ausländischen Urteils (§ 328 ZPO) gestützte, auf DM lautende Leistungsklage (Rz. 3167) für möglich. A.A. KG v. 5.2.1993 – 3 UF 4458/92, NJW-RR 1994, 138 = FamRZ 1993, 976 = IPRax 1994, 455 (Baumann 435) = IPRspr. 1993 Nr. 156 mit der nicht haltbaren Begründung, die res iudicata des auf eine ausländische Währung lautenden ausländischen Urteils hindere die Umrechnung in DM.
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Vollstreckbarerklärung
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XIV. Gleichstellung des für vollstreckbar erklärten erststaatlichen Vollstreckungstitels mit zweitstaatlichen Titeln Die Vollstreckbarerklärung bewirkt die Gleichstellung der erststaatlichen Titel 3162 mit den zweitstaatlichen: Die nach § 722 ZPO bzw. § 110 II FamFG verliehene Vollstreckbarkeit ist inhaltlich identisch mit der Vollstreckbarkeit von Titeln, die im Inland erlassen wurden. Gleichstellung bedeutet aber auch, dass dem Gläubiger, der aus einem auslän- 3163 dischen Titel vollstreckt, nicht mehr prozessuale Möglichkeiten zur Verfügung stehen als dem Inhaber eines deutschen Titels. Der Gläubiger kann sich nicht darauf berufen, dass ihm im Erststaat mehr (= effektivere) Zwangsmittel zur Verfügung stehen als nach dem Recht des Zweitstaates.953
XV. Nebenintervention und Streitverkündung im Vollstreckbarerklärungsverfahren Nebenintervention und Streitverkündung sind auch im Vollstreckbarerklärungs- 3163a verfahren (§ 722 ZPO) grundsätzlich zulässig.954
XVI. Res iudicata-Wirkung der Entscheidung über den Vollstreckbarerklärungsantrag Die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung erwächst in mate- 3164 rielle Rechtskraft.955 Die Vollstreckbarerklärung beinhaltet nicht nur eine prozessuale Gestaltung, sondern stellt auch verbindlich fest, dass die Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen vorliegen. Wird die Vollstreckbarerklärung wegen Fehlens einer Vollstreckbarerklärungsvoraussetzung bzw. wegen Vorliegens eines Versagungsgrundes verweigert, z.B. wegen Verstoßes gegen den ordre public, so stellt diese Entscheidung das Fehlen dieser Vollstreckbarerklärungsvoraussetzung bindend fest. Dies ist allerdings nicht unbestritten.956 Um Diskussionen über
953 R. Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung I/2, 1983, 1149. 954 S. auch KG v. 4.6.2012 – 20 Sch 10/11, SchiedsVZ 2013, 112 (119). 955 Zustimmend OLG Köln v. 28.4.2006 – 16 W 7/06, InVo 2006, 446 = OLGR 2006, 776 = IPRspr. 2006 Nr. 184. 956 Nachw. z.B. bei Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen. Die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche und Exequaturentscheidungen, 1997, 360 f. Gegen Rechtskraftwirkung Adolphsen, Perspektive der Europäischen Union: Gegenwartsfragen der Anerkennung im Internationalen Zivilverfahrensrecht, in Hess (ed.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Zwangsvollstreckungsrecht, 2014, 1, 11, 21; Wolff in Handbuch IZVR, Bd. III/2, 1984, Kap. IV Rz. 126 und Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr. Einwendungen gegen einen titulierten Anspruch im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht; mit Vergleichen zum englischen, französischen, schweiz. und US-amerikanischen Recht, 2000, 366 ff., 472. Nach h.M. wird im Verfahren nach § 767 ZPO
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Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
den Umfang der Rechtskraft der im Vollstreckbarerklärungsverfahren ergehenden Entscheidung aus dem Weg zu gehen, wird auch eine (Zwischen-)Feststellungsklage mit dem Antrag auf Anerkennung der Rechtskraftwirkung etc. des für vollstreckbar zu erklärenden Titels für zulässig erachtet.957 3165 Sofern die positiv oder negativ festgestellten Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen identisch sind mit den Anerkennungsvoraussetzungen, darf das mit der Anerkennung befasste Gericht keinen gegenteiligen Standpunkt vertreten, auch wenn klar ist, dass es sich bei der Gewährung bzw. Verweigerung der Vollstreckbarerklärung um eine Fehlentscheidung handelt (Rz. 3014, 3137).958 Anders ist es jedoch, wenn in dem entscheidungserheblichen Punkt die Anerkennungsvoraussetzungen nicht übereinstimmen mit den Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen: Wird z.B. die Vollstreckbarerklärung verweigert, weil der für vollstreckbar zu erklärende Titel nach dem Recht des Erststaates nicht mehr vollstreckbar sei, ist dieser Punkt nicht relevant für die Anerkennungsfrage. Deswegen ist es möglich, dass ein (anderes) Gericht sich auf den Standpunkt stellt, die Rechtskraftwirkung des ausländischen Urteils sei im Inland anzuerkennen. 3166 Auch nach rechtskräftiger Zurückweisung des Vollstreckbarerklärungsantrags als unbegründet ist Leistungsklage zulässig. Jedoch hat das mit der Leistungsklage befasste Gericht die res iudicata-Wirkung der das Exequatur zurückweisenden Entscheidung zu beachten.
XVII. Teilexequatur 3166a Unter den bereits in Rz. 3067 erörterten Voraussetzungen (Teilbarkeit) kann der Gläubiger von vornherein Vollstreckbarerklärung nur hinsichtlich eines Teils des ausländischen Vollstreckungstitels beantragen. Hinsichtlich des Restes kann er gegebenenfalls in einem zweiten Verfahren Vollstreckbarerklärung beantragen959, sofern nicht auf Widerklage des Beklagten im ersten Verfahren eine rechtskräftige Sachentscheidung hinsichtlich des Restes ergangen ist.960 3166b Hält das Gericht den Vollstreckbarerklärungsantrag nur hinsichtlich eines Teils für begründet, so erfolgt nicht Klageabweisung in toto, sondern nur hinsichtlich
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nur über die Aufhebung der Vollstreckbarkeit der deutschen Vollstreckbarerklärung (= Vollstreckungstitel für den deutschen Hoheitsbereich) entschieden, nicht jedoch mit Rechtskraft über das Bestehen der Einwendungen. Hierfür reiche die Zuständigkeitsanknüpfung des Art. 24 Nr. 5 EuGVVO nicht aus; hierüber könnten nur die nach Art. 4 ff. EuGVVO international zuständigen Gerichte befinden. S. auch Synatschke, Die Unzuständigerklärung des Schiedsgerichts, 2006, 77. Zöller/Geimer, ZPO30, § 722 ZPO Rz. 76, 78, 99; Hk-ZV/Netzer, § 722 ZPO Rz. 13. OLG Nürnberg v. 7.11.1984 – 10 WF 2959/84, DAVorm 1985, 345 = IPRax 1985, 354 = IPRspr. 1984 Nr. 170. Auch wenn im ersten Verfahren der Exequaturantrag nicht ausdrücklich als solcher deklariert war, will das OLG Düsseldorf v. 28.6.2000 – 3 W 434/98, RIW 2001, 303, den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Restes ohne Weiteres zulassen. OLG Düsseldorf v. 28.6.2000 – 3 W 434/98, RIW 2001, 303.
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Vollstreckbarerklärung
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des unbegründeten Teils, im Übrigen – ohne besonderen Teilantrag – Teilvollstreckbarerklärung.961
XVIII. Leistungsklage aus ausländischem Urteil Nach h.M. soll der im ausländischen Prozess siegreiche Kläger trotz Zulässigkeit 3167 der Vollstreckbarerklärung nach §§ 722, 723 ZPO die Möglichkeit haben, aus dem ausländischen Urteil auf Leistung zu klagen, wobei das deutsche Gericht an die Rechtskraft des ausländischen Urteils – sofern die Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind – gebunden ist und deshalb ohne eigene Sachprüfung die Verurteilung auszusprechen hat.962 Jedenfalls dort, wo das europäische Unionsrecht bzw. die Ausführungsbestimmungen zu den Staatsverträgen ein beschleunigtes und vereinfachtes Exequaturverfahren zur Verfügung stellen, wird das Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage im Zweifel fehlen.963 Es ist aber zu bejahen, wenn mit der Vollstreckbarerklärung auch eine Erhöhung im Wege der Abänderung verlangt wird.964
XIX. Kosten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens Das Vollstreckbarerklärungsverfah