215 49 18MB
German Pages 2521 [2566] Year 2016
Kronke • Melis • Kuhn (Hrsg.)
Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht
Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht herausgegeben von
Prof. em. Dr. Dres. h.c. Herbert Kronke DDr. Werner Melis Dr. Hans Kuhn, LL.M Bearbeiter siehe nächste Seite
2. neu bearbeitete Auflage
2017
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-9 43 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN Otto Schmidt Verlag: 978-3-504-40950-0 ISBN Linde: 978-3-7073-3535-4 ISBN Schulthess: 978-3-7255-7507-7 ª2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
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Bearbeiter Eva Bachofner
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(Fortsetzung nächste Seite)
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Duncan Speller
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Jan Pohle
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Advokat, Wiss. Assistent und Lehrbeauftragter an der Universität Basel
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin
Dr. Urs Zenhäusern Rechtsanwalt in Zürich
Prof. Dr. Philipp Zurkinden, LL.M. (Europainstitut, Saarbrücken)
Fürsprecher in Bern, Zürich und Brüssel Lehrbeauftragter, Universität Basel
Vorwort zur 2. Auflage Wenn die Volksweisheit „was lange währt, wird endlich gut“ zutrifft, dann ist diese Neuauflage schon allein deshalb so gut, wie sie nach unserer Überzeugung in Kenntnis der Qualität der einzelnen Autoren und ihrer Beiträge tatsächlich ist. Der lange Zeitraum, der zwischen der Vorauflage (2005) und dieser Neuauflage liegt, hat mannigfache Gründe. Vor allem zwei: Anton Schnyder hatte, als der Verlag mit dem Plan einer Neuauflage an die Herausgeber herantrat, den Wunsch geäussert, nicht erneut an diesem Gemeinschaftswerk mitzuwirken. Es musste also ein neuer Schweizer Mitherausgeber gefunden werden, und Herbert Kronke und Werner Melis waren glücklich, als es gelang, Hans Kuhn mit seinem ganz besonderen professionellen Hintergrund zu gewinnen. Dieser wiederum stand vor der Aufgabe, die eidgenössische Autorenmannschaft zu komplettieren. Zu dieser Zeit hatte Herbert Kronke erneut ein ihm angetragenes Amt ausserhalb der Universität angenommen. Auch einige der deutschen und österreichischen Kollegen, die an der 1. Auflage mitgewirkt hatten, waren zu ersetzen. All’ dies kostete etwa so viel Zeit wie die Überarbeitung – in manchen Fällen: die Abfassung eines völlig neuen Textes – einzelner Abschnitte, Kapitel oder gar ganzer Teile. Einige der zahlreichen Besprechungen der 1. Auflage hatten, ebenso wie Benutzer des Werkes, neben höchst Schmeichelhaftem kritisch angemerkt, es fehle das Insolvenzrecht. Diese Scharte ist mit dem neuen Teil O ausgewetzt. Die Streitbeilegung ist nunmehr Teil P. Den Abschied von der mythischen Ganzheit der Anlage und Gliederung (hervorgehoben durch Horn, IPRax, 2007, 537 f.: „von A bis O; sic!“) haben wir in Würdigung des sachlichen Zugewinns gern in Kauf genommen. Das Konzept ist geblieben: Zu jedem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich sollen dem Benutzer die internationalrechtlichen Aspekte in ihrer ganzen Breite – Völkerrecht, EU-Recht, Internationales Privatrecht, transnationales Handelsrecht – praxistauglich und wissenschaftlich geerdet erläutert werden. Das internationale Zivilprozessrecht ist neu strukturiert, das Recht der Schiedsgerichtsbarkeit auf neuestem Stand. Die Herausgeber danken für Hilfe in technicis Wiltrud Hillmann, Robin Azinovic´, Sebastian Trompler (Heidelberg) sowie Petra Jacoby (Den Haag) sowie in scientia Dr. Edith M. Adler (Zürich). Der Otto Schmidt Verlag und sein Lektorat – in den letzten beiden Jahren in den Personen von Sonja Behrens-Khaled und Annette Hesse-Edenfeld – war geduldiger als es Unternehmen – selbst solche mit einer wissenschaftlichen Mission – üblicherweise sind. Auch ihnen sei gedankt. Das Hinzukommen der Partnerverlage Schulthess (Zürich) und Linde (Wien) macht den besonderen inhaltlichen Anspruch des Werkes noch offenkundiger und eröffnet neue Perspektiven. Die Rechtslage ist im Allgemeinen mit Stand Januar/Februar 2016 wiedergegeben, Einzelheiten sind in einigen Kapiteln bis Juli 2016 nachgeführt. Den Haag/Heidelberg, Wien, Zürich Im Juli 2016
Herbert Kronke, Werner Melis, Hans Kuhn
VII
Aus dem Vorwort der 1. Auflage Die Grundidee des Werkes ist einfach. Der Wirtschaftsjurist – sei er als Anwalt oder in der Rechtsabteilung eines Unternehmens tätig – braucht in seiner täglichen Praxis ein Nachschlagewerk für die wichtigsten Transaktionen mit Auslandsberührung. Und zwar, erstens, einen Leitfaden, welcher nicht nach akademischen Fachbeschreibungen und kodifikatorischen Ordnungskriterien differenziert, sondern primär Geschäftsbereiche oder Transaktionstypen in den Blick nimmt. Zweitens, einen solchen, welcher die internationalen Teildisziplinen (Völkerrecht, IPR, harmonisiertes transnationales Handels- und Wirtschaftsrecht, internationales Zivilverfahrensrecht einschließlich der Schiedsgerichtsbarkeit) sowie das Europäische Gemeinschaftsrecht als machtvoll sprudelnde Quelle des altkontinentalen Wirtschaftsrechts übergreift. Das nationale Recht wird – trotz verbleibender und in den einzelnen Teilen des Buches nach Kräften kenntlich gemachter Besonderheiten – vom internationalen und europäischen Recht in erheblichem Maße inhaltlich bestimmt, und seine Anwendbarkeit auf grenzüberschreitende Sachverhalte ergibt sich nach Maßgabe der dem Völkerrecht, Kollisionsrecht und Europarecht entnehmbaren Anwendungsbefehle, Anwendbarkeitsgrenzen und inhaltlichen Variationen. Drittens benötigt Führung im internationalen Geschäft nach der Erfahrung der Herausgeber, Autoren und zahlreicher Befragter vor allem derjenige, dem keine mit Spezialliteratur zu jedem Teilgebiet einschließlich seiner internationalen Facetten ausgestattete Bibliothek zur Verfügung steht, wie sie wenige erstrangige Großkanzleien haben und von denen selbst Universitäten heute meist nur noch träumen. Alle drei Elemente veranlassen uns, ein Handbuch der ersten Orientierung in Kompaktformat zu entwickeln, salopp ausgedrückt: das Kochbuch des Beraters für Rechtsfragen grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit. Schließlich ist offenkundig und daher ebenfalls Programm dieses Handbuchs, dass dieser Orientierungsbedarf in Hamburg und Zürich, in Wien und Vaduz ein ähnlicher ist ebenso wie auch der rechtshistorische Hintergrund, das Argumentationsarsenal und der Vorrat an – aktuellen und potenziellen – Lösungen.
VIII
Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der einzelnen Teile. Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXV
Teil A. Einführung I. Rechtsquellen und beteiligte Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
II. Die Rolle der internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
III. Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration – Freihandelszonen – Zollunionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
IV. Insbesondere: Die Freihandelszonen in Nord- und Südamerika . . . . . .
9
V. Internationales Wirtschaftsrecht: Rezeptivität und Expansionstendenz eines Rechtsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Teil B. Warenhandel Kapitel 1. Außenhandelsrecht I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
III. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
IV. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
V. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
VI. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
VII. Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Kapitel 2. Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
II. Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
III. Schweizerisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
IV. Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
Kapitel 3. UN-Kaufrecht (CISG) I. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
II. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
III. Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 IX
Inhaltsübersicht Seite
IV. Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
V. Pflichten des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
VI. Rechtsbehelfe des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
VII. Pflichten des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
VIII. Rechtsbehelfe des Verkäufers bei Vertragsverletzungen des Käufers . .
101
IX. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
X. Zinszahlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
Kapitel 4. Handelsbräuche, INCOTERMS I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
II. Rechtsnatur und Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
III. Inhalt – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
Teil C. Handel mit Dienstleistungen Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen für die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
II. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
III. Universelles Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
IV. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
Kapitel 2. Versicherungsverträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
II. GATS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
III. OECD-Liberalisierungskodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154
IV. Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (IAIS)
155
V. Versicherungsaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
VI. Versicherungsvermittlerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165
VII. Harmonisierung des Europäischen Versicherungsvertragsrechts . . . . .
169
VIII. Internationales Zivilverfahrensrecht in Versicherungssachen . . . . . . .
176
IX. Internationales Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
Kapitel 3. Bank- und Finanzdienstleistungsverträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
X
193
II. Wirtschaftsvölkerrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
III. Europarechtlicher Rahmen für Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . .
201
IV. Der Zugang von Finanzdienstleistern aus Drittstaaten zum EU-Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211
V. Harmonisierung des Europäischen Bankvertragsrechts . . . . . . . . . . . .
223
Inhaltsübersicht Seite
VI. Internationales Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
VII. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
Kapitel 4. Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge I. Bauwerk-, Subunternehmer- und Planerverträge . . . . . . . . . . . . . . . . .
239
II. Forum und Vertragsstatut bei Bauwerkverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
III. Über die Normierung der Bauwerkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
IV. Zur Streiterledigung in Bausachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262
Kapitel 5. Forschungs- und Entwicklungsverträge I. Gegenstand, Erscheinungsformen, Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . .
264
II. Nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
III. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
IV. Europäisches Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276
V. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
VI. Strukturelemente und Kernprobleme der Forschungs- und Entwicklungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
288
VII. Vertragsgestaltung/Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
Teil D. Telekommunikation Kapitel 1. Vom Staatsmonopol zum Markt: Entwicklungslinien Kapitel 2. Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen I. WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
II. Internationale Fernmeldeunion (ITU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
306
III. Europäische Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
Kapitel 3. Sachbereiche I. Regulierungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313
II. Marktzutritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323
III. Universaldienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
IV. Adressierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
336
V. Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
VI. Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343
VII. Zugang und Zusammenschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
VIII. Sicherheit und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
356
IX. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
366
Kapitel 4. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
368 XI
Inhaltsübersicht
Teil E. Transport
Seite
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Überblick „Transportrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
372
II. Transportschadenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
373
III. Auslegung und Anwendung des international vereinheitlichten Transportrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375
Kapitel 2. Transportverträge I. Spedition und Multimodaler Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
378
II. Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
392
III. Bahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431
IV. Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
439
V. See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
462
VI. Incoterms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
478
Kapitel 3. Transportversicherung I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
479
II. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
479
Teil F. Handel mit geistigem Eigentum Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Technische Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
492
II. Sortenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
504
III. Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
506
IV. Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
514
V. Urheberrechte und Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
520
VI. Erschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
528
Kapitel 2. Technologietransfer-Verträge I. Allgemeines zur Patent- und Know-how-Lizenz und Patentkaufverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
534
II. Ausgestaltung des Lizenzvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
550
III. Nationale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565
IV. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
566
V. Steuerrechtliche Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
570
VI. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
572
Kapitel 3. Softwareverträge
XII
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
573
II. Rechtsschutz von Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
583
Inhaltsübersicht Seite
III. Beschränkungen beim Vertrieb von Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
586
IV. Nationale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603
V. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
608
VI. Steuerrechtliche Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
614
VII. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
618
Kapitel 4. Kennzeichenverträge I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
619
II. Übertragung von Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
623
III. Übertragung von Domains . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
629
IV. Lizenzen an Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
633
V. Nationale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
641
VI. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
644
VII. Steuerrechtliche Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
647
VIII. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
651
Kapitel 5. Urheberrechtliche Verträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
652
II. Verlagsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
657
III. Filmverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
662
IV. Sendeverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
667
V. Wahrnehmungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
668
VI. Nationale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
670
VII. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
672
VIII. Steuerrechtliche Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
674
Teil G. Distributionsgeschäfte Kapitel 1. Handelsvertretervertrag I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
680
II. Das materielle Handelsvertreterrecht in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
681
III. Europäisches Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
700
IV. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
702
V. Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
714
VI. Weitere prozessuale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
717
VII. Checkliste für Handelsvertreterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
717
Kapitel 2. Franchisevertrag I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
718
II. Völker- und europarechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
723 XIII
Inhaltsübersicht Seite
III. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
742
IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
746
Kapitel 3. Vertragshändlervertrag I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
II. Europäisches Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
763
III. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
774
IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
779
V. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
796
Teil H. Finanzierung Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Internationale Abkommen, Richtlinien internationaler Organisationen, Mustertexte internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . .
813
II. Mustertexte für Finanzierungen internationaler Vereinigungen . . . . .
814
III. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
815
Kapitel 2. Finanzierungsmodelle I. Kurz- bis mittelfristige Finanzierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . .
815
II. Mittel- bis langfristige Finanzierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . .
866
III. Spezialfinanzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
905
IV. Avalgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
983
Kapitel 3. Finanzmanagement (Derivate) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1004
II. Aufsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1006
III. Materielles Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1019
IV. Internationales Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1029
V. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1031
VI. Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1040
Kapitel 4. Sicherheiten I. Völker- und europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1045
II. Persönliche Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1054
III. Mobiliarsicherungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1070
XIV
Inhaltsübersicht
Teil I. Zahlungsverkehr
Seite
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Bargeldlose Zahlungen als Gegenstand des internationalen Zahlungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1094
II. Völkerrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1095
III. Grundprinzipien für Zahlungsverkehrssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1096
IV. EU-Zahlungsverkehrsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1097
V. Zahlungsverkehrssysteme bei bargeldlosen grenzüberschreitenden Zahlungen in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1103
VI. Die technischen Übermittlungsverfahren für grenzüberschreitende Zahlungen (Swift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1104
Kapitel 2. Internationales Devisenrecht I. Beschränkungen des Zahlungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1105
II. Europarechtliche Regelungen (Art. 63–76 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . .
1106
III. Berücksichtigung ausländischen Devisenrechts nach Art. VIII Abschn. 2 lit. b IWF-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1108
IV. Abkommenskonformes Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1109
V. Exchange contracts i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 lit. b IWF-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1109
VI. Berührung des Devisenbestands eines Mitgliedstaats . . . . . . . . . . . . .
1112
VII. Rechtsfolgenseite des Art. VIII Abschn. 2 lit. b IWF-Übereinkommen
1112
VIII. Die Berücksichtigung ausländischen Devisenrechts außerhalb des IWF-Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1113
Kapitel 3. Devisenhandelsgeschäfte I. Einordnung von Devisenhandelsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1118
II. Rechtsnatur der einzelnen Devisenhandelsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . .
1121
III. Devisenkassa-, Devisentermin-, Devisenswap- und Devisenoptionsgeschäfte als Geschäfte über Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . .
1124
IV. Devisenhandelsgeschäfte und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1128
V. Anknüpfung des Devisenhandelsgeschäfts im IPR . . . . . . . . . . . . . . . .
1129
VI. Internationale Zuständigkeit, Gerichtsstand- und Schiedsgerichtsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1130
Kapitel 4. Sortengeschäft I. Begriff der Sorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1131
II. Rechtsnatur des Sortengeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1132
III. Umrechnungskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1132
IV. Kauf unechter Sorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1132
Kapitel 5. Einzelne Zahlungsverkehrsinstrumente I. Überweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1133 XV
Inhaltsübersicht Seite
II. Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1144
III. Dokumentäre Zahlungsverkehrsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1155
IV. Gegengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1181
Teil J. Der rechtliche Schutz ausländischer Investitionen Kapitel 1. Einleitung Kapitel 2. Investitionsschutz im Recht des Gaststaates I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1186
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1195
III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1198
IV. Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1201
Kapitel 3. Investitionsschutz im Unionsrecht I. Eigentumsschutz in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . .
1202
II. Die Grundrechte-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1206
III. Bilaterale Investitionsschutzverträge innerhalb der EU . . . . . . . . . . . .
1207
IV. Investitionsschutzverträge der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1210
Kapitel 4. Eigentumsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) I. Schutzbereich, Begriff des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1216
II. Eingriffe und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1217
Kapitel 5. Andere völkerrechtliche Regelungen zum Investitionsschutz I. Bilaterale Investitionsschutzverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1222
II. Allgemeines Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1258
III. Diplomatischer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1259
IV. Nichtanerkennung von Enteignungen im Ausland (sog. hot product actions) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1260
V. Multi- bzw. plurilaterale Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1261
VI. Praktische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1265
VII. Finanzierung von Investitionsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1265
Kapitel 6. Investitionsgarantien I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1266
II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1266
III. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1267
IV. Die Multilaterale Investitionsgarantieagentur (MIGA) . . . . . . . . . . . .
1267
Anhang: XVI
Online-Ressourcen zum Investitionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1268
Inhaltsübersicht
Teil K. Kooperations- und Gesellschaftsrecht
Seite
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1287
II. Europäisches Gesellschaftsrecht – EU und EWR, Verhältnis zur Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1289
III. Fremdenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1301
IV. Öffentliche Unternehmen und Staatsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . .
1303
Kapitel 2. Internationales Privatrecht der Unternehmensträger I. Anknüpfung der Kaufmanns- bzw. Unternehmereigenschaft . . . . . . .
1305
II. Anknüpfung spezifischer handelsrechtlicher Rechtsfragen . . . . . . . . .
1307
III. Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts: Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . .
1311
IV. Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts: Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . .
1313
V. Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1326
VI. Umfang des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1327
VII. Besonderheiten bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1344
VIII. Sonstige Kooperationsformen und Vermögensorganisationen . . . . . . .
1346
IX. Konzernkollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1350
X. Sitzverlegung, Strukturveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1358
XI. Enteignung: Auswirkungen hoheitlicher Zwangsmaßnahmen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1378
Kapitel 3. Vertrags- und Satzungsgestaltungen I. Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1385
II. Verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1531
III. Joint Ventures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1553
Kapitel 4. Unternehmenskauf I. Völker- und europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1566
II. Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1567
III. Einzelne Aspekte grenzüberschreitender Unternehmenskäufe . . . . . .
1575
Teil L. Börsen- und Kapitalmarktrecht Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1610
II. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1613
Kapitel 2. Grundlagen des internationalen Kapitalmarktrechts I. Internationales Kapitalmarktrecht zwischen Handels- und Marktordnungsrecht: Koordinationsrecht, Kooperationsrecht, Integrationsrecht
1626 XVII
Inhaltsübersicht Seite
II. Kapitalmarkt – Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1629
III. Nationale Rechtsquellen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1632
Kapitel 3. Unternehmensfinanzierung auf dem Kapitalmarkt – Emission von Finanzinstrumenten (Anleihen und Aktien) I. Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1635
II. Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1645
Kapitel 4. Wertpapierhandels- und Übernahmerecht I. Allgemeine zivilrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1650
II. Verwahrung und Verwaltung von Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1657
III. Geschäftsabwicklung – Clearing und Settlement . . . . . . . . . . . . . . . . .
1696
IV. Wertpapiersicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1711
V. Wertpapierleihe und Wertpapierpensions-/Repogeschäft . . . . . . . . . . .
1718
VI. Derivate – Finanzinnovationen – Anleihen: Vertragsrecht . . . . . . . . . .
1721
VII. Termingeschäfte und Optionsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1723
VIII. Allgemeiner Rahmen des Kapitalmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1726
IX. Wertpapiererwerbs- und Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1743
X. Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1753
Kapitel 5. Insiderhandel und Informationspflichten I. Relevante Kapitalmarktfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1755
II. Europäische Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1757
III. Der Insidertatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1758
IV. Insiderverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1772
V. Sanktionen und Meldepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1776
VI. Publizitäts- bzw Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1782
VII. Flankierende organisatorische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1790
Kapitel 6. Investmentgeschäfte I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1794
II. Europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1795
III. Umsetzung in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1804
IV. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1809
V. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1815
Teil M. Wettbewerbsrecht Kapitel 1. Das Kartellrecht im völker- und europarechtlichen Rahmen I. Begriff des Wettbewerbsrechts und Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .
1823
II. Völkerrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1824
XVIII
Inhaltsübersicht Seite
III. Europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1826
IV. Materiellrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1836
Kapitel 2. Subventionen und staatliche Beihilfen als Sonderfragen des Wettbewerbsrechts I. Einführung und Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1845
II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1846
III. Die Beihilfekriterien im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1847
IV. Mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfen . . . . . . . . . . . . . .
1850
Kapitel 3. Internationales Kartellprivatrecht I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1855
II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1856
III. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen als Verweisungsbegriff
1856
IV. Marktauswirkung als Anknüpfungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1856
V. Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1857
Kapitel 4. Internationales Wettbewerbsrecht (Lauterkeitsrecht) I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1857
II. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1858
III. Unlauterer Wettbewerb als Verweisungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1858
IV. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1859
V. Anknüpfung an den Marktort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1859
VI. Bilaterale Wettbewerbsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1860
VII. Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1861
Teil N. Arbeitsrecht Kapitel 1. Europarechtlicher Rahmen I. Grundfreiheiten des AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1866
II. Sekundäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1870
Kapitel 2. Arbeitsvertragsrecht I. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1879
II. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1897
III. Reichweite des Arbeitsvertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1903
IV. International zwingende Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1905
V. Individualrechtliche Fragen des Auslandseinsatzes von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1909
Kapitel 3. Betriebsverfassungsrecht I. Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1916 XIX
Inhaltsübersicht Seite
II. Betriebszugehörigkeit und „Ausstrahlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1918
III. Anwendung des inländischen Betriebsverfassungsrechts auf Auslandsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1925
IV. Inlandsbetriebe ausländischer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1929
Kapitel 4. Tarifvertragsrecht I. Tarifvertragsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1934
II. Der internationale Anwendungsbereich des Tarifvertrags . . . . . . . . . .
1937
Kapitel 5. Arbeitskampfrecht I. Relevante Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1942
II. Arbeitskampfstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1943
III. Durchbrechung des Arbeitskampfstatuts durch zwingendes Recht . . .
1946
IV. Modifizierung nationalen Sachrechts bei Arbeitskämpfen mit Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1946
Teil O. Internationales Insolvenzrecht Kapitel 1. Internationales Insolvenzrecht zwischen Territorialität und Universalität Kapitel 2. Die Koordinierung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren durch die Europäische Insolvenzverordnung I. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1954
II. Grundzüge der Europäischen Insolvenzverordnung . . . . . . . . . . . . . . .
1955
III. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1956
IV. Die internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1960
V. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1968
VI. Die Anerkennung ausländischer Insolvenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1970
VII. Die Abstimmung von Primär- und Sekundärverfahren . . . . . . . . . . . .
1973
VIII. Bekanntmachung und Insolvenzregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1981
IX. Die Insolvenz von Unternehmensgruppen unter der EuInsVO . . . . . .
1981
Kapitel 3. Deutsches Internationales Insolvenzrecht I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1984
II. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1985
III. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1985
IV. Anerkennung und öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . .
1985
V. Befugnisse und Pflichten des ausländischen Verwalters . . . . . . . . . . .
1986
VI. Forderungsanmeldung und Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1986
XX
Inhaltsübersicht Seite
Kapitel 4. Österreichisches Internationales Insolvenzrecht I. Grundzüge des österreichischen Internationalen Insolvenzrechts . . . .
1986
II. Österreichisches Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1986
III. Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . .
1987
Kapitel 5. Schweizerisches Internationales Insolvenzrecht I. Schweizerisches Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1988
II. Ausländische Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1988
Teil P. Streitbeilegung Kapitel 1. Internationales Zivilprozessrecht I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2012
II. Übersicht über die einschlägigen Rechtsquellen und deren gegenseitige Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2012
III. Die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte . . . . . . . .
2022
IV. Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2039
V. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen . . . .
2044
VI. Besondere Vorschriften für einzelne Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . .
2063
Kapitel 2. Schiedsgerichtsbarkeit I. UNCITRAL-Modellgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2097
II. UNCITRAL-Schiedsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2130
III. Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer (ICC) . .
2162
IV. Die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2193
V. Schieds- und Mediationsordnung des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreich (VIAC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2215
VI. Streitbeilegung im Rahmen der WIPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2244
VII. Streitbeilegung im Rahmen des ICSID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2270
VIII. Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2293
IX. Englisches Schiedsverfahrensgesetz von 1996 und der Londoner Internationale Schiedsgerichtshof (LCIA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2311
X. Schiedsgerichtsbarkeit in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2336
XI. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz . . . . . . . . . . . . .
2354
XII. Internationales Schiedsverfahren in Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2369
XIII. Streitbeilegung in den amerikanischen Freihandelszonen . . . . . . . . . .
2390
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2413 XXI
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen ABGB Abkommen ISchG Abkommen IW
AVG AVRAG AWG AWV
Österreich: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des Internationalen Scheckprivatrechts Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des Internationalen Wechselprivatrechts Asset-Backed Securities (Schuldverschreibungen) Antidumping and countervailing duty Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch Alternative Dispute Resolution American Depositary Receipts Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Deutschland: Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Schweiz: Bundesgesetz über die Anlagefonds Amtsgericht; Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen der Erste Bank der österreichischen Sparkassen Deutschland: Ausfuhrkreditgesellschaft mbH Deutschland/Österreich: Aktiengesetz Liechtenstein: Verordnung über das Amt für Kommunikation Lugano Übereinkommen i.d.F. von 1988 Deutschland: Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes Deutschland: Abgabenordnung Asia-Pacific Economic Cooperation Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit Deutschland: Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbitration international Arbitration Journal Österreich: Arbeitsverfassungsgesetz Association of Southeast Asian Nations Application Service Providing Deutschland: Gesetz zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung; Österreich: Arbeitskräfte-Überlassungsgesetz Deutschland: Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Zivil- und Handelssachen Österreich: Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Österreich: Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz Deutschland: Außenwirtschaftsgesetz Deutschland: Außenwirtschaftsverordnung
BAFA BaFin BAG BAKOM
Deutschland: Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Deutschland: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen Deutschland: Bundesarbeitsgericht Schweiz: Bundesamt für Kommunikation
ABS AD/CVD ADHGB ADR ADRs ADSp AEntG AEUV AFG AG AGB AGBEB AKA AktG AKV aLug AnSVG AO APEC APF ArbEG Arb. int. Arb. J. ArbVG ASEAN ASP AÜG AVAG
XXIII
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
Banca, borsa BayObLG BB BDSG BEG BEHG BEHV BEHV-EBK BEHV-FINMA BerDGesVR BetrVG BG/BGer BGB BGBl. BGE BGH BGHZ BKR BIS BIT BMWA BörseG BörsG BörsZulVO Brüssel Ia-VO
BV BWB BWG CA CBS CCP CDS CEDEAO CEIOPS CESR CIM CISG CIV
CLCIO CMI CML Rev. XXIV
Banca, borsa e titoli di credito Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Deutschland: Bundesdatenschutzgesetz Schweiz: Bundesgesetz über Bucheffekten Schweiz: Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel Schweiz: Verordnung über die Börsen und den Effektenhandel Schweiz: Verordnung der Eidgenössischen Bankenkommission Schweiz: Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über die Börsen und den Effektenhandel Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Deutschland: Betriebsverfassungsgesetz Schweiz: Bundesgericht Deutschland: Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Deutschland: Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Bilaterale Investitionsschutzabkommen Deutschland: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Österreich: Börsegesetz Deutschland: Börsengesetz Deutschland: Börsenzulassungsverordnung Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (s. auch EuGVO) Schweiz: Bundesverfassung Österreich: Bundeswettbewerbsbehörde Österreich: Bankwesengesetz Court of Appeal Committee of European Banking Supervisors Central Counter Party/Zentrale Gegenpartei Central Securities Depositary (Wertpapiersammelbank) Communauté économique des États de l’Afrique de l’Ouest Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors Committee of European Securities Regulators Convention internationale concernant le transport des merchandises par chemins de fer (Einheitliche Rechtsvorschriften über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern) United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods Convention international concernant le transport des voyageurs et des bagages par chemins de fer (Einheitliche Rechtsvorschriften über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck) Code of Liberalisation of Current Invisible Operations Comité Maritime International Common Market Law Review
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
CMR CoCom ComCom COTIF CWÜ D. Dalloz DAC DB DBA DepotG Dir. com. int. DIS DPMA DSB DSG DSU dt DVFA DVP DZWiR EAG EBC EBK EBRD ECAFE ECE UN ECHR ECOWAS ECV
EFFAS EFTA EG EGBGB EGMR EGV EGVVG
Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route (Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr) Coordinating Committee on Multilateral Exports Controls Schweiz: Eidgenössische Kommunikationskommission Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) Chemiewaffenübereinkommen Recueil Dalloz/Sirey Departmental Advisory Committee Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland: Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) Diritto del commercio internazionale Deutschland: Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit Deutschland: Deutsches Patent- und Markenamt Dispute Settlement Body (GATS-Streitbeilegungsorgan) Schweiz: Bundesgesetz über den Datenschutz (Datenschutzgesetz); Liechtenstein: Datenschutzgesetz Dispute Settlement Understanding (GATS-Streitbeilegungsverfahren) deutsches (-e, -er) Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management Delivery versus payment Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einheitliches Gesetz über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (Haager Kaufrechtsübereinkommen; s. auch EKG) European Banking Committee Schweiz: Eidgenössische Bankenkommission Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung Economic Commission for Asia and the Far East (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Asien und den Fernen Osten) Economic Commission for Europe European Court of Human Rights Economic Community of West African States Österreich: Verordnung über Grundsätze für die Informationsweitergabe in Unternehmen sowie betreffend organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung von Insiderinformationsmissbrauch für Emittenten European Federation of Financial Analysts European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Europäische Gemeinschaft Deutschland: Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (European Court of Justice) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Römische Verträge) Deutschland: Einführungsgesetzes zum Gesetz über den Versicherungsvertrag XXV
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
EinheitlSchG EinheitlWG EIOPC EKG EncPIL Enc. Public Int. L. EO EPA EPLA EPÜ ERA ERI ESC EStG ESZ ESZB EU EuG EuGH EuGFVO EuGVO/EuGVVO
EuGVÜ EuInsVO EuKPfVO
EuMahnVO Europa-Übereinkommen EuVTVO EuZW EVÜ EWHC (Ch) EWiR EWIV EWS XXVI
Genfer Abkommen über das Einheitliche Scheckgesetz Genfer Abkommen über das Einheitliche Wechselgesetz European Insurance and Occupational Pensions Committee Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (Haager Kaufrechts-Übereinkommen; s. auch EAG) Encyclopedia of Private International Law Encyclopedia of Public International Law Österreich/Liechtenstein: Gesetz über das Executions- und Sicherungsverfahren Europäisches Patentamt European Patent Litigation Agreement Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für DokumentenAkkreditive (Uniform Customs and Practices for Documentary Credits) Einheitliche Richtlinien für Inkassi European Securities Committee Deutschland: Einkommensteuergesetz Ergänzendes Schutzzertifikat Europäisches System der Zentralbanken Europäische Union Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften/Union Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 bzw. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (s. auch Brüssel Ia-VO) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüsseler Übereinkommen) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 über das Europäische Mahnverfahren vom 12.12.2006 Übereinkommen über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (Genfer Übereinkommen) Verordnung Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht High Court of England and Wales (Chancery Division) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
EWR EZB
Europäischen Wirtschaftsraum Europäische Zentralbank
FASB FBL FDL FDV FIATA
Financial Accounting Standard Board Combined Transport Bill of Lading Finanzdienstleistungen Schweiz: Fernmeldeverordnung Fédération Internationale des Associations de Transitaires et Assimilés Fédération Internationale des Ingenieur Conseils Deutschland: Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen über die Analyse von Finanzinstrumenten Schweiz: Finanzmarktinfrastrukturgesetz Schweiz: Finanzinfrastrukturverordnung Schweiz: Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Österreich: Finanzsicherheiten-Gesetz Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (EG-Fusionskontrollverordnung) Deutschland: Flaggenrechtsgesetz Österreich: Finanzmarktaufsicht Österreich: Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz Schweiz: Fernmeldegesetz Forward Rate Agreements
FIDIC FinAnV FinfraG FinfraVO FINMAG FinSG FKVO FlRG FMA FMABG FMG FRA GASP GATS GATT GeschmMG GesRZ GewStG GG GmbHG GmbHR GMVO GPL GPR GPÜ GRC GroMiKV GU GVG GVO GVTT GWB GWpÜ
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Deutschland: Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen Der Gesellschafter Deutschland: Gewerbesteuergesetz Deutschland: Grundgesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke General Public License Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gemeinschaftspatentübereinkommen Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrundrechteCharta von Nizza) Deutschland: Großkredit- und Millionenkredit-Verordnung Gemeinschaftsunternehmen Deutschland: Gerichtsverfassungsgesetz Gruppenfreistellungsverordnungen Verordnung (EG) Nr. 772/2004 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen Deutschland: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Genfer (UNIDROIT) Übereinkommen über materiellrechtliche Regeln für zentralverwahrte Wertpapiere vom 9.10.2009 XXVII
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
HABM HGB HG HGÜ HL HMA HP HR HVertrG HVG HV-Richtlinie HWpÜ
IAEO IAS IATA ICAO ICJ ICC ICLQ ICN ICSD ICSID IFRS IGE IGO ILM I.L.Pr. IMF IMO INCOTERMS InsO InvFG InvG IOSCO IPO IPRG IPRax IPRspr. ISDA ITC XXVIII
Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt Deutschland/Österreich: Handelsgesetzbuch Handelsgericht Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 House of Lords Haager Musterschutzabkommen Haager Protokoll zur Änderung des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (WA) Convention internationale pour l’unification de certaines règles en matière de connaissement (Haager Regeln) Österreich: Handelsvertretergesetz Österreich: Handelsvertretergesetz Richtlinie Nr. 64/224/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handlesvertreter Haager Übereinkommen über die auf bestimmte Rechte an zwischenverwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung vom 5.7.2006 Internationale Atomenergie-Organisation International Accounting Standards International Air Transport Association International Civil Aviation Organization International Court of Justice International Chamber of Commerce (Internationale Handelskammer) International and Comparative Law Quarterly International Competition Network International Central Securities Depositories (Internationale zentrale Wertpapierverwahrer) International Centre for Settlement of Investment Disputes International Reporting Standards Schweiz: Eidgenössisches Institut für geistiges Eigentum Intergouvernementale Organisation International Legal Materials International Litigation Procedure International Monetary Fund (Internationaler Währungsfond) International Maritime Organization International Commercial Terms Deutschland: Insolvenzordnung Österreich: Bundesgesetz über Kapitalanlagefonds (Investmentfondgesetz) Deutschland: Investmentgesetz International Organization of Securities Commissions Initial Public Offering Österreich/Schweiz/Liechtenstein: Gesetz über das Internationale Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts International Swaps and Derviatives Association International Trade Center
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
ITU IVersG IVersVG IVU-Richtlinie IWF IWF-Ü JBl. JN
JZ KAG KAGB KartG KfW KG KG KMG KO KOG KR KSchG KStG KWG LAG LCIA LG LGPL li LugÜ
LV MaH MAI MaK MaRisk MBS MDR MERCOSUR MIGA
International Telecommunications Union Liechtenstein: Gesetz über das Internationale Versicherungsvertragsrecht Österreich: Bundesgesetz über Internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung Internationaler Währungsfond Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds Juristische Blätter Österreich: Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm); Liechtenstein: Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen Juristenzeitung Schweiz: Kollektivanlagegesetz Deutschland: Kapitalanlagegesetzbuch Österreich: Kartellgesetz Deutschland: Kreditanstalt für Wiederaufbau Deutschland: Kammergericht Schweiz: Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Österreich: Kapitalmarktgesetz Österreich: Konkursordnung Österreich: KommAustria-Gesetz Schweiz: Kotierungsreglement Österreich: Konsumentenschutzgesetz Deutschland: Körperschaftsteuergesetz Deutschland: Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Deutschland: Landesarbeitsgericht London Court of International Arbitration Landgericht Lesser General Public License liechtensteinisches (-e, -er) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen i.d.F. vom 30.10.2007 (Lugano Übereinkommen; s. auch aLug) Verfassung des Fürstentums Liechtenstein Deutschland: Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften der Kreditinstitute Multilateral Agreement on Investments Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft Deutschland: Mindestanforderungen für das Risikomanagement Mortgage-Backed Securities Monatsschrift für Deutsches Recht Mercado Común del Sur Mulitlateral Investment Guarantee Agency XXIX
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
MKRiLi MLAT MMA MMP MOU MP MSchG MSchG MT MTC MTCR MTO MÜ MwG MWG
NAFTA NGO NJW NJW-RR NRB NSG NVV NZG NZI OECD OeKB ö ÖBA ÖJZ ÖNotZ OG OGAW OGer OGH OHADA OLG ÖPA OR XXX
Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken Mutual Legal Assistance Treaties Madrider Markenabkommen Protokoll zum Madrider Markenabkommen Memorandum/a of Understanding Protocols no. 1–4 to Amend the Convention for the Unification of Certain Rules Relating to the International Carriage bei Air (Montrealer Zusatzprotokoll) Österreich: Musterschutzgesetz Schweiz: Bundesgesetz über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Musterschutzgesetz) UN Convention on Multimodal Transport (UN-Übereinkommen über den internationalen multimodalen Durchfrachtverkehr) Multimodal Transport Carrier Missile Technology Control Regime Multimodal Transport Operator Übereinkommen über die Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen) Schweiz: Mitbestimmungsgesetz Liechtenstein: Gesetz über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungsgesetz) North American Free Trade Agreement Nichtgouvernementale Organisation Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport Deutschland: Nationale Regulierungsbehörde Nuclear Suppliers Group Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Organization for Economic Cooperation and Development Österreichische Kontrollbank Aktiengesellschaft österreichisches (-e, -er) Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen Österreichische Juristenzeitung Österreichische Notarzeitung Schweiz: Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Schweiz: Obergericht Österreich: Oberster Gerichtshof Organisation pour l’Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires Oberlandesgericht Österreich: Österreichisches Patentamt Schweiz: Obligationenrecht
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
OTC OTIF
Over the counter Organisation intergouvernementale pour les transports internationaux ferroviaires (Zwischenstaatliche Organisation für den Internationalen Eisenbahnverkehr)
PatG
Deutschland/Österreich: Patentgesetz; Schweiz: Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Patentgesetz) Patent Cooperation Treaty Liechtenstein: Personen- und Gesellschaftsrecht Niederlande: President der Rechtbank Place of relevant intermediary approach (Anknüpfung an den Ort des maßgeblichen Intermediärs) Pariser Verbandübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (Stockholmer Fassung)
PCT PGR Pres. Rb. PRIMA PVÜ RabelsZ RBÜ RdW Reg TP Rev. arb. Rev. crit. dr. int. priv. Rev. dr. unif. Riv. dir. int. priv. proc. RIW RL/RiLi Rom I-VO Rom II-VO RTR-GmbH RvW S.W.I.F.T. SADC SCC SchG SchiedsVZ schw SchwJZ SE SEAG SEEG SEG SEKO
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revidierte Berner Übereinkunft Österreichisches Recht der Wirtschaft Deutschland: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Revue de l’arbitrage Revue critique de droit international privé Revue de droit uniforme Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der internationalen Wirtschaft/Aussenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1975 ff.) Europäische Gemeinschaften/Europäische Union: Richtlinie Verordnung (EG) Nr. 593/2008 desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Ratesvom 11.7.2007 über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Österreich: Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH Rechtspraak van de Week Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication Southern African Development Community Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer Deutschland/Österreich/Liechtenstein: Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren schweizerisches (-e, -er) Schweizerische Juristenzeitung Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) Deutschland: Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/ 2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz). Deutschland: Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SE) Österreich: Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Gesetz) Schweiz: Staatssekretariat für Wirtschaft XXXI
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
SEVO SGB SJZ Slg. SPV SR StGG SZIER SZR SZW/RSDA TelG TKG TKK TLD TLT TRIMS TRIPS TTVO TVG ÜbG UCC UEV UIG UmwG UNCITRAL UNCTAD UNECE UNESCO UNIDROIT Unif. L. Rev. UNO UN-Übereinkommen UPOV URG UrhG US-GAAP UStG XXXII
Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft Deutschland: Sozialgesetzbuch Süddeutsche Juristenzeitung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes Special Purpose Vehicle (Zweckgesellschaft) Schweiz: Systematische Sammlung des Bundesrechts Österreich: Staatsgrundgesetz Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds Schweizerische Zeitung für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht Liechtenstein: Telekommunikationsgesetz Deutschland/Österreich: Telekommunikationsgesetz Österreich: Telekom-Control-Kommission Top Level Domain Trademark Law Treaty Agreement on Trade-Related Investment Measures (Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen) Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums) Verordnung (EG) Nr. 240/96 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen Deutschland: Tarifvertragsgesetz Österreich: Bundesgesetz betreffend Übernahmeangebote Uniform Commercial Code Schweiz: Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote Liechtenstein: Gesetz über Investmentunternehmen Deutschland: Umwandlungsgesetz United Nations Commission on International Trade Law United Nations Conference on Trade and Development United Nations Economic Commission for Europe United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Institut International pour l’Unification du Droit Privé (Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts) Uniform Law Review United Nations Organization (Vereinte Nationen) Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New Yorker Übereinkommen) Union pour la Protection des Obtentions Vegetales Schweiz: Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urhebergesetz) Deutschland: Urheberrechtsgesetz US-Generally Accepted Accounting Standards Deutschland: Umsatzsteuergesetz
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
UVEK UWG VbVG VerkProspG VerkProspVO VersR VN VO VV-E VVG VwGO VwVfG VwVG WA WA WAG WCT WEKO WG Wiener Regeln WIPO WLR WM WpAIV WPDLU WpHG WpPG WPPT WpÜG WR-Gutschrift WTO WUA WVÜ/WVK ZAG ZaöRV ZBB ZBJV ZEuP ZGB ZGR
Schweiz: Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Deutschland/Österreich/Schweiz/Liechtenstein: Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Österreich: Verbandsverantwortlichkeitsgesetz Deutschland: Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz Deutschland: Verordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte Versicherungsrecht Versicherungsnehmer Verordnung Vertrag über eine Verfassung für Europa Deutschland: Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz); Schweiz: Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag Deutschland: Verwaltungsgerichtsordnung Deutschland: Verwaltungsverfahrensgesetz Schweiz: Verwaltungsverfahrensgesetz Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Warschauer Abkommen) Wassenaar Arrangement Österreich: Wertpapieraufsichtsgesetz WIPO Copyright Treaty (WIPO-Urheberrechtsvertrag) Schweiz: Eidgenössischen Wettbewerbskommission Deutschland/Österreich/Liechtenstein: Wechselgesetz Österreich: Schieds- und Mediationsordnung des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreich World Intellectual Property Organization Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen Deutschland: Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierdienstleistungsunternehmen Deutschland: Gesetz über den Wertpapierhandel Deutschland: Wertpapierprospektgesetz WIPO Performances and Phonograms Treaty (WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger) Deutschland: Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Gutschrift in Wertpapierrechnung Welthandelsorganisation Welturheberrechtsabkommen Wiener Vertragsrechtsübereinkommen Zusatzabkommen von Guadalajara zum Warschauer Abkommen (WA) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Schweiz: Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht XXXIII
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurzformen
ZHR ZIP ZRvgl ZvglRW ZPO ZZPInt
XXXIV
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (bis 1982: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis) Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zivilprozessordnung Zeitschrift für Zivilprozess International
Allgemeine Literatur Adolphsen
Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. Berlin 2015 Amstutz/Mabillard Fusionsgesetz (FusG), Basel 2008 Apathy/Bydlinski/Dullinger/Eccher/Iro/ Bürgerliches Recht, in 8 Bänden, Wien Kerschner/Lurger/Melcher/Riedler 2013–2015 von Arnauld Völkerrecht, 2. Aufl. Heidelberg 2014 Droit international privé, 7. Aufl. Paris 2013 Audit/d’Avout Avancini/Iro/Koziol Österreichisches Bankvertragsrecht, Band I und II, Wien 2015 Baker & McKenzie (Hrsg.) Bamberger/Roth (Hrsg.) von Bar von Bar/Mankowski Bartl/Bartl/Fichtelmann/Koch/ Schlar/Schmitt Basedow/Hopt/Zimmermann Basedow/Kropholler Basler Kommentar Fusionsgesetz Basler Kommentar Internationales Privatecht (IPRG) Basler Kommentar Obligationenrecht Basler Kommentar Zivilgesetzbuch Baumbach/Hopt Baumbach/Hueck Benz van den Bergh/Camesasca Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht Bethlehem Böckli Bopp/Grolimund/Bachofner Bork Brand
Fusionsgesetz, 2. Aufl. Bern 2015 Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, 2 und 3, München 2012 (regelmäßige Online-Aktualisierung) Internationales Privatrecht Band 2, München 1991 Internationales Privatrecht Band 1, 2. Aufl. München 2003 GmbH-Recht, 7. Aufl. Heidelberg 2014 Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Tübingen 2009 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band I, Tübingen 1982 siehe bei Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker siehe bei Honsell/Vogt/Schnyder/Berti siehe bei Honsell/Vogt/Wiegand siehe bei Honsell/Vogt/Geiser Handelsgesetzbuch: HGB, 36. Aufl. München 2015 GmbHG, 20. Aufl. München 2013 Kurzkommentar OR, Art. 1–529, Basel 2014 European Law and Economics, A Comparative Perspective, 2001 s. unter Meier-Hayoz The Oxford Handbook of International Trade Law, Oxford 2009 Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. Zürich 2009 Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Fälle mit Lösungen, 2. Aufl. Zürich 2011 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Formularbuch zum europäischen und internationalen Zivilprozessrecht, München 2011 XXXV
Allgemeine Literatur
Breitenmoser/Husheer Brödermann/Rosengarten/Klingel Bucher (Hrsg.) Bucher Bucher/Bonomi Burgstaller Büter
Calliess/Ruffert Canaris Chaudet/Cherpillod/Landrove Claussen von der Crone Czernich/Heiss Dasser/Oberhammer Dauses Doralt/Nowotny/Kalss Druey/Druey Just/Glanzmann Duchek/Schwind Dutoit Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn Ehlers Erman
Fasching/Konecny Ferrari/Kieninger/Mankowski/ Otte/Saenger/Schulze/Staudinger XXXVI
Europarecht, 2. Aufl. Zürich 2002 Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 7. Aufl. München 2015 Droit international privé suisse – Convention de Lugano, Basel 2011 Internationales Privatrecht, 9. Aufl. Basel 2014 Droit international privé, 3. Aufl. Basel 2013 Internationales Zivilverfahrensrecht, 19. Aufl. Wien 2016 Außenhandel, Grundlagen internationaler Handelsbeziehungen, 3. Aufl. Wiesbaden 2013 EUV/AEUV, Kommentar, 4. Aufl. München 2011 Handelsrecht, 24. Aufl. München 2006 Droit suisse des affaires, 3. Aufl. Basel 2010 Bank- und Börsenrecht, 5. Aufl. München 2014 Aktienrecht, Bern 2014 EVÜ – Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen – Kommentar, Wien 1999 Kommentar zum Lugano-Übereinkommen (LugÜ), 2. Aufl. Bern 2011 Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, 39. Ergänzungslieferung, München 2016 Kommentar zum Aktiengesetz (2 Bände), 2. Aufl. Wien 2012 Gesellschafts- und Handelsrecht, 11. Aufl. Zürich 2015 Internationales Privatrecht, Wien 1979 Droit international privé suisse, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 5. Aufl. Basel 2016 Europäische Insolvenzverordnung, Wien 2002 HGB-Kommentar, 3. Aufl. Band 1, München 2014; Band 2, München 2015 Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl. Berlin 2015 Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Grunewald, 14. Aufl. Münster 2014 Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen, Band I, 3. Aufl. Wien 2013; übrige Bände: 2. Aufl. Wien 2011 Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. München 2012
Allgemeine Literatur
Fischer/Drenckhan/Gwelessiani/ Theus Simoni Flume Forstmoser/Meier-Hayoz Frenz Fucik/Klauser/Kloiber Furrer/Girsberger/Müller-Chen/ Schramm Gassner/Gassner/Hasenbach/Ess Gebauer/Teichmann (Hrsg.)
Gebauer/Wiedmann (Hrsg.) Geiger/Khan/Kotzur
Geimer Geimer/Schütze Geimer/Schütze Gernhuber Girsberger/Furrer/Galli Girsberger/Heini/Keller/Kren Kostkiewicz/Siehr/Vischer/Volken Glanegger/Kirnberger/Kusterer u.a. Goode/Kronke/McKendrick Goode/Kronke/McKendrick Grabitz/Hilf (Hrsg.) Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.) von der Groeben/Schwarze/Hatje
Handbuch Schweizer Aktienrecht, Basel 2014 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band I, 2. Aufl. Berlin 1983, Band II, 4. Aufl. Berlin 1992 Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. Bern 2012 Handbuch Europarecht, 6 Bände, Heidelberg 2007–2015, teilweise 1., teilweise 2. Aufl. Österreichisches und Europäisches Zivilprozessrecht, 12. Aufl. Wien 2015 Internationales Privatrecht, 3. Aufl. Basel 2016 Das Personen- und Gesellschaftsrecht des Fürstentums Liechtenstein, 7. Aufl. Schaan 2015 Europäisches Privat-und Unternehmensrecht, in: Enzyklopädie Europarecht, hrsg.von Hatje/Müller-Graff, Band 6, Baden-Baden 2016 Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. Stuttgart 2010 Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 5. Aufl. München 2010 Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. Köln 2015 Europäisches Zivilverfahrensrecht – Kommentar, 3. Aufl. München 2010 Internationaler Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen, Loseblatt Stand 2/2016, München Handbuch des Schuldrechts – Das Schuldverhältnis, Tübingen 1989 Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. Zürich 2011 Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. Zürich 2004 Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 7. Aufl. Heidelberg 2007 Transnational Commercial Law, 2. Aufl. Oxford 2012 Transnational Commercial Law – Text, Cases, and Materials, 2. Aufl. Oxford 2015 Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt Stand 1/2016, München Kommentar zur Europäischen Union, Loseblattsammlung, 46. Bearb. München 2011 Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. BadenBaden 2015 XXXVII
Allgemeine Literatur
Grolimund Grolimund/Schnyder/Mosimann Grunewald Gschnitzer Guhl Gutzwiller Hatje/Müller-Graff Hausmaninger/Gratzl/Justich Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch Hellner/Steuer (Hrsg.) Henssler/Strohn Herdegen Herdegen Herrmann/Weiß/Ohler Hess Hilf/Oeter (Hrsg.) Hirte Hirte/Mülbert/Roth
von Hoffmann/Thorn Honsell Honsell (Hrsg.) Honsell/Vogt/Geiser Honsell/Vogt/Schnyder/Berti Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Hopt (Hrsg.) Hopt/Wiedemann
XXXVIII
Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht der Europäischen Union in a nutshell, 2. Aufl. Zürich 2015 Private International Law in Switzerland, Zürich 2013 Gesellschaftsrecht, 9. Aufl. Tübingen 2014 Österreichisches Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Berlin 1986 Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. Zürich 2000 Der Geltungsbereich der Währungsvorschriften, Freiburg/Schweiz 1940 Enzyklopädie Europarecht, in 10 Bänden, Baden-Baden 2013–2016 Handbuch zur Aktiengesellschaft, Wien 2012 s. unter Glanegger/Kirnberger/Kusterer Bankrecht und Bankpraxis (BuB), Loseblatt Stand 2015, Köln Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. München 2014 Europarecht, 17. Aufl. München 2015 Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. München 2014 Welthandelsrecht, 2. Aufl. München 2007 Europäisches Zivilprozessrecht, Heidelberg 2010 WTO-Recht, 2. Aufl. Baden-Baden 2010 Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Aufl. Köln 2016 Großkommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. Berlin, erscheint in mehreren Bänden seit 2015; im Übrigen s. noch die Vorauflage unter Hopt/Wiedemann Internationales Privatrecht, 9. Aufl. München 2007 Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 9. Aufl. Bern 2012 Obligationenrecht, 1. Aufl. München 2014 Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I und II, 5. Aufl. Basel 2014/2015 Basler Kommentar Internationales Privatrecht (IPRG), 3. Aufl. Basel 2013 Basler Kommentar Obligationenrecht I, 6. Aufl. Basel 2015 Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. München 2013 Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. Berlin, in mehreren Bänden von 1992 bis 2004; zur Folgeauflage s. unter Hirte/Mülbert/Roth
Allgemeine Literatur
Horn
Hüffer/Koch
Europäisches Finanzmarktrecht – Entwicklungsstand und rechtspolitische Perspektiven, München 2003 Internationales Vertragsrecht, Wien 1999 The Law of International Trade, 2. Aufl. London 2002 Aktiengesetz, 12. Aufl. München 2016
Ipsen
Völkerrecht, 6. Aufl. München 2014
Jauernig
Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 16. Aufl. München 2015 Die Schuldverträge im Internationalen Privatrecht Liechtensteins, Schaan 2008 Das Recht der schweizerischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Bern 2015 Gesellschaftsrecht, Zürich 2016 Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. München 2015
Horn van Houtte
Jehle Jörg/Arter Jung/Kunz/Bärtschi Junker Kallmeyer Karrer/Arnold/Patocchi (Hrsg.) Kegel/Schurig Kehr/ Jahrmann Keller/Siehr Kilian/Wendt Kindler Kletecka/Schauer Knoepfler/Schweizer/Othenin-Girard Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels Koller/Kindler/Roth/Morck Kostkiewicz Kostkiewicz Koziol/Bydlinski/Bollenberger Koziol/Welser
Kren Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/ Fankhauser Kren Kostkiewicz Kropholler
Umwandlungsgesetz, 5. Aufl. Köln 2013 Switzerland’s private international law, 2. Aufl. Zürich 1994 Internationales Privatrecht, 9. Aufl. München 2004 Außenhandel, 14. Aufl. München 2015 Allgemeine Lehren des Internationalen Privatrechts, Zürich 1986 Europäisches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. Baden-Baden 2016 Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. München 2014 ABGB-ON – Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, Wien 2010 Droit international privé suisse, 3. Aufl. Bern 2004 IPR und Rechtsvergleichung, 4. Aufl. München 2010 Handelsgesetzbuch, 8. Aufl. München 2015 Grundriss des schweizerischen Internationalen Privatrechts, Bern 2012 IPRG LugÜ Kommentar, Zürich 2015 ABGB, 4. Aufl. Wien 2014 Grundriss des Bürgerlichen Rechts, Band II: Schuldrecht Allgemeiner Teil, Schuldrecht Besonderer Teil, Erbrecht, 14. Aufl. Wien 2015 ZGB, 2. Aufl. Zürich 2011 Kommentar IPRG/LugÜ, Zürich 2015 Internationales Einheitsrecht, Tübingen 1975 XXXIX
Allgemeine Literatur
Kropholler Kropholler/von Hein Kümpel/Wittig Langen/Bunte Langenbucher Larenz/Canaris Linke/Hau Lowenfeld Lutter Lutter/Hommelhoff Mähr Mänhardt/Posch Markus Martiny Marxer & Partner Rechtsanwälte Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.) Mayr Meier-Hayoz (Hrsg.) Michalski Müller-Graff (Hrsg.)
Münch/Passadelis/Lehne (Hrsg.) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
XL
Internationales Privatrecht, 6. Aufl. Tübingen 2006 Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. Frankfurt a.M. 2011 Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. Köln 2011 Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 12. Aufl. Köln 2014 Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2013 Lehrbuch des Schuldrechts Besonderer Teil 2. Halbband, 13. Aufl. München 1994 Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. Köln 2015 International Economic Law, 2. Aufl. Oxford 2008 Umwandlungsgesetz, 5. Aufl. Köln 2014 GmbH-Gesetz, 18. Aufl Köln 2012 Das internationale Zivilprozessrecht Liechtensteins, Schaan 2002 Internationales Privatrecht, 3. Aufl. Wien 2002 Internationales Zivilprozessrecht, Bern 2014 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/1 und III/2, Tübingen 1984 Liechtensteinisches Wirtschaftsrecht, Liechtenstein 2009 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, siehe bei Basedow/ Kropholler und Martiny Europäisches Zivilprozessrecht, Wien 2011 Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band VI 1. Teilband: Bern 1997; 2. Teilband: Bern 2012 GmbHG, 2. Aufl. München 2010 Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, Band 4 des Werkes Hatje/Müller-Graff (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Baden-Baden 2015 Handbuch Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht, Basel 2015 in 6 Bänden, 4. Aufl. München 2014 Band 5 2. Halbband, 4. Aufl. München 2015 Band 4, 6. Aufl. München 2012; Band 5: Schuldrecht, Besonderer Teil, 6. Aufl. München 2012; Band 10: Internationales Privatrecht I, 6. Aufl. München 2015; Band 11: Internationales Privatrecht II, 6. Aufl. München 2015
Allgemeine Literatur
Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch
Münchener Vertragshandbuch Nagel/Gottwald Nobel Nowotny/Fida Oetker Oetker (Hrsg.) Oetiker/Weibel Palandt Patocchi/Geisinger Perner/Spitzer/Kodek Petersmann/Pollack Pfenninger Posch Prütting/Wegen/Weinreich Ratka/Rauter/Völkl Rauscher Rauscher (Hrsg.) Reetz/Graber Reinisch (Hrsg.) Reithmann/Martiny Röhricht/Graf von Westphalen/Haas (Hrsg.) Roth
Band 5: Viertes Buch, Handelsgeschäfte, 3. Aufl. München 2013; Band 6: Bankvertragsrecht, 3. Aufl. München 2014; Band 7: §§ 407–619 Transportrecht, 3. Aufl. München 2014 6 Bände, 7. Aufl. 2011–2016 Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl. Köln 2013 Internationales und Transnationales Aktienrecht, Bern 2012 Kapitalgesellschaftsrecht, Umgründungsrecht, Übernahmerecht, 3. Aufl. Wien 2015 Handelsrecht, 7. Aufl. Berlin 2015 Kommentar zum Handelsgesetzbuch (HGB), 4. Aufl. München 2015 Basler Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 75. Aufl. München 2016 Internationales Privatrecht, Zürich 2000 Bürgerliches Recht, 4. Aufl. Wien 2014 Transatlantic Economic Disputes – The EU, the US, and the WTO, Oxford 2003 Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. Zürich 2012 Bürgerliches Recht, Band VII: Internationales Privatrecht, 5. Aufl. Wien 2010 Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 11. Aufl. München 2016 Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, in 2 Bänden, 2. Aufl. Wien 2013 Internationales Privatrecht mit internationalem Verfahrensrecht, 4. Aufl. Heidelberg 2012 Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. Köln, in mehreren Bänden seit 2015 Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Obligationenrecht, Allgemeine Bestimmungen, 2. Aufl. Zürich 2012 Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 5. Aufl. Wien 2013 Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. Köln 2015 Handelsgesetzbuch: HGB, 4. Aufl. Köln 2014 Die Beendigung mit Liquidation von Körperschaften des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts, Schaan 2001 XLI
Allgemeine Literatur
Roth/Altmeppen Rummel
GmbHG, 8. Aufl. München 2015 Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Band I und II, 4. Aufl. Wien 2015
Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.) Schack
s. unter Münchener Kommentar zum BGB
Schimanski/Bunte/Lwowski Schlosser/Hess Schmidt Schmidt Schmidt/Lutter Schmitt/Hörtnagl/Stratz Schnyder/Grolimund/Bolliger Schnyder Schnyder Schnyder (Hrsg.) Schnyder/Liatowitsch Scholz Schöbener/Herbst/Perkams Schönenberger/Jäggi
Schröter Schütze Schütze Schütze Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/ Kemper/Saenger/Schreiber/ Schulte-Nölke/Staudinger (Hrsg.) Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.) Schwander Schwarze
XLII
Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. München 2014 Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. München 2011 EU-Zivilprozessrecht, 4. erweiterte Aufl. München, 2015 Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. Köln 2002 Handelsrecht, 6. Aufl. Köln 2014 Aktiengesetz, 3. Aufl. Köln 2015 Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz: UmwG, UmwStG, 7. Aufl. München 2016 Tafeln zum Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. Zürich 2011 Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. Zürich 1990 Wirtschaftskollisionsrecht, Zürich 1990 Lugano-Übereinkommen, Zürich 2011 Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. Zürich 2011 GmbH-Gesetz, in 3 Bänden, 11. Aufl. Köln 2012–2015 Internationales Wirtschaftsrecht, München 2010 Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Band IV: Obligationenrecht, Teilband Ia: Allgemeine Einleitung, Vorb. Vor Art. 1 OR, Kommentar zu den Art. 1–17 OR, 3. Aufl. Zürich 1973 Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. München 2014 Das internationale Zivilprozessrecht in der ZPO, 2. Aufl. Berlin 2011 Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. Berlin 2005 Rechtsverfolgung im Ausland: Prozessführung vor ausländischen Gerichten und Schiedsgerichten, 5. Aufl. Berlin 2016 Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch, 8. Aufl. Baden-Baden 2014 Europarecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2015 Einführung in das Internationale Privatrecht, Band I, 3. Aufl. St. Gallen 2000; Band II, 2. Aufl. St. Gallen 1998 EU-Kommentar, 3. Aufl. Baden-Baden 2012
Allgemeine Literatur
Schwärzler/Wagner Schwedhelm Schwenzer Schwimann (Hrsg.) Schwimann Seidl-Hohenveldern/Stein Siehr Siffert/Fischer/Petrin Simons/Hausmann (Hrsg.) Soergel
Spühler/Meyer Spühler/Rodriguez Staub Staudinger
Stein/von Buttlar Stoll/Schorkopf Straube Straube Streinz (Hrsg.) Süss/Wachter Sutter-Somm Tades/Hopf/Kathrein/Stabentheiner Thürer Tietje (Hrsg.) Torggler Truninger Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo
Verantwortlichkeit im liechtensteinischen Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. Zürich 2012 Die Unternehmensumwandlung, 7. Aufl. Köln 2012 Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. Bern 2012 Praxiskommentar zum ABGB, 4. Aufl. Wien, in mehreren Bänden seit 2011, teilweise noch Vorauflage Internationales Privatrecht einschließlich Europarecht, 3. Aufl. Wien 2001 Völkerrecht, 10. Aufl. Köln, Berlin 2000 Das Internationale Privatrecht der Schweiz, Zürich 2002 GmbH-Recht, Bern 2007 Unalex Kommentar Brüssel Ia-VO, 1. Aufl. München, 2012/2013 Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengestzen, 13. Aufl. Stuttgart, erscheint in mehreren Bänden seit 2000; teilweise noch Vorauflage Einführung ins internationale Zivilprozessrecht, Zürich 2001 Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. Zürich 2013 Handelsgesetzbuch, Berlin, erscheint in einzelnen Bänden je nach Aktualisierungsbedarf Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Berlin, erscheint in einzelnen Bänden je nach Aktualisierungsbedarf Völkerrecht, 13. Aufl. Köln u.a. 2012 WTO – Welthandelsordnung, Köln 2002 Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. Wien 2003 Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch, 3. Aufl. Wien 2012 Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 2. Aufl. München 2012 Handbuch des internationalen GmbHRechts, 2. Aufl. Bonn 2011 ZGB Zivilgesetzbuch, 28. Aufl. Zürich 2016 ABGB, 37. Aufl. Wien 2009 Völkerrecht, 3. Aufl. Zürich 2007 Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. Berlin 2015 Unternehmensgesetzbuch, 2. Aufl. Wien 2016 Internationales Privatrecht, Basel 2011 ZGB, 14. Aufl. Zürich 2015 XLIII
Allgemeine Literatur
Ulmer/Brandner/Hensen Ulmer/Habersack/Löbbe
AGB-Recht, 12. Aufl. Köln 2016 GmbHG, in 3 Bänden, 2. Aufl. Tübingen 2013–2016
Verdross/Simma
Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984 Internationales Privatrecht, Wien 2012 Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. Bern 2000 Völkerrecht, 6. Aufl. Berlin 2013 Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts in der Schweiz, 8. Aufl. Bern 2005
Verschraegen Vischer/Huber/Oser Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.) Vogel/Spühler
Walter/Domej Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker Weick/Basse Welser/Zöchling-Jud Wibmer Wolf/Horn/Lindacher/Pfeiffer Wolf/Neuner Zankl Zib/Dellinger Ziegler von Ziegler/Montanaro Zöllner/Noack Zuberbühler/Fischer/ Drenckhan/Gwelessiani/ Theus Simoni Zürcher Kommentar zum IPRG Zürcher Kommentar zum OR Zweigert/Kötz
XLIV
Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 5. Aufl. Bern 2012 Fusionsgesetz, 2. Aufl. Basel 2015 Recht des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, Berlin 2013 Grundriss des bürgerlichen Rechts, 14. Aufl. Wien 2015 Aktienrecht Kommentar, Zürich 2016 AGB-Recht Kommentar, 6. Aufl. München 2013 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 10. Aufl. München 2012 Bürgerliches Recht, 7. Aufl. Wien 2015 UGB Großkommentar, in 4 Bänden, Wien 2010–2015 Einführung in das Völkerrecht, 3. Aufl. Bern 2015 Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. Zürich 2012 Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. Köln, erscheint in mehreren Bänden seit 2004 Handbuch Schweizer Aktienrecht, Basel 2014 siehe bei Girsberger/Heini/Keller/Kren Kostkiewicz/Siehr/Vischer/Volken Band V, Obligationenrecht, Zürich, erscheint in einzelnen Teilbänden je nach Aktualisierungsbedarf Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 3. Aufl. Tübingen 1996
Teil A. Einführung I. Rechtsquellen und beteiligte Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rolle der internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . 1. Völkerrechtlicher und regulatorischer Rahmen . . . . . . . . . . 2. Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht – weltweit . . . . . 3. Spezialorganisationen Transportrecht . . . . . . . . . . . . . . 4. Spezialorganisationen mit Tätigkeit im Kreditsicherungsund Insolvenzrecht . . . . . . . . 5. Spezialorganisation für das Recht des Geistigen Eigentums 6. Regionale Organisationen . . .
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7. Nichtgouvernementale Organisationen . . . . . . . . . . III. Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration – Freihandelszonen – Zollunionen . . . . . . IV. Insbesondere: Die Freihandelszonen in Nord- und Südamerika . 1. Die NAFTA . . . . . . . . . . . . 2. Der MERCOSUR . . . . . . . . . 3. Die Andengemeinschaft . . . . . V. Internationales Wirtschaftsrecht: Rezeptivität und Expansionstendenz eines Rechtsgebiets . . . . . . 1. Umweltrecht und Artenschutz 2. Kulturgüterschutz . . . . . . . . 3. Expansionstendenz . . . . . . . .
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Literatur: Allgemein: Klaus Peter Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des internationalen Wirtschaftsrechts, 1996; Bonell, Le regole oggettive del commercio internazionale, 1976; de Ly, International Business Law and the Lex Mercatoria, 1992; Grossmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, 1933; Urs Peter Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004; Grundmann, Law merchant als lex lata Communitatis – insbesondere die Unidroit-Principles, in Festschrift Rolland, 1999, S. 145; Kessedjian, Codification du droit commercial international et droit commercial privé: De la gouvernance normative pour les relations économiques transnationales, Rec. des Cours 300 (2002), 79; Kronke, Transnational Commercial Law and Conflict of Laws: Institutional Co-operation and Substantive Complementarity, Rec. des Cours 369 (213) 9; Lagarde, Approche critique de la lex mercatoria, Mélanges B. Goldman, Paris 1982, S. 151; Langen, Transnationales Recht, 1981; Salacuse, The Law of Investment Treaties, Oxford University Press, 2010; Schmitthoff, The Law of Export Trade, 7th ed., London 1980; Seidl-Hohenveldern, International Economic „Soft Law“, Rec. des Cours 163 (1979-II), 169; Thürer, Soft Law, Enc. Publ. Int. L. IV (2000), 452; v. Ziegler, Particularities of the Harmonisation and Unification of International Law of Trade and Commerce, in Liber Amicorum Siehr, The Hague 2000, S. 875; Wool, The Case for a Commercial Orientation to the Proposed UNIDROIT Convention as Applied to Aircraft Equipment, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 1999, 289. Internationale Organisationen: David, The International Institute for the Unification of Private Law, Int. Enc. Comp. L. III, ch. 5, 1971; Diez de Velasco Vallejo, Las Organizaciones Internacionales, 15. Aufl. 2008; Fontaine, Le projet d’Acte uniforme OHADA sur les contrats et les Principes d’UNIDROIT relatifs aux contracts du commerce international, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 253; Kronke, Ziele – Methoden, Kosten – Nutzen: Perspektiven der Privatrechtsvereinheitlichung nach 75 Jahren UNIDROIT, JZ 2001, 1149. Regionale ökonomische Integration, Freihandelszonen, Zollunionen: Audley/Papademetriou/Polaski/Vaughan, NAFTA‘s Promise and Reality. Lessons from Mexico for the Hemisphere, Carnegie Endowment for International Peace, Washington, DC, 2004, http://carnegieendowment.org/files/ nafta1.pdf; Basedow/Samtleben (Hrsg.), Wirtschaftsrecht des MERCOSUR – Horizont 2000, Tagung im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht am 21.–22.1.2000; Bizzozero, El MERCOSUR y los diez años de Ouro Preto – Hacia una nueva estructura institucional del bloque, La Onda digital, Primera revista electrónica de reflexión y análisis, Uruguay, 207/12.10.–18.10.2004, http://www.laondadigital.uy/LaOnda/201-300/207/A1.htm; Borba Casella, Contratos Internacionais e Direito Econômico no MERCOSUL, São Paulo 1996; Burgos Pérez, Auslandsdirektinvestitionen im Rahmen von NAFTA und ihre Deregulierung in der nationalen Gesetzgebung als neue Entwicklungsstrategie Mexikos, Dissertation, Konstanz, 1996; A. Dreyzin de Klor (coord.), Temas de Derecho de la Integración, Derecho Internacional Privado, Córdoba 1998; Dromi/ Ekmekdjian/Rivera, Derecho Comunitario – Regimen del Mercosur, Buenos Aires 1995; Escher, Zum Investitionsrecht nach dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), IPRax 2000, 548; Fernández Arroyo (coord.), Derecho internacional privado de los estados del MERCO-
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Teil A
Einführung
SUR, Buenos Aires 2003; Gagné, The Investor-State Provisions in the Aborted MAI and in NAFTA, The Journal of World Investment, Vol. 2 No. 3, 2001, 481; González, The North American Free Trade Agreement, The International Lawyer 1996, 345; Hernández-Bretón, Internationale Handelsverträge im Lichte der Interamerikanischen Konvention von Mexiko über das auf internationale Verträge anwendbare Recht, IPRax 1998, 378; Hufbauer/Schott, Commentary: The Prospects for Deeper North American Economic Integration: A US Perspective; C.D. Howe Institute January 2004, http://www.iie.com/publications/papers/hufbauer0104.pdf; Hufbauer/Vega-Cánovas, Whither Nafta: A Common Frontier? In: The Rebordering of North America? Integration and Exclusion in a New Security Context, Peter Andreas und Thomas J. Biersteker (Hrsg.), Routledge, November 2003, http://www.iie.com/publications/papers/hufbauer1202.pdf, eingesehen am 10.8.2015; Johnson, L’OHADA et la modernisation du droit des affaires en Afrique, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2003, 71; Kleinheisterkamp/Lorenzo, Avances del Derecho Internacional Privado en América Latina, Liber amicorum Jürgen Samtleben, Montevideo 2002; Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, Dissertation Heidelberg 2013; Lavranos, An Introduction into the Regional Economic Integration Process of the Americas, Zeus 2001, 127, http://digitalarchive.maastrichtuni versity.nl/fedora/get/guid:1f5e795a-1962-4f0e-9bcb-fac629b812f1/ASSET1; Lawan Thanadsillapakul, The Harmonisation of ASEAN Competition Laws and Policy and Economic Integration, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 479; Marwege/Samtleben, Wirtschaftliche Integration und gewerbliche Schutzrechte in der Rechtsprechung des Andengerichtshofes, GRUR Int. 1993, 279; Max-Planck-Institut für ausl. und intern. Privatrecht, Rechtsquellen des MERCOSUR. Spanischer Text und deutsche Übersetzung der wichtigsten Verträge und Rechtsakte, Teilband I und II, Baden-Baden 2000; Holger Müller, Die Lösung von Streitigkeiten in der NAFTA insbesondere durch Schiedsverfahren, Dissertation Münster, 1999; Oschmann, Das Investitionsrecht des NAFTA-Abkommens – Mexikos Kehrtwende im Recht der Auslandsinvestitionen, ZvglRWiss 96, 242; Porta/Hebler/Kösters, Mercosur: Probleme auf dem Weg zu einer Zollunion, Arbeitshefte des Lateinamerika-Zentrums der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Nr. 69 (2001), 1, http://www.ruhr-uni-bochum.de/iew/ download/publikationen/DB_33.pdf; Rüland, Defending State-Centric Regionalism through Mimicry and Localization: Regional Parliamentary Bodies in the Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) and Mercosur, Vortrag in der IPSA-ECPR Konferenz zu „Whatever happened to North-South?“ 2011 in Sao Paulo, http://paperroom.ipsa.org/papers/paper_26191.pdf; Sagasser/Kau, Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, RIW 1993, 573; Salomao Filho/Samtleben, Der Südamerikanische Gemeinsame Markt, WM 1992, 1385; Samtleben, Das Recht des Mercosur – wichtig für Europa?, EuZW 1998, 65; Samtleben, Der Südamerikanische Gemeinsame Markt (MERCOSUR) und seine neue Verfassung, WM 1996, 1997; Samtleben, Versuch über die Konvention von Mexiko über das auf internationale Schuldverträge anwendbare Recht, IPRax 1998, 385; Schalatek, Die Fehlkalkulation der Liberalisierungsbefürworter: NAFTAs defizitäre 10-Jahres-Bilanz – kein Modell für ALCA, Heinrich-Böll-Stiftung, 2004; Senti, NAFTA: Die Nordamerikanische Freihandelszone, 1996; UNIDROIT, Worldwide Harmonisation of Private Law and Regional Economic Integration, Acts of the Congress to Celebrate the 75th Anniversary of the Founding of the International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT), Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2003, 1; Uzal, El MERCOSUR en el camino de la integración, Buenos Aires 1998; Wehner, Der Mercosur: Rechtsfragen und Funktionsfähigkeit eines neuartigen Integrationsprojektes und die Erfolgsaussichten der interregionalen Kooperation mit der Europäischen Union, 1999; Weiler (Hrsg.), NAFTA Investment Law and Arbitration: Past Issues, Current Practice, Future Prospects, New York 2004; Woischnik, „Hacia el Parlamento del MERCOSUR – Una Recopilación de Documentos“, hrsg. von Fundación Konrad Adenauer und Comisión Parlamentaria Conjunta del MERCOSUR, Uruguay, 2004, http://www.science spo.fr/opalc/sites/sciencespo.fr.opalc/files/Hacia%20el%20Parlamento%20del%20Mercosur.pdf; Woischnik, Institutionelle Konsolidierung im MERCOSUR – neuer Präsident, neues Gericht, neues Sekretariat, Auslandsinfo der Konrad-Adenauer-Stiftung 1/2004, 82–96, http://www.kas.de/ wf/doc/kas_4077-544-1-30.pdf?040212132759. Internetportale regionaler Verbünde: Andengemeinschaft: http://www.comunidadandina.org; MERCOSUR: http://www.mercosur.int; NAFTA: http://www.naftanow.org; Organisation Amerikanischer Staaten (Internetportal des Sistema de Información sobre Comercio Exterior) http://www. sice.oas.org/default_s.asp. Internationales Wirtschaftsrecht und Umweltschutz: Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, Oxford 2011; Halfmeier, Menschenrechte und Internationales Privatrecht im Kontext der Globalisierung, RabelsZ 68 (2004), 653; Kunig/Lang/Lagoni/Dolzer/Kreuzer/Schack, Umweltschutz im Völkerrecht und Kollisionsrecht, BerDGesVR 32, 1992; Proelß, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, S. 351; Schoenbaum, International Trade and Protection of the Environment: The Continuing Search for Reconciliation, Am. J. Int. L. 91 (1997), 268. Internationales Wirtschaftsrecht und Kulturgüterschutz: Briat/Freedberg, Legal Aspects of International Trade in Art, The Hague 1996; Dolzer, Wirtschaft und Kultur, in Graf Vitzthum/Proelß
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Einführung
Rz. 2 Teil A
(Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, S. 439; Internationaler Kulturgütertransfer – UNESCO-Konvention 1970 und Unidroit-Konvention 1995, Bericht der Arbeitsgruppe, Bundesamt für Kultur, Bern 1998; Jayme, Archäologie und Internationales Privatrecht, IPRax 1996, 66; Merryman, The UNIDROIT Convention: Three Significant Departures from the Urtext, Int. J. Cultural Prop. 5 (1996), 11; v. Preuschen, Kulturgutsicherungsgesetz und EG-Recht, EuZW 1999, 40; Reichelt (Hrsg.), Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, Wien 1997; Schack, Kunst und Recht, Köln 2004; Siehr, Handel mit Kulturgütern in der EWG, NJW 1993, 2206; Siehr, International Art Trade and the Law, Rec. des Cours 243 (1993), 9.
I. Rechtsquellen und beteiligte Subjekte Das internationale Wirtschaftsrecht wird, je nach den für die Einzelfrage relevanten Subjekten, aus äußerst heterogenen Quellen gespeist. Soweit es um die Staaten und die intergouvernementalen Organisationen geht, steht das Recht, welches Erstere durch bi- oder multilaterale Übereinkommen (bindende Staatsverträge) unter sich (häufig im Rahmen Letzterer) und mit Geltung für ihre Staatsangehörigen, Gebietsansässigen usw. schaffen, im Zentrum des Interesses. Als Beispiele seien nur genannt das WTO-Übereinkommen von 19941, das UN-Kaufrecht (CISG) von 1980 (vgl. Teil B Rz. 163 ff.) und das Warschauer Abkommen zum Lufttransportrecht von 1929/1955 bzw. sukzessive und nach Maßgabe des jeweiligen Ratifikationsstandes das an seine Stelle tretende Montrealer Abkommen von 1999 (vgl. Teil E Rz. 201 ff.). Neben dem Völkervertragsrecht kann freilich auch Völkergewohnheitsrecht, welches durch das Verhalten von Völkerrechtssubjekten erzeugt wird, das Handeln der Marktakteure, vor allem aber das (legislatorische und exekutive) Handeln der Staaten bestimmen. Man denke an die Steuerhoheit oder das Währungsrecht, aber auch das Erfordernis eines reasonable link für die Rechtsetzungsbefugnis (vgl. z.B. Teil L Rz. 1, 37 f.). Schließlich gibt es – bereits aus völkerrechtlicher Perspektive (zum Handelsrecht nachfolgend Rz. 3) – soft law2 (noch nicht zu Gewohnheitsrecht gewordene Praxis, Resolutionen der Staatenversammlungen, z.B. in der UNO, aber auch anderen Organisationen, Verhaltenskodizes, vgl. Teil K Rz. 2, usw.), welches Wirkung allenfalls in Funktion seiner sachlichen Überzeugungskraft und seiner Sintonie mit politisch dominanten Strömungen entfaltet.
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So wie man heute im nationalen Kontext Wirtschaftsrecht nicht mehr allein als „öffentliches“ Recht versteht, sondern als das für die Marktakteure maßgebliche Recht generell (also insbesondere auch das Handelsrecht), so empfiehlt es sich auch international, eine funktionale und damit weite Perspektive einzunehmen. Maßgeblich können sowohl Normen transaktionsrechtlicher als auch solche regulatorischer, marktordnender Art sein. Letztere sind überwiegend Ausdruck grundsätzlicher Ordnungsvorstellungen (klassisch das Kartellrecht, Teil M; in neuerer Zeit z.B. das den Finanzdienstleistungen und Kapitalmarkttransaktionen gewidmete Aufsichtsrecht, Teil L). Gelegentlich und situationsgebunden können aber auch – etwa von einem Staat, der EU oder der UNO beschlossene – Embargos und sonstige Wirtschaftssanktionen statuierende Normen Beachtung verlangen3. Die Beratungspraxis muss auf dergleichen vorbereiten. Ggf. haben nationale und supranationale ordentliche und Schiedsgerichte über die Durchsetzung derartiger
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1 BGBl. 1994 II, 1625; Abl. EG Nr. L 336 v. 23.12.1994, S. 3. 2 Thürer, Enc. Publ. Int. L. IV, 452–460; Nowrot in Tietje Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rz. 77 ff.; Reinisch ebd., § 8 Rz. 21 ff.; Seidl-Hohenveldern, International Economic „Soft Law“, Rec. des Cours 163 (1979), 169. 3 Beispiele sind die Russland betreffenden Maßnahmen der EU (VO 692/2014 v. 23.6.2014, VO 1351/2014 v. 18.12.2014; VO 833/2014 v. 31.7.2014; VO 960/2014 v. 8.9.2014; VO 1290/2014 v. 4.12.2014) oder der USA (Executive Orders 13660 v. 10.3.2014, 13662 v. 20.3.2014 und 13685 v. 19.12.2014) in Beantwortung der Besetzung der Ukraine sowie die im Zusammenhang vermuteter Bestrebungen Irans, Atomwaffen zu erlangen, vor Jahren erlassenen (und soeben aufgehobenen) Sanktionen gegen den Iran.
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Kronke 3
Teil A Rz. 3
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hoheitlicher Befehle zu befinden1. Ebenso mag eine Haftung des legeferierenden Staates für Folgen des Eingriffs in die privatrechtliche Transaktion in Betracht kommen2. 3
Unter dem Begriff soft law fasst man, soweit privatrechtlichen Inhalts, zusammen einige aus einer Reihe von Regelwerkstypen und sonstigen Dokumenten, die sowohl von intergouvernementalen Organisationen (IGOs) als auch von nichtgouvernementalen Organisationen (NGOs) entwickelt und dann den Unternehmen als den Subjekten des internationalen Handelsverkehrs zur rechtlichen Gestaltung ihrer Transaktionen zur Verfügung gestellt werden. Zu nennen sind: – Modellgesetze (z.B. das UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1985, Teil P Rz. 228 ff. oder die UNIDROIT-Modellgesetze über vertragliche Aufklärungspflichten im Franchising von 2002, Teil G Rz. 168 und zum Leasing von 2008, Teil H Rz. 126). Sie richten sich zwar in erster Linie an Staaten, die – unter Ausnutzung von Wahlmöglichkeiten im Detail – etwa vorhandenes Recht auf der Grundlage des in dem Modellgesetz ausgedrückten internationalen Standards modernisieren oder auch in ihrer Gesetzgebung bestehende Lücken schließen. Doch kommt es nicht selten vor, dass die privaten Akteure, also die Wirtschaftsverbände und Unternehmen, sich ihrer für die eigene Vertragspraxis bedienen. – Grundregeln oder Restatements (im internationalen Handelsvertragsrecht am wichtigsten die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 20103). Destinatäre und Verwender4 sind sowohl Staaten, welche sie vielfach wie Modellgesetze einsetzen, als auch Verbände und Unternehmen, die sie zur Grundlage ihrer Standardverträge5 nehmen oder schlicht auf sie verweisen, wie schließlich und vor allem die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit6, welche sie zur Erfüllung
1 Klassisches Beispiel ist die Entscheidung Pres. Rb. Den Haag 17.9.1982, RvW/Kort Geding 1982, Nr. 167 besprochen von de Boer/Kotting, IPRax 1984, 108; Basedow, RabelsZ 47 (1983) 141. Interessant auch Bosphorus Hava Yollari (BHY) v. Ireland, ECHR, Grand Chamber, 30.6.2005, 45 ILM 133 (2006). Das Gericht oder Schiedsgericht wird etwa durch Art. 9 Rom I-VO oder Art. 18, 19 schw. IPRG auf die Sanktionsnorm gestoßen. 2 Vgl. BGH v. 27.1.1994 – III ZR 42/92, BGHZ 125, 27 = JZ 1994, 725 m. Anm. Herdegen. 3 UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, Rome 2010. Auch in deutscher Sprache erhältlich die Vorgänger-Ausgabe UNIDROIT Grundregeln der internationalen Handelsverträge, Rom 1994; zur Ausgabe 2004 Brödermann, RIW 2004, 721, sowie eine Sonderausgabe des ICC International Court of Arbitration Bulletin mit Beiträgen von Briner, Kronke, Reynolds, K. P. Berger, Chr. Ramberg, G. von Mehren, Bortolotti, Jolivet, Bernardini (2005); grundlegend Bonell, An International Restatement of Contract Law, 3rd ed. 2004; aus dem unübersehbaren Schrifttum allein deutscher Titel vgl. nur Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, 1996; Basedow in FS Drobnig, 1998, S. 19; Drobnig in FS Max-Planck-Institut, 2001, S. 745. Die häufig ähnlichen Principles of European Contract Law, Parts I-II, 2000, herausgegeben von Lando/Beale unterscheiden sich in vier Hinsichten: sie sind nicht von einer intergouvernementalen Organisation, sondern einem privaten Expertenkreis ausgearbeitet; sie beziehen auch Verbraucherverträge ein; sie sind nach Wurzeln und Perspektive lediglich europäisch; sie wollen Grundlage einer zukünftigen Kodifikation sein. 4 Vgl. dazu die Präambel der Principles. Im Schrittum sind hervorzuheben A. Metzger, Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, 2009, und I. Rueda, Incidence des règles d’Unidroit sur le droit des contrats en Europe, Issy-les-Moulineaux 2015. 5 Vgl. die Modellverträge der Internationalen Handelskammer (ICC) und des International Trade Centre (ITC) unten Rz. 5. 6 Die vollständigste, analytisch voll erschlossene Dokumentation veröffentlichter Schiedssprüche findet sich in der Datenbank UNILEX www.unilex.info. Diskussion der Funktionen etwa in UNIDROIT Principles of International Commerce Contracts – Reflections on their Use in International Arbitration, Special Supplement, ICC International Court of Arbitration Bulletin (2002) mit Beiträgen von Kronke, Derains, Farnsworth, Bonell, Dessemontet, Böckstiegel, Crawford/ Sinclair, Lalive, Lew, Fontaine, Raeschke-Kessler, Mayer und Grigera Naón.
4 | Kronke
Einführung
Rz. 5 Teil A
unterschiedlichster Funktionen einschließlich jener eines Vertragsstatuts1 heranzieht. – Guides, welche wiederum – je nach Destinatär – in die Gruppe der legislative guides und der best practice guides untergliedert werden können. Beispiel für Erstere ist der UNCITRAL Legislative Guide on Secured Transactions von 2007, Beispiel für letztere Gattung sind best practices für außergerichtliche Sanierungen, enthalten in dem von INSOL herausgegebenen Statement of Principles for a Global Approach to Multi-Creditor Workouts aus dem Jahre 2000. Beispiel für ein mehrere Destinatärkreise ansprechendes Kompendium ist der UNIDROIT Guide to International Master Franchise Arrangements von 1998. Unter den von nichtgouvernementalen Organisationen entwickelten Regelwerken (Formularrecht, „selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft“) ragen jene der Internationalen Handelskammer (ICC) heraus. Im Bereich des internationalen Kaufs sind dies die INCOTERMS, zuletzt die Ausgabe von 20102, welche treffend als „kodifizierte Usancen“3 charakterisiert worden sind (vgl. näher Teil B Rz. 391 ff.). Während einer gewissen Umbruchperiode schien manchen das Ende des Staatsvertrages als wesentliche Quelle für die Regelung transnationaler Sachverhalte (jenseits der Fälle, in denen vom IPR berufenes autonomes nationales Sachrecht Maß gibt) gekommen. Andere wollten deutliche Schwächeerscheinungen bei der Ausarbeitung und den Umsetzungsaussichten bindender Staatsverträge nicht wahrhaben. Inzwischen sind Glaubensbekentnisse in die eine oder andere Richtung nicht mehr gefragt. Die Regierungen und intergouvernementalen Organisationen haben ein Gespür dafür entwickelt, wann welcher Instrumentstyp erfolgversprechend oder gar allein vorstellbar und deshalb zwingend zu wählen ist4. Statt abstrakter Sympathiebekundungen für hard oder soft law steht heute zunehmend die Definition des legislatorischen Ziels sowie die Wahl der Methode im Vordergrund des Interesses5.
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Nicht mehr unter den Begriff der „Rechts“-quellen im weiten Sinne subsumierbar sind Modell- oder Standardverträge. Ausgearbeitet sowohl unter der Ägide von intergouvernementalen Organisationen – wie der UNCTAD/WTO-Tochter International Trade Centre (ITC)6 – als auch im Rahmen privater Dachorganisationen der Wirtschaft – wie der Internationalen Handelskammer (ICC) – haben sie einen zwar nicht messbaren, aber möglicherweise nicht unerheblichen Einfluss auf die Praxis der Vertragsgestaltung, und zwar vor allem in Ländern, Branchen und Unternehmensklassen, in denen aufwendiger Rechtsrat nicht zur Verfügung steht oder aus Kostengründen nicht herangezogen werden kann. Seit 1991 hat die ICC die folgenden Modellverträge ver-
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1 Hierzu grundlegend Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 2005. Ebenso W.-H. Roth, Zur Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts, in FS Jayme, 2004, S. 757; K. P. Berger, Allgemeine Rechtsgrundsätze in der Internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, in FS von Hoffmann, 2011 S. 914. Ferner Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 100 ff. m.w.N. 2 Graf von Bernsdorff, INCOTERMS 2010, 2010. 3 Basedow, RabelsZ 43 (1979), 116. 4 Vgl. hierzu International Uniform Conventions, Lex Mercatoria and UNIDROIT Principles, Symposium at Verona University (Italy), Faculty of Law, 4.-6. November 1999, mit Beiträgen von Ferrari, Kronke, Orlandi, De Cristofaro, Torsello, Kahn, Basedow, Bortolotti, K. P. Berger, Juenger, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2000, 11-187; Kronke in Perret/Bisson/Mariani, The Evolution of Legal Systems, Bijuralism and International Trade, Montreal 2002, S. 283. Einen Überblick über die Tätigkeit der verschiedenen Organisationen geben die Beiträge in Fletcher/Mistelis/Cremona, Foundations and Perspectives of International Trade Law, London 2001. 5 Wool, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 1999, 289; Kronke in FS Henrich, 2000, S. 385 ff.; Kronke, Liber amicorum Gerhard Kegel, 2002, S. 33 ff.; Kessedjian, Codification du droit commercial international et droit international privé, Rec. des Cours 300 (2002), 79. 6 Internet: www.intracen.org.
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Kronke 5
Teil A Rz. 6
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öffentlicht1: Handelsvertretervertrag, Alleinvertriebs- und Importeursvertrag, Kaufvertrag für zum Weiterverkauf bestimmte Industriegüter, Franchisevertriebsvertrag, Vertrag für Gelegenheitsvermittlungen, Vertrag für die Lieferung schlüsselfertiger Industrieanlagen, Unternehmenskaufvertrag. Das ITC hat – gedacht vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen – etwa Modellverträge für den Handel mit verderblichen Waren und Contractual Joint Venture Model Agreements ausgearbeitet2. Seit 2010 präsentiert die Organisation eine ganze Sammlung von Model Contracts for Small Firms (International Contractual Alliance, International Corporate Joint Venture, International Commercial Sale of Goods, International Long-Term Supply of Goods, International Contract Manufacture Agreement, International Distribution of Goods, International Commercial Agency, International Supply of Services).
II. Die Rolle der internationalen Organisationen 6
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Ursprünglich sind international-wirtschaftsrechtliche Fragen ausschließlich unter Anwendung des dem Berater oder, im Streitfalle, dem angegangenen Forum nach Maßgabe seines Kollisionsrechts berufen erscheinenden, autonomen materiellen Rechts beantwortet worden. Seit dem Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde unter der Ägide internationaler Organisationen Einheitsprivatrecht geschaffen, und zwar sowohl einheitliches Kollisionsrecht (IPR) als auch einheitliches materielles Privatrecht; dem IPR und dem Transportrecht kam insoweit eine Pionierrolle zu3. Das Selbstverständnis der Organisationen, die Rolle, welche ihnen die Mitgliedstaaten zuweisen, die Erwartungshaltung der Wirtschaft ihnen gegenüber und die ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellten Mittel sind zeitlichem Wandel unterworfen. So wurde beispielsweise die älteste unter jenen mit weltweiter Mitgliedschaft, UNIDROIT (seit 1926)4, lange als intellektuelle Werkbank, als brain trust ihrer Mitgliedstaaten angesehen, deren wichtigste Produkte (z.B. die Haager Einheitskaufrechtsabkommen von 1964 als Vorgänger der CISG, Teil B Rz. 163 ff., oder das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr – CMR – von 1961, Teil E Rz. 54 ff.) nach wissenschaftlicher Vorbereitung an die Staaten oder andere internationale Organisationen zur Verabschiedung überwiesen wurden. Nachfolgend ein Überblick über die für die Gegenstandsbereiche dieses Handbuchs wichtigsten intergouvernementalen Organisationen. Spezialorganisationen werden im jeweiligen Sachzusammenhang genannt. 1. – – –
Völkerrechtlicher und regulatorischer Rahmen Welthandelsorganisation (WTO)5, United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD)6, Organization for Economic Cooperation and Development (OECD)7.
2. Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht – weltweit – Haager Konferenz für Internationales Privatrecht8, 1 Internet: www.iccwbo.org dann auf der Homepage „Bookstore“ anklicken. Zum Einfluss der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts auf die Modellverträge neuestens Mourre/Jolivet, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif., 314. 2 Hierzu Vulliety, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif., 314. 3 Grundlegend Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975. Vgl. auch David, Int. Enc. Comp. L. III ch. 5 (1971). 4 Vgl. Kronke, JZ 2001, 1149. 5 Internet: www.wto.org. 6 Internet: www.unctad.org. 7 Internet: www.oecd.org. 8 Internet: www.hcch.net.
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Teil A Rz. 6
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öffentlicht1: Handelsvertretervertrag, Alleinvertriebs- und Importeursvertrag, Kaufvertrag für zum Weiterverkauf bestimmte Industriegüter, Franchisevertriebsvertrag, Vertrag für Gelegenheitsvermittlungen, Vertrag für die Lieferung schlüsselfertiger Industrieanlagen, Unternehmenskaufvertrag. Das ITC hat – gedacht vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen – etwa Modellverträge für den Handel mit verderblichen Waren und Contractual Joint Venture Model Agreements ausgearbeitet2. Seit 2010 präsentiert die Organisation eine ganze Sammlung von Model Contracts for Small Firms (International Contractual Alliance, International Corporate Joint Venture, International Commercial Sale of Goods, International Long-Term Supply of Goods, International Contract Manufacture Agreement, International Distribution of Goods, International Commercial Agency, International Supply of Services).
II. Die Rolle der internationalen Organisationen 6
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Ursprünglich sind international-wirtschaftsrechtliche Fragen ausschließlich unter Anwendung des dem Berater oder, im Streitfalle, dem angegangenen Forum nach Maßgabe seines Kollisionsrechts berufen erscheinenden, autonomen materiellen Rechts beantwortet worden. Seit dem Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde unter der Ägide internationaler Organisationen Einheitsprivatrecht geschaffen, und zwar sowohl einheitliches Kollisionsrecht (IPR) als auch einheitliches materielles Privatrecht; dem IPR und dem Transportrecht kam insoweit eine Pionierrolle zu3. Das Selbstverständnis der Organisationen, die Rolle, welche ihnen die Mitgliedstaaten zuweisen, die Erwartungshaltung der Wirtschaft ihnen gegenüber und die ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellten Mittel sind zeitlichem Wandel unterworfen. So wurde beispielsweise die älteste unter jenen mit weltweiter Mitgliedschaft, UNIDROIT (seit 1926)4, lange als intellektuelle Werkbank, als brain trust ihrer Mitgliedstaaten angesehen, deren wichtigste Produkte (z.B. die Haager Einheitskaufrechtsabkommen von 1964 als Vorgänger der CISG, Teil B Rz. 163 ff., oder das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr – CMR – von 1961, Teil E Rz. 54 ff.) nach wissenschaftlicher Vorbereitung an die Staaten oder andere internationale Organisationen zur Verabschiedung überwiesen wurden. Nachfolgend ein Überblick über die für die Gegenstandsbereiche dieses Handbuchs wichtigsten intergouvernementalen Organisationen. Spezialorganisationen werden im jeweiligen Sachzusammenhang genannt. 1. – – –
Völkerrechtlicher und regulatorischer Rahmen Welthandelsorganisation (WTO)5, United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD)6, Organization for Economic Cooperation and Development (OECD)7.
2. Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht – weltweit – Haager Konferenz für Internationales Privatrecht8, 1 Internet: www.iccwbo.org dann auf der Homepage „Bookstore“ anklicken. Zum Einfluss der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts auf die Modellverträge neuestens Mourre/Jolivet, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif., 314. 2 Hierzu Vulliety, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif., 314. 3 Grundlegend Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975. Vgl. auch David, Int. Enc. Comp. L. III ch. 5 (1971). 4 Vgl. Kronke, JZ 2001, 1149. 5 Internet: www.wto.org. 6 Internet: www.unctad.org. 7 Internet: www.oecd.org. 8 Internet: www.hcch.net.
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Einführung
Rz. 13 Teil A
– Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT)1, – United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL)2. 3. Spezialorganisationen Transportrecht – International Civil Aviation Organization (ICAO)3, – International Maritime Organization (IMO)4 (jedoch für güterttransportrechtliche Übereinkommen wichtiger UNCITRAL, Rz. 8, UNECE, Rz. 12, und CMI, Rz. 13), – Zwischenstaatliche Organisation für den Internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF)5. 4. – – –
Spezialorganisationen mit Tätigkeit im Kreditsicherungs- und Insolvenzrecht Weltbank6, Internationaler Währungsfond (IMF)7, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD)8 sowie die anderen regionalen Entwicklungsbanken (Asian Development Bank, Inter-American Development Bank etc.).
5. Spezialorganisation für das Recht des Geistigen Eigentums – World Intellectual Property Organization (WIPO)9.
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6. – – –
Regionale Organisationen Europarat10, Organisation pour l’Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires (OHADA)11, Organization of American States (OAS) mit ihren Spezialkonferenzen für internationales Privatrecht, CIDIP12, – United Nations Economic Commission for Europe (UNECE)13.
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7. Nichtgouvernementale Organisationen Die wichtigsten nichtgouvernementalen Organisationen mit umfangreichen Tätigkeiten in den für dieses Handbuch relevanten Gebieten des klassischen Handelsrechts sind die folgenden: – Internationale Handelskammer (ICC)14, – Comité Maritime International (CMI)15, – International Air Transport Association (IATA)16. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Internet: www.unidroit.org. Internet: www.uncitral.org. Internet: www.icao.int. Internet: www.imo.org. Internet: www.otif.ch. Internet: www.worldbank.org. Internet: www.imf.org. Internet: www.ebrd.org. Internet: www.wipo.int. Internet: www.coe.int. Einen Überblick über Struktur und Instrumente gibt Johnson, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2003, 71. Zum Entwurf eines Acte uniforme für ein Handelsvertragsrecht Fontaine, Unif. L. Rev./ Rev. dr. unif. 2004, 253. Internet: www.ohada.com. Internet: www.oas.org. Zum Inter-Amerikanischen Abkommen über das auf internationale Verträge anwendbare Recht von 1994 (Text in IPRax 1998, 404) Hernández-Bretón, IPRax 1998, 378 und Samtleben, IPRax 1998, 385. Internet: www.unece.org. Internet: www.iccwbo.org. Internet: www.comitemaritime.org. Internet: www.iata.org.
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Kronke 7
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Teil A Rz. 14
Einführung
III. Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration – Freihandelszonen – Zollunionen 14
Bei weitem den nachhaltigsten Einfluss auf die Definition rechtspolitischer Ziele und die Ausarbeitung von Handels- und Wirtschaftsrecht für interne und transnationale Transaktionen hat heute das europäische Unionsrecht. Der AEUV und das Sekundärrecht, ganz besonders auch die Übertragung von Souveränität i.S. von Rechtsetzungsgewalt in erheblichen Bereichen des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts von den Staaten auf die Union durch Art. 81 AEUV i.d.F. des Vertrages von Lissabon1 und der Vorrang des Unionsrechts, machen die EG/EU zu einem Subjekt des Wirtschaftsrechts, das mit herkömmlichen internationalrechtlichen Kategorien nicht zu erfassen ist2. In handels- und wirtschaftsrechtlichen Staatsverträgen auf universaler Ebene erhält die Gemeinschaft als (bisher einzige) Regional Economic Integration Organisation konsequenterweise eine Stellung sui generis eingeräumt3. In den einzelnen Kapiteln dieses Handbuchs wird die Rolle des Unionsrechts für den jeweiligen Wirtschaftsbereich bzw. Transaktionstyp dargestellt.
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Aus offensichtlichen Gründen ist die rationale Koordination der international-wirtschaftsrechtlichen Arbeiten einer Organisation mit verfassungsmäßigem Rechtsetzungsmandat wie der EU auf regionaler Ebene mit den Arbeiten auf weltweiter Ebene (namentlich im Rahmen von Haager Konferenz, UNIDROIT und UNCITRAL) sowohl dringlich als auch im Einzelfall schwierig. Der Lernprozess hat auf beiden Seiten erst begonnen4.
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Freihandelszonen und Zollunionen5 haben jedenfalls nach ihrem politischen Anspruch und nach den sie begründenden Verträgen wenig Einfluss auf das Transaktionsrecht. Neben der – mit der EU im Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbundenen – Europäischen Freihandelszone (EFTA)6 sind die folgenden zu nennen.
1 Die Literaturflut ist unüberschaubar. Genannt sei nur Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, Fachtagung der Bayer-Stiftung für deutsches und internationales Arbeits- und Wirtschaftsrecht am 17. und 18.5.2001, hrsg. von Dauner-Lieb, mit Beiträgen von Mansel, Basedow, W.-H. Roth, Diekmann, Hartwig, Wilderspin, Schnyder, Spindler, Kronke, Kohler, Duintjer Tebbens, van Loon. Die Details des sich daraus ergebenden Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsprozesses lassen sich nachverfolgen in den Beiträgen von Jayme/Kohler und, seit 2009, Mansel/ Thorn/Wagner eines jeden Jahrgangs von IPRax, zuletzt IPRax 2015, 1. 2 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 5. 3 So etwa in Art. 48 des Übereinkommens über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung vom 16.1.2001 – Übereinkommen von Kapstadt –, abgedruckt in IPRax 2003, 276 mit einführendem Aufsatz von Henrichs, S. 210 (dazu Teil H Kap. 4 Rz. 9 ff.); Art. 53 Abs. 2 des Übereinkommens v. 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, (Montrealer Übereinkommen), BGBl. 2004 II, 458 (dazu Teil E Rz. 200 ff.); Art. 18 des Übereinkommens über die auf bestimmte Rechte in Bezug auf Intermediär-verwahrte Wertpapiere anzuwendende Rechtsordnung, abgedruckt in IPRax 2003, 550 mit einführendem Aufsatz von Reuschle, S. 495 (dazu Teil L Rz. 214 ff.). 4 Hierzu die Beiträge zu den Themen Vertragsrecht, Kaufrecht, Transportrecht, Kreditsicherungsrecht, Zivilprozessrecht, Kulturgüterschutz in Worldwide Harmonisation of Private Law and Regional Economic Integration, Acts of the Congress to Celebrate the 75th Anniversary of the Founding of the International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT), Unif. L. Rev./ Rev. dr. unif. 2003, 1-593. 5 Vgl. Überblick bei Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 12; Nowrot in Tietje Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 und Tietje ebd., § 3. 6 BGBl. 1993 II, 267. Die EFTA-Mitgliedstaaten sind Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Zum EWR Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 12 Rz. 19 ff.; Hummer, EuZW 1992, 361.
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Einführung
Rz. 17 Teil A
– North American Free Trade Agreement (NAFTA) von 1992, dem Kanada, Mexiko und die Vereinigten Staaten angehören1. Einzelheiten Rz. 19 ff. – Mercado Común del Sur (MERCOSUR) von 1991, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela angehören2. Bolivien, Chile; Equador, Kolumbien und Peru sind assoziiert. Einzelheiten Rz. 24 ff. – Association of Southeast Asian Nations (ASEAN)3. Ihr gehören an Brunei Darussalam, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam; erste handelsrechtliche Aktivitäten betreffen den elektronischen Geschäftsverkehr und das Wettbewerbsrecht4. – Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC). Ihr gehören 21 Staaten in Asien, dem Pazifik, Nord- und Südamerika an5. Erste Zusammenkünfte zu wirtschaftsrechtlichen Themen waren der Koordinierung mit Arbeiten bei UNIDROIT, UNCITRAL und der Haager Konferenz (s. Rz. 8) gewidmet6. – Die Southern African Development Community (SADC), welcher 15 Staaten angehören7, hat bisher noch keine transaktionsrechtlich relevante Tätigkeit entfaltet. Dies gilt auch für die Communauté économique des États de l’Afrique de l’Ouest/ Economic Community of West African States (CEDEAO/ECOWAS)8.
IV. Insbesondere: Die Freihandelszonen in Nord- und Südamerika In Nord- und Südamerika gingen die Bemühungen um wirtschaftliche Zusammenarbeit auch im letzten Jahrzehnt weiter. Die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko, die Andengemeinschaft, die Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru umfasst, und nicht zuletzt der MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Venezuela) stellen bedeutende Projekte zur Regelung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Amerika dar, die auch die europäischen Beziehungen zu dieser Region stark beeinflussen. Dagegen scheinen die Verhandlungen über die Gesamtamerikanische Freihandelszone (FTAA)9 ins Stocken geraten zu sein. Der letzte Vertragsentwurf datiert aus 2005 und eine Reihe von amerikanischen Staaten haben in der Zwischenzeit verstärkt teils auf bilaterale, teils multilaterale Abkommen gesetzt, von denen hier nur einige erwähnt werden sollen10. Neben Mexiko (8.12.1997) und Chile (18.11.2002) haben auch Kolumbien (26.6. 1 ILM 32 (1992) 289, 605. Dazu Senti, NAFTA: Die Nordamerikanische Freihandelszone; Sagasser/Rau, RIW 1993, 573. Guter Überblick bei Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 12 Rz. 27 ff. Das Sekretariat www.nafta-sec-alena.org ist nur für die besonders interessanten Streitentscheidungsverfahren zuständig, vgl. Teil P Rz. 1824 ff. 2 Sammlung des Gründungsvertrages von Asunción und der wichtigsten das Wirtschaftsrecht betreffenden Instrumente in Max-Plank-Institut (Hrsg.), Rechtsquellen des MERCOSUR, 2000. Einführung von Samtleben, WM 1996, 1997. Umfassend U. Wehner, Der Mercosur. Zum Internationalen Privat-, Verfahrens- und Handelsrecht aus dem reichen Schrifttum nur Fernández Arroyo, Derecho internacional privado de los estados del MERCOSUR; Dreyzin de Klor, Temas de Derecho de la Integración, Derecho Internacional Privado; Uzal, El MERCOSUR en el camino de la integración. Zum Gerichtsstandsübereinkommen des MERCOSUR (Text und einführender Kommentar auch in Goode/Kronke/McKendrick/Wool, Transnational Commercial Law, International Instruments and Commentary, 2d ed., Oxford, 2012, S. 801; Samtleben, IPRax 1995, 129. Internet: www.mercosur.org.uy. 3 Internet: www.asean.org. 4 Lawan Thanadsillapakul, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 479. 5 Internet: www.apec.org. 6 Entschließung der Handelsminister und des APEC Business Advisory Council, Los Cabos 2002, und Konklusionen eines Symposiums v. 10.–12.12.2004, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 906. 7 Internet: www.sadc.int. 8 Internet: www.ecowas.int. 9 www.ftaa-alca.org, eingesehen am 15.4.2015. 10 Einen umfassenden Überblick über die bestehenden Abkommen bietet: http://www.sice.oas. org/agreements_e.asp, eingesehen am 15.4.2015.
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Einführung
Rz. 17 Teil A
– North American Free Trade Agreement (NAFTA) von 1992, dem Kanada, Mexiko und die Vereinigten Staaten angehören1. Einzelheiten Rz. 19 ff. – Mercado Común del Sur (MERCOSUR) von 1991, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela angehören2. Bolivien, Chile; Equador, Kolumbien und Peru sind assoziiert. Einzelheiten Rz. 24 ff. – Association of Southeast Asian Nations (ASEAN)3. Ihr gehören an Brunei Darussalam, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam; erste handelsrechtliche Aktivitäten betreffen den elektronischen Geschäftsverkehr und das Wettbewerbsrecht4. – Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC). Ihr gehören 21 Staaten in Asien, dem Pazifik, Nord- und Südamerika an5. Erste Zusammenkünfte zu wirtschaftsrechtlichen Themen waren der Koordinierung mit Arbeiten bei UNIDROIT, UNCITRAL und der Haager Konferenz (s. Rz. 8) gewidmet6. – Die Southern African Development Community (SADC), welcher 15 Staaten angehören7, hat bisher noch keine transaktionsrechtlich relevante Tätigkeit entfaltet. Dies gilt auch für die Communauté économique des États de l’Afrique de l’Ouest/ Economic Community of West African States (CEDEAO/ECOWAS)8.
IV. Insbesondere: Die Freihandelszonen in Nord- und Südamerika In Nord- und Südamerika gingen die Bemühungen um wirtschaftliche Zusammenarbeit auch im letzten Jahrzehnt weiter. Die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko, die Andengemeinschaft, die Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru umfasst, und nicht zuletzt der MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Venezuela) stellen bedeutende Projekte zur Regelung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Amerika dar, die auch die europäischen Beziehungen zu dieser Region stark beeinflussen. Dagegen scheinen die Verhandlungen über die Gesamtamerikanische Freihandelszone (FTAA)9 ins Stocken geraten zu sein. Der letzte Vertragsentwurf datiert aus 2005 und eine Reihe von amerikanischen Staaten haben in der Zwischenzeit verstärkt teils auf bilaterale, teils multilaterale Abkommen gesetzt, von denen hier nur einige erwähnt werden sollen10. Neben Mexiko (8.12.1997) und Chile (18.11.2002) haben auch Kolumbien (26.6. 1 ILM 32 (1992) 289, 605. Dazu Senti, NAFTA: Die Nordamerikanische Freihandelszone; Sagasser/Rau, RIW 1993, 573. Guter Überblick bei Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 12 Rz. 27 ff. Das Sekretariat www.nafta-sec-alena.org ist nur für die besonders interessanten Streitentscheidungsverfahren zuständig, vgl. Teil P Rz. 1824 ff. 2 Sammlung des Gründungsvertrages von Asunción und der wichtigsten das Wirtschaftsrecht betreffenden Instrumente in Max-Plank-Institut (Hrsg.), Rechtsquellen des MERCOSUR, 2000. Einführung von Samtleben, WM 1996, 1997. Umfassend U. Wehner, Der Mercosur. Zum Internationalen Privat-, Verfahrens- und Handelsrecht aus dem reichen Schrifttum nur Fernández Arroyo, Derecho internacional privado de los estados del MERCOSUR; Dreyzin de Klor, Temas de Derecho de la Integración, Derecho Internacional Privado; Uzal, El MERCOSUR en el camino de la integración. Zum Gerichtsstandsübereinkommen des MERCOSUR (Text und einführender Kommentar auch in Goode/Kronke/McKendrick/Wool, Transnational Commercial Law, International Instruments and Commentary, 2d ed., Oxford, 2012, S. 801; Samtleben, IPRax 1995, 129. Internet: www.mercosur.org.uy. 3 Internet: www.asean.org. 4 Lawan Thanadsillapakul, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 479. 5 Internet: www.apec.org. 6 Entschließung der Handelsminister und des APEC Business Advisory Council, Los Cabos 2002, und Konklusionen eines Symposiums v. 10.–12.12.2004, Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2004, 906. 7 Internet: www.sadc.int. 8 Internet: www.ecowas.int. 9 www.ftaa-alca.org, eingesehen am 15.4.2015. 10 Einen umfassenden Überblick über die bestehenden Abkommen bietet: http://www.sice.oas. org/agreements_e.asp, eingesehen am 15.4.2015.
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Teil A Rz. 18
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2012), Peru (26.12.2012) und Zentralamerika Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union geschlossen, die alle in Kraft getreten sind. Fünfzehn karibische Staaten haben sich zu der Zollunion CARICOM zusammengeschlossen1 und 2005 einen Internationalen Gerichtshof2 geschaffen. Schliesslich bestehen Freihandelsabkommen zwischen MERCOSUR und Bolivien, Chile, Peru, Mexiko, Kolumbien, Ecuador und Venezuela, sowie zwischen Kolumbien, Venezuela und Mexiko und zwischen Chile und Mexiko. Die USA sind teils bi-, teils multilaterale Handelsabkommen mit insgesamt sechzehn amerikanischen Staaten eingegegangen. In Südamerika treiben aber nur Chile, Kolumbien und Peru freien Handel mit den USA3. 18
Die Verträge über diese Freihandelszonen und Wirtschaftsgemeinschaften sehen Streitschlichtungsmechanismen mit Hilfe von Ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit vor oder verweisen auf die entsprechenden WTO-Verfahren4. Einen aufschlussreichen Überblick über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Nord- und Südamerika (speziell dazu Teil P Rz. 1824 ff.) erhält nur derjenige Betrachter, der dabei auch die politische und wirtschaftliche Entwicklung aufmerksam beobachtet. Die verschiedenen, sich zäh entwickelnden Integrationsprozesse und die häufigen Wirtschaftskrisen werfen ihre Schatten auch auf das Panorama der Schiedsgerichtsbarkeit. 1. Die NAFTA
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Das Abkommen über die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA)5 wurde am 17.12.1992 von den Präsidenten der drei Vertragsstaaten USA, Kanada und Mexiko unterzeichnet und trat zum 1.1.1994 in Kraft. Vorgänger der NAFTA ist das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und den USA6. Das NAFTA-Abkommen enthält anders als die Rahmenverträge der Europäischen Union und des MERCOSUR keine Regelungen über eine gemeinsame Außenzollpolitik. Die NAFTA strebt auch nicht den Integrationsgrad eines Gemeinsamen Marktes an7. Von anderen Freihandelsabkommen unterscheidet sich das NAFTA-Abkommen dadurch, dass es neben dem Warenhandel auch Regelungen über Investitionen innerhalb der Vertragsstaaten enthält. Vervollständigt wird das NAFTA-Abkommen durch so genannte side agreements8, insbesondere zum Umweltschutz9 und zum Arbeitsrecht10.
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http://.www.caricom.org, eingesehen am 17.4.2015. http://www.caribbeancourtofjustice.org, eingesehen am 17.4.2015. https://ustr.gov/trade-agreements/free-trade-agreements, eingesehen am 14.7.2015. Vgl. bspw. Art. 17.16 ff. des Freihandelsabkommens zwischen Kolumbien, Venezuela und Mexiko, das ein dem NAFTA-Abkommen ähnliches Verfahren im Falle von Investitionsstreitigkeiten vorsieht. Vgl. ferner Art. 19 dieses Abkommens hinsichtlich Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten. North American Free Trade Agreement, http://www.sice.oas.org/trade/nafta/naftatce.asp und https://www.nafta-sec-alena.org/Home/Legal-Texts/North-American-Free-Trade-Agreement, eingesehen am 17.4.2015. Näher zur Vorgeschichte der NAFTA: Holger Müller, S. 8 ff. Art. 102 NAFTA-Abkommen, der die Ziele der NAFTA enthält, macht dahin gehend keine Aussage. Vgl. hierzu González, The International Lawyer, S. 345 (352) m.w.N. North American Agreement on Environmental Cooperation between the Government of Canada, the Government of the United Mexican States and the Government of the United States of America. S. dazu H. Müller, S. 125 ff. Das side agreement zum Umweltschutz ist im Internet verfügbar unter: http://www.sice.oas.org/trade/nafta/nafta/Environ.asp, eingesehen am 17.4.2015. North American Agreement on Labor Cooperation between the Government of Canada, the Government of the United Mexican States and the Government of the United States of America. S. dazu H. Müller, S. 157 ff. Das side agreement zum Arbeitsrecht ist im Internet verfügbar unter: http://www.sice.oas.org/trade/nafta/Labor-C1.asp, eingesehen am 17.4.2015.
10 | Helbing
Einführung
Rz. 23 Teil A
Gemäß seinem Art. 102 soll das NAFTA-Abkommen die Handelshemmnisse beseitigen und den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern. Es soll ferner Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb innerhalb der Freihandelszone schaffen und die Möglichkeiten für Investitionen in den Mitgliedstaaten grundlegend erweitern. Darüber hinaus soll es den Schutz des geistigen Eigentums fördern und wirksame Verfahren zur Umsetzung des Abkommens und zur Streitschlichtung hervorbringen. Schließlich dient es auch als Rahmen für weitere trilaterale, regionale und multilaterale Kooperationen. Die Ziele der NAFTA werden durch die Grundsätze der Inländergleichbehandlung, der Meistbegünstigung und der Transparenz konkretisiert1.
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Das NAFTA-Abkommen hat in wirtschaftlicher Hinsicht seine Erwartungen weitgehend erfüllt. So hat jedenfalls die grenzüberschreitende Handels- und Investitionstätigkeit innerhalb der NAFTA zugenommen2. Der Handel zwischen den Partnerstaaten hat sich verdreifacht, und grenzüberschreitende Investionen haben sich vervierfacht3. Trotz der klar wirtschaftlichen Ausrichtung des Abkommens ist es auch zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Verständigung zwischen den Mitgliedstaaten geworden4. Die traditionell schwierigen politischen Beziehungen zwischen den USA und Mexiko haben sich spürbar verbessert. Dennoch fällt die Bilanz mehr als 20 Jahre nach der Gründung kontrovers aus. Negative Stimmen sind insbesondere im Hinblick auf die Situation Mexikos zu vernehmen; die beschleunigte Liberalisierung der Wirtschaft Mexikos erfolgte ohne feste Grundlage im öffentlichen sowie im privaten Sektor5. Zweifellos ist das Abkommen ein wirtschaftlicher Erfolg.
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Die NAFTA ist nach ihrer Rechtsnatur ein multilaterales Freihandelsabkommen, dass sich durch eine innovative Struktur und Fülle an materiellen Regelungen auszeichnet6. Dennoch kommt der NAFTA keine eigene Rechtspersönlichkeit zu. Das NAFTA-Abkommen ist lediglich ein Abkommen sui generis7. Die NAFTA wird maßgeblich von den Regierungen der beteiligten Staaten gelenkt und kommt praktisch ohne eigene Organe aus. Es existiert kein supranationaler Gerichtshof für Kontroversen zwischen den Mitgliedstaaten. Das Streitschlichtungssystem für Kontroversen unmittelbar zwischen den Staaten hat keinen bindenden Charakter, was die institutionelle Schwäche der NAFTA deutlich macht.
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Die NAFTA besitzt lediglich zwei Organe: die Freihandelskommission8 und das Sekretariat9. Die Freihandelskommission, die sich aus Vertretern der Regierungen der Vertragsstaaten im Kabinettsrang zusammensetzt, überwacht die Umsetzung des Abkommens und besitzt eine tragende Rolle in der Streitschlichtung10. Das Sekretariat unter-
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1 Art. 102 NAFTA-Abkommen. 2 Vgl. auch Escher, IPRax 2000, 548 m.w.N. 3 The Economist v. 4.10.2014, http://www.economist.com/news/americas/21621861-mexicosreforms-should-give-idea-north-american-community-more-impetus-three-countries, eingesehen am 17.4.2015. 4 In diesem Zusammenhang spricht Diez de Velasco Vallejo, S. 746, von einem Abkommen „gemischten Charakters“. 5 Sehr kritisch Liane Schalatek, Die Fehlkalkulation der Liberalisierungsbefürworter – NAFTAS defizitäre 10-Jahresbilanz – kein Modell für ALCA; etwas differenzierter Audley/Papademetriou/Polaski/Vaughan: NAFTA’s Promise and Reality. Lessons from Mexico for the Hemisphere Introduction S. 5 ff. 6 Den innovativen Charakter betonend auch Alvarez, Arbitration International 2000, 393. 7 Diez de Velasco Vallejo, S. 749. 8 Free Trade Commission. 9 Secretariat. 10 Art. 2001 NAFTA-Abkommen.
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Teil A Rz. 24
Einführung
stützt die Freihandelskommission und besitzt administrative Aufgaben auch im Zusammenhang mit der Streitbeilegung1. 2. Der MERCOSUR 24
Die Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR, portugiesisch MERCOSUL (Südamerikanischer Gemeinsamer Markt) besteht aus den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela und seit 2015 Bolivien und umfasst als assoziierte Staaten Chile (1996), Peru (2003), Kolumbien und Ecuador. Nach verschiedenen gescheiterten Integrationsbemühungen in Lateinamerika2 stellten die Integrationsbemühungen zwischen Argentinien und Brasilien Ende der 80er Jahre einen erneuten Anlauf auf dem Weg zu mehr wirtschaftlicher Stärke durch Kooperation dar. Uruguay und auch Paraguay hatten diese Entwicklung interessiert beobachtet und traten dem Prozess schließlich aktiv bei. Am 26.3.1991 unterzeichneten die Präsidenten der vier genannten Staaten den Vertrag zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes in Asunción (im Folgenden: Vertrag von Asunción)3.
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Am 4.7.2006 unterzeichnete Venezuela den Inkorporationsvertrag und trat am 31.7. 2012 auf dem Gipfel in Rio dem MERCOSUR bei4. Präsident Evo Morales unterzeichnete 7.12.2012 den Beitritt Boliviens zum MERCOSUR5. Die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten ist inzwischen von den nationalen Parlamenten bestätigt worden.
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Der Vertrag von Asunción legt die Ziele fest, die sich der MERCOSUR selbst bis zum 31.12.1994 aufgegeben hatte. Gemäß Art. 1 des Vertrages von Asunción sollte zwischen den Mitgliedstaaten ein freier Waren-, Dienstleistungs- und Produktionsmittelverkehr unter Abschaffung aller Zölle und anderer Beschränkungen eingerichtet werden. Des Weiteren sollte eine eigene gemeinsame Zoll- und Außenwirtschaftspolitik vereinbart sowie die Abstimmung der nationalen Wirtschafts- und Fiskalmaßnahmen vorgenommen werden, um angemessene Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen. Schließlich verpflichteten sich die Mitgliedstaaten zu einer Harmonisierung ihrer Gesetzgebung, um den Integrationsprozess zu stärken. Auch nach Ablauf der vorgegebenen Frist zur Umsetzung seiner Ziele stellt der Vertrag von Asunción das maßgebliche Dokument des MERCOSUR dar, da er die ihn bestimmenden Leitideen festlegt6.
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Zunächst war es dem MERCOSUR gelungen, die wirtschaftliche Integration in der Region voranzutreiben. Es wurden die Binnenzölle zum 1.1.1995 weitgehend aufgehoben und ein gemeinsamer Außenzolltarif eingeführt, auch wenn weiterhin Ausnahmeregelungen7 bestanden, die nach und nach abgeschafft werden sollten. 1 Art. 2002 NAFTA-Abkommen. 2 Wehner, S. 29 ff.; Porta/Hebler/Kösters, Arbeitshefte Nr. 69 (2001), 1 (3). 3 Tratado para la Constitución de un mercado común entre la República Argentina, la República Federativa del Brasil, la República del Paraguay y la República Oriental del Uruguay. Ausführlich zu diesem Vertrag: Salomao Filho/Samtleben, WM 1992, 1345 und WM 1992, 1385. Abgedruckt in ILM 1991, 1041. Im Internet auf Spanisch verfügbar unter: http://www2.uol.com.br/ actasoft/actamercosul/espanhol/tratado_de_asuncion.htm, eingesehen am 8.6.2015; und auf Englisch unter: http://www.worldtradelaw.net/document.php?id=fta/agreements/mercosurfta.pdf eingesehen am 8.6.2015. 4 The New York Times vom 31.7.2012, http://www.nytimes.com/2012/08/01/world/americas/ mercosur-trade-bloc-admits-venezuela-as-full-member.html?_r=0, eingesehen am 9.6.2015. 5 La Razón v. 7.12.2012, http://www.la-razon.com/economia/Morales-adhesion-Bolivia-Merco sur-afianzar_0_1738026268.html, eingesehen am 9.6.2015. 6 Vgl. Art. 41 Protokoll von Ouro Preto. 7 Auf die diesbezüglichen Schwächen des MERCOSUR eingehend: Salomao Filho, Der MERCOSUR als Marktregelung, in Basedow/Samtleben, S. 29 (33).
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Einführung
Rz. 32 Teil A
Ab 2003 war in der Entwicklung des MERCOSUR ein beachtlicher Reformschub zu verzeichnen. Brasilien und Argentinien bildeten eine strategische Allianz und schlossen am 16.10.2003 den so genannten Konsens von Buenos Aires, wonach das Konkurrenzdenken zwischen den zwei größten Mitgliedstaaten der Vergangenheit angehören sollte1. Am 16.12.2003 fand das vielfach als historisch eingestufte Gipfeltreffen von Montevideo, dem Brüssel des MERCOSUR, statt2. Dabei wurde der ehemalige argentinische Staatspräsident Duhalde zum ersten Präsidenten der damals neu gegründeten Kommission der ständigen Repräsentanten (Comisión de Representantes Permanentes del Mercosur, CRPM) gewählt. Die CRPM ist ein Organ des Mercosur-Rates mit Sitz beim Mercosur-Sekretariat in Montevideo.
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Nach der Ratifizierung des „Protocolo de Olivos“ durch Brasilien im Oktober 2003 konnte auch der ständige Gerichtshof eingerichtet werden. Im Rahmen des Gipfeltreffens im Dezember 2004 (Ouro Preto II) wurde sogar die Einrichtung eines Parlaments bis spätestens zum 31.12.2006 beschlossen3. Bestandteil der Reformagenda „Objeto 2006“, für die Brasilien federführend war und die auch im Rahmen des Arbeitsprogramms 2004–20064 sowie bei der Zusammenkunft der Präsidenten der Mitgliedstaaten im August 20035 Berücksichtigung fand, war die Schaffung einer gemeinsamen Währung.
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Auch im Bereich seiner Außenbeziehungen erzielte der MERCOSUR Fortschritte. Mit der Europäischen Union konnten 1992 und 1995 Abkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen werden6. Die Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone zwischen EU und MERCOSUR wurde 2004 supendiert, aber 2010 wiederaufgenommen und seitdem kontinuierlich fortgeführt7.
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Am 18.10.2004 wurde der Vertrag über das Freihandelskommen zwischen dem MERCOSUR und der Andengemeinschaft (damals bestenend aus Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador und Venezuela)8 abgeschlossen. Diese Abkommen sah die schrittweise Einführung der Zollfreiheit innerhalb von maximal 15 Jahren vor9.
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Diskutiert wurde auch die Idee einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA), deren Errichtung bis zum Jahre 2005 auf dem Gipfeltreffen von 34 amerikanischen Staaten in Miami 1994 vereinbart wurde. Der dritte und bislang letzte Entwurf des Abkommens ist aber bereits zwölf Jahre alt, ohne dass es zu einem Abschluss gekommen ist. Im Jahre 2005 konnten die USA immerhin das DR-CAFTA abschliessen. Dies ist
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1 Vgl. auch Bizzozero, „El MERCOSUR y los diez años de Ouro Preto – Hacia una nueva estructura institucional del bloque“. 2 Woischnik, S. 82; zum Diskussionsprozess auf dem Weg zur Einrichtung eines Parlaments s. „Hacia el Parlamento del MERCOSUR“, hrsg. von Fundación Konrad Adenauer und Comisión Parlamentaria Conjunta del MERCOSUR, Uruguay, 2004. 3 Entscheidung MERCOSUR/CMC/DEC. Nr. 49/04, http://www.mercosur.int/msweb/Normas/ normas_web/Decisiones/ES/DEC%20049-004-Parlamento_ES_Acta%202-04.PDF, eingesehen am 3.7.2015. 4 MERCOSUR-Entscheidung Nr. 26/03, http://www.sice.oas.org/trade/mrcsrs/decisions/dec2603s. asp, eingesehen am 9.7.2015. 5 Comunicado conjunto de los presidentes de los estados parte del MERCOSUR, Asunción, 15 de agosto de 2003; http://www.mercosur.int/show?contentid=4488&channel=secretaria, eingesehen am 3.7.2015. 6 Vgl. hierzu Samtleben, EuZW 1998, 65. 7 http://www.bmlfuw.gv.at/land/eu-international/eu-freihandelabkomme/mercosur.html, eingesehen am 3.7.2015. 8 Zu diesem Zeitpunkt bestand die Andengemeinschaft noch aus fünf Mitgliedern, was sich durch den Austritt Venezuelas am 22.4.2006 änderte. Siehe „Venezuela to Withdraw From Andean Free Trade Group (Update1)“, http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=newsarchive&sid= akFZvMSnew8s, eingesehen am 7.7.2015. 9 „Mercosur/CAN: firman acuerdo“, BBC vom 19.10.2004, http://news.bbc.co.uk/hi/spanish/ latin_america/newsid_3754000/3754996.stm, eingesehen am 7.7.2015.
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Helbing 13
Teil A Rz. 33
Einführung
ein Freihandelsabkommen, welches mehrere mittelamerikanische Länder und die USA umfasst, jedoch in den USA sowie in den Partnerländern nicht unumstritten ist1. 33
Alles in allem stagnieren die Bestrebungen des MERCOSUR, die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes voranzutreiben2. In den vergangenen Jahren haben Argentinien und Brasilien die Zölle gegenseitig wieder erhöht und Kapitalströme kontrolliert oder mit Verkehrssteuern belegt. So gibt es immer noch keine gemeinsamen Zollposten, die Eisenbahen der Mitgliedsländer fahren auf unterschiedlichen Spurwerten und über Nacht dekretierte Importlizenzen heben die vereinbarten Zollunion auf. Mit der Aufnahme Venezuelas und dem zeitweisen Ausschluss Paraguays aus politischen Gründen hat der MERCOSUR deutlich gemacht, dass er in Lateinamerika mehr an einer horizontalen Erweiterung nach politischen Kriterien interessiert ist als an einer Vertiefung der Integration unter den Mitgliedsländern des bestehenden Blocks3.
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Durch den Vertrag von Asunción verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten zur Gründung des MERCOSUR. Dieser erlangte zunächst eine provisorische Struktur, die durch das Protokoll von Ouro Preto vom 17.12.19944 entscheidend konkretisiert wurde5. Dieses Protokoll verleiht dem MERCOSUR die Rechtsnatur eines eigenen, handlungsfähigen Völkerrechtssubjekts6. Die völkerrechtliche Stellung unterscheidet den MERCOSUR von der NAFTA, deren Rechtswirkung über einen internationalen Vertrag nicht hinausgeht. Der MERCOSUR ist dagegen mit der Europäischen Union vergleichbar. Neben der völkerrechtlichen Stellung haben auch beide das Ziel der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes gemeinsam7. Zwar hat der MERCOSUR grundsätzlich einen anderen, institutionell zurückhaltenderen und souveränitätsschonenderen Integrationsansatz als ihn die EU verfolgt. Dennoch ist gerade im Bereich des Verständnisses des MERCOSUR-Rechts in den bislang ergangenen Schiedssprüchen eine Orientierung am Recht der Europäischen Union abzulesen8.
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Der Rat des Gemeinsamen Marktes9 ist das oberste Organ des MERCOSUR, dem die politische Steuerung des Integrationsprozesses und die Entscheidungsgewalt zur Durchsetzung der vom Vertrag von Asunción aufgestellten Ziele sowie zur Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes anvertraut sind10. Der Rat setzt sich aus den Außen- und Wirtschaftministern der Vertragsstaaten zusammen und tritt nach Bedarf zusammen, jedoch mindestens einmal pro Halbjahr unter Beteiligung der Staatspräsidenten11. Die Mitglieder des Rates üben den Vorsitz im Rat abwechselnd für jeweils sechs Monate in alphabetischer Reihenfolge aus12. Dem Rat sind im Wesentlichen folgende 1 „CAFTA entra en vigor“, BBC vom 1.3.2006, http://news.bbc.co.uk/hi/spanish/business/ newsid_4761000/4761358.stm, eingesehen am 7.7.2015. 2 Näher hierzu: Salomao Filho/Samtleben, WM 1992, 1345 und WM 1992, 1385; Porta/Hebler/ Kösters, Arbeitshefte Nr. 69 (2001), 1 (5, 8). 3 „Mercosur: Die Pazifik-Allianz bringt Brasilien ins Schwitzen“, Neue Zürcher Zeitung v. 10.9. 2013, http://www.nzz.ch/die-pazifik-allianz-bringt-brasilien-ins-schwitzen-1.18147363, eingesehen am 3.7.2015. 4 Dieses Protokoll trat am 15.12.1995 formell in Kraft, http://www.rau.edu.uy/mercosur/ opretosp.htm, eingesehen am 8.7.2015. Näher hierzu: Samtleben, WM 1996, 1997. 5 Peña Neira, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 1997, 509 (511). 6 Art. 34 Protokoll von Ouro Preto. 7 Auf Parallelen zwischen der EU und dem MERCOSUR weisen auch Santalla/Sennekamp, RIW 2002, 262 hin. Ohne solche zu bestreiten warnt Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51 f. davor, vorschnell das europäische Modell als Vergleich heranzuziehen. 8 Lehmann, EuZW 2001, 622. 9 Consejo del Mercado Común. 10 Art. 3 Protokoll von Ouro Preto. 11 Art. 4, 6 Protokoll von Ouro Preto. 12 Art. 5 Protokoll von Ouro Preto.
14 | Helbing
Einführung
Rz. 39 Teil A
Aufgaben anvertraut1: (1) Gewährleistung der Einhaltung des Vertrages von Asunción einschließlich der in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen und Beschlüsse und Durchsetzung seiner Ziele. (2) Repräsentation des MERCOSUR nach außen einschließlich der völkerrechtlichen Vertretung. (3) Einsetzung bzw. Absetzung von neuen Organen. Der Rat artikuliert sich nach außen hin durch Entscheidungen (decisiones)2. Die Gruppe Gemeinsamer Markt ist das Exekutivorgan des MERCOSUR3. Es besteht aus vier ständigen Mitgliedern und vier Stellvertretern aus jedem Vertragsstaat, die von den jeweiligen Regierungen benannt werden. Die Mitglieder vertreten jeweils das Außen- und Wirtschaftsaußenministerium sowie die Zentralbank der einzelnen Staaten4. Die Gruppe Gemeinsamer Markt gewährleistet im Rahmen ihrer Aufgaben die Einhaltung des Vertrages von Asunción und macht dem Rat Vorschläge für dessen Entscheidungen. Ferner können ihr Verhandlungen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen übertragen werden5. Die von der Gruppe Gemeinsamer Markt ausgehenden Rechtsakte haben die Qualität von Beschlüssen (resoluciones)6.
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Die Handelskommission unterstützt die Gruppe Gemeinsamer Markt und überwacht die gemeinsame Handelspolitik der Vertragsstaaten7. Sie besteht aus vier Mitgliedern und vier Stellvertretern aus den Vertragsstaaten und tritt mindestens einmal pro Monat zusammen8. Inhaltlich ist die Arbeit der Handelskommission auf die Umsetzung der Handelspolitik beschränkt, wobei sie auf diesem Gebiet Richtlinien, die anders als nach europäischer Terminologie verbindliche Rechtsakte darstellen9, erlassen kann10.
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Die Einrichtung der Kommission der ständigen Repräsentanten (s. Rz. 28) soll zur Stärkung der institutionellen Struktur sowie einer besseren Repräsentation nach außen hin führen. Die CRPM ist nach dem Sekretariat das zweite ständige Organ des MERCOSUR. Der Kommissionspräsident wird für zwei Jahre mit einer Verlängerungsoption von einem Jahr ernannt11. Er vertritt den MERCOSUR in den Beziehungen zu Drittländern, Ländergruppen und Internationalen Organisationen. Der Präsident handelt allerdings nur im Auftrag des Rates, um den Schutz der Souveränität der Mitgliedstaaten gewährleisten zu können. Daher kann diese Päsidentschaft – im Unterschied zur Pro-tempore-Präsidentschaft des Mercosur-Rates – eine gewisse Kontinuität in den langwierigen Verhandlungen mit Drittstaaten oder Blöcken gewährleisten12. Die Aufgaben der Kommission bestehen darin, dem MERCOSUR-Rat beizustehen oder Vorschläge zum Beispiel hinsichtlich des Integrationsprozess oder Verhandlungen mit Drittländern zu machen.
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Über die Einhaltung des von den Organen des MERCOSUR gesetzten Rechts wachte anfangs lediglich ein Ad hoc-Schiedsgericht. Als drittes ständiges Organ des MERCOSUR hat im August 2004 das Ständige Schiedsgericht des MERCOSUR (Tribunal Permanente de Revisión TPR) seine Arbeit aufgenommen. Aufgabe des TPR ist, als
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Vgl. Art. 8 Protokoll von Ouro Preto. Art. 9 Protokoll von Ouro Preto. Grupo Mercado Común. Art. 10 Protokoll von Ouro Preto. Art. 11 Protokoll von Ouro Preto. S. den Aufgabenkatalog gemäß Art. 14 Protokoll von Ouro Preto. Art. 15 Protokoll von Ouro Preto. Comisión de Comercio del Mercosur. Vgl. Art. 16 Protokoll von Ouro Preto. Art. 17, 18 Protokoll von Ouro Preto. Vgl. zur Terminologie der MERCOSUR-Rechtsakte und ihrer Inkongruenz im Vergleich zum EU-Recht: Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51 (56). 10 Art. 19, 20 Protokoll von Ouro Preto. 11 Entscheidung MERCOSUR/IV CMC EXT/DEC. Nr. 11/03, http://www.mercosur.int/msweb/ Normas/normas_web/Decisiones/ES/Dec_011_003_Repres%20Permanentes%20MCS_Acta% 2001_03%20Ext.PDF, eingesehen am 8.7.2015. 12 Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, S. 59.
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Helbing 15
Teil A Rz. 40
Einführung
Schlichtungsinstanz in den zwischenstaatlichen Disputen verbindliche Entscheidungen anhand der geltenden Verträge zu fällen. Ergeben sich bei Verhandlungen des MERCOSUR Unklarheiten, kann das Tribunal aber auch fakultative Beratungsfunktionen wahrnehmen. Auf das TPR wartet eine schwere Aufgabe, da der MERCOSUR bis heute zum Beispiel keine gemeinsamen Gesetze in den Bereichen Zoll oder Anti-Dumping hat. Solange es keine MERCOSUR-Gesetzgebung für diese Bereiche gibt, wird das Tribunal zuerst entscheiden müssen, welches Recht es anwendet. 40
In erster Instanz werden zwar Ad hoc-Schiedsgerichte Urteile treffen, doch ist es auch möglich, die erste Instanz zu überspringen und gleich das ständige Gericht einzubeziehen. Welche Vorgehensweise sich als Regel etablieren wird, bleibt abzuwarten. Auch die nationalen Gerichte können bei Zweifeln über die Auslegung von MERCOSURRecht an den Gerichtshof herantreten. Um eine einheitliche Auslegung und Anwendung des MERCOSUR-Rechts zu gewährleisten, wurde nach dem Vorbild des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof die sogenannten „beratenden Gutachten“ („opiniones consultativas“) geschaffen. Die beratenden Gutachten unterscheiden sich jedoch fundamental vom Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Zum einen ist im MERCOSUR kein nationales Gericht verpflichtet, bei Zweifeln die Sache dem TPR vorzulegen. Zum anderen ist die Entscheidung des TPR für die nationalen Gerichte nicht bindend1. Im Jahr 2007 erging die erste Entscheidung des TPR im Wege eines beratenden Gutachtens. Sie war dem Gerichtshof von einem paraguayischen Gericht erster Instanz über den Obersten Gerichtshof Paraguays vorgelegt worden. Obwohl das Verfahren der beratenden Gutachten wegen der fehlenden Verbindlichkeit als schwach ausgestaltet gilt, wird es jedoch weitestgehend als wichtiger Schritt zur Vereinheitlichung des MERCOSUR-Rechts wahrgenommen2. Das Gericht besteht aus fünf Mitgliedern, wobei jedes Mitgliedsland einen Richter für zwei Jahre ernennt und der fünfte Richter von allen Mitgliedstaaten einstimmig für drei Jahre gewählt wird. Sein Sitz ist Asunción, Paraguay.
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Seit 2006 gibt es das MERCOSUR Parlament (Parlasur) mit Sitz in Montevideo. Das Protokoll zur Gründung des Parlasur wurde am 8.12.2005 unterzeichnet3. Im Verlauf des Jahres 2006 stimmten die Parlamente der Mitgliedstaaten dem Protokoll zu, sodass es am 14.12.2006 offiziell eingerichtet werden konnte4. Am 7.5.2007 trat das Parlament dann zu seiner ersten Sitzung zusammen. Die Aufnahme der Tätigkeit des Parlaments soll sich in zwei Entwicklungsetappen vollziehen. In der ersten Etappe besteht das Parlament aus Abgeordneten, die jeweils von den nationalen Parlamenten entsendet werden. Jedes Land kann 18 Abgeordnete entsenden5. Im Verlauf dieser Etappe sollen die zukünftigen Abgeordneten des Parlasur in den Mitgliedstaaten nach den jeweiligen nationalen Wahlgesetzen in geheimer, universeller und direkter Wahl gewählt werden6. Dieser Prozess sollte mit Ende der ersten Etappe (am 31.12.2010) abgeschlossen sein. In der zweiten Etappe (Beginn am 1.1.2011) sollten die Abgeordneten des Par1 Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, S. 320 und 322. 2 Diego P. Fernández Arroyo, Forum Selection Clauses within the Mercosouthern Law: the Hard Implementation of an Accepted Rule, Unif.L.Rev./Rev.dr.unif. 2009, 890. 3 CMC Dec. Nr. 23/05, Protocolo Constitutivo del Parlamento del Mercosur (Protokoll zur Gründung des Parlaments des Mercosur), http://www.sice.oas.org/trade/mrcsrs/decisions/dec 2305s.asp, eingesehen am 9.7.2015. 4 Und dabei formell die Gemeinsame Parlamentarische Kommission als Organ ablöste. Vgl. Rüland, Defending State-Centric Regionalism through Mimicry and Localization: Regional Parliamentary Bodies in the Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) and Mercosur, Vortrag in der IPSA-ECPR Konferenz zu „Whatever happened to North-South?“ 2011 in Sao Paulo, S. 17, http://paperroom.ipsa.org/papers/paper_26191.pdf, eingesehen am 9.7.2015. 5 Art. 21 CMC Dec. Nr. 23/05; Abschnitt I und II der Übergangsbestimmungen des Protokolls zur Gründung des Parlaments des Mercosur (CMC Dec. Nr. 23/05). 6 Abschnitt III der Übergangsbestimmungen der CMC Dec. Nr. 23/05; Art. 6 Nr. 1 CMC Dec. Nr. 23/05.
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Einführung
Rz. 43 Teil A
lasur parallel in allen Mitgliedstaaten direkt gewählt werden1. Ab Beginn dieser Entwicklungsetappe ist eine Sitzverteilung proportional zu den Bevölkerungszahlen der jeweiligen Mitgliedsländer vorgesehen2. Bis heute wurde die entsprechende nationale Gesetzgebung jedoch erst von zwei Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht. Paraguay hat im Zuge seiner nationalen Wahlen am 20.4.2008 als erster MERCOSUR-Mitgliedsstaat auch die paraguayischen Abgeordneten für das Parlasur gewählt3. Argentinien hat nach Umsetzung der entsprechenden Gesetzgebung für den 9.8.2015 Wahlen für das Parlasur anberaumt4. Das Parlament besteht aus nur einer Kammer und soll wenigstens eine reguläre Sitzung im Monat abhalten. Der Rat des Gemeinsamen Marktes kann das Parlament zusätzlich zu außerordentlichen Sitzungen einberufen. Parlasur ist das erste Organ des MERCOSUR, in dem es keiner Einstimmigkeit für eine Entscheidung bedarf; es gilt das Mehrheitsprinzip. Es soll dafür sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden, und die Demokratie gewährleisten5. Dazu bearbeitet es Anfragen und Beschwerden gegen Verstöße durch die MERCOSUR-Organe und leitet sie an diese weiter. Dabei stehen dem Parlament jedoch keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, gegen solche Verstöße vorzugehen6. Allerdings kann es bei den entscheidungsbefugten Organen Berichte und Stellungnahmen zu Fragen der Entwicklung der Integration in Auftrag geben, welche diese innerhalb vom Parlament vorgegebener Fristen beantworten müssen7. Auch kann das Parlasur unverbindliche Erklärungen, Berichte, Empfehlungen und Gutachten abgeben, insbesondere zu Rechtsakten, die sich noch im Stadium der Ausarbeitung befinden. Das Parlasur soll – wie früher die Gemeinsame Parlamentarische Kommission – vor allem Bindeglied zwischen Mercosur und der nationalen Ebene sein. Hierzu wurde ein Konsultationsprozess mit den nationalen Parlamenten eingeführt8.
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– Als weitere Organe bestehen das Beratungsforum für Wirtschafts- und Sozialfragen9 und ein Fachministertreffen10, dessen Funktion rein beratend ist. Das Verwaltungssekretariat schliesslich war das erste ständige Organ des MERCOSUR. Es unterstützt die anderen Organe bei ihrer operativen Arbeit und hat dabei insbesondere die Aufgabe, die vom MERCOSUR beschlossenen Normen zu veröffentlichen und zu verbreiten11. Im Jahre 2002 wandelte es sich vom Verwaltungssekretariat zum Technischen Sekretariat12. Eine neue Abteilung des Sekretariats (Sector de Asesoría Técnica), jeweils zwei Wirtschaftswissenschaftler und Juristen, fertigt
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1 Dafür soll ein „Tag des Mercosur-Bürgers“ eingeführt werden, an dem die Wahlen stattfinden. Abschnitt III und IV der Übergangsbestimmungen der CMC Dec. Nr. 23/05; Art. 6 Nr. 4 CMC Dec. Nr. 23/05. 2 Wegen des erdrückenden Übergewichts Brasiliens kritisch Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, S. 51. 3 http://www.parlamentodelmercosur.org/innovaportal/v/9267/1/parlasur/argentina-a-un-pasode-las-elecciones-directas-al-parlasur.html, eingesehen am 9.7.2015. 4 Opinión v. 16.5.2015, http://opinion.infobae.com/gretel-ledo/2015/05/16/octubre-2015-se-vienenlos-parlamentarios-del-mercosur/, eingesehen am 9.7.2015. 5 Art. 4 Nr. 2 und 3 CMC Dec. Nr. 23/05. 6 Jedoch kann es durch Anregung von Debatten zur Transparanz beitragen. Vgl. Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, S. 53. 7 Art. 4 Nr. 4 CMC Dec. Nr. 23/05. 8 Klumpp, Schiedsgerichtsbarkeit und Ständiges Revisionsgericht des Mercosur, S. 53. 9 Art. 28, 29 Protokoll von Ouro Preto. Foro Consultivo Económico-Social. Es repräsentiert Wirtschaft und Gesellschaft. 10 Reuniones de ministros. Art. 8 Nr. 6 Protokoll von Ouro Preto. Vgl. die Entscheidungen „Decisiones“ CMC Nr. 1/95-3/95 v. 5.8.1995, http://www.mercosur.int/innovaportal/v/2623/2/ innova.front/decisiones-1995, eingesehen am 10.2.2016. 11 Art. 31, 32 Protokoll von Ouro Preto. 12 Entscheidung MERCOSUR/CMC/DEC. Nr. 16/02, http://www.sice.oas.org/trade/mrcsrs/ decisions/dec1602s.asp, eingesehen am 14.5.2015.
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Helbing 17
Teil A Rz. 44
Einführung
Studien über den Integrationsprozess an und berät die übrigen Organe zum Wohle der Gemeinschaft und des Integrationsprozesses1. Da es für die MERCOSUR-Organe bisher keine fachliche Assistenz gab, stellen diese neuen Aufgaben des Sekretariats einen qualitativen Sprung dar2. 44
Dem Recht des MERCOSUR sind folgende Quellen zuzuordnen: Der Vertrag von Asunción (s. Rz. 26) mit seinen Zusatzabkommen und Ergänzungen; die im Rahmen des Vertrages von Asunción geschlossenen Abkommen (Acuerdos) und Protokolle; und die von den Organen des MERCOSUR verabschiedeten Rechtsakte3. Zu unterscheiden ist also zunächst, ob es sich um einen Staatsvertrag (primäres Recht) oder um einen Organakt des MERCOSUR (sekundäres Recht) handelt.
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In Staatsverträgen ist von den Mitgliedstaaten des MERCOSUR eine Vielzahl von Regelungen erlassen worden, deren heterogener Charakter eine aufmerksame Betrachtung erforderlich macht. Inhaltlich treffen die Staatsverträge Regelungen hinsichtlich – der Ziele und Grundsätze des MERCOSUR, der Struktur seiner Organe und bestimmter materieller Bereiche, die die Vertragsstaaten nicht der Regelung durch die Organe überlassen haben. Die ersten beiden Gruppen erzeugen nur für die Vertragsstaaten Pflichten, während letztgenannte auch dem einzelnen Bürger subjektive Rechte verleihen kann4. Die Staatsverträge des MERCOSUR müssen von den Vertragsstaaten gemäß deren nationalen Verfassungsrechts ratifiziert werden5 und enthalten darüber hinaus häufig eine eigene Bestimmung darüber, ob es zur Inkraftsetzung derselbigen der Ratifizierung aller Vertragsstaaten bedarf oder nicht6.
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Die Organakte lassen sich je nachdem, von welchem Organ des MERCOSUR sie ausgehen, unterscheiden in Entscheidungen (Decisiones); Beschlüsse (Resoluciones); Richtlinien (Directivas). In der Regel bedürfen die Organakte der Umsetzung in innerstaatliches Recht.
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Die Entscheidungen der Organe des MERCOSUR werden einstimmig und in Anwesenheit aller Vertragsstaaten getroffen7. Eine am 6.12.2002 ergangene Entscheidung des Rates modifizierte die Rechtssetzung des MERCOSUR erheblich und stärkte den Einfluss der Mitgliedstaaten unter Schwächung der institutionellen Struktur des MERCOSUR. Nach dieser Entscheidung, die nur die Organisation des MERCOSUR betrifft und daher keiner Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedarf8, wird jeder Normentwurf des MERCOSUR, sobald über ihn im zuständigen Organ Einklang erzielt worden ist, noch vor der formellen Beschlussfassung den Mitgliedstaaten zu internen Beratungen übersandt. Diese Beratungen dürfen nicht länger als 60 Tage dauern. Der formelle Beschluss durch die Organe des MERCOSUR erfolgt erst, nachdem die Vertragsstaaten schriftlich ihre Bereitschaft zur Umsetzung der zu verabschiedenden Norm erklärt haben. Nur in Eilfällen trifft das jeweilige Organ des MERCOSUR die formelle Entscheidung ohne vorherige Konsultationen. 1 Vgl. für das Jahr 2003 die Entscheidung MERCOSUR/IV CMC EXT/DEC Nr. 13/03, http://www. mercosur.int/msweb/Normas/normas_web/Decisiones/ES/Dec_013_003_%20Cons-%20Ases% 20T%C3%A9c-MCS_Acta01_03%20Ext.PDF, eingesehen am 14.5.2015. 2 Woischnik, S. 93. 3 Vgl. Art. 41 Protokoll von Ouro Preto. Umfassend zu den Rechtsquellen des MERCOSUR: Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51; Wehner, S. 72 ff. 4 Vgl. Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51 (63). 5 S. Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51 (64 f.) 6 Vgl. Art. 33 Protokoll von Brasilia: Hinterlegung der Ratifizierung durch vier Staaten erforderlich; Vgl. Art. 33 Protokoll von Las Leñas (CMC 5/92): Hinterlegung der Ratifizierung durch zwei Staaten erforderlich; Vgl. Art. 16 CMC 1/94: Hinterlegung der Ratifizierung durch zwei Staaten erforderlich. 7 Art. 37 Protokoll von Ouro Preto. 8 Art. 16 CMC 20/02.
18 | Helbing
Einführung
Rz. 49 Teil A
Nach Verabschiedung der Normen durch die Organe des MERCOSUR sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, diese Rechtsakte in nationales Recht umzusetzen1. Die Umsetzung erfolgt durch ein besonderes Verfahren, das auf dem Grundsatz der „simultanen Inkraftsetzung“ basiert: Sobald die jeweiligen Normen von den MERCOSUR-Organen beschlossen worden sind, haben die Vertragsstaaten die notwendigen Maßnahmen zu deren Umsetzung in nationales Recht zu ergreifen und teilen den Vollzug der Umsetzung dem Verwaltungssekretariat des MERCOSUR mit. Nachdem die Regelungen von allen Vertragsstaaten umgesetzt worden sind, teilt das Verwaltungssekretariat dies den Vertragsstaaten mit2. Die Normen treten gleichzeitig in den Vertragsstaaten 30 Tage nach der erfolgten Mitteilung durch das Verwaltungssekretariat in Kraft. Die Vertragsstaaten veröffentlichen in ihren offiziellen Anzeigern den Beginn der Inkraftsetzung der betreffenden Normen3. Eine Umsetzung in nationales Recht ist nicht nötig, sofern die verabschiedete Norm lediglich die interne Funktionsweise des MERCOSUR regelt oder eine Norm identischen Wortlauts bereits im jeweiligen nationalen Recht existiert4. In der bereits erwähnten Entscheidung des Rates vom 6.12.2002 legten die Vertragsstaaten ferner fest, dass die Entscheidungen, die ab dem 30.6.2003 von Organen des MERCOSUR beschlossen werden, von den Mitgliedstaaten mit ihrem vollständigen Text in ihre jeweiligen Rechtsordnungen umzusetzen sind5.
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Das Ad hoc-Schiedsgericht des MERCOSUR äußerte sich in seinem 4. Schiedsspruch vom 21.5.20016 zu Normen, die von den zuständigen Organen des MERCOSUR oder den Vertragsstaaten selbst verabschiedet wurden, aber von den Mitgliedstaaten nicht umgesetzt werden: Weder im Recht des MERCOSUR noch in den Mitgliedstaaten des MERCOSUR gäbe es eine Norm, die die direkte Geltung der von den gemeinsamen Organen ausgehenden Normen anordne. Aufgrund der intergouvernementalen Organisationsstruktur könne niemand für die Mitgliedstaaten die von den Mitgliedstaaten erforderliche Umsetzung übernehmen7. Der Schiedsspruch vom 29.9.20018 nimmt diesen Gedanken auf und spricht von einer Pflicht der Vertragsstaaten, die Anwendung des MERCOSUR-Rechts nicht zu vereiteln9. Im Schiedsspruch vom 9.1.200210 urteilt der Spruchkörper, dass eine konkrete Entscheidung der MERCOSUR-Organe11 die Fähigkeit der Vertragsstaaten beschränke, nach dem Zeitpunkt der Entscheidung die Reichweite ihrer internen Gesetzgebung in Bezug auf die von der Entscheidung betroffenen Materie zu ändern. Die Nichtumsetzung von Normen des MERCOSUR durch die Vertragsstaaten verhindert somit das In-Kraft-Treten der betroffenen Normen nach außen hin. Dagegen ergeben sich bereits ab dem Zeitpunkt der Beschlüsse der MERCOSUR-Organe Pflichten innerhalb der Vertragsstaaten, die unter Umständen auch Sanktionen zur Folge haben können. Noch nicht absehbar ist, wie das Verhältnis Staat/Bürger zu beurteilen ist. Denkbar wäre eine von der europäischen Rechtspre-
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1 Art. 42 Protokoll von Ouro Preto. 2 Art. 3 CMC 23/00, http://www.sice.oas.org/trade/mrcsrs/decisions/dec2300s.asp, eingesehen am 9.7.2015. 3 Art. 40 Protokoll von Ouro Preto. 4 Art. 5 CMC 23/00 i.V. mit Art. 10 CMC 20/02. Bis In-Kraft-Treten des Art. 10 der Entscheidung CMC 20/0 nach dem 30.6.2003 genügt das Vorhandensein einer identischen Regelung, der identische Wortlaut ist nicht erforderlich. CMC Nr. 20/02, http://www.sice.oas.org/trade/ mrcsrs/decisions/dec2002s.asp, eingesehen am 9.7.2015. 5 Art. 7 CMC 20/02. 6 http://www.sice.oas.org/dispute/mercosur/laudo4_s.asp, eingesehen am 9.7.2015. Zu diesem Schiedsspruch Baars/Bischoff-Everding, EuZW 2002, 329 f. 7 Rn. 117 des Schiedsspruches des MERCOSUR Ad hoc-Schiedsgerichts vom 21.5.2001. 8 http://www.sice.oas.org/dispute/mercosur/aclar5_s.asp, eingesehen am 9.7.2015. 9 Punkt III.3.1 des 5. Schiedsspruches des MERCOSUR Ad hoc-Schiedsgerichts. 10 http://www.sice.oas.org/dispute/mercosur/laudo6_s.asp, eingesehen am 9.7.2015. 11 Streitgegenständlich: Entscheidung CMC Nr. 22/00 bezüglich des Verbots der Einführung von Handelsbeschränkungen.
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Helbing 19
Teil A Rz. 50
Einführung
chung vertretene vertikale Drittwirkung für nicht umgesetztes MERCOSUR-Recht, sofern man den dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden zivilrechtlichen Grundsatz „nemo propiam turpitudinem allegans potest1“, zu den Grundsätzen des internationalen Rechts zählt2. Noch kann also jeder Vertragsstaat die Verabschiedung von Normen durch sein Veto in den Organen des MERCOSUR und sogar nach einstimmigem Beschluss durch Nichtumsetzung in nationales Recht verhindern. Wie kritisch bemerkt, bestimmt somit derjenige Vertragsstaat das Tempo der Integration, der ihr den größten Widerstand entgegensetzt und dessen Transformationsverfahren am längsten dauern3. 50
Die bisher oft erörterte und geforderte4 Möglichkeit, durch Vorabentscheidungsverfahren die einheitliche Auslegung von Gemeinschaftsrecht sicherzustellen, gewährt nun auch der MERCOSUR. Für die Ad hoc-Schiedsgerichte sieht das Protokoll von Olivos eine Regelung5 vor, die zu mehr Kontinuität und Einheitlichkeit auch in dieser Rechtsprechung führen soll: der bisherigen personellen Diskontinuität wird die Ernennung einer bestimmten Anzahl von Juristen, die das Amt des Präsidenten des Schiedsgerichts wiederholt ausüben sollen, entgegengesetzt. 3. Die Andengemeinschaft
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Die Andengemeinschaft ist ein regionaler Zusammenschluss zwischen den Staaten Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru, während Venezuela 2006 ausschied. Sie geht auf das Abkommen von Cartagena6, den Gründungsvertrag des so genannten Andenpakts aus dem Jahre 1969, zurück. Es wurde zuletzt grundlegend durch das 1997 in Kraft getretene Protokoll von Trujillo reformiert, welches insbesondere die institutionelle Struktur stärkte und erweiterte. In jenem Jahr wurde auch der Name des Zusammenschlusses in Andengemeinschaft geändert.
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Ziel der Andengemeinschaft ist es, die ausgewogene und harmonische Entwicklung der Vertragsstaaten unter gerechten Bedingungen mittels der wirtschaftlichen und sozialen Integration und Kooperation zu fördern, das Wachstum und die Schaffung von Beschäftigung zu beschleunigen und die Beteiligung der Mitgliedstaaten am Prozess der regionalen Integration, mit Blick auf schrittweise Schaffung eines lateinamerikanischen gemeinsamen Marktes, zu ermöglichen7.
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Die Andengemeinschaft ist eine eigenständige Person des Völkerrechts8 und verfügt über eine der EU ähnliche Struktur mit eigenen Organen9: Rat der Andenpräsidenten10, Rat der Außenminister11, Kommission der Andengemeinschaft12, General1 2 3 4
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Verbot, zu seinen Gunsten die Verletzung eigener Pflichten geltend zu machen. Vgl. Basedow, Der Mercosur als Integrationsmodell, in Basedow/Samtleben, S. 9 (18). Basedow, Der Mercosur als Integrationsmodell, in Basedow/Samtleben, S. 9 (18). Vgl. hierzu mit unterschiedlichen Argumenten Samtleben, Jurisprudencia Argentina 1998-I, 796; Samtleben, Der MERCOSUR als Rechtssystem, in Basedow/Samtleben, S. 51 (84); Basedow, Der Mercosur als Integrationsmodell, in Basedow/Samtleben, S. 9 (18); Santalla/Sennekamp, RIW 2002, 262 (268); Lehmann, EuZW 2001, 622 m.w.N. Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 2 Protokoll von Olivos. Acuerdo de Cartagena. Das Abkommen wird hier mit den Artikeln der 1996 geänderten Fassung zitiert. Im Internet verfügbar unter: http://www.comunidadandina.org/Normativa.aspx?link=TP, eingesehen am 15.4.2015. S. dazu Marwege, S. 25 ff. Art. 1 Abkommen von Cartagena. Art. 48 Abkommen von Cartagena. Näher hierzu Marwege, S. 45 ff., deren Darstellung jedoch auf die Situation vor Verabschiedung des Protokolls von Trujillo im Jahre 1996 beschränkt ist. Einen aktuelleren Überblick bietet Lavranos, ZeuS 2001, 127. Consejo Presidencial Andino; Art. 11 ff. Abkommen von Cartagena. Consejo Andino de Ministros de Relaciones Exteriores; Art. 15 ff. Abkommen von Cartagena. Comisión de la Comunidad Andina; Art. 21 ff. Abkommen von Cartagena.
20 | Helbing
Einführung
Rz. 56 Teil A
sekretariat1, Andengerichtshof2, Andenparlament3 und weitere beratende Institutionen4. Im Jahr 1993 wurde der Freihandel eingeführt, allerdings mit vielen Ausnahmeregelungen. Der Gemeinsame Außenzolltarif trat 1995 in Kraft5. 1998 konnten mit dem MERCOSUR und der EU Abkommen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen werden. Die Verhandlungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft über die Schaffung einer Freihandelszone scheiterten jedoch im zweiten Halbjahr 20086. Das letzte Mal trafen ihre Vertreter im März 2010 zusammen7. Dagegen gelangen es der Andengemeinschaft und dem MERCOSUR im Oktober 2004 eine Freihandelszone zu schaffen8. Ein Gemeinsamer Markt scheitert dagegen nach wie vor an geographischen Hürden, ständigen politischen Spannungen in den Mitgliedsländern sowie der Anziehungskraft anderer regionaler wirtschaftlicher Strukturen (USA, MERCOSUR). Vor diesem Hintergrund muss der Integrationsprozess der Andengemeinschaft skeptisch beurteilt werden.
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V. Internationales Wirtschaftsrecht: Rezeptivität und Expansionstendenz eines Rechtsgebiets Dass das Steuerrecht im Handelsrecht nicht selten Ton und Richtung bestimmt, ist bekannt. Erst in jüngerer Vergangenheit bildet sich in systematischer Weise das Bewusstsein heraus, dass wirtschaftsrechtliche Sachverhalte und handelsrechtliche Transaktionen auch von Regeln beeinflusst werden, die dem Anschein nach weit entfernten Rechtsgebieten angehören. Man denke nur an das Entwicklungsrecht, Sozialstandards und die Menschenrechte9. Beispielhaft seien zwei von ihnen genannt.
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1. Umweltrecht und Artenschutz Das Völkerrecht hat Umweltschutzbelange seit langem über Staatsverträge etwa zur Reinhaltung der Meere verfolgt; ferner durch gewohnheits- und vertragsrechtliche Regeln zum (völkerrechtlichen) Nachbarrecht, zum Lärmschutz usw.10. Die grenzüberschreitende Abfallentsorgung hat sowohl in haftungs-, wie transportrechtlicher wie schließlich zivilprozessrechtlicher Hinsicht ein Regelsystem generiert11, welches vielschichtige kollisionsrechtliche Folgeprobleme aufwirft. Sie sind bei Vertragsgestaltung, Risikobewertung und ggf. im Streitfall zu beachten. Umweltrechtlicher Meilenstein mit erheblicher Bedeutung für den Handel ist das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 (CITES), das 1975 in Kraft trat12. In Rio de Janeiro wurden im 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Secretaría General de la Comunidad Andina; Art. 29 ff. Abkommen von Cartagena. Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina; Art. 40 f. Abkommen von Cartagena. Parlamento Andino, Art. 42 ff. Abkommen von Cartagena. Art. 6, 44 Abkommen von Cartagena. Lavranos, ZeuS 2001, 127. http://eeas.europa.eu/andean/index_es.htm, eingesehen am 27.4.2015. http://eeas.europa.eu/andean/docs/joint_comm_050310_es.pdf, eingesehen am 27.4.2015. http://www.comunidadandina.org/seccion.aspx?id=111&tipo=TE&title=mercosur, eingesehen am 27.4.2015. Vgl. Tietje in ders., § 1 Rz. 33 ff., 68 ff.; Halfmeier, RabelsZ 68 (2004), 653. Hierzu insbesondere die Beiträge von Kunig, Lang, Lagoni und Dolzer in Kunig/Lang/Lagoni/ Dolzer/Kreuzer/Schack, BerDGesVR 32 (1992). Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung v. 22.3.1989, ILM 28 (1989), 657; Genfer Übereinkommen v. 10.10.1989 über die Haftung beim Transport gefährlicher Güter; dazu Herber, TranspR 1990, 51. Dem Problemkreis gelten auch mehrere EG-Richtlinien. Es wurde von allen deutschsprachigen Staaten ratifiziert. Europäische Umsetzung durch die Verordnung (EG) Nr. 338/97 v. 9.12.1996, ABl. EG Nr. L 61 v. 3.3.1997, S. 1 und Verordnung (EU) Nr. 1320/2014 v. 1.12.2014, ABl. EU Nr. L 361 v. 17.12.2014, S. 1.
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Rz. 56 Teil A
sekretariat1, Andengerichtshof2, Andenparlament3 und weitere beratende Institutionen4. Im Jahr 1993 wurde der Freihandel eingeführt, allerdings mit vielen Ausnahmeregelungen. Der Gemeinsame Außenzolltarif trat 1995 in Kraft5. 1998 konnten mit dem MERCOSUR und der EU Abkommen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen werden. Die Verhandlungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft über die Schaffung einer Freihandelszone scheiterten jedoch im zweiten Halbjahr 20086. Das letzte Mal trafen ihre Vertreter im März 2010 zusammen7. Dagegen gelangen es der Andengemeinschaft und dem MERCOSUR im Oktober 2004 eine Freihandelszone zu schaffen8. Ein Gemeinsamer Markt scheitert dagegen nach wie vor an geographischen Hürden, ständigen politischen Spannungen in den Mitgliedsländern sowie der Anziehungskraft anderer regionaler wirtschaftlicher Strukturen (USA, MERCOSUR). Vor diesem Hintergrund muss der Integrationsprozess der Andengemeinschaft skeptisch beurteilt werden.
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V. Internationales Wirtschaftsrecht: Rezeptivität und Expansionstendenz eines Rechtsgebiets Dass das Steuerrecht im Handelsrecht nicht selten Ton und Richtung bestimmt, ist bekannt. Erst in jüngerer Vergangenheit bildet sich in systematischer Weise das Bewusstsein heraus, dass wirtschaftsrechtliche Sachverhalte und handelsrechtliche Transaktionen auch von Regeln beeinflusst werden, die dem Anschein nach weit entfernten Rechtsgebieten angehören. Man denke nur an das Entwicklungsrecht, Sozialstandards und die Menschenrechte9. Beispielhaft seien zwei von ihnen genannt.
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1. Umweltrecht und Artenschutz Das Völkerrecht hat Umweltschutzbelange seit langem über Staatsverträge etwa zur Reinhaltung der Meere verfolgt; ferner durch gewohnheits- und vertragsrechtliche Regeln zum (völkerrechtlichen) Nachbarrecht, zum Lärmschutz usw.10. Die grenzüberschreitende Abfallentsorgung hat sowohl in haftungs-, wie transportrechtlicher wie schließlich zivilprozessrechtlicher Hinsicht ein Regelsystem generiert11, welches vielschichtige kollisionsrechtliche Folgeprobleme aufwirft. Sie sind bei Vertragsgestaltung, Risikobewertung und ggf. im Streitfall zu beachten. Umweltrechtlicher Meilenstein mit erheblicher Bedeutung für den Handel ist das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 (CITES), das 1975 in Kraft trat12. In Rio de Janeiro wurden im 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Secretaría General de la Comunidad Andina; Art. 29 ff. Abkommen von Cartagena. Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina; Art. 40 f. Abkommen von Cartagena. Parlamento Andino, Art. 42 ff. Abkommen von Cartagena. Art. 6, 44 Abkommen von Cartagena. Lavranos, ZeuS 2001, 127. http://eeas.europa.eu/andean/index_es.htm, eingesehen am 27.4.2015. http://eeas.europa.eu/andean/docs/joint_comm_050310_es.pdf, eingesehen am 27.4.2015. http://www.comunidadandina.org/seccion.aspx?id=111&tipo=TE&title=mercosur, eingesehen am 27.4.2015. Vgl. Tietje in ders., § 1 Rz. 33 ff., 68 ff.; Halfmeier, RabelsZ 68 (2004), 653. Hierzu insbesondere die Beiträge von Kunig, Lang, Lagoni und Dolzer in Kunig/Lang/Lagoni/ Dolzer/Kreuzer/Schack, BerDGesVR 32 (1992). Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung v. 22.3.1989, ILM 28 (1989), 657; Genfer Übereinkommen v. 10.10.1989 über die Haftung beim Transport gefährlicher Güter; dazu Herber, TranspR 1990, 51. Dem Problemkreis gelten auch mehrere EG-Richtlinien. Es wurde von allen deutschsprachigen Staaten ratifiziert. Europäische Umsetzung durch die Verordnung (EG) Nr. 338/97 v. 9.12.1996, ABl. EG Nr. L 61 v. 3.3.1997, S. 1 und Verordnung (EU) Nr. 1320/2014 v. 1.12.2014, ABl. EU Nr. L 361 v. 17.12.2014, S. 1.
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Teil A Rz. 57
Einführung
Jahre 1992 die UN-Konvention über Klimaänderungen (dazu später das Kyoto-Protokoll über die Verminderung von Treibhausgasen von 19971) unterzeichnet. Ferner das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt2. In all diesen Instrumenten werden Schwellenwerte und Kontingente definiert, umweltpolitische Ziele, Ge- und Verbote gesetzt, Verfahren bereitgestellt usw., welche zu den Rahmenbedingungen unternehmerischer Entscheidungen betreffend die Errichtung und den Betrieb von Anlagen sowie die Produktion von und den Handel mit Gütern gehören3. 57
Aus dem Welthandelsrecht ist die Frage bekannt, ob das Verbot des Imports von Fischen, welches als Sanktion missbilligter Fangmethoden eingesetzt wurde, gem. Art. XX GATT gerechtfertigt ist4. Ist dies der Fall, kann das im Rahmen des anwendbaren Rechts Auswirkungen auf die Wirksamkeit zivilrechtlicher Verträge haben.
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Das EU-Recht prägt zunehmend das nationale Umweltrecht. So werden über so genannte Integrationsklauseln z.B. die Anforderungen der IVU-Richtlinie5 in das nationale Recht überführt, was u.U. zu einer Erweiterung des Kreises genehmigungspflichtiger Anlagen führt6. Die Einhaltung der entsprechenden Grenzwerte kann für die Unternehmen zu erheblichen Kosten aus zusätzlich erforderlich werdenden Investitionen führen. Auch beeinflusst das EU-Recht Standortentscheidungen. So verfolgen eine Reihe von Richtlinien den Schutz und die Erhaltung von Tierarten, Pflanzenarten bzw. eines Habitat in seiner Gesamtheit. Das Ziel ist ein Netz ökologischer Schutzgebiete. Vorhaben, die mit den Zielen dieser Richtlinien unvereinbar sind, können in der Regel nicht – wie ggf. geplant – verwirklicht werden und müssen an einem – u.U. unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ungünstigeren – Standort realisiert werden. 2. Kulturgüterschutz
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Die Einwirkung von Kulturgüterschutz auf das internationale Handelsrecht wurde in der deutschen höchstrichterlichen Judikatur erstmals offenbar in BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 Nigeria verbietet die Ausfuhr von Kulturgütern. Deutsche Parteien missachten dieses Verbot und verschiffen Masken nach Hamburg. Die Masken waren versichert; der Versicherungsvertrag unterstand deutschem Recht. Nachdem die Masken auf dem Transport verloren gegangen waren, wird auf Entschädigung geklagt. Der BGH weist die Klage ab, weil wegen des nigerianischen Verbots dem See-Güterversicherungsvertrag ein versicherbares Interesse wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) nicht zugrunde liege.
Die Entscheidung wurde zum leading case für die Behandlung ausländischer Verbotsgesetze im Rahmen des inländischen Vertragsstatuts7. 60
Ebenso wie nationales kann – indirekt oder auch direkt – völkervertragliches Kulturgüterschutzrecht einschlägig werden, wenn es um die Wirksamkeit und die Ansprüche aus Verträgen über Kulturgüter sowie ggf. deren Rückabwicklung geht. Zu nennen sind hier (1) das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut v. 14.11. 19708, (2) das UNIDROIT-Übereinkommen v. 24.6.1995 über gestohlene oder illegal 1 2 3 4 5 6 7 8
BGBl. 2002 II, 966. Auch Österreich und die Schweiz haben dieses ratifiziert. BGBl. 1993 II, 1742. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rz. 14 ff. Stoll/Schorkopf, WTO, Rz. 174 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 10 Rz. 56 ff.; Schoenbaum, Am. J. Int. L. 91 (1997), 268. Richtlinie 2008/1/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung v. 15.1.2008, ABl. EU Nr. L 24, S. 8 v. 29.1.2008. Vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 10 Rz. 80. Vgl. hierzu v. Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 80 f.; Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 494 ff.; Siehr, Das IPR der Schweiz, S. 608–611, im Lichte von Art. 19 schwIPRG. 823 U.N.T.S. 231.
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Einführung
Rz. 62 Teil A
ausgeführte Kulturgüter1. Auch in diesem Bereich gibt es neuerdings ein neuartiges – möglicherweise als soft law (s. Rz. 3) zu qualifizierendes – Instrument, die UNESCO/ UNIDROIT Model Provisions on State Ownership in Undiscovered Cultural Objects von 2011. Im Europarecht enthielt die Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern2 zwei Normen über das anwendbare Recht3. Art. 9 Abs. 2 ordnet an, dass sich die Beweislast dafür, dass der Eigentümer beim Erwerb mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen ist, nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates bestimmt. Gemäß Art. 12 bestimmt sich die Frage des Eigentums nach erfolgter Rückgabe nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. Dies ist bei der Umsetzung in Österreich richtigerweise als Sachnormverweisung behandelt worden, § 20 des Bundesgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgüter4. Ebenso in Deutschland in Art. 1 § 4 Abs. 1 und Art. 1 § 8 KulturgutsicherungsG5: Das Eigentum an Kulturgut, welches nach den Gesetzesbestimmungen in das Bundesgebiet zurückgegeben wird, richtet sich nach deutschem Sachrecht. Entsprechendes gilt für ausländisches zurückgegebenes Kulturgut. Die deutsche Sonderkollisionsnorm hat als lex specialis Vorrang vor Art. 43, 46 EGBGB.
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3. Expansionstendenz Indes ist das Wirtschaftsrecht nicht nur rezipierend-offen für Regelungsmodelle und Normen aus nicht genuin kommerziell ausgerichteten Bereichen. Wo dies politisch gewollt und geduldet ist, können Lebensbereiche, welche etwa in Europa traditionell als durchaus wirtschaftsfern erschienen, durch Freihandelsabkommen (siehe unten, Teil J) unvermittelt zu kommerzieller Aktivität umdefiniert werden – man denke an Erziehung, das Gesundheitswesen oder gewisse Zweige künstlerischen Schaffens. Landwirtschaft, in der EWG/EG/EU schon historisch ein Kerngebiet öffentlichen Wirtschaftsrechts, wird neuerdings auch als Objekt des internationalen bzw. transnationalen Handelsvertragsrechts wahrgenommen6. 1 Final Act of the Diplomatic Conference for the Adoption of the Draft UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome, 24 June 1995); Explanatory Report veröffentlicht in Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2001, 476. Das Übereinkommen ist derzeit in Kraft in 37 Staaten, zu denen die vier deutschsprachigen nicht gehören. Zum Ratifikationsstand www. unidroit.org. Aus der Flut der Literatur sei hingewiesen nur auf den Tagungsband des Ludwig Boltzmann Instituts, Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, Wien 1997. Dazu auch Jayme, IPRax 1997, 140. Ferner zu der Konvention im regionalen und weltweiten Kontext die Beiträge von Shyllon, Maher Abd El Wahed, Voulgaris, Siehr, Sanchez Cordero, Grosse/Jouanny und Renold in Unif. L. Rev./Rev. dr. unif. 2003, 511–583. Den Zusammenhang mit der Behandlung von in Kriegs- und Besatzungszeit konfiszierten Kunstwerken beleuchtet LG Köln v. 10.10.1995 – 5 O 182/92, IPRax 1996 m. Bespr. Seidl-Hohenveldern, S. 410 und BVerfG v. 28.1. 1998 – 2 BvR 1981/97, IPRax 1998, 482 m. Bespr. Doehring, S. 465. Parallelen im Naturschutz ergeben sich aus OGH v. 10.5.1995 – 7 Ob 617/94, IPRax 1997, 265 m. Bespr. Reichelt, S. 290. 2 ABl. EG Nr. L 74 v. 27.3.1993, S. 74. Vgl. nunmehr Verordnung (EG) des Rates v. 18.12.2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifizierte Fassung), ABl. EU Nr. L 39, v. 10.2.2009, S. 1. 3 Grundlegend Frigo, Circulation of Cultural Property, Choice of Law and Methods of Dispute Resolution (Hague Academy of International Law, Vorlesung 2014, wird veröffentlich in Rec. des Cours). 4 BGBl. 1998 I, 67 v. 15.5.1998; zustimmend Jayme/Kohler, IPRax 1998, 417 (426 f.), dort auch zur Umsetzung in Luxemburg und zur Nichtumsetzung in Italien; a.A. Siehr, in Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, S. 29 (38). 5 KulturgutSiG v. 15.10.1998, BGBl. 1998 I, 3162. Hierzu v. Preuschen, EuZW 1999, 40; Jayme/ Kohler, IPRax 1999, 401 (412 f.). 6 Siehe hierzu den soeben publizierten UNIDROIT/FAO/IFAD Legal Guide on Contract Farming, Rome 2015.
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Kronke 23
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Teil B. Warenhandel Kapitel 1. Außenhandelsrecht I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtliche Grundlagen 1. Exportkontrolle im Waffenbereich . . . . . . . . . . . . . . . 2. Embargos und Wirtschaftssanktionen . . . . . . . . . . . . . 3. World Trade Organisation (WTO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Zielsetzung und Prinzipien . c) Überprüfungsmechanismen . 4. European Free Trade Association (EFTA) . . . . . . . . . . . . 5. Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäische Union 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Binnenmarkt . . . . . . . . . . . 3. Handelspolitik im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . 4. Embargomaßnahmen . . . . . . 5. Dual-use-Verordnung . . . . . . IV. Deutschland 1. Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung . . . . . . . . . 2. Einfuhrbeschränkungen . . . . . 3. Ausfuhrbeschränkungen . . . . 4. Verbringung in andere Mitgliedstaaten der EU . . . . . . . 5. Transitgeschäfte . . . . . . . . . 6. Genehmigungen . . . . . . . . . 7. Embargos . . . . . . . . . . . . . . 8. Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) . . . . . . . . . . 9. Verfahrensrechtliche Kontrolle V. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . VI. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Deutschland und Österreich 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich der Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . 3. Anknüpfung: Rechtswahl a) Grundsatz . . . . . . . . . . . b) Grenzen der Rechtswahl . . . 4. Wirkung der Rechtswahl a) Grundsatz . . . . . . . . . . . b) Wahl außerstaatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirksame Rechtswahl . . . . . 6. Stillschweigende Rechtswahl .
1 3 17 20 24 31 39 42 46 49 53 60 61 67 70 72 78 80 81 85 89 94 96 98 106 107 111 112 114 115 117 118 120 122
7. Objektive Anknüpfung a) Grundsatz . . . . . . . . . . . b) Vertragscharakteristische Leistung . . . . . . . . . . . . . c) Ausweichklausel . . . . . . . d) Berufliche oder gewerbliche Verkäufe . . . . . . . . . . . . e) Fehlen einer charakteristischen Leistung: Tausch . . . 8. Geltungsbereich des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . III. Schweizerisches Recht 1. Allgemeines Vertragsstatut . . . 2. Haager Übereinkommen über internationales Kaufrecht a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Rechtswahl . . . . . . . . . . . c) Objektive Anknüpfung . . . . d) Anwendungsbereich . . . . . IV. Liechtenstein 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 3. Objektive Anknüpfung . . . . . 4. Sonderanknüpfungen . . . . . . 5. Rückverweisung . . . . . . . . . Kapitel 3. UN-Kaufrecht (CISG) I. Anwendbarkeit 1. Anwendungsvoraussetzungen 2. Abwahl des CISG . . . . . . . . . 3. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen nach Art. 2 CISG . 5. Vertragsschluss und Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . 6. Eigentumsübergang . . . . . . . 7. Institute des Allgemeinen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . 8. Produkthaftung . . . . . . . . . . 9. Interne Lücken . . . . . . . . . . II. Vertragsschluss 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsschlusserklärungen . . 3. Zugang . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einschaltung von Mittelspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bindung an ein Angebot . . . . . 7. Bestimmtheit eines Angebots 8. Abändernde Annahme . . . . . . 9. Kaufmännische Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine Geschäftsbedingungen 1. Einbeziehung . . . . . . . . . . . 2. Kollidierende Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . .
123 124 125 128 132 134 137 141 145 146 150 152 153 155 159 162 163 166 167 175 179 183 185 189 191 196 197 198 200 202 203 206 210 213 215 217
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Teil B IV. Vertragsänderung . . . . . . . . . . V. Pflichten des Verkäufers 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 2. Lieferpflicht und Gefahrübergang a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Bringschuld . . . . . . . . . . c) Schickschuld aa) Grundsatz . . . . . . . . . bb) Weitere Pflichten . . . . d) Holschuld . . . . . . . . . . . 3. Versicherung der Ware für den Transport . . . . . . . . . . . . . 4. Dokumentenlieferpflicht . . . . 5. Lieferung einer mangelfreien Ware a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Sachmangel aa) Subjektiver Maßstab . . bb) Objektiver Maßstab . . . cc) Aliud-Lieferung . . . . . dd) Ausschluss bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Mangels . . . . . . . . . . c) Rüge- und Untersuchungsobliegenheit aa) Allgemeines . . . . . . . bb) Gebotene Untersuchung . . . . . . . . . . cc) Frist für die Untersuchung . . . . . . . . . . dd) Beginn und Länge der Rügefrist . . . . . . . . . ee) Ausschlussfrist . . . . . d) Rechtsmangel . . . . . . . . . e) Geistiges Eigentum Dritter . f) Rügeobliegenheit bei Rechtsmangel . . . . . . . . . g) Minderung und Schadensersatz trotz Rügeversäumnis VI. Rechtsbehelfe des Käufers 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllungsanspruch a) Grundsatz . . . . . . . . . . . b) Ersatzlieferung und Nachbesserung aa) Allgemein . . . . . . . . . bb) Ersatzlieferung . . . . . . cc) Nachbesserung . . . . . . dd) Rechtsmangel . . . . . . c) Verhältnis zwischen Ersatzlieferung und Nachbesserung . . . . . . . . . . . . . . . d) Frist . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nacherfüllungsrecht des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis des Nacherfüllungsrechts zur Vertragsaufhebung .
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Warenhandel 221 224 226 229 232 237 240 242 244 246 247 248 254 257 259 264 266 268 271 272 273 274 276 277 280 282 283 284 286 287 288 289 293
5. Fristsetzungen und Aufforderungen durch Verkäufer und Käufer a) Fristsetzung durch Käufer b) Aufforderung durch Verkäufer . . . . . . . . . . . 6. Vertragsaufhebung . . . . . . . . a) Aufhebung wegen wesentlicher Vertragsverletzung, Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG . . aa) Interessenbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . bb) Vorhersehbarkeit . . . . b) Aufhebung nach erfolglosem Fristablauf, Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG . . . . . . . . . . . aa) Nachfristsetzung . . . . bb) Fristen für die Aufhebungserklärung . . . . 7. Minderung . . . . . . . . . . . . 8. Teillieferung und Teilmangel . VII. Pflichten des Käufers 1. Kaufpreiszahlung a) Modalitäten . . . . . . . . . . b) Währung . . . . . . . . . . . . c) Erfüllungsort . . . . . . . . . d) Gerichtsstand des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . e) Fälligkeit aa) Zeitpunkt . . . . . . . . . bb) Eintritt der Fälligkeit . . 2. Abnahme der Ware . . . . . . . a) Übernahme der Ware . . . . b) Mitwirkungshandlungen . . c) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . 3. Abnahmeverweigerung . . . . . VIII. Rechtsbehelfe des Verkäufers bei Vertragsverletzungen des Käufers 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Erfüllungsanspruch . . . . . . . 3. Aufhebung des Vertrages . . . . 4. Spezifizierung durch den Verkäufer bei Nichtvornahme durch den Käufer . . . . . . . . IX. Schadensersatz 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Vorhersehbarkeit . . . . . . . . 3. Ausschluss von Schadensersatz nach Art. 79 CISG . . . . . . . . X. Zinszahlungspflicht . . . . . . . . Kapitel 4. Handelsbräuche, INCOTERMS I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsnatur und Geltungsgrund . III. Inhalt – Überblick . . . . . . . . .
298 302 304 307 309 314 319 320 324 330 333 338 343 346 349 350 351 352 353 354 357 358 360 363 366 372 374 380 383 387
391 392 394
Literatur
Teil B
Literatur: Allgemein: Breitenmoser/Husheer, Europarecht, 2. Aufl. 2002; Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Einfuhrfibel, Januar 2012 (http://www.bafa.de/bafa/de/weitere_aufgaben/einfuhr/ publikationen/einfuhrfibel.pdf; Stand 2.2.2016); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Exportkontrolle, September 2013 (http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/arbeitshilfen/merkblaetter/kurzdarstellung.pdf; Stand 10.11.2014); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Handbuch der deutschen Exportkontrolle, Band 1 Kommentierungen, Loseblattsammlung, Stand 101. Erg. Lief., August 2014; Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, 35. Erg. Lief., Februar 2014; Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht Bd. 1, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012; Güllemann, Internationales Vertragsrecht – Kollisionsrecht, UN-Kaufrecht und Internationales Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2014; Münch/ Passadelis/Lehne, Handbuch Internationales Handles- und Wirtschaftsrecht, Basel, 2015; Simonsen (Hrsg.), Außenwirtschaftsrecht 11. Aufl. Köln 2014; Weick/Basse, Recht des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, Berlin 2013. Außenhandelsrecht: v. Bogdandy, Kollision, Koexistenz oder Kooperation? – Zum Verhältnis von WTO-Recht und europäischem Außenwirtschaftsrecht in neueren Entscheidungen, EuZW 2000, 261; Gebauer, Kollisionsrechtliche Auswirkungen der US-amerikanischen Helms-Burton-Gesetzgebung, IPRax 1998, 145; Grabitz/v. Bogdandy/Nettesheim, Europäisches Außenwirtschaftsrecht, 1994; Granditsch, Außenhandelsrecht kompakt, 2008; Hohmann, Die Neufassung der Dual-UseVerordnung für die Exportkontrolle, NJW 2000, 3765; Hölscher, Außenwirtschaftsrecht und Terrorbekämpfung, ZFZ 2003, 218; van Houtte, The Law of International Trade, 2. Aufl. 2002; Herrmann/ Weiß/Ohler, Welthandelsrecht, 2. Aufl. 2007; Hucko/Wagner, Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht, 9. Aufl. 2003; Karpenstein, Die neue Dual-use-Verordnung, EuZW 2000, 677; Kreß/Herbst, Der Helms-Burton-Act aus völkerrechtlicher Sicht, RIW 1997, 630; Pottmeyer, Der Ausfuhrverantwortliche, 5. Aufl. 2014; Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994; Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, 2003; Reuter, Außenwirtschafts- und Exportkontrollrecht. Deutschland/Europäische Union, 1995; Streinz, EUV/AEUV Kommentar, 2. Aufl. 2012; Werner, Das Wassenaar-Arrangement – Eine neues Exportkontrollregime, AW-Prax 1996, 49. Kollisionsrecht: Czernich/Heiss, Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen: Neues internationales Vertragsrecht für Österreich, ÖJZ 1998, 681; Heiss/Mayr, Neuerungen im österreichischen internationalen Verfahrens- und Vertragsrecht, IPRax 1999, 305; Hohloch/Kjelland, Abändernde stillschweigende Rechtswahl und Rechtswahlbewusstsein, IPRax 2002, 30; Juenger, Parteiautonomie und objektive Anknüpfung im EG-Übereinkommen zum Internationalen Vertragsrecht, RabelsZ 46 (1982), 57; Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei, RabelsZ 42 (1978), 634; Mankowski, Das Internet im Internationalen Vertrags- und Deliktsrecht, RabelsZ (1999), 203; Mankowski, Überlegungen zur sach- und interessengerechten Rechtswahl für Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs, RIW 2003, 2; Marxer/ReichertFacilides/Schnyder (Hrsg.), Gegenwartsfragen des liechtensteinischen Privat- und Wirtschaftsrechts, 1998; Pfeiffer, Die Entwicklung des Internationalen Vertrags-, Schuld- und Sachenrechts in den Jahren 1995/96, NJW 1997, 1207; Rudisch, Der Beitritt Österreichs zum Römer Schuldvertragsübereinkommen, RabelsZ 63 (1999), 70. UN-Kaufrecht: Kommentare und Gesamtdarstellungen: Audit, La vente internationale de marchandises, 1990 ; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, Band 4, Bürgerliches Gesetzbuch, Schuldrecht Besonderer Teil I, §§ 433–610 mit UNKR, hrsg. v. Laumen/Prütting, 3. Aufl. 2009 (zit: Bearbeiter in Baumgärtel/Laumen/Prütting); Bianca/Bonell, Commentary on the International Sales Law, 1987; Brunner, UN-Kaufrecht – CISG, 2. Aufl. Bern 2014; Enderlein/Maskow/ Strohbach, Internationales Kaufrecht, 1991; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, 1991; Heuzé, La vente internationale de marchandises – Droit uniforme, 2. Aufl. 2000; Honnold/Flechtner, Uniform Law for International Sales Under the 1980 United Nations Convention, 4. Aufl. 2009; Honsell, Kommentar zum UN-Kaufrecht, 2. Aufl. 2010; Karollus, UN-Kaufrecht, 1991; Neumayer/ Ming, Convention de Vienne sur les contrats de vente internationale de marchandises, Commentaire, 1993 ; Piltz, Internationales Kaufrecht, 2. Aufl. 2008; Reinhart, UN-Kaufrecht, 1991; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, 1981; Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, 1987; Schlechtriem/Schwenzer (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), 6. Aufl. 2013; Secretariat Commentary, Commentary on the Draft Convention on Contracts for the International Sale of goods, O.R. S. 14 ff.; Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, 2. Aufl. 2016; Monographien und Zeitschriftenaufsätze: Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß Art. 74 S. 2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996; Ferrari, The CISG’s Interpretative Goals, Its Interpretative Method and Its General Principles in Case Law, ZHR 2013, 137 (Part I), 181 (Part II); Herber, Mangelfolgeschäden nach dem CISG und nationales Deliktsrecht, IHR 2001, 187; Holthausen, Wesentliche Vertragsverletzung des Verkäufers nach Art. 25 UN-Kaufrecht, RIW 1990, 101; Huber, Der UNCITRAL-Entwurf eines Übereinkommens über internationale
27
Teil B Rz. 1
Warenhandel
Warenkaufverträge, RabelsZ 43 (1979), 413; Lurger, Die wesentliche Vertragsverletzung nach Art. 25 CISG, IHR 2001, 91; Magnus, Die Rügeobliegenheit des Käufers im UN-Kaufrecht, TranspR-IHR 1999, 29; Magnus, Unbestimmter Preis und UN-Kaufrecht, IPRax 1996, 145; Otte, UN-Kaufrecht – Käuferrechte bei Weiterverarbeitung der Kaufsache bzw. unterlassener Untersuchung und Mängelanzeige, IPRax 1999, 352; Piltz, AGB in UN-Kaufverträgen, IHR 2004, 133; Piltz, Neue Entwicklungen im UN-Kaufrecht, NJW 2000, 553, NJW 2003, 2056; R. Koch, Wider den formularmäßigen Ausschluss des UN-Kaufrechts, NJW 2000, 910; R. Koch, Zum Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung im UN-Kaufrecht im Falle der Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware, RIW 1995, 98; Schillo, UN-Kaufrecht oder BGB?, IHR 2003, 257; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UNKaufrecht, 5. Aufl. 2013; Schlechtriem, Noch einmal: Vertragsgemäße Beschaffenheit der Ware bei divergierenden öffentlich-rechtlichen Qualitätsvorgaben, IPRax 2001, 161; Schlechtriem, Vertragsmäßigkeit der Ware und öffentlich rechtliche Vorgaben, IPRax 1999, 388; Schmid, Das Verhältnis von Einheitlichem Kaufrecht und nationalem Deliktsrecht am Beispiel des Ersatzes von Mangelfolgeschäden, RIW 1996, 904; Schroeter, Rückkaufverpflichtungen und „contra proferentem“-Regel unter dem UN-Kaufrecht, ZHR 2014, 173; Siehr, Der internationale Anwendungsbereich des UNKaufrechts, RabelsZ 52 (1988), 587; Steensgaard, Battle oft he forms under the CISG – one or more solutions?, IHR 2015, 89; Stoll, Regelungslücken im Einheitlichen Kaufrecht und IPR, IPRax 1993, 75; Vargas Weil, The application oft he CISG in Latin America, ZHR 2015, 233; Vékás, Zum persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich des UN-Einheitskaufrechts, IPRax 1987, 342; Ventsch/Kluth, Die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Rahmen des UNKaufrechts, IHR 2003, 61; Witz/Kuhn, Der neueste Beitrag des französischen Kassationshofes zur Auslegung des Artikels 40 CISG, IHR 2015, 204; Witz/Wolters, Das Ende der Problematik des unbestimmten Preises in Frankreich, ZEuP 1996, 648. Incoterms: Basedow, Die Incoterms und der Container oder wie man kodifizierte Usancen reformiert, RabelsZ 43 (1979), S. 116; von Bernstorff, Incoterms 2010 der Internationalen Handelskammer (ICC), 2. Aufl. 2012; Koller in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl. 2004; Kronke, Ein (nicht ganz) alltäglicher Handelskauf, Jura 1984, 203; Lehr, Die neuen Incoterms 2000, VersR 2000, 548; Piltz, INCOTERMS 2000 – ein Praxisüberblick, RIW 2000, 485; Piltz/Bredow, Incoterms. Kommentar, 2016.
Kapitel 1. Außenhandelsrecht Spezialliteratur siehe die Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Überblick 1
Mit der Regulierung des Außenhandels werden sehr unterschiedliche Ziele verfolgt. Regelungsziel kann einmal handelspolitisch die Erhaltung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und die Förderung der eigenen Exportwirtschaft sein. Daneben kann die Regulierung des Außenwirtschaftsverkehrs auch zur Verfolgung allgemeiner außenpolitischer oder sicherheitspolitischer Ziele eingesetzt werden. Hierzu gehören zum einen Beschränkungen gegenüber einzelnen Ländern in Form von Embargos und Wirtschaftssanktionen aus konkreten außenpolitischen oder sicherheitspolitischen Anlässen. Zum anderen ist dies der große Bereich von Beschränkungen zur Begrenzung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und weiter gehend von konventionellen Waffen und sonstigem Kriegsgerät. Drittens wird der Außenhandel auch in Bezug auf andere spezielle Politikbereiche reguliert. Wichtiges Beispiel sind etwa Exportverbote von Kulturgütern, die eine besondere nationale Bedeutung haben.
2
Hinsichtlich der Rechtsquellen sind nationale Regelungen und supranationale zu unterscheiden, die den nationalen Regelungsmöglichkeiten Schranken setzen. Im Bereich der allgemeinen handelspolitischen Maßnahmen haben zwischenstaatliche Vereinbarungen vor allem die weitere Liberalisierung des Handels zum Gegenstand, begrenzen also den Handlungsspielraum der Vertragsstaaten, in den Außenhandel regulierend einzugreifen. In den anderen Bereichen, wie etwa dem der Beschränkung der Weiterverbreitung von Kriegsmaterial, zielen die supranationalen Regelungen demgegenüber auf die Beschränkung der Außenhandelsfreiheit ab. 28 | Benicke
Außenhandelsrecht
Rz. 6 Teil B
II. Völkerrechtliche Grundlagen 1. Exportkontrolle im Waffenbereich Im Bereich der Exportkontrolle besteht mit dem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) eine rechtlich bindende internationale Konvention. Das Chemiewaffenübereinkommen ist am 29.4.1997 in Kraft getreten und hat zurzeit 190 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland1, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz2. Es verbietet die Entwicklung, die Herstellung, die Lagerung, die Weitergabe und den Einsatz von Chemiewaffen. Außerdem sind die vorhandenen Bestände an Chemiewaffen zu vernichten3. Das Chemiewaffenübereinkommen enthält drei Listen mit kontrollierten Chemikalien. Viele dieser Chemikalien sind so genannte dual-use Chemikalien, d.h. Chemikalien, mit denen chemische Waffen hergestellt werden können, die aber auch in der Industrie, in der Medizin und in der Forschung Anwendung finden. Firmen, die mit gelisteten Chemikalien arbeiten, müssen jährliche Meldungen über ihre entsprechenden Tätigkeiten erstatten. Zudem sind Exporte und teilweise auch Exporte von gelisteten Chemikalien melde- und bewilligungspflichtig. Die Einhaltung der Verbote und Gebote des CWÜ wird durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW4) mit Sitz in Den Haag überwacht5. Dafür werden auch kurzfristig angekündigte Inspektionen in den Unternehmen durchgeführt.
3
Zudem schafft der Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) vom 2.4. 2013 erstmalig international rechtsverbindliche und einheitliche Mindeststandards für den Handel mit konventionellen Waffen6. Der Vertrag tritt am 24.12.2014, nämlich neunzig Tage nach der fünfzigsten Hinterlegung der Ratifikationsurkunde (Art. 22 Abs. 1 ATT), in Kraft und hat derzeit 55 Mitgliedstaaten7. Die Ratifikation durch Deutschland ist bereits mit dem Ratifizierungsgesetz vom 19.10.20138 geschehen. Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erfolgte am 2.4.2014. Kritisch zu sehen ist jedoch der nur eingeschränkte Geltungsbereich des ATT (Art. 2 ATT) und der zu weite Interpretationsspielraum bei den ausdrücklich enthaltenen Genehmigungsverboten9.
4
In den übrigen Bereichen existieren nur so genannte „Kontrollregimes“; es handelt sich um Kontaktgruppen, in denen die Regierungen der beteiligten Staaten Informationen austauschen und ihre Vorgehensweise koordinieren. Diese Kontrollregime haben einen starken Einfluss auf die Exportkontrollen der beteiligten Länder, weil in ihrem Rahmen gemeinsame Güterlisten erarbeitet werden, ein ständiger Informationsaustausch über sensitive Endempfänger und Projekte stattfindet sowie gegenseitige Konsultationen zu technischen Verfahrens- und Genehmigungsfragen stattfinden. Sie fördern durch ihre Harmonisierungswirkung wesentlich die Effektivität der Exportkontrollen10.
5
In der 1985 gegründeten so genannten Australiengruppe arbeiten zurzeit 40 Staaten und die Europäische Kommission zusammen, um ihre Kontrollmaßnahmen zur Ver-
6
1 Vgl. Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen v. 13.1.1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen v. 2.8.1994, BGBl. 1994 I, 1954, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 G v. 6.6. 2013, BGBl. 2013 I, 1482. 2 Nachweise bei http://www.opcw.org/about-opcw/member-states (Stand 2.2.2016). 3 S. auch zum Chemiewaffenübereinkommen: Granditsch, 2.2.1.5; Simonsen, S. 35. 4 Engl.: Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons – OPCW. 5 Homepage der OPCW: http://www.opcw.org (Stand: 2.2.2016). 6 Insgesamt zum ATT: Pottmeyer, Ausfuhrverantwortliche, 1.2.3. 7 Die Internetseite http://disarmament.un.org/treaties/t/att (Stand 2.2.2016) liefert einen Überblick über die Unterzeichnerstaaten und die Ratifikationen. Am 17.12.2014 hatten 125 Staaten den Vertrag unterzeichnet und hiervon 55 Staaten diesen auch ratifiziert. 8 Gesetz zu dem Vertrag v. 2.4.2013 über den Waffenhandel v. 19.10.2013, BGBl. 2013 II, 1426. 9 Vgl. Simonsen, S. 25. 10 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 17.
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Benicke 29
Teil B Rz. 7
Warenhandel
hinderung der Weiterverbreitung von biologischen und chemischen Waffen zu koordinieren und zu harmonisieren1. Es handelt sich dabei um Staaten, die wichtige Anbieter und Durchfuhrländer von dual-use Chemikalien, biologischen Agenzien und Toxinen sowie Ausrüstungsgütern sind, die für ein Biologie- oder Chemiewaffenprogramm missbraucht werden können. Teilnehmer der Australiengruppe ist neben Deutschland, Österreich und der Schweiz auch die Europäische Kommission2. 7
Die Gruppe der Nuklearlieferländer (Nuclear Suppliers Group, NSG) wurde 1974 mit dem Ziel gegründet, die Durchsetzung der Bestimmungen des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NVV; Atomsperrvertrag oder Atomwaffensperrvertrag) zu verbessern. Die Gruppe hat zurzeit 48 Mitglieder, darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die Europäische Union hat einen Beobachterstatus. Die NSG ist keine internationale Organisation3.
8
Art. 3 des NVV lässt die Weitergabe von spaltbarem Material an Nicht-Kernwaffenstaaten nur zu, wenn dieses Material anlagenbezogenen Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) unterliegt. Der so genannte ZanggerAusschuss, der der IAEO zuarbeitet, hat seit 1974 Listen von nuklearrelevanten Gütern aufgestellt, deren Export ebenfalls solche Sicherungsmaßnahmen im Empfängerstaat voraussetzt.
9
Die NSG hat darüber hinaus zwei separate Richtliniendokumente (Guidelines) erarbeitet, die allerdings für die beteiligten Regierungen nur politisch, nicht aber rechtlich verbindlich sind.
10
Die eine Richtlinie erfasst die eigentlichen Nukleargüter (NSG Part 1)4, die andere die im Nuklearbereich einsetzbaren Güter mit zivilem und militärischem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter, NSG Part 2)5. Für die eigentlichen Nukleargüter, wie etwa Ausrüstungen für Kernreaktoren und Urananreicherungsanlagen, gelten besonders strenge Ausfuhrregeln. Sie dürfen ausschließlich an Staaten geliefert werden, deren Nuklearanlagen vollständig den Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO unterstellt sind. Dual-Use-Güter sollen dann nicht geliefert werden, wenn diese einen Beitrag zur Herstellung von Kernwaffen oder einem nicht von der IAEO kontrollierten Kernbrennstoffkreislauf dienen würden.
11
Um die Verbreitung von Raketentechnologie zu verhindern, die zur Herstellung von Trägern von Massenvernichtungswaffen beitragen kann, wurde 1987 das Missile Technology Control Regime (MTCR) ins Leben gerufen6, das gegenwärtig 34 Teilnehmerstaaten hat. Dazu gehören Deutschland, Österreich und die Schweiz7. Das MTCR hat eine Sonderstellung, weil Raketen, im Gegensatz zu Atom-, Biologie- und Chemiewaffen nicht durch internationale Konventionen geächtet sind. Seit 2002 gibt es allerdings einen Haager Verhaltenskodex zur Nichtweiterverbreitung von ballistischen Raketen (HCOC)8. 1 Granditsch, 2.2.1.3. 2 S. Nachweise bei http://www.australiagroup.net/en/participants.html (Stand 2.2.2016); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 20. 3 S. http://www.nuclearsuppliersgroup.org (Stand 2.2.2016); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 19. 4 Text bei: http://www.nuclearsuppliersgroup.org/images/Files/Updated_control_lists/Prague_ 2013/NSG_Part_1_Rev.12_clean.pdf (Stand 2.2.2016). 5 Text bei: http://www.nuclearsuppliersgroup.org/images/Files/Updated_control_lists/Prague_ 2013/NSG_Part_2_Rev._9_clean.pdf (Stand 2.2.2016). 6 Granditsch, 2.2.1.2. 7 S. http://www.mtcr.info/german/partners.html (Stand 2.2.2016). 8 Bericht des (schweizerischen) Bundesrates über die Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik der Schweiz 2012 v. 30.11.2012, S. 18 (https://www.eda.admin.ch/content/dam/eda/de/documents/ publications/Friedenspolitik/Abruestungsbericht-2012_de.pdf; Stand 2.2.2016).
30 | Benicke
Außenhandelsrecht
Rz. 17
Teil B
Die durch das MTCR koordinierten Ausfuhrkontrollmaßnahmen sind in einem Richtliniendokument (Guidelines1) und einem Anhang2, der die zu kontrollierenden Güter auflistet, geregelt. Dabei wird unterschieden zwischen Kategorie-I-Gütern, welche grundsätzlich gar nicht ausgeführt werden sollten (z.B. vollständige Raketen, Triebwerke, etc.) und Kategorie-II-Gütern, für deren Export ein Ermessensspielraum besteht (so genannte Dual-Use-Güter, also solche mit doppeltem zivilem und militärischem Verwendungszweck). Bei der Beurteilung von Ausfuhranträgen ziehen die Teilnehmerstaaten unter anderem in Betracht, ob der Empfängerstaat ein Raketenprogramm betreibt und ob er illegale Massenvernichtungswaffen entwickelt oder besitzt. Nicht genehmigte Lieferungen werden allen anderen Partnern notifiziert (so genannte denials).
12
Das Wassenaar Arrangement (WA) zu Exportkontrollen für konventionelle Waffen und Dual-use-Güter und Technologien zielt auf die Exportkontrolle von klassischen Rüstungsgütern ab3. Es wurde 1996 als Ersatz für das aufgelöste CoCom (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls – Koordinationskomitee für multilaterale Exportkontrolle) eingerichtet, das während des Kalten Krieges die Weitergabe von Spitzentechnologien an die Staaten des Warschauer Pakts und China verhindern sollte4. Das WA zählt zurzeit 41 Länder als Mitglieder, darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz5.
13
Ziel des WA ist es, die Anhäufung konventioneller Rüstungsgüter in problematischen Staaten und die sich daraus ergebenden destabilisierenden Effekte zu verhindern. Dies soll durch eine erhöhte Transparenz, einen verbesserten Meinungs- und Informationsaustausch sowie eine größere Verantwortung bezüglich Weitergabe von konventionellen Waffen sowie von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, die zu ihrer Herstellung dienen können, erreicht werden. Außerdem wird eine Vereinheitlichung der nationalen Kontrollen angestrebt.
14
Das Gründungsdokument der WA, die Initial Elements, enthält Listen der Güter, deren Ausfuhr von den Teilnehmerländern kontrolliert werden muss. Es handelt sich um die Liste gewisser Waffenkategorien sowie um die Liste der Güter mit doppeltem Verwendungszweck. Diese Listen werden jährlich überarbeitet, um dem technologischen Fortschritt Rechnung zu tragen. Auch diese Listen sind nicht rechtlich, sondern nur politisch verbindlich.
15
Ferner sieht es einen Informationsaustausch zwischen den beteiligten Regierungen über sensitive Empfänger vor. Dabei sind Genehmigungen von Exporten im Waffenbereich und über die Ablehnung von Exporten im Bereich der Dual-use-Güter mitzuteilen6.
16
2. Embargos und Wirtschaftssanktionen Embargos beschränken den Außenwirtschaftsverkehr gegenüber bestimmten Ländern. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurden aber auch länderunabhängige, nur personenbezogene Embargos beschlossen. Embargos und Wirtschaftssanktionen können durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach 1 Guidelines for Sensitive Missile-Relevant Transfers (http://www.mtcr.info/english/guidetext.html; Stand 2.2.2016). 2 Annex Equipment, Software and Technology; Stand 2.10.2014 (http://www.mtcr.info/english/ MTCR%20Technical%20Annex%20dated%202014-10-02.pdf; Stand 2.2.2016). 3 S. dazu Werner, AW-Prax 1996, 49; Hucko in Hucko/Wagner, Außenwirtschaftsrecht, S. 17; Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 18. 4 S. dazu Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, Einl. Rz. 166; Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 6; Granditsch, 2.2.1.1. 5 S. http://www.wassenaar.org/participants/index.html (Stand 2.2.2016). 6 S. dazu Hucko in Hucko/Wagner, Außenwirtschaftsrecht, S. 17.
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Benicke 31
17
Teil B Rz. 18
Warenhandel
Art. 39, 41 Charta der Vereinten Nationen für die Mitgliedstaaten der UNO verbindlich angeordnet werden1. 18
Daneben besteht im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts die Möglichkeit, dass einzelne Staaten oder Staatengruppen Embargos oder Wirtschaftssanktionen aussprechen.
19
Noch weitgehend ungelöst ist, inwieweit ein Staat seinen Bestimmungen extraterritoriale Wirkungen beilegen darf. Praktisch relevant sind diese Fragen vor allem bei dem Röhrenembargo der USA gegen die frühere Sowjetunion und ihre Verbündeten gewesen und haben aktuell noch Relevanz für die Wirtschaftssanktionen der USA gegenüber Kuba im Helms-Burton-Gesetz von 1996. 3. World Trade Organisation (WTO) a) Allgemeines
20
Völkerrechtliche Vorgaben für außenhandelspolitisch motivierte Eingriffe in den Außenhandelsverkehr enthalten vor allem die durch die World Trade Organisation (WTO) verwalteten Abkommen. Die WTO wurde zum 1.1.1995 gegründet. Deutschland (seit 1.1.1995), Liechtenstein (seit 1.9.1995), Österreich (seit 1.1.1995) sowie die Schweiz (seit 1.7.1995) sind Mitglieder der WTO. Vorher waren bereits Deutschland (seit 1.10.1951), Österreich (seit 19.10.1951), die Schweiz (seit 1.8.1966) und Liechtenstein (seit 29.3.1994) Mitglieder des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT)2.
21
(Gründungs-)Mitglied der WTO ist auch die Europäische Gemeinschaft3. Nach Art. IX Abs. 1 Satz 4 WTO-Abkommen verfügt die Gemeinschaft (nunmehr die Europäische Union) über die Anzahl von Stimmen, die der Anzahl von EU-Mitgliedstaaten entspricht, die ihrerseits WTO-Mitglieder sind.
22
Die WTO integrierte das bereits bestehende Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das damit weiter seine Gültigkeit hat, geht aber weit darüber hinaus. Zum einen ist die WTO im Gegensatz zum GATT eine internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit. Mit den Abkommen GATS4 und TRIPS werden außerdem der Handel mit Dienstleistungen und die kommerziellen Aspekte des geistigen Eigentums geregelt. Durch die WTO-Organe werden ferner auch andere multilaterale Abkommen, etwa über das öffentliche Beschaffungswesen und den Handel mit Zivilluftfahrzeugen betreut und deren Einhaltung überwacht.
23
Organisatorisch ist die WTO dadurch charakterisiert, dass die eigenen Exekutivorgane, wie das zentrale Sekretariat nur eine beschränkte Rolle haben. Die Bedeutung der Vertreter der Regierungen aus den Mitgliedstaaten in den entsprechenden Organen der WTO ist besonders groß. b) Zielsetzung und Prinzipien
24
Die WTO bezweckt mit den bereits geschlossenen Abkommen und deren Erweiterungen im Rahmen von Verhandlungsrunden eine schrittweise Liberalisierung des inter1 Krisch in Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charta of the United Nations, Band II, 3. Aufl. 2012, Art. 41 Rz. 10 f.df. 2 S. http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm (Stand 2.2.2016). 3 Tietje in Prieß/Berrisch, A.III, Rz. 64. 4 Die Neuverhandlungen über das GATS-Abkommen im Rahmen der im November 2001 eröffneten Doha-Runde konnten bis dato noch nicht abgeschlossen werden (Stand November 2014).
32 | Benicke
Außenhandelsrecht
Rz. 32
Teil B
nationalen Wirtschaftsverkehrs. Die Liberalisierung des internationalen Wirtschaftsverkehrs durch die WTO beruht auf fünf Handelsprinzipien1. Nach dem Prinzip der Inländergleichbehandlung sollen ausländische Waren und Dienstleistungen sowie deren Anbieter keinen strengeren inländischen Regeln unterworfen werden, als sie für gleichartige Angebote und Anbieter inländischen Ursprungs gelten, Art. III GATT, Art. XVII GATS.
25
Das Prinzip der Meistbegünstigung besagt, dass ein Mitgliedstaat die Handelsvorteile, die er einem anderen Land gewährt, auch allen anderen Mitgliedstaaten einräumen muss, Art. I GATT, Art. XVII GATS. Ausnahmen gelten allerdings, wenn mehrere Staaten eine Zollunion wie etwa die EU bilden oder eine Freihandelszone wie etwa die EFTA oder NAFTA errichten2. Zulässig ist auch die bevorzugte Behandlung von Entwicklungsländern.
26
Es gilt das Verbot von mengenmäßigen Handelsbeschränkungen, wie Quoten oder Kontingente, Art. XI GATT. Als handelshemmende Maßnahmen sind damit grundsätzlich nur Zölle zulässig, weil diese transparenter und weniger behindernd sind als mengenmäßige Beschränkungen.
27
Nach dem Nichtdiskriminierungsverbot dürfen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, die aufgrund von Ausnahmebestimmungen noch zulässig sind, nicht im Verhältnis zu verschiedenen Mitgliedstaaten diskriminatorisch angewandt werden, Art. XIII GATT.
28
Durch verschiedene Notifikationspflichten in Art. X GATT und durch Regelungen über den Zugang zu den einschlägigen Vorschriften in Art. III und Art. IIIbis GATS wird zur Förderung des Wirtschaftsverkehrs ein Transparenzgebot statuiert.
29
Die WTO ist aber keine Freihandelsorganisation. Maßnahmen zum Schutz der nationalen Wirtschaft wie etwa Zölle sind nicht unzulässig, dürfen aber grundsätzlich nicht einzelne Staaten diskriminieren.
30
c) Überprüfungsmechanismen Der bereits im GATT 1947 angelegte Streitschlichtungsmechanismus (Dispute Settlement Understanding3; DSU) wurde im Rahmen der WTO weiter ausgebaut4. Der Mechanismus ist gerichtsähnlich aufgebaut, zielt aber auf eine Bereinigung des Handelskonflikts durch eine verfahrensrechtlich kanalisierte Überzeugungsarbeit5.
31
Die Regeln der WTO über die Streitbeilegung sind exklusiv. Nach Art. 23 DSU sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Streitigkeiten ausschließlich nach der Streitschlichtungsregelung der DSU zu klären6. Möglich bleiben selbstverständlich aber einvernehmliche Lösungen zwischen den Parteien auch in anderen Verfahren7. Ein Verfahren kann nur durch ein Mitglied der WTO und damit nicht etwa auch durch ein betroffenes Unternehmen in Gang gesetzt werden8. Durch eine EG-Verordnung ist ein Beschwer-
32
1 Berrisch in Prieß/Berrisch, B.I.1 Rz. 24 ff. 2 S. dazu Berrisch in Prieß/Berrisch, B.I.1 Rz. 207 ff.; v. Bogdandy, EuZW 2000, 261. 3 Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, Anhang 2 zum WTO-Abkommen, ABl. EG Nr. L 336, S. 234 v. 23.12.1994, s. http://www.wto.org/english/ docs_e/legal_e/28-dsu.pdf (Stand 2.2.2016). 4 Ohlhoff in Prieß/Berrisch, C.I.2 Rz. 9; Herrmann/Weiß/Ohler, Rz. 253 ff.; van Houtte, Rz. 3.106. 5 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1411; Herrmann/Weiß/Ohler, Rz. 255. 6 Herrmann/Weiß/Ohler, Rz. 260. 7 Herrmann/Weiß/Ohler, Rz. 261. 8 Herrmann/Weiß/Ohler, Rz. 272.
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Benicke 33
Teil B Rz. 33
Warenhandel
deverfahren geschaffen worden, in dem einzelne Unternehmen oder Verbände bei der Kommission Beschwerde gegen das Verhalten von Drittstaaten erheben können1. Die Kommission führt dann gegebenenfalls ein Streitschlichtungsverfahren im Rahmen der WTO durch. 33
Das Streitbeilegungsverfahren im Rahmen der WTO beginnt damit, dass der beschwerdeführende Mitgliedstaat an den anderen einen Antrag auf Aufnahme von Konsultationen über den Regelverstoß stellt. Wenn diese obligatorischen Konsultationen nach 60 Tagen nicht zu einer gütlichen Einigung geführt haben, kann der beschwerdeführende Mitgliedstaat beim Dispute Settlement Body (DSB) die Einsetzung eines Panel beantragen. Das Panel untersucht den Streit, hört die Parteien und andere interessierte Mitgliedstaaten an. Das Verfahren vor dem Panel ist nicht öffentlich.
34
Kommt es in dem Verfahren zu keiner Einigung der Parteien, legt das Panel grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten einen schriftlichen Bericht an den DSB vor und macht darin Empfehlungen für notwendige Maßnahmen, um den Streit beizulegen. Der DSB nimmt den Bericht an, wenn nicht eine Streitpartei innerhalb von 60 Tagen Einspruch erhebt.
35
Bei rechtzeitigem Einspruch nimmt der Appellate Body eine auf Rechtsfragen beschränkte Überprüfung vor. Der Appellate Body legt innerhalb von grundsätzlich 60 Tagen einen Bericht vor, in dem er den Panel-Bericht abändert, bestätigt oder aufhebt.
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Der Bericht wird verbindlich, wenn er von dem DSB angenommen worden ist. Die Annahme gilt als erfolgt, wenn nicht innerhalb von 30 Tagen nach Verteilung an die WTO-Mitglieder der DSB durch Konsensus beschließt, den Bericht nicht anzunehmen.
37
Wird ein Verstoß eines Mitglieds gegen eine Regelung eines WTO-Abkommens festgestellt und wird dieser Verstoß von dem Mitglied nicht freiwillig abgestellt und kommt es auch nicht zu einer Einigung zwischen den Streitparteien über einen Ausgleich, so kann die andere Streitpartei zur Vornahme von Vergeltungsmaßnahmen ermächtigt werden, Art. 22.6 DSU2.
38
Während das Streitbeilegungsverfahren einen Verstoß gegen die Regelung eines WTOAbkommens im konkreten Einzelfall zum Gegenstand hat, bezweckt der „Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik“ (Trade Policy Review Mechanism3) generell die bessere Einhaltung der Regelungen der WTO-Abkommen durch die Mitglieder. Aufgrund dieses Mechanismus wird das gesamte Handelsregime eines jeden WTOMitgliedstaates periodisch untersucht. Dieser Mechanismus wirkt vor allem aufgrund der durch die Berichte hergestellten größeren Transparenz der in einem Mitgliedstaat angewandten Handelspolitiken4.
1 Verordnung (EG) Nr. 3286/94 v. 22.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, ABl. EG Nr. L 349 v. 31.12.1994, S. 71; Berichtigung ABl. EG Nr. L 41, S. 54 v. 23.2.1995; s. dazu Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 140 ff. 2 Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, Anhang 2 zum WTO-Abkommen, ABl. EG Nr. L 336, S. 234, v. 23.12.1994, s. http://www.wto.org/english/ docs_e/legal_e/28-dsu.pdf (Stand 2.2.2016). 3 Trade Policy Review Mechanism, Anhang 3 zum WTO-Abkommen; s. http://www.wto.org/eng lish/docs_e/legal_e/29-tprm.pdf (Stand 2.2.2016). 4 Tietje in Prieß/Berrisch, C.I.1 Rz. 2 ff.
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Außenhandelsrecht
Rz. 43
Teil B
4. European Free Trade Association (EFTA) Liechtenstein und die Schweiz sind zusammen mit Norwegen und Island Mitglieder der European Free Trade Association (EFTA)1. Durch die EFTA-Konvention errichteten die Vertragsstaaten untereinander eine Freihandelszone im Sinne von Art. XXIV GATT.
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Der Gründungstext der EFTA aus dem Jahre 1960 wurde durch das Vaduzer Übereinkommen vom 21.6.2001 grundlegend erneuert2. Ziel war es, das Verhältnis der EFTAVertragsstaaten untereinander weiterzuentwickeln, so dass es dem Integrationsstand entspricht, den die Schweiz durch die bilateralen Verträge mit der EU im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten verwirklicht hat. Neu aufgenommen wurden in die EFTAKonvention Regelungen über die Personenfreizügigkeit, den Handel mit Dienstleistungen, den Kapitalverkehr und den Schutz des geistigen Eigentums.
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Die EFTA ist anders als die EU keine Zollunion. Die Vertragsstaaten können daher Zölle und andere außenhandelspolitische Maßnahmen gegen Drittstaaten grundsätzlich eigenständig festlegen. Die Vertragsstaaten haben die EFTA aber als Plattform genutzt, um gemeinschaftlich Freihandelsabkommen mit Drittstaaten auszuhandeln3. Die meisten dieser Abkommen konzentrieren sich auf Bestimmungen über den Warenverkehr, insbesondere den Abbau von Zöllen, und auf den Schutz geistigen Eigentums. In neuerer Zeit wurden mit Chile, GCC, Mexiko, Singapur, Südkorea, Peru und der Ukraine Abkommen geschlossen, die darüber hinaus auch Regelungen für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, für Investitionen und das Öffentliche Beschaffungswesen enthalten4.
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5. Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) Liechtenstein ist Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)5. Es gelten daher im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Liechtenstein die besonderen Regeln des EWR. Den Vertragsstaaten der EFTA, die wie Lichtenstein, Island und Norwegen auch Mitglieder des EWR sind, dient die EFTA als EWR-Aufsichtsbehörde und EWR-Gerichtshof6. Der EWR wurde geschaffen, um den Staaten der EFTA, für die eine Vollmitgliedschaft in der EU (noch) nicht erfolgen soll, dennoch eine weitgehende Teilnahme am EU-Binnenmarkt zu ermöglichen.
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Die Besonderheit des EWR im Vergleich zu anderen Abkommen, insbesondere auch zu Assoziierungsabkommen7, liegt vor allem darin, dass der EWR dynamisch auf einen kollektiven Nachvollzug der Weiterentwicklungen des entsprechenden Europäischen Unionsrechts angelegt ist8. Ziel ist die inhaltliche und zeitliche Parallelität des EWRRechts mit dem EU-Recht (mirror legislation)9.
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1 Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation v. 4.1.1960, AS 1960, 590; konsolidierte Fassung des Vaduzer Abkommens v. 21.6.2001, AS 2003, 2684 Anhang XX, in Kraft getreten am 1.6.2002. 2 In Kraft getreten am 1.6.2002; s. http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00515/00516/ index.html?lang=de (Stand 2.2.2016). 3 Nachweise zu den bestehenden 28 Freihandelsabkommen http://www.seco.admin.ch/themen/ 00513/00515/01330/index.html?lang=de (Stand 2.2.2016). 4 S. http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00515/01330/ (Stand 2.2.2016); vgl. zudem Etter, Die Volkswirtschaft, Das Magazin für Wirtschaftspolitik, 1/2003, 56. 5 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) v. 2.5.1992, dt. BGBl. 1993 II, S. 261, in der Fassung des Anpassungsprotokolls v. 17.3.1993, BGBl. II S. 1294. 6 S. http://www.efta.int/eea/eea-institutions (Stand 2.2.2016). 7 S. zu den konzeptionellen Fragen des ERW Hummer in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.III Rz. 10 ff. 8 Hummer in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.III Rz. 187. 9 Hummer in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.III Rz. 188.
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Teil B Rz. 44
Warenhandel
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Dem entsprechen aber keine Mitbestimmungsrechte der EFTA-Staaten bei der Rechtssetzung der Europäischen Union. Es bestehen vielmehr nur Konsultationsrechte im Vorfeld des EU-Rechtsetzungsverfahrens (bloßes decision shaping, kein decision taking)1.
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Da die Schweiz dem EWR nicht beigetreten ist, musste der Zollvertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein aus dem Jahre 1923 angepasst werden, um die „parallele Verkehrsfähigkeit“ der Waren aus den beiden Wirtschaftsräumen zu gewährleisten2. Dafür stellt Liechtenstein durch ein Marktüberwachungs- und Kontrollsystem sicher, dass ein Umgehungsverkehr von Waren aus dem EWR über Liechtenstein in die Schweiz nicht erfolgt3. Die Beziehungen der Schweiz zur EU werden weiterhin durch den Freihandelsvertrag von 19724 und den so genannten bilateralen Verträgen I5 und II6 einerseits7 und durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der WTO andererseits bestimmt.
III. Europäische Union 1. Allgemeines 46
Deutschland und Österreich sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Damit gelten in ihrem Verhältnis untereinander und zu den anderen Mitgliedstaaten die Grundfreiheiten und allgemein die Binnenmarktregelungen.
47
Die Europäische Union ist gleichzeitig eine Zollunion. Es besteht zum einen ein Verbot von Ein- und Ausfuhrzöllen und Abgaben gleicher Wirkung für den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten, Art. 30 AEUV. Darüber hinaus gilt für den Handel mit Drittländern der Gemeinsame Zolltarif, Art. 31, 32 AEUV.
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Die Regelungen zur Kontrolle des Außenhandels sind in Deutschland und in Österreich in starkem Maße durch europäische Rechtsvorgaben geprägt. Für Deutschland und Österreich gelten auch die Freihandelsabkommen, die die Europäische Gemeinschaft bzw. die EU mit Drittländern abgeschlossen hat. Dem nationalen Außenwirtschaftsrecht kommt weitgehend nur noch eine dienende Aufgabe zu. Es hat die EUrechtlichen Vorgaben, sofern sie nicht als Verordnung selbst unmittelbar wirken, in nationales Recht umzusetzen und das EU-Recht selbst sowie das zur Umsetzung erlassene nationale Recht zu vollziehen8. Nur in den nicht von europäischen Vorgaben geregelten Bereichen können die Mitgliedstaaten eigenständige Regelungen treffen.
1 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1315; Hummer in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.III Rz. 202. 2 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1308. 3 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1309. 4 S. dazu https://www.eda.admin.ch/dea/de/home/europapolitik/ueberblick/hintergrund.html (Stand 2.2.2016). 5 S. zu den bilateralen Verträgen I und II https://www.eda.admin.ch/dea/de/home/europapolitik/ ueberblick.html (Stand 2.2.2016). 6 S. dazu die Beschreibung der wesentlichen Inhalte (https://www.eda.admin.ch/content/dam/ dea/de/documents/folien/Folien-Abkommen_de.pdf, Stand 2.2.2016) und des politischen Einigungsprozesses (https://www.eda.admin.ch/dea/de/home/europapolitik/ueberblick/rechtlicherinstitutioneller-ahmen.html, Stand 2.2.2016). 7 Einzelheiten dazu bei Breitenmoser/Husheer, Rz. 1316 ff. und auf der Internetseite des gemeinsamen Integrationsbüros des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) https://www.eda.admin .ch/europa (Stand 2.2.2016). 8 Reuter, Rz. 36.
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Außenhandelsrecht
Rz. 54
Teil B
2. Binnenmarkt Nahezu umfassend sind die Vorgaben des primären und sekundären Unionsrechts für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Im Innenverhältnis wurde ein Binnenmarkt geschaffen, der von nationalstaatlichen Beschränkungen weitgehend befreit ist.
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Abgebaut wurden zum einen alle Beschränkungen, die direkt den Handel und allgemeiner den Wirtschaftsverkehr einschränkten. Gewährleistet ist damit auf einer ersten Stufe, dass Anbieter aus einem anderen Land mit nationalen Anbietern vollständig gleichbehandelt werden. So wurden Zölle und Abgaben gleicher Wirkung im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafft. Verboten sind nach Art. 34, 35 AEUV außerdem mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen. Solche Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie aus den in Art. 36 AEUV genannten Gründen gerechtfertigt sind.
50
Die Integration der nationalen Märkte durch das Binnenmarktkonzept geht aber darüber hinaus, indem als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen nach Art. 34, 35 AEUV auch unterschiedliche Regelungen angesehen werden, die zum Vorteil nationaler Produkte dienen, indem für den Binnen- und Außenhandel in dem jeweiligen Mitgliedstaat divergente Bedingungen bestehen, weil die Ein-/Ausfuhrströme spezifisch beschränkt werden1. So sind unterschiedliche Vorschriften über die Produktgestaltung, so genannte technische Vorschriften, keine reinen Verkaufsmodalitäten, sondern grundsätzlich Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit, die einer besonderen Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses bedürfen.
51
Beschränkungen aus den in Art. 36 AEUV genannten Gründen oder aufgrund sonstiger zwingender Gründe des Allgemeininteresses unterliegen ihrerseits dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz2. Genügen die entsprechenden Vorschriften aus dem Herkunftsland des ausländischen Anbieters dem Regelungsziel, kann der Mitgliedstaat, in dem das Produkt angeboten wird, grundsätzlich keine weiter gehenden eigenen Regelungen anwenden. Durch dieses so genannte Herkunftslandprinzip ist es möglich, dass ein Anbieter seine Produkte grundsätzlich nach dem Regelungsregime seines Herkunftslandes innerhalb der gesamten EU anbieten kann3.
52
3. Handelspolitik im Verhältnis zu Drittstaaten Im Verhältnis zu Drittstaaten hat die EU nach Art. 207 AEUV die Kompetenz für eine gemeinsame Handelspolitik. Zur Handelspolitik gehören alle Maßnahmen deren primärer Zweck die Beeinflussung von Handelsvolumen und Handelsströmen ist bzw. eine Maßnahme die ein Instrument darstellt, durch das typischerweise Handelsvolumen und Handelsströme beeinflusst werden4.
53
Die Europäische Gemeinschaft bzw. die EU hat in Ausübung der Kompetenz nach Art. 207 AEUV (Art. 133 EGV a.F.) im Verfahren nach Art. 218 AEUV (Art. 300 EGV a.F.) mit einer großen Zahl von Drittstaaten Handelsabkommen, Kooperations-, Präferenz- oder Zollabkommen abgeschlossen5. Soweit dieses Abkommen Gegenstände umfasst, die über die Außenwirtschaftskompetenzen der Europäischen Union hinaus-
54
1 EuGH v. 8.11.1979 – Rs. 15/79, Slg. 1979, 3409 zu Ausfuhrbeschränkungen; Dauses/Brigola in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.I Rz. 196, krit. in Rz. 203 ff. 2 Schroeder in Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rz. 50. 3 Schroeder in Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rz. 75. 4 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1178 f.; Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 21 (auch zu dem Verhältnis einer subjektiven oder einer objektiven Begriffsbestimmung). 5 S. Arnold/Meindl in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.I Rz. 46 ff.
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Benicke 37
Teil B Rz. 55
Warenhandel
gehen, erfolgen sie als so genannte gemischte Abkommen unter Beteiligung auch der Mitgliedstaaten1. Daneben sind mit Staaten, die der Europäischen Union nicht oder noch nicht beitreten wollen oder können, mit denen aber eine über rein handelspolitische Regelungen hinausgehende enge wirtschaftliche Zusammenarbeit angestrebt wird, Assoziierungsabkommen nach Art. 217 AEUV (Art. 310 EGV a.F.) abgeschlossen worden. Mit den USA2, Japan3 und Australien4 sind bis dato keine Sonderabkommen abgeschlossen worden. Die Handelsbeziehungen zu diesen Staaten werden daher weitgehend nur durch den Rechtsrahmen der WTO erfasst5. 55
Die EU ist auch aufgrund der Kompetenz zur gemeinsamen Handelspolitik an den Rohstoffabkommen beteiligt, die vor allem im Rahmen der UNCTAD eine internationale Marktordnung für bestimmte Rohstoffe schaffen will. Ziel dieser Abkommen ist es, vor allem im Interesse der Entwicklungspolitik die Preisentwicklung von Rohstoffen zu stabilisieren6.
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Von den einseitigen Maßnahmen der Handelspolitik sind vor allem Schutzmaßnahmen von Bedeutung, die den Binnenmarkt gegen Marktstörungen aufgrund unfairer Handelspraktiken schützen sollen. Die Verordnungen über den Schutz gegen gedumpte7 oder subventionierte8 Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern ermöglicht es der Europäischen Union, Einfuhren mit einem Antidumpingzoll oder einem Ausgleichzoll zu belegen9.
57
Gegen andere völkerrechtswidrige oder gegen nicht verbindliche Verhaltenskodizes verstoßende Handelspraktiken kann die Europäischen Union aufgrund der Handelshemmnis-Verordnung10 vorgehen11.
58
Außerhalb dieser Sonderregelungen wird die Einfuhr durch die allgemeine Einfuhrreglung für die „Länder mit Marktwirtschaft“12 und die Einfuhrregelung für Waren aus Staatshandelsländern13 reguliert. Beide Verordnungen gehen von dem Prinzip der Ein1 Arnold/Meindl in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Rz. 79; Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 54 f. 2 Die Verhandlungen über das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA sind noch nicht abgeschlossen. Der aktuelle Verhandlungsstand kann abgerufen werden unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/ march/tradoc_152274.pdf (Stand: 2.2.2016). 3 Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan haben jedoch im April 2013 begonnen (http://ec.europa.eu/trade/policy/countries-and-regions/countries/ja pan/; Stand 2.2.2016). 4 Seit dem 29.10.2008 besteht zwischen der EU und Australien aber ein Partnerschaftsrahmenabkommen (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-08-1592_de.pdf; Stand: 2.2.2016). 5 Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 79. 6 Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 74. 7 Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 v. 30.11.2009, ABl. EU Nr. L 343, S. 51 v. 22.12.2009. 8 Verordnung (EU) Nr. 597/2009 v. 11.6.2009, ABl. EU Nr. L 188, S. 93 v. 18.7.2009. 9 S. dazu Trommer/Wenig in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.II Rz. 14 ff. noch zu den Vorgängerverordnungen (EG) Nr. 384/96 u. Nr. 2026/97; Nettesheim in Grabitz/v. Bogdandy/Nettesheim, S. 197 ff. 10 Verordnung des Rates zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln – Trade Barriers Regulation (TBR), Verordnung (EG) Nr. 3286/94 v. 22.12.1994, ABl. EG Nr. L 349, S. 71 v. 31.12.1994, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 356/95 v. 20.2.1995, ABl. EG Nr. L 41, S. 3 v. 23.2.1995. 11 S. dazu Arnold/Meindl in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K.I Rz. 147 ff.; Nettesheim in Grabitz/v. Bogdandy/Nettesheim, S. 235 ff. 12 Verordnung über die gemeinsame Einfuhrregelung Nr. 260/2009 des Rates v. 26.2.2009, ABl. EG Nr. L 84, S. 1 v. 31.3.2009. 13 Verordnung über die gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern Nr. 625/2009 des Rates v. 7.7.2009, ABl. EG Nr. L 185, S. 1 v. 17.7.2009.
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Außenhandelsrecht
Rz. 61
Teil B
fuhrfreiheit und dem Verbot mengenmäßiger Beschränkungen aus, erlauben aber auch Eingriffsmaßnahmen. Diese sind gegenüber den Staatshandelsländern, zu denen neben Staaten der GUS (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Russland, Tadschikistan) auch Nordkorea, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam gehören (Art. 1 Abs. 1 i.V. mit Anhang I VO Nr. 625/2009), weiter. Insoweit können mengenmäßige Beschränkungen aufrecht erhalten werden1. Nach beiden Verordnungen besteht die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit Art. XIX GATT Schutzmaßnahmen gegen unverhältnismäßig stark ansteigende Importe zu erlassen2. Spezielle sektorielle Regelungsregime bestehen für landwirtschaftliche Grundprodukte, Nuklearerzeugnisse, Kohle und Stahlprodukte sowie den Schiffbau3. Außerdem bestehen Sonderreglungen mit Einfuhrquoten für Textilwaren, soweit sie nicht im Verhältnis zu Staaten, die Mitgliedstaaten der WTO sind, durch das dort geltende Regime erfasst werden4.
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4. Embargomaßnahmen Für eine Embargomaßnahme ist zuerst im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die Feststellung eines Gemeinsamen Standpunkts nach Art. 29 i.V. mit Art. 31 AEUV oder die Annahme einer Gemeinsamen Aktion nach Art. 28 i.V. mit Art. 31 AEUV durch den Rat erforderlich5. Nach Art. 31 Abs. 1 AEUV müssen diese Beschlüsse einstimmig getroffen werden. Zur Umsetzung muss der Rat auf gemeinsamen Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission nach Art. 215 AEUV mit qualifizierter Mehrheit einen Rechtsakt erlassen. Dies erfolgte bisher immer in Form einer Verordnung, die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gilt. Für Wirtschaftssanktionen im Bereich des Kapital- und Zahlungsverkehrs enthält Art. 75 AEUV eine ergänzende Regelung.
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5. Dual-use-Verordnung Der für die Regulierung des Außenhandels wohl wichtigste Rechtsakt ist die so genannte Dual-use-Verordnung6. Sie wurde 1995 erstmals erlassen, im Jahre 20007 und zuletzt im Jahre 2009 reformiert und neu gefasst. Sie dient der Kontrolle der Ausfuhr von Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch benutzt werden können. Erfasst wird auch der nicht verkörperte Transfer von Software oder Technologie, etwa durch Übertragung mittels elektronischer Medien8. 1 Insoweit keine Neukommentierung bei Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 88; vgl. daher Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/EGV Kommentar, 1. Aufl. 2003, Art. 133 EGV Rz. 63 zu Art. 133 EGV als Vorgängervorschrift des Art. 207 AEUV. 2 Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 91. 3 Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 148, 151 ff. 4 Nettesheim/Duvigneau in Streinz, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 149 f.; zum WTO-Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung Berz in Prieß/Berrisch, B.I.4 Rz. 7 ff. 5 Breitenmoser/Husheer, Rz. 1206. 6 Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates v. 5.5.2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Neufassung), ABl. EU Nr. L 134, S. 1 v. 29.5.2009, ber. ABl. EU Nr. L 224, S. 21 v. 27.8.2009, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 388/2012, ABl. EU Nr. L 129, S. 12 v. 16.5.2012. 7 Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 des Rates v. 22.6.2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. EG Nr. L 159, S. 1 v. 30.6.2000; zur Kritik an der Verordnung von 1995 Basler, AW-Prax 1996, 268; Bericht der Kommission über die Anwendung der Dual-use-Verordnung, KOM (1998) 258 endg. 8 Hohmann, NJW 2000, 3765; Karpenstein, EuZW 2000, 677 (678); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 12; vgl. auch Simonsen, S. 38.
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Benicke 39
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Teil B Rz. 62
Warenhandel
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Die Kompetenz für den Erlass dieser Verordnung war umstritten. Streitig war insbesondere, ob die Verfolgung außen- und sicherheitspolitischer Ziele durch handelspolitische Maßnahmen auch von der Kompetenz nach Art. 207 AEUV (Art. 133 EGV a.F.) erfasst wird oder nur im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik auf unionsrechtlicher Ebene möglich ist. Mittlerweile hat der EuGH entschieden, dass Ausfuhrkontrollen ohne Rücksicht auf ihre Motive unter die gemeinsame Handelspolitik nach Art. 207 AEUV (Art. 133 EGV a.F.) fallen. Damit verfügt die EU für die Regelung zur Beschränkung von Dual-use-Waren in Drittländer über eine ausschließliche Zuständigkeit1.
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Die Dual-use-Verordnung schafft Ausfuhrlisten, die für alle Mitgliedstaaten gelten. In Form einer so genannten Catch-all-Klausel erfasst Art. 4 Dual-use-Verordnung zusätzlich Exporte von Gütern, die nicht in den Ausfuhrlisten enthalten sind. Die Klausel erfasst Güter, die für ein Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägerraketen bestimmt sind (Abs. 1), die für die militärische Verwendung in einem Staat bestimmt sind, für den ein Waffenembargo der UNO, der EU oder der OSZE gilt (Abs. 2), oder als Bestandteile für andere Güter dienen können, die ihrerseits illegal exportiert worden sind und eine militärische Verwendung finden sollen (Abs. 3). Voraussetzung des Verbots ist die Kenntnis des Exporteurs oder dessen vorherige Unterrichtung durch die Genehmigungsbehörde2.
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Der Export von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, die so genannte Verbringung, wurde weitestgehend liberalisiert. Genehmigungen sind nur noch für hochsicherheitsempfindliche Güter erforderlich3.
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Durch eine „Allgemeine Genehmigung der Gemeinschaft“ in Art. 9 Dual-use-Verordnung werden Exporte aller Güter von Anhang I in die sieben anerkannten Nonproliferationsstaaten Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz und die USA erfasst.
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Die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten sind zur gegenseitigen Information und teilweise zur Konsultation vor Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung verpflichtet. Genehmigungen nach der Dual-use-Verordnung gelten in der gesamten Europäischen Union und sind von den zuständigen Stellen in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen4.
IV. Deutschland 1. Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung 67
In Deutschland sind die wesentlichen Bestimmungen im Außenwirtschaftsgesetz (AWG) v. 6.6.20135 und in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) v. 2.8.20136 enthalten. § 1 Abs. 1 AWG geht von dem Grundsatz der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs aus. Zu einer Reform und Verschärfung des Exportkontrollrechts kam es im Anschluss an die Beteiligung deutscher Unternehmen am Bau einer Giftgasfabrik in Libyen. Die Regelung für den Außenwirtschaftsverkehr mit sensitiven Staaten wurde verschärft. Gleichzeitig wurden die Vorschriften in Bezug auf andere Staaten dereguliert. 1 2 3 4 5 6
EuGH v. 17.10.1995 – Rs C-83/93, Slg. I 1995, 3231 = EuZW 1996, 17. Hohmann, NJW 2000, 3765 (3766); Karpenstein, EuZW 2000, 677 (678). S. im Einzelnen Karpenstein, EuZW 2000, 677 (679). Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 12; Granditsch, 2.1.3.4; 2.2.5.1. BGBl. 2013, I 1482. BGBl. 2013, I 2865, zuletzt geändert durch Dritte ÄndVO v. 31.10.2014; die AWV ist zeitgleich mit dem AWG (BGBl. 2013, I 1482) am 1.9.2013 in Kraft getreten (§ 83 AWV i.V.m. Art. 4 I 1 Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts).
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Außenhandelsrecht
Rz. 72
Teil B
Beschränkungen können sich nach § 1 Abs. 2 AWG aber aus anderen Normen und aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergeben. Das AWG regelt die Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs nicht selbst unmittelbar, sondern enthält Ermächtigungen für solche Regelungen durch die Bundesregierung bzw. das Bundeswirtschaftsministerium1. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 i.V. mit § 12 Abs. 1 S. 2 AWG (§ 5 i.V. mit § 27 Abs. 1 AWG a.F.) kann das Bundeswirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesfinanzministerium Rechtsverordnungen erlassen und darin Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs einführen oder aufheben, wenn dies zur Erfüllung zwischenstaatlicher Vereinbarungen erfolgt. Auf diese Weise wurden insbesondere die europäischen Vorgaben umgesetzt. Eine Umsetzung erfolgte auch bei europäischen Verordnungen, die unmittelbar gelten, um die Straf- und Bußgeldvorschriften anwendbar zu machen. Seit dem 1.1.1993 sind Regelungen in Rechtsakten der EU bereits dann nach deutschem Recht bußgeldbewehrt, wenn auf sie in einer deutschen Rechtsverordnung Bezug genommen wird (§ 19 Abs. 4 AWG). Eine den Inhalt unmittelbar wiederholende deutsche Regelung ist nicht mehr erforderlich2. Gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 AWG muss die EU-Regelung jedoch inhaltlich einer Regelung entsprechen, zu der die in § 19 Abs. 3 Nr. 1 lit. a und lit. b genannten Vorschriften ermächtigen.
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Unabhängig von zwischenstaatlichen Vereinbarungen kann die Bundesregierung nach § 4 f. i.V. mit § 12 Abs. 1 S. 1 AWG Beschränkungen im Außenwirtschaftsverkehr einführen.
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2. Einfuhrbeschränkungen Die wirtschaftspolitisch motivierten Beschränkungen der Einfuhr von Gütern erfolgen rechtstechnisch über die Einfuhrliste, die einen Anhang zum AWG darstellt. In der Einfuhrliste sind alle Waren nach der Systematik des Verzeichnisses für die Außenhandelsstatistik aufgeführt. Bei jeder Ware ist angegeben, ob für die Einfuhr eine Genehmigung bzw. eine europäische Einfuhrlizenz erforderlich ist. Ergänzt wird die Einfuhrliste durch die Länderliste AKP, d.h. die Liste afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten, für die besondere Einfuhrregeln gelten, die in der Einfuhrliste angeben sind.
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Daneben können noch andere spezialrechtliche Vorschriften die Einfuhr beschränken. Solche Beschränkungen sind u.a. enthalten im Abfallverbringungsgesetz, Arzneimittelgesetz, Lebensmittelgesetz und in Regelungen über den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Über alle Verbote und Beschränkungen außerhalb des AWG, der AWV und dem KrWaffKontrG erteilt das Zoll-Infocenter in Offenbach am Main nähere Auskünfte3.
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3. Ausfuhrbeschränkungen Die Beschränkungen für die Ausfuhr4 von Gütern erfolgt durch die Außenwirtschaftsverordnung in Verbindung mit der Ausfuhrliste, die eine Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung ist. In der Ausfuhrliste sind nicht alle Waren aufgeführt, sondern nur diejenigen, für die ein Genehmigungsvorbehalt nach der Außenwirtschaftsverordnung besteht. Die Ausfuhrliste enthält im Abschnitt A Waffen, Munition und Rüstungsmaterial und in Abschnitt B eine Liste für rein national erfasste Güter mit doppeltem Verwendungszweck5. Der frühere Abschnitt C ist dagegen zugunsten der Gemein1 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 14. 2 S. Hucko in Hucko/Wagner, S. 16 (noch zu § 33 Abs. 4 AWG a.F.). 3 Zoll-Infocenter, Friedrichsring 35, 63069 Offenbach am Main, Tel.: 069/46997600; E-Mail: [email protected] (Stand 2.2.2016). 4 Zum Begriff der Ausfuhr s. Art. 2b Dual-use-Verordnung und § 4 Abs. 2 Nr. 3 AWG. 5 BAFA, Kurzdarstellung Exportkontrolle, S. 7 f.; Simonsen, S. 33; Pottmeyer, Ausfuhrverantwortliche, 1.5.
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72
Teil B Rz. 73
Warenhandel
samen Liste der Europäischen Union für Güter mit doppeltem Verwendungszweck im Anhang I der jeweiligen Fassung der Dual-use-Verordnung zum 1.9.2013 gestrichen worden1. Dagegen sind ferner die Anti-Folter-Verordnung2 und ab dem 30.9.2013 auch die Feuerwaffen-Verordnung3 sowie die entsprechenden Anhänge zu berücksichtigen. 73
Für die Ausfuhr von Gütern, die von der Ausfuhrliste, dem Anhang I der Dual-use-Verordnung oder dem Anhang I der Feuerwaffen-Verordnung erfasst werden, ist eine Genehmigung erforderlich4. Dies gilt für jede Ausfuhr in ein Land, das nicht Mitgliedstaat der EU ist. Eine Ausnahme gilt lediglich für bestimmte nationale Sonderpositionen der Dual-use Güter in Anlage 1, Teil I, Abschnitt B der Außenwirtschaftsverordnung, für die eine Genehmigungspflicht nur nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AWV besteht5. Eine Genehmigungspflicht besteht ferner gem. Art. 5 Abs. 1 Anti-Folter-Verordnung für die Ausfuhr der in Anhang III der Anti-Folter-Verordnung aufgeführten Güter.
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Die Ausfuhr von Gütern, die nicht in der Ausfuhrliste enthalten sind, kann nach so genannte Catch-all-Klausel in Art. 4 Dual-use-Verordnung genehmigungspflichtig sein (s. oben Rz. 62). Die nationale Ausführungsregelung hierzu ist in § 9 AWV enthalten.
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Die aktuellen Fassungen der Dual-use-Verordnung, der Anti-Folter-Verordnung, der Feuerwaffen-Verordnung, des AWG und der AWV sowie der jeweiligen Listen können auf der Internetseite des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingesehen werden6.
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Eine Genehmigungspflicht von Gütern, die nicht in der Ausfuhrliste enthalten sind, unabhängig von einem internationalen Embargobeschluss aufgrund nationaler Anordnung für die Ausfuhr in bestimmte Länder, wie in Art. 4 Dual-use-Verordnung vorgesehen, kann dem AWV dagegen nicht mehr entnommen werden. Der dahingehende § 5c AWV a.F. und die entsprechende Länderliste K wurden aufgehoben, da sie ihre Bedeutung als Kontrollinstrument verloren hatten7.
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Nach § 9 AWV besteht aber fortwährend eine Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Gütern im Nuklearbereich in die Länder Algerien, Irak, Iran, Israel, Jordanien, Libyen, Nordkorea, Pakistan und Syrien. 1 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Die Neufassung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), November 2013 (http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/arbeits hilfen/merkblaetter/merkblatt_neufassung_awv.pdf; Stand 2.2.2016), S. 6; Simonsen, S. 33; Pottmeyer, Ausfuhrverantwortliche, 1.5. 2 Verordnung (EG) Nr. 1236/2005 des Rates v. 27.6.2005 betreffend den Handel mit bestimmten Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe, zu Folter oder zu anderen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verwendet werden können, ABl. EU Nr. L 200, S. 1 v. 30.7.2005, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 775/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.7.2014, ABl. EU Nr. L 210, S. 1 v. 17.7.2014. 3 Verordnung (EU) Nr. 258/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.3.2012, zur Umsetzung des Artikels 10 des Protokolls der Vereinten Nationen gegen die unerlaubte Herstellung von Schusswaffen, dazugehörigen Teilen und Komponenten und Munition und gegen den unerlaubten Handel damit, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (VN-Feuerwaffenprotokoll) und zur Einführung von Ausfuhrgenehmigungen für Feuerwaffen, deren Teile, Komponenten und Munition sowie von Maßnahmen betreffend deren Einfuhr und Durchfuhr, ABl. EU Nr. L 94, S. 1 v. 30.3.2012. 4 BAFA, Kurzdarstellung Exportkontrolle, S. 7. 5 Simonsen, S. 33 f., weist zutreffend darauf hin, dass die nationale Listung in Anlage 1, Teil I, Abschnitt B der Außenwirtschaftsverordnung keine Listung im Sinne der Dual-use-Verordnung darstellt und damit Art. 8 Dual-use-Verordnung eingreift; vgl. auch Granditsch, 2.2.3.1. f. 6 http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/vorschriften/index.html (Stand 2.2. 2016). 7 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Neufassung der AWV, S. 8 f.; Simonsen, S. 18, 33.
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Außenhandelsrecht
Rz. 82
Teil B
4. Verbringung in andere Mitgliedstaaten der EU Die Verbringung von Rüstungsgütern in einen anderen Mitgliedstaat ist wie die Ausfuhr in einen Drittstaat genehmigungspflichtig. Dies gilt für die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Güter wie Waffen, Munition und Rüstungsgüter. Demgegenüber ist die Verbringung von Dual-use-Gütern grundsätzlich genehmigungsfrei. Eine Ausnahme besteht für hochsensible Güter, die in Anhang IV der Dual-use-Verordnung genannt sind1 (s. Rz. 61).
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Eine Genehmigungspflicht greift außerdem dann ein, wenn das endgültige Bestimmungsland der Güter nicht ein Mitgliedstaat der EU, sondern ein Drittstaat ist, wenn der Verbringer Kenntnis hiervon hat und für die Direktausfuhr keine Allgemeingenehmigung oder Globalgenehmigung erteilt ist oder die Güter in dem anderen Mitgliedstaat nicht verarbeitet oder bearbeitet werden, § 11 Abs. 2, 5 AWV. Dies gilt aber nur noch für die national gelisteten Dual-use-Güter aus Teil I Abschnitt B der Ausfuhrliste zur AWV. Eine Genehmigungspflicht für die in Anhang I der Dual-use-Verordnung genannten Dual-use-Güter ist dagegen entfallen2. Für nichtgelistete Güter sind zudem die weitergehenden nationalen Reglementierungen des § 11 Abs. 3 bis 5 AWV zu berücksichtigen.
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5. Transitgeschäfte Genehmigungspflichtig können auch Transitgeschäfte sein, bei denen ein Gebietsansässiger von einem Gebietsfremden Güter erwirbt und an einen anderen Gebietsfremden weiterveräußert, ohne dass die Güter in das inländische Wirtschaftsgebiet gelangen. Genehmigungspflichtig ist ein solches Transitgeschäft, wenn es eines der in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste oder in Anhang IV der Dual-use-Verordnung genannten Rüstungsgüter zum Gegenstand hat. Keine Genehmigungspflicht besteht, wenn sowohl Käufer- als auch Bestimmungsland eines der im Anhang IIa Teil 2 der Dual-use-Verordnung genannten Länder ist: Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, einschließlich Liechtenstein, die USA sowie die Mitgliedstaaten der EU. Genehmigungspflichtig sind außerdem Transitgeschäfte über Waren nach Teil I Abschnitt B der Ausfuhrliste, wenn das Käufer- oder Bestimmungsland ein Embargoland i.S. von Art. 4 Abs. 2 Dual-use-Verordnung ist (s. Rz. 61).
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6. Genehmigungen Die Unternehmen haben die Pflicht, eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein beabsichtigter Export genehmigungspflichtig ist. Genehmigungen werden nur an zuverlässige Exporteure erteilt. Dies setzt voraus, dass eine innerbetriebliche Exportkontrolle besteht, die die Einhaltung der Vorschriften des Exportkontrollrechts gewährleistet. Die innerbetriebliche Exportkontrolle muss durch einen Ausfuhrverantwortlichen organisiert, geleitet und überwacht werden, der Mitglied des Geschäftsführungsorgans ist3.
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Das Außenwirtschaftsrecht unterscheidet verschiedene Arten von Genehmigungen. Die Grundform ist die Einzelausfuhrgenehmigung, die eine bestimmte Ausfuhr aufgrund eines Auftrags an einen Empfänger im Ausland genehmigt. Eine Sonderform stellt die Höchstbetragsgenehmigung dar, die die Ausfuhr von Gütern an einen bestimmten Empfänger bis zu einem Höchstbetrag genehmigt. Hier können die Lieferungen auf mehreren Aufträgen des ausländischen Empfängers beruhen. Hat ein Ausführer
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1 Granditsch, 5.1.1.1. 2 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Neufassung der AWV, S. 7. 3 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 1 f., 321 ff.; Pottmeyer, Ausfuhrverantwortliche, 1.1, 3.1.1; Simonsen, S. 37.
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Benicke 43
Teil B Rz. 83
Warenhandel
im Vorjahr eine Vielzahl von Ausfuhren genehmigt erhalten, so kann ihm unter bestimmten Voraussetzungen eine Sammelausfuhrgenehmigung erteilt werden1. 83
Drittens bestehen für eine Reihe von Gütern und bestimmte Ausfuhrländer allgemeine Genehmigungen. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Allgemeine Ausfuhrgenehmigung der Europäischen Gemeinschaft Nr. EU0012, die die Ausfuhr fast aller Güter des Anhang I der Dual-use-Verordnung3 in die Länder Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz, einschließlich Liechtenstein und die USA umfasst (s. Rz. 65). Im Anwendungsbereich von Allgemeinen Ausfuhrgenehmigungen sind Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen nicht möglich. Der Ausführer muss als Nutzer registriert sein und bestimmte Nebenbestimmungen beachten, insbesondere Meldepflichten erfüllen4. Für den Rüstungssektor bedeutsam sind insbesondere die nationalen Allgemeinen Genehmigungen Nr. 26 und Nr. 275, die der Umsetzung der Richtlinie Nr. 2009/436 dienen und den innergemeinschaftlichen Rüstungstransfer für Streitkräfte (Nr. 26) und zertifizierte Empfänger (Nr. 27) erleichtern7.
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Bei Zweifelsfällen kann ein Unternehmen eine Auskunft zur Güterliste oder die Erteilung eines Nullbescheids beantragen oder eine Voranfrage stellen. Mit der Auskunft zur Güterliste kann geklärt werden. ob ein bestimmtes Gut von der Ausfuhrliste erfasst wird oder nicht8. Mit einem Nullbescheid erklärt das BAFA, dass für ein konkretes Vorhaben keine Genehmigung nach der Dual-use-Verordnung oder der AWV erforderlich ist. Der Nullbescheid erbringt den umfassenden Nachweis, dass für die Ausfuhr oder Verbringung keine Genehmigungspflicht im Zuständigkeitsbereich des BAFA besteht9. Mit der Voranfrage hat ein Unternehmen die Möglichkeit, eine verbindliche Aussage über die Genehmigungspflicht und Genehmigungsfähigkeit eines geplanten Ausfuhrvorhabens zu erhalten10. 7. Embargos
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Die Umsetzung internationaler Embargos erfolgt aufgrund § 5 Abs. 1 AWG durch eine entsprechende Regelung in der Außenwirtschaftsverordnung. Die konkreten Beschränkungen finden sich in den §§ 74–79 AWV. Außerdem werden durch § 17 Abs. 1 AWG deutsche Rechtsakte mit einer hohen Strafandrohung bewehrt, soweit sie sich 1 Zu Einzelheiten s. die Rundschreiben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA, http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/verfahrenserleichterungen/sag/ rundschreiben/index.html, Stand 2.2.2016) und den Runderlass des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit v. 2.6.2003 (http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/ verfahrenserleichterungen/sag/runderlass/runderlass_sag.pdf, Stand 2.2.2016). 2 Anhang IIa der Dual-use-Verordnung, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1232/2011 v. 16.11.2011, ABl. EU Nr. L 326, S. 26 v. 8.12.2011. 3 Ausgenommen sind die in Anhang IV Dual-use-Verordnung sowie in Anhang IIg Dual-use-Verordnung (zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1232/2011 v. 16.11.2011, ABl. EU Nr. L 326, S. 26 v. 8.12.2011) genannten Güter (vgl. Anhang IIa Teil 1 a.E. Dual-use-Verordnung). 4 S. dazu BAFA, Kurzdarstellung Exportkontrolle, S. 11; vgl. auch die Merkblätter des Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zu Allgemeinen Genehmigungen und den diesbezüglichen Registrier- und Meldeverfahren (http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/ de/arbeitshilfen/merkblaetter/index.html; Stand 2.2.2016). 5 Vgl. zum aktuellen Text der Allgemeinen Genehmigungen: http://www.ausfuhrkontrolle.info/ ausfuhrkontrolle/de/verfahrenserleichterungen/allgemeingenehmigungen/ (Stand 2.2.2016). 6 Richtlinie (EG) Nr. 2009/43 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.5.2009 zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern, ABl. EG Nr. L 146 v. 10.6.2009, 1, zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) Nr. 2012/47 der Kommission v. 14.12.2012, ABl. EU Nr. L 31, S. 43 v. 31.1.2013. 7 Simonsen, S. 28. 8 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 690. 9 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 697. 10 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, HADDEX, Rz. 702 f.
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Außenhandelsrecht
Rz. 92
Teil B
auf Güter des Teils I Abschnitt A der Ausfuhrliste beziehen, für den bestimmten Tatbestand auf § 17 AWG verweisen und zur Durchführung einer von der Europäischen Union oder von dem UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme erlassen wurden. Aktuelle Informationen über bestehende Embargos können auf der Internetseite des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingesehen werden1. Der Inhalt von Embargos kann je nach verfolgtem Ziel unterschiedliche Beschränkungen enthalten. Sie können nicht nur den Export von Waren, sondern auch deren Import oder Durchfuhr, den Kapital- und Zahlungsverkehr, die Erbringung von Dienstleistungen oder den Abschluss und die Erfüllung sonstiger Verträge betreffen. Hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite werden Totalembargos, Teilembargos und Waffenembargos unterschieden2. Während Embargos und Wirtschaftssanktionen traditionell an einen bestimmten Staat anknüpfen, sind im Rahmen der Terrorismusbekämpfung auch Wirtschaftsbeschränkungen beschlossen worden, die auf Wirtschaftsbeziehungen mit bestimmten Personen und Organisationen abstellen3.
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§ 7 AWV enthält eine Antiboykottregelung, nach der es einem Gebietsansässigen verboten ist, eine Erklärung abzugeben, durch die es sich an dem Boykott eines anderen Staates beteiligt. Diese Regelung zielt primär gegen die Versuche arabischer Staaten, ihren Boykott gegen Israel durch solche Erklärungen auszuweiten4.
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Gegen die extraterritoriale Anwendung von Boykottregelungen, welche die USA gegen Kuba, Libyen und den Iran erlassen haben5, zielt eine EG-Verordnung, die es den betroffenen Personen verbietet, diesen Verboten nachzukommen6.
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8. Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) Für den Export von Kriegswaffen findet daneben noch das Kriegswaffenkontrollgesetz Anwendung. Das Kriegswaffenkontrollgesetz enthält ein striktes Verbot für alle so genannten ABC-Waffen. Für sonstige Kriegswaffen besteht ein Genehmigungsvorbehalt.
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Das Kriegswaffenkontrollgesetz regelt nicht nur die Ausfuhr, sondern als Ausführungsgesetz zu Art. 26 Abs. 2 GG allgemein die Herstellung, die Beförderung und das In-Verkehr-Bringen von Kriegswaffen7.
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Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz sind nebeneinander anwendbar. Die Genehmigungspflicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz greift bereits beim inländischen Transport ein, also früher als die nach dem Außenwirtschaftsgesetz8.
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Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz räumen der Bundesregierung ein weites Ermessen ein, die Genehmigung für Rüstungsexporte zu erteilen oder zu versagen. Die Bundesregierung hat erstmals 1982 politische Grundsätze über den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern beschlossen. Diese Grundsätze wurden am 19.1.2000 neu gefasst und im Bundesanzeiger am 28.1.2000 bekannt gemacht9.
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1 http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/embargos/index.html (Stand 2.2.2016). 2 S. BAFA, Kurzdarstellung Exportkontrolle, S. 6. 3 Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates v. 27.5.2002, ABl. EG Nr. L 139, S. 9 v. 29.5.2002, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1193/2014 der Kommission v. 4.11.2014, ABl. EU Nr. L 318, S. 23 v. 5.11.2014; s. auch Hölscher, ZFZ 2003, 218. 4 Hucko in Hucko/Wagner, S. 22. 5 S. dazu Kreß/Herbst, RIW 1997, 630; Gebauer, IPRax 1998, 145. 6 Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996, ABl. EG Nr. L 309., S. 1 v. 29.11.1996, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 807/2003 v. 14.4.2003, ABl. EG Nr. L 122, S. 36 v. 16.5. 2003. 7 Simonsen, S. 34. 8 Hucko in Hucko/Wagner, S. 18; Simonsen, S. 34. 9 Zugänglich auch unter http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/366862/ publicationFile/3681/PolGrdsaetzeExpKontrolle.pdf (Stand 2.2.2016).
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Teil B Rz. 93 93
Warenhandel
Für chemische Waffen und chemische Güter, die einen doppelten Verwendungszweck haben, wird das Kriegswaffenkontrollgesetz durch das Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜAG) ergänzt1. 9. Verfahrensrechtliche Kontrolle
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Auch wenn der Warenverkehr materiell weitgehend liberalisiert ist, wird auch die an sich genehmigungsfreie Ein- und Ausfuhr kontrolliert. Das Zollverwaltungsgesetz (ZollVG)2 regelt dabei insbesondere die Erhebung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sowie die Überwachung der Einhaltung des Zollrechts, § 1 Abs. 1 S. 2 ZollVG3. Im Rahmen der zollrechtlichen Gestellung, § 4 ZollVG, wird durch die Zollverwaltung überprüft, ob eine Ware ohne zusätzliche Genehmigung importiert oder exportiert werden darf, § 1 Abs. 3 ZollVG4.
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Trotz der weitreichenden Liberalisierung im Binnenmarkt wird auch der Handel zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zollamtlich überwacht, § 1 Abs. 2 ZollVG. Der Handel kann für den Anfall von Verbrauchssteuern relevant sein und es können Berichts- und Meldepflichten eingreifen5.
V. Österreich 96
In Österreich finden sich die nationalen Vorschriften zur Regelung des Außenhandels im Außenwirtschaftsgesetz von 20116. Das Außenwirtschaftsgesetz regelt selbst nicht, für welche Transaktionen eine Bewilligungspflicht besteht, sondern ermächtigt den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend (seit 1.3.2014: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft) zum Erlass entsprechender Verordnungen. Auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes kann der Außenhandel nur aus wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Gründen beschränkt werden. Daneben sind noch die Regelungen im Kriegsmaterialgesetz einschlägig7.
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Das Außenwirtschaftsgesetz und die Erste und Zweite Außenwirtschaftsverordnung von 20118 regeln die Verfahrensvorschriften für die EU-rechtlichen und nationalen Beschränkungen9. Für Verstöße gegen die außenwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen 1 Gesetz v. 2.8.1994, BGBl. 1994 I, 1954, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 G v. 6.6.2013, BGBl. 2013 I, 1482; Hucko in Hucko/Wagner, S. 19. 2 Zollverwaltungsgesetz v. 21.12.1992, BGBl. 1992 I, 2125; 1993 I, 2493, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 21.7.2012, BGBl. 2012 I, 1566. 3 Wolffgang, Außenwirtschaftsrecht in Ehlers/Fehling/Pünder, Bd. 1, § 30 Rz. 46. 4 Bryde, Außenwirtschaftsrecht in Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht Bd. 1, Wirtschafts-, Umwelt-, Bau- und Kultusrecht, 2. Aufl. 2000, § 5 Rz. 39. 5 Vgl. Bryde, Außenwirtschaftsrecht in Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht Bd. 1, Wirtschafts-, Umwelt-, Bau- und Kultusrecht, 2. Aufl. 2000, § 5 Rz. 39. 6 Außenwirtschaftsgesetz 2011 – AußWG 2011, österr. BGBl. I Nr. 26/2011, zuletzt geändert durch das österr. BGBl. I Nr. 37/2013; aktueller Text auch unter http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht (Stand 2.2.2016). 7 Bundesgesetz v. 18.10.1977 über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial (Kriegsmaterialgesetz – KMG), österr. BGBl. Nr. 540/1977 i.d.F. BGBl. I Nr. 161/2013; aktueller Text auch unter http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht (Stand 2.2.2016). 8 Erste Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes 2011 (Erste Außenwirtschaftsverordnung 2011 – 1. AußWV 2011), österr. BGBl. II Nr. 343/2011 i.d.F. BGBl. II Nr. 23/2013 und Zweite Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes 2011 (Zweite Außenwirtschaftsverordnung 2011 – 2. AußWV 2011), österr. BGBl. II Nr. 418/2011 i.d.F. BGBl. II Nr. 58/2013; aktueller Text auch unter http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht (Stand 2.2.2016). 9 Weitere Informationen über das Verfahren der Antragstellung finden sich auf der Internetseite https://www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/Exportkontrolle/Aussen wirtschaftsgesetz_und_Aussenwirtschaftsverordnungen.html (Stand 2.2.2016).
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Außenhandelsrecht
Rz. 102
Teil B
der Europäischen Union oder des nationalen österreichischen Rechts sieht das Außenwirtschaftsgesetz gerichtliche Strafen und Verwaltungsstrafen vor.
VI. Schweiz In der Schweiz ist der Handel mit Kriegsmaterial durch das Kriegsmaterialgesetz reguliert1. Das Gesetz bezweckt die Kontrolle von Herstellung und Vertrieb von Kriegsmaterial. Kriegsmaterial sind nach Art. 5 KMG sowohl Waffen, Waffensysteme, Munition sowie militärische Sprengmittel als auch Ausrüstungsgegenstände, die spezifisch für den Kampfeinsatz oder für die Gefechtsführung konzipiert oder abgeändert worden sind und die in der Regel für zivile Zwecke nicht verwendet werden. Als Kriegsmaterial gelten zudem Einzelteile und Baugruppen, auch teilweise bearbeitete, sofern erkennbar ist, dass diese Teile in derselben Ausführung nicht auch für zivile Zwecke verwendbar sind.
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Nicht dem Kriegsmaterialgesetz unterstehen die so genannten Dual-Use-Güter. Dabei handelt es sich um Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendbar sind. Die Regulierung des Handels von solchen Gütern erfolgt durch das Güterkontrollgesetz2. Dieses wird ergänzt durch die Güterkontrollverordnung (GKV) und die Chemikalienkontrollverordnung. Ergänzende Regelungen finden sich außerdem im Kernenergiegesetz und in der Kernenergieverordnung, im Waffengesetz und dem Sprengstoffgesetz.
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Der Anhang der Güterkontrollverordnung enthält in einer so genannten „Güterliste“ die bewilligungspflichtigen Güter3. Dazu gehören etwa Werkzeugmaschinen, Ventile, Kugellager, Messmaschinen, Pumpen, Mikroprozessoren, Rohrleitungssysteme, Laser und Navigationssysteme. Für den Export dieser Güter ist eine Bewilligung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) erforderlich. Jeder Exporteur hat die Pflicht zu prüfen, ob die Ware, die er exportieren will, aufgrund ihrer technischen Eigenschaften unter die Kontrolle fällt.
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Für ein Gut, das nicht in der Güterliste aufgeführt ist, besteht eine Bewilligungspflicht für den Export dann, wenn der Exporteur weiß, dass es für Programme im Bereich von Massenvernichtungswaffen bestimmt ist oder bestimmt sein kann (Art. 4 GKV, sog. Catch-all-Klausel). Insoweit muss der Exporteur über die Verwendung des Gutes durch den Abnehmer bzw. den letzten Empfänger Bescheid wissen. Der Exporteur, gegebenenfalls auch der Transporteur, ist dafür verantwortlich, eine notwendige Bewilligung einzuholen. Praktische Hilfe für die Beurteilung, ob eine Bewilligungspflicht in Betracht kommt, obgleich das Gut nicht in der Güterliste enthalten ist, bildet eine so genannte „Red Flag-Checkliste“4. Anhaltspunkte für eine Verwendungsabsicht, die eine Bewilligungsabsicht auslösen kann, können etwa sein: Empfänger lehnt es ab, sonst geschäftsübliche Installationen oder Einarbeitungen vom Lieferanten durchführen zu lassen.
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Die Ausfuhr von Dual-use-Gütern wird nicht bewilligt, „wenn die jeweiligen Güter zur Herstellung von ABC-Waffen oder deren Trägersystemen dienen oder zur konven-
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1 Bundesgesetz v. 13.12.1996 über das Kriegsmaterial (Kriegsmaterialgesetz, KMG), AS 1998, 794 i.d.F. AS 2013, 295. 2 Bundesgesetz v. 13.12.1996 über die Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter sowie besonderer militärischer Güter (Güterkontrollgesetz GKG), AS 1997, 1697 i.d.F. AS 2012, 3655. 3 Zugänglich unter http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00600/00608/00613/index.html? lang=de (Stand 2.2.2016). 4 S. http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00600/00608/00610/index.html?lang=de, unter ICP – Firmeninterne Kontrolle (Stand 2.2.2016).
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Teil B Rz. 103
Warenhandel
tionellen Aufrüstung eines Staates beitragen, der durch sein Verhalten die regionale oder globale Sicherheit gefährdet“1. 103
Das Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen2 ermächtigt den Bundesrat, allgemeine handelspolitische Maßnahmen zu treffen. So kann der Bundesrat nach Art. 1 dieses Gesetzes die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr von Waren sowie den Dienstleistungsverkehr überwachen, für bewilligungspflichtig erklären, beschränken oder verbieten oder den Zahlungsverkehr mit bestimmten Ländern regeln und gegebenenfalls die Erhebung von Beiträgen zur Überbrückung preis- und währungsbedingter Störungen im Waren-, Dienstleistungs- oder Zahlungsverkehr anordnen, wenn ausländische Maßnahmen oder außerordentliche Verhältnisse im Ausland den Waren-, Dienstleistungs- oder Zahlungsverkehr der Schweiz derart beeinflussen, dass wesentliche schweizerische Wirtschaftsinteressen beeinträchtigt werden. Art. 3 ermächtigt den Bundesrat, die zur Durchführung der Abkommen über den Waren-, Dienstleistungs- und Zahlungsverkehr erforderlichen Vorschriften zu erlassen. Art. 7 enthält die Anordnung der Strafbewehrung bei Verstößen gegen Vorschriften, die in Ausführung dieses Gesetzes ergangen sind.
104
Aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in Art. 1 Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen wurde etwa die Verordnung über die Überwachung der Einfuhr bestimmter Industriegüter vom 11.9.2002 erlassen3, welche die Einfuhr bestimmter Industrieerzeugnisse einer Bewilligungspflicht unterstellt.
105
Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen können vom Bundesrat aufgrund des Embargogesetzes4 erlassen werden.
VII. Liechtenstein 106
In Liechtenstein regelt das Gesetz über die Durchsetzung internationaler Sanktionen (ISG)5 die Möglichkeiten, aus sicherheitspolitischen oder handelspolitischen Gründen den Außenwirtschaftsverkehr zu beschränken. Insbesondere kann die Ausfuhr oder Einfuhr von Waren durch eine Verordnung der Landesregierung von einer vorherigen Bewilligung abhängig gemacht werden. Dieses Gesetz stellt auch die Grundlage für die Umsetzung von Wirtschaftssanktionen in nationales Recht dar.
Kapitel 2. Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 107
Das auf einen Kaufvertrag anwendbare materielle Recht ist grundsätzlich unter Anwendung der einschlägigen Kollisionsnormen zu bestimmen. Maßgebend ist das Kol1 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Exportkontrollen auf http://www.seco.admin.ch/ themen/00513/00600/index.html?lang=de (Stand 2.2.2016). 2 Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen v. 25.6.1982, AS 1982, 1923 (Stand 1.5. 2007), http://www.admin.ch/ch/d/sr/9/946.201.de.pdf (Stand 2.2.2016). 3 AS 2002, 3191 (Stand 1.1.2013), http://www.admin.ch/ch/d/sr/c946_201_1.html (Stand 2.2. 2016). 4 Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen (Embargogesetz, EmbG) vom 22.3.2002, AS 2002, 3673 (Stand 27.7.2004); http://www.admin.ch/ch/d/sr/c946_231.html (Stand 2.2.2016). 5 Gesetz v. 10.12.2008, liecht. LGBl. 2009, Nr. 41; Text unter https://www.gesetze.li/lilexprod/ showpdf.jsp?media=pdf&lgblid=2009041000&gueltigdate=02022016 (Stand 2.2.2016).
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Teil B Rz. 103
Warenhandel
tionellen Aufrüstung eines Staates beitragen, der durch sein Verhalten die regionale oder globale Sicherheit gefährdet“1. 103
Das Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen2 ermächtigt den Bundesrat, allgemeine handelspolitische Maßnahmen zu treffen. So kann der Bundesrat nach Art. 1 dieses Gesetzes die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr von Waren sowie den Dienstleistungsverkehr überwachen, für bewilligungspflichtig erklären, beschränken oder verbieten oder den Zahlungsverkehr mit bestimmten Ländern regeln und gegebenenfalls die Erhebung von Beiträgen zur Überbrückung preis- und währungsbedingter Störungen im Waren-, Dienstleistungs- oder Zahlungsverkehr anordnen, wenn ausländische Maßnahmen oder außerordentliche Verhältnisse im Ausland den Waren-, Dienstleistungs- oder Zahlungsverkehr der Schweiz derart beeinflussen, dass wesentliche schweizerische Wirtschaftsinteressen beeinträchtigt werden. Art. 3 ermächtigt den Bundesrat, die zur Durchführung der Abkommen über den Waren-, Dienstleistungs- und Zahlungsverkehr erforderlichen Vorschriften zu erlassen. Art. 7 enthält die Anordnung der Strafbewehrung bei Verstößen gegen Vorschriften, die in Ausführung dieses Gesetzes ergangen sind.
104
Aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in Art. 1 Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen wurde etwa die Verordnung über die Überwachung der Einfuhr bestimmter Industriegüter vom 11.9.2002 erlassen3, welche die Einfuhr bestimmter Industrieerzeugnisse einer Bewilligungspflicht unterstellt.
105
Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen können vom Bundesrat aufgrund des Embargogesetzes4 erlassen werden.
VII. Liechtenstein 106
In Liechtenstein regelt das Gesetz über die Durchsetzung internationaler Sanktionen (ISG)5 die Möglichkeiten, aus sicherheitspolitischen oder handelspolitischen Gründen den Außenwirtschaftsverkehr zu beschränken. Insbesondere kann die Ausfuhr oder Einfuhr von Waren durch eine Verordnung der Landesregierung von einer vorherigen Bewilligung abhängig gemacht werden. Dieses Gesetz stellt auch die Grundlage für die Umsetzung von Wirtschaftssanktionen in nationales Recht dar.
Kapitel 2. Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 107
Das auf einen Kaufvertrag anwendbare materielle Recht ist grundsätzlich unter Anwendung der einschlägigen Kollisionsnormen zu bestimmen. Maßgebend ist das Kol1 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Exportkontrollen auf http://www.seco.admin.ch/ themen/00513/00600/index.html?lang=de (Stand 2.2.2016). 2 Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maßnahmen v. 25.6.1982, AS 1982, 1923 (Stand 1.5. 2007), http://www.admin.ch/ch/d/sr/9/946.201.de.pdf (Stand 2.2.2016). 3 AS 2002, 3191 (Stand 1.1.2013), http://www.admin.ch/ch/d/sr/c946_201_1.html (Stand 2.2. 2016). 4 Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen (Embargogesetz, EmbG) vom 22.3.2002, AS 2002, 3673 (Stand 27.7.2004); http://www.admin.ch/ch/d/sr/c946_231.html (Stand 2.2.2016). 5 Gesetz v. 10.12.2008, liecht. LGBl. 2009, Nr. 41; Text unter https://www.gesetze.li/lilexprod/ showpdf.jsp?media=pdf&lgblid=2009041000&gueltigdate=02022016 (Stand 2.2.2016).
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Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht
Rz. 111
Teil B
lisionsrecht des Staates, vor dessen Gericht oder Behörde ein Verfahren zu dem betreffenden Kaufvertrag durchgeführt wird. Eine Bestimmung des anwendbaren Rechts im Voraus und unabhängig von einem solchen Verfahren ist daher nur eingeschränkt möglich. Bei der Vertragsabfassung sind deswegen die Kollisionsrechte der Staaten zu berücksichtigen, in denen der Vertrag Gegenstand eines solchen Verfahrens sein kann. Diese Unsicherheit hinsichtlich des maßgebenden Kollisionsrechts kann dadurch weitgehend beseitigt werden, dass die Parteien eine Rechtswahl, d.h. eine Vereinbarung über das anwendbare Recht, und eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen1. Insbesondere im Verhältnis zwischen Unternehmen werden von den meisten nationalen Kollisionsrechten eine Rechtswahl und eine Gerichtsstandsvereinbarung durch die Parteien anerkannt.
108
In Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz gilt der Grundsatz des zwingenden Kollisionsrechts. Das anwendbare Recht ist von Amts wegen unter Anwendung des Kollisionsrechts zu bestimmen, auch wenn die Parteien sich nicht darauf berufen2.
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Unabhängig von dem Kollisionsrecht kann das UN-Kaufrecht zur Anwendung kommen. Dieses bestimmt in Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG unmittelbar selbst seinen Anwendungsbereich, wenn die Parteien des Vertrages ihre Niederlassungen in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Voraussetzung ist allerdings, dass auch das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht das eines Vertragsstaates ist3. Vertragsstaaten des UN-Kaufrechts sind Deutschland, Österreich und die Schweiz, jedoch nicht Liechtenstein4; hierzu Kapitel 3, Rz. 163 ff.
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II. Deutschland und Österreich 1. Allgemeines Das auf den Kaufvertrag anwendbare Recht bestimmt sich in Deutschland und Österreich nach den Regeln der Rom I-VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht5. Die Kommission verwirklichte damit das Vorhaben, die Regelungen des EVÜ in Form einer Verordnung neu zu verfassen und diese damit unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten werden zu lassen6. Die Art. 27 ff. dtEGBGB, die der innerstaatlichen Umsetzung des EVÜ dienten7, wurden daher auch zum 17.12.2009 aufgehoben8.
1 Zur weltweiten Verbreitung der Anknüpfung an die Rechtswahl v. Bar, IPR II, Rz. 412; zu den bei der Rechtswahl anzustellenden Überlegungen Mankowski, RIW 2003, 2 ff. 2 Sonnenberger in MünchKomm/BGB, EGBGB Einl. IPR Rz. 619 (Deutschland); Siehr, Das Internationale Privatrecht der Schweiz, S. 574 f.; Duchek/Schwind, Internationales Privatrecht, § 3 IPRG Anm. 3 (Österreich); Art. 2 IPRG Liechtenstein. 3 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 1 CISG Rz. 85. 4 S. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/sale_goods/1980CISG_status.html (Stand 2.2.2016). 5 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. EU Nr. L 177, S. 6 v. 4.7.2008, ber. durch ABl. EU Nr. L 309, S. 87 v. 24.11.2009. 6 S. dazu Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahre 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14.1.2003, KOM (2002) 654 endgültig. 7 Martiny in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2006, Vorbem. zu Art. 27 EGBGB Rz. 22. 8 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 25.6.2009, BGBl. 2009 I, 1574.
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Teil B Rz. 112
Warenhandel
2. Anwendungsbereich der Rom I-VO 112
Bei der Rom I-VO handelt es sich um eine loi uniforme, d.h. sie gilt nicht nur im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten, sondern auch im Verhältnis zu Drittstaaten (Art. 2 Rom I-VO)1. Einschlägig sind die Regelungen, wenn der Sachverhalt Verbindungen zum Recht verschiedener Staaten aufweist; nicht notwendig ist, dass die Parteien unterschiedliche Staatsangehörigkeiten besitzen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben.
113
Der Bezug zu einem anderen Staat kann auch allein darin bestehen, dass die Parteien das Recht eines anderen Staates als Vertragsstatut wählen. Dies ergibt sich indirekt aus Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, nach dem in diesem Fall von dem zwingenden Recht des Staates nicht abgewichen werden darf, in dem alle anderen Teile des Sachverhalts im Zeitpunkt der Rechtswahl belegen sind2. 3. Anknüpfung: Rechtswahl a) Grundsatz
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Art. 3 Rom I-VO enthält den Grundsatz der Rechtswahl für die Bestimmung des Vertragsstatuts und verwirklichen damit die Parteiautonomie auch hinsichtlich des anwendbaren Rechts3. Die Parteiautonomie dient am besten den Partei- und Verkehrsinteressen und schafft gleichzeitig Rechtssicherheit4. b) Grenzen der Rechtswahl
115
Grenzen für die Rechtswahl ergeben sich zum einen durch international zwingende Normen, die unabhängig von dem gewählten Vertragsstatut anzuwenden sind (Art. 9 Rom I-VO). Außerdem können bei einem Sachverhalt, der bis auf die Rechtswahlklausel keine Verbindung zur Rechtsordnung eines anderen Staates aufweist, auch die nur intern zwingenden Bestimmung nicht abgewählt werden (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO). Dies gilt auch für intern zwingendes Unionsrecht, soweit der Sachverhalt einen/mehrere Mitgliedstaat/en betrifft und lediglich die Rechtswahl die Verbindung zu einem Drittstaat herstellt. (Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO).
116
Schließlich wird die Rechtswahlfreiheit auf kollisionsrechtlicher Ebene wegen der typischerweise bestehenden Ungleichgewichtslagen für Beförderungsverträge (Art. 5 Rom I-VO), für Verträge zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Art. 6 Rom I-VO), für Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO) und für Individualarbeitsverträge (Art. 8 Rom I-VO) eingeschränkt. Darüber hinaus haben sich keine allgemeinen kollisionsrechtlichen Regelungen zum Schutz der schwächeren Vertragspartei herausgebildet5. In extremen Fällen kann der Ordre-public-Vorbehalt herangezogen werden.
1 Zum zeitlichen Anwendungsbereich s. Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 79. 2 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 20; so auch bereits zum dtEGBGB: Horn, S. 69; Sonnenberger in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 3 EGBGB Rz. 3. 3 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 85; ebenso bereits zum dtEGBGB: Horn, S. 79; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rz. 27 (zu Art. 27 dtEGBGB). 4 Noch zum dtEGBGB: Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634 (644 f.). 5 Noch zum dtEGBGB: Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634 (645); Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (68).
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Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht
Rz. 121
Teil B
4. Wirkung der Rechtswahl a) Grundsatz Die kollisionsrechtliche Wahl der Rechtsordnung, wie sie von Art. 3 Rom I-VO vorgesehen ist, führt zur Anwendung einer Rechtsordnung als Ganzem einschließlich der dispositiven und der zwingenden Normen. Die kollisionsrechtliche Verweisung bewirkt auf der anderen Seite, dass auch die zwingenden Normen einer anderen Rechtsordnung, zu der der Vertrag Berührungspunkte hat, grundsätzlich nicht anzuwenden sind. Etwas Anderes gilt nur für die so genannten international zwingenden Normen unter den Voraussetzung von Art. 9 Rom I-VO1.
117
b) Wahl außerstaatlichen Rechts Streitig ist, ob durch Rechtswahl außerstaatliches Recht, etwa das UN-Kaufrecht unmittelbar und nicht als Bestandteil einer nationalen Rechtsordnung gewählt werden kann. Gleiches gilt für die Vereinbarung, dass der Vertrag den allgemeinen Grundsätzen des Rechts, den UNIDROIT-Principles oder den European Principles of Contract Law unterliegen soll. Nach ganz überwiegender Meinung ist eine solche kollisionsrechtliche Wahl nicht möglich. Vielmehr liegt darin nur eine materiellrechtliche Verweisung2.
118
Weiter gehend wird eine unmittelbare kollisionsrechtliche Verweisung auf außerstaatliches Recht aber in Verbindung mit einer Schiedsklausel zugelassen3.
119
5. Wirksame Rechtswahl Die Rechtswahl erfolgt durch Vereinbarung der Parteien über das anwendbare Recht, den so genannten Verweisungsvertrag4. Sie erfolgt meistens zugleich mit der Vereinbarung des materiellen Vertrages, ist aber grundsätzlich hinsichtlich der Wirksamkeitsvoraussetzungen eigenständig zu beurteilen. Die Rechtswahl kann aber auch später, etwa erst im Prozess erfolgen und jederzeit geändert werden. Unberührt bleiben nur die Rechte Dritter5.
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Die Voraussetzungen für den wirksamen Vertragsschluss eines Verweisungsvertrages richten sich gemäß Art. 3 Abs. 5, 10 Abs. 1 Rom I-VO nach der Rechtsordnung, die bei Wirksamkeit des Verweisungsvertrages gewählt wäre6. Möglich ist auch, dass der Verweisungsvertrag auf eine Rechtsordnung verweist, nach der der materiellrechtliche Vertrag, etwa wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz oder wegen eines Formmangels unwirksam ist7. Für den Verweisungsvertrag gilt nicht die Form des Hauptvertrages. Die Formerfordernisse sind vielmehr nach Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO eigenständig nach Art. 11 Rom I-VO zu bestimmen8.
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1 S. dazu ausführlich Magnus in Staudinger/BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 52 ff. 2 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 55 ff.; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 28 ff., insbes. Rz. 31 zur Wahl internationalen Einheitsrechts; ebenso bereits zum dtEGBGB: v. Hoffmann in Soergel/BGB, Art. 27 EGBGB Rz. 28; Mankowski, RIW 2003, 2 (11). 3 S. Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 103 m.w.N.; ebenso bereits zum dtEGBGB: v. Hoffmann in Soergel/BGB, Art. 27 EGBGB Rz. 17; Mankowski, RIW 2003, 2 (12). 4 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 88. 5 Posch, Bürgerliches Recht, Band VII, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2010, Rz. 15/10. 6 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 89, 263; so auch bereits zur früheren Rechtslage: BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (383); Heiss, RabelsZ (2001), 634. 7 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 89. 8 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 70, 126, 166.
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Benicke 51
Teil B Rz. 122
Warenhandel
6. Stillschweigende Rechtswahl 122
Möglich ist auch eine stillschweigende Rechtswahl. Allerdings ist ein realer Rechtswahlwille der Parteien zu ermitteln. Ein bloß hypothetischer Wille ist nicht ausreichend. So genügt die so genannte Geltungsannahme, d.h. die übereinstimmende Vorstellung und Erwartung der Parteien über die Maßgeblichkeit einer bestimmten Rechtsordnung, nicht für eine stillschweigende Rechtswahl. Der Vertrag ist vielmehr objektiv anzuknüpfen1. Indizien für eine stillschweigende Rechtswahl sind die Bezugnahme auf Vorschriften eines bestimmten Rechts2, andere Verträge zwischen den Parteien, für die eine Rechtswahl getroffen wurde, oder Verweis auf einen anderen Vertrag, für den eine Rechtswahl getroffen wurde3 oder Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes für alle Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis4. 7. Objektive Anknüpfung a) Grundsatz
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Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen oder ist die Rechtswahl unwirksam, bestimmt sich das Vertragsstatut gemäß Art. 4 Rom I-VO nach objektiven Kriterien. Für einzelne Vertragstypen richtet sich dabei das Vertragsstatut nach den Kollisionsregeln des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO. Lediglich subsidiär als Auffangtatbestand zu Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO ist gemäß Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO nunmehr das Recht des Staates berufen, mit dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist. b) Vertragscharakteristische Leistung
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Sofern der entscheidende Vertragstypus nicht in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO aufgeführt ist oder eine Mischform der genannten Verträge vorliegt, ist gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Charakteristische Leistung ist diejenige Leistung, die dem Vertragstyp seine Eigenart verleiht und ihn von anderen Vertragstypen unterscheidet5. c) Ausweichklausel
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Nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO handelt es sich bei Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO aber nicht um starre Kollisionsregeln, da diese nicht gelten, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Hierdurch wird den Gerichten die Möglichkeit eröffnet, im konkreten Einzelfall das Recht der engsten Verbindung anzuwenden. Die Kollisionsregeln werden allerdings nur in wirklichen Ausnahmefällen verdrängt, wenn die Umstände, die auf eine andere Rechtsordnung hinweisen, in ihrem Anknüpfungsgehalt die Kollisionsregeln klar und deutlich übertreffen6.
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Die Ausweichklausel kann etwa zum Zuge kommen, wenn Verträge mit Angehörigen ausländischer Streitkräfte abgeschlossen werden oder wenn durch die Einschaltung 1 Posch, Rz. 15/10, 15/11; ebenso bereits zum dtEGBGB: Kropholler, IPR, § 52 II.1. (zu Art. 27 dtEGBGB); v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rz. 32. 2 Noch zur früheren Rechtslage: BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, JZ 2000, 1115. 3 Noch zur früheren Rechtslage: OLG Hamburg v. 5.10.1998, CISG-online Nr. 473 = TranspR-IHR 1999, 37. 4 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 48 ff. 5 Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 22. 6 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 128; Kropholler, IPR, § 52 III.4 (noch zu Art. 28 Abs. 5 dtEGBGB).
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Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht
Rz. 132
Teil B
Dritter die gesamte Vertragsdurchführung im Land des Abnehmers der Ware stattfindet1. Kaufverträge, die über Börsen abgeschlossen werden, haben wegen der örtlichen Sonderbedingungen regelmäßig eine engere Verbindung zum Börsenplatz2. Für Kaufverträge auf einer Versteigerung gilt gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO nunmehr explizit das Recht des Versteigerungsortes, so dass ein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO entbehrlich geworden ist. Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO gilt aber nicht für InternetAuktionen, bei denen es keinen Versteigerungsort gibt3.
127
d) Berufliche oder gewerbliche Verkäufe Handelt es sich um eine Gesellschaft, einen Verein oder eine juristische Person, kommt es mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts auf deren Hauptverwaltung an (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO). Ist der Vertrag in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der Partei geschlossen, welche die vertragscharakteristische Leistung erbringt, so kommt es grundsätzlich auf die Hauptniederlassung dieser Partei an (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO).
128
Zur beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeit gehören alle Geschäfte, die nicht der Privatsphäre zugerechnet werden können. Geschäfte von Gewerbetreibenden und Freiberuflern sind im Zweifel beruflich oder geschäftlich veranlasst4.
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Eine Niederlassung setzt eine Einrichtung mit einer sachlichen und personellen Ausstattung voraus, die eine nach außen gerichtete geschäftliche Tätigkeit entfalten kann. Notwendig ist eine Einrichtung für eine gewisse Dauer, so dass Messestände ausgeschlossen sind. Es muss eine Geschäftsführung vorhanden sein, die in der Lage ist, Geschäfte abzuschließen5.
130
Hauptniederlassung ist die Niederlassung, die den Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit bildet. Eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung ist maßgeblich, wenn der Vertrag im Rahmen ihres Betriebs geschlossen wurde oder die Leistung nach der vertraglichen Vereinbarung von dieser Niederlassung aus zu erbringen ist (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO). Eine bloß temporäre Tätigkeit am Ort der Zweigniederlassung während des Vertragsschlusses ist dagegen nicht ausreichend6. Die Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts, des Sitzes der Hauptverwaltung bzw. der jeweiligen Niederlassung gilt auch dann, wenn der Vertrag über das Internet abgeschlossen wird7.
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e) Fehlen einer charakteristischen Leistung: Tausch Die Kollisionsregel nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO läuft leer, wenn keine charakteristische Leistung bestimmt werden kann. Dies ist grundsätzlich beim Tausch der Fall. Das anwendbare Recht ist dann nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu bestimmen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist die engste Verbindung des Vertrages zu bestimmen. Begründen der Sitz der Parteien und die Erfüllungsorte der Leistungspflichten keine enge Beziehung zu einer Rechtsordnung, ist auf die eigentlich schwachen Punkte Abschlussort oder Vertragssprache abzustellen8. 1 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 172. 2 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 215; ebenfalls bereits zur früheren Rechtslage: OLG Düsseldorf v. 15.3.1990 – 6 U 215/89, IPRax 1991, 327 m. Bespr. Thomsen/Guth, S. 302. 3 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 213. 4 So bereits zum dtEGBGB: v. Bar, IPR II, Rz. 509. 5 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 213. 6 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 215. 7 So bereits zum dtEGBGB: Mankowski, RabelsZ (1999), 203 (220); Pfeiffer, NJW 1997, 1214. 8 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 243.
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Teil B Rz. 133 133
Warenhandel
Allerdings kann das Tauschgeschäft in den so genannten Kompensationsgeschäften auch so beschaffen sein, dass die eine Lieferpflicht als die charakteristische angesehen werden kann und die andere Lieferpflicht gleichsam nur die Funktion von Geldersatz hat1. Dies kann etwa dann angenommen werden, wenn die eine Leistung nur vom Schuldner erbracht werden kann, während die andere Leistung vertretbar ist. Ein Beispiel ist die Lieferung bestimmter Investitionsgüter gegen marktgängige Rohstoffe wie Erdöl. 8. Geltungsbereich des Vertragsstatuts
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Die Rom I-VO gilt für vertragliche Schuldverhältnisse2. Nach dem Vertragsstatut richten sich die Voraussetzungen für das Zustandekommen des Vertrages (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO). Es bestimmt nach Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO ferner über die Auslegung, die Erfüllung der vertraglich begründeten Verpflichtungen, die Folgen einer Nichterfüllung, die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen, die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben, sowie die Folgen der Nichtigkeit des Vertrages3.
135
Nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO kann die Zustimmung einer Partei zu dem Vertrag kumulativ ihrem Aufenthaltsrecht unterliegen. Praktisch bedeutsam ist dies für den Fall, dass das Vertragsstatut das Schweigen der Partei als Zustimmung wertet, wie dies das deutsche Recht beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben tut, dem Schweigen nach dem Aufenthaltsrecht aber keine solche Erklärungswirkung zukommt4.
136
Nicht erfasst werden Verpflichtungen aus Wechseln und Schecks (Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO), die Frage des Vertragsschlusses durch einen Stellvertreter (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) sowie Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen (Art. 13 Rom I-VO).
III. Schweizerisches Recht 1. Allgemeines Vertragsstatut 137
Das Schweizerische IPR ist im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRGesetz) v. 18.12.1987 geregelt5. Art. 116 schwIPRG enthält die Grundregel der Rechtswahlfreiheit des Vertragsstatuts. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich eindeutig aus dem Vertrag oder aus den Umständen ergeben (Art. 116 Abs. 2 Satz 1 schwIPRG). Die Wirksamkeit der Vereinbarung richtet sich nach dem (potenziell) gewählten Recht (Art. 116 Abs. 2 Satz 2 schwIPRG). Die Vorschrift entspricht grundsätzlich Art. 3 Rom I-VO.
138
Überwiegend wird in der Schweiz angenommen, dass eine Rechtswahl nach Art. 116 schwIPRG nur bei internationalen Verträgen möglich ist, d.h., wenn der Vertrag Berührungspunkte zu mehr als zwei staatlichen Rechtsordnungen aufweist6. Die Rechtswahl als solche wird dabei nicht als ein ausreichendes internationales Element angesehen7. 1 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 168. 2 S. dazu näher Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 42 ff. 3 Posch, Rz. 15/23; ebenso bereits zum EVÜ/dtEGBGB: v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rz. 84; Kegel/Schurig, IPR, §§ 17 V.1., 18 I.2. 4 Ebenso bereits zu Art. 31 Abs. 2 dtEGBGB: v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rz. 86; OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, NJW-RR 1997, 182. 5 AS 1988, 1776 i.d.F. AS 2014, 357. 6 Schwander, IPR II, Rz. 488. 7 Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 116 Rz. 7.
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Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht
Rz. 145
Teil B
Im Ergebnis führt dies zu keinem Unterschied zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO. Dort wird die Rechtswahl zwar zugelassen, hat aber nur die Wirkungen einer materiellrechtlichen Wahl. Die objektive Anknüpfung mangels Rechtswahl ist in Art. 117 schwIPRG enthalten. Art. 117 Abs. 1 enthält die Anknüpfung nach der engsten Verbindung: Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt. Wie nach dem früheren EVÜ/dtEGBGB (vgl. Art. 4 Abs. 1 EVÜ a.F./ Art. 28 Abs. 1 dtEGBGB a.F.) wird diese generalklauselartige Anknüpfung durch Vermutungsregeln konkretisiert: Nach Art. 117 Abs. 2 schwIPRG wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder, wenn sie den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem Staat, in dem sich ihre Niederlassung befindet.
139
Art. 117 Abs. 3 lit. a schwIPRG bestimmt, dass bei Veräußerungsverträgen die Leistung des Veräußerers als charakteristische Leistung gilt. Nach Art. 21 schwIPRG befindet sich die Niederlassung einer Gesellschaft in dem Staat, in dem sie ihren Sitz oder eine Zweigniederlassung hat.
140
2. Haager Übereinkommen über internationales Kaufrecht a) Allgemeines Die Schweiz ist Vertragsstaat des Haager Übereinkommens v. 15.6.1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht1. Auf dessen vorrangige Geltung wird in Art. 118 Abs. 1 schwIPRG ausdrücklich hingewiesen.
141
Es handelt sich dabei um eine loi uniforme, d.h., das Übereinkommen gilt auch für Kaufverträge mit Berührung zu Nichtvertragsstaaten. Das Übereinkommen ist allein auf internationale Verträge anwendbar. Der Begriff wird weit gefasst2. Die Rechtswahl allein genügt allerdings nicht (Art. 1 Abs. 4 Haager Übereinkommen)3.
142
Der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens erstreckt sich auf Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen sowie Verkäufe durch die Übergabe von Warenpapieren. Nicht anwendbar ist das Übereinkommen auf die Veräußerung von Wertpapieren als solche, eingetragene See- und Binnenschiffe und Luftfahrzeuge.
143
Die Abgrenzung zum reinen Werkvertrag, der nicht erfasst wird, ist übereinkommensautonom und nicht nach der lex fori vorzunehmen4. Soll die zu liefernde Ware erst hergestellt werden, ist das Übereinkommen anwendbar, wenn die Partei, die sich zur Lieferung verpflichtet, auch die zur Herstellung notwendigen Materialien zu besorgen hat (Art. 1 Abs. 3 Haager Übereinkommen).
144
b) Rechtswahl Das Übereinkommen knüpft ebenfalls primär an eine Rechtswahl der Parteien an. Mit der Formulierung, dass die Rechtswahl ausdrücklich oder unzweifelhaft aus den Vertragsbestimmungen hervorgehen muss, stellt das Übereinkommen einen tendenziell strengeren Maßstab für die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl auf als 1 2 3 4
AS 1972, 1882; für die Schweiz in Kraft seit 27.10.1972. Schwander, IPR II, Rz. 547. Dazu Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 27. Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 29 m.w.N.
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Benicke 55
145
Teil B Rz. 146
Warenhandel
Art. 116 schwIPRG oder Art. 3 Rom I-VO1. Nach Art. 2 Abs. 3 Haager Übereinkommen richtet sich der wirksame Abschluss des Verweisungsvertrags nach dem Recht, das bei seiner Wirksamkeit als Vertragsstatut gewählt würde. Möglich ist auch eine nachträgliche Rechtswahl, sofern hierdurch nicht Rechte Dritter berührt werden2. Die bloße Bezugnahme auf Vorschriften eines nationalen Rechts im Prozess ist hierfür aber nicht ausreichend. Die Parteien müssen das Bewusstsein und den Willen gehabt haben, eine Rechtswahl zu treffen. c) Objektive Anknüpfung 146
Fehlt es an einer wirksamen Rechtswahl, wird an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers angeknüpft. Anwendbar ist das Recht des Landes, in dem der Verkäufer in dem Zeitpunkt, in dem er die Bestellung empfängt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wird die Bestellung von einer Geschäftsniederlassung entgegengenommen, so ist nach Art. 3 Abs. 1 Haager Übereinkommen das Recht des Landes anwendbar, in dem sich diese Geschäftsniederlassung befindet.
147
Insoweit bestehen Unterschiede zu den Regelungen in Art. 117 schwIPRG, Art. 4 Rom I-VO. Dort ist der Vertragsschluss der maßgebliche Zeitpunkt. Außerdem ist die Niederlassung, welche die Bestellung empfängt, nicht notwendig dieselbe, über die der Vertrag abgeschlossen und durchgeführt wird.
148
Von der Grundregel der objektiven Anknüpfung gibt es zwei Ausnahmen. Erfolgen Aufgabe und Entgegennahme der Bestellung in demselben Staat und hat der Käufer in diesem seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Geschäftsniederlassung, so ist das Recht dieses Staates anwendbar (Art. 3 Abs. 2 Haager Übereinkommen). Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass sich in diesen Fällen der Verkäufer ins Ausland begeben hat und es für den Käufer nicht notwendigerweise erkennbar ist, dass der Verkäufer seine Niederlassung im Ausland hat3. Die zweite Ausnahme gilt für Verkäufe an einer Börse oder durch Versteigerung. Sie unterliegen dem Recht am Ort der Börse oder der Versteigerung (Art. 3 Abs. 3 Haager Übereinkommen).
149
Eine Ausweichklausel und damit eine abweichende objektive Anknüpfung bei einer engeren Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung ist nicht vorgesehen4. Damit sind die Regelungen des Übereinkommens starrer als die der Rom I-VO. d) Anwendungsbereich
150
Das nach dem Haager Übereinkommen bestimmte Vertragsstatut gilt für das Zustandekommen, die Gültigkeit und die Wirkungen des Vertrages5. Eine Sonderanknüpfung gilt für die Form und die Fristen der Untersuchungs- und Rügepflicht des Käufers hinsichtlich von Mängeln der Kaufsache. Nach Art. 4 Haager Übereinkommen ist hierfür das Recht des Landes anwendbar, in dem die aufgrund des Kaufvertrages gelieferten beweglichen körperlichen Sachen zu prüfen sind. Maßgebend ist also der vertragliche oder gesetzliche und nicht der tatsächliche Untersuchungsort6. Diese Anknüpfung nach Art. 4 Haager Übereinkommen steht unter dem Vorbehalt einer ausdrücklichen, anderslautenden Vereinbarung. Sie gilt also auch, wenn die Parteien allgemein für den 1 Schwander, IPR II, Rz. 550; Kropholler, IPR, § 52 IV.1.a) (noch zum dtEGBGB); anders Keller/ Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 32, die eine Entsprechung zu Art. 116 Abs. 2 Satz 1 IPRG annehmen. 2 Schweiz. Bundesgericht v. 25.6.1963 – BGE 89 II 214, 216; Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 34. 3 Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 37. 4 Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 36. 5 Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 39. 6 Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 118 Rz. 13.
56 | Benicke
Das auf internationale Kaufverträge anwendbare Recht
Rz. 153
Teil B
Vertrag eine Rechtswahl getroffen haben. Notwendig wäre eine spezielle Vereinbarung über das anwendbare Recht für Form und Frist der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit. Ob überhaupt eine solche Obliegenheit besteht, bestimmt sich aber nach dem allgemeinen Vertragsstatut. Streitig ist die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Erfüllungsmodalitäten. Überwiegend werden auch sie dem Vertragsstatut unterstellt1. Zum Teil wird nicht das allgemeine Vertragsstatut nach dem Haager Übereinkommen über internationales Kaufrecht für einschlägig gehalten, sondern die autonome Sonderanknüpfung nach Art. 125 schwIPRG angewandt. Danach richten sich die Erfüllungsmodalitäten nach dem Recht des Staates, in dem sie tatsächlich erfolgen2.
151
IV. Liechtenstein 1. Allgemeines Das IPR des Fürstentum Liechtenstein ist im Gesetz v. 19.9.1996 über das internationale Privatrecht geregelt3. Das Gesetz lehnt sich eng an das österreichische IPR-Gesetz v. 15.6.19784 an. Dies gilt insbesondere für die Regelungen zu den vertraglichen Schuldverhältnissen. Sie finden sich in den Art. 39 bis Art. 49 und sind mit den alten österreichischen Regelungen nahezu identisch. Gründe für die Rezeption des österreichischen Rechts waren die enge Verwandtschaft des materiellen liechtensteinischen Privatrechts mit dem österreichischen und die traditionelle Berücksichtigung des österreichischen Internationalen Privatrechts durch die liechtensteinische Rechtsprechung5. Diese weitgehende Rechtsgleichheit mit Österreich besteht seit dem Beitritt Österreichs zum Römischen Schuldvertragsübereinkommen 1998 nicht mehr6.
152
2. Rechtswahl Nach Art. 39 liIPRG bestimmt sich das auf den Vertrag anwendbare Recht primär nach einer Rechtswahl der Parteien. Neben einer ausdrücklichen Vereinbarung kann die Rechtswahl auch in einer schlüssigen Bestimmung erfolgen. Weiter gehend als Art. 3 Rom I-VO bestimmt Art. 39 Abs. 1 liIPRG, dass einer schlüssigen Bestimmung gleich steht, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Parteien eine bestimmte Rechtsordnung als maßgebend angenommen haben. Wenn ein Verfahren anhängig ist, kann nach Art. 11 Abs. 1 liIPRG eine nachträgliche Rechtswahl allerdings nur noch ausdrücklich erfolgen. Haben beide Parteien ihrem Vorbringen dieselbe Rechtsordnung zugrunde gelegt, so ist dies allerdings ein Indiz dafür, dass sie bereits vor dem Verfahren nach Art. 39 Abs. 1, 2. Halbs. liIPRG eine konkludente Rechtswahl getroffen haben7. 1 Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 118 Rz. 12; Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Kommentar zum IPRG, Art. 118 Rz. 41. 2 S. die Darstellung bei Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 118 Rz. 12. 3 Liechtensteinisches Landesgesetzblatt 1996, Nr. 194 v. 28.11.1996 (https://www.gesetze.li/ lilexprod/showpdf.jsp?media=pdf&lgblid=1996194000&gueltigdate=02022016 (Stand 2.2.2016). 4 Bundesgesetz vom 15.6.1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), österr. BGBl. Nr. 304/1978 i.d.F. BGBl. I Nr. 158/2013, aktueller Text auch unter https://www.ris.bka.gv.at/ GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002426 (Stand 2.2.2016). 5 Bericht und Antrag der Regierung des Fürstentums Liechtensteins an den Landtag, Nr. 106/1992, v. 27.10.1992, 3 f. 6 Kritisch zur Übernahme des alten österreichischen Rechts daher bereits Basedow in Marxer/Reichert-Facilides/Schnyder, S. 41 (51); zu den Unterschieden des EVÜ zum früheren österreichischen Recht Heiss/Mayr, IPRax 1999, 305 (308 ff.). 7 So zum dem Wortlaut nach identischen früheren österreichischen Recht Duchek/Schwind, Internationales Privatrecht, § 11 Anm. 4.
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Benicke 57
153
Teil B Rz. 154 154
Warenhandel
Im Unterschied zur Rom I-VO richten sich die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Rechtswahlvereinbarung nicht nach dem potenziellen Recht, sondern nach der lex fori, also bei einem Verfahren in liechtensteinischem Recht nach materiellem liechtensteinischen Recht1. 3. Objektive Anknüpfung
155
Mangels Rechtswahl sind gegenseitige Verträge nach Art. 40 liIPRG objektiv anzuknüpfen. Gegenseitige Verträge, bei denen die Leistungspflicht der einen Partei zumindest überwiegend in einer Geldleistung besteht, unterliegen dem Recht des Staates, in dem die andere Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Schließt diese Partei den Vertrag als Unternehmer, so ist die Niederlassung maßgebend, in deren Rahmen der Vertrag geschlossen wird.
156
Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierfür der Vertragsschluss. Die Regelung entspricht daher insoweit Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO und folgt nicht dem Haager Kaufrechtsübereinkommen, das auf den Zugang der Bestellung abstellt2.
157
Das liechtensteinische IPRG sieht für die objektiven Anknüpfungen keine Ausweichklausel bei engerer Verbindung zum Recht eines anderen Staates vor. Die Regelung ist daher starrer als die Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO3. Die allgemeine Ausweichklausel in Art. 1 Abs. 2 liIPRG mit der Anknüpfung an die stärkste Beziehung des Sachverhalts greift nur ein, wenn eine Verweisungsnorm nicht besteht.
158
Für gegenseitige Verträge, bei denen keine Leistungspflicht in einer Geldleistung besteht, also etwa einem Tauschvertrag, ist mangels besonderer Kollisionsnorm auf die Generalklausel von Art. 1 Abs. 2 liIPRG und damit auf die stärkste Beziehung des jeweiligen Sachverhalts abzustellen. Hierbei sind alle in Betracht kommenden Anknüpfungstatsachen (Erfüllungsorte, Ort der Vertragsschließung, gewöhnlicher Aufenthalt bzw. Niederlassung und Staatsangehörigkeit der Parteien) zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen4. 4. Sonderanknüpfungen
159
Art. 43 und 44 liIPRG enthalten Sonderanknüpfungen für Verträge, die bei einer bestimmten Gelegenheit abgeschlossen werden. Art. 43 liIPRG bestimmt, dass Börsengeschäfte und Verträge, die auf Märkten und Messen geschlossen werden, dem Recht des Staates unterliegen, in dem sich die Börse oder der Markt befindet bzw. die Messe stattfindet.
160
Nach Art. 44 liIPRG sind Verkäufe durch Versteigerung nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem die Versteigerung stattfindet. Die Sonderanknüpfung scheint nicht nur für Versteigerung durch eine dazu behördlich besonders ermächtigte Person, sondern auch für privat organisierte Versteigerungen zu gelten. Auch wird keine Einschränkung dahingehend gemacht, dass die Vertragsparteien bei der Versteigerung persönlich anwesend sein müssen.
161
Bei Versteigerungen im Internet wird auf den Sitz bzw. die Niederlassung desjenigen abzustellen sein, der die Versteigerung organisiert. Der Sitz des Servers, auf dem die 1 So für das frühere österreichische Recht Czernich/Heiss, ÖJZ 1998, 681 (685); Rudisch, RabelsZ 63 (1999), 70 (88). 2 Duchek/Schwind, Internationales Privatrecht, § 36 Anm. 7 (noch zu Art. 28 dtEGBGB). 3 Czernich/Heiss, ÖJZ 1998, 681 (685), zum früheren österreichischen Recht. 4 So zum wortgleichen früheren österreichischen Recht Duchek/Schwind, Internationales Privatrecht, § 36 Anm. 4.
58 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 165
Teil B
Dateien zusammengeführt und verarbeitet werden, hat wegen der Beliebigkeit außer Betracht zu bleiben. 5. Rückverweisung Nach Art. 11 Abs. 1 liIPRG ist die Verweisung bei Rechtswahl eine Sachnormverweisung. Für die objektiven Anknüpfungen des Vertragsstatuts gilt demgegenüber Art. 5 Abs. 1 liIPRG. Verweist das Kollisionsrecht des ausländischen Rechts zurück auf liechtensteinisches Recht, wird diese Rückverweisung beachtet und angenommen. Verweist das ausländische Kollisionsrecht auf eine dritte Rechtsordnung weiter, wird diese Verweisung nicht beachtet und das Sachrecht der durch die liechtensteinische Kollisionsnorm zuerst berufenen Rechtsordnung angewandt.
162
Kapitel 3. UN-Kaufrecht (CISG) Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Anwendbarkeit 1. Anwendungsvoraussetzungen Das CISG bestimmt in Art. 1 CISG die Voraussetzungen, unter denen es anwendbar ist. Es gilt nur für internationale Kaufverträge. Entscheidend für die Internationalität ist, dass Käufer und Verkäufer jeweils ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben. Ohne Bedeutung ist daher die Nationalität, deren Feststellung besonders bei Unternehmen Schwierigkeiten verursachen würde1. Ebenso ist nicht Voraussetzung, dass die Transaktion selbst grenzüberschreitend ist. Notwendig ist aber, dass der Auslandsbezug des Kaufvertrages für die Parteien erkennbar war, Art. 1 Abs. 2 CISG. Die Erkennbarkeit der Tatsache, dass die Parteien ihre Niederlassungen in verschiedenen Staaten haben, kann sich aus dem Vertrag, den Verhandlungen und Auskünften zwischen den Parteien, aber auch aufgrund der Information von dritter Seite ergeben2. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
163
Weiterhin setzt die Anwendbarkeit einen Bezug zu Vertragsstaaten voraus. Insoweit ist zu unterscheiden, ob sich die Frage der Anwendbarkeit vor den Gerichten eines Vertragsstaates oder eines Nichtvertragsstaates stellt. In einem Verfahren vor dem Gericht eines Vertragsstaates bestimmt sich die Anwendbarkeit primär nach Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG. Danach ist das CISG anwendbar, wenn die Parteien des Kaufvertrages ihre Niederlassungen in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Auf das Kollisionsrecht des forum kommt es nicht an. Die Anwendbarkeit bestimmt sich unmittelbar aus dem im Forumstaat geltenden Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG.
164
Befindet sich die Niederlassung einer Partei oder sogar beider Parteien in einem Nichtvertragsstaat, so kann das CISG nach Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG aufgrund einer kollisionsrechtlichen Verweisung zur Anwendung kommen3. Verweist das Kollisionsrecht des forum auf das Recht eines Vertragsstaates, so wird bei einem internationalen Kaufvertrag primär das CISG als Bestandteil des berufenen Rechts anwendbar. Aufgrund einer solchen kollisionsrechtlichen Verweisung kann auch in einem Verfahren vor
165
1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 31. 2 Letzteres ist strittig; s. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 26. 3 Einen Vorbehalt gegen Art. 1 Abs. 1 lit. b haben nach Art. 95 China, Singapur, Tschechische Republik, Slowakische Republik und die USA eingelegt; s. zu den daraus resultierenden Fragen der Anwendbarkeit Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 38 ff.; Siehr, RabelsZ 52 (1988), 587 (598 ff.); Vékás, IPRax 1987, 342 (344 ff.).
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Benicke 59
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 165
Teil B
Dateien zusammengeführt und verarbeitet werden, hat wegen der Beliebigkeit außer Betracht zu bleiben. 5. Rückverweisung Nach Art. 11 Abs. 1 liIPRG ist die Verweisung bei Rechtswahl eine Sachnormverweisung. Für die objektiven Anknüpfungen des Vertragsstatuts gilt demgegenüber Art. 5 Abs. 1 liIPRG. Verweist das Kollisionsrecht des ausländischen Rechts zurück auf liechtensteinisches Recht, wird diese Rückverweisung beachtet und angenommen. Verweist das ausländische Kollisionsrecht auf eine dritte Rechtsordnung weiter, wird diese Verweisung nicht beachtet und das Sachrecht der durch die liechtensteinische Kollisionsnorm zuerst berufenen Rechtsordnung angewandt.
162
Kapitel 3. UN-Kaufrecht (CISG) Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Anwendbarkeit 1. Anwendungsvoraussetzungen Das CISG bestimmt in Art. 1 CISG die Voraussetzungen, unter denen es anwendbar ist. Es gilt nur für internationale Kaufverträge. Entscheidend für die Internationalität ist, dass Käufer und Verkäufer jeweils ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben. Ohne Bedeutung ist daher die Nationalität, deren Feststellung besonders bei Unternehmen Schwierigkeiten verursachen würde1. Ebenso ist nicht Voraussetzung, dass die Transaktion selbst grenzüberschreitend ist. Notwendig ist aber, dass der Auslandsbezug des Kaufvertrages für die Parteien erkennbar war, Art. 1 Abs. 2 CISG. Die Erkennbarkeit der Tatsache, dass die Parteien ihre Niederlassungen in verschiedenen Staaten haben, kann sich aus dem Vertrag, den Verhandlungen und Auskünften zwischen den Parteien, aber auch aufgrund der Information von dritter Seite ergeben2. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
163
Weiterhin setzt die Anwendbarkeit einen Bezug zu Vertragsstaaten voraus. Insoweit ist zu unterscheiden, ob sich die Frage der Anwendbarkeit vor den Gerichten eines Vertragsstaates oder eines Nichtvertragsstaates stellt. In einem Verfahren vor dem Gericht eines Vertragsstaates bestimmt sich die Anwendbarkeit primär nach Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG. Danach ist das CISG anwendbar, wenn die Parteien des Kaufvertrages ihre Niederlassungen in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Auf das Kollisionsrecht des forum kommt es nicht an. Die Anwendbarkeit bestimmt sich unmittelbar aus dem im Forumstaat geltenden Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG.
164
Befindet sich die Niederlassung einer Partei oder sogar beider Parteien in einem Nichtvertragsstaat, so kann das CISG nach Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG aufgrund einer kollisionsrechtlichen Verweisung zur Anwendung kommen3. Verweist das Kollisionsrecht des forum auf das Recht eines Vertragsstaates, so wird bei einem internationalen Kaufvertrag primär das CISG als Bestandteil des berufenen Rechts anwendbar. Aufgrund einer solchen kollisionsrechtlichen Verweisung kann auch in einem Verfahren vor
165
1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 31. 2 Letzteres ist strittig; s. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 26. 3 Einen Vorbehalt gegen Art. 1 Abs. 1 lit. b haben nach Art. 95 China, Singapur, Tschechische Republik, Slowakische Republik und die USA eingelegt; s. zu den daraus resultierenden Fragen der Anwendbarkeit Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 38 ff.; Siehr, RabelsZ 52 (1988), 587 (598 ff.); Vékás, IPRax 1987, 342 (344 ff.).
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Benicke 59
Teil B Rz. 166
Warenhandel
einem Gericht in einem Nichtvertragsstaat das CISG zur Anwendung berufen werden. Die Anwendbarkeit des CISG aufgrund der kollisionsrechtlichen Verweisung gilt auch dann, wenn die Parteien durch eine Rechtswahl das Recht eines Vertragsstaates berufen haben. Möglich ist allerdings, dass die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend die Rechtswahl auf das interne Kaufrecht unter Ausschluss des CISG begrenzt haben. Für die Annahme eines entsprechenden Willens bedarf es aber konkreter Hinweise. Allein der Umstand, dass ohne Rechtswahl das CISG bereits nach Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG anwendbar gewesen wäre, genügt nicht. Die Beweislast liegt bei der Partei, die sich auf die Nichtanwendbarkeit des CISG beruft1. 2. Abwahl des CISG 166
Die Anwendbarkeit des CISG ist nicht von seiner Wahl durch die Parteien abhängig. Den Parteien steht es aber frei, die an sich nach Art. 1 CISG gegebene Anwendbarkeit des CISG auszuschließen, s. Art. 6 CISG2. Dies ist zum einen dadurch möglich, dass die Parteien das Recht eines Nichtvertragsstaates kollisionsrechtlich wirksam wählen. Sie können außerdem bei der kollisionsrechtlichen Wahl des Rechts eines Vertragsstaates dieses Recht unter Ausschluss des CISG wählen. Wenn die Parteien nur die Geltung des CISG ausschließen, ohne eine positive Wahl des anwendbaren Rechts zu treffen, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der objektiven Anknüpfung gemäß dem Kollisionsrecht des forum. Wird auf das Recht eines Vertragsstaates verwiesen, so ist nur das interne Kaufrecht anwendbar, aufgrund des Ausschlusses nicht das CISG. Weiterhin können die Parteien auf materiellrechtlicher Ebene die Vorschriften des CISG fast vollständig abwählen. Das CISG enthält bis auf Art. 12 und 28 CISG nur dispositives Recht3. 3. Sachlicher Anwendungsbereich
167
Das CISG gilt für Kaufverträge über Waren. Waren als mögliche Gegenstände eines Kaufvertrags sind bewegliche körperliche Gegenstände. Der Begriff ist vertragsautonom zu bestimmen. Entscheidend ist daher nicht die Bewertung der lex rei sitae, ob eine Sache beweglich oder unbeweglich ist, sondern ob sie fest mit dem Boden verbunden ist. Entscheidend ist nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern der der Lieferung, so dass Bodenschätze und landwirtschaftliche Erzeugnisse dann Waren sind, wenn sie nach der Trennung von dem Grundstück geliefert werden sollen4.
168
Nationale Vorschriften, die bestimmte körperliche Gegenstände für nicht verkehrsfähig erklären oder besonderen Verkehrsbeschränkungen unterwerfen, wie Regelungen zum Schutz von Kulturgütern oder Tieren, berühren nicht die Eigenschaft als Ware, können aber zur Ungültigkeit des Vertrages führen5.
169
Ein Kaufvertrag liegt vor, wenn Ware gegen Geld ausgetauscht werden soll. Kompensationsverträge, bei denen Waren gegen Waren ausgetauscht werden, werden nach der Entstehungsgeschichte nicht erfasst6.
170
Vertriebsverträge, wie etwa Franchiseverträge, die selbst noch keine Verpflichtung zur Lieferung von Waren begründen, stellen keine Kaufverträge dar. Vom CISG können 1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 35, 55. 2 Zu den Gründen einer Abwahl Schillo, IHR 2003, 257. 3 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 6 CISG Rz. 19; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 57. 4 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 1 Rz. 7; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 2 Rz. 46. 5 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 17; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 1 CISG Rz. 49. 6 Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 1 Rz. 30.
60 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 174
Teil B
aber die einzelnen Bezugsverträge in Ausführung eines solchen Vertriebsvertrages erfasst werden. Der Vertriebsvertrag ist allerdings dann bereits als Kaufvertrag zu qualifizieren, wenn Preis und Menge der insgesamt zu liefernden Waren so weitgehend bestimmt sind, dass die einzelnen Lieferungen aufgrund eines bloßen Abrufs erfolgen, ein Kaufvertrag insoweit nicht mehr erforderlich ist1. Leasingverträge werden vom CISG nicht erfasst. Das gilt auch dann, wenn der Vertrag so ausgestaltet ist, dass die Leasingraten den Sachwert und die Finanzierungskosten voll abdecken2. Für das Finanzierungsleasing gibt es eine eigene UNIDROIT-Konvention3.
171
Auf Werklieferungsverträge ist das CISG nach Art. 3 Abs. 1 CISG anwendbar, außer wenn der Besteller einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst zur Verfügung gestellt hat. Maßgeblich ist hierfür primär das Wertverhältnis der Materialien4. Vom Besteller zur Verfügung gestelltes know how ist nicht zu berücksichtigen5. Ein wesentlicher Teil ist bereits bei einem Wertverhältnis von unter 50 % möglich6. Neben dem objektiven Wertverhältnis kann ergänzend auch die Bewertung durch die Parteien herangezogen werden, etwa wenn das Material nur vom Besteller geliefert werden kann7. Bei Industrieanlagen oder anderen Anlagen, die auf einem Grundstück aufgestellt werden, bleibt der Wert des Grundstücks im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 CISG unberücksichtigt. Das gilt auch dann, wenn nach dem für das Grundstück maßgeblichen Sachenrecht die Anlage mit der Errichtung wesentlicher Bestandteil wird8.
172
Bei gemischten Verträgen, bei denen der Verkäufer neben der Lieferung auch andere Leistungen, insbesondere Dienstleistungen wie die Montage oder Wartung schuldet, ist das CISG anwendbar, solange der Kaufteil wertmäßig zumindest die Hälfte ausmacht, Art. 3 Abs. 2 CISG. Maßgeblich ist die von den Parteien bei Vertragsschluss angenommene Wertrelation9.
173
Kein solcher gemischter Vertrag, sondern ein reiner Kaufvertrag liegt vor, wenn die vom Verkäufer zu erbringenden Leistungen, wie etwa besondere Forschungs- oder Entwicklungsarbeit, der Herstellung der Ware dienen10. Ein Kaufvertrag setzt allerdings weiter voraus, dass Gegenstand der Leistung eine Ware ist und nicht die geistige Leistung im Vordergrund steht. So sind wissenschaftliche Gutachten, Anleitungen für Produktionsverfahren, Konstruktionspläne und Computerprogramme, auch wenn sie körperlich niedergelegt sind, nur dann Waren, wenn die Dienst- oder Werkleistung nicht dominiert11. So sind standardisierte Computerprogramme als Waren anzusehen, nicht hingegen speziell für den Auftraggeber entwickelte Programme12.
174
1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 1 CISG Rz. 15. 2 Siehr in Honsell, Art. 2 Rz. 7; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 1 Rz. 28; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 1 CISG Rz. 34 f.; a.A. Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 3 Rz. 6; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 64. 3 UNIDROIT Convention on International Financial Leasing, Ottawa, 28.5.1988. 4 Piltz, Internationales Kaufrecht, § 2 Rz. 32; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 3 CISG Rz. 14. 5 OLG Frankfurt v. 17.9.1991 – 5 U 164/90, RIW 1991, 950; Heuzé, Vente internationale, Anm. 80; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 3 Rz. 10; a.A. Cour d’appel Chambéry CISGonline Nr. 223; kritisch dazu Witz/Wolter, RIW 1995, 810 f. 6 Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 59; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 3 Rz. 2; Magnus in Staudinger, Art. 3 CISG Rz. 16. 7 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 3 CISG Rz. 5; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 3 Rz. 8. 8 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 68. 9 Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 3 Rz. 4. 10 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 71. 11 Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 1 Rz. 38; Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 3 Rz. 21 Fn. 83; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 1 CISG Rz. 44, 46. 12 S. Diedrich, RIW 1993, 441 (452); Magnus in Staudinger/BGB, Art. 1 CISG Rz. 44.
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Benicke 61
Teil B Rz. 175
Warenhandel
4. Ausnahmen nach Art. 2 CISG 175
Art. 2 CISG enthält Ausnahmetatbestände, so dass das CISG trotz Vorliegens eines internationalen Warenkaufvertrages nicht anwendbar ist. Zum einen werden Käufe für einen privaten Verwendungszweck nicht erfasst. Das CISG will nur den Handelskauf regeln und Überschneidungen mit nationalem Verbraucherschutzrecht vermeiden. Anders als etwa das deutsche Recht, greift der Ausschluss nach Art. 2 lit. a CISG nicht, wenn der private Verwendungszweck für den Verkäufer nicht erkennbar war. Den Verkäufer, der die Anwendbarkeit des CISG wegen mangelnder Erkennbarkeit geltend macht, trifft hierfür die Beweislast1.
176
Verkäufe bei Versteigerungen (Art. 2 lit. b CISG) und aufgrund von Zwangsvollstreckungs- oder anderen gerichtlichen Maßnahmen (Art. 2 lit. c CISG) werden vom Anwendungsbereich ausgenommen, um Rücksicht auf die in diesen Gebieten bestehenden besonderen nationalen Regeln zu nehmen, die meist zwingender Natur sind2. Gleiches gilt für den Ausschluss von Wertpapieren und Zahlungsmitteln (Art. 2 lit. d CISG).
177
Schiffe, Binnenschiffe, Luftkissenfahrzeuge und Luftfahrzeuge sind ausgenommen, weil diese in manchen nationalen Rechtsordnungen nicht als bewegliche Sachen behandelt werden und/oder ebenfalls Sonderregelungen unterliegen. Anders als das Haager Einheitliche Kaufrecht vom 1.7.1964 (im Folgenden: EKG) stellt Art. 2 lit. e CISG nicht mehr formell auf eine Registrierungspflicht nach nationalem Recht ab. Nach dem Zweck erfasst der Ausschlusstatbestand aber nur solche Luft- oder Wasserfahrzeuge, für die eine solche Registrierungspflicht in Betracht kommt. Das CISG ist daher anwendbar auf den Kauf von kleineren Booten, insbesondere Sportbooten sowie auf Fallschirme, Hängegleiter oder Drachen3.
178
Der Ausschluss von Elektrizität hat historische Gründe und kann nicht analog auf andere Energieträger wie Gas ausgedehnt werden4. 5. Vertragsschluss und Wirksamkeitsvoraussetzungen
179
Das CISG regelt den Abschluss des Kaufvertrages. Wie sich aus Art. 4 CISG ergibt, regelt das CISG aber nur das Zustandekommen des Vertrages im Sinne des äußeren Konsenses der Parteien, nicht hingegen den so genannten inneren Konsens, d.h. die Frage der Unwirksamkeit wegen Dissenses oder aufgrund Anfechtung.
180
Das CISG regelt nicht die Fragen, ob ein Vertrag wegen fehlender Geschäftsfähigkeit, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten oder ein Verbotsgesetz oder aufgrund der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unwirksam ist5. Insoweit ist das aufgrund des Kollisionsrechts des forum berufene nationale Recht anzuwenden. Wenn die Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln wie nach § 307 BGB am Maßstab der Abweichung vom dispositiven Recht erfolgt, ist als Vergleichsmaßstab nicht das nationale interne Recht, sondern die durch die Klausel möglicherweise verdrängte Regelung des CISG heranzuziehen6. 1 2 3 4
Hepting/Müller in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Art. 2 Rz. 5. Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 84. Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 2 Rz. 9; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 2 CISG Rz. 46, 48. OGH v. 6.2.1996 – 10 Ob 518/94, ZfRvgl 37 (1996), 248; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 2 CISG Rz. 22. 5 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 CISG Rz. 20 ff. 6 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 4 Rz. 12; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 4 Rz. 20; s. auch Koch, NJW 2000, 910 ff. zur Bewertung der üblichen Klausel bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts.
62 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 187
Teil B
Zu den nicht vom CISG geregelten Bereichen gehören auch verbraucherrechtliche Widerrufsrechte wie § 355 BGB, die dem Verbraucher eine zusätzliche Überlegungsfrist einräumen1. Diese können nach dem nationalen Recht eingreifen, weil sich deren Anwendungstatbestand mit dem Ausschlusstatbestand in Art. 2 lit. a CISG meist nicht vollständig deckt.
181
Gültigkeitsvoraussetzungen des nationalen Rechts können aber dann nicht eingreifen, wenn das CISG die Sachfrage selbst regelt. Dies ist etwa für alle Unwirksamkeitsgründe der Fall, die sich auf die Beschaffenheit der Ware beziehen. Insoweit stellen die Regelungen des CISG eine abschließende Sonderregelung dar, so dass eine nationale Regelung wie § 119 Abs. 2 BGB, die eine Anfechtung wegen Irrtums über die Beschaffenheit der Ware zulässt, keine Anwendung finden kann2. Gleiches gilt für die zukünftige Leistungsfähigkeit der anderen Vertragspartei, die in Art. 71 CISG eine abschließende Sonderregelung gefunden hat. Da Art. 11 CISG ausdrücklich die Formfreiheit des Vertragsschlusses bestimmt, sind nationale Vorschriften, welche die Gültigkeit des Vertrages von der Einhaltung bestimmter Formen abhängig machen, ebenfalls nicht anwendbar3.
182
6. Eigentumsübergang Das CISG regelt nicht die sachrechtliche Frage des Eigentumsübergangs an der Ware. Das nach dem Kollisionsrecht des forum anwendbare Recht, meist die lex rei sitae, entscheidet darüber, ob der schuldrechtliche Kaufvertrag auch den Eigentumsübergang bewirkt oder ein separates dingliches Rechtsgeschäft notwendig ist, und ob zusätzlich noch eine Übergabe oder ein Übergabesurrogat erforderlich ist.
183
Das anwendbare nationale Recht entscheidet auch über die Voraussetzungen und die dinglichen Wirkungen eines Eigentumsvorbehalts, etwa auch über die Anerkennung eines Anwartschaftsrechts des Erwerbers. Demgegenüber unterliegt die schuldrechtliche Seite des Eigentumsvorbehalts wie die darin liegende aufgeschobene Pflicht zur Übereignung der zu liefernden Ware dem CISG4.
184
7. Institute des Allgemeinen Schuldrechts Auch wenn in Art. 4 CISG nicht ausdrücklich genannt, regelt das CISG nicht die Stellvertretung, die Verjährung, die Abtretung von Forderungen aus dem Kaufvertrag, die Schuldübernahme oder den Schuldbeitritt oder die Einbeziehung Dritter in den Vertrag etwa als Begünstigte im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter sowie grundsätzlich die Aufrechnung5.
185
Keine Anwendung finden nationale Regelungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die Stundung, den vereinbarten Rücktritt, die Erfüllung und die Haftung für Erfüllungsgehilfen, weil das CISG diese Sachbereiche selbst regelt6.
186
Ansprüche nach nationalem Recht aus culpa in contrahendo (cic) sind ausgeschlossen, soweit die Pflichtverletzung in der mangelnden Aufklärung über die Fehlerhaftigkeit
187
1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 173 ff., beschränken die parallele Anwendung der Widerrufsrechte auf Fälle, in denen das Widerrufsrecht eine zusätzliche Überlegungsfrist gewähren soll (Bsp.: bei Haustür- oder Finanzierungsgeschäften). Da dies bei Fernabsatzverträgen nicht zutreffe, soll insoweit das UN-Kaufrecht das Widerrufsrecht verdrängen. 2 OGH v. 13.4.2000 – 2 Ob 100/00w, IPRax 2001, 149 f. m. Bespr. Schlechtriem, IPRax 2001, 161 f.; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 35 Rz. 45 f. 3 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 4 Rz. 10. 4 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 178 f. 5 S. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 4 CISG Rz. 13 ff. m.w.N. 6 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 4 CISG Rz. 18 m.w.N.
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Benicke 63
Teil B Rz. 188
Warenhandel
der Ware liegt1. Nur dem CISG unterliegen grundsätzlich alle Ansprüche wegen der Verletzung vertraglicher (Neben-)Pflichten, wie etwa der Pflicht zur Zurückgabe von Behältnissen2. Neben dem CISG sind solche Ansprüche aber zuzulassen, wenn sie auf der Verletzung von Pflichten beruhen, die funktional deliktischer Natur sind, wie dies im deutschen Recht teilweise der Fall ist3. 188
Nur das CISG ist einschlägig für die Haftung wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen, weil diese Frage nicht getrennt von den Regelungen über die Voraussetzungen und die Bindungswirkungen eines Angebots beantwortet werden kann4. 8. Produkthaftung
189
Nach Art. 5 CISG fällt die Produkthaftung bei Tod oder Körperverletzung nicht in den Regelungsbereich des CISG. Die Haftung richtet sich nach dem anwendbaren nationalen Recht. Dies gilt auch dann, wenn die Haftung dort nicht deliktisch, sondern vertraglich ausgestaltet ist. Derartige Ansprüche sollen nicht durch die insoweit verkäuferfreundlichen Regelungen des CISG beschränkt werden, die eine rechtzeitige Rüge verlangen und den Schadensersatz auf den vorhersehbaren Vermögensschaden beschränken5. Der Ausschluss umfasst auch den Regressanspruch des Käufers, der seinerseits von einem Abnehmer oder einem Dritten wegen eines durch die vertragswidrige Ware verursachten Personenschadens in Anspruch genommen worden ist6.
190
Streitig ist, ob deliktische Ansprüche wegen Sachschäden aufgrund vertragswidriger Ware nach nationalem Recht durch das CISG ausgeschlossen werden. Auf der Wiener Konferenz konnte hierüber keine Einigung erzielt werden. Da das CISG das nationale Deliktsrecht nicht begrenzen wollte, sind deliktische Ansprüche insoweit zuzulassen7. 9. Interne Lücken
191
Als interne Lücken werden die Bereiche bezeichnet, die zwar in den sachlichen Geltungsbereich des CISG nach Art. 4 CISG fallen, für die sich aber im CISG keine ausdrücklichen Regelungen finden lassen8. Als externe Lücken werden demgegenüber die Bereiche bezeichnet, die zwar ebenfalls für den Kaufvertrag relevant sind, aber, wie etwa die Verjährung, außerhalb des vom CISG erfassten Regelungsbereichs liegen9.
192
Interne Lücken können sich vor allem daraus ergeben, dass eine Sachfrage bei Erarbeitung des Übereinkommens noch nicht voraussehbar war oder schlicht übersehen wurde10. 1 2 3 4 5 6 7
8 9 10
Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 CISG Rz. 42 f. OLG Köln v. 8.1.1997 – 27 U 58/96, CISG-online 217; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rz. 41. Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 4 Rz. 12 f. Bonell, RIW 1990, 693 (700); Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 CISG Rz. 43. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 5 CISG Rz. 1 f. Schlechtriem, EWiR 1993, 1075 f.; ebenso im Ergebnis Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 184 ff., wobei in der Voraufl. (Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2007, Rz. 39) noch die a.A. vertreten wurde (vgl. Rz. 185, Fn. 313). Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 5 Rz. 12, sofern das nationale Deliktsrecht nicht ausnahmsweise das Äquivalenzinteresse schützt; ebenso Magnus in Staudinger/BGB, Art. 5 CISG Rz. 10, 14; differenzierend Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 187 ff., der nationales Deliktsrecht nur dann für anwendbar hält, wenn Schäden an Sachgütern des Käufers betroffen sind, deren Ausbleiben der Käufer nach dem Kaufvertrag nicht erwarten durfte; a.A. Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 73; Herber, IHR 2001, 187; C. Schmidt, RIW 1996, 904. Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 7 Rz. 4, 41; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UNKaufrecht, Rz. 133. OLG Zweibrücken v. 26.7.2002 – 2 U 27/01, CISG-online Nr. 688; Ferrari in Schlechtriem/ Schwenzer, Art. 4 Rz. 35; Stoll, IPRax 1993, 75. Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 134.
64 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 198
Teil B
Interne Lücken sind nach Art. 7 Abs. 2 CISG primär durch Heranziehung der allgemeinen Grundsätze zu lösen. Alternativ oder ergänzend ist eine Lückenschließung auch im Wege der analogen Anwendung einzelner Vorschriften zuzulassen1. Nur wenn dies nicht möglich ist, muss auf das nationale Recht zurückgegriffen werden, das durch das Kollisionsrecht des forum berufen wird.
193
Die Schließung einer internen Lücke durch Heranziehung der allgemeinen Grundsätze des CISG oder durch analoge Anwendung seiner Vorschriften hat den Vorteil, dass eine einheitliche Regelung möglich wird. Das Abstellen auf das anwendbare nationale Recht führt dazu, dass je nach befasstem Gericht eine unterschiedliche Regelung gilt.
194
Weitgehend anerkannt ist, dass die Beweislast eine interne Lücke i.S. von Art. 7 Abs. 2 CISG darstellt, die durch die Heranziehung allgemeiner Grundsätze für alle Vorschriften des CISG jeweils vertragsautonom zu bestimmen ist2. Danach gilt der Grundsatz, dass jede Partei die Tatbestandsvoraussetzungen der Normen beweisen muss, auf deren Rechtsfolge sie sich in ihrem Vorbringen beruft. Diese Beweislastverteilung gilt für die Regelvoraussetzungen, an deren Vorliegen der Eintritt der gewünschten Rechtsfolge geknüpft ist. Macht die andere Partei geltend, dass die Rechtsfolge trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen nicht eintritt, weil eine Ausnahmeregelung eingreift, so hat sie deren Voraussetzungen zu beweisen3.
195
II. Vertragsschluss 1. Einleitung Die Regeln für den Vertragsschluss bilden den zweiten Teil der Konvention. Nach Art. 92 CISG ist es möglich, das CISG auch ohne diesen Teil zu ratifizieren. Von dieser Möglichkeit haben die skandinavischen Länder Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden Gebrauch gemacht4.
196
2. Vertragsschlusserklärungen Die Regeln des CISG folgen dem herkömmlichen Muster eines Vertragsschlusses durch Angebot und Annahme, d.h. durch zwei zeitlich aufeinanderfolgende Erklärungen. Der Vertragsschluss durch Einigung auf andere Weise ist nicht ausdrücklich geregelt, kann aber auch im Rahmen des CISG einen Vertrag begründen. Die rechtlichen Besonderheiten eines Vertragsschlusses durch elektronische Erklärungen werden im CISG noch nicht ausdrücklich behandelt.
197
3. Zugang Die Vertragsschlusserklärungen werden wirksam, wenn sie dem anderen Teil zugehen. Zugang ist in Art. 24 CISG näher definiert. Inhaltlich entspricht diese Regelung dem 1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 139 mit dem Hinweis darauf, dass die Abgrenzung zwischen Lückenfüllung durch Heranziehung der allgemeinen Grundsätze und durch Analogie umstritten ist. 2 OLG Frankfurt v. 13.6.1991 – 5 U 261/90, NJW 1991, 3102; Handelsgericht Zürich, SZIER 2000, 111, 112; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 4 Rz. 23; Magnus in Staudinger, Art. 4 CISG Rz. 63 ff., Art. 7 Rz. 57; s. auch Henninger, S. 153 ff.; a.A. ICC Schiedsspruch Nr. 6653/1993, JDI 1993, 1040; Khoo in Bianca/Bonell, Art. 4 Anm. 3.2; Heuzé, Vente internationale, Anm. 299 (zu Art. 36); ebenso nunmehr Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 211 (a.A. noch in Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2007, Rz. 50). 3 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 4 Rz. 23; Hepting/Müller in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Vor Art. 1 Rz. 20 ff. 4 Ferrari in MünchKomm/HGB, Vor Art. 14 Rz. 1.
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Benicke 65
198
Teil B Rz. 199
Warenhandel
deutschen internen Recht. Ein Unterschied besteht hinsichtlich der Terminologie. Unter den Begriff des Zugangs wird auch die Vernehmung einer mündlichen Erklärung unter Anwesenden subsumiert. 199
Elektronische Erklärungen wie eine E-Mail gehen zu, wenn sie in einer Empfangseinrichtung des Empfängers eingegangen sind und von ihm abgerufen werden können1. Allerdings gilt dies nur, wenn der Empfänger die elektronische Adresse dem Erklärenden gegenüber angegeben hat oder sonst üblicherweise Erklärungen auf diese Art empfängt2. Entsprechend gehen auch mündliche Nachrichten, die von dem Empfänger nicht unmittelbar gehört werden, sondern auf einen Telefonanrufbeantworter oder eine Mailbox gesprochen werden, durch die Aufnahme der Erklärung zu3. Eine Funktionsstörung auf Seiten der Empfangsgeräte geht zu Lasten des Empfängers, wenn sie für den Erklärenden nicht erkennbar war. 4. Sprache
200
Die Erklärung muss in einer Sprache abgefasst sein, die der Empfänger kennt und versteht oder deren Kenntnis von ihm erwartet werden kann. Eine Erklärung geht nur zu, wenn dem Empfänger zugemutet werden kann, die Sprache, in der sie abgefasst ist, zu verstehen4.
201
Allerdings widerspricht es dem auch im CISG geltenden Verbot des venire contra factum proprium5, wenn sich der Erklärende darauf beruft, seine Erklärung sei mangels Verständlichkeit der Sprache dem Empfänger nicht zugegangen. 5. Einschaltung von Mittelspersonen
202
Die rechtsgeschäftliche Stellvertretung ist im CISG nicht geregelt und richtet sich daher nach dem anwendbaren nationalen Recht6. Soll eine dritte Person die Erklärung nur als Bote übermitteln, richtet sich die Befugnis für die Entgegennahme von Erklärungen ebenfalls nach nationalem Recht7. 6. Bindung an ein Angebot
203
Hinsichtlich der Bindung an ein Angebot stellen die Regelungen des CISG einen Kompromiss zwischen dem angloamerikanischen Rechtskreis, in dem eine Bindung grundsätzlich abgelehnt wird, und den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen dar, in denen eine Bindung weitgehend möglich ist8. Nach Art. 16 Abs. 1 CISG kann ein Angebot grundsätzlich widerrufen werden. Der Widerruf muss allerdings dem Empfänger zugehen, bevor dieser seinerseits eine Annahmeerklärung abgesandt hat.
204
Nach Art. 16 Abs. 2 lit. a CISG ist ein Widerruf nach Wirksamwerden des Angebots durch Zugang beim Empfänger ausgeschlossen, wenn das Angebot selbst durch Be1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 293. 2 Ähnlich Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 293: (konkludentes) Einverständnis des Empfängers mit dieser elektronischen Kommunikationsform. 3 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 294 (Fn. 84), 295; Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 24 Rz. 5. 4 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 296. 5 Dazu allgemein Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 7 Rz. 48. 6 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 24 Rz. 4; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 24 CISG Rz. 23. 7 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 295. 8 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 16 Rz. 1; Dornis in Honsell, Art. 16 Rz. 1; Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 16 Rz. 1.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 209
Teil B
stimmung einer festen Frist zur Annahme oder auf andere Weise zum Ausdruck bringt, dass es unwiderruflich ist. Weiter gehend ist nach Art. 16 Abs. 2 lit. b CISG das zugegangene Angebot auch dann unwiderruflich, wenn der Empfänger vernünftigerweise auf die Unwiderruflichkeit vertrauen konnte und im Vertrauen auf das Angebot gehandelt hat. Die Enttäuschung des Vertrauens begründet daher nicht nur einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses. Der Empfänger kann vielmehr durch Annahmeerklärung den Vertrag zustande kommen lassen und erhält so einen Erfüllungsanspruch. Sofern der Widerruf noch möglich ist, sind Ansprüche aus cic aufgrund Abbruch der Vertragsverhandlungen nach nationalem Recht ausgeschlossen. Das CISG enthält insoweit eine abschließende Sonderregelung1.
205
7. Bestimmtheit eines Angebots Art. 14 CISG legt die Voraussetzungen fest, bei deren Vorliegen ein Angebot anzunehmen ist. In Abgrenzung von der bloßen invitatio ad offerendum zeichnet sich das Angebot durch einen Bindungswillen aus, im Fall der Annahme gebunden zu sein. Dieser Bindungswille ist nicht mit der Bindung an das Angebot für eine bestimmte Frist identisch.
206
Ein solcher, das Angebot konstituierender Bindungswille ist nach Art. 14 Abs. 2 CISG regelmäßig nicht anzunehmen, wenn die Erklärung an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet ist, was etwa regelmäßig bei Erklärungen auf Internetseiten anzunehmen ist. Ob ein Bindungswille vorliegt, ist durch Auslegung gemäß Art. 8 CISG zu ermitteln. Primär kommt es dabei auf den dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Willen des Erklärenden an, Art. 8 Abs. 1 CISG. Mangels Kenntnis oder Erkennbarkeit ist ähnlich wie im deutschen Recht darauf abzustellen, wie eine vernünftige Person der gleichen Art wie der Erklärungsempfänger die Erklärung unter den gleichen Umständen aufgefasst hätte, Art. 8 Abs. 2 CISG.
207
Über das deutsche Recht hinausgehend und eine aus dem französischen Recht stammende Voraussetzung übernehmend, verlangt Art. 14 Abs. 1 CISG, dass das Angebot selbst eine Preisfestsetzung enthält oder zumindest ermöglicht2. Art. 14 Abs. 1 CISG steht insoweit in einem gewissen Widerspruch zu Art. 55 CISG, der davon ausgeht, dass ein Vertrag wirksam geschlossen worden sein kann, ohne dass der Vertrag die Festsetzung des Kaufpreises ermöglicht. Aufgelöst werden kann dieser Widerspruch in der Weise, dass für das Vorliegen eines Angebots i.S. von Art. 14 Abs. 1 CISG zwar die Bestimmbarkeit des Preises notwendig ist. Ein Vertrag kann aber auch durch Willenseinigung zustande kommen, ohne dass eine Angebotserklärung abgegeben worden sein muss. Außerdem können die Parteien die Geltung von Art. 14 CISG abbedingen3. Ein solches Abbedingen ist immer dann anzunehmen, wenn die Parteien übereinstimmend zu erkennen gegeben haben, dass sie den Vertrag für bindend halten, etwa mit der Durchführung des Vertrages begonnen haben4.
208
Meistens wird sich aber aus den Umständen und insbesondere aus den Verhandlungen und Gepflogenheiten der Parteien ergeben, dass das Angebot zumindest konkludent die Bestimmbarkeit des Preises ermöglicht, was für Art. 14 Abs. 1 CISG ausreicht5.
209
1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 155; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 16 CISG Rz. 14; Lüderitz/Fenge in Soergel/BGB, Art. 16 Rz. 2; a.A. Heuzé, Vente internationale, Anm. 180. 2 In Frankreich wurde dieses Erfordernis mittlerweile praktisch aufgegeben, s. Witz/Wolters, ZEuP 1996, 648. 3 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 55 Rz. 3. 4 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 248; Magnus, IPRax 1996, 145 (148). 5 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 246; Magnus, IPRax 1996, 145 (148).
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Benicke 67
Teil B Rz. 210
Warenhandel
Ausreichend ist etwa, dass eine Preisspanne angegeben wird, innerhalb derer der Preis je nach Qualität des einzelnen Stücks zu bestimmen ist1. 8. Abändernde Annahme 210
Art. 19 Abs. 1 CISG bestimmt ähnlich wie das deutsche Recht, dass eine Antwort auf ein Angebot, die eine Annahme darstellen soll, aber Ergänzungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen enthält, grundsätzlich eine Ablehnung des Angebots ist und es sich um ein Gegenangebot handelt.
211
In Art. 19 Abs. 2 und 3 CISG wird diese Regel modifiziert und zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen differenziert. Bei unwesentlichen Änderungen bringt die Antwort den Vertrag nach Absatz 2 zustande, wenn der Anbietende nicht unverzüglich widerspricht, indem er entweder mündlich beanstandet oder eine entsprechende Mitteilung abschickt.
212
Der Anwendungsbereich von Absatz 2 wird durch Absatz 3 allerdings erheblich eingeschränkt, weil dort bestimmt wird, dass Ergänzungen oder Abweichungen, die sich insbesondere auf Preis, Bezahlung, Qualität und Menge der Ware, auf Ort und Zeit der Lieferung, auf den Umfang der Haftung der einen Partei gegenüber der anderen oder auf die Beilegung von Streitigkeiten beziehen, als wesentliche Änderungen anzusehen sind. Mit der überwiegenden Meinung ist Absatz 3 aber trotz des Wortlauts nur als eine widerlegbare Vermutung anzusehen2. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles, der Parteigepflogenheiten, der Vorverhandlungen oder aufgrund von Bräuchen können auch Änderungen zu diesen Punkten in der Annahmeerklärung als unwesentlich bewertet werden. Insbesondere bedürfen dem Offerenten günstigere Änderungen nicht einer Gegenannahme3. 9. Kaufmännische Bestätigungsschreiben
213
Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 2 CISG stellen Schweigen oder Untätigkeit allein keine Annahme dar. Daraus folgt, dass auch die Unterlassung eines Widerspruchs auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben anders als im deutschen internen Recht grundsätzlich nicht als Zustimmung gewertet werden kann. Etwas Anderes kann sich nur aufgrund von Bräuchen, Gepflogenheiten oder Vereinbarungen der Parteien ergeben4.
214
Außerdem kann für nicht wesentliche Änderungen nach dem Grundgedanken des Art. 19 Abs. 2 CISG auch ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben den Inhalt des Vertrages ändern. Art. 19 CISG betrifft zwar direkt nur die abändernde Annahme zu einem Angebot, während beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben ein bestehender Vertragsschluss vorausgesetzt wird, dessen genauer Inhalt nur fixiert werden soll. Die Interessenlage ist aber in beiden Fällen die gleiche.
1 OGH v. 10.11.1994 – 2 Ob 547/93, CISG-online Nr. 117 = IPRax 1996, 137 m. Anm. Magnus, S. 145; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 246 f. 2 OGH v. 20.3.1997 – 2 Ob 58/97 m, CISG-online Nr. 269; Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 19 Rz. 10; Dornis in Honsell, Art. 19 Rz. 11; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 70; Magnus in Staudinger/ BGB, Art. 19 CISG Rz. 16; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 19 Rz. 11; Heuzé, Vente internationale, Anm. 186. 3 OGH v. 20.3.1997 – 2 Ob 58/97, CISG-online Nr. 269. 4 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 291.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 218
Teil B
III. Allgemeine Geschäftsbedingungen 1. Einbeziehung Das CISG enthält keine besonderen Regeln über die Voraussetzungen für die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine so genannte externe Lücke, für die auf das anwendbare unvereinheitlichte nationale Recht zurückgegriffen werden müsste. Eine Lösung ist vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften über den Vertragsschluss, insbesondere Art. 14 und 18 CISG zu finden1.
215
Nach der Rechtsprechung des BGH zum CISG setzt die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen voraus, dass für den Empfänger der Vertragsabschlusserklärung erkennbar ist, dass der Erklärende bestimmte Allgemeine Geschäftsbedingungen in den Vertrag einbeziehen will, und dass der Erklärende den Text der Allgemeinen Geschäftsbedingungen übersendet oder anderweitig zugänglich macht2. Mit dieser Voraussetzung geht der BGH über die Erfordernisse hinaus, die im deutschen internen Recht an die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im geschäftlichen Verkehr zwischen Unternehmen verlangt werden. Dennoch ist dem BGH zuzustimmen. Entscheidend ist das auch vom BGH angesprochene Argument, dass im internationalen Rechtsverkehr die verwendeten Klauseln inhaltlich oft sehr verschieden sind. Die inhaltliche Zulässigkeit von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen richtet sich nach dem anwendbaren unvereinheitlichten Recht. Die Voraussetzungen und die Maßstäbe einer Inhaltskontrolle unterscheiden je nach anwendbarem Recht erheblich. Kennt die andere Partei den ungefähren Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ist eine Inhaltskontrolle mit einem berechenbaren Standard gewährleistet, so ist es aus Sicht dieser Partei oft wirtschaftlich sinnvoll, keine Ressourcen für die vorherige Kenntnisnahme und Beurteilung der einzelnen Klauseln einzusetzen. Ist der Inhalt nicht abschätzbar und eine Inhaltskontrolle nicht gewährleistet, muss der Vertragspartner sinnvollerweise die Klauseln im Voraus zur Kenntnis nehmen und im Einzelnen beurteilen. Insoweit ist nun dem BGH Recht zu geben, dass es kostengünstiger ist, wenn dem Verwender von Gesetzes wegen aufgegeben wird, die von ihm gewünschten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugänglich zu machen. Dies ist für den Verwender mit einem minimalen Kostenaufwand möglich, wenn man ausreichen lässt, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Internet zur Verfügung gestellt werden und der Verwender in seinem Angebot auf diese Seite hinweist3.
216
2. Kollidierende Geschäftsbedingungen Inhaltliche Divergenzen von Angebot und Annahme sind dann häufig, wenn die Parteien jeweils ihre eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag einbeziehen wollen. Für diese so genannte battle of forms wurde im CISG keine besondere Regelung getroffen4. Trotz unterschiedlicher Erklärungen im Hinblick auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist ein Vertrag zumindest dann als wirksam geschlossen anzusehen, wenn die Parteien einvernehmlich mit der Durchführung begonnen haben.
217
Nach der so genannten Theorie des letzten Wortes ist Art. 19 CISG anzuwenden. Haben die Parteien Erklärungen mit jeweils unterschiedlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgetauscht, handelt es sich jeweils um eine Annahme mit Abänderungen und damit um ein neues Gegenangebot. Der Vertrag kommt zustande, wenn der
218
1 BGH v. 31.10.2001 – VIII ZR 60/01, NJW 2002, 370 f.; Koch, NJW 2000, 910. 2 BGH v. 31.10.2001 – VIII ZR 60/01, NJW 2002, 370 f. 3 Stiegele/Hagler, IHR 2003, 169; a.A. Piltz, IHR 2004, 133 (134); wohl auch Ventsch/Kluth, IHR 2003, 61 (65). 4 Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 19 Rz. 4, 21.
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Benicke 69
Teil B Rz. 219
Warenhandel
Empfänger des letzten Gegenangebots an der Durchführung des Vertrages mitwirkt, etwa die Ware versendet, und damit konkludent die Annahme zum letzten Gegenangebot erklärt1. Nach der so genannten Restgültigkeitstheorie werden die teilweise voneinander abweichenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur insoweit Vertragsbestandteil, als sie sich nicht widersprechen2. 219
Der BGH hat sich nun auch im Rahmen des CISG für die Restgültigkeitstheorie ausgesprochen. Gegen die Theorie des letzten Wortes spricht vor allem, dass es zufällig ist, welche Partei den letzten Widerspruch erklärt hat, und dass es dem Maßstab von Art. 8 Abs. 1 CISG nicht entspricht, die in der Durchführung des Vertrages liegende konkludente Annahme als Zustimmung zu dem letzten Gegenangebot zu werten. Vielmehr gehen die Parteien in den Fällen der kollidierenden Vertragsbedingungen regelmäßig übereinstimmend von einem wirksamen Vertragsschluss aus, der auch durch eine fehlende Übereinstimmung in Nebenfragen nicht in Frage gestellt wird. Konstruktiv kann dies im Rahmen des CISG dadurch begründet werden, dass eine nach Art. 6 CISG dem Art. 19 CISG vorgehende Parteivereinbarung angenommen wird, nach welcher der Vertrag trotz fehlender Übereinstimmung in Nebenfragen wirksam geschlossen sein soll3.
220
Rechtsfolge dieses partiellen Dissenses ist, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, soweit sie sich widersprechen, nicht gelten. Es kommt das dispositive Gesetzesrecht zur Anwendung. Der BGH hat es zu Recht abgelehnt, die Nichtgeltung auf Klauseln zu beschränken, die für den Vertragsgegner ungünstig sind, und einzelne Klauseln, die den Vertragsgegner günstiger als das dispositive Recht oder die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Vertragsgegners stellen, aufrecht zu erhalten4. Dies würde zu einer nicht sachgerechten Zerstückelung eines Regelungswerkes führen und den Verwender solcher Bedingungen bestrafen, die zwar vom dispositiven Recht abweichen, aber einen gerechten Interessenausgleich der beteiligten Parteien anstreben.
IV. Vertragsänderung 221
Aus kontinentaleuropäischer Sicht ist es selbstverständlich, dass ein Vertrag durch Vereinbarung geändert werden kann und dass dies grundsätzlich formlos erfolgen kann. In Art. 29 Abs. 1 CISG wird diese Möglichkeit ausdrücklich erwähnt, um auszuschließen, dass die Consideration-Lehre des common law über Art. 4 Satz 2 lit. a CISG zur Unwirksamkeit nur einseitig begünstigender Vertragsänderungen führt5.
222
Anders als nach deutschem Recht kann eine qualifizierte Schriftformklausel, d.h. eine selbst schriftlich abgefasste Klausel, nach der eine Vertragsänderung nur schriftlich erfolgen kann, ihrerseits nur schriftlich und nicht auch durch formlose Einigung geändert werden, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 CISG6.
223
Diese strenge Geltung der Schriftformklausel wird durch Art. 29 Abs. 2 Satz 2 CISG abgeschwächt, wenn die eine Partei bei der anderen Partei den konkreten Vertrauenstatbestand begründet hat, dass der Vertrag durch die formlose Vereinbarung wirksam geändert worden sei. Die Partei darf sich auf die Schriftformklausel nicht berufen, 1 Differenzierend Piltz, IHR 2004, 133 (137). 2 BGH v. 9.1.2002 – VIII ZR 304/00, NJW 2002, 1651 (1653): s. Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 19 Rz. 23. 3 Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 19 Rz. 28. 4 BGH v. 9.1.2002 – VIII ZR 304/00, NJW 2002, 1651 (1653); zustimmend Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 19 Rz. 35. 5 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 29 Rz. 1; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UNKaufrecht, Rz. 297. 6 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 29 Rz. 4 f.; Gruber in MünchKomm/BGB, Art. 29 Rz. 8.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 229
Teil B
wenn die andere Partei sich auf das Verhalten der einen Partei verlassen hat, insbesondere ihr eigenes Verhalten entsprechend umgestellt hat.
V. Pflichten des Verkäufers 1. Einleitung Das materielle Kaufrecht mit den Pflichten des Verkäufers und des Käufers und den Rechtsbehelfen bei Vertragsverletzung ist im dritten Teil der Konvention enthalten. Nach einem ersten Kapitel mit allgemeinen Bestimmungen (Art. 25 bis 29 CISG) werden die Pflichten des Verkäufers einschließlich der Rechtsbehelfe des Käufers wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer (Art. 30 bis 52 CISG) und die Pflichten des Käufers mit den Rechtsbehelfen des Verkäufers bei Vertragsverletzung durch den Käufer geregelt. Anschließend finden sich ein Kapitel mit der Regelung des Gefahrübergangs und ein Kapitel mit gemeinsamen Bestimmungen über die Pflichten des Verkäufers und des Käufers.
224
Die Regelungen des CISG sind bis auf Art. 12 und 28 CISG dispositiv, kommen daher nur zur Anwendung, wenn die Parteien keine anderweitige Vereinbarung getroffen haben1.
225
2. Lieferpflicht und Gefahrübergang a) Allgemeines Art. 30 CISG statuiert die vertragscharakteristische Pflicht des Verkäufers, dem Käufer die Ware zu liefern und zu übereignen. Das CISG regelt nur den schuldrechtlichen Vertrag und bestimmt nicht, wie sich der Eigentumsübergang vollzieht. Es richtet sich gemäß Art. 4 Satz 2 lit. b CISG nach dem anwendbaren nationalen Recht. Dieses bestimmt daher, ob das Eigentum bereits aufgrund des Kaufvertrages übergeht oder ob es eines zusätzlichen Rechtsgeschäfts und/oder einer Übergabe der Ware bedarf.
226
Der Inhalt der Lieferpflicht bestimmt sich primär nach der vertraglichen Vereinbarung (Art. 6 CISG), nach zwischen den Parteien bestehenden Gepflogenheiten (Art. 9 Abs. 1 CISG) oder nach den einschlägigen Gebräuchen (Art. 9 Abs. 2 CISG)2.
227
Regelmäßig fallen Erfüllung der Lieferpflicht und Übergang der Gefahr auf den Käufer zusammen (Art. 67 bis 69 CISG). Allerdings hat das CISG die im EKG noch bestehende formale Verknüpfung zwischen Erfüllung der Lieferpflicht und Übergang der Gefahr aufgehoben3.
228
b) Bringschuld Haben die Parteien eine Bringschuld vereinbart, so ist der Verkäufer zur Lieferung der Ware an den vereinbarten Ort bzw. an die Niederlassung des Käufers verpflichtet. Allein aus dem Umstand, dass der Verkäufer den Transport veranlassen und bezahlen muss oder dass er bestimmte Montage- und Instruktionsleistungen vor Ort übernimmt, kann nicht auf die Vereinbarung einer Bringschuld geschlossen werden. Eine Bringschuld wird durch die Verwendung der Klausel „Lieferung frei Haus“4 vereinbart. 1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 6 Rz. 19; Magnus in Staudinger/BGB Art. 6 CISG Rz. 52–57. 2 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 31 Rz. 2. 3 Nicholas in Bianca/Bonell, Art. 69 Anm. 1; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 359. 4 OLG Köln v. 8.1.1997 – 27 U 58/96, CISG-online Nr. 217; OLG Karlsruhe v. 20.11.1993 – 15 U 29/92, NJW-RR 1993, 1316 f.
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Benicke 71
229
Teil B Rz. 230
Warenhandel
230
Hat der Verkäufer die Ware bis zur Niederlassung des Käufers zu bringen, tritt Erfüllung der Lieferpflicht regelmäßig erst ein, wenn der Käufer die Ware abnimmt. Ist der Käufer nicht anwesend oder verweigert er die Abnahme, kann der Verkäufer die Ware nicht schlicht abladen, sondern ist nach Art. 85 CISG zu ihrer Erhaltung verpflichtet. Regelmäßig muss der Verkäufer die Ware daher erneut andienen, um seine Lieferpflicht zu erfüllen1. Die Gefahr geht allerdings bereits beim ersten Ablieferungsversuch aufgrund des Abnahmeverzugs auf den Käufer über2.
231
Bei den so genannten Ankunftsklauseln, wie etwa die Gruppe D der Incoterms 2010, schuldet der Verkäufer den Haupttransport bis zu einem Ort, etwa einem Seehafen, im Land des Käufers als Bringschuld. Der noch erforderliche Weitertransport bis zum endgültigen Bestimmungsort, meist die Niederlassung des Käufers, ist als Holschuld Aufgabe des Käufers3. Der Verkäufer muss dem Käufer die Ware am Ankunftsort zur Verfügung stellen. Dadurch geht nach Art. 69 Abs. 2 CISG auch die Gefahr auf den Käufer über. Der Verkäufer hat aber bis zur Abholung für den Erhalt der Ware zu sorgen4. c) Schickschuld aa) Grundsatz
232
Eine Schickschuld liegt vor, wenn der Verkäufer nach dem Vertrag verpflichtet ist, den Transport zum Verkäufer zu besorgen, indem er einen Beförderer aussucht, den Beförderungsvertrag abschließt und dem Beförderer die Ware zur Übermittlung an den Käufer übergibt (Art. 31 lit. a CISG)5. Beim Distanzkauf ist mangels ausdrücklicher abweichender Bestimmung grundsätzlich die Vereinbarung einer Schickschuld anzunehmen6.
233
Bei der Schickschuld bewirkt bereits die Übergabe an die erste Beförderungsperson nach Art. 31 lit. a CISG die Erfüllung der Lieferpflicht und nach Art. 67 Abs. 1 Satz 1 CISG den Übergang der Gefahr.
234
Eine Holschuld und keine Schickschuld liegt vor, wenn der Käufer eine Transportperson aussuchen und beauftragen muss, um die Ware bei der Niederlassung des Verkäufers oder an einem anderen Ort, an dem sich die Ware unabhängig von der Notwendigkeit der Beförderung zum Käufer befindet, abzuholen. Die Lieferpflicht wird durch das bloße Bereitstellen der Ware an diesem Ort erfüllt (s. Art. 31 lit. b CISG).
235
Eine Verbindung von Bringschuld und Holschuld kann vorliegen, wenn der Verkäufer die Ware einer Transportperson an einem anderen Ort, z.B. einer Niederlassung der Transportperson oder einem Seehafen, zu übergeben hat. Wie Art. 67 Abs. 1 Satz 2 CISG klarstellt, geht die Gefahr in diesem Fall nicht bereits durch die Bereitstellung der Ware zur Abholung, sondern erst durch Übergabe an die Transportperson auf den Käufer über. Diese Fälle sind von denen abzugrenzen, bei denen auch die erste Teilbeförderung von dem Verkäufer nur als Schickschuld erbracht werden muss und damit bereits die Übergabe an die erste Transportperson Erfüllung der Lieferpflicht und Gefahrübergang bewirkt.
236
Eine Bringschuld für den ersten Transportabschnitt kann mangels anderer ausdrücklicher Vereinbarung dann, aber auch nur dann, angenommen werden, wenn Untergang 1 2 3 4 5 6
Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 31 Rz. 31. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 69 CISG Rz. 12 f. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 31 Rz. 30. S. Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 85 Rz. 3. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 31 Rz. 4. Ernst/Lauko in Honsell, Art. 31 Rz. 6 u. 11; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 22; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 344.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 240
Teil B
oder Beschädigung der Ware während des ersten Transportabschnitts bei der Übergabe bzw. Übernahme der Ware für den weiteren Transport leicht und sicher festgestellt werden können. In diesen Fällen verlangt eine Bewertung der Interessen eine Aufteilung der Gefahrtragung. Der Verkäufer ist regelmäßig besser in der Lage, den Schaden festzustellen und zu regulieren. Dadurch kann auch ein meist wirtschaftlich sinnloser Weitertransport der beschädigten Ware vermieden werden1. bb) Weitere Pflichten Bei der Schickschuld treffen den Verkäufer noch weitere Pflichten. Er muss die für die Beförderung erforderlichen Beförderungsverträge abschließen und hat dabei die Interessen des Käufers zu wahren. Er hat die nach den Umständen angemessenen Beförderungsmittel auszuwählen und die Verträge zu den für solche Beförderungen üblichen Bedingungen zu schließen (Art. 31 Abs. 2 CISG). Die Angemessenheit von Transportmittel und -weg bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Beurteilungskriterien sind Eigenarten der Ware, Eilbedürftigkeit des Geschäfts, besondere Transportgefahren, Zuverlässigkeit des Beförderers und die Kosten des Transports2. Die einzuhaltenden üblichen Bedingungen umfassen das Entgelt und sonstige Vertragsbedingungen wie insbesondere Haftungsfreizeichnungen3.
237
Die Erfüllung der Lieferpflicht setzt die Zuordnung der Ware, die der Transportperson übergeben wird, zum Vertrag voraus. Dies kann etwa durch entsprechende Kennzeichnung an der Ware, durch die Beförderungsdokumente oder durch eine Anzeige an den Käufer erfolgen (Art. 32 Abs. 1 CISG).
238
Darüber hinaus kann der Verkäufer aufgrund vertraglicher Vereinbarung, Gepflogenheit oder Handelsbrauch (Art. 9 CISG) zur Anzeige der Versendung gegenüber dem Käufer verpflichtet sein, damit dieser weiß, dass und wann mit der Ankunft der Ware gerechnet werden kann4. Eine solche Pflicht zur Anzeige ist in Punkt A 7 der Klauseln CFR, CIF, CPT und CIP (Incoterms 2010) vorgesehen und kann bei längeren Transportwegen regelmäßig auch aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden5.
239
d) Holschuld Eine Holschuld liegt vor, wenn der Käufer selbst für die Abholung der Ware sorgen muss. Ohne Bedeutung ist, ob er den Transport mit eigenen Leuten durchführt oder einen selbständigen Transporteur damit beauftragt. Mit der Bereitstellung der Ware an seiner Niederlassung oder an einem anderen vereinbarten Ort erfüllt der Verkäufer seine Lieferpflicht (Art. 31 lit. c CISG). Der Gefahrübergang erfolgt spätestens, wenn der Käufer die Ware übernimmt. Ist die Ware dem Vertrag entsprechend an der Niederlassung des Verkäufers bereitgestellt, geht die Gefahr auch über, wenn der Käufer durch die Nichtabholung eine Vertragsverletzung begeht (Art. 69 Abs. 1 CISG). Soll die Ware nach dem Vertrag an einem anderen Ort abgeholt werden, geht die Gefahr bereits über, wenn die Lieferung fällig ist und der Käufer Kenntnis davon hat, dass ihm die Ware an diesem Ort zur Verfügung steht (Art. 69 Abs. 2 CISG). Der Nachweis positiver Kenntnis ist nicht erforderlich, es genügt, wenn dem Käufer eine entsprechende Mitteilung zugegangen ist6. 1 2 3 4
Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 67 Rz. 11. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 32 Rz. 11. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 32 CISG Rz. 18. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 32 Rz. 6; Ernst/Lauko in Honsell, Art. 32 Rz. 8. 5 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 32 Rz. 3. 6 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 69 Rz. 11.
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Benicke 73
240
Teil B Rz. 241 241
Warenhandel
Die objektive Zuordnung der Ware zu dem konkreten Vertrag ist Voraussetzung für den Gefahrübergang1. Demgegenüber reicht bei der Holschuld für die Erfüllung der Lieferpflicht die bloße Bereitstellung aus. Die Aussonderung aus einem größeren Bestand ist nicht erforderlich, wenn dies bei Abholung ohne weiteres erfolgen kann2. 3. Versicherung der Ware für den Transport
242
Insbesondere beim Versendungskauf kann aufgrund von Vereinbarung, Gepflogenheiten oder Handelsbräuchen die Verpflichtung des Verkäufers bestehen, eine Transportversicherung abzuschließen. Allein aus der Üblichkeit einer Versicherung beim Transport von Gütern wie der verkauften Ware, kann aber nicht auf eine solche vertragliche Pflicht geschlossen werden3. Auch die Übernahme der Transportkosten, etwa durch die Klausel CFR Incoterms 2010, begründet nicht per se die Pflicht, für die Kosten einer Versicherung aufzukommen4.
243
Ist der Verkäufer selbst nicht zum Abschluss einer Transportversicherung verpflichtet, folgt aus Art. 32 Abs. 3 CISG die Nebenpflicht des Verkäufers, dem Käufer auf dessen Verlangen die zum Abschluss einer solchen Versicherung erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Art. 32 Abs. 3 CISG ist als Ausdruck des Kooperationsgedankens dahingehend auszuweiten, dass die Pflicht zur Auskunftserteilung nicht nur bei einem Versendungskauf, sondern auch bei einer Holschuld besteht und auch eingreift, wenn zwar der Verkäufer für die Transportversicherung zu sorgen hat, der Käufer aber eine weiter gehende Versicherung abschließen will (s. Punkt A 10 Abs. 1 der Klauseln CIF, CIP [Incoterms 2010])5. Die Auskunftspflicht besteht nur, wenn dem Verkäufer ein entsprechendes Verlangen des Käufers zugegangen ist. Der Verkäufer erfüllt seine Pflicht zur Auskunftserteilung nach Art. 27 CISG bereits durch das Absenden der Mitteilung6. Kommt der Verkäufer der Auskunftspflicht nicht nach und kann daher die Ware für den Transport nicht versichert werden, liegt darin regelmäßig eine wesentliche Vertragsverletzung, die den Käufer zur Aufhebung des Vertrages berechtigen kann7. 4. Dokumentenlieferpflicht
244
Bei internationalen Distanzverkäufen hat die Pflicht des Verkäufers, dem Käufer auch Dokumente zu liefern, die sich auf die Ware beziehen, eine besondere praktische Bedeutung. In Art. 34 CISG wird diese Pflicht klarstellend erwähnt. Sie kann sich aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung, Gepflogenheiten oder Handelsbräuchen ergeben.
245
Dokumente, die erforderlich sind, damit der Käufer Besitz und Eigentum an der Ware erlangt, sind auch Teil der Warenlieferpflicht. Ihre Nichtlieferung steht daher der Nichtlieferung der Ware gleich. Die Dokumentenverschaffungspflicht ist regelmäßig eine Bringschuld, weil und soweit der Verkäufer eher in der Lage ist, bei Verlust Ersatz zu beschaffen8. 1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 69 Rz. 12. 2 Gruber in MünchKomm/BGB, Art. 31 Rz. 8. 3 Ernst/Lauko in Honsell, Art. 32 Rz. 21; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 32 CISG Rz. 22; a.A. Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 104. 4 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 32 Rz. 8; Ernst/Lauko in Honsell, Art. 32 Rz. 22; a.A. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 32 CISG Rz. 22. 5 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 32 Rz. 14. 6 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 32 Rz. 14. 7 Ernst/Lauko in Honsell, Art. 32 Rz. 28; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 106. 8 Witz/Salger/Lorenz, International Einheitliches Kaufrecht, Art. 34 Rz. 8.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 249
Teil B
5. Lieferung einer mangelfreien Ware a) Allgemeines Der Verkäufer hat die Ware frei von Sach- und Rechtsmängeln zu liefern. Ein Mangel stellt eine Vertragsverletzung dar und eröffnet dem Käufer die Rechtsbehelfe des Schadensersatzes, der Ersatzlieferung oder der Aufhebung des Vertrages bei wesentlicher Vertragsverletzung sowie der Minderung bei Sachmängeln. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Mangelfreiheit ist der des Gefahrübergangs (Art. 36 CISG).
246
b) Sachmangel aa) Subjektiver Maßstab Die Leistungspflicht des Verkäufers im Hinblick auf die physische Beschaffenheit der Ware bestimmt sich gemäß Art. 35 CISG nach einem subjektiv/objektiven Fehlerbegriff. Primär kommt es darauf an, dass die Ware die Eigenschaften besitzt, welche die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben (Art. 35 Abs. 1 CISG). Die Ware darf nicht von anderer Qualität sein. Damit sind alle der Ware selbst anhaftenden Eigenschaften wie etwa Alter oder Zusammensetzung gemeint. Vertragswidrig kann auch die Lieferung von Ware besserer Qualität sowie die Zuwenig- und Zuviellieferung sein.
247
bb) Objektiver Maßstab Mangels besonderer Vereinbarungen ist die Vertragsmäßigkeit der Ware nach objektiven Kriterien zu bestimmen. In erster Linie kommt es auf die Eignung für den vertraglich vereinbarten Verwendungszweck an. Maßgeblich ist ein besonderer Zweck, zu dem sich die Ware aufgrund der Vereinbarung eignen muss. Neben einem ausdrücklich vereinbarten Zweck kann auch ein Verwendungszweck maßgeblich sein, der dem Verkäufer bis zum Vertragsschluss bloß zu Kenntnis gebracht wurde. Ausreichend kann sein, dass der Verkäufer aufgrund des Sitzes des Käufers erkennen konnte, dass die Ware besonderen Zwecken dienen soll. Ein Beispiel ist der Einsatz von Maschinen bei extrem niedrigen Temperaturen, wenn der Käufer ein Unternehmer in Nordnorwegen ist und die Maschinen für den eigenen Gebrauch erwirbt1. Die Interessen des Verkäufers an einer Begrenzung der Einstandspflicht werden dadurch berücksichtigt, dass die besonderen Zwecke dann nicht maßgebend sind, wenn der Käufer nach den Umständen auf die besondere Sachkenntnis des Verkäufers nicht vertraute oder nicht vertrauen konnte. Dies ist der Fall, wenn der Verkäufer für den Käufer erkennbar nicht über die besondere Sachkunde verfügt2.
248
Ist ein besonderer Verwendungszweck nicht maßgeblich, so muss der Verkaufsgegenstand für den gewöhnlichen Verwendungszweck einer Ware dieser Art geeignet sein (Art. 35 Abs. 2 lit. a CISG). Dieser objektive Maßstab ist nach der Verkehrsauffassung des gewöhnlichen Nutzerkreises zu bestimmen3. Wenn die Ware nicht durch den Käufer selbst benutzt werden soll, sondern für den Weiterverkauf bestimmt ist, hat sie die Qualität aufzuweisen, die sie für den Weiterverkauf geeignet macht. Allgemein zu erwartende Qualitätsstandards können sich auch aus etwaigen Angaben des Herstellers ergeben, auf die sich der Käufer eingestellt hat oder die Endabnehmer des Käufers diesem gegenüber einfordern können4.
249
1 2 3 4
Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 35 Rz. 8. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 35 Rz. 9. Magnus in Honsell, Art. 35 Rz. 13. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 35 Rz. 10a.
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Benicke 75
Teil B Rz. 250
Warenhandel
250
Die Parteien können vereinbaren, dass die Ware nicht für den gewöhnlichen Gebrauch geeignet sein muss, sondern nur für einen Zweck, der geringere Anforderungen stellt, etwa wenn Waffen als bloße Schaustücke verkauft werden1. Allein aus dem Umstand, dass die Ware für einen besonderen Zweck geeignet sein soll, kann aber nicht geschlossen werden, dass sie sich für den gewöhnlichen Zweck nicht eignen muss2.
251
Nach Art. 35 Abs. 2 lit. c CISG muss die Ware die Eigenschaften einer Probe oder eines Musters besitzen, die der Verkäufer dem Käufer vorgelegt hat. Legt der Käufer dem Verkäufer eine Probe oder ein Muster vor, denen die Ware entsprechen soll, so kann eine konkludente Vereinbarung der entsprechenden Eigenschaften angenommen werden, wenn der Verkäufer über die notwendige Sachkenntnis verfügt, um die Entsprechung der angebotenen Ware mit der vorgelegten Probe oder dem vorgelegten Muster beurteilen zu können3.
252
Die ordnungsgemäße Verpackung ist Teil der Sollbeschaffenheit der Ware (Art. 35 Abs. 2 lit. d CISG). Dies gilt nicht nur, wenn die Verpackung selbst Bestandteil einer vertragsgemäßen Ware ist, weil sie etwa nur mit einer solchen Verpackung weiterverkauft werden kann, sondern auch dann, wenn die Verpackung nur für den Transport der Ware zum Käufer erforderlich ist. Wird die Ware im zweiten Fall trotz unzureichender Verpackung ohne Beschädigung zum Käufer befördert, kann der Käufer aber keine Vertragswidrigkeit mehr geltend machen4.
253
Haben öffentlichrechtliche Bestimmungen zum Schutze von Verbrauchern, Arbeitnehmern oder der Umwelt im Sitzstaat des Käufers oder in einem dritten Verwendungsstaat einen anderen, insbesondere weiter gehenden Inhalt als im Sitzstaat des Verkäufers, so ist der Verkäufer zu ihrer Einhaltung nur verpflichtet, wenn der Käufer sie dem Verkäufer vor Vertragsschluss mitgeteilt hat oder der Käufer nach den Umständen vertraute und auch darauf vertrauen konnte, dass der Verkäufer es von sich aus übernimmt, die Einhaltung dieser Anforderungen sicherzustellen. Der Käufer ist i.d.R. eher in der Lage, die Anforderungen in seinem Sitzstaat oder dem Absatzstaat festzustellen und sie dem Verkäufer mitzuteilen. Auf die Einhaltung durch den Verkäufer auch ohne entsprechende Mitteilung kann der Käufer aber etwa vertrauen, wenn die Initiative für die Vermarktung vom Verkäufer ausging5. cc) Aliud-Lieferung
254
Wird bei der Gattungsschuld Ware einer anderen Gattung als vereinbart geliefert, so stellt dies einen Mangel dar. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch bei der Stückschuld. Nur einen Sachmangel stellt es also dar, wenn die konkret verkaufte und gelieferte Ware einer anderen Gattung angehört als im Vertrag angenommen, etwa die verkaufte Dampferladung nicht Walfisch-, sondern Haifischfleisch ist. 1 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 24 mit Verweis auf Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 35 Rz. 10. 2 Heuzé, Vente internationale, Anm. 297 mit Fn. 138. 3 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 118; Hyland in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationsrecht, S. 305, 323 Fn. 105; a.A. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 40. 4 Heuzé, Vente internationale, Anm. 288 Fn. 117. 5 Heuzé, Vente internationale, Anm. 294, der auch zu Recht auf die Parallele zu Art. 42 (gewerbliche Schutzrechte Dritter) hinweist; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 22; aus der Rechtsprechung s. OLG Frankfurt/M. v. 20.4.1994 – 13 U 51/93, RIW 1994, 593; BGH v. 8.3. 1995 – VIII ZR 159/94, BGHZ 129, 75 = IPRax 1996, 29 (kadmiumbelastete Muscheln) m. Bespr. Schlechtriem, S. 12; OGH v. 13.4.2000 – 2 Ob 100/00w, IPRax 2001, 149 (152); a.A. CA Grenoble v. 13.9.1995 – 93/4126, JDI 1996, 948 mit Bespr. Witz (Käse hat nicht die in Frankreich vorgeschriebene Angabe der Inhaltsstoffe und Haltbarkeitsdatum auf der Verpackung); Schlechtriem, IPRax 1999, 388 f. (Besprechung von Medical Marketing International, Inc. v. Internazionale Medico Scientifica, S. R.L., US Dis. Court, E.D. Louisiana, 17.5.1999); Schlechtriem, IPRax 2001, 161 f.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 259
Teil B
Dies gilt jeweils auch bei der krassen aliud-Lieferung. Es ist nicht gerechtfertigt insoweit eine Nichtlieferung anzunehmen1, weil die Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden sollen. Den Schutzinteressen des Käufers vor bewussten Falschlieferungen des Verkäufers wird durch Art. 40, 44 CISG ausreichend Rechnung getragen2. Bei Falschlieferungen, die nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhen, ist der Käufer nicht schutzwürdiger als bei sonstiger Vertragswidrigkeit der Ware. Eine krasse Falschlieferung ist sogar besonders leicht zu erkennen und damit zu rügen3.
255
Eine andere rechtliche Bewertung gilt für das Identitätsaliud bei der Stückschuld, bei der statt des vereinbarten Stücks ein anderes Stück geliefert wird. In diesen Fällen liegt eine Nichtlieferung vor4.
256
dd) Ausschluss bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Mangels Der Verkäufer haftet nicht für Abweichungen von der Beschaffenheit der Ware, die aufgrund des objektiven Maßstabes nach Art. 35 Abs. 2 CISG maßgeblich ist, wenn der Käufer die Beschaffenheit der Ware kannte oder darüber nicht im Unklaren sein konnte. Der Haftungsausschluss ist dadurch begründet, dass Absatz 2 nur eine Vermutung des mutmaßlichen Parteiwillens darstellt, die bei Kenntnis oder Kennenmüssen von der abweichenden Beschaffenheit der Ware nicht gerechtfertigt ist5.
257
Eine analoge Anwendung auf eine vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung ist nicht gerechtfertigt6. Die Vereinbarung kann etwa zum Gegenstand haben, dass der Verkäufer eine bestimmte Beschaffenheit bis zur Lieferung noch herstellen soll. Die Kenntnis von der Beschaffenheit der Ware kann daher nur ein Gesichtspunkt sein, der bei der Auslegung des Inhalts der Vereinbarung zu berücksichtigen ist7.
258
c) Rüge- und Untersuchungsobliegenheit aa) Allgemeines Nach Art. 39 CISG muss der Käufer eine Vertragswidrigkeit der Ware (Art. 35 CISG) dem Verkäufer gegenüber rechtzeitig rügen. Bei verspäteter Rüge verliert der Käufer das Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit zu berufen. Dadurch soll frühzeitig geklärt werden, ob eine Vertragswidrigkeit vorliegt. Dies schafft die Voraussetzungen, dass der Verkäufer nachbessern und so die Vertragswidrigkeit beseitigen oder verringern kann. Außerdem soll sich der Verkäufer auf Streitigkeiten über eine Vertragswidrigkeit der Ware einstellen und Beweise sichern, den Rückgriff auf seine Vorlieferanten vorberei-
1 Audit, Vente internationale, Rz. 98; Benicke, IPRax 1997, 326 (328); Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 256.1; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 105 f.; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 9, Art. 39 Rz. 10 f.; allgemein für die Falschlieferung Handelsgericht Zürich v. 30.11. 1998, SZIER 1999, 185 (187); a.A. Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 35 Anm. 1. 2 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 9; a.A. Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 35 Anm. 3. 3 Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 35 Rz. 10. 4 S. zum deutschen Recht Schulze, NJW 2003, 1022 f. 5 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 119. 6 So aber Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 35 Anm. 19; Herber/ Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 35 Rz. 11; Reinhart, UN-Kaufrecht, 1991, Art. 35 Rz. 10. 7 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 119; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 393; differenzierend, aber im Ergebnis wohl ähnlich Magnus in Staudinger/BGB, Art. 35 CISG Rz. 49–51; weitergehend Heuzé, Vente internationale, Anm. 296, der die Verbindlichkeit der Beschaffenheitsvereinbarung betont.
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Benicke 77
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Teil B Rz. 260
Warenhandel
ten und seine Ansprüche und Verpflichtungen für seine Rechnungslegung bewerten können1. 260
Nach Art. 38 CISG muss der Käufer die gelieferte Ware untersuchen. Der Käufer hat den Verkäufer anders als nach dem EKG nicht zur Untersuchung der Ware aufzufordern2. Diese Obliegenheit dient dem Zweck, die Rüge nach Art. 39 CISG zu ermöglichen.
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Für die Auslegung von Art. 38, 39 CISG ist bedeutsam, dass sie einen der Hauptstreitpunkte bei der Erarbeitung des CISG darstellten3. Sie wurden gegenüber dem EKG bewusst käuferfreundlicher gefasst. Es dürfen daher nicht die strengen Anforderungen, die nach EKG oder § 377 HGB an die Ordnungsgemäßheit und Rechtzeitigkeit der Untersuchung und der Rüge gestellt wurden, auf Art. 38, 39 CISG übertragen werden4. Dies ist auch sachlich gerechtfertigt. Untersuchung und Rüge dienen vor allem den Interessen des Verkäufers, belasten aber den Käufer. Bei verspäteter Feststellung der Vertragswidrigkeit und/oder verspäteter Rüge kann der Käufer keine Rechte geltend machen, auch wenn er beweisen kann, dass die Ware bei Gefahrübergang vertragswidrig war5. Außerdem trägt der Käufer die Kosten der Untersuchung und kann sie von dem Verkäufer nur ersetzt verlangen, wenn die Ware sich als vertragswidrig erweist6.
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Die Anforderungen und Fristen für Untersuchung und/oder Rüge können durch Parteivereinbarung, Gebräuche oder Gepflogenheiten (Art. 9 CISG) besonders ausgestaltet sein7. Gebräuche sind nur dann einschlägig, wenn sie für internationale Kaufverträge der konkret vorliegenden Art gelten. Lokalen Gebräuchen oder gesetzlichen Regelungen, die am Ort der Untersuchung gelten, kommt keine Bedeutung zu8. Möglich ist ein auch konkludenter Rügeverzicht durch den Verkäufer, etwa wenn er auf die Rüge eines Mangels erklärt, für Mängel gleicher Art einstehen zu wollen9.
263
Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten gelten für jede Vertragswidrigkeit i.S. von Art. 35 CISG, insbesondere auch für die krasse aliud-Lieferung. Von dem Grundsatz, dass sie nicht für die Verletzung von Nebenpflichten gelten, ist zum einen eine Ausnahme für die in Art. 34 CISG erwähnte Pflicht zu machen, bestimmte auf die Ware bezogene Dokumente zu liefern10, und zum anderen für Nebenpflichten, die, wie etwa Montagepflichten oder Schulungspflichten, einen engen Bezug zur Sachbeschaffenheit und zur bestimmungsgemäßen Verwendung der Ware besitzen11. Ist eine Nachbesserung erfolgt, so stellt dies einen erneuten Erfüllungsversuch dar, so 1 Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38 Rz. 4; Heuzé, Vente internationale, Anm. 308; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 252; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 39 Rz. 2; Magnus, TranspR-IHR 1999, 29. 2 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 27. 3 Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 254.1; eingehend Reitz, AmJCompL 36 (1988), 437 (457). 4 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 39 Rz. 1; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 38 Rz. 3; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38 Rz. 2; Magnus in Staudinger, Art. 39 CISG Rz. 5; a.A. Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 39 Rz. 5. 5 Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 38 Rz. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 4. 6 Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 38 Rz. 2; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 38 CISG Rz. 27. 7 Die Parteien können die Obliegenheiten erweitern oder einschränken; die inhaltliche Zulässigkeit richtet sich nach nationalem Recht, Art. 4 Satz 2 lit. a, s. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 38 CISG Rz. 16–18, Art. 39 Rz. 15 f. 8 Bianca in Bianca/Bonell, Art. 38 Anm. 2.3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 38 Rz. 19; a.A. Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Vor Art. 39 Anm. 2. 9 BGH v. 25.6.1997 – VIII ZR 300/96, IPRax 1999, 375; BGH v. 25.11.1998 – VIII ZR 259/97, IPRax 1999, 377; Otte, IPRax 1999, 352. 10 So auch Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 10; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 256. 11 Wohl a.A. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 12.
78 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 269
Teil B
dass die nachgebesserte Ware wieder untersucht und ein auftauchender Fehler gerügt werden muss1. bb) Gebotene Untersuchung Die Untersuchung muss so erfolgen, dass sie objektiv geeignet ist, eine erkennbare Vertragswidrigkeit (Art. 35 CISG) aufzudecken2. Entscheidend sind hierfür vor allem die Art der Ware und ihre Verpackung. Individuelle Umstände, wie mangelnde besondere Fachkunde des Käufers3 oder fehlende technische Einrichtungen am Untersuchungsort, sind zu berücksichtigen, wenn sie dem Verkäufer bekannt sind4.
264
Konnte durch die gebotene Untersuchung die Vertragswidrigkeit nicht entdeckt werden, besteht auch keine Rügepflicht. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Käufer eine Untersuchung durchgeführt oder aber gänzlich unterlassen hat5.
265
cc) Frist für die Untersuchung Eine bestimmte Frist für die Untersuchung schreibt das CISG nicht vor. Die Länge richtet sich nach Art der Ware und dem für die Untersuchung erforderlichen Aufwand. Leicht verderbliche Ware muss sofort untersucht werden. Bei dauerhaften Gütern, die sich in ihrer Zusammensetzung nicht schnell verändern, kann eine längere Zeit noch angemessen sein6.
266
Muss die Ware zum Käufer befördert werden, so beginnt die Frist erst bei Eintreffen der Ware (Art. 38 Abs. 1 CISG). Musste der Verkäufer damit rechnen, dass der Käufer die Ware weiterversendet, so muss die Untersuchung erst an dem neuen Bestimmungsort erfolgen (Art. 38 Abs. 3 CISG).
267
dd) Beginn und Länge der Rügefrist Die Frist beginnt spätestens, wenn der Käufer Kenntnis von der Vertragswidrigkeit erlangt hat7. Der Käufer muss von der Vertragswidrigkeit eine ausreichend sichere Kenntnis besitzen8. Einem Verdacht kann und muss durch Untersuchung nachgegangen werden. Die Frist beginnt auch ohne Kenntnis bzw. bereits vor Kenntnis, wenn der Käufer bei der nach Art. 38 CISG oder aufgrund eines späteren Verdachts gebotenen Untersuchung die Vertragswidrigkeit erkennen konnte9.
268
Welche Frist als noch angemessen angesehen werden kann, ist trotz einer umfangreichen Rechtsprechung noch wenig geklärt10. Im Ausgangspunkt kann man zwei Wochen wohl als „Normalfrist“ ansetzen11. Aufgrund besonderer Umstände (Verderblich-
269
1 LG Oldenburg v. 9.11.1994 – 12 O 674/93, NJW-RR 1995, 438. 2 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 38 Rz. 3. 3 Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38 Rz. 13; Heuzé, Vente internationale, Anm. 307; a.A. wohl Bianca in Bianca/Bonell, Art. 38 Anm. 2.5; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 38 Anm. 3. 4 Secretariat Commentary Art. 36 Anm. 3; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 38 Rz. 3. 5 S. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 39 Rz. 5. 6 Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 38 Rz. 16; zu streng OLG Karlsruhe v. 25.6.1997 – 1 U 280/96, BB 1998, 393 f.: auch bei dauerhaften Gütern im Normalfall nur 3–4 Tage. 7 Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 39 Rz. 5; Magnus in Staudinger/BGB Art. 39 CISG Rz. 29. 8 BGH v. 2.6.1982 – VIII ZR 43/81, NJW 1982, 2730 ff. 9 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 39 Rz. 5; s. auch BGH v. 3.11.1999, IHR 2000, 1 f. (im Ergebnis offen gelassen, ob nachträgliche Untersuchungspflicht bei verborgenen Mängeln). 10 S. Nachweise zur Rspr. bei Piltz, NJW 2000, 553 (558); Piltz, NJW 2003, 2056 (2062). 11 OGH v. 15.10.1998 – 20b 191/98x, JBl 1999, 318 (320) m. zust. Anm. Karollus; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 39 Rz. 7 ff.; ähnlich Handelsgericht Zürich SZIER 1999, 185; strenger
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Benicke 79
Teil B Rz. 270
Warenhandel
keit der Ware1; Größe des Betriebes) kann die Frist kürzer oder länger sein. Eine Rüge nach mehr als einem Monat ist wohl immer verspätet2. 270
Die Rüge kann grundsätzlich formfrei, d.h. auch mündlich erklärt werden. Da der Käufer die ordnungsgemäße und rechtzeitige Rüge beweisen muss, sollte er im eigenen Interesse zumindest eine schriftliche Bestätigung vornehmen3. Maßgeblich ist nach Art. 27 CISG die Absendung der Rüge durch den Käufer. Der Käufer muss das Interesse des Verkäufers an einer schnellen Benachrichtigung berücksichtigen. Bei mehrtägiger Brieflaufzeit muss für die Rüge zusätzlich ein schnelleres Medium wie Telefon, Telefax oder E-Mail eingesetzt werden4. ee) Ausschlussfrist
271
Sind zwei Jahre seit der tatsächlichen Übergabe der Ware an den Käufer vergangen, kann der Käufer einen Mangel der Ware nicht mehr geltend machen. Diese Ausschlussfrist hat vor allem für verborgene Mängel Bedeutung und trägt dem Interesse des Verkäufers Rechnung, nach zwei Jahren sicher zu sein, nicht mehr mit Ansprüchen wegen Vertragswidrigkeit der Ware konfrontiert zu werden5. Vertraglich kann selbstverständlich eine längere Garantiefrist vereinbart werden. d) Rechtsmangel
272
Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn ein Dritter Rechte an der Ware hat, aufgrund deren er auf die Ware einwirken oder den Käufer in sonstiger Weise in der Benutzung, Verwertung oder Verfügung beschränken kann. Ein Rechtsmangel liegt aber abweichend zu § 435 BGB auch vor, wenn dem Dritten ein solches Recht nicht zusteht, er es aber dem Käufer gegenüber geltend macht6. Dadurch soll der Käufer davor geschützt werden, sich mit dem Dritten eventuell langwierig auseinandersetzen zu müssen und die Ware nicht wie geplant verwenden zu können7. Der Verkäufer ist eher in der Lage zu beurteilen, ob das geltend gemachte Recht begründet oder unbegründet ist, wenn die behauptete Rechtsposition auf Umstände vor der Lieferung gestützt wird8. Ein Rechtsmangel kann daher auch bestehen, wenn der Käufer gutgläubig lastenfrei
1 2 3 4 5 6 7 8
OLG München v. 8.2.1995 – 7 U 1720/94, CLOUT 167 = CISG online 142: im Normalfall 8 Tage; ebenso OLG Karlsruhe v. 25.6.1997 – 1 U 280/96, BB 1998, 393 (395); Thüringer OLG v. 26.5.1998 – 8 U 1667/97 (266), CISG-online 513; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 39 Anm. 3: es ist immer sofortige Anzeige nach Entdeckung des Mangels erforderlich; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 5 Rz. 67: Anzeigefrist (bei offensichtlicher Vertragswidrigkeit einschließlich Untersuchungsfrist) von zwei Wochen bis zu einem Monat bei komplexeren Waren/Vertragswidrigkeiten; s. auch Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 39 Rz. 9, die eine Frist von 8 Tagen für noch nicht zu lang halten; zu großzügig CA Grenoble v. 13.9.1995 – 93/4126, JDI 1996, 948 mit Bespr. Witz: ein Monat nach Lieferung bei Fehler der Etikettierung; Obergericht Luzern v. 8.1.1997, SZIER 1997, 132 f.: ein Monat; zustimmend aber Heuzé, Vente internationale, Anm. 309. OLG Saarbrücken v. 3.6.1998 – 1 U 703/97–143, NJW-RR 1999, 780 (Schnittblumen); OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 17 U 82/92, IPRax 1993, 412: 7 Tage nach Warenabnahme bei frischen Gurken zu lang. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 49; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 39 Rz. 9; s. auch BGH v. 8.3.1995 – VIII ZR 159/94, BGHZ 129, 75 (85 f.) = IPRax 1996, 12; BGH v. 30.6.2004 – VIII ZR 321/03, IHR 2004, 201. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 39 CISG Rz. 51 f. Heuzé, Vente internationale, Anm. 310. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 39 Rz. 15a. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 41 Rz. 6; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 41 Rz. 5. Secretariat Commentary Art. 39 Anm. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 41 CISG Rz. 15. S. Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 266.
80 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 276
Teil B
Eigentum erworben hat, der Dritte dies aber bestreitet1. Der Anspruch muss nicht gerichtlich, aber doch mit einem solchen Nachdruck geltend gemacht werden, dass er den Käufer in seiner freien Verfügung über die Ware belastet2. e) Geistiges Eigentum Dritter Die Haftung des Verkäufers für die Freiheit der Ware von geistigem Eigentum Dritter, insbesondere von gewerblichen Schutzrechten, ist gegenüber der allgemeinen Rechtsmängelhaftung beschränkt (Art. 42 CISG). Bei internationalen Kaufverträgen würde eine unbedingte Einstandspflicht des Verkäufers für die Freiheit der Ware von Immaterialgüterrechten Dritter wegen der Vielzahl solcher Rechte, die in den einzelnen Ländern bestehen können, ein zu großes Haftungsrisiko bedeuten3. Die Einstandspflicht gilt nur territorial beschränkt für die Staaten, in denen die Ware weiterverkauft oder sonst verwendet wird und auch nur, wenn der Verkäufer die Schutzrechte bei Vertragsschluss kannte oder kennen musste (Art. 42 Abs. 1 lit. a CISG). Haben die Parteien bestimmte Verwendungsstaaten nicht in Betracht gezogen, ist die Rechtslage in dem Staat maßgeblich, in dem der Käufer seine Niederlassung hat (Art. 42 Abs. 1 lit. b CISG). Die Haftung entfällt außerdem, wenn der Käufer das Schutzrecht seinerseits kannte oder kennen musste oder wenn die Schutzrechtsverletzung auf einer Anweisung des Käufers beruht (Art. 42 Abs. 2 CISG).
273
f) Rügeobliegenheit bei Rechtsmangel Nach Art. 43 CISG ist der Käufer gehalten, einen Rechtsmangel oder eine Schutzrechtsbelastung dem Verkäufer innerhalb einer angemessenen Frist anzuzeigen, nachdem er selbst hiervon Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Diese Rügeobliegenheit soll dem Verkäufer ermöglichen, Maßnahmen zu ergreifen, um entweder unberechtigte Ansprüche des Dritten abzuwehren oder bei berechtigten Ansprüchen die Belastung zu beseitigen oder sonst die Beeinträchtigung für den Käufer zu beheben4. Geschützt wird auch das Interesse des Verkäufers an schneller Abwicklung des Geschäfts5. Sofortige Anzeige kann geboten sein, wenn der Dritte bereits gerichtliche Maßnahmen beantragt hat oder dies unmittelbar bevorsteht oder wenn sich in anderer Weise die Verteidigungsmöglichkeiten aufgrund Zeitablaufs zu verschlechtern drohen6.
274
Da Rechte Dritter und insbesondere Schutzrechtsbehauptungen oft erst nach längerer Zeit geltend gemacht werden, ist anders als bei Sachmängeln eine absolute Ausschlussfrist für die Geltendmachung nicht in das CISG aufgenommen worden7. Die Ansprüche wegen Rechtsmängeln und Schutzrechten Dritter unterliegen aber der Verjährung8.
275
g) Minderung und Schadensersatz trotz Rügeversäumnis Auf Drängen vor allem der Entwicklungsländer wurde durch Art. 44 CISG die Möglichkeit eröffnet, dass der Käufer bei verspäteter Rüge nicht alle Rechtsbehelfe verliert, 1 Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 41 Rz. 12; a.A. Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 41 Anm. 4. 2 Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 41 Anm. 3; weiter gehend für nur sehr geringe Drohungsintensität Heuzé, Vente internationale, Anm. 319; wohl auch Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 41 Rz. 11. 3 Secretariat Commentary Art. 40 Anm. 4 f.; Heuzé, Vente internationale, Anm. 322; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 42 Rz. 1. 4 Audit, Vente internationale, Anm. 115; Vida, RTD com. 47 (1994), 21 (32). 5 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 43 CISG Rz. 4. 6 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 43 Rz. 3. 7 Heuzé, Vente internationale, Anm. 320. 8 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 43 Rz. 6.
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Benicke 81
276
Teil B Rz. 277
Warenhandel
wenn die Verspätung entschuldigt ist1. Welche Gesichtspunkte für eine Entschuldigung heranzuziehen sind, ist noch wenig geklärt. Art. 44 CISG hat nur geringe Bedeutung, wenn bereits bei der Bestimmung der angemessenen Frist für die Rüge nach Art. 39 und Art. 43 CISG besondere Umstände auf Seiten des Käufers berücksichtigt werden2. Die Entschuldigung der Verspätung erhält die Rechtsbehelfe der Minderung und des Schadensersatzes, außer für den entgangenen Gewinn. Ausgeschlossen bleiben damit insbesondere Ansprüche auf Aufhebung des Vertrages und auf Ersatzlieferung.
VI. Rechtsbehelfe des Käufers 1. Überblick 277
Das UN-Kaufrecht gewährt dem Käufer bei einer Vertragsverletzung des Verkäufers grundsätzlich die Rechtsbehelfe Erfüllung (Art. 46 CISG), Vertragsaufhebung (Art. 49 CISG), Minderung (Art. 50 CISG) sowie Schadensersatz (Art. 45 Abs. 1 lit. b i.V. mit Art. 74–77 CISG).
278
Den Ausgangspunkt bildet der Einheitstatbestand der Vertragsverletzung. Eine Vertragsverletzung liegt vor, wenn der Verkäufer irgendeine seiner sich aus dem Kaufvertrag ergebenden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Notwendige Differenzierungen nach Art der Pflicht und/oder der Verletzung werden bei den einzelnen Rechtsbehelfen getroffen3. So kann der Käufer etwa die Vertragsaufhebung grundsätzlich nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung verlangen. Bei der Nichtlieferung kann dies zusätzlich auch über eine Fristsetzung erreicht werden (Art. 49 Abs. 1 lit. a und b CISG).
279
Die Rechtsbehelfe einschließlich des Anspruchs auf Schadensersatz setzen nur den objektiven Tatbestand der Verletzung einer vertraglichen Pflicht voraus. Verschulden ist nicht notwendig4. Lediglich der Schadensersatzanspruch kann unter den engen Voraussetzungen von Art. 79 Abs. 1 CISG wegen eines nicht beeinflussbaren Hinderungsgrundes ausgeschlossen sein. Art. 45 Abs. 2 CISG stellt klar, dass der Schadensersatz der allgemeine Rechtsbehelf ist, der mit allen anderen Rechtsbehelfen kombiniert werden kann5. Welche sonstigen Rechtsbehelfe der Käufer berechtigterweise geltend macht, ist aber bei der Berechnung der Höhe des ersatzfähigen Schadens zu berücksichtigen6. 2. Erfüllungsanspruch a) Grundsatz
280
Der Käufer kann nach Art. 46 CISG Erfüllung jeder bisher überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllten Pflicht verlangen. Der Erfüllungsanspruch ist grundsätzlich nicht davon abhängig, dass der Käufer ein besonderes berechtigtes Interesse daran 1 Zur Entstehungsgeschichte Eörsi, 31 Amer. J. Comp. L. 330, 350 f. (1983); Sono in Bianca/Bonell, Art. 44 Anm. 1.1–1.6. 2 S. OLG München v. 8.2.1995 – 7 U 1720/94, CLOUT 167 = CISG online 142; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 128; Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 44 Rz. 4. 3 S. Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 65; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 45 CISG Rz. 25 ff. 4 Secretariat Commentary Art. 41 Anm. 3; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 276; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 45 Anm. 1; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 45 CISG Rz. 1, 11. 5 Will in Bianca/Bonell, Art. 45 Anm. 2.1.2; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 45 Rz. 7; Magnus in Staudinger, Art. 45 CISG Rz. 19, 21. 6 Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 45 Rz. 8; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 45 Rz. 21.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 285
Teil B
nachweisen kann, wie dies im angloamerikanischen Recht für die specific performance verlangt wird. Konzeptionell ist aber auch der Anspruch auf (Nach-)Erfüllung als ein Rechtsbehelf des Käufers ausgestaltet. Den Vorbehalten der Common Law-Rechtsordnungen gegenüber einer Verurteilung des Schuldners zur Erfüllung in Natur trägt das UN-Kaufrecht aber in Art. 28 CISG Rechnung. Danach braucht ein Gericht eine Entscheidung auf Erfüllung in Natur nur zu fällen, wenn es dies auch nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen täte, die nicht unter dieses Übereinkommen fallen. Streitig ist, ob Art. 28 CISG nur für Gerichte aus Common Law-Rechtsordnungen gilt oder auch materiellrechtliche Einschränkungen des Erfüllungszwangs, wie etwa § 275 BGB, berücksichtigt werden können1. Der Anspruch auf Erfüllung ist ausgeschlossen, wenn der Käufer bereits einen anderen Rechtsbehelf wirksam ausgeübt hat, der wie die Vertragsaufhebung, die Minderung und der Schadensersatz wegen Nichterfüllung mit dem Erfüllungsverlangen unvereinbar ist2.
281
b) Ersatzlieferung und Nachbesserung aa) Allgemein Bei Lieferung einer nicht vertragsgemäßen Ware stellt Art. 46 Abs. 2 und 3 CISG den Anspruch auf Nacherfüllung durch Ersatzlieferung oder Nachbesserung unter besondere Voraussetzungen.
282
bb) Ersatzlieferung Der Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Ersatzlieferung besteht nur, wenn die Lieferung der vertragswidrigen Ware eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt, d.h. wenn der Käufer einen solchen Nachteil erleidet, dass ihm im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen (Art. 25 CISG; s. Rz. 307 ff.). Grund für diese Beschränkung ist, dass der durch die Ersatzlieferung notwendige und bei internationalen Verträgen meist teure Rück- und Neutransport auf die Fälle beschränkt werden soll, in denen sie durch das Interesse des Käufers gerechtfertigt sind3.
283
cc) Nachbesserung Die Nachbesserung ist die Reparatur oder sonstige Maßnahme, die die Ware vertragsgemäß macht. Sie kann auch den Austausch von wesentlichen Teilen umfassen4, etwa bei Fenstern den Austausch der Fensterscheiben5. Ersatzlieferung und keine Nachbesserung liegt erst vor, wenn nur einzelne unwesentliche Teile nicht ausgetauscht werden.
284
Die Nachbesserung kann nach Art. 46 Abs. 3 CISG nicht verlangt werden, wenn der Verkäufer nachweist, dass sie für ihn unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar ist. Unzumutbarkeit bedeutet Unverhältnismäßigkeit, wie sich aus der englischen und französischen Fassung (unreasonable; déraisonnable) ergibt. Sie kann sich einmal durch einen Vergleich der Kosten ergeben, die bei einer Reparatur durch den Verkäufer oder einen von ihm beauftragten Dritten einerseits und einer Reparatur durch den Käufer andererseits anfallen. Unverhältnismäßig ist die Reparatur durch den
285
1 S. dazu Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 28 Rz. 9 f. 2 S. zum Problem der Bindung an das Minderungsverlangen und die Aufhebungserklärung Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 26 Rz. 11 f. und Art. 27 Rz. 16–19. 3 Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 67; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 137. 4 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 46 Rz. 101; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 46 CISG Rz. 54. 5 OLG Hamm v. 9.6.1995 – 11 U 191/94, CISG-online 146 = CLOUT 125.
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Benicke 83
Teil B Rz. 286
Warenhandel
Verkäufer nur dann, wenn die Kosten 10–20 % höher liegen, weil auch die nicht finanziell messbaren Belastungen des Käufers berücksichtigt werden müssen1. Entsprechend ist die Nachbesserung im Vergleich zur Minderung oder zum Schadensersatz dann unverhältnismäßig, wenn die Reparaturkosten um 10–20 % höher sind als der Minderwert oder der durch Nachbesserung vermeidbare Schaden des Käufers2. dd) Rechtsmangel 286
Die Einschränkungen des Erfüllungsanspruchs nach Art. 46 Abs. 1 CISG durch Absätze 2 und 3 gelten nach der Terminologie des UN-Kaufrechts nur für Sach-, nicht hingegen für Rechtsmängel. Eine analoge Anwendung ist nicht geboten3. c) Verhältnis zwischen Ersatzlieferung und Nachbesserung
287
Der Käufer kann, wenn die Voraussetzungen von Art. 46 Abs. 2 und 3 CISG vorliegen, zwar grundsätzlich wählen, ob er Ersatzlieferung oder Nachbesserung verlangt. Der Verkäufer kann ihm aber im Rahmen des Art. 48 Abs. 1 CISG dieses Wahlrecht bereits vor dem Fristablauf nach Art. 48 Abs. 2 CISG nehmen, indem er ihm eine Art der Mängelbeseitigung anbietet4. Ist diese zumutbar, so kann der Käufer ihr nicht widersprechen. d) Frist
288
Ersatzlieferung oder Nachbesserung muss der Käufer zusammen mit der Rüge nach Art. 39 CISG oder innerhalb einer angemessenen Frist danach verlangen (Art. 46 Abs. 2 und 3 CISG jew. a.E.). Die Frist dient dem Zweck, dem Verkäufer Klarheit darüber zu verschaffen, ob er sich bereithalten muss, die Ware nachzubessern oder Ersatz zu liefern. Bei einem verspäteten Verlangen stehen dem Käufer nur noch Minderung und Schadensersatz zu. Ist auf Verlangen des Käufers oder auf Anerbieten des Verkäufers Ersatz geliefert oder Nachbesserung versucht worden, der Ersatz aber ebenfalls fehlerhaft oder die Nachbesserung fehlgeschlagen, so läuft erneut eine angemessene Frist, innerhalb derer der Käufer rügen (Art. 39 CISG)5 und anschließend die Ersatzlieferung oder Nachbesserung verlangen muss6. 3. Nacherfüllungsrecht des Verkäufers
289
Art. 37 CISG regelt das Nacherfüllungsrecht bei vorzeitiger Lieferung der Ware. Der Verkäufer hat das Recht, Mängel der vorzeitig gelieferten Ware bis zur Fälligkeit durch 1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 46 Rz. 22; ähnlich Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 46 Rz. 10; zu verkäuferfreundlich Magnus in Staudinger/BGB, Art. 46 CISG Rz. 62, der den Nachbesserungsanspruch bereits dann für ausgeschlossen hält, wenn der Verkäufer einen Dritten zur Reparatur nicht „leicht einschalten“ kann; ähnlich auch Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 46 Rz. 9. 2 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 46 Rz. 24; ähnlich Schnyder/Straub in Honsell, Art. 46 Rz. 97. 3 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 136; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 46 Rz. 22; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 42 Rz. 26; Will in Bianca/Bonell, Art. 46 Anm. 3.1; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 46 Rz. 6, 9; Neumayer/Ming, Art. 46 Anm. 8. 4 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 20; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 138; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 11; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 48 Rz. 6, i.E. aber anders in Rz. 14; Magnus in Staudinger, Art. 48 CISG Rz. 32; s. auch Audit, Vente internationale, Anm. 133, der dem Käufer das Wahlrecht einräumt, es aber aufgrund des Regelungsgedankens von Art. 77 beschränkt. 5 LG Oldenburg v. 9.11.1994 – 12 O 674/93, NJW-RR 1995, 438. 6 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 46 CISG Rz. 56.
84 | Benicke
UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 292
Teil B
Nachlieferung, Ersatzlieferung oder Nachbesserung auszugleichen, wenn dies dem Käufer nicht unzumutbare Unannehmlichkeiten oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Art. 48 CISG gewährt dem Verkäufer das Recht, einen Mangel in der Erfüllung einer Pflicht auch noch nach Fälligkeit zu beheben. Art. 48 CISG gilt zwar für jede Art der Vertragsverletzung, hat seinen praktischen Anwendungsbereich aber vor allem bei der Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware. Der Verkäufer, der eine vertragswidrige Ware geliefert hat, kann Ersatzlieferung oder Nachbesserung anbieten. Da Art. 48 CISG keinen Vorbehalt zugunsten Art. 46 CISG enthält, steht dem Verkäufer auch bereits vor dem Fristablauf nach Art. 48 Abs. 2 CISG insoweit ein Wahlrecht zu. Dies ist auch ökonomisch sinnvoll, weil der Verkäufer im eigenen Interesse die kostengünstigste Form der Nacherfüllung wählen wird. Die Interessen des Käufers werden dadurch ausreichend geschützt, dass die gewählte Form der Nacherfüllung zumutbar sein und das Erfüllungsinteresse des Käufers vollständig befriedigen muss1. Der Verkäufer hat nicht nur die eigenen Kosten für die Nacherfüllung zu tragen, sondern auch die Kosten, die durch die Nacherfüllung etwa in Form einer Betriebsunterbrechung beim Käufer entstehen2.
290
Voraussetzung des Nacherfüllungsrechts nach Art. 48 CISG ist, dass die Nacherfüllung keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und der Käufer weder unzumutbare Unannehmlichkeiten noch Ungewissheit über die Erstattung seiner Auslagen durch den Verkäufer hinnehmen muss. Unzumutbarkeit liegt nicht bereits bei jeder Unannehmlichkeit vor. Auf der anderen Seite muss aber auch nicht der Grad völliger Unverträglichkeit vorliegen3. Einzustellen in die Abwägung sind neben den Nachteilen für den Käufer auch die Vorteile der Nacherfüllung gegenüber anderen Lösungen. Unzumutbar kann insbesondere die Reparatur sein, wenn sie bereits zweimal fehlgeschlagen ist oder wenn sie nicht unerhebliche Behinderungen etwa des Betriebes des Käufers verursacht. Zu berücksichtigen ist auch, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Reparatur erfolgreich sein wird4 und ob der Käufer das Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung durch den Verkäufer objektiv nachvollziehbar verloren hat5. Allein die Höhe von bezifferbaren Aufwendungen und Kosten, die beim Käufer anfallen, begründet keine Unzumutbarkeit, wenn der Verkäufer für deren Erstattung Sicherheit oder bei größeren Beträgen einen Vorschuss leistet6. Inwieweit dem Käufer zugemutet werden kann mitzuwirken, ist in Anlehnung an die Schadensminderungspflicht nach Art. 77 CISG zu bestimmen7.
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Die zu erwartende Verzögerung ist danach zu bestimmen, welche Zeit für die Nacherfüllung aus objektiver Sicht notwendig erscheint8. Stellt sich später heraus, dass
292
1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 48 Rz. 4; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 138; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 20; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 48 Anm. 5; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 11; Lüderitz/SchüßlerLangeheine in Soergel, Art. 48 Rz. 6, i.E. aber anders in Rz. 14; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 32. 2 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48 Rz. 17 f. 3 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 15. 4 Audit, Vente internationale, Anm. 132; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 11; a.A. Huber in Schlechtriem, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), 3. Aufl. 2000, Art. 48 Rz. 14. 5 Karollus, ZIP 1993, 490 (497); wohl auch Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48 Rz. 25, die ausdrücklich nur den rein subjektiven, objektiv nicht gerechtfertigt erscheinenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten des Verkäufer für nicht ausreichend halten. 6 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 3. 7 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 3; s. auch Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48 Rz. 28, die die Mitwirkungspflicht auf Treu und Glauben stützen. 8 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 14.
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Benicke 85
Teil B Rz. 293
Warenhandel
die Nacherfüllung längere Zeit beanspruchen wird, so kann die Verzögerung nun unzumutbar werden1. Da der Käufer nicht nur Ersatz seiner Aufwendungen, sondern auch aller anderen Kosten beanspruchen kann, die ihm durch die Nacherfüllung entstehen, darf auch keine Ungewissheit über deren Erstattung bestehen2. 4. Verhältnis des Nacherfüllungsrechts zur Vertragsaufhebung 293
Art. 48 CISG stellt das Nacherfüllungsrecht des Verkäufers unter den Vorbehalt des Art. 49 CISG. Der Käufer soll sein Recht zur Vertragsaufhebung nicht dadurch wieder verlieren, dass der Verkäufer nachträglich die ordnungsgemäße Vertragserfüllung anbietet3.
294
Der Käufer kann daher den Vertrag aufheben und der Verkäufer erhält durch sein Erfüllungsangebot keine zusätzliche Frist, wenn ein Fixgeschäft vorliegt, wenn die bereits eingetretene Verspätung die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung begründet oder wenn eine gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG gesetzte Nachfrist abgelaufen ist4. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte5 kann der Käufer die Aufhebung auch noch erklären, nachdem er vom Verkäufer eine Aufforderung oder Anzeige nach Abs. 2 oder 3 erhalten hat6.
295
Streitig sind die Fälle, in denen unabhängig vom Zeitfaktor eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt, die Vertragsverletzung aber durch die Nacherfüllung ganz oder weitgehend beseitigt werden kann. Beispiele sind etwa die defekte Maschine, die sich reparieren lässt7, und die aliud-Lieferung, die der Käufer in keiner zumutbaren Weise verwenden kann, die aber durch die Lieferung der vereinbarten Ware ausgetauscht werden kann. Da die Behebbarkeit ein bei der Beurteilung der Schwere der Vertragsverletzung zu berücksichtigendes Kriterium ist, schließt sie die Wesentlichkeit in diesen Fällen regelmäßig aus8. Dadurch wird auch erreicht, dass das Recht zur zweiten Andienung durch den Vorbehalt zugunsten von Art. 49 CISG nicht seine praktische Bedeutung verliert9. 1 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 3. 2 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48 Rz. 27; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 3. 3 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 14; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 22. 4 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 14. 5 Der New Yorker Entwurf formulierte noch „… unless the buyer has declared the contract avoided …“ 6 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 22–24; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/ BGB, Art. 48 Rz. 5; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 17. 7 S. O.R. S. 341 Nr. 38; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 296. 8 Cour d’Appel Grenoble 26.4.1995, CLOUT 152 = UNILEX: Aufhebungsrecht verneint, weil Verkäufer repariert hat; Pretura LocaRz.o 27.4.1992, UNILEX: Aufhebungsrecht verneint, weil Käufer Angebot des Verkäufers, vertragswidrige Kissen zu reparieren, abgelehnt hat; OLG Koblenz v. 31.1.1997 – 2 U 31/96, IHR 2003, 172, CISG-online 256 = CLOUT 282: Kein Aufhebungsrecht, weil Käufer Nacherfüllungsangebot des Verkäufers abgelehnt hat; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 48 Rz. 9; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 296; Koch, RIW 1995, 98 (100); Lurger, IHR 2001, 91 (98); Piltz, Internationales Kaufrecht, § 5 Rz. 196; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 69; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 30; MüllerChen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 15; im Ergebnis ebenso, aber ausgehend von der Berücksichtigung der Behebbarkeit durch den Verkäufer oder den Käufer im Rahmen einer Gesamtabwägung Schnyder/Straub in Honsell, Art. 48 Rz. 32 f., Art. 49 Rz. 23 f.; a.A. v. Hoffmann in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationsrecht, S. 293, 298 f.; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 48 Rz. 4; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 48 Anm. 4, Art. 49 Anm. 4, die das Aufhebungsrecht des Käufers aber aufgrund von Treu und Glauben einschränken wollen. 9 S. zur entsprechenden Diskussion bei der Erarbeitung: O.R. S. 341 ff., insbes. Nr. 43 f., 48, 55; Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 48 Rz. 18 f.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 300
Teil B
Allerdings wird der Käufer oft nicht beurteilen können, ob die Vertragsverletzung, etwa die Vertragswidrigkeit der Ware, in zumutbarer Weise behoben werden kann1. Das Aufhebungsrecht entfällt daher nur, wenn der Verkäufer in der Lage ist und sich auf die Rüge der Vertragsverletzung hin auch bereit erklärt, die Vertragsverletzung zu beheben2. Funktioniert die gelieferte Maschine nicht und ist sie daher für den Käufer nicht in zumutbarer Weise zu verwenden, so ist er dennoch nicht zur Aufhebung des Vertrages berechtigt, wenn der Verkäufer Ersatzlieferung oder Reparatur in zumutbarer Zeit zusagt. Ohne Bedeutung ist, ob der Käufer die Aufhebung des Vertrages bereits erklärt hat oder nicht3. Die Vertragsaufhebung ist allerdings auch in diesem Fall möglich, wenn der Käufer berechtigte Zweifel an der Fähigkeit oder Bereitschaft der Nacherfüllung durch den Verkäufer hat oder die Nachbesserung sonst nicht zumutbar ist, etwa weil die Vertragsverletzung die Vertrauensgrundlage zerstört hat4.
296
Art. 46 Abs. 2 CISG steht diesem Verständnis der wesentlichen Vertragsverletzung nicht entgegen. Allerdings ist es paradox, wenn Art. 46 Abs. 2 CISG eine wesentliche Vertragsverletzung als Voraussetzung für den Anspruch auf Ersatzlieferung statuiert, eine wesentliche Vertragsverletzung aber immer dann nicht vorliegt, wenn die Vertragsverletzung durch Ersatzlieferung beseitigt werden kann. Das Paradoxon löst sich aber auf, wenn beachtet wird, dass der Anspruch auf Ersatzlieferung als Rechtsbehelf gedacht ist, der erst eingreift, wenn der Verkäufer nicht von sich aus bereit und in der Lage ist, die Vertragsverletzung durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung zu beseitigen5.
297
5. Fristsetzungen und Aufforderungen durch Verkäufer und Käufer a) Fristsetzung durch Käufer Der Käufer kann dem Verkäufer nach Art. 47 Abs. 1 CISG eine Frist mit der Aufforderung setzen, die Erfüllung nachzuholen, insbesondere durch Ersatzlieferung oder Nachbesserung die Vertragswidrigkeit der Ware zu beseitigen. Art. 47 Abs. 1 CISG hat insoweit keinen Regelungsgehalt, weil sich die Möglichkeit einer Fristsetzung von selbst ergibt. Entscheidend kommt es daher auf die Rechtsfolgen einer Fristsetzung an.
298
Die Fristsetzung führt zum einen nach Art. 47 Abs. 2 CISG zu einer Bindung des Käufers selbst. Er muss dem Verkäufer bis zum Ablauf der Frist die Nacherfüllung ermöglichen und darf den Vertrag nicht aufheben, keine Minderung und keinen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.
299
Sinn macht die Setzung einer Nachfrist für den Käufer zum einen im Falle der Nichtlieferung. Nach Ablauf der Frist erhält der Käufer nach Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG ein Aufhebungsrecht, das unabhängig von der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung ist.
300
1 Heuzé, Vente internationale, Anm. 422. 2 S. Pretura LocaRz.o 27.4.1992, UNILEX; OLG Koblenz v. 31.1.1997 – 2 U 31/96, CISG-online 256; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 296; Heuzé, Vente internationale, Anm. 422; MüllerChen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 15; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 48 Anm. 4, Art. 49 Anm. 4; anders Schnyder/Straub in Honsell Art. 48 Rz. 23, die allein die abstrakte Möglichkeit der Behebung berücksichtigen wollen. 3 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 17; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 296. 4 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 48 Rz. 15; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 48 CISG Rz. 30. 5 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 46 Rz. 28 f.; ein unterschiedliches Verständnis der wesentlichen Vertragsverletzung für Art. 46 und Art. 49 (so Karollus, ZIP 1993, 495 f.; anders noch Karollus, UN-Kaufrecht, S. 143) ist daher nicht erforderlich.
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Benicke 87
Teil B Rz. 301 301
Warenhandel
Darüber hinaus kann der Käufer bei der Lieferung einer vertragswidrigen Ware durch die Fristsetzung klarstellen, ob der Verkäufer zur Behebung des Mangels bereit ist. Nach Ablauf der Frist kann die Behebbarkeit des Mangels grundsätzlich nicht mehr gegen die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung angeführt werden. b) Aufforderung durch Verkäufer
302
Nach Art. 48 Abs. 2 CISG kann der Verkäufer den Käufer auffordern, ihm mitzuteilen, ob er die nachträgliche Erfüllung annehmen will. Widerspricht der Käufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist, kann der Verkäufer innerhalb der von ihm selbst gesetzten Frist erfüllen; der Käufer ist also gehindert, einen mit der Erfüllung inkompatiblen Rechtsbehelf zu verlangen. Widerspricht der Käufer rechtzeitig und berechtigterweise, kann er die ihm zustehenden Rechtsbehelfe uneingeschränkt geltend machen1.
303
Widerspricht der Käufer, liegen die Voraussetzungen für die Nichtzulassung der Nacherfüllung aber nicht vor, weil der Verkäufer nach Art. 48 Abs. 1 CISG ein Recht zur Nacherfüllung in der angebotenen Weise und Zeit hat, so verliert der Käufer die Rechtsbehelfe wegen der Vertragsverletzung, soweit die Vertragsverletzung durch die Nacherfüllung beseitigt worden wäre2. Durch die Aufforderung an den Käufer kann der Verkäufer daher die Unsicherheit, ob eine Nacherfüllung zuzulassen ist oder nicht, auf den Käufer abwälzen. Der Käufer wird einem Nacherfüllungsanerbieten mit einer Mitteilung nach Art. 48 Abs. 2 CISG im Zweifel nicht widersprechen. Stellt ein Gericht im Nachhinein fest, dass die Nacherfüllung für ihn doch zumutbar war, verliert er seine Rechtsbehelfe weitgehend. 6. Vertragsaufhebung
304
Das Recht des Käufers, wegen einer Vertragsverletzung des Verkäufers die Aufhebung des Vertrages zu erklären, ist in Art. 49 CISG geregelt. Das Aufhebungsrecht ist restriktiver ausgestaltet als in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen nach dem dort maßgeblichen römisch-rechtlich fundierten Konzept der Gewährleistung3. Dies ist Ausdruck des Grundprinzips des UN-Kaufrechts, die Durchführung des Vertrages zu fördern und die Kosten eines wirtschaftlich meist sinnlosen Rücktransports der Ware zu vermeiden4.
305
Art. 49 CISG enthält zwei alternative Tatbestände, nach denen eine Aufhebung möglich ist. Nach Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG kann der Käufer den Vertrag aufheben, wenn der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung begangen hat. Auf die Art der verletzten Pflicht (Hauptleistungspflicht oder Nebenpflicht) kommt es nicht an. Die wesentliche Vertragsverletzung als Voraussetzung des Aufhebungsrechts ist in Art. 25 CISG allgemein für das CISG geregelt.
306
Im Fall der Nichtlieferung der Ware kann der Käufer außerdem nach Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG ein Aufhebungsrecht durch die Setzung einer Nachfrist und deren erfolglosen Ablauf erlangen. Art. 26 CISG schreibt die Notwendigkeit einer Aufhebungserklärung vor. Die Rechtsfolgen der Aufhebung und die Durchführung der Rückabwicklung sind in Art. 81 und 84 CISG für die Aufhebung durch den Käufer und den Verkäufer gemeinsam geregelt. Art. 82 f. CISG regeln die Folgen für das Aufhebungsrecht des Käufers, wenn dieser die erhaltene Ware nicht mehr unversehrt zu1 2 3 4
Heuzé, Vente internationale, Anm. 424. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 48 Rz. 21. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 49 CISG Rz. 4. BGH v. 3.4.1996 – VIII ZR 51/95, BGHZ 132, 290 (298); v. Caemmerer, FS Coing II, 1982, S. 33, 50; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 49 Rz. 1; Heuzé, Vente internationale, Anm. 425.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 311
Teil B
rückgeben kann. Art. 45 Abs. 2 CISG stellt klar, dass die Vertragsaufhebung einen Anspruch auf Ersatz des noch verbleibenden Schadens nicht ausschließt. a) Aufhebung wegen wesentlicher Vertragsverletzung, Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG Eine Vertragsverletzung ist gemäß Art. 25 CISG wesentlich, wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Ausgeschlossen ist eine wesentliche Vertragsverletzung aber, wenn die vertragsbrüchige Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen hätte.
307
Entscheidend für die Wesentlichkeit ist damit die Schwere der negativen Auswirkungen auf das Gläubigerinteresse, nicht hingegen das Maß der Verfehlung der vertragsbrüchigen Partei, etwa Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit1.
308
aa) Interessenbeeinträchtigung Eine wesentliche Vertragsverletzung setzt voraus, dass die Interessen des Gläubigers so betroffen sind, dass es ihm nicht zugemutet werden kann, sich mit den Rechtsbehelfen Schadensersatz, Minderung und eventuell Nachbesserung zufrieden zu geben, sondern seine Interessen es erfordern, den Vertrag aufheben bzw. Neulieferung verlangen zu können2. Zur Bedeutung der Behebbarkeit der Vertragsverletzung s. Rz. 295.
309
Eine solche Bewertung kann sich zum einen aus der Gewichtung der Interessen im Vertrag ergeben. Die Parteien können vereinbaren, dass ein bestimmtes Interesse, etwa im Hinblick auf den Lieferungszeitpunkt oder eine bestimmte Eigenschaft der Ware, so bedeutend ist, dass bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs eine Beeinträchtigung unabhängig von einem weitgehenden konkreten Nachteil als wesentlich zu beurteilen ist3. So ist bei der Vereinbarung eines Fixgeschäfts bereits aufgrund dieser vertraglichen Vereinbarung jegliches Überschreiten des Lieferungstermins eine wesentliche Vertragsverletzung, ohne dass es auf das Maß des tatsächlich eingetretenen Nachteils für den Käufer ankommt. Eine solche vertragliche Vereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Maßgeblich sind damit auch die Umstände, die für beide Parteien erkennbar waren und die für die Auslegung der Vertragsabschlusserklärungen nach Art. 8 Abs. 2 CISG heranzuziehen sind4.
310
Eine wesentliche Vertragsverletzung kann aber auch dann vorliegen, wenn die verletzte vertragliche Pflicht zwar kein besonderes Gewicht durch die vertragliche Vereinbarung erhalten hat, die tatsächlichen negativen Folgen der Verletzung aber so schwer wiegen, dass sie einen Interessenwegfall begründen5. Hat die Ware nur eine Eigenschaft nicht, die sie nach dem Vertrag haben sollte, ohne dass diesem Umstand im Vertrag aber eine besondere Bedeutung zugemessen wurde, so ist die vertragswidrige Be-
311
1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 25 Rz. 5. 2 Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 46 Rz. 31, 35. 3 Gsell in Honsell, Art. 25 Rz. 14, 19; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 25 Anm. 3.4; Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25 Rz. 21 ff.; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 25 Anm. 3 auch zu möglichen Ausnahmen. 4 LG Ellwangen v. 21.8.1995 – 1 KfH O 32/95 (UNILEX 1995): Vereinbarung der Einhaltung des deutschen Lebensmittelrechts bei Paprikapulver, das zum Weiterverkauf in Deutschland bestimmt ist. 5 Karollus in Honsell, 1. Aufl. 1997, Art. 25 Rz. 17 ff., insbes. 22; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 25 Anm. 4; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 25 Rz. 8; a.A. Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25 Rz. 21 f., 27, der Art. 25 CISG als Auslegungsregel begreift, so dass der Interessenwegfall bereits bei der Bestimmung der vertraglich geschützten Erwartungen zu berücksichtigen ist; zustimmend Gsell in Honsell, Art. 25 Rz. 20 f.
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Benicke 89
Teil B Rz. 312
Warenhandel
schaffenheit der Ware nur dann eine wesentliche Vertragsverletzung, wenn der Nachteil für den Käufer so erheblich ist, dass sein Vertragsinteresse entfällt, etwa weil eine Ware, die für den Weiterverkauf bestimmt ist, so nicht veräußert werden kann1. 312
Der für die Annahme einer wesentlichen Vertragsverletzung notwendige Interessenwegfall ist nur anzunehmen, wenn die besonderen Rechtsbehelfe Aufhebung des Vertrages oder Anspruch auf Neulieferung geeignet sind, die Interessen des Gläubigers zu wahren. Hat der Schuldner etwa eine Vertragsverletzung begangen, die die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien zerstört, so kann dies die Aufhebung des Vertrages nur rechtfertigen, wenn der Schuldner noch nicht alle Leistungen erbracht hat, nicht hingegen, wenn keine weiteren Leistungen des Schuldners ausstehen. Eine weiter gehende Konkretisierung der Bewertungskriterien ist durch die Bildung von Fallgruppen je nach Art der Vertragsverletzung zu entwickeln2.
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Eine Vereinbarkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass alle oder die meisten Pflichten als wesentlich zu beurteilen sind, wird regelmäßig an der Inhaltskontrolle nach nationalem Recht, z.B. § 307 BGB, scheitern. Maßstab für die Inhaltskontrolle ist das UN-Kaufrecht und diesem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Wesentlichkeitskriterium eine einschränkende Funktion hat3. bb) Vorhersehbarkeit
314
Trotz Interessenfortfalls des Gläubigers liegt eine wesentliche Vertragsverletzung nicht vor, wenn der Schuldner den Interessenfortfall nicht vorhersah und ihn auch eine vernünftige Person an seiner Stelle (vgl. Art. 8 Abs. 2 CISG) nicht vorhersehen konnte.
315
Streitig ist, auf welchen Zeitpunkt für die Vorhersehbarkeit abzustellen ist. Das UNKaufrecht hat diese Frage bewusst nicht geregelt4. Dafür, dass Kenntnis oder Kennenmüssen der besonderen Folgen, die den Interessenwegfall begründen, auch nach Vertragsschluss ausreichend ist, spricht der Zweck der Entlastungsmöglichkeit. Der Schuldner soll mit den an die wesentliche Vertragsverletzung geknüpften schwerwiegenden Rechtsfolgen nur belastet werden, wenn er die Möglichkeit hatte, besondere Aufmerksamkeit auf die Erfüllung solcher Pflichten zu legen, bei deren Verletzung ein erheblicher Nachteil für den Gläubiger zu erwarten ist5. Für die Maßgeblichkeit des Vertragsschlusszeitpunkts spricht, dass sonst der Gläubiger einseitig die Vertragspflichten verändern könnte, indem er den Schuldner erst nachträglich darauf aufmerksam macht, dass die Verletzung einer Vertragspflicht, etwa der Lieferungszeitpunkt, zu einem erheblichen Nachteil führen werde6.
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Aufgelöst werden kann dieser Streit, wenn nach Art der Pflichten unterschieden wird. Unstreitig dürfte sein, dass der Gläubiger nicht einseitig durch nachträgliche Erklärung über die Bedeutung der Einhaltung bestimmter Pflichten das Äquivalenzverhältnis des 1 Vgl. auch das Beispiel 25 A bei Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 183. 2 Saenger in Bamberger/Roth/BGB, Art. 25 CISG Rz. 7; s. dazu die Zusammenstellungen in den Kommentaren, etwa Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 25 Rz. 37 ff.; Gruber in MünchKomm/BGB, Art. 25 Rz. 19 ff.; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 25 Rz. 19 ff. 3 Gruber in MünchKomm/BGB, Art. 25 Rz. 35. 4 Secretariat Commentary Art. 23 Anm. 5; Will in Bianca/Bonell, Art. 25 Anm. 2.2.2.5; Neumayer, RIW 1994, 99 (104). 5 Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 183; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 25 Anm. 8. 6 Huber, RabelsZ 43 (1979), 413 (463); Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 49; Holthausen, Wesentliche Vertragsverletzung des Verkäufers nach Art. 25 UN-Kaufrecht, RIW 1990, 101 (105).
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 319
Teil B
Vertrages verändern können darf1. Immer wenn die Annahme einer wesentlichen Vertragsverletzung aufgrund der tatsächlich schweren Folge der Vertragsverletzung das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung verschiebt, ist Kenntnis oder Erkennbarkeit dieser schweren Folge im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erforderlich. Wird das Äquivalenzverhältnis nicht betroffen, ist hingegen auch die spätere Kenntnis oder Erkennbarkeit ausreichend. Nach dem Zweck der Entlastungsmöglichkeit kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Vertragsverletzung, etwa Lieferung der vertragswidrigen Ware, sondern auf den Zeitpunkt an, zu dem der Schuldner die Handlungen vorgenommen hat, die zur Vertragsverletzung führten, oder hätte handeln müssen, um die Vertragsverletzung zu vermeiden2. Anzunehmen ist ein Eingriff in das Äquivalenzverhältnis regelmäßig in Bezug auf den Fälligkeitstermin. Der Käufer könnte sonst durch nachträgliche bloße Mitteilung besonderer Nachteile einer auch nur kurzen Verzögerung den Vertrag zu einem Fixgeschäft machen, das ihm bei Verstreichen des Fälligkeitstermins ein sofortiges Aufhebungsrecht gäbe, ohne dass es einer Nachfristsetzung bedürfte. Die Vertragsverletzung der verspäteten Erfüllung hat eine besondere Qualität. Verzögerungen können zum einen in vielfältiger Weise erfolgen, auf die der Schuldner oft keinen direkten Einfluss hat. Besonders belastend ist für den Schuldner aber, dass ein einmal verstrichener Zeitpunkt, nicht wieder eingehalten werden kann, es also bei dem Fixgeschäft keine Möglichkeit gibt, die Vertragsverletzung nachträglich zu beheben.
317
Bei den meisten Pflichten führt die nachträgliche Information über zu erwartende schwere Nachteile einer Verletzung und der daraus folgenden Bewertung einer Verletzung als wesentlich demgegenüber nicht zu einem Eingriff in das Äquivalenzverhältnis. Hat sich der Verkäufer zur Lieferung von Reis in neuen Säcken verpflichtet, so wird das Äquivalenzverhältnis nicht verändert, wenn er erst nachträglich erfährt, dass die Lieferung in gebrauchten Säcken einen Weiterverkauf durch den Käufer ausschließt und daher eine wesentliche Vertragsverletzung darstellen würde3.
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b) Aufhebung nach erfolglosem Fristablauf, Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG Unabhängig von der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung kann der Käufer den Vertrag aufheben, wenn der Verkäufer die Ware auch nach Ablauf einer vom Käufer gesetzten Nachfrist nicht liefert oder wenn der Verkäufer erklärt, dass er innerhalb der gesetzten Frist nicht liefern wird. Diese Möglichkeit der Vertragsaufhebung besteht nur bei Nichtlieferung, d.h., wenn der Verkäufer überhaupt keine Ware geliefert hat, nicht hingegen, wenn die gelieferte Ware vertragswidrig ist, selbst wenn es sich um ein krasses aliud handelt4. Die Setzung der Nachfrist muss gegenüber dem Verkäufer erklärt worden sein. Das Übermittlungsrisiko trägt nach Art. 27 CISG nicht der Käu1 Neumayer, RIW 1994, 99 (104). 2 Will in Bianca/Bonell, Art. 25 Anm. 2.2.2.2.5; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 183 a.E. 3 Beispiel nach Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 183; anderes Beispiel bei Will in Bianca/ Bonell, Art. 25 Anm. 2.2.2.2.5: Der Verkäufer hat die Etikettierung der Ware übernommen und erfährt nach Vertragsschluss, dass die Ware von dem Käufer nur mit einer bestimmten Etikettierung weiterveräußert werden kann; CA Grenoble v. 4.2.1999 – RG 98/02700, (http://cisgw3.law.pace.edu/cases/990204f1.html (Stand: 2.2.2016)): Verkauf von nicht konzentriertem Orangensaft; verspätete Abnahme des Käufers begründete keine wesentliche Vertragsverletzung, da der Käufer nicht wissen konnte, dass der Verkäufer aufgrund der Verspätung zur Konzentration des Orangensaftes gezwungen sein wird; das Gericht stellt nicht auf den Vertragsschlusszeitpunkt ab, sondern darauf, dass der Käufer dies auch im vorhergesehenen Lieferzeitpunkt noch nicht wissen konnte. 4 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 49 Rz. 2, 8; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 49 Rz. 8; s. auch BGH v. 3.4.1996 – VIII 51/95, BGHZ 132, 290 (296) „wenigstens regelmäßig keine Nichtlieferung“.
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Benicke 91
319
Teil B Rz. 320
Warenhandel
fer, sondern der Verkäufer. Es genügt daher, wenn der Käufer die ordnungsgemäße Absendung nachweisen kann. aa) Nachfristsetzung 320
Die Erklärung muss keine Ablehnungsandrohung oder die Ankündigung eines bestimmten Rechtsbehelfs enthalten1, aber hinreichend bestimmt zum Ausdruck bringen, dass der Käufer auf Erfüllung innerhalb der Nachfrist besteht2, weil es nur dann gerechtfertigt ist, die besonderen Rechtsfolgen an die Nachfristsetzung zu knüpfen. Ausreichend ist aber noch eine Formulierung wie „Lieferung bis 30.11. ist uns sehr wichtig“3. Notwendig ist daher auch die Setzung einer bestimmten Frist, etwa bis Ende des Monats, innerhalb von 2 Wochen. Keine Fristsetzung stellt das Verlangen nach sofortiger Lieferung dar4.
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Anders als überwiegend angenommen5, ist nicht zu verlangen, dass die Fristsetzung erst nach dem Fälligkeitstermin erklärt werden kann6. Hat der Käufer dem Verkäufer bereits vor Fälligkeit, etwa weil eine Verzögerung der Erfüllung abzusehen war, eine Frist gesetzt, bis zu der er spätestens bereit sei, nach Fälligkeit die Lieferung abzunehmen, so wäre es ungerechtfertigter Formalismus, eine erneute Fristsetzung nach dem Fälligkeitstermin zu verlangen. Im Interesse des Verkäufers muss die Frist nur so bemessen sein, dass ihm eine angemessene Frist nach Fälligkeit gewährt wird. Selbstverständlich ändert die einseitige Fristsetzung nicht die Erfüllbarkeit zu dem vertraglich vorgesehenen Fälligkeitstermin7.
322
Für die Bestimmung der angemessenen Länge der Frist sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie etwa Grund der Verzögerung, Transportzeiten für die Ware und für die Erklärung der Nachfrist, Eilbedürftigkeit des Leistungsaustauschs nach der vertraglichen Vereinbarung, Umfang und Schwierigkeit der Lieferung8. Da es sich um eine Nachfrist nach Fälligkeit handelt, ist sie grundsätzlich kurz zu bemessen. Dem Verkäufer, der die erforderlichen Maßnahmen für die Erfüllung unterlassen hat, muss nicht die Möglichkeit gegeben werden, diese nachzuholen9.
323
Das Setzen einer unangemessen kurzen Frist setzt eine angemessene Frist in Gang10. Der Käufer hat ein berechtigtes Interesse daran, eine zwar angemessene, aber knappe Frist zu setzen. Würde eine zu kurz bemessene Frist eine wirksame Nachfristsetzung verhindern, wäre der Käufer einem erheblichen Risiko ausgesetzt11. Der Verkäufer wird dadurch nicht ungebührlich belastet. Hält der Verkäufer die Frist für unangemes1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
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Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 47 Anm. 1. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 47 CISG Rz. 18. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 47 CISG Rz. 16. Secretariat Commentary, Art. 43 Anm. 7; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 47 Anm. 1; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 47 CISG Rz. 16 f. Saenger in Bamberger/Roth/BGB, Art. 47 Rz. 4; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 47 Rz. 9, Art. 63 Rz. 10; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 63 Rz. 5; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 63 CISG Rz. 10. Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 63 Anm. 2.3. Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 63 Anm. 2.3; unzutreffend insoweit Knapp in Bianca/Bonell, Art. 63 Anm. 2.4. Schnyder/Straub in Honsell, Art. 47 Rz. 23 f.; Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 47 Rz. 6; Magnus in Staudinger, Art. 47 CISG Rz. 19. Honsell, SJZ 1992, 345 (353); Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 47 Rz. 6. Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel, Art. 47 Rz. 3, 7; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 47 CISG Rz. 20 (mit Hinweis auf OLG Celle v. 24.5.1995 – 20 U 76/94); für Art. 49 Abs. 1 lit. b Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 47 Rz. 8; a.A. Schnyder/Straub in Honsell, Art. 47 Rz. 24a. Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 47 Rz. 3.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 328
Teil B
sen kurz, so kann er die Erfüllung noch innerhalb der angemessenen Frist anbieten und damit ein Aufhebungsrecht des Käufers nach Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG verhindern. bb) Fristen für die Aufhebungserklärung Die Aufhebung des Vertrages tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern muss durch den Käufer erklärt werden. Es genügt die Absendung der Aufhebungserklärung. Das Übermittlungsrisiko trägt nach Art. 27 CISG der Verkäufer. Art. 49 Abs. 2 CISG unterscheidet hinsichtlich der Frist für die Aufhebungserklärung danach, ob eine Lieferung erfolgt ist oder nicht.
324
Vor Lieferung der Ware läuft keine Frist. Der Käufer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Aufhebung zu erklären und ein Deckungsgeschäft abzuschließen. Grenzen können sich aber aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 7 Abs. 1 CISG) und aus der Schadensminderungspflicht (Art. 77 CISG) ergeben1.
325
Nach Lieferung der Ware hat der Käufer die Aufhebung innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären. Die Lieferung der Ware lässt das Recht zur Aufhebung auch dann nicht entfallen, wenn das Aufhebungsrecht auf der Verspätung der Lieferung beruht, aber bei Lieferung bereits entstanden war, etwa weil ein Fixgeschäft vereinbart oder die angemessene Nachfrist abgelaufen war2.
326
Ist die Lieferung der Ware erfolgt und hat der Käufer ein Recht zur Aufhebung des Vertrages wegen einer anderen Vertragsverletzung als verspäteter Lieferung, so muss er nach Art. 49 Abs. 2 lit. b Unterabs. i CISG die Aufhebung in angemessener Frist nach Kenntnis oder Kennenmüssen der wesentlichen Vertragsverletzung erklären. Praktisch bedeutsam ist dies für die Fälle der Lieferung vertragswidriger Ware oder mit einem Rechtsmangel behafteter Waren. Während eine nach Art. 47 Abs. 1 CISG gesetzte Nachfrist läuft, kann der Käufer gemäß Art. 47 Abs. 2 CISG die Aufhebung des Vertrages nicht erklären. Entfiele dadurch das Aufhebungsrecht des Käufers wegen Fristablaufs nach Art. 49 Abs. 2 lit. b Unterabs. i CISG, wäre die Nachfristsetzung bei wesentlicher Vertragsverletzung, die nicht in der Nichtlieferung besteht, für den Käufer mit einem großen Risiko verbunden. Die Setzung einer Nachfrist verlöre für den Käufer an Interesse. Dies widerspräche dem Ziel des CISG, die Durchführung des Vertrages zu fördern. Unterabsatz ii des Art. 49 Abs. 2 lit. b CISG gewährt daher dem Käufer eine angemessene Frist für die Erklärung der Aufhebung nach (erfolglosem) Ablauf der Nachfrist3. Wenn der Verkäufer vorher erklärt, die Pflicht nicht innerhalb der Nachfrist zu erfüllen, endet damit bereits die Bindung des Käufers. Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Käufer die Erklärung erhält4.
327
Streitig ist, ob der Käufer, der die Frist nach Art. 49 Abs. 2 lit. b Unterabs. i CISG versäumt hat, durch die Setzung einer Nachfrist gemäß Art. 47 CISG aufgrund von Art. 49 Abs. 2 lit. b Unterabs. ii CISG erneut ein Aufhebungsrecht erlangen kann5. Richtigerweise ist dies abzulehnen, weil sonst die Fristenregelung nach Unterabsatz i weit-
328
1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 49 Rz. 18. 2 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 147; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 49 CISG Rz. 34. 3 S. auch Schnyder/Straub in Honsell, Art. 49 Rz. 58, die dieses Ergebnis bereits durch Auslegung des Begriffs der Angemessenheit für möglich halten; ähnlich Will in Bianca/Bonell, Art. 49 Anm. 2.2.1.2. 4 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 49 Rz. 26. 5 Dafür Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 49 Rz. 36; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 49 Anm. 10 f.; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 5 Rz. 313; dagegen Magnus in Staudinger/BGB, Art. 49 CISG Rz. 42; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 49 Rz. 85; Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 49 Rz. 27.
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Teil B Rz. 329
Warenhandel
gehend leer läuft und der Verkäufer nach Ablauf der Frist nach Unterabsatz i in seinem Vertrauen auf den Ausschluss des Aufhebungsrechts schutzwürdig ist1. 329
Der Käufer, der auf die Aufforderung nach Art. 48 Abs. 2 CISG schweigt, darf ebenfalls während der vom Verkäufer für die Nacherfüllung vorgeschlagenen Frist die Aufhebung des Vertrages nicht erklären. Wiederum würde es für den Käufer ein großes Risiko darstellen, die Nacherfüllung zuzulassen, wenn er dadurch sein Aufhebungsrecht wegen Fristablaufs verlöre. Wie Art. 49 Abs. 2 lit. b Unterabs. ii CISG sieht daher auch Unterabsatz iii vor, dass der Käufer die Vertragsaufhebung noch erklären kann, wenn der Verkäufer innerhalb der Frist nicht erfüllt hat. 7. Minderung
330
Bei Lieferung einer vertragswidrigen Ware durch den Verkäufer kann der Käufer nach Art. 50 CISG den Kaufpreis mindern. Das Minderungsrecht steht nach Art. 50 Satz 2 CISG unter dem Vorbehalt der Behebung des Mangels durch den Verkäufer. Auch wenn der Käufer bereits bei Rüge des Mangels nach Art. 39 CISG die Minderung erklärt, kann der Verkäufer noch nach Art. 48 CISG nachbessern oder Ersatz liefern. Wenn die Behebung des Mangels durch den Verkäufer in Betracht kommt, ist es in der Praxis für den Käufer ratsam, dem Verkäufer hierfür eine angemessene Nachfrist zu setzen. Nach Ablauf der Frist ist eine Behebung i.S. von Art. 48 CISG dem Käufer i.d.R. nicht mehr zumutbar. Eine formelle Voraussetzung ist die Nachfristsetzung für die Minderung aber nicht2.
331
Die Minderung hat im UN-Kaufrecht nur eine geringe praktische Bedeutung, weil der Käufer bei Lieferung einer vertragswidrigen Ware einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch hat, der auch den Minderwert der Ware erfasst. Daher kommt auch dem Streit, ob Minderung auch bei einem Rechtsmangel möglich ist, keine praktische Bedeutung zu3.
332
Die Durchführung der Minderung erfolgt nach Art. 50 CISG dadurch, dass der Käufer den Kaufpreis entsprechend kürzen und einem Zahlungsverlangen des Verkäufers die Minderung als Einrede entgegenhalten oder einen bereits zu viel gezahlten Betrag zurückfordern kann4. Die zeitlichen Grenzen für die Geltendmachung der Minderung ergeben sich nur aus der Verjährung5. Die Frage, ob der Verkäufer nach Art. 27 CISG das Übermittlungsrisiko der Erklärung trägt, ist daher ohne Bedeutung6. 8. Teillieferung und Teilmangel
333
Nach Art. 51 CISG kann der Käufer im Fall, dass der Verkäufer nur einen Teil der Ware nicht liefert oder nur ein Teil der Ware nicht vertragsgemäß ist, die Rechtsbehelfe nach Art. 46 bis Art. 50 CISG für diesen Teil geltend machen. Die Rechtsbehelfe sind grundsätzlich auf den Teil beschränkt, der nicht oder nicht vertragsgemäß geliefert wurde.
334
Die Zuweniglieferung stellt zum einen eine Vertragswidrigkeit i.S. von Art. 35 CISG dar. Sie ist aber gleichzeitig eine teilweise Nichterfüllung und eröffnet damit auch die Rechtsbehelfe, die bei der Nichtlieferung gegeben sind, nur eben grundsätzlich be1 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 49 Rz. 27. 2 Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 50 Rz. 6 a.E. 3 S. dazu Schnyder/Straub in Honsell, Art. 50 Rz. 11; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 50 CISG Rz. 10. 4 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 50 Rz. 16. 5 Das ist unstreitig; s. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 50 CISG Rz. 17. 6 A.A. anscheinend Karollus, UN-Kaufrecht, S. 158.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 338
Teil B
grenzt auf den fehlenden Teil1. Der Käufer kann daher wegen des nicht gelieferten Teils Erfüllung nach Art. 46 Abs. 1 CISG verlangen, eine Nachfrist nach Art. 47 CISG setzen und bei erfolglosem Ablauf den Vertrag hinsichtlich des Teils aufheben, Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG. Der Verkäufer hat ein Recht zur Nacherfüllung nach Art. 48 CISG. Die Aufhebung des gesamten Vertrages kann der Käufer nur verlangen, wenn die Vertragsverletzung für den gesamten Vertrag als wesentlich zu beurteilen ist. Eine nur begrenzte Störung soll die ansonsten ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages möglichst unberührt lassen2.
335
Voraussetzung ist die Teilbarkeit der verkauften Ware. Die verschiedenen Teile können gleichartig (100 Sack Kaffee) oder ungleichartig (100 Stahlträger verschiedener Abmessungen) sein3. Keine Teilbarkeit liegt bei einer nach der Verkehrsanschauung einheitlichen Sache vor, die mehrere Bestandteile hat, wie etwa bei einer Maschinenanlage oder einem mehrbändigen Lexikon4.
336
Den Käufer trifft nicht nur bei teilweise vertragswidriger Ware, sondern auch bei teilweise fehlender Ware die Rügeobliegenheit nach Art. 39 CISG5. Sie entfällt nicht, wenn offen zuwenig geliefert wird, indem etwa im Lieferschein und/oder in der Rechnung die geringere Menge angegeben und auch nur berechnet wird. Der Verkäufer kannte zwar die Vertragswidrigkeit, hat sie dem Käufer aber offenbart (Art. 40 CISG)6. Bei versäumter Rüge verliert der Käufer das Recht auf Schadensersatz, Nacherfüllung oder Aufhebung. Er hat aber nur den der offen gelegten Menge entsprechenden Kaufpreis zu bezahlen7. Bei verdeckter Zuweniglieferung, d.h. wenn nach Lieferschein oder Rechnung die gesamte Menge geliefert sein soll, führt die versäumte Rüge dazu, dass der Käufer die gesamte Menge bezahlen muss, wenn er nicht beweisen kann, dass der Verkäufer die Zuweniglieferung kannte, Art. 40 CISG8.
337
VII. Pflichten des Käufers 1. Kaufpreiszahlung a) Modalitäten Nach Art. 53 CISG ist der Käufer verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen und die Ware abzunehmen. Das CISG enthält keine Regelungen über die Modalitäten der Zahlung. Mangels Vereinbarung oder einschlägiger Bräuche kann der Kaufpreis entweder bar oder durch Überweisung auf ein Konto des Verkäufers erfolgen9. Aufgrund einer Vereinbarung kann der Käufer berechtigt bzw. verpflichtet sein, den Kaufpreis durch Scheck oder Wechsel zu bezahlen. Für die Einhaltung der Zahlungsfrist ist grundsätzlich die Entgegennahme des später eingelösten Schecks oder Wechsels maßgeb1 Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 316; Lüderitz/Schüßler-Langeheine in Soergel/BGB, Art. 51 Rz. 3 Fn. 5; Magnus in Staudinger, Art. 51 CISG Rz. 7, 12; anders Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 66 f.: Nachlieferungsanspruch unter den Voraussetzungen von Art. 46 Abs. 3 Satz 1. 2 Will in Bianca/Bonell, Art. 51 Anm. 2.1; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 51 Rz. 2. 3 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 51 Rz. 8 f.; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 159. 4 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 51 Rz. 10; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 51 CISG Rz. 4. 5 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 51 Rz. 7 f. 6 Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 51 Rz. 8; Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 51 Rz. 9 f.; a.A. Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 35 Anm. 3, Art. 51 Anm. 1. 7 Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 51 Rz. 10. 8 Huber in Schlechtriem, 3. Aufl. 2000, Art. 51 Rz. 11. 9 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 3; Mohs in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 53 Rz. 10; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 53 CISG Rz. 8.
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Teil B Rz. 339
Warenhandel
lich1. Erfüllung tritt aber erst ein, wenn dem Käufer der Geldbetrag ausgezahlt oder gutgeschrieben wird2. 339
Zur Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen, gehört es nach Art. 54 CISG auch, die Maßnahmen zu treffen und die Förmlichkeiten zu erfüllen, die der Vertrag oder Rechtsvorschriften erfordern, damit die Zahlung geleistet werden kann. Der Käufer muss auf seine Kosten3 alle Erfordernisse, etwa die des Devisenrechts, erfüllen, deren Einhaltung faktisch erforderlich ist, damit der Verkäufer den Kaufpreis erhält und über ihn verfügen kann4. Der Verkäufer kann nach Treu und Glauben (Art. 7 Abs. 1 CISG) zur Mitwirkung verpflichtet sein5.
340
Besondere Pflichten des Käufers im Zusammenhang mit der Kaufpreiszahlung, etwa die Pflicht, ein Akkreditiv zu eröffnen oder eine bankmäßige Sicherheit beizubringen, können sich aus der vertraglichen Vereinbarung, aus Gepflogenheiten der Parteien oder Handelsbräuchen ergeben6.
341
Die Bedeutung von Art. 54 CISG liegt darin, dass die danach erforderlichen Handlungen Teil der Pflicht zur Kaufpreiszahlung sind. Nimmt der Käufer die Handlungen nicht vor, indem er etwa ein Akkreditiv nicht eröffnet, stellt dies nicht lediglich einen antizipierten Vertragsbruch nach Art. 71–73 CISG dar. Der Verkäufer kann vielmehr die Rechtsbehelfe wegen Nichterfüllung der Pflicht zur Kaufpreiszahlung geltend machen, insbesondere nach Art. 64 Abs. 1 lit. b CISG vorgehen7.
342
Eine Haftung des Käufers auf Schadensersatz kann nach Art. 79 Abs. 5 CISG entfallen. Eine solche Entlastung ist wohl kaum bei vertraglich übernommenen Pflichten, wie die, eine Garantie beizubringen oder einen Akkreditiv zu eröffnen, denkbar. Möglich ist aber, dass der Käufer alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um eine staatliche Genehmigung, etwa eine Devisengenehmigung zu erreichen, diese aber aus einem von ihm nicht beeinflussbaren Grund dennoch verweigert wird8. Der Käufer hat Rechtsmittel gegen eine Versagung einzulegen, wenn sie nicht offensichtlich aussichtslos sind. Zu illegalen Maßnahmen wie Bestechung ist er nicht verpflichtet9. b) Währung
343
Streitig ist, in welcher Währung der Kaufpreis zu bezahlen ist, wenn die Parteien hierüber keine Vereinbarung getroffen haben und auch keine einschlägigen Gepflogenheiten oder Gebräuche (Art. 9 CISG) bestehen. Verbreitet wird insoweit das Internationale Privatrecht des forum herangezogen und die Währung nach dem danach anwendbaren Recht bestimmt10. Besser ist es aber, eine Lückenfüllung nach den allgemeinen Grundsätzen des CISG vorzunehmen (Art. 7 Abs. 2 CISG), um in diesem wichtigen Punkt eine einheitliche Regelung zu erzielen. Danach ist die Währung am Ort maßgebend, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Magnus in Staudinger/BGB, Art. 53 CISG Rz. 8. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 3. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 54 CISG Rz. 10. Secretariat Commentary, Art. 50 Anm. 2; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 54 Rz. 3. Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 54 Rz. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 54 CISG Rz. 5. Secretariat Commentary Art. 50 Anm. 2; für Akkreditiv OGH v. 6.2.1996 – 10 Ob 518/95, ZfRV 1996, 248 (253); Bezirksgericht Saane v. 20.2.1997 – T 171/95, SZIER 1999, 195 (197). Mohs in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 54 Rz. 8. Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 54 Rz. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 54 CISG Rz. 9; i.E. auch Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 54 Anm. 6.1. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 54 CISG Rz. 6. Kantonsgericht Wallis v. 30.6.1998 – Cl 98 9, SZIER 1999, 192; Maskow in Bianca/Bonell, Art. 54 Anm. 3.1; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 5; Schnyder/ Straub in Honsell, Art. 54 Rz. 26.
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Rz. 348
Teil B
an dem die Zahlung zu erfolgen hat, d.h. nach Art. 57 Abs. 1 lit. a CISG i.d.R. am Sitz des Verkäufers, da der Verkäufer dort die Zahlung erhält und verwenden muss1. Bei vertraglicher Bestimmung der Währung ist der Käufer nach dem CISG anders als nach § 244 Abs. 1 BGB nicht berechtigt, statt dessen immer auch in der Währung des Zahlungsortes zu zahlen2. In vielen Ländern sind Fremdwährungskonten verbreitet und nach Art. 54 CISG ist grundsätzlich der Käufer verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, damit der Kaufpreis dem Verkäufer so wie vereinbart zur Verfügung steht. Der Verkäufer muss sich darauf verlassen können, den Kaufpreis in der vereinbarten Währung zu erhalten, weil er Maßnahmen wie Kurssicherungsgeschäfte getätigt haben kann, die sonst ihren Sinn verlieren3.
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Ein Wahlrecht des Verkäufers hinsichtlich der Währung, mit der er erfüllt, ist abzulehnen, weil dies eine einseitige Bevorzugung des Verkäufers darstellen würde4. Nur wenn eine Zahlung in der eigentlich geschuldeten Währung nicht möglich ist, muss der Käufer nach Treu und Glauben in der Währung seines Sitzlandes zahlen5.
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c) Erfüllungsort Der Erfüllungsort der Kaufpreiszahlungspflicht richtet sich primär nach der Parteivereinbarung (Art. 57 CISG). Bei Vereinbarung eines Dokumentenakkreditivs ist im Zweifel mitvereinbart, dass die Zahlung am Sitz der eröffnenden oder avisierenden Bank zu erfolgen hat6. Die Benennung einer Bankverbindung erlaubt dem Käufer, durch Zahlung auf das angegebene Konto mit befreiender Wirkung zu leisten. Der Kaufpreisschuld wird getilgt, wenn der Kaufpreis dem Verkäufer auf dem Bankkonto gutgeschrieben wird. Dadurch wird aber kein Erfüllungsort am Sitz der Bank bestimmt, der etwa eine gerichtliche Zuständigkeit begründen würde7.
346
Wenn die Zahlung Zug um Zug gegen Übergabe der Ware oder von Dokumenten zu leisten ist, hat nach Art. 57 Abs. 1 lit. b CISG die Zahlung an dem Ort zu erfolgen, an dem die Übergabe stattfindet. Zahlungsklauseln, die die Zug-um-Zug-Leistung ausdrücklich vorsehen, sind etwa „Kasse gegen Dokumente“; „Bezahlung mit bankbestätigtem Scheck bei Abnahme“8.
347
Ist der Kaufpreis nicht Zug um Zug zur Lieferung der Ware oder Übergabe der Dokumente zu bezahlen, besteht also eine Vorleistungspflicht entweder des Käufers oder des Verkäufers, so hat die Zahlung nach Art. 57 Abs. 1 lit. a CISG an der Niederlassung (Art. 10 CISG) des Verkäufers zu erfolgen. Maßgeblich ist nach Art. 57 Abs. 2 CISG die Niederlassung des Verkäufers im Zeitpunkt der Zahlung, nicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Bei einem Wechsel der Niederlassung wird damit dem Interesse des Verkäufers Rechnung getragen, die Zahlung an seiner neuen Niederlassung zu erhal-
348
1 OLG Koblenz v. 27.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (936 f.); KG v. 24.1.1994 – 2 U 7418/92, RIW 1994, 683; Audit, Vente internationale, Rz. 147; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 167; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 127; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 54 Rz. 3; ähnlich Magnus in Staudinger/BGB, Art. 53 CISG Rz. 20, 22. 2 Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 126; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 53 CISG Rz. 28; a.A. Kantonsgericht Wallis v. 30.6.1998 – Cl 98 9, SZIER 1999, 192; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 6; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 53 Rz. 3. 3 Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 126. 4 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 54 Rz. 27 f.; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 53 Rz. 3; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 53 CISG Rz. 30; a.A. Kantonsgericht Wallis v. 30.6.1998 – Cl 98 9, SZIER 1999, 192; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 6. 5 Mohs in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 53 Rz. 9. 6 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 57 CISG Rz. 8. 7 Zivilgericht Basel-Stadt v. 3.12.1997 – P4 1996/00448, SZIER 1999, 190; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 57 Rz. 2; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 57 CISG Rz. 8. 8 Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 57 Rz. 4.
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Teil B Rz. 349
Warenhandel
ten. Die Interessen des Käufers werden dadurch gewahrt, dass er Mehrkosten, etwa höhere Überweisungskosten oder Kosten für die Erfüllung devisenrechtlicher Bestimmungen, ersetzt verlangen kann1, d.h. im Ergebnis einen um diese Mehrkosten geringeren Kaufpreis zahlen muss. Eine sachgerechte Berücksichtigung der Interessen des Käufers verlangt auch, dass der Verkäufer ein zusätzliches Übermittlungsrisiko tragen muss2. Allerdings hat der Käufer zu beweisen, dass Verlust oder Verzögerung gerade auf dem veränderten Erfüllungsort beruhen. Hat der Käufer keine Kenntnis von dem Wechsel der Niederlassung3, so hat der Verkäufer nach Art. 80 CISG außerdem die Kosten zu tragen, die sich aus einem vergeblichen Zahlungsversuch an der alten Niederlassung ergeben, und kann aus einer dadurch verursachten Verspätung der Zahlung keine Rechte herleiten4. Absatz 2 gilt analog, wenn der Verkäufer die Kaufpreisforderung abtritt und der Käufer nach dem anwendbaren nationalen Recht nun an den neuen Gläubiger zahlen muss5. d) Gerichtsstand des Erfüllungsortes 349
Die einschlägigen zivilverfahrensrechtlichen Regelungen sehen vielfach einen besonderen Gerichtsstand am Erfüllungsort einer Verpflichtung vor und verweisen insoweit auf den materiellrechtlichen Erfüllungsort. Ist Erfüllungsort für den Kaufpreis nach lit. a die Niederlassung des Verkäufers, so kann der Verkäufer den Käufer bei seinem Heimatgericht auf Zahlung verklagen. Dieser Klägergerichtsstand wird zu Recht verbreitet für sachlich ungerechtfertigt gehalten6. Abhilfe ist aber nur über eine Änderung der zivilverfahrensrechtlichen Vorschrift möglich, wie dies nun in Art. 5 Nr. 1 EuGVO und Art. 5 Abs. 1 LugÜ im Gegensatz zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ erfolgt ist7. e) Fälligkeit aa) Zeitpunkt
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Die Fälligkeit der Kaufpreiszahlungspflicht richtet sich wiederum primär nach der Parteivereinbarung. Fehlt es an einer Vereinbarung, bestimmt Art. 58 Abs. 1 CISG, dass die Zahlung Zug um Zug zur Übergabe der Ware oder der Dokumente zu erfolgen hat, die zur Verfügung über die Ware berechtigen. Beim Versendungskauf erfüllt der Verkäufer seine Lieferpflicht durch Übergabe der Ware an die erste Transportperson. Er kann nach Art. 57 Abs. 2 CISG die Übergabe der Ware oder der Dokumente, die zur Verfügung über die Ware berechtigen, davon abhängig machen, dass der Käufer den Kaufpreis zahlt. Nach Art. 57 Abs. 3 CISG ist der Käufer aber befugt, die Ware kurz auf ihre Identität und leicht erkennbaren Eigenschaften zu untersuchen, bevor er den Kaufpreis zahlt. 1 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 57 Rz. 9. 2 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 57 Rz. 23; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 57 Rz. 9; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 57 CISG Rz. 17; a.A. Saenger in Bamberger/Roth/ BGB, Art. 57 Rz. 2; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 142. 3 Das Übermittlungsrisiko einer Änderungsmitteilung muss aufgrund der Wertung von Art. 80 der Verkäufer tragen; s. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 57 Rz. 11. 4 Saenger in Bamberger/Roth/BGB, Art. 57 Rz. 2; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 57 Rz. 11; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 57 Rz. 10. 5 Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 57 Rz. 11; Hager/Maultzsch in Schlechtriem/ Schwenzer (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), 5. Aufl. 2008, Art. 57 Rz. 8; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 57 CISG Rz. 18; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 57 Rz. 10; Mohs in Schlechtriem/Schwenzer, Art. 57 Rz. 21; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 142. 6 S. Vorlageentscheidung BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, IPRax 1992, 373 = EuZW 1992, 514 zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ; kritisch etwa Schack, Der Erfüllungsort, Rz. 204; Schwenzer, IPRax 1989, 274; s. auch Kropholler, IPR, § 58 III.2. 7 S. dazu Kropholler, IPR, § 58 III.2.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 355
Teil B
bb) Eintritt der Fälligkeit Die Fälligkeit des Kaufpreises tritt zu der vereinbarten Zeit oder zu dem nach Art. 58 CISG bestimmten Zeitpunkt von selbst ein, ohne dass es einer Aufforderung durch den Verkäufer bedürfte (Art. 59 CISG). Wenn der Kaufpreis in der Höhe noch unbestimmt ist, tritt die Fälligkeit aber erst nach Ablauf einer angemessenen Frist nach Rechnungsstellung durch den Verkäufer ein1. Die Notwendigkeit einer Rechnungsstellung oder einer anderen Erklärung kann sich auch aus Parteivereinbarung (Art. 6 CISG), Gepflogenheiten oder Gebräuchen (Art. 9 CISG) ergeben.
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2. Abnahme der Ware Nach Art. 60 CISG hat der Käufer die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die vernünftigerweise von ihm erwartet werden können, damit dem Verkäufer die Lieferung ermöglicht wird, und die Ware zu übernehmen.
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a) Übernahme der Ware Die Abnahmepflicht beinhaltet die körperliche Übernahme der Ware an dem Ort, an dem sie nach dem Vertrag dem Käufer zur Verfügung zu stellen ist2. Bei der Holschuld hat der Käufer die bereitgestellte Ware auf das mitgebrachte Beförderungsmittel zu laden und abzutransportieren3. Bei der Schick- oder Bringschuld hat mangels anderer Vereinbarung, Bräuche oder Gepflogenheiten der Käufer die angelieferte Ware abzuladen4. Allerdings kann der Verkäufer seinerseits nach Treu und Glauben zur Mitwirkung beim Abladen verpflichtet sein. Beim Verkauf eingelagerter Ware besteht die Abnahme nicht nur in der Übernahme der Dokumente durch den Käufer5. Der Verkäufer hat ein Interesse daran, selbst von der Sorge für die Ware enthoben zu werden6. Der Käufer erfüllt daher seine Abnahmepflicht erst, wenn er die Ware tatsächlich abholt7 oder mit dem Lagerhalter vereinbart, dass dieser sie nun für ihn aufbewahrt8.
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b) Mitwirkungshandlungen Oft bestimmt der Vertrag ausdrücklich, dass der Käufer bestimmte Mitwirkungshandlungen vornehmen muss, die für die Erfüllung der Lieferpflicht durch den Verkäufer erforderlich sind. So hat der Käufer etwa bei der Lieferklausel „fob“ das Schiff zu chartern und dem Verkäufer Namen des Schiffes, Abladezeitpunkt und Abladeort zu nennen9.
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Die in Art. 60 CISG statuierte allgemeine Kooperationspflicht ist eine besondere Ausprägung von Treu und Glauben10. Die vernünftigerweise von dem Käufer zu erwartenden Mitwirkungshandlungen sind durch eine Abwägung der Interessen beider Parteien
355
1 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 170; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 59 CISG Rz. 5. 2 Heuzé, Vente internationale, Anm. 334; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 17 f.; Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 60 Anm. 2. 3 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 531. 4 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 5; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UNKaufrecht, Rz. 532. 5 So aber Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 5. 6 S. Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 343. 7 Insoweit auch Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 19a. 8 Anders Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 19a, die bei einer bloßen Anweisung des Verkäufers eine „Übernahmemanifestation“ auch in Form der einseitigen Erklärung des Lagerhalters, die Ware nun für den Käufer zu besitzen, genügen lassen. Im Falle einer Zwischenlagerung soll die Ware jedenfalls nach Ablauf einer angemessenen Frist als übernommen gelten. 9 Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 60 Rz. 2. 10 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 26; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 9.
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Teil B Rz. 356
Warenhandel
auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung zu bestimmen. So hat der Käufer die für eine Montage durch den Verkäufer erforderlichen Vorbereitungshandlungen vorzunehmen1. Der Käufer kann zu einem Hinweis auf besondere Verhältnisse im Käuferland verpflichtet sein, die für die Erfüllung der Lieferpflicht bedeutsam sind (Klima, Verkehrsverhältnisse)2. Von sich aus hat er einen solchen Hinweis nur bei ihm erkennbarer besonderer Bedeutung und zu erwartender Unkenntnis des Verkäufers zu geben. Weitergehend ist er aber auf Nachfrage des Verkäufers zu einer korrekten Antwort verpflichtet. 356
Wer die Zoll- oder anderen Aus- und Einfuhrformalitäten zu erledigen hat, bestimmt sich mangels besonderer Vereinbarung danach, ob eine Schick-, Hol- oder Bringschuld vereinbart ist. Nach Art. 60 CISG kann der Käufer aber verpflichtet sein, den Verkäufer dabei zu unterstützen3, ihm etwa die notwendigen Angaben, z.B. über den Verwendungszweck, zu machen, damit dieser die von ihm zu erledigenden Formalitäten erfüllen kann. Wird eine Importgenehmigung nur auf Antrag des Käufers, nicht aber des Verkäufers erteilt, so ist der Käufer verpflichtet, sie zu beantragen, auch wenn es sich um eine Schickschuld handelt und der Verkäufer grundsätzlich alle Einfuhrmodalitäten erledigen muss4. c) Zeitpunkt
357
Der Käufer ist zur Übernahme verpflichtet, wenn der Verkäufer die Ware liefern darf und ihm die Ware dem Vertrag entsprechend anbietet. Die erforderlichen Mitwirkungshandlungen hat der Käufer so rechtzeitig vorzunehmen, dass der Verkäufer fristgerecht liefern kann5. 3. Abnahmeverweigerung
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Der Käufer kann die Abnahme der Ware bei vorzeitiger Lieferung nach Art. 52 CISG berechtigterweise verweigern. Gleiches gilt bei der Zuviellieferung für die überschüssige Menge. Bemerkt der Käufer vor der Übernahme der Ware, dass diese einen Sachoder Rechtsmangel hat, so hat er nicht generell das Recht, die Abnahme zu verweigern. Ansonsten würde die Grundentscheidung des UN-Kaufrechts, Ersatzlieferung nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung zu gewähren, unterlaufen. Der Käufer hat die Ware vielmehr grundsätzlich zu übernehmen und kann wegen des Mangels Rechtsbehelfe geltend machen6. Die Abnahme bedeutet keine Billigung der Ware als grundsätzlich vertragsgemäß7.
359
Stellt der Mangel eine wesentliche Vertragsverletzung dar, kann der Käufer bereits die Übernahme der Ware verweigern, soweit er berechtigt ist, den Vertrag aufzuheben (Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG) oder Ersatzlieferung zu verlangen (Art. 46 Abs. 2 CISG), und die Ware in diesen Fällen an den Verkäufer zurückzugeben ist8. 1 Heuzé, Vente internationale, Anm. 329; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 531; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 11. 2 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 60 Rz. 3. 3 Heuzé, Vente internationale, Anm. 329. 4 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 11. 5 Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 32; Magnus in Staudinger/BGb, Art. 60 CISG Rz. 15. 6 OLG Frankfurt v. 18.1.1994 – 5 U 15/93, NJW 1994, 1013; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 11; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 174; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 21. 7 Heuzé, Vente internationale, Anm. 333; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel, Art. 60 Rz. 7; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 60 CISG Rz. 8. 8 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 53 Rz. 11; Schnyder/Straub in Honsell, Art. 60 Rz. 35; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 60 Rz. 8.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 365
Teil B
VIII. Rechtsbehelfe des Verkäufers bei Vertragsverletzungen des Käufers 1. Allgemeines Erfüllt der Käufer seine vertraglichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß, kann der Verkäufer Rechtsbehelfe geltend machen. Als Rechtsbehelfe kommen in Betracht der Anspruch auf ordnungsgemäße Erfüllung der Pflicht (Art. 62 CISG), die Vertragsaufhebung (Art. 64 CISG), der Anspruch auf Schadensersatz (Art. 61 Abs. 1 lit. b i.V. mit Art. 74–77 CISG).
360
Gegebenenfalls kann der Verkäufer auch einen Anspruch auf Zinsen nach Art. 78 CISG sowie das Recht haben, nach Art. 71 CISG die Erfüllung der eigenen Pflichten wegen einer absehbaren wesentlichen Vertragsverletzung des Käufers auszusetzen.
361
Wie bei den Rechtsbehelfen des Käufers wegen einer Vertragsverletzung des Verkäufers setzen auch die Rechtsbehelfe des Verkäufers nur eine objektive Vertragsverletzung voraus; ein schuldhaftes Verhalten ist nicht erforderlich1.
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2. Erfüllungsanspruch Der Erfüllungsanspruch ist im UN-Kaufrecht konzeptionell ein Rechtsbehelf. Der Verkäufer kann vom Käufer vollständige Erfüllung sämtlicher Pflichten aus dem Kaufvertrag verlangen: Neben der Zahlung des Kaufpreises auch die Abnahme der Ware und die Erfüllung von Nebenpflichten, die selbständig durchgesetzt werden können, wie z.B. Unterlassungs-, Informations-, Mitwirkungspflichten, Pflichten zur Zahlungssicherung oder zur Rückgabe von Verpackungsmitteln2. So kann der Verkäufer etwa bei Wettbewerbsverboten auch vorbeugenden Rechtsschutz geltend machen3.
363
Der Verkäufer kann die Erfüllung der Pflichten aus dem Kaufvertrag nicht verlangen, wenn er den Vertrag wirksam aufgehoben hat oder solange eine von ihm gesetzte Nachfrist (Art. 63 CISG) läuft4. Gleiches gilt auch, wenn er Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Pflicht verlangt5. Soweit der Verkäufer an die Aufhebungserklärung oder das Schadensersatzverlangen nicht gebunden ist, kann er aber wieder auf den Erfüllungsanspruch zurückkommen. Der Selbsthilfeverkauf nach Art. 88 CISG schließt die Erfüllung der Abnahmepflicht der Ware, nicht hingegen die der Kaufpreiszahlungspflicht aus6.
364
Der Verkäufer kann Zahlung des Kaufpreises und Abnahme der Ware im Unterschied zum EKG auch verlangen, wenn ein Deckungsverkauf möglich ist7. Der Vorschlag, die Erfüllungsansprüche durch eine Schadensminderungspflicht zu begrenzen, wurde bei den Vorarbeiten abgelehnt8. Da der Käufer durch die Nichtzahlung eine Vertragsverletzung begeht, ist es gerechtfertigt, den Verkäufer nicht mit dem Risiko zu belasten, durch zu langes Festhalten an der Vertragsdurchführung eigene Rechte zu verlieren. In krassen Fällen, wenn etwa der Käufer erklärt, die Ware nicht brauchen zu können, und der Verkäufer bewusst eine Wertminderung der Ware durch Festhalten an der Vertragsdurchführung eintreten lässt, ist der Erfüllungsanspruch wegen Rechtsmissbrauchs nach Art. 7 Abs. 1 CISG zu versagen9. Meist wird der Verkäufer von sich
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Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 61 Rz. 4. Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 62 Rz. 3. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 9. Knapp in Bianca/Bonell, Art. 62 Anm. 3.4, 3.5; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 13. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 13. Schnyder/Straub in Honsell, Art. 62 Rz. 16, 36; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 15. Secretariat Commentary Art. 58 Anm. 3 f.; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 8. O.R. S. 398, Nr. 78; s. dazu auch Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 419.3. S. Beispielsfall 77 E bei Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 419.3; wie hier auch Magnus in Staudinger/BGB, Art. 62 CISG Rz. 19.
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Teil B Rz. 366
Warenhandel
aus, nach Art. 75 CISG oder nach Art. 85, 87, 88 CISG vorgehen, anstatt auf eine Abnahme durch den Käufer zu bestehen1. 3. Aufhebung des Vertrages 366
Wie Art. 49 CISG für das Aufhebungsrecht des Käufers unterscheidet auch Art. 64 CISG für das Aufhebungsrecht des Verkäufers zwei Gründe. Zum einen kann der Verkäufer nach Art. 64 Abs. 1 lit. a CISG aufheben, wenn der Käufer eine wesentliche Vertragsverletzung i.S. von Art. 25 CISG begangen hat. Nach Art. 64 Abs. 1 lit. b CISG kann der Verkäufer ein Aufhebungsrecht durch Nachfristsetzung erlangen. Er kann den Vertrag aufheben, wenn der Käufer nicht innerhalb einer ihm vom Verkäufer gesetzten Nachfrist seine Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises oder zur Abnahme der Ware erfüllt oder wenn er erklärt, dass er dies nicht innerhalb der so gesetzten Frist tun wird. Die Möglichkeit des Verkäufers, durch Nachfristsetzung ein Recht zur Aufhebung zu erlangen, ist im Vergleich zu der des Käufers deutlich weiter: Ausreichend ist neben der Nichterfüllung der Pflicht zur Kaufpreiszahlung, auch die zur Abnahme der Ware. Außerdem gehören zur Kaufpreiszahlungspflicht nach Art. 54 CISG auch die Pflichten, die Maßnahmen zu treffen und die Förmlichkeiten zu erfüllen, die erforderlich sind, damit die Zahlung geleistet werden kann. Versäumt es der Käufer etwa, vereinbarungsgemäß ein Akkreditiv oder eine Einfuhrgenehmigung zu besorgen, so kann der Verkäufer ihm hierfür eine Nachfrist setzen und unabhängig von der Wesentlichkeit nach erfolglosem Fristablauf die Aufhebung erklären2.
367
Gleiches gilt für die Pflicht zur Abnahme, zu der nach Art. 60 lit. a CISG auch die erforderlichen Mitwirkungshandlungen gehören. Wenn der Käufer nach dem Vertrag den Frachtvertrag mit dem selbständigen Beförderer abzuschließen hat, so kann der Verkäufer ihm hierfür eine angemessene Nachfrist setzen und nach fruchtlosem Ablauf den Vertrag aufheben. Dieses Aufhebungsrecht besteht unabhängig davon, ob die Parteien der Nebenpflicht zur Kaufpreiszahlung oder der Abnahmepflicht eine besondere Bedeutung beigelegt haben3.
368
Für die Frist, innerhalb derer der Verkäufer die Aufhebung zu erklären hat, kommt es nach Art. 64 Abs. 2 CISG entscheidend darauf an, ob der Käufer den Kaufpreis bereits bezahlt hat oder nicht. Vor Kaufpreiszahlung läuft keine Frist.
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Nach Kaufpreiszahlung unterscheidet das UN-Kaufrecht danach, ob ein Fall verspäteter Erfüllung (Art. 64 Abs. 2 lit. a CISG) oder eine andere Vertragsverletzung vorliegt (Art. 64 Abs. 2 lit. b CISG). Art. 64 Abs. 2 lit. a CISG erfasst dabei grundsätzlich alle Pflichten und nicht nur die Zahlungs- und Abnahmepflicht4. Nach Art. 64 Abs. 2 lit. a CISG entfällt das Aufhebungsrecht, sobald der Verkäufer erfährt, dass der Käufer die Pflicht erfüllt hat. Richtigerweise ist Art. 64 Abs. 2 lit. a CISG auf die Fälle zu beschränken, in denen der Käufer die Pflicht, wenn auch verspätet, erfüllt hat5.
370
Art. 64 Abs. 2 lit. b CISG ist unstreitig auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Vertragsverletzung gerade nicht in der nicht rechtzeitigen Erfüllung besteht. Darüber hinausgehend ist Art. 64 Abs. 2 lit. b CISG aber auch heranzuziehen, solange sich der 1 Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 349; Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 62 Rz. 2. 2 OGH v. 6.2.1996 – 10 Ob 518/95, ZfRV 1996, 248, 253; Bezirksgericht Saane v. 20.2.1997 – T 171/95, SZIER 1999, 195 (197); Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 64 Rz. 4; Honnold/Flechtner, Uniform Law, Rz. 354; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 64 CISG Rz. 15. 3 Zu Recht kritisch Hellner, The UN Convention on International Sales of Goods – an Outsider’s View, in Jayme, Ius inter nationes, Festschrift für Riesenfeld, 1983, S. 71, 96. 4 Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 64 Rz. 16, a.A. noch in der Voraufl. (Benicke in MünchKomm/HGB, 2. Aufl. 2007, Art. 64 Rz. 16). 5 Str., s. Benicke in MünchKomm/HGB, Art. 64 Rz. 16–18b m.w.N.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 376
Teil B
Käufer mit der Erfüllung einer Pflicht (mit Ausnahme der Pflicht zur Kaufpreiszahlung) im Verzug befindet. Danach muss der Verkäufer die Aufhebung innerhalb einer angemessenen Frist erklären, nachdem er die Vertragsverletzung kannte oder kennen musste oder nachdem eine von ihm gesetzte Nachfrist für die Pflichterfüllung abgelaufen ist oder nachdem der Käufer erklärt hat, dass er seine Pflichten nicht innerhalb der Nachfrist erfüllen wird. Nach Ablauf der Frist kann der Verkäufer die Aufhebung wegen dieser Vertragsverletzung nicht mehr erklären und ist auf andere Rechtsbehelfe beschränkt. Da der Verkäufer den Kaufpreis erhalten hat, werden seine Interessen dadurch nicht unangemessen beeinträchtigt1.
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4. Spezifizierung durch den Verkäufer bei Nichtvornahme durch den Käufer Art. 65 CISG gewährt dem Verkäufer den besonderen Rechtsbehelf der Selbstspezifizierung. Die Parteien können einen wirksamen Vertrag schließen, die Bestimmung von Eigenschaften der Ware, wie Form, Farbe, Größe, Material etc. aber noch offen lassen und dem Käufer das Recht geben, sie nachträglich vorzunehmen. Ist der Vertrag fest geschlossen worden, so entspricht diesem Recht auch eine Pflicht, wenn der Verkäufer ansonsten seine Pflicht zur Lieferung der Ware nicht erfüllen kann.
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Wenn der Käufer die Spezifizierung nicht rechtzeitig bzw. nach einer Aufforderung nicht selbst vornimmt, kann der Verkäufer nach Art. 65 CISG die Spezifizierung nach den Bedürfnissen des Käufers, soweit ihm diese bekannt sind, selbst vornehmen. Dies ermöglicht dem Verkäufer, seinerseits seine Pflicht zur Lieferung aus dem Kaufvertrag zu erfüllen, so dass er vom Käufer Zahlung des vollen Kaufpreises verlangen kann. Allerdings legt Art. 65 Abs. 2 CISG dem Verkäufer auf, die von ihm vorgenommene Spezifizierung dem Käufer mitzuteilen und ihm eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb derer der Käufer noch eine eigene abweichende Spezifizierung vornehmen kann. Nur wenn der Käufer innerhalb dieser Frist keine eigene Spezifizierung vornimmt, wird die Spezifizierung durch den Verkäufer verbindlich.
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IX. Schadensersatz 1. Grundsatz Schadensersatz ist nach dem CISG der Mindestrechtsbehelf, den der Schuldner bei jeder Vertragsverletzung geltend machen kann. Die Anspruchsgrundlage ist für den Käufer Art. 45 Abs. 1 lit. b CISG und für den Verkäufer Art. 61 Abs. 1 lit. b CISG. Ein Verschulden ist nicht notwendig. Ausgeschlossen ist ein Schadensersatzanspruch aber mangels Zurechenbarkeit nach Art. 79 CISG, wenn die Nichterfüllung auf einem Hinderungsgrund beruht, der außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegt.
374
Der Umfang des zu ersetzenden Schadens wird in Art. 74, 75 und 76 CISG näher geregelt. Für den Umfang des zu ersetzenden Schadens kann es darauf ankommen, welche anderen Rechtsbehelfe der Gläubiger ausübt. So kann etwa bei gleichzeitiger Minderung der Schaden entfallen2. Besteht der Gläubiger auf Durchführung des Vertrages, so kann er keinen Schaden verlangen, der ihm dadurch entsteht, dass der Schuldner seine Leistungspflicht nicht erfüllt.
375
Art. 74 CISG enthält zum einen den Grundsatz der Totalreparation, d.h., zu ersetzen ist der gesamte eingetretene materielle Verlust des Gläubigers einschließlich eines ent-
376
1 S. Lüderitz/Budzikiewicz in Soergel/BGB, Art. 64 Rz. 19. 2 S. OLG Schleswig v. 22.8.2002 – 11 U 40/01, IHR 2003, 20 f.
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Warenhandel
gangenen Gewinns1. Ersetzt wird nicht nur das Integritätsinteresse, sondern auch das Erfüllungsinteresse. Immaterielle Beeinträchtigungen sind demgegenüber nicht ausgleichspflichtig. Da Personenschäden nach Art. 5 CISG vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen sind, kommt daher auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Körperverletzung nicht in Betracht. 377
Da die Schadensersatzpflicht den Ausgleich erlittener Schäden bezweckt, sind Vorteile, die dem Geschädigten durch die Vertragsverletzung entstanden sind, in Abzug zu bringen. Das gilt allerdings nicht für solche Vorteile, die wie Versicherungsleistungen oder freiwillige Leistungen Dritter nach dem Zweck der Schadensersatzpflicht nicht dem Schädiger zugutekommen sollen2.
378
Schadensersatz besteht immer in Geldleistung. Die Naturalrestitution ist dem CISG unbekannt. Grundsätzlich ist eine konkrete Schadensberechnung vorzunehmen. Zu vergleichen ist die tatsächliche Vermögenslage des Gläubigers mit derjenigen, die ohne die Vertragsverletzung gegeben sein würde3. So bestimmt Art. 75 CISG, dass bei einem Deckungskauf oder einem Deckungsverkauf, der in angemessener Weise und innerhalb einer angemessenen Zeit nach Vertragsaufhebung vorgenommen wird, die Differenz zwischen dem im Vertrag vereinbarten Preis und dem des Deckungskaufs oder des Deckungsverkaufs verlangt werden kann.
379
Ausnahmsweise ist nach Art. 76 CISG eine abstrakte Schadensberechnung zulässig, wenn der Vertrag wirksam aufgehoben worden ist und der Geschädigte kein Deckungsgeschäft abgeschlossen hat. Voraussetzung ist, dass sich für die Ware ein Marktpreis feststellen lässt. Dem Fehlen eines Deckungsgeschäfts steht es gleich, wenn der Geschädigte laufend Geschäfte über Waren dieser Art abschließt, so dass dem aufgehobenen Kaufvertrag kein bestimmtes Deckungsgeschäft zugeordnet werden kann4. Für den Begriff des Marktpreises kann auf Art. 55 CISG abgestellt werden. Es ist der Preis, der allgemein für Waren der gleichen Art berechnet wird, die in dem betreffenden Geschäftszweig unter vergleichbaren Umständen gehandelt werden5. 2. Vorhersehbarkeit
380
Die Schadensersatzpflicht wird aufgrund des Kriteriums der Vorhersehbarkeit des Schadens durch den Schuldner bei Vertragsschluss eingeschränkt. Die Begrenzung der Schadensersatzpflicht nach dem Kriterium der Vorhersehbarkeit geht auf das englische Recht zurück6. Zweck der Regelung ist es, dass jede Partei bei Vertragsschluss das Risiko berechnen kann, das sie durch den Vertrag eingeht, wenn sie eine Vertragspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt7.
381
Der Geschädigte trägt die Beweislast dafür, dass der Schädiger den Schaden vorhersehen konnte8. Allerdings sind die konkreten Erwartungen, welche die Parteien bei Vertragsschluss hatten, kaum je festzustellen. Regelmäßig kommt es daher auf die Erklä1 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 74 Rz. 10. 2 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 74 Rz. 12. 3 Secretary Commentary, Art. 70 Anm. 3; Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 74 Rz. 16; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 74 CISG Rz. 16, 26. 4 Secretary Commentary, Art. 72 Anm. 3; Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 75 Rz. 7; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 75 CISG Rz. 12; a.A. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 75 Rz. 4; Schönle/Th. Koller in Honsell, Art. 75 Rz. 21, die jedoch vor dem Deckungsgeschäft eine Anzeige, wie in Art. 88 I, II CISG vorausgesetzt, empfehlen. 5 OLG Celle v. 2.9.1998 – 3 U 246/97, IHR 2001, 107, 108; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 76 Rz. 6; Magnus in Staudinger, Art. 76 CISG Rz. 13. 6 Zentral ist die Entscheidung Hadley v. Baxendale 9 Ex. 341 (1854), 156 E.R. 145; umfassend zur Herkunft des Vorhersehbarkeitskriteriums Faust, S. 73 ff. 7 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 699. 8 OLG Bamberg v. 13.1.1999 – 3 U 83/98, CISG-online Nr. 516 = TranspR-IHR 2000, 17 f.
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UN-Kaufrecht (CISG)
Rz. 386
Teil B
rungen der Parteien und die sonstigen Umstände an. Praktikabel wird die Einschränkung durch die Vorhersehbarkeit durch die Herausbildung bestimmter Fallgruppen. So ist der Wert der Ware ohne Vertragswidrigkeit als Schaden wohl immer voraussehbar. Ein Weiterverkaufsgewinn, der über das Übliche hinausgeht, ist nur dann vorhersehbar, wenn es für den Schuldner hierzu besondere Hinweise gab. Gleiches gilt für ungewöhnlich hohe Vertragsstrafen oder Schadensersatzleistungen des Gläubigers an Dritte1. Für die Voraussehbarkeit von Folgeschäden, die durch eine vertragswidrige Ware verursacht werden, kommt es entscheidend darauf an, ob die konkrete Art der Verwendung der Ware, durch die diese Folgeschäden entstanden sind, bei Vertragsschluss dem Schuldner ersichtlich war2.
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3. Ausschluss von Schadensersatz nach Art. 79 CISG Der Schuldner ist nach Art. 79 Abs. 1 und 5 CISG von der Schadensersatzpflicht befreit, wenn die Nichterfüllung einer Pflicht auf einem Hinderungsgrund beruht, der außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegt, mit dem der Schuldner bei Vertragsschluss nicht rechnen musste und zu dessen Vermeidung oder Überwindung der Schuldner auch nicht verpflichtet ist. Maßgebend für die Beurteilung sind die Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten einer vernünftigen Person in der Lage des Schuldners. Ob der Schuldner zur Vermeidung oder Überwindung verpflichtet ist, richtet sich nach der vertraglichen und gesetzlichen Zuweisung des eingetretenen Risikos.
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Der Verkäufer, der die Ware leer verkauft, hat das Risiko einer Steigerung des Marktpreises grundsätzlich auch dann zu tragen, wenn sie extrem ausfällt3. Ausnahmen sind nur möglich, wenn ein bisher stabiler Markt nicht vorhersehbar zusammenbricht4. Zum Einflussbereich des Schuldners sind die Organisation seines Unternehmens5 und seine finanzielle Leistungsfähigkeit6 zu rechnen.
384
Für Verhalten von unselbstständig Beschäftigten hat der Schuldner immer wie für eigenes einzustehen7. Etwas Anderes gilt nur für Arbeitsniederlegungen und Streiks. Insoweit kommt es auf die Vorhersehbarkeit an. Regelmäßig sind Streiks aufgrund von Lohnverhandlungen vorhersehbar, Streiks aus politischen Gründen demgegenüber nicht8.
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Der Umfang der Verantwortlichkeit für selbständige Dritte, die der Schuldner zur Durchführung des Vertrages eingesetzt hat, ist streitig. Richtigerweise hat der Schuldner den Entlastungsbeweis nur für solche selbständige Dritte zu erbringen, die er zur Erfüllung einer unmittelbaren Vertragspflicht gegenüber dem Gläubiger einsetzt9. Nach einer anderen weiter gehenden Ansicht würde den Schuldner der Entlastungsbeweis für alle selbständigen Dritten treffen, die er im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung einsetzt, also etwa auch den Vorlieferanten10. Ausreichend ist insoweit die Haftung nach Art. 79 Abs. 1 CISG, die eintritt, wenn der Schuldner den Hinderungsgrund bei dem Dritten entweder vorhersehen konnte oder das Risiko dieses Hinderungsgrundes übernommen hatte oder durch Ausweichen auf eine dritte Person
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1 Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 702. 2 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 74 Rz. 32; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rz. 699. 3 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 79 Rz. 22. 4 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 79 Rz. 38. 5 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 79 Rz. 25. 6 Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 238. 7 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 213; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 79 CISG Rz. 20. 8 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 79 Rz. 30. 9 Karollus, UN-Kaufrecht, S. 211 f.; Magnus in Staudinger/BGB, Art. 79 CISG Rz. 39. 10 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 79 Rz. 16 f.; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 4 Rz. 240.
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Teil B Rz. 387
Warenhandel
vermeiden konnte. Eine Befreiung nach Art. 79 Abs. 2 CISG belastet den Gläubiger mit der Notwendigkeit des doppelten Entlastungsbeweises. Er muss den Nachweis der Entlastung sowohl für seine Person (einschließlich der unselbständigen Beschäftigten) als auch für die Person des Dritten führen1.
X. Zinszahlungspflicht 387
Erfüllt eine Kaufvertragspartei eine fällige Zahlungspflicht nicht, stellt dies eine Vertragsverletzung dar. Entsteht dem Gläubiger dadurch ein Zinsschaden, so kann er diesen als Schaden ersetzt verlangen2. Hauptanwendungsfall ist der Kaufpreisanspruch des Verkäufers gegen den Käufer. Zahlungsansprüche können sich aber auch bei Minderung oder Aufhebung des Vertrages ergeben. Andere Fälle sind Ersatz der Auslagen des Käufers, die für die Nachbesserung durch den Verkäufer nach Art. 48 Abs. 1 CISG notwendig geworden sind, oder die für die Erhaltung der Ware gemachten Aufwendungen nach Art. 85 Satz 2, Art. 86 Abs. 1 Satz 2 CISG.
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Unabhängig vom Nachweis der einzelnen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs, insbesondere des Nachweises eines konkreten Schadens, gibt Art. 78 CISG einen Anspruch auf Zinsen. Diese auf der diplomatischen Konferenz sehr umstrittene Vorschrift begründet die Zinszahlungspflicht nur dem Grunde nach3.
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Wie die Höhe des Zinssatzes zu bestimmen ist, stellt die wohl umstrittenste Frage des CISG dar, für die sich auch in der Rechtsprechung noch kein Konsens abzeichnet4. Zum einen gibt es Meinungen, die eine so genannte interne Lücke des CISG nach Art. 7 Abs. 2 Alt. 1 CISG annehmen, die nach den allgemeinen Grundsätzen des CISG zu schließen ist. Daraus werden aber wiederum verschiedene Lösungen abgeleitet. Teilweise wird auf den gesetzlichen Zinssatz des Gläubigerlandes5 oder auf die dort übliche Höhe von Zinsen für Bankkredite abgestellt6. Andere wollen auf den an der Niederlassung des Schuldners geltenden gesetzlichen Zinssatz abstellen, weil es um die Abschöpfung eines durch den Schuldner zu Unrecht erlangten Vorteils geht7. Wieder andere ziehen, wie in den UNIDROIT-Principles vorgeschlagen, den Zinssatz heran, der für kurzfristige Bankkredite der Zahlungswährung am Zahlungsort üblich ist8.
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Überwiegend wird demgegenüber eine externe Lücke angenommen, so dass sich der Zinssatz nach dem nationalen Recht richtet, das nach dem IPR des forum hierfür anwendbar ist. Welches Recht berufen wird, kann daher je nach anwendbarem Kollisionsrecht variieren. Im Rahmen der Rom I-VO oder des Haager Übereinkommens betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht wird insoweit überwiegend das Vertragsstatut für berufen angesehen9. 1 Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 79 Rz. 51. 2 LG Aachen v. 3.4.1990 – 41 O 198/89, RIW 1990, 491; Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 78 Rz. 25. 3 BG v. 28.10.1998 – 4C 179/1998, SZIER 1999, 179; OLG Frankfurt v. 18.1.1994 – 5 U 15/93, NJW 1994, 1013, CISG-online Nr. 123; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 938; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 78 Rz. 2; Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 78 Rz. 2; Piltz, Internationales Kaufrecht, § 5 Rz. 488. 4 S. Piltz, NJW 2000, 553 (560); Piltz, NJW 2003, 2056 (2063). 5 LG Stuttgart v. 31.8.1989 – 3 KfH O 97/89, CISG-online Nr. 11; Schiedsgericht IHK, 7331/1994, ICC Ct.Bull. 1995, 73. 6 Schiedsgericht der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft in Wien, Sch-4366, RIW 1995, 590, 591; dass., Sch-4318, RIW 1995, 591 f. 7 Neumayer/Ming, Convention de Vienne, Art. 78 Anm. 2. 8 Berger, 46 Am.J.Comp.L. 129, 137 (1998); Garro, 69 Tul.L.Rev., 1149, 1157 (1995). 9 OLG Frankfurt v. 18.1.1994 – 5 U 15/93, NJW 1994, 1013, CISG-online Nr. 123; Mankowski in MünchKomm/HGB, Art. 78 Rz. 19; Thorn in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, EuZPR/EuIPR, Rom I-VO, Rom II-VO (2011), Art. 12 Rom I-VO Rz. 24.
106 | Benicke
Handelsbräuche, INCOTERMS
Rz. 393
Teil B
Kapitel 4. Handelsbräuche, INCOTERMS Spezialliteratur siehe die Literaturübersicht zu Beginn des Teils B, vor Rz. 1.
I. Allgemeines Im kaufmännischen Warenhandel ist die Verwendung von kurzen Klauseln zur Bestimmung der jeweiligen Vertragspflichten, insbesondere im Hinblick auf die Beförderung des verkauften Guts zum Käufer, seit langem verbreitet1. Die Verwendung solcher Klauseln dient der Vereinfachung des Vertragsabschlusses, setzt aber voraus, dass der Inhalt der damit verbundenen Pflichten feststeht2. Da die Klauseln trotz identischen Wortlauts in verschiedenen Ländern oft unterschiedliche Bedeutung haben, hat die Internationale Handelskammer in Paris3 (ICC, International Chamber of Commerce) es erstmals 1936 unternommen, im internationalen Handelsverkehr weit verbreitete Klauseln aufzustellen, d.h. für jede Klausel die damit verbundenen Rechtsfolgen genau zu beschreiben. Diese so genannten INCOTERMS wurden wiederholt an neuere Entwicklungen angepasst. Nach 1990 und 2000 wurden sie im Jahr 2010 erneut geändert und liegen zurzeit als INCOTERMS 2010 vor.
391
II. Rechtsnatur und Geltungsgrund Die INCOTERMS 2010 haben keinen Gesetzesrang. Überwiegend werden sie als Allgemeine Geschäftsbedingungen qualifiziert, so dass ihre Geltung auf der Vereinbarung durch die Parteien beruht4. Empfehlenswert ist es, dass die Parteien bei der Verwendung einer Klausel ausdrücklich den Hinweis auf die INCOTERMS 2010 aufnehmen5. Damit ist unstreitig, dass die Klausel den Inhalt hat, der ihr nach den Erläuterungen in den INCOTERMS 2010 zukommt. Eine Bezugnahme nur auf INCOTERMS verweist im Zweifel auf die aktuelle Fassung6.
392
Noch ungeklärt ist, unter welchen Voraussetzungen die INCOTERMS den Inhalt einer Klausel auch ohne einen Hinweis auf sie bestimmen7. Ohne einen solchen Verweis kann es sich auch um schlichte trade terms handeln, die zum Teil die gleiche Bezeichnung haben. Die Trade Terms sind zwar ebenfalls in einem Katalog von der ICC zuletzt 1953 zusammengestellt worden8. Dabei handelt es sich aber um eine Zusammenstellung nationaler Handelsbräuche, die auch bei identischer Bezeichnung in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgelegt werden9. Für die Auslegung des Inhalts im
393
1 Basedow, RabelsZ 43 (1979), 116 (121). 2 Basedow, RabelsZ 43 (1979), 116 (129); Hopt in Baumbach/Hopt, Incoterms (6) Rz. 3; Lehr, VersR 2000, 548 (549). 3 Homepage: http://www.iccwbo.org (Stand 2.2.2016). 4 Von Bernstorff, Rn. 70; Koller in Großkomm. HGB, § 346 Rz. 285; Lehr, VersR 2000, 548 (550); grundsätzlich auch Schmidt, Handelsrecht, § 30 I.3.c, ders., in MünchKomm/HGB, § 346 Rz. 112 f.; Hopt in Baumbach/Hopt, Incoterms (6), Rz. 14; abweichend Piltz, RIW 2000, 485 (487): Geltung im Rahmen des CISG über Art. 9 Abs. 1 CISG als einverständlich berufener Handelsbrauch; differenzierend Basedow, RabelsZ 43 (1979), 116 (125 f.), der im Kernbereich nur die Aufzeichnung von Handelsbrauch oder sogar Gewohnheitsrecht annimmt, weiter gehend den Geltungsgrund der INCOTERMS auf Übung und Billigung durch die relevanten Verkehrskreise zurückführt. 5 Schmidt, Handelsrecht, § 30 I.3.c: „nur zur Sicherheit“. 6 Koller in Großkomm. HGB, § 346 Rz. 285. 7 S. Basedow, RabelsZ 43 (1979), 116 (121 f.) für eine implizite Bezugnahme auf die INCOTERMS zumindest bei den Klauseln CIF und FOB; ähnlich Koller in Großkomm. HGB, § 346 Rz. 286; für eine Berücksichtigung der INCOTERMS im Rahmen der Auslegung; Weick in Köbler/Heinze/ Schapp, Freundesgabe Söllner, 1990, S. 607, 617. 8 Hopt in Baumbach/Hopt, Incoterms (6), Rz. 4; Schmidt, Handelsrecht, § 30 I.3.b und d. 9 Lehr, VersR 2000, 548 (549); Schmidt in MünchKomm/HGB, § 346 Rz. 109 f.
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Benicke 107
Teil B Rz. 394
Warenhandel
konkreten Kaufvertrag ist das auf den Vertrag anwendbare nationale Recht bzw. bei Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts dieses maßgeblich1.
III. Inhalt – Überblick 394
Die INCOTERMS 2010 sind in vier Klauselgruppen eingeteilt2: Die Einteilung erfolgt im Hinblick auf die jeweiligen Pflichten der Vertragsparteien. Im Vordergrund steht die Verteilung der Pflichten für den Transport der Ware: Pflicht zum Abschluss des Beförderungsvertrages, Bezahlung der Transportkosten sowie Übergabe der Transportdokumente. Inhaltlich regeln die INCOTERMS außerdem den Ort der vertragsgemäßen Lieferung, den Gefahrübergang, die Pflicht zur Zahlung von Zöllen und zur Erledigung der Ein- und Ausfuhrformalitäten, Benachrichtigungspflichten sowie teilweise die Pflicht zur Versicherung der Ware3.
395
Alle Klauseln sind gleich aufgebaut, indem unter den gleichen Überschriften und in derselben Reihenfolge die Pflichten des Verkäufers (A 1-10) und die korrespondierenden Pflichten des Käufers (B 1-10) aufgelistet werden4: 1. Lieferung der vertragsgemäßen Waren/Zahlung des Kaufpreises, 2. Lizenzen, Genehmigungen und Formalitäten, 3. Beförderungs- und Versicherungsverträge, 4. Lieferung/Abnahme, 5. Gefahrübergang, 6. Kostenteilung, 7. Benachrichtigung, 8. Liefernachweis, Transportdokument oder entsprechende elektronische Mitteilung, 9. Prüfung, Verpackung, Kennzeichnung/Prüfung der Ware, 10. Sonstige Verpflichtungen.
396
Die INCOTERMS 2010 regeln bewusst nicht alle Rechtsfragen, die bei internationalen Kaufverträgen auftreten5. Nach dem anwendbaren nationalen Recht, gegebenenfalls nach dem UN-Kaufrecht richten sich daher etwa das Zustandekommen des Vertrags, die Rechte des Käufers wegen Mängeln der Ware, Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten oder die Rechtsfolgen verspäteter Lieferung oder Bezahlung6.
397
Die Gruppe E enthält nur die Klausel EXW (Ex Works). Sie begründet eine Holschuld des Käufers ab dem Werk bzw. Lager des Verkäufers.
398
Die Klauseln der Gruppe F mit den Klauseln FCA (Free Carrier), FAS (Free Alongside Ship) und FOB (Free On Board) verpflichten den Verkäufer zum Transport der Ware bis zum Frachtführer. Die Durchführung des Haupttransports obliegt dem Käufer. Wichtig ist die Ergänzung der Klausel durch die Angabe des genauen Ortes, an dem die Übergabe an den Frachtführer erfolgen soll.
399
Bei den Klauseln der Gruppe C mit den Klauseln CFR (Cost and Freight), CIF (Cost, Insurance and Freight), CPT (Carrier Paid To) und CIP (Carriage and Insurance Paid to) ist der Verkäufer verpflichtet, auf seine Kosten auch den Vertrag für den Haupttransport abzuschließen. Der Verkäufer erfüllt seine Lieferpflicht durch Übergabe der Ware an die Transportperson an dem bestimmten Ort. Mit der Übergabe geht auch die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung über. Bei den Klauseln CIF und CIP hat der Verkäufer aber zusätzlich eine Transportversicherung abzuschließen. Anzugeben ist bei den Klauseln zum einen der Ort, an dem die Übergabe an den Frachtführer bzw. Verfrachter zu erfolgen hat, und zum an1 S. Kronke, Jura 1984, 203 (204 f.). 2 Abdruck der INCOTERMS 2010 in deutscher Übersetzung bei Schmidt in MünchKomm/HGB, § 346 Rz. 116–129; Hopt in Baumbach/Hopt, Incoterms (6), nach Rz. 45; s. auch http:// www.iccwbo.org/products-and-services/trade-facilitation/incoterms-2010 (Stand 2.2.2016). 3 Schmidt in MünchKomm/HGB, § 346 Rz. 111. 4 S. von Bernstorff, Rn. 103; Hopt in Baumbach/Hopt, Incoterms (6), Rz. 25. 5 Koller in Großkomm. HGB, § 346 Rz. 289. 6 Lehr, VersR 2000, 548 (550).
108 | Benicke
Handelsbräuche, INCOTERMS
Rz. 400
Teil B
deren der Ort, bis zu dem der Verkäufer für den Transport zu sorgen hat. Die Klauseln CFR und CIF sind ausschließlich für den Seetransport konzipiert. Die Klauseln CPT und CIP können hingegen für alle Transportarten einschließlich See- und multimodaler Transport verwendet werden. Die Klauseln der Gruppe D DAT (Delivered At Terminal), DAP (Delivered At Place) und DDP (Delivered Duty Paid) sind so genannte Ankunftsklauseln. Der Verkäufer hat nicht nur den Transport bis zum vereinbarten Ort zu organisieren und zu bezahlen, sondern trägt auch die Gefahr des zufälligen Unterganges oder der zufälligen Verschlechterung der Ware bis zur Verfügungstellung der Ware an dem vereinbarten Ort.
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Benicke 109
400
Teil C. Handel mit Dienstleistungen Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen für die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffe 1. Fehlen einer einheitlichen Definition . . . . . . . . . . . . . 2. Aktive und passive Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personenabhängige und personenunabhängige Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . III. Universelles Völkerrecht 1. Entwicklungen des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . a) GATT 1947 . . . . . . . . . . b) WTO mit GATT 1994 . . . . c) Die übrigen WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionen und Verfahren . . 3. Das WTO-Abkommen über Dienstleistungen (GATS) . . . . a) Grundsatz der Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Inländerbehandlung . . . . . . . . . . . . c) Grundsatz der Transparenz 4. Geltung und Anwendbarkeit des GATS a) Geltungsbereich des GATS . b) Anwendbarkeit des GATS . . 5. Ausnahmen von den WTO- und GATS-Grundsätzen a) GATS als flexibles Rahmenabkommen . . . . . . . . . . . b) System der Verpflichtungslisten . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit von regionalen Handelsabkommen . . . . . . d) Vorbehalt des nationalen ordre public . . . . . . . . . . 6. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . a) Rechtsschutz von Unternehmen und Individuen . . . . . b) Rechtsschutz von WTOVertragsparteien . . . . . . . . IV. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen der EU-Dienstleistungsfreiheit . . . a) Primärrecht . . . . . . . . . . . b) Sekundärrecht . . . . . . . . . c) Verträge mit Drittstaaten . . aa) EWR . . . . . . . . . . . . bb) Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz . .
1 4 8 9 10 12 14 16 18 22 23 25 27 28 38
42 44 47 50 53 54 56 59 60 61 63 66 70 74
2. Geltung und Merkmale der EU-Dienstleistungsfreiheit a) Geltungs- und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . b) Merkmale aa) Subsidiarität gegenüber anderen Grundfreiheiten bb) Inländerbehandlung . . . c) Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot . . . . . d) Ausnahme des ordre public e) Rechtsschutz . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Versicherungsverträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. GATS 1. GATS und Versicherung . . . . 2. Erbringung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine Liberalisierungspflichten nach dem GATS und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . 4. Specific commitments . . . . . . 5. Understanding on Commitments in Financial Services . . 6. Würdigung . . . . . . . . . . . . . III. OECD-Liberalisierungskodex . . . IV. Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (IAIS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Versicherungsaufsichtsrecht 1. Rechtsquellen und Entwicklung des Europäischen Versicherungsaufsichtsrechts . . . 2. Solvency II-Richtlinie . . . . . . a) Ziele der Solvency II-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehungsprozess von Solvency II . . . . . . . . . . . c) „Quick-Fix II“- und Omnibus II-Richtlinie . . . . . . . . . . d) Anwendungsbereich und Regelungssystem von Solvency II . . . . . . . . . . . e) Würdigung . . . . . . . . . . . 3. Errichtung europäischer Aufsichtsbehörden . . . . . . . . 4. Nationales Versicherungsaufsichtsrecht a) Deutschland und Österreich b) Liechtenstein . . . . . . . . . c) Schweiz . . . . . . . . . . . . . 5. Grenzüberschreitende Umstrukturierungen, insbesondere Bestandsübertragungen . . . . . VI. Versicherungsvermittlerrecht
81 85 89 90 100 101 102 109 110 111 112 114 115 118 119 123
125 129 130 131 133 134 138 139 141 143 146 149
111
Teil C 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich und Inhalt der Vermittler-Richtlinie . . . . 3. Die neue Richtlinie über Versicherungsvertrieb vom 20.1. 2016 (IDD) . . . . . . . . . . . . VII. Harmonisierung des Europäischen Versicherungsvertragsrechts 1. Einführung . . . . . . . . . . . . 2. Privatrechtlich relevante Regelungen in den Versicherungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . 3. Branchenspezifische Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbraucherschutz-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gleichbehandlungs-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Principles of European Insurance Contract Law als optionales Instrument . . . . . . . . . VIII. Internationales Zivilverfahrensrecht in Versicherungssachen 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich der Art. 10 bis 16 EuGVVO (Art. 8 bis 14 LugÜ) . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeit für Klagen gegen den Versicherer a) Allgemeine Zuständigkeiten b) Haftpflichtversicherung und Versicherung von Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . c) Direktklage des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit für Klagen des Versicherers . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtsstandsvereinbarungen und rügelose Einlassung a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . b) Zustandekommen und Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . c) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . d) Rügelose Einlassung . . . . . 6. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . IX. Internationales Versicherungsvertragsrecht 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der Risikobelegenheit (Art. 7 Abs. 6 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 3. Großrisiken . . . . . . . . . . . . 4. Massenrisiken in Mitgliedstaaten
112
Handel mit Dienstleistungen 153 156 164
167 168 173 176 179 182 185 189 190 194 196 197 198 202 203 204 205 207 210 211
a) Objektive Anknüpfung und Rechtswahlmöglichkeiten b) Besonderheiten bei Pflichtversicherungen . . . . . . . . 5. Massenrisiken in Drittstaaten 6. Rückversicherungsverträge . . 7. Eingriffsnormen und ordre public . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtslage in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz a) Österreich . . . . . . . . . . . b) Liechtenstein . . . . . . . . . c) Schweiz . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . bb) Sonderregeln im Verhältnis zu Liechtenstein Kapitel 3. Bank- und Finanzdienstleistungsverträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Wirtschaftsvölkerrechtlicher Rahmen 1. GATS a) Bedeutung für Bank- und Finanzdienstleistungen . . . b) Arten grenzüberschreitender Dienstleistungen (Modes) . . c) Liberalisierungspflichten aa) Allgemeine Liberalisierungspflichten . . . . . . bb) Spezifische Liberalisierungspflichten . . . . . . d) Prudential Carve Out . . . . e) Verständigungsvereinbarung über Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. IWF-Übereinkommen . . . . . . 3. OECD-Kodizes zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der laufenden unsichtbaren Transaktionen . . . . . . . . . . III. Europarechtlicher Rahmen für Finanzdienstleistungen 1. Der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen a) Rechtsquellen und Entwicklungsschritte . . . . . . b) Europäischer Pass . . . . . . c) Vergemeinschaftung der Aufsicht aa) Europäisches Finanzaufsichtssystem . . . . . . . bb) Einheitlicher Überwachungsmechanismus d) EWR . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtslage EU-Schweiz . . . 2. Primärrechtlicher Rahmen des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen . . . . . . . . .
214 217 220 222 225 228 230 234 235 239
242
245 248 251 253 256 261 263
266
269 270
273 274 275 279 282
Teil C
Übersicht a) Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) . . . . . . . . b) Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) . . . . . . . . c) Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) d) Kollision von Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärrechtlicher Rahmen des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen a) Bankdienstleistungen . . . . b) Wertpapierdienstleistungen . IV. Der Zugang von Finanzdienstleistern aus Drittstaaten zum EUBinnenmarkt 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . 2. Bankdienstleistungen a) Kommerzielle Präsenz aa) Gründung und Erwerb von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . bb) Errichtung von Zweigniederlassungen . . . . . b) Aktiver Dienstleistungsverkehr und Korrespondenzdienstleistungen . . . . . . . . c) Passiver Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wertpapierdienstleistungen a) Überblick und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . b) Geeignete Gegenparteien und geborene professionelle Kunden . . . . . . . . . . . . . c) Privatkunden und gekorene professionelle Kunden . . . . d) Passiver Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zugang zum schweizerischen Markt für Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Harmonisierung des Europäischen Bankvertragsrechts 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . 2. AGB-Richtlinie . . . . . . . . . . 3. Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen . . 4. Richtlinie über Verbraucherkreditverträge . . . . . . . . . . . 5. Hypothekarkreditrichtlinie (HypoKrRL) . . . . . . . . . . . . 6. PRIIPS-Verordnung . . . . . . . . 7. Ausstrahlung des Aufsichtsrechts auf das Zivilrecht . . . . VI. Internationales Zivilverfahrensrecht
283 286 287 290
293 296
298
301 305 310 317 318 320 324 328 331
335 336 337 340 344 346 350
1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . 2. Internationale Zuständigkeit a) Zuständigkeit im gewerblichen Verhältnis . . . . . . b) Zuständigkeit in Verbrauchersachen . . . . . . . . . . 3. Rechtslage in Liechtenstein . VII. Anwendbares Recht 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . 2. Vertragsstatut a) Subjektive Anknüpfung . . b) Objektive Anknüpfung . . . c) Verbrauchersachen . . . . . 3. Deliktsstatut . . . . . . . . . . 4. Rechtslage in der Schweiz . . 5. Rechtslage in Liechtenstein .
. 355 . 359 . 361 . 366 . 368 . . . . . .
Kapitel 4. Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge . . . . . . . . . . . . . . I. Bauwerk-, Subunternehmer- und Planerverträge . . . . . . . . . . . . 1. Über Bauwerkverträge . . . . . . 2. Über Verträge mit Subunternehmern . . . . . . . . . . . . . . 3. Über Verträge mit Planern . . . II. Forum und Vertragsstatut bei Bauwerkverträgen . . . . . . . . . . 1. Zur Regelung der Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . 2. Zur Ermittlung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . III. Über die Normierung der Bauwerkverträge 1. Vorbemerkungen zum öffentlichen Vergaberecht . . . . . . . 2. Zur gesetzlichen Normierung der Bauwerkverträge . . . . . . . 3. Zur nichtstaatlichen Normierung der Bauwerkverträge . . . . IV. Zur Streiterledigung in Bausachen Kapitel 5. Forschungs- und Entwicklungsverträge I. Gegenstand, Erscheinungsformen, Abgrenzungen 1. Gegenstand des Forschungsund Entwicklungsvertrages; wirtschaftliche Bedeutung . . . 2. Erscheinungsformen a) Forschungs- und Entwicklungsvertrag . . . . . . . . . . b) Produktentwicklungsvertrag; Customizing . . . . . . . . . . c) Forschungsförderungs- oder Projektunterstützungsvertrag/Projektmitwirkungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . d) Untersuchungsauftrag; Gutachtenvertrag . . . . . . . . . e) Forschungskooperation . . .
371 374 376 382 384 386 416 417 418 422 425 426 429 434
437 443 449 456
459 462 466
467 469 470
113
Teil C
II.
III.
IV.
V.
114
3. Abgrenzungen a) Know-how-(lizenz-)Vertrag bzw. Patent-, Design- oder urheberrechtlicher Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Engineering-Vertrag . . . . . . c) Arbeitsvertrag . . . . . . . . . Nationale Regelungen 1. Fehlen spezifischer gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . 2. Vertragstypologische Zuordnungsmöglichkeiten . . . . . . . 3. Zur Qualifikation und Einordnung in der Schweiz . . . . . . . 4. Zur Qualifikation und Einordnung in Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . 5. Kautelarpraxis . . . . . . . . . . . Internationales Privatrecht 1. Die Anknüpfung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages a) Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag als Dienstleistungsvertrag . . . . . . . . b) Rechtswahl . . . . . . . . . . . c) Objektive Anknüpfung . . . . 2. Eingriffsnormen . . . . . . . . . 3. Gerichtsstand/Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfragen betreffend Immaterialgüterrechte . . . . . . Europäisches Kartellrecht 1. Rechtsvorschriften der Europäischen Union mit Auswirkung auf Forschungs- und Entwicklungsverträge . . . . . . . . 2. EU-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1217/2010 für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (F&E-GVO) . . . . 3. EU-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 316/2014 für Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO) . . . . . . . . 4. Verhältnis zwischen F&E-GVO und TT-GVO . . . . . . . . . . . Rechtliche Grundlagen 1. Entstehung Form und Inhalt des Forschungs- und Entwicklungsvertrages a) Vertragsabschluss, Form . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten der Vertragsparteien a) Hauptpflichten des Auftragnehmers . . . . . . . . . . . . .
Handel mit Dienstleistungen
472 475 476 477 479 483 488 493
495 496 499 501 502 504
509
512
520 524
526 530 533
b) Hauptpflichten des Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . c) Nebenpflichten der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leistungsstörungen a) Störungsszenarien, Parteivereinbarungen . . . . . . . . b) Haftung aus Nicht- oder Schlechterfüllung . . . . . . . c) Haftung aus Unmöglichkeit d) Haftung aus Verzug . . . . . . e) Ausbleiben von Mitwirkungshandlungen . . . . . . . f) Haftungsbegrenzung . . . . . 4. Beendigung des Forschungsund Entwicklungsvertrages a) Zufolge Erfüllung, Befristung oder einvernehmlicher Aufhebung . . . . . . . . . . . . . b) Durch Kündigung . . . . . . . c) Durch ausserordentliche Aufhebung wegen Leistungsstörungen beim Vollzug . . . VI. Strukturelemente und Kernprobleme der Forschungs- und Entwicklungsverträge 1. Ungewissheit und Risiko a) Projektspezifische Faktoren . b) Ungewissheit der Vertragszielerreichung . . . . . . . . . c) Zeitüberschreitungen . . . . . d) Kostenüberschreitungen . . . e) Produkthaftungsrisiken . . . 2. Risikoverteilung und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationsaustausch und Geheimhaltung . . . . . . . . . . 4. Regelungsbedarf für bestehende und neue Immaterialgüterrechte; Verwertungs- und Nutzungsrechte a) Nutzung des Background IP . b) Vertragliche und gesetzliche Zuordnung des Foreground IP . . . . . . . . . c) Nutzungs- und Verwertungsrechte für neue Immaterialgüter; Erteilung von Lizenzen . . . . . . . . . . . . d) Einräumung einer Lizenzoption . . . . . . . . . . VII. Vertragsgestaltung/Checkliste 1. Allgemeines zur Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . 2. Checkliste . . . . . . . . . . . . .
536 540 541 545 549 552 553 556
560 562 565
568 570 572 574 576 577 580
584 586
595 598 600 604
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Teil C
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Teil C Rz. 1
Handel mit Dienstleistungen
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen für die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils C, vor Rz. 1.
I. Einleitung 1
Im modernen Wirtschaftsleben sind Dienstleistungen von zentraler volkswirtschaftlicher Bedeutung. Dementsprechend gross ist das Interesse der Staaten, Dienstleistungen sowohl in andere Staaten exportieren als auch aus anderen Staaten erhalten zu können1. So hat der grenzüberschreitende Austausch von Dienstleistungen in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen, und sein Anteil am Welthandel umfasst mittlerweile über 20 %2. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben nicht zuletzt die neuen Möglichkeiten der Kommunikation, welche die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen ohne das physische Überschreiten der jeweiligen Grenzen durch den Dienstleistungserbringer oder -empfänger entweder ermöglichen oder zumindest erleichtern3.
2
Die auf weltweiter Ebene, insbesondere im Rahmen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) angestrebte und auf regionaler europäischer Ebene innerhalb der Europäischen Union (EU) weitgehend verwirklichte Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels hat den Abbau von Handels- und damit auch von Marktzugangsschranken zum Gegenstand. Schranken und Ausnahmen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen bilden insbesondere staatliche Zulassungs- und Qualitätsvorschriften für spezifische Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer, die etwa – wie Zulassungsvorschriften für Rechtsanwälte oder für Glücksspiele – aus Gründen des Verbraucher- oder Gesundheitsschutzes aufgestellt werden4.
3
Im Folgenden sollen der völker- und europarechtliche Rahmen sowie die dabei herausgebildeten Grundsätze mit Bezug auf die Voraussetzungen, Schranken und Ausnahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen aufgezeigt werden. Dabei ist von Interesse, in welchem Umfang der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel liberalisiert worden ist und inwieweit Handelsschranken weiterhin zulässig sind.
II. Begriffe 1. Fehlen einer einheitlichen Definition 4
Es gibt keine weltweit anerkannte einheitliche Definition des Dienstleistungsbegriffs5; auch das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS)6 im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) enthält keine Definition der vom Abkommen erfassten Dienstleistungen. Allgemein kann eine Dienstleistung als Wertschöpfung umschrieben werden, 1 Vgl. BT-Drucks. 12/7655 (neu), 12/8122; Botschaft des Schweizer Bundesrats zur Genehmigung der GATT/WTO-Übereinkommen v. 19.9.1994, BBl 1994 IV 31 (zit. Botschaft); Meng/Lahan, N 7; Weiss, 1995, 1178. 2 Vgl. BBl 1994 IV 1 ff.; WTO Annual Report 2015, 1 ff. 3 Vgl. Economist v. 14.11.2015 („Free exchange, a servicable deal“); Krajewski, N 7. 4 Michaelis, § 20, 2. 5 Krajewski, N 5; Weiss, 1995, 1189. 6 Zum GATS vgl. unten III. 1.
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Rz. 9 Teil C
Völker- und europarechtlicher Rahmen
die entweder von Personen direkt konsumiert wird oder ein physisches Gut modifiziert1. Gegenüber Waren unterscheiden sich Dienstleistungen im Wesentlichen durch ihre fehlende Gegenständlichkeit2. Schwierigkeiten bei der Abgrenzung können jedoch dann entstehen, wenn Waren und Dienstleistungen miteinander verbunden werden. Im Schrifttum wird dabei zur Bestimmung des anwendbaren Rechts darauf abgestellt, welcher Teil wertmässig überwiegt. Ist demnach eine Dienstleistung in ein physisches Gut eingegangen, ist bei überwiegendem Warenwert im grenzüberschreitenden Handelsverkehr das GATT anwendbar3.
5
In Art. 57 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) werden Dienstleistungen in Abgrenzung insbesondere zur Personenfreizügigkeit als Leistungen umschrieben, die zeitlich befristet und gegen Entgelt erbracht werden. Als Dienstleistungen gelten dabei gem. Art. 57 Abs. 2 AEUV „insbesondere“ gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeiten4.
6
Dienstleistungen zeichnen sich damit durch eine grosse Vielfalt aus; sie reichen von Bildungs-, Gesundheits- und Verkehrsdienstleistungen über audiovisuelle und handwerkliche Dienstleistungen bis hin zu Finanzdienstleistungen5.
7
2. Aktive und passive Dienstleistungen Die Erbringung einer Dienstleistung ist Gegenstand der aktiven Dienstleistungsfreiheit, während der Empfang einer Dienstleistung die passive Dienstleistungsfreiheit betrifft6. Von der passiven Dienstleistungsfreiheit erfasst werden etwa Touristen, Geschäftsreisende oder Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen7.
8
3. Personenabhängige und personenunabhängige Dienstleistungen Die physische Nähe zwischen Dienstleistungserbringer und -empfänger kennzeichnet zwar nach wie vor zahlreiche Konstellationen des grenzüberschreitenden Dienstleistungshandels8, stellt jedoch kein wesensnotwendiges Merkmal einer Dienstleistung mehr dar9. Es ist deshalb zusätzlich zwischen personenabhängigen und personenunabhängigen Dienstleistungen zu unterscheiden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass entweder der Dienstleistungserbringer oder deren Empfänger die Grenze überschreitet. In ihnen kommt das für Dienstleistungen typische Merkmal des persönlichen Kontakts zwischen Erbringer und Empfänger zum Ausdruck10. Bei personenabhängigen Dienstleistungen stellen sich demzufolge auch migrationsrechtliche Fragen11. Demgegenüber ist es bei einer personenunabhängigen Dienstleistung lediglich die Dienstleistung als solche, nicht jedoch deren Erbringer, welche die Grenze überschreitet12. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Michaelis, § 10 N 2. Vgl. Michaelis, § 10N 2; Weiss, 2015, 239. Vgl. Senti, S. 95 ff. (98). Zur EU-Dienstleistungsfreiheit vgl. unten IV. Vgl. Krajewski, N 4. Herdegen, Europarecht, § 17 N 1 ff. Vgl. EuGH, Luisi und Carbone, 286/82 und 26/83, EU:C:1984:35, N 16. Vgl. Michaelis, § 10 N 9. Vgl. Krajewski, N 5 ff. Vgl. Weiss, 1995, 1180. Vgl. Meng/Lahan, N 8. Vgl. auch unten III. Vgl. Holoubek, in Schwarze, Art. 56 N 1 ff.
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9
Teil C Rz. 10
Handel mit Dienstleistungen
III. Universelles Völkerrecht 1. Entwicklungen des WTO-Rechts 10
Im Rahmen der Vereinten Nationen wurden von verschiedenen Sonder- und Spezialorganisationen mehrere Übereinkommen erarbeitet und verabschiedet, die auch die Erleichterung des Welthandels bezwecken und bewirken. Im Vordergrund standen zunächst das aus der Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944 hervorgegangene Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF)1 sowie das Übereinkommen über die Weltbank2, auf denen die Errichtung der jeweiligen Organisation beruht3. Beide Organisationen tragen zur Stabilität des weltweiten Finanzsystems und zum Ziel eines möglichst ungehinderten Kapital- und Zahlungsverkehrs bei4.
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Mit Bezug auf die Regelung von Dienstleistungen im Allgemeinen stehen heute aber das Recht der WTO und damit insbesondere das Recht des GATS im Vordergrund, die sich beide aus dem GATT-Recht entwickelt haben: a) GATT 1947
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Während die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen erst in neuerer Zeit Gegenstand von multilateralen Staatsverträgen geworden ist5, besteht für den grenzüberschreitenden Handel mit Waren bereits seit 1947 aufgrund des damals geschlossenen Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT 1947) ein multilaterales völkervertragliches Regelwerk6. Zu den Gründungsmitgliedern des GATT 1947 zählten 23 Staaten, darunter auch die Benelux-Staaten, Frankreich, Indien, Kanada, die USA sowie das Vereinigte Königreich7. Das GATT 1947 hatte den schrittweisen Abbau von Zöllen einerseits und von technischen Handelshemmnissen für den Warenhandel andererseits zum Ziel8. Dies sollte durch eine Abfolge von mehreren mehrjährigen Verhandlungsrunden erfolgen, in denen sich die Mitglieder auf weitergehende Liberalisierungen, etwa auf eine Senkung ihrer Zölle um einen bestimmten Prozentsatz, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit einigten. Das Abkommen gilt als Grundordnung des Welthandels9 und als Meilenstein auf dem Weg zu einer freien Weltwirtschaft10.
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Obwohl die mit der Verwaltung des Abkommens betrauten Einrichtungen zunehmend Merkmale einer internationalen Organisation aufwiesen, war das GATT 1947 de iure keine internationale Organisation im Sinne des Völkerrechts11.
1 International Monetary Fund, 28.7.1944, UNTS Bd. 726, S. 266. 2 International Bank for Reconstruction and Development, 22.7.1944, UNTS Bd. 39, S. 144. 3 Während das Ziel des IWF insbesondere die Wahrung der Währungsstabilität ist, hat die Weltbank die Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus insbesondere der Entwicklungsländer zum Ziel; vgl. Ziegler, N 791 ff., 832 ff. 4 Vgl. Schlemmer-Schulte, IMF, MPEPIL 2014, N 46 ff. 5 Vgl. Krajweski, N 6. 6 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 1 ff. 7 Die Bundesrepublik Deutschland und Österreich traten dem GATT 1951 bei; der Beitritt der Schweiz erfolgte 1966. 8 Alle Vertragsparteien des GATT 1947 im Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTO-Abkommens sind gem. Art. XI Abs. 1 WTO-Abkommen auch Gründungsmitglieder der WTO. 9 Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 2. 10 Doehring, N 1215. 11 Doehring, N 1217; Mayer, Vorauflage, S. 114; Seidl-Hohenveldern/Stein, S. 115 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 17
Teil C
b) WTO mit GATT 1994 Als Ergebnis der von 1986 bis 1993 dauernden achten Zollverhandlungsrunde (sog. Uruguay-Runde) wurde im Jahr 1994 in Marrakesh das WTO-Abkommen1 unterzeichnet. Dieses errichtete die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) als internationale Organisation (Art. I WTO-Abkommen) und institutionellen Mittelpunkt der Welthandelsordnung2. Die WTO hat 2016 162 Mitglieder, zu denen China, Indien, die USA, Russland (seit 2012), Japan, Brasilien, sowie – als Zollunion – die Europäische Union (EU)3 zählen. Neben der EU haben sämtliche EU-Mitgliedstaaten das WTO-Abkommen sowie die mit diesem integral verbundenen Handelsabkommen ratifiziert. Dies war eine Folge des vom EuGH im Jahr 1994 erstellten WTO-Gutachtens, in dem dieser zum Schluss gekommen war, dass die EU selber nicht über die ausschließliche Zuständigkeit zum Abschluss des WTO-Abkommens verfüge, zumal zahlreiche vom Abkommen erfasste Fragen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen4.
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Zum Regelwerk der WTO zählen neben dem WTO-Abkommen selbst zahlreiche weitere Abkommen, die dem WTO-Abkommen als Anhang beigefügt sind5. Zu diesen gehören insbesondere die sog. multilateralen Handelsübereinkünften, wie das – vom weiterhin fortbestehenden GATT 1947 rechtlich zu unterscheidende – GATT-Abkommen (GATT 1994), das die Ergebnisse der bisherigen Liberalisierungsrunden enthält (Anhang 1.A.1).
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c) Die übrigen WTO-Abkommen Neben dem GATT umfasst das WTO-Recht mit dem Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) ein multilaterales Abkommen über den Dienstleistungshandel6 sowie ein multilaterales Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS)7. Sie sind von den sog. plurilateralen Handelsübereinkünften zu unterscheiden, die nur für die WTO-Mitglieder gelten, welche sie angenommen haben (Art. II Abs. 3 WTOAbkommen) und zu denen etwa das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen gehört, das ab bestimmten Schwellenwerten für öffentlich ausgeschriebene Beschaffungen staatlicher Einrichtungen und Betriebe gilt8.
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Seit 2001 verhandeln die WTO-Mitglieder im Rahmen der Doha-Runde über weitergehende Liberalisierungen auch im Bereich des Handels mit Dienstleistungen9. Eine Einigung über weitere wesentliche Liberalisierungsschritte ist jedoch ausgeblieben10. Diese Blockade im Rahmen der WTO führt dazu, dass WTO-Mitglieder vermehrt regio-
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1 Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) v. 15.4.1994, dt. BGBl. 1994 II, 1625; österr. BGBl. Nr. 1/1995; Systematische Sammlung des Bundesrechts (SR) 0.632.20. Vgl. BT-Druck. 12/7655. 2 Vgl. Stoll, WTO, N 5 ff. 3 Art. 28 AEUV. Vgl. EuGH, WTO-Gutachten, Gutachten 1/94, EU:C:1994:38, N 1 ff.; Oppermann, S. 926. 4 Vgl. EuGH, WTO-Gutachten, Gutachten 1/94 v. 15.11.1994, EU:C:1994:38. 5 Vgl. die Schlussakte, welche die aus der Uruguay-Runde hervorgegangenen Übereinkommen und zahlreiche Erklärungen und Beschlüsse der Minister aufführt. 6 Anhang 1B zum WTO-Abkommen. Vgl. dazu unten 4. und 5. 7 Anhang 1C zum WTO-Abkommen. 8 WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen v. 15.4.1994 (Government Procurement Agreement, GPA), Anhang 4 zum WTO-Abkommen. 9 WTO Annual Report 2014, 1 ff. 10 Vgl. WTO Annual Report 2015, 30 (34). Das 2013 ausgearbeitete Abkommen über Handelserleichterungen, das auch Fragen des Dienstleistungshandels umfasst, trat aufgrund der fehlenden Zustimmung Indiens nie in Kraft; FAZ v. 1.8.2014. Vgl. auch Lang, in Betlehem, S. 181.
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Teil C Rz. 18
Handel mit Dienstleistungen
nale Freihandelsabkommen gem. Art. XXIV GATT anstreben. So verhandeln einzelne WTO-Mitglieder seit 2012 außerhalb der WTO über ein sog. plurilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). An diesen Verhandlungen beteiligt sind 23 Vertragsparteien der WTO, darunter die USA und die EU1. Das Abkommen soll – wie das GATS – alle Dienstleistungssektoren umfassen und insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge (sog. service public) liberalisieren, die bislang vielerorts von öffentlichen Unternehmen und Verwaltungsbetrieben erbracht werden. Betroffen sind etwa die Bereiche Gesundheit, Verkehr sowie die Energie- und Wasserversorgung2. 2. Institutionen und Verfahren 18
Die durch das WTO-Abkommen als rechtsfähige internationale Organisation3 errichtete Welthandelsorganisation (WTO) bildet das institutionelle Dach des WTO-Rechts (Art. I und Art. II Abs. 1 sowie Art. VIII Abs. 1 WTO-Abkommen)4. Als solches verwaltet die WTO, die nicht zu den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen gehört5, das Abkommensrecht und überwacht dessen Umsetzung und Einhaltung durch die Vertragsparteien6.
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Zudem soll die WTO als Forum für Verhandlungen der Mitglieder über ihre multilateralen Handelsbeziehungen dienen (Art. III Abs. 2 WTO-Abkommen)7. Das WTORecht verpflichtet denn auch die Vertragsparteien zu Verhandlungen über die weitergehende Liberalisierung grenzüberschreitender Dienstleistungen (Art. X und Art. XIX GATS)8.
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Zu den Organen der WTO gehört die Ministerkonferenz, die mindestens alle zwei Jahre tagt und befugt ist, Beschlüsse in allen vom WTO-Regelwerk erfassten Fragen zu fassen (Art. IV Abs. 1 WTO-Abkommen). Daneben besteht ein Generalrat aus Vertretern aller Mitglieder (Art. IV Abs. 2 WTO-Abkommen), der u.a. die Funktionen des in der DSU vorgesehenen Streitbeilegungsorgans (Dispute Settlement Body, DSB) ausübt (Art. IV Abs. 3 WTO-Abkommen)9. Dessen Verfahren richtet sich nach der Vereinbarung über Regeln und Verfahren für die Streitbeilegung (Dispute Settlement Understanding, DSU)10. Dieses multilaterale Abkommen ist integraler Bestandteil des WTO-Abkommens und deshalb gem. Art. II Abs. 2 WTO-Abkommen für alle Mitglieder der WTO verbindlich11.
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Die Beschlussfassung im Rahmen der WTO erfolgt – wie unter dem GATT 1947 – üblicherweise durch Konsens. Wird keine Einstimmigkeit erzielt, beschließen die Ministerkonferenz und der Generalrat in der Regel mit einfacher Mehrheit (Art. IX Abs. 1 WTO-Abkommen). Dabei hat jedes WTO-Mitglied eine Stimme. Die EU hat so viele
1 Vgl. die Ausführungen der EU-Kommission, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/trade/policy/ in-focus/tisa. 2 NZZ v. 25.3.2014. 3 Zu den Merkmalen einer internationalen Organisation vgl. Doehring, N 196. 4 Vgl. Breitenmoser, S. 58; Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 13 ff.; Senti, S. 7 ff. 5 Vgl. Simon, S. 1 ff. 6 Zum Rechtsschutz vor den Organen der WTO vgl. unten 6. 7 Vgl. Barth, WTO, S. 2811; Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 13 ff.; Rhinow/Schmid/Biaggini/ Uhlmann, N 23. 8 Vgl. auch die Präambel. Zu Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung vgl. oben III. 2. 9 Vgl. unten 7. 10 Anhang 2 zum WTO-Abkommen. 11 Vgl. Breitenmoser/Husheer, Europarecht, Basel 2002, 1 ff.; Mayer, Vorauflage, S. 114 f.; Rhinow/Schmid/Biaggini, N 32.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 24
Teil C
Stimmen wie sie Mitgliedstaaten hat, die allesamt WTO-Mitglieder sind (Art. IX Abs. 1 WTO-Abkommen)1. 3. Das WTO-Abkommen über Dienstleistungen (GATS) Das GATS stellt bislang das erste und einzige multilaterale Abkommen über die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen dar2. Es übernimmt weitgehend die für den Handel mit Waren geltenden Grundsätze des GATT3. Diese Grundsätze begründen völkerrechtliche Verpflichtungen der Vertragsparteien4 und verpflichten diese, ihr innerstaatliches Recht über die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen entsprechend den Grundsätzen des GATS auszugestalten, wodurch ihre Befugnis zur Regulierung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung eingeschränkt wird5. Die Grundsätze des WTO-Rechts stellen aufgrund ihrer Bedeutung und der Tatsache, dass die WTO nunmehr über 160 Mitglieder hat, allgemeine Grundsätze des Welthandelsrechts dar6.
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a) Grundsatz der Meistbegünstigung Als bedeutendstes Prinzip des WTO-Rechts wirkt der Grundsatz der Nichtdiskriminierung7 sowohl horizontal im Rahmen des Grundsatzes der Meistbegünstigung8 als auch vertikal durch das Gebot der Inländerbehandlung9. Das WTO-Recht gewährt demzufolge den Vertragsparteien einen völkerrechtlichen Schutz vor Diskriminierung im Aussenhandel, der vor den Organen der WTO eingeklagt werden kann10. Unter Diskriminierung wird dabei die nachteilige Behandlung von Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringern aufgrund ihrer Herkunft aus einem anderen Staat verstanden11.
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Der Grundsatz der Meistbegünstigung (sog. most-favoured-nation treatment) verpflichtet die Vertragsparteien, Waren sowie Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer einer anderen Vertragspartei nicht weniger günstig als gleichartige Waren bzw. Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringer eines anderen Staats zu behandeln (Art. I GATT; Art. II und XVII GATS)12. Gewährt eine Vertragspartei etwa zugunsten von Dienstleistungen aus einem Staat Erleichterungen, so müssen diese zugleich sofort allen Vertragsparteien zugute kommen13. In dieser horizontalen Dimension soll der Grundsatz der Meistbegünstigung Wettbewerbsverzerrungen verhindern, indem für alle Vertragsparteien gleiche Wettbewerbsbedingungen beim gegenseitigen Marktzugang geschaffen werden14. Das GATT und GATS sehen jedoch die Möglichkeit von Durchbrechungen dieses Grundsatzes im Sinne von Ausnahmen vor15.
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1 Zum Beschlussfassungsverfahren vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 15; Senti, S. 25 ff. 2 Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS), Anhang 1C WTO-Abkommen. Vgl. Krajewski, N 8; Weiss, 1995, 1178. 3 Vgl. oben III. 2d; Senti, S. 1 ff.; Weiss, 1995, S. 1183. 4 Vgl. BBl 1994 IV 46. Vgl. auch oben III. 2. e bb. 5 Vgl. Meng, S. 65; Weiss, 1995, 1178. So musste etwa Deutschland die Bundesrechtsanwaltsordnung (BGBl. I, 1474) anpassen; vgl. Barth, WTO, S. 2813. 6 Vgl. Krajewski, N 2. 7 Vgl. Präambel WTO-Abkommen; Mayer, Vorauflage, S. 115. Zum Grundsatz der Diskriminierung im WTO vgl. Peters, S. 557 ff. 8 Vgl. Report of the Appellate Body, Japan/Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry, 31.5.2000, N 169 ff. 9 Vgl. Breitenmoser, S. 59; Peters, S. 558 ff. 10 Vgl. BBl 1994 IV 241 f. Zum Rechtsschutz vgl. Rz. 53 ff. 11 Vgl. Peters, S. 557. 12 Vgl. BGE 125 II 293 E. 4d (Sunrise). 13 Vgl. Breitenmoser, S. 59; Senti, S. 98 ff. 14 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 4 N 5; Ziegler, N 330. 15 Vgl. Rz. 42 ff.
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Teil C Rz. 25
Handel mit Dienstleistungen
b) Grundsatz der Inländerbehandlung 25
Die sog. Inländerbehandlung (sog. national treatment) bedeutet, dass ein WTO-Mitglied Waren sowie Dienstleister und Dienstleistungen einer anderen Vertragspartei im Verhältnis zu vergleichbaren inländischen Waren sowie Dienstleistern und Dienstleistungen nicht weniger günstig behandeln darf (Art. III GATT; Art. XVII GATS)1. Die GATS-Bestimmung gilt nur die in den Verpflichtungslisten genannten Dienstleistungsbereiche2, was auch ihre systematische Stellung im Dritten Teil („Spezifische Verpflichtungen“) deutlich macht.
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Der Zugang zu Dienstleistungsmärkten anderer Staaten setzt zwar in vielen Sektoren die erleichterte Anerkennung von in den anderen Vertragsstaaten erworbenen Fähigkeitsausweisen voraus. Gleichwohl statuiert das GATS keine entsprechende Pflicht zur Anerkennung. Vielmehr verweist das Abkommen lediglich auf die Möglichkeit der Vertragsparteien, die von einer anderen Vertragspartei erworbenen Fähigkeitszeugnisse von Dienstleistungserbringern entweder einseitig oder gestützt auf eine völkerrechtliche Vereinbarung mit anderen Staaten anzuerkennen (Art. VII GATS). Dabei gilt nach Art. VII Abs. 2 GATS bloss die bedingte Meistbegünstigung, wonach eine entsprechende Anerkennung eines Diploms aus einem Vertragsstaat nicht unverzüglich und bedingungslos auch auf alle anderen Vertragspartner ausgeweitet werden muss. Der Vertragsstaat ist diesbezüglich lediglich gehalten, über den Beitritt zu einem solchen Abkommen zu verhandeln oder ähnliche Abkommen auszuhandeln3. c) Grundsatz der Transparenz
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Ein weiterer Grundsatz des WTO-Rechts ist das in Art. X GATT und Art. III GATS verankerte Transparenzprinzip, das die Vertragsparteien dazu verpflichtet, alle „einschlägigen allgemeingültigen Maßnahmen“, die einen Bezug zum Abkommen haben, umgehend und spätestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens zu veröffentlichen. Entsprechend dem Grundsatz der Transparenz müssen die Vertragsparteien nach Art. III Abs. 3 GATS dem Rat für den Dienstleistungshandel4 alle Maßnahmen notifizieren, die eine erhebliche Auswirkung auf den vom Abkommen erfassten Handel mit Dienstleistungen haben. Abweichungen vom Grundsatz der Meistbegünstigung müssen die Vertragsstaaten in sog. Länderlisten, die dem GATS als Anhang angefügt sind, festlegen5. Durch die Offenlegung von Handelsbeschränkungen und Ungleichbehandlungen sollen einerseits Klarheit für ausländische Dienstleistungserbringer sowie andererseits eine Grundlage für die Aushandlung weiterer gegenseitiger Zugeständnisse geschaffen werden6. 4. Geltung und Anwendbarkeit des GATS a) Geltungsbereich des GATS
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Das seit 1995 als multilaterales Abkommen in Kraft stehende GATS7 gilt entsprechend seinem weiten Geltungsbereich für sämtliche „Maßnahmen“ der Mitglieder, 1 Vgl. BGE 125 II 293 E. 4d; Mattoo, 107 ff.; Weiss, 1995, 1207. Zur Frage der Vergleichbarkeit zweier Dienstleistungen vgl. Ziegler, N 458 f. 2 Vgl. Senti, S. 99. 3 Vgl. Urteil des Schweizer Bundesgerichts 2P.234/2000 v. 14.3.2001 (polnisches Diplom). 4 Der Rat für Dienstleistungshandel überwacht unter der allgemeinen Leitung des Generalrats das Funktionieren des GATS (Art. IV Abs. 5 WTO-Abkommen und Art. XXIV GATS). 5 Zu den Länderlisten vgl. Rz. 44. 6 Meng/Lahan, N 13. 7 Zum GATS vgl. allgemein Barth, GATS, 455 ff.; Tiedje in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Vorbemerkungen zu den Art. 56 bis 62 AEUV N 39 f., 7. Aufl. 2015; Weiss, 1995, 1177 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 34
Teil C
die den „Handel mit Dienstleistungen“ betreffen und beeinträchtigen (Art. I Abs. 1 GATS)1. Erfasst wird „jede Art von Dienstleistungen in jedem Sektor“ (Art. I Abs. 3 lit. c GATS), womit das GATS einen sektorübergreifenden Ansatz verfolgt2 und etwa auch kulturelle Dienstleistungen erfasst3. Ausgeschlossen werden lediglich Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden, sofern sie weder zu gewerblichen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht werden (Art. I Abs. 3 lit. b und c GATS). Demzufolge können auch staatliche Einrichtungen und öffentliche Unternehmen etwa im Gesundheitswesen oder im Bereich der Wasser- und Energieversorgung im Anwendungsbereich des GATS stehen4. Vom Abkommen erfasst werden auch Kapitalleistungen unter Einschluss von Investitionen, die in Zusammenhang mit Dienstleistungen stehen5. Obwohl der Begriff der Dienstleistung vom GATS nicht definiert wird6, unterscheidet auch das GATS bei den grenzüberschreitenden Dienstleistungen zwischen personenabhängigen und nicht personenabhängigen7. Das GATS erfasst dabei gem. Art. I Abs. 2 GATS die folgenden vier Konstellationen der Erbringung von Dienstleistungen: – Dienstleistungen, die aus dem Gebiet eines Mitglieds stammen und im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden (lit. a; aktive, nicht personenabhängige Dienstleistungserbringung); – Dienstleistungen, die im Gebiet eines Mitglieds gegenüber dem Dienstleistungsempfänger eines anderen Mitglieds erbracht werden (lit. b; passive Dienstleistungserbringung); – Dienstleistungen, die von einem Dienstleistungserbringer eines Mitglieds im Wege geschäftlicher Anwesenheit auf dem Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden (lit. c). Damit umfasst das GATS neben der Niederlassungsfreiheit auch Investitionen in Dienstleistungen, wenngleich das Abkommen den Schutz ausländischer Investitionen und Investoren nicht ausdrücklich regelt8; – Dienstleistungen, die von einem Erbringer einer Dienstleistung eines Mitglieds durch die Anwesenheit einer natürlichen Person eines Mitglieds im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht werden (lit. d), womit sich Fragen der Personenfreizügigkeit von natürlichen Personen stellen9.
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Das GATS statuiert mit Bezug auf personenabhängige Dienstleistungen die Einschränkung, dass es nicht für Fragen des Anwesenheitsrechts und des Zugangs zum Arbeitsmarkt gilt (Art. 2 Anhang über Grenzüberschreitung natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen dieses Abkommens). In den nach dem Abschluss der Uruguay-Runde geführten Verhandlungen über eine weitergehende Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen in spezifischen Sektoren einigten sich die Parteien jedoch auf eine weitergehende Liberalisierung der personenabhängigen Dienstleistungen10.
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1 Vgl. Simon, S. 47; Weiss, 1995, 242. 2 Vgl. Krajewski, N 27. 3 Kulturelle Dienstleistungen werden auch von dem im Jahr 2005 im Rahmen der UNESCO ausgearbeiteten Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdruckformen v. 20.10.2005 erfasst. 4 Kritisch D. Oesch, S. 1. 5 Vgl. Art. XVI Abs. 1 Fn. 8; BBl 1994 IV 32. 6 Vgl. Senti, S. 96 ff. Zum Fehlen einer einheitlichen weltweiten Definition vgl. Rz. 4 ff. 7 Vgl. Rz. 9. 8 Vgl. Barth, WTO, S. 2812; Krajewski, N 17; Weiss, 2015, 244. 9 Vgl. Krajewski, N 17. Vgl. Rz. 9. 10 Drittes Protokoll betreffend den Anhang über die Grenzüberschreitung natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen des Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen v. 6.10.1995, Anhang 1 zum WTO-Abkommen.
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Handel mit Dienstleistungen
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Das GATS normiert zudem Sonderregelungen für die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Luftverkehr, Telekommunikation und Finanzmarkt, bei denen mitunter nur eine rudimentäre Einigung über eine Liberalisierung erzielt werden konnte. Vor diesem Hintergrund spezifizieren die Sonderregelungen u.a. den Geltungsbereich des GATS durch Ausschluss bestimmter Aspekte (vgl. Anhang über Luftverkehrsdienstleistungen, Anhang über Telekommunikation und über Finanzdienstleistungen), womit diese in erster Linie Gegenstand bilateraler und regionaler Abkommen bilden1.
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In den nach dem Abschluss der Uruguay-Runde geführten Verhandlungen über eine weitergehende Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen in spezifischen Sektoren einigten sich die Parteien auf eine weitergehende Liberalisierung in den Bereichen Telekommunikation und Finanzdienstleistungen (1997)2. So vereinbarten im Jahr 1997 70 Staaten im Rahmen der WTO, die „Basis-Telekommunikationsdienstleistungen“ zu liberalisieren und ihre Märkte für Telekommunikationsdienstleistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Meistbegünstigung auch ausländischen Anbietern zu öffnen3.
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Das GATS enthält demgegenüber keine wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen. Es verpflichtet jedoch die Vertragsparteien zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel einer multilateralen Regelung zur Vermeidung von handelsverzerrenden Wirkungen von Subventionen (Art. XV GATS). Dies vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Dienstleistungserbringer im Bereich der Daseinsvorsorge, wie etwa im Gesundheitswesen, staatliche Unterstützung (sog. Subventionen4) erhalten5. Sodann sind einzelne Vertragsparteien befugt, die Aufnahme von Verhandlungen über Regelungen gegen wettbewerbsgefährdendes Geschäftsgebaren einzelner Dienstleistungserbringer zu verlangen (Art. IX GATS). b) Anwendbarkeit des GATS
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Wenngleich private Unternehmen und Einzelpersonen die eigentlichen Akteure im Wirtschaftsleben sind6, regelt das GATS als völkerrechtliches Abkommen primär Rechte und Pflichten zwischen Völkerrechtssubjekten und damit insbesondere zwischen Staaten7. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und wieweit die Bestimmungen des GATS – insbesondere die Grundsätze der Meistbegünstigung und der Gleichbehandlung – unmittelbar anwendbar (self-executing) sind. Denn unmittelbar anwendbare Bestimmungen des WTO-Rechts erfordern in monistischen Staaten keine Umsetzung im innerstaatlichen Recht8.
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Die Frage der Anwendung des GATS ist auch für den Umfang des Rechtsschutzes von praktischer Bedeutung, zumal die Bestimmungen des WTO-Regelwerks von einzelnen natürlichen oder juristischen Personen nur dann gegenüber einzelstaatlichen Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden direkt angerufen werden können, wenn sie unmittelbar anwendbar sind. Dies wird jeweils anhand jeder einzelnen Bestimmung eines Staatsvertrags geprüft. Erforderlich ist, dass die Bestimmung justiziabel, d.h. hinreichend be1 Vgl. BBl 1994 IV 46; Weiss, 1995, 1220. 2 Zweites Protokoll betreffend den zweiten Anhang über Finanzdienstleistungen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen v. 6.10.1995, Anhang zum WTO-Abkommen. Die verabschiedeten Protokolle zum GATS enthalten die angepassten Verpflichtungslisten. Vgl. Barth, GATS, S. 455 ff. 3 Vgl. Medienmitteilng des Schweizer Bundesrats v. 19.11.1997. 4 Vgl. Seitz/Breitenmoser, S. 239 ff. 5 Vgl. D. Oesch, S. 1. 6 Vgl. Meng, S. 66 ff. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts vgl. Cottier/Oesch, S. 122 ff. 7 Vgl. Meng, S. 65 f. 8 Vgl. Barth, WTO, S. 2813; Müller/Wildhaber, S. 160 ff.
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Rz. 42
Teil C
stimmt ist, um im Einzelfall Grundlage für einen Entscheid zu bilden, Rechte und Pflichten des Einzelnen zum Gegenstand hat und sich an die rechtsanwendenden nationalen Behörden richtet1. Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit der Bestimmungen des GATS wird vom Abkommen selbst nicht beantwortet. Sie richtet sich demzufolge in erster Linie nach der Praxis sowohl der WTO-Organe als auch der einzelnen Vertragsparteien, die bei der Annahme einer unmittelbaren Anwendbarkeit aber zurückhaltend sind2. Auch der EuGH hat die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts bislang allgemein verneint und dies mit der „grosse[n] Flexibilität“ der Bestimmungen des GATT, der Möglichkeit zur Abweichung von den Grundsätzen sowie dem besonderen, auf die jeweiligen Vertragsparteien fokussierten Streitbeilegungsmechanismus begründet3.
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Die Zurückhaltung der Praxis erscheint nicht zuletzt auch aufgrund der zunehmenden Konkretisierung und Verdichtung des WTO-Rechts durch Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane problematisch4. Im neueren Schrifttum wird deshalb die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen des WTO-Rechts im Allgemeinen und des GATS im Besonderen, insbesondere bei Fragen der Diskriminierung und der Inländerbehandlung, zunehmend bejaht5. Gleichwohl wird weiterhin die Ansicht vertreten, das GATS bezwecke als intergouvernementales Abkommen nicht, Individuen unmittelbar durchsetzbare Rechte zu gewähren6. Nach der hier vertretenen Ansicht können die allgemein gehaltene Formulierung der meisten Bestimmungen sowie die allgemeine intergouvernementale Ausgestaltung des Streitschlichtungsverfahrens nicht dazu führen, dem GATS generell und umfassend die unmittelbare Anwendbarkeit zu versagen. Vielmehr ist diese nach jeder einzelnen Bestimmung zu beurteilen. Zumindest der Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der Inländerbehandlung gem. Art. XVII GATS7 ist wohl in aller Regel unmittelbar anwendbar, zumal er hinreichend konkret formuliert ist.
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5. Ausnahmen von den WTO- und GATS-Grundsätzen a) GATS als flexibles Rahmenabkommen Das GATS verpflichtet die Vertragsparteien nicht zur Aufhebung sämtlicher Handelshemnisse im Sinne einer vollkommenen gegenseitigen Öffnung der Märkte8. Vielmehr hat das Abkommen als multilaterales Rahmenabkommen lediglich – aber immerhin – die schrittweise Liberalisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand9. Diese soll durch einen stufenweisen Abbau von Handelshemmnissen erfolgen (vgl. Art. XIX GATS)10. 1 Vgl. BGE 124 III 90 E. 3; von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2009, 188 ff. 2 Vgl. österr. VwGH, Urt. v. 25.6.2002 – E. 2.2.2, BGE 125 II 293 E. 4d (Sunrise); Urt. des Schweizer Bundesgerichts v. 14.3.2001 – 2P.243/2000; Urt.des Bundesgerichts v. 29.12.2008 – 4A.440/2008, E. 2; Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 100; Peters, in Klabbers/Peters/Ulfstein, S. 207. 3 EuGH, Deutschland/Rat, C-280/93, EU:C:1994:367, N 105 ff. (Bananenmarktordnung). Vgl. auch EuGH, Léon, C-377/02, EU:C:2005:121, N 37 ff. 4 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 102; Meng/Lahan, N 4. 5 Vgl. Breitenmoser, S. 57; Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 100 ff.; Tiedtke, S. 1 ff. Verneinend etwa Mayer, Vorauflage, S. 137; Weiss, 2015, 241. Im Ergebnis offen gelassen bei Peters, S. 559 ff. 6 Vgl. Weiss, 1995, 1182. Im Ergebnis auch Mayer, Vorauflage, S. 119, 141. Differenzierend Meng, S. 78 ff. 7 Zu diesem vgl. Rz. 23 ff. 8 Vgl. Meng/Lahan, N 11. 9 Vgl. Barth, WTO, S. 2812; Etter, S. 102; Senti, S. 101 ff.; Weiss, 2015, 240 (245). 10 Vgl. BBl 1994 IV 1 ff. Zur Funktion der WTO als Forum für multilaterale Verhandlungen über weitere Handelsliberalisierungen vgl. Rz. 18 ff.
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Teil C Rz. 43 43
Handel mit Dienstleistungen
Entsprechend seiner Funktion als Rahmenabkommen gewährt das GATS – wie das GATT (z.B. Art. XX und XXIV GATT 1947) – seinen über 160 Vertragsparteien die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von seinen Grundsätzen abzuweichen, indem etwa Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels aufrechterhalten werden oder einzelnen Staaten einen bevorzugten Marktzugang gewährt wird. Es handelt sich hierbei um eigentliche Ausnahmen von den WTO- und GATS-Grundsätzen (sog. exceptions). b) System der Verpflichtungslisten
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Die Vertragsparteien sind gemäß der Sonderregelung von Art. II Abs. 2 GATS befugt, in einer Erklärung die Geltung und Anwendbarkeit des Grundsatzes der Meistbegünstigung und damit auch des Grundsatzes der Inländerbehandlung für spezifische Dienstleistungssektoren auszuschließen. Die entsprechenden Maßnahmen müssen aber – entsprechend dem Grundsatz der Transparenz1 – in einem Anhang zum GATS („Anhang über Ausnahmen nach Art. 2“) aufgelistet sein. Dem GATS als integraler Bestandteil angefügt sind die einzelnen Listen der Vertragsparteien über die von ihnen eingegangenen (Liberalisierungs-)Verpflichtungen und die geltend gemachten Ausnahmen und Befreiungen (sog. Länderlisten, Art. XX GATS). Diese müssen sämtliche Abweichungen von den Grundsätzen des GATS, wie etwa eine bevorzugte Behandlung von Dienstleistungserbringern spezifischer Vertragsparteien oder die Schlechterstellung ausländischer Dienstleistungen im Vergleich zu inländischen, sowie sonstige Begrenzungen des Marktzugangs aufführen2. Die einzelnen Vertragsparteien können damit in sog. Länderlisten selbst bestimmen, welche Dienstleistungssektoren sie für ausländische Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer öffnen (Art. XVI GATS) und dadurch den Grundsätzen des GATS unterstellen möchten3. Die angebrachten Ausnahmen können aufgehoben, nicht jedoch erweitert werden4.
45
So legt die „Liste der spezifischen Verpflichtungen“ der EU neben den Pflichten der EU zur Liberalisierung einzelner Märkte auch ihre Vorbehalte sowie diejenigen ihrer Mitgliedstaaten fest. Die EU hat in ihrer Liste insbesondere mit Bezug auf kulturelle Dienstleistungen mehrere Bereichsausnahmen statuiert5. Während Deutschland einen Vorbehalt mit Bezug auf Finanzdienstleistungen angebracht hat, hat die Schweiz einen Vorbehalt hinsichtlich des alpenüberquerenden Güterverkehrs und der Erbringung von Dienstleistungen durch niedergelassene natürliche Personen angebracht6.
46
Von Bedeutung ist schließlich die Pflicht der Vertragsparteien, in Bereichen, in denen sie sich in ihren Länderlisten zu Marktöffnungen verpflichtet haben, keine Verschlechterungen in Form spezifischer Beschränkungen einzuführen; die sog. stand still-Klausel in Art. XVI Abs. 2 GATS verbietet insbesondere eine Begrenzung der Zahl der Dienstleistungserbringer (lit. a).
1 Vgl. Rz. 27. 2 Meng/Lahan N 12. 3 Hahn, S. 315 ff.; Rhinow/Schmid/Biaggini/Uhlmann, § 9N 53. In Frage stehen etwa einzelstaatliche Vorgaben, welche Radiosender dazu verpflichten, einen bestimmten Anteil der Sendezeit für einheimische Musikkunst zu reservieren. Zu den erwähnten Sonder- und Ausnahmebestimmungen vgl. Rz. 77. 4 Vgl. Senti, S. 99. 5 Vgl. Barth, GATS, S. 455 ff.; Hahn, S. 317. Die Erklärung der EU geht auf das Bestreben Frankreichs zurück, seine Film- und Fernsehindustrie zu schützen. 6 Vgl. GATS, Switzerland, Final List of Article II (MFN) Exemptions, GATS/EL/83 v. 15.4.1994, 5; Botschaft des Schweizer Bundesrats zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG v. 23.6.1999, BBI 1999, 6153 ff. (zit. Botschaft „Bilaterale I“).
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 51
Teil C
c) Zulässigkeit von regionalen Handelsabkommen Die Vertragsparteien des GATS haben zahlreiche bilaterale und regionale Handelsabkommen abgeschlossen, die mitunter auch Regelungen über eine weitergehende Liberalisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen umfassen1. Dies vor dem Hintergrund, dass das GATS den einzelnen Vertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen den Abschluss von bilateralen und regionalen Abkommen erlaubt, welche eine präferenzielle gegenseitige Behandlung bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben (Art. V Abs. 1 GATS)2. Im Anwendungsbereich einer entsprechenden Ausnahme ist es anderen WTO-Mitgliedern verwehrt, sich zugunsten ihrer Dienstleistungserbringer auf den Grundsatz der Meistbegünstigung zu berufen.
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Die Zulassung solcher Abkommen beruht auf der Überlegung, dass das Regelwerk der WTO weitergehende regionale Handelserleichterungen und eine entsprechende regionale Integration nicht verhindern soll3. Von solchen Abkommen werden vielmehr Impulse für eine weitergehende Liberalisierung der Weltwirtschaft erwartet4.
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Voraussetzung für eine solche Durchbrechung ist, dass ein entsprechendes Abkommen ein weites Spektrum an Dienstleistungen (substantial sectoral coverage) umfasst (Art. V Abs. 1 lit. a GATS)5. Zudem muss ein solches Abkommen eine über das GATS hinausgehende Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen durch die weitgehende Beseitigung möglicher Diskriminierungen vorsehen (Art. V Abs. 1 lit. b GATS). Entsprechende Abweichungen sind dem Rat für den Handel mit Dienstleistungen zu notifizieren, der deren Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht prüfen kann (Art. V Abs. 7 GATS)6. Die Vielzahl an regionalen Abkommen ist zwar aufgrund der grossen Unterschiede des Wirtschafts- und Handelsrechts der WTO-Vertragsstaaten nachvollziehbar, erscheint aber mit Blick auf die Anliegen eines weltweit gleichmässigen Abbaus von Handelsschranken sowie der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch als problematisch7.
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d) Vorbehalt des nationalen ordre public Das GATS unterstellt die Wahrung seiner Grundsätze Vorbehalten des nationalen ordre public (Art. XIV und Art. XIV bis GATS), welche den Vertragsparteien im Sinne von Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen die Durchbrechung der WTOGrundsätze ermöglichen. Diese Vorbehalte beruhen auf dem Gedanken, dass es das WTO-Recht den Vertragsparteien nicht verwehren soll, den in der innerstaatlichen Rechtsordnung vorgesehenen wirtschaftspolitischen Zielen, etwa dem Anliegen des Verbraucherschutzes, Rechnung zu tragen (Präambel des GATS).
50
Der Inhalt des nationalen ordre public bestimmt sich in erster Linie nach den Grundwerten und -wertungen der Rechtsordnung des jeweiligen Vertragsstaats, die er schüt-
51
1 Vgl. Krajewski, N 11. Vgl. auch die Übersicht bei Ziegler, N 148 ff. Zur Frage, ob das zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweiz andererseits geschlossene Freizügigkeitsabkommen mit Bezug auf die darin normierte Dienstleistungsfreiheit eine Ausnahme i.S.v. Art. V GATS darstellt, vgl. Rz. 76 ff. 2 Eine solche Abweichung stellt die Errichtung des EU-Binnenmarkts mit der Dienstleistungsfreiheit als eine von vier Grundfreiheiten dar; vgl. Rz. 81 ff. 3 Vgl. Rhinow/Schmid/Biaggini/Uhlmann, N 14. 4 Vgl. Breitenmoser, S. 60. 5 Der Abschluss eines auf den Handel mit Finanzdienstleistungen beschränkten Abkommens würde diese Anforderung nicht erfüllen; vgl. Cottier/Diebold/Kölliker/Liechti/Oesch/Payosova/Wüger, N 93. 6 Vgl. Krajewski, N 30. 7 Vgl. Ziegler, N 137, der insoweit vom „Spaghetti-Bowl-Effekt“ spricht.
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Teil C Rz. 52
Handel mit Dienstleistungen
zen soll1. Hieraus ergibt sich ein weites Ermessen der jeweiligen nationalen Behörden2. Das GATS-Abkommen begrenzt die Anrufbarkeit des Vorbehalts des ordre public jedoch in einer auslegenden Bestimmung dahingehend, dass die ernste Gefährdung fundamentaler Interessen der Allgemeinheit im Raum stehen muss3. Die Berufung auf den ordre public unterliegt zudem der Schranke von Treu und Glauben als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Völkerrechts; sie darf demzufolge nicht zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung führen (Art. XIV Abs. 1 GATS). Vom GATS ausdrücklich anerkannte Schutzpositionen bilden etwa fundamentale Anliegen des Gesundheits- und Tierschutzes (Art. XIV lit. b). Die Praxis der WTO-Organe zu den Vorbehalten des ordre public im Rahmen des GATT ist auch im Anwendungsbereich des GATS zu berücksichtigen4. 52
Im Streitfall kann eine Vertragspartei die Organe der WTO anrufen, damit diese darüber befinden, ob die Berufung einer anderen Vertragspartei auf den nationalen ordre public mit dem WTO-Recht vereinbar ist5. Abweichungen von den Grundsätzen des WTO-Rechts unter Anrufung der erwähnten Ausnahmebestimmungen sind insbesondere auch bei audiovisuellen Dienstleistungen denkbar6. 6. Rechtsschutz
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Beim Rechtsschutz ist zu differenzieren zwischen dem Rechtsschutz der von Handelsbeschränkungen betroffenen Unternehmen und Individuen einerseits und demjenigen der WTO-Mitgliedstaaten andererseits. a) Rechtsschutz von Unternehmen und Individuen
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Den von einem möglichen Verstoß gegen das WTO-Recht betroffenen Unternehmen und Individuen ist es verwehrt, das Streitbeilegungsverfahren der WTO in Anspruch zu nehmen7. Ihr Rechtsschutz gegenüber Beschränkungen von Grundsätzen des WTORechts richtet sich nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des jeweiligen Vertragsstaats8. Das GATS verpflichtet die Vertragsparteien, in ihrem innerstaatlichen Recht Rechtsschutzverfahren vorzusehen, die es den von administrativen Entscheidungen im Anwendungsbereich des GATS betroffenen Unternehmen ermöglichen, diese überprüfen zu lassen (Art. VI Abs. 2 GATS). Zudem müssen die Vertragsparteien Gesuche um Zulassung von Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern auf ihrem Gebiet innert angemessener Frist beurteilen (Art. VI Abs. 3 GATS). 1 Vgl. Gebauer, public policy, MPEPIL, N 1 ff. 2 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 97. 3 Anmerkung 5: „A genuine and sufficiently serious threat is posed to one of the fundamental interests of society.“ 4 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 4N 6, § 10 N 56 ff.; Cottier/Espa/Liechti-McKee/Payosova, S. 239 ff. So anerkannte das Panel im Robben-Fall (Norwegen und Canada gegen EU), dass Beschränkungen der Einfuhr von Robbenfleisch durch die EU von der Ausnahme zum Schutz der öffentlichen Moral gem. Art. XIV GATT erfasst sind (Appellate Body Report vom 22.5.2014, WT/ DS400/AB/R, S. 129 ff.). 5 Appellate Body Report on US-Measures Affecting the Cross-Border Supply of Gambling and Betting Services, WT/DS 285/AB/R (2005). Im betreffenden Fall hatten die Streitbeilegungsorgane der WTO auf Klage von Antigua und Barbuda gegen die USA hin zu beurteilen, ob ein durch das US-amerikanische Recht normiertes allgemeines Verbot grenzüberschreitender Wettdienstleistungen mit dem WTO-Recht vereinbar sei. Der Appellate Body kam zum Ergebnis, dass die Maßnahme vom Verbot zahlenmässiger Beschränkungen der Dienstleistungserbringer nach Art. XVI Abs. 2 lit. a und c GATS erfasst werde. Vgl. auch Appellate Body Report, China – Measures Affecting Trading Rights and Distribution Services for Certain Publications and Audiovisual Entertainment Products, v. 19.1.2010, WT/DS363/AB/R. Vgl. Meng/Lahan, N 18 ff. 6 Vgl. Hahn, S. 315 ff. 7 Rhinow/Schmid/Biaggini/Uhlmann, § 9 N 31. 8 Vgl. Meng, 65 ff.; Oesch, S. 285 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 59
Teil C
Insoweit als die Grundsätze des GATS, insbesondere das Meistbegünstigungsprinzip und das Gebot der Inländergleichbehandlung, unmittelbar anwendbar sind, können die Betroffenen sich vor innerstaatlichen Gerichten auf diese berufen und deren Verletzung geltend machen1. Sofern die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen des GATS von der Praxis des jeweiligen Vertragsstaats verneint wird, müssen betroffene Unternehmen sich auf innerstaatliches Recht berufen, das in Umsetzung des GATS erlassen worden ist.
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b) Rechtsschutz von WTO-Vertragsparteien Das System des Rechtsschutzes im Rahmen des WTO-Rechts wurde im Verhältnis zu demjenigen unter dem GATT 1947 wirksamer ausgestaltet, wodurch die Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit des WTO-Rechts gestärkt wurde2. So können die Vertragsparteien die gegenseitige Einhaltung des WTO-Rechts vor den Streitbeilegungsorganen der WTO einfordern3. Sie verfügen damit über einen verstärkten völkerrechtlichen Schutz vor Diskriminierung und willkürlicher Behandlung der auf ihrem Territorium niedergelassenen Dienstleistungserbringer auf den Märkten der anderen Vertragsparteien4.
56
Jedes Mitglied kann das in der Streitbeilegungsvereinbarung (DSU) vorgesehene Streitbeilegungsverfahren in Anspruch nehmen, wenn es der Auffassung ist, dass ein anderes Mitglied seine Pflichten aus dem WTO-Recht verletzt (Art. XXIII Abs. 1 GATS)5. Das zunächst vor dem Generalrat als in der Streitbeilegungsvereinbarung vorgesehenem Streitbeilegungsorgan (Dispute Settlement Body, DSB; Art. IV Abs. 3 WTO-Abkommen) durchzuführende Schlichtungsverfahren kommt einem schiedsgerichtlichen Verfahren nahe6. Scheitert dieses, kann der beschwerdeführende WTO-Mitgliedstaat die Einsetzung eines sog. Panels beantragen, das sich aus unabhängigen Experten zusammensetzt und eine Stellungnahme in Form eines Berichts verfasst. Erhebt hiergegen keine Partei Berufung an den Appellate Body, kann der Bericht durch den Generalrat angenommen werden, wodurch dieser für die Parteien verbindlich wird (Art. 16 f. DSU). Befolgt die unterliegende Partei des Streitbeilegungsverfahrens den angenommenen Bericht nicht, kann die andere Partei zur vorübergehenden Suspendierung ihrer Pflichten gegenüber der anderen Vertragspartei aus dem WTO-Recht im Sinne einer Gegenmaßnahme ermächtigt werden (Art. XXIII Abs. 2 GATS, Art. 22 DSU)7.
57
Zum GATS sind bislang nur wenige Schlichtungsverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu Berichten des Panels oder des Appellate Body geführt haben8.
58
IV. Europarecht Eines der wesentlichen Ziele der EU ist die Schaffung eines Gemeinsamen Markts im Sinne eines Binnenmarkts, in dem neben dem freien Verkehr von Dienstleistungen auch der freie Verkehr von Waren, Personen und Kapital gewährleistet ist (Art. 3 Abs. 3 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Rz. 38 ff. Vgl. Doehring, N 1222; Meng/Lahan, N 4; Rhinow/Schmid/Biaggini/Uhlmann, N 26 ff. Vgl. Weiss, 2015, 239. Zur Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit vgl. Rz. 38 ff. BBl 1994 IV241. Ausgeschlossen sind Streitigkeiten über die Doppelbesteuerung; vgl. Senti, S. 96. Vgl. Breitenmoser, S. 60; Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 9 N 123. Zu dem Fall US-Measures Affecting the Cross-Border Supply of Gambling and Betting Services vgl. Rz. 52. 8 Z.B. Report of the Appellate Body, Japan/Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry, 31.5.2000, N 169 ff. Vgl. Lang, in Betlehem, S. 169 f. (180).
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Teil C Rz. 60
Handel mit Dienstleistungen
EUV und Art. 26 Abs. 2 AEUV)1. Dieses Ziel ist nunmehr weitgehend verwirklicht2. Die Errichtung des EU-Binnenmarkts stellt eine Abweichung von dem das WTO-Recht prägenden Grundsatz der Meistbegünstigung dar3, wird jedoch von den Ausnahmebestimmungen des WTO-Rechts für Zollunionen und Freihandelszonen – insbesondere von Art. XXIV Abs. 5 GATT und Art. V GATS – als zulässig erachtet4. 1. Rechtsgrundlagen der EU-Dienstleistungsfreiheit 60
Die Rechtsgrundlagen der EU-Dienstleistungsfreiheit finden sich sowohl im primären als auch im sekundären EU-Recht. Von Bedeutung ist zudem die Praxis des EuGH zur Auslegung und Anwendung dieser Bestimmungen. a) Primärrecht
61
Die Dienstleistungsfreiheit ist primärrechtlich in Art. 56 ff. AEUV verankert5. Sie ist als Grundfreiheit auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen6 innerhalb der EU unmittelbar anwendbar und kann demgemäß von den Betroffenen direkt sowohl gegenüber einzelstaatlichen Behörden als auch gegenüber den Organen der EU angerufen werden. Sie umfasst sowohl die aktive als auch die passive7 Dienstleistungsfreiheit einerseits sowie die personenabhängige und die nicht personenabhängige Dienstleistungsfreiheit andererseits8. Von der passiven Dienstleistungsfreiheit erfasst werden etwa Touristen, Geschäftsreisende oder Personen, die in einem anderen EUMitgliedstaat oder EWR-Vertragsstaat9 eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen10. Nicht erfasst werden Dienstleistungen im Bereich Verkehr11 sowie Finanzdienstleistungen von Banken und Versicherungen, deren Liberalisierung gem. Art. 58 Abs. 2 in Abstimmung mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs erfolgt12. 1 Zum EU-Binnenmarkt vgl. Hatje in Schwarze, Art. 26 N 5 ff. 2 Bericht der Kommission „Ein Binnenmarkt für Wachstum und Beschäftigung: Eine Analyse der erzielten Fortschritte und der verbleibenden Hindernisse in den Mitgliedstaaten“, COM/2013/0785 final. 3 Vgl. Rz. 23 ff. 4 Vgl. Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 N 56 ff. 5 Zur EU-Dienstleistungsfreiheit vgl. Frenz, S. 137 ff.; Herdegen, Wirtschaftsrecht, 1 ff.; Holoubek, Art. 56 N 1 ff.; Kluth, Art. 56 N 1 ff.; Müller-Graff, Art. 56 N 1 ff.; Pache, S. 417 ff. 6 Zur Legaldefinition vgl. Rz. 4 ff. 7 Vgl. EuGH, Kommission/Spanien, C-211/08, EU:C:2010:340, N 52. Das Urteil erging im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Spanien, dessen Krankenversicherungsträger sich weigerte, einer Person mit Wohnsitz in Spanien die Kosten eines Krankenhausaufenthalts in Frankreich zu ersetzen. Der EuGH hielt Folgendes fest: „Demnach umfasst der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Versicherten, sich beispielsweise als Tourist oder Studierender zu einem vorübergehenden Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort eine Krankenhausbehandlung durch einen Leistungserbringer mit Sitz in diesem anderen Mitgliedstaat zu erhalten, wenn sein Gesundheitszustand während dieses Aufenthalts eine solche Behandlung erforderlich macht.“ Der EuGH wies die Klage u.a. mit Verweis auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihres Gesundheitswesens (Art. 168 AEUV) und hohe finanzielle Auswirkungen einer weitgehenden Kostentragungspflicht des Wohnsitzstaats für in einem anderen Staat anfallende Gesundheitskosten ab. 8 Vgl. Rz. 8 f. 9 Eine zeitlich auf drei Monate bzw. 90 Arbeitstage begrenzte Dienstleistungsfreiheit gilt auch zwischen der Schweiz und der EU. Vgl. Rz. 74 ff. 10 Vgl. Richtlinie 2011/24/EU des EP und des Rates v. 9.3.2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, ABl. Nr. L 88 v. 4.4.2011, S. 45; EuGH, Luisi und Carbone, 286/82 und 26/83, EU:C:1984:35, N 16. Vgl. auch Herdegen, Europarecht, § 17 N 3. 11 Art. 58 i.V.m. Art. 90 ff. AEUV. 12 Vgl. Jung/Bischof, S. 40 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 65
Teil C
Die primärrechtliche Regelung der Dienstleistungsfreiheit erfasst zwar nur Angehörige der EU-Mitgliedstaaten (Art. 56 Abs. 1 AEUV), der Sekundärrechtsgesetzgeber kann diese Grundfreiheit jedoch auch auf Drittstaatsangehörige ausdehnen, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind (Art. 56 Abs. 2 AEUV).
62
b) Sekundärrecht Die Dienstleistungsfreiheit wird durch Richtlinien konkretisiert, welche die EU-Organe insbesondere auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 1 AEUV erlassen haben, wonach die Gesetzgebungsorgane der EU Richtlinien zur Liberalisierung einer bestimmten Dienstleistung erlassen können. Während einzelne Richtlinien sich auf die Harmonisierung der einzelstaatlichen Zulassungsvorschriften in einzelnen Dienstleistungssektoren beschränken1, erfasst die im Jahr 2006 erlassene Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG2 weite Bereiche des Binnenmarkts und kodifiziert die einschlägige Rechtsprechung des EuGH insbesondere zu den Ausnahmen und Beschränkungsmöglichkeiten. Zur Erreichung des Ziels, die Hindernisse für die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit weiter herabzusetzen, verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, eine Behörde als einheitlicher Ansprechpartner für die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer einzurichten; diese Behörde soll die Funktion einer Mittlerin gegenüber den für die Erteilung der erforderlichen Bewilligungen zuständigen Behörden haben (Art. 6). Die Richtlinie sieht zudem umfassende Zusammenarbeitspflichten der Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere durch gegenseitige Information und Konsultation u.a. zur Kontrolle der Dienstleistungserbringer, vor (Artt. 28 ff.). Es bestehen auch Pflichten zur spontanen Information: So statuiert Art. 29 Abs. 3 eine Mitteilungspflicht des Niederlassungsmitgliedstaats, sofern er von einer möglichen Gefährdung wichtiger Polizeigüter durch einen bei ihm niedergelassenen Dienstleistungserbringer erfährt. Es wird diesbezüglich auf der Grundlage des Binnenmarktinformationssystems IMI ein Vorwarnmechanismus eingeführt (Art. 32).
63
Die sog. Entsende-Richtlinie regelt die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen3. Um das Unterbieten der Sozialstandards des Gastlands zu verhindern, sieht sie vor, dass bestimmte für inländische Arbeitnehmende im Gastland geltende arbeitsrechtliche Vorgaben auch auf die entsandten Arbeitnehmenden anwendbar sind4.
64
Die 2014 erlassene EU-Richtlinie über Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers soll es multinationalen Unternehmen erleichtern, hochqualifizierte Mitarbeiter vorübergehend an Tochtergesellschaften in der EU zu entsenden5.
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1 Z.B. Richtlinie 98/5/EG des EP und des Rates v. 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. Nr. L 77 v. 14.3.1998, S. 36. Zur Auslegung der Richtlinie vgl. EuGH, Torresi, C-58/13 und C-59/13, EU:C:2014:2088. 2 Richtlinie 2006/123/EG des EP und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt v. 12.12. 2006, ABl. Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36. Zahlreiche Bereiche, wie z.B. audiovisuelle Dienste, werden in Art. 2 Abs. 2 aus dem Anwendungsbereich ausgegrenzt. Zur Auslegung der Richtlinie vgl. etwa EuGH, Rina Services et al., C-593/13, EU:C:2015:399, mit Bezug auf eine italienischen Vorschrift, nach der bestimmte Zertifizierungsstellen ihren satzungsmässigen Sitz in Italien haben müssen. 3 Richtlinie 96/71 des EP und des Rates v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. Nr. L 18 v. 21.1.1997, S. 1 ff. 4 Fuchs/Marhold, S. 35 ff. 5 Richtlinie 2014/66/EU des EP und des Rates v. 15.5.2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers, ABl. Nr. L 157 v. 27.5.2014, S. 1. Bemerkenswert ist, dass die Richtlinie „insbesondere“ gestützt auf die Zuständigkeit der EU zur Regelung von Fragen der Einwanderung nach Art. 79 Abs. 2 lit. a und b AEUV erlassen wurde.
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Breitenmoser/Weyeneth 141
Teil C Rz. 66
Handel mit Dienstleistungen
c) Verträge mit Drittstaaten 66
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Seit dem Vertrag von Lissabon verfügt die EU auch über eine ausschließliche Zuständigkeit im Bereich des Handels mit Dienstleistungen im Verhältnis zu Drittstaaten (Art. 3 Abs. 1 lit. e und Art. 207 AEUV)1. Demgemäß ist sie befugt, mit Drittstaaten völkerrechtliche Verträge über die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen zu schließen2. Gemäss Art. 207 Abs. 4 Unterabs. 2 und 3 AEUV muss der Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens einstimmig erfolgen, wenn ein Abkommen betroffen ist, das – den Dienstleistungsverkehr oder Handelsaspekte des geistigen Eigentums und ausländische Direktinvestitionen zum Gegenstand hat, sofern das Abkommen Bestimmungen enthält, bei denen für die Annahme EU-interner Vorschriften Einstimmigkeit erforderlich ist; – den Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen zum Gegenstand hat, sofern das Abkommen die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der EU beeinträchtigen könnte; – den Handel mit Dienstleistungen des sozialen, des Bildungs- und des Gesundheitssektors zum Gegenstand hat, sofern das Abkommen die einzelstaatliche Organisation dieser Dienstleistungen ernsthaft stören und die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Erbringung beinträchtigen könnte3. aa) EWR
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Im Jahr 1992 unterzeichneten die (damalige) EG und die EU-Mitgliedstaaten einerseits sowie die EFTA-Staaten andererseits das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen, EWRA)4.
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Sahen die früheren, zwischen der (damaligen) EG und den einzelnen EFTA-Staaten geschlossenen Freihandelsabkommen im Wesentlichen die Beseitigung der Zollschranken und der mengenmässigen Beschränkungen im Handel mit gewerblichen Waren vor5, kommen mit dem EWR-Vertrag die Beseitigung weiterer Handelsschranken sowie neben dem freien Personen- und Kapitalverkehr auch der freie Dienstleistungsverkehr hinzu. Um im ganzen EWR gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen, haben die EFTA-Staaten zudem das Wettbewerbsrecht der EU übernommen und – parallel zur EU-Kommission und zum EuGH – die unabhängige EFTA-Überwachungsbehörde sowie den EFTA-Gerichtshof geschaffen6.
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Entsprechend dem aufgrund des EWR-Gutachtens des EuGH7 überarbeiteten Abkommen obliegt die gerichtliche Kontrolle über die Anwendung des EWR-Rechts in den EFTA-Staaten nicht mehr – wie zunächst vorgesehen – einem aus drei EFTA- und fünf EU-Richtern zusammengesetzten EWR-Gericht, sondern einem EFTA-Gerichtshof ohne personelle oder funktionale Verbindung zum EuGH (sog. Zwei-Pfeiler-Modell). Der EuGH ist somit – im Sinne des Grundsatzes der Autonomie des EU-Rechts – weiterhin allein zuständig für die Auslegung des EU-Rechts. 1 2 3 4
Vgl. Meng/Lahan, N 6. Zu den Verhandlungen über ein neues multilaterales Dienstleistungsabkommen vgl. Rz. 76. Vgl. Osteneck in Schwarze, Art. 207 N 8 ff. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum v. 14.2.1992, ABl. Nr. L 1 v. 3.1.1994, S. 3. Die Schweiz hat das Abkommen ebenfalls unterzeichnet, sah jedoch aufgrund des negativen Ausgangs einer Volksabstimmung von einer Ratifikation ab. 5 Vgl. das – als einziges Freihandelsabkommen noch in Kraft stehende – Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 22.7.1972 (FHA), ABl. Nr. L 300 v. 31.12.1972, S. 189, SR 0.632.401. 6 Jaag/Hänni, Europarecht, Zürich 2015, N 3909 ff. 7 EuGH, EWR-Gutachten I, Gutachten 1/91, EU:C:1991:490; EWR-Gutachten II, Gutachten 2/92, EU:C:1992:189.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 76
Teil C
Die Verpflichtung zur Übernahme des acquis communautaire bzw. acquis im dynamischen und homogenen EWR-Raum beschränkt sich nicht auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens. Vielmehr sind auch die neuen EWR-relevanten Rechtsakte zu übernehmen. Mit Bezug auf die Weiterentwicklung und die Übernahme der Rechtsprechung des EuGH und des EuG erklärt zwar auch Art. 6 des EWR-Abkommens diejenigen Entscheidungen für verbindlich, die vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens am 2.5.1992 erlassen worden waren. Die Rechtsprechung des EuGH und des EuG wird jedoch nur insoweit Teil des Abkommensrechts, als die Bestimmungen des EWR-Abkommens mit den entsprechenden primär- und sekundärrechtlichen Regelungen des EU-Rechts in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind (Art. 6 EWRA).
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bb) Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz Das Abkommen zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz über die Freizügigkeit vom 21.6.1999 (FZA)1 sieht die Einführung der Freizügigkeit im Personenverkehr zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedstaaten vor2. Dabei wird auch der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr von natürlichen Personen (Arbeitnehmern und Selbständigerwerbenden) teilweise liberalisiert, und zwar beschränkt für die Dauer von bis zu drei Monaten bzw. 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Dienstleistungserbringer haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt für die Dauer ihrer Tätigkeit, sofern sie ihre Tätigkeit im anderen Vertragsstaat rechtmässig ausüben (Art. 5 Abs. 2 FZA)3. Es ist den Vertragsparteien erlaubt, für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen Anforderungen zu normieren; diese dürfen jedoch nicht gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung nach Art. 2 FZA verstossen.
74
Von der entsprechend beschränkten Dienstleistungsfreiheit erfasst sind damit im Unterschied zur Niederlassungsfreiheit4 auch Gesellschaften mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden (Art. 5 Abs. 1 FZA i.V.m. Art. 18 Anhang I FZA). Das FZA nimmt diesbezüglich auf die Entsende-Richtlinie 96/71/EG der EU Bezug (Art. 22 Abs. 2 Anhang I FZA). Die Schweiz hat in der Folge ein Entsendegesetz (EntsG) erlassen, das mit Bezug auf entsandte Personen sog. flankierende Maßnahmen vorsieht, die Missbräuche, insbesondere Lohndumping, verhindern sollen5. Dazu zählt u.a. die Pflicht der Arbeitgeber zur – mindestens acht Tage im Voraus zu erstattenden – Meldung von Einsätzen unter Angabe des Lohns der entsandten Personen (Art. 6 EntsG).
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Verhandlungen über eine unbeschränkte Dienstleistungsfreiheit, welche etwa die grenzüberschreitendende Erbringung von auch von personenunabhängigen Dienstleistungen ermöglicht, werden in einer Gemeinsamen Erklärung zum FZA6 zwar ausdrücklich in Aussicht gestellt, wurden aber im Rahmen der Verhandlungen über die
76
1 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999, ABl. Nr. L 114 v. 30.4.2002, S. 6; SR 0.142.112.681. 2 Die einzelnen EU-Mitgliedstaaten sind ebenfalls Vertragsparteien dieses (multilateralen) Gemischten Abkommens, weil die EU in den vom FZA erfassten Bereichen der Einwanderungsund Arbeitsmarktpolitik lediglich über eine geteilte Zuständigkeit verfügt, die sie darüber hinaus bislang nur zurückhaltend wahrgenommen hat. 3 Vgl. Grossen/de Coulon, S. 168 ff.; Maritz, S. 331 ff. 4 Vgl. EuGH, Grimme, C-351/08, EU:C:2009:697, N 26 ff., bestätigt in Fokus Invest, C-541/08, EU:C:2010:74. 5 Bundesgesetz über die flankierenden Maßnahmen bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und über die Kontrolle der in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen Mindestlöhne v. 8.10.1999 (Entsendegesetz, EntsG), SR 823.20. 6 Vgl. Gemeinsame Erklärung über eine allgemeine Liberalisierung der Dienstleistungen in der Schlussakte des Abkommens, BBl 1999, 7108.
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Teil C Rz. 77
Handel mit Dienstleistungen
sog. „Bilateralen II“-Verträge auf Betreiben der Schweiz hin abgebrochen1. Der Abschluss eines Dienstleistungsabkommens mit der EU müsste aufgrund der Vorgaben von Art. V GATS2 jedenfalls über den blossen Bereich der Finanzdienstleistungen hinausgehen3. 77
Im Schrifttum wird die Regelung einer beschränkten Dienstleistungsfreiheit im FZA – entgegen der Botschaft des Bundesrats4 – nicht als Ausnahme nach Art. V GATS eingestuft. Denn der Abbau der Handelshemmnisse genüge weder qualitativ noch quantitativ der Liberalisierungsanforderung von Art. V GATS5, zumal das Erbringen von Dienstleistungen auf 90 Tage beschränkt werde6. Würde sich ein Gericht dieser Auffassung anschließen, dann könnten Drittstaaten insoweit Gleichbehandlung im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten verlangen7.
78
In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH8 können Beschränkungen, die weder direkt noch indirekt an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und damit keine nach Art. 2 FZA verbotene Diskriminierung darstellen, nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden (Art. 22 Abs. 4 Anhang I).
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Die beschränkte Dienstleistungsfreiheit war bereits wiederholt Anlass von Gerichtsurteilen. So hatte der EuGH im Fall Hengartner und Gasser zu beurteilen, ob eine bei Schweizer Staatsangehörigen durch das österreichische Bundesland Vorarlberg erhobene und gegenüber Inländern erhöhte Jagdabgabe gegen das Diskriminierungsverbot verstosse. Der EuGH hatte zunächst die Anwendbarkeit des FZA, und zwar der darin verankerten (passiven) Dienstleistungsfreiheit, bejaht. Er führte jedoch aus, das FZA kenne „keine spezifische Regelung“, wonach das Diskriminierungsverbot Dienstleistungsempfängern „im Rahmen der Anwendung fiskalischer Regelungen über gewerbliche Transaktionen, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben“, zugutekomme. In diesem Zusammenhang verwies der EuGH auf seine Grimme-Rechtsprechung, in welcher er festhielt, dass die gestützt auf den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (effet utile) gestützte Auslegung des EU-Rechts nicht ohne weiteres auf das einschlägige, als Völkerrecht zu qualifizierendes Abkommensrecht übertragen werden könne9.
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Bezüge zur Dienstleistungsfreiheit weist sodann das Versicherungsabkommen auf, das die EU und die Schweiz im Jahr 1989 abgeschlossen haben10. Es ermöglicht Agenturen und Zweigniederlassungen von Unternehmen, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei haben und sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei niederlassen wollen oder dort bereits niedergelassen sind, die Aufnahme oder Ausübung der selbständigen Tätigkeit der Direktversicherung (Art. 1). Das Abkommen gewährleistet damit die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften im Bereich der Direktversicherungen. Die personenunabhängige grenzüberschreitende Erbringung von Versicherungsdienstleistungen und damit der direkte Vertrieb von (Lebens- und Sach-)Versicherungen von der EU und der Schweiz aus werden nicht erfasst. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Breitenmoser/Weyeneth, N 659 ff. Vgl. Rz. 49. Vgl. Cottier/Diebold/Kölliker/Liechti/Oesch/Payosova/Wüger, N 1000. BBl 1999, 6128 ff. Vgl. Rz. 47 ff. Vgl. Cottier/Panizzon, S. 67; Weber, S. 110. Vgl. Weber, S. 131. Vgl. Rz. 92 ff. EuGH, Hengartner und Gasser, C-70/09, EU:C:2010:430, N 40 ff. Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung v. 10.10.1989, ABl. Nr. L 205 v. 27.7.1991, S. 3, SR 0.961.1.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 86
Teil C
2. Geltung und Merkmale der EU-Dienstleistungsfreiheit a) Geltungs- und Anwendungsbereich Die EU-Dienstleistungsfreiheit gilt nur im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten und setzt somit das Vorliegen eines mehrere Mitgliedstaaten betreffenden grenzüberschreitenden Sachverhalts voraus (Art. 56 AEUV). Dementsprechend können sich Dienstleistungserbringer aus Drittstaaten oder eines EU-Mitgliedstaats in einem Fall ohne grenzüberschreitende bzw. zwischenstaatliche Bezüge nicht auf diese berufen1.
81
Des Weiteren schließt Art. 51 AEUV, wonach die Niederlassungsfreiheit auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, über Art. 62 AEUV auch im Bereich der Dienstleistungsfreiheit deren Anwendung auf entsprechende Tätigkeiten aus; entsprechend der engen Auslegung dieser Ausnahme wird etwa die Tätigkeit als Rechtsanwalt hiervon nicht erfasst2.
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Die Dienstleistungsfreiheit gilt gem. Art. 58 Abs. 2 AEUV nur beschränkt bei Finanzdienstleistungen. Nach der erwähnten Bestimmung wird die Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen im Einklang mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs durchgeführt3. Für Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs schließlich verweist Art. 58 Abs. 1 AEUV auf die primärrechtlichen Bestimmungen über den Verkehr.
83
Die Dienstleistung kann die Erbringung von gewerblichen, kaufmännischen, handwerklichen oder freiberuflichen Tätigkeiten umfassen (Art. 57 Abs. 2 AEUV)4. Zum Kreis der geschützten Tätigkeiten gehören auch Tourismusleistungen sowie die Ausstrahlung von Fernseh- und Rundfunksendungen einschließlich von Werbung5. Die Dienstleistungsfreiheit weist demzufolge eine Funktion als Querschnittskompetenz auf.
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b) Merkmale aa) Subsidiarität gegenüber anderen Grundfreiheiten Dienstleistungen im Sinne dieser Grundfreiheit sind Art. 57 Abs. 1 AEUV zufolge Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Bestimmungen über die anderen Grundfreiheiten unterliegen.
85
Die Dienstleistungsfreiheit umfasst gem. Art. 57 Unterabs. 2 AEUV nur solche selbständigen Erwerbstätigkeiten, die vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt werden6. Demgegenüber regelt die Niederlassungsfreiheit als Bestandteil der Personenfreizügigkeit die auf Dauer in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit7. Aktivitäten auf Dauer oder ohne jede zeitliche Begrenzung fallen demnach nicht unter die Dienstleistungsfreiheit, können jedoch durch die übrigen Grundfreiheiten – häufig die Niederlassungsfreiheit – erfasst werden8. Durch die
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1 Vgl. EuGH, Alpine Investments, C-384/93, EU:C:1995:126, N 30 (Verbot des sog. cold calling); Holoubek in Schwarze, Art. 56 N 61 ff. 2 Vgl. EuGH, Reyners, 2/74, EU:C:1974:100, N 45 ff. 3 Vgl. Jung/Bischof, S. 40 ff. 4 Vgl. EuGH, Pelckmans, C-483/12, EU:C:2014:304, N 25 (Ladenöffnungszeiten). 5 EuGH, De Agostini, C-34/95, C-35/95 und C-36/95, EU:C:1997:344, N 49 f. (Werbung). 6 Vgl. EuGH, Gebhard, C-55/94, EU:C:1995:411, N 27. 7 Vgl. auch Herdegen, Europarecht, § 17 N 1. 8 Vgl. Kahn/Eisenhut in Vedder/Heintschel von Heinegg, Art. 57 N 16.
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Breitenmoser/Weyeneth 145
Teil C Rz. 87
Handel mit Dienstleistungen
Dienstleistungsfreiheit wird somit der Grundsatz der Inländerbehandlung auf zeitlich beschränkte grenzüberschreitende Leistungen ausgedehnt und damit auf einen Grossteil der heute relevanten Wirtschaftsbereiche erstreckt; die Dienstleistungsfreiheit hat insoweit eine lückenfüllende Funktion1. 87
Im Verhältnis zu den Grundfreiheiten des Warenverkehrs, des Personenverkehrs sowie des Kapital- und Zahlungsverkehrs ist die Dienstleistungsfreiheit demzufolge subsidiär; sie stellt insoweit einen Auffangtatbestand dar2. Dies lässt sich auch aus dem vorstehend erwähnten Art. 57 Abs. 1 AEUV ableiten3. Im jüngeren Schrifttum wird die Subsidiarität der Dienstleistungsfreiheit jedoch hinterfragt4. Von Bedeutung ist die Abgrenzung zur Kapitalverkehrsfreiheit namentlich bei steuerlichen Massnahmen der Mitgliedstaaten.
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Eine Abweichung von dieser Subsidiarität der Dienstleistungsfreiheit stellt insbesondere das Urteil des EuGH im Fall Fidium Finanz dar. Darin beurteilte der EuGH eine im deutschen Kreditwesengesetz (KWG)5 enthaltene Regelung, die für von Drittstaaten aus in Deutschland tätige Kreditunternehmen eine Bewilligung voraussetzt. Der Gerichtshof erachtete die – von der ausschliesslich Kredite an in Deutschland ansässige Personen vergebende Fidium Finanz AG mit Sitz in der Schweiz als Klägerin im Hauptverfahren gegenüber der deutschen Aufsichtsbehörde angerufene – Kapitalverkehrsfreiheit als nicht anwendbar, weil die Regelung vorwiegend den Dienstleistungsverkehr berühre; die Dienstleistungsfreiheit gelte jedoch nur innerhalb der EU, weshalb sich ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat auf diese nicht berufen könne. In seinem Urteil präzisierte der EuGH das Verhältnis zwischen Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit dahingehend, dass Art. 57 AEUV keine hierarchische Vorrangsregelung zwischen der Dienstleistungsfreiheit und den übrigen Grundfreiheiten festlege6. Zum gleichen Ergebnis, nämlich der Rechtmässigkeit einer Bewilligungsund Kontroll- bzw. Überwachungspflicht gegenüber ausländischen Bank- und Finanzinstituten, hätte der EuGH wohl ebenfalls gestützt auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verbots der Rechtsumgehung gelangen können bzw. müssen, da die Fidium Finanz AG sich durch ihre Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit weder der schweizerischen noch der deutschen Bewilligungspflicht und Bankenaufsicht unterstellen wollte. bb) Inländerbehandlung
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Entsprechend dem Grundsatz der Inländerbehandlung müssen die von der Dienstleistungsfreiheit erfassten Tätigkeiten in einem anderen EU-Mitglied- bzw. Vertragsstaat unter den gleichen Voraussetzungen ausgeübt werden können, die dieser für seine eigenen Angehörigen vorsieht (Art. 57 Abs. 3 AEUV). Staatsangehörige anderer EU-Mitgliedstaaten sind mit anderen Worten im Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit nicht weniger günstig wie die eigenen Staatsbürger zu behandeln7. Höhere Anforderungen an inländische Dienstleistungserbringer im Sinne einer Inländerdiskriminierung bleiben aus der Sicht des EU-Rechts zulässig.
1 Herdegen, Europarecht, § 17 N 1; Müller-Graff, Art. 67 N 8. 2 Vgl. EuGH, Gebhard, C-55/94, EU:C:1995:411, N 22; Jaag/Hänni, N 3132. A.M. EuGH, Fidium Finanz AG, C-452/04, EU:C:2006:631, N 32. 3 Jaag/Hänni, N 3132. 4 Vgl. Holoubek, in: Schwarze, Art. 56 N 4 ff. 5 Kreditwesengesetz in der Fassung der Bekanntmachung v. 9.9.1998 (BGBl. I, 2776), das durch Art. 16 des Gesetzes v. 20.11.2015 (BGBl. I, 2029) geändert worden ist. 6 EuGH, Fidium Finanz AG, C-452/04, EU:C:2006:631, N 32. 7 Vgl. Holoubek in Schwarze, Art. 57 N 78 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 93
Teil C
c) Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot Das Gebot der Inländerbehandlung gem. Art. 57 Abs. 3 AEUV umfasst zunächst ein absolutes, nur unter dem Vorbehalt des nationalen ordre public stehendes Verbot der direkten bzw. unmittelbaren Diskriminierung; jede Ungleichbehandlung, die daran anknüpft, dass ein Dienstleistungserbringer die Staatsangehörigkeit eines anderen EUMitglied- bzw. Vertragsstaat hat oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, ist unzulässig1. Dementsprechend statuiert das Sekundärrecht mitunter eine Pflicht, von einem Mitgliedstaat ausgestellte Zulassungen anzuerkennen2. Die EU-Dienstleistungsfreiheit kann insoweit zur Geltung des Herkunftslandprinzips führen3.
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Wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit hat der EuGH auch die Dienstleistungsfreiheit von einem blossen Diskriminierungsverbot zu einer echten Freiheit der selbständigen wirtschaftlichen Betätigung im Sinne eines Beschränkungsverbots weiterentwickelt4. Dieses erfasst alle Maßnahmen, die zwar unterschiedslos sowohl für inländische Dienstleistende als auch für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten, jedoch geeignet sind, die Tätigkeiten von Dienstleistungserbringern einzuschränken, die in einem anderen Mitglieds- oder Vertragsstaat niedergelassen sind und dort rechtmässig vergleichbare Dienstleistungen erbringen5. Das Beschränkungsverbot ist von den Mitgliedstaaten zu beachten, sofern sie Regelungen mit Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen erlassen, womit die Dienstleistungsfreiheit den Mitgliedstaaten Schranken bei der Ausgestaltung von Rechtsbereichen setzt, für welche die EU keine Zuständigkeit hat. Eine entsprechende Regelung auf Ebene der Mitgliedstaaten setzt voraus, dass keine EU-weite Harmonisierung besteht6. Solange die Voraussetzungen für den Zugang zu einem Beruf bzw. die Ausübung einer Tätigkeit nicht durch EU-Recht harmonisiert worden sind, dürfen die Mitgliedstaaten jedoch festlegen, welche Kenntnisse zu dessen Ausübung erforderlich sind7. Dabei können die Mitgliedstaaten das Schutzniveau selbst festlegen, so dass sie etwa im Bereich der Regelung von Glückspielen ein Ermessen haben8. Soweit sich entsprechende einzelstaatliche Vorgaben auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen auswirken, haben sie die Dienstleistungsfreiheit zu wahren.
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Zwar ist dieses – nun in Art. 56 AEUV ausdrücklich verankerte – Beschränkungsverbot zunächst umfassend. Es kann jedoch – anders als das absolute Verbot direkter bzw. unmittelbarer Diskriminierungen – eingeschränkt werden, sofern – im Sinne von immanenten Schranken-Schranken – vier Voraussetzungen erfüllt sind9:
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– Die Beschränkungen müssen nicht-diskriminierend ausgestaltet sein, d.h. sie dürfen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger anderer Staaten nicht schlechter stellen;
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1 Hübner, S. 151. 2 Z.B. Art. 1 ff. Richtlinie 98/5/EG des EP und des Rates v. 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. Nr. L 77, S. 36. 3 Vgl. Holoubek in Schwarze, Art. 56 N 74. 4 Vgl. EuGH, Collectieve Antennevoorziening Gouda u.a., C-288/89, EU:C:1991:323, N 12. 5 EuGH, International Jet Management, C-628/11, EU:C:2014:171, N 57. 6 Vgl. EuGH, Gebhard, C-55/94, EU:C:1995:411, N 23 ff. 7 Vgl. EuGH, X-Steuerberatungsgesellschaft, C-342/14, EU:C:2015:827, N 44. 8 Vgl. EuGH, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C-42/07, EU:C:2009:519, N 55 ff.; Zeturf Ltd., C-212/08, EU:C:2011:437, N 39 f. (Regelung über Pferdewetten). 9 Vgl. Jaag/Hänni, N 3145 ff.
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Breitenmoser/Weyeneth 147
Teil C Rz. 94 94
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Handel mit Dienstleistungen
– sie müssen zwingende Gründe des Allgemeininteresses verfolgen1, zu denen z.B. der Schutz der öffentlichen Gesundheit2, der Verbraucher3 oder der Umwelt4, die Notwendigkeit, die Eintreibung der Einkommenssteuer zu gewährleisten5, nicht jedoch rein fiskalisch oder wirtschaftspolitisch motivierte Interessen6, gehören; – sie müssen geeignet sein, das angestrebte Ziel zu verwirklichen7; – sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist8; dieses darf demnach nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreichbar sein9.
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Entsprechend dem Gebot der Erforderlichkeit muss der Gaststaat prüfen, ob den Schutzzielen, auf denen seine innerstaatlichen Zulassungsvorschriften beruhen, nicht bereits durch die Vorschriften im Staat der Ansässigkeit Genüge getan wird, weshalb vom Ansässigkeitsstaat erteilte Diplome und Zulassungen zu berücksichtigen sind und gegebenenfalls eine vergleichende Prüfung der dort erworbenen Qualifikationen und Kenntnisse zu erfolgen hat10.
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Das Beschränkungsverbot kann auch nationalen Regelungen entgegenstehen, die zwar nicht direkt an die Staatsbürgerschaft anknüpfen, jedoch – im Sinne einer versteckten bzw. indirekten Diskriminierung – mittelbar EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten ungleich behandeln, weil sie sich überwiegend zum Nachteil von Bürgern anderer EUMitgliedstaaten auswirken. Im Vordergrund steht dabei regelmäßig das Erfordernis des Wohnsitzes im jeweiligen Mitgliedstaat oder eines von den eigenen Staatsangehörigen leichter zu erfüllenden Ausbildungs- oder Qualifizierungserfordernisses11.
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Nach der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta (GRC)12 beurteilt der EuGH Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch mitgliedstaatliches Recht auch nach Massgabe der wirtschaftlichen Grundrechte der GRC von Art. 15 (Berufsfreiheit), 16 (unternehmerische Freiheit) und 17 (Eigentumsrecht), womit die in Art. 52 GRC für die Einschränkung von Grundrechten der GRC normierten Voraussetzungen der hinreichenden Rechtsgrundlage und der Wahrung der Verhältnismässigkeit anwendbar sind13. 1 Vgl. EuGH, Zeturf Ltd., C-212/08, EU:C:2011:437, N 31 ff. 2 Vgl. EuGH, Azienda sanitaria locale n.5 „Spezzino“ u.a., C-113/13, EU:C:2014:2440 (Direktvergabe von öffentlichen Aufträgen ohne Ausschreibung); Loi Evin, C-262/02, EU:C:2004:431, N 24 (Einschränkungen der Fernsehwerbung im französischen Recht). 3 Vgl. EuGH, Pfleger u.a., C-390/12, EU:C:2014:281 (Glücksspielautomaten); Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda u.a., C-288/89, EU:C:1991:323, N 14; Alpine Investments, C-384/93, EU:C:1995:126, N 40 ff. 4 Vgl. EuGH, Radlberger, C-309/02, EU:C:2004:799, N 75. Dem Fall zugrunde lag die Einführung einer Pfandpflicht für Mineralwasser, Bier und Erfrischungsgetränke durch den deutschen Gesetzgeber. Ein Unternehmen, das entsprechende Getränke in Einwegverpackungen exportiert, wehrte sich vor den deutschen Gerichten gegen die Pfandpflicht u.a. mit der Rüge einer Verletzung der EU-Grundfreiheiten. 5 EuGH, Strojírny Prosteˇjov, a.s., C-53/13, EU:C:2014:2011, N 46 ff. 6 Vgl. EuGH, Zeturf Ltd., C-212/08, EU:C:2011:437, N 52 (Regelung über Pferdewetten); Pfleger u.a., C-390/12, EU:C:2014:281, N 54 (Glücksspielautomaten); Duphar, C-238182, EU:C: 1984:45, N 23. 7 Vgl. EuGH, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C-42/07, EU:C:2009:519, N 59 ff. (Regelung des Glückspiels); Alpine Investments, C-384/93, EU:C:1995:126, N 45 ff. 8 Vgl. EuGH, Gebhard, C-55/94, EU:C:1995:411, N 37. 9 EuGH, Kommission/Niederlande, C-353/89, EU:C:1991:325, N 19. 10 Vgl. EuGH, Kommission/Niederlande, C-353/89, EU:C:1991:325, N 17 ff.; Gebhard, C-55/94, EU:C:1995:411, N 38. 11 Vgl. EuGH, Josemans, C-137/09, EU:C:2010:774, N 58 f.; Kommission/Österreich, C-147/03, EU:C:2005:427, N 41 (Zugangsbeschränkung zu Universitäten); Holoubek in Schwarze, Art. 56 N 1 ff. 12 Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12.2000, ABl. C 303 v. 14.12.2007, S. 1. 13 Vgl. EuGH, Pfleger u.a., C-390/12, EU:C:2014:281, N 57 ff. (Glücksspielautomaten).
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 102
Teil C
d) Ausnahme des ordre public Entsprechende Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung sind als sog. immanente Schranken von den primärrechtlich normierten sog. Ausnahmen zum Schutz des ordre public abzugrenzen. Letztere stellen Durchbrechungen einer Grundfreiheit zum Schutz fundamentaler öffentlicher Rechtsgüter dar und können auch direkte Diskriminierungen legitimieren. So erklärt Art. 62 AEUV die ordre public-Klausel von Art. 52 AEUV, wonach einzelstaatliche Sonderregelungen für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unter Umständen zulässig sein können, auch im Bereich der Dienstleistungsfreiheit für anwendbar. Demzufolge können die EU-Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht entsprechende Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit vorsehen, die gemäß der Rechtsprechung des EuGH als Ausnahmen von grundlegenden Prinzipien des EU-Rechts eng auszulegen sind; erforderlich ist eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt1. So anerkannte der EuGH im Fall Omega, der das Verbot von Laserspielen betraf und die Dienstleistungsfreiheit tangierte, dass der Schutz der Grundrechte – in casu der Menschenwürde – ein berechtigtes Intereresse darstelle, das eine Einschränkung einer Grundfreiheit legitimieren könne2.
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e) Rechtsschutz Die Gewährung von Rechtsschutz liegt primär in der Zuständigkeit der nationalen Behörden und Gerichte des jeweiligen EU-Mitgliedstaats. Die Betroffenen können sich vor diesen direkt auf die Dienstleistungsfreiheit als unmittelbar anwendbare Grundfreiheit berufen3. Dabei kommt den Verfahrensgarantien der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK)4 und der Grundrechtecharta (GRC) eine zunehmende Bedeutung zu. Die Bestimmung von Art. 6 EMRK gewährleistet das Recht auf Zugang zu einem Gericht und auf ein faires Verfahren vor demselben, wenn entweder zivilrechtliche Ansprüche und Pflichten – die bei Einschränkungen der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit regelmäßig betroffen sein dürften – oder eine strafrechtliche Anklage in Frage stehen5. Die Garantie von Art. 47 GRC geht über diese beiden Voraussetzungen hinaus und gewährleistet allgemein das Recht auf Zugang zu einem Gericht bei Streitigkeiten über Ansprüche des EU-Rechts6. Die nationalen Gerichte haben die Möglichkeit und – soweit es sich um letztinstanzliche Gerichte handelt – u.U. die Pflicht, bestimmte Fragen zur Auslegung des EU-Rechts dem EuGH vorzulegen (Art. 267 AEUV)7.
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V. Fazit Nachdem für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen bis in die 80er Jahre mit Ausnahme des EU-Binnenmarkts nur vereinzelt völkerrechtliche Abkommen bestanden hatten, ist diese nun entsprechend ihrer gestiegenen Bedeutung zunehmend Gegenstand völkervertraglicher Regelungen. Diese sehen für den Handel mit Dienstleistungen eine schrittweise Liberalisierung durch den Abbau von Beschränkungen vor. 1 Vgl. EuGH, Josemans, C-137/09, EU:C:2010:774, N 62; Omega Spiel- und Automatenaufstellungs-GmbH, C-36/02, EU:C:2004:614. Vgl. auch EuGH, Calfa, C-348/96, EU:C:1999:6, N 23; Jipa, C-33/07, EU:C:2008:396, N 23 ff. 2 EuGH, Omega, C-36/20, EU:C:2004:614. 3 EuGH, van Binsbergen, 33/74, EU:C:1974:131, N 24 ff. 4 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) v. 4.11.1950, ETS 5. 5 Vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, Art. 6 N 25 ff. 6 Vgl. Meyer, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2011, Art. 47 N 16 ff. 7 Vgl. Breitenmoser/Weyeneth, N 485; Herdegen, Europarecht, § 9 V N 25 ff.
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Breitenmoser/Weyeneth 149
102
Teil C Rz. 103
Handel mit Dienstleistungen
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Auf globaler Ebene stellt das GATS lediglich – aber immerhin – einen Rahmenvertrag dar, der allgemein gehaltene Grundsätze normiert, die sich weitgehend an die GATTGrundsätze anlehnen. Das GATS erlaubt es andererseits den Vertragsparteien, weitergehende regionale Liberalisierungen des Dienstleistungshandels zu vereinbaren. Vor dem Hintergrund der nur schleppend voranschreitenden Verhandlungen über weitere Liberalisierungsschritte im Rahmen der durch den Beitritt zahlreicher neuer Entwicklungs- und Schwellenländer immer heterogener werdenden WTO sind denn auch einzelne WTO-Mitglieder vermehrt dazu übergegangen, plurilaterale, d.h. nicht alle WTO-Mitgliedstaaten umfassende Abkommen über weitergehende Liberalisierungen auszuhandeln.
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Das wichtigste und in Europa im Vordergrund stehende Beispiel hierfür stellt die Errichtung eines – als Zollunion ausgestalteten – Binnenmarkts im Rahmen der EU dar, an den auch Drittstaaten wie die Schweiz bereichsweise assoziiert sind. Dies entspricht der Zielsetzung des WTO-Rechts, eine schrittweise Liberalisierung des weltweiten Handels herbeizuführen. Andere, weniger weitgehende Ausnahmen sind etwa die Freihandelsabkommen im Rahmen der EFTA. Eine weitergehende regionale Integration kann dabei Impulsgeber für einen weltweiten Liberalisierungsschritt sein. Die Möglichkeit, im Sinne einer Ausnahme vom Grundsatz der Meistbegünstigung als wesentlichem Grundsatz des GATS-Rechts abzuweichen, geht jedoch mit dem Risiko einher, dass das zentrale Gebot der Nichtdiskriminierung durch die Herstellung möglichst gleicher Wettbewerbsbedingungen auch auf der zwischenstaatlichen Ebene unterminiert wird.
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Der weiter vorangeschritte Liberalisierungsgrad der EU zeigt sich etwa am Rechtsschutz: Während sich betroffene Individuen und Unternehmen vor Behörden und Gerichten unmittelbar auf die EU-Dienstleistungsfreiheit berufen können, besteht im Rahmen der WTO lediglich ein mediatisierter Rechtsschutz.
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Die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen wird häufig durch einzelstaatliche Zulassungs- und Qualitätsregeln, die im Interesse etwa des Gesundheitsoder Verbraucherschutzes aufgestellt worden sind, beschränkt. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen solchen öffentlichen Schutzinteressen und dem Anliegen einer Liberalisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen.
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Aus den Urteilen des EuGH zur Auslegung der EU-Dienstleistungsfreiheit geht hervor, dass der Gerichtshof im Rahmen des EU-Binnenmarkts weiterhin Zugangsbeschränkungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen mitunter als mit dem EU-Recht vereinbar erachtet. Solange entsprechende Beschränkungen bestehen, kann aber nur von einer weitgehenden, nicht von einer umfassenden Öffnung der einzelstaatlichen Märkte für grenzüberschreitende Dienstleistungen gesprochen werden.
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Die jetzige Rechtslage macht die Fragmentierung des Völkerrechts in diesem Bereich deutlich. Eine Alternative hierzu stellt die Verstärkung der Bemühungen um weitergehende weltweite Liberalisierungen im Rahmen der WTO dar. Als Knacknuss dürften sich dabei Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge erweisen, die regelmäßig von staatlichen Einrichtungen erbracht und mithin von der Öffentlichkeit subventioniert werden. Hier gilt es, mitunter legitime Befürchtungen vor einen Abbau der Grundversorgung gegenüber Anliegen einer weltweiten Liberalisierung zur Steigerung von Wettbewerb und Wohlstand abzuwägen.
150 | Breitenmoser/Weyeneth
Versicherungsverträge
Rz. 111
Teil C
Kapitel 2. Versicherungsverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils C vor Rz. 1.
I. Allgemeines Der folgende Abschnitt behandelt Versicherungsverträge1 in ihrem internationalrechtlichen Rahmen. Dabei werden Tendenzen der Globalisierung (s. Rz. 110 ff.) ebenso beschrieben wie die zunehmende Europäisierung (Rz. 125 ff.). Beide Entwicklungen betreffen traditionell vor allem das Aufsichtsrecht (Rz. 141 ff.). Dazu treten die Angleichung des Versicherungsvermittlerrechts (Rz. 153 ff.) und des Versicherungsvertragsrechts (Rz. 167 ff.). Abschließend werden das internationale Versicherungsprozessrecht (Rz. 185 ff.) und das internationale Versicherungsvertragsrecht (Rz. 207 ff.) dargestellt. Dabei wird jeweils auch die Rechtslage in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz einbezogen.
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II. GATS 1. GATS und Versicherung Das am 1.1.1995 in Kraft getretene GATS2 (allgemein dazu Rz. 22 ff.) schließt Finanzdienstleistungen ein3. Hierzu gibt es einen speziellen Annex on Financial Services, der die allgemeinen Regeln des GATS teilweise modifiziert4. Der Begriff der Finanzdienstleistung ist dort in Abs. 5 lit. a definiert und umfasst auch Versicherungen5. Die versicherungsrelevanten Dienstleistungen sind in einer nicht abschließenden Liste angeführt. Diese enthält Erst- und Rückversicherungen, die Retrozession, die Versicherungsvermittlung sowie versicherungsbezogene Dienste (Versicherungsberatung, aktuarische Tätigkeiten etc.)6. Nach der Ausnahmebestimmung des Abs. 1 lit. b des Annex ist das Abkommen u.a. nicht auf soziale Sicherungs- und öffentliche Pensionssysteme anzuwenden. Diese Ausnahme gilt nicht, wenn die betreffenden Dienstleistungen nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates auch durch Finanzdienstleister angeboten werden können (sog. substitutive Versicherungen)7.
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2. Erbringung von Dienstleistungen Der Annex verweist in Abs. 1 lit. a Satz 2 auf Art. I Abs. 2 GATS, der in lit. a bis d vier verschiedene Formen der Erbringung von Dienstleistungen8 vorsieht: – grenzüberschreitende Dienstleistungen aus einem Mitgliedstaat in einen anderen (Beispiel: „electronic insurance“); 1 Der Autor dankt Frau Referendarin Ekaterini Georgiades für ihre Unterstützung insbesondere bei der Recherche und Auswertung der österreichischen Literatur. 2 General Agreement on Trade in Services, BGBl. II 1994, 1643. Zu den Verhandlungen über ein neues Abkommen (The Trade in Services Agreeement – TISA) s. Tietje in von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Vorbem. zu Art. 56–62 AEUV Rz. 40; zur Einbeziehung der Finanzdienstleistungen in die Verhandlungen mit den USA über eine Translantic Trade and Investment Partnership (TTIP) Barbee/Lester, Georgetown Journal of International Law 45 (2014), 953 ff. 3 Vgl. Winter, S. 14 ff. 4 Kampf in Grabnitz/Hilf, E. 26 Rz. 84; Barth/Huppenbauer, VW 1995, 1550 (1552) und 1628; Leroux, 36/3 (2002) JWT 413 (428 f.). 5 Zum Begriff der Finanzdienstleistung im GATS Kampf in Grabnitz/Hilf, E. 26 Rz. 5. 6 R. Schmidt/Huppenbauer, VersR 1997, 1037 (1040). 7 Abs. 1 lit. c des Annex. 8 Vgl. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, § 2 Rz. 439; Sapir, 33/1 (1999) JWT 51 (53 f.).
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Looschelders 151
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Teil C Rz. 112
Handel mit Dienstleistungen
– Erbringung der Dienstleistung in einem Mitgliedstaat an einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates (Beispiel: Abschuss einer Ferienrisikenversicherung am Urlaubsort); – Vertrieb von Versicherungen durch Niederlassungen in einem anderen Mitgliedstaat (Beispiel: Niederlassung einer Versicherungs-AG in einem anderen GATSMitgliedstaat schließt Versicherungsvertrag mit einem dort ansässigen Versicherungsnehmer); – Vertrieb von Versicherungen durch Grenzübertritt von Vertriebspersonen (Beispiel: eine Versicherungs-AG vertreibt in einem anderen Mitgliedstaat über einen Versicherungsvertreter Lebensversicherungen). 3. Allgemeine Liberalisierungspflichten nach dem GATS und ihre Grenzen 112
Das GATS enthält für alle Dienstleistungen allgemeine Liberalisierungsverpflichtungen. Zudem gibt es sektorspezifische Liberalisierungszugeständnisse, die zwischen den Mitgliedstaaten auszuhandeln sind1. Bei den allgemeinen Liberalisierungspflichten steht die Meistbegünstigungsklausel (MFN)2 an erster Stelle3. Die Mitgliedstaaten können indes Vorbehalte einlegen4. Art. V GATS stellt klar, dass die MFN-Behandlung sich nicht auf solche Liberalisierungen erstreckt, wie sie im Rahmen der EG bzw. von NAFTA bestehen5.
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Die wichtigste Begrenzung der Liberalisierung liegt in dem Vorbehalt zugunsten nationaler Aufsichtsregime („domestic regulation“) nach Abs. 2 des Annex on Financial Services. Die Mitgliedstaaten können hiernach aus vernünftigen Gründen („for prudential reasons“) Maßnahmen treffen, z.B. zum Schutz von Investoren oder Versicherungsnehmern oder zum Erhalt der Stabilität und Integrität des Finanzmarktes (lit. a Satz 1). Die Maßnahmen dürfen von den Mitgliedstaaten aber nicht genutzt werden, um ihre Verpflichtungen aus dem GATS zu umgehen (lit. a Satz 2). Der Vorbehalt für die nationale Aufsicht ist bewusst offen formuliert worden, weil es kein einheitliches Verständnis über den Begriff der „prudential regulation“ gibt6. Teilweise wird kritisiert, dass damit praktisch jede Aufsichtsmaßnahme gerechtfertigt werden könne7. Die Einschränkung in lit. a Satz 2 gewährleistet aber immerhin, dass die „vernünftigen Gründe“ nicht nur vorgeschoben sind8. Die Finanzkrise im Jahr 2008 hat im Übrigen gezeigt, dass eine angemessene Aufsicht über Finanzdienstleistungen unverzichtbar ist9. Insofern ist auch eine stärkere Kooperation der Mitgliedstaaten bei der Finanzaufsicht wünschenswert10.
1 Vgl. Leroux, 36/3 (2002) JWT 413 (415 f.); Das, 32/6 (1998) JWT 79 (100). 2 Most-favoured-nation-treatment. 3 Art. II GATS; s. dazu Abu-Akeel, 33/4 (1999) JWT 103–129; Cottier/Krajeweski, JIEL 2010, 817 (819). 4 Art. II Abs. 2 GATS, vgl. hierzu den Annex on Article II Exemptions sowie den Second Annex on Financial Services; Sapir, 33/1 (1999) JWT 51 (57); Mattoo, 31/1 (1997) JWT 107 (109); Das, 32/6 (1998) JWT 79 (94 f.). 5 Vgl. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, § 2 Rz. 450. 6 Ausführlich zu dieser Problematik Mc Allister Shepro, S. 7 ff., 26 ff. 7 Vgl. Avgouleas, S. 184; für objektive Überprüfung der „prudential reasons“ Barbee/Lester, Georgetown Journal of International Law 45 (2014), 953 (960). 8 Zur Auslegung der Ausnahmeklausel s. Barbee/Lester, Georgetown Journal of International Law 45 (2014), 953 (959 ff.). 9 Vgl. Krajewski in Ehlers/Fehling/Pünder, § 6 Rz. 43; zur Bankenaufsicht Lastra/Wood, JIEL 2010, 539 ff. 10 Vgl. Barbee/Lester, Georgetown Journal of International Law 45 (2014), 953 (969) mit Verweis auf die mögliche Anerkennung ausländischer Aufsichtsmaßnahmen nach Abs. 3 lit. a des Annex on Financial Services.
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Versicherungsverträge
Rz. 117
Teil C
4. Specific commitments Über die allgemeinen Liberalisierungspflichten nach dem GATS hinaus können die Mitgliedstaaten spezifische Zugeständnisse (specific commitments)1 aushandeln. Dabei geht es meist um den Marktzugang (market access)2 und die Inländerbehandlung (national treatment)3. Die Mitgliedstaaten können aber auch jede sonstige Liberalisierung vereinbaren (additional commitments)4. Bei Abschluss des GATS waren die Verhandlungen über die spezifischen Zugeständnisse im Finanzdienstleistungssektor noch nicht beendet. Eine entsprechende Vereinbarung kam erst am 28.7.1995 zustande. Da sich die USA zunächst nicht beteiligten5, galt das Abkommen von vornherein als Interims-Lösung. Es wurde durch das Abkommen vom 12.12.1997 ersetzt, dem auch die USA beitraten und das am 1.3.1999 in Kraft getreten ist6. Dieses Abkommen bildet einen Annex zum 5. Protokoll zum GATS7.
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5. Understanding on Commitments in Financial Services Im Rahmen der Specific Commitments stellt das Understanding on Commitments in Financial Services (UCFS; s. dazu auch Rz. 261 ff.) eine Besonderheit dar. Es handelt sich um ein koordiniertes Vorgehen verschiedener Staaten (insb. der OECD-Staaten)8 bei der Definition ihrer Zugeständnisse. Das Understanding ist kein Bestandteil des GATS und gilt nur unter den beteiligten Staaten9. Wegen der Meistbegünstigungsklausel wirken die Zugeständnisse aber auch in Bezug auf die anderen Mitgliedstaaten10. Das Understanding ist in verschiedene Abschnitte gegliedert. Nach der standstillKlausel (Abschn. A. UCFS) betreffen alle Vorbehalte nur bestehende Beschränkungen, eine Neueinführung ist unzulässig. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Auflistung von Monopolen und sagen zu, sich um deren Abschaffung oder Eingrenzung zu bemühen (Abschn. B.1. UCFS). Bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen genießen Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten, die im auftraggebenden Staat niedergelassen sind, MFN-Status und Inländerbehandlung (Abschn. B.2. UCFS).
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Auch die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung wird geregelt. Den Versicherungsunternehmen und -vermittlern kommt in einigen Sparten aktive Dienstleistungsfreiheit zu (Abschn. B.3 UCFS). Dies betrifft die Rückversicherung, Güter-, Kasko- und Haftpflichtversicherungen im Transportbereich sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit Versicherungen (z.B. Beratung). Bei Rück- und Transportversicherungen besteht auch für Nachfrager (passive) Dienstleistungsfreiheit (Abschn. B.4. lit. a und b UCFS).
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Abschn. B.5. UCFS regelt den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit. Versicherungsunternehmen anderer Mitgliedstaaten ist es danach gestattet, im Inland eine Niederlassung (commercial presence) zu gründen. Die Niederlassung untersteht zwar dem Aufsichtsrecht des Niederlassungsstaates; dieses darf aber keine Regelungen enthalten, die als Umgehung der Freiheit anzusehen sind (Abschn. B.6. UCFS). Auch Begleit-
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1 S. Teil III GATS. 2 Art. XVI GATS; vgl. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, § 2 Rz. 451 ff.; Völkel, passim. 3 Art. XVII GATS; s. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, § 2 Rz. 459 ff.; Trachtmann, Col. J. Transnat. L. 34 (1995), 37 (68 ff.). 4 Art. XVIII GATS verweist insbesondere auf Berufsqualifikationen, Standards oder Konzessionsfragen. 5 Zu den Gründen z.B. Yi Wang, 30/1 (1996) JWT 91 (113); Barth/Huppenbauer, VW 1995, 1550 (1552, 1628). 6 Vgl. Kollhosser in Prölss, Vor § 105 Rz. 6; Werner, S. 18 ff. 7 Näher dazu Kampf in Grabnitz/Hilf, E. 26 Rz. 76. 8 Vgl. Leroux, 36/3 (2002) JWT 413 (433); Weiss in Tietje, § 4 Rz. 60. 9 Vgl. Krajewski in Ehlers/Fehling/Pünder, § 6 Rz. 42; Cottier/Krajewski, JIEL 2010, 817 (825). 10 Im Detail hierzu Leroux, 36/3 (2002) JWT 413 (433).
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Looschelders 153
Teil C Rz. 118
Handel mit Dienstleistungen
rechte wie der grenzüberschreitende Transfer von Informationen oder Einreisemöglichkeiten für leitendes Personal werden garantiert (Abschn. B.8. und B.9. UCFS). Ein ausländisches Versicherungsunternehmen, das eine inländische Niederlassung hat, muss nach Abschn. C.1. UCFS Zugang zu den nationalen Finanzierungsinstitutionen (z.B. Börse) erhalten). Ist nach dem Recht des Niederlassungsstaates die Zugehörigkeit zu einer Institution der Selbstregulierung etc. zwingend oder privilegiert, so ist nach Abschnitt. C.2. UCFS nichtdiskriminierender Zugang zu dieser Institution zu gewähren. 6. Würdigung 118
Das GATS enthält bei einer Gesamtbetrachtung nur wenige substantielle Zusagen. Die praktische Bedeutung des GATS bleibt daher letztlich gering1. In Deutschland reduziert das GATS allerdings das Ermessen bei der Erteilung der Erlaubnis an drittstaatliche Versicherungsunternehmen (§ 69 Abs. 3 VAG = § 106b Abs. 4 VAG a.F.). Hat ein Versicherungsunternehmen seinen Sitz in einem Mitgliedstaat, so muss die Erlaubnis erteilt werden, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind2. Aus rechtspolitischer Sicht ist zu beachten, dass die mit dem 5. Protokoll und dem Understanding intendierte Liberalisierung seit der Finanzkrise in Zweifel gezogen wird. Teilweise wird auch für eine stärkere Verknüpfung von Liberalisierung und Regulierung plädiert3. Der Konflikt lässt sich aber durch die Vorbehalte für die nationale Aufsicht im Einzelfall angemessen lösen4.
III. OECD-Liberalisierungskodex 119
Versicherungen unterfallen auch dem Kodex der OECD zur Liberalisierung laufender unsichtbarer Transaktionen (s. dazu auch Rz. 266). Der Kodex beruht auf einer Entscheidung des OECD-Rates vom 12.12.19615 und wurde seitdem mehrmals überarbeitet6. Annex I zu Annex A enthält eine Liste der „current invisible operations“. Dort wird zuerst die Gütertransportversicherung genannt (Pkt. D/2); es folgen die Lebensversicherung (Pkt. D/3), alle anderen Versicherungssparten (Pkt. D/4) sowie die mit der Rückversicherung und der Retrozession verbundenen Transaktionen (Pkt. D/5). Ferner werden die Gründung und Führung von Zweigniederlassungen und Agenturen ausländischer Versicherer erfasst (Pkt. D/6).
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Der Liberalisierungskodex statuiert zunächst ein allgemeines Liberalisierungspostulat mit dem Zusatz, dass ein Mitgliedstaat seine Vorschriften auch in den Bereichen, in denen er keine Pflichten übernimmt, so liberal wie möglich anwenden wird7. Die Mitglieder verpflichten sich, Zulassungen zum Geschäftsbetrieb zu gewähren, wobei aber diverse Vorbehalte möglich sind8. Aufsichtsrechtliche Kontrollen bleiben ebenfalls zulässig9. Es gelten aber der Grundsatz der Meistbegünstigung sowie ein Verbot von Diskriminierungen10. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Avgouleas, S. 184; Leroux, 36/3 (2002) JWT 413 (427); Winter, S. 14 ff. Gause in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 421; Kokott, RIW 2000, 401 (404). Vgl. Krajewski in Ehlers/Fehling/Pünder, § 6 Rz. 43. In diesem Sinne auch Cottier/Krajewski, JIEL 2010, 817 (835). OECD, Code of Liberalisation of Current Invisible Operations (CLCIO), Dokument OECD/C (61) 96. Aktuell ist die Edition 2013, abrufbar unter http://www.oecd.org. Zum OECD-Liberalisierungskodex s. Kampf in Grabnitz/Hilf, E. 26 Rz. 114; zu den versicherungsrechtlichen Aspekten Pohlmann in Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, § 105 Rz. 9 ff.; Winter, VersR 2001, 1461 (1465). Art. 1 lit. a und b CLCIO. Art. 2 lit. a und b CLCIO; vgl. Künzle, S. 55 ff. S. Art. 5 CLCIO. Im Detail Art. 8, 9 CLCIO.
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Versicherungsverträge
Rz. 124
Teil C
Annex I zu Annex A gestaltet die Pflichten des Kodex speziell für den Versicherungssektor aus. Dabei wird der liberale Grundansatz durch Vorbehalte für die Aufsicht1 sowie nationale Vorbehalte (Annex B)2 eingeschränkt. Die Vorbehalte werden oft kritisch gesehen. Die Finanzkrise hat aber die Notwendigkeit einer effektiven Versicherungsaufsicht stärker ins Bewusstsein gerückt. Für Zweigniederlassungen und Agenturen ausländischer Versicherer besteht eine detaillierte Regelung3, die dem Grundsatz der Inländerbehandlung folgt4.
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Zwischen den Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR begründen die Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff., 56 ff. AEUV) weitergehende Freiheiten. Hierauf beruhende Liberalisierungen, die über den Kodex hinausgehen, müssen nicht auf andere OECD-Staaten übertragen werden (Art. 10 CLCIO)5. Der Liberalisierungskodex ist daher nur gegenüber Drittstaaten relevant. Auch hier bleibt seine Bedeutung wegen der Vorbehalte aber gering6.
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IV. Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (IAIS) Einen wesentlichen Beitrag zur Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrecht auf der globalen Ebene leistet die 1994 gegründete Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden (International Association of Insurance Supervisors – IAIS)7. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von Versicherungsaufsehern aus heute fast 140 Staaten. Ziel des Zusammenschlusses ist es, den mit der zunehmenden Internationalisierung des Versicherungsgeschäfts verbundenen Herausforderungen Rechnung zu tragen8.
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Neben dem Austausch von Informationen und Erfahrungen auf der globalen Ebene besteht ein zentrales Ziel der IAIS darin, internationale Grundsätze und Standards zur Versicherungsaufsicht zu entwickeln und damit einen einheitlichen, weltweit gültigen Rahmen für die Versicherungsaufsicht zu schaffen. Die erste Fassung der Insurance Core Principles (ICP) wurde von der IAIS im Jahre 1997 herausgeben9; aktuell ist die Fassung vom 1.10.2011 mit Ergänzungen von Okober 2012, Oktober 2013 und November 201510. Die ICP enthalten zwar keine rechtlich verbindlichen Vorgaben; ein gewisser politischer und faktischer Druck ergibt sich aber daraus, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank die Beachtung der ICP als wesentliche Voraussetzung für ein effektives Aufsichtssystem ansehen11.
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1 Zu den Einzelheiten Annex I zu Annex A zum CLCIO Teil II Pkt. D/2. (Transportversicherung), Pkt. D/3. (Lebensversicherung) und Pkt. D/4. (andere Sparten). 2 Zu den von Deutschland erklärten Vorbehalten Pohlmann in Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, § 105 Rz. 12. 3 S. Teil III, Pkt. D/6. im Annex I zu Annex A zum CLCIO. 4 Pohlmann in Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, § 105 Rz. 11; Kollhosser in Prölss, Vor § 105 Rz. 5. 5 Vgl. Kampf in Grabnitz/Hilf, E. 26 Rz. 114. 6 Vgl. Gause in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 420; Winter, S. 14 f. 7 Zur Bedeutung der IAIS vgl. Gause in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 425 ff.; Winter, S. 14 ff. 8 Ausführlich dazu Hohlfeld in FS E. Lorenz, 2004, S. 333 (334 ff.). 9 Hohlfeld in FS E. Lorenz, 2004, S. 333 (336). 10 Insurance Core Principles, Standards, Guidance and Assessment Methodology, abrufbar unter http://iaisweb.org; zu älteren Fassungen Hohlfeld in FS E. Lorenz, 2004, S. 333 ff.; H. Müller in FS Kollhosser, 2004, S. 245 ff. 11 Vgl. Gause in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 426; Hohlfeld in FS Lorenz, 2004, S. 333 (336 f.). Heiss in FS v. Hoffmann, 2011, S. 803 (810) sieht hier Ansätze für ein „transnationales“ Versicherungsaufsichtsrecht.
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Looschelders 155
Teil C Rz. 125
Handel mit Dienstleistungen
V. Versicherungsaufsichtsrecht 1. Rechtsquellen und Entwicklung des Europäischen Versicherungsaufsichtsrechts 125
Das Versicherungsaufsichtsrecht wird seit langem stark durch europäisches Recht geprägt1. Da das Versicherungsrecht in den Gründerstaaten der EG große Unterschiede aufwies, bedurfte es zur Verwirklichung der im EWG-Vertrag2 statuierten Grundfreiheiten rechtlicher Rahmenregelungen in Gestalt von Richtlinien3. Die für den Versicherungssektor zentralen Grundfreiheiten sind die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit4. Die Niederlassungsfreiheit gewährt die Möglichkeit, in einem anderen Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur zu gründen. Aufgrund der Dienstleistungsfreiheit kann ein Versicherer das Versicherungsgeschäft in einem anderen Mitgliedstaat ohne dortige Niederlassung betreiben5. Die wichtigsten Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ergingen in drei Phasen6.
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Die Erste Richtliniengeneration7 diente der Realisierung der Niederlassungsfreiheit und der Abgrenzung der Kompetenzen von Aufsichtsbehörden bei grenzüberschreitendem Versicherungsverkehr8. Konkret wurden die Zulassungserfordernisse für die Aufnahme von Versicherungstätigkeit im Ausland und die Errichtung von Zweigniederlassungen vereinheitlicht9. Mit der Zweiten Richtliniengeneration10 wurde die Dienstleistungsfreiheit bei der Schadensversicherung im Bereich der Großrisiken und in der Lebensversicherung für den passiven Dienstleistungsverkehr ermöglicht11. Mit der Dritten Richtliniengeneration12 wurde für alle Sparten die Dienstleistungsfreiheit rea1 2 3 4
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Vgl. Langheid in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 34; Armbrüster, Rz. 2015, 2017. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25.3.1957. Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 13. Art. 43 ff. und Art. 49 ff. EWG-Vertrag (heute Art. 49 und Art. 56 AEUV). Zur Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit im Versicherungsrecht Miersch, S. 14 ff.; vgl. auch Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen – Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen, ABl. EG 2000 Nr. C 43 v. 16.2.2000, S. 5. Zur deutlich geringeren Bedeutung der Kapitalverkehrsfreiheit für den Versicherungssektor vgl. Taik, S. 38 ff., 213, 219, 223 und passim. Z.B. grenzüberschreitender Abschluss eines Versicherungsvertrags auf dem Postweg oder im Internet. Zur Entwicklung der sog. „Drei Richtliniengenerationen“ H. Müller, Versicherungsbinnenmarkt, Rz. 22 ff. Schadenversicherung: Richtlinie 72/239/EWG v. 24.7.1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl. EG Nr. L 228 v. 16.8.1973, S. 3 (Erste Richtlinie Schaden); Lebensversicherung: Richtlinie 79/267 EWG v. 5.3.1979 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Direktversicherung (Lebensversicherung), ABl. EG Nr. L 63 v. 11.3.1979, S. 1 (Erste Richtlinie Leben). Vgl. Armbrüster, Rz. 2018. Art. 6 ff. und Art. 10 ff. der Ersten Richtlinie Schaden und Leben. Schadenversicherung: Richtlinie 88/357/EWG v. 22.6.1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG, ABl. EG Nr. L 172 v. 4.7.1988, S. 1 (Zweite Richtlinie Schaden); Lebensversicherung: Richtlinie 90/619/EWG v. 8.11.1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG, ABl. EG Nr. L 330 v. 29.11.1990, S. 50 (Zweite Richtlinie Leben). Armbrüster, Rz. 2019; Baran, S. 3; Miersch, S. 34 ff. Schadenversicherung: Richtlinie 92/49/EWG v. 18.6.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG, ABl. EG Nr. L 228 v. 11.08.1992, S. 1 (Dritte Richtlinie Schaden); Lebensversicherung: Richtlinie 92/96/EWG v.
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Versicherungsverträge
Rz. 130
Teil C
lisiert und das Single-Licence-Prinzip eingeführt, wonach ein in einem Mitgliedstaat zugelassenes Versicherungsunternehmen keiner weiteren Zulassung durch die Aufsichtsbehörde im Tätigkeitsland bedarf. In diesem Zusammenhang wurde auch das Sitzlandprinzip verankert. Die Finanzaufsicht obliegt nur der Behörde des Staates, in dem das Versicherungsunternehmen seinen Sitz hat. Die Rechtsaufsicht erfolgt aber sowohl durch die Tätigkeitsland- als auch durch die Herkunftslandbehörde1. Daneben hat die EG einige weitere Deregulierungen vorgenommen, die eine Intensivierung des Wettbewerbs auf nationaler Ebene bewirkten2. So wurden Monopolrechte in der Gebäude-Feuerversicherung3 und die Vorabkontrolle von Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifen aufgehoben4, das Spartentrennungsgebot eingeführt5 und Kautionspflichten der Versicherungsunternehmen bei grenzüberschreitendem Geschäftsverkehr abgeschafft6.
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In den Folgejahren wurden einige weitere Richtlinien mit versicherungsaufsichtsrechtlichem Bezug erlassen. So wurde die Rückversicherung durch die Rückversicherungsrichtlinien liberalisiert7. Die Versicherungsgruppen- und Finanzkonglomeratrichtlinien führten eine zusätzliche Aufsicht für Versicherungsunternehmen, die Teil einer Versicherungsgruppe sind, ein. Die Liquidationsrichtlinie befasste sich mit der Sanierung und Liquidierung von Versicherungsunternehmen. Mit der Versicherungsvermittlungsrichtlinie (s. Rz. 153 ff.) wurde für Versicherungsvermittler die Dienst- und Niederlassungsfreiheit eingeführt.
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2. Solvency II-Richtlinie Nachdem der Versicherungsbinnenmarkt mit dem Erlass der Dritten Richtliniengeneration als formal verwirklicht galt8, steht das Versicherungsaufsichtsrecht seit einigen Jahren wieder im Fokus der europäischen Gesetzgebung. Mit der Solvency II-Richtlinie vom 25.11.20099 wird das Versicherungsaufsichtsrecht nunmehr voll harmonisiert10.
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a) Ziele der Solvency II-Richtlinie Die Solvency II-Richtlinie soll durch risikobasierte Solvabilitätsanforderungen sicherstellen, dass die Versicherungsunternehmen über eine angemessene Ausstattung mit Eigenkapital verfügen. Weitere Ziele sind die Schaffung einheitlicher Rahmenregeln für den europäischen Versicherungsmarkt11 und die Herstellung einer einheitlichen
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10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG, ABl. EG Nr. L 360 v. 9.12.1992, S. 1 (Dritte Richtlinie Leben). Die Lebensversicherungsrichtlinien sind zwischenzeitig durch die Richtlinie 2002/83/EG v. 5.11.2002, ABl. EG Nr. L 345 v. 19.12.2002, S. 1 (im Folgenden: Richtlinie Leben) konsolidiert worden. Art. 40 Dritte Richtlinie Schaden; Art. 40 Dritte Richtlinie Leben. Mönnich, in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 54; eingehend Rabe, S. 19 ff. R. Schmidt/Präve in Prölss, Vorbem. Rz. 42. Art. 18 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie Schaden; Art. 12 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Leben. Siehe etwa Art. 13 Erste Richtlinie Leben; Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 32. Rudisch in FS Migsch, 2004, S. 1 (6). Näher dazu Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 24 ff. S. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen – Freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen, ABl. EG Nr. C 43 v. 16.2.2000, S. 5. Richtlinie 2009/138/EG v. 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit, ABl. EU Nr. L 335 v. 17.12.2009, S. 1 (Solvency IIRichtlinie). Vgl. dazu Bürkle, Compliance, § 2 Rz. 84; Dreher/Lange, VersR 2011, 825 (827 f.). Erwägungsgründe (2) und (3) der Solvency II-Richtlinie.
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Looschelders 157
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Teil C Rz. 131
Handel mit Dienstleistungen
Aufsichtspraxis in Europa1. Ein zentrales Ziel bleibt der Schutz der Versicherten2. Anlässlich der Reform wurden die bestehenden Versicherungsrichtlinien in die Solvency II-Richtlinie integriert3. Die betreffenden Richtlinien wurden zum 1.1.2016 aufgehoben (Art. 310 Solvency II-Richtlinie). b) Entstehungsprozess von Solvency II 131
Der europäische Gesetzgeber hat schon im Jahr 2002 mit der Solvabilität von Versicherungsunternehmen befasst. Die Richtlinien über die Solvabilitätsspanne (Solvency I)4 enthielten Vorschriften über die Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen, die sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens orientierten5. Risiken, die aus der Art der vorhandenen Eigenmittel resultierten, wurden nicht berücksichtigt6. Mit Solvency II wird nun ein risikobasiertes Solvabilitätssystem eingeführt. Danach richtet sich die Kapitalausstattung nach dem Risikoprofil des jeweiligen Versicherungsunternehmens7.
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Die rechtliche Implikation von Solvency II erfolgte auf der Basis des Lamfalussy-Verfahrens8. Dieses 4-Stufen-Verfahren wurde für den Finanzsektor entwickelt, um den langwierigen EU-Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen und effizienter zu gestalten9. Nach dem Lamfalussy-Verfahren beschließen der Rat und das Parlament im ersten Schritt nur noch sog. Rahmenrichtlinien (Ebene 1), welche wesentliche Regelungen und Prinzipien enthalten. Die rechtlichen und technischen Details werden anschließend in Regelungsausschüssen ausgearbeitet und in Form von Durchführungsverordnungen von der Kommission erlassen (Ebene 2). Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere die Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10.10.201410 zu nennen, die der Ergänzung der Solvency II-Richtlinie dient. In einem dritten Schritt werden diese Bestimmungen nochmals durch Leitlinien und Empfehlungen von den zuständigen Behörden – für die Versicherungswirtschaft die EIOPA (Rz. 139) – konkretisiert und ausgeführt (Ebene 3). Der vierte Schritt besteht in der Überwachung der Anwendung der Vorgaben in den Mitgliedstaaten durch die Kommission (Ebene 4)11. c) „Quick-Fix II“- und Omnibus II-Richtlinie
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Die Solvency II-Richtlinie sollte zunächst am 1.11.2012 in Kraft treten. Der Stichtag wurde jedoch mehrmals hinausgeschoben, zuletzt durch die „Quick-Fix II“-Richtlinie12 auf den 1.1.2016. Die Verzögerung hatte mehrere Gründe. Zum einen wurden durch den Vertrag von Lissabon13 neue Regelungen für den Erlass von Durchführungs1 Armbrüster, EuZW 2013, 686. 2 Art. 27 Solvency II-Richtlinie; vgl. auch Dreher, VersR 2013, 401 ff.; Lüttringhaus, EuZW 2011, 822. 3 Erwägungsgrund (1) der Solvency II-Richtlinie. 4 Für die Lebensversicherung Richtlinie 2002/12/EG v. 5.3.2002, ABl. EG Nr. L 77 v. 20.3.2002, S. 11; für die Schadensversicherung Richtlinie 2002/13/EG v. 5.3.2002, ABl. EG Nr. L 77 v. 20.3. 2002, S. 17. 5 Schröder in Looschelders/Pohlmann, Vorbem. D. Rz. 17; aus österreichischer Sicht: Grünbichler/Benedikt/Mammerler/Predota, VR 2004, 98 ff. 6 Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 29 Fn. 77. 7 Bürkle, VersR 2007, 1595. 8 Zum Lamfalussy-Verfahren Rötting/Lang, EuZW 2012, 8 ff.; Wandt/Sehrbrock in Dreher/ Wandt, 2009, S. 1 (5 ff.). 9 Wandt, VR 2007 H 3, 33. 10 ABl. EU Nr. L 12 v. 17.1.2015, S. 1; dazu Armbrüster, r+s 2015, 425 (431). 11 Vgl. Wandt, VR 2007 H 3, 33 ff.; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8 (14); Karpf, ÖBA 2005, 573; Höfer/ Pöschl, AnwBl. 2005, 326. 12 Richtlinie 2013/58/EU v. 11.12.2013, ABl. EU Nr. L 341 v. 18.12.2013, S. 1. 13 ABl. EG Nr. C 306 v. 17.12.2007, S. 1; konsolidierte Fassung: ABl. EU Nr. C 326 v. 26.10.2012, S.1.
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Versicherungsverträge
Rz. 136
Teil C
verordnungen auf der Dritten Ebene des Lamfalussy-Verfahrens eingeführt. Zum anderen mussten die Befugnisse der im Zuge der Finanzmarktkrise neu geschaffenen europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA berücksichtigt werden. Außerdem hatte die lange Niedrigzinsphase nach der Finanzkrise einige Solvabilitätsregelungen in Frage gestellt1. Nach dreijährigen Verhandlungen wurde am 16.4.2014 die Omnibus II-Richtlinie2 erlassen, welche die Solvency II-Richtlinie in den betreffenden Punkten abänderte. d) Anwendungsbereich und Regelungssystem von Solvency II Die Solvency II-Richtlinie ist auf alle Lebens- und Nichtlebensversicherungsunternehmen einschließlich Rückversicherungsunternehmen anwendbar. Ausgenommen sind Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sowie einzelne Geschäfte der NichtLebensversicherung3.
134
Solvency II besteht, in Anlehnung an das neue Bankenaufsichtssystem4, aus drei Säulen. Die erste Säule enthält quantitative Vorgaben über die Kapitalanforderungen und die Eigenmittelausstattung5. Zweck ist die Minimierung des Insolvenzrisikos. Die zweite Säule regelt die qualitativen Anforderungen an das Governance-System6. Die Versicherungsunternehmen sind hiernach verpflichtet, transparente Organisationsstrukturen zu schaffen7 und ein Risikomanagementsystem zu etablieren8. Zudem haben sie ein internes Kontrollsystem mit Compliance-Funktion einzuführen9 und eine unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (ORSA)10 durchzuführen. Schließlich muss die fachliche und persönliche Eignung der Schlüsselfunktionsträger („fit and proper“) gewährleistet sein11.
135
Die dritte Säule beinhaltet Berichterstattungs- und Offenbarungspflichten der Unternehmen gegenüber der Aufsichtsbehörde und der Öffentlichkeit. Ziel ist die Verbesserung der Transparenz und der Marktdisziplin. Dazu müssen die Unternehmen jährlich den sog. Solvency and Financial Condition Report (SFCR) veröffentlichen, der Angaben zur ihrer Finanzlage enthält. Der Regular Supervisory Report (RFS) ist ein Bericht an die Aufsichtsbehörde und dient dieser als Grundlage für das Überprüfungsverfahren (Supervisory Review Process)12.
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1 Vgl. Armbrüster, EuZW 2013, 686 (687). 2 Richtlinie 2014/51/EU v. 16.4.2014 zur Änderung der Richtlinien 2003/71/EG und 2009/138/ EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009, (EU) Nr. 1094/2010 und (EU) Nr. 1095/2010 im Hinblick auf die Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) und der Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), ABl. EU Nr. L 153 v. 22.5. 2014, S. 1. 3 Art. 5 Solvency II-Richtlinie. 4 Vgl. die Richtlinie 2006/48/EG v. 14.6 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABl. EG Nr. L 177 v. 30.6.2006, S. 1, sowie die Richtlinie 2006/49/EG v. 14.6.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), ABl. EG Nr. L 177 v. 30.6.2006, S. 201; zu dieser Parallele s. auch Lüttringhaus, EuZW 2011, 822. 5 Armbrüster, EuZW 2013, 686 (687); Gal/Sehrbock, Umsetzung, S. 13 ff. 6 Art. 41 bis 49 Solvency II-Richtlinie. 7 Art. 41 Abs. 1 S. 2 der Solvency II-Richtlinie. 8 Art. 44 Abs. 2 der Solvency II-Richtlinie. 9 Art. 46 der Solvency II-Richtlinie; näher dazu Bürkle, Compliance, § 2 Rz. 88 ff.; Bürkle, VR 2012 H 12, 45 ff.; Korinek/Schadler-Liebl, VR 2011 H 9, 30 f.; Saria, VR 2011 H 11, 12. 10 Own Risk and Solvency Assessment; s. dazu Armbrüster, r+s 2015, 425 (427); Dreher/Ballmaier, VersR 2012, 129 ff.; Lüttringhaus, EuZW 2011, 856; Gal/Sehrbrock, Umsetzung, S. 35. 11 Vgl. Bürkle, Compliance, § 2 Rz. 97; Louven/Ernst, VersR 2014, 151 ff. 12 Dazu Hasse in Dreher/Wandt, 2009, S. 61 ff.; Dreher/Schaaf in Dreher/Wandt, 2009, S. 129 ff.
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Looschelders 159
Teil C Rz. 137 137
Handel mit Dienstleistungen
Die Solvency II-Richtlinie enthält zudem Regelungen über die Gruppenaufsicht1. Dabei werden auch Versicherungsgruppen mit Bezug zu einem Drittland erfasst (vgl. Rz. 148)2. e) Würdigung
138
Die Solvency II-Richtlinie ist gemeinhin auf viel Zustimmung gestoßen. Von einigen Versicherern wird allerdings bemängelt, dass das Solvency-Regime die Eigenarten der kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen sowie bestimmter Anlageformen, wie etwa Captives, nicht ausreichend berücksichtigt3. Fraglich ist auch, ob Solvency II Risiken außerhalb der Sphäre des Versicherers verringern kann. So wird befürchtet, dass ein massiver Ausfall von (vermeintlich sicheren) Staatsanleihen bei einem Versicherer trotz Solvency II zu einer Kettenreaktion bei anderen Versicherungen führen kann. Offen ist auch, inwiefern Solvency II die Lebensversicherer vor den Risiken schützen kann, die sich aus der Niedrigzinsphase ergeben4. 3. Errichtung europäischer Aufsichtsbehörden
139
Die EU-Kommission hat im Jahre 2003 einen aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammengesetzten Ausschuss (CEIOPS)5 eingerichtet. Die Aufgabe von CEIOPS bestand in der Weiterentwicklung der Aufsichtspraktiken in Europa und der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden6. CEIOPS konnte Leitlinien, Empfehlungen und Standards beschließen, die aber weder von den Versicherungsunternehmen noch von den nationalen Aufsichtsbehörden zwingend zu beachten waren. Mit Wirkung zum 1.1.2011 ist CEIOPS in der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA)7 mit Sitz in Frankfurt aufgegangen8. EIOPA wurde auf Grundlage von Art. 114 AEUV errichtet9 und ist Teil des aufgrund der Finanzkrise errichteten Europäischen Finanzaufsichtssystems (ESFS)10. Neben EIOPA wurden zwei weitere Aufsichtsbehörden, die Europäische Bankenaufsicht (EBA)11 mit Sitz in London und die Europäische Wertpapieraufsicht (ESMA)12 mit Sitz in Paris geschaffen13.
1 Vgl. Matusche-Beckmann in Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E. VI. Rz. 103 ff.; Sehrbrock, ZVersWiss 2008, Suppl. 1, 27 ff.; Krämer, ZVersWiss 2008, 319 ff.; ferner die Beiträge zur „Gruppenaufsicht unter Solvency II“ in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung 2013, 2014, S. 1–119. 2 Vgl. Lüttringhaus, EuZW 2011, 822 (824). 3 Vgl. EnzEuR/Looschelders/Michael, § 11 Rz. 67. 4 Wrabetz, VR 2011 H 12, 30 (31). 5 Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors. 6 Zu den Aufgaben und Befugnissen von CEIOPS EnzEuR/Looschelders/Michael, § 11 Rz. 4 ff. 7 European Insurance and Occupational Pensions Authority. Zur Struktur der EIOPA vgl. Keune, S. 69 ff. 8 Vgl. Erwägungsgrund (9) und Art. 76 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) (EIOPA-VO), ABl. EG Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 48. 9 Zu den primärrechtlichen Bedenken gegen EIOPA EnzEuR/Looschelders/Michael, § 11 Rz. 31 ff.; Sasserath-Alberti/Hartig, VersR 2012, 524 ff.; Gal, ZVersWiss 2013, 325 ff.; Keune, S. 139 ff. 10 European System of Financial Supervision. Zu den Ursachen der Finanzmarktkrise s. den Larosière-Bericht (De Larosière-Report, Brüssel) v. 25.2.2009 mit Vorschlägen zu einer Restrukturierung der Finanzmarktaufsicht. 11 European Banking Authority. 12 European Securities and Markets Authority. 13 Zur neuen europäischen Aufsichtsarchitektur s. Keune, S. 62 ff.; Ettl, VR 2010 H 3, 23 ff.
160 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 143
Teil C
EIOPA soll eine einheitliche Aufsichtspraxis in Europa gewährleisten und den Schutz der Versicherungsnehmer fördern1. Dazu wurde die Behörde mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet2. Neben der Verabschiedung rechtlich verbindlicher Leitlinien und Empfehlungen und der Erarbeitung technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards3, überwiegend auf der Dritten Ebene des Lamfalussy-Verfahrens4, kann EIOPA bei Unionsrechtsverletzungen und in Krisenfällen ausnahmsweise auch unmittelbar gegen ein Versicherungsunternehmen Einzelmaßnahmen erlassen5. Dies setzt aber voraus, dass die nationale Aufsichtsbehörde einem Beschluss der EIOPA nicht innerhalb innerhalb einer Frist nachkommt (vgl. Art. 18 Abs. 4 EIOPA-VO). Die tägliche Aufsicht bleibt also weiter den nationalen Aufsichtsbehörden vorbehalten.
140
4. Nationales Versicherungsaufsichtsrecht a) Deutschland und Österreich Die Versicherungsaufsicht hat sowohl in Deutschland als auch Österreich eine lange Tradition. Das deutsche VAG vom 12.5.1901 ist am 1.1.1902 in Kraft getreten und galt bis zum 31.12.2015. In Österreich wurde eine Versicherungsaufsicht schon durch ein „Assecuranz-Regulativ“ von 1880 eingeführt6. Ab 1939 galt in Österreich das deutsche VAG von 1901, das nach 1945 zunächst als österreichisches Gesetz weiter anwendbar war und dann zum 1.1.1979 durch das österreichische VAG von 19787 abgelöst wurde. Österreich ist seit dem 1.1.1995 Mitglied der EG. Aufgrund des EWR-Abkommens8 bestand für Österreich aber schon ab dem 1.1.1994 eine Pflicht zur Übernahme europäischen Rechts9.
141
Die Solvency II-Richtlinie ist in allen EU- und EWR-Staaten umzusetzen. In Deutschland wurde hierzu das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015 erlassen10, das seit dem 1.1.2016 in Kraft ist11. In Österreich ist eine Totalrevision des VAG gescheitert. Das neue österreichische VAG vom 20.2. 201512 ist aber ebenfalls pünktlich am 1.1.2016 in Kraft getreten13.
142
b) Liechtenstein Der liechtensteinische Versicherungssektor ist, verglichen mit anderen europäischen Ländern, recht jung. Bis Mitte der 90er Jahre waren ausschließlich schweizerische Versicherungsunternehmen in Liechtenstein tätig und es gab kaum einschlägige Aufsichtsbestimmungen14. Durch den Beitritt zum EWR am 1.5.1995 ist auch Liechtenstein zur Umsetzung der europäischen Richtlinien zum Versicherungsrecht verpflich1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Art. 8 Abs. 1 lit. b und h der EIOPA-VO. Müller-Reichart/Altenhofen/Wagner/Weckbecker, VW 2011, 962 ff. Art. 10 und 15 der EIOPA-VO. Art. 16 der EIOPA-VO; Binder, GPR 2011, 34 (36); krit. zur Leitlinienbefugnis Raschauer, ÖZW 2013, 34; Sasserath-Alberti in Dreher/Wandt, 2014, S. 129 ff. Art. 17 Abs. 6 und Art. 18 Abs. 3 der EIOPA-VO. Warnung vor einem Allzuständigkeitsverständnis seitens EIOPA: Wandt/Gal in Dreher/Wandt, 2014, S. 147 (179); Sasserath-Alberti in Dreher/Wandt, 2014, S. 129 (145). Zur geschichtlichen Entwicklung Langheid in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 13; Baran, S. 1 ff. Österr. BGBl. 1978/569. Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum v. 2.5.1992, ABl. EG Nr. L 1 v. 3.1.1994, S. 3. Vgl. Baran, S. 4. BGBl. I, 434 v. 10.4.2015. Zu den wichtigsten Neuregelungen im deutschen VAG 2016 vgl. Armbrüster, r+s 2015, 425 ff. Österr. BGBl. I Nr. 34/2015. Zur Solvency II-Umsetzung in Österreich s. Peschetz, VR 2015 H 12, 24. Rudisch/Feuerstein, VR 2001, 156.
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Looschelders 161
143
Teil C Rz. 144
Handel mit Dienstleistungen
tet. In der Folgezeit hat sich in Liechtenstein eine eigenständige Versicherungswirtschaft entwickelt1. Die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen wurden in den Jahren 1996/97 durch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VersAG)2 und die Versicherungsaufsichtsverordnung (VersAV)3 gesetzt4. Seit 2005 besteht die jetzige Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA). 144
Der gemeinsame EWR-Ausschuss hat am 1.7.2011 beschlossen, die Solvency II-Richtlinie in das EWR-Abkommen aufzunehmen5. Als Mitgliedstaat des EWR war somit auch Liechtenstein zur Umsetzung der Solvency II-Richtlinie verpflichtet. Bereits im Herbst 2011 lag ein erster Entwurf für ein neues VersAG vor6. Dieser Entwurf musste in den Jahren 2013 und 2014 u.a. aufgrund der Omnibus II-Richtlinie überarbeitet werden. Das neue liechtensteinische VersAG vom 12.6.20157 ist dann ebenso wie das neue deutsche und das neue österreichische VAG am 1.1.2016 in Kraft getreten.
145
Als EWR-Mitglied gilt für Liechtenstein im gesamten EU- und EWR-Raum Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Eine Besonderheit besteht im Hinblick auf die Schweiz. Das am 9.7.1998 in Kraft getretene Direktversicherungsabkommen8 statuiert zwischen Liechtenstein und der Schweiz ebenfalls Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit9. Für die Versicherungsaufsicht gilt im Verhältnis zur Schweiz das Sitzlandprinzip. Das Abkommen enthält außerdem Regelungen über grenzüberschreitende Bestandsübertragungen10, die Geldwäschereiaufsicht von Versicherungsunternehmen11, die Aufsicht über Versicherungsvermittler12 und das internationale Versicherungsvertragsrecht (Rz. 239 ff.). c) Schweiz
146
Die Schweiz hat schon am 25.6.1885 das „Bundesgesetz betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens“ erlassen, das dem deutschen VAG von 1901 als Vorbild diente13. Viele Schweizer Versicherungsunternehmen sind über Tochtergesellschaften und Niederlassungen in der EU bzw. im EWR tätig14. Die europäische Gesetzgebung hat daher für den schweizerischen Versicherungsmarkt große Bedeutung15. 1 Vgl. Rudisch/Feuerstein, VR 2001, 156 Fn. 14. Zu den bedeutendsten liechtensteinischen Versicherungszweigen vgl. Voigt, Der Monat, August 2013, S. 16 ff. 2 Gesetz v. 6.12.1995 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VersAG), LGBl. 1996 Nr. 23. 3 Verordnung v. 17.12.1996 zum Gesetz betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsverordnung – VersAV), LGBl 1997 Nr. 41. 4 Kurzer Überblick über den liechtensteinischen Versicherungssektor: http://www.lvv.li/ CFDOCS/cmsout/admin/index.cfm?GroupID=248&MandID=1&meID= 45&Lang= 1. 5 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 78/2011 v. 1.7.2011 zur Änderung von Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABl. EU Nr. L 262 v. 6.10.2011, S. 45. 6 Imhof/Höfler in Heiss, S. 1. 7 Gesetz vom 12.6.2015 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VersAG), LGBl. 2015 Nr. 231. 8 Abkommen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft betreffend die Direktversicherung sowie die Versicherungsvermittlung, LGBl. 1998 Nr. 129. 9 Art. 5 Abs. 1 Direktversicherungsabkommen; Art. 10 ff. des Anhangs zum Direktversicherungsabkommen. 10 Art. 7 des Anhangs zum Direktversicherungsabkommen. 11 Art. 27 f. des Anhangs zum Direktversicherungsabkommen. 12 Art. 29 ff. des Anhangs zum Direktversicherungsabkommen. 13 Langheid in MünchKomm/VVG, AufsichtsR Rz. 14. 14 Rabe, S. 105. 15 http://www.svv.ch/de/medien/referate/europa-und-die-schweiz-im-lichte-neuer-aufsichtsbestim mungen.
162 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 148
Teil C
Für die direkte Schadenversicherung besteht zwischen der Schweiz und der EU ein Abkommen1, das am 1.1.1993 in Kraft getreten ist und 2001 an die neuen rechtlichen Entwicklungen angepasst wurde2. Das Abkommen gewährleistet gegenseitige Niederlassungsfreiheit für die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung. Für letztere gelten die Bestimmungen für Versicherer aus Drittstaaten. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die Rückversicherung (s. aber noch Rz. 148). Die Dienstleistungsfreiheit ist ebenfalls nicht vom Abkommen umfasst3. Anlass für das Abkommen war die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit im EWG-Raum durch die Erste Richtlinie Schaden. Ziel des Abkommens war es, die damit verbundene Benachteiligung schweizerischer Versicherungsunternehmen zu beseitigen. Zu den wichtigsten Regelungen des Abkommens zählen die gemeinsamen Zulassungsbedingungen für die Geschäftstätigkeit von Versicherungsunternehmen, Bestimmungen über die Bildung technischer Reserven und die Berechnung der Solvabilitätsspanne, sowie die Zusammenarbeit unter den Aufsichtsbehörden4. Die ständige Aufsicht wird grundsätzlich von der Behörde wahrgenommen, in der das Unternehmen das Versicherungsgeschäft betreibt (Tätigkeitslandprinzip). Für die Solvabilitätsvorschriften gilt aber das Sitzlandprinzip5.
147
Die Schweiz gehört weder der EU noch dem EWR an und unterliegt daher nicht der Solvency II-Richtlinie. Seit 2006 hat die Schweiz aber ein eigenes risikobasiertes Solvabilitätskonzept, den Swiss Solvency Test (SST) eingeführt, der vergleichbare Standards enthält6. Die Kommission hat daher mit Delegiertem Beschluss vom 5.6.20157 die Solvabilitäts- und Aufsichtssysteme der Schweiz als gleichwertig anerkannt8. Die Anerkennung der Äquivalenz hat Bedeutung bei der Berechnung der Gruppensolvabilität (Art. 227 Solvency II-Richtlinie, § 258 VAG) und bei der Aufsicht über Versicherungsgruppen mit Sitz des Mutterunternehmens in einem Drittstaat (Art. 260 Solvency II-Richtlinie, § 288 VAG)9. Zudem werden Verträge mit Rückversicherern aus Drittstaaten bei Anerkennung der Gleichwertigkeit wie Verträge mit Rückversicherern aus EWR-Staaten behandelt (Art. 172 Solvency II-Richtlinie)10.
148
1 Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung, ABl. EG Nr. L 205 v. 27.7.1991, S. 3. 2 2001/776/EG: Beschluss Nr. 1/2001 des Gemischten Ausschusses EG-Schweiz vom 18.7.2001 zur Änderung der Anhänge und Protokolle des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung und zur Feststellung der Vereinbarkeit der internen Rechtsvorschriften der Vertragsparteien mit diesem Abkommen, ABl. Nr. L 291 v. 8.11.2001, S. 52. 3 Siehe zum Ganzen B. Hagen in Jusletter 7.3.2011, Rz. 20; Rabe, S. 105. 4 Vgl. Schöps in Bähr, § 7 Rz. 117. 5 Art. 17 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung; vgl. dazu Schöps in Bähr, § 7 Rz. 118. 6 Zum SST vgl. BSK VAG-Keller/Schott, Art. 9 Rz. 85 ff. 7 Delegierter Beschluss (EU) 2015/1602 der Kommission v. 5.6.2015 über die Gleichwertigkeit der in der Schweiz geltenden Solvabilitäts- und Aufsichtssysteme für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen auf der Grundlage von Art. 172 Abs. 2, Art. 227 Abs. 4 und Art. 260 Abs. 3 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rats, ABl. EU Nr. L 248 v. 24.9.2015, S. 95. 8 Zur Einstufung des Schweizer Aufsichtssystems durch die EIOPA Vogelsang in FS E. Lorenz, S. 507 (528). 9 Vgl. Lüttringhaus, EuZW 2011, 856 (859 f.). 10 Zu den Einzelheiten Vogelsang in FS. E. Lorenz, 2014, S. 507 ff.; B. Hagen in Jusletter 7.3.2011, Rz. 21; speziell mit Blick auf Rückversicherer mit Sitz in der Schweiz Bartl in Korinek/G; Saria/S. Saria, § 19 Rz. 8.
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Looschelders 163
Teil C Rz. 149
Handel mit Dienstleistungen
5. Grenzüberschreitende Umstrukturierungen, insbesondere Bestandsübertragungen 149
Erst- oder Rückversicherungsunternehmen haben verschiedene Optionen, um ihre Versicherungsbestände ganz oder zum Teil auf andere Versicherungsunternehmen zu übertragen, abzuspalten oder mit anderen Versicherungsunternehmen zu verschmelzen1. Eine oft genutzte Option ist die Bestandsübertragung2. Dabei werden Versicherungsverträge von Erst- oder Rückversicherungsunternehmen mit Zustimmung der nationalen Aufsichtsbehörde auf ein anderes Unternehmen übertragen. Rechtlich findet ein Schuldnerwechsel zwischen altem und neuem Versicherer statt, dem der Versicherungsnehmer als Gläubiger grundsätzlich zustimmen muss (vgl. § 415 BGB). Wegen der Vielzahl von Verträgen ist eine Zustimmung aller Versicherungsnehmer aber nicht praktikabel. Deshalb sehen die nationalen Aufsichtsgesetze vor, dass die Genehmigung der Aufsichtsbehörde die Zustimmung der Versicherungsnehmer ersetzt3.
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Bestandsübertragungen können sowohl innerhalb des Sitzlandes als auch grenzüberschreitend innerhalb des EU/EWR-Raumes oder unter Beteiligung von Versicherungsunternehmen aus Drittstaaten erfolgen. Bei grenzüberschreitenden Bestandsübertragungen finden die nationalen Regelungen des übernehmenden Versicherungsunternehmens Anwendung. Für die Erteilung einer Genehmigung zur grenzüberschreitenden Bestandsübertragung ist jedoch die Aufsichtsbehörde am Sitz des übertragenden Versicherungsunternehmens zuständig. Grenzüberschreitende Bestandsübertragungen haben den Vorteil, dass zusätzliche rechtliche Gestaltungsoptionen anderer Rechtsordnungen genutzt werden können, z.B. bei Run-Offs (Abwicklung bestehender Versicherungsbestände)4. Auf der anderen Seite muss besonders darauf geachtet werden, dass der Schutz der Versicherungsnehmer nicht beeinträchtigt wird.
151
Die Solvency II-Richtlinie enthält in Art. 39 und Art. 164 Regelungen für (grenzüberschreitende) Bestandsübertragungen. Art. 39 Solvency II-Richtlinie betrifft Bestandsübertragungen von Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat. Abs. 1 Unterabs. 1 sieht vor, dass diese Unternehmen ihren Bestand „nach Maßgabe des nationalen Rechts“ an ein übernehmendes Unternehmen in der Gemeinschaft übertragen dürfen. Damit bleibt die Regelung von Bestandsübertragungen dem nationalen Gesetzgeber überlassen5. Art. 39 Solvency II-Richtlinie schreibt jedoch einige spezifische Maßgaben vor. So darf die Bestandsübertragung nur genehmigt werden, wenn die Aufsichtsbehörden des Herkunftsmitgliedstaats des übernehmenden Unternehmens bescheinigen, dass dieses unter Berücksichtigung der Übertragung über das notwendige Solvenzkapital verfügt (Abs. 1 Unterabs. 2). Hat ein drittstaatliches Versicherungsunternehmen in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, so kann diese ihren Bestand nach Maßgabe von Art. 164 Solvency II-Richtlinie an ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in demselben oder einem anderen Mitgliedstaat übertragen, sofern die Aufsichtsbehörden des betreffenden Mitgliedstaats bescheinigen, dass das übernehmende Unternehmen unter Berücksichtigung der Übertragung über genügend Solvenzkapital verfügt.
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In der Schweiz besteht das Problem, dass der einschlägige Art. 62 schweiz. VAG nur für die Übertragung schweizerischer Versicherungsbestände gilt. Eine echte „grenzüberschreitende“ Bestandsübertragung ist daher nicht möglich. Ausländische Versiche1 Zum Überblick Louven/Ernst in Looschelders/Pohlmann, Vorbem. E. Rz. 111 ff. 2 Vgl. Rüth in Bähr, § 14 Rz. 117 ff.; Lüttringhaus, VersR 2008, 1036 ff.; Baran, S. 50 f.; zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen Arlt, FJ 2008, 85 ff.; Mitterecker, Kap. II S. 15 ff. 3 Vgl. etwa für Deutschland § 13 VAG (§ 14 VAG a.F.); für Österreich Art. 29 österr. VAG (Art. 13 österr. VAG a.F.); für Liechtenstein Art. 124 VersAG, für die Schweiz: Art. 62 VAG. 4 Schröder in Looschelders/Pohlmann, Vorbem. D. Rz. 68; Taylor/Schröder, S. 13 ff. 5 Vgl. Bornschlegl, B. 3 S. 11 f. Für Deutschland vgl. die diesbezüglichen Regelungen in §§ 13, 73 VAG, für Österreich in §§ 28 ff. österr. VAG und für Liechtenstein in Art. 124 ff. VersAG.
164 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 155
Teil C
rungsunternehmen können einen schweizerischen Versicherungsbestand nur erwerben, wenn sie eine Tochtergesellschaft in der Schweiz gründen oder dort eine Zweigniederlassung errichten1.
VI. Versicherungsvermittlerrecht 1. Allgemeines Für die Verwirklichung des Versicherungsbinnenmarktes ist das Vermittlerrecht von großer Bedeutung. Solange das Versicherungsvertragsrecht in der EU nicht harmonisiert ist, kommt den Vermittlern – insbesondere den Maklern – eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Produkte durch die Kunden zu. Um eine bedarfsgerechte Auswahl treffen zu können, sind die Kunden auf eine fachkundige Beratung durch die Versicherungsvermittler angewiesen2. Das europäische Versicherungsvermittlerrecht hat daher zu gewährleisten, dass die im Binnenmarkt tätigen Vermittler fachkundig und seriös sind. Ihre Rolle am Markt als vom Versicherer abhängige „Verkäufer“ oder unabhängige Vermittler von Versicherungsprodukten muss dem Kunden deutlich vor Augen geführt werden. Außerdem dürfen die unabhängigen Vermittler (Makler) nicht rechtlich oder wirtschaftlich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sein3.
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Vor diesem Hintergrund hat der europäische Gesetzgeber die Vermittler-Richtlinie vom 9.12.20024 erlassen, die bis zum 15.1.2005 umgesetzt werden musste. Der deutsche Gesetzgeber hat die privatrechtlichen Aspekte der Vermittler-Richtlinie zunächst durch das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19.12.20065 in §§ 42a–42k VVG a.F. umgesetzt. Bei der Reform des VVG von 2008 wurden diese Vorschriften durch die §§ 59–68 VVG abgelöst. Gleichzeitig wurden die Beratungsund Dokumentationspflichten der Versicherungsvermittler (§§ 61–63 VVG) in § 6 VVG weitgehend auf den Versicherer übertragen. Dahinter steht der Gedanke, dass es nicht von der Vertriebsorganisation des Versicherers abhängen darf, ob der Kunde in den Genuss einer sachgerechten Beratung kommt6. Die gewerberechtlichen Aspekte sind in §§ 11a, 34d und 34e GewO sowie in der Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung vom 15.5.20077 geregelt8.
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In Österreich wurde die Vermittler-Richtlinie durch Gesetz vom 29.11.20049 umgesetzt. Die privatrechtlichen Vorschriften über Versicherungsvertreter sind in den §§ 43 ff. VersVG geregelt; die privatrechtlichen Bestimmungen über Versicherungsmakler finden sich im Maklergesetz10. Die gewerbrechtlichen Vorschriften sind für selbständige Versicherungsvertreter und Makler einheitlich in den §§ 137 ff. österr. GewO enthalten11.
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Zu den Einzelheiten BSK VAG-Degli Uomini/Gschwind, Art. 62 Rz. 40. Allgemein hierzu Karten, ZVersWiss 2002, 43 (48 ff.). Vgl. Matusche-Beckmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 5 Rz. 196. Richtlinie 2002/92/EG v. 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung (Vermittler-Richtlinie), ABl. EG Nr. L 9 v. 15.1.2003, S. 3. BGBl. I, 3232. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/3945, 58; Küster, VersR 2010, 730 ff. BGBl. I, 733, ber. S. 1967. Vgl. Reiff in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 5 Rz. 18 ff. BGBl. I Nr. 131/2004. Bundesgesetz über die Rechtsverhältnisse der Makler und über Änderungen des Konsumentenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 262/1996, vgl. insb. §§ 26 ff. MaklerG. Vgl. Gruber in Fenyves/Schauer, § 43 Rz. 17 ff.; zur Systematik Straube/Gisch/Berisha, S. 29 ff.
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Looschelders 165
Teil C Rz. 156
Handel mit Dienstleistungen
2. Anwendungsbereich und Inhalt der Vermittler-Richtlinie 156
Die Vermittler-Richtlinie hat einen weiten persönlichen Anwendungsbereich1. Sie gilt insbesondere auch für Rückversicherungsvermittler2. Die Informationspflichten nach Art. 12 Vermittler-Richtlinie müssen allerdings weder bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen über Großrisiken noch bei der Rückversicherungsvermittlung eingehalten werden (Art. 12 Abs. 4 Vermittler-Richtlinie). Dem entspricht es, dass die Vorschriften des VVG und des VersVG auf Rückversicherungsverträge nicht anwendbar sind3. Nicht erfasst wird der Fall, dass die Vermittlung durch einen Angestellten eines Versicherungsunternehmens erfolgt, der unter der Verantwortung des Versicherungsunternehmens tätig wird4. Die Richtlinie gilt somit nur für selbständige Versicherungsvertreter sowie für Versicherungsmakler. Nach überwiegender Ansicht werden darüber hinaus auch Versicherungsberater i.S.d. § 59 Abs. 4 VVG erfasst5.
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Die Richtlinie regelt nur Binnenmarktfälle. Dies kommt schon in Art. 1 Abs. 1 zum Ausdruck, wonach nur Vermittler erfasst sind, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind oder sich dort niederlassen möchten. Vermittlertätigkeiten über in Drittstaaten belegene Risiken6 sind ebenso ausgenommen wie Dienstleistungen von Vermittlern aus Drittstaaten, welche nur im Wege der Dienstleistung im Binnenmarkt tätig werden7. Auch Dienstleistungen von Binnenmarktvermittlern in Drittstaaten werden ausgegrenzt8.
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Der Begriff der Versicherungsvermittlung wird in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie definiert. Es handelt sich um „das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten zum Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall“. Nicht erfasst wird im Regelfall die beiläufige Erteilung von Auskünften im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit9.
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Inhaltlich widmet sich die Richtlinie zunächst bestimmten Berufsstandards10. Hierzu zählt die Eintragung in ein zentrales Register des Herkunftsstaates des Vermittlers11. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen sind in Art. 4 Vermittler-Richtlinie geregelt und umfassen Qualifikationen, Seriosität und finanzielle Sicherheit (insb. Haftpflichtversicherung)12. Erfüllen die Vermittler diese Voraussetzungen in ihrem Herkunftsstaat, so genießen sie im Binnenmarkt Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (single licensing)13.
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Die Informationspflichten des Vermittlers sind in Art. 12 Vermittler-Richtlinie geregelt. Abs. 1 Unterabs. 1 enthält zunächst „statusbezogene“ Informationspflichten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
S. Art. 1 Abs. 1 Vermittler-Richtlinie, Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 134. Art. 1 Abs. 1 Vermittler-Richtlinie. Vgl. § 209 VVG, § 186 VersVG. Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 und Abs. 4 Unterabs. 2 Vermittler-Richtlinie; vgl. dazu EuGH v. 17.10.2013 – Rs. C-555/11, EEAE/Anaptyxis, r+s 2014, 428 Rz. 20; krit. Reiff, ZVersWiss 2002, 103 (111). Dörner in Prölss/Martin, § 59 Rz. 6; Reiff, VersR 2007, 717 (729). Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 1 Vermittler-Richtlinie. Hier bleibt es bei der Anwendung nationalen Rechts, allerdings stellt die Richtlinie ein Gleichbehandlungsgebot auf; s. Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 2 Vermittler-Richtlinie. Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 3 Vermittler-Richtlinie. Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 3 Vermittler-Richtlinie. S. Kapitel II (Art. 3–11) Vermittler-Richtlinie. S. Art. 3 Abs. 1 Vermittler-Richtlinie; vgl. Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385 (386). Vgl. Abram, ZVersWiss 2003, 459 (464–476); zur Haftpflichtversicherung Fenyves, VR 2005, 169 ff. S. Art. 3 Abs. 5 und Art. 6 Vermittler-Richtlinie; vgl. auch Abram, NVersZ 2001, 49 (50, 53).
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Versicherungsverträge
Rz. 163
Teil C
des Vermittlers1. Dazu gehören sein Name und seine Anschrift sowie die Angabe, in welches Register er eingetragen wurde und auf welche Weise sich die Eintragung überprüfen lässt2. Eine Unterscheidung zwischen Versicherungsvertretern und Versicherungsmaklern wird dabei nicht vorgenommen3. Was etwaige Abhängigkeiten betrifft, nennt die Vermittler-Richtlinie nur die direkte oder indirekte Beteiligung eines Versicherungsunternehmens an einem Vermittlerunternehmen von mehr als 10 % der Stimmrechte oder des Kapitals4 oder umgekehrt5. Solche Beteiligungsverhältnisse sind dem Kunden offen zu legen. Wesentlich weitergehend hatte die Empfehlung über Versicherungsvermittler aus dem Jahre 1991 noch von der Offenlegung von „etwaigen unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Bindungen“ gesprochen und von den Versicherungsmaklern einen jährlichen Bericht an die zuständige Behörde gefordert, in dem sie die Verteilung ihres Geschäftsvolumens auf die verschiedenen Versicherungsunternehmen darlegen sollten6. Ungelöst bleibt auch die Provisionsproblematik, die oft als Kernaspekt der Unabhängigkeit des Maklers gewertet wird7. Hier soll die neue Vermittler-Richtlinie ansetzen (vgl. Rz. 166). Den Vermittler treffen nach Art. 12 Abs. 1 lit. e auch „vertragsbezogene“ Informationspflichten. Er muss dem Kunden in Bezug auf den angebotenen Vertrag mitteilen, auf welche Grundlage er seinen Rat stützt. Drei Varianten kommen in Betracht:
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– Der Vermittler stützt seinen Rat auf eine ausgewogene Untersuchung (lit. e i); – der Vermittler ist vertraglich verpflichtet, Vermittlungsgeschäfte ausschließlich mit einem oder mehreren Versicherungsunternehmen zu tätigen (lit. e ii); – der Vermittler ist nicht vertraglich verpflichtet, ausschließlich zu einem oder mehreren Versicherungsunternehmen zu vermitteln, stützt seinen Ratschlag aber trotzdem nicht auf eine ausgewogene Untersuchung (lit. e iii). Je nachdem, welche Mitteilung gemacht wird, gelten bei der Beratung unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe. Hat der Vermittler den Kunden informiert, auf der Grundlage einer ausgewogenen Untersuchung zu beraten, so hat er seinen Rat „auf eine Untersuchung einer hinreichenden Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen zu stützen“8. Für alle Versicherungsvermittler besteht zudem die Pflicht, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln und diese sowie die Gründe für seinen Rat zu dokumentieren9.
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Der deutsche Gesetzgeber hat die Anforderungen an die Beratungsgrundlage in § 60 VVG geregelt. Dabei wird zwischen Versicherungsmaklern und Versicherungsvertretern unterschieden. Während der Versicherungsmakler grundsätzlich verpflichtet ist, seinem Rat eine hinreichende Zahl von Versicherungsverträgen und Versicherern zugrunde zu legen, wird beim Versicherungsvertreter von vornherein von einer beschränkten Beratungsgrundlage ausgegangen10. Die Pflicht zur Ermittlung und Dokumentation der Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ergibt sich für alle Vermittler aus § 61 VVG.
163
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Reiff, VersR 2007, 717. Zum deutschen Recht vgl. § 11 VersVermV. Art. 12 Abs. 1 lit. a und b Vermittler-Richtlinie. Krit. Werber in FS Fenyves, 2013, S. 803 (804). Im Detail Art. 12 Abs. 1 lit. d Vermittler-Richtlinie. S. Art. 12 Abs. 1 lit. c Vermittler-Richtlinie. Art. 3 Anhang zur Vermittler-Empfehlung, ABl. EG Nr. L 19 v. 28.1.1992, S. 32; hierzu Mensching, S. 179 ff. Vgl. Karten, ZVersWiss 2002, 43 (49); zur Provisionsproblematik auch Heiss/B. Lorenz, S. 31 ff.; Mensching, S. 89 ff. und 171 ff.; einschränkend Werber, VersR 2012, 1467 (1470). Art. 12 Abs. 2 Vermittler-Richtlinie. S. Art. 12 Abs. 3 Vermittler-Richtlinie. Vgl. Dörner in Prölss/Martin, § 60 Rz. 1.
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Looschelders 167
Teil C Rz. 164
Handel mit Dienstleistungen
3. Die neue Richtlinie über Versicherungsvertrieb vom 20.1.2016 (IDD) 164
Die Kommission hat schon bei der im Zeitraum von 2005 bis 2008 vorgenommenen Prüfung die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Vermittler-Richtlinie festgestellt. Bei der Diskussion der Solvency II-Richtlinie im Europäischen Parlament wurde ebenfalls eine Überarbeitung der Vermittler-Richtlinie gefordert. Dabei wurde darauf verwiesen, dass es infolge der Finanzkrise eines verbesserten Schutzes der Versicherungsnehmer bedürfe und dass die Vertriebspraktiken für verschiedene Versicherungsprodukte verbesserungsfähig seien1. Besondere Probleme wurden beim Vertrieb von Lebensversicherungsprodukten mit Anlageelementen gesehen. Hier sollte im Interesse einer sektorübergreifenden Kohärenz gewährleistet werden, dass die Regulierung der Vertriebspraktiken für solche Lebensversicherungsprodukte denselben Standards des Verbraucherschutzes entspricht wie nach der überarbeiteten Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II)2. Außerdem sollte eine Kohärenz mit der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP)3 hergestellt werden4, die auch auf bestimmte Versicherungsanlageprodukte anwendbar ist5. Die PRIIP-Verordnung hat das Ziel, die Tranparenz auf dem Anlagemarkt für Kleinanleger zu verbessern und gilt ab dem 31.12.2016. Die Neufassung der Vermittler-Richtlinie ist somit Bestandteil einer größeren Offensive der EU zur Verbesserung des Verbraucherschutzes und der Transparenz auf den Finanzmärkten6.
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Vor diesem Hintergrund hat der europäische Gesetzgeber nach längerer Diskussion Anfang 2016 die Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb7 erlassen. Die neue Richtlinie soll den Schutz der Versicherungsnehmer verbessern und für alle am Vertrieb von Versicherungsprodukten beteiligten Akteure gleiche Wettbewerbsbedinungen schaffen8. Daher ist ihr Anwendungsbereich auf alle Vertriebskanäle einschließlich des Vertriebs über die Erstversicherer bzw. deren Mitarbeiter ausgeweitet worden9. Darüber hinaus werden auch andere Marktteilnehmer (z.B. Reisebüros, Autovermietungen) erfasst, die Versicherungsprodukte zusätzlich zu ihrem Hauptgeschäft anbieten10. Die Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs hat eine terminologische Änderung zur Folge. Während die Neufassung der Vermittler- Richtlinie zunächst noch unter dem Kürzel IMD2 („Insurance Mediation Directive“) diskutiert 1 Vgl. Begründung des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über Versicherungsvermittlung (Neufassung), COM(2012) 360 final, 2. 2 Richtlinie 2014/65/EU v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (Neufassung), ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 349. Die Vorgaben der Richtlinie sind bis zum 3.7.2016 in innerstaatliches Recht umzusetzen und gelten ab dem 3.7.2017. Die Richtlinie wird flankiert durch die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 84. 3 ABl. EG Nr. L 352 v. 9.12.2014, S. 1; zum Kommissionsvorschlag (COM(2012) 352 final) Loacker in FS Lorenz, 2014, S. 259 ff. Die Abkürzung „PRIIP“ steht für „packaged retail and insurance-based investment products“. 4 Zu diesen Zusammenhängen vgl. Werber, VersR 2012, 1467 (1468). 5 Näher dazu Beyer, VersR 2016, 293 (294 ff.). 6 Zusammenfassend Mönnich in Looschelders/Michael, S. 135 ff. 7 Richtlinie 2016/97/EU v. 20.1.2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung), ABl. EU Nr. L 26 v. 2.2.2016, S. 19. 8 Vgl. Erwägungsgrund (6), (7), (10) und (16) der Richtlinie über Versicherungsvertrieb; ebenso schon die Begründung des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über Versicherungsvermittlung (Neufassung), COM(2012) 360 final, 3. 9 Vgl. Wandt in Halm/Engelbrecht/Krahe, Kap. 1 Rz. 372. 10 Erwägungsgrund (8) der Richtlinie über Versicherungsvertrieb; vgl. aber auch die Einschränkungen in Art. 1 Abs. 3.
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Versicherungsverträge
Rz. 167
Teil C
wurde1, wird nunmehr die Abkürzung IDD („Insurance Distribution Directive“) verwendet2. Art. 42 Abs. 1 IDD sieht vor, dass die Richtlinie bis zum 23.2.2018 umzusetzen ist. Bei der Diskussion über die Neufassung der Vermittler-Richtlinie war das Verhältnis von Provisions- und Honorarberatung besonders umstritten. Entgegen ursprünglichen Überlegungen enthält die IDD kein Verbot der Provisionsberatung. Die Entscheidung hierüber soll den nationalen Gesetzgebern überlassen bleiben3. Nach Art. 17 Abs. 3 IDD haben die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass Versicherungsvertreiber nicht in einer Weise vergütet werden oder die Leistung ihrer Angestellten nicht in einer Weise vergüten oder bewerten, die mit ihrer Pflicht, im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, kollidiert. So dürfen durch die Vergütung, die Verkaufsziele oder in anderer Weise keine Anreize für den Versicherungsvertreiber oder seine Angestellten geschaffen werden, einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl ihm ein anderes, seinen Bedürfnissen besser entsprechendes Versicherungsprodukt angeboten werden könnte. Nach der IDD sind die Vermittler auch nicht verpflichtet, dem Kunden die Höhe der Provision mitzuteilen4. Der Vermittler muss den Kunden aber rechtzeitig vor Vertragsschluss darüber informieren, ob er im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag auf der Basis einer vom Kunden zu zahlenden Gebühr, einer in der Versicherungsprämie enthaltenen Provision oder einer anderen Vergütungsart arbeitet (Art. 19 Abs. 1 lit. e IDD).
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VII. Harmonisierung des Europäischen Versicherungsvertragsrechts 1. Einführung Auf der europäischen Ebene bestehen seit längerem Überlegungen zur Vereinheitlichung oder Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts. Ein erster Ansatz ist das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs von 19615. Im Jahre 1979 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinheitlichung des Versicherungsvertragsrechts vorgelegt6. Der Vorschlag stieß bei den Versicherern, den Mitgliedstaaten und den nationalen Aufsichtsbehörden auf erhebliche Widerstände7. Nachdem der EuGH zwischenzeitig festgestellt hatte, dass die Dienstleistungsfreiheit auch ohne eine materielle Angleichung des Versicherungsvertragsrechts gewährleistet sei8, wurde der Richtlinienentwurf schließlich 1993 zurückgezogen9. In ihrem Aktionsplan vom 12.2.200310 hat die Kommission aber wieder festgestellt, dass die unterschiedlichen Regelungen für Versicherungen in den Mitgliedstaaten ein Hemmnis für die Entwicklung eines grenzüberschreitenden Versicherungsmarktes sind. Bislang fehlt es im Versicherungsvertrags1 Vgl. Begründung des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie über Versicherungsvermittlung (Neufassung), COM(2012) 360 final, 3; Werber, VersR 2012, 1467 ff. 2 Zur geänderten Terminologie vgl. Ratsdokument v. 8.9.2014 Nr. 12961 S. 14. 3 Vgl. Dörner in Prölss/Martin, Vor § 59 Rz. 10; Wandt in Halm/Engelbrecht/Krahe, Kap. 1 Rz. 372; Armbrüster, EuZW 2013, 686 (688). 4 So aber noch Art. 17 Abs. 1 lit. d–g, Abs. 2 des Kommissionvorschlags, COM(2012) 360 final, 58 f.; vgl. Matusche-Beckmann in Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.VI. Rz. 204; Werber, VersR 2012, 1467 (1470); Schönleiter, r+s 2014, 53 (54). 5 ABl. Nr. 2 v. 15.1.1962, S. 32; vgl. dazu Bühnemann, VersR 1968, 418 ff. 6 ABl. EG Nr. C 190 v. 10.07.1979, S. 2 i.d.F. ABl. EG Nr. C 355 v. 31.12.1980, S. 30; dazu Heiss, WBl 1993, 214 (215). 7 Zusammenfassend Fenyves, VR 2002, 63 f.; Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 18 ff. 8 EuGH v. 4.12.1986 – Rs 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755 Rz. 25. 9 ABl. EG Nr. C 228 v. 24.8.1993, S. 4 (14). 10 KOM (2003) 68 endg.; dazu Basedow in FS E. Lorenz, 2004, S. 93 (94); Heiss, VersR 2005, 1 ff.
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Looschelders 169
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Teil C Rz. 168
Handel mit Dienstleistungen
recht indes weiter an einer umfassenden europäischen Regelung. Es gibt freilich einige Richtlinien, die für das Versicherungsvertragsrecht große Bedeutung haben. 2. Privatrechtlich relevante Regelungen in den Versicherungsrichtlinien 168
Zunächst enthalten die Versicherungsrichtlinien einige privatrechtlich relevante Vorschriften. Dabei geht es insbesondere darum, die aus der Deregulierung des Versicherungsmarktes folgenden Einschränkungen des aufsichtsrechtlichen Schutzes der Versicherungsnehmer auszugleichen. Dafür werden dem Versicherer Informationspflichten auferlegt, um dem Versicherungsnehmer eine eigenverantwortliche Auswahl der Versicherungsprodukte zu ermöglichen1. Informationspflichten finden sich sowohl in den Richtlinien zur Schadenversicherung2 als auch in den Richtlinien zur Lebensversicherung3. Die betreffenden Richtlinien sind mit Wirkung vom 1.1.2016 durch die Solveny II-Richtlinie ersetzt worden (Rz. 130). Diese regelt die Informationspflichten des Versicherers in Art. 183–185.
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Inhaltlich betreffen die Informationspflichten in der Schadenversicherung zunächst das anwendbare Recht und die Rechtswahlfreiheit4. Außerdem müssen dem Versicherungsnehmer Informationen über die Bestimmungen zur Bearbeitung seiner Beschwerden, ggf. einschließlich des Hinweises auf eine Beschwerdestelle, gegeben werden5. Zusätzliche Informationspflichten bestehen bei Schadenversicherungen, die im Rahmen der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit angeboten werden6. Bei der Lebensversicherung ist der Versicherungsnehmer auch über wesentliche Produkteigenschaften sowie die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs- und des Rücktrittsrechts aufzuklären. Die Informationen sind – jedenfalls in der Lebensversicherung – schriftlich, eindeutig und detailliert sowie in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung (i.d.R. Aufenthaltsstaat des Versicherungsnehmers) abzufassen7.
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Bei individuellen Lebensversicherungsverträgen werden die Informationspflichten des Versicherers von einem Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers begleitet, das ihm eine cooling off period gewährt8. Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts kann je nach der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers zwischen 14 und 30 Tagen betragen9. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben unter Berücksichtigung der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen (Fernabsatz/FDL-Richtlinie)10 überschießend umgesetzt und dem Versicherungsnehmer in §§ 8, 9 VVG für alle Versicherungsverträge (außer Verträge über Großrisiken) ein generelles Widerrufsrecht eingeräumt. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, bei Lebensversicherungsverträgen ist sie auf 30 Tage verlängert (§ 152 Abs. 1 VVG). Letzteres entspricht den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Fernabsatz/FDL-Richtlinie. Die Verlängerung der Widerrufsfrist auf 30 Tage ist zwar unionsrechtlich nur für Fernabsatzverträge zwingend. Die einheitliche Fristverlängerung nutzt aber den Spielraum 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Loacker in Looschelders/Pohlmann, Vorbem. C Rz. 29, 33. S. Art. 31 Dritte Richtlinie Schaden. Art. 36 i.V.m. Anhang III Richtlinie Leben. Art. 31 Abs. 1 erster Spiegelstrich Dritte Richtlinie Schaden; Art. 183 Abs. 1 Unterabs. 1 Solvency II-Richtlinie. Art. 31 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich Dritte Richtlinie Schaden; Art. 183 Abs. 2 Unterabs. 2 Solvency II-Richtlinie. Art. 43 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schaden; Art. 184 Solvency II-Richtlinie. Art. 36 i.V.m. Anhang III Richtlinie Leben; Art. 185 Solvency II-Richtlinie. Art. 35 Richtlinie Leben; Art. 186 Solvency II-Richtlinie; krit. zum Nebeneinander von Informationspflichten und Widerrufsrechten Brand in E. Lorenz, Karlsruher Forum 2011, 2012, S. 55 (75 ff.). Art. 35 Richtlinie Leben; Art. 186 Solvency II-Richtlinie. Richtlinie 2002/65/EG v. 23.9.2002, ABl. EG Nr. L 271 v. 9.10.2002, S. 16.
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Versicherungsverträge
Rz. 173
Teil C
nach Art. 35 Richtlinie Leben (Art. 186 Solvency II-Richtlinie) und vermeidet zugleich eine Aufspaltung der Fristen nach den jeweiligen Vertriebswegen1. Die Widerrufsfrist beginnt nach § 8 Abs. 2 VVG erst zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Dies hat zur Folge, dass dem Versicherungsnehmer im Einzelfall ein zeitlich unbegrenztes („ewiges“) Widerrufsrecht zustehen kann2. Für das parallele Problem beim Vertragsschluss nach dem sog. Policenmodell3 hatte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. vorgesehen, dass das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn er nicht über das Recht belehrt worden ist. Nach Ansicht des EuGH ist eine solche Regelung jedoch nicht mit den LebensversicherungsRichtlinien vereinbar4. Der BGH hat daher für die Lebensversicherung eine richtlinienkonforme Reduktion des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. vorgenommen.5 Bei Fehlen einer wirksamen Belehrung kann der Versicherungsnehmer dem Vertragsschluss somit zeitlich unbegrenzt widersprechen und vom Versicherer Rückzahlung der Prämien nach Bereicherungsrecht verlangen.6 Ob das Policenmodell nach § 5a VVG a.F. im Ganzen den Lebensversicherungs-Richtlinien entsprach, hat der EuGH offengelassen7. Die Frage ist daher zurzeit sehr umstritten8. Bei ordnungsgemäßer Belehrung durch den Versicherer folgt aus einer möglichen Richtlinienwidrigkeit des Policenmodells aber weder die generelle Unwirksamkeit noch eine zeitlich unbegrenzte Widerruflichkeit der hiernach geschlossenen Versicherungsverträge9. Davon abgesehen verstößt der Versicherungsnehmer im Regelfall gegen Treu und Glauben, wenn er sich auf die Unwirksamkeit des Vertrages beruft, obwohl er ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde und den Vertrag dennoch über einen längeren Zeitraum durchgeführt hat10.
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In Österreich sieht der durch das VersRÄndG 201211 eingefügte § 5c VersVG ein allgemeines Rücktrittsrecht vor, das innerhalb von 14 Tagen ausgeübt werden kann. Anders als in Deutschland gilt das Rücktrittsrecht aber nur für Versicherungsnehmer, die als Verbraucher i.S.d. § 1 Abs. 1 Ziff. 2 österr. KSchG zu qualifizieren sind12. Bei Lebensversicherungsverträgen kann der Versicherungsnehmer gem. § 165a VersVG innerhalb von 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags zurücktreten. Ist der Versicherungsnehmer ein Verbraucher, so beginnt die Frist nach dem durch das VersRÄndG eingefügten Abs. 2a erst zu laufen, wenn er über das Rücktrittsrecht belehrt worden ist13. Auch in Österreich besteht insofern also ein „ewiges“ Lösungsrecht.
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3. Branchenspezifische Richtlinien Einige branchenspezifische Regelungen gehen in ihrem Harmonisierungsgrad deutlich weiter. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung. Vorrei1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Winter in Bruck/Möller, § 152 Rz. 1. Vgl. Looschelders/Heinig in Looschelders/Pohlmann, § 8 Rz. 61. Die Begrifflichkeit prägend E. Lorenz, VersR 1995, 616 (618). EuGH v. 19.12.2013 – Rs. C-209/12, Endress, VersR 2014, 225. BGH v. 7.5.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 = VersR 2014, 817; zur parallelen Problematik bei § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. BGH v. 17.12.2014 – IV ZR 260/11, VersR 2015, 224. Zur Rückabwicklung vgl. BGH v. 29.7.2015 – IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101; BGH v. 11.11. 2015 – IV ZR 513/14, VersR 2016, 33; Matusche-Beckmann in Dauses, Hdb. EU-WirtschaftsR, E.VI. Rn. 244; Reiff, r+s 2015, 105 ff. EuGH v. 19.12.2013 – Rs. C-209/12, Endress, VersR 2014, 225 Rz. 20. Vgl. BGH v. 16.7 2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 = VersR 2014, 1065; Brand, VersR 2014, 269 ff.; W-H. Roth, VersR 2015, 1 ff.; Looschelders, VersR 2016, 7 ff. Näher dazu Looschelders, VersR 2016, 7 (12 f.). BGH v. 16.7 2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 = VersR 2014, 1065 Rz. 32. BGBl. I 2012, 34. Vgl. Fenyves in Fenyves/Schauer, § 5c Rz. 5; Cap, ÖJZ 2013, 12 (23). Vgl. Straube/Gisch/Berisha, S. 56.
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Looschelders 171
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Teil C Rz. 174
Handel mit Dienstleistungen
ter ist das Europäische (Straßburger) Übereinkommen über die obligatorische Haftpflichtversicherung vom 20.4.19591, das jedoch nur von wenigen Staaten2 ratifiziert wurde. Seit 1972 hat der europäische Gesetzgeber indes fünf Richtlinien zur Kfz-Haftpflichtversicherung erlassen3, die durch die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung)4 ersetzt worden sind. Angesichts des hohen Gefährdungspotentials von Kfz und der für den Binnenmarkt essentiellen Mobilität der Unionsbürger kommt diesen Richtlinien hohe Bedeutung zu. Zentrales Anliegen ist der Schutz des Geschädigten. Instrumente hierfür sind: die Existenz einer obligatorischen Haftpflichtversicherung, die eine Mindestdeckung bieten muss und hinsichtlich der versicherten Gefahren sowie des geographischen Deckungsumfangs zwingenden Vorgaben unterliegt; ein „krankes“ Versicherungsverhältnis darf nicht zu Lasten des Geschädigten gehen; für Schäden durch nicht versicherte oder nicht ermittelte Fahrzeuge muss eine Entschädigungsstelle5 aufkommen; der Geschädigte hat ein Direktklagerecht gegen den Versicherer des Schädigers; zudem steht ihm in seinem Heimatland ein Schadenregulierungsbeauftragter des Versicherers zur Verfügung6. 174
Nicht harmonisiert ist das Haftpflichtrecht der Straßenverkehrsunfälle. Verklagt der Geschädigte den Haftpflichtversicherer des Geschädigten nach einem Verkehrsunfall im Ausland gem. Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. c EuGVVO an seinem eigenen Wohnsitz (vgl. Rz. 196), so muss der Richter nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Recht am Tatort – also ausländisches Recht – anwenden. Dies bereitet in der Praxis große Probleme7.
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Wichtige Harmonisierungsschritte hatte auch die Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie von 19878 gesetzt. Art. 310 Abs. 1 der Solvency II-Richtlinie hat diese Richtlinie ebenfalls mit Wirkung vom 1.1.2016 aufgehoben. Die einschlägigen Vorschriften finden sich jetzt in Art. 198–205 Solvency II-Richtlinie. Die RechtsschutzversicherungsRichtlinie hat für die Rechtsschutzversicherung den Grundsatz der Spartentrennung abgeschafft9. Infolgedessen sind mögliche Interessenkollisionen zu regeln. Hierfür stellt die Richtlinie den nationalen Gesetzgebern drei gleichwertige Alternativen zur Verfügung10. Nach deutschem Recht ist ein Rechtsschutzversicherer, der zusätzlich andere Sparten betreibt, gem. § 164 Abs. 1 S. 1 VAG (§ 8a Abs. 1 S. 2 VAG a.F.) verpflichtet, die Leistungsbearbeitung auf ein rechtlich selbständiges Schadensabwicklungsunternehmen zu übertragen11. Nach österreichischem Recht können die Versicherer zwischen der personellen Trennung der Rechtsschutz-Schadenregulierung von den anderen Sparten im eigenen Unternehmen und der Übertragung der Schaden-
1 BGBl. II, 281. 2 Darunter Deutschland und Österreich, nicht aber Liechtenstein und Schweiz. 3 Im Einzelnen handelt es sich um die Richtlinien 72/166 EWG v. 26.4.1972, 84/5/EWG v. 30.12. 1983, 90/232/EWG v. 14.5.1990, 2000/26/EG v. 16.5.2000 und 2005/14/EG v. 11.5.2005. 4 ABl. EU Nr. L 263 v. 7.10.2009, S. 11. 5 In Deutschland werden die Aufgaben der Entschädigungsstelle durch den Verein „Verkehrsopferhilfe e.V.“ wahrgenommen. Zu den Einzelheiten vgl. §§ 12 ff. PflVG. 6 Näher dazu Mönnich in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 2 Rz. 172 ff.; Looschelders, NZV 1999, 57 ff. Im deutschen Recht ist die Stellung des Schadensregulierungsbeauftragten in § 163 VAG (= § 7b VAG a.F.) geregelt. 7 Vgl. Jayme in FS v. Hoffmann, 2011, S. 656 ff.; Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Rz. 94b. 8 Richtlinie 87/344/EWG des Rates v. 22.6.1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung, ABl. EG Nr. L 185 v. 4.7.1987, S. 77. 9 Art. 8 Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie; Art. 205 Solvency II-Richtlinie; vgl. Looschelders in Looschelders/Paffenholz, Einf. Rz. 85. 10 Im Detail Art. 3 Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie; Art. 200 Solvency II-Richtlinie. 11 Vgl. Präve in Prölss VAG, § 8a Rz. 1; Paffenholz, in Looschelders/Paffenholz, § 126 VVG Rz. 2.
172 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 176
Teil C
regulierung auf ein anderes Unternehmen wählen1. Die Richtlinie garantiert zudem die freie Anwaltswahl2. Schließlich haben die Mitgliedstaaten für Streitfälle zwischen Versicherern und Versicherten ein unabhängiges Schiedsverfahren vorzusehen3. 4. Verbraucherschutz-Richtlinien Soweit es sich um Versicherungsverträge mit Verbrauchern handelt, sind auch die Richtlinien zum Verbraucherschutzrecht von Relevanz. Dies gilt allerdings nicht für die Verbraucherrechte-Richtlinie vom 25.10.20114, bei deren Umsetzung die Vorschriften über Verbraucherverträge in Deutschland mit Wirkung vom 13.6.2014 völlig neu gefasst wurden5. Die Verbraucherrechte-Richtlinie gilt nämlich nach ihrem Art. 3 Abs. 3 lit. d nicht für Verträge über Finanzdienstleistungen. Ebenso waren schon die Vorläufer der Verbraucherrechte-Richtlinie, nämlich die Haustürgeschäfte-Richtlinie6 und die Fernabsatz-Richtlinie7, nicht auf Versicherungsverträge anwendbar8. Maßgeblich ist aber die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (Fernabsatz/FDL-Richtlinie)9; im elektronischen Geschäftsverkehr ist daneben auch die nicht auf Verbraucherverträge beschränkte e-commerce-Richtlinie10 zu beachten. Die Fernabsatz/FDL-Richtlinie statuiert erweiterte Informationspflichten11 und räumt dem Verbraucher beim Vertragsschluss im Fernabsatz ein Widerrufsrecht ein12, das der deutsche Gesetzgeber in §§ 8, 9 VVG überschießend für alle Versicherungsnehmer (mit Ausnahme von Großrisiken) und alle Vertragsschlusssituationen umgesetzt hat. In Österreich beschränkt sich das Rücktrittsrecht nach § 8 FernFinG13 wie bei § 5c VersVG (dazu Rz. 172) auf Verbraucher14. 1 Vgl. § 99 Abs. 1 österr. VAG = § 12 österr. VAG a.F. Näher dazu Kronsteiner in Fenyves/Schauer, Vor §§ 158j–158p Rz. 2. 2 Art. 4 Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie; Art. 201 Solvency II-Richtlinie. Näher dazu EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-199/08, Eschig, NJW 2010, 355; EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-293/10, Stark, NJW 2011, 3077; EuGH v. 7.11.2013 – Rs. C-442/12, Sneller, NJW 2014, 373 m. Anm. Purnhagen; BGH v. 4.12.2013 – IV ZR 215/12, NJW 2014, 630 = JZ 2014, 572 m. Anm. Armbrüster; OGH v. 22.5.2002 – 7 Ob 32/02 k, VersR 2003, 1330. Zum deutschen Recht vgl. § 127 VVG und § 3 Abs. 3 BRAO; zum österreichischen Recht § 158k VersVG. 3 Im Detail Art. 6 Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie; Art. 203 Solvency II-Richtlinie. Hiernach genügt auch ein anderes Verfahren, das vergleichbare Garantien für die Objektivität bietet. 4 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011, ABl. EU Nr. L 304 v. 22.11.2001, S. 64. 5 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie v. 20.9.2013 (BGBl. I, 3642). In Österreich: Verbraucherrechte-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (VRUG) v. 26.5.2014 (BGBl. I Nr. 33/2014). 6 Richtlinie 85/577/EWG v. 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Haustürgeschäfte-Richtlinie), ABl. EG Nr. L 372 v. 31.12.1985, S. 31. 7 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatz-Richtlinie), ABl. EG Nr. 144 v. 4.6.1997, S. 19. 8 Art. 3 Abs. 2 lit. d Haustürgeschäfte-Richtlinie; dazu EuGH v. 1.3.2012 – Rs. C-166/11, Lorenzo Gonzáles Alonso, NJW 2012, 1709; Art. 3 Abs. 1 erster Spiegelstrich i.V.m. Anhang II Fernabsatz-Richtlinie. 9 Richtlinie 2002/65/EG v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. EG Nr. L 271 v. 9.10.2002, S. 16. 10 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1. 11 Im Detail Art. 3–5 Fernabsatz/FDL-Richtlinie. 12 Art. 6 Fernabsatz/FDL-Richtlinie. 13 Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, BGBl. Nr. 62/2004. 14 Vgl. Straube/Gisch/Berisha, S. 58.
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Looschelders 173
176
Teil C Rz. 177
Handel mit Dienstleistungen
177
Die Verbraucherkreditrichtlinie II1 ist für Versicherungsverträge nicht relevant. In der deutschen Rechtsprechung und Literatur war zwar umstritten, ob Verbrauchern bei Versicherungsverträgen mit unterjähriger Prämienzahlung ein Widerrufsrecht nach dem Verbraucherkreditrecht (§ 495 BGB) zusteht. Da § 495 BGB der Umsetzung von Art. 14 Verbraucherkreditrichtlinie II dient, stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Versicherungsverträge mit unterjähriger Prämienzahlung als Kreditverträge i.S.d. Verbraucherkreditrichtlinie II anzusehen sind. Dies hat der BGH zu Recht verneint2.
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Große Bedeutung für Versicherungsverträge hat die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (sog. Klausel-Richtlinie)3. In Deutschland hat zwar schon vorher eine gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) stattgefunden, die Richtlinie hat durch die starke Akzentuierung des Transparenzgebots4 aber neue Impulse gegeben. Im deutschen Recht wurde das Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kodifiziert; im österreichischen Recht ist § 6 Abs. 3 KSchG einschlägig. Die Vorgaben für die Missbrauchskontrolle finden sich in Art. 3 Klausel-Richtlinie. Zur Konkretisierung verweist Art. 3 Abs. 3 Klausel-Richtlinie auf die im Anhang der Richtlinie beispielhaft angeführten Klauseln, die auch in Versicherungsverträgen vorkommen können5. 5. Gleichbehandlungs-Richtlinien
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In neuerer Zeit haben schließlich auch die Gleichbehandlung-Richtlinien der EU erheblichen Einfluss auf das Versicherungsvertragsrecht der Mitgliedstaaten gewonnen6. Dies gilt insbesondere für die Antirassimus-Richtlinie7 und die Gender-Richtlinie8, die in Deutschland im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 20069 und in Österreich durch Änderung des Gleichbehandlungsgesetzes (GlBG) von 197910 umgesetzt worden sind11. Während die Antirassismus-Richtlinie in Bezug auf die Merkmale „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ keine Rechtfertigungsmöglichkeit zulässt, war es den Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 2 Gender-Richtlinie in Bezug auf das Merkmal „Geschlecht“ zunächst erlaubt, „proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist“. Von dieser Möglichkeit hatte der deutsche Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG a.F. Gebrauch gemacht; das österreichische Recht enthielt in § 9 Abs. 2 österr. VAG eine entsprechende Ausnahmeregelung. Im Test-Achats-Urteil vom 1.3.2011 ist der EuGH12 aber zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Prämienkalkulation oder der Bestimmung der Leistungen aus der Versicherung nach Ablauf einer Übergangsfrist (konkret: ab dem 21.12.2012) mit dem Unionsrecht, insbesondere Art. 21 und Art. 23 1 Art. 14 RL 2008/48/EG v. 23.4.2008, ABl. EG Nr. L 133 v. 22.5.2008, S. 66. 2 BGH v. 6.2.2013 – IV ZR 230/12, VersR 2013, 341 Rz. 20 ff.; vgl. Looschelders, VersR 2010, 977 (981 ff.). 3 Richtlinie 93/13/EWG v. 15.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. 4 Art. 5 Satz 1 Klausel-Richtlinie; zur Bedeutung des Transparenzgebots bei der AVB-Kontrolle vgl. Beckmann in Bruck/Möller, Einf. C. Rz. 230 ff.; Basedow, VersR 1999, 1045 ff.; Präve, VersR 2000, 138 ff. 5 Vgl. Bruns in MünchKomm/VVG, Vor §§ 307–309 BGB Rz. 35. 6 Näher dazu Cousy in R. Schulze, S. 81 ff. 7 Richtlinie 2000/43/EG des Rates v. 29.6.2000, ABl. EG Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22. 8 Richtlinie 2004/113/EG des Rates v. 21.12.2004, ABl. EG Nr. L 373 v. 21.12.2004, S. 37. 9 BGBl. I, 1897. 10 BGBl. I, Nr. 108/1979; Nr. 66/2004. 11 Zum österreichischen Recht Perner in Fenyves/Schauer, § 1c Rz. 3. 12 EuGH v. 1.3.2013 – Rs. C-236/09, Test Achats, VersR 2011, 377.
174 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 182
Teil C
Grundrechte-Charta, unvereinbar ist1. Der deutsche Gesetzgeber hat inzwischen das AGG angepasst. Im österreichischen Recht sieht der durch das VersÄndG 20132 eingefügte § 1c VersVG ausdrücklich vor, dass der Faktor Geschlecht nicht zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer führen darf. Die gleiche Regelung wurde auch in § 91 Abs. 2 österr. VAG (§ 9 Abs. 2 österr. VAG a.F.) aufgenommen3. Art. 21 Abs. 1 Grundrechte-Charta verbietet auch eine Diskriminierung wegen des „Alters“ oder einer „Behinderung“. Eine entsprechende Richtlinie liegt derzeit nur für das Arbeitsrecht vor4. Die Kommission hat am 2.7.2008 aber den Vorschlag für eine Richtlinie5 vorgelegt, die sich gegen Diskriminierungen wegen des Alters oder einer Behinderung außerhalb des Arbeitsmarktes wendet. Nach Art. 2 Abs. 7 des Vorschlags ist es den Mitgliedstaaten bei Finanzdienstleistungen erlaubt, in Bezug auf das Alter oder eine Behinderung verhältnismäßige Ungleichbehandlungen zuzulassen, wenn die Berücksichtigung dieses Merkmals ein zentraler Faktor bei der Risikobewertung ist. Dies entspricht der geltenden Rechtslage in Deutschland (§§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 2 Satz 2 AGG), die somit beibehalten werden könnte6.
180
Nach österreichem Recht ist der Versicherer derzeit frei, den Faktor „Alter“ bei der Tarifierung zu berücksichtigen7. In Bezug auf den Faktor „Behinderung“ sieht der durch das VersRÄG 2013 eingefügte § 1d VersVG einen Schutz des Versicherungsnehmers vor Diskriminierungen vor. Ein Prämienzuschlag darf nach § 1d Abs. 2 VersVG nur erhoben werden, wenn der Gesundheitszustand einen bestimmenden Faktor für die Risikokalkulation in dem betreffenden Versicherungszweig darstellt und der individuelle Gesundheitszustand der versicherten Person eine wesentliche Erhöhung der Gefahr bewirkt8.
181
6. Principles of European Insurance Contract Law als optionales Instrument Vor dem Hintergrund der inhaltlichen Divergenzen zwischen den materiellen Versicherungsrechten hat es die von Wissenschaftlern aus 15 Mitgliedstaaten formierte Projektgruppe „Restatement of European Insurance Law“9 übernommen, einheitliche Grundsätze des europäischen Versicherungsvertragsrechts zu formulieren. Die Restatement-Gruppe hat der Kommission nach langjähriger Forschungsarbeit im Jahre 2007 einen ersten Entwurf der sog. Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) vorgelegt10. Der Entwurf enthält allgemeine Regeln für alle Versicherungsverträge (Teil 1) sowie gemeinsame Vorschriften für die Schadensversicherung (Teil 2). In Bezug auf die Summenversicherung (Teil 3) sieht Art. 13:101 lediglich vor, dass sie nur bei Personenversicherungen (z.B. Unfall-, Kranken- und Lebensversicherung) zulässig ist. Im November 2015 wurde eine aktualisierte und stark erweiterte Endfassung der 1 Näher dazu Loacker, HAVE/REAS 4/2011, 351 (352 ff.); Looschelders, VersR 2011, 421 (425 ff.); Mönnich, VR 2012, 20 ff.; Perner, ÖJZ 2011, 333 ff.; vgl. auch Effer-Uhe in R. Schulze, S. 109 ff. 2 BGBl. I Nr. 12/2013; näher dazu Perner in Fenyves/Schauer, § 1c Rz. 1. 3 Zu dieser Verdopplung vgl. Perner in FS Fenyves, 2013, S. 709 (712). 4 Richtlinie 2000/78/EG v. 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16. 5 Vorschlag für eine Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM(2008) 426 endg. 6 Zur Unübertragbarkeit der Test Achats-Rechtsprechung vgl. die Leitlinien der Kommission v. 22.12.2011 zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Test-Achats, K(2011) 9497 Ziff. 20; Mönnich, VR 2012, 20 (24 f.). 7 Vgl. Perner in Fenyves/Schauer, § 1d Rz. 18. 8 Näher dazu Perner, FS Fenyves, S. 709 (716 ff.). 9 Näher zur Restatement-Group Reichert-Facilides in FS Mayrhofer, 2002, S. 179 ff. 10 Herausgegeben von Basedow, Birds, Clarke, Cousy und Heiss.
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Looschelders 175
182
Teil C Rz. 183
Handel mit Dienstleistungen
PEICL veröffentlicht1, die über die im ersten Entwurf behandelten Bereiche hinaus auch Regelungen zur Haftpflichtversicherung (Art. 14:101 ff.) und zur Lebensversicherung (Art. 16:101 ff.) sowie zu den Gruppenversicherungen (Art. 16:101 ff.) enthält. 183
Die PEICL sollen nach Art. 1:102 ein optionales Instrument2 darstellen, das neben die einzelnen nationalen Versicherungsvertragsgesetze tritt3. Die PEICL würden also neben den mitgliedstaatlichen Versicherungsvertragsgesetzen ein „28. Regime“ bilden, das von den Parteien gewählt werden kann (sog. opt-in-Modell)4. Eine solche Rechtswahl nach dem geltenden Kollisionsrecht noch nicht möglich, da Art. 3 Rom I-VO nur die Wahl einer nationalen Rechtsordnung, nicht aber die Wahl eines nichtstaatlichen Regelwerks erlaubt5.
184
Am 1.7.2010 hat die Kommission ein Grünbuch für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen6 vorgelegt. Dabei wird als eine Option die Schaffung einer Verordnung zur Einführung eines optionalen europäischen Vertragsrechtsinstruments erörtert, das nur zur Anwendung kommt, wenn die Parteien sich darauf einigen. Für den Bereich des Kaufrechts hat die Kommission am 11.10.2011 einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt7. Nach dem Grünbuch kommt auch für das Versicherungsrecht ein optionales Instrument in Betracht. Als mögliche Grundlage wird auf die sog. „Principles of European Insurance Contract Law“ (PEICL) verwiesen8. Die PEICL könnten somit unter diesem Aspekt künftig praktische Bedeutung gewinnen. Die politische Zukunft des Projekts ist zurzeit aber völlig offen.
VIII. Internationales Zivilverfahrensrecht in Versicherungssachen 1. Rechtsquellen 185
Das internationale Zivilverfahrensrecht in Versicherungssachen ist in weiten Teilen europäisiert9. Im Vordergrund steht die VO (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.201210 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), die die VO (EG) Nr. 44 v. 22.12.2000 (EuGVVO a.F.)11 ersetzt hat. Die neue EuGVVO gilt seit dem 10.1.2015 für alle EUStaaten. Dänemark hat sich zwar nicht an der Annahme der neuen EuGVVO be1 Basedow/Birds/Clarke/Cousy/Heiss/Loacker (Hrsg.), Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), 2. Aufl. 2016. Die Endfassung ist online in vielen Sprachen unter http://www.uibk.ac.at/zivilrecht/restatement/draft.html abrufbar. 2 Vgl. Heiss, in Basedow/Birds/Clarke/Cousy/Heiss/Loacker, 2016, Introduction Rz. 138 ff.; Loacker, Informed Insurance Choice?, 2015, S. 209 ff. 3 Vgl. Gal, VersR 2009, 190. 4 Zu den unterschiedlichen Implementierungsmöglichkeiten der PEICL Loacker, VersR 2009, 289 (294); Busch, EuZW 2011, 655 ff.; Stellungnahme des GDV zum Grünbuch der EU-Kommission: Optionen für die Einführung eines europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen (KOM (2010) 348¾) S. 5 ff. 5 Vgl. v. Hein in MünchKomm/BGB, Einl. IPR Rz. 315. 6 KOM(2010) 348 endg. 7 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011), 635 endg.; zur Frage der Übertragbarkeit des Ansatzes auf das Versicherungsrecht Looschelders, VersR 2013, 653 (660). 8 KOM(2010) 348 endg. unter Ziff. 4.3.3. 9 Zu den Rechtsquellen Geimer, Rz. 245c. 10 ABl. EU Nr. L 351 v. 6.12.2014, S. 1. 11 ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1. Vorgänger der EuGVVO a.F. war das Brüsseler Übereinkommen v. 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ), ABl. EG Nr. C 27 v. 26.1. 1998, S. 1 (konsolidierte Fassung).
176 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 189
Teil C
teiligt1. Aufgrund eines völkerrechtlichen Abkommens2 findet die EuGVVO aber auch in Dänemark Anwendung. Im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz ist das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 30.10.2007 (LugÜ)3 maßgeblich, das das Luganer Übereinkommen v. 16.9.1988 (LugÜ 1988)4 ersetzt hat5. Das Fürstentum Liechtenstein ist zwar Mitglied des EWR. Da es sich um keinen EU-Staat handelt, ist die EuGVVO aber nicht anwendbar6. Das Fürstentum ist auch nicht dem LugÜ beigetreten. Im Verhältnis zu Österreich und zur Schweiz bestehen aber Abkommen über die Anerkennung von Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen in Zivilsachen7. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte beurteilt sich im Verhältnis zu Liechtenstein entsprechend den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Bei versicherungsvertraglichen Rechtsstreitigkeiten kommt dabei § 215 Abs. 1 VVG besondere Bedeutung zu8.
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Die Anwendung der EuGVVO bzw. des LugÜ setzt grundsätzlich voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat (Art. 4 EuGVVO, Art. 2 LugÜ). Ist der Versicherer Beklagter, so reicht eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung in einem Mitgliedstaat aus (Art. 11 Abs. 2 EuGVVO, Art. 9 Abs. 2 LugÜ)9. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen ist zu unterscheiden: Nach Art. 23 Abs. 1 EuGVVO a.F. (Art. 23 Abs. 1 LugÜ) muss wenigstens eine Partei ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben. Die Parteirolle ist dabei irrelevant. Nach dem klaren Wortlaut des neuen Art. 25 Abs. 1 EuGVVO kommt es jetzt überhaupt nicht mehr auf den Wohnsitz der Parteien an.
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Vom Anwendungsbereich der EuGVVO bzw. des LugÜ ausgenommen ist nach Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO/LugÜ die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Hier gibt es indessen diverse völkerrechtliche Abkommen und Konventionen10. Besondere Bedeutung hat das UNCITRAL-Modellgesetz vom 21.6.1985, an dem sich der deutsche Gesetzgeber bei der Regelung des Schiedsverfahrensrechts (§§ 1025 ff. ZPO) orientiert hat. In Österreich beurteilt sich das Schiedsverfahrensrecht nach §§ 577 ff. österr. ZPO.
188
2. Anwendungsbereich der Art. 10 bis 16 EuGVVO (Art. 8 bis 14 LugÜ) Art. 10 bis 16 EuGVVO und Art. 8 bis 14 LugÜ enthalten Sondervorschriften über die Zuständigkeit für Versicherungssachen. Der Abschnitt ist im Wesentlichen abschließend. Von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften bleiben gem. Art. 10 EuGVVO 1 Vgl. Erwägungsgrund (41) EuGVVO. 2 Abkommen v. 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 299 v. 16.11.2005, S. 62; zur Anwendbarkeit der Neufasssung der EuGVVO in Dänemark vgl. ABl. EU Nr. L 79 v. 21.3.2013, S. 4. 3 ABl. EU Nr. L 147 v. 10.6.2009, S. 5. 4 BGBl. 1994 II, S. 2660. 5 Zum LugÜ 1988 Rudisch, VR 1997, 201 ff. 6 Vgl. Kropholler/v. Hein, Einl. Rz. 53. 7 Abkommen v. 25.4.1968 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen in Zivilsachen; Abkommen v. 5.7.1973 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und Österreich über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen in Zivilsachen, nachgewiesen in Gesetzesdatenbank LILEX, Liechtensteinische Gesetze. 8 Vgl. OLG München v. 8.1.2015 – 14 U 2110/14, VersR 2015, 1153; Looschelders in MünchKomm/VVG, § 215 Rz. 68. 9 Vgl. Heiss in Magnus/Mankowski, Art. 8 Rz. 3. 10 Näher dazu Geimer, Rz. 3700 ff.
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Looschelders 177
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Teil C Rz. 190
Handel mit Dienstleistungen
(Art. 8 LugÜ) nur Art. 6 und Art. 7 Nr. 5 EuGVVO (Art. 4 und Art. 5 Nr. 5 LugÜ) anwendbar. Ziel der Sonderregeln ist der prozessuale Schutz des Versicherungsnehmers und der anderen schwächeren Beteiligten (Versicherter, Begünstigter oder Geschädigter)1. Die Art. 10 ff. EuGVVO (Art. 8 ff. LugÜ) gelten aber nicht nur für Versicherungsverträge mit Verbrauchern, vielmehr werden sogar Versicherungsverträge über Großrisiken erfasst2. Klagen aus Rückversicherungsverträgen fallen allerdings nicht unter die Sonderregeln; der Versicherungsnehmer (Erstversicherer) ist hier nicht schutzbedürftig3. Dasselbe gilt für Rechtsstreitigkeiten zwischen Versicherern4. In diesen Fällen sind nur die allgemeinen Vorschriften der EuGVVO maßgeblich. Die Sozialversicherung ist nach Art. 1 Abs. 2 lit. c ganz vom Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ ausgenommen. 3. Zuständigkeit für Klagen gegen den Versicherer a) Allgemeine Zuständigkeiten 190
Für Klagen gegen den Versicherer besteht zunächst der Beklagtengerichtsstand am Wohnsitz des Versicherers (Art. 11 Abs. 1 lit. a EuGVVO, Art. 9 Abs. 1 lit. a LugÜ). Der Wohnsitz richtet sich nach Art. 63 EuGVVO (Art. 60 LugÜ). Maßgeblich ist der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung des Versicherers.
191
Bei Klagen des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer besteht gem. Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO (Art. 9 Abs. 1 lit. b LugÜ) wahlweise auch eine Zuständigkeit vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat. Dasselbe gilt für den Begünstigten und den Versicherten, die somit ebenfalls einen eigenen Klägergerichtsstand an ihrem Wohnsitz im Zeitpunkt der Klageerhebung erhalten5.
192
Haben die Versicherer im Fall einer Mitversicherung nicht den gleichen Wohnsitz, so fehlt es an einem einheitlichen Beklagtengerichtsstand (Art. 11 Abs. 1 lit. a EuGVVO). Nach den allgemeinen Vorschriften kann der Versicherungsnehmer die Verfahren daher nur am Klägergerichtsstand nach Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO bündeln. Art. 11 Abs. 1 lit. c EuGVVO (Art. 9 Abs. 1 lit. c LugÜ) erlaubt es dem Kläger aus Gründen der Prozessökonomie darüber hinaus, die Verfahren bei dem Gericht des Mitgliedstaats zusammenzufassen, bei dem der federführende Versicherer verklagt wird.
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Art. 10 EuGVVO (Art. 8 LugÜ) verweist für Klagen in Versicherungssachen auf den Gerichtsstand der Niederlassung nach Art. 7 Nr. 5 EuGVVO (Art. 5 Nr. 5 LugÜ). Es handelt sich um einen Wahlgerichtsstand, so dass sich der Kläger auch auf die Gerichtsstände nach Art. 11 ff. EuGVVO (Art. 9 ff. LugÜ) stützen kann6. Bei Verkehrsunfällen ist zu beachten, dass der Schadenregulierungsbeauftragte im Land des Drittgeschädigten (dazu Rz. 173) nach Art. 21 Abs. 6 KH-Richtlinie (konsolidierte Fassung)7 nicht als Niederlassung des Versicherers i.S.d. EuGVVO anzusehen ist8. Der Sitz eines 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Looschelders in FS Fenyves, 2013, S. 633 ff. Krit. Schäfer in Looschelders/Pohlmann, IntVersR Rz. 20. EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C. 412/98, Group Jousi, Slg. 2000, I-5925 Rz. 62 ff. EuGH v. 26.5.2005 – Rs. C-77/04, GIE, VersR 2005, 1001 m. Anm. Heiss; LG Bremen v. 25.1. 2001, VersR 2001, 782 m. Anm. Schüler. Vgl. Simotta in Fasching/Konecny, Art. 9 EuGVVO Rz. 10; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (267). LG Stuttgart v. 9.2.1996 – 10 O 184/95, IPRax 1998, 100; dazu Looschelders, IPRax 1998, 86 (88 ff.). Richtlinie 2009/103/EG v. 16.7.2009, ABl. EU Nr. L 263 v. 7.10.2009, S. 11. Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 8 EuGVVO Rz. 3; Looschelders, NZV 1999, 57 (60).
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Versicherungsverträge
Rz. 196
Teil C
selbständigen Handelsvertreters oder eines unabhängigen Maklers begründet ebenfalls keine Niederlassung des Versicherers1. b) Haftpflichtversicherung und Versicherung von Immobilien Bei Klagen aus Haftpflichtversicherungen und der Versicherung von Immobilien ist auch das Gericht am Ort des schädigenden Ereignisses zuständig (Art. 12 EuGVVO, Art. 10 LugÜ). Das Gleiche gilt, wenn bewegliche und unbewegliche Sachen in ein und demselben Versicherungsvertrag versichert und von demselben Schaden betroffen sind (z.B. Feuerversicherung über Gebäude und Hausrat)2. Bei Distanzschäden kann alternativ am Ort der Schadensverursachung oder am Ort des Schadenseintritts geklagt werden3.
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Art. 13 Abs. 1 EuGVVO (Art. 11 Abs. 1 LugÜ) gewährt in der Haftpflichtversicherung einen Gerichtsstand der Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage. Der Versicherer kann auch bei dem Gericht verklagt werden, an dem der Geschädigte den Haftpflichtprozess gegen den versicherten Schädiger anhängig macht. Voraussetzung ist aber, dass das Recht des angerufenen Gerichts eine derartige Gewährleistungs- bzw. Interventionsklage zulässt. Auf Deutschland und Österreich trifft dies nicht zu. Hier steht dem Versicherungsnehmer bzw. Versicherten nach Art. 65 Abs. 1 EuGVVO (Art. II des Protokolls Nr. 1 i.V.m. Anhang IX zum LugÜ) die Streitverkündung gemäß deutschem und österreichischem Recht zur Verfügung4. Entscheidungen, die in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 1 EuGVVO getroffen wurden, sind in Deutschland und Österreich aber nach Art. 65 Abs. 2 EuGVVO zu vollstrecken5. Die Schweiz hatte in Bezug auf die Kantone, deren ZPO keine Zuständigkeit i.S.d. Art. 6 Nr. 2 und Art. 11 LugÜ vorsahen, eine entsprechende Erklärung abgegeben6, zog diese jedoch im Hinblick auf das Inkrafttreten der Bundes-ZPO am 1. Januar 2011 noch vor der Ratifikation zurück.
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c) Direktklage des Geschädigten Art. 18 der KH-Richtlinie (Richtlinie 2009/113/EG) sieht vor, dass der Geschädigte eines Kfz-Unfalls einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben muss, das die Haftpflicht des Unfallverursachers abdeckt (vgl. Rz. 173)7. Die Schweiz statuiert in der Haftpflichtversicherung für Motorfahrzeuge ebenfalls einen Direktanspruch gegen den Versicherer des Schädigers (Art. 65 Abs. 1 SVG)8. Die Gerichtsstände des Geschädigten für eine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer regelt Art. 13 Abs. 2 EuGVVO (Art. 11 Abs. 2 LugÜ) unter Verweis auf Art. 10, 11 und 12 EuGVVO (Art. 8, 9 und 10 LugÜ). Ob dem Geschädigten ein Klägergerichtsstand am eigenen Wohnsitz zusteht, war lange Zeit umstritten. Auf der Grundlage des EuGVÜ und des LugÜ 1988 wurde ein solcher Klägergerichtsstand noch abgelehnt9. Zur EuGVVO a.F. hat der EuGH jedoch unter Hinweis auf Erwägungsgrund 16 a der Vierten KH-Richtlinie (Richtlinie 2000/26/EG)10 entschieden, dass dem Geschädigten für Kla1 Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 159; Looschelders in Lüer/Schwepcke, § 9 Rz. 30. 2 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 10 EuGVVO Rz. 2. 3 Mayr in unalex Kommentar, Art. 10 EuGVVO Rz. 4; Simotta in Fasching/Konecny, Art. 10 EuGVVO Rz. 6. 4 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 11 EuGVVO Rz. 7. 5 Vgl. Mayr in unalex Kommentar, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 4. 6 AS 2010, 5660 FN 17. 7 Das deutsche Recht sieht den Direktanspruch in § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG vor. Zum österreichischen Recht (§§ 26 ff. KHVG) vgl. Reisinger in Fucik/Hartl/Schlosser, Rz. 30. 8 Schweizerisches Bundesgesetz über den Straßenverkehr v. 19.12.1958, AS 1959, 679. 9 Vgl. Looschelders, NZV 1999, 57 (58). 10 Ebenso jetzt Erwägungsgrund (32) der Solvency II-Richtlinie.
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Teil C Rz. 197
Handel mit Dienstleistungen
gen gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers ein Klägergerichtsstand am eigenen Wohnsitz zusteht1. Diese Entscheidung ist auf die neue EuGVVO von 20122 sowie das LugÜ 2007 übertragbar3. Ist der Direktanspruch des Geschädigten im Wege der Legalzession auf dessen Sozial- oder Privatversicherer übergegangen, der den Schaden ersetzt hat, so ist dieser allerdings nicht berechtigt, den Haftpflichtversicherer des Schädigers vor dem Gericht an seinem eigenen Wohnsitz in Anspruch zu nehmen4. Da die Sperrwirkung des Art. 10 EuGVVO (Art. 8 LugÜ) nicht eingreift, kann der Legalzessionar den Direktanspruch aber nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (Art. 5 Nr. 3 LugÜ) vor dem Gericht am Ort des schädigenden Ereignisses geltend machen5. 4. Zuständigkeit für Klagen des Versicherers 197
Im Gegensatz zu den weiten Wahlmöglichkeiten des Versicherungsnehmers und der anderen schutzwürdigen Personen gewährt Art. 14 Abs. 1 EuGVVO (Art. 12 Abs. 1 LugÜ) dem Versicherer nur den allgemeinen Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Beklagten. Nach Art. 14 Abs. 2 EuGVVO (Art. 12 Abs. 2 LugÜ) kann der Versicherer eine Widerklage aber auch vor dem Gericht erheben, bei dem die Klage gegen ihn anhängig ist. Im Übrigen steht dem Versicherer nach Art. 10 i.V.m. Art. 7 Nr. 5 EuGVVO (Art. 8 i.V.m. Art. 5 Nr. 5 LugÜ) auch der Gerichtsstand im Mitgliedstaat der Niederlassung des Beklagten zur Verfügung. 5. Gerichtsstandsvereinbarungen und rügelose Einlassung a) Zulässigkeit
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Auch in Versicherungssachen sind Gerichtsstandsvereinbarungen prinzipiell zulässig6. Bei Massenrisken darf der Schutz der schwächeren Partei aber nicht unterlaufen werden. Art. 15 EuGVVO (Art. 13 LugÜ) lässt Gerichtsstandsvereinbarungen daher nur in engen Grenzen zu. Der Verstoß gegen diese Beschränkungen führt nach Art. 25 Abs. 5 EuGVVO (Art. 23 Abs. 5 LugÜ) zu Unwirksamkeit der Vereinbarung. Die Zulässigkeit von Schiedsgerichtsvereinbarungen wird hierdurch aber nicht begrenzt7.
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Die Fälle, in denen eine Gerichtsstandsvereinbarung in Versicherungssachen bei Massenrisiken ausnahmsweise zulässig ist, werden in Art. 15 Nr. 1–4 EuGVVO (Art. 13 Nr. 1–4 LugÜ) aufgezählt. Zulässig sind danach zunächst Gerichtsstandsvereinbarungen, die nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werden (Nr. 1) oder die die gesetzlichen Gerichtstände zugunsten des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigen erweitern (Nr. 2). Nach dem Schutzzweck ist auch eine Einschränkung der dem Versicherer gesetzlich zukommenden Gerichtstände unbedenklich8. Gerichtsstandsvereinbarungen sind darüber hinaus zulässig, wenn sie zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer getroffen werden, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in demselben Mit1 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-463/06, FBTO/Jack Odenbreit, Slg. 2007, I-11321 = NJW 2008, 819 m. Anm. Leible = ZVR 2008, 107 m. Anm. Wittwer; ausführlich dazu Looschelders, ZZPInt. 12 (2007), 247 ff. 2 Dörner in Saenger, Art. 13 EuGVVO Rz. 3. 3 Zum LugÜ 2007 BGH v. 23.10.2011 – VI ZR 260/11, VersR 2013, 73. 4 EuGH v. 17.9.2009 – Rs. C-347/08, Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Slg. 2009, I-8663 = VersR 2009, 512; OLG Celle v. 27.11.2008 – 5 U 106/08, VersR 2009, 1426; Lüttringhaus, VersR 2010, 183 ff.; krit. Reisinger, ZVR 2012, 40 (42). 5 Vgl. OGH v. 19.1.2012 – 2 Ob 210/11p, JBl. 2012, 382 m. Anm. Garber = IPRax 2013, 364; dazu Looschelders, IPRax 2013, 370 ff. 6 Vgl. Dörner in Bruck/Möller, IntVersProzR Rz. 23 ff.; Heinig, S. 244 ff. 7 Staudinger in Rauscher, Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 8 Heiss in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Art. 13 Rz. 1; Mayr in unalex Kommentar, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 6; a.A. Heinig, S. 249 f.
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Versicherungsverträge
Rz. 202
Teil C
gliedstaat haben, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eintritt (Nr. 3). Dem Versicherer geht es dabei meist um den Ausschluss der Zuständigkeiten nach Art. 12 und 13 Abs. 1 EuGVVO (Art. 10 und 11 Abs. 1 LugÜ). Nach dem Wortlaut („auch für den Fall“) ist dies aber nicht abschließend. Der Versicherer kann sich durch die Vereinbarung daher auch davor schützen, dass der Versicherungsnehmer sich nach einem Umzug auf die Gerichtsstände in seinem neuen Wohnsitzstaat (Art. 11 lit. b, Art. 14 EuGVVO, Art. 9 lit. b, 12 LugÜ) beruft (vgl. auch § 215 Abs. 3 VVG)1. Zulässig sind schließlich auch Gerichtsstandsvereinbarungen mit einem Versicherungsnehmer, der keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Ausnahmen gelten hier aber für Pflichtversicherungen und die Versicherung einer in einem Mitgliedstaat belegenen Immobilie (Nr. 4). Bei Großrisiken räumt Art. 15 Nr. 5 EuGVVO (Art. 13 Nr. 5 LugÜ) den Parteien wegen der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers vollständige Prorogationsfreiheit ein2. Unter Großrisiken werden zunächst diverse See- und Luftfahrtrisiken verstanden3. Nach Art. 16 Nr. 5 EuGVVO zählen hierher aber auch alle Großrisiken nach der Begriffsbestimmung der Solvency II-Richtlinie 4. Art. 14 Nr. 5 LugÜ verweist ohne Bezugnahme auf eine Richtlinie auf „alle Großrisiken“. Der Sache nach sollen damit aber die gleichen Risiken wie nach der EuGVVO erfasst werden5.
200
Auf die Rückversicherung finden die Sonderregeln für Versicherungssachen keine Anwendung (oben Rz. 189). Sie unterliegt daher auch nicht den Beschränkungen der Parteiautonomie nach Art. 15 EuGVVO (Art. 13 LugÜ). Die Parteien können die internationale Zuständigkeit somit nach Art. 25 EuGVVO (Art. 23 LugÜ) frei regeln.
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b) Zustandekommen und Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen Das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung in Versicherungssachen richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Art. 25 EuGVVO (Art. 23 LugÜ)6. Das Gleiche gilt für ihre Wirkungen. Gerichtsstandvereinbarungen wirken jedenfalls für und gegen die Parteien, also den Versicherer und den Versicherungsnehmer. Inwieweit sie auch gegenüber dem Versicherten bzw. dem Begünstigten wirken, hängt nach der EuGH-Rechtsprechung davon ab, ob der Schutzzweck der Art. 10 ff. EuGVVO (Art. 8 ff. LugÜ) gewahrt bleibt. Begünstigende Abreden wirken damit auch gegenüber dem Versicherten und Begünstigten7. Eine nachteilige Vereinbarung ist für den Versicherten bzw. Begünstigten nur beachtlich, wenn er ihr ausdrücklich zugestimmt hat8. In der Haftpflichtversicherung können die Gerichtsstände des Art. 13 Abs. 2 EuGVVO (Art. 11 Abs. 2 LugÜ) von den Parteien nicht zu Lasten des Geschädigten abbedungen werden9.
1 Schlosser, Art. 13 EuGVVO Rz. 3; Mayr in unalex Kommentar, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 6; Simotta in Fasching/Konecny, Art. 13 EuGVVO Rz. 11; Heinig, S. 257 ff.; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (271); a.A. Staudinger in Rauscher, Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 6 ff.; Hub, S. 164. 2 OGH v. 11.5.2011 – 7 Ob 2003/10 v, VersR 2012, 383. 3 Art. 16 Nr. 1–4 EuGVVO; Art. 14 Nr. 1–4 LugÜ. 4 Art. 14 Nr. 5 EuGVVO a.F. hat noch auf die Definition der Großrisiken in den Richtlinien 73/239/EWG (geändert durch die Richtlinie 88/357/EWG) und 90/618/EWG verwiesen. Inhaltlich sind damit keine Änderungen verbunden (vgl. Mayr in unalex Kommentar, Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 8). 5 Vgl. Pocar-Bericht zum LugÜ 2007, ABl. EU Nr. C 319 v. 23.12.2009, S. 1 (20). 6 Vgl. Kropholler/v. Hein, Art. 13 EuGVVO Rz. 1; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (271). 7 EuGH v. 14.7.1983 – Rs. 201/82, Gerling, Slg. 1983, 2503 ff.; dazu Hübner, IPRax 1984, 237 ff. 8 EuGH v. 12.5.2005 – Rs. C-112/03, Société financière et industrielle du Peloux, Slg. 2005, I-3707 = VersR 2005, 1261 Rz. 36 ff.; Geimer, Rz. 1663; krit. Heiss, IPRax 2005, 497 ff. 9 Schlosser, Bericht zum EuGVÜ, ABl. EG Nr. C 59 v. 5.3.1979, S. 71 (116).
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Looschelders 181
202
Teil C Rz. 203
Handel mit Dienstleistungen
c) Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen 203
Der Rat hat am 4.12.2014 das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) vom 30.6.20051 im Namen der EU genehmigt2. Das HGÜ ist daraufhin am 1.10.2015 für die EU-Staaten mit Ausnahme von Dänemark in Kraft getreten. Es gilt außerdem bislang nur für Mexiko. Die USA und Singapur haben das HGÜ zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ ist das Übereinkommen von vornherein nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen mit Verbrauchern anwendbar.3 Um den Schutz der Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigen aufrechtzuerhalten, hat die EU darüber hinaus anlässlich der Genehmigung eine Erklärung nach Art. 21 des Übereinkommens abgegeben, wonach Versicherungsverträge grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen sind4. Ausnahmen gelten für Rückversicherungsverträge und Versicherungsverträge über Großrisiken5 sowie für die in Art. 15 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO (Art. 13 Nr. 1 und Nr. 3 LugÜ) genannten Fälle. Dahinter steht der Gedanke, dass Gerichtsstandsvereinbarungen in diesen Fällen auch nach der EuGVVO (und dem LugÜ) zulässig sind. d) Rügelose Einlassung
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Nach Art. 26 EuGVVO (Art. 24 LugÜ) kann die Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaats bei Klagen des Versicherers auch auf die rügelose Einlassung des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigen gestützt werden6. Da der Beklagte nicht immer weiß, dass er die Unzuständigkeit des Gerichts rügen muss, besteht die Gefahr, dass der Schutz der schwächeren Partei durch die Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung unterlaufen wird7. Bei der Reform der EuGVVO wurde daher ein neuer Art. 26 Abs. 2 eingefügt, wonach das Gericht bei Streitigkeiten in Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie bei Streitigkeiten in Bezug auf individuelle Arbeitsverträge sicherzustellen hat, dass der Beklagte über sein Recht zur Geltendmachung der Unzuständigkeit sowie die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird8. 6. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
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Art. 36 EuGVVO (Art. 33 EuGVVO a.F., Art. 33 LugÜ) sieht vor, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Nach der EuGVVO a.F. und dem LugÜ werden die in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen allerdings nicht ohne weiteres vollstreckt. Die Vollstreckung setzt vielmehr voraus, dass die Entscheidung nach Art. 38 ff. EuGVVO a.F./LugÜ auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden ist (sog. Exequaturverfahren)9. Bei Vorliegen der förmlichen Voraussetzungen wird die Entscheidung in erster Instanz allerdings für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung der Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO a.F./LugÜ erfolgt (Art. 41 EuGVVO a.F./LugÜ)10. Die Vollstreckbarerklärung kann dann auf Rechtsbehelf des Schuldners aufgehoben werden, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
ABl. EG Nr. L 133 v. 29.5.2009, S. 3. ABl. EU Nr. L 353 v. 10.12.2014, S. 5. Vgl. Fricke in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 3 Rz. 85. Art. 3 Abs. 1 des Ratsbeschlusses i.V.m. Anhang I zum Ratsbeschluss, ABl. EU Nr. L 353 v. 10.12.2014, S. 7. Vgl. Erwägungsgrund (7) des Ratsbeschlusses, ABl. EU Nr. L 353 v. 10.12.2014, S. 5. ˇ PP/Bilas, VersR 2010, 1099 m. Anm. Sperlich/Wolf. EuGH v. 20.5.2010 – Rs. C-111/09, C Krit. Mankowski, RIW 2010, 667 ff. Näher dazu Staudinger in Rauscher, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 22 ff.; Mankowski, RIW 2014, 625 (628 f.). Vgl. Geimer, Rz. 3138 ff. Althammer in unalex Kommentar, Vor Art. 38–52 Brüssel I-VO Rz. 3.
182 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 208
Teil C
wenn einer der in Art. 34 oder 35 EuGVVO a.F./LugÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Hieran ist insbesondere zu denken, wenn die Vorschriften über die Zuständigkeit in Versicherungssachen verletzt wurden1. Die neue EuGVVO sieht kein Exequaturverfahren mehr vor. Die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung kann aber auf Antrag des Schuldners versagt werden (Art. 45, 46 EuGVVO). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Beklagte zum Kreis der schutzbedürftigen Personen (Versicherungsnehmer etc.) gehört und die Entscheidung gegen die Regeln über die Zuständigkeit in Versicherungssachen verstößt (Art. 45 Abs. 1 lit. e ii, Art. 46 EuGVVO)2. Die inhaltlichen Gründe für die Versagung der Vollstreckung sind somit gleich geblieben. Vielmehr wurde lediglich die Last der Antragstellung verlagert3.
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IX. Internationales Versicherungsvertragsrecht 1. Rechtsquellen Das Europäische Kollisionsrecht der Versicherungsverträge war bis zum 17.12.2009 sehr unübersichtlich geregelt. Für Direktversicherungsverträge über Risiken, die innerhalb des EWR belegen waren, galten die kollisionsrechtlichen Bestimmungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Schaden4 und der Richtlinie Leben5, die in Deutschland in Art. 7–15 EGVVG umgesetzt waren6. Für Direktversicherungsverträge über außerhalb des EWR belegene Risiken sowie alle Rückversicherungsverträge war das Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (EVÜ)7 maßgeblich. Deutschland hat dem EVÜ mit der Maßgabe zugestimmt, dass dessen Vorschriften innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar sind8. Die Regelungen des EVÜ wurden aber mit Wirkung vom 1.9.1986 in Art. 27–37 EGBGB umgesetzt.
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Bei Verträgen, die ab dem 17.12.2009 geschlossen werden, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Rom I-VO9. Die Rom I-VO gilt für alle EU-Staaten außer Dänemark. Bei der Regelung über Versicherungsverträge in Art. 7 Rom I-VO bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ nach Art. 2 Abs. 4 Satz 2 Rom I-VO aber alle EU-Staaten einschließlich Dänemark. Die anderen EWR-Staaten wie Liechtenstein werden in Art. 2 Abs. 4 Satz 2 Rom I-VO nicht erwähnt. Aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 4 EWR-Abkommen folgt indes, dass sie im Rahmen von Art. 7 Rom I-VO wie Mitgliedstaaten zu behandeln sind. Dies ist zwar noch sehr umstritten10. Der Gemeinsame
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1 Art. 45 i.V.m. Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a.F./LugÜ; vgl. BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, VersR 2012, 601 (603). 2 Alio, NJW 2014, 2395 (2397). 3 Zu dieser Verlagerung Geimer, Rz. 3174 m. 4 Art. 2 lit. d, Art. 5, 7 und 8 Zweite Richtlinie Schaden; Art. 27 und 30 Dritte Richtlinie Schaden. 5 Art. 1 Abs. 1 lit. g, Art. 32 Richtlinie Leben. 6 Zu den Einzelheiten Dörner in Berliner Kommentar, Vor Art. 7 EGVVG Rz. 16 ff. 7 ABl. Nr. L 266 v. 9.10.1980, S. 1, konsolidierte Fassung in ABl. EG Nr. C 27 v. 26.1.1998, S. 34. Das Übereinkommen galt nur für die Mitgliedstaaten der EG, also weder für Liechtenstein noch für die Schweiz. 8 BGBl. 1986 II, 809. 9 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisses anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EG Nr. L 177 v. 4.7.2008, S. 6, ber. ABl. Nr. L 309 v. 24.11.2009, S. 87. 10 Vgl. Armbrüster in Staudinger, 2011, Art. 7 Rom I-VO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm/ VVG, IntVersR Rz. 35; Heiss in FS Kropholler, 2008, S. 459 (463); Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (2); Armbrüster, Rz. 2043; a.A. Dörner in Bruck/Möller, Art. 7 Rom I-VO Rz. 3; Staudinger in Ferrari u.a., Art. 7 Rom I-VO Rz. 32.
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Looschelders 183
Teil C Rz. 209
Handel mit Dienstleistungen
EWR-Ausschuss hat aber beschlossen, die Solvency II-Richtlinie in den Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens aufzunehmen1. Art. 178 Solvency IIRichtlinie wird durch Art. 1 Nr. 3 lit. g des Beschlusses so konkretisiert, dass er die Inhalte des Art. 7 Rom I-VO wiedergibt. Die EWR-Staaten haben demnach entsprechende Umsetzungsgesetze zu erlassen.2 Seit dem Inkrafttreten der Solvency II-Richtlinie am 1.1.2016 kann somit jedenfalls kein Zweifel mehr daran bestehen, dass auch die anderen EWR-Staaten als Mitgliedstaaten i.S.d. Art. 7 Rom I-VO anzusehen sind3. 209
Die Rom I-VO erfasst grundsätzlich alle Versicherungsverträge4. Inhaltlich ist es aber im Wesentlichen bei der in den Versicherungsrichtlinien angelegten Unterscheidung nach der Belegenheit des versicherten Risikos geblieben. Die Sonderregelung des Art. 7 Rom I-VO gilt nämlich nur für Versicherungsverträge über Großrisiken (unabhängig von der Belegenheit des Risikos) und Versicherungsverträge über Massenrisiken, die im Gebiet der Mitgliedstaaten belegen sind (Art. 7 Abs. 1 Rom I-VO). Rückversicherungsverträge und Versicherungsverträge über Massenrisiken, die nicht in einem Mitgliedstaat belegen sind, unterliegen dagegen den allgemeinen Anknüpfungsregeln der Art. 3, 4 und 6 Rom I-VO. 2. Bestimmung der Risikobelegenheit (Art. 7 Abs. 6 Rom I-VO)
210
Für die Bestimmung der Risikobelegenheit verweist Art. 7 Abs. 6 Rom I-VO auf Art. 2 lit. d der Zweiten Richtlinie Schaden und Art. 1 Abs. 1 lit. g der Richtlinie Leben. Diese Richtlinien sind durch Art. 310 Unterabs. 1 Solvency II-Richtlinie zum 1.1. 2016 aufgehoben worden (vgl. Rz. 130); maßgeblich sind dann nach Art. 310 Unterabs. 2 Solvency II-Richtlinie die inhaltsgleichen Art. 13 Nr. 13 und Nr. 14 Solvency IIRichtlinie5. Bei der Versicherung von Gebäuden (ggf. mit darin befindlichen beweglichen Sachen) wird auf den Mitgliedstaat abgestellt, in dem die Immobilien belegen sind (Art. 13 Nr. 13 lit. a Solvency II-Richtlinie). Bei der Versicherung von zugelassenen Fahrzeugen ist der Mitgliedstaat maßgeblich, in dem die Zulassung erfolgt ist (Art. 13 Nr. 13 lit. b Solvency II-Richtlinie). Bei Reise- und Ferienversicherungen über höchstens vier Monate kommt es darauf an, in welchem Mitgliedstaat der Versicherungsnehmer den Vertrag geschlossen hat (Art. 13 Nr. 13 lit. c Solvency II-Richtlinie). Im Regelfall ist danach das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers maßgeblich6. Es sind aber auch Ausnahmen denkbar (z.B. Vertragsschluss am Flughafen)7. Bei allen sonstigen Schadenversicherungen ist das Risiko in dem Mitgliedstaat belegen, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei juristischen Personen wird auf den Mitgliedstaat abgestellt, in dem sich die Niederlassung des Versicherungsnehmers befindet, auf die sich der Vertrag bezieht (Art. 13 Nr. 13 lit. d Solvency II-Richtlinie). Die gleiche Anknüpfung wie bei den sonstigen Schadenversicherungen gilt bei der Lebensversicherung (Art. 13
1 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 78/2011 v. 1.7.2011 zur Änderung von Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABl. EU Nr. L 262 v. 6.10.2001, S. 45. 2 Vgl. für Liechtenstein das Gesetz v. 12.6.2015 über das Internationale Versicherungsvertragsrecht (IVersVG), LGBl. Nr. 233 v. 31.10.2015). 3 So auch Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 7 Rom I-VO Rn. 16. 4 Zum Ausschluss bestimmter Versicherungsverträge im Zusammenhang mit der betrieblichen Altersversorgung s. Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO. Bei Versicherungsverträgen mit Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit gilt die Rom I-VO nach Art. 1 Abs. 2 lit. f nicht für die vereinsrechtlichen Aspekte, s. Fricke, VersR 2008, 443 (444). 5 Dörner in Bruck/Möller, Art. 7 Rom I-VO Rz. 27 ff. Nachfolgend werden die Vorschriften der Solvency II-Richtlinie zugrunde gelegt. 6 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 7 Rom I-VO Rz. 51. 7 Vgl. Armbrüster, Rz. 2053; Gruber, S. 34 ff.; Uebel, S. 224 ff.; für teleologische Reduktion auf Vertragsschluss unter Anwesenden Reichert-Facilides, IPRax 1990, 1 (7).
184 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 214
Teil C
Nr. 14 Solvency II-Richtlinie). Das Risiko ist also auch hier am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Ort der Niederlassung des Versicherungsnehmers belegen1. 3. Großrisiken Bei Versicherungsverträgen über Großrisiken ist der Versicherungsnehmer nicht schutzwürdiger als der Versicherer, weil der Versicherungsnehmer ebenfalls mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen vertraut ist2. Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 Rom I-VO sieht daher vor, dass Versicherungsverträge über Großrisiken in erster Linie dem nach Art. 3 Rom I-VO gewählten Recht unterliegen. Es herrscht also volle Parteiautonomie3. Mangels Rechtswahl unterliegt der Vertrag gem. Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem der Versicherer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Vertrag nicht ausnahmsweise eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist4.
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Für den Begriff des Großrisikos verweist Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 Rom I-VO auf Art. 5 lit. d Erste Richtlinie Schaden. Ab 1.1.2016 ist Art. 13 Nr. 27 i.V.m. Anhang I, Teil A Solvency II-Richtlinie maßgeblich5. Grundsätzlich kann zwischen Großrisiken kraft Sparte und kraft Betriebsgröße unterschieden werden. Zu den Großrisiken kraft Sparte gehören bestimmte Kasko-, Transport- und Haftpflichtversicherungen (Art. 13 Nr. 27 lit. a Solvency II-Richtlinie) sowie Kredit- und Kautionsversicherungen (Art. 13 Nr. 27 lit. b Solvency II-Richtlinie); bei letzteren muss hinzukommen, dass der Versicherungsnehmer eine Erwerbstätigkeit im industriellen oder gewerblichen Sektor oder eine freiberufliche Tätigkeit ausübt und das Risiko damit im Zusammenhang steht. Ein Großrisiko kraft Betriebsgröße liegt nach Art. 13 Nr. 27 lit. c Solvency II-Richtlinie vor, wenn der Versicherungsnehmer mindestens zwei der folgenden Obergrenzen überschreitet:
212
i) Bilanzsumme von 6,2 Mio. Euro; ii) Nettoumsatz von 12,8 Mio. Euro; iii) durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 250 Beschäftigten im Verlauf des Geschäftsjahres.
213
4. Massenrisiken in Mitgliedstaaten a) Objektive Anknüpfung und Rechtswahlmöglichkeiten Versicherungsverträge über Massenrisiken, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, unterliegen nach Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 3 Rom I-VO dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Risiko bei Vertragsschluss belegen ist. Eine Rechtswahl ist zum Schutz des Versicherungsnehmers nur in sehr engen Grenzen möglich. Grundsätzlich kann nur das Recht des Mitgliedstaates gewählt werden, in dem das Risiko bei Vertragsschluss belegen ist (Abs. 3 Unterabs. 1 lit. a), oder das Recht des Staates, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Abs. 3 Unterabs. 1 lit. b). Da die Belegenheit des Risikos schon für die objektive Anknüpfung maßgeblich ist, hat diese Alternative keine große Bedeutung6. Die Wahl des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt ist nur von Interesse, wenn das Risiko ausnahmsweise nicht am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers belegen ist. 1 Vgl. Behn/Kühle, ZEV 2014, 148 (149) zu Lebensversicherungen mit liechtensteinischen Versicherern. 2 Vgl. Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (4). 3 Zu den Grenzen nach Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO vgl. Heiss in FS Kropholler, 2008, S. 459 (464). 4 Zur Bedeutung der Ausweichklausel Dörner in Bruck/Möller, Art. 7 Rom I-VO Rz. 25. 5 Vgl. Dörner in Bruck/Möller, Art. 7 Rom I-VO Rz. 8. 6 Fricke, VersR 2008, 443 (448); Perner, IPRax 2009, 218 (221).
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Looschelders 185
214
Teil C Rz. 215
Handel mit Dienstleistungen
215
Bei Lebensversicherungen können die Parteien auch das Recht des Mitgliedstaates wählen, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt (Abs. 3 Unterabs. 1 lit. c). Beschränken sich die gedeckten Risiken auf Schadensfälle, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist, eintreten können, so ist das Recht jenes Mitgliedstaates wählbar (Abs. 3 Unterabs. 1 lit. d). Beispiele sind eine Produkthaftpflichtversicherung für inländische Produkte, die nur in einem anderen Mitgliedstaat verkauft werden1, oder Reiseunfallversicherungen ausschließlich für Unfälle, die am Reiseort eintreten2. Wenn der Versicherungsnehmer eine gewerbliche oder industrielle Tätigkeit ausübt oder freiberuflich tätig ist und der Versicherungsvertrag zwei oder mehr damit zusammenhängende Risiken abdeckt, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten belegen sind, so kann das Recht eines betroffenen Mitgliedstaates oder das Recht des Aufenthaltsstaates des Versicherungsnehmers vereinbart werden (Abs. 3 Unterabs. 1 lit. e). Der Versicherungsvertrag kann so einem einheitlichen Recht unterstellt werden.
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Nach Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 2 Rom I-VO können die Parteien in den Fällen des Unterabs. 1 lit. a, b oder e von einer größeren Rechtswahlfreiheit für den Versicherungsvertrag Gebrauch machen, wenn das Recht des betreffenden Mitgliedstaates dies vorsieht. Der deutsche Gesetzgeber hat auf die Ausweitung der Rechtswahlfreiheit verzichtet3. Dagegen sieht das österreichische IPRG in § 35a Abs. 1 vor, dass die Parteien in den Fällen des Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 1 lit. a, b und e Rom I-VO jedes andere Recht wählen können. Der Versicherungsnehmer wird nach dem Vorbild des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO geschützt. Übt der Versicherer seine Tätigkeit im Aufenthaltsstaat des Versicherungsnehmers aus oder richtet er seine Tätigkeit auf irgendeine Weise (auch) hierauf aus, so darf die Rechtswahl gem. § 35a Abs. 2 IPRG nicht dazu führen, dass der Versicherungsnehmer den Schutz durch die zwingenden Bestimmungen des mangels Rechtswahl anzuwendenden Rechts verliert4. b) Besonderheiten bei Pflichtversicherungen
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Besondere Regelungen gelten nach Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO für Versicherungsverträge über Risiken (einschließlich Großrisiken)5, für die ein Mitgliedstaat eine Versicherungspflicht vorschreibt. Der Versicherungsvertrag genügt der Versicherungspflicht nur, wenn er den besonderen Bestimmungen des die Versicherungspflicht anordnenden Mitgliedstaats für diese Versicherung entspricht (lit. a Satz 1). Bei Widersprüchen zwischen dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Risiko belegen ist, und dem Recht des Mitgliedstaates, der die Versicherungspflicht vorschreibt, setzt sich das letztere Recht durch (lit. a Satz 2).
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Aus dem Wortlaut von Abs. 4 folgt, dass er die Anknüpfungsregeln der Abs. 2 und 3 nicht verdrängt, sondern nur „zusätzliche“ Regelungen enthält. Die Mitgliedstaaten können aber nach Abs. 4 lit. b vorschreiben, dass auf den Versicherungsvertrag abweichend von Abs. 2 und 3 das Recht des Mitgliedstaates anwendbar ist, der die Versicherungspflicht vorschreibt. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon in Art. 46c EGBGB Gebrauch gemacht. Nach Art. 46c Abs. 2 EGBGB unterliegt ein über eine Pflichtversicherung abgeschlossener Vertrag deutschem Recht, wenn die gesetzliche Verpflichtung zu seinem Abschluss auf deutschem Recht beruht6. Ein Versicherungsvertrag über Risiken, für die ein Mitgliedstaat der EU oder ein anderer Vertragsstaat des EWR (z.B. 1 2 3 4 5 6
Armbrüster, Rz. 2059; Basedow/Drasch, NJW 1991, 785 (791). Perner in Fenyves/Schauer, Anhang (Rom I-VO) Rz. 30. Looschelders in MünchKomm/VVG, IntVersR Rz. 93. Vgl. Perner in Fenyves/Schauer, Anhang (Rom I-VO), Rz. 32. Perner, IPRax 2009, 218 (221). Zu den diversen Versicherungspflichten nach deutschem Recht Armbrüster in Prölss/Martin, Einl. Rz. 323 ff.
186 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 222
Teil C
Liechtenstein) eine Versicherungspflicht vorschreibt, unterliegt nach Art. 46c Abs. 1 EGBGB nur dann dem Recht des betreffenden Staates, wenn dieser seinerseits die Anwendung des eigenen Rechts vorschreibt. Auf drittstatliche Versicherungspflichten ist Art. 46c Abs. 1 EGBGB nicht anwendbar1. Der österreichische Gesetzgeber hat von Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO keinen Gebrauch gemacht. Abs. 2 und 3 gelten in Österreich daher auch für Pflichtversicherungen2.
219
5. Massenrisiken in Drittstaaten Auf Versicherungsverträge über Massenrisiken, die in einem Drittstaat belegen sind, ist Art. 7 nach Abs. 1 Satz 1 nicht anwendbar. Das Vertragstatut ist daher nach den allgemeinen Anknüpfungsregeln der Art. 3 ff. Rom I-VO zu bestimmen3. Nach Art. 3 Rom I-VO gilt in erster Linie der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit. Mangels Rechtswahl ist nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht des Staates anwendbar, in dem der Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat4. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in Art. 19 Rom I-VO definiert. Maßgeblich ist danach der Ort der Hauptverwaltung bzw. der vertragsrelevanten Niederlassung des Versicherers. Nach der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ist ausnahmsweise das Recht eines anderen Staates anwendbar, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem Staat aufweist. Nach der Systematik des Art. 4 Rom I-VO ist eine restriktive Anwendung des Abs. 3 geboten. Man kann davon sprechen, dass die Regelanknüpfung als „vergleichsweise geradezu zufällig“ erscheinen muss5.
220
Ist der Versicherungsnehmer Verbraucher, so wird er durch Art. 6 Rom I-VO geschützt. Voraussetzung ist, dass der Versicherer seine gewerbliche Tätigkeit im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausgeübt oder seine Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat ausgerichtet hat. Mangels Rechtswahl ist dann das Recht des Staates anwendbar, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Rechtswahl nach Art. 3 Rom I-VO ist nicht per se ausgeschlossen; dem Verbraucher darf dadurch aber nicht der Schutz entzogen werden, den ihm die zwingenden Vorschriften seines Aufenthaltsstaates gewähren6.
221
6. Rückversicherungsverträge Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO stellt klar, dass die Sonderregeln des Art. 7 Rom I-VO auf Rückversicherungsverträge nicht anwendbar sind. Hier gelten daher die Art. 3 ff. Rom I-VO7. Die Parteien genießen somit nach Art. 3 Rom I-VO Rechtswahlfreiheit. In der Praxis sind Rechtswahlklauseln bei der Rückversicherung weit verbreitet; sonst kann die Verwendung von Standardpolicen für eine konkludente Rechtswahl sprechen8. 1 Vgl. Schäfer in Looschelders/Pohlmann, IntVersR Rz. 113; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (7); für Analogie Armbrüster in Prölss/Martin Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 54; Dörner in Bruck/Möller, Art. 46 c EGBGB Rz. 5; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 46c EGBGB Rz. 10. 2 Vgl. Perner in Fenyves/Schauer, Anhang (Rom I-VO) Rz. 38. 3 Armbrüster in Prölss/Martin, Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 8; Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (8); a.A. Fricke, VersR 2008, 443 (448). 4 Vgl. Dörner in Bruck/Möller, Art. 4 Rom I-VO Rz. 4 ff. 5 So Perner in Fenyves/Schauer, Anhang (Rom I-VO) Rz. 21. 6 Näher dazu Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (9); Böttger, VersR 2012, 156 (159); zur parallelen Rechtslage nach Art. 29 EGBGB a.F. Looschelders in FS E. Lorenz, 2004, S. 441 (442 ff.). 7 Armbrüster in Prölss/Martin, Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 43; Looschelders, VersR 2012, 1 (9). 8 Vgl. Looschelders in Lüer/Schwepcke, § 9 Rz. 87.
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Looschelders 187
222
Teil C Rz. 223
Handel mit Dienstleistungen
223
Nach welchem Recht Rückversicherungsverträge mangels Rechtswahl zu beurteilen sind, ist seit langem umstritten. Vor Inkrafttreten der Rom I-VO ging die h.M. in Deutschland davon aus, dass Rückversicherungsverträge bei Fehlen einer Rechtswahl nach dem Recht am Sitz des Erstversicherers zu beurteilen sind1. Auf der Grundlage der Rom I-VO stellt sich zunächst die Frage, ob Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO auf Rückversicherungsverträge anwendbar ist. Hierfür spricht, dass die Rückversicherung eine Finanzdienstleistung darstellt und Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO auch für Finanzdienstleistungen gilt. Die diversen Mitwirkungspflichten des Erstversicherers ändern nichts daran, dass die charakteristische Leistung in der Riskikoübernahme durch den Rückversicherer liegt2. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO verweist somit auf das Recht am Sitz des Rückversicherers.
224
Die Anwendbarkeit des Rechts am Sitz des Erstversicherers wird teilweise darauf gestützt, dass Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO die Anwendung des Rechts erlaubt, mit dem der Sachverhalt nach der Gesamtheit der Umstände eine offensichlich engere Verbindung aufweist3. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen eine Korrektur der Regelanknüpfung erlaubt (s. Rz. 220)4. 7. Eingriffsnormen und ordre public
225
Die Rom I-VO berührt nach ihrem Art. 9 Abs. 2 nicht die Anwendung der Eingriffsnormen der lex fori. Der Begriff der Eingriffsnorm ist in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert. Es handelt sich danach um zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses angesehen wird, dass sie ungeachtet des an sich anwendbaren Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen5. Nicht jede im materiellen Recht zwingende (d.h. nicht dispositive) Vorschrift ist somit eine Eingriffsnorm. Erforderlich ist, dass die Norm sich aus Gründen des öffentlichen Interesses auch gegenüber einem ausländischen Vertragsstatut durchsetzen soll. Man spricht auch von einem „internationalen Geltungsanspruch“6.
226
Im deutschen Versicherungsvertragsrecht stellen die Vorschriften zum Schutz des Versicherungsnehmers keine Eingriffsnormen dar. Der kollisionsrechtliche Schutz des Versicherungsnehmers bzw. Verbrauchers wird durch Art. 6, 7 Rom I-VO verwirklicht7. Praktische Bedeutung haben Versicherungsverbote im Rahmen von Embargomaßnahmen8. Insgesamt ist eine restriktive Anwendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geboten9. Der Vorbehalt des ordre public (Art. 21 Rom I-VO) ermöglicht flexiblere Lösungen10. 1 So W.-H. Roth, S. 580 ff.; E. Lorenz in FS Kegel, S. 303 (327); Reichert-Facilides, IPRax 1990, 1 (2); a.A. Mankowski, VersR 2002, 1177 ff.; Basedow in Reichert-Facilides, S. 89 (97 f.): Sitz des Rückversicherers. 2 Dörner in Bruck/Möller, Art. 4 Rom I-VO Rz. 8; Looschelders, VersR 2012, 1 (3); a.A. Armbrüster in Prölss/Martin, Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 43; Schnyder in Reithmann/Martiny, Rz. 4753. 3 So Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 7 Rom I-VO Rz. 19; Armbrüster in FS v. Hoffmann, 2011, S. 23 (32). 4 Vgl. Looschelders, VersR 2012, 1 (8). 5 Vgl. hierzu auch EuGH v. 23.11.1999 – Rs. C-369/96 und C-376/96, Arblade, EuZW 2000, 88 Rz. 30; EuGH v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, Unamar, EuZW 2013, 956 Rz. 47. 6 Staudinger in Ferrari u.a., Art. 9 Rom I-VO Rz. 6. 7 Vgl. Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 103; W.-H. Roth in FS E. Lorenz, 2014, S. 421 (441). 8 Vgl. LG Hamburg v. 3.12.2014 – 401 HKO 7/14, VersR 2015, 1024 m. Anm. Looschelders; Wandt, VersR 2013, 257 ff. 9 Vgl. EuGH v. 17.10.2013 – Rs. C-184/12, Unamar, EuZW 2013, 956 Rz. 52; Armbrüster in Prölss/Martin, Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 59. 10 Dörner in Bruck/Möller, Art. 9 Rom I-VO Rz. 5; W.-H. Roth in FS E. Lorenz, 2014, S. 421 (441).
188 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 230
Teil C
Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann auch ausländischen Eingriffsnormen im Einzelfall „Wirkung verliehen“ werden. Erfasst werden aber nur die Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind. Außerdem müssen die betreffenden Vorschriften die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Im Versicherungsrecht liegt diese Voraussetzung z.B. vor, wenn das Versicherungsaufsichtsrecht am Sitz des Versicherers oder am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers1 den Abschluss des Versicherungsvertrages verbietet, um die Erfüllung der gegenseitigen Leistungspflichten zu verhindern2. Bei deutschem Vertragsstatut kommt darüber hinaus die Berücksichtigung anderer ausländischer Verbotsgesetze im Rahmen der Generalklauseln (z.B. § 138 Abs. 1 BGB) in Betracht3.
227
8. Rechtslage in Österreich, Liechtenstein und der Schweiz a) Österreich Österreich hatte das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) anders als Deutschland in seiner staatsvertraglichen Fassung in Kraft gesetzt. Das RichtlinienKollisionsrecht wurde im Bundesgesetz über internationales Versicherungsvertragsrecht für den europäischen Wirtschaftsraum (IVVG)4 umgesetzt. Für Verträge, die ab dem 17.12.2009 geschlossen wurden, gilt die Rom I-VO5. Das IVersVG wurde daher aufgehoben.
228
Mit Blick auf das für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wichtige internationale Verkehrsunfallrecht ist zu beachten, dass Österreich zu den Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens vom 4.5.1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (HStVÜ)6 gehört. Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisses anzuwendende Recht (Rom II-VO)7 tritt insoweit nach Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO zurück. Art. 9 HStVÜ sieht für den Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers eine recht unübersichtliche Alternativanknüpfung vor8. Auf andere Direktansprüche (z.B. nach § 166 öLuftfahrtG) ist Art. 9 HStVÜ nicht anwendbar. Der Direktanspruch des Geschädigten richtet sich daher insoweit auch in Österreich nach Art. 18 Rom II-VO9.
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b) Liechtenstein Das Fürstentum Liechtenstein war bei der Kodifikation seines internationalen Versicherungsvertragsrechtes von 1998 als EWR-Mitgliedstaat an das Richtlinien-Kollisionsrecht gebunden, nicht hingegen an das EVÜ. Der liechtensteinische Gesetzgeber hat die Chance genutzt, den nur beschränkten Geltungsbereich des Richtlinienrechts auszudehnen und alle Versicherungsverträge einer einheitlichen kollisionsrechtlichen 1 Bei der Lokalisierung des Erfüllungsorts wird an die Auslegung des Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO angeknüpft. Vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, Art. 1 ff. Rom I-VO Rz. 61; Koch, VersR 2009, 141 (146). 2 Dörner in Bruck/Möller, Art. 9 Rom I-VO Rz. 9; Koch, VersR 2009, 141 (146). 3 BGH v. 24.5.1962 – II ZR 199/60, NJW 1962, 1436; BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70, NJW 1972, 1575; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 114 ff.; a.A. Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 81. 4 BGBl. 1993/89. 5 Vgl. Perner in Fenyves/Schauer, Anhang (Rom I-VO) Rz. 1. 6 BGBl. 1975, 387. 7 ABl. EU Nr. L 199 v. 31.7.2007, S. 40. 8 Krit. Junker in MünchKomm/BGB, Art. 18 Rom II-VO Rz. 2. 9 Vgl. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (638).
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Looschelders 189
230
Teil C Rz. 231
Handel mit Dienstleistungen
Anknüpfung zu unterwerfen1. In struktureller Hinsicht ist das liechtensteinische Gesetz über das internationale Versicherungsvertragsrecht vom 13.5.1998 (IVersVG a.F.)2 weitgehend dem damaligen österreichischen IVVG gefolgt. Den Parteien stand nach Art. 3, 4 IVersVG a.F. eine (teilweise beschränkte) Rechtswahlfreiheit zu. Mangels Rechtswahl wurde primär auf das Recht des Staates abgestellt, in dem der Versicherungsnehmer zur Zeit des Vertragsschlusses seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und das Risiko belegen war (Art. 5 Abs. 1 IVersVG a.F.). Bei Rückversicherungsverträgen bestand uneingeschränkte Rechtswahlfreiheit (Art. 3 Nr. 3 IVersVG a.F.); mangels Rechtswahl wurde auf das Recht des Staates abgestellt, in dem der Erstversicherer zur Zeit des Vertragsschlusses seine Niederlassung hatte (Art. 6 IVersVG a.F.). 231
Da die Rom I-VO in Liechtenstein nicht anwendbar ist, galt das IVersVG a.F. auch nach dem 16.12.2009 fort. Gemäß Art. 178 Solvency II-Richtlinie war Liechtenstein aber bei der Umsetzung der Solvency II-Richtlinie gehalten, für Versicherungsverträge, die unter Art. 7 Rom I-VO fallen, entsprechende Regeln zu schaffen3. Der Gemeinsame EWR-Ausschuss hat hierzu am 1.7.2011 einen Beschluss4 gefasst, dem der Landtag des Fürstentums Liechtenstein zugestimmt hat5. Zur Umsetzung der Solvency II-Richtlinie hat der liechtensteinische Gesetzgeber das neue Gesetz vom 12.6.2015 über das internationale Versicherungsvertragsrecht (IVersVG)6 erlassen, das am 1.1.2016 gleichzeitig mit dem neuen VersAG in Kraft getreten ist (vgl. Art. 15 IVersVG). Parallel dazu wurde das IVersVG a.F. durch Art. 14 IVersVG aufgehoben.
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Das neue IVersVG beschränkt sich nicht darauf, die von Art. 7 Rom I-VO erfassten Versicherungsverträge entsprechend den Vorgaben von Art. 1 Nr. 3 lit. g des Beschlusses zu regeln, sondern bezieht auch Rückversicherungsverträge sowie Versicherungsverträge über Massenrisiken, die außerhalb des EWR belegen sind, ein7. Für Versicherungsverträge, die sich auf Großrisiken beziehen, und alle anderen Versicherungsverträge über Risiken, die in Staaten außerhalb des EWR belegen sind, gilt nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 4 IVersVG der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit. Mangels Rechtswahl ist nach Art. 9 Abs. 1 IVersVG das Recht anwendbar, in dem das Versicherungsunternehmen seine Niederlassung hat. Bei Versicherungsverträgen über Massenrisiken, die in einem Vertragsstaat des EWR-Raumes belegen sind, bestehen nach Art. 3 Abs. 2–4 und Art. 4 Abs. 1–3 IVersVG nur sehr begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten. Ist ein Versicherungsvertrag im Zusammenhang mit einer auf den Abschluss solcher Verträge gerichteten Tätigkeit zustande gekommen, die das Versicherungsunternehmen oder die von ihm dafür verwendeten Personen im Fürstentum Liechtenstein entfaltet haben, so ist eine Rechtswahl zum Nachteil von Versicherungsnehmern mit gewöhnlichem Aufenthalt oder Hauptverwaltung im Inland insoweit unbeachtlich, als es sich um die zwingenden liechtensteinischen Bestimmungen zum Schutz des Versicherungsnehmers handelt, die auch zur Wahrung des öffentlichen Interesses erlassen worden sind (Art. 12 Abs. 1 IVersVG)8. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Versicherungsnehmer den Vertrag im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit abgeschlossen hat und der Vertrag sich auf ein Großrisiko bezieht (Art. 12 Abs. 2 IVersVG). Für Rückversicherungsverträge besteht nach Art. 5 IVersVG uneingeschränkte Rechtswahlfreiheit. Mangels Rechtswahl ist in der Regel das Recht des Staa1 2 3 4 5 6 7 8
Zu den Einzelheiten Schnyder, Liechtenst. Juristen-Zeitung 2006, 91 ff. Liechtensteinisches LGBl. Nr. 120 v. 10.7.1998. Vgl. Schnyder in Liber Amicorum Brehm, S. 405 (406 f.). Beschluss des Gemeinsamen EWR- Ausschusses Nr. 78/2011 v. 1.7.2011 zur Änderung von Anhang IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens, ABl. EU Nr. L 262 v. 6.10.2011, S. 45. LGBl. 2012 Nr. 384. Liechtensteinisches LGBl. Nr. 233 v. 31.8.2015. Vgl. dazu Schnyder Liber Amicorum Brehm, 2012, S. 405 (407). Zur Vorgängervorschrift des Art. 8 Abs. 1 IVersVG a.F. Schnyder in Liber Amicorum Brehm, 2012, S. 405 (410 ff.).
190 | Looschelders
Versicherungsverträge
Rz. 237
Teil C
tes anwendbar, in dem der Rückversicherungsnehmer (also der Erstversicherer) zur Zeit des Vertragsschlusses die Niederlassung hat, auf die sich der Vertrag bezieht (Art. 9 Abs. 3 IVersVG). Der Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses enthält eine einseitige Erklärung des Fürstentums Liechtenstein, in der auf das Abkommen mit der Schweiz von 1996 (s. Rz. 234) hingewiesen wird1. Das Abkommen bleibt für Liechtenstein also verbindlich.
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c) Schweiz Die Anknüpfung von Versicherungsverträgen ist im schweizerischen Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) nicht speziell geregelt2. Es gelten daher die allgemeinen Anknüpfungsregeln für Verträge. Sonderkollisionsrecht findet sich allerdings in Art. 101b und 101c schweiz. VVG. Die betreffenden Vorschriften gelten nach Art. 101a schweiz. VVG aber nur, „solange ein völkerrechtliches Abkommen in Kraft ist, das die Anerkennung aufsichtsrechtlicher Anforderungen und Maßnahmen vorsieht sowie sicherstellt, dass im betreffenden Staat gleichwertige Regelungen wie in der Schweiz zur Anwendung kommen“. Einziger Vertragsstaat ist zurzeit das Fürstentum Liechtenstein (s. Rz. 233)3. Die praktische Bedeutung der Sondervorschriften ist somit gering.
234
aa) Allgemeine Bestimmungen Nach den allgemeinen Regeln des IPRG unterliegen Verträge in erster Linie dem von den Parteien gewählten Recht (Art. 116 IPRG). Es herrscht also der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit. Mangels Rechtswahl wird auf das Recht des Staates abgestellt, mit dem der Vertrag am engsten zusammenhängt (Art. 117 Abs. 1 IPRG). Es besteht eine Vermutung dafür, dass der engste Zusammenhang mit dem Recht des Staates besteht, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Niederlassung hat (Art. 117 Abs. 2 IPRG). Bei Versicherungsverträgen ist damit das Recht am Ort der Niederlassung des Versicherers anwendbar4. Ist der Versicherungsnehmer Verbraucher, so gilt nach Art. 120 Abs. 1 IPRG das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers, sofern der Anbieter den Vertragsschluss auf eine bestimmte Weise herbeigeführt hat5. Eine Rechtswahl ist in diesem Fall nach Art. 120 Abs. 2 IPRG ausgeschlossen.
235
Für Rückversicherungsverträge gilt der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit. Mangels Rechtswahl ist nach Art. 117 IPRG das Recht am Sitz des Erstversicherers anwendbar6.
236
Art. 18 IPRG enthält einen Vorbehalt zugunsten derjenigen Bestimmungen des schweizerischen Rechts, die wegen ihres besonderen Zwecks unabhängig von dem durch das IPRG bezeichneten Recht zwingend anzuwenden sind. Die Vorschrift entspricht weitgehend Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO. Ebenso wie dort ist eine restriktive Anwendung geboten. Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern stellen demnach grundsätzlich keine Eingriffsnormen dar; der Schutz des Verbrauchers wird über Art. 120
237
1 ABl. EU Nr. L 262 v. 6.10.2011, S. 449. 2 Zum schweizerischen IPR der Versicherungsverträge s. Schnyder in Liber Amicorum Kuhn, 2009, S. 401 ff. 3 Vgl. das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend die Direktversicherung sowie die Versicherungsvermittlung, SR 0.961.514. 4 BSK-Amstutz/Vogt/Wang, Art. 117 IPRG Rz. 58. 5 Kren Kostkierwicz, IPR Rz. 2215. 6 BG v. 11.6.2009 – 4A_115/2009 unter Ziff. 4.2 (insoweit in BGE 135 III, 556 nicht abgedr.); BSKAmstutz/Vogt/Wang, Art. 117 IPRG Rz. 58; ZK-Keller/Kren Kostkiewicz, Art. 117 IPRG Rz. 157 ff.
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Looschelders 191
Teil C Rz. 238
Handel mit Dienstleistungen
IPRG gewährleistet1. Im Einzelfall kann nach Art. 17 IPRG auch auf den ordre public zurückgegriffen werden. 238
Nach Art. 19 IPRG kann anstelle des an sich maßgeblichen Rechts auch eine international zwingende Bestimmung eines anderen ausländischen Rechts (sog. drittstaatliche Eingriffsnorm) berücksichtigt werden, sofern nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen sind somit wesentlich strenger als bei Art. 18 IPRG2. Dem Richter steht dabei ein weiter Ermessenspielraum zu („kann“)3. bb) Sonderregeln im Verhältnis zu Liechtenstein
239
Im Verhältnis zu Liechtenstein gelten nach Art. 101a VVG kollisionsrechtliche Sonderregeln betreffend die Direktversicherung. Erfasst wird sowohl die Schadensversicherung (Art. 101b VVG) als auch die Lebensversicherung (Art. 101c VVG). Die betreffenden Vorschriften beruhen auf dem Kollisionsrecht der europäischen Versicherungs-Richtlinien4 und entsprechen daher weitgehend den Art. 7 ff. EGVVG a.F.
240
Hat der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Hauptverwaltung in dem Vertragsstaat, in dem das Risiko gelegen ist, so ist auf den Vertrag das Recht dieses Staates anwendbar (Art. 101b Abs. 1 lit. a Satz 1 VVG). Eine Rechtswahl ist möglich, wenn dies nach dem Recht des betreffenden Vertragsstaates zulässig ist (Art. 101b Abs. 1 lit. a Satz 2 VVG). Die Vertragspartner können das anwendbare Recht frei wählen, wenn der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seine Hauptverwaltung nicht im Vertragsstaat hat, in dem das Risiko gelegen ist (Art. 101b Abs. 1 lit. b VVG). Bei Großrisiken können die Parteien jedes beliebige Recht wählen (Art. 101b Abs. 1 lit. f VVG). Vorbehalten sind die Art. 18 IPRG (zwingendes schweizerisches Recht)5 und (mit gewissen Einschränkungen) Art. 19 IPRG (zwingende Normen von Drittstaaten)6.
241
Auf Lebensversicherungsverträge ist gem. Art. 101c Abs. 1 Satz 1 VVG „das Recht des Vertragsstaates anzuwenden, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, im Falle einer juristischen Person, eine Niederlassung hat, auf die sich der Vertrag bezieht“. Die Parteien können das Recht eines anderen Staates wählen, sofern dies nach dem Recht dieses Vertragsstaats zulässig ist (Art. 101c Abs. 1 Satz 2 VVG). Art. 18 IPRG bleibt vorbehalten (Abs. 4). Im Sinne von Art. 19 IPRG besteht ein weiterer Vorbehalt für die zwingenden Vorschriften des Rechts des Vertragsstaats der Verpflichtung (Abs. 5).
1 2 3 4 5 6
Vgl. Furrer/Girsberger/Müller-Chen/Schramm, Kap. 8 Rz. 84. Furrer/Girsberger/Müller-Chen/Schramm, Kap. 8 Rz. 88. Kren Kostkierwicz, IPR Rz. 975. Kren Kostkierwicz, IPR Rz. 2213. Art. 101b Abs. 2 VVG. Art. 101b Abs. 3 VVG.
192 | Looschelders
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 244
Teil C
Kapitel 3. Bank- und Finanzdienstleistungsverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teil C, vor Rz. 1.
I. Allgemeines Der folgende Abschnitt stellt den internationalrechtlichen Kontext von Bank- und Finanzdienstleistungsverträgen dar. Er beschränkt sich dabei auf das Bank- und Vermögensverwaltungsgeschäft. Das Versicherungsrecht wird in Teil C Rz. 109 ff. behandelt, das Recht der kollektiven Kapitalanlagen (Investmentfonds) in Teil L Rz. 626 ff. Weitere Teilbereiche des Finanzdienstleistungsrechts werden in den Teilen I Rz. 146 ff. (Zahlungsverkehr) und H Rz. 482 ff. (Finanzmanagement/Derivate) behandelt.
242
Kern des Bankgeschäfts ist das Aktiv- und Passivgeschäft, also die Entgegennahme von Spareinlagen und die Ausleihung von Krediten1. Die EU-Kapitaladäquanzrichtlinie2 zählt zum Bankgeschäft jedoch auch die Handelsfinanzierung (inkl. Forfaitierung), das Factoring, das Finanzierungsleasing sowie Bürgschaften und Kreditzusagen3, Investmentbankaktivitäten wie der Handel (im Kundenauftrag oder auf eigene Rechnung) mit Finanzinstrumenten, die Teilnahme an Wertpapieremissionen, die Beratung von Unternehmen über Kapitalstruktur, industrielle Strategie sowie im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen und -übernahmen; ferner Private Banking-Aktivitäten wie die Portfolioverwaltung und -beratung und Wertpapieraufbewahrung und -verwaltung4. Das Vermögensverwaltungsgeschäft5 umfasst nach der insofern einschlägigen MiFID-Richtlinie6 die Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die Finanzinstrumente zum Gegenstand haben; die Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden; die Anlageberatung7 sowie die diskretionäre Portfolio-Verwaltung8.
243
Der im eurointernationalen Verhältnis massgebende Rechtsrahmen für das Bank- und Vermögensverwaltungsgeschäft ergibt sich heute aus einer komplexen Gemenglage von wirtschaftsvölkerrechtlichen Normen und primärem und sekundärem EU-Recht. Insbesondere das Aufsichtsrecht ist weitgehend gemeinschaftsrechtlich vorgegeben, so dass für die nationalen Rechtsordnungen nur noch beschränkte Gestaltungsmöglichkeiten übrig bleiben. Im Bankenprivatrecht ist die Harmonisierung demgegenüber weniger weit vorangeschritten; dieses ist im Kern und in zahlreichen Einzelheiten nach
244
1 Vgl. Anhang I Nr. 1 und 2 CRD IV; damit übereinstimmend § 1 KWG; § 1 BWG; Art. 3 Abs. 3 flBankG. Eine sehr umfassende Umschreibung des Begriffs Finanzdienstleistung findet sich ebenfalls in Nr. 5(a) der Anlage Finanzdienstleistungen von GATS; dazu Rz. 256 sowie Sethe/ Lehmann in Tietje, § 13 N 11. 2 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, ABl. Nr. L 176, 27.6.2013, S. 338–436 (CRD IV). 3 Vgl. Anhang I Nr. 3, 6 CRD IV. 4 Vgl. Anhang I Nr. 7–9 CRD IV. 5 In EU-Terminologie „Wertpapierdienstleistungen“ (vgl. MiFID Anhang I Abschnitt A); in der Terminologie des KWG „Finanzdienstleistungen“ (§ 1 Abs. 2 S. 2 KWG). 6 Vgl. Anhang I der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5. 2014 über Märkte für Finanzinstrumente, ABl. Nr. L 173, 12.6.2014, S. 349–496 (MiFID II). 7 Anlageberatung ist gem. § 1 Abs. 1 S. 2 KWG „die Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird“. 8 Finanzportfolioverwaltung ist gem. § 1 Abs. 1 S. 2 KWG die „Verwaltung einzelner in Finanzinstrumenten angelegter Vermögen für andere mit Entscheidungsspielraum“. Sethe, SJZ 2014, 480, rechnet zu den Wertpapierdienstleistungen „alle typischen Finanzdienstleistungen des Retail- und Private-Banking (ausser Einlagen- und Kreditgeschäft)“.
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Kuhn 193
Teil C Rz. 245
Handel mit Dienstleistungen
wie vor nationales Recht. Gemeinschaftsrechtlich weitgehend harmonisiert ist demgegenüber wiederum das für Bankgeschäfte massgebliche internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht.
II. Wirtschaftsvölkerrechtlicher Rahmen 1. GATS a) Bedeutung für Bank- und Finanzdienstleistungen 245
Das 1995 in Kraft getretene Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS)1 gilt auch für Finanzdienstleistungen. Dabei sind neben dem GATS-Hauptabkommen der Anhang für Finanzdienstleistungen mit sektoriellen Sonderregeln von Bedeutung, wobei Haupttext und Anhang für die 160 WTO-Mitglieder gleichermassen verbindlich sind2. Darüber hinaus haben sich die meisten Industriestaaten im Rahmen einer gemeinsamen Verständigungsvereinbarung (Unterstanding on Committments in Financial Services) auf eine weitergehende Liberalisierung des Verkehrs mit Finanzdienstleistungen verständigt (s. Rz. 261 ff.)3.
246
Anders als das Freihandelsregime für Waren (GATT) beruht dasjenige für Dienstleistungen auf einem Menue-Ansatz, bei dem die Mitglieder für jeden Dienstleistungssektor und für jede Form des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs (Modes, s. Rz. 248 ff.) individuell festlegen können, in welchem Umfang sie Marktzugang und Inländergleichbehandlung gewähren wollen4. Sie tun dies, indem sie spezifische Verpflichtungen (Commitments) eingehen, gegebenenfalls eingeschränkt durch Vorbehalte. Übernimmt ein Vertragsstaat für einen Dienstleistungssektor keine spezifischen Verpflichtungen, so muss er nur grundlegende Transparenzvorschriften und das Meistbegünstigungsprinzip beachten5. GATS bezweckt deshalb weniger eine Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs als vielmehr, einen weiteren Ausbau von Handelshemmnissen zu verhindern.
247
Seit Februar 2012 verhandeln 20 WTO-Mitglieder unter dem gemeinsamen Vorsitz der USA, Australiens und der EU an einem weitergehenden Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TISA)6. Ausgangspunkt der Verhandlungen im Bereich der Finanzdienstleistungen bildet dabei die Verständigungsvereinbarung (Rz. 245, 261 f.). Ob für Finanzdienstleistungen eine weitergehende Liberalisierung erreicht werden kann, erschien Ende 2016 zweifelhaft7. 1 Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, ABl. 1994 L 336, 191; BGBl. 1994 II 1675 ff. Dazu Zetzsche, 68 ff. Weiterführende Informationen auch unter http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00586/00587/index.html?lang=de. 2 Zur Regelungsstruktur vgl. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 10 ff.; Morrison, Singapore J Int’l & Comp. L 5 2001, 610. 3 Vgl. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 624 ff. 4 Vgl. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 618 ff. 5 Vgl. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 619, 622 ff. 6 Weiterführende Informationen der EU-Kommission unter http://ec.europa.eu/trade/policy/ in-focus/tisa; des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft unter http://www.seco.admin.ch/ themen/00513/00586/04996/index.html?lang=de. 7 So die (schweizerische) Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie, Schlussbericht, (1.12.2014), Anhang 2, S. 21; vgl. dazu auch den EU-Entwurf vom Juli 2013; Proposal by the European Union in the context of the „Trade in Services Agreement – TiSA“ negotiations (July 2013), abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/july/tradoc_ 152688.pdf (zuletzt besucht 4.9.2016).
194 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 249
Teil C
b) Arten grenzüberschreitender Dienstleistungen (Modes) Dienstleistungen können im grenzüberschreitenden Verhältnis auf unterschiedliche Arten (Modi) erbracht werden1. Die Modi sind grundlegend für das Verständnis der Regelung des grenzüberschreitenden Verkehrs mit Finanzdienstleistungen. Nicht nur beziehen sich Verpflichtungserklärungen der GATS-Mitglieder jeweils auf spezifische Modi – die GATS-Mitglieder können den Markt für jeden Modus also unterschiedlich weit öffnen2. Auch Vorschriften der WTO-Mitgliedsstaaten über den freien Dienstleistungsverkehr sowie über den Zugang von Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten gelten jeweils für spezifische Modi.
248
Art. I Abs. 2 GATS legt die folgenden vier Erbringungsmodi fest3:
249
– Modus 1: Grenzüberschreitende Erbringung: die Dienstleistung wird „aus dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds erbracht“ (Art. I:2(a) GATS). Bei diesem Modus überschreiten weder der Anbieter noch dessen Kunde die Grenze, sondern nur die Dienstleistung4. Beispiele sind die Anlageberatung am Telefon oder E-Banking-Dienstleistungen5. In EU-Terminologie wird dieser Modus als Korrespondenzdienstleistung bezeichnet6. – Modus 2: Nutzung im Ausland: der Anbieter erbringt die Dienstleistung in seinem eigenen Staat einem Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates (Art. I:2(b) GATS). Nicht die Dienstleistung überschreitet die Grenze, sondern der Empfänger7. Beispiel: ein in Deutschland ansässiger Kunde reist in die Schweiz und eröffnet bei einer Bank in Zürich ein Wertpapierdepot. Dieser Modus spielte vor allem im klassischen off shore-Privatkundengeschäft eine zentrale Rolle8. Die EU spricht hier von passivem Dienstleistungsverkehr9. – Modus 3: Kommerzielle Präsenz: dieser Modus erfasst jede Art geschäftlicher oder beruflicher Niederlassung eines Dienstleistungsanbieters eines GATS-Mitglieds zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung auf dem Gebiet eines anderen Mitglieds (Art. I Abs. 2(c) GATS)10. Das kann erfolgen (i) durch Errichtung, Erwerb oder Fortführung einer juristischen Person (d.h. durch eine Tochtergesellschaft) oder (ii) durch Errichtung oder Fortführung einer Zweigniederlassung oder (iii) einer Repräsentanz (Art. XXVIII(d) GATS)11. In EU-Terminologie liegt hier eine „grenzüberschreitende Tätigkeit mittels Niederlassung“ vor12. – Modus 4: Präsenz natürlicher Personen: die Dienstleistung wird in diesem Modus „mittels Präsenz natürlicher Personen eines Mitglieds im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds“ erbracht (Art. I Abs. 2(d) GATS). Beispiel: Ein Kundenberater einer
1 Zetzsche, 66; Morrison, Singapore J Int’l & Comp. L 5 2001, 599; Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 621. 2 Morrison, Singapore J. Int’l & Comp. L. 2001, 599. 3 Ausgezeichneter Überblick in Hanten in Baudenbacher, 155 ff. 4 Hanten in Baudenbacher, 156; Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 27 ff. 5 Sethe, SZW 2014, 617; Hanten in Baudenbacher, 156; Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 27. 6 Dazu Sethe, SZW 2014, 617. 7 Hanten in Baudenbacher, 157; Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 Rz. 29 f. 8 Hanten in Baudenbacher, 157. 9 Sethe, SZW 2014, 618. 10 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 Rz. 29 f. 11 Die Verständigungsvereinbarung über Zugeständnisse im Finanzbereich (Understanding on Committments in Financial Services) definiert den Begriff „kommerzielle Präsenz“ umfassender als „an enterprise within a Member’s territory for the supply of financial services and includes wholly- or partly-owned subsidiaries, joint ventures, partnerships, sole proprietorships, franchising operations, branches, agencies, representative offices or other organizations“. 12 Zetsche, 69; Hanten in Baudenbacher, 158.
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Kuhn 195
Teil C Rz. 250
Handel mit Dienstleistungen
Schweizer Bank besucht Kunden in Deutschland1. In EU-Terminologie liegt hier aktiver Dienstleistungsverkehr vor2. 250
Für Finanzdienstleistungen stand während der Uruguay-Runde Modus 3 im Vordergrund, weil grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen in erster Linie über Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen erbracht wurden3. Modus 1 hat jedoch seitdem aufgrund der technischen Entwicklung an Bedeutung stark gewonnen4. Diese Entwicklung führen auch dazu, dass die Unterscheidung von Modus 1 und 2 zunehmend Schwierigkeiten bereitet5. c) Liberalisierungspflichten aa) Allgemeine Liberalisierungspflichten
251
Die allgemeinen Verpflichtungen in Teil I des GATS gelten für alle Mitglieder der WTO, ohne dass eine spezifische Anerkennung erforderlich ist. Zentrales Element ist dabei das Meistbegünstigungsprinzip (Most favoured Nation, MFN-Prinzip; Art. II GATS). Nach diesem Grundsatz müssen Handelsvorteile, die einem Vertragspartner gewährt werden, allen Vertragspartnern gewährt werden6. Die Mitgliedstaaten können dazu Vorbehalte erklären (Art. II Abs. 2 GATS); die EU und die Schweiz haben von dieser Möglichkeit in ihren Verpflichtungserklärungen keinen Gebrauch gemacht7. Gegenrechtserfordernisse sind daher im Verhältnis der EU zur Schweiz mit GATS nicht mehr vereinbar8. Weitere Ausnahmen bestehen für regionale Integrationsvorhaben wie die EU bzw. den EWR oder NAFTA (Art. V GATS) sowie für Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationsnormen für Dienstleister und Doppelbesteuerungsabkommen (Art. VII bzw. XIV GATS).
252
GATS-Mitglieder sind weiter verpflichtet, alle allgemeingültigen Maßnahmen, die den Handel mit Dienstleistungen betreffen, zu veröffentlichen (Transparenzpflichten, Art. III GATS)9. Gemäss Art. VI Abs. 2 GATS müssen zudem innerstaatliche (gerichtliche, schieds- oder verwaltungsgerichtliche) Verfahren eingeführt werden, die einen Rechtsbehelf gegen den Dienstleistungsverkehr betreffende Verwaltungsentscheidungen eröffnen. Weitere Verpflichtungen betreffen gem. Art. VII GATS die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen von Dienstleistern sowie gewisse Beschränkungen der Stellung von Monopolisten (Art. VIII Abs. 1 GATS). bb) Spezifische Liberalisierungspflichten
253
Teil II des GATS enthält Bestimmungen über die Gewährung von Marktzugang und Inländergleichbehandlung. Diese werden – anders als die allgemeinen Liberalisierungspflichten – nicht durch das GATS selbst begründet, sondern durch sektorspezifische Verpflichtungen, die ein Staat in seine Schedule of Specific Commitments aufnimmt.
254
Der Marktzugang nach Art. XVI GATS betrifft die Verpflichtung, keine der in Art. XVI:2 GATS abschließend aufgezählten quantitativen und qualitativen Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs aufrecht zu erhalten, wenn der entsprechende Mitgliedstaat diese Beschränkungen nicht ausdrücklich als Ausnahme oder Bedingung 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Hanten in Baudenbacher, 158. Sethe, SZW 2014, 618; Zetsche, 69; Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 25 f. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 621. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 621. Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 640. Morrison, Singapore J Int’l & Comp. L 5 2001, 601. De Meeser, 279. De Meeser, 279. Dazu einlässlich Alexander, Cambridge Rev. Int’l Affairs 2007, 111, 125 ff.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 259
Teil C
zu den geltenden Verpflichtungen aufgenommen hat. Zu den gem. Art. XVI Abs. 2 GATS schrittweise abzubauenden Marktzugangshemmnissen zählen die Beschränkungen der Zahl der zugelassenen Anbieter in Form von Quoten, Monopolen, Bedürfnisprüfungen sowie Beschränkungen des ausländischen Personals und ausländischer Investitionen. Die Zulassung von ausländischen Banken darf deshalb z.B. nicht von einer Bedürfnisprüfung abhängig gemacht werden1. Gemäss Art. VI müssen innerstaatliche Regulierungen zudem gewissen Anforderungen genügen; insbesondere müssen sie „angemessen, objektiv und unparteiisch angewendet werden“ (Art. VI Abs. 1 GATS)2. Der Grundsatz der Inländerbehandlung (national treatment; Art. XVII GATS) besagt, dass Anbieter mit Sitz in einem WTO-Staat wie inländische Anbieter zu behandeln sind und nicht diskriminiert werden dürfen. Dabei besteht nicht nur eine Pflicht zur formalen Gleichbehandlung, vielmehr ist gleichwertige Behandlung (equivalent treatment) gefordert.
255
d) Prudential Carve Out Beschränkungen der Liberalisierungspflichten im Finanzdienstleistungssektor ergeben sich aus der Anlage Finanzdienstleistungen, die ein integraler Bestandteil des Abkommens ist und die allgemeinen Regeln des GATS teilweise modifiziert. Von besonderer Bedeutung ist dabei der sog. Prudential Carve Out in Art. 2(a) der Anlage Finanzdienstleistungen3. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
256
Ungeachtet etwaiger sonstiger Bestimmungen des Übereinkommens wird ein Mitglied nicht daran gehindert, aus Gründen seiner Aufsichtspflichten Maßnahmen einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Investoren, Einlegern, Versicherungsnehmern oder Personen, denen gegenüber ein Erbringer von Finanzdienstleistungen treuhänderische Verpflichtungen hat, oder zur Sicherung der Integrität und Stabilität seines Finanzsystems zu treffen. In Fällen, in denen solche Maßnahmen mit den Bestimmungen des Übereinkommens nicht im Einklang stehen, dürfen sie nicht als Mittel zur Umgehung der Verpflichtungen oder Pflichten des Mitglieds aufgrund des Übereinkommens benutzt werden.
257
Der Prudential Carve Out erlaubt Mitgliedstaaten, aufsichtsrechtliche Vorschriften zum Schutz von Anlegern oder Einlegern („…measures for prudential reasons“) oder zur Sicherung der Integrität und Stabilität des Finanzsystems zu erlassen. Das gilt auch dann, wenn diese Vorschriften nicht GATS-konform sind4. Bedingung ist nur, aber immerhin, dass die Maßnahme aufsichtsrechtlichen Zwecken dient und nicht allein eine Umgehung der GATS-Verpflichtungen bezweckt5. Ferner ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. VI Abs. 1 GATS) zu beachten6.
258
Art. 2(a) der Anlage Finanzdienstleistungen umschreibt aufsichtsrechtliche Maßnahmen sehr breit als Vorschriften „zum Schutz von Investoren, Einlegern, Versicherungsnehmern oder Personen, denen gegenüber ein Erbringer von Finanzdienstleistungen treuhänderische Verpflichtungen hat, oder zur Sicherung der Integrität und Stabilität seines Finanzsystems.“ Eine präzisere Festlegung fehlt bis heute7. Der allein verbindliche englische Wortlaut des Übereinkommens legt eine Beschränkung der Ausnahmeklausel auf Vorschriften über die Zulassung von Finanzinstituten zur Geschäftstätig-
259
1 Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 620. 2 Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 621. 3 Vgl. zum prudential carve-out De Meester, 206 ff., N 450 ff.; Alexander, Cambridge Rev. Int’l Affairs 2007, 111, 126; Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 630 ff. 4 Committee on Trade in Financial Services, FINANCIAL SERVICES, Background Note by the Secretariat (S/C/W/312 – S/FIN/W/73)(3 February 2010) (zit. WTO-Report) N 28. 5 WTO-Report N 30 m.w.Hinw. 6 Vahldiek, BKR 2003, 971 f. 7 De Meester, 207 N 455; Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 639.
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Kuhn 197
Teil C Rz. 260
Handel mit Dienstleistungen
keit nahe, wie z.B. organisatorische Vorschriften oder Vorgaben über eine angemessene Kapitalausstattung1. Demgegenüber gelten Vorschriften über die Ausführung von Dienstleistungen wie etwa Aufklärungs- und Informationspflichten, Interessenwahrungspflichten sowie Pflichten zur sorgfältigen und bestmöglichen Ausführung eines Auftrags (Wohlverhaltensregeln; conduct of business rules) nicht als prudentielle Vorschriften2. Das muss schon nur deshalb so sein, weil Wohlverhaltensregeln nicht den Zugang zu einem bestimmten Markt regeln sondern für alle Teilnehmer gelten sollten, die auf einem bestimmten Markt tätig sind. Beschränkungen des Marktzugangs lassen sich deshalb zum vornherein nicht damit rechtfertigen, sie seien zur Durchsetzung von Wohlverhaltensregeln notwendig. Neben (mikro)prudentiellen Vorschriften erfasst die Ausnahmeklausel ihrem Wortlaut nach auch Vorschriften zum Schutz der Integrität und Stabilität des Finanzsystems, auch wenn die Finanzstabilität als Gegenstand und Schutzobjekt der Finanzmarktregulierung bei Abschluss des GATS-Abkommens noch kaum von Bedeutung war. Selbst mit der hier vertretenen restriktiven Tragweite gibt der prudential carve out den WTO-Mitgliedstaaten praktisch unbeschränkte Möglichkeiten, die GATS-Verpflichtungen zur Liberalisierung des Verkehrs mit Finanzdienstleistungen auszuhebeln3. Ist ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass bestimmte Maßnahmen eines anderen Mitgliedsstaates dessen Pflichten unter dem GATS-Übereinkommen verletzen, so kann er diese unter dem WTO-Streitschlichtungsmechanismus zwar anfechten; bis heute war der prudential carve out jedoch noch nie Gegenstand eines solchen Verfahrens4. 260
Art. 3 der Anlage Finanzdienstleistungen sieht die Möglichkeit vor, aufsichtsrechtliche Maßnahmen anderer Mitglieder anzuerkennen. Die Anerkennung kann durch Harmonisierung, durch Vereinbarung mit dem betreffenden Land oder autonom gewährt werden. Erfolgt die Anerkennung mittels Vereinbarung, dann muss ein Mitglied anderen Mitgliedern Gelegenheit zum Beitritt zu dieser Vereinbarung geben5. e) Verständigungsvereinbarung über Finanzdienstleistungen
261
Nach Abschluss der Uruguay-Runde haben sich die meisten Industriestaaten im Rahmen einer gemeinsamen Verständigungsvereinbarung (Understanding on Committments in Financial Services, UCFS) auf eine weitergehende Liberalisierung des Verkehrs mit Finanzdienstleistungen verständigt6. Diese Verständigungsvereinbarung ist zwar nicht Teil des GATS-Abkommens und insofern völkerrechtlich nicht verbindlich. Immerhin haben verschiedene Mitgliedstaaten (darunter die EU und die Schweiz) 1 So De Meester, 208 N 457. GATS (unter Einschluss der Anlagen) ist ein völkerrechtliches Instrument, dessen Auslegung sich nach Art. 31 f. WVK richtet. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist demnach in erster Linie „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“ (Art. 31 Abs. 1 WVK). 2 De Meester, S. 209 N 458; A.A. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 13. 3 WTO-Report, N 30; Zetzsche, 70 [„Mit diesen Generalklauseln lässt sich letzlich das gesamte europäische Bank- und Finanzmarktrecht rechtfertigen.“]; De Meester, S. 209 N 458 f. 4 WTO-Report, N 28; zurückhaltend auch De Meester, S. 209 N 458, 460; Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 640. Das deutsche BVerwG hat allerdings in der Fidium-Entscheidung (Rz. 88, 292) die Vereinbarkeit der (restriktiven) deutschen Aufsichtspraxis mit GATS geprüft und bejaht; vgl. BVerwG, 22.4.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358 Rz. 59. Das Gericht kam zum Schluss, dass GATS der Annahme eines Erlaubnisvorbehalts für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen nicht entgegenstehe und jedenfalls durch den prudential carve-out gedeckt seit. Der Erlaubnisvorbehalt wiederspreche auch nicht den Verpflichtungen aus der Verständigungsvereinbarung. Nicht thematisiert und damit nicht geprüft wurde allerdings die Vereinbarkeit der 2003 erfolgten Verschärfung der BaFin-Praxis mit der standstill-Verpflichung nach Abschn. A UCFS (Rz. 262). 5 Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 640. 6 Understanding on commitments in financial services http://www.wto.org/english/tratop_e/ serv_e/21-fin_e.htm. Vgl. dazu Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 619, 622 ff.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 264
Teil C
darauf in ihren Verpflichtungserklärungen Bezug genommen1. Jedenfalls für diese Staaten ist damit eine völkerrechtliche Bindungswirkung entstanden. Durch die Verständigungsvereinbarung haben sich die teilnehmenden GATS-Mitglieder zunächst einmal verpflichtet, keine neuen Handelshemmnisse einzuführen (Standstill; Abschn. A UCFS). Darüber hinaus wurden punktuelle weitergehende Zugeständnisse beim Marktzugang gemacht, u.a. für Finanzinformationsdienste (Art. 5(a)(xv) Anhang Finanzdienstleistungen) sowie Beratungs- und Unterstützungsdienste für Bankdienstleistungen (Art. 5(a)(xvi) Anhang Finanzdienstleistungen; vgl. Abschn. B.3 UCFS). Weiter sind GATS-Mitglieder verpflichtet, ihren Gebietsansässigen den Erwerb von Finanzdienstleistungen im Hoheitsgebiet eines anderen GATS-Staates zu gestatten (Abschn. B.4 UCFS)2. Beliebige Beschränkungen von Modus 2 (Nutzung im Ausland/passiver Dienstleistungsverkehr) sind also im Rahmen der Verständigungsvereinbarung nicht zulässig. Auch sind GATS-Mitglieder verpflichtet, Finanzdienstleistern anderer Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu eröffnen, auf ihrem Gebiet eine kommerzielle Präsenz zu errichten (insbesondere durch Erwerb von Tochtergesellschaften, Abschn. B.5 UCFS). Dafür können Bedingungen vorgesehen werden, die aber nicht dazu führen dürfen, dass das Recht auf kommerzielle Präsenz umgangen wird (Abschn. B.6 UCFS). Weiter müssen die Mitgliedstaaten auch die zeitlich begrenzte Einreise von Schlüsselpersonal erlauben (Abschn. B.9 UCFS). Schließlich verpflichten sich die Mitglieder, nicht-diskrimierende Maßnahmen, die den Zugang für Finanzdienstleister anderer Mitgliedschraten beschränken, nicht weiter auszubauen (Abschn. B.10 UCFS). Für den Zugang zu Finanzmarktinfrastruktureinrichtungen gilt der Grundsatz der Inländergleichbehandlung (Abschn. C.1 und 2 UCFS).
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2. IWF-Übereinkommen Zwischen der Liberalisierung von Finanzdienstleistungen und Kapitalverkehrsfreiheit gibt es vielfältige Wechselwirkungen3. Finanzdienstleistungen wirken sich – wie alle Dienstleistungen – einerseits in der Zahlungsverkehrsbilanz aus (z.B. Zinszahlungen oder Entgelte für Finanzdienstleistungen). Anderseits sind Finanzdienstleistungen häufig mit Kapitalflüssen verbunden, die sich in der Kapitalbilanz niederschlagen (z.B. grenzüberschreitende Einlagen oder Vermögensanlagen)4. Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen unterliegen deshalb ebenfalls den Pflichten, welche die Mitglieder des Internationalen Währungsfonds (IWF) gemäß dem Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF-Ü) übernommen haben5. Das Übereinkommen legt allerdings grösseres Gewicht auf den freien Zahlungs- als auf den freien Kapitalverkehr. Das lässt sich einerseits damit erklären, dass zu den primären Zielen des IWF die Ausweitung und das Wachstum des Welthandels gehört (S. Art. I ii IWF-Ü); dazu muss die Erfüllung von Forderungen aus grenzüberschreitenden Handelsgeschäften rechtlich verlässlich abgesichert sein6. Anderseits waren bei Gründung des IWF Kapitalverkehrsbeschränkungen weit verbreitet und eine Welt ohne solche Beschränkungen kaum vorstellbar.
263
Das IWF-Ü verbietet den IWF-Mitgliedern die Beschränkung von Zahlungen und Übertragungen „für laufende internationale Geschäfte“ (Art. VIII Abschn. 1 a) IWF-Ü)7. „Zahlungen für laufende Transaktionen“ sind solche, die nicht der Übertragung von
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1 2 3 4 5 6 7
Yokoi-Arai, Int’l & Comp. L.Q. 2008, 624; Morrison, Singapore J Int’l & Comp. L 5 2001, 610. Zetzsche, 69 f. Grundlegend dazu Kireyev, 8 ff. Kireyev, 8. Kireyev, 8. Herrmann, 250. Dem entspricht Art. XI GATS („… members shall not apply reestrictions on international transfer and payments for current transactions relating to their specific commitments“); vgl. Kireyev, 9.
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Kuhn 199
Teil C Rz. 265
Handel mit Dienstleistungen
Kapital dienen (Art. XXX d) IWF-Ü)1. Dazu zählen auch gewisse Zahlungen für Finanzdienstleistungen, insbesondere im Zusammenhang mit „normalen kurzfristigen Bankund Kreditgeschäften“ (Nr. 1), für Kreditzinsen (Nr. 2) sowie Zahlungen „in mäßiger Höhe“ für die Tilgung von Krediten (Nr. 3). Im Einzelnen ist die Interpretation des Begriffs der „laufenden Zahlungen“sehr umstritten2. Das letzte Wort hat der IWF, der nach Konsultationen mit den betreffenden Mitgliedern bestimmen kann, welche Zahlungen als laufende Transaktionen und welche als Kapitaltransaktionen anzusehen sind (Art. XXX d) a.E. IWF-Ü). 265
Im Gegensatz zum Zahlungsverkehr finden sich im IWF-Ü praktisch keine Pflichten zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs3. Zwar nennt der 1978 eingefügte Art. IV Abschn. 1 IWF-Ü die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Erleichterung des Kapitalverkehrs als allgemeine Verpflichtung seiner Mitglieder. Art. VI Abschn. 3 IWF-Ü anerkennt jedoch ausdrücklich das souveräne Recht der IWF-Mitglieder, Kapitalverkehrskontrollen beizubehalten oder neu einzuführen4. Art. VI Abschn. 1 a IWF-Ü erlaubt dem IWF sogar, von einem Mitglied die Einführung von Kapitalverkehrsbeschränkungen zu verlangen, wenn ein Mitglied andernfalls allgemeine Fondsmittel zur Deckung von Kapitalabflüssen nutzen würde5. Insbesondere seit der Finanzkrise hat der IWF seine zuvor kritische Haltung gegenüber Kapitalverkehrskontrollen merklich relativiert6. 3. OECD-Kodizes zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der laufenden unsichtbaren Transaktionen
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Von Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang schließlich auch die Kodizes zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs7 und der laufenden unsichtbaren Transaktionen8 der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Beide Regelwerke haben zum Ziel, den internationalen Kapital- und Dienstleistungsverkehr zu liberalisieren9. Zu diesem Zweck formuliert der Kodex die folgenden Grundsätze10: – Standstill: Die OECD-Mitgliedstaaten verpflichten sich, keine neuen Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr einzuführen. Vorbehalte zu den Verpflichtungen der Kodizes können nur teilweise oder gänzlich aufgehoben, nicht jedoch erweitert oder neu hinzugefügt werden. Einmal aufgehobene Beschränkungen können nicht wieder eingeführt werden. – Einseitige Liberalisierung: Im Gegensatz zu anderen internationalen Handels- und Investitionsabkommen setzen die Kodizes nicht auf Aushandlung gegenseitiger Konzessionen nach dem Grundsatz des Gebens und Nehmens. Vielmehr sollten die Mitgliedstaaten zur Aufhebung von Restriktionen bereit sein, ohne sofortige Konzessionen von anderen Mitgliedstaaten zu erwarten. 1 2 3 4 5 6 7 8
9 10
Herrmann, 250. Herrmann, 251; s. Ebke, 55 ff.; Lastra, 393 ff.; Proctor, 575 ff. Herrmann, 253. Herrmann, 253. Herrmann, 253; s. Gianviti, 218. Vgl. insbesondere IMF, The Fund’s Role Regarding Cross-Border Capital Flows (November 15, 2010); dazu Christoph Eisenring, „Salonfähige Kapitalverkehrskontrollen“, NZZ 4.12.2012. OECD Code of Liberalisation of Capital Movements; http://www.oecd.org/daf/inv/investmentpolicy/CapitalMovements_WebEnglish.pdf. Code of Liberalisation of Current Invisible Operations, http://www.oecd.org/daf/fin/privatepensions/InvisibleOperations_WebEnglish.pdf. Vgl. zu beiden Dokumenten auch den offiziellen Benutzerleitfaden; OECD Codes of Liberalisation User’s Guide (2008) (zit. OECD, User Guide), abrufbar unter http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/38072327.pdf. OECD, User Guide, 4. OECD, User Guide, 5.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 269
Teil C
– Nichtdiskriminierung: Von den OECD-Mitgliedern wird erwartet, dass sie die Gebietsansässigen aller anderen Mitgliedstaaten ohne Diskriminierung gleichermaßen in den Genuss offener Märkte kommen lassen. Wo Restriktionen existieren, müssen diese für jedermann in gleicher Art und Weise gelten. – Transparenz: Über die Einschränkungen des Kapital- und Dienstleistungsverkehrs in den OECD-Ländern sind für jedermann zugängliche und verständliche, umfassende und aktuelle Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Kodizes lassen Spielraum für regionale Integrationsabkommen wie z.B. die Europäische Union. Als Ausnahme vom Nichtdiskriminierungsgrundsatz ist es den EUMitgliedstaaten gestattet, OECD-Mitglieder, die nicht Mitgliedstaaten der EU sind, von Liberalisierungsmaßnahmen auszuschließen1. Im Übrigen müssen jedoch auch regionale Integrationsabkommen den Verpflichtungen der Kodizes entsprechen; durch regionale Integrationsabkommen dürfen also keine neuen Hemmnisse für den Dienstleistungsverkehr mit Drittländern geschaffen werde. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ein EU-Mitglied mit einer sehr liberalen Politik im Zuge der Harmonisierungsbemühungen innerhalb der EU gezwungen wäre, in einem bestimmten Bereich restriktivere Regelungen einzuführen2. Dafür besteht innerhalb der OECD auch ein Überprüfungsmechanismus3.
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Die OECD-Kodizes sind Rechtsinstrumente mit Verhaltensregeln, die sich an die Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten richten. Technisch gesehen handelt es sich um Beschlüsse des OECD-Rats, die für die Mitgliedsregierungen rechtlich bindend sind. Anders als z.B. die WTO-Abkommen sind sie allerdings nicht Verträge oder internationale Vereinbarungen im Sinne des Völkerrechts4. Auch die fehlenden Sanktionsmechanismen führen dazu, dass die Kodizes eher einem soft law-Instrument als einem völkerrechtlich verbindlichen Instrument entsprechen.
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III. Europarechtlicher Rahmen für Finanzdienstleistungen 1. Der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen a) Rechtsquellen und Entwicklungsschritte Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bemüht sich bereits seit 1973 um die Verwirklichung eines Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen5. Dabei lassen sich im Wesentlichen drei Entwicklungsschritte unterscheiden. In einer ersten Phase wurde der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen mittels gegenseitiger Anerkennung der Aufsichtssysteme auf Basis einer Mindestharmonisierung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften, der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden des Herkunftsmitgliedstaates (Herkunftslandkontrolle) sowie der europaweiten Freizügigkeit von zugelassenen Finanzdienstleistern (Europäischer Pass) konstituiert6. In einem zweiten Schritt wurde dieser Binnenmarkt ab 1999 auf der Grundlage des Aktionsplans Finanzdienstleistungen (FSAP) vertieft7, dessen Umsetzung bis 2005 erfolgte8. Die Finanzkrise brachte ei1 2 3 4 5 6 7
OECD, User Guide, 9. OECD, User Guide, 9. OECD, User Guide, 9. OECD, User Guide, 3. Überblick bei De Meester, N. 574. De Meester, N. 574. Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, Mitteilung der EUKommission v. 11.5.1999, KOM(1999) 232. 8 The European Parliament’s Economic and Monetary Affairs Committee’s report on the Current State of Integration of EU Financial Markets (report A6-0087/2005), abrufbar unter www.euro parl.eu.int/activities/expert/committees/reports.do?WS=10&SV=10&language=EN.
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Teil C Rz. 270
Handel mit Dienstleistungen
nen dritten, massiven Regulierungs- und Harmonisierungsschub. Bis 2014 legte die Kommission nicht weniger als 40 Vorschläge für Richtlinien und Verordnungen vor1. Die meisten der für Bank- und Wertpapierdienstleistungen relevanten Rechtsvorschriften wurden deshalb zwischen 2011 und 2013 grundlegend überarbeitet oder überhaupt erst erlassen. Dabei erfolgt die Regulierung in immer mehr Bereichen durch direkt anwendbare Verordnungen oder durch Richtlinien, welche den Mitgliedstaaten keinen Spielraum mehr lassen, um strengere Vorschriften zu erlassen (Maximal- statt Mindestharmonisierung)2. Flankiert wird die Harmonisierung der Finanzmarktregulierung durch eine rasch voranschreitende Vergemeinschaftung der Finanzmarktaufsicht (s. Rz. 273). b) Europäischer Pass 270
Ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Binnenmarkts für Bank- und Wertpapierdienstleistungen wurde ab 1993 mit der Einführung des sog. Europäischen Passes gemacht. Europäischer Pass heißt, dass Kreditinstitute und Wertpapierunternehmen, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, in allen anderen Mitgliedstaaten tätig werden können, ohne dass es dazu einer weiteren Bewilligung des Aufnahmemitgliedstaates bedarf. Eine Notifikation der Aufsichtsbehörde im Heimatmitgliedstaat ist ausreichend; diese informiert in der Folge die Aufsichtsbehörde des Aufnahmemitgliedstaates.
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Der Europäische Pass wurde 1989 durch die Zweite Bankenrechtsrichtlinie3 eingeführt, die die Zulassungsvoraussetzungen für Kreditinstitutionen im Sinne einer Mindestharmonisierung vereinheitlichte4. Die Richtlinie führte auch den Grundsatz der Aufsicht durch die Behörde des Herkunftsmitgliedstaates (home country control)5 sowie der gegenseitigen Anerkennung6 ein7. 2004 wurden diese Konzepte durch MiFID I8 auf Wertpapierdienstleistungen übertragen (vgl. Art. 31 f. MiFID I). Die AIFM-Richtlinie hat das Konzept des Europäischen Passes auf Investmentfonds und Verwaltungsgesellschaften erweitert (s. Teil L Rz. 629, 634 ff.).
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Der EU-Pass greift sowohl bei der Errichtung von rechtlich unselbständigen Zweigstellen in einem anderen Mitgliedstaat wie auch im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr ohne kommerzielle Präsenz. Weil er der Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dient, können sich Finanzdienstleister mit Sitz in einem Drittstaat nicht darauf berufen (s. Rz. 283 ff., 290 ff.). Bei der Errichtung von (rechtlich selbständigen) 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Ein reformierter Finanzsektor für Europa, COM(2014) 279 final, (Brüssel, 15.5.2014), S. 2. 2 Der Übergang zur Maximalharmonisierung ist auch durch die De Larosière-Gruppe empfohlen worden; vgl. De Larosière-Report v. 25.2.2009, N. 109. Vgl. dazu Zetsche, 59. 3 Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates v. 15.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG, ABl. Nr. L 386 v. 30.12.1989, S. 1–13. 4 De Meester, N. 583 ff. 5 Art. 13(1) RL 89/646/EWG. 6 Art. 18(1) RL 89/646/EWG: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die in der Liste im Anhang aufgeführten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet gemäß den Art. 19, 20 und 21 sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege des Dienstleistungsverkehrs von jedem Kreditinstitut ausgeübt werden können, das durch die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats gemäß dieser Richtlinie zugelassen ist und kontrolliert wird, soweit die betreffenden Tätigkeiten durch die Zulassung abgedeckt sind.“ 7 De Meester, N. 585. 8 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. v. 30.4.2004, L 145, S. 1.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 273
Teil C
Tochtergesellschaften kommt der Europäische Pass hingegen nicht zum Tragen. Die Voraussetzungen hierfür bestimmen sich nach dem Recht des Sitzstaates, in dem zugleich die Hauptverwaltung ihren Sitz haben muss. Die Zulassungsvoraussetzungen für Banken und Wertpapierdienstleister sind allerdings inzwischen weitgehend harmonisiert (s. Rz. 293 ff. und 296 f.). Ist eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat der EU wirksam errichtet und zugelassen, so kann sie als EU-Unternehmen in jedem anderen Mitgliedstaat tätig werden, auch wenn die Muttergesellschaft ihren Sitz in einem Drittland hat. c) Vergemeinschaftung der Aufsicht aa) Europäisches Finanzaufsichtssystem Flankiert wird der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen durch eine rasch fortschreitende Vergemeinschaftung von Aufsichtskompetenzen1. Zwar bleibt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Beaufsichtigung von Banken, Wertpapierunternehmen und anderen Finanzdienstleistern im Grundsatz bestehen. Zur Koordination der nationalen Aufsichtssysteme wurde jedoch 2011 das Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Financial Supervision, ESFS) eingerichtet. Zentrales Element des ESFS sind die drei Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (englisch European Supervisory Authorities, ESA) für das Bankwesen (European Banking Authority, EBA2), das Versicherungswesen (European Insurance and Occupational Pensions Authority, EIOPA3) und das Wertpapierwesen (European Securities and Markets Authority, ESMA4). Hinzu kommt der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB5), der die Stabilität des gesamten Finanzsystems überwachen soll. Die ESAs dienen einerseits einer verstärkten Koordination der nationalen Aufsichtsbehörden. Anderseits haben sie auch gewisse Rechtsetzungsbefugnisse, von denen sie durch Erlass von Technischen Regulierungs- und Durchführungsstandards Gebrauch machen können (s. Art. 10 ff. EBA-VO; Art. 10 ff. ESMA-VO; Art. 10 ff. EIOPAVO). Schließlich nehmen die ESAs in begrenztem Umfang auch direkt Aufsichtsbefugnisse wahr, so etwa für Ratingagenturen6. 1 Für einen Überblick vgl. Mitteilung der Kommission, Ein reformierter Finanzsektor für Europa, COM(2014) 279 final (Brüssel, 15.5.2014), S. 3 f. 2 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 12. 3 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 48. 4 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl. Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 84. 5 Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken, ABl. Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 1. 6 Vgl. Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EU) No 1060/2009 v. 16.9.2009 über Ratingagenturen, ABl. v. 17.11.2009, L 302 S. 1. Nach der ursprünglichen Fassung der EU-Rating-Verordnung sollten die Ratingagenturen von den nationalen Aufsichtsbehörden beaufsichtigt werden, die in AufseherKollegien miteinander kooperierten. Die ESMA, bzw. ihre Vorgänger-Institution, der Ausschuss der Europäischen Wertpapier-Regulierungsbehörden CESR, hatte nur eine unterstützende Funktion. Mit der ersten Novelle der Verordnung (Credit Rating Agency Regulation II – CRA II) konzentrierte der europäische Gesetzgeber die europaweite Aufsichtszuständigkeit bei der ESMA und verlieh dieser umfassende Exekutivkompetenzen. Seit Oktober 2011 sind somit sämtliche Aufsichtsbefugnisse über Ratingagenturen auf die ESMA übergegangen, die seitdem allein für die
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Kuhn 203
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Teil C Rz. 274
Handel mit Dienstleistungen
bb) Einheitlicher Überwachungsmechanismus 274
Für die Eurozone wurde als zusätzlicher Harmonisierungsschritt die Errichtung einer Bankenunion beschlossen, die aus einem einheitlichen Überwachungs- (Single Supervisory Mechanism, SSM) sowie einem einheitlichen Abwicklungsmechanimus (Single Resolution Mechanism, SRM) besteht. Kern des SSM ist die Übertragung der Aufsicht über die 130 größten Banken der Eurozone auf die Europäische Zentralbank (EZB). In diesem System verbleiben den nationalen Aufsichtsbehörden nur noch Restkompetenzen. Der SSM hat seine operative Tätigkeit Ende 2014 aufgenommen. Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus erfasst zwingend nur die Mitglieder der Eurozone. Andere EUMitgliedstaaten können am SSM jedoch auf freiwilliger Basis teilnehmen (s. Art. 7 SSM-VO); s. auch Art. 2(1) SSM-VO). d) EWR
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Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) ist 1992 durch Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EFTA und der EU geschlossen worden. Die Schweiz hat einen Beitritt zu dem Abkommen am 6.12.1992 in einer Volksabstimmung abgelehnt; so dass der EWR heute neben den EU-Mitgliedstaaten die EFTA-Mitglieder Island, Liechtenstein und Norwegen umfasst. Der EWR-Vertrag nennt als Ziele die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten (Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, vgl. Rz. 282 ff.) sowie die Koordination der Wettbewerbspolitik; darüber hinaus ist eine engere Zusammenarbeit in gewissen Gebieten wie Forschung und Entwicklung, Umweltschutz, Erziehung und Sozialpolitik vorgesehen. Im Kern geht es jedoch um die Teilnahme am Binnenmarkt. Die drei EFTA-EWR-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen sind Teil des gemeinsamen Marktes und sind in Bezug auf die Grundfreiheiten den EU-Mitgliedstaaten gleichgestellt1. Im Gegenzug sind sie verpflichtet, das Sekundärrecht der EU zu übernehmen. Die Übernahme erfolgt dabei durch Abkommen mit den Vertragsstaaten des EWR2. Bisher sind letztlich auch alle EU-Rechtsakte im Bereich der Finanzdienstleistungen übernommen worden.
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Die begrenzte Finalität des EWR und die rasch voranschreitende Vertiefung des EUBinnenmarktes für Finanzdienstleistungen führt allerdings zu zunehmenden Spannungen. Solche ergaben sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Errichtung der ESAs, weil die damit verbundene Übertragung von Aufsichtsbefugnissen für Norwegen und Island verfassungsrechtlich nur schwer zu bewältigen war. Die Lösung, die nach langwierigen Verhandlungen im Herbst 2014 gefunden wurde, beruht auf einem zwei-Säulen-Modell, bei dem formell die EFTA-Aufsichtsbehörde auf Grundlage von Entwürfen der ESAs die Entscheidungen trifft, die sich an Behörden bzw. Marktteilnehmer in den EFTA-Staaten richten3. Die EU-ESAs sind befugt, nicht bindende Handlungen (wie z.B. Empfehlungen oder Vermittlungen) vorzunehmen. Die EFTA-Aufsichtsbehörde und die EFTA-Staaten nehmen im Aufsichtsrat der ESAs ohne Stimmrecht Einsitz. Ähnlich Schwierigkeiten dürften sich im Zusammenhang mit dem Einheitlichen Überwachungsmechanismus (Rz. 274) ergeben. Anwendung der EU-Rating-Verordnung verantwortlich ist. Die Mitwirkung der nationalen Aufsichtsbehörden wie der BaFin konzentriert sich nun auf die Mitarbeit im entsprechenden Fachausschuss der ESMA, der Leitlinien und Empfehlungen sowie technische Regulierungs- und Durchführungsstandards entwickelt, welche entweder von der ESMA selbst oder der EU-Kommission unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments und des Rats verabschiedet werden, sowie auf die Mitwirkung bei der Beschlussfassung im Rat der Aufseher, dem Lenkungsgremium der ESMA. Vgl. BaFin Ratingagenturen unter ESMA-Aufsicht, 26.2.2013. 1 Vgl. Art. 34, 36 EWR-Abkommen. Vgl. dazu Zetsche, 53. 2 Vgl. dazu Zetsche, 53. 3 Vgl. EU/EEA ECOFIN Conclusions 14 October 2014, 14178/1/14 REV 1, abrufbar unter http:// www.efta.int/sites/default/files/documents/eea/eea-news/2010-10-14-EEA-EFTA-ECOFIN-jointconclusions.pdf (zuletzt abgerufen 31.8.2016).
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 280
Teil C
Auch die Drittstaatenregelung in neueren EU-Rechtsakten bereitet Schwierigkeiten, insbesondere im Verhältnis von Liechtenstein zur Schweiz. Liechtenstein ist mit der Schweiz durch eine Währungsunion verbunden und nutzt die schweizerische Finanzmarktinfrastruktur. An sich wird die Handelspolitik gegenüber Drittstaaten durch das EWR-Abkommen nicht erfasst, so dass es gute Gründe gäbe, gemeinschaftsrechtliche Vorschriften über die Beziehung zu Drittstaaten nicht in das EWR-Abkommen zu übernehmen. Tatsächlich sind bisher jedoch sämtliche Rechtsakte der EU im Bereich des Bank- und Finanzmarktrechts unter Einschluss der Drittstaatenregelungen übernommen worden1.
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Im Verhältnis der Schweiz zu Liechtenstein, die beide EFTA-Mitglieder sind, gilt grundsätzlich das EFTA-Abkommen von 20012, das auch Vorschriften über Finanzdienstleistungen und den Kapitalverkehr enthält und den Dienstleistungsverkehr weitgehend liberalisiert (Art. 29 ff. EFTA-Abk). Nach Art. 49 EFTA-Abk. gehen andere Abkommen, an denen einer oder mehrere EFTA-Staaten als Partei teilnehmen, dem EFTA-Abk. jedoch vor. Das gilt ausdrücklich auch für das EWR-Abkommen, zu dem Art. 49 Abs. 2 EFTA-Abk. festhält, dass es „in keiner Weise“ die Anwendung von Vorschriften des EWR-Abk. beeinträchtigt. Umgekehrt bestimmt Art. 121 EWR-Abk., dass dieses „die Zusammenarbeit im Rahmen der regionalen Union zwischen der Schweiz und Liechtenstein [nicht berührt], soweit die Ziele dieser Union nicht durch die Anwendung dieses Abkommens erreicht werden und das gute Funktionieren dieses Abkommens nicht beeinträchtigt wird“. Die „regionale Union“ zwischen der Schweiz und Liechtenstein erstreckt sich aber nur auf Währungsfragen, nicht auch auf die Finanzmarktregulierung. Daraus folgt, dass die Drittstaatenregelung in EU-Rechtsakten, die durch die EWR-Staaten übernommen wurden, auch im Verhältnis Liechtensteins zur Schweiz gilt.
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e) Rechtslage EU-Schweiz Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU und hat 1992 in einer Volksabstimmung auch den Beitritt zum EWR abgelehnt. Auf der Grundlage eines dichten Netzes von bilateralen Verträgen nimmt die Schweiz zwar inzwischen an Teilen des Binnenmarktes teil. Das gilt aber nicht für Dienstleistungen, insbesondere auch nicht für Finanzdienstleistungen. Zwar wurde der Abschluss eines Dienstleistungsabkommens wiederholt erwogen, doch hat die Schweiz von dieser Option jeweils Abstand genommen.
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Entgegen seinem zu eng gefassten Titel regelt zwar auch das 1999 abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen EU-Schweiz (FZA)3 Teile des Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz. Das Abkommen bezweckt u.a. auch, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu erleichtern, insbesondere durch Liberalisierung kurzzeitiger Dienstleistungen (Art. 1 Buchst. a FZA). Das wird durch Einreise- und Aufenthaltsrechte sowie Beschränkungsverbote erreicht (vgl. Art. 5 FZA sowie Art. 17 ff. Anhang I FZA). Dabei findet das FZA grundsätzlich auch auf Finanzdienstleistungen Anwendung, wie sich aus Art. 22 Abs. 3 Buchst. ii Anhang I FZA ergibt. Nach dieser Bestimmung lässt das Abkommen „die zum Zeit-
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1 Vgl. dazu Zetsche, 53. 2 Convention Establishing The European Free Trade Association (21.6.2001; Consolidated version, last amended on 1 July 2013). 3 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21.6.1999, ABl. 2002, Nr. L 114, S. 6. Das Freizügigkeitsabkommen ist Teil eines Pakets von gesamthaft sieben Abkommen, die am 21.6.1999 unterzeichnet wurden. Diese sieben Abkommen wurden mit dem Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und der Kommission v. 4.4.2002 (ABl. Nr. L 114, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft gebilligt und traten am 1.6.2002 in Kraft.
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Kuhn 205
Teil C Rz. 281
Handel mit Dienstleistungen
punkt des Inkrafttretens dieses Abkommens bestehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften [über genehmigungspflichtige und einer Aufsicht unterliegenden Finanzdienstleistungen] unberührt“. Dennoch ist die Relevanz des Abkommens für Finanzdienstleister eng begrenzt, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens können sich nach der Rechtsprechung des EuGH auf die Rechte nach dem Abkommen im Wesentlichen nur natürliche Personen berufen1. Finanzdienstleister sind jedoch ganz überwiegend als juristische Personen organisiert, weshalb sie aus dem Übereinkommen keine Rechte ableiten können. Zweitens sind die Rechte nach dem Übereinkommen auf kurzzeitige Dienstleistungen beschränkt, die pro Jahr während höchstens 90 Tagen erbracht werden. Für Finanzdienstleister, die eine dauernde Betreuung ihrer Kunden gewährleisten wollen, bietet das keinen tauglichen Rahmen. Drittens ist unklar, welche Rechte das Abkommen den Dienstleistungserbringern im Einzelnen gewährt; fest steht nur, dass es nicht der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit i.S.v. Art. 56 AEUV dient2. 281
Die Nichtteilnahme der Schweiz am Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen und dessen zunehmende Abschottung gegenüber Drittstaaten hat sich für Schweizer Finanzdienstleister zu einer zentralen strategischen Herausforderung entwickelt3. Deshalb hat sich der Bundesrat 2014 entschlossen, erneut die Möglichkeit zu prüfen, mit der EU ein bilaterales Finanzdienstleistungsabkommen abzuschließen4. Vor Lösung von offenen institutionellen Fragen und der Probleme im Zusammenhang mit der Masseneinwanderungsinitiative sind in diesem Dossier jedoch keine substantiellen Fortschritte zu erwarten. 2. Primärrechtlicher Rahmen des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen
282
Der Binnenmarkt wird durch eine Reihe von Grundfreiheiten konstituiert. Diese sichern die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung, die Voraussetzung für den gemeinsamen Markt ist. Im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen sind drei Grundfrei1 EuGH, Rs. C-351/08, Grimme, Rz. 33, 34 [„Sodann hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die in Art. 1 definierten Ziele des Abkommens nach dieser Bestimmung zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft und damit zugunsten natürlicher Personen verfolgt werden und dass alle von dem Abkommen betroffenen Kategorien von Personen – Gemeinschaftsangehörige und Schweizer –, mit Ausnahme der Dienstleistungserbringer und -empfänger, ihrem Wesen nach voraussetzen, dass es sich um natürliche Personen handelt.“]; EuGH, Rs. C-541/08, Fokus Invest AG, Rz. 29 f.: „Der Gerichtshof ist zu der Feststellung gelangt, dass dieses Abkommen und sein Anhang mit Ausnahme von Art. 5 Abs. 1 des Abkommens und Art. 18 des Anhang I des Abkommens, mit denen Gesellschaften ein bestimmtes Recht auf die Erbringung von Dienstleistungen eingeräumt wird, keine Bestimmung enthalten, die juristischen Personen ein Recht gewährte (vgl. in diesem Sinne Urteil Grimme, Rz. 35).“ 2 EuGH, Rs. C-351/08, Grimme, Rz. 27, 29; EuGH, Rs. C-541/08, Fokus Invest AG, Rz. 29; so auch BGer, 22.10.2007, BGE 133 V 624 E. 4.2: „Die Dienstleistungsfreiheit, wie sie der EG-Vertrag und die zu dessen Anwendung ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften regelt, bildet nicht Bestandteil des „acquis communautaire“, welchen sich die Schweiz zu übernehmen verpflichtet hat. Das FZA sieht nur eine teilweise Liberalisierung von Dienstleistungen vor.“ 3 Vgl. dazu die (schweizerische) Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie, Schlussbericht, 1.12.2014, 22 f.: „Die Expertengruppe geht davon aus, dass sich der grenzüberschreitende Marktzutritt für die Schweizer Finanzbranche ins Ausland, namentlich für vorwiegend im Privatkundengeschäft tätige Banken und Vermögensverwalter, aber auch für die Finanzmarktinfrastruktur, inskünftig erheblich schwieriger gestalten wird. Auch eine vollständige Schließung gewisser Märkte für Anbieter aus der Schweiz heraus infolge (aufsichts-) rechtlicher Vorgaben des Auslands, u.a. auch auf EU-Ebene, ist denkbar. … Ein teilweiser oder gänzlicher Verlust des Marktzutritts in den EU/EWR-Raum und andere bedeutende Länder in wichtigen Geschäftsbereichen hätte somit weitreichende Folgen für die Volkswirtschaft.“ 4 Vgl. „Finanzdienstleistungsabkommen mit der EU, Aufgalopp für einen neuen Vertrag mit Brüssel“, NZZ 12.12.2014; vgl. auch Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie, Schlussbericht, 1.12.2014, 27 ff.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 286
Teil C
heiten von besonderer Bedeutung: die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit1. a) Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) Nach Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV sind „Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats … verboten“. Als Staatsangehörige gelten auch juristische Personen, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben2. Ebenfalls untersagt sind Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind (Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV). Vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst ist sowohl die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten wie auch die Gründung und Leitung von Unternehmen (Art. 49 Abs. 2 AEUV).
283
Auf die Niederlassungsfreiheit können sich nur Angehörige eines Mitgliedstaats der Union berufen, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niederlassen wollen3. Ferner greift die Niederlassungsfreiheit auch im Verhältnis zum EWR, dessen Mitgliedstaaten nicht als Drittstaaten gelten. Demgegenüber sind „die Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nicht auf Angehörige eines Drittstaats wie der Schweizerischen Eidgenossenschaft anwendbar.“4 Weil sich nur Angehörige von Mitgliedstaaten auf Art. 49 AEUV berufen können, involviert die Niederlassungsfreiheit eine Diskriminierung auf Grundlage der Herkunft, die durch Art. V(1) GATS gerechtfertigt ist5.
284
Die Niederlassungsfreiheit steht unter Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Art. 52 Abs. 1 AEUV). Beschränkungen sind allerdings nur zulässig, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist6. Diesen Anforderungen genügte z.B. ein Verbot der Verzinsung von Bankeinlagen nicht, das nur auf Kreditinstitute anderer Mitgliedstaaten Anwendung fand7.
285
b) Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) Art. 56 Abs. 1 AEUV untersagt „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind“. Während die Niederlassungsfreiheit den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr durch Gründung von Tochtergesellschaften abdeckt, schützt die Dienstleistungsfreiheit den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr ohne kommerzielle Präsenz sowie durch Errichtung einer unselbständigen Zweigniederlassung innerhalb der Union8. Auf die Dienstleistungsfreiheit können sich ebenso wie auf die Niederlassungsfreiheit nur Angehörige von Mitgliedstaaten der EU oder des EWR berufen. 1 Zetsche, 63 ff. 2 Zetsche, 64. 3 EuGH, Rs. C-70/09, Hengartner, Rz. 25; EuGH, Rs. C-147/91, Ferrer Laderer, Slg. 1992, I-4097, Rz. 7. 4 EuGH, Rs. C-70/09, Hengartner, Rz. 26. 5 De Meester, 292 f. 6 EuGH, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rz. 37; EuGH, Rs. C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Rz. 32. 7 EuGH, Rs. C-442/02, Caixabank France, Slg. 2004, I-8961; dazu De Meester, 290 Fn. 804. 8 Zetzsche, 64.
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Kuhn 207
286
Teil C Rz. 287
Handel mit Dienstleistungen
c) Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) 287
Für Finanzdienstleistungen bedeutsam ist ferner die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit. Art. 63 Abs. 1 AEUV, der auf die Kapitalverkehrsrichtlinie vom 24.6.19881 zurückgeht, untersagt „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern …“. Ebenso sind „alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs … verboten“ (Art. 63 Abs. 2 AEUV). Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich, dass die Kapital- und die Zahlungsverkehrsfreiheit – anders als die übrigen Grundfreiheiten – auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar ist. Sie ist insofern im System der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten singulär2.
288
Das primäre Gemeinschaftsrecht definiert den Begriff Kapitalverkehr nicht3, weshalb der EuGH zur Konkretisierung auf die Kapitalverkehrsrichtlinie zurückgreift4. Demnach lässt sich als Kapitalverkehr „jede über die Grenze eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft hinweg stattfindende (einseitige) Übertragung von Geldkapital (z.B. gesetzliche Zahlungsmittel, Krediten) oder Sachkapital (z.B. Immobilien, Unternehmensbeteiligungen) verstehen, die regelmäßig zugleich eine Vermögensanlage darstellt.“5 Geschützt sind damit einerseits Direktinvestitionen, d.h. die Beteiligung an einem Unternehmen durch den Erwerb von Anteilen6. Erfasst werden aber auch Beteiligungen, die der Geld- oder Vermögensanlage dienen, wie z.B. der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt7.
289
Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ist im öffentlichen Interesse begrenzt (Art. 64–66 AEUV)8. Art. 64 Abs. 1 AEUV erlaubt den Mitgliedstaaten die Beibehaltung einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten, sofern diese schon vor dem 1.1.1994 bestanden hatte9. Art. 64 Abs. 2 AEUV eröffnet der Gemeinschaft die Möglichkeit, den Kapitalverkehr mit Drittstaaten u.a. „im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen“ zu beschränken, wobei Maßnahmen, die für die Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern einen Rückschritt darstellen, nur einstimmig und in einem besonderen Verfahren beschlossen werden können (Art. 64 Abs. 3 AEUV). Weitere Einschränkungsmöglichkeiten ergeben sich aus Art. 65 AEUV (Vorbehalt von Vorschriften auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute) und Art. 66 AEUV (Schutzmaßnahmen gegen Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern, die das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören oder zu stören drohen)10.
1 RL des Rates 88/361/EWG v. 24.6.1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages, ABl. EG 1988 Nr. L 178 S. 44. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der Kapitalverkehrsfreiheit in der EU Scharf, 6 f.; Hohenwart/Plansky, SWI 2008, 346; Ress, JZ 95, 1008 f. 2 Scharf, 7; Schön, FS Wassermeyer, 2005, S. 489 (492). 3 Scharf, 8; Haferkamp, 29 f. 4 Scharf, 8. EuGH, Rs. C-222/97, Manfred Trummer/Peter Mayer, Slg. 1999, I-1661. 5 Scharf, 8; Honrath, 23 ff.; Zetsche, 63. 6 EuGH, 23.10.2007 – Rs. C-112/05, ZIP 2007, 2068, 2071 f. Rz. 18 – VW-Gesetz. vgl. in diesem Sinne Urteile v. 12.12.2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Rz. 179–181; EuGH, 24.5.2007 – Rs. C-157/05, Holböck, Slg. 2007, I-4051 = ZIP 2007, 1902 = EuZW 2007, 405, Rz. 33 und 34. 7 Scharf, 8 f.; Zetsche, 63. 8 Zetsche, 63 m.w.Hinw. in Fn. 66. 9 Scharf, 10; Schön, FS Wassermeyer, 2005, S. 489 (493). 10 Vgl. HM Government, Review of the Balance of Competences between the United Kingdom and the European Union, The Single Market: Financial Services and the Free Movement of Capital Capital Movements Between the UK and Third Countries (Summer 2014), 46 f.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 292
Teil C
d) Kollision von Grundfreiheiten Die für Finanzdienstleistungen relevanten Grundfreiheiten überschneiden und überlappen sich teilweise, so dass es zu Kollisionen kommen kann1. Der EuGH hat das Verhältnis der Grundfreiheiten untereinander seit 2006 in einer Reihe von Entscheidungen in dem Sinn geklärt, dass im Falle einer Normenkonkurrenz auf die primär betroffene Freiheit abzustellen ist. Andere ebenfalls betroffene Grundfreiheiten bleiben außer Betracht, wenn deren Beschränkung eine „zwangsläufige Folge“ der Beschränkung der primär betroffenen Freiheit sei und daher hinter dieser zurücktritt2.
290
Diese Rechtsprechung geht zurück auf den Fall Cadbury Schweppes, in dem es um Rechtsvorschriften über beherrschte ausländische Gesellschaften ging3. Der EuGH entschied, dass beschränkende Auswirkungen auf die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit, die sich aus diesen Rechtsvorschriften ergeben, die „unvermeidliche Konsequenz“ einer eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sind und jedenfalls keine eigenständige Prüfung der genannten Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Dienstleistungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen4.
291
Leitentscheid im Bereich der Finanzdienstleistungen ist der Fall Fidium Finanz AG.5 Fidium war eine schweizerische Gesellschaft, die im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs Kleinkredite vorwiegend an deutsche Kunden vergab. Sie verfügte weder in der Schweiz noch in Deutschland über eine Bankbewilligung6. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) untersagte der Fidium, deutschen Kunden gewerbsmäßig Kredite zu vermitteln7. Fidium wehrte sich dagegen u.a. mit dem Argument, dass dieses Verbot die gemeinschaftsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit beeinträchtige. Im Zuge eines Vorabschentscheidungsverfahrens stellte der EuGH fest, dass die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvermittlung sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr berührt8. Die Untersagung durch die BaFin bewirke, dass Finanzdienstleistungen für die in Deutschland ansässigen Kunden weniger leicht zugänglich sind und sich somit die mit diesen Dienstleistungen zusammenhängenden grenzüberschreitenden Geldströme vermindern. Deshalb seien die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit vorrangig anzuwenden. Die damit verbundene Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit sei nur
292
1 Scharf, 13 f. 2 EuGH v. 3.10.2006 – Rs. 452/04, Fidium Finanz AG vs. Bafin, Slg. 2006, 9521 = ZIP 2006, 1899 = WM 2006, 1949, Rz. 48. Vgl. dazu Zetzsche, 65 f.; Scharf, 16. Vgl. auch BVerwG v. 22.4.2009 – 8 C 2.09; Vgl. auch EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EWS 2007, 360; EuGH v. 10.5.2007 – Rs. C-492/04, Lasertec, EWS 2007, 274; EuGH v. 24.5.2007 – Rs. C-157/05, Holböck, Slg. 2007, I-4051 = ZIP 2007, 1902 = EuZW 2007, 405; zu allen Scharf, 17 f. 3 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995 = ZIP 2006, 1817 = EuZW 2006, 633, Rz. 33. 4 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995 = ZIP 2006, 1817 = EuZW 2006, 633, Rz. 33. 5 Vgl. BVerwG v. 22.4.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358 = ZIP 2009, 1759 (Ls.) = VersR 2010, 509 = WM 2009, 1553. 6 Eine Bankbewilligung nach schweizerischem Recht war nicht notwendig, weil Fidum sich nicht über Publikumseinlagen refinanziert, sondern nur das Aktivgeschäft betrieb; damit erfüllte Fidium die Legaldefinition einer Bank nach schweizerischem Recht nicht; vgl. Art. 2 BankV und BSK BankG/Bahar/Stupp, Art. 1 BankG N 4 f. Demgegenüber ist nach deutschem Recht das Kreditgeschäft für sich allein bewilligungspflichtig, auch wenn nicht gleichzeitig das Einlagengeschäft betrieben wird; vgl. BVerwG v. 22.4.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358 Rz. 19. 7 Scharf, 16. 8 EuGH v. 3.10.2006 – Rs. 452/04, Fidium Finanz AG vs. Bafin, Slg. 2006, 9521 = ZIP 2006, 1899 = WM 2006, 1949, Rz. 43, 49. Vgl. ferner EuGH, Rs. C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EWS 2007, 360; EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-492/04, Lasertec, EWS 2007, 274; EuGH v. 24.5.2007 – Rs. C-157/05, Holböck, Slg. 2007, I-4051 = ZIP 2007, 1902 = EuZW 2007, 405. Vgl. dazu Zetzsche, 65 f.; Scharf, 16 ff.
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Kuhn 209
Teil C Rz. 293
Handel mit Dienstleistungen
eine „zwangsläufige Folge“ der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit und trete daher hinter dieser zurück1. Das gelte auch im Verhältnis zu Drittstaaten, in dem die anderen gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten nicht anwendbar sind2. Da Fidium sich als schweizerische Gesellschaft nur auf Art. 63 AEUV, nicht aber auf Art. 49 AEUV berufen konnte, drang sie mit ihrer Klage nicht durch (vgl. dazu auch Rz. 88). 3. Sekundärrechtlicher Rahmen des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen a) Bankdienstleistungen 293
Der aktuelle Rechtsrahmen für Bankdienstleistungen wird primär durch die Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (CRD IV)3 und die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR) festgelegt4. Während die Richtlinie die Zulassungsvoraussetzungen für Kreditinstitute und das Zulassungsverfahren regelt, stellt die Verordnung die prudentiellen Anforderungen (Eigenmittel, Liquidität, Risikoverteilung usw.) auf, die von Kreditinstituten einzuhalten sind. Die Finanzdienstleistungen, die in den Anwendungsbereich der CRD IV bzw. der CRR fallen, sind in Anhang I CRD IV aufgelistet (s. Rz. 243).
294
CRD IV ist für die Verwirklichung des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen, die durch Kreditinstitute erbracht werden, das wichtigste Instrument überhaupt5. Insbesondere konkretisiert die Richtlinie die Niederlassungsfreiheit sowie den freien Dienstleistungsverkehr. Auch die Voraussetzungen für die Berufung auf den Europäischen Pass sowie die Vorschriften über die Zulassung von Drittlandsfirmen findet sich in der Richtlinie.
295
Das Paket aus CRD IV und CRR, das alle früheren Bankenrichtlinien ersetzte, ist am 17.7.2013 in Kraft getreten6. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht musste bis zum 31.12.2013 erfolgen (Art. 162 Abs. 1 CRD IV)7. Die Verordnung ist direkt anwendbar und vermeidet damit nationale Divergenzen, die sich bisher aus schärferen Anforderungen gewisser Mitgliedstaaten (gold plating) und einer unterschiedlichen Aufsichtspraxis ergeben haben.
1 EuGH v. 3.10.2006 – Rs. 452/04, Fidium Finanz AG vs. Bafin, Slg. 2006, 9521 = ZIP 2006, 1899 = WM 2006, 1949, Rz. 48; vgl. auch EuGH, Rs. C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EWS 2007, 360; EuGH, Rs. C-492/04, Lasertec, EWS 2007, 274; EuGH v. 24.5.2007 – Rs. C-157/05, Holböck, Slg. 2007, I-4051 = ZIP 2007, 1902 = EuZW 2007, 405, zu allen Scharf, 17 f. 2 Scharf, 17. 3 Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (CRD IV), ABl. Nr. L 176, 27.6.2013, S. 338–436. 4 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR), ABl. Nr. L 176, 27.6.2013, S. 1–337. 5 Vgl. Erwägungsgrund 5 CRD IV. 6 Vgl. De Meester, 284 m.w.H. 7 CRD IV ist in Deutschland umgesetzt worden durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz), BGBl. 2013 Teil I Nr. 53, 3395; in Österreich durch die BWG-Novelle zur Umsetzung der CRD IV, BGBl. I 2013/184; in Liechtenstein durch Gesetz v. 7.11.2014, LGBl. 2014 Nr. 348 v. 28.8.2013.
210 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 299
Teil C
b) Wertpapierdienstleistungen Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen für grenzüberschreitende Wertpapierdienstleistungen wurden 1993 erstmals durch die damalige Wertpapierdienstleistungsrichtlinie1 harmonisiert. Systematisch entsprach die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie der zweiten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie und brachte dementsprechend eine gegenseitige Anerkennung der Aufsichtssysteme auf Basis der Mindestharmonisierung, den Europäischen Pass sowie die Herkunftslandkontrolle. Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie wurde 2004 durch die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive – MiFID)2 ersetzt. Diese wurde 2014 einerseits durch die geänderte Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II)3 abgelöst und anderseits durch eine Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente (MiFIR)4 ergänzt. Die Wertpapierdienstleistungen, die durch MiFID II/MiFIR erfasst sind, werden in Anhang I MiFID II umschrieben.
296
MiFID II ist am 3.7.2014 in Kraft getreten und muss bis zum 3.7.2016 in nationales Recht umgesetzt werden und sollte – mit wenigen Ausnahmen – vom 3.1.2017 an anwendbar sein (Art. 93 Abs. 1 MiFID II). Wegen Verzugs beim Erlass von Umsetzungsund Ausführungsmaßnahmen hat die Kommission am 10.2.2016 vorgeschlagen, das Inkrafttreten um ein Jahr auf den 3.1.2018 hinauszuschieben.5 MiFIR ist ebenfalls am 3.7.2014 in Kraft getreten und gilt vom 3.1.2017 an (Art. 55 MiFIR). Als Verordnung bedarf sie keiner Umsetzung in nationales Recht.
297
IV. Der Zugang von Finanzdienstleistern aus Drittstaaten zum EU-Binnenmarkt 1. Fragestellung Ein (beabsichtigter oder nicht beabsichtigter) Nebeneffekt der rasch voranschreitenden Integration der EU-Märkte für Finanzdienstleistungen sind immer höhere Schranken für Dienstleister aus Drittstaaten. Als Drittstaaten gelten alle Staaten mit Ausnahme der Mitgliedstaaten der EU und des EWR. Besonders betroffen sind dabei Banken und Wertpapierdienstleister aus der Schweiz (s. Rz. 281).
298
Die EU hat die Entscheidung, ob und in welchem Umfang Finanzdienstleister aus Drittstaaten Zugang zu ihren Finanzmärkten erhalten sollen, herkömmlicherweise ihren Mitgliedstaaten überlassen6. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die politischen Präferenzen der Mitgliedstaaten und ihre ökonomischen Interessen in dieser Frage weit divergieren. Seit der Finanzkrise versucht die Kommission jedoch verstärkt, eine gemeinsame Politik durchzusetzen; in der jüngsten Runde von Richtlinienrevisionen gehörten die Drittstaatenregelung dementsprechend jeweils zu den am heftigsten umstrittenen Fragestellungen. Bisher ist es nicht gelungen, eine bereichs-
299
1 Richtlinie 93/22/EWG des Rates v. 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABl. Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27. 2 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, ABl. Nr. L 145, 30.4.2004, S. 1. 3 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. 12.6. 2014, L 173 S. 349. 4 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente, ABl. 12.6.2014, L 173 S. 84. 5 Vgl. Verordnung 2016/1033 v. 23.6.2016 (betr. MiFID II), ABl. 30.6.2016, L 175 S. 1, und Richtlinie 2016/1034 v. 23.6.2016 (betr. MiFIR), ABl. 30.6.2016, L 175, S. 8. 6 Vgl. HM Government, Review of the Balance of Competences between the United Kingdom and the European Union, The Single Market: Financial Services and the Free Movement of Capital Capital Movements Between the UK and Third Countries (Summer 2014), 62.
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Kuhn 211
Teil C Rz. 300
Handel mit Dienstleistungen
übergreifende Politik mit einheitlichen Instrumenten und Regelungsansätzen zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein heillos zersplitterter Rechtsrahmen, der nicht nur nach Bereichen und Erbringungsmodi unterschiedliche Regeln vorsieht, sondern darüber hinaus zahlreiche weitere Differenzierungen einführt. Ob diese Rechtslage, die selbst mit größtem Aufwand kaum mehr zu überblicken ist, dem GATS-Transparenzgebot noch genügt (s. Rz. 246), erscheint heute fraglich. 300
Im Folgenden sind die Drittlandsregelungen für Bankdienstleistungen (Rz. 301 ff.) sowie für Wertpapierdienstleistungen (Rz. 318 ff.) darzustellen. 2. Bankdienstleistungen a) Kommerzielle Präsenz aa) Gründung und Erwerb von Tochtergesellschaften
301
Die aktuelle Kapitaladäquanzrichtlinie (CRD IV) umfasst zwei Arten von Vorschriften über die Zulassung von Kreditinstituten aus Drittländern zum Binnenmarkt. Einerseits harmonisiert sie die Mindestanforderungen, die die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, wenn ein Kreditinstitut aus einem Drittland in einem EWR-Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft gründen oder erwerben will1. Anderseits enthält CRD IV eine Reihe von Vorschriften zur laufenden Überwachung und Beaufsichtigung von Kreditinstituten, die durch natürliche oder juristische Personen mit Sitz außerhalb des EWR kontrolliert werden2. Insbesondere muss das Institut über einen Geschäftsplan und eine angemessene Organisation (Art. 10 CRD IV) sowie Eigenkapital i.H.v. wenigstens 5 Mio. Euro (Art. 12 Abs. 1 CRD IV) verfügen. Ferner muss die tatsächliche Geschäftsleitung des Instituts in der Hand von mindestens zwei Personen liegen, die Gewähr für einwandfreie Geschäftsführung bieten (Art. 13 Abs. 1 CRD IV). Diese Vorgaben gelten nicht nur für Drittlandfirmen, sondern allgemein.
302
Die Voraussetzungen, unter denen Drittlandfirmen in der EU bzw. im EWR ein Kreditinstitut gründen oder erwerben können, werden somit weitgehend durch Gemeinschaftsrecht bestimmt3. Die Mitgliedstaaten können bei der Zulassung von Drittlandfirmen von den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht abweichen und abweichende Anforderungen aufstellen. Klarerweise ausgeschlossen ist, für Drittlandfirmen weniger strenge Anforderungen vorzusehen, als das Gemeinschaftsrecht aufstellt4. Weniger klar ist, ob Mitgliedstaaten über die Anforderungen der Richtlinie und der Verordnung auch hinausgehen können („gold plating“). Für die prudentiellen Anforderungen ist dies zu verneinen, weil diese in der Kapitaladäquanzverordnung (CRR) harmonisiert wurden, die direkt anwendbar ist. Aber auch die Richtlinie basiert grundsätzlich auf einer Maximalharmonisierung und lässt nur in ganz wenigen Fällen5 zu, dass die Mitgliedstaaten weitergehende Anforderungen stellen können6. Im Rahmen der gemeinschaftsrechtlich harmonisierten Regelungsgegenstände ist es den Mitgliedstaaten deshalb untersagt, von den Anforderungen von CRD IV und CRR abweichende Anforderungen an die Zulassung von Drittlandanbietern aufzustellen7. 1 2 3 4 5
De Meester, 288. De Meester, N. 615. De Meester, 289. De Meester, 309; vgl. auch Erwägungsgrund 9 CRR. De Meester, 312 Fn. 889, 313. Diese Optionen betreffen den Antizyklischen Kapitalpuffer (Art. 136 CRD IV) sowie den Systemrisikopuffer (Art. 133 f CRD IV). Ausserdem lässt sich die Auffassung vertreten, dass Mitgliedstaaten ein höheres Anfangskapital als die in Art. 12 Abs. 1 CRD IV genannten Euro 5 Mio. verlangen können; so De Meester, 313. 6 De Meester, 309. 7 De Meester, 308.
212 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 306
Teil C
Selbst dort, wo die Mitgliedstaaten Handlungsspielraum haben – weil das Gemeinschaftsrecht eine blosse Minimalharmonisierung vorsieht – ist der Spielraum insofern begrenzt, als diese Maßnahmen nicht spezifisch auf Drittlandfirmen abzielen dürfen. Eine solche Maßnahme würde in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik fallen, die eine exklusive EU-Kompetenz ist. Zulässig sind somit nur Maßnahmen, die für inländische und Drittstaaten-Banken gleichermaßen gelten1.
303
Die Tochtergesellschaft einer Drittlandfirma kann sich auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 56, 49 AEUV) berufen2. Darüber hinaus kommt sie auch in den Genuss des Europäischen Passes3. Sie kann also die in CRD IV Anhang I umschriebenen Bankdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten anbieten (grenzüberschreitend oder durch Errichtung einer Zweigniederlassung; s. Art. 33 CRD IV)4.
304
bb) Errichtung von Zweigniederlassungen Die kommerzielle Präsenz durch Errichtung einer Zweigniederlassung wird durch CRD IV nicht abschließend geregelt5. Die Richtlinie postuliert zwar, dass die „Vorschriften für Zweigstellen von Kreditinstituten mit Sitz in einem Drittland … in allen Mitgliedstaaten gleich sein sollten“6 und dass Zweigstellen von Drittlandfirmen sich nicht auf die primärrechtlichen Garantien des freien Dienstleistungsverkehres und der Niederlassungsfreiheit berufen können7. Zweigstellen einer Bank aus einem Drittstaat sollen m.a.W. nicht in den Genuss des Europäischen Passes kommen; sie können nur in dem Mitgliedstaat tätig werden, in dem sie errichtet wurden8. Als verbindliche Vorschrift ist dann allerdings nur das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot formuliert, für Zweigstellen von Kreditinstituten günstigere Vorschriften aufzustellen als für Zweigstellen von Banken aus einem anderen Mitgliedstaat (Art. 47 Abs. 1 CRD IV). Im Ergebnis bleibt es damit im wesentlichen Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen festzulegen, unter denen Banken und andere Kreditinstitute aus Drittstaaten in einem Mitgliedstaat Zweigniederlassungen eröffnen und betreiben können9.
305
Für Deutschland sind die Bedingungen für die Errichtung von Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz im Ausland in § 53 ff. KWG niedergelegt. Grundsätzlich ist der Betrieb einer Zweigstelle durch ein Unternehmen mit Sitz im Ausland in Deutschland bewilligungspflichtig (§ 53 Abs. 1 KWG) und unterliegt gewissen Anforderungen (substantielle Präsenz; vgl. § 53 Abs. 2 KWG). Ein CRR-Kreditinstitut oder ein Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in einem anderen EWR-Staat darf ohne Erlaubnis der Aufsichtsbehörde über eine Zweigniederlassung oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs im Inland Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen, wenn das Unternehmen von den zuständigen Stellen des Herkunftsmitgliedstaates zugelassen worden ist, die Geschäfte durch die Zulassung abgedeckt sind und das Unternehmen von den zuständigen Stellen nach Maßgabe der Richtlinien der Europäischen Union beaufsichtigt wird (Art. 53b Abs. 1 KWG). Zweigstellen von Finanzinstituten aus Drittstaaten, die in Deutschland Bank- oder Finanzdienstleistungen im Eigengeschäft erbringen, gelten nach § 53 Abs. 1 S. 1 KWG als Kredit- oder Fi-
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1 2 3 4 5 6 7
De Meester, 317 f. De Meester, 288, 296. De Meester, 288. Vgl. Erwägungsgrund 23 CRD IV. De Meester, 296. Zetsche, 103. Erwägungsgrund 23 CRD IV. Erwägungsgrund 23 CRD IV: „Für Zweigstellen von in dritten Ländern zugelassenen Kreditinstituten sollte der freie Dienstleistungsverkehr bzw. die Niederlassungsfreiheit nur in dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet sind, nicht jedoch in den anderen Mitgliedstaaten gelten.“ 8 Zetsche, 103; vgl. auch den 23. Erwägungsgrund CRD IV; Art. 37 CRD IV. 9 Eine grenzüberschreitende Tätigkeitserlaubnis (für den gesamten EWR) könnte allerdings Teil eines Abkommens nach Art. 218 AEUV sein. Vgl. Art. 47 Abs. 3 CRD IV; Zetsche, 103.
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Kuhn 213
Teil C Rz. 307
Handel mit Dienstleistungen
nanzdienstleistungsinstitut; mehrere inländische Zweigstellen gelten als ein Institut1. Die Zweigstelle unterliegt der Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 S. 2 KWG, allerdings mit einer Reihe von Besonderheiten, die sich aus der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit der Zweigstelle ergeben. Diese Abweichungen sind in § 53 Abs. 2 KWG aufgeführt und betreffen insbesondere die Präsenz im Inland (mind. zwei natürliche Personen, § 53 Abs. 2 Nr. 1 KWG), die Buchführung (§ 53 Abs. 2 Nr. 2–3 KWG) und die Eigenmittelausstattung (§ 53 Abs. 2 Nr. 4 KWG)2. 307
§ 53c KWG eröffnet die Möglichkeit, die Vorschriften, die für Zweigstellen von Unternehmen aus EU- bzw. EWR-Staaten gelten (§ 53b Nr. 2 KWG), ganz oder teilweise auch auf Zweigstellen von Drittlandunternehmen anzuwenden. Das erfolgt durch Rechtsverordnung des Bundesfinanzministeriums. Voraussetzung ist die Beaufsichtigung des Drittlandunternehmens in seinem Heimatstaat nach international anerkannten Grundsätzen, die Zusammenarbeit mit der Heimaufsichtsbehörde sowie die Gewährleistung der Gegenseitigkeit (§ 53c Nr. 2 KWG). Entsprechende bilaterale Abkommen bestehen zur Zeit mit den USA, Australien und Japan3. Zweigstellen von Finanzinstituten aus diesen Ländern sind somit teilweise von den Anforderungen des § 53 KWG freigestellt. §53c KWG kann mit dem GATS-Meistbegünstigungsprinzip (Art. II GATS) kollidieren, wenn die bilateralen Abkommen nicht den Anforderungen des Art. V GATS genügen4.
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Repräsentanzen von Drittlandinstituten bedürfen keiner Bewilligung, sondern müssen die Absicht zur Errichtung einer Repräsentanz nur der BaFin sowie der Deutschen Bundesbank mitteilen (§ 53a KWG). Voraussetzung ist, dass das Institut im Herkunftsstaat berechtigt ist, das Bankgeschäft zu betreiben oder Finanzdienstleistungen zu erbringen. Zu beachten ist dabei, dass die Tätigkeit von Repräsentanzen nach der Aufsichtspraxis der BaFin auf repräsentative Funktionen, allgemeine Werbung und Kontaktpflege sowie das Sammeln von volkswirtschaftlichen Informationen beschränkt ist5. Wollen sich Drittstattunternehmen zielgerichtet an Kunden in Deutschland wenden, so müssen sie dazu eine Tochtergesellschaft (§ 32 Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 KWG) oder eine Zweigstelle (§ 32 Abs. 1 i.V.m. § 53 KWG) errichten. Aus wirtschaftsvölkerrechtlicher Sicht ist diese Aufsichtspraxis – die auch der schweizerischen entspricht (Rz. 331 ff.) – nicht grundsätzlich zu beanstanden6.
309
Die Aufsichtspraxis der BaFIn hat auch zur Folge, dass allen drei Erscheinungsformen der kommerziellen Präsenz die reine Vermittlung von Geschäften untersagt ist, denn Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen von Drittlandunternehmen, die in Deutschland Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen erbringen, müssen diese Geschäfte in der deutschen Geschäftseinheit verbuchen und haben dort auch Konten und 1 Zur Bedeutung dieser Fiktion s. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 48. 2 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 49. 3 Verordnung über die Freistellung von Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Gemeinschaft von Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen v. 21.4.1994, BGBl. I, 887; Zweite Verordnung über die Freistellung von Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Gemeinschaft von Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen v. 13.12.1995, BGBl. I, 1082; Dritte Verordnung über die Freistellung von Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Gemeinschaft von Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen v. 2.6.1999, BGBl. I, 1247; dazu Verordnung zur Anpassung von aufsichtsrechtlichen Verordnungen an das CRD IV-Umsetzungsgesetz v. 30.1.2014, BGBl. 2014 I, S. 322. Dazu Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 52. 4 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 52 a.E. 5 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 55; vgl. dazu BaFin, Merkblatt – Hinweise zur Erlaubnispflicht nach § 32 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG von grenzüberschreitend betriebenen Bankgeschäften und/oder grenzüberschreitend erbrachten Finanzdienstleistungen, 1. April 2005, abrufbar unter http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merk blatt/mb_050401_grenzueberschreitend.html (zuletzt abgerufen am 31.3.2016). 6 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 56.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 311
Teil C
Depots zu führen1. Weil bei Vermittlungsgeschäften (agency business) der Vertretene berechtigt und verpflichtet wird, ist eine Buchung im Inland nicht möglich. Dieses faktische Verbot von Vermittlungsgeschäften als Ergebnis von Buchführungsvorschriften ist unverhältnismäßig und damit durch den prutential carve out nicht mehr gedeckt2. Österreich regelt die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur für EU- und EWR Banken (§§ 9–19 BWG), nicht für Drittlandinstitute. Im Verhältnis zur Schweiz findet sich eine Sonderregelung in einem Memorandum zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich, das einen Anhang zum bilateralen Steuerabkommen3 bildet. Demnach können schweizerische Banken für die Erbringung ihrer Dienstleistungen in Österreich eine Konzession erhalten, welche ihr gesamtes Dienstleistungsangebot umfasst („Universalbanken-Lizenz“); ausserdem hat die FMA über die Erteilung der Konzession innerhalb von drei Monaten zu entscheiden (Ziff. 3 MoU).
309a
Liechtenstein hat die Errichtung von Zweigstellen und den Dienstleistungsverkehr von Banken als Drittstaaten in Art. 30p ff. flBankG4 geregelt. Die Errichtung einer Zweigstelle einer Bank oder einer Wertpapierfirma aus einem Drittstaat ist bewilligungspflichtig (Art. 30p Abs. 1 flBankG). Die Bewilligung wird durch die FMA erteilt, wenn die Bank einer konsoliderten Aufsicht untersteht, hinreichend organisiert ist und über genügend qualifiziertes Personal und finanzielle Mittel verfügt, um in Liechtenstein eine Zweigstelle zu betreiben; die Aufsichtsbehörde des Herkunftsmitgliedstaates keine Einwände gegen die Errichtung der Zweigstelle erhebt und die übrigen Bestimmungen des liechtensteinischen Bankenrechts in sinngemäßer Anwendung erfüllt sind (Art. 30p Abs. 2 flBankG). Als Drittlandfirmen gelten auch schweizerische Banken.
309b
b) Aktiver Dienstleistungsverkehr und Korrespondenzdienstleistungen Zum aktiven Dienstleistungsverkehr sowie zu Korrespondenzdienstleistungen (s. Rz. 249) macht das sekundäre Gemeinschaftsrecht keinerlei Vorgaben. Es ist damit ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen Kreditinstitute aus Drittstaaten in ihrem Hoheitsgebiet durch Präsenz natürlicher Personen oder auf dem Korrespondenzweg Finanzdienstleistungen erbringen dürfen.
310
Deutschland hat die Voraussetzungen, unter denen Drittlandfirmen im aktiven Dienstleistungsverkehr tätig werden dürfen, in einem Merkblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) präzisiert5. Nach der bis 2003 massgebenden Aufsichtspraxis war ein Inlandsbezug, der zu einer Bewilligungspflicht nach § 32 KWG führte, nur gegeben, wenn eine wie auch immer geartete physische Präsenz der ausländischen Bank in Deutschland vorlag6. Danach verschärfte die BaFin ihre Praxis und erachtete den Inlandsbezug auch dann als erfüllt, wenn das Drittlandinstitut sich im Inland zielgerichtet an den Markt wendet, um gegenüber Unternehmen oder Personen,
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1 Vgl. dazu das BaFin-Merkblatt, Ziff. 1; Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 57. 2 A.A. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 58 f. 3 Memorandum zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich, Anhang zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt v. 13.4. 2012, AS 2013, 97 [Schweiz] = BGBl. III Nr. 192/2012 [Österreich]. 4 Gesetz v. 21.10.1992 über die Banken und Wertpapierfirmen (Bankengesetz; BankG), LGBl. 1992 Nr. 108. 5 Vgl. BaFin-Merkblatt. Eine gesetzliche Regelung des aktiven Dienstleistungsverkehrs (wie auch der anderen Arten grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung) fehlt im KWG, woraus sich auf den Willen des Gesetzgebers schliessen lässt, diesen erlaubnisfrei zu belassen. Dazu Sethe/ Lehmann in Tietje, § 13 Rz. 60; Hanten, WM 2003, 1412 ff. 6 OLG Frankfurt, WM 1987, 899 f.; vgl. dazu Hanten, WM 2003, 1412 (1414).
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Teil C Rz. 312
Handel mit Dienstleistungen
die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wiederholt und geschäftsmäßig Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen anzubieten1. Damit erfasst die Erlaubnispflicht auch den reinen Korrespondenzdienstleistungsverkehr, bei dem nur die Dienstleistung selbst die Grenze zum Inland überquert. Dazu genügt, dass wesentliche zum Vertragsschluss hinführende Schritte im Inland vorgenommen werden2. Im Ergebnis sind daher ohne Erlaubnis der BaFin im Verhältnis zu Deutschland nur noch Geschäftsbeziehungen aufgrund der passiven Dienstleistungsfreiheit zulässig, die jedoch durch die BaFin sehr restriktiv definiert wurden. Diese Praxisverschärfung war und ist für Drittlandbanken auch deshalb von großer Brisanz, weil deutsche Gerichte § 32 KWG als Schutznorm qualifiziert haben und das Erbringen von grenzüberschreitenden Bankdienstleistungen ohne Erlaubnis der BaFin Schadenersatzfolgen auslösen kann (dazu Rz. 353). 312
Die Vereinbarkeit dieser Aufsichtspraxis mit dem GATS war und ist umstritten; sie ist je nach Dienstleistungsmodus differenziert zu beurteilen, weil Deutschland je nachdem unterschiedliche Liberalisierungspflichten übernommen hat3. Kritisch ist v.a. die Anlageberatung, die seit der Umsetzung von MiFID in das deutsche Recht als erlaubnispflichtige Wertpapierdienstleistung qualifiziert. Eine Erlaubnispflicht für die reine Anlageberatung ist jedoch mit der Standstill-Pflicht nach Abschn. A der GATSVerständigungsvereinbarung (dazu Rz. 115) nicht vereinbar. Demgegenüber bestehen keine Liberalisierungspflichten für die Erbringung von Finanzdienstleistungen mittels Post, Telefax, Email oder Internet4.
313
Drittlandbanken können allerdings für bestimmte Geschäftsbereiche eine Freistellung von der Erlaubnispflicht nach § 2 Abs. 4 KWG beantragen5. Diese Freistellung ermöglicht eine Direktansprache nur, aber immerhin, von institutionellen Kunden6. Privatkunden dürfen nur direkt angesprochen werden, wenn die Geschäftsbeziehung durch ein deutsches oder EWR-Institut angebahnt worden ist7. Schweizer Banken mit einer Tochtergesellschaft im EWR können diese für die Anbahnung benutzen; andere sind auf die Zusammenarbeit mit einer lokalen Bank angewiesen8. Dieses Verfahren ermöglicht zwar, Bankdienstleistungen im aktiven Dienstleistungsverkehr zu erbringen, doch ist die Anbahnung der Geschäftsbeziehung aufwändig.
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Für schweizerische Institute steht als Alternative zum Freistellungsverfahren nach § 2 Abs. 4 KWG seit Anfang 2014 ein vereinfachtes Freistellungsverfahren zur Verfügung. Dieses ist in einem zwischenstaatlichen Memorandum „zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich“9 enthalten, das als 1 Vgl. BaFin-Merkblatt, Ziff. 1. Das BVerwG hat die Verschärfung der Aufsichtspraxis im FidiumEntscheid gebilligt; vgl. BVerwG v. 22.4.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358 Rz. 36, 43. In der Lehre wird diese Rechtsprechung kontrovers beurteilt; zust. z.B. Voge, WM 2007, 381, 383 ff.; Christoph, ZBB 2009, 117 (118 ff.); Ohler, EuZW 2006, 691, 693; krit. demgegenüber Hanten, WM 2003, 1412 (1414); Hanten in Baudenbacher, S. 153 (172 ff.); Rögner, WM 2006, 745 (748 ff.); Steck/Campbell, ZBB 2006, 354 (364 f.); Es-Said, 141 ff., 182 ff.; Blömer, 139 ff., 161 f., 187 ff. Krit. nunmehr (im Rahmen eines obiter dictums) auch BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, BB 2015, 2001 = DB 2015, 2016. 2 BVerwG v. 22.4.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358 Rz. 36, 43; ihm folgend OLG München v. 30.10.2013 – 20 U 603/12, juris Rz. 24; Vgl. Elixmann, EWiR 2009, 553; Seebach, WM 2010, 733 ff. 3 Einlässlich Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 63 ff. 4 Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 63 ff. 5 Vgl. Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesensgesetz, 4. Aufl. 2012, § 53 Rz. 143 ff.; Loff, GesKR 2014, 377. 6 Loff, GesKR 2014, 377; vgl. BaFin-Merkblatt, Ziff. 2. 7 Loff, GesKR 2014, 377; vgl. BaFin-Merkblatt, Ziff. 2. 8 Loff, GesKR 2014, 377; vgl. BaFin-Merkblatt, Ziff. 2. 9 Das Memorandum findet sich im Anhang zu einem Briefwechsel v. 3.7./15.8.2013 zwischen der Schweiz und Deutschland zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Finanzbereich, AS 2013, 3677.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 316
Teil C
einziges Element des ursprünglich geplanten Steuerabkommens1 überlebt hat und am 1.1.2014 in Kraft getreten ist2. Gestützt darauf haben die BaFin und die eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) die zur Ausführung erforderlichen Verwaltungsvereinbarungen geschlossen3. Wichtigste Verbesserung gegenüber dem Freistellungsverfahren nach § 2 Abs. 4 KWG ist die den Schweizer Banken eröffnete Möglichkeit, sich zielgerichtet an den deutschen Markt zu wenden, ohne dass ein EWR-Institut zwischengeschaltet werden muss4. Voraussetzung ist, dass die Schweizer Bank die in Deutschland geltenden Anleger- und Verbraucherschutzvorschriften beachtet und sich auch an die deutschen Geldwäschereivorschriften hält5. Schweizer Banken sind somit im aktiven Dienstleistungsverkehr mit deutschen Kunden an die kundenbezogenen Aufsichtsregeln des deutschen WpHG (§§ 31 ff. WpHG) sowie die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen6 gebunden7. Dabei geht es im Wesentlichen um Vorgaben zu Kundeninformationen, Kundenberichtspflichten, die Protokollierung von Anlageberatungsgesprächen sowie Vorschriften über Zuwendungen und Nachhandelstransparenz8. Weniger klar ist, welche Geldwäschereivorschriften Schweizer Banken im aktiven Dienstleistungsverkehr mit deutschen Kunden zu beachten haben9. Die Einhaltung deutscher Verbraucherschutz- und Geldwäschereivorschriften ist im Rahmen von jährlichen Regelprüfungen durch die Schweizer Prüfgesellschaften zu bestätigen, wobei die Prüfberichte an die FINMA und die BaFin gehen10. Darüber hinaus kann die BaFin unter bestimmten Voraussetzungen in Absprache mit der FINMA ergänzende Vorortprüfungen durch eine Schweizer Prüfgesellschaft anordnen und sich daran beteiligen11. Erachtet der Prüfer oder die BaFin die Übermittlung von Kundennamen als nötig, erhebt die FINMA diese Informationen selbst und übermittelt die Daten der BaFin12.
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Sehr viel grosszügiger wird der aktive Dienstleistungsverkehr durch Österreich gehandhabt. Grundlage im Verhältnis zur Schweiz ist ein Memorandum zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich, das einen Anhang zum bilateralen Steuerabkommen13 bildet. Diese Verständigungsvereinbarung
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1 Das Abkommen wurde von der Schweiz, nicht jedoch von Deutschland ratifiziert. Vgl. zum Text des Abkommens BBl 2012, 4943. 2 Der Briefwechsel gilt als bilaterales internationales Abkommen. Vgl. FINMA, Vereinfachtes Freistellungsverfahren für Schweizer Banken bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Finanzbereich in Deutschland, FINMA-Mitteilung 54 (2014), 3. 3 Die Ausführungsvereinbarung ist nicht öffentlich, wird interessierten Banken aber auf Anfrage durch die FINMA bzw. die BaFin zur Verfügung gestellt. Vgl. FINMA-Mitteilung 54 (2014), 3. Vgl. dazu auch Eidg. Finanzdepartement, „Schweiz – Deutschland: Klärung beim Marktzugang für Banken“ (16.7.2015). 4 FINMA-Mitteilung 54 (2014), 3. Vgl. Loff, GesKR 2014, 377 ff. 5 FINMA-Mitteilung 54 (2014), 5. Deutschland hat bereits im aktuellen Wertpapierhandelsgesetz normiert, dass gewisse Regelungen auch für Institute in Drittstaaten gelten sollen; die im Rahmen der erleichterten Freistellung einzuhaltenden Bestimmungen gehen jedoch darüber hinaus. Vgl. § 35 Abs. 2 WpHG. 6 Dazu gehören insbesondere die Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV); BaFin-Rundschreiben 4/2010 (WA) betr. Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Vgl. Loff, GesKR 2014, 379. 7 Loff, GesKR 2014, 379 ff. 8 Ausführlich dazu Loff, GesKR 2014, 382. 9 Loff, GesKR 2014, 378 ff. 10 FINMA-Mitteilung 54 (2014), 5. 11 FINMA-Mitteilung 54 (2014), 5. 12 FINMA-Mitteilung 54 (2014), 5. 13 Memorandum zu verfahrensrechtlichen Aspekten grenzüberschreitender Tätigkeiten im Finanzbereich, Anhang zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt v. 13.4.2012, AS 2013, 97.
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Kuhn 217
Teil C Rz. 317
Handel mit Dienstleistungen
vereinfacht die Eröffnung von Bankkonti durch schweizerische Banken für Kunden in Österreich. Demnach ist eine Kontoeröffnung auch ohne physische Präsenz des Kunden in der Schweiz möglich, und zwar auch dann, wenn die Initiative von der Bank ausgeht (Ziff. 1.1 MoU). Die schweizerische Bank benötigt auch keine österreichische Konzession, wenn sie österreichische Vermittler zur Anwerbung von Kunden einsetzt (Ziff. 1.2 MoU). Schließlich können schweizerische Banken österreichischen Kunden auch grenzüberschreitende Informationen und Beratungs-Dienstleistungen in Österreich anbieten, allerdings nur insofern, als diese Tätigkeit auch für österreichische Banken bewilligungsfrei ist (Ziff. 2 MoU). c) Passiver Dienstleistungsverkehr 317
Ohne Erlaubnis betrieben werden kann im Verhältnis zu Deutschland nur der – sehr eng verstandene – passive Dienstleistungsverkehr1. Schweizer Banken können also mit deutschen Kunden weiterhin ohne Erlaubnis der BaFin Geschäftsbeziehungen eingehen, wenn diese auf Initiative des Kunden zustande kommen und nicht ein Fall des aktiven Dienstleistungsverkehrs oder eine Korrespondenzdienstleistung vorliegt. Nach der Praxis der BaFin ist von passivem Dienstleistungsverkehr nur auszugehen, wenn der in Deutschland ansässige Kunde eine Dienstleistung aus eigener Initiative und ohne Aufforderung der Schweizer Bank nachfragt2. Nach zutreffender Auffassung ist diese deutsche Aufsichtspraxis mit GATS nicht vereinbar, denn die Liberalisierungspflichten des Übereinkommens gelten unabhängig davon, auf wessen Initiative die Nutzung im Ausland erfolgt3. Österreich lässt deshalb die Ansprache von österreichischen Kunden durch Schweizer Banken zu Recht in großzügiger Weise zu. 3. Wertpapierdienstleistungen a) Überblick und Anwendungsbereich
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MiFID I sah noch keine gemeinschaftsrechtliche Regelung für den Zugang von Wertpapierdienstleistern aus Drittstaaten zum gemeinsamen Binnenmarkt vor. Dies zu regeln blieb den Mitgliedstaaten überlassen, die häufig eine Präsenz im Inland verlangten4. Im Rahmen der Überarbeitung der MiFID-Richtlinie schlug die Kommission deshalb eine umfassende Harmonisierung der Drittstaatenregelung vor5. Dieser Gegenstand entwickelte sich im Laufe der Verhandlungen zu MiFID II/MiFIR zu einem der umstrittensten Themen überhaupt; eine Verständigung wurde erst kurz vor der definitiven Verabschiedung der Richtlinie erreicht6. Das Ergebnis ist dementsprechend ein unübersichtlicher Kompromiss, der für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zwei Gruppen unterscheidet: – Für Wertpapierdienstleistungen für geeignete Gegenparteien und geborene professionelle Kunden werden die Voraussetzungen, unter denen Anbieter aus Drittstaaten im EWR-Raum tätig sein können, durch MiFIR vereinheitlicht. – Für den Dienstleistungsverkehr mit gekorenen professionellen Kunden sowie Privatkunden wurde demgegenüber nur insofern eine Vereinheitlichung erreicht, als die Mitgliedstaaten gewisse Vorgaben beachten müssen, wenn sie die Errichtung einer Zweigniederlassung verlangen (s. Rz. 325). Machen sie von dieser Option nicht Gebrauch, so gilt nur, aber immerhin, dass Drittstaatsunternehmen nicht vorteilhafter behandelt werden dürfen als Wertpapierfirmen aus dem EWR. 1 2 3 4 5
FINMA-Mitteilung 54 (2014), 4; vgl. auch Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 63. Loff, GesKR 2014, 376; Freiwald, WM 2008, 1537 ff. (1545); Christoph, ZBB 2009, 117 ff. (120). Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 66. Sethe, SZW 2014, 618; Bartholet, SZW 2013, 388 f. Vgl. Vorschlag der Kommission für [MiFIR], KOM (2011) 652, 15; Vorschlag der Kommission für [MiFID II], KOM (2011) 656, 11. 6 Sethe, SZW 2014, 620 m.w.Hinw.; zur Entstehungsgeschichte Eichhorn/Klebeck, RdF 2014, 192.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 323
Teil C
Die Drittstaatenregelungen von MiFID II und MiFIR sind auf den aktiven Dienstleistungsverkehr sowie die kommerzielle Präsenz mittels Zweigniederlassung ausgerichtet. Bei kommerzieller Präsenz durch Errichtung einer Tochtergesellschaft in einem EWR-Mitgliedstaat findet demgegenüber MiFIR II/MiFIR direkt Anwendung, nicht qua Drittstaatenregelung1, denn die Tochtergesellschaft gilt als EU-Unternehmen. Für den passiven Dienstleistungsverkehr gilt die Drittstaatenregelung wiederum nicht (vgl. Rz. 328 f.).
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b) Geeignete Gegenparteien und geborene professionelle Kunden Die Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen aus einem Drittland Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten für geborene professionelle Kunden oder geeignete Gegenparteien erbringen darf, bestimmen sich nach Art. 46 ff. MiFIR. Diese Regelung ist abschließend und unmittelbar anwendbar. Eine Pflicht zur Errichtung einer Zweigniederlassung ist nicht vorgesehen und darf durch die Mitgliedstaaten auch nicht vorgeschrieben werden2.
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Das Drittlandunternehmen muss sich in einem öffentlichen Register bei der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) eintragen lassen (Art. 46 ff. MiFIR). Dazu müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein (Art. 46(2) MiFIR): – Die Kommission hat einen Beschluss gefasst, wonach die Aufsichts- und Wohlverhaltensregeln im Heimatstaat des Unternehmens denen der MiFID II und CRD IV gleichwertig sind (Gleichwertigkeitsbeschluss; Art. 46(2)(a), 47 MiFIR). Hierzu müssen Drittlandunternehmen einer Erlaubnispflicht, laufenden Beaufsichtigungsund Durchsetzungsmaßnahmen, hinreichenden Mindestkapitalvorschriften sowie angemessenen Vorschriften im Hinblick auf ihre Anteilseigner und die Geschäftsleitung unterliegen. Weiter sind angemessene Organisationsvorschriften, Wohlverhaltensregeln und Vorschriften zur Sicherstellung von Markttransparent und Integrität zu beachten (Art. 47 Abs. 1 a–e MiFIR). – Die Kommission muss ferner feststellen, dass ein Drittstaat ein effizientes und gleichwertiges System zur Anerkennung von Wertpapierfirmen vorhält, die unter der jeweiligen Rechtsordnung des Drittstaates registriert sind. – Das Unternehmen ist in seinem Herkunftsstaat zur Erbringung der jeweiligen Dienstleistungen zugelassen und untersteht einer wirksamen Aufsicht. – Zwischen ESMA und der zuständigen Drittstaatenbehörde bestehen Kooperationsvereinbarungen, u.a. über den Austausch von Informationen und die Koordination von Aufsichtstätigkeiten.
321
Ein bei der ESMA registriertes Drittstaatenunternehmen ist verpflichtet, potentielle EU-Kunden darüber zu informieren, dass es Dienstleistungen nur gegenüber geborenen professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien erbringen darf und in der EU keiner Aufsicht unterliegt (Art. 46 Abs. 5 MiFIR). Ferner muss es anbieten, sich bezüglich der Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit seinen Dienstleistungen oder Tätigkeiten entstehen, einem Gericht innerhalb der EU zu unterwerfen (Art. 46 Abs. 6 MiFIR).
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Solange kein Gleichwertigkeitsbeschluss der Kommission im Hinblick auf einen bestimmten Drittstaat existiert, können Mitgliedstaaten Unternehmen aus solchen Drittstaaten gestatten, gegenüber geeigneten Gegenparteien und geborenen professionellen Anlegern weiterhin Wertpapierdienstleistungen zu erbringen, falls dies nach den jeweiligen nationalen Vorschriften gestattet ist (und mit diesen in Einklang steht). Darüber hinaus enthält MiFIR eine Übergangsregelung, nach der Drittstaatenunternehmen ihre Dienstleistungen und Tätigkeiten weiterhin für einen Zeitraum von
323
1 Sethe, SZW 2014, 623. 2 Eichhorn/Klebeck, RdF 2014, 194.
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Kuhn 219
Teil C Rz. 324
Handel mit Dienstleistungen
bis zu drei Jahren nach Erlass eines Gleichwertigkeitsbeschlusses der Kommission im Hinblick auf den jeweiligen Drittstaat im Einklang mit den nationalen Vorschriften erbringen bzw. ausüben können (Art. 54 Abs. 1 MiFIR). c) Privatkunden und gekorene professionelle Kunden 324
Erbringt ein Drittlandunternehmen Dienstleistungen für Privatkunden und gekorene professionelle Kunden, so ist die Drittlandregelung in Art. 39(1) MiFID II einschlägig1. Nach dieser Bestimmung kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass Drittlandunternehmen Wertpapierdienstleistungen in diesem Mitgliedstaat nur durch eine dort zugelassene Zweigniederlassung erbringen dürfen. Die Pflicht zur Errichtung einer Zweigniederlassung kann, muss aber nicht vorgeschrieben werden. Die Mitgliedstaaten sind m.a.W. frei, die Bedienung von Retailkunden auch weiterhin in den GATS-Modi 2 und 3 zuzulassen.
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Macht ein Mitgliedstaat von der Option Gebrauch, die Errichtung einer Zweigniederlassung zu verlangen, so vereinheitlicht Art. 39(2) MiFID II die Bedingungen, unter denen die Zweigstelle zur Tätigkeit in der EU zuzulassen ist. Dazu müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: – Das Drittlandunternehmen ist für die Erbringung der Dienstleistungen in seinem Herkunftsstaat zugelassen und unterliegt dort einer Aufsicht. – Das Drittland befolgt die Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. – Zwischen dem Mitgliedstaat und der Aufsichtsbehörde des Drittlandes bestehen Kooperationsvereinbarungen, auch hinsichtlich des Austausches von Informationen zwecks Bewahrung der Integrität des Marktes und des Schutzes der Anleger. – Der Zweigniederlassung steht Anfangskapital in ausreichender Höhe zur freien Verfügung. – Es wurde eine Geschäftsleitung der Zweigniederlassung bestellt, die aus einer oder mehreren Personen bestehen kann, die den Anforderungen der MiFID II genügen. – Der Aufnahmemitgliedstaat und das Drittland haben einen Vertrag über den Austausch von Steuerinformationen im Einklang mit Art. 26 des OECD-Musterabkommens2 abgeschlossen, der einen effizienten Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten sicherstellt. – Das Unternehmen gehört einem anerkannten oder zugelassenen Anlegerentschädigungssystem an.
326
Zu beachten ist, dass die Zweigniederlassung einer Drittlandfirma, die gestützt auf Art. 39(2) MiFID II zugelassen wird, weder Dienstleistungsfreiheit noch ein Niederlassungsrecht in anderen Mitgliedstaaten erlangt (Erwägungsgrund 109 MiFID II). Ferner untersagt die Richtlinie ausdrücklich, dass solche Zweigniederlassungen gegenüber EU-Wertpapierfirmen bevorzugt behandelt werden dürfen (Erwägungsgrund 109 MiFID II; Art. 41 Abs. 2 MiFID II). Angesichts der weitreichenden Anforderungen an Organisation und Führung der Zweigniederlassung stellt sich für Drittlandfirmen die Frage, ob sie nicht direkt den Schritt zu einer Tochtergesellschaft machen wollen, die sich ohne Einschränkungen auf den europäischen Pass berufen kann.
327
Für Deutschland gelten die Ausführungen zum grenzüberscheitenden Bankgeschäft (s. Rz. 311 ff.) für Wertpapierdienstleistungen sinngemäß. Grundsätzlich sind also auch Wertpapierdienstleistungen, die sich an Kunden im Inland richten, gem. § 32 KWG erlaubnispflichtig. Ebenso besteht hier die Möglichkeit einer Freistellung nach § 4 1 Vgl. dazu Eichhorn/Klebeck, RdF 2014, 191 ff. 2 Vgl. OECD, OECD-Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, Paris 2014.
220 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 330
Teil C
Abs. 2 KWG. Für Schweizer Wertpapierdienstleister steht schließlich das vereinfachte Freistellungsverfahren nach der zwischenstaatlichen Vereinbarung von 2014 zur Verfügung (s. Rz. 314). Auch im Verhältnis zu Österreich kann auf die Ausführungen in Rz. 316 verwiesen werden. d) Passiver Dienstleistungsverkehr Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen erlaubten und untersagten Handlungsweisen im passiven Dienstleistungsverkehr, wenn sich der Kunde also in das Drittland begibt und dort Finanzdienstleistungen in Anspruch nimmt (Modus 2, Rz. 249)1. Grundsätzlich ist das zulässig, wie auch die Erwägungsgründe 111 MiFID II und 43 MiFIR klarstellen; ein Verbot wäre im Übrigen auch gar nicht GATS-konform. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kunde sich ausschließlich auf eigene Initiative an den Drittlandanbieter wendet. Wann eine ausschließlich eigene Initiative vorliegt und wann nicht, ist eine schwierige Frage.
328
Erwägungsgrund 111 MiFID II hält dazu fest, dass eine Eigeninitiative des Kunden nicht vorliegt, wenn eine Drittlandfirma sich aktiv um Kunden oder potenzielle Kunden in der Union bemüht oder Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten zusammen mit Nebentätigkeiten in der Union fördert oder dafür Werbung treibt. Individualisierte Werbung, die sich an Kunden in der EU richtet, ist demnach unzulässig2. Wendet sich der Kunde aufgrund einer nicht personenbezogenen Werbung oder eines allgemeinen Kaufangebots an die Drittlandfirma, so liegt demgegenüber kein gezieltes Anwerben vor3. Weiter ergibt sich aus den Erwägungsgründen, dass die Drittlandfirma Teilakte der Dienstleistung auf dem Gebiet der Union erbringen darf, sofern der Vertragsschluss ausschließlich auf eigene Initiative des Kunden im Drittland erfolgt ist4. Schließlich bestimmt Art. 42 MiFID II auch, dass eine Eigeninitiative des Kunden die Drittlandfirma nicht berechtigt, diesem Kunden „neue Kategorien von Anlageprodukten oder Wertpapierdienstleistungen … auf anderem Wege als über die Zweigniederlassung zu vermarkten, wenn eine solche nach nationalem Recht vorgeschrieben ist.“5
329
Die Grenze, die MiFID II zwischen dem erlaubten und dem nicht erlaubten passiven Dienstleistungsverkehr zu ziehen versucht, ist zwar etwas deutlicher erkennbar als die bisherige nationale Praxis, in einer Reihe von Punkten aber immer noch nicht hinreichend klar. Gesamthaft dürfte sie jedoch weniger restriktiv sein als die bisherige Praxis der BaFin, die nur Sympathiewerbung von der Erlaubnispflicht ausgenommen hatte, bei Produktewerbung jedoch diese Pflicht hatte eingreifen lassen6. Auch das Erbringen von Teilakten auf deutschem Gebiet war bisher ausweislich der Wortlauts von § 31 Abs. 10 WpHG nicht zulässig7.
330
1 2 3 4
Vgl. Sethe, SZW 2014, 620 f. Sethe, SZW 2014, 621. Sethe, SZW 2014, 621. Vgl. Erwägungsgründe 111 MiFID II [„Die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder die Ausübung von Anlagetätigkeiten durch Drittlandfirmen in der Union sollte nicht die Möglichkeit für in der Union ansässige Personen beeinträchtigen, Wertpapierdienstleistungen einer Drittlandfirma auf ihre eigene ausschließliche Veranlassung in Anspruch zu nehmen. Erbringt eine Drittlandfirma auf eigene Initiative einer in der Union niedergelassenen Person Dienstleistungen, sollten diese nicht als im Gebiet der Union erbracht anzusehen sein. Falls eine Drittlandfirma sich aktiv um Kunden oder potentielle Kunden in der Union bemüht oder Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten zusammen mit Nebentätigkeiten in der Union fördert oder dafür Werbung treibt, sollte dies nicht als ein Dienst angesehen werden, der auf eigene ausschließliche Veranlassung des Kunden erbracht wird.“]; im wesentlichen gleichlautend Erwägungsgrund 43 MiFIR; vgl. dazu auch Sethe, SZW 2014, 622. 5 Sethe, SZW 2014, 621. 6 Sethe, SZW 2014, 621 Fn. 36. 7 Sethe, SZW 2014, 622.
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Kuhn 221
Teil C Rz. 331
Handel mit Dienstleistungen
4. Zugang zum schweizerischen Markt für Finanzdienstleistungen 331
Die Schweiz hat bislang den Zugang zum schweizerischen Markt relativ liberal gehandhabt. Den schweizerischen Aufsichtsgesetzen unterstehen grundsätzlich Unternehmen, die in der Schweiz oder von der Schweiz aus eine organisierte, regelmäßig ausgeübte Tätigkeit als Bank oder Effektenhändler ausüben1. Dabei knüpft schweizerisches Aufsichtsrecht primär an den statutarischen bzw. gesellschaftsrechtlichen Sitz in der Schweiz an, unabhängig davon, ob die Tätigkeit auf die Schweiz ausgerichtet ist oder nicht2. Darüber hinaus findet schweizerisches Aufsichtsrecht auch auf Gesellschaften Anwendung, die ihren statutarischen oder gesellschaftsrechtlichen Sitz im Ausland haben, aber in der Schweiz tätig sind3. Das gilt auch, wenn ein Unternehmen seine grenzüberschreitende Tätigkeit durch eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder eine Vertretung ausübt4. Auch Briefkastengesellschaften oder virtuelle Institute, die auf ihrer Website eine Schweizer Adresse oder eine Schweizer Telefonnummer angeben, unterliegen schließlich schweizerischem Aufsichtsrecht5.
332
Konkretisiert wird der internationale Geltungsbereich des Banken- (BankG) bzw. des Börsen- und Effektenhändlergesetzes (BEHG) durch die AuslandsbankenverordnungFINMA6 bzw. die insofern übereinstimmenden Art. 38 ff. BEHV. Eine ausländische Bank bzw. ein ausländischer Effektenhändler bedürfen demnach für ihre Geschäftstätigkeit in der Schweiz einer Bewilligung der FINMA, sofern sie in der Schweiz Personen beschäftigt, die dauernd und gewerbsmäßig in der Schweiz oder von der Schweiz aus (i) Geschäfte abschließen, Kundenkonten führen oder sie rechtlich verpflichten (Zweigniederlassungen) oder (ii) Kundenaufträge weiterleiten oder vertreten (Art. 2 Auslandsbankenverordnung-FINMA; Art. 39 Abs. 1 BEHV). Wird die Bewilligung erteilt, so unterstehen die Auslandsbank bzw. der ausländische Effektenhändler den Bestimmungen des BankG bzw. des BEHG (Art. 3 Abs. 1 Auslandsbankenverordnung-FINMA; Art. 40 BEHV). Auch Vertretungen ausländischer Banken in der Schweiz bedürfen einer Bewilligung, und zwar nicht nur, wenn sie Kundenaufträge entgegennehmen und weiterleiten, sondern auch, wenn sie das Stammhaus zu Werbe- oder anderen Zwecken vertreten (Art. 2 Abs. 1 Bst. b Auslandsbankenverordnung-FINMA).
333
Keiner Bewilligungspflicht unterliegen e contrario rein grenzüberschreitende Dienstleistungen vom Ausland in die Schweiz, sofern damit keine dauernde physische Präsenz in der Schweiz verbunden ist (aktiver und passiver Dienstleistungsverkehr)7. Ein ausländisches Unternehmen, das von Schweizer Kunden im Ausland Einlagen entgegennimmt oder Schweizer Firmen Darlehen gewährt, untersteht somit nach schweizerischer Auffassung keiner Bewilligungspflicht8. Ausländische Anbieter, die rein im aktiven und passiven Dienstleistungsverkehr in der Schweiz tätig sind, unterstehen nur der Aufsicht der Behörde ihres Herkunftsstaates. Missbräuche sind gegebenenfalls durch internationale Zusammenarbeit der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden zu unterbinden9. 1 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 82. 2 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 82; B/K/L-Kleiner/Schwob/Kramer, Art. 1 BankG N 6; Wyss/Zulauf, 123. 3 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 83; B/K/L-Kleiner/Schwob/Kramer, Art. 1 BankG N 7; Wyss/Zulauf, 123; vgl. BGE 108 Ib 514 E. 2b. 4 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 83; Wyss/Zulauf, 134 ff.; BGE 130 II 351 E.5.1. 5 Vgl. EBK-Jahresbericht 2001, 94; EBK-Jahresbericht 2003, 63. 6 Verordnung der Eidg. Finanzmarktaufsicht über die ausländischen Banken in der Schweiz (ABVFINMA), AS 2008, 5613. 7 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 85; EBK-Jahresbericht 2001, 99; B/K/L-Kleiner/ Schwob/Kramer, Art. 1 BankG N 8. 8 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 85. 9 BSK BankG-Bahar/Stupp, Art. 1 BankG Rz. 86.
222 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 336
Teil C
Die bisher ausgesprochen liberale Praxis für die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen (Modus 1) unter Einschluss einer Präsenz natürlicher Personen (Modus 4) soll im Vermögensverwaltungsgeschäft in Zukunft leicht verschärft werden. Nach dem Entwurf zu einem neuen Finanzdienstleistungsgesetz (E-FIDLEG) müssen Kundenberater von (in- und ausländischen) Finanzdienstleister, die eine in der Schweiz bewilligungspflichtige Tätigkeit ausüben wollen, sich in ein Berateregister eintragen lassen (Art. 30 ff. E-FIDLEG)1. Als Finanzdienstleister gelten nach Art. 3 Buchst. e E-FIDLEG „alle Personen, die gewerbsmässig Finanzdienstleistungen in der Schweiz oder für Kundinnen und Kunden in der Schweiz erbringen“. Als Finanzdienstleistung qualifizieren dabei die typischen Vermögensverwaltungstätigkeiten, einschließlich der Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die Finanzinstrumente zum Gegenstand haben, der Vermögensverwaltung und Anlageberatung, der Verwahrung von Vermögenswerten auf Rechnung von Kunden, der Kontoführung sowie der Gewährung von Krediten für die Durchführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten (Art. 3 Buchst. d E-FIDLEG).
334
V. Harmonisierung des Europäischen Bankvertragsrechts 1. Überblick Ergänzt wird die Harmonisierung des aufsichtsrechtlichen Rahmens für Bank- und Wertpapierdienstleistungen durch bereichsübergreifende Richtlinien, die insbesondere dem Verbraucherschutz dienen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die AGB-Richtlinie von 1993 (Rz. 336), die 2002 erlassene Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Rz. 337 ff.) sowie die Richtlinie über Verbraucherkreditverträge von 2008 (Rz. 340 ff.). Neueren Datums sind die Hypothekarkreditrichtlinie (Rz. 344 f.) sowie die PRIIPS-Verordnung (Rz. 346 ff.), die beide 2014 verabschiedet worden sind. MiFID II und andere Aufsichtsgesetze begründen Wohlverhaltenspflichten für Finanzdienstleister, die primär mit den Mitteln des Aufsichtsrechts durchgesetzt werden. Bei diesen stellt sich jedoch die Frage nach der Ausstahlung auf das Zivilrecht (Rz. 350 ff.).
335
2. AGB-Richtlinie Auf Verträge über Finanzdienstleistungen ebenfalls anwendbar ist die AGB-Richtlinie von 19932. Demgegenüber findet die jüngere und wesentlich umfassendere Richtlinie über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrichtlinie)3 auf Verträge über Finanzdienstleistungen keine Anwendung (Art. 3 Abs. 3 Buchst. d RL 2011/83/EU). Begründet wird dies mit den bereits bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften, die allerdings weniger weit entwickelt sind als die Verbraucherrechterichtlinie. Die Mitgliedstaaten werden immerhin speziell für Finanzdienstleistungen ermuntert, sich bei der Schaffung von neuen Verbraucherschutzvorschriften im Finanzbereich von der Verbraucherrechterichtlinie anregen zu lassen, „so dass gleiche Ausgangsbedingungen für alle Verbraucher und alle Verträge über Finanzdienstleistungen gewährleistet sind“4.
1 Die Registereintragung setzt voraus, dass der Kundenberater Aus- und Weiterbildungen absolviert hat, über eine Berufshaftpflichtversicherung verfügt und einer Ombudsstelle angeschlossen ist (Art. 31 Abs. 1 E-FIDLEG). 2 Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. Nr. L 095 v. 21.4.1993, S. 29–34. 3 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl. v. 22.11.2011, L 304 S. 64. 4 Vgl. Erwägungsgrund 32 RL 2011/83/EU.
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Kuhn 223
336
Teil C Rz. 337
Handel mit Dienstleistungen
3. Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen 337
Die Fernabsatz-Richtlinie1 von 1997 fand auf Finanzdienstleistungen ausdrücklich keine Anwendung (Art. 3 Abs. 1, 1. Spiegelstrich i.V.m. Anhang II). Diese Lücke wurde 2002 durch die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen2 geschlossen. Sie gilt für Finanzdienstleistungen, zu denen Bank-, Versicherungs-, Zahlungsund Wertpapierdienstleistungen einschließlich Pensionsfonds zählen, die im Fernabsatz an Privatkunden vertrieben werden. Als Fernabsatz gilt jeder Vertriebskanal, der keine gleichzeitige materielle Anwesenheit der Vertragsparteien erfordert. Die Richtlinie erfasst damit den Vertrieb von Finanzdienstleistungen insbesondere über Telefon, Telefax oder Internet.
338
Kern der Richtlinie sind umfassende Informationspflichten gegenüber dem Verbraucher (Art. 3 bis 5) sowie ein Widerrufsrecht (Art. 6). Die Richtlinie räumt dem Verbraucher eine Bedenkzeit ein, bevor dieser einen Vertrag mit dem Anbieter abschließt. Der Anbieter hat dem Verbraucher einen Vertragsentwurf zuzustellen, der alle Vertragsbedingungen enthält. Die Bedenkfrist beträgt 14 Tage. Hat der Verbraucher den Vertrag vor Ablauf der Bedenkfrist unterzeichnet, ohne dass er die Vertragsbedingungen erhalten hat oder weil er dazu auf unlautere Weise verleitet wurde, so kann er den Vertrag innerhalb von 14 Tagen widerrufen.
339
In Deutschland wurde der Regelungsgehalt der Richtlinie in das Recht der Fernabsatzverträge (§§ 312b ff. BGB) integriert3. In Österreich wurde die Richtlinie demgegenüber mit dem Fern-Finanzdienstleistungsgesetz (FernFinG) umgesetzt4. Die Richtlinie gilt auch für die EWR-Mitgliedstaaten5; Liechtenstein hat sie durch das Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz6 in innerstaatliches Recht umgesetzt. 4. Richtlinie über Verbraucherkreditverträge
340
Die 2008 erlassene Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (VKredRL)7 erfasst Verbraucherkredite zwischen Euro 200 und 75.000, also die klassischen Ratenkredite, aber auch Dispositionskredite. Voraussetzung ist, dass der Kredit befristet ist, also eine vertraglich vereinbarte Laufzeit aufweist. Nicht anwendbar ist die VKredRL auf Kredite, die durch Grundpfandrechte gesichert oder für den Erwerb von Grundeigentum bestimmt sind (Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b VKredRL); für diese gilt jedoch ab 2016 die Hypothekarkreditrichtlinie (Rz. 344 ff.). Darüber hinaus gelten zahlreiche weitere Ausnahmen.
341
Die Richtlinie schreibt vorvertragliche Informationspflichten über die Hauptmerkmale des angebotenen Kredits vor, insbesondere zu Laufzeit, Gesamtkreditbetrag, Sollzinssatz und Referenzzinssatz, den effektiven Jahreszins sowie den Barzahlungspreis einer Ware 1 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 S. 19. 2 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. EG Nr. L 271 S. 16. Vgl. dazu Grupp, passim. 3 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2.12.2004, BGBl. 2004 I 64. Zur Umsetzung in Deutschland Grupp, 39 ff. 4 Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz – FernFinG), BGBl. I Nr. 62/2004; dazu Grupp, 97 ff. 5 EWR-Rechtssammlung: Anh. IX – 30d.01. 6 Gesetz v. 15.12.2004 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Konsumenten (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz; FernFinG), LGBl. 2005 S. 36. 7 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. Nr. L 133 v. 22.5.2008, S. 66–92. Diese Richtlinie hat die Richtlinie 87/102/EWG aufgehoben. Sie musste von den Mitgliedstaaten bis zum 12.5.2010 umgesetzt werden.
224 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 345
Teil C
oder einer Dienstleistung, die durch Zahlungsaufschub oder einen verbundenen Kreditvertrag finanziert wird. Die Verbraucher erhalten diese Informationen in Form eines standardisierten Formulars (Anhang II der VKredRL). Der Vertrag muss die wesentlichen Informationen zum ausgewählten Kreditangebot enthalten. Bei Änderungen des Sollzinssatzes wird der Verbraucher über den neuen Betrag, die Anzahl und die Periodizität der Zahlungen informiert. Der Verbraucher kann innerhalb von 14 Tagen ab Vertragsabschluss ein Widerrufsrecht ohne Angabe von Gründen ausüben. Die Verbraucher haben ebenfalls die Möglichkeit der vorzeitigen Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten. Dieses Recht können sie unter der Voraussetzung, dass der Kreditgeber eine angemessene und objektiv gerechtfertigte Entschädigung erhält, jederzeit ausüben. Deutschland hat die Richtlinie als §§ 491 ff. BGB in die Zivilrechtskodifikation integriert1. Österreich hat demgegenüber ein Sondergesetz erlassen, das Verbraucherkreditgesetz2 (VKrG). Die Richtlinie ist auch für die EWR-Staaten verbindlich3; Liechtenstein hat sie durch das Konsumkreditgesetz (KKG)4 umgesetzt.
342
Die Schweiz hat die erste Verbraucherkreditrichtlinie ebenfalls übernommen und mit dem Konsumkreditgesetz vom 8.10.1993 umgesetzt5. Das Gesetz wurde 2001 umfassend revidiert6. Die zweite Verbraucherkreditrichtlinie von 2008 wurde bisher nicht in das schweizerische Recht übernommen.
343
5. Hypothekarkreditrichtlinie (HypoKrRL) Die Richtlinie 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher (HypoKrRL)7 bezweckt die Verwirklichung eines europaweiten Hypothekarkreditmarktes mit einem hohen Schutz der Kreditnehmer. Sie gilt sowohl für grundpfandrechtlich besicherte Kredite als auch für andere Kredite, die zur Finanzierung von Wohnimmobilien gewährt werden. Die Richtlinie wurde am 4.2.2014 angenommen; die Mitgliedstaaten hatten sie bis März 2016 in die nationale Gesetzgebung umzusetzen.
344
Die Richtlinie stellt einerseits für Hypothekarkredite Vorschriften auf, die sinngemäß der VKredRL entsprechen, von deren Anwendungsbereich grundpfandlich sichergestellte Kredite ausgenommen sind (Rz. 340). Um eine Überschuldung der Kreditnehmer zu verhindern, sind Kreditgeber verpflichtet, eine Kreditwürdigkeitsprüfung vorzunehmen. Kreditnehmer sind über die Kreditbedingungen vorgängig zu informieren. Sie haben das Recht zur vorzeitigen Rückzahlung von Krediten. Weiter stellt die Richtlinie Vorschriften über Fremdwährungskredite auf. Schließlich unterstellt die Richtlinie Kreditvermittler einer prudentiellen Regulierung und führt im Gegenzug für Kreditvermittler den Europäischen Pass ein.
345
1 Aktuelle Fassung gemäß dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung v. 20.9.2013, BGBl. I 2013 Nr. 58 v. 27.9.2013, S. 3642–3670. 2 Bundesgesetz über Verbraucherkreditverträge und andere Formen der Kreditierung zugunsten von Verbrauchern (Verbraucherkreditgesetz – VKrG), BGBl. I Nr. 28/2010. 3 EWR-Rechtssammlung: Anh. XIX – 7h.07. 4 Konsumkreditgesetz v. 24.11.2011, LGBl. 2012 S. 1. 5 Die Schweiz hatte sich zur Übernahme der Verbraucherkreditrichtlinie im EWR-Abkommen verpflichtet, das 1992 in der Volksabstimmung scheitert. Gewisse EU-Richtlinien wurden in der Folge im Rahmen der sog. Swisslex-Vorlage dennoch in das schweizerische Recht übernommen; vgl. Botschaft v. 24.2.1993 über das Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens, BBl. 1993 I 882 ff. 6 Vgl. Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG) v. 23.3.2001, AS 2002, 3846. 7 Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher, ABl. Nr. L 60 v. 28.2.2014, S. 34–85.
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Kuhn 225
Teil C Rz. 346
Handel mit Dienstleistungen
6. PRIIPS-Verordnung 346
Informationspflichten über Anlageprodukte für Kleinanleger waren bisher spezifisch für bestimmte Produkte und/oder Vertriebswege vorgesehen1. Die Verordnung über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte (PRIIPS-Verordnung)2 wird dazu erstmals produkteübergreifende Vorschriften aufstellen. Kern der Verordnung ist ein standardisiertes Basisinformationsblatt, das auf höchstens drei Seiten die wichtigsten Eigenschaften von Anlageprodukten in verständlicher Form darstellen soll.
347
Vorverpackte Anlageprodukte (packaged retail and insurance-based investment products, PRIIPs) sind Anlagen in verpackter Form, die einem Anlagerisiko unterliegen. Verpackt sind Anlageprodukte, in die der Anleger nicht direkt investiert, sondern bei denen der Anlageproduktanbieter verschiedene Vermögenswerte kombiniert, ummantelt oder bündelt. Dazu zählen geschlossene und offene Investmentfonds, Versicherungsprodukte mit Anlagecharakter wie fondsgebundene Lebensversicherungen, strukturierte Finanzprodukte (etwa Optionsscheine), Anlagen in Form von Versicherungen (insurance wrapper), Wertpapieren oder Bankprodukten sowie Finanzprodukte, deren Wert sich von Referenzwerten wie Aktien- oder Wechselkursen ableitet (Derivate)3. Nicht als verpacktes Anlageprodukt gelten Versicherungsprodukte ohne Rückkaufwert oder mit festem Rückkaufwert; von einem Zinssatz (z.B. EURIBOR oder LIBOR) abhängige Einlagen, direkt gehaltene Aktien oder Unternehmensanleihen, betriebliche Altersversorgungssysteme sowie Staatsanleihen.
348
Der Anlageproduktanbieter muss für jedes aufgelegte Anlageprodukt ein Basisinformationsblatt erstellen (Art. 5). Dieses muss kurz, präzise, „leicht verständlich“ und nicht „irreführend“ sein sowie „Jargon“ und Fachtermini vermeiden (Art. 6 Abs. 1–3). Das Basisinformationsblatt hat einem standardisierten Aufbau zu entsprechen (Art. 8 Abs. 1, 2 und 4). Der Verkäufer eines Anlageproduktes muss dem Kleinanleger das Basisinformationsblatt kostenlos und „rechtzeitig vor“ Geschäftsabschluss zur Verfügung stellen (Art. 12 Abs. 1, Art. 13). Der Anlageproduktanbieter haftet für Schäden eines Kleinanlegers, der seine Anlageentscheidung auf ein Basisinformationsblatt gestützt hat, das die Anforderungen der Verordnung nicht erfüllt (Art. 11 Abs. 1). Weist der Kleinanleger einen Schaden nach, der sich aus der „Verwendung“ des Basisinformationsblattes ergibt, obliegt es dem Anlageproduktanbieter zu beweisen, dass das Basisinformationsblatt die Anforderungen der Verordnung erfüllt (Beweislastumkehr, Art. 11 Abs. 2).
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Die Verordnung ist am 15.4.2014 verabschiedet worden. Sie gilt ab dem 31.12.2016; bis dahin werden die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) in technischen Regulierungsstandards weitere Inhalte der künftigen Regulierung konkretisieren4. Die Verordnung ist unmittelbar in den EU-Mitgliedsstaaten anzuwenden; einer Umsetzung in nationales Recht bedarf es insoweit nicht. Die Verordnung ist auch für den EWR von Bedeutung5. 1 Vgl. Art. 68 ff., 78 ff. UCITS IV. 2 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.11.2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIPS-Verordnung), ABl. Nr. L 352 v. 9.12.2014, S. 1–23; vgl. auch den Vorschlag der EU-Kommission, COM(2012) 352 v. 3.7.2012. 3 PRIIPS-Verordnung, Erwägungsgründe 6 und 7. 4 Die EU-Finanzmarktagenturen haben Ende 2015 einen gemeinsamen Vorschlag für Technische Regulierungsstandards zur PRIIPS-Verordnung vorgelegt; vgl. Joint Committee of the European Supervisory Authorities, PRIIPs Key Information Documents, Joint Consultation Paper, JC 2015 073, 11.11.2015. 5 Bis Mitte 2016 lag jedoch kein Vorschlag des Gemeinsamen ERW-Ausschusses für die Übernahme der PRIIPS-Verordnung in den Anhang zum EWR-Vertrag vor.
226 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 353
Teil C
7. Ausstrahlung des Aufsichtsrechts auf das Zivilrecht Viele für Finanzdienstleistungen relevante Richtlinien und Verordnungen postulieren Verhaltensregeln, die Finanzdienstleister gegenüber ihren Kunden beachten müssen (Wohlverhaltensregeln, business conduct rules). Solche Vorschriften sind zunächst einmal aufsichtsrechtlich zu qualifizieren; ihre Verletzung löst dementsprechend primär aufsichtsrechtliche Rechtsfolgen aus. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, inwiefern sie auch auf das privatrechtliche Verhältnis des Finanzdienstleisters zu seinem Kunden ausstrahlen.
350
Das Gemeinschaftsrecht nimmt zu dieser Frage keine Stellung. Der EuGH hat im Fall Genil/Bankinter1 festgehalten, dass die MiFID-Richtlinie zwar vorsieht, dass bei Verstößen gegen die Wohlverhaltenspflichten Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden müssen. Demgegenüber bestimmt die Richtlinie nicht, dass die Mitgliedstaaten vertragliche Folgen für den Abschluss von Verträgen vorsehen müssen, in denen die Verpflichtungen missachtet werden. In Ermangelung einer Regelung der Union hierzu kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, die vertraglichen Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen festzulegen2. Dabei müssen sie nur, aber immerhin, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet3.
351
Für Deutschland hat der BGH wiederholt entschieden, dass den öffentlich-rechtlichen Wohlverhaltenspflichten (gem. §§ 31 ff. WpHG) keine eigenständige, über die zivilrechtlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten hinausgehende schadensersatzrechtliche Bedeutung zukommt und dass es sich bei diesen Normen insbesondere nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt4. Dies gilt selbst dann, wenn den Wohlverhaltensregeln eine anlegerschützende Funktion zukommt. Nach Auffassung des BGH erfordern auch die bei der Umsetzung von EU-Richtlinienrecht einzuhaltenden Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität keine zivilrechtlichen Sanktionsvorschriften; im deutschen Recht sei diesen Grundsätzen bereits dadurch Genüge getan, dass die MiFID-Richtlinie aufsichtsrechtlich durch Aufnahme entsprechender Regelungen im WpHG umgesetzt wurde5. In seinem Kick-back-Urteil vom 3.6.2014 hat der BGH dann allerdings eine Erweiterung von zivilrechtlichen Aufklärungspflichten der Banken über Rückvergütungen primär mit aufsichtsrechtlichen Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten begründet6. Diese wirkten zwar grundsätzlich nicht auf das privatrechtliche Schuldverhältnis zwischen der Bank und dem Kunden ein, doch sei der vom Gesetzgeber in Bezug auf Zuwendungen Dritter verwirklichte Transparenzgedanke auch auf die Bestimmung des notwendigen Inhalts eines Beratungsgesprächs zu übertragen. Der Anleger könne eine entsprechende Beratung erwarten und voraussetzen, dass die beratende Bank die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beachte7.
352
Darüber hinaus gelten die aufsichtsrechtlichen Vorschriften über die Bewilligungspflicht von Finanzdienstleistungen (§ 32 KWG) nach st. Rspr. der deutschen Gerichte
353
1 EuGH v. 30.5.2013 – Rs. C-604/11 – Genil 48 SL/Bankinter SA. 2 EuGH v. 30.5.2013 – Rs. C-604/11 – Genil 48 SL/Bankinter SA, Rz. 57; vgl. dazu auch EuGH v. 19.7.2012 – Rs. C-591/10 – Littlewoods Retail u.a., Rz. 27 m.w.H. 3 EuGH v. 30.5.2013 – Rs. C-604/11 – Genil 48 SL/Bankinter SA, Rz. 57 f. 4 BGH v. 27.9.2011 – XI ZR 182/10 – Lehman; BGH v. 17.9.2013 – XI ZR 332/12, DB 2013, 2385 = WM 2013, 1983. Vgl. dazu Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, Eine Untersuchung zum Verhältnis der 31 ff. WpHG und zivilrechtlichem Beratungsvertrag, Tübingen 2013, passim; Krisl, Die Schutzgesetzeigenschaft der Wohlverhaltenspflichten nach den §§ 31 ff. WpHG, Eine systematische Aufarbeitung des status quo seit Geltung des Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG), Wien 2013, passim. 5 BGH v. 17.9.2013 – XI ZR 332/12, ZIP 2012, 1852; dazu auch Herresthal, ZIP 2013, 1420. 6 BGH v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310. 7 BGH v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, BGHZ 201, 310.
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Kuhn 227
Teil C Rz. 354
Handel mit Dienstleistungen
als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB1. Deshalb wird schadenersatzpflichtig, wer in Deutschland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert, Finanzdienstleistungen erbringt, ohne über die dazu nach § 32 KWG notwendige Erlaubnis des BaFin zu verfügen. Voraussetzung ist Verschulden des Beklagten. Ferner muss die fehlende Erlaubnis schadensübersächlich sein, wobei die Gerichte bisher in der Regel davon ausgegangen sind, dass das fragliche Geschäft nicht zustande gekommen wäre, wenn der Finanzdienstleister sich an die aufsichtsrechtlichen Vorschriften gehalten hätte2. 354
Im schweizerischen Recht qualifizieren h.L. und Rechtsprechung die börsengesetzlichen Verhaltensregeln (Art. 11 BEHG) als Doppelnorm, die sowohl aufsichtsrechtlichen als auch privatrechtlichen Zwecken dient (sog. Doppelnormtheorie)3. Deshalb kann Art. 11 BEHG von den Behörden von Amtes wegen angewendet wie auch von den Vertragsparteien als Haftungsgrundlage angerufen werden. Rechtsdogmatisch ist Art. 11 BEHG in privatrechtlicher Hinsicht als gesetzliche Normierung der vertraglichen Nebenpflichten bzw. der vorvertraglichen Pflichten aufzufassen4. In aufsichtsrechtlicher Hinsicht stellen die Verhaltenspflichten von Art. 11 BEHG eine Konkretisierung der in Art. 10 Abs. 2 Buchst. d BEHG enthaltenen Anforderungen an eine einwandfreie Geschäftsführung dar5.
VI. Internationales Zivilverfahrensrecht 1. Rechtsquellen 355
Die internationale Zuständigkeit der Gerichte sowie die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen gerichtlichen Entscheidungen wird für alle hier relevanten Rechtsordnungen unter Einschluss der Schweiz, aber mit Ausnahme von Liechtenstein (dazu Rz. 358), durch weitgehend identische Rechtsakte geregelt. Für die Mitgliedstaaten der EU gilt seit dem 10.1.2015 die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-Verordnung; EuGVVO)6. Sie ersetzt die Verordnung vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-Verord1 Vgl. Arter/Bloch, AJP 2012, 123 ff.; BGH v. 21.4.2005 – III ZR 238/03, lexetius.com/2005, 998; BGH, 8.5.1973 – VI ZR 164/71, NJW 1973, 1547, 1549. Vgl. jedoch nunmehr BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, BB 2015, 2001 = DB 2015, 2016 Rz. 24 ff., 34. In dieser Entscheidung wies der BGH letztinstanzlich eine Schadenersatzklage eines deutschen Anlegers gegen ein Schweizer Finanzinstitut ab, das ohne Erlaubnis der BaFin gem. § 32 KWG in Deutschland grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen anbot. Der BGH ließ offen, ob ein Bankgeschäft oder eine Finanzdienstleistung im Inland vorlag und verneinte den Schutznormcharakter von § 32 KWG, weil „[d]ie Erlaubnispflicht von Einlagengeschäften … nicht zu verhindern [bezweckt], dass von dem Einlagenkonto aus durch den Bankkunden verlustbringende Anlagegeschäfte getätigt oder anderweitig geschlossene Verträge erfüllt werden, die nicht in den Verantwortungsbereich des Kreditinstituts fallen.“ 2 BGH v. 21.4.2005 – III ZR 238/03, lexetius.com/2005,998, Rz. 36; contra BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, BB 2015, 2001 = DB 2015, 2016 Rz. 34. 3 Vgl. BGE 133 III 97, SZW 2007, 166 (Sibbern/von der Crone); BVerwG v. 4.3.2008 – B-3708/2007, E. 3.1; dazu Weber, Finanzdienstleistungen im Spannungsfeld von Zivil- und Aufsichtsrecht, SJZ 2013, 405; Wiegand/Wichtermann, Der Einfluss des Privatrechts auf das öffentliche Bankrecht, in: Wiegand (Hrsg.), Die Banken im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, Berner Bankrechtstag 1999, 119 ff., 146 ff.; Emmenegger, Verhaltensregeln am Point of Sale: Anlegerschutz an der Schnittstelle zum Kunden, SZW 2011, 278 ff. 4 Sibbern/von der Crone, Informationspflichten im Anlagegeschäft, Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts 4C.270/2006 (BGE 133 III 97) v. 4.1.2007 i.S. X. (Kläger und Berufungskläger) gegen Y. AG (Beklagte und Berufungsbeklagte), SZW 2007, 166 (168). 5 BVerwG v. 4.3.2008 – B-3708/2007, E. 3.1. 6 ABl. Nr. L 351 v. 20.12.2012, S. 1.
228 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 359
Teil C
nung)1, die ihrerseits an Stelle des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (EuGVÜ) vom 27.9.19682 getreten war. Durch die Neuordnung entfällt insbesondere das Exequatur-Verfahren im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens (Art. 39 EuGVVO); ein verbesserter Schutz von Verbrauchern und Arbeitsnehmern und eine Stärkung der Gerichtsstandsvereinbarungen. Die Verordnung findet ab dem 10.1.2015 in 27 EU-Mitgliedstaaten direkt und mittelbar auch in Dänemark Anwendung. Dänemark ist durch die Verordnung zwar nicht gebunden (Art. 1 Abs. 3 EuGVVO), hat mit der Gemeinschaft jedoch vereinbart, dass sie auch für und im Verhältnis zu Dänemark Anwendung findet3. Für die EFTA-Staaten Island, Norwegen und die Schweiz gilt das inhaltlich fast wörtlich mit der Brüssel-I-Verordnung übereinstimmende Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ)4. Das aktuelle LugÜ datiert vom 30.10. 2007; es handelt sich um das Nachfolgeabkommen zum ersten Lugano-Übereinkommen vom 16.9.1988 und entspricht der Brüssel-I-Verordnung. Ob und wann das Lugano-Übereinkommen an die Brüssel-Ia-Verordnung angepasst wird, ist offen.
356
EuGVVO und LugÜ finden grundsätzlich nur Anwendung, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat (Art. 4 f. EuGVVO; Art. 3 Abs. 1 LugÜ). Hat der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Nicht-Vertragsstaat, so bestimmt sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte grundsätzlich nach dem autonomen Recht dieses Staates (Art. 6 EuGVVO; Art. 4 LugÜ). Ausnahmen gelten nach der neuen Brüssel-Ia-Verordnung u.a. in Verbrauchersachen (Art. 18 Abs. 1 EuGVVO) sowie für Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 EuGVVO). Gegenüber dem Lugano-Übereinkommen ist der räumliche Anwendungsbereich des EU-Gerichtsstands- und Vollstreckungsrechts somit deutlich erweitert worden.
357
Liechtenstein ist weder durch das Lugano-Übereinkommen noch die Brüssel-Verordnung gebunden; das internationale Zivilprozessrecht bestimmt sich bei Zuständigkeit liechtensteinischer Gerichte somit – vorbehältlich zweier Vollstreckungsabkommen mit der Schweiz und Österreich – nach dem autonomen internationalen Zivilprozessrecht des Fürstentums (Rz. 366).
358
2. Internationale Zuständigkeit a) Zuständigkeit im gewerblichen Verhältnis Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit kommt es primär darauf an, ob es sich um eine Rechtsstreitigkeit mit einem Verbraucher handelt (Rz. 361 ff.) oder ob der Kunde in seiner beruflichen oder gewerblichen Eigenschaft Finanzdienstleistungen in Anspruch genommen hat. Qualifiziert der Kunde nicht als Verbraucher, so steht ne1 ABl L 12/01 S. 1. 2 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968, ABl. EG 1972 L 299, S. 32. 3 Dänemark beteiligt sich zwar grundsätzlich nicht an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen. Das zwischen der EU und Dänemark bestehende Abkommen v. 10.10.2005 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (ABl. Nr. L 299 v. 16.11.2005, S. 62) sieht jedoch vor, dass Dänemark die Änderungen der Brüssel-Ia-Verordnung innerstaatlich umsetzen darf und diese dadurch dann mittelbar zur Anwendung bringen kann. Dänemark hat die Arbeiten hierzu eingeleitet (ABl. Nr. L 79 v. 21.3.2013, S. 4). Dänemark hat hinsichtlich der VO 1215/2012 ausdrücklich deren Anwendung erklärt und die VO 1215/2012 ist daher auch auf Dänemark anzuwenden. 4 Während das Lugano-Übereinkommen 2007 für die Europäische Union, Dänemark und Norwegen am 1.1.2010 in Kraft getreten ist, gilt es für die Schweiz seit dem 1.1.2011. Für Island ist es am 1.5.2011 in Kraft getreten. Für Staaten, die nach Abschluss des Lugano-Übereinkommens der Europäischen Union beitreten, gilt das Übereinkommen automatisch ab ihrem EU-Beitrittsdatum.
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Kuhn 229
359
Teil C Rz. 360
Handel mit Dienstleistungen
ben dem ordentlichen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (Art. 4 EuGVVO/ Art. 2 LugÜ) auch der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a EuGVVO/Art. 5 Abs. 1 Buchst. a LugÜ) offen. Der Erfüllungsort wird autonom definiert als „Ort, an dem die Verpflichtungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“1. Dabei ist die Finanzdienstleistung maßgebend, nicht die Gegenleistung, die der Finanzdienstleister als Entgelt erhält2. 360
Nach Art. 23 Abs. 1 EuGVVO/LugÜ können gewerbliche Parteien eine Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte (Gerichtsstandsvereinbarung) treffen. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann sich auf eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder auf eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit beziehen. Das Gericht oder die Gerichte des Staates, dessen Zuständigkeit vereinbart wurde, sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Vereinbarung muss schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung oder in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden ist, oder im internationalen Handel in einer Form gemäß einem Handelsbrauch abgeschlossen werden. Eine Einschränkung der Prorogationsfreiheit ergibt sich für Deutschland aus § 53 Abs. 3 KWG. Demnach darf für Klagen aus dem Geschäftsbetrieb einer Zweigstelle der Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) nicht durch Vertrag ausgeschlossen werden3. Umstritten ist, ob das Verbot in § 53 Abs. 3 KWG auch Schiedsabreden erfasst, ist mit der h.L. jedoch bereits aufgrund des klaren Wortlauts zu verneinen4. b) Zuständigkeit in Verbrauchersachen
361
Handelt es sich beim Kunden um einen Verbraucher, so kann der Finanzdienstleister ausschließlich im Wohnsitzstaat des Kunden klagen (Art. 18 Abs. 2 EuGVVO/Art. 14 Abs. 2 LugÜ). Demgegenüber kann der Verbraucher wahlweise in seinem Wohnsitzstaat oder im Wohnsitzstaat des Finanzdienstleisters klagen (Art. 18 Abs. 1 EuGVVO/ Art. 14 LugÜ)5. Ferner können mit Verbrauchern Vereinbarungen über die Zuständigkeit der Gerichte nur mit erheblichen Einschränkungen getroffen werden, nämlich wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit vereinbart werden oder dem Verbraucher zusätzliche Gerichtsstände eröffnen oder wenn Finanzdienstleister und Verbraucher bei Vertragsabschluss Sitz bzw. Wohnsitz in demselben Staat haben und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates vereinbart wird (Art. 19 EuGVVO/Art. 15 LugÜ). Der Verbrauchergerichtsstand gestattet auch die Verfolgung deliktischer Ansprüche, sofern sie nur irgendeinen Bezug zu dem geschlossenen Vertrag haben6.
362
Eine Berufung auf den Verbrauchergerichtsstand steht nur natürlichen Personen offen, die Finanzdienstleistungen für einen privaten, persönlichen Zweck in Anspruch nehmen (Art. 17 Abs. 1 EuGVVO/Art. 13 LugÜ)7. Eine juristische Person kann sich somit nie auf die Zuständigkeit in Verbrauchersachen berufen8. Die natürliche Person muss 1 2 3 4 5
BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, WM 2006, 980 Rz. 12. EuGH v. 11.3.2010 – Rs. C-19/09 – Wood Floor Solutions vs. Silva Trade, Slg. 2010 I-02121. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 179. Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 180 f. m.w.H. Gemäss neuem EuGVVO kann der Verbraucher selbst dann in seinem Wohnsitzstaat klagen, wenn der Finanzdienstleister seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat der EU hat; demgegenüber findet das LugÜ in diesem Fall keine Anwendung (Art. 4 LugÜ). 6 S. BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 159/09, NJW 2011, 532. 7 Romy, Konsumentengerichtsstand, 122. 8 EuGH v. 3.7.1997 – Rs. C-269/95, Benincasa/Dentalkit Srl., Slg. 1997-I-3767, Rz. 15; Hahn, recht 2012, 160 f.; Romy, Konsumentengerichtsstand, 123. Vorausgesetzt ist weiter, dass die Gegenpartei des Verbrauchers in beruflicher oder gewerblicher Eigenschaft handelt; der Verbrauchergerichtsstand greift somit nicht im Verhältnis zwischen zwei Personen, die beide als Privatpersonen handeln.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 363
Teil C
den Vertrag zu einem Zweck geschlossen haben, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Diese Qualifikation ist vom angerufenen Gericht aufgrund des Inhalts, der Art und des Zwecks der Vertrags sowie der objektiven Umstände des Vertragsschlusses zu beurteilen1. Auf die subjektiven Kenntnisse und Erfahrungen dieser Person kommt es nicht an, weshalb ein erfahrener Geschäftsmann als Verbraucher eingestuft werden kann, wenn er nur für private Zwecke handelt2. Dass der Verbraucher beabsichtigt, mit der Finanzdienstleistung einen Gewinn zu erzielen, steht einer privaten Zweckbestimmung nicht entgegen. Selbst spekulative Anlagen über sehr hohe Beträge schließen nicht aus, dass sich der Kunde auf den Verbrauchergerichtsstand beruft3. Gemäss MiFID II können Privatanleger sich unter gewissen Voraussetzungen als professionelle Kunden einstufen lassen („gekorene professionelle Kunden“; vgl. Anhang II MiFID II; § 31a VII WpHG). Privatpersonen, die eine solche Einstufung wünschen, müssen sich diese dann auch für prozessuale Zwecke entgegenhalten lassen4. Eine weitere Voraussetzung für die Berufung auf den Verbrauchergerichtsstand ist ein qualifizierter Bezug des Finanzdienstleisters zum Wohnsitzstaat des Kunden5. Erforderlich ist, dass der Finanzdienstleister im Wohnsitzstaat des Kunden eine „berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Staat … ausrichtet …“ (Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO/Art. 15 Nr. 3 LugÜ). Der Tatbestand des Ausübens ist erfüllt, wenn der Finanzdienstleister im Wohnsitzstaat des Verbrauchers durch Angestellte, Vertreter oder Agenten tätig ist (aktiver Dienstleistungsverkehr)6. Ein Ausrichten der Tätigkeit liegt vor, wenn der Finanzdienstleister zwar keine physische Präsenz im Wohnsitzstaat des Verbrauchers hat, aber seine Tätigkeit auf Kunden aus diesem Staat ausgerichtet hat7. Der Ausdruck „auf irgendeinem Wege“ soll deutlich machen, dass dieses Ausrichten durch Kommunikationsmittel aller Art erfolgen kann, durch Direktwerbung, Anzeigen in Zeitungen oder Zeitschriften, Marktbearbeitung durch Telefon oder das Internet8. Anhaltspunkte für ein grenzüberschreitendes Ausrichten sind nach der Rechtsprechung des EuGH u.a. der internationale Charakter der Tätigkeit, die Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus zur Niederlassung des Unternehmers, die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat des Unternehmers üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung, oder die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl9. Demgegenüber soll die bloße Zugänglichkeit der Website im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ebenso wenig ausreichen wie die Angabe einer elektronischen oder anderen Adresse des Unternehmers. Erforderlich sei, dass der Unternehmen „seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern … anderer Mitgliedstaaten (…) herzustellen.“10 Demgegenüber 1 BGE 133 III 295 E. 7.2. 2 Romy, Konsumentengerichtsstand, 123; Hahn, recht 2012, 161. 3 High Court of Justice, 19.1.2000, Standard Bank London Ltd. vs. Dimitrios et al. WL 191161 [Fremdwährungsverträge zwischen Personen mit Wohnsitz in Griechenland und einer Bank in England mit einem Volumen und USD 7 Mio.; privater Zweck]; BGH v. 31.5.2011, AJP 2012, 123; BGH v. 6.3.2012, RIW 2012, 403; BGE 133 III 295 E. 7.3; contra Areios Pagos, 8.7.2009 – Rs. 1738/2009, AJP 2010, 1481 (1484) [Spekulative Wertpapiergeschäfte mit Lombardkredit über USD 25 Mio.; kein Verbrauchergeschäft]. Vgl. zum Ganzen Romy, Konsumentengerichtsstand, 125; Hahn, recht 2012, 161 (162 f.). 4 Hahn, recht 2012, 163 Fn. 47; Goosens/Feniello, 221 f. 5 Hahn, recht 2012, 161. 6 Im Fall einer kommerziellen Präsenz mittels Zweigniederlassung besteht eine Zuständigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers bereits gestützt auf Art. 5 Abs. 1 Ziff. 5 LugÜ; vgl. Romy, Konsumentengerichtsstand, 130. 7 Romy, Konsumentengerichtsstand, 130 f. 8 Romy, Konsumentengerichtsstand, 131. 9 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-585/08, C-144/09, Pammer und Hotel Alpenhof, Rz. 81 ff. 10 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-585/08, C-144/09, Pammer und Hotel Alpenhof, Rz. 75.
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Kuhn 231
363
Teil C Rz. 364
Handel mit Dienstleistungen
stellen Zugangsbeschränkungen für Kunden aus bestimmten Staaten, wie sie bei Finanzdienstleistern bereits aus aufsichtsrechtlichen Gründen üblich sind, einen starken Anhaltspunkt gegen ein Ausrichten auf diesen Staat dar1. 364
Unklar war zunächst, ob eine Zuständigkeit nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO bzw. Art. 15 Nr. 3 LugÜ bereits aufgrund einer grenzüberschreitend ausgerichteten Internetseite begründet wird, oder ob außerdem ein Vertragsabschluss im Fernabsatz (z.B. durch Vertragsabschluss über die Website) erforderlich sei2. Der EuGH hat diese Frage in der Rechtssache Mühlleitner3 geklärt und entschieden, dass ein Vertragsabschluss im Fernabsatz nicht Voraussetzung dafür ist, dass sich der Verbraucher auf seinen Wohnsitzgerichtsstand berufen kann4. Aus der Entscheidung Mühlleitner kann man schließen, dass sich der Verbraucher selbst dann auf seinen Wohnsitzgerichtsstand berufen kann, wenn er sich zum Vertragsabschluss in den Sitzstaat des Finanzdienstleisters begibt, sofern dieser seine Tätigkeit nur auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat.
365
§ 37h WpHG versagt Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen oder Finanztermingeschäften die Verbindlichkeit, ausser wenn beide Vertragsteile Kaufleute oder juristische Personen des öffentlichen Rechts sind5. 3. Rechtslage in Liechtenstein
366
Liechtenstein ist dem Lugano-Übereinkommen nicht beigetreten; auch die EuGVVO findet im Fürstentum keine Anwendung. Damit bestimmt sich die internationale Zuständigkeit liechtensteinischer Gerichte nach autonomem Recht. Dabei wird die internationale Zuständigkeit liechtensteinischer Gerichte aus den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit abgeleitet, denen insofern eine Doppelfunktion zukommt6. Maßgebend für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ist somit die Jurisdiktionsnorm (JN)7.
367
Gerichtsstandsvereinbarungen sind auch nach liechtensteinischem Recht möglich und zulässig, wobei die Vereinbarung ausdrücklich sein muss und dem Gericht urkundlich nachzuweisen ist (§ 53 Abs. 1 JN). Bis zum 1.3.2013 hatte § 53a Abs. 1 JN ausserdem bestimmt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen von Inländern und Ausländern nur Gültigkeit haben, wenn sie öffentlich beurkundet worden waren. Die Bestimmung zählte zum liechtensteinischen ordre public8. Sie wurde aufgehoben9, nachdem der EFTA-Gerichtshof sie als mit Art. 36 des EWR-Abkommens unvereinbar erklärt hatte10.
1 2 3 4 5 6 7
Romy, Konsumentengerichtsstand, 131. Romy, Konsumentengerichtsstand, 131 f. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-190/11, Daniela Mühlleitner/Ahmad und Wadat Yusufi. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-190/11, Daniela Mühlleitner/Ahmad und Wadat Yusufi, Rz. 26 ff. Vgl. dazu Sethe/Lehmann in Tietje, § 13 N 185 ff. StGH v. 6.2.2006, StGH 2005/9. Gesetz v. 10.12.1912 über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm, JN), LGBl. 9, S. 2 v. 30.12.1912. 8 Bericht und Antrag der Regierung Nr. 126/2012. 9 Gesetz v. 23.11.2012, LGBl. 2013 S. 5. 10 EFTA Court v. 25.4.2012 – E-13/11, Granville Establishment.
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Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 371
Teil C
VII. Anwendbares Recht 1. Rechtsquellen Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist bei Zuständigkeit der Gerichte eines EU-Mitgliedstaates zunächst zu prüfen, ob Kollisionsregeln in einem Gemeinschaftsrechtsakt zur Anwendung gelangen. An erster Stelle steht dabei die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-Verordnung)1. Die Verordnung ist direkt anwendbar und verdrängt in ihrem räumlich-persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich das nationale Kollisionsrecht2. Die Rom-I-Verordnung gilt für alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks3. Sind die Gerichte Dänemarks zuständig, so bestimmt sich das anwendbare Recht deshalb nach dem insoweit fortbestehenden EVÜ4. Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht5 (Rom II-Verordnung)6.
368
Vorbehalten bleiben spezielle Kollisionsnormen in anderen Rechtsakten der Gemeinschaft (Art. 23 Rom I-VO, Art. 27 Rom-II-VO). Solche finden sind insbesondere in der AGB-Richtlinie (Art. 6 Abs. 2 AGB-RL), der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Art. 12 Abs. 2 Fernabsatz-RL) sowie der Verbraucherkreditrichtlinie (Art. 22 Abs. 4 VerbKredRL)7. Nach diesen Vorschriften können die Parteien im Anwendungsbereich der genannten Richtlinien durch die Wahl des Rechts eines Drittstaates nicht von den Bestimmungen der erwähnten Richtlinien abweichen können, sofern der Vertrag einen engen Bezug zur Gemeinschaft aufweist8.
369
Keine Anwendung finden die Rom-Verordnungen auf die EWR-EFTA-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein). Sind Gerichte dieser Staaten zuständig, so bestimmt sich das anwendbare Recht nach autonomem Kollisionsrecht. Gleiches gilt bei Zuständigkeit schweizerischer Gerichte.
370
2. Vertragsstatut a) Subjektive Anknüpfung Bei der subjektiven Anknüpfung bestehen für Bankverträge grundsätzlich keine Besonderheiten gegenüber anderen Verträgen9. Insbesondere im Geschäft mit Kleinkunden verwenden Finanzdienstleister regelmäßig Allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese umfassen in aller Regel vorformulierte Rechtswahlklauseln, die das Recht des Staates berufen, in dem der betreffende Finanzdienstleister ansässig ist10. An der grundsätzlichen Wirksamkeit dieser Klauseln in den Banken-AGB bestehen keine Zweifel11. Im Verkehr mit Verbrauchern ist die Rechtswahlfreiheit allerdings empfindlich eingeschränkt (Rz. 376). 1 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), 4.7.2008, ABl. Nr. L 177 S. 6. 2 Vgl. Martiny in Reithmann/Martiny, 52, Rz. 36. 3 Vgl. zum räumlich-persönlichen Anwendungsbereich Martiny in Reithmann/Martiny, 54 f., Rz. 39. 4 Martiny in Reithmann/Martiny, 78, Rz. 77. 5 ABl. 31.7.2007, L 199, S. 40. 6 Vgl. BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, BB 2015, 2001 = DB 2015, 2016 Rz. 17 ff. 7 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1266; Einsele, WM 2009, 291. 8 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1251, 1266. 9 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1260. 10 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1261. 11 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1261; Einsele, WM 2009, 289 (290).
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Kuhn 233
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Teil C Rz. 372
Handel mit Dienstleistungen
372
Eine Rechtswahl ist auch in reinen Binnensachverhalten möglich, wenn also der Sachverhalt ausser der Wahl eines ausländischen Rechts keinen anderen Bezug zu einer anderen Rechtsordnung aufweist. Nach Art. 3 Abs. 3 Rom-I-Verordnung sind die Wirkungen einer Rechtswahl im reinen Binnenverhältnis jedoch insofern beschränkt, als die Parteien damit nicht einfach zwingende Bestimmungen abbedingen können1. Sie bleiben also trotz Rechtswahl an einfach zwingendes (nicht-dispositives) Recht gebunden. Welche Umstände einen ausreichenden internationalen Bezug schaffen, hängt in erster Linie vom in Frage stehenden Recht ab; ausreichend sind in jedem Fall Elemente, die im Rahmen der objektiven Anknüpfung von Bedeutung sind (i.e. gewöhnlicher Aufenthalt der Parteien, grenzüberschreitende Dienstleistungen)2. Umstritten ist, ob ein ausreichender Auslandsbezug durch einen Abschlussort im Ausland begründet werden kann, wenn alle anderen Sachverhaltselemente auf das Inland verweisen3.
373
Eine ähnliche Beschränkung der Rechtswahlfreiheit ergibt sich aus der sog. Binnenmarkt- oder Drittstaatenklausel (Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO). Diese gelangt zur Anwendung, wenn zwar ein internationaler Sachverhalt vorliegt, dieser aber nur Bezüge zu mehreren Mitgliedstaaten (und nicht zu einem Drittstaat) aufweist. Gemäss Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaates in diesem Fall nicht die Anwendung von Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann4. Die Rechtswahl ist zwar gültig, doch bleibt es bei der Anwendung der nicht-dispositiven Vorschriften des Gemeinschaftsrechts5. Diese sind im Finanzdienstleistungsrecht natürlich besonders zahlreich6. b) Objektive Anknüpfung
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Mangels einer wirksamen Rechtswahl bestimmt sich das anwendbare Recht nach Art. 4 Rom I-VO. Dienstleistungsverträge unterliegen demnach dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO), wobei bei Gesellschaften und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung als gewöhnlicher Aufenthalt gilt (Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO). Wird der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung oder Agentur abgeschlossen oder ist diese für die Erfüllung verantwortlich, so ist der Ort maßgebend, an dem sich die Niederlassung befindet (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO).
375
Der kollisionsrechtliche Begriff der Dienstleistung ist unter Rückgriff auf die in der EuGVVO geregelten Gerichtszuständigkeiten auszulegen, denn nach Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO sollen deren Bestimmungen mit der EuGVVO allgemein in Einklang stehen. Gemäss Erwägungsgrund 17 soll insbesondere der Begriff „Erbringung von 1 Martiny in Reithmann/Martiny, 132 f. Rz. 135. 2 Martiny in Reithmann/Martiny, 133 Rz. 136. Vgl. LG Hamburg v. 31.5.1990, IPRspr. 1990 Nr. 37 = RIW 1990, 1020 (Auftrag für Devisentermingeschäfte an Gesellschaft mit faktischem Sitz im Inland; Vereinbarung englischen Rechts unwirksam). 3 Martiny in Reithmann/Martiny, 134 Rz. 137. 4 Martiny in Reithmann/Martiny, 135 Rz. 139. 5 Martiny in Reithmann/Martiny, 135 Rz. 139. 6 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1265. Für einen Anwendungsfall s. EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs. C-381/98 – Ingmar (Art. 17 und 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, die dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung gewisse Ansprüche gewähren, sind auch dann anzuwenden, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, der Unternehmer seinen Sitz aber in einem Drittland hat und der Vertrag vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Landes unterliegt); anders jedoch BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05 (Die Klägerin, eine in der Schweiz ansässige Bank, nimmt den Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch. Der Darlehensvertrag der Parteien unterliege aufgrund der Rechtswahlklausel in Ziff. 14 der Geschäftsbedingungen schweizerischem Recht. Kein internationaler Geltungswille des deutschen Verbraucherkreditgesetzes).
234 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 379
Teil C
Dienstleistungen“ gleich wie bei Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ausgelegt werden (vorne Rz. 359)1. Der kollisionsrechtliche Dienstleistungsbegriff in Art. 4 Abs. 1 Buchst b und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a Rom I-VO ist weit zu verstehen2 und schließt jedenfalls Finanzdienstleistungen wie die Vergabe von Bankkrediten ein3. c) Verbrauchersachen Im Verhältnis zu Verbrauchern sind die Vorgaben von Art. 6 Rom I-VO zu beachten. Demnach unterliegt der Vertrag, den ein Verbraucher mit einem Unternehmer abschließt, dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in diesem Staat ausübt (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a Rom I-VO) oder „eine solche Tätigkeit auf irgend eine Weise auf diesen Staat … ausrichtet“ (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO). Die zweite Variante ist ersichtlich durch Art. 17 EuGVVO/Art. 15 LugÜ inspiriert (s. vorne Rz. 361 ff.) und ist dementsprechend auszulegen4.
376
Im Rahmen der Rom I-VO können auch Personen als Verbraucher qualifizieren, die gemäß MiFID II für den Status als professioneller Kunde optiert haben (gekorener professioneller Kunde)5. Das ergibt sich daraus, dass im Rahmen der Beratungen zu Art. 6 Rom I-VO eine Ausnahme für gekorene professionelle Kunden erwogen aber letztlich verworfen wurde6. Auch ein gekorener professioneller Kunde ist deshalb als Verbraucher i.S.v. Art. 6 Rom I-VO einzuordnen, sofern er Anlagen für private oder persönliche Zwecke tätigt. Allerdings hat die Entscheidung für den Status eines gekorenen professionellen Kunden Auswirkungen auf das materielle Schutzniveau, das im Rahmen der Günstigkeitsprüfung wiederum auf die kollisionsrechtliche Analyse zurückwirkt7.
377
Eine Rechtswahl ist zwar auch im Verhältnis zu Verbrauchern möglich und zulässig (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO). Die Verordnung beschränkt die Wirksamkeit der Rechtswahl jedoch insofern, als sie nicht dazu führen darf, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch einfach zwingend anwendbare Bestimmungen des Rechts seines Aufenthaltsstaates gewährt wird. Der Verbraucher kann sich m.a.W. ungeachtet einer Rechtswahl auf alle Vorschriften des Rechts seines Aufenthaltsstaates berufen, die nach diesem Recht nicht dispositiv sind. Im Rahmen von Art. 6 Rom I-VO kommt das Aufenthaltsrecht des Verbrauchers nur insofern zur Anwendung, als es zur Besserstellung des Verbrauchers führt (Günstigkeitsprinzip)8.
378
Vom Günstigkeitsprinzip gelten nach Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO mehrere für Finanzdienstleistungen relevante Bereichsausnahmen. Das Günstigkeitsprinzip gilt insbesondere nicht für Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument sowie öffentliche Übernahmeangebote für Wertpapiere (Art. 6 Abs. 4 Buchst. d Rom I-VO). Dabei geht es um Anlageprodukte, die einer Vielzahl von Kunden angeboten werden; diese unterliegen dem Recht des jeweiligen Produkts, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich beim Erwerber um einen Verbraucher handelt9. Die Bereichsausnahme gilt aber nur für
379
1 BGH v. 28.2.2012 – XI ZR 9/11; vgl. Einsele, WM 2009, 289 (291); Leible/Müller, EuZW 2009, 27 (28); Mankowski, JZ 2009, 958 (959 f.); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, EuGVVO Art. 15 Rz. 8. 2 BGH v. 28.2.2012 – XI ZR 9/11; vgl. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (385); BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, WM 1997, 980 (982). 3 Einsele, WM 2009, 189 (291); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, EuGVVO Art. 5 Rz. 10b; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, EuGVO Art. 5 Rz. 43 f.; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 49 ff. 4 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1264. 5 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 2353 ff.; Mankowski, RIW 2009, 98, 113. 6 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 2353; Garcimatin Alférez, Yb. PIL 2008, 245 (256). 7 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 2354; Mankowski, RIW 2009, 98, 113. 8 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1263; Hahn, recht 2012, 164. 9 Hahn, recht 2012, 164.
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Kuhn 235
Teil C Rz. 380
Handel mit Dienstleistungen
kollektiv geregelte Rechte und Pflichten, nicht aber für individuelle Beratungs- oder andere Finanzdienstleistungen (Art. 6 Abs. 4 Buchst. d Rom I-VO a.E.)1. 380
Ferner findet das Günstigkeitsprinzip keine Anwendung auf Dienstleistungsverträge, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat erbracht werden müssen (Art. 6 Abs. 4 Buchst. a Rom I-VO). Nach h.L. soll dieser Ausnahme keine praktische Bedeutung zukommen, weil sonst der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz unangemessen eingeschränkt werde2. Nach richtiger Auffassung zielt diese Ausnahme jedoch auf den passiven Dienstleistungsverkehr ab, wenn der Verbraucher sich also in einen anderen Staat begibt, um dort die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Unter welchen Voraussetzungen die Erbringung von Finanzdienstleistungen im passiven Dienstleistungsverkehr zulässig und wie die Grenze zum aktiven Dienstleistungsverkehr zu ziehen ist, sagen aufsichtsrechtliche Vorschriften, wobei die Grenze je nach Mitgliedstaat unterschiedlich eng oder weit gezogen wird. Kein passiver Dienstleistungsverkehr liegt nach überwiegender Auffassung dann vor, wenn der Finanzdienstleister seine Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausrichtet. Liegt umgekehrt kein „Ausrichten“ vor, gibt es auch keine Rechtfertigung mehr, dass sich der Verbraucher auf sein Aufenthaltsrecht berufen können soll.
381
Im Ergebnis bleibt es dabei, dass im Verhältnis zu Verbrauchern eine Rechtswahl zwar nicht schlechthin unzulässig ist, aber durch das Aufenthaltsrecht des Verbrauchers überlagert wird, sofern dieses das für den Verbraucher günstige Recht ist. 3. Deliktsstatut
382
Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen unterliegen nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt. Vorbehalten ist der Fall, dass die geschädigte und die schadensverursachende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben; dann beurteilt sich die unerlaubte Handlung nach dem Recht dieses Staates (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO). Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO). Eine offensichtlich engere Verbindung kann sich insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien (wie beispielsweise einem Vertrag) ergeben, das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht. Ist haftungsbegründendes Ereignis der Abschluss eines Konto- oder Depotvertrags, so kommt eine akzessorische Anknüpfung nicht in Betracht, denn die Sonderbeziehung muss im Zeitpunkt des Schadenseintritts bereits bestehen und mit dem haftungsrechtlich relevanten Geschehen in sachlichem Zusammenhang stehen3. Ist nach dem Vortrag des Klägers Schadensursache das Erbringen von Bankgeschäften ohne Erlaubnis in Deutschland, so hat sich der Schaden in Deutschland verwirklicht, so dass deutsches Recht anwendbar ist4.
383
Eine Rechtswahlvereinbarung ist im Verhältnis zu nicht gewerblich tätigen Parteien nur wirksam, wenn sie nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses getroffen wird (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Rom II-VO). Gehen alle Parteien einer gewerblichen 1 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1381; Mankowski, RIW 2009, 98 (105); Hahn, recht 2012, 164; vgl. auch Erwägungsgrund 26 der Rom I-VO. 2 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 1263; Einsele, WM 2009, 294. 3 Vgl. BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, ZIP 2015, 1772 Rz. 20; BGH v. 19.7.2011 – VI ZR 217/10, BGHZ 190, 301 Rz. 15; BGH v. 23.3.2010 – VI ZR 57/09, VersR 2010, 910 Rz. 13. 4 Vgl. BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, ZIP 2015, 1772 Rz. 18; vgl. auch BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rz. 2 ff., 42; BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, WM 2010, 2025 Rz. 2 f., 6, 44 f.; BGH v. 8.2.2011 – XI ZR 168/08, WM 2011, 650 Rz. 2 ff., 31; BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 373/08, WM 2011, 1465 Rz. 2 ff., 40.
236 | Kuhn
Bank- und Finanzdienstleistungsverträge
Rz. 384
Teil C
(kommerziellen) Tätigkeit nach, so kann das Deliktsstatut auch vor Schadenseintritt durch Rechtswahlvereinbarung bestimmt werden (Art. 14 Abs. 1 Buchst. b Rom IIVO); die Rechtswahl muss sich jedoch aus einer „frei ausgehandelten Vereinbarung“ ergeben und muss ausdrücklich erfolgen. Eine Berufung auf Rechtswahlvereinbarungen in einem Konto- oder Depoteröffnungsvertrag scheidet deshalb für die Zwecke der Bestimmung des Deliktsstatuts in aller Regel aus1. 4. Rechtslage in der Schweiz Sind schweizerische Gerichte zuständig, so bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Bundesgesetz vom 18.12.1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG). Dieses sieht keine Sonderregelung für Bank- oder Finanzdienstleistungsverträge vor, so dass sich das anwendbare Recht nach den allgemeinen Vorschriften in Art. 116 f. IPRG bestimmt. Demnach untersteht der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht (Art. 116 Abs. 1 IPRG); mangels einer Rechtswahl dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt (Art. 117 Abs. 1 IPRG). Für die objektive Anknüpfung wird vermutet, dass der engste Zusammenhang mit dem Staat besteht, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem sich ihre Niederlassung befindet (Art. 117 Abs. 2 IPRG)2. Art. 117 Abs. 3 IPRG legt sodann für eine Reihe von Verträgen fest, welche Leistungen als die charakteristische gilt. Bei Dienstleistungsverträgen gilt die Dienstleistung die charakterische Leistung (Art. 117 Abs. 3 Buchst. c IPRG), bei Verwahrungsverträgen die Leistung des Verwahrers (Art. 117 Abs. 3 Buchst. d IPRG) und bei Garantie- oder Bürgschaftsverträgen die Leistung des Garanten oder des Bürgen (Art. 117 Abs. 3 Buchst. e IPRG). Im Ergebnis wird deshalb bei Finanzdienstleistungen die vertragstypische Leistung in der Regel durch die Bank bzw. den Wertpapierdienstleister erbracht, so dass der Vertrag mangels einer Rechtswahl dem Recht am Sitz der Bank oder deren Zweigniederlassung untersteht3. Das gilt sowohl für den Kontokorrent- und den Depotvertrag wie auch das Bankdarlehen4, und zwar unabhängig davon, ob ein Hinterlegungs- oder ein Dienstleistungsvertrag vorliegt5. Auch Akkreditivverträge unterstehen dem Recht der Bank, die die charakteristische Leistung erbringt6. Der Garantievertrag untersteht bei Fehlen einer Rechtswahl dem Recht am Niederlassungsort der Gesellschaft, die das Garantieversprechen abgegeben hat7. 1 Vgl. BGH v. 7.7.2015 – VI ZR 372/14, ZIP 2015, 1772 Rz. 19. 2 Die Niederlassung einer Gesellschaft befindet sich in dem Staat, in dem der Sitz liegt, oder in einem der Staaten, in dem sich eine Zweigniederlassung befindet (Art. 21 Abs. 4 IPRG). 3 ZK-Keller-Kren Kostkiewicz, Art. 117 IPRG, Rz. 100 bzw. 134; BGE 133 III 37 E. 2; KGer. SG, 15.8.2011, BZ.2008.3 [Kunden in Deutschland eröffnen verschiedene Konti und ein Wertpapierdepot bei Bank in der Schweiz; nach AGB-Klausel ist schweizerisches Recht anwendbar; obiter dictum zur objektiven Anknüpfung]. 4 KGer. SG v. 15.8.2011 – BZ.2008.3; BGer. v. 5.4.2002 –, 4C.315/2001, BGE 128 III 295 E. 2a [„Haben die Parteien keine abweichende Rechtswahl getroffen, untersteht der Darlehensvertrag dem Recht des Staates, in dem der Darleiher seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seine Niederlassung hat.“]. 5 BGE 133 III 37 E.2 [„Bei Fehlen einer Rechtswahl unterstehen die Beziehungen aus einem Konto-/Depotvertrag zwischen einer Bank mit Sitz in der Schweiz und einem Kunden mit Wohnsitz im Ausland dem schweizerischen Recht. Or, que l’on envisage la Banque en qualité de dépositaire ou de prestataire de service (cf. art. 117 al. 3 let. c et d LDIP), la prestation caractéristique renvoie dans les deux cas à la défenderesse. Celle-ci ayant son siège en Suisse, c’est donc bien le droit suisse qui est applicable, ce qui correspond du reste au droit sur lequel les parties se fondent.“]. 6 BGer. v. 5.12.1961, BGE 87 II 234, 237; BGr.v. 28.4.1993, BGE 119 II 173 E.2 [„Für die Beziehungen zwischen der eröffnenden Bank und der Korrespondenzbank gilt die Leistung der Beauftragten als die für eine objektive Anknüpfung charakteristische (Art. 117 Abs. 3 lit. c. IPRG) (E. 2).“]; vgl. BGE 115 II 69 E. 1; Vischer/von Planta, 181; Vischer, Internationales Vertragsrecht, S. 121 ff.; Dohm, Bankgarantien im internationalen Handel, S. 144 Rz. 318. 7 BGer. v. 5.4.2002 – 4C.315/2001, BGE 128 III 295 E.2b.
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Kuhn 237
384
Teil C Rz. 385 385
Handel mit Dienstleistungen
Für Verträge mit Verbrauchern (Konsumenten) gilt nach Art. 120 IPRG eine Sonderregelung, die allerdings viel enger ist als die nach Art. 6 Rom I-VO. Der Vertrag untersteht demnach nur dann dem Recht des Staates, in dem der Konsument seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn zu diesem Staat ein qualifizierter Binnenbezug besteht (Ort des Vertragsabschlusses oder Anbieter hat den Konsumenten veranlasst, sich ins Ausland zu begeben und seine Bestellung dort abzugeben; vgl. Art. 121 Abs. 1 Buchst. a–c IPRG). Die Sonderregelung für Verbrauchergeschäfte greift darüber hinaus nur dann, wenn der Vertrag „Leistungen des üblichen Verbrauchs“ zum Gegenstand, die für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Konsumenten bestimmt sind (Art. 121 Abs. 1 IPRG)1. Umgekehrt ist im Verhältnis zu Verbrauchern eine Rechtswahl gänzlich ausgeschlossen (Art. 121 Abs. 2 IPRG), nicht bloss durch das Günstigkeitsprinzip beschränkt2. 5. Rechtslage in Liechtenstein
386
Liechtenstein hat die Rom-I-Verordnung nicht übernommen. Das anwendbare Recht bestimmt sich deshalb ausschließlich nach autonomem Recht. Grundlage für das Internationale Privatrecht in Liechtenstein ist das liechtensteinische Gesetz über das internationale Privatrecht (fl. IPRG)3.
387
Auch nach liechtensteinischem IPR untersteht ein Vertrag primär dem von den Parteien gewählten Recht (Art. 39 Abs. 1 fl. IPRG). Die Rechtswahl kann „ausdrücklich oder schlüssig“ erfolgen. Mangels einer wirksamen Rechtswahl bestimmt sich das auf Bankverträge anwendbare Recht gem. Art. 42 Abs. 1 fl. IPRG wie folgt: Bankgeschäfte sind nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das Unternehmen, das Geschäfte nach dem Bankengesetz betreibt, seine Niederlassung (Art. 40 Satz 2) hat; bei Bankgeschäften zwischen solchen Unternehmen ist das Recht am Ort der Niederlassung des beauftragten Unternehmens maßgebend.
388
Für Börsengeschäfte bestimmt Art. 43 fl. IPRG was folgt: Börsengeschäfte und Verträge, die auf Märkten und Messen geschlossen werden, sind nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem sich die Börse oder der Markt befindet bzw. die Messe stattfindet.
389
Schließlich ist für Verbraucherverträge Art. 45 fl. IPRG einschlägig, der den folgenden Wortlaut hat: 1) Verträge, bei denen das Recht des Staates, in dem eine Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, dieser als Verbraucher besonderen privatrechtlichen Schutz gewährt, sind nach diesem Recht zu beurteilen, wenn sie im Zusammenhang mit einer in diesem Staat entfalteten, auf die Schließung solcher Verträge gerichteten Tätigkeit des Unternehmers oder der von ihm hierfür verwendeten Person zustande gekommen sind. 2) Eine Rechtswahl zum Nachteil des Verbrauchers ist unbeachtlich, soweit es sich um zwingende Bestimmungen des in Abs. 1 genannten Rechts handelt. Ist dies das Recht eines Mitgliedstaats des EWR-Abkommens, so gehören hierzu insbesondere Bestimmungen, die Vorschriften zum Schutz der Verbraucher im Sinne von Anhang XIX zum EWR-Abkommen entsprechen.
390–415
Einstweilen frei.
1 BGer. v. 12.1.2006 – 5C.222/2005 [massgebend ist konkrete Vertragsgestaltung; Lebensversicherungsvertrag nicht als Konsumentenvertrag qualifiziert]. 2 Hahn, recht 2012, 164. 3 Gesetz v. 19.9.1996, LGBl. 1996 S. 194.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 418
Teil C
Kapitel 4. Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils C, vor Rz. 1.
Im Folgenden geht es um den Werkvertrag im grenzüberschreitenden Kontext und dabei vor allem um den Bauwerkvertrag1. Offensichtlich ist, dass es den einen internationalen Bauwerkvertrag, der bei sämtlichen Projekten zur Anwendung käme, nicht gibt2. Zu vielfältig sind die technischen, betrieblichen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die sich von Bauprojekt zu Bauprojekt in unterschiedlicher Weise stellen. Dazu kommen rechtliche Rahmenbedingungen, die zwar von Land zu Land ähnlich gelagert sind, sich bei näherer Betrachtung aber doch voneinander unterscheiden. Eine materielle Vereinheitlichung des gesetzlichen Werkvertragsrechts auf internationaler Ebene zeichnet sich zurzeit nicht ab. Bei allen Unterschieden lassen sich freilich Begriffe und Strukturelemente herausarbeiten, die den nationalen Rechtsordnungen gemeinsam sind (Rz. 417 ff.). Zudem wurde im Bereich des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts ein hohes Mass an Vereinheitlichung erzielt, was die Bestimmung der Gerichtszuständigkeit und des anwendbaren Rechts auch bei Bauwerkverträgen mit internationalem Bezug erleichtert (Rz. 426 ff.). Diese Fragen stellen sich im Übrigen nicht erst im Konfliktfall, sondern schon bei der Vertragsplanung. Nicht nur, aber auch mit Blick auf die Wahl des anwendbaren Rechts sind hier die nationalen Rechtsordnungen zu prüfen (Rz. 443 ff.) und ist zu entscheiden, ob ein nichtstaatliches Normenwerk in den Vertrag übernommen werden soll, das angesichts einer durchgehend sehr allgemein gehaltenen gesetzlichen Regelung des Werkvertrags spezifische Regeln für Bauwerkverträge vorhält (Rz. 449 ff.). Bereits bei der Vertragsplanung sind aber auch Überlegungen darüber anzustellen, wie mit Konflikten zu verfahren ist, die sich bei Bauprojekten kaum je ganz vermeiden lassen (Rz. 456 ff.).
416
I. Bauwerk-, Subunternehmer- und Planerverträge Schon im nationalen Kontext erweisen sich Bauwerkverträge oftmals als komplex, was mit der Komplexität der Projekte korrespondiert, zu deren Realisierung sie abgeschlossen werden. Die Anforderungen an die Vertragsplanung sind u.a. deshalb hoch, weil es gilt, die Beiträge einer meist grossen Zahl Baubeteiligter aufeinander abzustimmen. Die auch vertraglich abzubildenden Organisationsformen sind vielfältig, wobei sich einige Grundformen unterscheiden lassen. Im Vordergrund stehen hier die Werkverträge zwischen dem Besteller und seinen Unternehmern (Rz. 418 ff.). Erwähnt seien auch die Verträge mit Subunternehmern (Rz. 422 ff.) und jene mit Planern (Architekten, Ingenieuren und weiteren), die bei jedem Bauprojekt eine zentrale Rolle spielen (Rz. 425). Nicht näher gehen wir auf die Konsortialverträge ein, durch die sich Unternehmer gerade für grössere Projekte zu Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen, ihre Kräfte also bündeln und eine gesellschaftsrechtliche Bindung eingehen, um die vom Besteller ausgeschriebene Bauleistung gemeinsam zu offerieren und zu erbringen.
417
1. Über Bauwerkverträge In europäischen Privatrechtsordnungen finden sich regelmäßig gesetzliche Bestimmungen, die spezifisch auf Werkverträge zugeschnitten sind, so auch im deutschen 1 Dabei erwiesen sich zum einen der fundierte Text von Nicklisch in der Vorauflage dieses Buchs, zum andern das Werk von Hök, Handbuch des Internationalen und Ausländischen Baurechts, 2. Aufl. 2012, als besonders hilfreich. Sehr nützlich war auch Chao-Duivis et al. (Hrsg.), Studies in European Construction Law, 2015, wo sich aktuelle Länderberichte aus dem Kreis der Mitglieder der Europäischen Gesellschaft für Baurecht (ESCL) finden. Herzlich danken möchten wir Roger Bieri, Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zivil- und Handelsrecht der Universität Freiburg Schweiz, der einen Entwurf kritisch gelesen und wichtige Verbesserungen angeregt hat. 2 Magnus in Staudinger/BGB, N 342 zu Art. 4 Rom I-VO.
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Stöckli/Schwery 239
418
Teil C Rz. 419
Handel mit Dienstleistungen
(§§ 631 ff. BGB), im österreichischen (§§ 1151 und 1165 ff. ABGB), im französischen (Art. 1779 und 1787 ff. CCfr), im schweizerischen (Art. 363 ff. OR) und im italienischen Recht (Art. 1655 ff. CCit). In den Grundzügen sind die Legaldefinitionen des Werkvertrags in den genannten Rechtsordnungen praktisch deckungsgleich. Gemeinsam ist ihnen namentlich, dass sie so offen angelegt sind, dass sie unterschiedlichste Lebenssachverhalte zu absorbieren vermögen. Folgerichtig sind auch die ausführenden Gesetzesbestimmungen meist allgemein gehalten. 419
Der Bauwerkvertrag wird gemeinhin nicht als eigenständiger Vertragstypus konzipiert, sondern als eine mögliche, wenn auch praktisch sehr bedeutsame Ausprägung des Werkvertrags verstanden1. Immerhin finden sich zum einen innerhalb der allgemeinen werkvertraglichen Bestimmungen Regeln, die spezifisch auf den Bauwerkvertrag zugeschnitten sind2. Zum andern gibt es besondere Gesetze, die einzelne Aspekte des Bauwerkvertrags eingehend regeln3. Charakteristisch für den Bauwerkvertrag ist, dass sich der Unternehmer gegen Vergütung zur Leistung von Bauarbeiten verpflichtet4, wobei er eine Baute oder einen Bauteil herstellt, umbaut oder abbricht5. Allenfalls verpflichtet er sich auch dazu, den Werkstoff zu liefern6.
420
Bauwerkverträge sind ihrem jeweiligen Inhalt nach überaus breit gefächert, weshalb eine Vielzahl möglicher Erscheinungsformen auszumachen ist. Eine praktisch wichtige Unterscheidung ist jene nach der Person des Bestellers, der entweder ein privater Akteur oder ein öffentlicher Auftraggeber sein kann; bedeutsam ist dies, weil allenfalls das öffentliche Vergaberecht anzuwenden ist, das die an sich zivilrechtlich gesteuerte Vertragsanbahnung mit öffentlich-rechtlichen Regeln überlagert (dazu Rz. 437 ff.). Weiter lässt sich nach Massgabe der Funktionen, die der Unternehmer vertraglich übernimmt, zwischen Teil-, General- und Totalunternehmervertrag unterscheiden, die sich in aller Kürze wie folgt charakterisieren lassen7: – Im Teilunternehmervertrag wirkt der Unternehmer neben anderen Unternehmern an der Realisierung eines grösseren Gesamtwerkes mit, wobei er seine Leistung auf Grund einer direkten vertraglichen Beziehung zum Besteller erbringt8. In einer horizontalen Perspektive ist jeder Teilunternehmer ein Nebenunternehmer des anderen. 1 Dazu und zum Folgenden vgl. Clemm, Bauvertragsrecht, S. 18 ff.; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 205; Koller, Berner Kommentar, N 26 zu Art. 363 OR; Royé, Die Schiedsgerichtsbarkeit, S. 27; Peters/Jacoby in Staudinger/BGB, N 81 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Wiegand, Das anwendbare materielle Recht, S. 67 f. In Deutschland ist jüngst ein Gesetzgebungsvorhaben in Gang gekommen, in dem der Bauvertrag gesetzlich definiert würde; s. dazu den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung v. 24.9.2015. 2 So z.B. mit Blick auf die Verjährung (etwa §§ 438 und 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB, Art. 1792 und 1792-2 CCfr sowie Art. 371 Abs. 2 OR) oder die Sicherstellung der Vergütungsforderung des Unternehmers (s. §§ 648 f. BGB und § 1170b ABGB). 3 Vgl. bspw. den französischen „Code de la construction et de l’habitation“, dessen Art. L231-1 zugunsten des Bestellers Schutzbestimmungen vorsieht für Werkverträge über „un immeuble à usage d’habitation ou d’un immeuble à usage professionnel et d’habitation ne comportant pas plus de deux logements destinés au même maître de l’ouvrage“. 4 Clemm, Bauvertragsrecht, S. 2; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 205; Glavinis, Le contrat international de construction, Rz. 91; Hök, Handbuch, § 36 Rz. 26 sowie § 40 Rz. 16; Koller, Berner Kommentar, N 201 zu Art. 363 OR; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB Rz. 4; Royé, Die Schiedsgerichtsbarkeit, S. 27; Peters/Jacoby in Staudinger/BGB, N 81 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 12 zu Art. 363 OR. 5 Clemm, Bauvertragsrecht, S. 2; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB, Rz. 9. 6 Vgl. dazu auch Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB, Rz. 5. 7 Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 217 ff. 8 Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 218; Koller, Berner Kommentar, N 205 zu Art. 363 OR; Schumacher, Bauwerkverträge, § 12 Rz. 12.8; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 16 zu Art. 363 OR.
240 | Stöckli/Schwery
Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 421
Teil C
– Im Generalunternehmervertrag betraut der Besteller nicht mehrere, sondern nur einen Unternehmer mit der Ausführung des Werkes1. Hier ist er Partei lediglich eines einzigen Werkvertrages2. Der Besteller wälzt damit u.a. die oftmals komplexe Koordination mehrerer Nebenunternehmer auf den Generalunternehmer ab3. Üblicherweise realisiert der Generalunternehmer ein Projekt, das vom Besteller entwickelt wurde, doch kann er auch einen Teil der Ausführungsplanung übernehmen4. In aller Regel erbringt der Generalunternehmer nicht sämtliche Bauleistungen selber, sondern zieht für einen Teil der geschuldeten Arbeiten Subunternehmer (Nachunternehmer) bei. Erbringt er überhaupt keine Bauleistung selber5, ist auch vom Generalübernehmervertrag die Rede6. – Die Pflichten des Unternehmers im Totalunternehmervertrag gehen über die Unternehmerpflichten im Generalunternehmervertrag hinaus: Der Totalunternehmer übernimmt nicht bloss die Ausführung, sondern leistet auch die Planung, namentlich die Projektierungsarbeiten für die vom Besteller in Auftrag gegebene, zumeist funktional ausgeschriebene Baute. Hier fungiert der Unternehmer als „projektierender Generalunternehmer“7. Dabei kann er die Projektierungsarbeiten entweder selber ausführen oder sie einem Dritten übertragen, der mit ihm vertraglich verbunden ist. Vergibt der Unternehmer sämtliche Arbeiten, zu denen er sich verpflichtet hat, an Subunternehmer (Nachunternehmer), spricht man auch von einem Totalübernehmervertrag. – Dazu kommt der Subunternehmervertrag (Nachunternehmervertrag), dessen Merkmal darin besteht, dass er zwar ein eigenständiger Werkvertrag, gleichzeitig aber in einer Vertragskette einem Hauptvertrag nachgeordnet ist (Rz. 422 ff.). Schon bei kleineren – und umso mehr bei grösseren – Bauprojekten lässt sich eine Vielzahl rechtlicher, wirtschaftlicher und betrieblicher Abhängigkeiten zwischen den Baubeteiligten beobachten, was für eine gesteigerte Komplexität des privaten Baurechts sorgt und es zuweilen als kaum sachgerecht erscheinen lässt, die Verhältnisse jeweils nur aus der Perspektive zweiseitiger Verträge zu analysieren. Dazu kommt in internationalen Verhältnissen, dass die nationalen Rechtsordnungen aller Ähnlichkeiten zum Trotz unterschiedliche Lösungen bereithalten und hier kein vereinheitlichtes materielles Recht auszumachen ist, wie es z.B. mit dem CISG für den Kaufvertrag im grenzüberschreitenden Verkehr geschaffen worden ist8. So ist denn auch das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht im Zusammenhang mit internationalen Bauwerkver1 Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4C.91/2003 v. 25.8.2003 E. 4.3.1; Frotz, Der Generalunternehmervertrag, S. 153; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 223; Hök, Handbuch, § 7; Koller, Berner Kommentar, N 204 zu Art. 363 OR; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB Rz. 44. 2 Bühler, Zürcher Kommentar, N 118 zu Art. 363 OR; Dünnweber, Vertrag zur Erstellung einer schlüsselfertigen Industrieanlage, S. 14; Egli, Der General- und der Totalunternehmer, S. 64 ff.; Huber/Schwendener, Der Generalunternehmervertrag, Rz. 1; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB, Rz. 44; Lucheschi, Rechtsprobleme bei Verträgen über Grossprojekte, S. 37 f.; Schumacher, Bauen mit einem Generalunternehmer, S. 43 ff.; Tercier/Favre, Les contrats spéciaux, Rz. 4278 ff.; Weder, Die Generalunternehmung im Hochbau, S. 3; Werro, Les contrats d’entreprise générale, S. 54 ff. 3 Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 222; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 15 zu Art. 363 OR. 4 Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 223. 5 Inwieweit dies zulässig ist, entscheidet sich nach Massgabe des Vertrags. 6 Ingenstau/Korbion, Anhang 2, Rz. 129. 7 Schweizerisches Bundesgericht BGE 114 II 53/54 ff. E. 2 = BR/DC 1/1989 S. 17 Nr. 8 sowie das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4C.91/2003 vom 25.8.2003 E. 4.3.1; überdies Bühler, Zürcher Kommentar, N 118 zu Art. 363 OR; Frotz, Der Generalunternehmervertrag, S. 154; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 233; derselbe, Der Totalunternehmervertrag, S. 39 ff.; Koller, Berner Kommentar, N 202 zu Art. 363 OR; Lucheschi, Rechtsprobleme bei Verträgen über Grossprojekte, S. 38 f.; Schumacher, Bauwerkverträge, § 12 Rz. 12.10; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB, Rz. 44; s. auch Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4C.91/2003 v. 25.8.2003 E. 4.3.1. 8 Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 324; zu den Besonderheiten grenzüberschreitender Bauwerkverträge vgl. auch Glavinis, Le contrat international de construction, Rz. 2 ff. und 517 ff.
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Teil C Rz. 421
Handel mit Dienstleistungen
trägen von erheblicher Bedeutung. Doch die Tragweite divergiert, je nach Umfang des Bauvolumens und vereinbartem Vertragsinhalt. Diesbezüglich wird zum Teil zwischen einfachen Bauwerkverträgen und mittleren bis grossen Bauwerk- und Anlagenbauverträgen unterschieden: – Einfache Bauwerkverträge sind Verträge, die ein verhältnismässig geringes Volumen aufweisen, eher handwerklichen Zuschnitts und hinsichtlich der Prozesstechnik weniger anforderungsreich sind als grössere Bauwerk- und Anlagenbauverträge, bei denen die Vertragsparteien sehr viel intensiver und über eine längere Zeit hin miteinander zu kooperieren haben1. Diese Unterschiede sind evident, wobei aber die praktische Erfahrung lehrt, dass durchaus auch bei einfachen Bauwerkverträgen ein erheblicher Koordinationsbedarf bestehen kann2. Denn fast generell gilt, dass ein Bauprojekt in Schieflage gerät, wenn Besteller und Unternehmer nicht zusammenwirken. Man sollte denn auch bei einfachen Bauwerkverträgen das Verhältnis nicht auf einen simplen Leistungsaustausch – Werkherstellung gegen Vergütung – reduzieren3, wobei es aber natürlich zutrifft, dass sich beim Bau von Einfamilienhäusern eher Fragen des Verbraucherschutzes als solche des internationalen Privatund Zivilverfahrensrechts stellen. – Im Rahmen von grossen Bauwerk- und Anlagenbauverträgen werden etwa bedeutende Infrastrukturvorhaben oder betriebsfertige Industrieanlagen realisiert4, wobei die Projektbeteiligten häufig aus verschiedenen Staaten kommen und es sich bei ihren Verträgen in diesem Sinne um internationale Werkverträge handelt. Erbracht werden Planungs-, Lieferungs-, Bau- und Inbetriebnahmeleistungen, allenfalls auch Serviceleistungen wie z.B. Ausbildung und Betrieb5. Nicht selten werden diese vielfältigen Leistungen einem einzigen Vertragspartner (einem Einzelunternehmer, häufiger aber einem Konsortium) übertragen, der sie dann ganz oder teilweise an Planer und Subunternehmer auslagert. Derartige Projekte sind meist sehr anspruchsvoll6, und dies nicht nur in technischer Hinsicht, sondern etwa auch mit Blick auf die Finanzierung, die zum Teil (beispielsweise im Autobahnbau) auf der Grundlage sog. „Öffentlich-Privater Partnerschaften“ (ÖPP) nicht durch die öffentliche Hand besorgt, sondern auf die privaten Akteure übertragen wird. Eine grosse Herausforderung ist auch die Langfristigkeit solcher Projekte, deren Realisierung sich meist über mehrere Jahre hinzieht, während dem sich Veränderungen ergeben 1 Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 336 und 341; Nicklisch, Besondere Vertragsstrukturen, S. 9 f.; Nicklisch, Die Rolle des Subunternehmers, S. 32 f. – Vgl. aber auch Bénabent, Droit des contrats spéciaux, Rz. 820, wo hervorgehoben wird, dass allen „contrats d’entreprise“ eine Kooperationspflicht eigen sei. 2 Statt vieler vgl. den Entscheid des dt. BGH v. 24.7.2003, NZBau 2003, 665 ff. (666). 3 So wohl aber Lessiak, Muster- und Modellverträge, S. 122; Nicklisch, Die Rolle des Subunternehmers, S. 31. 4 Busche in MünchKomm/BGB, § 631, N 232 ff.; Bydlinski, Vertragsrechtliche Grundfragen, S. 67 ff., insb. S. 75; Cendon, Commentario, Art. 1655 CCit, Ziff. 14 S. 44 f.; Dünnweber, Vertrag zur Erstellung einer schlüsselfertigen Industrieanlage, S. 1 ff. (insb. S. 33 ff. zum Industrieanlagenbauvertrag im französischen Recht); Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 239; Rummel/Krejci, §§ 1165, 1166 ABGB, Rz. 12; Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 48 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Lessiak, Muster- und Modellverträge, S. 121 ff. und S. 125 f.; Malaurie/Aynès/Gautier, Les contrats spéciaux, Rz. 742; Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 325, 336 und 341; derselbe, Die Rolle des Subunternehmers, S. 42 ff. 5 Dünnweber, Vertrag zur Erstellung einer schlüsselfertigen Industrieanlage, S. 28 und S. 37; Hök, Handbuch, § 12 Rz. 1; Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 48 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Royé, Die Schiedsgerichtsbarkeit, S. 34 f. Solche Verträge sind nicht in ihre Einzelteile zu zerlegen, sondern einheitlich dem Werkvertragsrecht zu unterstellen, vgl. dazu Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 340. 6 Bydlinski, Vertragsrechtliche Grundfragen, S. 71; Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 48 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Hök, Handbuch, § 12 Rz. 1; Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 340; Schuhmann, Neuere Entwicklungen, S. 293 ff., insb. S. 295; Wiegand, Das anwendbare materielle Recht, S. 82.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 422
Teil C
können, die in ihrer Art oder ihren Auswirkungen von den Parteien bei Vertragsschluss entweder gar nicht oder nicht ausreichend spezifisch antizipiert werden konnten1. Die hier in nur groben Zügen geschilderte Komplexität solcher Projekte schlägt sich naturgemäß in den Verträgen nieder, die zu ihrer Realisierung abgeschlossen werden. Unter anderem sind hier die Pflichten der Parteien im Bereich von Abstimmung und Kooperation in einer auf lange Frist angelegten Beziehung festzuschreiben. Im Regelfall versuchen die Parteien, im Vertrag eine umfassende, detaillierte Ordnung zu schaffen, die in dem Sinne autonom ist, als sie möglichst ohne Rückgriff auf nationale Rechtsordnungen auskommen soll. Allerdings ist eine allumfassende vertragliche Regelung kaum je machbar. Schon die Langfristigkeit der Vertragsverhältnisse und die Ungewissheit künftiger Entwicklungen führen dazu, dass in solchen Verträgen häufig mit Elementen operiert werden muss, die flexibel genug sind, damit der Vertrag auch für den Umgang mit Veränderungen eine belastbare Grundlage schafft2. Zudem treffen die Parteien auch dort, wo sie nach einer möglichst umfassenden vertraglichen Regelung streben, sinnvollerweise eine Rechtswahl, die auf das materielle Recht eines jener Staaten, denen die Parteien angehören, oder auch auf das Recht eines Drittstaates (und in diesem Sinne neutrales Recht) fallen kann3. Doch bleibt das Kollisionsrecht bedeutsam, da sich das anwendbare Recht dort, wo die Parteien es versäumen, eine Rechtswahl zu treffen4, im Streitfall nach seiner Massgabe bestimmt. 2. Über Verträge mit Subunternehmern In vielen Fällen schließt der Unternehmer (nachfolgend: Hauptunternehmer) seinerseits Werkverträge ab, mittels derer er die von ihm übernommenen Arbeiten teilweise oder vollständig an einen oder mehrere Subunternehmer (auch Nachunternehmer oder „sous-traitant“) weitergibt5. Häufig trifft der Hauptunternehmer die Auswahl seiner Subunternehmer selber, wobei es aber sein kann, dass der Besteller sich ausbedingt, die Subunternehmer zu genehmigen, oder sie dem Unternehmer gerade vorschreibt („nominated subcontractors“). Die Besonderheit der Subunternehmerverträge besteht nicht im Gegenstand der Leistung, auf den sie sich beziehen, sondern darin, dass der Besteller der Subunternehmerleistung als Hauptunternehmer seinerseits Schuldner ebendieser Leistung ist. Rechtsgeschäftliche Vorkehren vorbehalten, handelt es sich bei den Verträgen zwischen dem Hauptunternehmer und seinen Subunternehmern um Werkverträge, die sowohl in materiell-rechtlicher Hinsicht als auch bezüglich der Fragen punkto Gerichtszuständigkeit und Vertragsstatut rechtlich eigenständig, also mit dem Hauptvertrag zwischen Besteller und Hauptunternehmer nicht verknüpft sind. Was namentlich das Vertragsstatut angeht, so ist – mangels einer Rechtswahl – im Geltungsbereich der Rom I-VO (dazu Rz. 435) im Grundsatz auf das Recht jenes Staates abzustellen, in dem der Subunternehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Wollte man abweichend auch auf den Subunternehmervertrag das Recht anwenden, dem schon der Hauptvertrag unterliegt, müsste sich dies nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO aus der „Gesamtheit der Umstände“ geradezu aufdrängen, wobei sich eine solche akzessorische Anknüpfung allein durch den Umstand, 1 Bydlinski, Vertragsrechtliche Grundfragen, S. 67 f.; Lessiak, Muster- und Modellverträge, S. 122 f.; Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 336 und 341; Wiegand, Das anwendbare materielle Recht, S. 81 f. 2 Vgl. auch Nicklisch, Besondere Vertragsstrukturen, S. 9 f. 3 Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 326. 4 Was offenbar vorkommt, s. Hök, Handbuch, § 4 Rz. 42; Thode/Wenner, Internationales Architekten- und Bauvertragsrecht, Rz. 48. 5 Siehe z.B. die Definition in Art. 3.14 ÖNORM B 2010, wonach es sich bei einem Subunternehmer um einen Unternehmer handelt, der „Teile der an den Auftragnehmer (AN) übertragenen Leistungen ausführt und vertraglich an den AN gebunden ist“.
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Teil C Rz. 423
Handel mit Dienstleistungen
dass der Subunternehmervertrag funktional auf die Erfüllung des Hauptvertrags zugeordnet ist, keineswegs rechtfertigen lässt1. 423
Regelmäßig werden Haupt- und Subunternehmervertrag durch entsprechende Klauseln im Subunternehmervertrag rechtsgeschäftlich verknüpft, so etwa hinsichtlich des Vertragsschlusses, der Vertragsbeendigung, der Vergütung, der Mängelhaftung und auch des anwendbaren Rechts2. Für sich allein genommen bewirkt die Übernahme einer nichtstaatlichen Vertragsnorm (s. Rz. 449 ff.), die schon Bestandteil des Hauptvertrags ist, in einen Subunternehmervertrag keine solche Verknüpfung. Zuweilen hat der Hauptunternehmer nach seinem Bauwerkvertrag mit dem Besteller dafür zu sorgen, dass der Subunternehmervertrag mit einer Klausel ausgestattet wird, die es dem Besteller unter gewissen Umständen erlaubt, anstelle des Hauptunternehmers als Partei in den Subunternehmervertrag einzutreten (so z.B. Art. 4.4 FIDIC Red Book 1999). Was die Vergütung im Besonderen angeht, sind Verknüpfungsabreden häufig, mittels derer die Vergütungsschuld des Hauptunternehmers davon abhängig gemacht wird (im Sinne der Fälligkeit oder auch einer Bedingung), dass der Hauptunternehmer seinerseits vom Besteller bezahlt wurde (durch sog. „pay when paid“- oder „pay if paid“-Klauseln). Hinsichtlich der Haftung gilt der Subunternehmer als Erfüllungsgehilfe, für dessen Verhalten der Hauptunternehmer dem Besteller nach Massgabe der einschlägigen Bestimmungen einzustehen hat (z.B. Art. 101 OR, § 278 BGB und Art. 4.4 FIDIC Red Book 1999 [dazu Rz. 452]). Damit hat der Besteller zwar einen Anspruch gegen den Hauptunternehmer, nicht aber einen Durchgriff auf den Subunternehmer. Doch ist es möglich (und üblich), durch rechtsgeschäftliche Abreden sowohl im Haupt- als auch im Subunternehmervertrag Beziehungen zwischen dem Besteller und dem Subunternehmer zu erzeugen. Zum Beispiel kann der Subunternehmervertrag in der Weise ausgestaltet werden, dass er Abreden zugunsten des Bestellers enthält, deren Erfüllung dieser auf vertraglicher Grundlage direkt beim Subunternehmer einfordern kann. Verbreitet sind auch Abreden im Vertrag zwischen Besteller und Hauptunternehmer, nach denen der Besteller berechtigt ist, den Subunternehmer bei Vorliegen gewisser Umstände (z.B. bei Konflikten zwischen Haupt- und Subunternehmer) direkt zu bezahlen, dies entweder unter Anrechnung an die Vergütungsschuld gegenüber dem Unternehmer oder auch so, dass der Unternehmer die geleistete Zahlung auszugleichen hat, was dann zur Aufrechnung (Verrechnung) gegenseitiger Forderungen führen kann3. Diese Direktzahlungsbefugnis ist zwar verbreitet, wobei sich unter Umständen die Frage nach der Anfechtbarkeit solcher Zahlungen stellt, wenn der Hauptunternehmer in die Insolvenz gerät4.
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Meist fallen auch Subunternehmerverträge schlicht unter jene allgemeinen gesetzlichen Regeln, die auch für alle anderen Werkverträge gelten. Zum Teil aber werden sie gesetzlich besonders geregelt, um die als prekär empfundene Lage der Subunternehmer zu verbessern. So sieht Art. 3 des französischen Gesetzes Nr. 75–13345 zunächst vor, dass der Unternehmer dem Besteller jede Auftragsvergabe an einen Subunterneh1 Sehr zurückhaltend Martiny in MünchKomm/BGB, N 58 zu Art. 4 Rom I-VO; Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 376. 2 Solche Klauseln können sich auch in nichtstaatlichen Vertragsnormen (dazu Rz. 449 ff.) finden. Ein Beispiel ist der FIDIC-Mustervertrag für Subunternehmerverhältnisse aus dem Jahr 2011. 3 Siehe z.B. Art. 5.4 des FIDIC Red Book 1999, wonach der Besteller im Verhältnis zu „nominated subcontractors“ über eine Direktzahlungsbefugnis verfügt, und zwar „at his sole discretion“, was namentlich bedeutet, dass den Besteller keine entsprechende Zahlungspflicht trifft. 4 Vgl. dazu Art. 288 des Schweizer Gesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, wonach „alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner [hier der Hauptunternehmer] innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, … einzelne Gläubiger [hier den Subunternehmer] zum Nachteil anderer zu begünstigen“, anfechtbar sind. 5 Genauer: Loi n° 75-1334 du 31 décembre 1975 relative à la sous-traitance. Diesem Gesetz zufolge gilt bei Subsubunternehmerverträgen der Subunternehmer seinerseits als „entrepreneur principal“.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 426
Teil C
mer einschließlich der Zahlungsbedingungen („conditions de paiement“) offenzulegen hat. Dazu kommt, dass Subunternehmer durch eine öffentliche Auftraggeberin direkt zu vergüten sind („paiement direct“ nach Art. 4 ff.), wobei es dem Hauptunternehmer obliegt, die Berechtigung der Ansprüche zu prüfen. Zudem sieht das Gesetz bei Verträgen privater Besteller vor, dass der Subunternehmer einen Direktanspruch („action directe“ nach Art. 11 ff.) gegen den Besteller hat für den Fall, dass der Hauptunternehmer seiner Vergütungspflicht nicht spätestens binnen eines Monats, nachdem er vom Subunternehmer in Verzug gesetzt worden ist, nachkommt. Diese Bestimmungen sind nach Art. 15 des Gesetzes zwingender Natur und können durch die Wahl eines anderen Rechts nicht ausgeschaltet werden. 3. Über Verträge mit Planern Bei jedem Bauprojekt spielen die Planer (Architekten, Ingenieure und weitere) eine zentrale Rolle, und zwar in allen Projektphasen und häufig weit über den Abschluss der Bauarbeiten hinaus. Die möglichen Leistungsbilder sind ausserordentlich vielfältig, wobei aber doch allen Planerverträgen gemein ist, dass die Planer manches schulden, nicht aber Bauleistungen. Diese Eigenheit setzt ihre Verträge von den Bauwerkverträgen ab. Leistungsinhalt ist vielmehr eine intellektuelle Dienstleistung, die zum Teil (nicht immer) ihren Niederschlag in einem Plan oder einem anderen körperlichen Arbeitsergebnis findet. Das schlägt auf die Qualifikation dieser Verträge durch, die sich in rechtsvergleichender Sicht als deutlich weniger homogen erweist als die Zuordnung der Bauwerkverträge. Was die öffentliche Ausschreibung anbelangt, so gelten für Planerleistungen (nominal gesehen) wesentlich tiefere Schwellenwerte als für Bauleistungen, was sich damit erklärt, dass die Honorarsummen (absolut gesehen) tiefer liegen als die Vergütungen, die auf Bauwerkverträge entfallen. Angeknüpft werden die Verträge im EU-Raum nach den Regeln der Rom I-VO (Rz. 435), nach deren Art. 4 Abs. 1 lit. b bei Dienstleistungen grundsätzlich das Recht jenes Staates anwendbar ist, in dem der Planer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Auch hier bleibt eine Rechtswahl vorbehalten (Art. 3 Rom I-VO, Rz. 435).
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II. Forum und Vertragsstatut bei Bauwerkverträgen Im Schuldrecht sind zum Teil Strömungen zu erkennen, die auf eine materielle Rechtsvereinheitlichung hinauslaufen und ein Recht der Verträge schaffen, das man als internationales Vertragsrecht ansprechen mag. Dazu gehört prominent das UNKaufrecht vom 11.4.1980 (Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf, kurz: „CISG“ oder „Wiener Kaufrecht“). Zu nennen sind auch jene EU-Richtlinien, die für Teilbereiche des Vertragsrechts und damit punktuell rechtsvereinheitlichend wirken. Weiter ist (für den europäischen Raum) auf die „Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR)“ zu verweisen, die 2009 publiziert wurden. Dabei handelt es sich um einen an frühere Projekte anknüpfenden Vorschlag von rechtswissenschaftlicher Seite, der darauf angelegt ist, den Weg zur Vereinheitlichung des Privatrechts im EU-Raum zu ebnen. In Art. IV.–3:101 ff. finden sich einige Bestimmungen zu Bauwerkverträgen, die jedoch – mangels Detaillierungsgrad – andere bauspezifische Regelwerke keineswegs obsolet machen. Natürlich sind diese Bestimmungen nicht isoliert, sondern im Kontext der übrigen Regeln des DCFR zu lesen, wo sich (wiederum im Sinne eines Beispiels) allgemeine Regeln zur Vertragsauslegung finden (in Art. II.–8:101 ff.), die sich auch bei Bauwerkverträgen verwenden lassen. Offen ist, ob sich die Prinzipien dereinst zu einem vereinheitlichten europäischen Vertragsrecht verfestigen werden. Zu erwähnen sind zudem die „Unidroit-Principles“ für internationale Handelsverträge (aktuell aus dem Jahr 2010), die zwar eher für Kaufverträge geschaffen wurden und nicht spezifisch auf Bauwerkverträge zugeschnitten sind. Die illustrierenden Beispiele,
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Teil C Rz. 427
Handel mit Dienstleistungen
die sich in der offiziellen Fassung finden, nehmen jedoch so häufig auf das Bauen Bezug, dass klar wird, dass es den Verfassern auch darum ging, Regeln für diesen Bereich zu schaffen. Die Principles werden von einer Präambel eingeleitet, die ihnen einen möglichst weiten Anwendungsbereich sichern soll – so wollen sie u.a. auch Ausdruck der „lex mercatoria“ sein. Sicher ist, dass die Unidroit-Principles dadurch Geltung erlangen können, dass sie von den Parteien mittels rechtsgeschäftlicher Abrede (ganz oder auszugsweise) übernommen werden. Zum Teil sind die Unidroit-Principles (etwa jene zur Umschreibung veränderter Umstände [„Hardship“] in Art. 6.2.2) aber so offen gehalten, dass es sich empfiehlt, bei der Vertragsgestaltung zu prüfen, ob konkretisierende Abreden formuliert werden sollten. 427
Je weiter die materielle Rechtsvereinheitlichung geht, desto geringer wird die Notwendigkeit, das anwendbare Recht mittels Kollisionsnormen zu bestimmen1, wobei die Kollisionsnormen aber ihre Funktion keineswegs vollständig einbüssen. Denn: – Zum einen schreitet die materiell-rechtliche Vereinheitlichung nicht in allen Rechtsgebieten gleichmässig fort2. Sie verdichtet sich zwar – wie eben ausgeführt – im internationalen Kaufvertragsrecht, wobei sich für das CISG keineswegs behaupten lässt, es komme flächendeckend zum Einsatz. Für das internationale Bauwerkvertragsrecht lassen sich zwar Prinzipien und nichtstaatliche Vertragsnormen (zu den FIDIC-Bedingungen im Besonderen Rz. 452), nicht aber vereinheitlichte Rechtsvorschriften finden3. Im Umgang mit entsprechenden Verträgen sind deshalb die nationale Kodifikationen nach wie vor sehr bedeutsam. – Zum anderen spielen Kollisionsnormen und nationale Regelwerke überall dort eine unverzichtbare Rolle, wo die Parteien keine umfassenden Vertragswerke schaffen. Bisweilen versäumen es die Parteien, eine Rechtswahl zu treffen. Häufig wird zwar gesagt, dass gerade bei grossen Projekten die Verträge darauf angelegt seien, das Verhältnis zwischen den Parteien möglichst umfassend zu regeln. Doch lässt sich selbst dort, wo das Bemühen der Parteien in diese Richtung geht, kaum vertragliche Vollständigkeit erzielen, weshalb es in diesen Fällen eine nationale Rechtsordnung als Auffangnetz braucht.
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Kommt es in internationalen Verhältnissen zum Streit, ist zunächst die gerichtliche Zuständigkeit zu klären (Rz. 429 ff.), bevor das anwendbare Recht bestimmt wird (Rz. 434 ff.). 1. Zur Regelung der Gerichtszuständigkeit
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Mit dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ, auch: Brüsseler Übereinkommen) wurde erstmals die Zuständigkeit der Gerichte gegenüber einem Beklagten, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hat, geregelt4. Damit stiessen die Mitgliedstaaten der EU die Tür zu einem einheitlichen europäischen Justizraum auf. Seither trieben sie die Harmonisierung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit der Gerichte im europäischen Raum kontinuierlich voran: Am 1.3.2002 ersetzten sie die EuGVÜ durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung 1 Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 323. 2 Magnus in Staudinger/BGB, N 4 der Einl. zur Rom I-VO; Posch, Internationales Privatrecht, Rz. 15/2. 3 Glavinis, Le contrat international de construction, Rz. 7; Glöckner/von Berg/Glöckner, Bau- und Architektenrecht, N 1 zu Einl. II. 4 Buhr, Europäischer Justizraum, Rz. 66; Geimer, IZPR, Rz. 246; Hausmann, unalex Kommentar, N 20 der Einl.; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rz. 6; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, Einl. Brüssel Ia-VO, Rz. 2; Walter/Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, § 5A I, S. 173.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 432
Teil C
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGV-VO, auch Brüssel I-VO). Und gut zehn Jahre später (am 10.1.2015) wurde die Brüssel I-VO von der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) abgelöst1. Diese Verordnung regelt Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; massgebend ist sie für die EU-Mitgliedstaaten2. Nach dem zentralen Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO können die Parteien die Zuständigkeit „unabhängig von ihrem Wohnsitz“ durch Prorogation begründen. Indem es auf den Wohnsitz nicht ankommt, hat die Bestimmung einen sehr weiten räumlich-persönlichen Anwendungsbereich. Art. 25 Brüssel Ia-VO deckt denn auch die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Parteien, von denen weder die eine noch die andere ihren Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat hat, solange und soweit das prorogierte Forum im örtlichen Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO liegt3. Mittels des in Art. 31 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verankerten Prioritätsprinzips soll Gerichtsstandsvereinbarungen insofern Vorrang zukommen, als ein anderes Gericht das Verfahren auszusetzen hat, bis das „auf der Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist“. Diese Vorkehr ist gegen die Taktik gerichtet, Gerichtsstandsvereinbarungen mit einer negativen Feststellungsklage vor einem unzuständigen (und möglichst langsam arbeitenden) Gericht in einem anderen Staat zu unterlaufen4.
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Liegt keine Gerichtsstandsvereinbarung vor, bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit auch in Bausachen nach den Regeln der Brüssel Ia-VO. Demnach sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen (Art. 4 Ziff. 1 Brüssel Ia-VO). Bei grenzüberschreitend erbrachten Baudienstleistungen ist namentlich zu beachten, dass Vertragsansprüche gegen den Unternehmer überdies „vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“, eingeklagt werden können, wenn der beklagte Unternehmer seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat (s. Art. 7 Ziff. 1 Brüssel Ia-VO). Ist an einem Bauwerkvertrag ein Verbraucher beteiligt, sind die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO einschlägig, zumal Art. 17 Abs. 1 lit. c der Brüssel Ia-VO diesen Bestimmungen einen weiten Anwendungsbereich sichert. Hat die beklagte Partei ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat, so bestimmt sich die Zuständigkeit des Forumsstaates nach dessen eigenen Regeln (Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO)5. Noch immer aber kann die Zuständigkeit nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO durch vorbehaltlose Einlassung begründet werden.
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Keine Geltung hat die Brüssel Ia-VO außerhalb der EU-Mitgliedstaaten (Rz. 429). Namentlich zwischen Island, Norwegen, der Schweiz und der Europäischen Union ge-
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1 Geimer, IZPR, Rz. 246; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rz. 11; Rauscher/Staudinger, EuZPR/EuIPR, Einl. Brüssel Ia-VO, Rz. 2 ff. 2 Genau genommen bindet die Brüssel Ia-VO alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks. Die Europäische Gemeinschaft und das Königreich Dänemark haben mittels eines Abkommens (unterzeichnet am 19.10.2005, in Kraft getreten am 1.7.2007) vereinbart, dass die Brüssel I-VO auch im Verhältnis zu Dänemark Anwendung finde. Später hat Dänemark auch die Brüssel Ia-VO übernommen. 3 Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Brüssel I-VO hatte noch vorausgesetzt, dass mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat; dazu Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rz. 4. 4 Man spricht von „Torpedoklagen“; einschlägig unter anderen Carl, Einstweiliger Rechtsschutz, insb. S. 49 ff.; Schmehl, Torpedoklagen, S. 7 ff., 208 ff. und S. 342 ff. Vorstellbar ist indes, dass es jetzt zur „Torpedierung“ in umgekehrter Richtung kommt, indem eine Partei das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung einzig mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung behauptet, wobei es aber praktisch nicht einfach sein dürfte, dies zu bewerkstelligen. 5 Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 6 Brüssel Ia-VO, Rz. 1.
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Teil C Rz. 433
Handel mit Dienstleistungen
langt das Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (LugÜ) zur Anwendung1. In Bezug auf dieses Übereinkommen seien zwei Punkte hervorgehoben: – Das Lugano-Übereinkommen wurde letztmals revidiert, um die mit der Brüssel I-VO verbundenen Neuerungen nachzuvollziehen, dies – wie das LugÜ es selber ausdrückt – „in der Überzeugung, dass die Ausdehnung der Grundsätze der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 auf die Vertragsparteien des vorliegenden Übereinkommens die rechtliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärken wird“. Damit wurde der Gleichlauf wieder hergestellt – LugÜ und Brüssel I-VO haben (abgesehen von minimalen Abweichungen) denselben Text. Eine Anpassung an die Brüssel IaVO, welche die Brüssel I-VO ersetzt hat, ist bislang nicht erfolgt. Im Übrigen ist zum Verhältnis zwischen LugÜ und der Brüssel Ia-VO Folgendes anzumerken2: Für die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten ist im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO allein diese Verordnung (nicht das LugÜ) massgebend. Verweisen die Anknüpfungspunkte jedoch auf einen Nicht-EU-, aber LugÜ-Staat (z.B. auf die Schweiz), so gelangt das LugÜ zur Anwendung. – Wie die europäischen Verordnungen misst auch das LugÜ einer von den Parteien getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung hohe Bedeutung bei (Art. 23 Ziff. 1 LugÜ). Wo es aber an einer Prorogation fehlt, sind Klagen grundsätzlich im Sitzstaat der beklagten Partei zu führen (Art. 2 Ziff. 1 LugÜ)3. In Streitigkeiten aus Bauwerkverträgen ist namentlich der Erfüllungsort für Dienstleistungsverträge relevant, an dem Art. 5 Ziff. 1 LugÜ einen Gerichtsstand begründet, dies in gleicher Weise wie Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Rz. 431). 433
Weil Liechtenstein nicht der EU zugehört, gilt dort die Brüssel Ia-VO nicht; doch ist Liechtenstein auch nicht Vertragspartner des LugÜ4. Die Zuständigkeit der liechtensteinischen Gerichte bestimmt sich deshalb auch in internationalen Verhältnissen nach der liechtensteinischen Jurisdiktionsnorm vom 10.12.1912, wobei deren § 53 die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung vorsieht5. 2. Zur Ermittlung des anwendbaren Rechts
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In der Einleitung zu den Bauwerkverträgen im internationalen Kontext (Rz. 418 ff.) haben wir das CISG bereits angesprochen. Da es international vereinheitlichtes Sachrecht darstellt, geht es den nationalen Regelungen vor und ist unmittelbar anwendbar (vgl. aber Art. 6 CISG)6. Zugeschnitten ist das CISG auf Kaufverträge über Waren zwi1 Die erste Fassung des LugÜ (aLugÜ) datiert vom 16.9.1988. Vertragspartner des aktuellen LugÜ von 2007 sind die EU (also nicht deren Mitgliedstaaten) sowie Dänemark, Norwegen, Island und die Schweiz. 2 Dazu und zum Folgenden vgl. Walter/Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, § 5A I, S. 175. 3 Wobei auch das LugÜ – wie die Brüssel Ia-VO – Sonderanknüpfungspunkte normiert. 4 Walter/Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, § 5A I, S. 175. 5 Mit Bezug auf Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen gilt nationales Recht, im Verhältnis zwischen Liechtenstein und der Schweiz das einschlägige Abkommen vom 25.4.1968, das in seinem Anwendungsbereich die nationalen Kollisionsnormen verdrängt. 6 Art. 1 Abs. 1 CISG; s. aber Art. 6 CISG: „Die Parteien können die Anwendung dieses Übereinkommens ausschließen oder, vorbehaltlich des Art. 12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkung ändern.“ In Deutschland wurde das CISG in den ersten Jahren nach seinem Inkrafttreten regelmäßig ausgeschlossen, was seine praktische Bedeutung markant einschränkte. Die letzten Jahre war diesbezüglich jedoch ein Umschwung zu verzeichnen, u.a. wohl auch deshalb, weil mit der Schuldrechtsmodernisierung von 2002 das deutsche Recht stark dem UN-Kaufrecht angenähert worden ist. So Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 93. Vgl. auch Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 6; Güllemann, Internationales Vertragsrecht, S. 121.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
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schen Parteien, die ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben. „Den Kaufverträgen stehen Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware gleich, es sei denn, dass der Besteller einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst zu liefern hat“ (Art. 3 Abs. 1 CISG). Damit stellt das CISG klar, dass es nicht bloss auf Kauf-, sondern auch auf Werklieferungsverträge Anwendung findet1. Nicht anwendbar ist das Übereinkommen nach Art. 3 Abs. 2 CISG auf Verträge, bei denen der überwiegende Teil der Pflichten der Partei, welche die Ware liefert, in der Ausführung von Arbeiten oder anderen Dienstleistungen besteht“. Gemeint sind Arbeiten und Dienstleistungen, die über die Herstellung des Vertragsgegenstands hinausgehen (etwa bei Verträgen mit Montage-, Inbetriebnahme-, Wartungs- und Schulungspflichten). Nicht Sach-, sondern Kollisionsrecht fand sich im EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (EVÜ)2, das am 17.6.2008 durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-Verordnung, Rom I-VO) ersetzt wurde3. Dadurch wurde das europäische Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse weitgehend vereinheitlicht. Die Rom I-VO gilt grundsätzlich für alle vertraglichen Schuldverhältnisse, also auch für Kauf-, Werk- und Werklieferungsverträge4, soweit sie nach dem 17.12.2009 abgeschlossen wurden5. Sie ist in den EU-Mitgliedsstaaten6 unmittelbar anwendbar, bedarf mithin keiner Umsetzung und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die nationalen Kollisionsrechte (Art. 29 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 288 Abs. 2 AEUV)7. Die Rom I-VO ist nach ihrem Art. 2 universell anwendbar; vorausgesetzt sind bloss irgendwelche „situations involving a conflicts of laws“8, unter Umständen also auch der Verweis auf das Recht eines Drittstaates oder eine entsprechende vertragliche Vereinbarung9, nicht aber, dass die Rechtsordnungen zweier
1 Darin unterscheidet sich das CISG von jenen nationalen Rechtsordnungen (unter anderen auch der schweizerischen), die den Werklieferungsvertrag nicht dem Kauf-, sondern dem Werkvertragsrecht zuweisen. Vgl. Feit, Handkommentar CISG, N 1 und N 3 zu Art. 3 CISG; Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 6; Keller/Kren Kostkiewicz, Zürcher Kommentar zum IPRG, N 132 zu Art. 117 IPRG; Kramer/Koziol, Zur Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts, Rz. 20 ff. 2 Bairlein, Internationales Vertragsrecht, S. 25 f.; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 1 zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 2; Magnus in Staudinger/BGB, N 15 und 22 ff. der Einl. zur Rom I-VO; Thode/Wenner, Internationales Architekten- und Bauvertragsrecht, Rz. 486 ff. – In Deutschland war das EVÜ durch die Art. 27 bis 37 EGBGB umgesetzt worden; sie sind auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom I-VO hin aufgehoben worden. Vgl. dazu Hök, Handbuch, § 4 Rz. 6; Magnus in Staudinger/BGB, N 30 Einl. zur Rom I-VO. 3 Audit/d’Avout, Droit international privé, Rz. 899; Bairlein, Internationales Vertragsrecht, S. 26 ff.; Brödermann/Rosengarten/Klingel, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Rz. 358; Freitag, Rom I, S. 169 ff.; Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 2; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 1 und 6 zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 2 f.; Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, § 5 Rz. 66; Mankowski, Dépec¸age, S. 261 ff.; Magnus in Staudinger/BGB, N 29 der Einl. zur Rom I-VO. 4 Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 2; Magnus in Staudinger/BGB, N 29 Einl. zur Rom I-VO. 5 Audit/d’Avout, Droit international privé, Rz. 899; Brödermann/Rosengarten/Klingel, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Rz. 358; Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, § 5 Rz. 66. 6 Die Rom I-VO hat in den meisten EU-Mitgliedstaaten das EVÜ abgelöst; gemäß Erwägungsgrund Nr. 46 beteiligt sich nur Dänemark nicht an dieser Verordnung. Vgl. Brödermann/Rosengarten/ Klingel, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Rz. 358. 7 Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1.53; Magnus in Staudinger/ BGB, N 30 Einl. zur Rom I-VO. Die Rom I-VO wird autonom (losgelöst von den Regeln des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten) ausgelegt, vgl. statt vieler Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 11 zur Rom I-VO. 8 Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO, englische Fassung. 9 Eine entsprechende Vereinbarung untersteht der Voraussetzung der Gültigkeit der Rechtswahl, vgl. Art. 3 Rom I-VO.
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Teil C Rz. 435
Handel mit Dienstleistungen
EU-Mitgliedstaaten miteinander in Konflikt stehen1. Eingehen möchten wir weiter auf folgende Punkte: – Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO kodifiziert den Grundsatz der Parteiautonomie („freedom of choice“), indem die Bestimmung vorsieht, dass in erster Linie auf die von den Vertragsparteien vereinbarte Rechtswahl abzustellen ist2, solange sie ausdrücklich erfolgte oder sich eindeutig aus dem Vertrag oder den Umständen des Falles ergibt3. Mithin ist auch eine konkludente oder stillschweigende Rechtswahl möglich4. Zu begründen brauchen die Parteien ihre Wahl nicht, weshalb sie auch kein besonderes Interesse an der gewählten Rechtsordnung zu belegen haben5. Die Wahl des anwendbaren Rechts ist naturgemäß auch bei Bauwerkverträgen mit internationaler Beteiligung bedeutsam, wobei die Rechtswahl aber häufig vom Besteller in der Ausschreibung vorgegeben wird, der sich dann meist für sein „eigenes“ Recht entscheidet. Die FIDIC-Bedingungen (Rz. 452 ff.) stehen zwar auf dem Boden des Common Law, enthalten aber keine Regel, nach der sich das anwendbare Recht bestimmen ließe. Vielmehr setzen sie voraus, dass die Parteien eine Rechtswahl treffen, wobei sie davon ausgehen, dass diese Wahl im „Appendix to Tender“ vorgegeben wird6. Bei dieser Entscheidung, der nicht immer gebührend Beachtung geschenkt wird, ist vor allem in Anschlag zu bringen, dass das gewählte Recht mit dem Vertragsinhalt harmoniert und nicht Elemente enthält, die seiner Gültigkeit abträglich sein könnten. Das ist besonders zu betonen, weil in Bauwerkverträge häufig auf die Bedürfnisse des Bauens zugeschnittene, allgemeine Geschäftsbedingungen integriert werden (Rz. 449), die von ihren Verfassern vor dem Hintergrund einer bestimmten nationalen Rechtsordnung konzipiert worden sind. Die Übernahme solcher Geschäftsbedingungen ohne gleichzeitige Wahl des Rechts, der sie zugehören, kann sich als streitanfällig erweisen. Ohnehin wird in einer idealen Welt schon bei der Erarbeitung des Vertrags – wozu auch die Evaluation passender allgemeiner Geschäftsbedingungen für Bauleistungen gehört – ständig gefragt, in welches nationale Recht sich die gewünschten Abreden am Effektivsten einbetten lassen. Nicht selten behelfen sich die Parteien mit der Wahl des Rechts eines Drittstaates, wobei sie sich dann zumindest davon überzeugen sollten, dass das gewählte Recht einen hohen Grad an Privatautonomie gewährleistet7 und dass der (öffentliche) Besteller faktisch keine Möglichkeit hat, bei 1 Leible, NK-BGB, N 2 zu Art. 2 Rom I-VO. 2 Vgl. dazu auch Bairlein, Internationales Vertragsrecht, S. 107 ff.; Basedow, Theorie der Rechtswahl, S. 32 ff.; Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 3; Güllemann, Internationales Vertragsrecht, S. 128 f.; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 19 ff. zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 6, 13 und 22 ff.; Mankowski, Dépec¸age, S. 263; Posch, Internationales Privatrecht, Rz. 15/5; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 2.1 ff. sowie Rz. 2.64 ff.; Magnus in Staudinger/BGB, N 68 f. der Einl. zur Rom I-VO sowie N 26 ff. zu Art. 3 Rom I-VO (zur Anerkennung des Grundsatzes der Privatautonomie in der Schiedsgerichtsbarkeit); Thode/Wenner, Internationales Architekten- und Bauvertragsrecht, Rz. 40 ff. (zum Prinzip der Parteiautonomie, aber unter der Ägide des EBGB und des EVÜ); Verschraegen, Internationales Privatrecht, Rz. 397. – Allgemein zur Begründung der Rechtswahl s. auch Basedow, Theorie der Rechtswahl, S. 32 ff. 3 Audit/d’Avout, Droit international privé, Rz. 900 ff. (zum Prinzip der Privatautonomie im französischen Recht); Bairlein, Internationales Vertragsrecht, S. 114; Brödermann/Rosengarten/ Klingel, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Rz. 360 f.; Verschraegen, Internationales Privatrecht, Rz. 397 ff. 4 OLG München v. 12.1.2009 – 5 U 2283/08 Rz. 39 ff.; Bairlein, Internationales Vertragsrecht für freie Berufe, S. 113 f.; Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 3; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 23 zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 6 und 26 ff.; Mankowski, Dépec¸age, S. 265; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 2.64 ff. 5 Magnus in Staudinger/BGB, N 30 zu Art. 3 Rom I-VO; Verschraegen, Internationales Privatrecht, Rz. 400. 6 Vgl. z.B. Art. 1.4 FIDIC Red Book 1999: „The Contract shall be governed by the law of the country (or other jurisdiction) stated in the Appendix to Tender.“ 7 Vgl. Bairlein, Internationales Vertragsrecht, S. 111 f.; Güllemann, Internationales Vertragsrecht, S. 129; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 39.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 435
Teil C
Bedarf nach Vertragsschluss auf eine ihn begünstigende Umgestaltung des gewählten Rechts hinzuwirken1. – Für den Fall, dass die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, kommt die Anknüpfung zum Tragen, welche die Verordnung für Dienstleistungsverträge vorsieht. Dienstleistungsverträge im Sinne der Rom I-VO sind all jene Verträge, die auf eine Tätigkeit gerichtet sind2, was stets auch auf Bauwerkverträge zutrifft3. Alsdann bestimmt sich das auf Bauwerkverträge anzuwendende Recht grundsätzlich gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, nach dem „Dienstleistungsverträge … dem Recht des Staates [unterliegen], in dem der Dienstleister [im vorliegenden Kontext: der Unternehmer] seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“4. Zum gleichen Recht führt (bei Bauwerkverträgen) die Anwendung des in Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO enthaltenen Vorbehalts, wonach das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser Vorbehalt greift dann, wenn die „Bestandteile des Vertrags durch mehr als einen der Buchstaben a bis h des Abs. 1 [von Art. 4] abgedeckt“ sind, da die für die Bauverträge „charakteristische Leistung“ auch dann vom Unternehmer (bzw. vom Subunternehmer) erbracht wird, wenn er im Bündel Leistungspflichten übernommen hat, die für sich genommen (bei isolierter Betrachtungsweise) allenfalls unterschiedlichen Vertragstypen zuzuweisen wären. – Weist ein Bauwerkvertrag keine Rechtswahl auf, ist mithin das Recht des Staates anwendbar, in dem der Unternehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat5. Von diesem Grundsatz ist allenfalls dann abzuweichen, wenn sich die Leistung des Unternehmers nicht in der eigentlichen Bauleistung erschöpft, sondern ihn überdies die Pflicht trifft, dem Besteller Eigentum am Baugrundstück zu verschaffen. Für diesen Fall stellt sich die Frage, ob nach Massgabe des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO an das Recht des Belegenheitsortes anzuknüpfen sei, nach dem namentlich „Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen … zum Gegenstand haben, … dem Recht des Staates [unterliegen], in dem die unbewegliche Sache belegen ist“. 1 Beiden Anforderungen vermag etwa das schweizerische Recht zu genügen, weshalb es in internationalen Verhältnissen oft als „neutrales“ Recht gewählt wird. Die Wahl ist häufig eine Kompromisslösung und nicht das Ergebnis längerer Reflexion darüber, in welche Rechtsordnung sich der gewählte Vertrag am besten einfügt. Zu beachten ist überdies, dass selbst das Recht eines neutralen Staates nicht neutral ist, da jeder Gesetzgeber bestimmte Wertungsentscheidungen trifft. Diese Entscheidungen kommen jedenfalls dann zum Tragen, wenn der Vertrag entsprechende Lücken aufweist und nun – nach Massgabe des gewählten und deshalb anwendbaren Rechts – zu ergänzen ist. 2 Unter anderem also auch Dienst-, Werk- und Maklerverträge, vgl. auch Hök, Handbuch, § 4 Rz. 50. 3 Vgl. österreichischer OGH 2Ob 192/07k v. 24.1.2008 (Österreich); Brödermann/Wegen, PWWKommentar, Rz. 11 zu Art. 4 Rom I-VO; Ferrari/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rz. 175 zu Art. 4 Rom I-VO; Freitag, Grenzüberschreitende Bau- und Planerverträge, Abschnitt P, Rz. 20; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 39 ff. zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 9 und 41; Reithmann/Martiny/Thode, Internationales Vertragsrecht, Rz. 6.386; Magnus in Staudinger/BGB, N 342 zu Art. 4 Rom I-VO; Verschraegen, Internationales Privatrecht, Rz. 414. 4 Zu all dem s. auch Audit/d’Avout, Droit international privé, Rz. 914; Freitag, Grenzüberschreitende Bau- und Planerverträge, Abschnitt P, Rz. 20; Grau/Markwardt, Internationale Verträge, S. 4; Glöckner/von Berg/Hausmann, Bau- und Architektenrecht, N 39 ff. zu Rom I-VO; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 9 und 41; Verschraegen, Internationales Privatrecht, Rz. 414 und 416. 5 Brödermann/Wegen, PWW-Kommentar, Rz. 11 zu Art. 4 Rom I-VO; Ferrari/Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rz. 175 zu Art. 4 Rom I-VO; Freitag, Grenzüberschreitende Bau- und Planerverträge, Abschnitt P, Rz. 20; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 11 und 41; Keller/Kren Kostkiewicz, Zürcher Kommentar zum IPRG, N 89 f. zu Art. 117 IPRG; Martiny in MünchKomm/BGB, N 36 ff., 46 und 56 ff. zu Art. 4 Rom I-VO; Palandt/Thorn, BGB, N 10 zu Art. 4 Rom I-VO; Reithmann/Martiny/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 2.182; Reithmann/Martiny/Thode, Internationales Vertragsrecht, Rz. 6.386; Magnus in Staudinger/BGB, N 342 f. zu Art. 4 Rom I-VO.
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Teil C Rz. 436
Handel mit Dienstleistungen
Diese Anknüpfung am Belegenheitsort wird gemeinhin befürwortet1. Denkbar ist aber an sich auch eine Anknüpfung nach Massgabe des vorstehend erwähnten Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO. Dieser Bestimmung zufolge kommt es für die Festsetzung des anwendbaren Rechts (wiederum) auf den gewöhnlichen Aufenthalt jener Partei an, „welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat“, wenn die „Bestandteile des Vertrags durch mehr als einen der Buchstaben a bis h des Abs. 1 abgedeckt“ sind. – Die hier skizzierten Grundsätze für die Anknüpfung von Bauwerkverträgen stehen unter dem Vorbehalt des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, dass sich bei der Prüfung der „Gesamtheit der Umstände“ zeigt, dass der „Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Abs. 1 oder 2 bestimmten Staat aufweist“. Alsdann ist das Recht „dieses anderen Staates“ anzuwenden. Delikat ist, dass der Artikel nicht weiter ausführt, welcher Art die Umstände sein müssen, damit der Vorbehalt greift2. Deshalb ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Dabei mögen sich allenfalls bei Bauwerkverträgen, bei denen die Leistungen des Unternehmers zum überwiegenden Teil im Staat, in dem die Baustelle liegt, erbracht werden, Umstände finden lassen, die es nahelegen, das Baustellen- statt das Unternehmerrecht anzuwenden3. Zweifelhaft ist allerdings, ob der Umstand allein schon ausreicht, dass sich Probleme mit der Abwicklung von Bauwerkverträgen jedenfalls insoweit, als es um die Unternehmerleistung geht, regelmäßig am Ort der Baustelle (Erfüllungsort) manifestieren4. – Zu erinnern ist daran, dass nach Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO immer dann, wenn der Unternehmer für die Erfüllung eines Bauwerkvertrags eine „Zweigniederlassung … oder sonstige Niederlassung“ im Staat begründet, in dem die Baustelle liegt, der Ort der Zweigniederlassung als Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes gilt. Handelt es sich nicht um eine Zweigniederlassung oder ähnliches, sondern darum, dass der Vertrag von einer Gesellschaft eingegangen wird, die ihren Sitz im Staat hat, in dem sich auch die Baustelle befindet, so fehlt es auch dann am für die Anwendung der Rom I-VO unabdingbaren Erfordernis, dass der Vertrag eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ aufweist (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO), wenn sich die Gesellschaft als Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft erweist. 436
Die Rom I-VO ist zwar selbst dann anwendbar, wenn der „conflict of laws“ zwischen den Rechtsordnungen zweier Staaten besteht, die keine EU-Mitgliedstaaten sind. Zum Tragen aber kommt sie nur dann, wenn das Forum in einem EU-Mitgliedstaat begründet wird. Schweizerische Gerichte etwa werden zur Ermittlung des anwendbaren Rechts nicht die Rom I-VO, sondern ihr eigenes Kollisionsrecht anwenden, das grundsätzlich im Schweizer IPRG kodifiziert ist. Wie in der Rom I-VO steht hier die Rechtswahl der Parteien im Vordergrund (Art. 116 Abs. 1 IPRG). Nach Art. 117 IPRG ist – wie noch in Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EVÜ – nach Massgabe des engsten Sachzusammenhangs anzuknüpfen, wobei zu vermuten ist, dass dieser Konnex mit der Rechtsordnung jenes Staates bestehe, in dem die Schuldnerin der charakteristischen Leistung ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Niederlassung hat. Bei Aufträgen, Werk- und ähnlichen 1 Vgl. dazu auch der deutsche BGH RIW 1999 S. 456 f.; Glavinis, Le contrat international de construction, Rz. 7; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 11 und 49; kritisch Wiegand, Das anwendbare materielle Recht, S. 85 ff.; ähnlich zurückhaltend der österreichische OGH in SZ 67/147, wonach in Österreich nicht das Recht des Baustellenlandes, sondern das Recht der charakteristischen Leistung zu berücksichtigen sei, wo auch immer das Bauwerk errichtet werde. Allgemein zur objektiven Anknüpfung des Schuldvertrages am Ort der Erfüllung vgl. Posch, Internationales Privatrecht, Rz. 15/4. 2 Hök, Handbuch, § 4 Rz. 50. 3 Beispiele finden sich bei Hök, Handbuch, § 2 Rz. 52. 4 Ebenso Glavinis, Le contrat international de construction, Rz. 7; Hök, Handbuch, § 4 Rz. 10. Zum Anknüpfungspunkt des Erfüllungsortes im IPR im Allgemeinen vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 469 f.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 438
Teil C
Dienstleistungsverträgen ist es die Leistung des Dienstleisters, die als charakteristisch gilt1. Gerade in Bezug auf Bauwerke, die untrennbar mit einem Grundstück verbunden sind, postuliert ein Teil der Lehre aber, dass mit dem Prinzip der lex rei sitae anzuknüpfen sei2. Das Schweizer IPRG steht einer Anknüpfung am Ort der Baustelle nicht entgegen, da in jedem Fall der engste Zusammenhang den Ausschlag gibt und sich dieser lediglich vermutungsweise – also nicht zwingend, sondern widerlegbar – anhand der charakteristischen Leistung herleiten lässt.
III. Über die Normierung der Bauwerkverträge 1. Vorbemerkungen zum öffentlichen Vergaberecht Gerade bei Bauwerkverträgen spielt das öffentliche Vergaberecht heute eine eminent wichtige Rolle, was sich schon am Volumen der Aufträge zeigt, die von der öffentlichen Hand und den mit ihr verbundenen Körperschaften nach Massgabe dieser Regeln vergeben werden3. Das Vergaberecht regelt die Vertragsanbahnung, wo es die zivilrechtlichen Anbahnungsregeln teils ergänzt, teils verdrängt. Geringeren Einfluss hat es auf die Vertragsabwicklung, die (etwa aus Schweizer Sicht) überwiegend vom zivilrechtlichen Vertrag beherrscht wird. Das öffentliche Vergaberecht verfolgt multiple Ziele, von denen hier in Stichworten die folgenden genannt seien: Herstellung von Transparenz über die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand, u.a. um korruptiven Machenschaften entgegenzuwirken; Begünstigung der Wirtschaftlichkeit staatlichen Ausgabeverhaltens durch die Pflicht, Aufträge im Wettbewerb zu vergeben; Öffnung der staatlichen Beschaffungsmärkte, um den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu fördern; Sicherung von Individualrechtsschutz, der indes nicht nur dem einzelnen Anbieter dienen soll, sondern auch im öffentlichen Interesse an der Durchsetzung des Vergaberechts liegt. Das öffentliche Vergaberecht speist sich aus einer Vielzahl von Rechtsquellen, was die Anwendung zum Teil erschwert:
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Einschlägig ist zunächst das GATT/WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15.4.1994. Bei diesem Staatsvertrag handelt es sich um ein plurilaterales Abkommen, das formell Bestandteil des Anhangs 4 zum Abkommen über die Errichtung der Welthandelsorganisation ist. Dieses Abkommen (Agreement on Government Procurement oder GPA) ersetzte für die Staaten, die es ratifiziert hatten, das aus der Tokio-Runde hervorgegangene Übereinkommen vom 12.4.1979. Eine seiner bedeutsamen Innovationen lag sicherlich in der Einführung von Bestimmungen, welche die Vertragsparteien verpflichten, „nichtdiskriminierende, zügige, transparente und wirksame Verfahren fest[zulegen], welche den Anbietern erlauben, gegen vermutete Verletzungen dieses Übereinkommens im Zusammenhang mit Beschaffungen, an welchen sie ein Interesse haben oder hatten, Beschwerde zu erheben“ (Art. XX Abs. 2 GPA).
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1 Urteile des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_616/2012 v. 19.2.2013 E. 2.2 und 4A_460/2009 v. 4.12.2009 E. 2; Amstutz/Wang, Basler Kommentar zum IRPG, N 43 zu Art. 117 IPRG; Keller/ Kren Kostkiewicz, Zürcher Kommentar zum IPRG, N 126 zu Art. 117 IPRG; Ndue, Die objektive Anknüpfung, S. 35 ff. und S. 75 f. 2 Für eine Anwendung der lex rei sitae haben sich Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 362; Gautschi, Berner Kommentar, N 38 der Vorbem. zu Art. 363-379 OR sowie Schönenberger/Jäggi, Zürcher Kommentar, N 288 der allgemeinen Einl., ausgesprochen. Mehrheitlich ist die Lehre jedoch der Ansicht, dass auch Bauwerkverträge am Ort des Aufenthaltes oder der Niederlassung des Unternehmers anzuknüpfen seien: vgl. statt vieler Amstutz/Wang, Basler Kommentar zum IPRG, N 43 zu Art. 117 IPRG; Keller/Kren Kostkiewicz, Zürcher Kommentar zum IPRG, N 128 zu Art. 117 IPRG. 3 Es ist nicht leicht, verlässliche Zahlen zu finden. Die Grössenordnung liegt für die EU bei 19 % des BIP; für das Jahr 2013 ist (für die EU) die Rede von einem Volumen von 1.786 Milliarden Euro, wobei diese Zahl die Vergaben durch Sektorenauftraggeber ausklammert. Quelle ist ein Bericht DG GROW G4, Public Procurement Indicators 2013 v. 17.6.2015.
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Handel mit Dienstleistungen
Inzwischen wurde das GPA revidiert. Massgebend ist heute seine Version vom 30.3. 2012, wobei die Änderungen gegenüber der Fassung aus dem Jahre 1994 moderat ausgefallen sind. Unverändert wird der jeweilige Geltungsbereich des Abkommens in den Anhängen I zum Abkommen für jeden Mitgliedstaat umrissen; sowohl für die EU als auch für die Schweiz gilt, dass Bau- sowie Dienstleistungen im Bereich der Architektur und des Ingenieurwesens nach wie vor dem GPA unterstellt sind. Und unverändert enthält das GPA teils direkt anwendbare („self-executing“) Bestimmungen1, teils muss es aber in Landesrecht umgesetzt werden. Die Umsetzung des revidierten GPA vollzog sich in der EU über die Schaffung dreier Richtlinien2: – Die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2. 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe, die sich auf die klassischen Auftraggeberinnen bezieht (nachfolgend „VRL“). Sie trat an die Stelle der bisherigen Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge. – Die Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2. 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, die demnach die Sektorenauftraggeber erfasst (nachfolgend „SRL“). Sie löste die bisherige Richtlinie 2004/17/EG ab, die sich mit der Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste befasst hatte. – Die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2. 2014 über die Konzessionsvergabe (nachfolgend „KVR“). Die Konzessionsvergaberichtlinie hatte keine Vorläuferin, stellt also (im EU-System) neues Sekundärrecht dar.
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Unverändert fallen öffentliche Bauaufträge unter die „klassische“ VRL, zu denen auch Aufträge gehören, mit denen dem Anbieter die Planung und die Bauausführung im Bündel übertragen werden3. Anders verhält es sich neuerdings mit Baukonzessionen, die nicht mehr in den Anwendungsbereich der VRL fallen, sondern – wie auch Dienstleistungskonzessionen4 – Gegenstand der KVR sind5. Bei einer Baukonzession handelt es sich der KVR zufolge um einen „entgeltlichen, schriftlich geschlossenen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des vertragsgegenständlichen Bauwerkes oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht“ (Art. 5 Ziff. 1 Bst. a KVR). Merkmal einer Konzession im vergaberechtlichen Sinne ist der Umstand, dass das „Betriebsrisiko für die Nutzung des entsprechenden Bauwerks“ mit der Konzessionsvergabe auf den Konzessionsnehmer übergeht (vgl. Art. 5 Ziff. 1 Bst. a KVR). 1 Dies ist für die Schweiz unumstritten, während die Frage aber in anderen Rechtsordnungen augenscheinlich anders beurteilt wird. So etwa hielt die Richtlinie 2004/17/EG in ihrem Erwägungsgrund Nr. 14 noch fest, das GPA habe „keine unmittelbare Wirkung“. In der NachfolgeRichtlinie (VRL) findet sich diese Passage nun aber nicht mehr. 2 Die neuen Richtlinien waren bis zum 18.4.2016 umzusetzen; auf diesen Zeitpunkt wurden die bisherigen Richtlinien aufgehoben. 3 Wenn auch diese Richtlinie unverändert „klassisch“ ist, so enthält sie doch eine Vielzahl beachtenswerter Neuerungen, so z.B. bei Art. 72 Abs. 2 mit der Regel, dass die Änderung eines laufenden Bauvertrags keiner Ausschreibung bedarf, wenn dabei weder der einschlägige Schwellenwert noch ein Anteil von 15 % des „ursprünglichen Auftragswerts“ überschritten wird. Vgl. dazu etwa das Urteil des EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, Slg. 2008, I-04401 – pressetext Nachrichtenagentur, Rz. 34–37. 4 Bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen waren die Grundsätze des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu beachten. 5 Vgl. dazu etwa Braun, Die Konzessionsrichtlinie, S. 155 ff.; Kunz, Die EU-Konzessions-Richtlinie, S. 13 ff.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 442
Teil C
Ihr Zweck besteht u.a. darin, den Privatsektor dafür zu mobilisieren, Kapital und Sachverstand aufzuwenden, um den Bedarf an öffentlicher Infrastruktur zu befriedigen. Es ist hier nicht der Ort, die Richtlinien in allen Einzelheiten darzustellen. Doch sei auf zwei Vergabeinstrumente hingewiesen, die auch für Planungs- und Bauleistungen bedeutsam sein können und die beide darauf angelegt sind, eine gewisse Flexibilisierung herbeizuführen:
441
– Das eine Instrument ist der wettbewerbliche Dialog, der im geltenden Richtlinienrecht schlanker geregelt wird. Konzipiert wurde dieses Verfahren u.a. für Fälle, in denen der Auftrag „konzeptionelle oder innovative Lösungen“ umfasst oder „aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden“ kann (Art. 26 Ziff. 4 VRL). Im Kern geht es um ein Vergabeverfahren, in dem die Anbieter viel intensiver und früher als bei einem klassischen Verfahren in die Lösungssuche eingebunden werden. Geregelt wird der wettbewerbliche Dialog in Art. 30 VRL sowie in Art. 48 SRL für Vergaben in den Sektoren. Beiden Bestimmungen zufolge muss es Auftraggeberinnen, die sich auf einen Dialog einlassen, darum gehen, „die Mittel, mit denen ihre Bedürfnisse am besten erfüllt werden können, zu ermitteln und festzulegen. Bei diesem Dialog können sie mit den ausgewählten Teilnehmern alle Aspekte der Auftragsvergabe erörtern“ (jeweils Ziff. 3). Für Unternehmen stellt sich die Frage, ob sich das verhältnismässig hohe Engagement, das ein solcher Dialog bedingt, überhaupt rechnet. – Das zweite Instrument ist die „Innovationspartnerschaft“; dabei handelt es sich um eine veritable Neuerung. Begründet wird eine derartige Partnerschaft unter Beachtung vergaberechtlicher Verfahrensregeln zwischen einer Auftraggeberin und einem oder mehreren Unternehmen. Sie durchläuft zwei Phasen, indem sie zunächst die Forschung und Entwicklung, daran anschließend die „Beschaffung neuer, innovativer Produkte, Dienstleistungen oder Bauleistungen“ (Erwägungsgrund Nr. 59 SRL) in jenen Fällen bezweckt, in denen dieser Bedarf „nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen befriedigt werden“ kann (Erwägungsgrund Nr. 49 VRL; Erwägungsgrund Nr. 59 SRL). Die neuen EU-Richtlinien sind auch für den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) von Bedeutung, dem über die EU-Mitgliedstaaten hinaus auch Island, Liechtenstein und Norwegen angehören, und zählen zum Acquis communautaire. In der Schweiz erfolgt die Umsetzung der staatsvertraglichen Verpflichtungen in Landesrecht durch eine direkte Anknüpfung an das GPA (also nicht an die EU-Richtlinien)1. Für das Verhältnis der Schweiz zur EU unverändert bedeutsam ist aber das Abkommen vom 21.6.1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens, das den gegenseitigen Marktzugang auch für Bauleistungen verbessert und zu Lasten der Schweiz u.a. die Verpflichtung begründet, im Verhältnis zur EU den Geltungsbereich der GPA-Verpflichtungen auf die „Behörden und öffentlichen Stellen auf Bezirks- und Gemeindeebene“ auszudehnen (Art. 2 Abs. 1 des Abkommens). Die Beschaffungsmärkte auf dieser tiefsten Staatsstufe werden vom GPA selber nicht erfasst.
1 Einschlägig sind vor allem das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, SR 172.056.1), die zugehörige Verordnung (VöB, SR 172.056.11) sowie eine Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB), mit dem die Kantone die staatsvertraglichen Verpflichtungen für ihren Zuständigkeitsbereich umsetzen. Gegenwärtig werden alle drei Regelwerke revidiert, um den Änderungen Rechnung zu tragen, die mit dem revidierten GPA einhergehen.
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442
Teil C Rz. 443
Handel mit Dienstleistungen
2. Zur gesetzlichen Normierung der Bauwerkverträge 443
Internationale Bauwerkverträge sind immer auch national verankert. So gehen wir hier – nach den Ausführungen zum internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht – auf die Einbettung der Werkverträge im materiellen Recht Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, der Schweiz und Italiens ein. Keine dieser Rechtsordnungen weist eine Legaldefinition des Bauwerkvertrages auf. Gemein ist ihnen aber, dass sie den Werkvertrag, den sie weitgehend übereinstimmend definieren, als eigenen gesetzlichen Vertragstypus ausformen, dies aber in allgemeiner Weise und nur beschränkt so, dass die Bestimmungen spezifisch auf die Verhältnisse beim Bauen zugeschnitten wären:
444
Im deutschen Recht findet sich in § 631 BGB folgende Begriffsbildung: „Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.“1 Das versprochene Werk kann körperlich, aber auch unkörperlich sein2. Der Bauwerkvertrag, bei dem sich der Unternehmer zu einer Bauleistung verpflichtet, ist ohne weiteres darunter zu subsumieren3. Ein bedeutsamer Anwendungsfall ist aber auch der Architektenvertrag4. Während Jahrzehnten war umstritten, ob der Architektenvertrag dem Werk- oder dem Dienstvertragsrecht zuzuschlagen sei; der BGH setzte der Unsicherheit ein Ende und entschied auf Werkvertragsrecht5. Seither werden die Leistungen und Handlungen sowohl des planenden als auch des bauleitenden Architekten nach werkvertragsrechtlicher Massgabe beurteilt. Die Kritik an dieser Qualifikation ist jedoch nie ganz verstummt, da der Architekt auch immer wieder nicht erfolgsorientierte Betreuungspflichten zu erbringen oder Geschäftsbesorgungen zu tätigen hat, die durch Werkvertragsrecht unzureichend erfasst werden6.
445
Das österreichische Recht unterteilt die Verträge über Dienstleistungen in den Dienstvertrag einerseits und den Werkvertrag andererseits: „Wenn jemand sich auf eine gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen verpflichtet, so entsteht ein Dienstvertrag; wenn jemand die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt, ein Werkvertrag“ (§ 1151 ABGB). Besondere Vorschriften zum Werkvertrag finden sich in den §§ 1165 ff. ABGB. Der Unternehmer schuldet einen bestimmten Erfolg, der körperlicher oder unkörperlicher Natur sein kann, dabei aber tatsächlicher Art sein muss7.
446
Das französische Recht unterscheidet nicht zwischen Werk- und Dienstvertrag8, sondern hält in Art. 1710 CCfr allgemein Folgendes fest: „Le louage d’ouvrage9 est un contrat par lequel l’une des parties s’engange à faire quelque chose pour l’autre, moyennant 1 Vgl. dazu auch Busche in MünchKomm/BGB, N 1 zu § 631; Glöckner/von Berg/Vogelheim, Bauund Architektenrecht, N 1 zu § 631 BGB; Huber, Länderbericht Deutschland, S. 155; Locher, Das private Baurecht, Rz. 24; Meyer, Der Einfluss technischer Vorschriften, S. 37. 2 Busche in MünchKomm/BGB, N 61 ff. zu § 631; Hillig/Früh, Germany, S. 261 QG 1; Palandt/ Sprau, BGB, N 1 der Einführung vor § 631; Peters/Jacoby in Staudinger/BGB, N 2 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB. 3 Dazu und zum Folgenden vgl. Clemm, Bauvertragsrecht, S. 18 ff.; Peters/Jacoby in Staudinger/ BGB, N 81 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Royé, Die Schiedsgerichtsbarkeit, S. 27. 4 Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 68 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB. 5 Urteil des deutschen BGH VII ZR 310/79 vom 22.10.1981, BGHZ 82, 100 ff. = BauR 1/1982 S. 79 ff. 6 Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 68 f. der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB; Peters/Jacoby in Staudinger/BGB, N 129 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB. – Zu den entsprechenden Abgrenzungen vgl. Glöckner/von Berg/Kessen, Bau- und Architektenrecht, N 22, 24 und N 27 der Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB. 7 Österreichischer OGH in SZ 47/47; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II, S. 255. 8 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2 K 101. 9 Am Begriff des „contrat de louage“ wird oft bemängelt, er sei zu ungenau. In der Doktrin ist denn auch die Bezeichnung „contrat d’entreprise“ gebräuchlich. Zu dieser Entwicklung s. Bénabent, Droit des contrats spéciaux, Rz. 713; Labarthe/Noblot, Le contrat d’entreprise, Rz. 3 f.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 447
Teil C
un prix convenu entre elles.“ Die Konkretisierung findet sich in Art. 1779 CCfr: „Il y a trois espèces principales de louage d’ouvrage et d’industrie: 1° Le louage de service; 2° Celui des voitures, tant par terre que par eau, que se chargent du transport des personnes ou des marchandises; 3° Celui des architectes, entrepreneurs d’ouvrages et techniciens par suite d’études, devis ou marchés.“ In Anlehnung daran definiert die französische Doktrin den „contrat d’entreprise“ wie folgt: „Le contrat d’entreprise est la convention par laquelle une personne s’oblige contre une rémunération1 à exécuter pour l’autre partie un travail déterminé, sans la représenter et de fac¸on indépendante.“2 Diese Leistung („travail déterminé“) kann jedwelcher Natur sein: in Bezug auf körperliche Sachen (seien sie beweglich oder unbeweglich wie die Erstellung, die Renovation oder der Unterhalt eines Gebäudes) oder auch hinsichtlich unkörperlicher Arbeit wie Organisation, Beratung, Unterstützung, Pflege etc3. Während der CCfr auf den Werkvertrag nur wenige Bestimmungen verwendet, wird die Freiheit der Parteien, ihren Bauwerkvertrag nach eigenem Gutdünken zu regeln, durch Spezialgesetze eingeschränkt. Eine wichtige Rolle spielt dabei der „Code de la construction et de l’habitation“ vom 19.12.19904. Er typisiert insbesondere drei Arten von Verträgen: Im „Contrat de promotion immobilière“ verpflichtet sich der „promoteur“, im Auftrag des Bestellers zu einem vereinbarten Preis ein bestimmtes Bauprogramm zu realisieren. Dazu schließt der „promoteur“ Werkverträge mit verschiedenen Unternehmern ab5. Im „Contrat de construction d’une maison individuelle avec fourniture du plan“ verpflichtet sich der Auftragnehmer, ein Haus nach einem bestimmten, von ihm gelieferten Plan zu errichten6. Der „Contrat de construction d’une maison individuelle sans fourniture du plan“ schließlich ähnelt dem „Contrat de construction d’une maison individuelle avec fourniture du plan“, zeichnet sich aber insbesondere durch Schutzbestimmungen für sog. „travaux de gros œuvre“ aus7. Bedeutsam ist aber auch das französische Gesetz über den Subunternehmervertrag vom 31.12.1975 (Rz. 464)8. Dieses Gesetz enthält zwingendes Recht und schränkt damit auch die Wirksamkeit einer privatautonomen Rechtswahl ein9. Im schweizerischen Recht liegt der Schwerpunkt der gesetzlichen Normierung des Bauwerkvertrages in den Art. 363 ff. OR10. Diese Bestimmungen weisen jedoch ebenfalls nur einen geringen bauspezifischen Gehalt auf und lassen sich deshalb auf Werkverträge verschiedenster Art anwenden11. Art. 363 OR definiert: „Durch den Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller 1 Zur Entgeltlichkeit des Werkvertrages vgl. Bénabent, Droit des contrats spéciaux, Rz. 710 und Rz. 748 ff.; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2 K 121 ff. und 2 K 132 ff.; Hök, Handbuch, § 36 Rz. 32; Labarthe/Noblot, Le contrat d’entreprise, Rz. 29 ff. 2 Antonmattei/Raynard, Contrats spéciaux, Rz. 405; Bénabent, Droit des contrats spéciaux, Rz. 710. Vgl. auch Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2 K 10; Labarthe/Noblot, Le contrat d’entreprise, Rz. 1 und Rz. 26 ff.; Malaurie/Aynès/Gautier, Les contrats spéciaux, Rz. 700. 3 Bénabent, Droit des contrats spéciaux, Rz. 710; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2 K 102. Die Dienstleistungen der Ärzte, Anwälte, Reiseagenten, Berater etc. werden dem Werkvertragsrecht zugeschlagen (Malaurie/Aynès/Gautier, Les contrats spéciaux, Rz. 700). 4 Hök, Handbuch, § 36 Rz. 4 und 33; Metzger, Werkvertrag, S. 1769; Rohlfing-Dijoux, Länderbericht Frankreich, S. 251 ff.; Meyer, Der Einfluss technischer Vorschriften, S. 36; Ruths Sion, Öffentliches und privates Baurecht in Frankreich, S. 169. 5 Hök, Handbuch, § 36 Rz. 34. 6 Vgl. auch Hök, Handbuch, § 36 Rz. 37; Rohlfing-Dijoux, Länderbericht Frankreich, S. 253. 7 Vgl. Hök, Handbuch, § 36 Rz. 38; Rohlfing-Dijoux, Länderbericht Frankreich, S. 253; Ruths Sion, Öffentliches und privates Baurecht in Frankreich, S. 171. 8 Loi n° 75-1334 du 31 décembre 1975 relative à la sous-traitance, erweitert durch verschiedene Gesetze, nämlich die Loi n° 81-1 du 2 janvier 1981, Loi n° 84-46 du 24 janvier 1984, Loi du 6 janvier 1986 und Loi du 10 juin 1994. 9 Hök, Handbuch, § 4 Rz. 16. 10 Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 6 ff.; Stöckli/Siegenthaler, Länderbericht Schweiz, S. 367. 11 Stöckli/Bieri/Grünig, Switzerland, S. 619 QG 1.
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447
Teil C Rz. 448
Handel mit Dienstleistungen
zur Leistung einer Vergütung.“ Als Werk gelten körperliche Arbeitserfolge, wobei das Schweizer Recht auch das Geistwerk anerkennt1, was zu Unsicherheiten bei der Zuordnung von Planerleistungen führt, die nach unserem Dafürhalten von der Sache her nicht als werkvertraglich regulierte Geistwerke, sondern als Auftragsleistungen (Art. 394 ff. OR) verstanden werden sollten. Der Werkvertrag unterscheidet sich – wie in anderen Rechtsordnungen – dadurch von anderen gesetzlich geregelten Dienstleistungsverträgen, dass der Unternehmer nicht bloss ein Tätigwerden, sondern einen bestimmten Arbeitserfolg schuldet2. Das schweizerische Werkvertragsrecht ist weitgehend dispositiv3. 448
Der italienische Codice Civile unterscheidet grundsätzlich zwischen dem „contratto d’opera“ (Art. 2222 ff. CCit) und dem „contratto d’appalto“ (Art. 1655 ff. CCit)4. Bei beiden ist ein Erfolg geschuldet5. Im Rahmen des „contratto d’appalto“ hat ein Unternehmer gegen Entgelt ein Werk auf eigenes Risiko zu schaffen; er setzt dafür die nötige Organisation oder Geschäftsführung ein6. Im „contratto d’opera“ hingegen, der sich bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften für den nicht abhängig Beschäftigten befindet, hat der Unternehmer die werkvertragliche Leistung selbst zu erbringen (Art. 2222 CCit [„Contratto d’opera“]: „… con lavoro prevalentemente proprio e senza vincolo di subordinazione nei confronti del committente …“)7. Auch auf den „contratto d’opera“ finden die Bestimmungen des „contratto d’appalto“ Anwendung, wenn auch nur subsidiär8. 3. Zur nichtstaatlichen Normierung der Bauwerkverträge
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Zwar enthalten zahlreiche Rechtsordnungen gesetzliche Bestimmungen, die spezifisch auf baurechtliche Fragen zugeschnitten sind. Über weite Teile hin aber wird der Bauwerkvertrag gesetzlich nicht als besonderer Vertragstypus (als Nominatvertrag) durchgestaltet, sondern fällt zum einen unter die Bestimmungen vor allem des Werkvertragsrechts, das nicht nur Bau-, sondern auch zahlreiche andere Verträge erfasst. Zum anderen sind die allgemeinen Bestimmungen mit vertragsrechtlichem Einschlag bedeutsam. Diese Rechtslage ändert nichts am Bedürfnis nach einer rechtlichen Ordnung, die spezifisch auf das Bauen zugeschnitten und engmaschiger gestrickt ist als das gesetzliche Werkvertragsrecht. Dem wird verbreitet mit der Schaffung privater Ver1 Bühler, Zürcher Kommentar, N 45 und N 65 f. zu Art. 363 OR; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 24; Koller, Berner Kommentar, N 72 ff. und N 87 ff. zu Art. 363 OR; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 1 ff., 4, 7 und 21 der Vorbem. zu Art. 363–379 OR. 2 Bühler, Zürcher Kommentar, N 45 und N 159 ff. zu Art. 363 OR; Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 21; Koller, Berner Kommentar, N 64 ff. zu Art. 363 OR; aber nicht immer ist das Kriterium „Arbeitserfolg“ für die Abgrenzung geeignet (vgl. Koller, Berner Kommentar, N 125 f. zu Art. 363 OR). 3 Es gibt kaum zwingendes Recht, vgl. Koller, Berner Kommentar, N 6 zu Art. 363 OR; Stöckli/ Siegenthaler, Länderbericht Schweiz, S. 367. 4 Eccher/Schurr/Christandl, Italienisches Zivilrecht, Rz. 3/308; Galgano, Trattato, S. 649 f. und S. 659 ff.; Grundmann/Zaccaria, Einführung in das italienische Recht, S. 238 ff.; Hök, Handbuch, § 1 Rz. 17 S. 15 und § 39 Rz. 5; Iudica, Italy, S. 405 f. QG 1; Kleckner, Condizioni generali, S. 51 ff. 5 Cendon, Commentario, Art. 1655 CCit Ziff. 5 S. 10 und Ziff. 5.1 S. 12 ff.; Eccher/Schurr/Christandl, Italienisches Zivilrecht, Rz. 3/309 Fn. 613. 6 Cendon, Commentario, Art. 1655 CCit Ziff. 1 S. 5 und Ziff. 5 S. 10; Eccher/Schurr/Christandl, Italienisches Zivilrecht, Rz. 3/311; Galgano, Trattato, S. 650 f.; Grundmann/Zaccaria, Einführung in das italienische Recht, S. 238; Hök, Handbuch, § 39 Rz. 5; Metzger, Werkvertrag, S. 1768. 7 Eingehend dazu Eccher/Schurr/Christandl, Italienisches Zivilrecht, Rz. 3/310; Giacobbe/Giacobbe, Il lavoro autonomo, S. 3 ff.; Hök, Handbuch, § 39 Rz. 5; Metzger, Werkvertrag, S. 1768; Iudica, Italy, S. 405 QG 1. 8 Vgl. zu all dem Cendon, Commentario, Art. 1655 CCit Ziff. 13.1.1 S. 33 ff.; Grundmann/Zaccaria, Einführung in das italienische Recht, S. 238.
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Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 451
Teil C
tragsnormen Rechnung getragen. Rechtlich handelt es sich bei diesen Vertragsnormen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, für die u.a. die Regel gilt, dass ihre Vertragsgültigkeit in jedem Fall eine rechtsgeschäftliche Übernahme in den konkreten Einzelvertrag bedingt. Darin unterscheiden sie sich von dispositivem Gesetzesrecht, das als Referenzordnung heranzuziehen ist, wenn sich ein Vertrag als lückenhaft erweist. Die privaten Vertragsnormen sind zu vielfältig, als dass sie sich hier im Einzelnen darstellen lassen. Damit zu verbinden ist ein Hinweis, der gerade beim Gebrauch der Vertragsnormen aus den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz unbedingt zu beachten ist: Diese Vertragsnormen weisen zwar hinsichtlich ihrer Struktur und der Themen, die sie aufgreifen, mannigfaltige Ähnlichkeiten auf. Das ist denn auch nicht weiter verwunderlich, sind doch die Bauabläufe in den genannten Ländern durchaus miteinander vergleichbar und so auch Fragen, die sich stellen, gleich gelagert. Vorsicht aber ist geboten, was die Auslegung der Vertragsnormen anbelangt. Denn was für die Rechtsvergleichung allgemein gilt, trifft auch hier zu: Mögen auch die in den Vertragsnormen verwendeten Ausdrücke gleich lauten, können sie doch eine unterschiedliche Bedeutung haben. So sollte man sich bei der Auslegung „fremder“ Vertragsnormen davor hüten, bloss dem an der „eigenen“ Rechtsordnung geformten Vorverständnis zu folgen. Denn auch private Vertragsnormen sind in die Rechtsordnung, der sie zugehören, eingebettet, und nehmen darauf Bezug, indem sie deren Regeln verstärken, allenfalls verändern und ergänzen. Nicht ausgeschlossen (aber wenig zweckmässig) ist, dass im konkreten Fall die Übernahme von Vertragsnormen, die der einen Rechtsordnung zugehören, mit einer Vertragsabrede (einer Rechtswahlklausel) verbunden wird, mit welcher der Vertrag einer anderen Rechtsordnung unterstellt wird. In diesen Fällen ist der Abstimmungsbedarf allerdings besonders ausgeprägt, da es zu vermeiden gilt, dass die gewählte Vertragsnorm in allenfalls unlösbaren Widerspruch zum gewählten Recht gerät.
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Die erwähnte Auflistung gebräuchlicher Vertragsnormen1 ergibt folgendes Bild:
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– Für Deutschland ist die „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“ (VOB) zu nennen, die vom paritätisch besetzten Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) herausgegeben wird und aus drei Teilen besteht: Die VOB/A enthält Bestimmungen zur Vergabe von Bauaufträgen, die sich an öffentliche Auftraggeber richten. In der VOB/B finden sich „Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“, in der VOB/C „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen“. Bei den Regeln der VOB/B handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die grundsätzlich erst mit der Aufnahme in den Bauwerkvertrag Wirkung zwischen den Vertragsparteien entfalten2. Doch ist die VOB/B – unabhängig von ihrer Aufnahme in den Vertrag – auch insofern von Bedeutung, als sie im deutschen Recht so etabliert ist, dass sie Anhaltspunkte dafür liefern kann, was im Baugewerbe üblich und den Beteiligten zuzumuten ist3. Zudem haben nach § 8 der VOB/A, die gemäß deutscher Vergabeordnung (VgV) bei der Vergabe von Bauleistungen massgebend ist, öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass VOB/B und VOB/C „Bestandteile des Vertrags werden“ (Abs. 3), und haben grundsätzlich davon abzusehen, die Bedingungen der VOB/B abzuändern (Abs. 4). Was die AGB-Kontrolle anbelangt, ist § 310 Abs. 1 BGB zu beachten, nach dem „Verträge, in die die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist“, 1 Erwähnt werden hier die Vertragsnormen Deutschlands, Österreichs, Frankreichs und der Schweiz. Zu Italien vgl. Iudica, Italy, S. 406 QG.2. 2 Clemm, Bauvertragsrecht, S. 30; Werner in Werner/Pastor/Dölle/Frechen, Der Bauprozess, Rz. 1227; Meyer, Der Einfluss technischer Vorschriften, S. 65. 3 Werner in Werner/Pastor/Dölle/Frechen, Der Bauprozess, Rz. 1227.
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Teil C Rz. 451
Handel mit Dienstleistungen
von der Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) ausgenommen sind, wenn sie gegenüber einem Unternehmer oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts verwendet werden. Diese Einschränkung gilt gegenüber Verbrauchern nicht. – In Österreich wird das dispositive Werkvertragsrecht im Bauwesen ebenfalls oft durch Einbezug Allgemeiner Geschäftsbedingungen (ÖNORMEN) ergänzt und abgeändert1. Die vom Österreichischen Normeninstitut2 herausgegebenen ÖNORMEN beinhalten Inhalts- und Verfahrensnormen3. Einschlägig ist die „ÖNORM B 2110 – Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen – Werkvertragsnorm“4. Auch bei der aktuellen ÖNORM B 2110:2013 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, weshalb deren Abschnitte 5 bis 12 nur dann dem Vertragsinhalt zuzuschlagen sind, „wenn sie von den Vertragspartnern zu Vertragsbestandteilen erklärt werden“ (Vorwort zur ÖNORM B 2110:2013)5. Besondere Erwähnung verdient die weitreichende (in Verbraucherverträgen allerdings nicht anwendbare) Rezeptionsklausel in Ziff. 5.1.1, nach der mit „Vereinbarung dieser ÖNORM … auch … alle in Betracht kommenden, im ÖNORMEN-Verzeichnis enthaltenen Normen technischen Inhaltes“ gelten. – Unter Rz. 446 haben wir dargelegt, dass das Bauwerkvertragsrecht in Frankreich weniger vom CCfr als vielmehr von Spezialgesetzen geprägt wird. Ihr zwingender Charakter schränkt die Vertragsfreiheit im Bauwesen erheblich ein6. Deshalb vermochten sich auch allgemeine Vertragsbedingungen für Bauleistungen nicht in dem Masse durchzusetzen, wie das im deutschen, österreichischen oder schweizerischen Recht der Fall ist. Immerhin: Die Association Franc¸aise de Normalisation (AFNOR) gibt allgemeine Vertragsbedingungen für private Bauwerkverträge heraus, die eine gewisse Verbreitung gefunden haben7. Zu erwähnen ist insbesondere die AFNOR-Norm P 03–001 aus dem Jahr 2000, die auf Verträge privater Besteller zugeschnitten ist. Dieses Regelwerk ist eingebettet in die französische Rechtsordnung, woran z.B. der in Art. 4.4.1 der Norm enthaltene Verweis auf das Gesetz Nr. 75–1334 vom 31.12.1975 über den Subunternehmervertrag erinnert (Rz. 446). – In der Schweiz weit verbreitet ist die SIA-Norm 118 (2013), die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein herausgegeben wird und „Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten“ enthält8. Es handelt sich dabei um vorformulierte Bestimmungen über den Abschluss und den Inhalt eines Bauwerkvertrages. An der Entwicklung bzw. Überarbeitung sind nicht nur Vertreter des SIA, sondern auch Unternehmerverbände sowie Vertreter der öffentlichen Auftraggeber (des Bundes und der Kantone) beteiligt. Anwendung finden diese allgemeinen Bedingungen jedoch nur, wenn sie von den Parteien vertraglich übernommen wurden9. Bei Bauten der öffentlichen Hand (Bund, Kantone, Gemeinden) sind zudem die Normenwerke 1 2 3 4
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SZ 24/108; 41/131; 57/50; Hök, Handbuch, § 40 Rz. 19. www.oenorm.at oder www.austrian-standards.at. Straube, Das private Baurecht in Österreich, S. 344 f. Hök, Handbuch, § 40 Rz. 19; Nicklisch, Vorauflage, Teil C, Rz. 344 Fn. 3. – Daneben existieren Verfahrensnormen, die für das Bauwerkvertragsrecht relevant sind, u.a. die A 2050 betreffend die Vergabe von Aufträgen über Leistungen sowie die B 2062, welche die Preisermittlung für Bauleistungen zum Gegenstand hat. Sie können nicht Vertragsbestandteil werden. Vgl. zu all dem Hök, Handbuch, § 40 Rz. 19. Österreichischer OGH 6 Ob 566/95 v. 22.8.1995. Hök, Handbuch, § 36 Rz. 33. www.afnor.org. Zu den AFNOR-Bedingungen im Allgemeinen vgl. auch Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2 K 118; Hök, Handbuch, § 36 Rz. 25 und Rz. 102 ff.; Meyer, Der Einfluss technischer Vorschriften, S. 56 f. und S. 64; Metzger, Werkvertrag, S. 1769. Gauch, Der Werkvertrag, Rz. 261 ff.; Stöckli/Bieri/Grünig, Switzerland, S. 619 QG 2; Stöckli/Siegenthaler, Länderbericht Schweiz, S. 369. Koller, Berner Kommentar, N 27 und 238 zu Art. 363 OR; Stöckli/Bieri/Grünig, Switzerland, S. 619 QG 2; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 22 der Vorbem. zu Art. 363–379 OR.
260 | Stöckli/Schwery
Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 453
Teil C
der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) massgebend, die jedoch oft auf die SIA-Norm 118 verweisen1. Diese allgemeinen Bauvertragsbedingungen gelangen, wenn sie übernommen wurden, zunächst bei nationalen Bauwerkverträgen zur Anwendung, bei denen die Beteiligten der gleichen Rechtsordnung angehören. Das schließt jedoch nicht aus, dass sie auch in Bauwerkverträgen vereinbart werden, an denen auch Unternehmer beteiligt sind, die (vom Ort der Baustelle aus gesehen) aus dem Ausland stammen. Das ist ein häufiger Fall. Wo aber bei solchen internationalen Verhältnissen nicht auf nationale Vertragsnormen abgestellt werden soll, können die Vertragsnormen der Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils („FIDIC“) herangezogen werden. Diese Organisation prägt mit ihren FIDIC-Bedingungen vor allem Verträge bei Grossprojekten mit internationaler Beteiligung in erheblichem Masse. Rechtlich handelt es sich auch bei diesen Vertragsnormen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, nicht um Einheitsrecht, weshalb auch sie nur gelten, wenn sie von den Vertragsparteien rechtsgeschäftlich übernommen wurden. Im Vordergrund stehen zur Zeit die Bedingungen, die FIDIC im Jahr 1999 herausgegeben hat (nachstehend zum Teil „FIDIC 1999“): – Conditions of Contract for Construction („Red Book“) für jene „klassischen“ Fälle, in denen die Verantwortung für die Planung beim Besteller liegt und nach Einheitspreisen abgerechnet wird. – Conditions of Contract for Plant and Design-Build („Yellow Book“) für Bau- und Anlagenbauprojekte, in denen dem Unternehmer nicht nur die Ausführungs-, sondern auch die Planungsverantwortung zugewiesen wird, wobei aber der Besteller dafür zuständig bleibt, in seinen „Employer’s Requirements“ die funktionalen Anforderungen an die Baute bzw. die Anlage festzulegen. Wo diese Bedingungen zur Anwendung kommen, erbringt der Unternehmer nicht selten einen bedeutenden Teil seiner Leistungen gar nicht auf der Baustelle, sondern in seinem Betrieb. – Conditions of Contract for EPC/Turnkey Contracts („Silver Book“), die vor allem für BOT-Projekte konzipiert sind2. Auch hier kann es sein, dass der Unternehmer seine Leistungen zu einem guten Teil in seinem Betrieb erbringt und die eigentlichen Arbeiten auf der Baustelle den kleineren Teil ausmachen. Wiederum übernimmt der Unternehmer die Verantwortung für die Planung und Ausführung, wird aber zudem (z.B. mit Bezug auf den Baugrund) mit erheblich grösseren Risiken belastet, als dies die beiden anderen erwähnten FIDIC-Vertragsnormen (das „Red Book“ und das „Yellow Book“) vorsehen. Diese Risikoallokation, die der Besteller mit einer entsprechend höheren Vergütung abgilt, wird vor allem dort gesucht, wo die Kostensicherheit für den Besteller (vorab im Anlagenbau) von vorrangiger Bedeutung ist.
452
Dazu kommen weitere FIDIC-Bedingungen für Bauwerk- und Anlagenbauverträge, so beispielsweise ein Muster für Subunternehmerverträge („Conditions of Subcontract for Construction“) aus dem Jahr 2011 und das Regelwerk für DBO-Projekte („Gold Book“) aus dem Jahr 2008, das auf Projekte zugeschnitten ist, in denen der Unternehmer zu einem Pauschalpreis plant („design“) und das Bauvorhaben durchführt („build“), um die Baute dann während einer gewissen Zeit auch zu betreiben und instandzuhalten („operate“). Die einzelnen FIDIC-Regelwerke enthalten indes nicht nur Vertragsabreden, sondern auch eine ganze Reihe von Musterdokumenten, auf die in der Vertragspraxis zurückgegriffen werden kann. Besonders zu vermerken ist, dass die Weltbank und andere multilaterale Entwicklungsbanken („MDB“) das „Red Book“ (1999) in abgewandelter Form (in einer „MDB Harmonised Edition“ = „Pink Book“) als Vertragsstandard für Projekte vorschreiben, die mit Mitteln dieser Banken finanziert werden, was zur weiten Verbreitung dieses Bedingungswerkes beiträgt.
453
1 Stöckli/Bieri/Grünig, Switzerland, S. 620 QG 2. 2 Hök, Handbuch, § 12 Rz. 18 S. 160.
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Stöckli/Schwery 261
Teil C Rz. 454
Handel mit Dienstleistungen
454
Ein auffälliges Element von „Red Book“ und „Yellow Book“ ist die Stellung des „Engineer“, dem die Bedingungen eine zentrale Funktion für die Vertragsabwicklung zuweisen. So etwa ist es der „Engineer“, der in den zahlreichen, ihm durch das Vertragswerk zugewiesenen Fällen, in denen die Parteien keine gütliche Einigung zu erzielen vermögen, aus dem Vertrag heraus („in accordance with the Contract“) zuhanden der Parteien eine neutrale, sachkundige Einschätzung („fair determination“) vorzunehmen hat (s. Art. 3.5 Red Book). Über entsprechende Befugnisse verfügt der Engineer beispielsweise bei der Entscheidung darüber, ob die Baugrundverhältnisse unvorhersehbar waren und der Unternehmer deshalb Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung und eine Erstreckung der Bauzeit hat (Art. 4.12 Red Book). Die Parteien sind vertraglich verpflichtet, sich der Einschätzung des „Engineer“ zu unterziehen, soweit und solange („unless and until“) die Einschätzung nicht in einem Verfahren nach Art. 20 Red Book, der (im Sinne einer Eskalationsordnung) eine Entscheidung des Streitschlichtungsorgans („Dispute Adjudication Board“) und ein Schiedsverfahren („Arbitration“) vorsieht, korrigiert wurde.
455
Die FIDIC-Bedingungen haben zwar historisch gesehen einen „Common law“-Hintergrund, wobei aber das anwendbare Recht von den Parteien zu bestimmen ist; sie enthalten keine Regel für den Fall, dass eine Rechtswahl fehlt. Kommt es (bei fehlender Rechtswahl) in der Folge zu einem ICC-Schiedsverfahren, wendet das „Schiedsgericht diejenigen Rechtsregeln an, die es für geeignet erachtet“ (Art. 21.1 ICC-Schiedsgerichtsordnung 2012).
IV. Zur Streiterledigung in Bausachen 456
Bauwerk- und Anlagenbauverträge sind in hohem Masse störungs- und konfliktanfällig, schon ihrer technischen Komplexität und wirtschaftlichen Bedeutung wegen. Stets ist es eine Option, entsprechende Konflikte vor den staatlichen Gerichten auszutragen. Dafür können im konkreten Fall durchaus valable Gründe sprechen. Zum Teil können sich solche Verfahren aber auch als schwerfällig und langwierig erweisen. Es gibt denn auch verschiedene Alternativen, die auf eine aussergerichtliche Streiterledigung ausgerichtet sind. Diese Alternativen lassen sich in Vermittlungs- und Entscheidungsverfahren einteilen. – Zu den Vermittlungsverfahren gehört namentlich die Mediation, wobei zu beachten ist, dass es sich dabei nicht um ein festgefügtes Konzept handelt, weshalb von den Parteien (meist mit Unterstützung des Mediators) festgelegt werden muss, wie die von ihnen gewünschte Streiterledigung verlaufen soll. Die Einigung, bei Konflikten eine Mediation durchzuführen, kann schon im Vertrag selber oder auch erst dann erfolgen, wenn der Konflikt ausgebrochen ist. Muster für Mediationsabreden finden sich viele, etwa in den ICC-Mediationsregeln aus dem Jahr 2014. Für Verfahren, in denen dem neutralen Dritten eine aktivere Rolle zugedacht ist in dem Sinne, dass er (anders als ein Mediator stricto sensu) auch seine eigene Einschätzung der Sach- und Rechtslage einbringt, wird im Englischen zum Teil der Ausdruck „Conciliation“ verwendet, was sich mit „Streitschlichtung“ übersetzen lässt. Nicht selten ist es diese Form der Streiterledigung, die von Konfliktparteien in Baustreitigkeiten angesteuert wird. Doch mündet die Erledigung des Streits auch hier nicht in eine vollstreckbare Entscheidung des Schlichters, sondern in einen Vergleich, mit dem die Parteien selber ihren Streit vertraglich beilegen. Dritte, welche die Parteien als Vermittler (Mediatoren oder Schlichter) bei der Streiterledigung unterstützen, kommen nach gescheiterter Vermittlung als Schiedsrichter lediglich dann in Frage, wenn die Parteien damit einverstanden sind. Praktisch gesehen ist es ohnehin nicht ratsam, diese doch sehr verschiedenartigen Funktionen (Vermittlung und Entscheidung) in dieser Weise zu vermischen. 262 | Stöckli/Schwery
Werkverträge, insbesondere Bauwerkverträge
Rz. 457
Teil C
– Bei den Entscheidungsverfahren ist vor allem in internationalen Streitigkeiten die Schiedsgerichtsbarkeit von grosser Bedeutung. Die Parteien sind grundsätzlich frei, für ihr Schiedsverfahren eigene Regeln zu schaffen oder es einem staatlichen Verfahrensrecht ihrer Wahl zu unterstellen, z.B. Art. 373 ff. der Schweizer ZPO oder Art. 176 ff. des Schweizer IPRG für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Häufiger aber ist es, dass die Parteien sich in ihrer Schiedsabrede einer bestehenden Schiedsgerichtsordnung unterziehen. Entsprechende Verfahrensordnungen gibt es viele. Praktisch sehr bedeutsam ist die Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer („ICC“) aus dem Jahr 20121; zu nennen sind aber auch etwa die Swiss Rules of International Arbitration von 2012, die Schiedsordnung für Baustreitigkeiten der ARGE Baurecht im Deutschen Anwaltsverein, die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit und die Schiedsordnung des Internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreich. Als gewichtiger Vorteil von Schiedsgerichtsverfahren gilt auch im Bausektor, dass die Parteien die Schiedsrichter selber berufen und dabei darauf achten können, dass der erforderliche bautechnische, baubetriebliche und baurechtliche Sachverstand vorhanden und die zeitliche Verfügbarkeit der Schiedsrichter gewährleistet ist. Dazu kommen bei der Schiedsgerichtsbarkeit eine gewisse Flexibilität in der privatautonomen Verfahrensgestaltung, die weitreichende Beschränkung der Anfechtbarkeit von Schiedsgerichtsurteilen sowie der Umstand, dass die Vollstreckung von Schiedsgerichtsurteilen durch die multilaterale New York-Konvention aus dem Jahr 1958 erheblich vereinfacht wird. Spezifisch für das Bauen haben sich Streiterledigungsmodelle herausgebildet, deren Hauptmerkmal darin besteht, dass sie eine Eskalationsordnung schaffen. Die Abfolge geht z.B. über Verhandlungen auf der Baustelle und auf Chefebene über die Streitschlichtung hin zum Schiedsverfahren, wenn sich in der jeweils vorgelagerten Phase keine einvernehmliche Lösung erzielen ließ. Diese Eskalationsordnung wird schon in den Bauwerkverträgen in den Einzelheiten vereinbart. Mit dieser Idee operiert auch ein Teil der bereits erwähnten FIDIC-Vertragsnormen (Rz. 452 ff.). So weist Art. 3.5 FIDIC 1999 dem „Engineer“ die Funktion zu, im Streitfall zu Punkten, die der Vertrag ihm vorhält, zwischen den Parteien zu vermitteln oder zu ihren Händen eine „fair determination“ abzugeben, die für die Parteien solange verbindlich ist, als sie nicht auf einer der nachfolgenden Eskalationsstufen, die in Art. 20 FIDIC 1999 geregelt sind, umgestossen wird: – Zum einen ist in Art. 20 FIDIC 1999, in dem es um „Claim, Disputes and Arbitration“ geht, ein unparteiisches Dispute Adjudication Board („DAB“) vorgesehen, an das die Parteien im Streitfall für eine mit Gründen versehene Entscheidung gelangen können. Angesichts der Kosten ist es nicht immer zweckmässig, ein permanentes DAB zu bestellen; vor allem, wenn der Unternehmer nur den geringeren Teil seiner Leistungen auf der Baustelle erbringt, kann es sinnvoll sein, davon abzusehen. Art. 20.2 FIDIC Silver Book/Yellow Book sehen denn auch vor, dass das DAB erst eingesetzt wird, wenn eine Partei beabsichtigt „to refer a dispute to a DAB“2. Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang Art. 20.3 FIDIC 1999, nachdem das DAB von einem neutralen Dritten eingesetzt wird, wenn es den Parteien nicht gelingt, sich auf die Besetzung zu einigen. Das DAB übernahm eine wesentliche Funktion des „Engineer“, der im früheren FIDIC-System über weitgehende Entscheidungsbefugnisse verfügte, also nicht „nur“ (wie nach den aktuellen Bedingungen) eine „fair determination“ vorzulegen hatte. Die Ansiedlung dieser Funk1 Aufschlussreich ist auch, welches Gewicht Bausachen innerhalb der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit zukommt: 21 % der dort im Jahr 2014 neu angehobenen Verfahren stammten aus dem Baubereich. 2 Diese Erkenntnis verdanken wir Seppala, Letter, S. 465 ff.
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Stöckli/Schwery 263
457
Teil C Rz. 458
Handel mit Dienstleistungen
tion beim „Engineer“ wurde vor allem deshalb kritisiert, weil der „Engineer“ gleichzeitig als Auftragnehmer mit dem Besteller vertraglich verbunden und so seine Unabhängigkeit zumindest gefährdet war. Das FIDIC-DAB hat seine Entscheidung „within 84 days“ zu fällen. Zum Verfahren enthalten die FIDIC-Bedingungen einige „Procedural Rules“, die u.a. sicherstellen sollen, dass das DAB den Parteien hinreichende Gelegenheit gibt, ihm den jeweiligen Standpunkt darzulegen, um aber im Übrigen das DAB mit der Aufgabe zu betrauen, das Verfahren im Einzelnen festzulegen. Ab der Entscheidung des DAB läuft eine Frist von 28 Tagen, binnen der jede Partei zu prüfen hat, ob sie die Entscheidung akzeptieren oder ihr aber mittels einer „notice of dissatisfaction“ entgegentreten will. – Zum andern begründet Art. 20 FIDIC 1999 die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts u.a. für den Fall, dass die Entscheidung des DAB keine Wirkung erlangt und auch erneute Vergleichsgespräche zu keinem Ergebnis (keinem „Amicable Settlement“) führen. In diesem gerichtsförmigen Verfahren geniessen die Parteien volle Verfahrensgarantien, was auf den vorgelagerten Eskalationsstufen nicht gewährleistet ist. Nach Art. 20.6 FIDIC 1999 sind auf das Schiedsverfahren die einschlägigen Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris („ICC-Rules“) anwendbar, wobei aber die Bestimmung klar festhält, dass eine anderweitige Abrede der Parteien Vorrang hat. Die Fassung, die von den multilateralen Entwicklungsbanken („MDB“) verwendet wird (so im „Pink Book“ von 2010), verweist nicht auf die ICC, sondern auf die „arbitration rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL)“, die (anders als ICC-Verfahren) nicht institutionell administriert werden. 458
Erwähnt seien schließlich die Bemühungen der ICC, mit eigenen, detaillierten „Dispute Board Rules“ in diesem Bereich Fuss zu fassen. Wichtig ist auch hier, dass die Entscheidung des DAB nicht ein vollstreckbarer Schiedsspruch, sondern für die Parteien einzig deshalb verbindlich ist, weil sie sich im Voraus vertraglich auf dessen Verbindlichkeit verständigt hatten.
Kapitel 5. Forschungs- und Entwicklungsverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils C, vor Rz. 1.
I. Gegenstand, Erscheinungsformen, Abgrenzungen 1. Gegenstand des Forschungs- und Entwicklungsvertrages; wirtschaftliche Bedeutung 459
Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag lässt sich nicht allgemein gültig definieren. Seine praktischen Erscheinungsformen sind vielfältig; entsprechend ist auch der Vertragsgegenstand unterschiedlich1. In der Regel geht es um Vereinbarungen betreffend die Auslagerung einer Forschungs- und/oder Entwicklungstätigkeit, oder um die Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und/oder der Entwicklung. Desgleichen finden sich Vereinbarungen über die gemeinsame Verbesserung bestehender Produkte oder Techniken, aber auch über die Entwicklung neuer Produkte2. Oft sind solche Verträge durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet und weisen besondere Vertrags1 Takei Naoki, Die vertragliche Zuordnung von Immaterialgüterrechten in Forschungsverträgen zwischen Universitäten und der Industrie, AJP 2006, 429. 2 Wittibschlager Martina, Forschungs- und Entwicklungsverträge, in Kronke Herbert/Melis Werner/Schnyder Anton K. (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 1. Aufl. 2005, S. 217 ff., Rz. 362.
264 | Zenhäusern
Teil C Rz. 458
Handel mit Dienstleistungen
tion beim „Engineer“ wurde vor allem deshalb kritisiert, weil der „Engineer“ gleichzeitig als Auftragnehmer mit dem Besteller vertraglich verbunden und so seine Unabhängigkeit zumindest gefährdet war. Das FIDIC-DAB hat seine Entscheidung „within 84 days“ zu fällen. Zum Verfahren enthalten die FIDIC-Bedingungen einige „Procedural Rules“, die u.a. sicherstellen sollen, dass das DAB den Parteien hinreichende Gelegenheit gibt, ihm den jeweiligen Standpunkt darzulegen, um aber im Übrigen das DAB mit der Aufgabe zu betrauen, das Verfahren im Einzelnen festzulegen. Ab der Entscheidung des DAB läuft eine Frist von 28 Tagen, binnen der jede Partei zu prüfen hat, ob sie die Entscheidung akzeptieren oder ihr aber mittels einer „notice of dissatisfaction“ entgegentreten will. – Zum andern begründet Art. 20 FIDIC 1999 die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts u.a. für den Fall, dass die Entscheidung des DAB keine Wirkung erlangt und auch erneute Vergleichsgespräche zu keinem Ergebnis (keinem „Amicable Settlement“) führen. In diesem gerichtsförmigen Verfahren geniessen die Parteien volle Verfahrensgarantien, was auf den vorgelagerten Eskalationsstufen nicht gewährleistet ist. Nach Art. 20.6 FIDIC 1999 sind auf das Schiedsverfahren die einschlägigen Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris („ICC-Rules“) anwendbar, wobei aber die Bestimmung klar festhält, dass eine anderweitige Abrede der Parteien Vorrang hat. Die Fassung, die von den multilateralen Entwicklungsbanken („MDB“) verwendet wird (so im „Pink Book“ von 2010), verweist nicht auf die ICC, sondern auf die „arbitration rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL)“, die (anders als ICC-Verfahren) nicht institutionell administriert werden. 458
Erwähnt seien schließlich die Bemühungen der ICC, mit eigenen, detaillierten „Dispute Board Rules“ in diesem Bereich Fuss zu fassen. Wichtig ist auch hier, dass die Entscheidung des DAB nicht ein vollstreckbarer Schiedsspruch, sondern für die Parteien einzig deshalb verbindlich ist, weil sie sich im Voraus vertraglich auf dessen Verbindlichkeit verständigt hatten.
Kapitel 5. Forschungs- und Entwicklungsverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils C, vor Rz. 1.
I. Gegenstand, Erscheinungsformen, Abgrenzungen 1. Gegenstand des Forschungs- und Entwicklungsvertrages; wirtschaftliche Bedeutung 459
Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag lässt sich nicht allgemein gültig definieren. Seine praktischen Erscheinungsformen sind vielfältig; entsprechend ist auch der Vertragsgegenstand unterschiedlich1. In der Regel geht es um Vereinbarungen betreffend die Auslagerung einer Forschungs- und/oder Entwicklungstätigkeit, oder um die Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und/oder der Entwicklung. Desgleichen finden sich Vereinbarungen über die gemeinsame Verbesserung bestehender Produkte oder Techniken, aber auch über die Entwicklung neuer Produkte2. Oft sind solche Verträge durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet und weisen besondere Vertrags1 Takei Naoki, Die vertragliche Zuordnung von Immaterialgüterrechten in Forschungsverträgen zwischen Universitäten und der Industrie, AJP 2006, 429. 2 Wittibschlager Martina, Forschungs- und Entwicklungsverträge, in Kronke Herbert/Melis Werner/Schnyder Anton K. (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 1. Aufl. 2005, S. 217 ff., Rz. 362.
264 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 463
Teil C
strukturen auf; das gilt etwa hinsichtlich der Kooperation der Vertragspartner und der zwischen ihnen geltenden Risikoverteilung1. Unternehmen, die heute im internationalen Wettbewerb mithalten wollen, sind gezwungen, ständig und in der Regel früher als andere neue und bessere Produkte auf den Markt zu bringen oder sich durch innovative Prozesstechnologien zu profilieren. Der Versuch, in einer zunehmend globaler werdenden Welt die Marktposition mittels immer kürzeren Innovationszyklen zu behaupten oder auszubauen, stellt für viele Unternehmen eine grosse Herausforderung dar. Aufgrund der Anzahl und der Komplexität der sich stellenden Aufgaben, der Kosten des benötigten Fachwissens und der besonderen Bedürfnisse liegt es nahe, dass Wirtschaft und Wissenschaft vermehrt miteinander kooperieren. Verträge über Forschungs- und Entwicklungsleistungen stellen denn auch ein volkswirtschaftlich effizientes Instrument der Arbeitsteilung dar2.
460
Für Unternehmen aus der Wirtschaft kann es interessant sein, die Potentiale von Universitäten und Forschungsinstitutionen zu nutzen und diesen eine Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit zu übertragen oder mit ihnen eine solche Tätigkeit ganz oder teilweise gemeinsam zu betreiben3. Umgekehrt bietet eine solche Zusammenarbeit den Hochschulen und Universitäten eine Möglichkeit, aus der Entwicklung und der wirtschaftlichen Nutzbarmachung von Wissen Einnahmen zu generieren, um damit die akademische Forschung zu finanzieren4. Mit dem Abschluss eines Forschungsund Entwicklungsvertrages können Unternehmen aus der Industrie und Forschungseinrichtungen somit die Grundlage für einen Technologie- und Wissenstransfer schaffen und dieses Wissen systematisch kommerzialisieren5.
461
2. Erscheinungsformen a) Forschungs- und Entwicklungsvertrag Die Bezeichnung „Forschungs- und Entwicklungsvertrag“ hat sich zwar als einheitlicher Begriff etabliert. Dennoch ist zwischen Forschung einerseits und Entwicklung andererseits zu unterscheiden, weil die beiden Begriffe für verschiedene Stufen des Innovationsprozesses stehen6.
462
Zunächst liefert die Forschung neue Erkenntnisse und schafft Wissen über die Eigenschaften eines Produktes oder einer Technik und deren Verwendung in der Praxis. Dabei kann auch zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung unterschieden werden7. Beim reinen Forschungsvertrag stellt die Forschungseinrichtung, als Beauftragte oder Auftragnehmerin, dem Auftraggeber in der Regel ihre Dienste zur Durchführung von bestimmten Forschungsarbeiten gegen Vergütung zur Ver-
463
1 Nicklisch Fritz, Kooperation und Risikoverteilung bei FuE-Verträgen, in Nicklisch Fritz (Hrsg.), Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 6. 2 Nicklisch, S. 5. 3 Vgl. Koch Thurid, Die Haftungsfreizeichnung in Forschungs- und Entwicklungsverträgen, 2009 (zit. Koch, Haftungsfreizeichnung), S. 23 ff.; Sandberger Georg, Gestaltungsfragen bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen, in: Nicklisch Fritz (Hrsg.), Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 17 ff. 4 Effenberger Julius, Transfer von Wissen – zur Übertragung von geistigen Gütern, insbesondere bei Forschungsverträgen, SJZ 99 (2003), 218 ff. 5 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 23; Stoeri Fritz Eduard, Forschungs- und Entwicklungsverträge, 1977, S. 22 ff.; Takei, S. 429. 6 Möffert Franz-Josef, Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag, 3. Aufl. 2008, S. 3; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 24. 7 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 24; Stoeri, S. 11 ff.
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Zenhäusern 265
Teil C Rz. 464
Handel mit Dienstleistungen
fügung. Sie verpflichtet sich dabei, sich nach besten Kräften um die Erreichung des angestrebten Zieles zu bemühen und erhält dafür eine Vergütung1. 464
Ziel der zweiten Phase, der Entwicklungsphase, ist es, die durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse in einen technologischen Fortschritt umzusetzen, neue oder verbesserte Techniken, Verfahren, Stoffe, Produkte oder Geräte zu erlangen2. Beim reinen Entwicklungsvertrag geht es somit meist darum, einen bestimmten Gegenstand bzw. ein bestimmtes Verfahren nach festgelegten Spezifikationen zu entwickeln3. Zuweilen sichert der Auftragnehmer dabei zu, den angestrebten Erfolg zu erzielen.
465
Häufig werden auch beide Elemente, also Forschung und Entwicklung, in einem Vertrag vereint, indem z.B. in einer ersten Stufe mittels Grundlagen- oder angewandter Forschung Machbarkeitsstudien erstellt und deren Erkenntnisse in der zweiten Stufe dann in die Entwicklung von Prototypen umgesetzt werden4. Das ist der typische Fall der Auftragsforschung, welcher ein Schwerpunkt der vertraglichen Kooperation von Hochschulen und Wirtschaft bildet5. Typischerweise verfügt dabei nur der Auftragnehmer, also etwa die Hochschule oder das Forschungsinstitut, über das für die Forschung und Entwicklung benötigte technologische Wissen, wobei das Ergebnis der Forschung und Entwicklung indes primär vom Auftraggeber, also z.B. einem Unternehmen aus der Wirtschaft, verwertet werden soll6. b) Produktentwicklungsvertrag; Customizing
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Verpflichtet sich der Auftragnehmer, mittels seines Spezialwissens ein konkretes, neues Produkt zu entwickeln und dem Auftraggeber zur Verfügung zu stellen, so liegt ein Produktentwicklungsvertrag vor7. Soll demgegenüber ein schon bestehendes Produkt an bestimmte, vom Auftraggeber vorgegebene Bedürfnisse angepasst werden, damit es für spezifische Kunden verwendet werden kann, spricht man auch von „Customizing“8. c) Forschungsförderungs- oder Projektunterstützungsvertrag/ Projektmitwirkungsvertrag
467
Im Rahmen eines Forschungsförderungs- oder Projektunterstützungsvertrages beteiligt sich eine Partei ganz oder teilweise an den Kosten eines von einer Forschungsoder Entwicklungseinrichtung durchgeführten konkreten Forschungs- und Entwicklungsvorhabens oder arbeitet daran mit. Diese auch als Sponsored Research- bzw. Collaborative Research-Agreements bezeichneten Vereinbarungen9 enthalten zuweilen eine Verpflichtung der Forschungseinrichtung, der geldgebenden Partei die Ergebnisse vor der Veröffentlichung zur Kenntnis zu bringen10.
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Beim Projektmitwirkungsvertrag verpflichten sich ein Forscher oder ein Forschungsinstitut, an einem von anderen Forschenden oder einer Universität geleiteten For1 Möffert, S. 40 f.; Bühler Theodor, Verträge der Maschinen- und Industrieanlagenindustrie nach Schweizerischem Recht, 2008, S. 90. 2 Möffert, S. 41; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 24 f. 3 Bühler, S. 90; Meier Andrea, In guten wie in schlechten Zeiten: Ausstieg und Haftung aus Produktentwicklungsverträgen, AJP 2009, 552. 4 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 25. 5 Sandberger, S. 19. 6 Sandberger, S. 19 f. 7 Bühler, S. 89; Meier, S. 551. 8 Mondini Andrea/Bürge Stefan, Zuordnung der Ergebnisse gemeinsamer Forschung- und Entwicklung in der Praxis, Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht (sic!) 2008, 4. 9 Vgl. Takei, S. 430. 10 Stoeri, S. 40 f.; Bühler, S. 91.
266 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 472
Teil C
schungsprojekt durch Übernahme von Teilaufgaben, welche dessen Durchführung erfordert, mitzuwirken1. d) Untersuchungsauftrag; Gutachtenvertrag Vor allem im Bereich der Medizin, der Natur- und Ingenieurwissenschaft übernehmen Wissenschaftler die Durchführung von Untersuchungen, etwa für Biomaterialien, Werkstoffanalysen oder Produktionsverfahren. Desgleichen fertigen sie empirische Studien an, z.B. für die Entwicklung eines technischen Geräts oder eines Verfahrens, oder sie erarbeiten Gutachten, welche der Auftraggeber nach einem bestimmten, in der Regel von ihm vorgegebenen Zweck, verwenden will. Solche Untersuchungsaufträge oder Gutachterverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass das Ergebnis ausschließlich dem Auftraggeber zukommen soll, und nur er an ihnen ein Interesse hat2.
469
e) Forschungskooperation Zwei oder mehrere Unternehmen können auch vertraglich vereinbaren, gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu betreiben, in der Regel auf einem thematisch begrenzten Gebiet und manchmal mittels sachlicher Aufteilung der Tätigkeiten3. Häufig bilden sie dabei (rechtlich gesehen) eine einfache Gesellschaft4. Anstelle eines Leistungsaustausches gegen Entgelt bringt jeder Vertragspartner einen eigenen Leistungsanteil in die Kooperation mit ein, wobei das gegenseitige Tätigwerden meist finanziell und zeitlich begrenzt ist. Typischerweise vereinbaren die Parteien, einander Forschungsergebnisse und Know-how gegenseitig zur Verfügung zu stellen5.
470
Gegenstand des Forschungskooperationsvertrages kann ein Projekt der Grundlagenund der Anwendungsforschung sein, oder auch eine konkrete Produktentwicklung auf der Basis schon bestehender Forschungsergebnisse6. Vor allem in Bereichen, in denen die Forschung auf unbekanntes Gebiet vorstösst – wenn es z.B. um die Entwicklung von Technologie zur Erstellung eines Quantencomputers7, oder die Nachbildung des menschlichen Hirns mittels computerbasierter Modelle und Simulationen8 geht –, können Forschungskooperationen eine intensive Form des Wissens- und Technologietransfers ermöglichen9.
471
3. Abgrenzungen a) Know-how-(lizenz-)Vertrag bzw. Patent-, Design- oder urheberrechtlicher Lizenzvertrag Vereinbarungen über Forschung- und Entwicklung sind zunächst von Know-how(Lizenz-)Verträgen abzugrenzen. Beim Vertrag über Know-how verpflichtet sich der 1 Plander Harro/Schieck Dagmar, Forschung als Gegenstand von Werkverträgen, RdA 1990, 220. 2 Sandberger, S. 19; Plander/Schieck, S. 219 f.; Ullrich Hanns, Auslegung und Ergänzung der Schutzrechtsregeln gemeinsamer Forschung und Entwicklung, GRUR 1993, (zit. Ullrich, Schutzrechtsregeln), S. 339. 3 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 25. 4 Im Sinne der Art. 530 ff. OR (im schweizerischen Recht) bzw. §§ 705 ff. BGB (im deutschen Recht). Vgl. Effenberger, S. 221; Sandberger, S. 20; Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 340. 5 Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 340; Stoeri, S. 47; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 26. 6 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 25 f. 7 Vgl. etwa das Projekt der Technischen Universität Wien und des National Institute of Informatics in Tokio, Presseaussendung 36/2014 der Technischen Universität Wien v. 7.8.2014, www.tuwien.ac.at. 8 Vgl. das „Human Brain Project“ der Europäischen Kommission, an dem über achtzig internationale Forschungseinrichtungen beteiligt sind; www.humanbrainproject.eu. 9 Sandberger, S. 20.
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Zenhäusern 267
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Teil C Rz. 473
Handel mit Dienstleistungen
Know-how-Geber, dem Know-how-Nehmer sein (technisches, organisatorisches, oder kaufmännisches) Know-how – meist gegen Entgelt – zu offenbaren und ihm ein Recht zu dessen Benutzung und wirtschaftlicher Verwertung einzuräumen; das kann entweder auf Dauer und unter Verzicht auf die eigene Nutzung (Know-how-Vertrag), oder lediglich für eine bestimmte Zeit (Know-how-Lizenzvertrag) geschehen1. Beim Lizenzvertrag über Immaterialgüterrechte überlässt der Inhaber einer Erfindung, eines Designs oder eines Werkes einem anderen das Recht zur Benutzung, insbesondere mit Bezug auf die wirtschaftliche Verwertung, und er erhält dafür eine Lizenzgebühr2. 473
Beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag steht demgegenüber weniger die Übertragung oder Lizenzierung von (bestehendem) Know-how oder einer bereits patentierten Erfindung im Vordergrund, sondern die „Erarbeitung“ von Wissen und (meist technischen) Kenntnissen zum Zwecke der Nutzbarmachung für ein bestimmtes Produkt oder Verfahren. Die im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages angestrebten Kenntnisse sind in der Regel beiden Parteien noch unbekannt, was bei der Übertragung oder Lizenzierung von Know-how und Patentrechten nicht der Fall ist3.
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Allerdings kann ein Forschungs- und Entwicklungsvertrag mit einer Lizenzvergabe gekoppelt sein. So kann etwa der Auftraggeber dem Auftragnehmer die Benutzung von Schutzrechten oder von Know-how, z.B. zwecks Weiterentwicklung oder Schaffung eines neuen Produktes oder einer neuen Technologie überlassen. Umgekehrt kann der Auftragnehmer sich verpflichten, dem Auftraggeber eine Verwertungsbefugnis an jenen Immaterialgüterrechten zu erteilen, welche als Folge seiner Tätigkeit (möglicherweise) entstehen. Zuweilen kommen die Parteien auch überein, sich gegenseitig eine Lizenz an dem noch zu schaffenden Forschungsergebnis einzuräumen. b) Engineering-Vertrag
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Abzugrenzen ist der Forschungs- und Entwicklungsvertrag auch vom Engineering-Vertrag, bei dem sich ein Ingenieur oder Techniker verpflichtet, für den Kunden ein technisches Problem zu lösen, und zwar auf der Grundlage von technischem Wissen und technischen Fertigkeiten, die bei Vertragsabschluss bereits bekannt sind. Der „Engineer“ ist aber nicht damit beauftragt, neue Erkenntnisse zu gewinnen, welche dann für die Entwicklung eines Produktes oder einer Technologie Verwendung finden sollen4. c) Arbeitsvertrag
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Anders als beim Arbeitsvertrag ist die Partei, welche die Forschungs- und Entwicklungsleistung erbringt, der anderen Partei bei einem Forschungs- und Entwicklungsvertrag nicht untergeordnet und muss auch nicht deren Weisungen befolgen5. Allerdings kann die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit natürlich Hauptgegenstand eines Arbeitsvertrages sein, so etwa bei Projektmitwirkungsverträgen. In der Praxis wird allerdings häufig versucht, solche Vereinbarungen als Werkverträge zu bezeichnen, um dadurch den im Arbeitsrecht enthaltenen zwingenden und halb-zwingenden Normen und dem oft geltenden Tarifvertragsrecht entgehen zu können6.
1 Vgl. Zenhäusern Urs, Vorb 184 ff./Lizenz- und Know-how-Vertrag. In: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Vertragsverhältnisse Teil 1: Innominatkontrakte, Kauf, Tausch, Schenkung, Miete, Leihe, 3. Aufl. 2016, S. 93 ff., N 4 f. (mit Verweisen). 2 Vgl. Zenhäusern, N 1 f. 3 Stoeri, S. 53. 4 Wittibschlager, Rz. 401; Stoeri, S. 58 f. 5 Wittibschlager, Rz. 402. 6 Plander/Schieck, S. 220 f.; Bühler, S. 92.
268 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 481
Teil C
II. Nationale Regelungen 1. Fehlen spezifischer gesetzlicher Regelungen Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass er in den meisten nationalen Rechtsordnungen nicht spezifisch geregelt worden ist. Er ist ein eigenständiger Vertragstypus, der verschiedene vertragstypische Elemente enthalten kann, namentlich solche aus dem Auftrags- bzw. Dienstvertrags- und dem Werkvertragsrecht, daneben aber auch aus Kaufrecht, Gesellschaftsrecht, Miete oder Pacht1.
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In der Schweiz, Deutschland und in Österreich findet sich kaum veröffentlichte Rechtsprechung zur dogmatischen Einordnung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages. Auch die Literatur hat sich mit diesem Thema noch verhältnismässig wenig beschäftigt2. Aufgrund der Vielfalt möglicher Forschungs- und Entwicklungsverträge ist eine allgemeine Zuordnung zu einem bestimmten Vertragstypus indes nicht möglich; vielmehr muss auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden, wobei eine Auslegung der einzelnen Vertragselemente je nachdem zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
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2. Vertragstypologische Zuordnungsmöglichkeiten In der Schweiz, in Deutschland und in Österreich steht die Frage im Vordergrund, ob der Forschungs- und Entwicklungsvertrag dem Werkvertragsrecht zu unterstellen ist, oder ob auf ihn die Regeln über den Auftrag (so in der Schweiz) bzw. den Dienstvertrag (so in Deutschland und in Österreich) zur Anwendung kommen. Zuweilen wird auch eine Typenverschmelzung angenommen3.
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Eine Zuordnung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages zum Werkvertragsrecht kann aufgrund der weitreichenden Erfolgshaftung problematisch sein, weil im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses häufig noch ungewiss ist, ob ein bestimmtes Ergebnis oder überhaupt ein brauchbares Resultat erreicht wird. Wird der Forschungs- und Entwicklungsvertrag hingegen als Auftrag oder selbständiger Dienstvertrag qualifiziert, so passt das dann nicht, wenn bestimmte Teilschritte oder bestimmte Arbeitsergebnisse konkret vereinbart werden4.
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Hinzu kommt, dass es den Forschungs- und Entwicklungsvertrag – im Sinne eines einheitlichen Vertragstypus – nicht gibt, weil der Gegenstand eines solchen Vertrages völlig unterschiedlich sein kann. Auch lässt sich eine Trennung zwischen Forschungsvertrag und Entwicklungsvertrag kaum durchhalten, da in der Praxis oft Inhalte der beiden Verträge innerhalb eines einheitlichen Vertrages miteinander vermengt sind. Das hat zur Folge, dass nicht jede einzelne Tätigkeit der die Forschungs- oder Entwicklungs-
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1 Stoeri, S. 106 ff.; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 35; Heidinger Franz/Karre Michael, Forschungs- und Entwicklungsverträge – F&E-Vereinbarungen aus rechtlicher, steuerlicher, bilanzieller und förderungsrechtlicher Sicht, 2008, S. 10 f. 2 Möffert, S. 3; Ullrich Hanns, Zum Werkerfolgsrisiko bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen, in Großfeldt, B./Sack, R./Möllers, T.M.J./Drexl, J./Heinemann A. (Hrsg.), FS Wolfgang Fikentscher, 1998 (zit. Ullrich, Werkerfolgsrisiko), S. 301 ff.; Brandi-Dohrn Matthias, Das Risiko im Entwicklungsvertrag, CR, 1998, 646 ff.; Plander/Schieck, S. 201 ff.; Beaumart Markus, Werkerfolgsrisiken in F&E-Verträgen, in Nicklisch Fritz (Hrsg.), Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 40 ff.; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 46, auch mit einer Übersicht über Entscheidungen deutscher Gerichte. 3 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 300 ff.; Nicklisch, S. 11 f.; Beaumart, S. 40 ff.; Schaub Renate, Sponsoring und andere Verträge zur Förderung überindividueller Zwecke, Tübingen, 2008, S. 294; Brandi-Dohrn, S. 648 f.; Stoeri, S. 108 ff., S. 118 ff.; Meier, S. 552 ff.; Bühler, S. 89 ff. 4 Schaub, S. 294; Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 307 ff.; Stoeri, S. 108 ff.; S. 117 ff.
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Zenhäusern 269
Teil C Rz. 482
Handel mit Dienstleistungen
leistung erbringenden Partei dem Werkvertrags oder dem Auftrags- bzw. Dienstvertragsrechts zugeordnet werden kann1. 482
Forschungs- und Entwicklungsverträge werden in der Regel schriftlich abgeschlossen und sie enthalten zumeist detaillierte Regelungen. Eine vertragstypologische Zuordnung ist daher nur zur Ergänzung lückenhafter Regelungen erforderlich2. Von praktischer Relevanz wird diese Zuordnung somit namentlich für jene Bereiche, in denen es zwischen Werkvertragsrecht einerseits und Auftrags- bzw. Dienstvertragsrecht andererseits Normenkollisionen gibt3. 3. Zur Qualifikation und Einordnung in der Schweiz
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In der Schweiz wird von Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag um einen Innominatkontrakt handelt, und zwar oft um einen gemischten Vertrag, bestehend aus werkvertraglichen und auftragsrechtlichen Elementen, wozu gegebenenfalls auch kauf- und lizenzvertragliche sowie gesellschaftsrechtliche Elemente hinzutreten können4. Weist der Vertrag auch lizenzvertragliche Elemente auf (wie das etwa beim Produktentwicklungsvertrag häufig vorkommt), so wird er dadurch (nach herkömmlicher Auffassung) zum Vertrag sui generis, währenddem es nach abweichender Auffassung auch dann beim gemischtrechtlichen Charakter bleiben soll5.
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Geht man von einem gemischten Vertrag aus, so finden die dispositiven Vorschriften der beteiligten Typenrechte, also insbesondere des Werkvertrags- und Auftragsrechts unmittelbare Anwendung, sofern dies zu einem harmonischen Gesamtergebnis führt; ansonsten muss der Richter eine passende eigene Norm schaffen6. Bei der Annahme eines Vertrages sui generis kann demgegenüber das passende Vertragstypenrecht nur analog herangezogen werden7.
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Illustrativ ist in diesem Zusammenhang ein Entscheid des schweizerischen Bundesgerichts von 20058, in dem ein als „Collaborative Research and Development Agreement“ bezeichneter Rahmenvertrag für zu leistende Entwicklungs-, Forschungs- und Produktionstätigkeit im Hinblick auf die Erstellung eines Blutdrucksenkungspräparates zu beurteilen war. In der Herstellung eines bestimmten Wirkstoffes in einer Menge, die nicht genau, sondern nur als Zielmenge angegeben wurde, gegen Entrichtung einer als ungefährer Kostenansatz vereinbarten Mindestvergütung, sah das Bundesgericht eine typisch werkvertragliche Leistung. Die Leistungserbringerin hatte sich daneben aber auch noch zu Forschungs- und Entwicklungsarbeiten verpflichtet; sodann sollte sie nicht haften, sofern die vereinbarten Zielmengen nicht erreicht wurden. Darin sah das Bundesgericht eine (blosse) Verpflichtung zum sorgfältigen Tätigwerden im Interesse der anderen Partei, unter Ausschluss einer Erfolgshaftung, womit der Vertrag auch Merkmale eines Auftrags aufwies. Für das Bundesgericht lag somit ein gemischter Vertrag mit sowohl auftrags- als auch werkvertraglichen Elementen vor9. 1 2 3 4 5
6 7 8 9
Schaub, S. 295; Heidinger/Karre, S. 15. Schaub, S. 295. Schaub, S. 295. Vgl. Stoeri, S. 129 f.; Mondini/Bürge, S. 4; Meier, S. 552; BGE 4C.313/2004 v. 31.1.2005, E. 1.2 f. Meier, S. 553; zur herkömmlichen Einteilung der Innominatkontrakte in gemischte Verträge und Verträge sui generis und deren Abgrenzung, vgl. BGE 4C.313/2004 v. 31.1.2005, E. 1.2 f. (mit Verweis auf BGE 118 II 242 E. 1a, S. 144); Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, Bd. 1, N 252; zur abweichenden Meinung BSK Amstutz/Morin/Schluep, Einl. vor Art. 184 ff. OR N 7, 9. BSK Amstutz/Morin/Schluep, Einl. vor Art. 184 ff. OR N 67. Stoeri, S. 128 f.; Meier, S. 553. BGE 4C.313/2004 v. 31.1.2005. BGE 4C.313/2004 v. 31.1.2005, E. 1.2 f.
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Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 490
Teil C
Generell wird man auf das von den Parteien im Forschungs- und Entwicklungsvertrag konkret Vereinbarte abstellen müssen: Geht es eher um die Suche nach der Lösung für ein technisches Problem oder um die Leistung von Entwicklungsarbeit, damit das angestrebte Produkt oder Verfahren einem bestimmten Standard entsprechen soll, aber ohne dass die leistungserbringende Partei den Arbeitserfolg zusichert, wird Auftragsrecht zur Anwendung kommen1. Eine Zuordnung zum Werkvertragsrecht ist demgegenüber in der Regel dann angebracht, wenn Gegenstand des Vertrags ein objektiv feststellbares Ergebnis, also z.B. ein Endprodukt oder Design mit bestimmten Spezifikationen, ist, und der Leistungserbringer nach dem Verständnis der Parteien für das Erreichen dieses Ergebnisses auch einstehen soll2.
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Die Abgrenzung zwischen Werkvertrags- und Auftragsrecht ist insofern von – und im Vergleich zur Rechtslage in Deutschland und Österreich noch besonderer – Bedeutung, als das Auftragsverhältnis nach der langjährigen, indes heftig kritisierten Rechtsprechung des Bundesgerichts von jeder Vertragspartei jederzeit widerrufen oder gekündigt werden kann3. Die Möglichkeit, den Forschungs- und Entwicklungsvertrag jederzeit zu beenden, wird in vielen Fällen den Interessen den Parteien nicht entsprechen. Überdies kennt das Auftragsrecht eine dem Beauftragten obliegende jederzeitige Pflicht zur Rechenschaftslegung4.
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4. Zur Qualifikation und Einordnung in Deutschland und Österreich In Deutschland und Österreich wird der Forschungs- und Entwicklungsvertrag teilweise einheitlich nach Werkvertragsrecht, teilweise ausschließlich nach Dienstvertragsrecht eingeteilt; mitunter wird auch eine Verschmelzung dieser Vertragstypen angenommen5. Vereinzelt wird auch einfach unterschieden zwischen Forschungs- und Entwicklungsvertrag und ersterer dem Dienstvertragsrecht und letzterer dem Werksvertragsrecht zugeordnet6. Ob der Gegenstand des Vertrags „Forschung“ oder „Entwicklung“ ist, soll dabei allerdings nicht entscheidend sein; mitunter können diese Begriffe aber Indiz bei der Abgrenzung sein7.
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Daneben finden sich Ansätze, welche auf eine Reihe von Kriterien und deren konkrete Ausgestaltung abstellen, welche alsdann Indizwirkung für das Vorliegen eines bestimmten Vertragstypus haben sollen8. Zu diesem Kriterien gehören etwa die Art der Vergütung9, der Umfang und die Dauer der Tätigkeit10 sowie die Festlegung des Personaleinsatzes11, die Weisungsgebundenheit12 der die Forschungs- und/oder Entwicklungstätigkeit erbringenden Partei, die Leistungsbeschreibung13 und die Risikozuweisung oder Einstandspflicht14 für den vertraglich ausbedungenen Erfolg.
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Nach Auffassung des deutschen BGH können Verträge, in denen sich eine Partei zur Erbringung von Forschungs- oder Entwicklungsleistungen verpflichtet, Gegenstand ei-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Mondini/Bürge, S. 4; Meier, S. 553 f.; Stoeri, S. 108 ff. Mondini/Bürge, S. 4; Meier, S. 553; S. 118; Stoeri, S. 118. Vgl. Art. 404 Abs. 1 OR. Vgl. Art. 400 Abs. 1 OR. So z.B. Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 310 f.; Plander/Schieck, S. 223 ff.; Beaumart, S. 40; Schaub, S. 294; Heidinger/Karre, S. 15. So insbesondere Möffert, S. 41 ff., S. 109 f.; dazu auch Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 50 f. So Heidinger/Karre, S. 15. Vgl. die Übersicht bei Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 50 ff.; auch Schaub, S. 294 f.; Möffert, S. 43 f. Plander/Schiek, S. 226; Möffert, S. 43; Heidinger/Karre, S. 16. Plander/Schiek, S. 225. Möffert, S. 43. Plander/Schiek, S. 226; Heidinger/Karre, S. 16. Plander/Schiek, S. 225; Nicklisch, S. 12 f.; Heidinger/Karre, S. 16. Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 311 ff.; Heidinger/Karre, S. 16.
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Teil C Rz. 491
Handel mit Dienstleistungen
nes Dienst- wie auch eines Werkvertrages sein. Während der Auftragnehmer bei Vorliegen eines Dienstvertrages nur ein den Regeln der Wissenschaft und der Technik entsprechendes Vorgehen schuldet, verpflichtet er sich im Falle eines Werkvertrages zur Herbeiführung eines Erfolgs; dieser Erfolg kann in einem bestimmten Arbeitsergebnis oder auch nur in der ordnungsgemäßen Durchführung von Untersuchungen und der Anfertigung von Berichten bestehen1. Massgeblich ist im Einzelfall der Wille der Parteien, wobei die konkrete Festlegung der Aufgabe und des Arbeitsumfanges, die Art der Vergütung, die Erfolgsaussicht des Projekts sowie gegebenenfalls eine konkrete Beschreibung des zu erreichenden Erfolgs, etwa mittels Entwicklungszielen oder „Meilensteinen“ als Anhaltspunkte zur Ermittlung dieses Willens dienen können2. 491
In der neueren Literatur wird zurecht darauf hingewiesen, dass anhand einzelner Zuordnungskriterien ein Forschungs- und Entwicklungsvertrag oft nicht einheitlich entweder dem Dienstvertrags- oder dem Werkvertragsrecht zugewiesen werden kann3. Auch dürften sich etwaige Kollisionen zwischen Dienst- und Werkvertragsrecht nur selten praktisch auswirken, wenn die geschuldete Forschungs- und/oder Entwicklungsleistung hinreichend klar definiert wurde4. Sofern nicht verschiedene Einzelfaktoren in dieselbe Richtung zeigen, soll daher vorwiegend auf die „Reichweite der von den Beteiligten gewollten Einstandspflicht“ der die Forschungs- und Entwicklungsleistung erbringenden Partei abgestellt werden5.
492
Als geeignete Abgrenzungskriterien können dabei etwa die im Vertrag verwendeten Formulierungen sowie Regelungen betreffend die Rechtsfolgen und die Risikozuweisung dienen. Formulierungen wie „Bemühen“ bzw. „Einstehen für Erfolg“ wären alsdann Indizien für einen Dienst- bzw. für einen Werkvertrag, weil sie einen Rückschluss auf den Parteiwillen zulassen6. Übernimmt eine Partei im Vertrag das Risiko für das Erreichen des beschriebenen Zieles und unterwirft sie sich einer umfangreichen Gewährleistungsregelung, so dürfte in der Regel ein Werkvertrag vorliegen7. 5. Kautelarpraxis
493
Soweit ersichtlich, versucht die Vertragspraxis eine Vereinbarung über Forschungsund Entwicklungsleistungen oft so zu gestalten, dass eine Zuordnung zum Werkvertragsrecht eher nicht in Frage kommt. Forschungs- und Entwicklungsverträge werden zwar „ergebnisorientiert, aber nicht ergebnisverpflichtet“8 formuliert, indem die Tätigkeit des Auftragnehmers so umschrieben wird, dass er sich verpflichtet, sich bestmöglich um das Erreichen des angestrebten Ziels zu bemühen, er aber nicht oder nur beschränkt haftet, wenn der Projekterfolg ausbleibt. Generell wird in der Literatur und in „Musterverträgen“ empfohlen, darauf zu achten, dass immer dort kein Forschungs- oder Entwicklungserfolg vereinbart werden soll, wenn dieser nicht absolut oder nahezu sicher erreichbar ist9.
494
Das Haftungsrisiko kann auch dadurch eingeschränkt werden, dass die zu lösende Aufgabe so konkret gefasst wird, dass sich die Forschungs- und Entwicklungsrisiken in 1 BGH v. 16.7.2002, NJW 2002, 3323 ff. 2 BGH v. 16.7.2002, NJW 2002, 3323 ff.; dazu auch Beaumart, S. 41 f. und Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 48 ff. 3 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 59 f. 4 Schaub, S. 309. 5 So Schaub, S. 309. 6 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 60; Möffert, S. 44; Beaumart, S. 43. 7 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 60. 8 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 307. 9 Vgl. etwa Gies Otto, FuE-Verträge in der Raumfahrt – Risiko und Claims-Management, in Nicklisch/Fritz (Hrsg.), Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 88.
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Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 498
Teil C
Grenzen halten, bzw. für den Auftragnehmer überschaubar sind. Desgleichen kann die Aufgabe auch ergebnisneutral als Untersuchungs- oder Versuchsvorhaben formuliert werden, oder ihre Durchführung von Mitwirkungspflichten des Auftraggebers abhängig gemacht werden1. Des Weiteren sehen viele Verträge vor, dass der Auftraggeber die Möglichkeit hat, das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben einseitig abzubrechen, sofern gewisse Zwischenziele oder sonstige Parameter nicht erreicht werden. Das lässt sich kombinieren mit einem ausdrücklichen Ausschluss der Gewährleistung für die Ergebniserreichung oder mit der Vereinbarung einer nur begrenzten Haftung2.
III. Internationales Privatrecht 1. Die Anknüpfung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages a) Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag als Dienstleistungsvertrag Unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten ist zu beachten, dass Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung den Dienstleistungsverträgen zuzurechnen und somit nach den hierfür massgebenden Kriterien anzuknüpfen sind. Betrifft der Forschungs- und Entwicklungsvertrag auch Immaterialgüterrechte, so wird er deswegen noch nicht zu einem „Vertrag über Immaterialgüterrechte“, etwa i.S.d. Art. 122 IPRG. Solche Verträge haben die Übertragung oder die Lizenzierung von Immaterialgüterrechten zum Gegenstand; das steht beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag aber regelmäßig nicht im Vordergrund.
495
b) Rechtswahl Im internationalen Verhältnis können die Parteien das auf den Forschungs- und Entwicklungsvertrag anwendbare Recht grundsätzlich frei vereinbaren3. Viele Forschungs- und Entwicklungsverträge enthalten eine solche Rechtswahl. Den Parteien steht es frei, ihren Vertrag jedem beliebigen Recht zu unterstellen. Oft entscheiden sie sich für eine Rechtsordnung, mit deren Vorschriften sie vertraut sind; also das Recht des Staates, in dem eine der Parteien ihren Sitz hat, gelegentlich auch das Recht, in dem die Forschungs- und Entwicklungsleistung erbracht werden soll. Auch in Frage kommt sodann das Recht eines aus der Sicht beider Parteien „neutralen“ Staates.
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Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich eindeutig aus den Umständen ergeben4. Schriftform ist nicht vorausgesetzt; sie ist indes nur schon aus Gründen der Beweisbarkeit zu empfehlen. In der Regel wird die Rechtswahl beim Abschluss des Forschungs- und Entwicklungsvertrages getroffen. Zulässig ist aber auch eine nachträgliche Einigung oder eine Änderung der ursprünglichen Vereinbarung ohne Rücksicht auf das zuvor geltende Vertragsstatut5.
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Gleich wie bei anderen Verträgen werden auch beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag gewisse Teilfragen gesondert angeknüpft und bleiben der Wirkung einer Rechtswahl
498
1 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 306. 2 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 306. 3 So für das schweizerische Recht Art. 116 IPRG; für das deutsche und das österreichische Recht Art. 3 der Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom-I-Verordnung“). Für das schweizerische Recht wiederholt Art. 122 Abs. 2 IPRG für die „Verträge über Immaterialgüterrechte“ den Grundsatz der freien Rechtwahl ausdrücklich als „lex specialis“. 4 So ausdrücklich Art. 116 Abs. 2 IPRG für das schweizerische Recht und Art. 1 Abs. 1 der RomI-VO für das deutsche und österreichische Recht. 5 Vgl. Art. 116 Abs. 3 für das schweizerische Recht; Art. 3 Abs. 2 der Rom-I-VO für das deutsche und österreichische Recht.
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Zenhäusern 273
Teil C Rz. 499
Handel mit Dienstleistungen
durch die Parteien entzogen oder werden davon nur indirekt betroffen. Dazu gehört z.B. die Vertragsfähigkeit der Parteien, die Folgen des Schweigens einer Partei beim Vertragsabschluss oder die Erfüllungsmodalitäten1. Auch die Form des Forschungs- und Entwicklungsvertrages unterliegt einer Sonderanknüpfung; indes ist eine Rechtswahl aufgrund der gesetzlichen Alternativanknüpfung nicht in jedem Fall wirkungslos2. c) Objektive Anknüpfung 499
Bei Fehlen einer Rechtswahl untersteht der Forschungs- und Entwicklungsvertrag dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt. Das ist vermutungsweise das Recht des Staates, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Niederlassung hat3. Als charakteristische Leistung gilt im Allgemeinen die Leistung, die nicht in Geld besteht; bei Dienstleistungsverträgen ist es regelmäßig die Dienstleistung, also die Leistung des zum Tätigwerden Verpflichteten4. Bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen ist das daher die Forschungs- und/oder Entwicklungsleistung des Auftragnehmers5.
500
Allerdings gibt es Forschungs- und Entwicklungsverträge, die sich nicht durch eine Interessengegenläufigkeit auszeichnen, sondern bei denen beide Parteien einen eigenen Leistungsanteil einbringen, wie etwa bei der Forschungskooperation. Bei solchen Vertragskonstellationen kann die Ermittlung der charakteristischen Leistung im Einzelfall schwierig sein. Gegebenenfalls ist das Recht, mit dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist, alsdann nach anderen Umständen zu ermitteln. 2. Eingriffsnormen
501
Bei internationalen Forschungs- und Entwicklungsverträgen ist zu beachten, dass unter Umständen international zwingende Bestimmungen einer anderen Rechtsordnung als der von den Parteien gewählten oder auf dem Weg der objektiven Anknüpfung ermittelten Rechtsordnung anwendbar sein können. Damit sich solche „Eingriffsnormen“ gegenüber dem Vertragsstatut durchsetzen, müssen indes bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören neben einem zwingenden Anwendungswillen ein enger Sachverhaltsbezug sowie ein im Einzelfall schützenswertes Parteiinteresse bzw. ein schützenswertes öffentliches oder Gemeinwohlinteresse6. Als Eingriffsnormen in Frage kommen insbesondere Bestimmungen aus dem Bereich des Kartellrechts, des Handels- bzw. des Wirtschaftsrechts, sowie solche über die Genehmigungsbedürftigkeit der Weitergabe bestimmter Technologien, und in jüngerer Zeit vermehrt auch Embargo-Vorschriften7. 3. Gerichtsstand/Schiedsgerichtsbarkeit
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Mit Bezug auf die Zuständigkeit staatlicher Gerichte für die Beurteilung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Forschungs- und Entwicklungsverträgen ergeben sich im internationalen Bereich keine Besonderheiten. Massgeblich sind für die internatio1 Vgl. Art. 123–126 IPRG für das schweizerische Recht; Art. 13 der Rom-I-VO für das deutsche und das österreichische Recht. 2 Vgl. Art. 124 IPRG für das schweizerische Recht; Art. 11 der Rom-I-VO für das deutsche und das österreichische Recht. 3 So für das schweizerische Recht Art. 116 Abs. 2 IPRG und für das deutsche und österreichische Recht Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 der Rom-I-VO. 4 Vgl. Art. 117 Abs. 3 IPRG für das schweizerische Recht und Art. 4 Abs. 1 lit. b) der Rom-I-VO für das deutsche und österreichische Recht. 5 Vgl. Wittibschlager, Rz. 453. 6 Vgl. Art. 19 IPRG für das schweizerische Recht; Art. 9 der Rom-I-VO für das deutsche und österreichische Recht. 7 Vgl. Wittibschlager, Rz. 418, 438, 457 f.
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Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 506
Teil C
nale direkte Zuständigkeit die entsprechenden Vorschriften des Lugano-Übereinkommens und des IPRG sowie der CH-ZPO (so für die Schweiz), bzw. jene der EuGVVO und der D-ZPO (so für Deutschland), bzw. der EuGVVO und der JN und der Ö-ZPO (so für Österreich). Generell gilt, dass die Parteien eine Zuständigkeitsvereinbarung treffen können. Fehlt eine solche, so sind grundsätzlich die staatlichen Gerichte am Wohnsitz- bzw. Sitzstaat der beklagten Partei oder auch jene im Staat des Erfüllungsortes der streitigen Verpflichtung zuständig. Streitigkeiten aus Forschungs- und Entwicklungsverträgen sind regelmäßig schiedsfähig. Auch diesbezüglich gelten im Vergleich zu anderen Verträgen keine Besonderheiten, was etwa die Willenseinigung oder das Erfordernis der Schriftform der Schiedsklausel angeht1. Der Abschluss einer Schiedsvereinbarung ist insbesondere dann zu empfehlen, wenn anzunehmen ist, dass ein (zukünftiger) Streit zwischen den Vertragsparteien schwierige technische Aspekte betreffen könnte, so dass es angebracht scheint, diesen durch (Schieds-)Richter beurteilen zu lassen, welche von den Parteien aufgrund deren spezifischen Fachwissens ausgewählt werden.
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4. Sonderfragen betreffend Immaterialgüterrechte Beim internationalen Forschungs- und Entwicklungsvertrag, der (auch) Immaterialgüterrechte zum Gegenstand hat, ist zu beachten, dass die Entstehung, das Erlöschen und die Wirkungen solcher Rechte nach dem Recht des Staates zu bestimmen sind, in dem ein bestimmtes Immaterialgut geschützt werden soll2. Diese Anknüpfung aufgrund des Schutzlandprinzips erfolgt unabhängig von der Art des auf den Forschungs- und Entwicklungsvertrag anwendbaren Rechts; dieses ist, wie dargelegt, oft das von den Parteien gewählte Recht oder das Recht des Staates, mit dem der Vertrag am engsten zusammenhängt. Die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages haben dieses Schutzlandprinzip bei der Vertragsgestaltung entsprechend zu berücksichtigen:
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Vereinbaren die Parteien z.B. dass der Vertrag dem schweizerischen Recht unterstehen soll, so regelt sich die Schutzfähigkeit einer vom deutschen Auftragnehmer geschaffenen Erfindung, welche in Deutschland patentiert werden soll, trotz der Rechtswahl der Parteien nicht nach dem schweizerischen, sondern nach dem deutschen Recht. Das ist insbesondere auch dann von Bedeutung, wenn die Parteien im Rahmen einer Forschungskooperation eine einfache Gesellschaft bilden; es ist dann fraglich, ob hinsichtlich der Zuordnung neu geschaffener Immaterialgüterrechte die Bestimmungen des Gesellschaftsrechts – etwa jene gem. Art. 530 ff. OR, wenn es sich um eine schweizerische einfache Gesellschaft handelt – zur Anwendung kommen, oder die Bestimmungen des Rechts des Landes, für welches der Schutz der betreffenden Immaterialgüterrechte verlangt wird3. Den Parteien ist es daher zu raten, diesen Aspekt vertraglich zu regeln.
505
Das ist auch bei der Vereinbarung einer Gerichtsstands- oder Schiedsklausel im Forschungs- oder Entwicklungsvertrag zu beachten. Für Verfahren, welche die Registrierung von Patenten, Marken oder Designs zum Gegenstand haben, können die Parteien nicht die Zuständigkeit eines bestimmten staatlichen Gerichts oder Schiedsgerichts vereinbaren, da es sich dabei nicht um zivilrechtliche Streitigkeiten, sondern um Verwaltungsverfahren handelt.
506
1 So muss sich die Schiedsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder eine künftige, aus dem bestimmten Rechtsverhältnis ergebende, Streitigkeit beziehen und schriftlich abgeschlossen werden, bzw. in einer Form der Übermittlung, welche einen Nachweis der Vereinbarung durch Text ermöglicht (vgl. etwa Art. II der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, bzw. Art. 178 IPRG für das schweizerische Recht, § 1029 ff. D-ZPO für das deutsche Recht, und § 577 Ö-ZPO für das österreichische Recht. 2 So (für das schweizerische Recht) Art. 110 Abs. 1 IPRG. 3 Mondini/Bürge, S. 13.
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Zenhäusern 275
Teil C Rz. 507
Handel mit Dienstleistungen
507
Ob und inwieweit Gerichte oder Schiedsgerichte bei Streitigkeiten aus Forschungsoder Entwicklungsverträgen (oder insbesondere auch Lizenzverträgen) die Frage der Gültigkeit eines Immaterialgüterrechts prüfen können, hängt von der jeweiligen Rechtsordnung ab. Insbesondere bei der Vereinbarung einer Schiedsklausel muss das entsprechend berücksichtigt werden: so sind solche Bestandesklagen nach schweizerischer Auffassung schiedsfähig, während das z.B. in Frankreich oder in Deutschland nicht der Fall ist. In Grossbritannien und in den USA entfaltet die Entscheidung eines Schiedsgerichts betreffend die Gültigkeit eines Immaterialgüterrechts nur Wirkung zwischen den Parteien.
508
Grundsätzlich schiedsfähig sind indes in den meisten Rechtsordnungen Streitigkeiten betreffend die Verletzung von Immaterialgüterrechten.
IV. Europäisches Kartellrecht 1. Rechtsvorschriften der Europäischen Union mit Auswirkung auf Forschungs- und Entwicklungsverträge 509
Nach Art. 101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind grundsätzlich alle Vereinbarungen verboten, die geeignet sind, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu verhindern oder zu beschränken. Von diesem Verbot können aber nach Art. 101 Abs. 3 AEUV gewisse Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen ausgenommen werden. Eine Gruppenfreistellungsverordnung legt fest, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Vereinbarungen nicht als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des europäischen Kartellrechts gelten, und somit freigestellt sind.
510
In Übereinstimmung mit der Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 hat die Europäische Kommission für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen sowie für Technologietransfer-Vereinbarungen solche Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen. Dabei handelt es sich zum einen um die Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 vom 14.12.2010 für Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung („F&E-GVO“)1, welche die am 31.12.2010 ausser Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 265/2000 ersetzt hat. Zum anderen betrifft es die Verordnung (EO) Nr. 316/2014 für Technologietransfer-Vereinbarungen („TT-GVO“)2, welche die bis zum 30.4.2014 geltende Vorgängerverordnung (EG) Nr. 772/2004 abgelöst hat. Die F&E-GVO wird durch die Horizontalleitlinien3 der Kommission ergänzt, die generell beschreiben, anhand welcher Regeln Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit zu prüfen sind. Auch für die TT-GVO hat die Kommission entsprechende Leitlinien erlassen4.
511
Die Einhaltung der Vorgaben gemäß der F&E-GVO (oder, je nachdem auch der TTGVO) schafft für die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages eine gewisse Rechtssicherheit. Sofern der Vertrag keine der in der F&E-GVO (bzw. in der TTGVO) aufgeführten – „schwarzen“ bzw. nicht freigestellten – Klausen enthält und die Vertragsparteien auf den relevanten Märkten bestimmte Marktanteilsschwellen nicht überschreiten, gilt der Vertrag als wettbewerbsrechtlich unbedenklich. 1 Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission v. 14.12.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. EU Nr. L 335/36 v. 14.12.2010, S. 36 ff. 2 Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission v. 21.3.2014 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen; ABl. EU 2014 Nr. L 93 v. 28.3.2014, S. 17. 3 ABl. EU C 11/01 v. 14.1.2011, S. 1 ff. 4 ABl. EU C 89/03 v. 28.3.2014, S. 3 ff.
276 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 516
Teil C
2. EU-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1217/2010 für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (F&E-GVO) Vereinbarungen über die gemeinsame Durchführung von Forschungsarbeiten und die gemeinsame Weiterentwicklung der Forschungsergebnisse bis zur Produktionsreife fallen normalerweise nicht unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Eine Ausnahme gilt unter Umständen aber dann, wenn sich die Parteien darauf verständigen, keinen weiteren Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in demselben Feld nachzugehen und sie damit auf die Möglichkeit verzichten, gegenüber den übrigen Parteien Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Solche potentiell wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sollen daher in den Anwendungsbereich der F&E-GVO fallen.
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Forschungs- und Entwicklungsverträge werden vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt, wenn sie das Ziel haben1, – gemeinsame Forschung und Entwicklung von Vertragsprodukten oder Technologien bzw. Verfahren zu betreiben und die erzielten Ergebnisse gemeinsam zu verwerten; – Forschungsergebnisse, die Gegenstand der gemeinsamen Forschung und Entwicklung von Vertragsprodukten oder Technologien bzw. Verfahren waren, gemeinsam zu verwerten; oder – gemeinsame Forschung und Entwicklung durchzuführen, ohne dass eine gemeinsame Verwertung der Ergebnisse angestrebt wird. Der Begriff der Vereinbarung über Forschung und Entwicklung schließt auch die Auftragsforschung ein. Damit gemeint ist die Ausführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durch eine Partei, welche durch eine andere, nicht selbst forschende Partei finanziert wird2.
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Freigestellt sind auch Nebenabreden zu einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung3, welche – die Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums oder die Erteilung diesbezüglicher Lizenzen an eine oder mehrere Parteien betreffen, und – sich unmittelbar auf die Umsetzung der Vereinbarung beziehen oder dafür erforderlich sind.
514
Voraussetzung für die Freistellung ist, dass alle Parteien aufgrund der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung für die Zwecke weiterer Forschung und Entwicklung und Verwertung uneingeschränkten Zugang zu den Endergebnissen der Forschung und Entwicklung haben, einschließlich daraus erwachsender Rechte des geistigen Eigentums und daraus erwachsendem Know-how. Beschränken die Parteien ihre Verwertungsrechte, so kann auch der Zugang zu den Ergebnissen für die Zwecke der Verwertung entsprechend beschränkt werden4.
515
Sind in der Vereinbarung nur gemeinsame Forschung und Entwicklung oder Auftragsforschung und -entwicklung vorgesehen, so muss jede Partei Zugang zum vorhandenen Know-how der anderen Parteien haben, sofern dieses Know-how für die Verwertung der Ergebnisse unerlässlich ist. Für diesen Austausch vorhandenen Know-hows kann eine Vergütung gezahlt werden, die jedoch nicht so hoch sein darf, dass sie diesen Zugang praktisch verhindern würde5. Die gemeinsame Verwertung darf nur Ergebnisse betreffen, die durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind oder Know-how
516
1 2 3 4 5
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Art. Art. Art. Art. Art.
2 1 2 3 3
Abs. Abs. Abs. Abs. Abs.
1 lit. a–c F&E-GVO. 1a (iv) bis (vi) F&E-GVO. 2 F&E-GVO. 2 F&E-GVO. 3 F&E-GVO.
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Zenhäusern 277
Teil C Rz. 517
Handel mit Dienstleistungen
darstellen und für die Herstellung der Vertragsprodukte oder die Anwendung der Technologie bzw. des Verfahrens unerlässlich sind1. 517
Sind die Parteien der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung keine Wettbewerber, so gilt die Freistellung nach dieser Verordnung für die Dauer der Forschung und Entwicklung. Werden die Ergebnisse gemeinsam verwertet, so gilt die Freistellung weitere sieben Jahre ab dem Tag des ersten Inverkehrbringens der Vertragsprodukte oder der Technologie bzw. des Verfahrens im EU-Markt. Für den Fall, dass die Parteien Wettbewerber sind, gilt die Freistellung indes nur, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung der Anteil der Parteien an den relevanten Produkt- oder Technologiemärkten höchstens 25 % beträgt. Nach Ablauf von sieben Jahren gilt die Freistellung solange weiter, wie der gemeinsame Anteil der Parteien an den relevanten Märkten 25 % nicht überschreitet2.
518
Die F&E-GVO nennt sodann sieben Kernbeschränkungen (sog. „schwarze Klauseln“), welche eine Freistellung ausschließen3. Dazu gehören Beschränkungen der Freiheit der Parteien, eigenständig oder in Zusammenarbeit mit Dritten Forschung und Entwicklung zu betreiben. Auch die Beschränkung von Vertragsprodukten und deren Absatz sowie die Festsetzung von Preisen sind (vorbehältlich bestimmter Ausnahmen) nicht zulässig; desgleichen Beschränkungen des Gebietes oder der Abnehmergruppe, in dem oder an welche die Parteien passiv Vertragsprodukte verkaufen oder Lizenzen für die Technologien erteilen dürfen. Auch Beschränkungen mit Bezug auf das Inverkehrbringen der Vertragsprodukte oder Technologien, die Ablehnung von Kundenaufträgen und die Erschwerung des Bezugs von Wiederverkäufern führen dazu, dass der gesamten Vereinbarung die Freistellung entzogen wird.
519
Ebenfalls nicht freigestellt sind zwei sog. „graue Klauseln“, welche die Parteien verpflichten, nach Abschluss der Forschung und Entwicklung die Gültigkeit von Rechten des geistigen Eigentums nicht anzufechten, oder Dritten keine Lizenzen für die Herstellung der Vertragsprodukte oder für die Anwendung der Technologien bzw. der Verfahren zu erteilen4. Beschränkungen dieser Art wird die Freistellung versagt, ohne dass dies jedoch wie bei den „schwarzen Klauseln“ den Ausschluss der Freistellung für die gesamte Vereinbarung nach sich zieht. 3. EU-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 316/2014 für Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO)
520
Auch Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Bereich des Technologietransfers unterliegen einer von der EU-Kommission erlassenen Gruppenfreistellungsverordnung. Die am 1.5.2014 in Kraft getretene TT-GVO basiert (wie schon ihre Vorgängerversion) auf der Annahme, dass eine Zusammenarbeit von Unternehmen die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien grundsätzlich fördern kann, was sich günstig auf den Wettbewerb auswirken sollte. Sofern die Marktmacht der beteiligten Unternehmen nicht zu stark ist, überwiegen die positiven Effekte einer solchen Zusammenarbeit im Bereich des Technologietransfers die wettbewerbsschädlichen Wirkungen regelmäßig. Allerdings dürfen die Technologietransfer-Vereinbarungen keine schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen enthalten.
521
Als Technologietransfer-Vereinbarungen im Sinne der TT-GVO gelten im Wesentlichen Vereinbarungen über die Übertragung von Patenten, Designs, Software-Urheberrechten und Know-how, mit dem Ziel der Produktion von Vertragsprodukten durch 1 2 3 4
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Art. Art. Art. Art.
3 4 5 6
Abs. 4 F&E-GVO. F&E-GVO. F&E-GVO. F&E-GVO.
278 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 526
Teil C
den Lizenznehmer. Markenlizenzen werden mitfreigestellt, sofern sie einen unmittelbaren Bezug zur Herstellung oder zum Verkauf der Vertragsprodukte aufweisen1. Auch erfasst wird die Übertragung von Technologierechten zwischen zwei Unternehmen mit dem Ziel der Produktion von Vertragsprodukten, bei der das mit der Verwertung der Technologierechte verbundene Risio zum Teil beim Veräusserer verbleibt2. Vereinbarungen zwischen mehr als zwei Unternehmen unterfallen nicht der TT-GVO; insoweit können nur deren Grundsätze herangezogen werden3. Die TT-GVO differenziert zwischen Vereinbarungen unter Wettbewerbern (Horizontalvereinbarungen) und solchen zwischen Unternehmern, die nicht miteinander in Wettbewerb stehen (Vertikalvereinbarungen). Ebenso wie bei der F&E-GVO gelten auch bei der TT-GVO Marktanteilsschwellen – 20 % bei Wettbewerbern, 30 % bei nicht konkurrierenden Unternehmen –, bei deren Unterschreiten die Vorteile einer Zusammenarbeit von Unternehmen im Technologietransferbereich die negativen Wirkungen von Vereinbarungen regelmäßigen überwiegen. Die Berechnung der Marktanteile erfolgt auf der Grundlage der abgesetzten Produkte4.
522
Auch die TT-GVO enthält eine Liste mit Kernbeschränkungen (sog. „schwarze Klauseln“), bei deren Vorliegen eine Freistellung der Technologietransfer-Vereinbarung insgesamt nicht in Betracht kommt. Nicht freigestellt ist eine Vereinbarung u.a., wenn sie dem Lizenznehmer den Passivverkauf vorenthält; unzulässig sind auch Preisfestsetzungen, Mengenbeschränkungen, Gebietsaufteilungen und Verwertungsverbote5. Zu den nicht freigestellten Beschränkungen (welche indes nicht den Ausschluss der Freistellung für die gesamte Vereinbarung bewirken) gehören die Verpflichtungen des Lizenznehmers, dem Lizenzgeber eine exklusive Rücklizenz für seine Verbesserungen an der lizenzierten Technologie zu gewähren, sowie Nichtangriffs- und Kündigungsklauseln in Lizenzvereinbarungen6.
523
4. Verhältnis zwischen F&E-GVO und TT-GVO Forschungs- und Entwicklungsverträge fallen – sofern sie vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV überhaupt erfasst werden – in der Regel (nur) unter die F&E-GVO.
524
Solche Vereinbarungen können indes zusätzlich auch vom Anwendungsbereich der TT-GVO erfasst werden, wenn sie mit der Vergabe von Lizenzen für die zu entwickelnden oder entwickelten Produkte oder Technologien an Dritte gekoppelt sind. Sofern die Parteien einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung aber solche Lizenzen nicht an Dritte, sondern sich gegenseitig oder einer gemeinsamen Forschungseinrichtung erteilen, hat die F&E-GVO Vorrang7.
525
V. Rechtliche Grundlagen 1. Entstehung Form und Inhalt des Forschungs- und Entwicklungsvertrages a) Vertragsabschluss, Form Der Abschluss des Forschungs- und Entwicklungsvertrages beurteilt sich nach den für die Schuldverträge allgemein gültigen Regeln. Der Vertrag kommt zustande, wenn die 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.
1 Abs. 1 lit. b und lit. c. TT-GVO. 1 Abs. 1 lit. c (ii) TT-GVO. 1 Abs. 1 lit. c TT-GVO. 3 und Art. 8 TT-GVO. 4 TT-GVO. 5 TT-GVO. 3.2.6.1 der TT-Leitlinien.
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Zenhäusern 279
526
Teil C Rz. 527
Handel mit Dienstleistungen
Parteien sich über die objektiv und subjektiv wesentlichen Vertragspunkte geeinigt haben. Ein Vertragsabschluss durch Stillschweigen oder konkludentes Verhalten ist daher auch beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag möglich, doch dürfte das kaum je vorkommen. 527
Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag kann formfrei geschlossen werden; in der Praxis ist aber die Schriftform die Regel1, zumal dann, wenn Vertragsbestandteil auch die Einräumung von Nutzungsbefugnissen an Immaterialgüterrechten oder Know-how ist. Die Lizenzierung von Patent-, Design- oder Markenrechten kann im entsprechenden Register eingetragen werden.
528
Sofern der Forschungs- und Entwicklungsvertrag vorsieht, dass eine Partei Inhaberin der Rechte an etwaigen neuen, als Folge der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit geschaffenen Immaterialgütern werden soll, so ist eine diesbezügliche schriftliche Vereinbarung nur schon aus Beweisgründen und im Hinblick auf die spätere Beweisbarkeit eine faktische Notwendigkeit. Sodann bedarf die Abtretung von Rechten an immateriellen Gütern nach den Vorschriften des Zessionsrechts der Schriftform2.
529
Etwaige Mängel beim Abschluss des Forschungs- und Entwicklungsvertrages beurteilen sich nach den allgemeinen vertragsrechtlichen Regeln3. Ist der Forschungs- und Entwicklungsvertrag als Dauerschuldverhältnis ausgestaltet (was er in der Regel aber nicht ist4), dürfte es in den meisten Fällen angezeigt sein, der Anfechtung des Vertrages bloss Wirkung ex nunc zuzuerkennen; eine Rückabwicklung des Vertrages wird nur ausnahmsweise in Frage kommen. b) Inhalt
530
Für die inhaltliche Ausgestaltung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages gilt der Grundsatz der Inhaltsfreiheit. Gewisse Einschränkungen können sich aus zwingend anwendbaren Rechtsnormen, z.B. aus dem Bereich des Kartellrechts- oder des Wirtschaftsrechts, ergeben5.
531
Von besonderer Relevanz ist die Umschreibung des Leistungsgegenstandes und des Vertragszwecks. Der betreffende Wille der Vertragsparteien sollte nicht zuletzt im Hinblick auf die gegebenenfalls erforderliche Abgrenzung bzw. Zuordnung der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung zum Werkvertrags- und zum Auftragsbzw. Dienstvertragsrecht zum Ausdruck kommen.
532
Weil die Möglichkeiten von Forschung und Entwicklung fast unübersehbar variantenreich sind6, ist bei der Vertragsgestaltung darauf zu achten, dass der Auftragsgegenstand sorgfältig definiert wird. Oft werden die einzelnen Arbeitsschritte in zeitliche und sachliche Abschnitte unterteilt7, und zuweilen auch Meilensteine („Milestones“) gesetzt, mit denen die Erreichung der konkreten Vertragsziele gemessen werden soll8. Diese Zielerreichung ist beim Forschungs- und Entwicklungsvertrage im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses häufig ungewiss. Weil der Vertrag regelmäßig auf Dauer angelegt ist (und daher ein Langzeit-, nicht aber unbedingt ein Dauervertrag ist9), können 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Bühler, S. 15. Vgl. etwa Art. 165 Abs. 1 OR für das schweizerische Recht; Effenberger, S. 221. So für die Schweiz Art. 21, 23 ff., Art. 28 und Art. 29 OR. Vgl. dazu Stoeri, S. 141 f. Vgl. etwa Heidinger/Karre, S. 21 f.; Petsche Alexander, Forschungs- und Entwicklungsverträge, in Hausmaninger Christian/Petsche Alexander/Vartian Claudine (Hrsg.), Wiener Vertragshandbuch, Kommentierte Vertragsmuster, Band 2 Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 575. Vgl. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 36. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 36. Vgl. etwa Sandberger, S. 20 f.; Bühler, S. 97 f. Nicklisch, S. 6.
280 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 535
Teil C
die relevanten Umstände sich ändern, was eine Anpassung des Vertrages an die derart geänderten Verhältnisse notwendig werden lassen kann1. 2. Pflichten der Vertragsparteien a) Hauptpflichten des Auftragnehmers Die Hauptpflicht des Auftragnehmers ist das Erbringen einer Forschungs- und/oder Entwicklungsleistung. Diese Leistung kann je nach der Ausgestaltung und dem Ziel des Projektes völlig unterschiedlich ausfallen2. In Frage kommen z.B. die Durchführung von Messreihen, Analysen und Berechnungen, oft verknüpft mit der Anfertigung von Berichten mit der Erläuterung der Ergebnisse3 oder die Gewinnung von Daten. Auch die Entwicklung von Verfahren oder neuen Produkten, die Anfertigung von Prototypen4, aber auch die Anpassung eines Produkts an bestimmte Bedürfnisse von spezifischen Kunden im Rahmen eines „Customizing“5, oder auch nur die Erstellung von Vorstudien, welche die grundsätzliche Machbarkeit eines Projektes im Vorfeld untersuchen6, können Gegenstand der Hauptleistungspflicht des Auftragnehmers sein.
533
Generell lassen sich zwei Grundtypen von Forschungs- und Entwicklungsleistungen unterscheiden: Zum einen kann sich der Auftragnehmer zur Durchführung eines bestimmten Forschungs- und/oder Entwicklungsprojektes verpflichten, ohne dass er dabei aber das Erreichen eines bestimmten Resultates zusichert7. Zum anderen kann der Auftragnehmer sich aber auch zum Erbringen eines konkreten Forschungsergebnisses oder zur Entwicklung eines Produktes mit bestimmten Eigenschaften verpflichten, mithin also das Erreichen eines Resultats in Aussicht stellen oder gar zusichern8. Dieses als Folge der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit geschuldete Ergebnis sollte dann aber im Hinblick auf die unter Umständen sehr weit gehende Risikoübernahme durch den Auftragnehmer und die daraus resultierenden Haftungskonstellationen mit Vorteil genau definiert werden9.
534
Darüber hinaus verpflichtet sich der Auftragnehmer häufig auch zur Überlassung seiner Arbeitsergebnisse, unter Einschluss dazu gehöriger Produkte und Geräte, wie etwa des Prototyps einer neu entwickelten Apparatur10. Auch die Übertragung oder die Lizenzierung von im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit neu geschaffener Rechte an Immaterialgütern kann zu den Pflichten des Auftragnehmers gehören11. Desgleichen findet sich häufig eine Verpflichtung, über das Forschungs- und Entwicklungsverfahren und dessen etwaige Resultate Stillschweigen zu bewahren, bis hin zu der Verpflichtung, Forschungsergebnisse nicht zu veröffentlichen oder sonstwie für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden.
535
1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11
Bühler, S. 94 ff. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 35; vgl. etwa die Beispiele bei Brandi-Dohrn, S. 645. Sandberger, S. 19; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 35 f. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 35. Mondini/Bürge S. 4. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 35, vgl. die dort weiter genannten Beispiele, wie etwa die Untersuchung von Oberflächenstrukturen, oder die Entwicklung von Software zur Positionierung und Steuerung von Satelliten, oder die Bestimmung von UV-Strahlenwerten oder die Gewinnung embryonaler Stammzellen. Schaub, S. 296; Ullrich, S. 306; Plander/Schlieck, S. 291 ff.; Stoeri, S. 172 ff. Schaub, S. 296 f.; Stoeri, S. 174 f. Vgl. etwa Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 312 ff., 320 ff. Stoeri, S. 179 f.; Schaub, S. 297. Stoeri, S. 179, 181.
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Zenhäusern 281
Teil C Rz. 536
Handel mit Dienstleistungen
b) Hauptpflichten des Auftraggebers 536
Hauptpflicht des Auftraggebers ist die Zahlung einer Vergütung an den Auftragnehmer für dessen Forschungs- und/oder Entwicklungstätigkeit. Diese Vergütung besteht regelmäßig in Geld, kann aber auch mittels Erbringung von sachlichen oder fachmännischen Dienstleistungen zugunsten des Auftragnehmers erbracht werden, so etwa durch die Überlassung von Forschungsräumlichkeiten, Apparaturen oder die Zurverfügungstellung von Know-how und sonstigen Informationen1.
537
Meist wird entweder ein Festpreis für die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen vereinbart oder eine Vergütung nach Aufwand, oft auf der Basis einer Kostenschätzung und mit einer festen Preisobergrenze2. Zuweilen werden auch Programmbudgets mit Sollbruchstellen für die Einstellung oder die Fortführung der Tätigkeit des Auftragnehmers oder eine Kostenerstattung mit limitierter Obergrenze vereinbart3.
538
Die Vereinbarung eines Festpreises kann aufgrund der oft unkalulierbaren Entwicklungsdauer und der Komplexität der zu erbringenden Leistung für beide Parteien Risiken mit sich bringen4. Umgekehrt können Anbieter von Forschungs- und Entwicklungsleistungen bei einer Vergütung nach Aufwand oder einer Kostenerstattung mit Preisobergrenze dazu neigen, Mehraufwand geltend zu machen und dadurch die festgesetzte Limite nach oben zu erhöhen5.
539
Mit Bezug auf den Zeitpunkt der Vergütung finden sich ganz unterschiedliche Regelungen. Bei langfristig angelegten Projekten ist die Zahlungspflicht des Auftraggebers häufig an das Erreichen von Meilensteinen gekoppelt6, mit der Folge, dass der Auftraggeber Teilzahlungen nach Ablauf bestimmter Zeitabschnitte leisten soll. c) Nebenpflichten der Beteiligten
540
Weitere in Forschungs- und Entwicklungsverträgen oft enthaltene Regelungen betreffen den Zeitplan für die Durchführung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sowie deren Abnahmekriterien und Abnahmemodalitäten. Hinzu kommen häufig Auskunfts-, Informations-, Rechenschafts- und Rechnungslegungspflichten, auch Wettbewerbsverbote, sowie Regelungen über die Veröffentlichung und weitere Nutzbarmachung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen durch die Vertragsparteien7. 3. Leistungsstörungen a) Störungsszenarien, Parteivereinbarungen
541
Der Variantenreichtum der Forschungs- und Entwicklungsverträge bringt es mit sich, dass die möglichen Störungsszenarien divergieren; dementsprechend kommen auf die unterschiedlichen Sachverhalten auch verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Anwendung. Zu unterscheiden ist dabei vorab zwischen den Verträgen, für welche (namentlich werkvertragliche) Sondervorschriften die Haftung für Mängel der geschuldeten Leistung regeln und Verträgen, für welche eine besondere Mängelhaftung nicht greift8. 1 2 3 4 5 6 7 8
Schaub, S. 298; Stoeri, S. 204 f. Möffert, S. 54 ff.; S. 118; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 37; Schaub, S. 298. Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 299; Möffert, S. 54. Möffert, S. 54. Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 299 f. Sandberger, S. 21; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 36; Möffert, S. 119 f. Schaub, S. 299; Bühler, S. 92 f. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 70.
282 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 547
Teil C
Weil Forschungs- und Entwicklungsverträge häufig Elemente des Werkvertrages und des Auftrags- bzw. Dienstvertrags vereinen, ist das Abstellen auf Werkvertragsrecht die Regel (so bei einer Qualifikation als gemischter Vertrag), oder es wird zumindest analog herangezogen (wenn zusätzliche Elemente hinzukommen, so dass ein Vertrag sui generis vorliegt)1. Die besonderen Vorschriften des Werkvertragsrechts sind darüber hinaus natürlich immer auch dann anwendbar, wenn eine Analyse der wesentlichen Vertragspflichten zeigt, dass der Forschungs- und Entwicklungsvertrag im Wesentlichen ein Werkvertrag ist und den nicht klassisch-werkvertraglichen Elementen bloss untergeordnete Bedeutung zukommt2.
542
Häufig enthalten Forschungs- und Entwicklungsverträge eine (wenn auch selten vollständige) Regelung gewisser Haftungsfragen, so z.B. hinsichtlich der Frage, was geschehen soll, wenn das Forschungs- oder Entwicklungsergebnis nicht erreicht werden kann. Für die Zulässigkeit solcher Haftungsvereinbarungen und insbesondere von Haftungsbegrenzungen gelten die allgemeinen gesetzlichen Schranken3.
543
Auch beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag kann sich im Übrigen eine vorvertragliche Haftung aus culpa in contrahendo ergeben. Dies namentlich dann, wenn eine Partei es im Stadium der Vertragsverhandlungen unterlässt, die andere über Tatbestände aufzuklären, welche die Erreichbarkeit oder den Nutzwert oder die Verwertbarkeit des angestrebten Ergebnisses beeinträchtigen4.
544
b) Haftung aus Nicht- oder Schlechterfüllung Erbringt eine Partei die nach dem Forschungs- und Entwicklungsvertrag geschuldete bzw. vereinbarte Leistung nicht vertragsgemäß, d.h. also entweder überhaupt nicht oder nicht richtig, und liegt kein Fall der Unmöglichkeit oder der Leistungsverzögerung vor, so beurteilt sich das grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften über die Nicht- oder die Schlechterfüllung5. Dabei geht es meist um die Fälle der Verletzung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht6. Die Schlechterfüllung vertraglicher Hauptleistungspflichten, aber auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten oder von nicht leistungsbezogenen Schutzpflichten (was je nach Rechtsordnung auch ein Fall der positiven Vertragsverletzung sein kann), ziehen in der Regel Schadenersatzfolgen nach sich, sofern ein Anspruch auf Erfüllung nicht (mehr) in Frage kommt7.
545
Häufigster Anwendungsfall der Verletzung einer Hauptleistungspflicht wird die Konstellation sein, in der das im Rahmen des Vertrages angestrebte Forschungs- oder Entwicklungsergebnis nicht erreicht werden kann. Hier wird bei der Frage, auf welche gesetzlichen Vorschriften zurückgegriffen werden muss, anhand der konkreten Leistungspflichten zu differenzieren sein8.
546
Soweit der Auftragnehmer sich lediglich verpflichtet hat, bestimmte Forschungs- oder Entwicklungsarbeiten durchzuführen, ohne dass er aber das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses zusichert, so liegt, wenn sich das Ergebnis als nicht erreichbar erweist, keine Leistungsstörung vor9. Ist das Ergebnis zwar erreichbar, wird es aber nicht er-
547
1 Das gilt jedenfalls für die Rechtslage in der Schweiz, die zwischen gemischten Verträgen und Verträgen sui generis unterscheidet. 2 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 312 ff. 3 So für die Schweiz: Art. 100 Abs. 1 OR. 4 Vgl. z.B. für das schweizerische Recht: BGE 110 II 239 E. 1 d) (betreffend einen Lizenzvertrag); für das deutsche Recht: Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 76 (mit Verweisen). 5 Für die Schweiz: Art. 97 ff. OR; für Deutschland: §§ 280 ff. BGB. 6 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 72. 7 Vgl. Art. 97 ff. OR für die Schweiz; §§ 280 ff. BGB für das deutsche Recht. 8 Schaub, S. 301. 9 Schaub, S. 301.
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Zenhäusern 283
Teil C Rz. 548
Handel mit Dienstleistungen
reicht, weil der Auftragnehmer sich nur ungenügend bemüht und er seine Forschungsoder Entwicklungsleistung nicht mit der notwendigen Sorgfalt erbringt, so liegt ein Fall der Schlechterfüllung vor, für die es im Auftrags- bzw. Dienstvertragsrecht keine Sonderregeln gibt; anwendbar sind alsdann die allgemeinen Vorschriften über die Nicht- bzw. Schlechterfüllung. 548
Hat sich der Auftragnehmer hingegen dazu verpflichtet, ein bestimmtes Forschungsund Entwicklungsergebnis auch tatsächlich zu erreichen, so trägt er das diesbezügliche Risiko. Weil ein Forschungs- oder Entwicklungsvertrag in diesem Fall in der Regel dem Werkvertragsrecht zugeordnet werden kann, so fehlt dem versprochenen Forschungoder Entwicklungsergebnis eine vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Eigenschaft bzw. Beschaffenheit, so dass nach dessen Abnahme die werkvertraglichen Sachmängelvorschriften eingreifen1. Der Auftraggeber kann alsdann Ansprüche auf Nacherfüllung bzw. auf Nachbesserung, Wandelung, bzw. Rücktritt vom Vertrag, Minderung der vereinbarten Vergütung und gegebenenfalls auch Schadenersatz geltend machen2. c) Haftung aus Unmöglichkeit
549
Stellt sich im Rahmen der Vertragserfüllung heraus, dass die Erreichung des angestrebten Forschungs- oder Entwicklungsergebnisses an naturgesetzlichen Gegebenheiten oder am Stand von Wissenschaft und Technik scheitert, liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor3. Das dürfte in der Praxis nur selten vorkommen, weil der Auftragnehmer sich vor Abschluss des Vertrages in der Regel vergewissern wird, ob er in der Lage ist, das vom Auftraggeber gewünschte Resultat zu erreichen: Im Zweifel wird er sich daher nur dazu verpflichten, Arbeiten zu leisten, welche der Zielerreichung dienen, aber ohne diese zu garantieren. Das Ergebnis dieser Tätigkeit kann dann in der Erkenntnis bestehen, dass sich das angestrebte Ziel gerade nicht erreichen lässt.
550
Ist die Leistung in Folge eines von einer Partei zu vertretenen Umstandes ganz oder teilweise unmöglich geworden, so wird sie von ihrer Leistungspflicht frei, schuldet der anderen Partei aber unter Umständen Schadenersatz4. Ist die Unmöglichkeit von keiner Partei zu verantworten, so führt das zur Vertragsaufhebung5.
551
Kein Fall der Unmöglichkeit sind Leistungserschwernisse, welche dazu führen, dass das mit dem Forschungs- und Entwicklungsvertrag angestrebte Ergebnis nur mit weitaus grösserem Aufwand als ursprünglich geplant erreicht werden kann6. Diesbezüglich kann eine Korrektur unter Umständen mittels der Anpassung eines Vertrags an veränderte Umstände, etwa unter dem Institut der clausula rebus sic stantibus oder der Veränderung der Geschäftsgrundlage, erreicht werden7. d) Haftung aus Verzug
552
Zeitlich bedingte Verzögerungen der Leistung stellen beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag die wohl häufigste Haftungskonstellation dar8. In der Regel vereinbaren die Parteien einen Terminplan für die Erbringung ihrer Leistungen, dessen Überschrei1 Schaub, S. 301 f.; Bühler, S. 93. 2 Vgl. Art. 368 OR, sowie Meier, S. 559 und Gauch, Werkvertrag, N 1349 ff. für das schweizerische Recht; § 634 i.V.m. § 280 ff. BGB, sowie Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 73 f., für das deutsche Recht. 3 Stoeri, S. 147; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 75. 4 So Art. 97 ff. OR für das schweizerische Recht. 5 Vgl. etwa Art. 119 OR für das schweizerische Recht. 6 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 313 f.; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 75; Stoeri, S. 148 f. 7 Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 313 f.; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 75. 8 Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 75.
284 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 557
Teil C
tung alsdann eine Pflichtverletzung beinhaltet, welche Schadenersatzfolgen (Ersatz des Verzögerungsschadens) nach sich ziehen kann1. Der Schuldnerverzug kann überdies ein Kündigungsrecht begründen und somit zur Aufhebung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages führen2. e) Ausbleiben von Mitwirkungshandlungen In vielen Forschungs- und Entwicklungsverträgen verpflichtet sich der Auftraggeber zu bestimmten Mitwirkungshandlungen, z.B. indem er zusagt, den Auftragnehmer mit Informationen zu beliefern oder ihm Hilfsmittel (wie Räumlichkeiten, technische Geräte) zur Verfügung zu stellen. Bleiben diese Mitwirkungshandlungen aus, so stellt sich die Frage, ob es sich dabei um selbständige Pflichten oder blosse Obliegenheiten handelt3. Das wird in der Regel durch Vertragsauslegung zu ermitteln sein.
553
Liegen selbständige Mitwirkungspflichten vor, so stellt deren Verletzung eine positive Vertragsverletzung dar4, bzw. kann einen Anspruch aus Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten begründen5. Die davon betroffene Partei kann somit statt die Leistung zu verlangen sofort einen Anspruch auf Schadenersatz geltend machen.
554
Handelt es sich hingegen bei den Mitwirkungshandlungen um blosse Obliegenheiten, so kann der Auftraggeber durch Nichtvornahme in Annahmeverzug geraten6. Der Auftragnehmer hat diesfalls grundsätzlich Anspruch auf eine angemessene Fristerstreckung, sofern das Ausbleiben der Mitwirkungshandlung seine Arbeit verzögert. Je nach Art der vereinbarten Vergütung hat er überdies unter Umständen Anspruch auf eine Mehrvergütung, falls ihm wegen des Annahmeverzuges durch den Auftraggeber ein Mehraufwand entsteht7.
555
f) Haftungsbegrenzung Aufgrund der mit Forschungs- und Entwicklungsverträgen verbundenen Unsicherheiten – z.B. mit Bezug auf die Erfüllbarkeit der geschuldeten Leistung in zeitlicher und qualitativer Hinsicht –, finden sich darin häufig Klauseln, mit denen die Haftung der Parteien ausgeschlossen oder begrenzt werden sollen. So kommen die Parteien etwa überein, die Haftung auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu begrenzen oder den im Schadensfall geschuldeten Schadenersatz ziffernmässig, z.B. als feste Summe oder als Prozentsatz des Auftragswertes, festzulegen oder Ansprüche aus bestimmten Schadenskategorien, wie solche für entgangenem Gewinn oder für indirekten Schaden, auszuschließen.
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Solche Haftungsfreizeichnungs- oder Haftungsbegrenzungsklauseln in Forschungsund Entwicklungsverträgen sind grundsätzlich zulässig, aber nur innert der Schranken des anwendbaren Rechts8. Die ziffernmässige Beschränkung der Haftung kann nicht zum Voraus ausgeschlossen oder begrenzt werden, wenn die vertragsverletzende Partei vorsätzlich9 bzw. vorsätzlich oder grobfahrlässig10 handelt. Bei der an sich zulässigen Haftungsbeschränkung für leicht fahrlässiges Verhalten wird oft versucht, die Haftung auf den sog. direkten Schaden („direct damage“ oder „direct costs“) zu begrenzen, wäh-
557
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. etwa Art. 102 ff. OR für das schweizerische Recht. Vgl. Art. 107 ff. OR für das schweizerische Recht. Schaub, S. 306; Meier, S. 560. Vgl. Art. 97 ff. für das schweizerische Recht; Meier, S. 560 f. Schaub, S. 306; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 72 f. für das deutsche Recht. Art. 91 ff. OR für das schweizerische Recht; Meier, S. 560. Vgl. Meier, S. 560 f. Vgl. für das deutsche Recht grundlegend Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 112 ff. Vgl. § 276 BGB für das deutsche Recht. Vgl. Art. 100 Abs. 1 für das schweizerische Recht.
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Zenhäusern 285
Teil C Rz. 558
Handel mit Dienstleistungen
rend der indirekte Schaden („indirect“ oder „consequential“ damage) nicht ersetzt werden soll; allerdings ist unklar, was zu welcher Schadenskategorie gehört1. 558
Für Forschungs- und Entwicklungsverträge, welche dem Werkvertragsrecht zuzuordnen sind, ist besonders zu beachten, dass ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Mängelrechte unzulässig sein kann, wenn der Mangel arglistig2 verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie3 übernommen wird, oder wenn eine qualifizierte Zusicherung hinsichtlich einer bestimmten Werkseigenschaft abgegeben wurde4. Gerade bei Produktentwicklungsverträgen, bei denen der Auftragnehmer sich häufig zu der Entwicklung eines Designs verpflichtet, dessen funktionellen und technischen Aspekte mittels Spezifikationen beschrieben sind, ist es daher wichtig, vertraglich festzulegen, ob mit der Zusicherung einer Eigenschaft auch die Übernahme einer entsprechenden Haftung verbunden sein soll; aus den erwähnten Gründen ist eine gleichzeitige Haftungsbeschränkung grundsätzlich nicht statthaft5.
559
Zu beachten ist des Weiteren, dass gewisse Rechtsordnungen weit restriktivere Grenzen für nicht individualrechtlich gehandelte Freizeichnungsklauseln kennen. Werden für einen Forschungs- und Entwicklungsvertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet oder handelt es sich bei den Verträgen um „Standardverträge“, welche für eine Vielzahl von potentiellen Vertragspartnern entwickelt wurden und dann lediglich auf ein bestimmtes Projekt angepasst werden, sind Einschränkungen, die wesentliche Verpflichtungen betreffen und dadurch den Vertragszweck gefährden, unzulässig6. 4. Beendigung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages a) Zufolge Erfüllung, Befristung oder einvernehmlicher Aufhebung
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Der Forschungs- und Entwicklungsvertrag endet mit dessen Erfüllung, also wenn die vereinbarte Forschungs- und Entwicklungstätigkeit vorgenommen und/oder das angestrebte Forschungs- oder Entwicklungsergebnis erreicht wird. Selbstverständlich können die Parteien den Forschungs- und Entwicklungsvertrag jederzeit auch einvernehmlich beenden.
561
Eher selten wird eine zeitliche Begrenzung vereinbart, weil die Laufzeit eines solchen Vertrages aufgrund der Art der durchzuführenden Arbeiten und der Ungewissheit der Zielerreichung in der Regel nicht abgeschätzt werden kann7. In Frage kommt dafür die Vereinbarung von „Milestones“, mit der Abrede, dass der Vertrag zu einem Ende kommen soll, wenn der Auftragnehmer im Rahmen der stufenweisen Entwicklung eines Projektes den angestrebten (Zwischen-)Erfolg nicht erreicht oder den Zeitplan nicht einzuhalten vermag. Häufig steht dem Auftraggeber in diesem Fall ein Kündigungsrecht zu8. b) Durch Kündigung
562
Den Parteien steht es frei, namentlich dem Auftraggeber ein (ordentliches) Kündigungsrecht – mit oder ohne Kündigungsfrist – einzuräumen. Zumal bei mittel- oder 1 2 3 4 5 6
Vgl. dazu Meier, S. 561 ff. So § 639 BGB für das deutsche Recht; vgl. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 132 f. Vgl. § 639 BGB für das deutsche Recht; vgl. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 133. Meier, S. 563; Gauch, Werkvertrag, N 1375 und N 2565. Meier, S. 563. So z.B. für das deutsche Recht § 307 BGB; dazu Koch Thurid, Haftungsfreizeichnung in Forschungs- und Entwicklungsverträgen – Notwendigkeit, Art und Umfang von Freizeichnungsklauseln, in Wissenschaftsmanagement – Zeitschrift für Innovation, 2009, 45 (zit. Koch, Management); und detailliert Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 145 ff. 7 Vgl. Möffert, S. 94; S. 121; auch Stoeri, S. 208. 8 Möffert, S. 95; S. 121.
286 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 566
Teil C
längerfristigen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben hat dieser unter Umständen ein Interesse, den Vertrag vorzeitig zu beenden, wenn er der Meinung ist, dass das angestrebte Ergebnis zu den vereinbarten oder antizipierten finanziellen und zeitlichen Konditionen nicht erreichbar ist1. Sofern auf den Forschungs- und Entwicklungsvertrag Auftrags- bzw. Dienstvertragsrecht anwendbar ist, so ergibt sich die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung auch aus dem Gesetz. Die nach dem schweizerischen Recht für Auftragsverhältnisse unabdingbare Kündigungsregelung – wonach der Auftrag von jeder Partei jederzeit gekündigt oder widerrufen werden kann2 – ist indes für viele Forschungs- und Entwicklungsverträge wenig sinnvoll. Aufgrund der vom Schweizer Bundesgericht seit Jahrzehnten proklamierten Rechtsprechung kann im Anwendungsbereich des Auftragsrechts das jederzeitige Kündigungsrecht trotzdem nicht durch ein solches mit einer Kündigungsfrist – analog zum deutschen Dienstvertragsrecht3 – ersetzt werden.
563
Ist der Forschungs- und Entwicklungsvertrag hingegen dem Werkvertragsrecht zuzuordnen, ist zu beachten, dass dieses eine ordentliche Kündigung als Beendigungsgrund nicht kennt; vielmehr erfolgt die dem Werkvertragsrecht unterstehende Beendigung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages durch ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung4. Indes hat der Auftraggeber, solange der Auftragnehmer seine Leistung noch nicht erbracht hat, das Recht, den Forschungs- und Entwicklungsvertrag zu beenden, wenn er den Auftragnehmer schadlos hält, ihm also die vereinbarte oder geschuldete Vergütung (ggf. unter Abzug sich ergebender Einsparungen) leistet5.
564
c) Durch ausserordentliche Aufhebung wegen Leistungsstörungen beim Vollzug Sowohl der Verzug als auch die Nicht- oder Schlechterfüllung des Forschungs- und Entwicklungsvertrags durch eine Partei können ein ausserordentliches Kündigungsrecht begründen6. Weil der Forschungs- und Entwicklungsvertrag in der Regel aber kein Dauerschuldverhältnis ist, besteht grundsätzlich kein ausserordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund. Eine Ausnahme gilt für den Fall dass der Vertrag wie ein Dauerschuldverhältnis wirkt7 oder starke gesellschaftsrechtliche Elemente aufweist, und das für diesen Fall vorausgesetzte besondere Vertragsverhältnis zwischen den Parteien erheblich gestört und eine Vertragsfortsetzung einer Partei daher nicht mehr länger zumutbar ist8.
565
Wenn der Forschungs- und Entwicklungsvertrag in den Anwendungsbereich des Werkvertragsrecht fällt, bestehen gesetzliche Möglichkeiten zur ausserordentlichen Beendigung, so z.B. dann, wenn der Auftragnehmer seine Arbeiten nicht rechtzeitig beginnt oder sie so verzögert, dass die rechtzeitige Vollendung nicht mehr anzunehmen ist, ohne dass den Auftraggeber diesbezüglich eine Verantwortung trifft9. Ist das vom Auf-
566
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Möffert, S. 95. Vgl. Art. 404 Abs. 1 OR. §§ 620 ff. BGB. Meier, S. 555; Schaub, S. 307 f. Vgl. Art. 377 OR für das schweizerische Recht; Gauch, Werkvertrag, N 521 ff., 528 ff.; § 649 BGB für das deutsche Recht. Dabei handelt es sich um ein Recht zur ausserordentlichen Beendigung des Vertrages (vgl. Gauch, Werkvertrag, N 522). Vgl. z.B. BGE 4A_474/2009 E. 4 für den Lizenzvertrag. Vgl. BGE 138 III 304 E. 6 f. Vgl. Meier, S. 557 f.; Stoeri, S. 212. Vgl. Art. 366 Abs. 1 OR. Diese werkvertragliche Bestimmung wird durch die allgemeinen Verzugsregeln der Art. 102–109 OR ergänzt. Der Auftraggeber kann vom Vertrag zurücktreten und eine bereits geleistete Vergütung zurückfordern, verliert aber seinen Anspruch auf das schon vorhandene Arbeitsergebnis. Alternativ kann er den Vertrag statt einer Auflösung ex tunc auch durch Kündigung, also ex nunc, beenden und in diesem Fall das bereits erbrachte Arbeitsergebnis gegen Leistung einer entsprechenden Vergütung beanspruchen; vgl. Gauch, Werkvertrag, N 675 f.
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Zenhäusern 287
Teil C Rz. 567
Handel mit Dienstleistungen
tragnehmer abgelieferte Arbeitsergebnis mit erheblichen Mängeln behaftet oder für den Auftraggeber unbrauchbar, so kann dieser den Vertrag rückwirkend aufheben1. 567
Der Tod einer Vertragspartei beendet den Forschungs- und Entwicklungsvertrag hingegen nur, wenn deren persönliche Eigenschaften für das Vertragsverhältnis von zentraler Bedeutung waren2. Auch die Zahlungsunfähigkeit oder der Konkurs einer Partei führen nicht automatisch zur Vertragsbeendigung; sie können indes ein ausserordentliches Kündigungsrecht entstehen lassen.
VI. Strukturelemente und Kernprobleme der Forschungs- und Entwicklungsverträge 1. Ungewissheit und Risiko a) Projektspezifische Faktoren 568
Mittels Forschungs- und Entwicklungsverträgen können Wissenschaft und Wirtschaft im Rahmen des immer schneller werdenden Innovationsprozesses kooperieren und Synergien schaffen, von denen beide Teile profitieren. Im Rahmen dieses Innovationsprozesses stellen die Forschungs- und Entwicklungsphase verschiedene Stufen dar: Die Forschung dient dazu, Erkenntnisse zu gewinnen, welche dann technisch umgesetzt werden, um damit ein neues Produkt oder ein neues Verfahren zu schaffen bzw. ein schon bestehendes Produkt oder Verfahren zu verbessern.
569
Beiden Phasen gemeinsam ist, dass oft „unbekanntes Terrain betreten, ein neuer Weg beschritten“ wird3. Dieser Weg ist durch Ungewissheit gekennzeichnet: Ungewissheit hinsichtlich der Erreichbarkeit des angestrebten Ziels und hinsichtlich der erforderlichen Zeit sowie der dafür aufzuwendenden Kosten, aber auch hinsichtlich der Qualität und der Brauchbarkeit des gewünschten Forschungs- und Entwicklungsergebnisses4. Diese Unsicherheit bringt es mit sich, dass Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Vergleich zu anderen Projekten mit höheren Risiken behaftet sind, weil sie weit weniger gut planbar sind5. b) Ungewissheit der Vertragszielerreichung
570
Die Gefahr, dass das von den Parteien im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages angestrebte Ziel nicht erreicht wird, ist real und grösser als bei vielen anderen Verträgen. Bei Vertragsabschluss ist häufig nicht klar, ob das mit dem Projekt angestrebte Ergebnis eines relativ kleinen, und zumindest für den Auftragnehmer vorhersehbaren, Entwicklungsschrittes bedarf, oder ob ein eigentlicher Sprung nach vorne, in ein „Neuland“, notwendig sein wird6. Nicht nur die Erreichbarkeit des vereinbarten Ziels des Forschungs- und Entwicklungsprojektes ist ungewiss; es stellt sich darüber hinaus oft auch die Frage, ob dieses Ziel mit den vorhandenen Mitteln und dem angedachten Lösungsweg zu erreichen ist7. Als Faustregel lässt sich sagen, dass Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Bereichen der Mechanik, des Maschinenbaus, der Elektronik und der EDV sich technologisch gesehen meist eher „beherrschen“und damit einfacher prognostizieren lassen, als solche im Bereich der Chemie, der Biologie oder der Gentechnik8. 1 2 3 4 5 6 7 8
Art. 368 Abs. 1 OR für das schweizerische Recht. So auch Art. 379 OR für den Werkvertrag nach schweizerischem Recht; Stoeri, S. 209. Koch, Management, S. 42. Vgl. Stoeri, S. 14 ff. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 61; auch Nicklisch, S. 9. Nicklisch, Haftungsfreizeichnung, S. 9; Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 313. Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 298 f.; Nicklisch, S. 9; Stoeri, S. 15. Brandi-Dohrn, S. 647; Beaumart, S. 41.
288 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 575
Teil C
Das Risiko der Vertragserfüllung trägt beim Forschungs- und Entwicklungsvertrag in der Regel der Auftragnehmer, und zwar nicht nur in den Fällen, in denen der Vertrag dem Werkvertragsrecht zugeordnet werden muss, sondern auch dort, wo Auftragsbzw. Dienstvertragsrecht gelten. Anders als das Werkvertragsrecht, kennt das Auftrags- bzw. Dienstvertragsrecht zwar keine besonderen Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers, doch haftet der Aufragnehmer auch unter Auftrags- bzw. Dienstvertragsrecht für eine mangelhafte Leistung, wobei für seine Sorgfaltspflicht ein strenger Massstab gilt1. Verletzt er diese, so stehen dem Auftraggeber unter Umständen Ansprüche auf Schadenersatz wegen Schlechterfüllung zu2.
571
c) Zeitüberschreitungen Die Dauer eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes ist zu Beginn oft nicht vorhersehbar. Aber trotzdem wollen die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages in der Regel mit Zeitplänen arbeiten und Leistungsfristen festlegen, um damit eine gewisse Planungssicherheit zu bewerkstelligen3. Indes erweist sich die Aufstellung eines detaillierten Leistungsprogramms und einer präzisen Leistungsspezifikation bei Vertragsabschluss oft als schwierig. Sodann zeigt sich manchmal erst bei der Projektdurchführung, dass das angestrebte Ziel auf dem eingeschlagenen Weg nicht zu erreichen ist und daher eine entsprechende Projektänderung erforderlich ist4.
572
Zeitüberschreitungen sind denn auch ein häufiges Problem vieler Forschungs- und Entwicklungsverträge, und sie führen fast immer zu Mehrkosten: Der Auftragnehmer hat höhere Personalbetriebskosten und riskiert überdies, gegenüber dem Auftraggeber schadenersatzpflichtig zu werden, wenn er sein Forschungs- und Entwicklungsergebnis nicht rechtzeitig liefert. Dem Auftraggeber können Einnahmen entgehen, wenn er über das angestrebte Produkt oder Verfahren erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügen kann5.
573
d) Kostenüberschreitungen Haben die Parteien im Forschungs- und Entwicklungsvertrag einen Festpreis verabredet, so trägt grundsätzlich der Auftragnehmer das Risiko der Kostenüberschreitung, wenn er sich mit Bezug auf den zu leistenden Aufwand verrechnet hat. Eine Leistungsbefreiung wird, vorbehältlich ausserordentlicher Umstände, nicht in Frage kommen. Auch die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung oder gar eine Vertragsanpassung sind hoch6.
574
Kommt Werkvertragsrecht direkt oder analog zur Anwendung, hat der Auftragnehmer lediglich dann Anspruch auf eine Preiserhöhung, wenn die gravierenden Umstände, welche die (rechtzeitige) Fertigstellung des geschuldeten Arbeitsergebnisses verhindern oder übermässig erschweren, nicht vorausgesehen werden konnten7, was in der Mehrzahl aller Fälle nicht in Betracht kommen wird. Gerade weil Forschungs- und Entwicklungsvorhaben schwierig zu planen sind, kann vom Auftragnehmer erwartet werden, dass er mit dem Eintritt leistungserschwerender und damit kostenverursa-
575
1 2 3 4 5
Stoeri, S. 172. Koch, Management, S. 43. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 61 f. Nicklisch, S. 9. Vgl. das Beispiel bei Koch, Management, S. 43: Verpflichtung des Auftragnehmers zum Bau eines neuen Kommunikationssatelliten, der wegen technischer Schwierigkeiten seinen Betrieb erst sechs statt der geplanten und vereinbarten fünf Jahre nach dem Projektstart aufnehmen kann, was auf Seiten des Auftraggebers zu Kosten für die Startverschiebung sowie den Verlust von Einnahmen für ein Jahr führte. 6 Vgl. Brandi-Dohrn, S. 648 ff.; Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 313 f.; Schaub, S. 305. 7 Vgl. Art. 373 Abs. 2 OR für das schweizerische Recht.
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Zenhäusern 289
Teil C Rz. 576
Handel mit Dienstleistungen
chender Umständen rechnet1. Indes zeigt die Realität, dass Kostenschätzungen bei Projektbeginn im Allgemeinen zu optimistisch ausfallen2. e) Produkthaftungsrisiken 576
Ist Gegenstand des Forschungs- und Entwicklungsvertrages die Schaffung eines neuartigen Produktes, so besteht die Gefahr, dass dieses sich im späteren wirtschaftlichen Einsatz als fehlerhaft erweist. Das damit verbundene Produkthaftungsrisiko kann beträchtlich und das Schadenspotential gross sein3. 2. Risikoverteilung und Kooperation
577
Die den Forschungs- und Entwicklungsvorhaben inhärenten Unsicherheiten und die damit verbundenen projektspezifischen Risiken machen es unerlässlich, dass die Vertragsparteien versuchen sollten, sich über ein differenziertes System der Risikoverteilung zu einigen4. Der Neigung von Lehre und Rechtsprechung, Forschungsverträge im Zweifel eher dem Auftrags- bzw. Dienstleistungsrecht und Entwicklungsverträge dem Werkvertragsrecht zuzuordnen, liegt letztlich die Ansicht zugrunde, Forschungsprojekte seien mit einem Mehr an Ungewissheit und dementsprechend höheren Risiken behaftet als Entwicklungsprojekte5. Indes haben die Parteien es in der Hand, die Risikoverteilung durch den Vertragsinhalt zu bestimmen, und dieser Vertragsinhalt wird beim Entscheid darüber, inwieweit der Auftragnehmer die Folgen eines verwirklichten Risikos zu tragen hat, massgebend sein6.
578
Die Unwägbarkeit eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens erfordert daher eine besondere Kooperation zwischen den Vertragsparteien, zumal dann, wenn es bei Projektbeginn vorhersehbar ist, dass das Leistungsprogramm an veränderte technische, wirtschaftliche oder organisatorische Rahmenbedingungen angepasst werden muss7. Folgerichtig sehen viele Forschungs- und Entwicklungsverträge „Meilensteine“ vor, anhand derer die Parteien abschätzen oder feststellen können, wie sich das Vorhaben entwickelt und ob der eingeschlagene Weg voraussichtlich zu der angestrebten Lösung führen wird8.
579
Dazu gehört im Idealfall auch ein gemeinsames Risiko-Management, das es den Parteien erlaubt, den klassischen Risikosphären – Einhaltung von Terminen und Kosten, Umgehen mit Änderungswünschen seitens des Auftraggebers, Möglichkeit des totalen Scheiterns – in einem frühen Stadium wirksam zu begegnen9. Je mehr die Vertragsparteien sich dieser Risiken bewusst sind, desto eher können deren Konsequenzen mittels technischer oder kommerzieller Maßnahmen, wenn nicht eliminiert, so doch wenigstens minimiert werden. Das setzt aber voraus, dass der Eintritt dieser Risiken rechtzeitig erkannt wird10. 1 Ullrich, S. 322 ff.; Koch, Management, S. 43; Meier, S. 561. Hat der Auftragnehmer einen Kostenvoranschlag erstellt und überschreitet er diesen ohne Zutun des Auftraggebers unverhältnismässig, so hat letzterer bei der Anwendung werkvertraglicher Regeln nach Art. 375 OR auch die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten. 2 Vgl. Stoeri, S. 17 f. 3 Vgl. Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 69 f. 4 Vgl. dazu Nicklisch, S. 10 ff. 5 Möffert, S. 41 ff.; Nicklisch, S. 11; anders Ullrich, Werkerfolgsrisiko, S. 314, der darauf hinweist, dass der Auftragnehmer eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages sich in der Regel eben gerade dazu verpflichtet, das vertragsspezifische Risiko zu übernehmen, weshalb es nicht die Frage sein könne, ob er dieses Risiko auch trägt, sondern nur, inwieweit er es zu tragen habe. 6 Nicklisch, S. 12 f. 7 Nicklisch, S. 6. 8 Nicklisch, S. 9. 9 Vgl. dazu etwa Gies, S. 84 ff. 10 Gies, S. 86 ff.
290 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 583
Teil C
3. Informationsaustausch und Geheimhaltung Häufiger Zweck eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages ist die Schaffung neuer Erkenntnisse mit Bezug auf ein bestimmtes Produkt oder Verfahren. Zuweilen geht es aber auch darum, ein schon bestehendes Produkt oder Verfahren zu verbessern oder für einen neuen Bestimmungszweck zu adaptieren. In diesem Fall wird der Auftraggeber in der Regel seine Produkt- und Verfahrensinformationen zur Verfügung stellen; er will aber Gewissheit haben, dass der Auftragnehmer diese Informationen nur im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens verwendet. Umgekehrt wird der Auftragnehmer die von ihm neu geschaffenen Kenntnisse regelmäßig dem Auftraggeber zur Verfügung stellen müssen, wobei der Auftraggeber zumeist ein eminentes Interesse daran haben, dass das Resultat der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten geheim bleibt, damit es im Wesentlichen nur von ihm verwertet werden kann1.
580
Mit Bezug auf den (wechselseitigen) Informationsaustausch und die Geheimhaltung von Informationen, welche die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit betreffen oder Ergebnis dieser Tätigkeit sind, können die Parteien unterschiedliche Interessen haben. Insbesondere bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen, bei denen auf der einen Seite ein Forschungsinstitut einer Universität oder eine andere wissenschaftliche Einrichtung, und auf der anderen Seite eine Industrieunternehmung beteiligt sind, ist dem Aspekt der Publikation des Forschungsergebnisses Beachtung zu schenken. Für die an dem Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler und die Forschungseinrichtung als solche ist es wichtig, Forschungsergebnisse auch publizieren und wissenschaftlich verwerten zu dürfen2.
581
Solche Veröffentlichungen können indes die kommerzielle Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse gefährden: So setzt der Erhalt von Patent- oder auch Designschutz voraus, dass eine Erfindung oder das Design neu ist und vor dem Anmelde- oder dem Prioritätsdatum noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die Art der Veröffentlichung spielt dabei keine Rolle; auch Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften oder Referate, die an Fachveranstaltungen gehalten werden, zerstören die Neuheit einer Erfindung und damit deren Patentierungsmöglichkeit3. Ist das Forschungsergebnis nur in Know-how verkörpert, genießt es faktischen Schutz nur solange, als es geheim ist; nur dann kann es gegen Entgelt übertragen oder lizenziert werden. Für die Nutzung von offenkundig gewordenem Know-how ist ein Dritter nicht bereit, eine Vergütung zu bezahlen.
582
Dieser Interessensgegensatz zwischen Geheimhaltung und Veröffentlichung des Forschungsresultates lässt sich vertraglich lösen, indem sich etwa der Auftraggeber die Kontrolle über die Publikation vorbehält. Zu denken ist an Regelungen, welche den Auftragnehmer verpflichten, das Forschungsresultat erst nach vorgängiger Zustimmung des Auftraggebers zu veröffentlichen, so dass er sich vorab entscheiden kann, ob er (z.B.) Patentschutz beanspruchen will4. Im Rahmen einer Forschungskooperation haben in der Regel beide Parteien ein Interesse daran, dass ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Publikation der Forschungsergebnisse und Nichtgefährdung von deren Patentierbarkeit besteht. Sodann lassen sich etwaige Differenzen auch dadurch lösen, dass die Parteien während der Projektausführung regelmäßig miteinander kommunizieren, damit der Auftraggeber die Schritte zur Erlangung immaterialgüterrechtlichen
583
1 2 3 4
Vgl. Bühler, S. 100; Sandberger, S. 21 f. Sandberger, S. 22 f. Takei, S. 437 f. Takei, S. 438; Sandberger, S. 24; Schäfer Erik, Inhaber- und Verwertungsrechte an den Ergebnissen von Entwicklungs- und Forschungskooperationen, in Nicklisch Fritz (Hrsg.), Forschungsund Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 60.
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Zenhäusern 291
Teil C Rz. 584
Handel mit Dienstleistungen
Schutzes bereits in die Wege leiten kann, bevor eine Publikation des Forschungsresultates zu wissenschaftlichen Zwecken für die forschenden Wissenschaftler überhaupt ein Thema wird1. 4. Regelungsbedarf für bestehende und neue Immaterialgüterrechte; Verwertungs- und Nutzungsrechte a) Nutzung des Background IP 584
Soweit die eine Partei, z.B. der Auftraggeber, bei Abschluss des Forschungs- und Entwicklungsvertrages schon über Immaterialgüterrechte verfügt, welche die andere Partei, also z.B. der Auftragnehmer, im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens nutzen muss, wird sie sich regelmäßig verpflichten, die Benutzung dieses „Background IP“ wenigstens für die Dauer des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens zu gestatten2. Das Recht, entsprechende Schutzrechte oder Know-how zu verwenden, kann durch eine gesonderte Vergütung oder auch gegen Zahlung einer Nutzungsgebühr oder natürlich auch unentgeltlich eingeräumt werden3.
585
Bei Forschungskooperationen kann es sein, dass beide Parteien Schutzrechte miteinbringen und die jeweils andere Partei dazu ermächtigen, diese zu benutzen. Diesbezüglich empfiehlt es sich, die Art der Nutzung und vor allem deren Dauer vertraglich zu regeln, so dass auch klargestellt ist, was nach der Beendigung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages gelten soll4. b) Vertragliche und gesetzliche Zuordnung des Foreground IP
586
Im Forschungs- und Entwicklungsvertrag auch (und unbedingt) zu regeln ist die Zuordnung etwaiger im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten neu geschaffener Immaterialgüterrechte. Eine solche vertragliche Regelung ist stets auch im Hinblick auf ihre kartellrechtliche Zulässigkeit zu prüfen.
587
Regelungen für dieses „Foreground IP“ erweisen sich häufig als Knackpunkt, speziell bei der Zusammenarbeit zwischen einer universitären Forschungseinrichtung und einem Unternehmen der Industrie5. Das gilt erst recht, wenn die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zu patentierbaren Erfindungen oder schutzfähigen Designs oder urheberrechtsfähigen Werken führen, weil die daraus resultierenden Immaterialgüterrechte von ihrer Konzeption her Exklusivrechte darstellen.
588
Da die Immaterialgüterrechte (jedenfalls was ihre vermögensrechtliche Teile angeht), durch Rechtsgeschäft übertragbar sind, können die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages die Zuweisung solcher Rechte an Forschungs- und Entwicklungsergebnissen grundsätzlich vertraglich regeln. In Frage kommt entweder die Zuweisung ausschließlich an eine Vertragspartei oder die Vereinbarung einer gemeinsamen Berechtigung6. Auch denkbar sind Zwischenlösungen, bei denen die Rechte derjenigen Partei zugeteilt werden, welche am betreffenden Forschungs- und Entwicklungsergebnis das grössere Interesse hat, weil es eher in ihren Geschäftsbereich fällt; der anderen Partei kann aber gestattet werden, das Ergebnis für sich selbst auch zu nutzen7. Das kann indes unter Umständen aus kartellrechtlicher Sicht kritisch sein8. Ver1 2 3 4 5 6 7 8
Takei, S. 438. Takei, S. 433. Schäfer, S. 63; auch Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 339. Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 339; Schäfer, S. 62 ff. Takei, S. 429; Schäfer, S. 60 ff. Vgl. dazu Takei, S. 433 ff.; Mondini/Bürge, S. 14 ff. Vgl. Mondini/Bürge, S. 15 f.; Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 339 f.; Schäfer, S. 65. Schäfer, S. 60, S. 66 f.; Mondini/Bürge, S. 18.
292 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 593
Teil C
einbaren die Parteien eine gemeinsame Berechtigung, empfiehlt es sich, auch zu regeln, wer z.B. eine neu geschaffene Erfindung zum Patent anmelden soll und wie die bei der Patentierung anfallenden Kosten verteilt werden sollen. Bei Fehlen einer vertraglichen Regelung erfolgt die Zuordnung der im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages neu geschaffenen Immaterialgüterrechte nach den – je nach Schutzland möglicherweise unterschiedlichen – gesetzlichen Vorschriften. Diese tragen den Interessen der Vertragsparteien oft nicht genügend Rechnung1:
589
Als Ausgangspunkt für die Zuweisung der Rechte gilt nämlich grundsätzlich das sog. Schöpferprinzip. Demnach wird diejenige Partei am Immaterialgut berechtigt, aus deren schöpferischen Tätigkeit das betreffende Gut hervorgegangen ist2. Das ist in der Regel der Auftragnehmer, als der die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit erbringende Vertragspartner. Nur wenn auch der Auftraggeber, also häufig der Industriepartner, aktiv zum Forschungs- und Entwicklungsergebnis beigetragen hat, stehen die Rechte am geschaffenen Immaterialgut beiden Parteien gemeinsam bzw. gemeinschaftlich zu3. Diese gesetzliche Regelung ist aus der Sicht des Auftraggebers oft nicht akzeptabel.
590
Das Schöpferprinzip kann durchbrochen werden durch die gesetzlichen Regelungen betreffend Erfindungen oder Designs, welche von Personen erbracht wurden, die zu den Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages in einem Arbeitsverhältnis stehen. Das wird vor allem bei Forschenden, die einem Industrieunternehmen oder einer universitären Forschungseinrichtung angehören, regelmäßig der Fall sein. Die von ihnen im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes bei Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit und in Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen geschaffenen Erfindungen oder Designs stehen grundsätzlich dem Arbeitgeber zu; dieser erwirbt die Erfinder- oder Designrechte originär4. Für Forschende, die für eine öffentlich-rechtliche Institution (Universität, Fachhochschule, etc.) tätig sind, sehen die anwendbaren öffentlich-rechtlichen Vorschriften in der Regel die Zuweisung der geschaffenen Immaterialgüter an die besagte Institution vor5.
591
Sofern auf den Forschungs- und Entwicklungsvertrag, Auftrags- bzw. Dienstvertragsoder Werkvertragsrecht anwendbar ist, erfolgt die Zuordnung neu geschaffener Immaterialgüterrechte ohne anderweitige vertragsrechtliche Regelung grundsätzlich auch nach dem Schöpferprinzip. Weder Auftrags- bzw. Dienstvertrags- noch Werkvertragsrecht kennen eine von Schöpferprinzip abweichende Regelung; eine analoge Anwendung der für Arbeitnehmererfindungen oder -designs geltenden Regelungen findet nicht statt6.
592
Ist der Forschungs- und Entwicklungsvertrag nach (schweizerischem) Auftragsrecht zu beurteilen, so kann sich eine Pflicht des Auftragnehmers, das Forschungs- und Entwicklungsergebnis an den Auftraggeber herauszugeben, indes aus Art. 400 Abs. 1 OR
593
1 Voss Ulrike, Forschungsverträge in der Pharma-, Biotech- und Gentechnikindustrie – Rechtliche Probleme und Regelungsinhalte, in Nicklisch Fritz (Hrsg.), Forschungs- und Entwicklungsverträge in Wissenschaft und Technik, Heidelberger Kolloquium, Schriftenreihe Technologie und Recht, Band 22, 2004, S. 122; Takei, S. 432. 2 So z.B. für das schweizerische Recht Art. 3 Abs. 1 PatG, Art. 7 Abs. 1 des DesG, Art. 6 URG; Takei, S. 431; Mondini/Bürge, S. 6. 3 Mondini/Bürge, S. 6; Takei, S. 431; Schäfer, S. 64; vgl. auch (für das schweizerische Recht) Art. 3 Abs. 3 PatG, Art. 7 Abs. 2 DesG, Art. 7 Abs. 1 URG. 4 Vgl. für das schweizerische Recht Art. 332 Abs. 1 OR; Takei, S. 431; Mondini/Bürge, S. 6; auch Foss, S. 124. 5 Vgl. Takei, S. 431 f.; vgl. etwa die Verordnung des ETH-Rates über die Immaterialgüter im ETHBereich v. 9.7.2014 (SR 414.172/AS 2014, 3121). 6 So jedenfalls für das schweizerische Recht BGE 74 II 106 E. 4 a) mit Bezug auf den Werkvertrag; Takei, S. 432.
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Zenhäusern 293
Teil C Rz. 594
Handel mit Dienstleistungen
ergeben; dies jedenfalls dann, wenn die Schaffung des konkret umschriebenen Forschungsergebnisses Vertragsgegenstand ist1. Umstritten ist eine analoge Anwendung von Art. 401 Abs. 1 OR: sie hätte zur Folge, dass die im Rahmen eines Forschungsund Entwicklungsauftrages geschaffenen Immaterialgüter zwar zunächst beim Auftragnehmer entstehen, diese indes nach Bezahlung der vereinbarten Vergütung von Gesetzes wegen auf den Auftraggeber übergehen2. 594
Bilden die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages im Rahmen einer Forschungskooperation eine einfache Gesellschaft, sind die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zu beachten. Dementsprechend stehen dingliche Rechte und Forderungen, welche an die Gesellschaft übertragen oder für sie erworben werden, den Gesellschaftern gemeinschaftlich nach Massgabe des Gesellschaftsvertrages zu3. c) Nutzungs- und Verwertungsrechte für neue Immaterialgüter; Erteilung von Lizenzen
595
Auch Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung und Verwertung etwaiger neugeschaffener Immaterialgüterrechte sollten, wenn möglich, im Forschungs- und Entwicklungsvertrag angesprochen werden. So kann es oft streitig sein, ob bei einer Konstellation, in der beide Parteien z.B. an einer Erfindung berechtigt sind, jede für sich allein diese Erfindung benutzen oder daran Lizenzen erteilen darf, oder ob das nur gemeinsam im Einverständnis beider Parteien geschehen kann4. Auch kommt es vor, dass bereits während der Projektdurchführung z.B. gewisse Erfindungen auslizenziert werden, um damit Einnahmen zu generieren; es kann sich dann die Frage stellen, in welchem Umfang dies einer Vertragspartei gestattet ist und wem solche Einnahmen zustellen sollen5.
596
Für das im neu geschaffenen Forschungs- bzw. oder Entwicklungsergebnis verkörperte „Foreground IP“ kann der Auftragnehmer dem Auftraggeber eine Lizenz einräumen, zu Konditionen, welche zwischen den Parteien je nach Art der unter dem Forschungs- und Entwicklungsvertrag erbrachten Leistungen frei zu bestimmen sind. Häufig wird der Auftragnehmer sich verpflichten müssen, dem Auftragnehmer eine weltweite, zeitlich unbefristete, nicht-exklusive oder auch exklusive oder alleinige Lizenz zu erteilen, mit oder ohne Zahlung einer Lizenzgebühr durch den Auftraggeber. Namentlich bei der Auftragsforschung und -entwicklung ist die Einräumung einer ausschließlichen Lizenz zur Verwertung des geschaffenen Produktes eine typische Regelung6. Kann der Auftraggeber dabei das Foreground IP vernünftigerweise nur nutzen, wenn er auch Zugriff auf das Background IP hat, so wird ihm der Auftragnehmer auch zu dessen Nutzung eine entsprechende (allenfalls auch nicht-ausschließliche) Lizenz gewähren müssen7.
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Soweit Forschungs- und Entwicklungsverträge mit solchen lizenzvertraglichen Elementen kombiniert werden, sind aber unter Umständen kartellrechtliche Schranken zu beachten; das gilt insbesondere, wenn sich die Vertragsparteien wechselseitige Lizenzrechte einräumen, etwa im Rahmen von Forschungskooperationen. Sind Auftragnehmer und Auftraggeber in den gleichen Geschäftsfeldern und auf der gleichen wirtschaftlichen Stufe, also als Wettbewerber, tätig, müssen auf europäischer Ebene gegebenenfalls die F&E-GVO bzw. die TT-GVO berücksichtigt werden8. 1 So Takei, S. 432. 2 Vgl. dazu der Überblick bei Takei, S. 432 (mit Verweisen). 3 So (für das schweizerische Recht) Art. 544 Abs. 1 OR; Mondini/Bürge, S. 7; Effenberger, S. 221; Ullrich, Schutzrechtsregeln, S. 340 f. für das deutsche Recht. 4 Vgl. Takei, S. 435 (mit Verweisen). 5 Vgl. Voss, S. 122. 6 Foss, S. 122. 7 Vgl. Takei, S. 435 f. 8 Mondini/Bürge, S. 15; Schäfer, S. 66 f.
294 | Zenhäusern
Forschungs- und Entwicklungsverträge
Rz. 602
Teil C
d) Einräumung einer Lizenzoption Oft wird bei Abschluss eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages unsicher sein, ob die Tätigkeit des Auftragnehmers zur Schaffung neuer Immaterialgüterrechte führt; desgleichen wird es häufig nicht möglich sein, die etwaigen Lizenzbedingungen im Detail festzulegen. Insbesondere die Lizenzgebühr wird massgeblich vom Wert des Foreground IP und dessen Attraktivität für die wirtschaftliche Verwertung durch den Auftraggeber abhängen. Dieser Wert lässt sich erst dann bestimmen, wenn das Forschungsund Entwicklungsergebnis vorliegt1.
598
Bei einer solchen Konstellation kann der Auftraggeber sich mittels einer Lizenzoption das Recht vorbehalten, die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse wirtschaftlich verwerten zu dürfen. Eine Lizenzoption kann auch Forschungs- und Entwicklungsergebnisse betreffen, welche der Auftragnehmer gegebenenfalls erst nach der Beendigung des Forschungs- und Entwicklungsvertrages kreiert, die aber auf der während der Dauer des Vertrages vorgenommenen Tätigkeit basieren2. Bestandteil der Lizenzoption ist häufig auch ein „right of first refusal“, welches den Auftragnehmer verpflichtet, zunächst dem (früheren) Auftraggeber eine Lizenz zur Verwertung des neu geschaffenen Forschungs- und Entwicklungsergebnisses anzubieten3.
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VII. Vertragsgestaltung/Checkliste 1. Allgemeines zur Vertragsgestaltung Da der Forschungs- und Entwicklungsvertrag kein gesetzlich geregelter Vertragstypus ist, werden die Parteien häufig relativ detaillierte Regelungen treffen. Im Hinblick darauf, dass zur Ergänzung lückenhafter Verträge in vielen Rechtsordnungen meist die Bestimmungen des Auftrags- bzw. Dienstvertragsrechts oder jene des Werkvertragsrechts unmittelbar oder analog beigezogen werden, sollten die Parteien sich darüber im Klaren sein, welche Auswirkungen das für sie haben kann.
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Regelmäßig wird die Zuordnung bzw. Abgrenzung eines konkreten Forschungs- und Entwicklungsvertrages zu einem gesetzlich geregelten Vertragstyp durch Auslegung zu ermitteln sein. Entscheidend ist demnach der Parteiwille, der unter Rückgriff auf verschiedene Kriterien und Indizien festzustellen ist. Dazu gehören etwa das Bestehen und das Wissen der Parteien um ein technologisches Risiko, die Zuweisung dieses Risikos an die eine Vertragspartei, die Zusage einer Partei, das mit der Forschung und Entwicklung angestrebte Ziel zu erreichen und die ihr dafür versprochene Vergütung, mit oder ohne Zuschlag einer Risiko- bzw. Erfolgsprämie4. Die Parteien haben es in der Hand, diese Punkte im Rahmen der vertraglichen Gestaltung so zu regeln, dass ein Rückgriff auf die für die gesetzlichen Vertragstypen geltenden Normen entbehrlich ist.
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Von Relevanz sind auch klare Regelungen hinsichtlich der Zuordnung der Rechte an den im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes möglicherweise neuentstehenden Immaterialgütern, vor allem im Hinblick auf den oft angestrebten „Ergebnistransfer“5. Soweit Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durch angestellte Arbeitnehmer erbracht werden, ist darauf zu achten, dass mit Bezug auf die von diesen geschaffenen Ergebnisse besondere Regelungen gelten können, was etwa Arbeitnehmererfindungen und Rechte an neu geschaffenen Designs betreffen. Sind Universitäten
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Takei, S. 436. Takei, S. 436. Effenberger, S. 223. Vgl. etwa Beaumart, S. 54 f.; Schaub, S. 309; Koch, Haftungsfreizeichnung, S. 60; Möffert, S. 44. Vgl. Sandberger, S. 22 f.
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Teil C Rz. 603
Handel mit Dienstleistungen
und Hochschulen beteiligt, so namentlich im Bereich der Auftragsforschung, sind unter Umständen auch öffentlich-rechtliche Vorschriften zu berücksichtigen. 603
Die Parteien sollten sodann den Forschungs- und Entwicklungsvertrag mittels Rechtswahl einer bestimmten Rechtsordnung unterstellen und für etwaige Streitigkeiten einen Gerichtsstand oder die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbaren. Bei der Redaktion eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages im Auge zu behalten sind des Weiteren die einschlägigen Kartellregeln, im euro-internationalen Verhältnis namentlich jene des Europäischen Kartellrechts. 2. Checkliste
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Da es den Forschungs- und Entwicklungsvertrag nicht gibt, und der Gegenstand eines solchen Vertrags in der Praxis höchst unterschiedlich ist, kann die nachfolgende Checkliste lediglich Anhaltspunkte für die Vertragsgestaltung liefern1. – Präambel – Beschreibung der Tätigkeit der Parteien, Hintergrund der Vertragsbeziehung – Absichten und Ziele der Zusammenarbeit – Vertragsgegenstand – Umschreibung der angestrebten Vertragsprodukte und/oder der Verfahren – Beschreibung und Zuordnung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit – Aussagen betreffend „Bemühen“ oder „Einstehen für den Erfolg“ – Durchführung des Vertrages – Festlegung der Kooperation zwischen den Parteien – Abstimmung betreffend die Planungs- und Entwicklungsschritte – Informationsaustausch – Einblick in (Zwischen-)Arbeitsergebnisse – Projektkoordination – Phasen, Termine – Unterteilung in Forschungs- und Entwicklungsphase – Anfangs-, Zwischen-, Endphase – Termine für den Ablauf der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten – Art der Zusammenarbeit – exklusiv-/nicht-exklusiv – Verpflichtung, das Entwicklungs- und Forschungsvorhaben nur gemeinsam, und nicht mit Dritten, durchzuführen – Zurverfügungstellung von Materialien, Geräten, Räumlichkeiten, Abstellen von Mitarbeitern – Beizug Dritter für Teilaufgaben – Transfer des Forschungs- und Entwicklungsergebnisses ausschließlich an den Vertragspartner – Abänderungen oder Anpassungen der Vertragsziele – Umgehen mit Änderungswünschen einer Vertragspartei – Zeitpunkt, Form der Mitteilung, Behandlung durch die andere Partei – Auswirkung auf die Vergütung, Berechnung des Mehraufwandes – Vergütung – Art und Höhe (Festpreis, Vergütung nach Aufwand, mit oder ohne Kostenschätzung oder Kostendach) 1 Vgl. diesbezüglich kommentierte Vertragsmuster, z.B. bei Möffert, S. 6 ff. und S. 108 ff.; Petsche, S. 575 ff.; auch Wittibschlager, S. 251 ff.; Effenberger, S. 222 ff.
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Forschungs- und Entwicklungsverträge
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Teil C
– Risiko-/Erfolgsprämie – Mehraufwand/Mehrentschädigung – Rechnungsstellung, Zahlungsfristen – Ersatz von Kosten und Auslagen – Zahlungen bei Nichterreichen der angestrebten Ziele Schutzrechte – Einräumung einer Lizenz an von einer Vertragspartei zur Verfügung gestelltem Know-how oder an Immaterialgüterrechten – Dauer der Benutzung und etwaige Vergütung – Zuordnung neu geschaffener Rechte an Know-how und Immaterialgütern (unter Berücksichtigung der Rechte von Arbeitnehmern an Erfindungen oder Designs) – Anmeldung von Schutzrechten, Kostentragung – Verwendung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse – wechselseitige Lizenz – Lizenzoption für die zukünftige Verwertung Geheimhaltung – hinsichtlich der einen Vertragspartei für die Dauer der Zusammenarbeit zur Verfügung gestellten Kenntnisse – Weitergabe vertraulicher Informationen an Dritte – Nutzung vertraulicher Informationen nach Vertragsablauf Veröffentlichungen – Information/Zustimmung des anderen Vertragspartners – Art und Umfang der Veröffentlichungen – Zeitpunkt Abnahme des Forschungs- und Entwicklungsergebnisses – Abnahmezeitpunkt und -prozedere – Prüfung – Mahnung etwaiger Mängel Gewährleistung und Haftung – Art der Haftung (für Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit, Ausschluss für leichte Fahrlässigkeit) – Einstehenmüssen für Sachmängel, für Verletzung von Sorgfaltspflichten – Anspruch auf Behebung der Mängel – Schadenersatz Haftungsbegrenzung – Haftungsausschluss je nach Grad des Verschuldens – Begrenzung der Höhe des Schadenersatzes – Ausschluss gewisser Schadenskategorien Vertragsdauer; Kündigung – Mindest-/Höchstvertragsdauer – Kündigung durch eine Vertragspartei – Kündigungsfrist (jederzeit, bei der Nichteinhaltung von Zwischenterminen, bei Kostenüberschreitungen) Folgen der Vertragsbeendigung – hinsichtlich geleisteter Zahlungen; Anspruch auf weitere Zahlungen – mit Bezug auf das schon erreichte Forschung- und Entwicklungsergebnis – Rückgabe von Materialien, Geräten, Räumlichkeiten – Weiterbenutzung von Know-how/Schutzrechten
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Teil C Rz. 604
Handel mit Dienstleistungen
– Abtretung von Rechten und Pflichten; Vertragsübertragung – mit/ohne Zustimmung der anderen Vertragspartei, Form der Zustimmung – im Konkursfall – Schriftformerfordernis – für Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages – Mitteilungen – Form und Zeitpunkt der Mitteilung – Adressaten – Abschließende Regelungen; salvatorische Klausel – Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern nur durch diesen Vertrag – Ersatz einer ungültigen oder nicht durchsetzbaren Bestimmung – Anwendbares Recht; Streitregelung – Festlegung des anwendbaren Rechts – Gerichtsstandsvereinbarung oder Zuständigkeit eines Schiedsgerichts – vorgängige Pflicht zum Verhandeln; alternative Streitbeilegungsmechanismen (z.B. Mediation).
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Teil D. Telekommunikation Kapitel 1. Vom Staatsmonopol zum Markt: Entwicklungslinien . . . . . . . Kapitel 2. Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen I. WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Internationale Fernmeldeunion (ITU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäische Gemeinschaft 1. Rechtsentwicklung . . . . . . . 2. Telekommunikations-Richtlinien und Verordnungen a) Rahmenrichtlinie . . . . . . . b) Richtlinie über Zugang und Zusammenschaltung . . . . . c) Genehmigungsrichtlinie . . . d) Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . e) Richtlinie zum Universaldienst . . . . . . . . . . . . . . f) Verordnung (EG) Nr. 1211/2009 zur Einrichtung des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) . . . . . . . . . . g) Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union . . 3. Fernabsatz, E-Commerce und Datenschutz in der Telekommunikation . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Sachbereiche I. Regulierungsbehörden 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . 2. Europarechtliche Vorgaben . . . 3. Deutschland . . . . . . . . . . . . a) Bundesnetzagentur (BNA) . . b) Beirat . . . . . . . . . . . . . . c) Bundeskartellamt . . . . . . . 4. Österreich . . . . . . . . . . . . . a) Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie b) Telekom-Control-Kommission (TKK) . . . . . . . . . . . c) Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) . . . . . . . . . . 5. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . a) Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) . . . . . . . 6. Liechtenstein . . . . . . . . . . .
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a) Amt für Kommunikation . . b) Regierung . . . . . . . . . . . . II. Marktzutritt 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . 2. Europarechtliche Vorgaben . . . 3. Deutschland . . . . . . . . . . . . a) Meldepflicht . . . . . . . . . . b) Frequenz- und Nummernzuteilung . . . . . . . . . . . . 4. Österreich . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeingenehmigung . . . b) Frequenz- und Nummernzuteilung . . . . . . . . . . . . 5. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . a) Meldepflicht . . . . . . . . . . b) Konzessionspflicht . . . . . . 6. Liechtenstein . . . . . . . . . . . a) Meldepflicht . . . . . . . . . . b) Frequenzzuteilung . . . . . . III. Universaldienst 1. Begriff und Bedeutung . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . . 3. Dienste a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . . 4. Finanzierung a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . . IV. Adressierung 1. Regulierung/Definition . . . . . a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . . 2. Verwaltung der Adressierungselemente . . . . . . . . . . . . . . 3. Nummernportabilität a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . . 4. Länderrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . .
68 69 70 71 74 75 76 78 79 81 82 83 86 88 89 90 91 94 97 99 101 104 106 107 108 110 112 113 115 117 119 122 123 124 125 127 128 130 133 137 138 139 140 141 142
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Teil D V. Infrastruktur 1. Leitungsrechte . . . . . . . . . . 2. Mitbenutzungsrechte . . . . . . 3. Enteignungsrecht . . . . . . . . 4. Sendetürme . . . . . . . . . . . . VI. Wettbewerbsrecht 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . 2. Europarechtliche Vorgaben . . 3. Deutschland . . . . . . . . . . . 4. Österreich . . . . . . . . . . . . . 5. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . 6. Liechtenstein . . . . . . . . . . . VII. Zugang und Zusammenschaltung 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . 2. Europarechtliche Vorgaben . . 3. Deutschland a) Entbündelter Netzzugang . . b) Zusammenschaltung . . . . c) Entgelte für die Gewährung von Netzzugang . . . . . . . . 4. Österreich . . . . . . . . . . . . . a) Entbündelter Netzzugang . . b) Zusammenschaltung . . . . c) Zugangsentgelte . . . . . . . 5. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . a) Zugangsgewährung . . . . . . b) Entbündelter Netzzugang . . c) Zugangspreise . . . . . . . . . 6. Liechtenstein . . . . . . . . . . .
Telekommunikation 143 147 151 152 154 155 158 159 163 164 165 167 169 171 172 174 175 176 176a 177 178 184 185 187
a) Zugang und Interkonnektion . . . . . . . . . . . . b) Entbündelter Netzzugang . c) Entgelte . . . . . . . . . . . VIII. Sicherheit und Datenschutz 1. Anwendbares Recht a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . 2. Kundendaten a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . 3. Werbung mit E-Mails a) Europarechtliche Vorgaben b) Deutschland . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . e) Liechtenstein . . . . . . . . IX. Vertragsrecht 1. Vertragstypen . . . . . . . . . . 2. Missbrauchskontrolle . . . . . 3. Konsumentenschutz . . . . . Kapitel 4. Ausblick . . . . . . . . . . .
. 188 . 190 . 192
. . . .
193 196 199 202 207
. . . . .
208 211 216 218 222
. . . . .
224 229 231 232 235
. . . .
236 239 242 245
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Teil D Rz. 1
Telekommunikation
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Kapitel 1. Vom Staatsmonopol zum Markt: Entwicklungslinien 1
Der europäische Telekommunikationssektor1 hat in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Wie andere Infrastrukturbereiche durchlief auch der Telekommunikationssektor in allen Industrienationen eine längere Phase staatlicher Monopole. Der Befreiungsschlag erfolgte 1982 in den USA mit der Zerschlagung der AT&T und der Liberalisierung des Fernbereichs. In der Europäischen Gemeinschaft folgten ab 1996 in kurzer Folge ein Bündel von Richtlinien, welche die Marktöffnung in den Mitgliedstaaten im Wesentlichen auf den 1.1. 1998 vorspurten. In der Folge liberalisierte Deutschland den Telekommunikationsmarkt mit Inkrafttreten des dtTKG a.F. und der Ausführungsverordnungen ab Mitte 1997 (novelliert 2004). Zeitgleich damit setzte Österreich das öTKG a.F. (das 2003 novelliert wurde) in Kraft, und die Schweiz folgte nur wenig später, im Sinne eines autonomen und teilweise durchaus eigenständigen Nachvollzugs der EG-Richtlinien, mit dem Erlass eines neuen FMG, das am 1.1.1998 in Kraft trat und 2007 einer Revision unterzogen wurde.
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Neben dem Ziel der Harmonisierung des europäischen Telekommunikationssektors standen dessen Liberalisierung und die strikte Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts im Zentrum der neuen Regelung. Ziel der Liberalisierungsschritte war allemal dasselbe: die Stimulierung des Wettbewerbs in der Erbringung von Fernmeldediensten. Aus der Sicht der Konsumenten sowie der konkurrierenden Anbieter sollten die früheren Monopolanbieter mit ihren schwerfälligen Strukturen, hohen Kosten und veralteten Leistungen ihrer Monopolrenten so rasch als möglich verlustig gehen. Aus der Sicht der Monopolanbieter und der Gewerkschaften ging es primär darum, das – zuweilen euphemistisch als Service Public bezeichnete – Grundangebot für alle Teilnehmer aufrechtzuerhalten. Wettbewerbswirtschaft und Versorgungssicherheit blieben auch in der Folge die bipolaren Orientierungspunkte einer nicht immer geradlinig verlaufenden Entwicklung. Die heutige Marktsituation ist in allen europäischen 1 Die Autoren danken Herrn Matthias Hürlimann, Leiter Telecomrecht beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) für die Bearbeitung der in der Schweiz geltenden Bestimmungen, und Herrn Dr. Stephan Polster, Rechtsanwalt in Wien, für die Bearbeitung der in Österreich geltenden Bestimmungen.
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Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen
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Ländern geprägt vom Nebeneinander zwischen den ehemaligen Monopolanbietern (sog. Incumbents), die in einigen Staaten wie z.B. der Schweiz weiterhin einen sehr hohen Marktanteil vor allem im Festnetzbereich halten, und den neuen Wettbewerbern, die insbesondere im Mobilfunkmarkt und im internationalen Fernmeldeverkehr Marktanteile erobert haben. Liberalisierung ist nicht gleichbedeutend mit Deregulierung. Liberalisierung bedeutet im Gegenteil (nicht nur im Fernmeldebereich) Re-Regulierung; neben öffentlichen Interessen im Zusammenhang mit der Garantie der Grundversorgung und dem Persönlichkeitsschutz dient die Regulierung primär der Kontrolle und Zähmung der ehemaligen Monopolanbieter. So führt die Liberalisierung regelmäßig zu einem „Mehr“ an Regulierung, obwohl anfänglich davon ausgegangen wurde, dass mit zunehmendem Wettbewerb weniger Regulierung erforderlich sein würde1.
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Liberalisierung bedingt nach überkommener Meinung auch nicht notwendigerweise eine volle Privatisierung der Anbieter. So hält der deutsche Staat weiterhin direkt 14,5 Prozent und indirekt über die KfW weitere 17,4 Prozent der Anteile der Deutschen Telekom, und die Eidgenossenschaft bleibt sogar mit einer Aktienmehrheit in der Swisscom investiert2. Das Nebeneinander von staatlicher Eigentümerschaft und Aufsicht hat freilich einen Preis. Auf die Dauer lassen sich die Interessen des Mehrheitseigentümers trotz struktureller Absicherung nicht mit denjenigen der staatlichen Wettbewerbsaufsicht vereinbaren. Auch eine zeitgemäße Corporate Governance würde einen Abschied des Staates als Mehrheitseigner der Incumbents nahe legen.
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Das Resultat von über 15 Jahren Liberalisierung auf dem europäischen Telekommunikationsmarkt sind Umsatzwachstum, Innovation, ein größeres Dienstleistungsangebot und sinkende Preise. Vor dem Hintergrund der flauen Wirtschaftslage, geplatzter Internetblase sowie falscher Einkaufsstrategien in der Vergangenheit befindet sich der Markt nun in einer Phase der Konsolidierung. Der im Jahre 2002 von der EU verabschiedete neue Regulierungsrahmen soll mittels flexibler Mechanismen Innovation, Wettbewerb und eine langfristige sowie nachhaltige Entwicklung des Fernmeldebereichs ermöglichen.
Kapitel 2. Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen I. WTO Anlässlich der Uruguay-Runde wurden kaum Fortschritte bei der Liberalisierung des Telekommunikationssektors erzielt. Erst die WTO-Zusatzverhandlungen, die 1997 in das vierte Zusatzprotokoll zum GATS mündeten, brachten bei den Basisdiensten den Durchbruch3. Das vierte Zusatzprotokoll enthält Länderlisten mit spezifischen Liberalisierungsverpflichtungen sowie Ausnahmen von der Meistbegünstigung, die allerdings nur von wenigen Ländern genutzt wurden. Im Ergebnis einigten sich die Vertragsparteien auf eine weitreichende Marktöffnung und, im Rahmen der jeweiligen Verpflichtungslisten, auf die Inländerbehandlung aller Fernmeldediensteanbieter ungeachtet ihrer Herkunft4. 1 Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 48; vgl. Walden, Introduction, S. 3. 2 Der Bund ist gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Telekommunikationsunternehmung des Bundes v. 30.4.1997 (TUG; SR 784.11) verpflichtet, die Aktienmehrheit an der Swisscom zu halten. 3 Zur Geschichte der Verhandlungen über den Telekommunikationssektor vgl. Senti, Rz. 1281 ff. 4 Für eine Diskussion des Vierten Zusatzprotokolls aus der Sicht der EG vgl. Quist, The WTO Agreement on Basic Telecommunications: Will Europan Union Telephone Service Finally Become Competitive?, Journal of International Legal Studies 1998, 133–156; eine Würdigung aus schweizerischer Sicht findet sich bei Bühler, S. 197 f.
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Ländern geprägt vom Nebeneinander zwischen den ehemaligen Monopolanbietern (sog. Incumbents), die in einigen Staaten wie z.B. der Schweiz weiterhin einen sehr hohen Marktanteil vor allem im Festnetzbereich halten, und den neuen Wettbewerbern, die insbesondere im Mobilfunkmarkt und im internationalen Fernmeldeverkehr Marktanteile erobert haben. Liberalisierung ist nicht gleichbedeutend mit Deregulierung. Liberalisierung bedeutet im Gegenteil (nicht nur im Fernmeldebereich) Re-Regulierung; neben öffentlichen Interessen im Zusammenhang mit der Garantie der Grundversorgung und dem Persönlichkeitsschutz dient die Regulierung primär der Kontrolle und Zähmung der ehemaligen Monopolanbieter. So führt die Liberalisierung regelmäßig zu einem „Mehr“ an Regulierung, obwohl anfänglich davon ausgegangen wurde, dass mit zunehmendem Wettbewerb weniger Regulierung erforderlich sein würde1.
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Liberalisierung bedingt nach überkommener Meinung auch nicht notwendigerweise eine volle Privatisierung der Anbieter. So hält der deutsche Staat weiterhin direkt 14,5 Prozent und indirekt über die KfW weitere 17,4 Prozent der Anteile der Deutschen Telekom, und die Eidgenossenschaft bleibt sogar mit einer Aktienmehrheit in der Swisscom investiert2. Das Nebeneinander von staatlicher Eigentümerschaft und Aufsicht hat freilich einen Preis. Auf die Dauer lassen sich die Interessen des Mehrheitseigentümers trotz struktureller Absicherung nicht mit denjenigen der staatlichen Wettbewerbsaufsicht vereinbaren. Auch eine zeitgemäße Corporate Governance würde einen Abschied des Staates als Mehrheitseigner der Incumbents nahe legen.
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Das Resultat von über 15 Jahren Liberalisierung auf dem europäischen Telekommunikationsmarkt sind Umsatzwachstum, Innovation, ein größeres Dienstleistungsangebot und sinkende Preise. Vor dem Hintergrund der flauen Wirtschaftslage, geplatzter Internetblase sowie falscher Einkaufsstrategien in der Vergangenheit befindet sich der Markt nun in einer Phase der Konsolidierung. Der im Jahre 2002 von der EU verabschiedete neue Regulierungsrahmen soll mittels flexibler Mechanismen Innovation, Wettbewerb und eine langfristige sowie nachhaltige Entwicklung des Fernmeldebereichs ermöglichen.
Kapitel 2. Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen I. WTO Anlässlich der Uruguay-Runde wurden kaum Fortschritte bei der Liberalisierung des Telekommunikationssektors erzielt. Erst die WTO-Zusatzverhandlungen, die 1997 in das vierte Zusatzprotokoll zum GATS mündeten, brachten bei den Basisdiensten den Durchbruch3. Das vierte Zusatzprotokoll enthält Länderlisten mit spezifischen Liberalisierungsverpflichtungen sowie Ausnahmen von der Meistbegünstigung, die allerdings nur von wenigen Ländern genutzt wurden. Im Ergebnis einigten sich die Vertragsparteien auf eine weitreichende Marktöffnung und, im Rahmen der jeweiligen Verpflichtungslisten, auf die Inländerbehandlung aller Fernmeldediensteanbieter ungeachtet ihrer Herkunft4. 1 Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 48; vgl. Walden, Introduction, S. 3. 2 Der Bund ist gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Telekommunikationsunternehmung des Bundes v. 30.4.1997 (TUG; SR 784.11) verpflichtet, die Aktienmehrheit an der Swisscom zu halten. 3 Zur Geschichte der Verhandlungen über den Telekommunikationssektor vgl. Senti, Rz. 1281 ff. 4 Für eine Diskussion des Vierten Zusatzprotokolls aus der Sicht der EG vgl. Quist, The WTO Agreement on Basic Telecommunications: Will Europan Union Telephone Service Finally Become Competitive?, Journal of International Legal Studies 1998, 133–156; eine Würdigung aus schweizerischer Sicht findet sich bei Bühler, S. 197 f.
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Telekommunikation
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Gleichzeitig bekannten sich die Vertragsparteien zu gewissen regulatorischen Leitlinien, die in einem speziellen Vertragsdokument niedergelegt wurden. Im sog. Reference Paper der Arbeitsgruppe vom 24.4.19961 findet sich unter anderem auch der Hinweis, dass die Definition der Grundversorgung bzw. deren Reichweite den Staaten überlassen bleibe. Solange diese Verpflichtungen erforderlich seien und in einer transparenten, wettbewerbsneutralen und nicht diskriminierenden Weise umgesetzt würden, stünden sie im Einklang mit den Disziplinen des GATS.
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Teil des bereits erwähnten vierten Zusatzprotokolls vom 15.4.1997 zum GATS bilden die Verpflichtungslisten der einzelnen Vertragsstaaten, in welchen jeweils der Zugang zum Markt des betreffenden Staates für die Unternehmungen der anderen Mitgliedstaaten geregelt ist. Der Marktzugang besteht dabei für den Sektor Telekommunikation nur, wenn er in der Verpflichtungsliste aufgeführt ist. Bei dieser handelt es sich um eine Positivliste. Für jede einzelne Dienstleistung im betreffenden Sektor werden vier verschiedene Erbringungsarten unterschieden, für die der Marktzugang und die Inländerbehandlung eingeschränkt oder schlicht ausgeschlossen werden kann. Schließlich können wiederum weitere Verpflichtungen auferlegt werden. Ausländische Dienstleistungserbringer dürfen mithin in allen möglichen Varianten hinsichtlich ihres effektiven Marktzugangs beschränkt und bewusst gegenüber Inländern diskriminiert werden, ungeachtet aller Liberalisierungs-Rhetorik2. Die Verpflichtungslisten verhindern damit Diskriminierung und Zutrittshindernisse nicht, sichern jedoch die zugestandene Liberalisierung gegen künftige Verschlechterungen im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten ab3.
II. Internationale Fernmeldeunion (ITU) 8
Die Internationale Fernmeldeunion (International Telecommunications Union, ITU) ist die älteste internationale Organisation und lässt sich bis in das Jahr 1865 zurückverfolgen. Entstanden ist die ITU als Kooperationsforum der staatlichen Monopolanbieter. Trotz Einsitznahme von Industrievertretern als sog. Sector Members blieb die Arbeit des Gremiums lange von den wettbewerbsfeindlichen Strukturen der Mitglieder geprägt4. Im Jahre 1949 wurde sie zu einer Sonderorganisation im System der Vereinten Nationen5. In der Konstitution und Konvention der Fernmeldeunion hielten die Vertragsparteien neben anderem Grundsätze betreffend die Standardisierung, Tarifierung, das Frequenzmanagement und die Entwicklung und Förderung von Fernmeldediensten fest6. Das aus der Konstitution und Konvention hervorgehende Recht ist völkerrechtlich verbindlich, mit Ausnahme der zahlreichen Vorbehalte und Schutzklauseln zu Gunsten des nationalen Rechts7.
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Zweck der ITU ist die Stärkung der internationalen Kooperation im Telekommunikationssektor. Dazu gehört auch die Förderung und technische Unterstützung der ärmeren Länder. In den drei Sektoren der ITU (Radiocommunication, Standardization, Development) spiegeln sich Auftrag und Anspruch der Organisation. 1 Negotiating Group on Telecommunications, Reference Paper on Regulatory Principles, Apr. 24, 1996, 36 I.L.M. 367. 2 Poledna, S. 338. 3 Fischer/Sidler, Fernmelderecht, B Rz. 10 f. 4 Windthorst, S. 72. 5 Für eine kurze Übersicht über Geschichte, Aufgaben und Arbeitsweise der ITU vgl. Walden, Regime, S. 356 ff. sowie www.itu.int/en/ITU-T/about/Pages/default.aspx. 6 Konstitution der Internationalen Fernmeldeunion v. 22.12.1992; Konvention der Internationalen Fernmeldunion v. 22.12.1992. 7 Fischer/Sidler, Fernmelderecht, B Rz. 12.
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Bekannte Beispiele einer von der ITU bzw. ihres Standardisierungsausschusses1 beschlossenen Norm, die von vielen Ländern in nationales Recht umgesetzt wurde, sind der Nummernplan E.164 sowie die Festlegungen bezüglich der Länderkennzahlen (+49 für Deutschland, +41 für die Schweiz etc.). Für den Mobilfunkbereich ist auf die Verwaltung des Funkspektrums (9 kHz bis 400 GHz) oder die Entwicklung des IMT-2000 Standard hinzuweisen, der die technischen Voraussetzungen für die dritte Generation von Mobilkommunikationsnetzen schuf.
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III. Europäische Gemeinschaft 1. Rechtsentwicklung Mit einem Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und -geräte2 definierte die EU-Kommission 1987 neue Ziele und Reformen aufgrund des technischen Fortschrittes auf dem Gebiet der Datenverarbeitung und -übertragung und im Hinblick auf die Reformbestrebungen in den Mitgliedstaaten. Die Öffnung des Wettbewerbs erreichte zuerst den Markt der Endgeräte und Mehrwertdienste. Die unter der Richtlinie über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste3 von 1990 noch zulässige Monopolisierung von Netzinfrastruktur und Sprachtelefondienst wurde schließlich durch verschiedene Liberalisierungsrichtlinien vollständig aufgehoben. Ergänzend dazu und im Hinblick auf die Schaffung eines Binnenmarktes für Telekommunikation ergingen mehrere Harmonisierungsrichtlinien4. Mit der Wettbewerbsrichtlinie im März 19965 folgte die vollkommene Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes. Die meisten Mitgliedstaaten haben den freien Wettbewerb am 1.1.1998 eingeführt.
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An die Phase der Marktöffnung schlossen Maßnahmen zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs an. Begleitend zur Öffnung der Telekommunikationsmärkte für den Wettbewerb hat die Europäische Union (EU) einen Rechtsrahmen in Bezug auf die elektronische Kommunikation verabschiedet, der im Einklang mit dem technologischen Fortschritt und den Anforderungen des Marktes steht. Das sog. Telekom-Paket wurde im Jahre 2002 verabschiedet und 2009 bzw. 2012 reformiert6. Neben der Rahmenrichtlinie enthält es vier Einzelrichtlinien, die einzelne Aspekte der elektronischen Kommunikation regeln, sowie zwei Verordnungen: Richtlinie 2002/20/EG oder Genehmigungsrichtlinie, Richtlinie 2002/19/EG oder Zugangsrichtlinie, Richtlinie 2002/22/EG oder Universaldienstrichtlinie, Richtlinie 2002/58/EG oder Datenschutzrichtlinie für die elektronische Kommunikation, Verordnung (EG) Nr. 1211/2009 zur Einrichtung des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) sowie Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen.
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1 ITU-T (ITU-Telecommunication Standardization Sector), früher CCITT (Comité Consultatif International Téléphonique et Télégraphique). 2 KOM (87) 290 endg. 3 Richtlinie 90/388/EWG der Kommission v. 28.6.1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, ABl. EG Nr. L 192/1990, S. 10. 4 Vgl. für einen ausführlicheren Überblick über die Liberalisierung: Haag, S. 32 ff. 5 Richtlinie 96/19/EG der Kommission v. 13.3.1996 zur Änderung der Richtlinie 90/388/EWG hinsichtlich der Einführung des vollständigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten, ABl. EG Nr. L 74/1996, S. 13. 6 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:l24216a.
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Telekommunikation
2. Telekommunikations-Richtlinien und Verordnungen a) Rahmenrichtlinie 13
Die Rahmenrichtlinie1 zielt zusammen mit den vier Einzelrichtlinien darauf ab, Regelungen für sämtliche Infrastrukturen und Dienste im Bereich der Kommunikation und der elektronischen Medien aufzustellen und Prinzipien zu definieren, die ein einheitliches Handeln der nationalen Regulierungsbehörden (NRB) festlegen. Die Inhalte der Dienste, welche über die Kommunikationsinfrastrukturen erbracht werden, sind von der Regelung ausgeschlossen2.
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Der Rahmenrichtlinie vorangestellt sind – teilweise sehr weit gefasste – Definitionen einzelner Begriffe im Bereich der Netze und Dienste und der Nachfrageseite.
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Art. 3 der Rahmenrichtlinie enthält Bestimmungen über die Schaffung bzw. die Unabhängigkeit der NRB. In der Richtlinie wird der Austausch von Informationen zwischen den nationalen Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden angeregt. Die Mitgliedstaaten trifft denn auch eine Pflicht, sicherzustellen, dass die NRB über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, so dass sie in der Lage sind, sich aktiv am GEREK zu beteiligen und einen Beitrag dazu zu leisten3. Die Entscheidungen der NRB müssen überdies einer unabhängigen Stelle zur Überprüfung vorgelegt werden können4.
16
Mit Einführung des Konsultations- und Transparenzmechanismus nach Art. 6 und 7 Rahmenrichtlinie wurde der EU-Kommission ein weitgehendes Eingriffs- und Mitspracherecht eingeräumt, das europaweit eine einheitliche Anwendung der neuen Regulierung sicherstellen und zur Schaffung eines Binnenmarktes für elektronische Kommunikation beitragen soll. Vor einer Entscheidung über spezifische Maßnahmen, welche beträchtliche Auswirkungen auf den betreffenden Markt haben können, muss die NRB ein Konsultationsverfahren auf nationaler Ebene durchführen. Falls die Maßnahmen die Marktanalyse oder Marktdefinition (Art. 15, 16 Rahmenrichtlinie) oder die Verpflichtungen betreffend Zugang und Zusammenschaltung (Art. 5, 8 Zugangsrichtlinie) betreffen und diese grenzüberschreitende Auswirkungen auf den Handel haben werden, müssen die Entwürfe entsprechender Entscheidungen vorab der EU-Kommission, dem GEREK und den anderen nationalen Regulierungsbehörden zur Kommentierung und Stellungnahme übermittelt werden5. Die Stellungnahme erfolgt innerhalb eines Monates. Wenn die geplante Maßnahme einer Behörde zudem die Festlegung eines relevanten Marktes betrifft, der sich von einem Markt gemäß Art. 15 Abs. 1 Rahmenrichtlinie unterscheidet, oder die Maßnahme auf die Feststellung beträchtlicher Marktmacht zielt, so kann die EU-Kommission den Entscheid um zwei Monate aufschieben, falls sie Zweifel an der Maßnahme hat6. Die EU-Kommission kann sodann die Rücknahme des Maßnahmenentwurfs verlangen, wenn sie dies begründet und Änderungsvorschläge unterbreitet7. 1 Richtlinie 2002/21/EG v. 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 33–50; geändert durch Verordnung (EG) Nr. 717/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.6.2007 ABl. EG Nr. L 171 v. 29.6.2007, S. 32 ff., Verordnung (EG) Nr. 544/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.6.2009, ABl. EG Nr. L 167 v. 29.6.2009, S. 12 ff., Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 37 ff., berichtigt durch Berichtigung, ABl. L 241 v. 10.9.2013, S. 8 (2009/140). Vgl. auch http:// eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:02002L0021-20091219. 2 Vgl. Erwägung 5 der Rahmenrichtlinie. 3 Art. 3 Abs. 3a Rahmenrichtlinie. 4 Art. 4 Rahmenrichtlinie. 5 Art. 7 Abs. 3 Rahmenrichtlinie. 6 Art. 7 Abs. 4 Rahmenrichtlinie. 7 Art. 7 Abs. 5 Rahmenrichtlinie.
308 | Netzle/Pohle
Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen
Rz. 21
Teil D
In der Rahmenrichtlinie werden im Weiteren die Frequenzzuweisung und -zuteilung (Art. 9), eine effiziente Verwaltung des Frequenzspektrums (Art. 9), die Kompetenz der NRB für die Vergabe von Nummern, Namen und Adressen (Art. 10) und die Vergabe von Wegerechten (Art. 11) geregelt.
17
Das Konzept der „beträchtlichen Marktmacht“ in Art. 14 bis 16 ist der Kernpunkt der Rahmenrichtlinie. Die Richtlinie definiert die Aufgreifschwelle neu. Beträchtliche Marktmacht ist vorhanden, wenn ein Unternehmen alleine oder gemäß Beurteilung nach Art. 15 und Anhang II der Rahmenrichtlinie gemeinsam mit anderen eine der Beherrschung gleichkommende Stellung einnimmt, d.h. über eine wirtschaftlich starke Stellung verfügt, die es ihm gestattet, sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Mitbewerbern, Kunden und letztlich Verbrauchern zu verhalten1.
18
In Art. 16 Rahmenrichtlinie wird das Marktanalyseverfahren festgelegt. Es dient dazu festzustellen, ob auf einem Markt wirksamer Wettbewerb besteht oder eine beträchtliche Marktmacht gegeben ist und ist damit Grundlage jeder sektorspezifischen Ex-ante-Regulierungsmaßnahme. Gemäß Art. 15 Rahmenrichtlinie erlässt die EU-Kommission Empfehlungen zur Auferlegung von möglichen Verpflichtungen in relevanten Produkt- und Dienstmärkten und veröffentlicht Leitlinien zur Marktanalyse („Leitlinien“)2. Die NRB untersuchen die relevanten Märkte in ihrem Hoheitsgebiet unter Berücksichtigung der Leitlinien. Die Rechtsvorschriften sehen Verpflichtungen im Rahmen der Vorab-Regulierung nur in Fällen vor, in denen kein wirksamer Wettbewerb gegeben ist. Wo ein oder mehrere Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht in einem relevanten Markt tätig sind, haben die NRB den betreffenden Unternehmen Verpflichtungen gemäß Art. 16 Abs. 2 Rahmenrichtlinie aufzuerlegen. Demgegenüber haben die NRB dort, wo wirksamer Wettbewerb herrscht und kein Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügt, alle Verpflichtungen aufzuheben, die aufgrund des alten Rechtsrahmens auferlegt wurden. Die Auferlegung bzw. die Nichtauferlegung von Verpflichtungen unterliegt dem Konsultations- und Transparenzmechanismus gemäß Art. 6 und 7 der Rahmenrichtlinie.
19
In den Art. 17 und 18 Rahmenrichtlinie sind Regelungen zur Normung und zur Interoperabilität digitaler interaktiver Fernsehdienste enthalten. Im Weiteren sind Maßnahmen zur Sicherstellung der harmonisierten Einführung des neuen Regulierungsrahmens auf der Ebene der Mitgliedsländer getroffen worden3, einschließlich der Schaffung von Streitschlichtungsmöglichkeiten für Streitigkeiten zwischen Unternehmen4 sowie der Etablierung eines Kommunikationsausschusses, der die Arbeit der EU-Kommission unterstützen soll5.
20
b) Richtlinie über Zugang und Zusammenschaltung In dieser für die Marktentwicklung und den Dienstewettbewerb bedeutenden Richtlinie wird der Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung6 durch die Mitgliedstaaten harmonisiert. 1 Art. 14 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 2 Vgl. Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl. EG Nr. C 165 v. 11.7.2002, S. 6–31. 3 Vgl. Art. 19 Rahmenrichtlinie. 4 Vgl. Art. 20 Rahmenrichtlinie. 5 Vgl. Art. 22 Rahmenrichtlinie. 6 Richtlinie 2002/19/EG v. 7.3.2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 7-20, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 37 ff., berichtigt durch Berichtigung, ABl. L 241 v. 10.9.2013, S. 8 (2009/140). Vgl. auch http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/?qid=1442305544036&uri=CELEX:02002L0019-20091219.
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Netzle/Pohle 309
21
Teil D Rz. 22
Telekommunikation
U.a. werden die Rechte und Pflichten für Netzbetreiber und Diensteanbieter, die eine Zusammenschaltung ihrer Netze und zugehörigen Einrichtungen und/oder deren Zugang hierzu wünschen, festgelegt. Zugang und Zusammenschaltung sind grundsätzlich allen anderen Anbietern anzubieten. Es besteht gemäß Art. 4 Zugangsrichtlinie eine Verhandlungspflicht für alle Unternehmen, wenn eine Zusammenschaltung von dazu berechtigten Unternehmen nachgefragt wird. 22
Zentral sind die Art. 5–8 der Zugangsrichtlinie. Diese Regelungen gewähren den NRB das Recht, im Falle einer Nicht-Einigung bzw. bei Anrufung durch die Parteien sowie von Amtes wegen tätig zu werden, um Entscheidungen im Zusammenhang mit der Zusammenschaltung zu treffen. Bestimmte Verpflichtungen können allen Unternehmen auferlegt werden (Art. 5–7), während für Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht1 spezifische Regeln (Art. 8–13) gelten, welche für Unternehmen ohne Marktmacht nur unter den Bedingungen von Art. 8 Abs. 3 Zugangsrichtlinie zur Anwendung kommen. Individuell auferlegt werden können den Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht Transparenzverpflichtungen, Gleichbehandlungsverpflichtungen, Verpflichtungen zur getrennten Buchführung, Verpflichtungen in Bezug auf den Zugang zu bestimmten Netzeinrichtungen und deren Nutzung sowie eine Verpflichtung zur Preiskontrolle und Kostenrechnung. Diese „Ex-ante“-Verpflichtungen zu Lasten einzelner Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht waren im Rahmen ihrer Einführung eine grundlegende Neuerung gegenüber der bisherigen Regelung. c) Genehmigungsrichtlinie
23
Das Anliegen der Genehmigungsrichtlinie2 ist, einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste zu finden und damit den Marktzutritt zu vereinfachen. Mitgliedstaaten ist aufgegeben, den einfachen Marktzugang durch Allgemeingenehmigungen zu ermöglichen. Die Ausübung der in der Genehmigung geregelten Rechte soll nicht von einer Entscheidung oder einem Verwaltungsakt der NRB abhängen. Möglich ist allenfalls, für die Aufnahme der Tätigkeit eine Meldepflicht vorzusehen3. Den entsprechenden Unternehmen kann eine Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit nur bei Störung der öffentlichen Ordnung, Ruhe oder Sicherheit verwehrt werden. Auch die knappen Ressourcen der Funkfrequenzen und Nummerierungselemente sollen im Zuge der allgemeinen Genehmigung erteilt werden. An die Allgemeingenehmigung selbst und an die Frequenz- sowie die Nummernnutzungsrechte können verschiedene Bedingungen geknüpft sein, die in den Anhängen A-C zur Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Aufgrund der Ressourcenknappheit können Nutzungsrechte für Funkfrequenzen auch beschränkt eingeräumt werden, wobei ein Mitgliedstaat bei einer Einschränkung immer objektiv, nicht diskriminierend und transparent vorgehen muss4.
24
Als „Lizenzgebühren“ dürfen grundsätzlich nur Gebühren zur Deckung der Verwaltungskosten erhoben werden. Zudem können Entgelte für Nutzungsrechte für Funkfrequenzen oder Nummern und für Wegerechte vorgesehen werden5. Im Weiteren werden in der Richtlinie auch die Konsequenzen der (Nicht-)Erfüllung der Bedingungen 1 Ob ein Unternehmen beträchtliche Marktmacht hat, bestimmt sich nach Art. 16 Rahmenrichtlinie. 2 Richtlinie 2002/20/EG v. 7.3.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 21–32, geändert durch Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 37 ff. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1442325938149&uri=CELEX:020 02L0020-20091219. 3 Art. 3 Genehmigungsrichtlinie. 4 Vgl. Art. 7 Genehmigungsrichtlinie. 5 Vgl. Art. 12 f. Genehmigungsrichtlinie.
310 | Netzle/Pohle
Völker- und europarechtlicher Regulierungsrahmen
Rz. 28
Teil D
von Allgemeingenehmigungen oder Nutzungsrechten geregelt. Die Konsequenzen können bis zur Auferlegung von Geldstrafen oder der Hinderung an einem fortgesetzten Angebot von Netzen und Diensten durch die NRB reichen1. d) Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation2 umfasst alle Formen der Übertragung elektronischer Nachrichten, d.h. sowohl Festnetz- und Mobilkommunikation als auch Datenverkehr wie E-Mail. Sie unterscheidet zwischen Verkehrsdaten, die zum Zwecke der Weiterleitung einer Nachricht an ein elektronisches Kommunikationsnetz oder zum Zwecke der Fakturierung dieses Vorgangs verarbeitet werden, und Standortdaten, die in einem elektronischen Kommunikationsnetz oder von einem elektronischen Kommunikationsdienst verarbeitet werden und die den geografischen Standort des Endgeräts eines Nutzers eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes angeben. Verkehrsdaten müssen grundsätzlich nach Beendigung einer Übertragung gelöscht oder anonymisiert werden3. Nicht anonymisierte Standortdaten dürfen nur dann verarbeitet werden, wenn sie zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznummern an den Kunden verwendet werden und dieser der Verarbeitung ausdrücklich zugestimmt hat4.
25
Ferner enthält die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation Regelungen in Bezug auf die Möglichkeiten der Rufnummeranzeige und -unterdrückung5, die Aufnahme in Teilnehmerverzeichnisse6 sowie bezüglich unerbetener Nachrichten für Direktwerbung7. Die Bestimmungen der Richtlinie dürfen unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden, z.B. wenn es um die öffentliche Sicherheit oder um strafrechtliche Ermittlungen geht8.
26
e) Richtlinie zum Universaldienst Ziel der Universaldienstrichtlinie9 ist die Verfügbarkeit hochwertiger Dienste für Verbraucher durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt.
27
Die Universaldienstrichtlinie legt ein Mindestangebot an Diensten mit definierter Qualität fest, zu denen alle Endnutzer zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben sollen. Zum Universaldienst gehören u.a. der Anschluss an ein festes Netz, Auskunfts-
28
1 Vgl. Art. 10 Genehmigungsrichtlinie. 2 Richtlinie 2002/58/EG v. 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) ABl. EG Nr. L 201 v. 31.7.2002, S. 37–47, geändert durch Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.3.2006, ABl. EG Nr. L 105 v. 13.4. 2006, S. 54 ff. sowie Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11. 2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 11 ff., berichtigt durch Berichtigung, ABl. L 241 v. 10.9. 2013, S. 9 (2009/136). http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1442389342978 &uri=CELEX:02002L0058-20091219. 3 Art. 6 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 4 Art. 9 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 5 Art. 8 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 6 Art. 12 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 7 Art. 13 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 8 Art. 15 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 9 Richtlinie 2002/22/EG v. 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 51–77, geändert durch Richtlinie 2009/136/EG es Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.112009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 11 ff. http://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/?qid=1442389428263&uri=CELEX:02002L0022-20091219.
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Netzle/Pohle 311
Teil D Rz. 29
Telekommunikation
dienste sowie auch öffentliche Münz- und Kartentelefone (Sprechstellen). Die Höhe und Struktur der Tarife, Anforderungen an die Erschwinglichkeit und die Qualität der Dienste werden ebenfalls festgelegt. 29
Stellt die Erbringung der Universaldienste für den Universaldienstleister eine unzumutbare Belastung dar, kann dieses Unternehmen für die Kosten aus Mitteln der öffentlichen Hand entschädigt oder können die Kosten der Universaldienstverpflichtungen unter den Marktteilnehmern aufgeteilt werden. Die NRB berechnen dazu die Nettokosten unter Berücksichtigung des Marktvorteils, den das Unternehmen durch die Erbringung des Universaldienstes hat1. f) Verordnung (EG) Nr. 1211/2009 zur Einrichtung des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK)
30
Diese Verordnung legt die Vorschriften für die Einrichtung und die Tätigkeiten des GEREK2 fest. Die Hauptaufgabe des GEREK besteht darin, die Europäische Kommission bei der Entwicklung des Binnenmarkts zu beraten und zu unterstützen und als Bindeglied zwischen den NRB und der Kommission zu dienen. Das GEREK sollte ferner als Reflexions- und Diskussionsforum sowie zur Beratung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation fungieren. g) Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union
31
Hauptziel dieser Verordnung ist die Förderung des Wettbewerbs auf dem Markt für Mobiltelefonnutzer, die auf Reisen in anderen EU-Ländern ihre Telefone für Anrufe, Textnachrichten oder mobiles Internet benutzen, was als Roaming3 bezeichnet wird4. Die Verordnung über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen regelt insofern in erster Linie die Roaming-Gebühren in der Europäischen Union. So dürfen getätigte Anrufe im EU-Ausland seit dem 1.7.2014 etwa höchstens noch 0,19 Euro pro Minute kosten5. Eingehende Anrufe dürfen sogar nur mit 0,05 Euro pro Minute verrechnet werden6. Der Versand einer SMS darf maximal 0,06 Euro7 und der Datendownload oder die Verwendung des Internets auf Reisen im Ausland pro Megabyte darf maximal 0,20 Euro kosten8. Die Roaminganbieter trifft auch eine Pflicht zur Wahrung der Transparenz und der Vorkehr von Schutzmaßnahmen für Endkunden-Datenroamingdienste9. 3. Fernabsatz, E-Commerce und Datenschutz in der Telekommunikation
32
Gegenstand des Richtlinienpakets 2002 bildet die Regulierung der Übertragung von Informationen. Die Informationsinhalte, die über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste bereitgestellt werden (bspw. Rundfunkinhalte oder geschäftliche Transaktionen im Bereich des E-Commerce), werden davon nicht erfasst. Für Dienste der In1 Vgl. Erw. 21 der Universaldienstrichtlinie. 2 Verordnung (EG) Nr. 1211/2009 zur Einrichtung des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) v. 25.11.2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 1 ff. 3 Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union v. 13.6.2012, ABl. EU Nr. 172/10 v. 30.6.2012, S. 10 ff. 4 Art. 1 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 531/2012. 5 Art. 8 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012. 6 Art. 8 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012. 7 Art. 10 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012. 8 Art. 13 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012. 9 Art. 15 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012.
312 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 36
Teil D
formationsgesellschaft ist insbesondere die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zentral1. Die Entwicklung des Telekommunikationssektors ist für die Informationsgesellschaft von grundlegender Bedeutung. Marktöffnung und Wettbewerb allein genügen jedoch nicht, um die modernen Kommunikationsmittel und den elektronischen Geschäftsverkehr regulatorisch abzusichern. Eine erfolgreiche grenzüberschreitende Entwicklung hängt zu einem maßgeblichen Teil vom Vertrauen der Nutzer ab, deren Privatsphäre es zu respektieren gilt. Ein internationaler Rechtsrahmen muss daher ein Gleichgewicht zwischen Garantien für die elektronische Abwicklung geschäftlicher Transaktionen einerseits und einem hohen Maß an Sicherheit und Datenschutz andererseits bieten können.
33
Kapitel 3. Sachbereiche I. Regulierungsbehörden 1. Grundlagen Mit der Liberalisierung und Neustrukturierung der Telekommunikationsmärkte wurde eine organisatorische Trennung der hoheitlichen von den betrieblichen Tätigkeiten der staatlichen Fernmeldeorganisationen nötig. Die Funktionen von Regelaufsteller, Mitspieler und Schiedsrichter sollten nicht in einer Hand liegen2. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten wurden nationale Regulierungsbehörden geschaffen, denen eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Telekommunikationsmärkte zukommt.
34
2. Europarechtliche Vorgaben Die EU hat sich im Rahmen der neuen Richtlinien gegen eine supranationale Regulierungsbehörde ausgesprochen. Zwecks einer einheitlichen Verfolgung der angestrebten regulatorischen Ziele und Grundsätze sollen die nationalen Regulierungsbehörden aber bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben untereinander Informationen austauschen3 und kooperieren4. Ferner wird ein Kommunikationsausschuss eingesetzt, welcher durch regelmäßige Gespräche mit der EU-Kommission und durch eine Förderung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten eine konsistente Telekommunikationspolitik der Europäischen Union mitgestalten soll. Das im Jahre 2009 errichtete GEREK strebt sodann ebenfalls die Entwicklung und das bessere Funktionieren des Binnenmarktes für elektronische Kommunikationsnetzte und -dienste an.
35
Kernpunkt der europarechtlichen Bestimmungen ist die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden5. Gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde muss sodann bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle, die auch ein Gericht sein kann, ein Rechtsbehelf eingelegt werden können6.
36
1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1. 2 Weber, Übergang, S. 9. 3 Art. 3 Abs. 5 Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie). 4 Art. 7 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 5 Art. 3 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 6 Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie.
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Netzle/Pohle 313
Sachbereiche
Rz. 36
Teil D
formationsgesellschaft ist insbesondere die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zentral1. Die Entwicklung des Telekommunikationssektors ist für die Informationsgesellschaft von grundlegender Bedeutung. Marktöffnung und Wettbewerb allein genügen jedoch nicht, um die modernen Kommunikationsmittel und den elektronischen Geschäftsverkehr regulatorisch abzusichern. Eine erfolgreiche grenzüberschreitende Entwicklung hängt zu einem maßgeblichen Teil vom Vertrauen der Nutzer ab, deren Privatsphäre es zu respektieren gilt. Ein internationaler Rechtsrahmen muss daher ein Gleichgewicht zwischen Garantien für die elektronische Abwicklung geschäftlicher Transaktionen einerseits und einem hohen Maß an Sicherheit und Datenschutz andererseits bieten können.
33
Kapitel 3. Sachbereiche I. Regulierungsbehörden 1. Grundlagen Mit der Liberalisierung und Neustrukturierung der Telekommunikationsmärkte wurde eine organisatorische Trennung der hoheitlichen von den betrieblichen Tätigkeiten der staatlichen Fernmeldeorganisationen nötig. Die Funktionen von Regelaufsteller, Mitspieler und Schiedsrichter sollten nicht in einer Hand liegen2. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten wurden nationale Regulierungsbehörden geschaffen, denen eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Telekommunikationsmärkte zukommt.
34
2. Europarechtliche Vorgaben Die EU hat sich im Rahmen der neuen Richtlinien gegen eine supranationale Regulierungsbehörde ausgesprochen. Zwecks einer einheitlichen Verfolgung der angestrebten regulatorischen Ziele und Grundsätze sollen die nationalen Regulierungsbehörden aber bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben untereinander Informationen austauschen3 und kooperieren4. Ferner wird ein Kommunikationsausschuss eingesetzt, welcher durch regelmäßige Gespräche mit der EU-Kommission und durch eine Förderung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten eine konsistente Telekommunikationspolitik der Europäischen Union mitgestalten soll. Das im Jahre 2009 errichtete GEREK strebt sodann ebenfalls die Entwicklung und das bessere Funktionieren des Binnenmarktes für elektronische Kommunikationsnetzte und -dienste an.
35
Kernpunkt der europarechtlichen Bestimmungen ist die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden5. Gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde muss sodann bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle, die auch ein Gericht sein kann, ein Rechtsbehelf eingelegt werden können6.
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1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1. 2 Weber, Übergang, S. 9. 3 Art. 3 Abs. 5 Richtlinie 2002/21/EG (Rahmenrichtlinie). 4 Art. 7 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 5 Art. 3 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 6 Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie.
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Netzle/Pohle 313
Teil D Rz. 37
Telekommunikation
3. Deutschland 37
Die Wahrnehmung fast aller sich aus dem dtTKG1 ergebenden hoheitlichen Bundesaufgaben wird in Deutschland der Bundesnetzagentur (BNA) als Regulierungsbehörde zugewiesen. Der BNA ist ein Beirat beigestellt, der bei gesetzlich bestimmten Entscheiden der Bundesnetzagentur zu beteiligen ist. Da das dtTKG sektorspezifische Regelungen zum allgemeinen Wettbewerbsrecht aufweist, ergibt sich eine enge Zusammenarbeit der BNA mit dem Bundeskartellamt. a) Bundesnetzagentur (BNA)
38
Die BNA2 ist eine Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn, welche dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) zugeordnet ist3. Sie ist in den allgemeinen Verwaltungsaufbau eingegliedert und untersteht der Fach- und Rechtsaufsicht des übergeordneten BMWE4. Das BMWE ist gegenüber der BNA weisungsberechtigt5, wobei solche Weisungen der Publikationspflicht des § 117 dtTKG unterliegen. Im Hinblick auf das europarechtliche Postulat der funktionellen Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde ermöglicht das dtTKG der BNA jedoch mit verschiedenen Arrangements eine weitgehend selbständige Aufgabenwahrnehmung6. So wird bspw. durch die gesetzliche Aufgabenzuweisung an die BNA eine Zuständigkeit des BMWE in verschiedenen Bereichen ausgeschlossen7.
39
Die innerbehördliche Organisation der Regulierungsbehörde unterscheidet im Wesentlichen das Präsidium, die Abteilungen und die Beschlusskammern8. Der Präsident leitet die Regulierungsbehörde. Er vertritt die BNA gerichtlich und außergerichtlich und regelt die Verteilung und den Gang ihrer Geschäfte durch eine Geschäftsordnung9. Die Geschäftsordnung, welche der Bestätigung durch das BMWA bedarf, gliedert die BNA intern in Abteilungen, Unterabteilungen und Referate sowie Beschlusskammern.
40
Auf Abteilungsstufe lassen sich die Bereiche Informationstechnik und Sicherheit (Abteilung IS), ökonomische Fragen der Regulierung Telekommunikation (Abteilung 1), Rechtsfragen der Regulierung Telekommunikation, und Frequenzordnung (Abteilung 2), Internationales/Regulierung Post (Abteilung 3), Technische Regulierung Telekommunikation (Abteilung 4), Außenstellen und Rufnummernmissbrauch (Abteilung 5) sowie Organisation, Personal, Allgemeine Rechtsangelegenheiten, Finanzen und Controlling. (Zentralabteilung bzw. Abteilung Z) auseinander halten.
41
Die Beschlusskammern sind Ausschüsse im Sinne der Legaldefinition von § 88 VwVfG10 und als Kollegialorgane ausgestaltet11. Sie werden nach Bestimmung des BMWE im Hinblick auf bestimmte Entscheidungsprozesse eingerichtet12. Eine Ausnahme bildet die sog. Präsidentenkammer, für welche eine gesetzliche Aufgaben1 Die Hinweise auf das dtTKG beziehen sich alle auf das Telekommunikationsgesetz v. 22.6. 2004, BGBl. Nr. 29, S. 1190–1243. 2 http://www.bundesnetzagentur.de. 3 § 116 Abs. 1 dtTKG; vgl. Art. 87f Abs. 2 Satz 2 GG. 4 Mayen in Scheurle/Mayen, § 116 TKG Rz. 15 ff.; Holznagel/Enaux/Nienhaus, S. 40. 5 Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 116 TKG Rz. 15 ff.; Ulmen in Scheurle/ Mayen, § 116 TKG Rz. 15 ff. 6 Oertel, S. 496 ff. 7 Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 823. 8 Vgl. Organisationsplan der BNA, abrufbar unter: http://www.bundesnetzagentur.de. 9 § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Bundensnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen v. 7.7.2005 BGBl. I 1970, 2009 (BNAG). 10 Verwaltungsverfahrensgesetz v. 25.5.1976, BGBl. I 1976, 1253. 11 § 132 Abs. 2 dtTKG. 12 § 132 Abs. 1 dtTKG.
314 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 45
Teil D
zuweisung besteht1. Die Präsidentenkammer (Beschlusskammer 1) befasst sich mit der Lizenzierung und Frequenzzuteilung knapper Frequenzen sowie den Universaldiensten. Die Beschlusskammer 2 ist zuständig für die Regulierung der Telekommunkations-Endkundenmärkte Festnetz und Mobilfunk, Mietleitungen, Teilnehmerdaten, Inkasso, Portierung und Streitschlichtung, die Beschlusskammer 3 für die Regulierung der Telekommunikations-Vorleistungsmärkte Festnetz und Mobilfunk, die Beschlusskammern 4 bis 8 sind zuständig für Regulierungsfragen aus dem Energie- und Postbereich2. Der Aufgabenbereich der BNA umfasst Überwachungs-, Schlichtungs- und Gestaltungsaufgaben3.
42
Die Entscheidungskompetenzen der Beschlusskammern sind auf die in § 132 Abs. 1 Satz 1 katalogartig aufgezählten Fälle beschränkt4. Ihr obliegen im Wesentlichen wichtige Entscheide in Fragen der Marktregulierung, wie der Entgeltregulierung bei marktbeherrschenden Unternehmen5, Zusammenschaltung von Telekommunikationsnetzen6, Aufsicht und Anordnungsbefugnisse bei missbräuchlichem Verhalten eines Unternehmens mit beträchtlicher Marktmacht7, sowie in Fragen der Frequenzordnung8 und das Auferlegen von Universaldienstverpflichtungen9.
43
Das Verfahren vor der Regulierungsbehörde ist als Verwaltungsverfahren i.S. des § 9 VwVfG ausgestaltet. Es wird entweder auf Antrag oder von Amtes wegen eingeleitet10. Für das Verfahren vor der Regulierungsbehörde sowie vor den Beschlusskammern enthalten die §§ 132 ff. dtTKG eine Reihe von Spezialregelungen. Die §§ 63 ff. VwVfG und die für Ausschüsse geltenden Vorschriften der §§ 89 bis 93 VwVfG können entsprechend bzw. ergänzend herangezogen werden11. Die Entscheidungen der Beschlusskammern werden in Form von Verwaltungsakten gefällt12.
44
Die Entscheidungen der Regulierungsbehörde können klageweise gerichtlich überprüft werden. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art i.S. von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, für welche der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist13. Mit Blick auf die Verfahrensbeschleunigung wird bei Klagen gegen Entscheidungen der BNA gemäß § 137 Abs. 2 dtTKG auf die Durchführung eines Vorverfahrens (§§ 68 ff. VwGO) verzichtet. Die aufschiebende Wirkung der verwaltungsrechtlichen Klage wird sodann durch § 137 Abs. 1 dtTKG ausgeschlossen. Mit der Novellierung des dtTKG wurde zwecks Verfahrensbeschleunigung der verwaltungsgerichtliche Instanzenzug durch Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz verkürzt. Die Berufung gegen Urteile des Verwaltungsgerichts ist nunmehr nicht mehr möglich, ebenso wenig die Beschwerde gegen andere Entscheidungen des Verwaltungsgerichts. Vom Beschwerdeausschluss nicht erfasst werden die Beschwerde gegen den Beschluss nach § 138 Abs. 4 dtTKD, gegen die Nichtzulassung der Re-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
§ 132 Abs. 3 dtTKG. Organisationsplan der BNA (vgl. Rz. 39). Holznagel/Enaux/Nienhaus, 40; Geppert/Ruhle/Schuster Rz. 824 ff. Mayen in Scheurle/Mayen, § 132 TKG Rz. 18. §§ 30 f. dtTKG. § 25 dtTKG. §§ 42 f. dtTKG. §§ 55 Abs. 9, 61 und 62 dtTKG. § 81 dtTKG. § 134 Abs. 1 dtTKG. Mayen in Scheurle/Mayen, § 132 TKG Rz. 22 ff. und 30 ff.; Holznagel/Enaux/Nienhaus, S. 43. § 132 Abs. 1 dtTKG. Mayen in Scheurle/Mayen, § 132 TKG Rz. 34 und 43.
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Netzle/Pohle 315
Teil D Rz. 46
Telekommunikation
vision nach § 135 in Verbindung mit § 133 der VwGO und die Beschwerde gegen Beschlüsse über den Rechtsweg nach § 17a Abs. 2 und 3 GVG1. 46
Das Urteil des Verwaltungsgerichts kann mit Revision an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden, sofern das Verwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht die Revision zugelassen hat2. b) Beirat
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Der Beirat wird gemäß § 5 des Gesetzes über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen „bei“ der BNA gebildet und besteht aus 32 Mitgliedern (16 Mitglieder des Deutschen Bundestages und 16 Vertretern des Deutschen Bundesrates). Die Vertreter des Bundesrates müssen Mitglieder einer Landesregierung sein oder diese politisch vertreten. Insbesondere über den Einsatz der Mitglieder des Bundesrates kommt dem Beirat eine gewisse länderbeteiligende Wirkung zu3. Der Beirat ist weder Organ der BNA noch ist er eine Behörde i.S. des § 1 Abs. 4 VwVfG. Im Rahmen seiner Mitwirkung an den Verwaltungsverfahren der BNA gelten für ihn allerdings, unter Vorbehalt der Vorschriften der §§ 5 ff. des Gesetzes über die BNA für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, die Regelungen der §§ 88 ff. VwVfG4. Der Beirat ist nicht berechtigt, selber Entscheidungen der Regulierungsbehörde abschließend zu treffen, sondern er wirkt an der Arbeit der BNA mit. Die Mitwirkung beschränkt sich auf die in § 120 dtTKG enumerativ zugewiesenen Aufgaben. Der Zuständigkeitskatalog des § 120 dtTKG sieht eine Beteiligung des Beirates im Wesentlichen bei Regulierungsangelegenheiten vor, bei denen es um die Vergabe knapper Funkfrequenzen5 oder die Auferlegung von Universaldienstleistungen6 geht7. c) Bundeskartellamt
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Das dtTKG verfolgt das Ziel, den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation zu fördern8. Die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) werden durch die sektorspezifische Regelung des dtTKG – soweit diese Regelungen nicht ausdrücklich abschließend sind – nicht verdrängt9. Um Konflikte zwischen der BNA und dem mit der Umsetzung des GWB befassten Bundeskartellamt zu vermeiden, verpflichtet § 123 dtTKG die beiden Behörden zu einer Zusammenarbeit, welche weit über den Rahmen sonstiger behördlicher Zusammenarbeit hinausgeht10.
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Sowohl die BNA als auch das Bundeskartellamt werden zur Koordination verpflichtet, d.h. sie haben auf eine einheitliche und den Zusammenhang mit dem GWB wahrende Auslegung des dtTKG hinzuwirken. Zudem haben sie einander im Sinne einer Kooperation Beobachtungen und Feststellungen mitzuteilen, die für die Erfüllung der beiderseitigen Aufgaben von Bedeutung sein können11. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
§ 137 Abs. 3 dtTKG. § 135 VwGO. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 837; Gramlich in Scheurle/Mayen, § 118 TKG Rz. 1. Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 120 TKG Rz. 5. § 120 Nr. 2 dtTKG i.V.m. § 61 Abs. 3 dtTKG. § 120 Nr. 2 dtTKG i.V.m. § 81 dtTKG; § 120 Nr. 3 dtTKG. Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 120 TKG Rz. 13; Holznagel/Enaux/ Nienhaus, S. 42 f.; Gramlich in Scheurle/Mayen, § 120 TKG Rz. 1; Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 838 ff. § 1 dtTKG. § 2 Abs. 4 dtTKG. Holznagel/Enaux/Nienhaus, S. 45; Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 123 TKG Rz. 2. § 123 Abs. 1 dtTKG.
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Sachbereiche
Rz. 53
Teil D
Daneben bestehen in Gestalt gegenseitiger Stellungsnahmerechte verfahrensmäßige Mitwirkungsmöglichkeiten an der Entscheidungsfindung der jeweils anderen Behörde. Die Regulierungsbehörde gibt dem Bundeskartellamt bei Entscheidungen in den Bereichen Zugangsregulierung, Entgeltregulierung sowie hinsichtlich Verpflichtungen und Entscheidungen nach Teil 2 Abschnitt 4 und 5 des dtTKG ebenso Gelegenheit zur Stellungnahme, wie im Zusammenhang mit Entscheidungen über die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen durch Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze gemäß § 77a dtTKG1. Im Gegenzug muss das Bundeskartellamt der Reg TPBNA bei Verfahren nach den §§ 19 und 20 Abs. 1 und 2 GWB (wettbewerbsbeschränkendes Verhalten), Art. 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und bei Verfahren nach § 40 Abs. 2 GWB (Zusammenschlusskontrolle) Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Eine fehlende Anhörung stellt einen Verfahrensfehler dar und führt zur Anfechtbarkeit des (mehrstufigen) Verwaltungsaktes2.
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Entscheidungen im Zusammenhang mit Marktdefinition und -analyse (§§ 10 f. dtTKG), zur funktionalen Trennung gemäß §§ 40 f. dtTKG sowie im Bereich des Frequenzhandels (§ 62 Abs. 2 und 3 dt.TKG) sind durch die BNA nur im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt möglich3. Die Erklärung des Einvernehmens durch das Bundeskartellamt ist im Verhältnis zum betroffenen Unternehmen kein eigenständiger Verwaltungsakt, sondern ein nicht selbständig anfechtbares Verwaltungsinternum. Entscheidungen der BNA, die ohne Erklärung des Einvernehmens des Bundeskartellamts getroffen werden, sind zwar nicht nichtig (§ 44 Abs. 3 Nr. 4 VwVfG), aber formell rechtswidrig4.
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4. Österreich In Österreich sind der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, die Telekom-Control-Kommission (TKK) sowie die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) mit der Regulierung des Telekommunikationsmarktes betraut. Die Verteilung der Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche ist komplex geregelt und durch eine organisatorische Konvergenz von Rundfunk- und Telekom-Regulierung gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass das Telekommunikationsgesetz sowohl die TKK als auch die RTR, trotz ihrer unterschiedlichen Funktionen, als Regulierungsbehörden bezeichnet, was zu Missverständnissen führen kann. In der Praxis kommt bei wesentlichen Regulierungsentscheidungen insbesondere der RTR, die dabei als Ermittlungsbehörde und „Hilfsorgan“ der formell zur Entscheidung zuständigen TKK fungiert, große Bedeutung zu.
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a) Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ist die oberste Fernmeldebehörde5. Ihm obliegen die grundsätzlichen Vorgaben für die Tätigkeit der Regulierungsbehörde6 sowie für Erlass und Handhabung der zur Durchführung der internationalen Verträge erforderlichen Vorschriften, insbesondere der Nutzung des Frequenzspektrums7. Die grundsätzlichen Vorgaben können aber nur an die RTR und nicht an die gesetzlich weisungsfrei gestellte TKK gerichtet sein. Er erlässt sodann Verord1 § 123 Abs. 1 dtTKG. 2 Gramlich in Scheurle/Mayen, § 123 TKG Rz. 8; Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 123 TKG Rz. 16. 3 § 123 Abs. 1 dtTKG. 4 Gramlich in Scheurle/Mayen, § 123 TKG Rz. 8; Attendorn/Geppert in Beck’scher TKG-Kommentar, § 123 TKG Rz. 16. 5 § 112 öTKG; Heffermann, S. 313 ff. 6 § 113 Abs. 5 Ziff. 1 öTKG. 7 § 113 Abs. 5 Ziff. 1 öTKG.
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Teil D Rz. 54
Telekommunikation
nungen aufgrund des Telekommunikationsgesetzes, wie die Frequenzbereichszuweisungsverordnung1 oder die Frequenznutzungsverordnung2. Gemäß der Organisationsstruktur des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie werden die Geschäfte von der Sektion III, Innovation und Telekommunikation, wahrgenommen. Ihr unterstehen die Fernmeldebüros in Graz, Innsbruck, Linz und Wien, das Frequenzbüro sowie das Büro für Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen3. 54
Zur Beratung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie sowie der Regulierungsbehörde, insbesondere in grundsätzlichen Fragen der Telekommunikation und ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung des Wettbewerbs, wird der Telekommunikationsbeirat eingerichtet4. Er besteht aus höchstens zehn Mitgliedern, die vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie auf sechs Jahre ernannt werden5. b) Telekom-Control-Kommission (TKK)
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Die Telekom-Control-Kommission (TKK)6 ist als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag7 konzipiert und wichtigste Entscheidungsinstanz in Fragen der Telekommunikationsregulierung in Österreich8. Sie besteht aus drei Mitgliedern, die durch die Bundesregierung ernannt werden, wobei ein Mitglied dem Richterstand anzugehören hat9. Die Mitglieder sind in Ausübung ihres Amtes weisungsfrei10.
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Die Aufgaben der TKK umfassen gemäß § 117 öTKG insbesondere die Anordnung der Mitbenutzung von Kommunikationslinien im Streitfall11, die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen die von Betreibern von Kommunikationsnetzen und -diensten erlassenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen12, die Ermittlung des aus dem Universaldienstfonds zu leistenden finanziellen Ausgleichs13, die Feststellung des an den Universaldienstfonds zu leistenden Beitrags14, die Festlegung, ob auf dem jeweils relevanten Markt ein oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügen sowie die Auferlegung spezifischer Verpflichtungen15. Die TKK ist somit die Entscheidungsinstanz in allen wesentlichen Fragen der Telekommunikationsregulierung, insbesondere betreffend die ex ante-Wettbewerbsregulierung, das Zusammenschaltungsregime, die Kontrolle von Geschäftsbedingungen und Entgelten, die Frequenzverwaltung und die Universaldienstregelung. Im Weiteren obliegt der TKK die Zuteilung von Frequenzbereichen16, die Feststellung wirtschaftlicher Vorteile, welche ein Unternehmen durch Verstöße gegen das öTKG erlangt hat, die Antragstellung an das Kartellgericht zu deren Abschöpfung beim Unternehmen17 sowie die Antragstellung an das Kartellgericht für Tätigkeiten, welche in den Bereich des Kartellgesetzes fallen18. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
BGBl. II Nr. 306/2005. BGBl. II Nr. 307/2005. § 113 Abs. 1 und 2 öTKG. § 131 Abs. 1 öTKG. § 131 Abs. 2 öTKG. http://www.rtr.at/de/tk/TKK. Vgl. Art. 133 Ziff. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974. Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 908 und 911; Heffermann, S. 302 ff.; Stratil, zu § 117 TKG. § 118 Abs. 1 öTKG. § 116 Abs. 3 öTKG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 B-VG. § 117 Ziff. 1 i.V.m. §§ 8und 9 Abs. 2 öTKG. § 117 Ziff. 3 i.V.m. §§ 25, 26 und 45 öTKG. § 117 Ziff. 4 i.V.m. § 31 öTKG. § 117 Ziff. 5 i.V.m. § 32 öTKG. § 117 Ziff. 6 i.V.m. § 37 öTKG. § 117 Ziff. 9 i.V.m. §§ 52 Abs. 3 und 54 ff. öTKG. § 117 Ziff. 14 i.V.m. § 111 öTKG. § 117 Ziff. 15 i.V.m. § 127 öTKG; vgl. Heffermann, S. 307.
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Sachbereiche
Rz. 59
Teil D
Sofern das öTKG nichts Anderes bestimmt, wendet die TKK für ihre Verfahren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) 19911 an2. Ihre Entscheidungen beruhen unmittelbar auf Gesetz und können im Verwaltungsweg weder abgeändert noch aufgehoben werden. Beschwerden gegen Bescheide der TKK sind seit der Novelle der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahr 2014 nicht mehr an den Verwaltungsgerichtshof, sondern an das neu geschaffene Bundesverwaltungsgericht zu richten. Das Bundesverwaltungsgericht kann Entscheidungen der TKK bestätigen, aufheben oder auch abändern. Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts können vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden, wobei die Revision auf die Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung beschränkt ist3. Sodann ist eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof möglich, jedoch nur wegen der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte4.
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c) Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) Die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH)5 fungiert als Geschäftsstelle der Telekom-Control-Kommission und unterstützt diese in administrativer Hinsicht. Sie wurde mit dem Inkrafttreten des KommAustria-Gesetzes (KOG)6 per 1.4.2001 mit der im Jahr 1997 gegründeten Telekom-Control GmbH verschmolzen7. Im Sinne eines „Konvergenzregulators“ fungiert die RTR-GmbH ebenso als Geschäftsstelle der Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria), welcher die Verwaltungsführung in Angelegenheiten der Rundfunkregulierung sowie die Rundfunkfrequenzverwaltung obliegt8. Die RTR ist eine private Gesellschaft außerhalb der Bundesverwaltung. Sie wird über Einnahmen aus Konzessionsgebühren und Finanzierungsbeiträge der Marktteilnehmer finanziert. Der von einem Unternehmen zu leistende Finanzierungsbeitrag zum branchenspezifischen Aufwand der RTR-GmbH bestimmt sich anhand des Verhältnisses des Unternehmensumsatzes zum branchenspezifischen Gesamtumsatz9. Beiträge, die nach § 111 öTKG abgeschöpft wurden (Abschöpfung von Bereicherungen), werden auf die von den übrigen Beitragspflichtigen zu leistenden Finanzierungsbeiträge angerechnet10.
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Die RTR-GmbH besteht aus den zwei Fachbereichen Rundfunk und Telekommunikation, welche jeweils von einem Geschäftsführer geleitet werden11. Der RTR kommt im Sinne einer „Universalzuständigkeit“ die Erfüllung sämtlicher Aufgaben im Rahmen des TKG zu, die nicht anderen Regulierungsbehörden (insbesondere der TKK und der KommAustria) übertragen sind. Die RTR ist weiter die österreichische Regulierungsbehörde gemäß der Verordnung über das GEREK und sie führt die Streitschlichtungsverfahren zwischen Marktteilnehmern durch. Weiters nimmt sie die Aufgaben nach dem österreichischen Signaturgesetz wahr. Im Fachbereich Telekommunikation unterliegt die RTR dem Weisungsrecht des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie. In der Praxis kommt der RTR insbesondere auch wegen ihrer Tätigkeit als „Geschäftsapparat“ der TKK wesentliche Bedeutung zu. So führt die RTR Ermittlungshandlungen im Auftrag der TKK durch und bereitet deren Entscheidungen
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BGBl. Nr. 51/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 117/2002. § 121 Abs. 1 öTKG. Art. 133 Abs. 4B-VG. Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 912 und 952. http://www.rtr.at. BGBl. I Nr. 32/2001. § 5 Abs. 1 und 2 sowie § 9 KOG. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 KOG; vgl. Heffermann, S. 289 ff. § 10 Abs. 1 und 2 KOG. § 10 Abs. 4 KOG. § 5 Abs. 1 KOG.
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Teil D Rz. 60
Telekommunikation
vor. Ihr kommt somit eine zentrale Rolle bei der Wettbewerbsregulierung und der Umsetzung der Regulierungsziele des TKG zu1. 5. Schweiz 60
In der Schweiz wirkt die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) als unabhängige Konzessions- und Regulierungsbehörde im Fernmeldebereich. Dem Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) kommt über seine regulierende, koordinierende und beaufsichtigende Funktion sowie seine Stellung als Service- und Kompetenzzentrum beim Vollzug des Fernmelderechts eine Schlüsselrolle zu. In den Bereichen des Netzzugangs sowie der Erteilung von Funkkonzessionen bestehen sodann gewisse Schnittstellen zur Eidgenössischen Wettbewerbskommission (WEKO). Ausführungsbestimmungen zum Fernmeldegesetz (FMG)2 werden sowohl vom Bundesrat3, der ComCom4, dem BAKOM5 als auch dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)6 erlassen. a) Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom)
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Die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom)7 ist eine von den Verwaltungsbehörden unabhängige Konzessions- und Regulierungsbehörde. Sie besteht aus fünf bis sieben (zurzeit sieben8) vom Bundesrat gewählten Sachverständigen und verfügt über ein eigenes Sekretariat. In ihren Entscheiden unterliegt sie keinen Weisungen von Bundesrat und Departement9.
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Die wichtigsten Aufgaben der ComCom sind die Vergabe der Konzessionen für die Nutzung des Funkfrequenzspektrums sowie der Grundversorgungskonzessionen, die Genehmigung der nationalen Nummerierungspläne, die Verfügung der Netzzugangsbedingungen in erster Instanz, wenn die Diensteanbieter keine Einigung erzielen, sowie die Regelung der Modalitäten der Nummernportabilität und der freien Wahl der Diensteanbieter10. Außerdem trifft sie bei Verletzung des anwendbaren Rechts in ihrem Zuständigkeitsbereich auf Antrag des BAKOM entsprechende Maßnahmen11. 1 Stratil, zu § 115 TKG. 2 Fernmeldegesetz v. 30.4.1997 (SR 784.10). Derzeit wird ein Entwurf zu einer Teilrevision des FMG diskutiert. 3 Verordnung v. 9.3.2007 über Fernmeldedienste (SR 784.101.1); Verordnung v. 14.6.2002 über Fernmeldeanlagen (SR 784.101.2); Verordnung v. 9.3.2002 über Frequenzmanagement und Funkkonzessionen (SR 784.102.1); Verordnung v. 6.10.1997 über die Adressierungselemente im Fernmeldebereich (SR 784.104); Verordnung v. 5.11.2014 über Internet-Domains (SR 784.104.2); Verordnung v. 7.12.2007 über die Gebühren im Fernmeldebereich (SR 784.106). 4 Verordnung der Eidgenössischen Kommunikationskommission v. 17.11.1997 betreffend das Fernmeldegesetz (SR 784.101.112); Geschäftsreglement der Eidgenössischen Kommunikationskommission v. 6.11.1997 (SR 784.101.115). 5 Verordnung des Bundesamtes für Kommunikation v. 9.12.1997 über Fernmeldedienste und Adressierungselemente (SR 784.101.113); Verordnung des Bundesamtes für Kommunikation v. 14.6.2002 über Fernmeldeanlagen (SR 784.101.21); Verordnung des Bundesamtes für Kommunikation v. 9.3.2007 über Frequenzmanagement und Funkkonzessionen (SR 784.102.11). 6 Verordnung des UVEK v. 15.12.1997 über Fernmeldeanschlüsse außerhalb des Siedlungsgebiets (SR 784.101.12); Verordnung des UVEK v. 7.12.2007 über die Verwaltungsgebührenansätze im Fernmeldebereich (SR 784.106.12); Verordnung des UVEK v. 15.12.1997 über die Delegation der Strafbefugnisse bei Wiederhandlungen gegen das Fernmeldegesetz und das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (SR 784.105.11). 7 http://www.comcom.admin.ch. 8 http://www.comcom.admin.ch/org/00450/00522/index.html?lang=de. 9 Art. 56 Abs. 2 FMG. 10 Art. 4 des Geschäftsreglements der Kommunikationskommission v. 6.11.1997 (SR 784.101.115). 11 Art. 58 Abs. 4 FMG.
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Sachbereiche
Rz. 65
Teil D
Die ComCom kann das BAKOM beim Vollzug des Fernmelderechts beiziehen und ihm Weisungen erteilen1. Bestimmungen zum Verfahren vor der ComCom finden sich im FMG, in der FDV sowie im Geschäftsreglement der Kommunikationskommission2. Die ComCom ist eine Behörde i.S. von Art. 5 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG)3, und ihre Verfügungen unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welches im Bereich der beiden bedeutendsten Entscheidkompetenzen der ComCom – nämlich bei der Konzessionsvergabe aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung und bei Streitigkeiten über den Netzzugang – letztinstanzlich entscheidet4. Andere Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts können in zweiter Instanz beim Bundesgericht angefochten werden. Soweit das FMG nichts anderes bestimmt, richtet sich das Verfahren nach dem VwVG.
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b) Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) Das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM)5 ist Teil des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und erfüllt Aufgaben sowohl für das UVEK als auch für die ComCom. Der Auftrag des BAKOM ergibt sich aus dem FMG. Es ist primäre Anlaufstelle für fast sämtliche regulatorischen und hoheitlichen Belange im Bereich der Telekommunikation.
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Zu den Aufgaben des BAKOM gehört der Vollzug sämtlicher fernmelderechtlicher Bestimmungen, die nicht von Gesetzes wegen einer anderen Behörde, insbesondere der ComCom, übertragen sind. Darüber hinaus gehört es in den Aufgabenbereich des Bundesamtes, dass es die Geschäfte der ComCom vorbereitet, ihr Anträge stellt und ihre Entscheide vollzieht. Es führt diese Aufgaben unter Vorbehalt der Kompetenzen und der Weisungsbefugnis der ComCom selbständig durch6. Wichtige Fragen kann es schon vor oder unabhängig von einer Antragstellung mit der ComCom oder dem Präsidium erörtern7. Sodann ist das BAKOM selbst Konzessionsbehörde, sofern ihm die entsprechende Kompetenz von der ComCom delegiert wurde. Es erteilt insbesondere die Konzessionen für Fernmeldedienste, die nicht Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung sind (Ausnahme Grundversorgungskonzession), sowie diejenigen Funkkonzessionen, mit welchen keine Fernmeldedienste erbracht werden (z.B. Betriebsund Amateurfunkkonzessionen)8. Ferner handelt das BAKOM als Instruktionsbehörde bei Netzzugangsstreitigkeiten. Es nimmt diesbezüglich sämtliche notwendigen Instruktionsmaßnahmen vor, wozu unter anderem auch der Antrag auf Erlass vorsorglicher Maßnahmen oder die Konsultation der Wettbewerbskommission für die allfällige Beurteilung der Frage der Marktbeherrschung gehören9. Das BAKOM stellt sodann die Anträge für die Netzzugangsverfügungen. Das Bundesamt wacht schließlich darüber, dass das internationale Fernmelderecht, das FMG, die Ausführungsvorschriften und die Konzessionen eingehalten werden10.
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Art. 57 Abs. 2 FMG. Geschäftsreglement der Kommunikationskommission v. 6.11.1997 (SR 784.101.115). Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren v. 20.12.1968 (SR 172.021). Art. 83 lit. p Ziff. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht v. 17.6.2005 (SR 173.110). http://www.bakom.admin.ch. Art. 57 Abs. 2 FMG; Art. 8 Abs. 1 Geschäftsreglement der Kommunikationskommission. Art. 8 Abs. 2 Geschäftsreglement der Kommunikationskommission. Art. 24a Abs. 2 FMG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. a und b der Verordnung der Eidgenössischen Kommunikationskommission betreffend das Fernmeldegesetz und Art. 8 Abs. 1 lit. a Geschäftsreglement der Kommunikationskommission. 9 Art. 11 Abs. 3 FMG; Art. 8 Abs. 1 lit. c, d, und f Geschäftsreglement der Kommunikationskommission. 10 Art. 58 Abs. 1 FMG.
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Teil D Rz. 66 66
Telekommunikation
Betreffend Verfahren und Rechtsschutz ist zwischen verwaltungsrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verfügungen des BAKOM zu unterscheiden1. Die verwaltungsrechtlichen Verfügungen des BAKOM können mittels Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden2. Dessen Entscheide können in der Regel beim Bundesgericht angefochten werden3. Verfügungen des BAKOM im Zusammenhang mit Strafverfahren richten sich grundsätzlich nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)4, 5. 6. Liechtenstein
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In Liechtenstein ist im Telekommunikationsbereich das Amt für Kommunikation als nationale Regulierungsbehörde im Sinne des EWR-Rechts tätig6. Das Amt für Kommunikation arbeitet eng mit dem schweizerischen Bundesamt für Kommunikation (BAKOM)7 und der österreichischen Rundfunk & Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) zusammen. a) Amt für Kommunikation
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Dem Amt für Kommunikation8 obliegt als unabhängige Regulierungsbehörde die Erfüllung aller Aufgaben, die ihm aufgrund des EWR-Rechts sowie aufgrund des Kommunikationsgesetzes (KomG)9 und der dazu erlassenen Verordnungen übertragen sind10. In den Aufgabenbereich des Amtes für Kommunikation fallen u.a. die Förderung und Überwachung des wirksamen Wettbewerbs im Bereich der elektronischen Kommunikation11, die Aufsicht über die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der dazu erlassenen Verordnungen12, die Anordnung von Maßnahmen sowie die Aufsicht über ihre Einhaltung13, die Erstellung und der Erlass von Plänen, Referenzdokumenten und Schnittstellenbeschreibungen14, die Anordnung der Zugangsgewährung15, die Verwaltung von Identifikationsmitteln16, die Verwaltung von Frequenzen17 und die Schaffung von Transparenz18. Das Amt für Kommunikation ist in diesen Fragen von der Regierung weisungsunabhängig19. In Streitfällen, welche den Vollzug des KomG betreffen, übernimmt das Amt für Kommunikation Schlichtungsfunktionen20. Gegen Entscheidungen oder Verfügungen des 1 Ramsauer, S. 209; Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1467 f. 2 Art. 47 Abs. 1 lit. b VwVG; Art. 31 und 33 lit. d des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht v. 17.5.2005 (SR 173.32). 3 Art. 82 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht v. 17.6.2005 (SR 173.110). 4 Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) v. 22.3.1974 (SR 313.0). 5 Art. 55 i.V.m. Art. 52–54 FMG. 6 http://www.llv.li/#/112181/amt-fur-kommunikation. 7 Vgl. dazu die Vereinbarung zwischen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit in regulatorischen Fragen des Fernmeldebereiches v. 4.3.1999, LGBl. 1999 Nr. 65 v. 26.3.1999. 8 http://www.llv.li/#/112181/amt-fur-kommunikation. 9 Kommunikationsgesetz (KomG) v. 17.3.2006, LGBl. 2006 Nr. 91. 10 Art. 56 Abs. 1 KomG; Art. 3 der Verordnung v. 3.4.2007 über die Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde im Bereich der elektronischen Kommunikation (RKV), LGBl. 2007 Nr. 68. 11 Art. 56 Abs. 1 lit. a KomG. 12 Art. 56 Abs. 1 lit. b KomG. 13 Art. 56 Abs. 1 lit. c KomG. 14 Art. 56 Abs. 1 lit. f KomG. 15 Art. 56 Abs. 1 lit. i KomG. 16 Art. 56 Abs. 1 lit. k KomG. 17 Art. 56 Abs. 1 lit. l KomG. 18 Art. 56 Abs. 1 lit. o KomG. 19 Art. 55 Abs. 2 KomG. 20 Art. 59 KomG; Art. 33 ff. RKV.
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Sachbereiche
Rz. 71
Teil D
Amtes für Kommunikation in seinem eigenen Wirkungskreis steht das Rechtsmittel der Beschwerde an die Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten offen1. b) Regierung Die Hoheit über die Identifikationsmittel kommt ungeachtet allfälliger Nutzungsrechte daran dem Staat zu. Die Zuordnung von Identifikationsmitteln zu bestimmten Nutzungszwecken erfolgt durch die Regierung2. Die Regierung regelt nach Anhörung der Regulierungsbehörde sowie unter Berücksichtigung der Grundsätze nach Art. 3 Abs. 1 der Genehmigungsrichtlinie die Bereitstellung von elektronischen Kommunikationsnetzen sowie das Anbieten von elektronischen Kommunikationsdiensten mit Verordnung3. Weiter legt sie das Mindestangebot an Diensten im Rahmen des Universaldienstes fest4 und bezeichnet die Unternehmen, die zur Erbringung des Universaldienstes verpflichtet sind5.
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II. Marktzutritt 1. Grundlagen Mit der Öffnung der Telekommunikationsmärkte gelten für die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen prinzipiell die gleichen rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen wie für das Angebot und die Nutzung anderer Dienstleistungen. Besonderheiten des Telekommunikationsmarktes (z.B. Interessen der Nutzer und/oder der Allgemeinheit, Ressourcenknappheit, Interoperabilität) werden durch spezifische telekommunikationsrechtliche Regelungen erfasst, welche den allgemeinen Regelungen vorgehen. Diese spezifischen Regelungen hat insbesondere zu beachten, wer auf einem Markt Telekommunikationsdienste anbieten möchte6.
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2. Europarechtliche Vorgaben Die Richtlinie 2002/20/EG (Genehmigungsrichtlinie) strebt eine stärker harmonisierte und weniger schwerfällige Regelung des Marktzugangs für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste in der EG an7. Sie bestimmt zu diesem Zweck, dass die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste lediglich von einer Allgemeingenehmigung abhängig gemacht werden darf. Von den betroffenen Unternehmen kann zwar eine Meldung gefordert werden, aber es kann nicht verlangt werden, vor der Ausübung der mit der Genehmigung verbundenen Rechte eine ausdrückliche Entscheidung oder einen Verwaltungsakt der nationalen Regulierungsbehörde zu erwirken8. Sofern eine Meldung gefordert wird, hat sich diese inhaltlich zu beschränken auf die Absichtserklärung des Unternehmens gegenüber der Regulierungsbehörde, mit der Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste zu beginnen, sowie auf gewisse Mindestangaben, welche zur Führung eines Registers oder eines Verzeichnisses durch die nationale Regulierungsbehörde notwendig sind (z.B. Identifizie1 2 3 4 5 6 7 8
Art. 58 KomG. Art. 29 Abs. 1 KomG. Art. 6 KomG. Art. 10 Abs. 1 KomG. Art. 11 Abs. 1 KomG. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 249 ff. Vgl. Art. 1 Genehmigungsrichtlinie. Art. 3 Abs. 2 Genehmigungsrichtlinie.
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Netzle/Pohle 323
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Teil D Rz. 72
Telekommunikation
rung des Diensteanbieters, Kurzbeschreibung des Netzes oder des Dienstes, voraussichtlicher Termin der Aufnahme der Tätigkeit)1. Die Allgemeingenehmigung berechtigt Unternehmen insbesondere, elektronische Kommunikationsnetze und -dienste bereitzustellen2. Werden die elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste für die Allgemeinheit bereitgestellt, besteht ferner das Recht, die Zusammenschaltung nach den Bestimmungen der Richtlinie 2002/19/EG (Zugangsrichtlinie) zu verhandeln3, sowie die Möglichkeit, gemäß der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie) für die Erfüllung bestimmter Elemente der Universaldienstverpflichtung im nationalen Hoheitsgebiet benannt zu werden4. 72
Soweit möglich, ist von den Mitgliedstaaten auch die Nutzung von Funkfrequenzen und Nummern auf dem Wege der Allgemeingenehmigung zu ermöglichen5. Falls z.B. aufgrund der Gefahr von funktechnischen Störungen die Erteilung von individuellen Nutzungsrechten notwendig ist, sind diese im Wege eines offenen, transparenten und nicht diskriminierenden Verfahrens zu erteilen6.
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Die Allgemeingenehmigungen für elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste und die Nutzungsrechte für Funkfrequenzen und Nummern können grundsätzlich nur an Bedingungen geknüpft werden, welche im Anhang der Genehmigungsrichtlinie enumerativ aufgeführt sind7. Die Bedingungen, wie z.B. finanzielle Beiträge zur Finanzierung des Universaldienstes8, Verwaltungsgebühren9, Anforderungen an die Interoperabilität der Dienste und Zusammenschaltung der Netze10, effektive und effiziente Frequenznutzung11 oder Nummernübertragbarkeit12, müssen objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent sein13. 3. Deutschland
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Aufgrund der Vorgaben der EU konnte das bisher praktizierte Lizenzregime nicht mehr beibehalten werden. Das novellierte dtTKG unterscheidet beim Marktzutritt im Wesentlichen zwischen Meldepflicht, Frequenzzuteilungen und Vergabeverfahren. a) Meldepflicht
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Die Kenntnis der Marktteilnehmer ist für die Tätigkeit der BNA unabdingbar14. Wer gewerblich öffentliche Telekommunikationsnetze betreibt oder gewerblich Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbringt, muss deshalb die Aufnahme, Änderung und Beendigung seiner Tätigkeit unverzüglich der BNA schriftlich15 anzeigen16. Der Begriff der Telekommunikationsnetze umfasst gemäß § 3 Nr. 27 dtTKG die Gesamtheit von Übertragungssystemen und gegebenenfalls Vermittlungs- und 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Art. 3 Abs. 3 Genehmigungsrichtlinie. Art. 4 Abs. 1 lit. a Genehmigungsrichtlinie. Art. 4 Abs. 2 lit. a Genehmigungsrichtlinie. Art. 4 Abs. 2 lit. b Genehmigungsrichtlinie. Art. 5 Abs. 1 Genehmigungsrichtlinie. Art. 5 Abs. 2 Genehmigungsrichtlinie. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Genehmigungsrichtlinie. Teil A Ziff. 1 Anhang Genehmigungsrichtlinie. Teil A Ziff. 2 Anhang Genehmigungsrichtlinie. Teil A Ziff. 3 Anhang Genehmigungsrichtlinie. Teil B Ziff. 2 Anhang Genehmigungsrichtlinie. Teil C Ziff. 3 Anhang Genehmigungsrichtlinie. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Genehmigungsrichtlinie. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 257. Formular unter: http://www.bundesnetzagentur.de/cln_1431/DE/Sachgebiete/Telekommuni kation/Unternehmen_Institutionen/Anbieterpflichten/Meldepflicht/meldepflicht-node.html. 16 § 6 Abs. 1 dtTKG.
324 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 78
Teil D
Leitwegeinrichtungen sowie anderweitige Ressourcen einschließlich der nicht aktiven Netzbestandteile, die die Übertragung von Signalen über Kabel, Funk, optische oder elektromagnetische Einrichtungen ermöglichen. Dies schließt unter anderem Satellitennetze, paketvermittelte Netze, das Internet, zur Signalübertragung genutzte Stromnetze, Fest- und Mobilfunknetze, Hörfunk-, Fernseh- und Kabelfernsehnetze ein. Telekommunikationsdienste umfassen regelmäßig, aber nicht notwendigerweise, gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, einschließlich Übertragungsdienste in Rundfunknetzen1. Die Anzeige dient dem Zweck, der BNA die Führung eines Verzeichnisses der anzeigepflichtigen Betreiber und die Überwachung des Marktes sowie die Auferlegung von Verpflichtungen nach dem dtTKG zu ermöglichen. b) Frequenz- und Nummernzuteilung Die Frequenznutzung ist nach wie vor von einer vorherigen Zuteilung durch die BNA abhängig. In der Regel sollen Allgemeinzuteilungen erfolgen, die zu veröffentlichen sind2. Ist eine Allgemeinzuteilung nicht möglich, bspw. wegen der Gefahr von funktechnischen Störungen oder zur Sicherstellung einer effizienten Frequenznutzung, kann auf schriftlichen Antrag eine Einzelzuteilung ergehen3. Das Gesetz sieht auch eine gemeinschaftliche Nutzung von Frequenzen durch mehrere Nutzer vor4. Bei Knappheit können Frequenzen in einem Vergabeverfahren zugeteilt werden, wobei das Versteigerungsverfahren grundsätzlich Vorrang vor dem Ausschreibungsverfahren genießt5. Die Zuteilung erfolgt in der Regel befristet6.
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Zudem besteht die Möglichkeit der Übertragung einer Frequenzzuteilung auf einen anderen Rechtsträger sowie unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eines Frequenzhandels7. Die BNA teilt Nummern an Betreiber von Telekommunikationsnetzen, Anbieter von Telekommunikationsdiensten und Endnutzer zu8. Die BNA kann gegen Verstöße bei der Nummernnutzung geeignete Maßnahmen treffen. Sie kann insbesondere rechtswidrig genutzte Nummern entziehen und deren Abschaltung anordnen. Ferner kann sie den Rechnungsersteller bei rechtswidriger Nutzung auffordern, für die betreffende Nummer keine Rechnungslegung vorzunehmen. Zudem kann die BNA in begründeten Fällen Kategorien von Dialern verbieten9.
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4. Österreich Vor der Aufnahme eines Kommunikationsdienstes bzw. der Errichtung eines Kommunikationsnetzes ist in Österreich weder eine ausdrückliche Entscheidung noch ein Verwaltungsakt seitens der nationalen Regulierungsbehörde notwendig. Die verfahrensrechtlichen Erfordernisse beschränken sich vielmehr auf die Übermittlung einer schriftlichen Anzeige vor Aufnahme des Betriebs.
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§ § § § § § § § §
3 Nr. 24 dtTKG. 55 Abs. 2 dtTKG. 55 Abs. 3 dtTKG. 58 dtTKG. 55 Abs. 10, 61 dtTKG. 55 Abs. 9 dtTKG. 62 dtTKG. 66 Abs. 1 dtTKG. 67 Abs. 1 dtTKG.
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78
Teil D Rz. 79
Telekommunikation
a) Allgemeingenehmigung 79
Die beabsichtigte Bereitstellung eines öffentlichen Kommunikationsnetzes oder Erbringung von öffentlichen Kommunikationsdiensten ist vor Betriebsaufnahme der Regulierungsbehörde schriftlich und unter Angabe der Art des Netzes oder Dienstes anzuzeigen1. Der Begriff des Kommunikationsnetzes wird vom öTKG umschrieben als Übertragungssystem, welches die elektronische Übertragung von Signalen über Kabel, Funk, optische oder andere elektromagnetische Einrichtungen ermöglicht2. Als Kommunikationsdienst gilt eine gewerbliche Dienstleistung, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Kommunikationsnetze besteht, einschließlich Telekommunikations- und Übertragungsdienste in Rundfunknetzen3.
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Zuständig für das Ausstellen der Bestätigung der Anzeige ist die RTR. Die Bestätigung der RTR hat innerhalb einer Woche nach Eingang der Anzeige zu erfolgen4. Sämtliche bei der RTR angezeigten Netze und Dienste werden auf deren Website veröffentlicht. Aktuell diskutierte Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht gemäß § 15 TKG betreffen z.B. die regulatorische Einordnung von „Over The Top“ (OTT)Diensten5. Voice over IP-Dienste werden von der österreichischen Regulierungsbehörde dann als Kommunikationsdienst im Sinne des TKG qualifiziert, wenn sie eine Verbindung in das Telefonnetz (PSTN) ermöglichen6. b) Frequenz- und Nummernzuteilung
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Für die Zuteilung von Frequenzen, hinsichtlich derer im Frequenznutzungsplan eine Festlegung gemäß § 52 Abs. 3 öTKG getroffen wurde, ist die TKK zuständig7. Die Zuteilung erfolgt in einem zweistufigen Vergabeverfahren. In einer ersten Stufe werden die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des Antragstellers beurteilt8. Die zweite Stufe sieht sodann eine Auktion für die zu vergebenden Frequenzen vor9. Die Ausschreibungsunterlagen können Angaben über Mindestgebote enthalten, welche sich an der Höhe der voraussichtlich zu entrichtenden Frequenzzuteilungsgebühren zu orientieren haben10. Die Frequenzzuteilungsgebühr wird in der Gebührenverordnung geregelt. Die Rechtmäßigkeit des von der TKK zuletzt im Jahr 2013 abgeschlossenen Frequenzvergabeverfahrens für die Zuteilung von Frequenzen aus den Bereichen 800, 900 und 1800 MHz wurde jüngst mit Erkenntnis vom 4.12.2014 vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt11. Die Überlassung von Nutzungsrechten an Frequenzen an einen anderen Betreiber sowie wesentliche Änderungen der Eigentümerstruktur von Betreibern, denen Frequenznutzungsrechte zugeteilt wurden, bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die TKK12. Zuständig für die Zuteilung von Nummern und anderen Kommunikationsparametern ist die RTR13. Über Anträge auf Nummernzuteilung hat die Behörde innerhalb von 3 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
§ 15 Abs. 1 öTKG. § 3 Ziff. 9 öTKG. § 3 Ziff. 11 öTKG. § 15 Abs. 3 öTKG. Siehe z.B. Lust, Telekommunikationsrecht im Überblick, Wien 2015, Kapitel 4.b) (i). RTR, Richtlinien für Anbieter von VoIP Diensten 2005. § 54 Abs. 3 Ziff. 2 öTKG. § 55 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Ziff. 2 öTKG. § 55 Abs. 2 öTKG. § 55 Abs. 4 öTKG. VwGH 2013/03/0149. § 56 Abs. 1 und 2 öTKG; siehe z.B. den Bescheid der TKK F 1/12 v. 13.12.2012 betreffend den Übergang von Frequenzen im Zuge des Erwerbs der Orange Austria durch Hutchison 3G („3“). 13 § 65 öTKG.
326 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 85
Teil D
Wochen zu entscheiden. Nummernzuteilungen können Nebenbestimmungen, wie z.B. Befristungen, Angabe des Dienstes, für den die Nummer genutzt werden darf, oder die Verpflichtung über die Mitteilung der tatsächlichen Nutzung der Nummer enthalten1. Eine Übertragung der Nutzungsrechte bedarf der Genehmigung durch die Regulierungsbehörde2. Im öffentlichen Interesse kann die Regulierungsbehörde erteilte Zuteilungen ändern bzw. entziehen, z.B. aus technischen Gründen, oder auch zur Anpassung an Markterfordernisse3. 5. Schweiz Ein Anbieter, welcher in der Schweiz Fernmeldedienstleistungen erbringen möchte, hat dies dem BAKOM zu melden4 und wird von diesem registriert5. Die Meldepflicht wurde mit der letzten Revision des FMG eingeführt. Sie löste das bisherige Konzessionssystem ab. Konzessionen werden nur noch im Funkbereich und im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen der Grundversorgung vergeben.
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a) Meldepflicht Gemäß FMG ist meldepflichtig, wer einen Fernmeldedienst erbringt. Als Fernmeldedienst bezeichnet das FMG die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen für Dritte, wobei unter fernmeldetechnischer Übertragung das elektrische, magnetische, optische oder andere elektromagnetische Senden oder Empfangen von Informationen über Leitungen oder Funk verstanden wird6.
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Das Bundesamt registriert die gemeldeten Anbieterinnen von Fernmeldediensten7. Wer einen Fernmeldedienst erbringt, muss über die notwendigen technischen Fähigkeiten verfügen (z.B. Nummernportabilität, freie Wahl der Diensteanbieter etc.8) sowie Gewähr bieten, dass das anwendbare Recht eingehalten wird. Weiter sind die arbeitsrechtlichen Vorschriften zu beachten und die Arbeitsbedingungen der Branche zu gewährleisten. Schließlich hat eine Anbieterin von Fernmeldediensten eine angemessene Anzahl von Lehrstellen anzubieten9.
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Die Meldepflicht ist eine Rechtsfolge der Qualifikation als Fernmeldediensteanbieter. Wer kein Fernmeldediensteanbieter im oben genannten Sinne ist, benötigt weder eine Konzession noch ist er meldepflichtig. Dies gilt z.B. für die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen in unternehmenseigenen Netzwerken10. Von der Meldepflicht befreit sind ebenfalls ausländische Anbieter von internationalen Fernmeldediensten, die ihre Verbindung in der Schweiz durch andere gemeldete Anbieterinnen terminieren lassen11 sowie Anbieterinnen von Fernmeldediensten von geringer wirtschaftlicher und technischer Bedeutung, die ausschließlich für wissenschaftliche Anwendungen bestimmt sind12.
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§ 65 Abs. 4 öTKG. § 65 Abs. 5 öTKG. § 65 Abs. 6 öTKG. Art. 4 FMG. Ein ausführlicher Leitfaden zum Meldeformular für das Erbringen von Fernmeldediensten findet sich unter http://www.bakom.admin.ch/themen/telekom/00462/00796/index.html?lang=de. Art. 3 lit. b und c FMG. Art. 4 Abs. 1 FMG. Art. 28 Abs. 4 FMG. Art. 6 FMG. Vgl. Art. 2 lit. c FDV; vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1234 und 1236. Art. 3 Abs. 1 FDV. Art. 4 Abs. 2 FMG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 FDV.
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Netzle/Pohle 327
Teil D Rz. 86
Telekommunikation
b) Konzessionspflicht 86
Wenn der Fernmeldediensteanbieter zur Erbringung seiner Dienste das Funkfrequenzspektrum benutzen will, benötigt er eine Funkkonzession1. Die Konzessionserteilung darf wirksamen Wettbewerb weder beseitigen noch erheblich beeinträchtigen. In Zweifelsfällen ist die WEKO anzufragen2. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Funkkonzessionen besteht nur soweit, als gestützt auf den nationalen Frequenzzuweisungsplan genügend Frequenzen zur Verfügung stehen3. Stehen nicht genügend Frequenzen für alle gegenwärtigen oder künftigen voraussehbaren Interessentinnen zur Verfügung, kann die Konzession nicht einfach auf Gesuch hin erteilt werden, sondern es ist eine öffentliche Ausschreibung durchzuführen4. Für Anbieterinnen, die zur Erbringung ihrer Dienste das Funkfrequenzspektrum nutzen, gilt die Verordnung über Frequenzmanagement und Funkkonzessionen5.
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Eine teilweise oder vollständige Übertragung der Konzession ist nur mit Einwilligung der Konzessionsbehörde möglich6. Eine Änderung oder der Widerruf der Konzession vor Ablauf durch die Konzessionsbehörde ist möglich, wenn dies zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen notwendig ist. Werden die Rechte der Konzessionärin dadurch wesentlich geschmälert, erhält sie eine angemessene Entschädigung7. Die Konzessionsbehörde erhebt für die Konzessionserteilung Gebühren gemäß der Verordnung des UVEK über Verwaltungsgebühren im Fernmeldebereich8. Wer ohne die notwendige Konzession oder im Widerspruch dazu das Frequenzspektrum benutzt, wird mit Buße bis zu 100 000 Franken bestraft9. 6. Liechtenstein
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Das früher geltende Konzessionsregime wurde in Liechtenstein mit der Einführung des KomG im Jahre 2006 beseitigt. Seither können grundsätzlich alle Tätigkeiten im Bereich der elektronischen Kommunikation bewilligungsfrei erbracht werden. Die verfahrensrechtlichen Erfordernisse beschränken sich nun auf eine schriftliche Meldung an das Amt für Kommunikation10. a) Meldepflicht
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Anbieter von elektronischen Kommunikationsnetzen oder -diensten, d.h. Betreiber von Fest- oder Funknetzen oder Anbieter von öffentlich zugänglichen Telefon-, Datenoder Funkdiensten bzw. öffentlich zugänglichen VoIP-Diensten, Satelliten- und Satellitenübertragungsdiensten oder Verzeichnis- und Auskunftsdiensten11, unterliegen einer gesetzlichen Meldepflicht12. Der Eingang der ordnungsgemäßen Meldung stellt eine konstitutive Bedingung für die Erlaubnis zur Aufnahme der Tätigkeit dar, d.h. bis zum Zeitpunkt des Eingangs der ordnungsgemäßen Meldung ist die Aufnahme 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Art. 22 Abs. 1 FMG. Art. 23 Abs. 4 FMG. Art. 23 Abs. 3 FMG. Art. 24 Abs. 1 FMG. Art. 8 FDV; Verordnung v. 9.3.2007 über Frequenzmanagement und Funkkonzessionen, SR 784.102.1. Art. 24d FMG. Art. 24e FMG. Verordnung des UVEK über Verwaltungsgebühren im Fernmeldebereich v. 22.12.1997, SR 784.106.12. Art. 52 FMG. Art. 43 KomG. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung v. 3.4.2007 über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (VKND), LGBl. 2007 Nr. 67. Art. 43 KomG i.V.m. Art. 4 VKND.
328 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 92
Teil D
der Tätigkeit untersagt1. Auf Antrag wird jedem Anbieter, der die Meldepflicht ordnungsgemäß erfüllt hat, von der Regulierungsbehörde eine Meldebestätigung ausgestellt, aus der Art und Umfang seiner meldepflichtigen Tätigkeiten hervorgehen. b) Frequenzzuteilung Individuelle Nutzungsrechte an Frequenzen werden von dem Amt für Kommunikation auf Antrag, bei knappen Ressourcen auch aufgrund eines Vergabeverfahrens, mit Verfügung zugeteilt und registriert. Die Zuteilung berechtigt zur exklusiven Nutzung der davon umfassten Frequenzen in Übereinstimmung mit dem anwendbaren Recht und der Zuteilungsverfügung samt Nebenbestimmungen (individuelles Frequenznutzungsrecht)2. Das Amt für Kommunikation kann auch kollektive Nutzungsrechte an Frequenzen mit Allgemeinverfügung zuteilen und registrieren. Die Zuteilung berechtigt zur gemeinsamen Nutzung der davon umfassten Frequenzen in Übereinstimmung mit dem anwendbaren Recht und der Zuteilungsverfügung samt Nebenbestimmungen3. Die Nutzungsgebühren für die Frequenzen bestimmen sich nach der Verordnung vom 13.4.2004 über die Erhebung von Verwaltungs- und Nutzungsgebühren nach dem Kommunikationsgesetz (KomG-GebV)4. Weitere Ausführungsbestimmungen finden sich in der Verordnung vom 8.5.2007 über Identifikationsmittel und Frequenzen im Bereich der elektronischen Kommunikation (IFV)5. Das Amt für Kommunikation hat am 30.1.2015 gegenüber den drei gegenwärtig in Liechtenstein tätigen Mobilfunkbetreibern (Telecom Liechtenstein AG, Swisscom [Schweiz] AG sowie Salt [Liechtenstein] AG) Frequenzzuteilungsverfügungen erlassen. Mit den Verfügungen werden den Mobilfunkbetreibern in Liechtenstein die exklusiven Nutzungsrechte an den jeweils beantragten Frequenzen in den Bereichen 800, 900, 1800, 2100 und 2600 MHz eingeräumt6.
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III. Universaldienst 1. Begriff und Bedeutung Aus der Sorge, dass der freie Markt die Grundbedürfnisse nach Telekommunikationsdiensten nicht flächendeckend befriedigen kann, wurde die Grundversorgung vom freien Wettbewerb ausgeklammert. Dieser Ausschluss geschah unbesehen des Nachweises, ob der Wettbewerb diese Grundbedürfnisse nicht doch ohne staatliche Intervention decken würde. Die Festlegung von Universaldiensten soll dazu dienen, bestimmte Dienste definierter Qualität allen Benutzern (insbesondere auch Behinderten und Nutzern mit sozialen Sonderbedürfnissen) zu erschwinglichen Preisen bereitzustellen. Die Garantie der Grundversorgung bildet (nach der Lesart des Gesetzgebers) das natürliche Korrelat der Privatisierung: Da die Produktionsmittel nicht mehr durch den Staat kontrolliert werden, will dieser zumindest in einem für den einzelnen Konsumenten wichtigen Teilbereich weiterhin möglichst direkt Einfluss nehmen.
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In der Vergangenheit diente der Hinweis auf die Leistungen der Grundversorgung den staatlichen Monopolgesellschaften regelmäßig als Rechtfertigung ihrer Sonderrechte7.
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Art. 4 Abs. 2 VKND. Art. 33 Abs. 1 KomG. Art. 33 Abs. 2 KomG. LGBl. 2004 Nr. 99. LGBl. 2007 Nr. 118. Die Nutzungsbedingungen zur Frequenzzuteilungsverfügung v. 30.1.2015 sind abrufbar unter http://www.llv.li/files/ak/20150130-beilage-1-zur-frequenzzuteilungverfugung-final.pdf. 7 Als Schöpfer des Begriffs Universal Service gilt bezeichnenderweise Theodore Vail, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts Vorsitzender von AT&T war.
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Netzle/Pohle 329
Teil D Rz. 93
Telekommunikation
Der garantierte Dienst zugunsten des Publikums, die Erschließung abgelegener Regionen und das Angebot günstiger oder gebührenfreier Mehrwertdienste für ältere und behinderte Nutzer prägten das Bild des staatlichen Monopolanbieters. Gleichzeitig wurden die Kosten der Grundversorgung regelmäßig als zu hoch1 bzw. nicht entsprechend einer effizienten Leistungserbringung ausgewiesen2, dies primär mit dem Ziel, staatliche Abgeltungen zu rechtfertigen und Ineffizienzen zu verwischen. 93
Der Grundversorgungsauftrag weist daher eine Doppelnatur auf: gemeinwohlorientiert auf der einen, staatsbürokratisch auf der anderen Seite. Trotz neuer Regulierungsansätze wirken diese Diskrepanzen auch heute noch fort. 2. Rechtsgrundlagen a) Europarechtliche Vorgaben
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Art. 106 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)3 verbietet an sich die Gewährung ausschließlicher Rechte an Unternehmen, wenn damit eine Verletzung der Wettbewerbsgrundsätze nach Art. 101 ff. AEUV verbunden ist. Ebenso sind nach Art. 107 AEUV wettbewerbsverfälschende Beihilfen untersagt. Allerdings liegt nach der Rechtsprechung des EuGH eine Ausnahme dann vor, wenn ein Fernmeldedienstanbieter Leistungen der Grundversorgung erbringt und die wettbewerbswidrige Privilegierung erforderlich ist, um diese Leistungen in angemessener Form zu erbringen4. Die sog. Universaldienstrichtlinie kodifiziert diese Grundsätze im Grenzbereich zwischen Sozial- und Wettbewerbspolitik.
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Die Universaldienstrichtlinie ist primär als Schutzmaßnahme zugunsten der Konsumenten vor den unerwünschten Folgen der fernmelderechtlichen Liberalisierung konzipiert. Sie stellt sicher, dass ein gewisses Mindestangebot von Diensten für alle Nutzer zu einem erschwinglichen Preis angeboten wird. Die „Erschwinglichkeit“ einer Leistung ist keine starre Größe; die Richtlinie begnügt sich in Art. 9 mit einer Auflistung der mitgliedstaatlichen Optionen, die von festen Preisobergrenzen über geographische Mittelwerte bis zu besonderen Tarifstrukturen für einkommensschwache Schichten reichen. Dabei wird in Kauf genommen, dass solche Leistungen unter Umständen unterhalb der Marktpreise angeboten werden müssen. Führt dies zu einer unzumutbaren Belastung der Anbieter, so sind deren Nettokosten entweder aus öffentlichen Mitteln oder aus einem von den Mitbewerbern alimentierten Fonds zu entschädigen5.
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Bei der Benennung der Universaldiensteanbieter sind die Mitgliedstaaten weitgehend frei. Sie können ein oder mehrere Unternehmen mit dem ganzen UniversaldienstPortefeuille oder einzelnen Teilen davon betrauen oder auch eine geographische Aufteilung vornehmen. Maßgebend bleibt stets, dass kein Unternehmen von vornherein von der Benennung ausgeschlossen wird und das Verfahren im Übrigen transparent und diskriminierungsfrei gestaltet ist6. Leitgedanke bildet darüber hinaus die Effizienz der Dienstleistung: Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, Marktverfälschungen zu vermeiden oder soweit möglich zu minimieren7. 1 Bovet/Gugler, S. 152. 2 Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 608. 3 Alle Hinweise auf den AEUV beziehen sich auf die im ABl. C 326 v. 26.10.2012, S. 1 ff. veröffentlichte, konsolidierte Fassung. 4 EuGH v. 17.5.2001 – Rs. C-340/99 – TNT Traco Spa v. Poste Italiane Spa et al., ECR 2001, I 4109. 5 Art. 13 Universaldienstrichtlinie. 6 Art. 8 Universaldienstrichtlinie. 7 Vgl. auch Erw. 23 der Universaldienstrichtlinie.
330 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 101 Teil D
b) Deutschland Der Universaldienst ist in §§ 78 ff. des Telekommunikationsgesetzes (dtTKG) geregelt.
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Die Erbringung von Universaldienstleistungen soll in erster Linie durch den Markt sichergestellt werden. Gewährleistet der Markt dies jedoch nicht ausreichend und angemessen, sind alle Unternehmen, die auf dem sachlich relevanten Markt einen Marktanteil von mind. 4 % besitzen oder auf dem räumlich relevanten Markt über eine beträchtliche Marktmacht verfügen, zur Erbringung von Universaldiensten verpflichtet1. Stellt die BNA fest, dass eine Universaldienstleistung in einem sachlichen und räumlichen Markt nicht angemessen oder ausreichend erbracht wird oder die Gefahr eines Versorgungsmangels besteht, und ist innerhalb einer Frist von einem Monat nach Veröffentlichung einer solchen Feststellung kein Lizenznehmer bereit, diese Universaldienstleistung ohne Defizitausgleich zu erbringen, kann die Regulierungsbehörde nach einem Auswahlverfahren einen oder mehrere Lizenznehmer zur Erbringung dieser Universaldienstleistung ohne Ausgleichszahlung verpflichten2. Macht das verpflichtete Unternehmen glaubhaft, dass es eine Ausgleichszahlung verlangen kann, ist ein Ausschreibungsverfahren einzuleiten. Im Ausschreibungsverfahren wird die Universaldienstleistung jenem Bewerber vergeben, der geeignet ist und den geringsten finanziellen Ausgleich für die Erbringung der Universaldienste verlangt3. Mit dieser Regelung wird kein Unternehmen von vornherein von der Erbringung des Universaldienstes ausgeschlossen im Wege der Universaldienstleistungsabgabe einen finanziellen Beitrag zur Erbringung des Universaldienstes zu leisten4.
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c) Österreich Die österreichischen Universaldienstregelungen finden sich in den §§ 26 bis 33 öTKG. Das österreichische Universaldienstregime wurde im Jahr 2011 im Rahmen einer Gesetzesnovelle umfassend geändert5. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat mit Unterstützung der Regulierungsbehörde alle 5 Jahre zu prüfen, ob Universaldienstleistungen vom Markt im Wettbewerb erbracht werden, oder öffentlich auszuschreiben sind6. Legt bei einer Ausschreibung kein Betreiber ein Angebot zur Erbringung der Universaldienstleistungen, hat der Minister den geeignetsten Erbringer per Bescheid dazu zu verpflichten. Der österreichische Gesetzgeber hat sich somit dem deutschen Vorbild entsprechend entschlossen, das Universaldienstregime auf ein „Opt-in-Modell“ umzustellen. Eine ausdrückliche Verpflichtung zur Erbringung des Universaldienstes ist nur mehr dann vorgesehen, wenn die entsprechenden Leistungen ansonsten am Markt nicht erbracht werden würden.
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Einstweilen frei
100
d) Schweiz Die Bereitstellung einer Grundversorgung mit Telekommunikationsdiensten ist in den Art. 14–19b des Fernmeldegesetzes (FMG) geregelt. Art. 20 bis 21b äußern sich darüber hinaus zu bestimmten Pflichten, die mit der Erbringung von Grundversorgungsdiensten zusammenhängen. Ausführungsbestimmungen finden sich in den Art. 12 ff. der Fernmeldeverordnung (FDV). 1 2 3 4 5 6
§ 80 dtTKG. § 81 Abs. 1 dtTKG. § 81 Abs. 3 dtTKG. §§ 82, 83 dtTKG. BGBl I 2011/102. § 30 Abs 1 öTKG.
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Netzle/Pohle 331
101
Teil D Rz. 102 102
Telekommunikation
Die Erbringung der Grundversorgung wird in einem Konzessionsverfahren gemäß Art. 14 FMG und Art. 12 FDV ausgeschrieben und dem am besten geeigneten Bewerber zugeteilt. Den Zuschlag erhält jener Bewerber, der keine finanzielle Abgeltung verlangt und die für die qualitative Bewertung benutzten Kriterien am besten erfüllt1. Die Aufhebung des Monopols von Swisscom auf die Teilnehmeranschlüsse („letzte Meile“) hat zu einer Verbesserung der Möglichkeiten der Konkurrenten auf Konzessionserteilung geführt. Vor diesem Wechsel im Jahr 2007 war ein funktionierender Wettbewerb faktisch kaum möglich, auch wenn gemäß Art. 14 Abs. 3 FMG das Verfahren der Konzessionserteilung den Grundsätzen der „Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz“ folgte. Trotz der geänderten Umstände hat die ComCom die Swisscom am 21.6.2007 erneut zur Grundversorgungskonzessionärin für die Jahre 2008–2017 bestimmt. Die Vergabe mehrerer Konzessionen für die verschiedenen Grundversorgungsdienste ist gesetzlich nicht ausgeschlossen. Gemäß Art. 14 und 16 Abs. 1 FMG ist auch eine regionale Aufteilung möglich.
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Die Qualitätsanforderungen an die Grundversorgung sind in Art. 21 FDV und im Anhang 1, Art. 1 Ziff. 2 der Verordnung des BAKOM über Fernmeldedienste und Adressierungselemente2 geregelt. e) Liechtenstein
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Die Rechtsgrundlagen der Grundversorgung in Liechtenstein finden sich im KomG3, in der VKND4 sowie in der RKV5.
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Der Universaldienst ist ein Mindestangebot an Diensten von bestimmter Qualität, das allen Nutzern unabhängig von ihrem Standort und, gemessen an den landesspezifischen Bedingungen, zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung steht6. Die Universaldienstanbieter werden von der Regierung unter Berücksichtigung der landesspezifischen Gegebenheiten, insbesondere des Versorgungsbedarfs im gesamten Staatsgebiet, bezeichnet7. 3. Dienste a) Europarechtliche Vorgaben
106
Das Mindestangebot, das im Rahmen des Universaldienstes zu erbringen ist, umfasst den Anschluss an das öffentliche Telefonnetz an einem festen Standort für Sprach-, Fax- und Datenkommunikation „mit Übertragungsraten […], die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen“, den Zugang zu Auskunftsdiensten und Teilnehmerverzeichnissen, das Bereitstellen öffentlicher Münz- und Kartentelefone und das Angebot von Zusatzdiensten für behinderte Nutzer8 sowie von Diensten zur „Ausgabenkontrolle“ wie Einzelverbindungsnachweis und Sperrung abgehender Verbindungen9. Vom Universaldienstregime nicht erfasst werden Festnetz-ISDN-Dienste und Mobilfunkdienstleistungen10. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Art. 12 Abs. 3 FDV. SR 784.101.113. Art. 9 ff. KomG. Art. 19 ff. VKND. Art. 26 RKV. Art. 3 Abs. 1 Ziff. 9 KomG und Art. 9 Abs. 1 lit. a KomG. Art. 11 Abs. 1 KomG. Vgl. Art. 4–7 Universaldienstrichtlinie. Art. 10 Universaldienstrichtlinie i.V.m. Anhang I Teil A. Vgl. Erw. 8 der Universaldienstrichtlinie.
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Sachbereiche
Rz. 111 Teil D
b) Deutschland Der Universaldienst umfasst gemäß § 78 Abs. 2 dtTKG – den Anschluss an ein öffentliches Telekommunikationsnetz und den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten an einem festen Standort, der Gespräche, Telefaxübertragungen und Datenkommunikation mit Übertragungsraten, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen; – die Verfügbarkeit eines öffentlichen, jährlich aktualisierten Teilnehmerverzeichnisses und umfassenden Telefonauskunftsdienstes, – flächendeckende, jederzeit zugängliche und betriebsbereite öffentliche Münz- oder Kartentelefone oder andere Zugangsstellen für den öffentlichen Sprachtelefondienst sowie – die Ermöglichung von kostenlosen Notrufen an die Nummer 112 von öffentlichen Münz- oder Kartentelefonen.
107
c) Österreich Gemäß § 26 Abs. 2 öTKG umfasst der Universaldienst den Zugang zu einem öffentlichen Kommunikationsnetz und zum öffentlichen Telefondienst, über den auch ein Fax betrieben werden kann, einschließlich der Übertragung von Daten, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichend sind1, die Erbringung eines betreiberübergreifenden Auskunftsdienstes, die Erstellung eines betreiberübergreifenden Teilnehmerverzeichnisses und die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Sprechstellen.
108
Die technischen Qualitätskriterien und -anforderungen sind in § 27 öTKG und insbesondere in der Universaldienstverordnung (UDV) näher erläutert. Der Universaldienst muss bundesweit flächendeckend zu einem erschwinglichen Preis in einer bestimmten Qualität verfügbar sein. Das gemeinschaftsrechtlich statuierte Angebot einer selektiven Anrufsperre für die Nutzer öffentlicher Festtelefonnetze wurde mit der Novellierung des öTKG nach entsprechender Rüge der Kommission realisiert2.
109
d) Schweiz Die zur Grundversorgung verpflichtete Konzessionärin hat gemäß Art. 16 FMG die folgenden Dienste anzubieten: öffentlicher Telefondienst, Zugang zu Notrufdiensten, ausreichende Versorgung mit öffentlichen Sprechstellen sowie den Zugang zu Teilnehmerverzeichnissen. Die Dienste der Grundversorgung müssen behindertengerecht angeboten werden3. Der Bundesrat passt auf dem Verordnungsweg den Umfang der Grundversorgung periodisch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen und dem Stand der Technik an4. In Art. 15 FDV wird das Grundversorgungsangebot insofern weiter konkretisiert. Gemäß dieser Bestimmung muss die Konzessionärin das Sperren abgehender Verbindungen, den Datenübertragungsdienst, Dienste für Hörbehinderte sowie ein Verzeichnis und einen Vermittlungsdienst für Sehbehinderte und Personen mit eingeschränkter Mobilität gewährleisten. Die Grundversorgung umfasst die Wahl jedes Endkunden zwischen einem Analog-, einem Digital- oder einem Breitbandanschluss (zum jeweiligen Maximalpreis gemäß Art. 22 FDV)5.
110
Neben der Grundversorgungskonzessionärin müssen alle Anbieterinnen von Diensten der Grundversorgung den Zugang zu Notrufnummern gewährleisten, ein Verzeichnis
111
1 2 3 4 5
Siehe zur Bedeutung dieses Begriffs Erwägungsgrund 8 zur Universaldienstrichtlinie. § 29 Abs. 2 öTKG; vgl. auch den 8. Umsetzungsbericht, S. 47. Art. 16 Abs. 1bis. Art. 16 Abs. 3 FMG. Art. 16 FDV.
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Netzle/Pohle 333
Teil D Rz. 112
Telekommunikation
ihrer Teilnehmer führen und den Zugang zu diesem ermöglichen sowie die Interoperabilität zwischen allen Benutzern der anderen Anbieter von Grundversorgungsdiensten sicherstellen1. e) Liechtenstein 112
Der Universaldienst umfasst insbesondere die flächendeckende Versorgung des Landes mit öffentlich zugänglichen Telefondiensten mit einer Datenübertragung für Breitbanddienste, einem Telefonauskunftsdienst, unentgeltliche Aufnahme jedes Teilnehmers eines öffentlich zugänglichen Telefondienstes in ein umfassendes, anbieterübergreifendes Teilnehmerverzeichnis sowie die Zurverfügungstellung von öffentlichen Münz- oder Kartentelefonen unter Gewährleistung eines kostenlosen Zugangs zu Notrufdiensten ohne Verwendung eines Zahlungsmittels2. 4. Finanzierung a) Europarechtliche Vorgaben
113
Maßgebend ist, ob die Erbringung des Universaldienstes eine unzumutbare Belastung für den Verpflichteten darstellt. Die Kosten berechnen sich nach Maßgabe von Art. 12 und Anhang IV Teil A der Universaldienstrichtlinie. Die Nettokosten entsprechen der Differenz zwischen den Kosten eines Unternehmens mit Universaldienstverpflichtung und den Kosten eines Unternehmens ohne solche Universaldienstverpflichtung. Dabei sind auch immaterielle, indirekte Vorteile zu berücksichtigen.
114
Kommt die nationale Regulierungsbehörde gemäß Berechnung der Nettokosten nach Anhang IV der Universaldienstrichtlinie zum Ergebnis, dass bei der Bereitstellung des Universaldienstes Nettokosten entstehen, können die Verpflichteten aus staatlichen Mitteln entschädigt oder die Nettokosten unter den Marktteilnehmern aufgeteilt werden (sog. Fondslösung)3. Die Anlastung der Nettokosten hat gemäß Anhang IV Teil B der Universaldienstrichtlinie auf der Basis eines transparenten, nicht diskriminierenden und verhältnismäßigen Verfahrens mit möglichst geringer Marktverfälschung zu geschehen. b) Deutschland
115
Das verpflichtete Unternehmen hat unter gewissen Umständen Anspruch auf Ausgleich der Kosten für die Erbringung der Universaldienstleistungen, wenn die Kosten für die Bereitstellung des Universaldienstes eine unzumutbare Belastung darstellen. Diese Kosten ergeben sich aus der Differenz der Kosten des verpflichteten Unternehmens für den Betrieb ohne Universaldienstverpflichtung und den Kosten für den Betrieb unter Einhaltung der Verpflichtung4. Im Gegensatz zur früheren deutschen Regelung sind immaterielle Vorteile wie Werbeeffekte nach der revidierten deutschen Regelung auch zu berücksichtigen5.
116
Wird ein derartiger Ausgleich gewährt, so haben die übrigen Unternehmen, die auf dem sachlich relevanten Markt einen Marktanteil von mind. 4 % besitzen oder auf dem räumlich relevanten Markt über eine beträchtliche Marktmacht verfügen, zu diesem Ausgleich mit einer Universaldienstleistungsabgabe beizutragen. Deutschland folgt 1 2 3 4 5
Art. 20 ff. FMG; Art. 26a und 40 f. FDV. Art. 10 Abs. 2 KomG. Art. 13 Universaldienstrichtlinie. § 82 Abs. 2 dtTKG. § 82 Abs. 2 i.f. dtTKG; vgl. zum alten Recht: Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 645 ff.; Schütz/Attendorn, S. 41 f.
334 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 121 Teil D
somit der Fondslösung. Der Anteil an der Abgabe bemisst sich nach dem Verhältnis des Umsatzes des zur Abgabe verpflichteten Unternehmens zur Summe des Umsatzes aller auf dem sachlich relevanten Markt zur Abgabe verpflichteten Unternehmen. Kommt ein Unternehmen seiner Abgabepflicht nicht nach, haben die übrigen verpflichteten Unternehmen den Ausfall im Verhältnis ihrer Anteile zu tragen1. c) Österreich Der Erbringer des Universaldienstes hat Anspruch auf Vergütung der nachweislich angefallenen Kosten, die trotz wirtschaftlicher Betriebsführung nicht gedeckt werden können und für den Erbringer eine unzumutbare Belastung darstellen. Kein Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich besteht, wenn der Betreiber auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von mehr als 80 % innehat2. Die ersatzfähigen Kosten werden von der Regulierungsbehörde in einem Saldovergleich ermittelt. Dabei werden die wegen der Bereitstellung verlustträchtiger Dienste anfallenden Kosten dem Marktvorteil gegenüber gestellt, der dem Erbringer des Universaldienstes erfahrungsgemäß erwächst3. § 29 Abs. 1 öTKG enthält ein Verbot der Querfinanzierung von Mehrwertdiensten aus den Entgelten für den Universaldienst.
117
Finanziert wird der Universaldienst über einen Universaldienstfonds, der durch Beiträge der Betreiber von Telekommunikationsdiensten mit einem Jahresumsatz von mehr als 5 Mio. Euro pro Jahr nach Maßgabe ihres Marktanteils alimentiert wird. Auch Österreich folgt damit der Fondslösung. Die Bemessung der Beiträge gestaltet sich jedoch verschieden zu jener in Deutschland: Die Beiträge bemessen sich nach dem Marktanteil der Beitragspflichtigen, der sich wiederum anhand des Verhältnisses ihres Umsatzes zur Summe des Umsatzes aller Beitragspflichtigen auf dem jeweiligen sachlich relevanten Markt errechnet4.
118
d) Schweiz Der Bundesrat legt periodisch Preisobergrenzen für das Grundversorgungsangebot fest5. Bereitet das Erstellen oder Unterhalten eines Anschlusses außerhalb des Siedlungsgebietes besonders hohe Kosten oder ist die Gewährleistung der Grundversorgung besonders aufwendig, kann der Besteller verpflichtet werden, einen Teil der Kosten zu übernehmen, oder es kann der Leistungsumfang reduziert werden6.
119
Können die Kosten für die Erbringung der Grundversorgung trotz effizienter Betriebsführung nicht gedeckt werden, so hat die Konzessionärin Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung7. Der finanzielle Beitrag dient zur Deckung der Nettogesamtkosten der Grundversorgung, d.h. der Aufwendungen einer effizienten Anbieterin für die Sicherstellung der Grundversorgung8. Die jährliche Berechnung der Kosten ist gestützt auf die Grundsätze in Art. 14 FDV vorzunehmen.
120
Fehlbeträge der Konzessionärin werden durch Abgaben finanziert, die bei Anbietern von Fernmeldediensten erhoben und ausschließlich zur Finanzierung der ungedeckten Kosten der Grundversorgung und der Kosten für die Verwaltung des Finanzierungs-
121
1 2 3 4 5 6 7 8
§ 83 Abs. 1 dtTKG. § 31 Abs. 1 und 2 öTKG. § 31 Abs. 1 öTKG. § 32 Abs. 2 öTKG; für die Abgrenzung der sachlich relevanten Märkte vgl. die Telekommunikationsmärkteverordnung (TKMVO) 2003. Art. 17 Abs. 2 FMG; Art. 22 FDV. Art. 18 FDV; Verordnung des UVEK v. 15.12.1997 über Fernmeldeanschlüsse außerhalb des Siedlungsgebiets, SR 784.101.12. Art. 19 FMG. Art. 14 Abs. 1 FDV.
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Netzle/Pohle 335
Teil D Rz. 122
Telekommunikation
mechanismus verwendet werden1. Auch in der Schweiz erfolgt somit die Finanzierung der Grundversorgung nicht mittels allgemeiner Steuermittel, sondern über eine „Solidaritätszahlung“ der Fernmeldedienstanbieter2. Die Swisscom als Grundversorgungskonzessionärin hat bisher nie einen Beitrag für ungedeckte Kosten beansprucht, weshalb auch nie entsprechende Abgaben von den anderen Anbietern erhoben wurden. e) Liechtenstein 122
Die nachweislich aufgelaufenen Kosten des Universaldienstes, die trotz wirtschaftlicher Betriebsführung nicht erwirtschaftet werden können, sind dem betreffenden Universaldienstanbieter auf dessen Antrag durch Beitragsleistungen der anderen Anbieter abzugelten, sofern diese Kosten eine unzumutbare Belastung darstellen3. Hat der Universaldienstanbieter auf dem relevanten Markt umsatzmäßig einen Anteil von mehr als 80 %, kann er keinen Ausgleich beanspruchen4.
IV. Adressierung 1. Regulierung/Definition 123
Adressierungselemente wie Kennzahlen, Rufnummern und Kurznummern (d.h. Kommunikationsparameter5) sind aus nahe liegenden Gründen ein beschränktes und daher begehrtes Gut. Der Nummernverwaltung kommt deshalb bei der Schaffung und Erhaltung wettbewerblicher Strukturen eine große Bedeutung zu. a) Europarechtliche Vorgaben
124
Art. 10 Rahmenrichtlinie regelt die Zuständigkeit der nationalen Regulierungsbehörden (NRB) für die Verwaltung und Zuteilung der Adressierungselemente. Die Möglichkeiten der Nummernübertragbarkeit im Fest- und im Mobilnetz (jedoch nicht zwischen Fest- und Mobilnetz) sind in Art. 30 Universaldienstrichtlinie geregelt. Die initial in der Universaldienstrichtlinie vorgesehenen Bestimmungen zur Betreiberauswahl (Call by call) und Betreibervorauswahl (Carrier Preselection), die grundsätzlich ein wirksames Mittel zur Förderung des Wettbewerbs bildeten, wurden im Rahmen der Revision im Jahre 2009 gestrichen. Der europäische Gesetzgeber war der Ansicht, dass das fortgesetzte Vorschreiben der Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl direkt durch das Gemeinschaftsrecht den technischen Fortschritt behindern könnte6. In der Genehmigungsrichtlinie sind ferner die (abschließenden) Bedingungen festgelegt, die an Nummernnutzungsrechte geknüpft werden können7. Im Weiteren sind Verfahrensvorschriften (insb. Fristen) in Bezug auf Entscheidungen über Nutzungsrechte vorgesehen (Art. 5 Genehmigungsrichtlinie).
1 2 3 4 5
Art. 38 FMG. Fischer/Sidler, Fernmelderecht, B Rz. 190 (Fn. 378). Art. 13 KomG und Art. 25 Abs. 1 VKND. Art. 25 Abs. 2 VKND. „Kommunikationsparameter“ bezeichnet die Gesamtheit aller möglichen Zeichen, Buchstaben, Ziffern und Signale, die unmittelbar zur Netzsteuerung von Kommunikationsverbindungen dienen. Vgl. etwa § 61 öTKG. 6 Vgl. Erw. 20 der Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11. 2009, ABl. EG Nr. L 337 v. 18.12.2009, S. 11 ff. 7 Vgl. Art. 6 i.V.m. Anhang C Genehmigungsrichtlinie.
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Sachbereiche
Rz. 130 Teil D
b) Deutschland Die Vorschriften zur Nummerierung i.S. der Adressierung finden sich in §§ 66 dtTKG. Nicht in die Regulierung einbezogen ist die Verwaltung der Domains oberster und nachgeordneter Stufen, die privatwirtschaftlich geregelt wird1.
125
Die Möglichkeiten der Betreiberauswahl und -vorauswahl sind in § 40 dtTKG festgelegt. Im Ortsnetz ist Call-by-call, nach entsprechender Aufforderung durch die EUKommission2, seit April 2003 möglich. Die Carrier Preselection im Ortsnetz steht seit Sommer 2003 zur Verfügung3. Die Verpflichtungen zur Betreiberauswahl und -vorauswahl sollen dem Mobilfunkmarkt solange nicht auferlegt werden, als nachhaltiger Dienstewettbewerb auf dem Mobilfunkendnutzermarkt besteht4.
126
c) Österreich Adressierung und Nummerierung sind in §§ 61 ff. öTKG geregelt. Der Plan für Kommunikationsparameter, die Zuteilung der Kommunikationsparameter, die Bestimmungen über die Nummernportabilität sowie über Betreiberauswahl und -vorauswahl finden sich in der in Ausführung von § 63 öTKG erlassenen Kommunikationsparameter-, Entgelt- und Mehrwertdiensteverordnung 2009 (KEM-V)5 und der Nummernübertragungsverordnung 2012 (NÜV 2012)6.
127
d) Schweiz Die Grundnormen zu den Adressierungselementen finden sich in Art. 28–30 FMG. Die Ausführungsvorschriften sind in der Verordnung über die Adressierungselemente im Fernmeldebereich (AEFV)7 und in der Verordnung über Internet-Domains (VID)8 geregelt.
128
Gemäß Art. 28 Abs. 4 FMG haben alle Anbieter von Fernmeldediensten die freie Wahl der Diensteanbieter für nationale und internationale Verbindungen sicherzustellen (Carrier [Pre]Selection). Gemäß der Verordnung der ComCom (VO ComCom)9 besteht im Festnetz sowohl die Verpflichtung zu Carrier Preselection als auch zu Carrier Selection Call by Call10.
129
e) Liechtenstein Seit dem 5.4.1999 hat das Fürstentum Liechtenstein eine eigene Landeskennzahl (+423) und ist in Bezug auf alle Dienste unter der Empfehlung E.164 aus dem schweizerischen Nummerierungsraum ausgeschieden. Seit diesem Zeitpunkt ist Liechtenstein für seinen Nummerierungsraum selbst verantwortlich11. Auch nach Beendigung des Vertrages vom 9.1.1978 über die Besorgung der Post- und Fernmeldedienste im Fürstentum Liechtenstein durch die schweizerischen Post-, Telefon- und Telegrafen1 2 3 4 5 6 7 8 9
Soweit es die Top-Level-Domain „.de“ betrifft, erfolgt die Verwaltung durch die Denic e.G. Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 669 f. Vgl. Begründung zum Referentenentwurf dtTKG 2003 (Stand 30.4.2003), 20 f. § 40 Abs. 2 dtTKG. BGBl. II 2012/2009, zuletzt novelliert durch BGBl. II 107/2014. BGBl. II 48/2012. V. 6.10.1997, SR 784.104. V. 5.11.2014, SR 784.104.2. Verordnung der Eidgenössischen Kommunikationskommission betreffend das Fernmeldegesetz v. 17.11.1997, SR 784.101.112. 10 Art. 9 Abs. 1 VO ComCom. 11 Vgl. auch Verordnung v. 8.5.2007 über Identifikationsmittel und Frequenzen im Bereich der elektronischen Kommunikation (IFV); LGBl. 2007 Nr. 118.
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130
Teil D Rz. 131
Telekommunikation
betriebe besteht jedoch zwischen der Schweiz und Liechtenstein insb. im Bereich Nummerierung und Frequenzverwaltung eine enge Zusammenarbeit1. 131
Telekommunikationsdienste, die Nummerierungs- oder Adressierungskapazitäten außerhalb des Geltungsbereiches der ITU-T Empfehlung E.164 beanspruchen, werden nach Maßgabe von Art. 29 Abs. 3 KomG in den liechtensteinischen Nummerierungsplan eingeschlossen oder von seinem Geltungsbereich ausgeschlossen2. Werden die betreffenden Nummerierungs- oder Adressierungskapazitäten vom Geltungsbereich ausgeschlossen, bleiben sie Bestandteil des schweizerischen Nummerierungsraumes.
132
Die technischen und administrativen Anforderungen zur freien Betreiberauswahl sind in einer Veröffentlichung des Amtes für Kommunikation festgelegt3. 2. Verwaltung der Adressierungselemente
133
Die Zuteilung der Adressen und die Verwaltung der Nummerierungspläne liegen gemäß Art. 10 der Rahmenrichtlinie in der Kompetenz der unabhängigen NRB. Damit sollen die knappen Nummerierungsressourcen effizient verwaltet werden. Die Zuteilung ist in einem objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Verfahren vorzunehmen. Zentral ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Wettbewerber4.
134
In der Rahmenrichtlinie wird keine neue Zuständigkeit der NRB in Bezug auf die Vergabe von Namen und Adressen im Internet geschaffen5.
135
Entsprechend der europarechtlichen Vorgaben obliegen die Aufgaben der Nummerierung und insb. die Verwaltung der Nummerierungspläne und die Zuteilung der Nummern in Deutschland6 und Österreich7 der NRB. In der Schweiz werden die Adressierungselemente gemäß Art. 28 Abs. 1 FMG vom BAKOM verwaltet. In besonderen Fällen kann das BAKOM die Verwaltung und Zuteilung bestimmter Adressierungselemente Dritten übertragen, was es im Bereich der Internet Domain Namen gemacht hat (vgl. unten Rz. 142). Besteht der Verdacht, dass der Gesuchsteller ein Adressierungselement zu rechtswidrigen Zwecken missbrauchen bzw. der Zuteilung an andere Interessierte entziehen will, kann die Zuteilung verweigert werden8.
136
Die Liechtensteinische Regierung erlässt den Liechtensteinischen Nummerierungsplan9 und ist grundsätzlich für dessen Verwaltung zuständig10. Das BAKOM unter-
1 Vgl. dazu die Vereinbarung zwischen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit in regulatorischen Fragen des Fernmeldebereiches v. 4.3.1999, LGBl. 1999 Nr. 65 v. 26.3.1999. 2 Kundmachung des Liechtensteinischen Nummerierungsplans gemäß ITU-T E.164 v. 3.4.2007, LGBl. 2007 Nr. 69 v. 12.4.2007. 3 Technische und administrative Informationen für die freie Wahl des Diensteerbringers nationaler und internationaler Sprachtelefondienste (Betreiberauswahl – Carrier Selection): http://www.llv.li/files/ak/pdf-llv-ak-betriebsauswahl_carier_selection.pdf. 4 Fischer/Sidler, Fernmelderecht, B Rz. 268. 5 Erwägung 20 der Rahmenrichtlinie. 6 § 66 Abs. 1 dtTKG. 7 § 65 öTKG. 8 Art. 4 Abs. 3 lit. a und abis AEFV. 9 Art. 29 Abs. 3 KomG; vgl. auch Kundmachung v. 3.4.2007 des Liechtensteinischen Nummerierungsplans gemäss ITU-T E.164, LGBl. 2007 Nr. 69. 10 Art. 29 Abs. 2 KomG; siehe auch Art. 4 IFV.
338 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 140 Teil D
stützt und berät die zuständigen liechtensteinischen Behörden bei der Erstellung und der Verwaltung des Liechtensteinischen Nummerierungsplanes1. 3. Nummernportabilität a) Europarechtliche Vorgaben Art. 30 Universaldienstrichtlinie gewährleistet die Nummernportabilität sowohl im Festnetz wie auch im Mobilnetz, jedoch nicht zwischen Fest- und Mobilnetz. Die Portabilität ist nach europäischer Vorgabe möglich sowohl bei Wechsel des Betreibers als auch bei geografisch nicht gebundenen Nummern an jedem Standort. Die Ermöglichung der Nummernportabilität ist im Hinblick auf den Eintritt neuer Anbieter und damit die Garantie funktionierenden Wettbewerbs von grundlegender Bedeutung. Die Kosten und der Zeitaufwand, die durch einen Nummernwechsel entstehen, können Nutzer vom Wechsel des Betreibers abhalten. Während die Betreiberportabilität ein wirksames Mittel der Wettbewerbsöffnung bildet, dient die geografische Portabilität insbesondere der Flexibilität der Kunden.
137
b) Deutschland Bei geografisch gebundenen Rufnummern ist die Portabilität bei einem Wechsel des Betreibers und Verbleiben am selben Standort von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze zu gewährleisten, so dass den Endnutzern eine Rufnummermitnahme ermöglicht werden kann. Bei nicht geographisch gebundenen Rufnummern ist die Portabilität auch bei Wechsel des Standorts zu gewährleisten. Keine Übertragbarkeit besteht zwischen Festnetz- und Mobilnetznummern2.
138
c) Österreich Die Verpflichtung zur Bereitstellung von Nummernportabilität ist in § 23 öTKG sowohl für Festnetz- als auch für Mobilfunknummern normiert. Die Ausgestaltung des Prozesses der Nummernübertragung, insbesondere im Verhältnis zwischen den einzelnen Betreibern, wurde im Rahmen von Zusammenschaltungs- und Marktanalyseentscheidungen der TKK näher definiert3. Die wechselseitig zwischen den Betreibern verrechenbaren Kosten für die Einrichtung der Nummernportierung haben kostenorientiert zu sein. Von portierenden Teilnehmern darf kein abschreckendes Entgelt verlangt werden4. Genauere Regelungen für die Mobilfunkportierung finden sich in der von der RTR erlassenen Nummernübertragungsverordnung 2012 (NÜV)5.
139
d) Schweiz Gemäß Art. 28 Abs. 4 FMG haben die Fernmeldediensteanbieter die Nummernportabilität sicherzustellen. Die gestützt auf die Delegationsnorm erlassene VO ComCom regelt die Einzelheiten der Nummernportabilität. Gewährleistet wird die Nummernportabilität innerhalb bestimmter Kategorien6. Die übertragenden Anbieter dürfen von den aufnehmenden Anbietern lediglich einen Betrag zur Deckung der mit der 1 Vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit in regulatorischen Fragen des Fernmeldebereiches v. 4.3.1999, LGBl. 1999 Nr. 65 v. 26.3.1999. 2 § 46 Abs. 3 und Abs. 4 dtTKG. 3 Siehe zuletzt z.B. Anhang 27 von Bescheid Z1/15-23 der TKK v. 1.6.2015 in Bezug auf die mobile Nummernportierung. 4 § 23 Abs 2 öTKG. 5 BGBl. II 48/2012. 6 Vgl. Art. 3 VO ComCom.
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Teil D Rz. 141
Telekommunikation
Übertragung verbundenen Verwaltungskosten verlangen1. Hinsichtlich der geografischen Nummernportabilität können die Fernmeldedienstanbieterinnen ihren Teilnehmern seit 2007 die Möglichkeit anbieten, bei einer Änderung des Anschlussstandortes die Rufnummer ihres Festnetzanschlusses zu behalten2. e) Liechtenstein 141
Soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist, haben die Betreiber von öffentlichen Kommunikationsnetzen die Nummernportabilität in Übereinstimmung mit dem Liechtensteinischen Nummerierungsplan nach Art. 29 Abs. 3 KomG sicherzustellen3. 4. Länderrechtliche Besonderheiten
142
In der Schweiz gelten auch Internet Domain Namen als Adressierungselemente, die der Regulierung durch das BAKOM unterliegen. Die Verwaltung der Country Code Top Level Domain „.ch“ wurde in den Anfängen des Internet in der Schweiz originär durch die Stiftung Switch (www.switch.ch) vorgenommen. Im Zuge der Regulierung der Adressierungselemente in der AEFV wurde seit 1.4.2002 diese Verwaltung gestützt auf die Delegation gemäß Art. 28 Abs. 2 FMG und Art. 14 ff. AEFV vom BAKOM offiziell an Switch übertragen. Seit dem 1.1.2015 werden die Domain Namen separat in der Verordnung über Internet-Domains (VID) geregelt. Die technische Verwaltung der Domain „.ch“ wird von Switch wahrgenommen, die auch die Registerverwaltung der liechtensteinischen Country Code Top Level Domain „.li“ als Registerbetreiber übernommen hat4. Die eigentliche Vergabe von Domains mit der Endung „.ch“ und „.li“ wird seit dem 1.1.2015 indessen von Privatunternehmen vorgenommen.
V. Infrastruktur 1. Leitungsrechte 143
Ähnlich wie für den gesetzlichen Anspruch auf Interkonnektion gegenüber marktbeherrschenden Anbietern dient das Legalservitut für die Benutzung öffentlichen Grundes im Gemeingebrauch sowohl dem raschen Netzausbau als auch der Garantie eines Wettbewerbs mit den ehemaligen Monopolanbietern5.
144
In Österreich haben Bereitsteller von Kommunikationsnetzen das unentgeltliche Recht auf Nutzung von öffentlichem Gut (mit Ausnahme öffentlicher Gewässer) ohne Entgelt und besondere Bewilligung6. In der Schweiz dagegen ist dafür eine (polizeirechtliche) Bewilligung notwendig, wobei auf die Bewilligung ein Anspruch besteht7. Für die Erteilung der Bewilligung dürfen lediglich kostendeckende Gebühren verlangt werden8. Unter gewissen Voraussetzungen kann die Bewilligung mit einer Koordinationspflicht mit anderen Bauvorhaben versehen werden9. Die Leitungen stehen 1 2 3 4 5
6 7 8 9
Art. 5 VO ComCom. Art. 6 VO ComCom. Art. 16 Abs. 2 lit. b KomG. Vgl. Art. 57 ff. IFV sowie https://www.nic.ch/reg/cm/wcm-page/faqs/register.jsp?lid=de#role. In der Schweiz konnte die ehemalige Monopolistin (die PTT-Betriebe) dieses Recht unter Art. 5 des Elektrizitätsgesetzes v. 24.6.1902 (EleG, SR 734.0) für den Ausbau ihrer eigenen Infrastruktur in Anspruch nehmen. Diese Bestimmung wurde im Zuge der Neuordnung des Fernmelderechts aufgehoben. § 5 Abs. 3 öTKG. Art. 35 FMG. Art. 35 Abs. 4 FMG. Art. 35 Abs. 3 FMG i.V.m. Art. 75 FDV.
340 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 148 Teil D
im Eigentum der Anbieterinnen von Fernmeldediensten, die sie erstellt oder von Dritten erworben haben1. Im Gegensatz zur lediglich kostendeckenden Gebührenerhebung in der Schweiz können in der EU Entgelte für Nutzungs- und Wegerechte in einer Höhe erhoben werden, „die eine optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherstellen“2. Ähnlich der österreichischen sieht die deutsche Regelung die unentgeltliche Benutzung öffentlicher Verkehrswege vor3. Die Benutzung ist abhängig von bestimmten Voraussetzungen, insb. muss die zu errichtende Telekommunikationslinie öffentlichen (im Gegensatz zu ausschließlich privaten) Zwecken dienen, und der Wegebaulastträger muss zustimmen. Bei oberirdischen Linien ist eine Abwägung zwischen städtebaulichen Belangen, dem wirtschaftlichen Interesse des Betreibers und den Interessen des Wegebaulastträgers vorzunehmen4. Ähnliche Auflagen in Bezug auf eine schonende Rechtsausübung und Rücksichtnahme auf betroffene Grundeigentümer enthält auch die österreichische Regelung in § 10 öTKG.
145
In Deutschland und Österreich ist auch die Inanspruchnahme privater Grundstücke für (öffentliche) Telekommunikationsnetze möglich. Gemäß der deutschen Regelung in § 76 dtTKG hat der Grundstückseigentümer die Errichtung, den Betrieb oder die Erneuerung einer Telekommunikationslinie zu dulden, solange das Grundstück einschließlich der Gebäude höchstens unwesentlich beeinträchtigt oder wenn auf dem Grundstück bereits eine Leitung oder Anlage vorhanden ist, die nun auch für die Telekommunikationslinie genutzt werden soll und dadurch die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird. Ergänzend kann der Grundstückseigentümer in diesem Fall unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung in Geld beanspruchen5. Die Regelung in Österreich entspricht im Wesentlichen der deutschen Regelung6, (in der Schweiz muss dafür das Enteignungsverfahren beachtet werden, vgl. Rz. 151).
146
2. Mitbenutzungsrechte Art. 12 Rahmenrichtlinie fördert grundsätzlich die gemeinsame Nutzung von Einrichtungen, die ein Unternehmen gemäß innerstaatlichem Recht auf öffentlichem oder privatem Grundbesitz errichten oder für die es ein Enteignungs- oder Nutzungsrecht in Anspruch nehmen kann.
147
Ob für einen funktionierenden Wettbewerb der Aufbau von eigenen, unabhängigen Infrastrukturen notwendig ist oder ob Gleiches auch durch Mitbenutzungsrechte erreicht werden kann, ist nicht abschließend geklärt. Für den Mobilfunkbereich wird die Frage in der Schweiz regelmäßig bei der Vergabe von Mobilfunkkonzessionen diskutiert und jeweils über die Festlegung von Abdeckungsverpflichtungen in den Konzessionen beantwortet. So wurde es etwa bei der Vergabe der UMTS-Konzessionen mit der vorgegebenen Abdeckungsverpflichtung von lediglich 50 % den Konzessionärinnen überlassen, zusätzliche Abdeckung entweder mit eigener Infrastruktur oder mittels National Roaming zu erreichen. Gleiches gilt sinngemäss für die im Rahmen der Frequenzvergabe vergebenen technologieneutralen Konzessionen im Jahre 2012.
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1 Art. 37 FMG. 2 Art. 13 Genehmigungsrichtlinie. 3 § 68 Abs. 1 dtTKG; die Erhebung von Verwaltungsgebühren ist nicht ausgeschlossen: vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 343. Österreich sieht in § 5 öTKG ebenfalls Unentgeltlichkeit vor. 4 § 68 Abs. 3 dtTKG. 5 § 76 dtTKG. 6 Vgl. §§ 5 Abs. 4 und 5 sowie § 6 öTKG.
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Netzle/Pohle 341
Teil D Rz. 149 149
Telekommunikation
Sowohl die europäischen Vorgaben wie auch die schweizerische und liechtensteinische Rechtsordnung sehen Interkonnektionspflichten für marktbeherrschende Unternehmen vor. Daneben besteht die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung, in gewissen Fällen Fernmeldeanlagen und Standorte von anderen Anbietern mitzubenutzen. Die Voraussetzungen sind in der Regel folgende: Vorliegen eines öffentlichen Interesses (Umwelt- oder Landschaftsschutz, Sicherung des Wettbewerbs) oder technischer Schwierigkeiten, ausreichende Kapazität der Anlage, wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Verpflichteten sowie ein angemessenes Entgelt (gemessen an den Vollkosten der Anlage)1. In Bezug auf leitungsgebundene Anlagen im Erdreich besteht in der Schweiz ein Mitbenutzungsrecht nach Art. 36 Abs. 2 FMG, welches in der Praxis jedoch keine Relevanz hat. In Österreich wiederum sind Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Antennentragmasten oder Starkstromleitungsmasten explizit verpflichtet, deren Mitbenutzung durch Bereitsteller von öffentlichen Kommunikationsnetzen zu gestatten, sofern dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist und die widmungsgemäße Grundstücknutzung dadurch nicht eingeschränkt wird2. Dem Verpflichteten ist ein Entgelt zu leisten, das sich anhand der Kosten für die Errichtung und den Betrieb der Anlage bemisst. In Deutschland bestehen nunmehr neben dem tradierten Mitbenutzungsrecht des § 70 dtTKG umfänglich gesetzlich begründete Mitbenutzungsrechte in Bezug auf Infrastrukturanlagen im Erdreich, soweit die Errichtung weiteren Telekommunikationslinien nicht möglich oder zumutbar sind; dies gilt insbesondere im Hinblick gegenüber Betreibern von Next Generation Networks3.
150
In Liechtenstein haben Betreiber anderen Betreibern auf begründetes Ersuchen hin Zugang zu Ressourcen der Kommunikationsinfrastruktur zu gewähren, sofern die Zugangsgewährung zumutbar ist und die Netzintegrität und -sicherheit gewährleistet bleibt4. Die Zugangsgewährung hat dabei insbesondere durch die gemeinsame Nutzung von Grundeigentum, Durchleitungs- und Wegrechten sowie entsprechenden Einrichtungen, einschließlich der physischen Kollokation derselben, zu erfolgen5. Wird trotz gegebener Voraussetzungen kein Zugang zu den Ressourcen der Kommunikationsinfrastruktur gewährt, ordnet das Amt für Kommunikation auf Antrag oder von Amtes wegen mit Verfügung die Zugangsgewährung an6. 3. Enteignungsrecht
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Die Anbieter für Leitungen auf privatem Grund und Boden sowie auf öffentlichen Grundstücken, die nicht im Gemeingebrauch stehen, sind auf den Abschluss privatrechtlicher Dienstbarkeitsverträge oder auf die Verleihung des Enteignungsrechts (gegen volle Entschädigung) angewiesen. Der Verleih des Enteignungsrechts ist sowohl in der Schweiz wie auch in Österreich möglich7. Es kann beansprucht werden, wenn die Erstellung einer Fernmeldeanlage im öffentlichen Interesse liegt8. Auf ein qualifiziertes öffentliches Interesse dürfte sich regelmäßig die Grundversorgungskonzessionärin berufen können. In der Schweiz wird ein öffentliches Interesse vermutet. In allen Fällen ist jedoch grundsätzlich eine Interessenabwägung vorzunehmen, die bspw. auch Interessen des Landschaftsschutzes berücksichtigt. Gemäß § 13 Abs. 2 öTKG liegt die 1 Vgl. Art. 12 Abs. 2 Rahmenrichtlinie, Art. 12 Zugangsrichtlinie; § 70 dtTKG; § 7 Abs. 1 öTKG; Art. 36 Abs. 2 FMG. 2 § 8 Abs. 2 bis 4 öTKG. 3 §§ 77a ff. dtTKG. 4 Art. 26 Abs. 1 KomG. 5 Art. 26 Abs. 2 KomG. 6 Art. 27 Abs. 1 KomG. 7 Vgl. Art. 36 FMG, § 13 öTKG; Art. 35 TelG. 8 § 13 Abs. 1 öTKG; Art. 36 Abs. 1 FMG.
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Sachbereiche
Rz. 155 Teil D
Errichtung einer Telekommunikationslinie oder einer öffentlichen Sprechstelle durch Bereitsteller eines öffentlichen Kommunikationsnetzes im öffentlichen Interesse. Auch in Liechtenstein kann in begründeten Fällen eine Enteignung in Form der Eigentumsübertragung oder der Einräumung einer Dienstbarkeit, insbesondere eines Durchleitungs- oder Wegrechts, nach dem Gesetz über das Verfahren in Expropriationsfällen stattfinden1. 4. Sendetürme Die elektromagnetischen Strahlen von Mobilfunkanlagen sind Gegenstand verschiedener Auseinandersetzungen und Pièce de résistance bei der Errichtung von Sendetürmen. Die Anforderungen an Sendeanlagen für Mobilfunk sind für die Schweiz in der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung geregelt, welche am 1.2.2000 in Kraft getreten ist2. Zum einen haben diese Sendeanlagen Immissionsund Anlagegrenzwerte und zum anderen bestimmte vorsorgliche Emissionsbegrenzungen einzuhalten. An allen Orten mit empfindlicher Nutzung muss ein Anlagegrenzwert eingehalten sein, der je nach Frequenzbereich zwischen 4.0 und 6.0 V/m beträgt3. Im Hinblick auf den Konflikt von Baubewilligungen für Sendetürme mit Vorschriften des Natur- und Heimatschutzes hat das Bundesamt für Umwelt BAFU eine Reihe von Grundsätzen formuliert. Zentral ist das Anliegen, größtmögliche Rücksicht auf die Landschaft zu nehmen.
152
Auch in Österreich gaben die Grenzwerte für Emissionen von Mobilfunksendetürmen zu reden4. Die Grenzwerte finden sich in der Ö-Norm S 1120. Die Regelung, durch Mitbenutzungsrechte die Errichtung weiterer Masten möglichst einzuschränken, ohne die Entwicklung der Mobiltelefonie zu behindern, wurde bereits erwähnt (vgl. Rz. 147 ff.). Die Mitbenutzung durch Drittanbieter führt in der Regel zu einer Erhöhung der Sendeleistung sowie – damit einhergehend – der Strahlungswerte.
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VI. Wettbewerbsrecht 1. Grundlagen In der Phase des Übergangs vom Monopol zum Wettbewerb versuchte das Telekommunikationsrecht, mit sektorspezifischen wettbewerbsrechtlichen Regeln die Bedingungen für einen wirksamen Wettbewerb im Telekommunikationssektor zu schaffen. In einer nächsten Phase werden nun weniger Maßnahmen zur Marktöffnung als vielmehr ein Rahmen für die Erhaltung und Weiterentwicklung des Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten benötigt. Dies bringt einen Wandel von ausgeprägt sektorspezifischen Regeln hin zum allgemeinen Wettbewerbsrecht mit sich5.
154
2. Europarechtliche Vorgaben Gemäß der Rahmenrichtlinie sind sektorspezifische Maßnahmen von den nationalen Regulierungsbehörden dann zu ergreifen, wenn auf einem Telekommunikationsmarkt kein wirksamer Wettbewerb besteht, d.h. ein oder mehrere Unternehmen über eine be1 Art. 28 KomG. 2 Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710). 3 Ziff. 64 des Anhangs 1 zur NISV. Die liechtensteinische Regelung sieht dieselben Grenzwerte vor: Art. 11 Verordnung v. 21.11.2001 über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung ortsfester Sendeanlagen von Telekommunikationssystemen, LGBl. Nr. 231 v. 29.11.2000. 4 Vgl. Ausführungen bei Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 989; 8. Umsetzungsbericht, S. 43. 5 Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 3 und Rz. 48.
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Netzle/Pohle 343
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Teil D Rz. 156
Telekommunikation
trächtliche Marktmacht verfügen1. Gemäß Art. 14 Abs. 2 Rahmenrichtlinie besitzt ein Unternehmen dann beträchtliche Marktmacht, wenn es entweder allein oder gemeinsam mit anderen Unternehmen eine der Beherrschung gleichkommende Stellung einnimmt, die es ihm gestattet, sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern, Kunden und letztlich Verbrauchern zu verhalten. Zur Bestimmung von Marktmacht wird insofern ein auf qualitativen Kriterien beruhendes System angewandt (im Gegensatz etwa zum früher verfolgten quantitativ ausgelegten Konzept der Marktanteilsschranken2), welches sich stärker am allgemeinen Wettbewerbsrecht orientiert3. 156
Die EU-Kommission beschreibt in den Leitlinien zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht4 die Grundsätze, welche von den nationalen Regulierungsbehörden der Marktanalyse und der Beurteilung der Wirksamkeit des Wettbewerbs zugrunde gelegt werden sollen5. Diese umfassen insbesondere die Methoden zur Marktdefinition (sachlich relevanter Markt/räumlich relevanter Markt) und die Kriterien zur Würdigung beträchtlicher Marktmacht in einem relevanten Markt6. Um eine Übereinstimmung mit der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung und Praxis zu gewährleisten, stützen sich die Leitlinien auf die Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofs (insbesondere was die Marktdefinition und den Begriff der beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 82 EGV7 und Art. 2 der Fusionskontrollverordnung8 betrifft), die „Leitlinien für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im Telekommunikationssektor“9, die „Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft“10 und die „Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich“11.
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Gestützt auf Art. 15 Rahmenrichtlinie sind von der Kommission in einer Empfehlung über relevante Produkt- und Dienstmärkte12 diejenigen Märkte des elektronischen Kommunikationssektors definiert worden, welche für eine bereichspezifische Regelung in Frage kommen. Falls die Nachfrage- und Angebotsstrukturen nach Auffassung der nationalen Regulierungsbehörde die Festlegung anderer relevanter Märkte rechtfertigt, sind diese gemäß dem Konsultations- und Transparenzmechanismus der Art. 6 und 7 der Rahmenrichtlinie zu ermitteln13. 1 Art. 16 Abs. 2 und Abs. 4 Rahmenrichtlinie. 2 Vgl. die Definition der beträchtlichen Marktmacht in der Richtlinie 97/33/EG, ABl. EG Nr. L 199 v. 26.7.1997, S. 32; Richtlinie geändert durch Richtlinie 98/61/EG, ABl. EG Nr. L 268 v. 3.10.1998, S. 37; vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 86. 3 Vgl. Art. 15 Abs. 1 Rahmenrichtlinie; vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 108 und Rz. 110. 4 Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (ABl. EG Nr. C 165 v. 11.7.2002, S. 6). 5 Art. 14 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. 6 Abschnitt 2 und Abschnitt 3 der Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht. 7 Entspricht dem geltenden Art. 102 AEUV. 8 Am 1.5.2004 trat die neue EG-Fusionskontrollverordnung Nr. 139/2004 in Kraft, ABl. EG Nr. L 24 v. 29.1.2004, S. 1. 9 ABl. EG Nr. C 233 v. 6.9.1991, S. 2. 10 ABl. EG Nr. C 372 v. 9.12.1997, S. 5. 11 ABl. EG Nr. C 265 v. 22.8.1998, S. 2. Abschnitt 1 Ziff. 24 der Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht. 12 Empfehlung 2007/879/EG der Kommission v. 17.12.2007 über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors, die aufgrund der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste für eine Vorabregulierung in Betracht kommen (ABl. EG Nr. L 344 v. 28.12.2007, S. 65 ff.). 13 Vgl. Abschnitt 1 Ziff. 18 der Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht; vgl. 19. Erwägungsgrund der Empfehlung 2007/879/EG.
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Sachbereiche
Rz. 161 Teil D
3. Deutschland Die Tätigkeiten der Telekommunikationsunternehmen unterliegen neben den sektorspezifischen Regeln des Telekommunikationsrechts ebenso den Rahmenbedingungen des deutschen und europäischen Wettbewerbsrechts. Das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, insbesondere die in den Art. 101 und 102 EGV festgelegten Grundprinzipien1 und die Fusionskontrollregelung, ist unmittelbar anwendbares Recht. Gemäß § 19 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)2 ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten. Die Vorschrift von § 42 Abs. 1 dtTKG geht deutlich weiter als § 25 dtTKG (Anordnungen der BNA im Rahmen von Zugangsansprüchen) und umfasst jegliches missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit beträchlicher Marktmacht.
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4. Österreich Die sektorspezifische Wettbewerbsregulierung im Kommunikationssektor ist in Österreich im 5. Abschnitt des öTKG (§§ 34 ff.) geregelt.
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Die Regulierungsbehörde (TKK) hat gemäß § 36 des öTKG die der sektorspezifischen Regulierung unterliegenden relevanten Märkte per Bescheid entsprechend den nationalen Gegebenheiten und im Einklang mit den Grundsätzen des allgemeinen Wettbewerbsrechts zu definieren3. Im Rahmen der in der Folge für diese Märkte durchzuführenden Marktanalyse prüft die Regulierungsbehörde, ob auf den der sektorspezifischen Regulierung unterliegenden Märkten Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht („Significant Market Power“ im Sinne der EU-Vorgaben) tätig sind. Ein Unternehmen gilt als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht, wenn es entweder allein oder gemeinsam mit anderen eine wirtschaftlich so starke Stellung einnimmt, die es ihm gestattet, sich in beträchtlichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern, Kunden und letztlich Nutzern zu verhalten4. Stellt die Regulierungsbehörde im (alle 3 Jahre durchzuführenden) Marktanalyseverfahren gemäß § 37 öTKG auf den der ex ante-Regulierung unterliegenden Märkten gemäß § 36 öTKG einen oder mehrere Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht fest, so hat sie dem oder den marktbeherrschenden Betreibern geeignete Verpflichtungen („ex ante-Verpflichtungen“) aufzuerlegen bzw. bestehende Verpflichtungen zu ändern oder beizubehalten. Herrscht auf dem Markt hingegen effektiver Wettbewerb (hat kein Betreiber SMP), hat die Regulierungsbehörde bestehende Vorabverpflichtungen aufzuheben5. Die auferlegten Verpflichtungen müssen der Art des wettbewerblichen Problems entsprechen, angemessen und gerechtfertigt sein6.
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Als Regulierungsinstrumente kommen auf der Ebene wholesale eine Gleichbehandlungsverpflichtung7, eine Transparenzverpflichtung8, die Verpflichtung zur getrennten Buchführung9, die Verpflichtung in Bezug auf den Zugang zu bestimmten Netzeinrich-
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1 Während Art. 101 EGV unzulässige Unternehmenskooperationen zum Inhalt hat, regelt Art. 102 EGV das missbräuchliche Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung. 2 BGBl. I 1998, 2546. 3 Dabei hat die TKK die von der Kommission erlassenen Märkteempfehlung „weitestgehend“ zu berücksichtigen. Bei Abweichungen ist das Koordinationsverfahren mit der Kommission und dem GEREK gemäß § 129 öTKG durchzuführen. 4 § 35 Abs. 1 öTKG; gemäß den EU-Vorgaben entspricht die Definition von Marktmacht somit jener im allgemeinen Kartellrecht. 5 § 37 Abs. 1 öTKG. 6 Art. 8 Zugangsrichtlinie. 7 § 38 öTKG. 8 § 39 öTKG. 9 § 40 öTKG.
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Netzle/Pohle 345
Teil D Rz. 162
Telekommunikation
tungen und deren Nutzung1 sowie die Verpflichtung zur Entgeltkontrolle und Kostenrechnung in Betracht2. Die Regulierungsmaßnahmen auf Retail-Ebene können u.a. die Entgeltkontrolle (Auferlegung von kostenorientierten oder marktüblichen Entgelten), die Nichtdiskriminierung gegenüber Endnutzern und die Unterlassung von Produktbündelungen umfassen3. Parallel zum unmittelbar anwendbaren EG-Wettbewerbsrecht bzw. zur sektorspezifischen Regulierung im öTKG unterliegt der Kommunikationssektor in Österreich auch dem allgemeinen Wettbewerbsrecht und somit dem Kartellgesetz (KartG)4 und dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG)5. Einem marktbeherrschenden Unternehmen ist es bspw. gemäß den §§ 4ff öKartG verboten, seine marktmächtige Position zu Lasten der Konkurrenten missbräuchlich auszunutzen. Sofern sich für die Regulierungsbehörde die Vermutung ergibt, dass ein Sachverhalt dem Kartellgesetz unterliegt, prüft sie diesen Sachverhalt und kann gegebenenfalls einen Abstellungsantrag an das Kartellgericht richten6. 162
Die Zuständigkeit zur Vollziehung des Kartellrechts ist in Österreich im Wesentlichen auf drei Behörden, nämlich die weisungsfreie Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), geleitet durch den Generaldirektor für Wettbewerb, den gegenüber dem Justizminister weisungsgebundenen Bundeskartellanwalt und das Kartellgericht, verteilt. 5. Schweiz
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Komplementär zu den sektorspezifischen fernmelderechtlichen Regelungen kann das Wettbewerbsrecht mit dem Kartellgesetz (KG)7, insbesondere die Bestimmungen über unzulässige Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen gemäß Art. 7 KG, zur Anwendung gelangen. Während Art. 7 Abs. 1 KG in grundsätzlicher Weise fixiert, dass sich marktbeherrschende Unternehmen unzulässig verhalten, wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die Marktgegenseite benachteiligen, formuliert Art. 7 Abs. 2 KG beispielhaft einzelne Tatbestände unzulässiger Verhaltensweisen. Für den Bereich der Telekommunikation steht der Diskriminierungstatbestand gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b KG im Vordergrund8. Die Eingriffsvoraussetzung der Marktbeherrschung wird durch Art. 4 Abs. 2 KG geregelt. Die dort festgelegte Definition ist im Rahmen der spezialgesetzlichen Verpflichtung zur Zugangsgewährung (Art. 11 FMG) heranzuziehen. 6. Liechtenstein
164
Seit dem 1.5.1995 gehört das Fürstentum Liechtenstein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Das Amt für Volkswirtschaft ist die für die Durchführung der Wettbewerbsregeln zuständige liechtensteinische Behörde, soweit nicht die Zuständigkeit der Gerichte gegeben ist9. Sofern und solange kein wirksamer Wettbewerb herrscht, trifft die Regulierungsbehörde Maßnahmen (Sonderregulierung), um die negativen Folgen des Wettbewerbsmangels für Anbieter und Nutzer in den Märkten der 1 2 3 4 5 6 7 8 9
§ 41 öTKG. § 42 öTKG. § 43 öTKG. BGBl. Nr. I 61/2005. BGBl. Nr. 448/1984. § 127 öTKG. Bundesgesetz vom 6.10.1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, SR 251. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1225 f.; Rieder, S. 171 und 174. Art. 2 des Gesetzes v. 23.5.1996 über die Durchführung der Wettbewerbsregeln im Europäischen Wirtschaftsraum (LGBl. 1996 Nr. 113).
346 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 167 Teil D
öffentlichen Kommunikationsnetze und öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste zu beseitigen oder zu vermindern1. Das Amt für Kommunikation notifiziert der EFTA-Überwachungsbehörde die Unternehmen, die der Sonderregulierung unterworfen wurden, sowie die Verpflichtungen, die ihnen im Rahmen der Sonderregulierung auferlegt wurden2. Die betroffenen Unternehmen sind über eine erfolgte Notifizierung zu verständigen3. Mit Verfügung vom 24.8.2010 hat das Amt für Kommunikation festgestellt, dass auf dem Vorleistungsmarkt für den Verbindungsaufbau (Originierung) im öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten kein wirksamer Wettbewerb herrscht bzw. dass die Telecom Liechtenstein AG auf diesem Markt alleine über beträchtliche Marktmacht verfügt und entsprechende Maßnahmen der Sonderregulierung erlassen4.
VII. Zugang und Zusammenschaltung 1. Grundlagen Aufgrund von Startvorteilen (Skalen- und Verbundeffekte) des ehemaligen Monopolisten weist der Telekommunikationsmarkt zu Beginn seiner Öffnung eine asymmetrische Struktur auf. Die neu eintretenden Anbieter verfügen zunächst nicht über ein flächendeckendes Netzwerk. Während sich im überörtlichen Bereich verhältnismäßig rasch eine grobe Netzwerkstruktur (sog. Backbones) erstellen lässt, ist der Aufbau von Ortsnetzen zeitaufwendig, mit hohen Kosten verbunden und häufig ökonomisch ineffizient. Der ehemalige Monopolist verfügt damit – speziell im Lokalbereich – über erhebliche Marktmacht5. Über die Verpflichtung marktmächtiger Netzwerkbetreiber zur Zusammenschaltung bzw. Interkonnektion ihrer Telekommunikationsnetze mit denjenigen von alternativen Anbietern soll ein wirksamer Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten hergestellt werden6.
165
Ein Netzzugang ist zu allen Teilen des Telekommunikationsnetzes einschließlich der Teilnehmeranschlussleitung zu gewähren. Die Teilnehmeranschlussleitung ist derjenige Teil des Telekommunikationsnetzes, welcher den Netzabschlusspunkt beim Kunden mit einer ersten Vermittlungsstelle verbindet. Beim entbündelten Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung können die Konkurrenten die benutzte Teilnehmeranschlussleitung ohne Sender-, Empfänger- und Steuerungseinrichtungen des zum Zugang verpflichteten Netzwerkbetreibers bewirtschaften. Damit besteht für sie die Möglichkeit, die auf der Leitung eingesetzten Übertragungs- und Vermittlungstechnologien selbst zu bestimmen. Der zugangsberechtigte Betreiber ist damit in der Lage, über die Teilnehmeranschlussleitung exklusiv eine Verbindung zum Endkunden herzustellen. Aus der Sicht des Endkunden bedeutet dies eine direkte Zugangsmöglichkeit zu Telekommunikationsdiensten alternativer Anbieter. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom local loop unbundling oder der Entbündelung der „letzten Meile“7.
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2. Europarechtliche Vorgaben Die Gewährleistung des Netzzugangs ist Kernelement der Wettbewerbspolitik auf dem Telekommunikationsmarkt. Die Zugangsrichtlinie hat zum Ziel, die Regulierung des 1 2 3 4
Art. 20 Abs. 1 KomG. Art. 27 Abs. 1 RKV. Art. 27 Abs. 3 RKV. Die entsprechende Verfügung ist abrufbar unter http://www.llv.li/files/ak/pdf-llv-ak-2010 0824_verfuegung_festnetz-originierungsmarkt_m2_esigniert.pdf. 5 Koenig/Vogelsang et al., S. 90 ff.; Bühler, S. 86. 6 Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 532. 7 Heffermann, S. 236.
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Teil D Rz. 168
Telekommunikation
Zugangs zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren1. Da der Begriff Zugang in europarechtlichen Regelungen eine weit gefasste Bedeutung hat, wird er durch die Zugangsrichtlinie zunächst zweckbezogen definiert. Er umfasst die ausschließliche oder nicht ausschließliche Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen, zur Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten, auch bei deren Verwendung zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft oder Rundfunkinhaltsdiensten2. Die Zusammenschaltung, d.h. die zwischen Betreibern öffentlicher Netze hergestellte physische und logische Verbindung, ist ein Sonderfall des Zugangs3. Nicht unter den Begriff „Zugang“ fällt hingegen der Zugang für den Endnutzer4. 168
Die Mitgliedstaaten haben gemäß der Zugangsrichtlinie sicherzustellen, dass die nationalen Regulierungsbehörden befugt sind, Betreibern Verpflichtungen in Bezug auf Zugang und Zusammenschaltung aufzuerlegen5. Betreibern darf namentlich die Verpflichtung auferlegt werden, Dritten Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und/ oder -einrichtungen, einschließlich des entbündelten Zugangs zum Teilnehmeranschluss, zu gewähren6. Die nationalen Regulierungsbehörden können dem Betreiber sodann Verpflichtungen betreffend die Kostendeckung und die Preiskontrolle einschließlich kostenorientierter Preise auferlegen, wenn eine Marktanalyse dies indiziert7. Streitigkeiten zwischen den Unternehmen, die sich aus den durch die Zugangsrichtlinie auferlegten Verpflichtungen ergeben, sind von der Regulierungsbehörde i.d.R. innerhalb von vier Monaten zu entscheiden bzw. beizulegen8. 3. Deutschland a) Entbündelter Netzzugang
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Zur Gewährung von Netzzugang ist verpflichtet, wer als Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes auf einem solchen Markt über beträchtliche Marktmacht verfügt9. „Nachfragegerechte Entbündelung“ heißt, dass der Netzzugang ohne Verknüpfung mit einer Abnahmepflicht anderer Dienstleistungen, d.h. entbündelt, anzubieten ist10. Die gesetzliche Regelung des § 21 dtTKG enthält einen nicht abschließenden Katalog von möglichen zugangsregulierenden Maßnahmen der BNA. In diesem Zusammenhang besteht unter anderem ausdrücklich die Möglichkeit der BNA, Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht zum entbündelten Breitbandzugang, also zur Gewährung von Bitstrom-Zugang zu verpflichten. Auch bestehen detaillierte Regelungen zu möglichen Verpflichtungen im Bereich einheitlicher Rechnungsstellung und Inkasso in § 21 Abs. 2 Nr. 7 dtTKG.
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Ob der Betreiber auf einem Markt über beträchtliche Marktmacht verfügt, bestimmt sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 bis 5 sowie Abs. 3 dtTKG11. Danach gilt ein Unternehmen als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht, wenn es entweder allein oder gemeinsam mit anderen eine der Beherrschung gleichkommende Stellung einnimmt, das heißt eine wirtschaftlich starke Stellung, die es ihm gestattet, sich in beträcht1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Art. 1 Abs. 1 Zugangsrichtlinie. Art. 2 lit. a Zugangsrichtlinie. Art. 2 lit. b Zugangsrichtlinie. Art. 1 Abs. 2 Zugangsrichtlinie. Art. 8 Zugangsrichtlinie. Art. 12 Abs. 1 lit. a Zugangsrichtlinie. Art. 13 Abs. 1 Zugangsrichtlinie. Art. 20 und 21 Rahmenrichtlinie. § 21 Abs. 1 dtTKG. Vgl. Begründung zum Referentenentwurf dtTKG 2003, S. 12 f. § 4 Nr. 4 dtTKG.
348 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 173 Teil D
lichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern und Endnutzern zu verhalten. Bei dieser Festlegung sind die Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht gemäß Art. 15 Abs. 2 Rahmenrichtlinie zu berücksichtigen. Vom Anwendungsbereich der Netzzugangsverpflichtung werden ebenso Unternehmen erfasst, welche mit einem Betreiber ein einheitliches Unternehmen bilden (z.B. abhängiges und herrschendes Unternehmen, Konzernunternehmen)1. b) Zusammenschaltung Die Zusammenschaltung ist ein Unterfall des besonderen Netzzugangs. Sie umfasst die physische und logische Verbindung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen, um Nutzern eines Unternehmens die Kommunikation mit Nutzern desselben oder eines anderen Unternehmens oder die Inanspruchnahme von Diensten eines anderen Unternehmens zu ermöglichen2. Alle Betreiber, nicht nur die marktbeherrschenden, sind verpflichtet, anderen Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze auf Nachfrage hin ein Angebot auf Zusammenschaltung abzugeben3.
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c) Entgelte für die Gewährung von Netzzugang Die BNA hat gemäß § 27 Abs. 2 dtTKG als entgeltregulierenden Ausgangspunkt ausdrücklich darauf zu achten, dass Entgeltregulierungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit aufeinander abgestimmt sind (Konsistenzgebot). Entgelte eines Betreibers eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes, der über beträchtliche Marktmacht verfügt, für Zugangsleistungen nach § 21 dtTKG unterliegen (mit gewissen Ausnahmen) grundsätzlich einer ex-ante-Genehmigungspflicht4. Solche Entgelte dürften die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nicht überschreiten5. Findet eine nachträgliche Genehmigung statt, prüft die BNA lediglich, ob ein missbräuchliches Verhalten des Unternehmens bei der Entgeltvereinbarung vorlag6. Ein Missbrauch wird vermutet, wenn das Entgelt die langfristigen zusätzlichen Kosten der betreffenden Leistung inkl. angemessener Verzinsung nicht deckt, bei Vorliegen einer Preis-Kosten-Schere sowie bei einer sachlich ungerechtfertigten Bündelung7.
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Die ex-ante genehmigungsbedürftigen Entgelte für die Gewährung von Zugangsleistungen dürfen die langfristigen zusätzlichen Kosten der Leistungsbereitstellung zuzüglich eines angemessenen Zuschlags für leistungsmengenneutrale Gemeinkosten und einschließlich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals nicht überschreiten. Darüber hinausgehende Aufwendungen werden nur berücksichtigt, soweit und solange dafür eine rechtliche Verpflichtung besteht oder sie nachweislich sachlich gerechtfertigt sind8. Den Aussagegehalt der vorgelegten Kostenunterlagen kann die BNA zusätzlich durch Vergleichsmarktuntersuchungen und gegebenenfalls auch durch Kostenmodelle überprüfen9.
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1 Vgl. § 3 Nr. 29 dtTKG i.V.m. § 36 Abs. 2 und 37 Abs. 1 und 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen; Roth in Scheurle/Mayen, § 42 TKG Rz. 6 f. 2 § 3 Nr. 34 dtTKG; Lünenbürger in Scheurle/Mayen, § 3 TKG Rz. 92; Piepenbrock in Beck’scher TKG-Kommentar, § 3 TKG Rz. 27 ff. 3 § 16 dtTKG; Geppert/Attendorn in Beck’scher TKG-Kommentar, § 16 TKG Rz. 1. 4 § 30 Abs. 1 dtTKG. 5 § 31 Abs. 1 dtTKG. 6 § 38 i.V.m. § 28 dtTKG. 7 § 28 Abs. 2 dtTKG. 8 § 32 dtTKG. 9 § 35 Abs. 1 dtTKG.
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Netzle/Pohle 349
Teil D Rz. 174
Telekommunikation
4. Österreich 174
Mit dem Regulierungsinstrument des Zugangs können einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht insbesondere die Verpflichtungen auferlegt werden, Zugang zum Netz und entbündelten Teilen desselben zu gewähren1, bestimmte Dienste zu Großhandelsbedingungen zum Zwecke des Vertriebs durch Dritte anzubieten2, Kollokation zu gewähren3, Zugang zu technischen Schnittstellen und Protokollen zu gewähren4, Zugang zu Systemen für die Betriebsunterstützung und Softwaresystemen zu ermöglichen5 sowie Netze oder Netzeinrichtungen zusammenzuschalten6. a) Entbündelter Netzzugang
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Diese für den Wettbewerb auf dem Festnetzsektor zentrale mögliche ex ante-Verpflichtung betrifft den Zugang alternativer Netzbetreiber zu entbündelten Teilnehmeranschlussleitungen jener Festnetzbetreiber, die auf dem betroffenen Markt über beträchtliche Marktmacht verfügen. Die Regulierungsbehörde kann diesen Netzbetreibern in Marktanalyseverfahren eine entsprechende Zugangsverpflichtung auferlegen7. Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung8 verfügt der österreichische Incumbent A1 Telekom Austria AG auf dem Vorleistungsmarkt für den physischen Zugang zu Netzinfrastrukturen über beträchtliche Marktmacht. Zu diesem Markt gehört auch die Bereitstellung von Teilnehmeranschlussleitungen (Fibre-to-the-Home, FTTH), einschließlich Teilabschnitten davon (Teilentbündelung) sowie die Bereitstellung von virtueller Entbündelung. A1 wurde zur Bereitstellung dieser Zugangsleistungen im Bereich Entbündelung und Teilentbündelung, zu den dafür erforderlichen Annex-Leistungen (z.B. Bereitstellung von Kollokation), zu einer Gleichbehandlungsverpflichtung (auch durch Veröffentlichung eines Standardangebots) und zu kostenorientierten Entgelten sowie zur getrennten Buchführung verpflichtet. In einem weiteren Bescheid9 verpflichtete die TKK die A1 auch zur Bereitstellung von breitbandigem Bitstream-Zugang auf Vorleistungsebene gegenüber alternativen Anbietern. Diese Verpflichtung ist aber auf Geschäftskundenprodukte beschränkt (und erstreckt sich somit nicht auch auf den Privatkundenmarkt). b) Zusammenschaltung
176
Vor dem Hintergrund, die Kommunikation der Nutzer verschiedener öffentlicher Kommunikationsnetze untereinander zu ermöglichen (Interoperabilität), hat jeder Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes anderen Betreibern solcher Netze auf Anfrage ein Angebot zur Zusammenschaltung vorzulegen10. Die Zusammenschaltung hat mindestens die Zurverfügungstellung der notwendigen Vermittlungsdaten der jeweiligen Verbindung (oder der Routingdaten im Fall paketorientierter Dienste) an den zusammenschaltenden Betreiber11, die Zustellung der Verbindungen (oder Datenpakete) an den Nutzer des zusammengeschalteten Betreibers12 sowie die Zurver1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
§ 41 Abs. 2 Ziff. 1 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 2 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 6 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 5 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 8 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 9 öTKG. § 41 Abs. 2 Ziff. 1 öTKG. Bescheid der TKK v. 16.12.2013, M 1.1/12-106. TKK 16.12.2013, M 1.2/12-94. § 48 Abs. 1 öTKG. § 49 Abs. 1 Ziff. 1 öTKG. § 49 Abs. 1 Ziff. 2 öTKG.
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Sachbereiche
Rz. 179 Teil D
fügungstellung der für die Verrechnung benötigten Daten in geeigneter Weise an den zusammenschaltenden Betreiber1 zu umfassen. Die Verpflichtung zur Zusammenschaltung gemäß § 48 öTGK besteht unabhängig vom Vorliegen beträchtlicher Marktmacht für jeden Netzbetreiber. Netzbetreibern mit beträchtlicher Marktmacht kann die Regulierungsbehörde aber (im Rahmen von Marktanalyseverfahren) zusätzlich bestimmte ex ante-Verpflichtungen, wie z.B. Kostenorientierung, auferlegen. Wie in der Schweiz gilt auch im österreichischen Zusammenschaltungsregime grundsätzlich ein Vorrang privatrechtlicher Vereinbarung vor regulierungsbehördlicher Anordnung. Nur wenn nach einer Nachfrage nach Zusammenschaltung mindestens 6-wöchige Verhandlungen zwischen den Parteien scheitern, kann jede Partei die Regulierungsbehörde zwecks Erlass einer Anordnung anrufen2. Ziel der Anrufung der Regulierungsbehörde ist der Erlass einer entsprechenden regulierungsbehördlichen Anordnung, die die nicht zustande gekommene Vereinbarung zwischen den Betreibern ersetzt3. In einer Zusammenschaltungsanordnung regelt die Behörde somit sämtliche in einer vertraglichen Einigung erforderlichen Aspekte, wie insbesondere den Umfang der Zusammenschaltungspflicht, die technische und zeitliche Durchführung, sowie die wechselseitig zu verrechnenden Zusammenschaltungsentgelte. c) Zugangsentgelte Die Regulierungsbehörde ist berechtigt, im Rahmen der gemäß §§ 36 ff. öTGK durchzuführenden Marktanalysen kostenorientierte Zugangsentgelte für Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht anzuordnen4.
176a
Auch in Entscheidungen über bilaterale Zusammenschaltungsstreitigkeiten zwischen Netzbetreibern gemäß § 50 öTKG legt die Behörde die wechselseitig zu verrechnenden Entgelte fest. 5. Schweiz Ein zentrales Steuerungselement bei der Öffnung des schweizerischen Fernmeldemarkts ist die Gewährung des Zugangs durch marktbeherrschende Anbieterinnen von Fernmeldediensten. Sie ist in Art. 11 ff. FMG verankert und wird durch die Art. 51–74 FDV5 konkretisiert. Ziel der Zugangsregelung ist eine vollständige Marktöffnung und wirksamer Wettbewerb beim Erbringen von Fernmeldediensten6.
177
a) Zugangsgewährung Marktbeherrschende Anbieterinnen von Fernmeldediensten müssen anderen Anbieterinnen auf transparente und nicht diskriminierende Weise zu kostenorientierten Preisen in den in Art. 11 FMG Abs. 1 lit. a–f aufgeführten Formen Zugang zu ihren Einrichtungen und zu ihren Diensten gewähren.
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Fernmeldedienstanbieter ist, wer Dritten die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen anbietet7. Ob der Fernmeldediensteanbieter marktbeherrschend ist, be-
179
1 2 3 4
§ 49 Abs. 1 Ziff. 3 öTKG. § 50 Abs. 1 öTKG. Sogenannter „vertragsersetzender Bescheid“, siehe § 121 Abs. 3 öTKG. § 42 öTGK. Siehe dazu z.B. die Bescheide der TKK v. 30.9.2013 zu M 1.10/12 und M 1.8/12 zur Festlegung von kostenorientierten Entgelten für die Mobilterminierung bzw Festnetzterminierung. 5 SR 784.101.1. 6 Botschaft FMG, BBl. 1996 III 1410 und 1418 f.; vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. c FMG. 7 Art. 3 lit. b FMG; Fischer, S. 107.
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Netzle/Pohle 351
Teil D Rz. 180
Telekommunikation
urteilt sich nach kartellrechtlichen Grundsätzen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Anwendung von Art. 11 FMG im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht erfolgt1. Als marktbeherrschende Unternehmen gelten nach Art. 4 Abs. 2 des Kartellgesetzes (KG)2 und in Übereinstimmung mit der deutschen und österreichischen Begriffsbestimmung einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten. Um festzustellen, ob sich ein Fernmeldediensteanbieter tatsächlich in wesentlichem Umfang von anderen Marktteilnehmerinnen unabhängig verhalten kann, wird vorab der relevante Markt (z.B. für Breitbanddienste, Transitdienste, Auskunftsdienste etc.) in sachlicher3 und räumlicher4 Hinsicht abgegrenzt. Sodann wird die Marktstellung der Fernmeldediensteanbieter anhand einer Gesamtprüfung der Marktverhältnisse (z.B. Markttests, Prüfung von Zutrittsschranken etc.) beurteilt5. Die marktbeherrschenden Anbieterinnen müssen in folgenden Formen Zugang zu ihren Einrichtungen und zu ihren Diensten gewähren: den vollständig entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss6, während vier Jahren den schnellen Bitstromzugang7, das Verrechnen von Teilnehmeranschlüssen des Festnetzes8, die Interkonnektion9, Mietleitungen10 sowie den Zugang zu den Kabelkanalisationen, sofern diese über eine ausreichende Kapazität verfügen11. 180
Zugangsberechtigt sind alle beim BAKOM registrierten12 Anbieter von Fernmeldediensten. Auch Anbieter internationaler Fernmeldedienste, die von der Schweiz oder vom Ausland aus grenzüberschreitende Verbindungen von und zu Kunden in der Schweiz anbieten, sind zugangsberechtigt13.
181
Im Bereich von Streitigkeiten über den Zugang hat der schweizerische Gesetzgeber dem Verhandlungsprimat zwischen den Fernmeldediensteanbietern den Vorrang gegeben. Das Gesetz sieht vor, dass der marktbeherrschende Fernmeldediensteanbieter und der um Zugang nachsuchende Fernmeldediensteanbieter sich zunächst um eine einvernehmliche Lösung bemühen müssen. Die Parteien sind grundsätzlich selbst verantwortlich, im Rahmen der Vertragsfreiheit die Bedingungen der Zugangsgewährung zu vereinbaren.
182
Falls zwischen den Anbieterinnen von Fernmeldediensten innerhalb dreier Monate keine Einigung zustande kommt, kann bei der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom) ein Gesuch um Erlass einer Verfügung eingereicht werden. Die ComCom verfügt daraufhin die Bedingungen des Zugangs innerhalb von sieben Mona1 Botschaft FMG, BBl. 1996 III, 1427; Weber, Zugang, S. 27 und 38 ff.; Fischer, Regime, S. 109; Rieder, S. 171; Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1278a. 2 Bundesgesetz vom 6.10.1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, SR 251. 3 Der sachliche Markt umfasst alle Waren oder Leistungen, die von der Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden (vgl. Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, SR 251.4; Rieder, S. 173). 4 Der räumliche Markt umfasst das Gebiet, in welchem die Marktgegenseite die den sachlichen Markt umfassenden Waren oder Leistungen nachfragt oder anbietet (vgl. Art. 11 Abs. 3 lit. b der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen; Rieder, S. 173). 5 Weiterführend: Schmidhauser in Homburger/Schmidhauser/Hoffet/Ducrey, Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, Art. 4 N 50 ff.; Rieder, S. 173 m.w.N.; Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1278a ff. 6 Art. 11 Abs. 1 lit. a FMG. 7 Art. 11 Abs. 1 lit. b FMG. 8 Art. 11 Abs. 1 lit. c FMG. 9 Art. 11 Abs. 1 lit. d FMG. 10 Art. 11 Abs. 1 lit. e FMG. 11 Art. 11 Abs. 1 lit. f FMG. 12 Art. 4 FMG. 13 Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1278; Fischer, Regime, S. 108 f.
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Sachbereiche
Rz. 184 Teil D
ten nach Gesuchseingang1 Dabei berücksichtigt sie insbesondere die Bedingungen, die einen wirksamen Wettbewerb fördern, sowie die Auswirkungen ihres Entscheides auf konkurrierende Einrichtungen2. Gemäß Art. 11a FMG handelt das BAKOM als Instruktionsbehörde. Ist die Frage der Marktbeherrschung zu beurteilen, so konsultiert das BAKOM die Wettbewerbskommission (Weko)3. Um den Zugang während des Verfahrens sicherzustellen, kann die ComCom auf Gesuch einer Partei oder von Amtes wegen einstweiligen Rechtsschutz gewähren4. Die Art. 64 ff. FDV regeln das Verfahren zum Abschluss von Zugangsvereinbarungen, Art. 74 FDV dasjenige um Antrag auf Erlass einer Verfügung. Letztere unterliegt der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht5, welches letztinstanzlich entscheidet6.
183
Bestimmungen der Fernmeldegesetzgebung, die das Verfahren eingehender regeln, finden Anwendung, soweit sie den Bestimmungen des VwVG nicht widersprechen7. Inhaltlich hat der rechtskräftige Entscheid rein privatrechtsgestaltenden Charakter8. b) Entbündelter Netzzugang Im Urteil 2A.503/2000 (Commcare)9 befand das Bundesgericht, dass Mietleitungen und Übertragungsmedien nicht dem damaligen Interkonnektionsregime (Zugangsgewährung) unterstehen und die Konkurrenten der Swisscom weder gestützt auf Landesrecht (selbst bei Auslegung unter Bezugnahme auf das Recht der EU) noch in Anwendung der WTO/GATT-Regeln, insb. GATS Anspruch auf Interkonnektion haben. Gleichzeitig wies das Gericht darauf hin, dass es Angelegenheit des Gesetz- und Verordnungsgebers sei, im Text klarzustellen, ob Mietleitungen und der entbündelte Netzzugang neu dem Interkonnektionsregime zu unterstellen seien. Anschließend wies die Kommunikationskommission, gestützt auf die Erwägungen des Bundesgerichts, ein erstes Entbündelungsgesuch für den Teilnehmeranschluss der Swisscom ab10. In der Folge führte der Bundesrat die Entbündelung auf dem Verordnungswege ein. Nach der früheren Verordnungsbestimmung von Art. 43 Abs. 1 lit. a quater und lit. a quinquies aFDV hatte der marktbeherrschende Anbieter im Rahmen seiner Interkonnektionspflicht namentlich den gemeinsamen Zugang zum Teilnehmeranschluss (Shared Line Access) sowie den vollständig entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss (Full Access) zu gewähren; diese beiden Zugangsarten wurden in Art. 1 lit. d und e FDV definiert. Der Bundesrat schlug die Aufnahme der Entbündelung des Teilnehmeranschlusses durch eine entsprechende Anpassung von Art. 3 lit. d quater-sexies und Art. 11 FMG (alte Fassungen) vor11. Gestützt auf die bundesrätliche Verordnung hieß die Kommunikationskommission ein erneutes Gesuch v. 29.7.2003 um gemeinsamen und vollständig entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss der Swisscom gut12. Nach Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Swisscom v. 22.3.2004 mit dem Ziel der 1 Art. 11a Abs. 3 FMG. Es handelt sich dabei um eine Ordnungsfrist, die in der Praxis kaum je eingehalten werden kann. 2 Art. 11a FMG. 3 Art. 11a Abs. 2 FMG. 4 Art. 11a FMG. 5 Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht (SR 173.32), Art. 31 ff. 6 Art. 83 lit. p Ziff. 2 BGG. 7 Art. 4 VwVG. 8 BBl 1996 III 1427; BGE 125 II 613, 619. 9 Nicht publizierter, jedoch auf der Bundesgerichts-Website einsehbarer Entscheid Nr. 2A.503/ 2000, 2A.505/2000 v. 3.10.2001, www.bger.ch. 10 Entscheid v. 5.2.2002; http://www.comcom.admin.ch/themen/00500/00781/index.html? lang=de. 11 Vgl. Botschaft FMG, BBl. 2003, 7951, 7967 ff. und 8007 f. 12 Entscheid v. 19.2.2004; http://www.comcom.admin.ch/themen/00500/00781/index.html? lang=de.
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184
Teil D Rz. 185
Telekommunikation
Aufhebung des Entscheids entschied das befasste Bundesgericht, dass die von der Kommunikationskommission angewandten Verordnungsbestimmungen zur Interkonnektionspflicht beim Teilnehmeranschluss einer gesetzlichen Grundlage entbehren und der Entscheid gegen das Legalitätsprinzip verstoße1. Die Verfügung v. 19.2.2004 wurde aufgehoben und das Entbündelungsgesuch der Beschwerdegegnerin abgewiesen. Das revidierte FMG ist am 1.6.2007 in Kraft getreten. In dessen Art. 11 Abs. 1 lit. a findet sich nun die Verankerung des vollständig entbündelten Zugangs zum Teilnehmeranschluss auf Gesetzesstufe. c) Zugangspreise 185
Der Zugang ist gemäß Art. 11 Abs. 1 FMG nach den Grundsätzen einer transparenten und kostenorientierten Preisgestaltung auf nicht diskriminierende Weise zu gewähren. Der Grundsatz der kostenorientierten Preisgestaltung wird durch Art. 54 ff. FDV konkretisiert. Die Festsetzung der Zugangspreise hat demnach auf den in einem kausalen Zusammenhang mit dem Zugang stehenden Kosten (relevanten Kosten)2, den langfristigen Zusatzkosten der in Anspruch genommenen Netzkomponenten und denjenigen, die ausschließlich durch Zugangsdienstleistungen hervorgerufen werden (LRIC)3, einem konstanten Zuschlag (constant mark up), der auf einem verhältnismäßigen Anteil an den relevanten gemeinsamen Kosten und den Gemeinkosten (joint and common costs) basiert4, sowie einem branchenüblichen Kapitalertrag für die eingesetzten Investitionen zu gründen5. Bei der Berechnung der Kosten ist von einer aktuellen Basis (forward looking) und von Aufwendungen und Investitionen eines effizienten Anbieters auszugehen6. Die Kosten entsprechen den Wiederbeschaffungskosten von modernen, funktionsäquivalenten Anlagen (modern equivalent assets, MEA)7.
186
Das schweizerische Fernmelderecht kennt keine ex-ante Regulierung der Zugangspreise. Die Effizienz der Wirkung der ex-post Regulierung ist allerdings nicht zuletzt auch aufgrund langer Verfahrensdauern umstritten8. 6. Liechtenstein
187
Wie bereits vorne erwähnt, trifft das Amt für Kommunikation Maßnahmen, um die negativen Folgen des Wettbewerbsmangels für Anbieter und Nutzer in den Märkten der öffentlichen Kommunikationsnetze und öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste zu beseitigen oder zu vermindern (Sonderregulierung). Das Amt für Kommunikation kann einem der Sonderregulierung unterworfenem Unternehmen dabei u.a. die Pflicht auferlegen, anderen Betreibern öffentlicher Kommunikationsnetze im erforderlichen Umfang Zusammenschaltung und Zugang zu gewähren, sofern das Unternehmen ein öffentliches Kommunikationsnetz betreibt9. a) Zugang und Interkonnektion
188
Die Begriffe Zugang und Interkonnektion werden durch das KomG umschrieben. Unter einem Zugang versteht man die Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen, unter bestimmten Bedingungen, zur Erbringung 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGE 131 II 13 ff. Art. 54 Abs. 1 FDV. Art. 54 Abs. 2 lit. b FDV. Art. 54 Abs. 2 lit. c FDV. Art. 54 Abs. 2 lit. d FDV. Art. 54 Abs. 2 FDV; Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1299 f. Art. 54 Abs. 2 lit. a. von Zedtwitz, Art. 11 FMG, S. 369. Art. 23 Abs. 1 lit. d KomG.
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Sachbereiche
Rz. 191 Teil D
elektronischer Kommunikationsdienste. Darunter fällt u.a. der Zugang zu Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen, zu physischen Infrastrukturen, zu Softwaresystemen, zu Nummernumsetzung, zu Fest- und Mobilfunknetzen, zu Zugangsberechtigungssystemen für Digitalfernsehdienste sowie zu Diensten für virtuelle Netze1. Falls die öffentlichen Kommunikationsnetze dagegen zusammengeschlossen werden, ist von Interkonnektion (Zusammenschaltung) zu sprechen2. Die Begriffsbestimmungen des KomG werden durch weitere ergänzende Bestimmungen3 ausgeführt. Die drei in Liechtenstein tätigen Mobilfunkbetreiber (Telecom Liechtenstein AG, Swisscom [Schweiz] AG sowie Salt [Liechtenstein] AG) trifft als Zuteilungsinhaber sowohl ein Recht wie auch eine Pflicht zur Zusammenschaltung mit anderen Erbringern von Telekommunikationsdiensten4. Im Falle von Streitigkeiten entscheidet oder verfügt das Amt für Kommunikation. Es kann vom Zuteilungsinhaber insbesondere die Offenlegung von Verträgen oder sonstigen Vereinbarungen mit Dritten, die für die Beurteilung der Streitigkeit dienlich sind, verlangen5. Die Zuteilungsinhaber trifft ebenfalls die Pflicht, alle zumutbaren Anstrengungen und erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um anderen Betreibern von Kommunikationsnetzen und insbesondere von Mobilfunk-Anlagen bei der Einrichtung und beim Betrieb von Standorten gegen für Sendeanlagen oder anderen Einrichtungen die gemeinsame Nutzung dieser Standorte gegen eine angemessene Vergütung zu ermöglichen, sofern und solange eine ausreichende Kapazität zur Verfügung steht und keine überwiegenden technischen oder wirtschaftlichen Gründe oder Bestimmungen über den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung entgegenstehen6. Im Streitfall entscheidet oder verfügt das Amt für Kommunikation über die Zugangsgewährung7.
189
b) Entbündelter Netzzugang Ein besonderer Zugang zu einem Teilnetz umfasst gemäß VKND die Inanspruchnahme eines Zugangs zur öffentlichen Telekommunikationsinfrastruktur über andere Schnittstellen als über den Netzabschlusspunkt8. Zu einem Zugang verpflichtet werden können Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes9. Die Bereitstellung des Zugangs zum Teilnehmeranschluss oder zum Teilnetz des gemeldeten Betreibers für einen Begünstigten in der Weise, dass die Nutzung des gesamten Frequenzspektrums der Doppelader-Metallleitung ermöglicht wird, stellt einen vollständig entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss dar10.
190
Mit Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses vom 30.3.200111 ist die EG-Verordnung Nr. 2887/200012 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss am 1.10.2001 auch im Fürstentum Liechtenstein in Kraft getreten.
191
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Art. 3 Abs. 1 Ziff. 26 KomG; vgl. auch Art. 47 VKND. Art. 3 Abs. 1 Ziff. 27 KomG; siehe auch Art. 44 Abs. 1 VKND. Art. 37 ff. VKND bzw. Art. 44 VKND. Art. 12 Nutzungsbedingungen (Beilage 1 zur Frequenzzuteilungsverfügung v. 30.1.2015); siehe auch Art. 44 Abs. 1 VKND. Art. 12 Nutzungsbedingungen (Beilage 1 zur Frequenzzuteilungsverfügung v. 30.1.2015). Art. 21 Abs. 1 Nutzungsbedingungen (Beilage 1 zur Frequenzzuteilungsverfügung v. 30.1. 2015). Art. 21 Abs. 3 Nutzungsbedingungen (Beilage 1 zur Frequenzzuteilungsverfügung v. 30.1. 2015). Art. 2 Abs. 1 lit. e VKND, Art. 37 Abs. 1 lit. a VKND. Art. 26 KomG. Art. 2 Abs. 1 lit. f VKND. LGBl. 2001 Nr. 157. ABl. EG Nr. L 336 v. 30.12.2000, S. 4 f.
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Netzle/Pohle 355
Teil D Rz. 192
Telekommunikation
c) Entgelte 192
Von Gesetzes wegen besteht eine Gleichbehandlungsverpflichtung in Bezug auf die Zusammenschaltung und den Zugang, welche das Amt für Kommunikation den verpflichteten Unternehmen auferlegen kann1. Gleichbehandlungsverpflichtungen haben insbesondere sicherzustellen, dass das verpflichtete Unternehmen anderen Unternehmen, die gleichartige Dienste erbringen, unter den gleichen Umständen gleichwertige Bedingungen anbietet und Dienste und Informationen für Dritte zu den gleichen Bedingungen und mit der gleichen Qualität bereitstellt wie für seine eigenen Dienste oder Dienste verbundener Unternehmen2. Die Regulierungsbehörde kann von einem der Sonderregulierung unterworfenen Unternehmen die Veröffentlichung eines Standardangebots verlangen. Das Unternehmen hat im Standardangebot hinreichend detaillierte Teilleistungen anzubieten, die betreffenden Diensteangebote dem Marktbedarf entsprechend in einzelne Komponenten aufzuschlüsseln und die entsprechenden Bedingungen einschließlich der Entgelte anzugeben3. Die Standardzusammenschaltungsangebote und Zusammenschaltungsvereinbarungen sind dem Amt für Kommunikation zu übermitteln4. Aktuell existieren Preislisten zur Zusammenschaltungsvereinbarung der Telecom Liechtenstein AG, die vom Amt für Kommunikation genehmigt worden sind5. Auch gibt es eine Preisliste für den Vorleistungsmarkt6.
VIII. Sicherheit und Datenschutz 1. Anwendbares Recht a) Europarechtliche Vorgaben 193
Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation verwendet eine technologieneutrale Formulierung7. Die Datenschutzrichtlinie ist eine Ergänzung zur Richtlinie 95/46/EG vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr8 betreffend allgemeiner Aspekte des Datenschutzes.
194
Ziel der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation ist es, zwischen den technischen Möglichkeiten der Datenauswertung und dem Konsumenten- bzw. Datenschutz einen Ausgleich zu treffen. So können beispielsweise gewisse Identifizierungsdienste (bspw. Standortidentifikation zur Navigationshilfe) äußerst nützlich sein. Auf der anderen Seite besteht das schutzwürdige Interesse des Kunden, dass diese Informationen nicht offen gelegt werden9.
195
Eine Einschränkung der Bestimmungen der Datenschutzrichtlinie ist gemäß Art. 15 vor allem im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Landesverteidigung sowie zur Strafverfolgung möglich. 1 2 3 4 5 6 7
Art. 34 Abs. 1 VKND. Art. 34 Abs. 2 VKND. Art. 34 Abs. 3 VKND. Art. 44 Abs. 2 VKND. http://www.telecom.li/content/1/public/Downloads/Wholesale/RIO_Preisliste.pdf. http://www.llv.li/files/ak/pdf-llv-ak-71m__4__interkonnektion_preisliste_vorleistungsmarkt.pdf. Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 144; vgl. auch Erwägung 4 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 8 ABl. EG Nr. L 281 v. 23.11.1995, S. 31–50; geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.9.2003, ABl. EG Nr. L 284 v. 31.10.2003, S. 1 ff. 9 Vgl. Erwägung 35 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation; Geppert/Ruhle/ Schuster, Rz. 145.
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Sachbereiche
Rz. 200 Teil D
b) Deutschland Die Wahrung des grundrechtlich geschützten und gewährleisteten Fernmeldegeheimnisses ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 dtTKG ein Ziel der Telekommunikationsregulierung. Das Fernmeldegeheimnis ist in § 88 dtTKG geregelt und umfasst den Inhalt (die verarbeitete Nachricht) sowie die näheren Umstände (Verbindungsdaten: wer mit wem, wann, wo, wie lange etc. kommuniziert) der erfolgten und erfolglosen Verbindungen1. Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet sind alle Diensteanbieter i.S.d. § 3 Nr. 6 dtTKG. Den Verpflichteten ist es untersagt, sich oder anderen Kenntnis über den Inhalt oder die näheren Umstände der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen solche Kenntnis lediglich so benutzen, als es für die geschäftsmäßige, mithin gemäß § 3 Nr. 10 dtTKG nicht notwendig gewerbliche Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderlich ist. Ferner ist eine Verwendung von Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterstehen, nur zulässig, wenn dies in einem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (z.B. Überwachung durch Strafverfolgungsbehörden) oder wenn der Betroffene eingewilligt hat. Die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden werden somit nicht eingeschränkt.
196
§ 89 dtTKG ergänzt den Schutz des Fernmeldegeheimnisses um ein Abhörverbot und eine Geheimhaltungspflicht der Betreiber von Empfangsanlagen, die nicht schon unter die Verpflichtung von § 88 dtTKG fallen. Die Verletzung des Abhörverbots oder der Geheimhaltungspflicht ist gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 1 dtTKG mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bedroht.
197
Die Überwachung der Telekommunikation durch gesetzlich vorgesehene Stellen ist (vorderhand noch) geregelt in der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV)2. Mit der Umsetzung der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation wurden die Vorschriften der Telekommunikations-Datenschutzverordnung (TDSV) in §§ 91 ff. dtTKG überführt. Sofern und soweit die sektorspezifischen Regelungen des Telekommunikationsdatenschutzes keine abschließende Regelung treffen, sind auch die allgemeinen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes anwendbar.
198
c) Österreich Die zentralen Bestimmungen zum Kommunikationsgeheimnis und Datenschutz finden sich in den §§ 92 ff. öTKG. § 92 Abs. 1 und 2 öTKG erklären die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes3 für anwendbar, sofern im öTKG nicht davon abgewichen wird, und verweisen zudem auf die Strafprozessordnung.
199
Die Definition des Kommunikationsgeheimnisses in § 93 Abs. 1 öTKG entspricht im Wesentlichen der deutschen Begriffsbestimmung. Dem Kommunikationsgeheimnis unterliegen die Inhaltsdaten, die Verkehrsdaten und die Standortdaten. Es erstreckt sich auch auf die Daten erfolgloser Verbindungsversuche. Verpflichtet zur Wahrung des Kommunikationsgeheimnisses sind die Betreiber sowie alle Personen, die an dessen Tätigkeit mitwirken. Wie in der deutschen Regelung ordnet § 93 Abs. 3 und 4 öTKG ein Abhörverbot und eine Geheimhaltungspflicht an. Das Mit- oder Abhören, Aufzeichnen, Abfangen oder Überwachen sowie die Weitergabe von Information durch andere Personen als einen Benutzer ohne Einwilligung aller beteiligten Benutzer ist
200
1 Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 741 f. 2 Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation v. 22.1.2002, BGBl. I 458; vgl. § 110 Abs. 2 i.V.m. § 150 Abs. 10 dtTKG. 3 Bundesgesetz über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz 2000, DSG 2000), BGBl. I, Nr. 165/1999.
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Netzle/Pohle 357
Teil D Rz. 201
Telekommunikation
– mit Ausnahme von Notrufen, Fangschaltung und technischer Zwischenspeicherung – unzulässig. 201
Alle Betreiber sind (ohne Anspruch auf Kostenersatz) verpflichtet, die erforderlichen Einrichtungen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß der Strafprozessordnung bereitzustellen und an der Überwachung gegen Kostenersatz mitzuwirken1. In der Überwachungsverordnung (ÜVO)2 sind die Einzelheiten geregelt. Insbesondere wurde in der ÜVO die Verpflichtung zur Bereitstellung der Überwachungseinrichtungen auf jene Betreiber beschränkt, die einen anzeigepflichtigen Dienst nach § 15 öTKG erbringen und in dessen Netz physikalische Teilnehmeranschlüsse vorhanden sind3. d) Schweiz
202
Die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses wird durch Art. 43 ff. FMG und Art. 80 FDV garantiert. Von Relevanz sind weiter die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes (DSG)4.
203
Im Gegensatz zu den Regelungen in Deutschland und Österreich enthält das FMG keine eigene Definition des Fernmeldegeheimnisses. Nach Praxis und Lehre umfassen die vom Fernmeldegeheimnis geschützten Informationen sowohl den Inhalt der Kommunikation wie auch deren sog. Rand- oder Zusatzdaten (wer, wann, wo, mit wem kommuniziert hat etc.)5. Die Fernmeldediensteanbieter müssen ihre Teilnehmer über die Abhör- und Eingriffsrisiken, welche die Benutzung ihrer Dienste mit sich bringt, informieren und geeignete Hilfsmittel zur Beseitigung dieser Risiken anbieten oder benennen6.
204
Fragen im Bereich des Persönlichkeitsschutzes, wie die Speicherung und Bearbeitung von Verkehrs- und Rechnungsdaten oder die Rufnummeranzeige und -unterdrückung sind gemäß der Delegationsnorm in Art. 46 FMG auf Verordnungsstufe (FDV) geregelt.
205
Das Bundesgesetz vom 6.10.2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)7 und die zugehörige Verordnung (VÜPF)8 normieren die Überwachung des Fernmeldeverkehrs in organisatorischer Hinsicht. Dieses Gesetz findet auf die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs im Zusammenhang mit Strafverfahren der Kantone und des Bundes, mit dem Vollzug von Rechtshilfeersuchen und im Rahmen der Suche und Rettung vermisster Personen Anwendung. Es gilt für alle staatlichen, konzessionierten und meldepflichtigen Anbieter von Post- und Fernmeldedienstleistungen sowie für Internetanbieter9. Diese haben die notwendige Infrastruktur (entschädigungslos) bereitzustellen. Die Aufwendungen für die einzelnen Überwachungsmaßnahmen werden gemäß Art. 16 Abs. 1 BÜPF angemessen entschädigt.
206
Wer nicht in Ausübung gesetzlicher Befugnis gemäß BÜPF ein nicht öffentliches Gespräch ohne Einwilligung aller daran Beteiligter aufnimmt, macht sich strafbar 1 § 94 Abs. 1 und 2 öTKG. 2 Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie über die Überwachung des Fernmeldeverkehrs, BGBl. II, Nr. 418/2001. 3 § 2 Ziff. 1 ÜVO; vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 1192. 4 Bundesgesetz v. 19.6.1992 über den Datenschutz, SR 235.1. 5 BGE 126 I 50 E. 5; Botschaft FMG, BBl. 1996 III 1441; Gasser, S. 18. Wie in den europäischen Nachbarländern fällt auch in der Schweiz der E-Mail-Verkehr unter den Schutz des Fernmeldegeheimnisses. 6 Art. 87 FDV. 7 SR 780.1. 8 Verordnung v. 31.10.2001 über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF), SR 780.11. 9 Art. 1 Abs. 1 und 2 BÜPF.
358 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 209 Teil D
(Art. 179bis ff. StGB1). Zwei gewichtige Ausnahmen bestehen jedoch für Aufnahmen durch einen Gesprächsteilnehmer oder Abonnenten von Fernmeldegesprächen mit Hilfs-, Rettungs- und Sicherheitsdiensten sowie insb. auch im Geschäftsverkehr, wenn diese Gespräche Bestellungen, Aufträge oder ähnliche Geschäftsvorfälle zum Inhalt haben (Art. 179quinquies Abs. 1 StGB). e) Liechtenstein Die Anbieter öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste haben angemessene technische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um die schutzwürdigen Interessen der Endnutzer sicherzustellen, insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes und der Steuerung der Ausgaben2. Weitere Bestimmungen zum Datenschutz finden sich in Art. 49 KomG. Subsidiär anwendbar ist das Datenschutzgesetz (DSG) vom 14.3.20023 sowie die Verordnung vom 9.7.2002 zum Datenschutzgesetz (DSV)4. Das Kommunikationsgeheimnis wird durch Art. 48 KomG garantiert.
207
2. Kundendaten a) Europarechtliche Vorgaben Der Betreiber eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes hat für die Sicherheit seiner Dienste und des Netzes zu sorgen, allenfalls zusammen mit dem Netzbetreiber, und muss unter Berücksichtigung der Kosten und des Standes der Technik ein Sicherheitsniveau gewährleisten, „das angesichts des bestehenden Risikos angemessen ist.“5 Die mit öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten sowie die damit verbundenen Verkehrsdaten sind vertraulich6.
208
Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation unterscheidet zwischen Verkehrs- und Standortdaten. Verkehrsdaten sind „Daten, die in einem elektronischen Kommunikationsnetz oder von einem elektronischen Kommunikationsdienst verarbeitet werden und die den geografischen Standort des Endgeräts eines Nutzers eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes angeben“7 Standortdaten sind „Daten, die in einem elektronischen Kommunikationsnetz oder von einem elektronischen Kommunikationsdienst verarbeitet werden und die den geografischen Standort des Endgeräts eines Nutzers eines öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienstes angeben“ und damit zur Lokalisation beitragen8. Daten sollen nur dann bearbeitet werden, wenn ein Zusatznutzen besteht und der Kunde einer Auswertung zugestimmt hat9. Ansonsten sind Verkehrsdaten nach Beendigung der Übertragung (bzw. nachdem eine Rechnung nicht mehr angefochten oder ein Zahlungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann10) zu löschen oder zu anonymisieren11.
209
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Schweizerisches Strafgesetzbuch v. 21.12.1937, SR 311.0. Art. 19 Abs. 1 lit. c KomG. LGBl. 2002 Nr. 55. LGBl. 2002 Nr. 102; Art. 49 Abs. 1 KomG. Art. 4 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Vgl. auch Erw. 21 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Art. 2 lit. b Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Vgl. auch Rz. 25. Art. 2 lit. c Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Vgl. Art. 6 Abs. 3, Art. 9 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Diese Frist ist je nach Mitgliedstaat verschieden lang. Art. 6 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation.
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Netzle/Pohle 359
Teil D Rz. 210 210
Telekommunikation
Neben den Möglichkeiten der Rufnummernanzeige und -unterdrückung1 ist in der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation auch die Aufnahme von Daten in Teilnehmerverzeichnisse geregelt. Die Teilnehmer sind vor ihrer Eintragung über den Zweck und die Nutzungsmöglichkeiten der Teilnehmerverzeichnisse zu informieren und haben die Wahl, ob sie sich eintragen lassen wollen und gegebenenfalls mit welchen Daten2. In der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation wurde somit die „opting-in“-Lösung3 realisiert und es damit dem einzelnen Teilnehmer überlassen, sich aktiv für einen Eintrag sowie dessen Umfang zu entscheiden. Die Vorschriften der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation gelten gemäß Art. 16 nicht für Verzeichnisse, die schon vor Umsetzung der Richtlinie bestanden. b) Deutschland
211
Alle Unternehmen, die geschäftsmäßig, also nicht notwendig gewerblich, § 3 Nr. 10 dtTKG, Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, sind zum Schutz personenbezogener Daten bei der Erhebung und Verwendung verpflichtet4.
212
Bestandsdaten, d.h. personenbezogene Daten, die zur Begründung, inhaltlichen Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses erhoben werden5, dürfen nur soweit erhoben und verwendet werden, als dies zur Erfüllung des Vertrages mit dem Betroffenen bzw. mit einem anderen Diensteanbieter erforderlich ist. Für Werbezwecke dürfen solche Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen bzw., soweit es Rufnummer und (elektronische) Postadresse betrifft, solange genutzt werden, als der Betroffene nicht widersprochen hat (Opt-Out). Spätestens ein Jahr nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sind die Bestandsdaten zu löschen6.
213
Verkehrsdaten, d.h. Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden7, sind grundsätzlich nach Beendigung der Verbindung zu löschen, sofern sie nicht zum Aufbau weiterer Verbindungen oder für andere, gesetzlich in § 96 dtTKG bzw. anderer Vorschriften ausdrücklich erlaubte Zwecke erforderlich sind. Die für die Entgeltberechnung erforderlichen Daten sind deshalb unverzüglich zu ermitteln8 und nicht erforderliche Daten sofort zu löschen. Nach spätestens sechs Monaten bzw. nach der abschließenden Klärung von Einwendungen des Kunden gegen die Rechnung sind diese Daten zu löschen9. Mit Einwilligung des Kunden dürfen die Verkehrsdaten auch zu Werbezwecken, zur bedarfsgerechten Gestaltung von Telekommunikationsdiensten bzw. zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen verwendet werden, d.h. für Dienste, welche die Erhebung und Verwendung von Verkehrsdaten oder Standortdaten über das Maß hinaus erfordert, welches für die Übermittlung einer Nachricht oder die Entgeltabrechnung erforderlich ist10.
214
Standortdaten, d.h. Daten, die in einem Telekommunikationsnetz erhoben oder verwendet werden und die den Standort des Endgeräts eines Endnutzers eines öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstes angeben11, dürfen grundsätzlich zur Be1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Art. 8 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Art. 12 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Vgl. Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 147. § 91 Abs. 1 dtTKG. § 3 Nr. 3 dtTKG. § 95 dtTKG. § 3 Nr. 30 dtTKG. § 97 dtTKG. § 97 Abs. 3 dtTKG. § 88 Abs. 3 i.V.m. § 3 Nr. 5 dtTKG. § 3 Nr. 19 dtTKG.
360 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 219 Teil D
reitstellung von Diensten mit Zusatznutzen verarbeitet werden, wenn sie anonymisiert worden sind oder der Teilnehmer vorher eingewilligt hat1. Entsprechend der Opt-In-Lösung der europäischen Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation ist die Aufnahme von Daten eines Teilnehmers in ein öffentlich zugängliches Teilnehmerverzeichnis nur zulässig, wenn diese beantragt und etwaige Mitbenutzer ihre Einwilligung dazu gegeben haben2. Die Möglichkeiten der Rufnummeranzeige und -unterdrückung sind in § 102 dtTKG entsprechend der europäischen Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation geregelt.
215
c) Österreich Im österreichischen TKG wird unterschieden zwischen Stammdaten, Verkehrsdaten, Standortdaten und Inhaltsdaten. Die Schutzhöhe ist je nach Art der Daten verschieden. Stammdaten sind Daten, die für das Vertragsverhältnis mit dem Teilnehmer benötigt werden. Sie müssen grundsätzlich nach Beendigung der Rechtsbeziehungen gelöscht werden3. Der strengste Schutz gilt den Inhaltsdaten. Sie dürfen grundsätzlich (unter Vorbehalt einer technisch notwendigen Zwischenspeicherung) nicht aufgezeichnet werden. Hingegen ist es erlaubt, Verkehrsdaten insbesondere zur Entgeltverrechnung zu speichern und zu verwenden. Der Betreiber ist verpflichtet, diese Daten bis zum Ablauf jener Frist aufgezeichnet zu lassen, innerhalb derer die Rechnung angefochten werden kann. Andere Standortdaten dürfen nur bearbeitet werden, wenn sie anonymisiert wurden oder der Teilnehmer seine (jederzeit widerrufbare) Einwilligung dazu gegeben hat4. Im Einzelverbindungsnachweis, der die Regel darstellt, sind die passiven Teilnehmernummern nach Möglichkeit in verkürzter Form auszuweisen5. Alle Daten dürfen ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen nur soweit übermittelt werden, als dies für die Erbringung des Kommunikationsdienstes erforderlich ist, für den die Daten ermittelt und verarbeitet wurden. Die Verwendung der Daten zum Zweck der Vermarktung von Kommunikationsdiensten und andere Übermittlungen dürfen nur aufgrund einer jederzeit widerrufbaren Zustimmung der Betroffenen erfolgen, wobei die Anbieter die Bereitstellung ihrer Dienste nicht von einer solchen Zustimmung abhängig machen dürfen6.
216
Die Regelung der Rufnummeranzeige und -unterdrückung in § 104 öTKG entspricht derjenigen in der europäischen Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Im Gegensatz zu Deutschland kann sich jedoch gemäß der Regelung in § 69 Abs. 5 öTKG ein Teilnehmer nicht für die Aufnahme und dessen Umfang in ein Teilnehmerverzeichnis entscheiden, sondern hat seinen Willen gegen einen solchen Eintrag kundzutun (sog. opting-out-Lösung).
217
d) Schweiz Wer mit fernmeldedienstlichen Aufgaben betraut ist oder betraut war, darf Dritten keine Angaben über den Fernmeldeverkehr von Teilnehmerinnen und Teilnehmern machen und niemandem Gelegenheit geben, solche Angaben weiterzugeben7.
218
Art. 80 der Fernmeldediensteverordnung (FDV) unterscheidet zwischen Verkehrs- und Rechnungsdaten. Daneben sind auch weitere Randdaten wie der Standort des Benut-
219
1 2 3 4 5 6 7
§ 98 Abs. 1 dtTKG. § 104 dtTKG. §§ 92 Abs. 3 und 97 öTKG. Vgl. zu allem: §§ 99, 101 und 102 öTKG. § 100 Abs. 3 öTKG. § 96 Abs. 2 öTKG. Art. 43 FMG; vgl. Botschaft, BBl. 1996 III 1441.
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Netzle/Pohle 361
Teil D Rz. 220
Telekommunikation
zers datenschutzrechtlich relevant1. Eine Bearbeitung (insbesondere Speicherung) der persönlichen Daten der Teilnehmer ist nur soweit zulässig, als dies für die Rechnungsstellung und für die Auskunftserteilung gemäß BÜPF (Aufbewahrungsfrist: sechs Monate) notwendig ist2. Solange die Möglichkeit der Anfechtung der Rechnung besteht, können die Teilnehmer einen Einzelverbindungsnachweis (jeweils ohne die letzten vier Ziffern des Anrufers) verlangen3. 220
Die Möglichkeiten zur unentgeltlichen Rufnummernanzeige und -unterdrückung sind in Art. 84 f. FDV geregelt und entsprechen im Wesentlichen denjenigen der Nachbarländer.
221
Die Verzeichnisse der Kunden von Fernmeldediensten können veröffentlicht werden. Den Kunden steht es frei, sich in diese Verzeichnisse eintragen zu lassen. Der Mindestinhalt wird durch den Bundesrat bestimmt4. Die Teilnehmer sind überdies berechtigt, im Verzeichnis einen klaren Hinweis darauf zu verlangen, dass sie keine Werbemitteilungen wünschen und dass ihre Daten für Zwecke der Direktwerbung nicht weitergegeben werden dürfen5. e) Liechtenstein
222
Die Bearbeitung von Verkehrs-6, Standort-7, Inhalts-8 oder Teilnehmerdaten9 durch einen Anbieter ist nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß und in vom Gesetz speziell geregelten Fällen zulässig10. Solch aufgezeichnete oder gespeicherte Daten sind sofort zu löschen oder zu anonymisieren, sobald sie für die entsprechenden Zwecke nicht mehr unbedingt benötigt werden11. Sodann ist jeder Anbieter verpflichtet, seine Teilnehmer bzw. Nutzer in geeigneter Form ausreichend darüber zu informieren, welche Daten er bearbeiten wird, auf welcher Rechtsgrundlage und für welche Zwecke dies erfolgt, für wie lange die Daten aufgezeichnet oder gespeichert und für welche Nutzungsmöglichkeiten sie allenfalls zugänglich gemacht werden12.
223
Die Betreiber von öffentlichen Kommunikationsnetzen müssen den Nutzern auch die Möglichkeit einräumen, bei Anrufen die Rufnummeranzeige des Anrufenden und des Angerufenen zu unterdrücken13. Die Ersteller eines Teilnehmerverzeichnisses haben überdies sicherzustellen, dass jedem Teilnehmer die unentgeltliche Möglichkeit eingeräumt wird, die Aufnahme in das Verzeichnis schriftlich abzulehnen14. 3. Werbung mit E-Mails a) Europarechtliche Vorgaben
224
E-Mail-Werbung berührt neben lauterkeits-, persönlichkeits- und allenfalls besitzrechtlichen Aspekten (bei Sachherrschaft über die Mailbox) insbesondere auch den Datenschutz. Die Telekommunikationsgesetzgebungen enthalten daher regelmäßig auch Bestimmungen über die Verwendung von Daten zu Werbezwecken. Es stellen sich da1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Gasser, S. 20. Art. 15 Abs. 3 BÜPF. Art. 81 Abs. 1 FDV. Art. 12d FMG; Art. 11 FDV. Art. 88 FDV. Vgl. zur Definition von Verkehrsdaten Art. 3 Abs. 1 Ziff. 46 KomG. Vgl. zur Definition von Standortdaten Art. 3 Abs. 1 Ziff. 47 KomG. Vgl. zur Definition von Inhaltsdaten Art. 3 Abs. 1 Ziff. 49 KomG. Vgl. zur Definition von Teilnehmerdaten Art. 3 Abs. 1 Ziff. 48 KomG. Art. 49 Abs. 2 KomG. Art. 49 Abs. 3 KomG. Art. 49 Abs. 4 KomG. Art. 16 Abs. 1 lit. d KomG. Art. 10 Abs. 3 lit. a KomG.
362 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 227 Teil D
bei grundsätzlich dieselben Fragen wie bei der Briefkastenwerbung und der unverlangten Werbung per Telefon oder Telefax oder mittels SMS. Nachdem die unerwünschte Werbung per E-Mail (Spam) wohl bereits ihren Zenit überschritten hat, liegt heute der Schwerpunkt des Direktmarketings über das Internet beim permission marketing. Dieses besteht darin, mit den Konsumenten auf der Basis der Freiwilligkeit zu kommunizieren und dabei ihr Interesse zu wecken und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Je stärker das Vertrauen wird und je mehr der Verbraucher durch auf ihn zugeschnittene Produkte bzw. Werbung und eingehaltene Versprechen befriedigt wird, desto mehr wird der Verbraucher über sich preisgeben (incentive marketing)1. Im Gegensatz zum Spamming, das allenfalls – wenn überhaupt – eine opting-out-Möglichkeit bot, beruht das permission marketing auf einer opting-in-Lösung. Das E-Mail-Marketing auf der Grundlage der Freiwilligkeit und des vorherigen Einverständnisses des Verbrauchers und unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ist zwar technisch und finanziell anspruchsvoller, wird aber in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Bereits verbreitet ist das double-opting-in, bei dem der Benutzer in einer ersten opting-inHandlung eine Information (z.B. einen Newsletter) anfordert und unverzüglich darauf eine Bestätigungsaufforderung erhält. Damit wird sichergestellt, dass das opting-in von der betroffenen Person selbst vorgenommen worden ist. Erst wenn der Verbraucher das Bestätigungs-E-Mail retourniert, wird er die angeforderten Informationen erhalten.
225
Bei der opting-out-Variante müssen die betroffenen Verbraucher ihren Wunsch, Werbe-E-Mails nur nach vorheriger Einwilligung zu erhalten, von sich aus zum Ausdruck bringen. Dies kann beispielsweise durch die Eintragung in opting-out-Listen (Robinson-Listen) geschehen, die von den Werbeanbietern beachtet werden müssen2.
226
Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation sieht in Art. 13 Abs. 1 für Direktwerbung mittels automatischer Anrufmaschinen, Telefax oder E-Mail generell die opting-in-Lösung vor. Unerbetene Direktwerbung durch andere Werbemittel ist gemäß Art. 13 Abs. 3 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation grundsätzlich nicht gestattet, wenn sie ohne Einwilligung des betroffenen Empfängers erfolgt. Die Richtlinie überlässt es jedoch den Mitgliedstaaten, ob sie sich für die opting-in- oder opting-out-Variante entscheiden. Die Unterscheidung zwischen Telefax, E-Mail, automatischen Anrufsystemen auf der einen und anderer Werbemittel wie Sprachtelefonanrufe auf der anderen Seite beruht auf der Überlegung, dass Erstere relativ leicht und preiswert zu versenden sind, jedoch auf Seiten des Empfängers eine Belastung und einen finanziellen Aufwand bedeuten sowie für die elektronischen Kommunikationsnetze Schwierigkeiten verursachen können. Andere Werbemittel sind für den Absender kostspieliger und verursachen für den Empfänger (fast) keine Kosten, weshalb ein opting-out des Empfängers grundsätzlich genügen kann3. Die opting-outVariante gilt hingegen immer, d.h. ungeachtet des Mediums, bei einer bereits bestehenden Kundenbeziehung4. Unzulässig ist umgekehrt in jedem Fall die Verschleierung oder Verheimlichung der Identität des Absenders, damit der Empfänger keine Ansprechperson zur Einstellung der unerwünschten Werbung auffordern kann5.
227
1 Vgl. Unerbetene kommerzielle Kommunikation und Datenschutz, Zusammenfassung der Schlussfolgerungen der Studie von Serge Gauthronet und Étienne Drouard, 1. 2001: http://euro pa.eu.int/comm/internal_market/privacy/docs/studies/spamsum_de.pdf. 2 Vgl. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr v. 8.6. 2000, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1–16. 3 Vgl. Erwägungen 40-42 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. 4 Art. 13 Abs. 2 Datenschutzrichtlinie. 5 Art. 13 Abs. 4 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Vgl. dazu auch Art. 7 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr v. 8.6.2000, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1–16, worin eine Kennzeichnungspflicht für nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation mittels E-Mail und eine Konsultationspflicht für Robinson-Listen vorgesehen ist.
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Netzle/Pohle 363
Teil D Rz. 228 228
Telekommunikation
Auf europäischer Ebene sind somit unerbetene Werbesendungen mittels E-Mail außerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung nur dann zulässig, wenn der Empfänger sein vorgängiges Einverständnis geäußert hat, die Werbebotschaft als solche gekennzeichnet ist und der Absender identifizierbar ist. b) Deutschland
229
Diensteanbieter dürfen nach § 95 Abs. 2 dtTKG die Bestandsdaten ihrer Kunden für Zwecke der Werbung für eigene Angebote, Kundenberatung oder Marktforschung nutzen, soweit dies erforderlich ist und sofern der Kunde eingewilligt hat. Zudem dürfen im Rahmen einer bestehenden Kundenbeziehung Post- und E-Mail-Adresse sowie Rufnummer für die Versendung von Text- und Bildmitteilungen zu Werbezwecken verwendet werden, sofern der Kunde einer solchen Verwendung nicht widersprochen hat (Opt-Out). Der Kunde ist bei der Erhebung oder erstmaligen Speicherung der Rufnummer oder Adresse und bei jeder Versendung einer Nachricht deutlich sichtbar und gut lesbar auf sein jederzeitiges Widerspruchsrecht hinzuweisen.
230
Es ist zudem unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Daten aus öffentlichen Kundenverzeichnissen zu entnehmen und für Werbezwecke zu verwenden (§ 28 Abs. 3 BDSG). Kunden, die sich durch unverlangte Werbesendungen belästigt fühlen, können jederzeit die Löschung oder Änderung der Eintragung ihres Telefonanschlusses in öffentlichen Teilnehmerverzeichnissen verlangen oder der Nutzung der eingetragenen Daten für Werbezwecke widersprechen. Zudem sind bei Email-Werbung die wettbewerbsrechtlichen Restriktionen des § 7 dtUWG zu beachten, die der Email Werbung gegenüber Verbraucher grundsätzlich von einer vorherigen Einwilligung abhängig macht und gegenüber Unternehmern weitgehenden Restriktionen unterwirft. c) Österreich
231
Wie Deutschland hat sich auch Österreich für das opting-in-Konzept entschieden. Anrufe oder Faxnachrichten zu Werbezwecken sind nur dann zulässig, wenn der Teilnehmer vorher sein Einverständnis erklärt hat. Die unerbetene Versendung von E-Mails und SMS-Nachrichten an Verbraucher gilt dann als unzulässig, wenn sie zu Zwecken der Direktwerbung erfolgt oder an mehr als 50 Empfänger gerichtet ist. Ausnahmen gelten für vorbestehende Kundenbeziehungen1. Die RTR führt zudem eine (Robinson-)Liste jener Personen und Unternehmen, die keine Direktwerbung wünschen. Diese Liste ist von den Diensteanbietern zu beachten2. d) Schweiz
232
Spezifische Regelungen über Direktmarketing mittels E-Mail finden sich in Art. 80 ff. FDV. So haben beispielsweise die Anbieterinnen von Fernmeldediensten die Pflicht, ihre Kunden vor dem Erhalt unlauterer Massenwerbung zu schützen, soweit es der Stand der Technik zulässt3. Neben den fernmelderechtlichen Bestimmungen können zudem weitere allgemeine Rechtsgrundlagen zur Anwendung gelangen: Das unerwünschte Versenden von E-Mails zu Werbezwecken kann neben datenschutzrechtlichen Aspekten4 insbesondere auch eine Verletzung der Persönlichkeit (Art. 28 ZGB5), des lauteren Wettbewerbs6 sowie eine Eigentums- oder Besitzesstörung 1 2 3 4 5 6
Vgl. zu allem § 107 öTKG. Vgl. § 7 E-Commerce-Gesetz ECG, BGBl. I, Nr. 152/2001. Art. 83 Abs. 1 FDV. Vgl. Art. 89 FDV. Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB; SR 210). Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG); SR 241.
364 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 235 Teil D
(Art. 641 und 926 ff. ZGB) darstellen. Ferner können solche Werbemethoden u.U. verschiedene strafrechtliche Tatbestände (z.B. Sach- oder Datenbeschädigung) erfüllen. Gemäß Art. 4 des Datenschutzgesetzes (DSG)1 dürfen Personendaten nur rechtmäßig bearbeitet werden. Die Daten dürfen zudem nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist. E-Mail-Adressen sind Personendaten nach Art. 3 lit. a DSG2. Stammt eine Adresse aus einer Online-Registrierung oder aus Kundendatenbanken, so darf sie nur dann für Werbezwecke an Dritte weitergegeben werden, wenn die betreffende Person darin eingewilligt hat. Zudem muss die Datensammlung gegebenenfalls beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) registriert werden3.
233
Wer sich in einem Teilnehmerverzeichnis eintragen lässt, kann – neben der Möglichkeit, Werbemitteilungen von Dritten zu untersagen – die Kennzeichnung verlangen, dass seine Daten für Direktwerbung nicht weitergegeben werden dürfen (opting-out)4. Die Anbieterin eines Online-Verzeichnisses muss die geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass der Inhalt einer Eintragung oder eines Teils des Verzeichnisses durch Unbefugte geändert oder gelöscht wird5.
234
e) Liechtenstein In Liechtenstein ist der Versand von Nachrichten zum Zweck der Direktwerbung mittels automatischer Anrufsysteme ohne menschlichen Eingriff, Faxgeräten oder elektronischer Post grundsätzlich unzulässig6. Ausnahmen sind nur erlaubt, wenn der Empfänger den Versand durch vorherige ausdrückliche Einwilligung gestattet hat oder der Empfänger als Kunde des Versenders diesem seine elektronischen Kontaktinformationen übermittelt und nicht von vornherein oder nachträglich deren Verwendung zu diesem Zweck abgelehnt hat7. Zur Erlangung der Einwilligung darf der Versender der Direktwerbung einmalig mittels elektronischer Post ein entsprechendes Ersuchen versenden. In diesem Ersuchen ist in ausdrücklicher, klarer und auffälliger Form darauf hinzuweisen, dass der Empfänger berechtigt ist, jede weitere Zusendung von Nachrichten abzulehnen und eine erteilte Einwilligung jederzeit zu widerrufen8. Die Anbieter haben geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um Nutzer bestmöglich und unentgeltlich vor ungebetenen Nachrichten zu schützen9. Der notwendige Inhalt von zum Zwecke der Direktwerbung versandter Nachrichten ist in Art. 50 Abs. 5 KomG geregelt. Anzufügen ist sodann, dass derjenige, der den Kunden durch besonders aggressive Werbe- und Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, unlauter handelt10.
1 SR 235.1. 2 Vgl. dazu die Empfehlung des Eidg. Datenschutzbeauftragten v. 24.1.2003 in Sachen unerwünschte Werbung per Mail: http://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/00628/00663/01031/ 01032/index.html?lang=de. 3 http://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/00626/00743/00858. 4 Art. 88 Abs. 1 FDV. 5 Art. 88 Abs. 4 FDV. 6 Art. 50 Abs. 1 KomG. 7 Art. 50 Abs. 1 lit. a KomG. 8 Art. 50 Abs. 2 KomG. 9 Art. 50 Abs. 3 KomG. 10 Art. 2 lit. h Gesetz v. 22.10.1992 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), LGBl. 1992 Nr. 121; siehe auch Art. 8d UWG.
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Netzle/Pohle 365
235
Teil D Rz. 236
Telekommunikation
IX. Vertragsrecht 1. Vertragstypen 236
Neben den Verträgen mit Endkunden (Privat- und Geschäftskunden) und den dazugehörigen AGB gibt es eine Reihe von besonderen Verträgen im Telekommunikationsbereich, wie Infrastruktur-, Interkonnektions- und Netzwerkverträge, Service-LevelAgreements etc.1. Dabei handelt es sich regelmäßig um Innominatkontrakte, wie das schweizerische Bundesgericht im Zusammenhang mit dem „Telefondienstevertrag“ festgestellt hat2.
237
Vorliegend interessieren im Hinblick auf den Konsumentenschutz insbesondere die Endkundenverträge. Inhaltsvorschriften finden sich in den „konsumentenfreundlichen“ Rechtsordnungen wie Deutschland und Österreich. In der Schweiz hingegen gibt es – mit Ausnahme der Preisobergrenzen für die Grundversorgung in Art. 22 FDV – keine spezifischen Bestimmungen für Verträge über Anschlüsse von Endkunden. Anwendbar sind lediglich die allgemeinen Bestimmungen wie Art. 8 UWG (Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen), Art. 27 ZGB (Schutz der Persönlichkeit vor übermäßiger Bindung) sowie gegebenenfalls die Bestimmungen über den Widerruf bei Haustürgeschäften in Art. 40a ff. OR. Der Schutz der Benutzer von Fernmeldediensten vor Missbrauch durch Mehrwertdienste wird in Art. 1 Abs. 2 lit. d FMG als Grundsatz verankert. Die weiteren Bestimmungen finden sich in Art. 12b f. FMG und Art. 35 ff. FDV. Zu nennen sind Vorschriften zur Erkennbarkeit, zur Verrechnung und Sperrung sowie Preisobergrenzen und die Pflicht des Mehrwertdienstanbieters zu einem Sitz oder einer Niederlassung in der Schweiz. Eine wesentliche Rolle spielt sodann die Preisbekanntgabeverordnung (PBV)3.
238
Art. 20 der Universaldienstrichtlinie enthält den Mindestinhalt der Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Bei Änderungen der Vertragsbedingungen ist den Teilnehmern das Recht einzuräumen, sich vom Vertrag ohne Vertragsstrafe zu lösen. Ferner schreibt die Universaldienstrichtlinie in Art. 21 f. und Anhang II verschiedene Informationspflichten über anwendbare Preise, Tarife und Standardkonditionen sowie über die Dienstequalität vor. 2. Missbrauchskontrolle
239
Zur Missbrauchsverhinderung dienen einerseits die verschiedenen Informations- und Veröffentlichungsvorschriften in der Universaldienstrichtlinie. Daneben finden sich in Deutschland ausführliche Vorschriften zur Entgeltregulierung für Endnutzerleistungen. Eine Entgeltregulierung hängt davon ab, dass die Verpflichtungen im Zugangsbereich und zur Betreiberauswahl bzw. -vorauswahl nicht zur Erreichung der Regulierungsziele führen würden. In diesem Fall kann die BNA Entgelte von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht einer ex-ante-Genehmigung unterwerfen4. Bereits durch die Regelungen zum AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) und zum Fernabsatzrecht mit den zugehörigen Informationspflichten (§§ 312 ff. BGB) besteht ein weitgehender Endnutzerschutz, der durch die Bestimmungen des allgemeinen Telekommunikationskundenschutz (§§ 43a ff. dtTKG) sowie den rufnummernbezogenen Kundenschutz (§§ 66a dtTKG) im Telekommunkationssektor sektorspezifisch erheblich und verbindlich ausgedehnt wird. 1 2 3 4
Vgl. die Aufzählung bei Geppert/Ruhle/Schuster, Rz. 471. BGE 129 III 608. Verordnung v. 11.12.1978 über die Bekanntgabe von Preisen (PBV; SR 942.211). § 39 dtTKG.
366 | Netzle/Pohle
Sachbereiche
Rz. 243 Teil D
In Österreich unterliegen die Geschäftsbedingungen und Entgelte für die Bereitstellung von Kommunikationsnetzen oder -diensten, einschließlich der Entgelte, der vorgängigen Notifikation an die Regulierungsbehörde. Alle AGB sind zu veröffentlichen. Änderungen unterliegen grundsätzlich denselben Vorschriften wie der Erlass. Das öTKG legt überdies den Mindestinhalt der Geschäftsbedingungen im Verkehr mit Endbenutzern fest. Dieser Inhalt umfasst neben der Beschreibung der Dienste auch Angaben zur Vertragslaufzeit und Kündigung, zur Entschädigungsregelung bei Verletzung der Dienstequalität, zur Streitbeilegung, zur Rechnungslegung u.a.m1.
240
In Liechtenstein müssen die Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste ihre AGB sowie Entgeltbestimmungen (wie auch deren Änderungen) dem Amt für Kommunikation vor ihrer Anwendung zeigen und in elektronischer Form veröffentlichen2. Überdies ist ein gesetzlicher Mindestinhalt vorgeschrieben3. Hinzuweisen ist auch auf die allgemeinen Bestimmungen: In Liechtenstein handelt derjenige unlauter, der vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in irreführender Weise zum Nachteil einer Vertragspartei von der unmittelbar oder sinngemäß anwendbaren gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen oder eine der Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten vorsehen4.
241
3. Konsumentenschutz In Deutschland und Österreich bestehen im Einklang mit den europäischen Vorgaben5 im Rahmen des sog. allgemeinen telekommunikationsrechtlichen Kundenschutzes verschiedene Verpflichtungen im Hinblick auf Grundstücksnutzung, Rechnungsstellung (Einzelverbindungsnachweis, Rechnungsinhalt, Zahlungsverzug etc.), Anbieterwechsel und Umzug, Erbringung von Universaldienstleistungen (inkl. Aufnahme in Teilnehmerverzeichnisse, Qualitätsanforderungen etc.) wie auch Vorschriften über die Haftung der Diensteanbieter gegenüber den Verbrauchern6. Daneben zielt der sog. rufnummernspezifische Kundenschutz darauf ab, die Endnutzer vor der missbräuchlichen Nutzung und Abrechnung bestimmter Telekommunikationsdienste zu schützen7.
242
In Liechtenstein haben Anbieter öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste den Verbrauchern bei der Anmeldung zu solchen Diensten den Abschluss eines schriftlichen Teilnehmervertrages über den betreffenden Dienst oder die betreffenden Dienste anzubieten8. Überdies müssen die Anbieter den Verbrauchern in Teilnehmerverträgen für die Verbindung mit dem öffentlichen Telefonnetz und/oder den Zugang zu diesem Netz das Recht einräumen, bei einer Bekanntgabe beabsichtigter, wesentlicher Änderungen der Vertragsbedingungen zu deren Ungunsten, den Vertrag innert Monatsfrist ohne Zahlung von Vertragsstrafen aufzulösen9. Entsprechend Art. 34 Universaldienstrichtlinie ist in Deutschland, Österreich und auch in Liechtenstein ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren vorgesehen 1 § 25 öTKG. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Kostenbeschränkungsverordnung der RTR (BGBl. II Nr. 45/2012) zu verweisen, in der Mobilfunkbetreiber zu bestimmten Kostenkontroll-, Warn- und Sperrmaßnahmen betreffend den Bezug mobiler Datendienste durch die Endkunden verpflichtet wurden. 2 Art. 7 Abs. 1 und 2 VKND. 3 Art. 7 Abs. 4 VKND. 4 Art. 8 UWG. 5 Insb. Art. 20–22 Universaldienstrichtlinie. 6 §§ 43a ff. dtTKG. 7 §§ 66a ff. dtTKG. 8 Art. 19 Abs. 1 lit. d KomG. 9 Art. 19 Abs. 2 lit. c KomG.
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Netzle/Pohle 367
243
Teil D Rz. 244
Telekommunikation
für Streitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind1. Ein derartiges Schlichtungsverfahren besteht seit der Errichtung der Stiftung ombudscom im Jahr 2008 auch in der Schweiz2. Die Stiftung ombudscom untersteht der Aufsicht des BAKOM. Sie hat den gemeinnützigen Zweck, Kunden von Fernmelde- und Mehrwertdiensteanbietern eine unabhängige, unparteiische, transparente und effiziente Schlichtungsstelle zur Verfügung zu stellen. 244
In Österreich bestehen einige spezifische Kundenschutzverordnungen für den Telekommunikationsbereich3. Das öTKG widmet darüber hinaus einen ganzen Abschnitt (§§ 69 ff.) dem Schutz der Nutzer: § 70 öTKG schützt die Kunden u.a. davor, dass der Telekommunikationsdienst bei Zahlungsverzug ohne Vorwarnung gesperrt wird. Jeder Kunde hat zudem gemäß § 71 öTKG das Recht, schriftlich Einwendungen gegen Rechnungen zu erheben. Bei der Regulierungsbehörde kann überdies ein Aufschub der Fälligkeit der beanspruchten Entgelte erwirkt werden.
Kapitel 4. Ausblick 245
Die rasante Entwicklung neuer Technologien der Telekommunikation und des Internets geht ungebremst weiter. Gleichzeitig schreitet die Konvergenz zwischen dem traditionellen Fernmeldewesen und dem Rundfunkwesen voran. Hinzu kommt die zunehmende Verschmelzung von Inhalt und Übertragungstechnologien über die Landesgrenzen hinweg. Diese Entwicklungen werden neue regulatorische Fragen aufwerfen, welche über die traditionellen Sektorengrenzen hinaus gehen.
1 § 47a dtTKG; § 45 Abs. 3 Nr. 6, § 122 öTKG (in der Regel nur für Streitigkeiten zwischen Betreibern von Kommunikationsnetzen bzw. -diensten und Kunden); Art. 59 KomG. 2 https://www.ombudscom.ch. 3 Siehe die Einzelentgeltnachweisverordnung (EEN-V 2011), BGBl. II Nr. 414/2011 und die Kostenbeschränkungsverordnung (BGBl. II Nr 45/2012).
368 | Netzle/Pohle
Teil D Rz. 244
Telekommunikation
für Streitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind1. Ein derartiges Schlichtungsverfahren besteht seit der Errichtung der Stiftung ombudscom im Jahr 2008 auch in der Schweiz2. Die Stiftung ombudscom untersteht der Aufsicht des BAKOM. Sie hat den gemeinnützigen Zweck, Kunden von Fernmelde- und Mehrwertdiensteanbietern eine unabhängige, unparteiische, transparente und effiziente Schlichtungsstelle zur Verfügung zu stellen. 244
In Österreich bestehen einige spezifische Kundenschutzverordnungen für den Telekommunikationsbereich3. Das öTKG widmet darüber hinaus einen ganzen Abschnitt (§§ 69 ff.) dem Schutz der Nutzer: § 70 öTKG schützt die Kunden u.a. davor, dass der Telekommunikationsdienst bei Zahlungsverzug ohne Vorwarnung gesperrt wird. Jeder Kunde hat zudem gemäß § 71 öTKG das Recht, schriftlich Einwendungen gegen Rechnungen zu erheben. Bei der Regulierungsbehörde kann überdies ein Aufschub der Fälligkeit der beanspruchten Entgelte erwirkt werden.
Kapitel 4. Ausblick 245
Die rasante Entwicklung neuer Technologien der Telekommunikation und des Internets geht ungebremst weiter. Gleichzeitig schreitet die Konvergenz zwischen dem traditionellen Fernmeldewesen und dem Rundfunkwesen voran. Hinzu kommt die zunehmende Verschmelzung von Inhalt und Übertragungstechnologien über die Landesgrenzen hinweg. Diese Entwicklungen werden neue regulatorische Fragen aufwerfen, welche über die traditionellen Sektorengrenzen hinaus gehen.
1 § 47a dtTKG; § 45 Abs. 3 Nr. 6, § 122 öTKG (in der Regel nur für Streitigkeiten zwischen Betreibern von Kommunikationsnetzen bzw. -diensten und Kunden); Art. 59 KomG. 2 https://www.ombudscom.ch. 3 Siehe die Einzelentgeltnachweisverordnung (EEN-V 2011), BGBl. II Nr. 414/2011 und die Kostenbeschränkungsverordnung (BGBl. II Nr 45/2012).
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Teil E. Transport Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Überblick „Transportrecht“ . . . . II. Transportschadenshaftung . . . . . III. Auslegung und Anwendung des international vereinheitlichten Transportrechts . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Transportverträge . . . . . . . I. Spedition und Multimodaler Transport 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) Multimodaltransport-Übereinkommen . . . . . . . . . . b) Dokumente des kombinierten Transports . . . . . . . . . c) Kollisionsrecht für Spedition und Multimodaltransporte . aa) Speditionsvertrag . . . . . bb) Multimodale Transporte 3. Materiellrechtliche Besonderheiten a) Das Speditionsrecht und seine Neuregelung in Deutschland von 1998 . . . . aa) Vertragsschluss, Speditionsdokumente . . . . . . bb) Haftung des Spediteurs . cc) Verjährung, Reichweite des zwingenden Rechts . b) Der Multimodaltransportvertrag und seine Neuregelung in Deutschland von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . c) Speditionsrecht und MT in Österreich . . . . . . . . . . . d) Speditionsrecht und MT in der Schweiz . . . . . . . . . . 4. Checkliste . . . . . . . . . . . . . II. Straße 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Straßenfrachtrecht – CMR . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit der CMR, Beförderungsvertrag, Frachtbrief . . . . . . bb) Rechte und Pflichten der CMR-Vertragsparteien . cc) Schadenshaftung des Frachtführers . . . . . . . (1) Schadenszeitraum . . . . (2) Befreiungsgründe . . . . . dd) Haftungshöchstbeträge .
1 4 7 11 15 17 18 20 21 28
30 34 42 43
44 48 51 52 53
54 55 60 64 65 66 73
ee) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen . . . ff) Mitverschulden . . . . . . gg) Aktiv- und Passivlegitimation, Anspruchsdurchsetzung . . . . . . . b) IPR und ergänzend zur CMR anwendbares Recht . . . . . . 3. Materiellrechtliche Besonderheiten in Deutschland a) Anzuwendende Regeln . . . . b) Materielles Recht . . . . . . . aa) Frachtvertrag . . . . . . . bb) Frachtbrief . . . . . . . . . cc) Rechte und Pflichten der Beteiligten (1) Grundpflichten . . . . . . (2) Gefahrguttransport . . . . (3) Kennzeichnung und Begleitpapiere . . . . . . . (4) Verladen, Entladen und Standgeld . . . . . . . . . (5) Weisungsrechte . . . . . . (6) Kündigungsrecht und Anspruch auf teilweise Beförderung . . . . . . . . (7) Nachnahme und Frachtüberweisung . . . . . . . . (8) Schadenshaftung des Frachtführers . . . . . . . (9) Schadenszeitraum und -arten . . . . . . . . . . . . (10) Befreiungsgründe . . . . . (11) Nicht bevorrechtigte Befreiungsgründe . . . . . (12) Bevorrechtigte Befreiungsgründe . . . . . (13) Mitverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . (14) Haftungshöchstbeträge . . . . . . . . . . . (15) Außervertragliche Ansprüche . . . . . . . . . . . (16) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen . . . . . . . . . . . c) Aktiv- und Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . d) Anspruchsdurchsetzung, Schadensanzeige, Verjährung und gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Materiellrechtliche Besonderheiten in Österreich a) Anzuwendende Regeln . . . . b) Materielles Recht . . . . . . .
75 78 79 85 101 105 106 109 116 117 118 120 122 126 127 129 130 133 134 135 137 138 139 141 146
150 153 154
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Teil E 5. Materiellrechtliche Besonderheiten in der Schweiz . . . . . . 6. Checkliste . . . . . . . . . . . . . III. Bahn 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) Internationales Einheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlegende Regelungen der ER/CIM aa) Anwendungsbereich . . . bb) Vertragsschluss . . . . . . cc) Lieferfristen . . . . . . . . dd) Ablieferung des Gutes . . ee) Haftung des Frachtführers . . . . . . . . . . . (1) Haftende Bahn . . . . . . (2) Haftungsgründe . . . . . . ff) Umfang der Haftung . . . gg) Verjährung . . . . . . . . . hh) Prozessuales . . . . . . . . c) Anlagen zum ER/CIM . . . . d) Technische Normen und Vorschriften . . . . . . . . . . aa) Internationales Recht . . bb) EG-Recht . . . . . . . . . 3. Materiellrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . a) Deutschland . . . . . . . . . . b) Österreich . . . . . . . . . . . c) Schweiz . . . . . . . . . . . . . 4. Checkliste . . . . . . . . . . . . . IV. Luft 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Luftfrachtrecht („Warschauer System“ seit 1929; Montrealer Übereinkommen) aa) Überblick und Anwendungsbereich . . . . . . . bb) Beförderungsvertrag und Transportdokument . . . cc) Verfügungsrechte . . . . . dd) Haftung, Grundregelung ee) Haftungshöchstgrenzen . ff) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen . . . gg) Anspruchslegitimation . hh) Anspruchsdurchsetzung b) IPR und ergänzend anwendbares Recht aa) Nicht durch das Warschauer System geregelte Sachverhalte . . . . . . . bb) IPR . . . . . . . . . . . . .
370
Transport 157 158 159 160 163 164 166 167 170 171 174 178 180 183 184 185 186 187 188 189 192 193 194 199
200 205 212 214 228 230 237 239
243 259
3. Materiellrechtliche Besonderheiten a) Lufttransportrecht in Deutschland . . . . . . . . . . b) Lufttransportrecht in Österreich . . . . . . . . . . . c) Lufttransportrecht in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . 4. Checkliste . . . . . . . . . . . . . 5. Steuerrechtliche Hinweise . . . V. See 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Seefrachtrecht: Haager Regeln, Haag/Visby Regeln, Hamburg Regeln und Rotterdam Regeln . . . . . . . . . . . b) IPR . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materiellrechtliche Besonderheiten in Deutschland a) Anzuwendende Regeln . . . . b) Materielles Recht aa) Seefrachtverträge . . . . . bb) Beförderungsdokumente . . . . . . . . . . . cc) Rechte und Pflichten der Beteiligten (1) Hauptpflichten . . . . . . (2) Bereitstellung der See- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes . . . . . . . . . . . . . . (3) Ladungsfürsorgepflicht . . . . . . . . . . . (4) Abladen, Verladen, Umladen und Löschen . . . . . . . . . . . . (5) Verpackung, Kennzeichnung und Begleitpapiere . . . . . . . (6) Weisungsrechte . . . . . . (7) Rechte des Empfängers . . . . . . . . . . . . . (8) Haftung des Befrachters und Dritter . . . . . . . . (9) Haftung des Verfrachters . . . . . . . . . . . . . (10) Haftungsausschlussgründe . . . . . . . . . . . (11) Haftung wegen unerlaubter Verladung auf Deck . . . . . . . . . . . . (12) Haftungshöchstbeträge . . . . . . . . . . . (13) Außervertragliche Ansprüche . . . . . . . . . (14) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen . c) Aktiv- und Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . .
260 261 263 264 265 266
267 268 269 270 271 272
273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286
Teil E
Literatur d) Anspruchsdurchsetzung, Schadensanzeige, Verjährung und gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4. Materiellrechtliche Besonderheiten in der Schweiz . . . . . . 288 5. Checkliste . . . . . . . . . . . . . 289
VI. Incoterms . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Transportversicherung I. Allgemeines . . . . . . . . . II. Internationales Privatrecht 1. CMR . . . . . . . . . . . . 2. MÜ . . . . . . . . . . . . . 3. EG-VO 1008/2008 . . . .
. . . . 290 . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
294 295 296 297 298
Literatur: Transportverträge: Czerwenka, Das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts, 2014; Finger, Eisenbahnverkehrsordnung, Loseblatt; Frehmuth/Thume, Kommentar zum Transportrecht, 2000; Frohnmeyer/Mückenhausen, EG-Verkehrsrecht, Loseblatt; Frölich, Leistungsstörungen im Luftverkehr, 2002; Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Loseblatt; Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, 3. Aufl. 2015; Heinen/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, Loseblatt; Herber, Einführung in das VNÜbereinkommen über den internationalen multimodalen Gütertransport, TranspR 1981, 37; Herber, Artikel 6 EGHGB – Eine Erwiderung, TranspR 2013, 368; Kadletz, Haftung und Versicherung im internationalen Lufttransportrecht, 1997; Klein, Luftverkehr, Loseblatt; Koller, Transportrecht, Kommentar zu Spedition und Gütertransport, 8. Aufl. München 2013; ; Littger/Kirch, Die Haftung im internationalen Luftverkehr nach In-Kraft-Treten des Montrealer Übereinkommens: Zum Übergang vom Warschauer zum Montrealer Haftungsregime, ZLW 2003, 563; Mankowski, Die Neufassung des Art. 6 EGHGB im System des Internationalen Privatrechts, TranspR 2014, 268; Müglich, Transport- und Logistikrecht, 2002; Mutschler, Die Haftung für Unfälle im internationalen Luftverkehr, 2002; Oetker, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 2015; Rabe, Seehandelrecht, 4. Aufl. 2000; Ramming, Die neuen Vorschriften über den ausführenden Verfrachter, RdTW 2013, 81; Ramming, Zur See- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes nach neuem Seefrachtrecht, RdTW 2014, 41; Ramming, Die Anwendung der Stück-Alternative der § 504 I 1 HGB, Art. 20 I 1 CMNI bei Nichtausstellung eines Frachtdokuments, RdTW 2014, 390; Richter/Hannes, Die UN-Konvention über die internationale multimodale Güterbeförderung, Wien 1982; Schmid/Müller-Rostin, InKraft-Treten des Montrealer Übereinkommens von 1999: Neues Haftungsregime für internationale Lufttransporte, NJW 2003, 3516; Schmidt (Hrsg.)/Herber (Red.), Münchener Kommentar zum HGB Band 7, 3. Aufl. 2014; Schollmeyer, Die Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr zwischen Warschau, Montreal und Brüssel, IPRax 2004, 78; Schwampe, Die Verfrachterhaftung nach der Seerechtsreform – was ist neu am neuen Recht?, RdTW 2014, 381; Schwenck/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. 2013; Spera, Internationales Eisenbahnfrachtrecht, Loseblatt; Thume (Hrsg.), Festgabe für Rolf Herber: Transport- und Vertriebsrecht 2000, 1999; Thume/Fremuth, Kommentar zur CMR, 3. Aufl. 2013; Vyvers, Zum (Vor-)Rangverhältnis von Montrealer Übereinkommen und Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen, VersR 2010, 1554; Vyvers, Änderung der Rechtsprechung durch Artikel 5 Abs. 1 der Rom-I Verordnung, NZV 2013, 224; Weber, Harmonisierung des internationalen Luftprivatrechts: Von IATA-Intercarrier Agreement zur Neufassung des Warschauer Abkommens in der Montrealer Konvention vom Mai 1999, NJW 2000, 169. Passagiertransport: Benkö/Kadletz, Unfallhaftpflicht in Luftverkehrssachen, 2000; Benkö/Kadletz. in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl. 2014, Kap. 19 (S. 671 ff.); Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Warschauer Abkommen, Loseblatt; Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl. 1998. Transportversicherung: van Bühren/Ehlers, Handbuch Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2014; Herber, Seehandelsrecht, Berlin, New York 1999; Rabe, Seehandelsrecht, 4. Aufl. 2000; Schnyder in Reithmann/Martiny, Rz. 1314 ff. Österreich: Eichler, Die Haftung nach dem österreichischen Luftfahrtgesetz, ZLW 50 (2001), 500; Straube, Kommentar zum Handelsgesetzbuch Österreich, 3. Aufl. 2003. Schweiz: Amstutz/Vogt/ Wang, in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti (Hrsg.), Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Auflage, Basel 2013; Benz, Kurzkommentar OR, Art. 1–529, Basel 2014; Dettling-Ott, Internationales und Schweizerisches Lufttransportrecht, Zürich 1993; Erbe, Kommentar zum Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau HOR 2010.47 vom 7.6.2011, in TranspR 2012, S. 339 ff.; Erbe, Haftung für fehlerhafte Ladungssicherung, in StrassenTransport 11/2008, S. 28 ff.; Erbe/Schlienger, Der Multimodalvertrag im schweizerischen Recht, TranspR 2005, S. 421 ff.; Fischer, Ergänzung der CMR durch schweizerisches Recht – Rechtsgrundlage und Anwendungsbeispiele, TranspR 1995, 424; Gauch/Schluep, Schweizerisches Obligationenrecht, Band II, 9. Aufl. Zürich 2008; Gautschi, Berner Kommentar zum Schweizerischen Zivilrecht, Das Obligationenrecht, Besondere Auftragsund Geschäftsführungsverhältnisse sowie Hinterlegung, Art. 425–491 OR, Bern 1962; Häfelin/Hal-
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Teil E Rz. 1
Transport
ler, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl. Zürich 2001; Hangartner, in Ehrenzeller/Mastronardi/Schweiz/Vallender (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, Zürich, 2002; Honsell, Schweizerisches Obligationenrecht – Besonderer Teil, 9. Aufl. Bern 2010; Meili, Grundlagen und Grundsätze der Luftfahrthaftpflicht, Zürich/St. Gallen 2014; Montanaro, Die Haftung des Spediteurs für Schäden an Gütern, Zürich 2001; Münch/Passadelis/Lehne, Handbuch Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht, Basel 2015; Pfenninger, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. Zürich 2012; Reetz/Graber, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Obligationenrecht, Allgemeine Bestimmungen, 2. Aufl. Zürich 2012; Schönenberger, Züricher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Obligationenrecht, Art. 419–529, Zürich 1945; Staehelin, Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 5. Aufl. Basel 2011; von Ziegler/Montanaro, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. Zürich 2012.
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Überblick „Transportrecht“ 1
Das Transportrecht ist eine vielschichtige Materie. Unter den Begriff „Transportrecht“1 lassen sich allgemein alle Regeln fassen, die auf den Transportunternehmer (hier noch im weitesten Sinne verstanden) und das von ihm ausgeführte Geschäft Anwendung finden. Dies reicht etwa von gewerberechtlichen und Betriebszulassungsvorschriften (z.B. Zulassung zum Fuhrunternehmer, Zulassung als Luftverkehrsunternehmen) über Regelungen betreffend Aufbau und die Nutzung von Infrastruktur (z.B. Schienenwege, Bahnhöfe2, Straßennutzung, See-, Binnen- und Flughäfen, Lager- und Umschlagplätze3), den Betrieb der Verkehrsmittel (Zulassung der Transportfahrzeuge, Vorschriften über den Betrieb, Dienstzeiten des Personals bis hin z.B. zu allgemeinen Straßenverkehrsvorschriften) sowie alle zivil- und wirtschaftsrechtlichen Vorschriften, die mit der Durchführung der Transporte oder des darauf ausgerichteten Betriebes in Verbindung stehen wie etwa Arbeitsrecht, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Handelsrecht, Versicherungsrecht und vor allem das Haftungsrecht.
2
Eine zusammenhängende Regelung aller dieser Aspekte, gewissermaßen einen „Transportrechtscodex“ gibt es weder national noch international. Allerdings gibt national in Deutschland das dtHGB den wesentlichen Rahmen der anwendbaren Vorschriften vor. Außerdem gibt es für grenzüberschreitende Transporte eine Vielzahl international vereinheitlichter Regeln. Diese finden sich überwiegend in speziellen völkerrechtlichen Konventionen, die jeweils auf ein bestimmtes Transportmittel (z.B. Seeschiff, Luftfahrzeug, Straßenfahrzeug) zugeschnitten sind und die nach ihrer Ausrichtung entweder ausschließlich völkerrechtlichen Charakter haben (z.B. das Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944) oder aber darüber hinaus Privatrecht vereinheitlichen sollen (z.B. die CMR für Straßentransporte oder das Warschauer Abkommen von 1929 [WA] und Montrealer Übereinkommen für Lufttransporte).
3
Europarechtlich gibt es zum Transportrecht ebenfalls nur vereinzelte Regelungen mit ganz überwiegend öffentlich-rechtlichen Auswirkungen (so z.B. Marktzugangs1 Die Kommentierung zur Rechtslage in Österreich und der Schweiz war nur durch die Mitwirkung zweier ausgewiesener Fachleute in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen möglich. Dank gebührt Frau Magister Martina Flitsch aus der Kanzlei Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH (Wien) für ihre Bearbeitung zur Rechtslage in Österreich sowie Herrn Advokat Stephan Erbe aus der Kanzlei Thoman Fischer (Basel) für seine Bearbeitung zur Rechtslage in der Schweiz. Weiterhin gebührt der Dank des Verfassers Herrn Avukat (Rechtsanwalt nach türkischem Recht) und Ref. jur. Ata Torun für seine tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts. 2 Dazu beispielsweise Freise, Rechts- und Vertragsbeziehungen zwischen Verkehrsinfrastrukturbetreiber und Verkehrsinfrastrukturbenutzer – dargestellt am Beispiel der Eisenbahn in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 266 ff. 3 Einen insoweit kleinen Einblick gewährt Schmidt-Tedd, Staatliches Engagement bei partiell marktfähigen Weltraumanwendungen, in Benkö/Kröll, Luft- und Weltraumrecht im 21. Jahrhundert, FS Karl-Heinz Böckstiegel, 2001, S. 424 ff. (440).
372 | Bürskens
Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 5 Teil E
beschränkungen im Straßengütertransport1 oder die sog. „Maßnahmenbündel zur Liberalisierung des Luftverkehrs“ der frühen 1990er Jahre2). Ein Beispiel aus der europäischen Rechtssetzung zur Haftung von Luftfahrtunternehmen ist die sog. „EG-Passagierhaftungsverordnung“3, die in ihrer neuen Fassung an die Neuerungen des Montrealer Übereinkommen (MÜ) angepasst wurde4. Sie erweitert die Haftung des Luftverkehrsunternehmers für von ihm beförderte Passagiere gegenüber dem „Warschauer Abkommen“ für Flüge innerhalb der EG. Die am 11.2.2004 beschlossene Fluggastrechte-VO der Europäischen Gemeinschaft dagegen gewährt den Passagieren in den Fällen der Nichtbeförderung aufgrund Überbuchung, Annullierung und großer Verspätung von Flügen direkte Anspruchsgrundlagen gegen die Luftverkehrsunternehmen5. Dort wo internationale Abkommen und grenzüberschreitende Vorschriften nicht vorhanden oder nicht einschlägig sind, ist auf das jeweils anwendbare nationale Recht zurückzugreifen. Praktisch ergibt sich damit für Transportunternehmer und potenzielle Anspruchsteller, dass eine Vielzahl von Regelungskomplexen auf ihre Anwendbarkeit überprüft werden muss. Dabei soll die hier folgende Darstellung im Rahmen dieses Handbuchs eine Hilfestellung bieten, auch wenn diese sicher nicht alle Regelungskomplexe vollständig abhandeln kann. Ein besonderes Schwergewicht der folgenden Darstellung liegt auf den praktisch relevanten Haftungsvorschriften.
II. Transportschadenshaftung Die transportrechtlichen Haftungsvorschriften sind unübersichtlich. Im gesamten Transportrecht und in Bezug auf alle Transportmittel gilt, dass die betroffenen Verkehrskreise bei der Bewertung von Haftungsrisiken oder potenziellen Ansprüchen nicht auf einzelne abschließende Bedingungswerke zurückgreifen können, sondern sie müssen im Rahmen einer umfassenden Prüfung eine Vielzahl von Regelungswerken berücksichtigen und in die Prüfungsreihenfolge einbeziehen.
4
Bei der Prüfung von transportrechtlichen Ansprüchen ist zunächst zu prüfen, ob es ein international rechtsvereinheitlichendes Abkommen gibt (diese werden nachstehend jeweils bei den verschiedenen Transportmitteln dargestellt – als wichtigste Beispiele
5
1 Dazu z.B. Knorre, Zu den Auswirkungen des Europäischen Rechts auf das deutsche Straßengüterverkehrsrecht in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 209 ff. 2 Dazu z.B. Jestaed/Hohenstatt, Das Dritte Maßnahmenbündel zur Liberalisierung des Luftverkehrs, EuZW 1992, 115; Giemulla/Schmid/Mölls, Europäisches Luftverkehrsrecht (CD-ROM, Luchterhand-Verlag 2000). 3 EG-Verordnung Nr. 2027/97 v. 9.10.1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. EG Nr. L 285 v. 17.10.1997, S. 1. Abdr. mit Erläuterungen auch bei Benkö/Kadletz, Unfallhaftpflicht in Luftverkehrssachen, S. 91 ff.; 177 ff.; Giemulla/Schmid/Mölls, Europäisches Luftverkehrsrecht, CD-ROM, 2000. Weiteres Schrifttum zur Verordnung: Gansfort, Praktische Anmerkungen zu der europäischen Verordnung über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Flugunfällen mit Personenschäden, ZLW 47 (1998), 263; Giemulla/Schmid, Die europarechtliche Neuordnung der Haftung bei Flugunfällen, NZV 1998, 225; Kadletz, Aktuelle Entwicklungen der Luftfrachtführerhaftung – Europäische Trends und Sichtweisen, Korean Journ.Air Sp.L. 11 (1999) – Festgabe für Doo Hwan Kim, S. 209 ff.; Ruhwedel, Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen v. 9.10.1997, TranspR 1998, 13. Aus österreichischer Sicht: Eichler, Die Haftung nach dem österreichischen Luftfahrtgesetz, ZLW 50 (2001), 500; Stefula, Schadensersatz für Passagiere im Luftfahrtgesetz, Wien 2001. 4 Aufgrund Verordnung (EG) 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.5.2002 zur Änderung der Verordnung EG 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. EG Nr. L 140 v. 30.5.2002, 2. Diese neue Fassung gilt jedoch erst seit In-Kraft-Treten des Montrealer Übereinkommens für die Gemeinschaft. Zum MÜ siehe Rz. 5, dort Fn. 3. 5 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.2.2004 über die gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 die am 17.2.2005 in Kraft getreten ist.
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Bürskens 373
Teil E Rz. 6
Transport
seien an dieser Stelle genannt: für Straßentransporte CMR1, für Schienentransporte COTIF2, für Lufttransporte das Warschauer Abkommen mit seinen Zusatzabkommen3 und das Montrealer Übereinkommen 1999 [MÜ]4 und für Seetransporte die Haager Regeln5). Sodann ist weiterhin zu prüfen, ob das betreffende Abkommen6 auf den konkreten Vertrag (z.B. liegt ein Vertrag zur Durchführung oder nur zur Organisation des Transports oder über Miete eines Transportmittels vor?) und auf den konkreten Transport (insbesondere räumlich, sachlich) Anwendung findet. Sodann ist zu prüfen, ob es Zusatzprotokolle (im Beispielsfalle des Lufttransportrechts etwa das Haager Protokoll von 1955 zum Warschauer Abkommen) oder dergleichen Instrumente gibt (im Beispielsfalle des Lufttransportrechts etwa das Zusatzabkommen von Guadalajara von 1961), die auf diesen Fall Anwendung finden. Ferner ist es erforderlich in standardisierte Allgemeine oder Besondere Beförderungsbedingungen zu schauen und sie mit privatrechtlichen Übereinkommen (wie z.B. dem sog. „IATA Intercarrier Agreement“) oder mit verwaltungsrechtlichen Vorgaben (z.B. der sog. „EG-Passagierhaftungsverordnung“) abzugleichen. 6
Soweit diese Regeln den konkreten Fall nicht oder nicht abschließend erfassen, kommt nationales Recht zur Anwendung. In welchem Umfang die international vereinheitlichten Regeln eine konkrete Frage abschließend regeln, ist erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Verbleibt Raum für die Anwendung nationalen Rechts, so verweist das Kollisionsrecht des Forumstaates auf das anzuwendende Sachrecht. Das Sachrecht findet sich teilweise in Sondergesetzen zum jeweiligen Verkehrsmittel (z.B. Luftverkehrsgesetz in Deutschland oder Seeschifffahrtsgesetz in der Schweiz7), darüber hinaus in Handelsrechtskodifikationen (in Deutschland z.B. das „Allgemeine Transportrecht“ in den §§ 407 ff. dtHGB; in Österreich in den dortigen §§ 407 ff. öUGB)8 und weiterhin ergänzend in allgemeinen Zivilrechtskodifikationen (in Deutschland z.B. in den Vorschriften über den Werkvertrag im BGB und etwa in den allgemeinen Vorschriften über Verträge; in der Schweiz z.B. in den Vorschriften über den Frachtvertrag und über den Auftrag im Schweizerischen Obligationenrecht [OR]).9 1 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr v. 19.5. 1956 (CMR), BGBl. II 1961, 1119. 2 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF), BGBl. II 1985, 225. 3 Es handelt sich um ein System mehrerer Abkommen zur Vereinheitlichung der Haftung bei internationalen Lufttransporten. Die Abkommen sind i.E. unten in Rz. 201 ff. aufgeführt und erläutert. 4 Übereinkommen über die Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr („Montrealer Übereinkommen“) v. 28.5.1999 (nachdem am 5.9. 2003 mit den Vereinigten Staaten von Amerika der 30. Mitgliedstaat das Abkommen ratifiziert hatte, trat dieses am 4.11.2003 mit Wirkung zwischen den Vertragsstaaten in Kraft, gilt aber für die Staaten der EU erst seit dem 28.6.2004. Die Ratifizierung durch die damaligen Mitgliedstaaten der EU erfolgte am 29.4.2004. Die Beitrittsländer zur EU haben zum Teil das MÜ bereits ratifiziert. Im Übrigen wird dieses dort erst mit Ratifizierung wirksam, nachdem die EU-Ratifizierung zwei Tage vor dem Beitritt der neuen Mitglieder erfolgte. Das Abkommen gilt für die Schweiz seit dem 5.9.2005). Abgedruckt in Synopse mit dem Warschauer Abkommen bei Giemulla/Schmid, Bd. III, Anhang I 1a. 5 Convention internationale pour l’unification de certaines règles en matière de connaissement (Haager Regeln 1921, Brüsseler Konvention v. 25.8.1924); Abdr. mit Kommentierung bei Schaps/ Abraham II, § 663b HGB, Anh. III, S. 904 ff. 6 Die Ratifizierung durch einen Teil der EU-Mitgliedstaaten vor Beitritt der neuen Mitgliedsländer zum 1.5.2004 entfaltete für diese Beitrittsländer keine Wirksamkeit, diese müssen die Ratifizierung daher separat durchführen. 7 Bundesgesetz v. 23.9.1953 über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge (Seeschifffahrtsgesetz); SR 747.30. 8 Zu Österreich vor dem Hintergrund der Transportrechtsreform von 1998 in Deutschland: JesserHuß, Reform des österreichischen Transportrechts? in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 349 ff. 9 Dazu jeweils im Einzelnen ausführlicher unten im jeweiligen Sachzusammenhang. Zu Transportrechtskodifikationsbemühungen in den Niederlanden: Haak, Transportrechtskodifikation in den Niederlanden und in Deutschland: eine Mini-Analyse in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 336 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 7 Teil E
III. Auslegung und Anwendung des international vereinheitlichten Transportrechts Das auf den grenzüberschreitenden Transport anwendbare Recht ist, wie bereits erwähnt, in Kernfragen durch internationale Abkommen (CMR, COTIF, Warschauer Haftungssystem, MÜ, HR etc.) geregelt. Diese Abkommen sind völkerrechtliche Verträge, die mit dem Ziel geschlossen wurden, international einheitliche Regelungen zu schaffen, um zumindest im Regelungsbereich der jeweiligen Abkommen Unsicherheiten über das anwendbare Recht zu beseitigen. Für die Staaten, die die völkerrechtlichen Abkommen ratifiziert haben, bildet die ratifizierte Fassung zugleich innerstaatliches Recht1 – und zwar für die gesamte Transportstrecke, d.h. auch für den innerstaatlichen Teil. Die möglichst einheitliche Anwendung des Abkommensrechts hat oberste Priorität2, wenngleich dies in der Praxis oft eher Wunschvorstellung als Realität ist. Die Auslegungsmethode folgt in erster Linie den völkerrechtlichen Grundsätzen des WVÜ3 und des Völkergewohnheitsrechts4. Dies entspricht zunächst den gewohnten Grundsätzen, denn die Auslegung orientiert sich an den üblichen Merkmalen (Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte5 und Teleologie). Der einheitsrechtliche Charakter unterwirft die Auslegung jedoch einigen Besonderheiten6, wie sich schon bei der Frage zeigt, von welchem Wortlaut auszugehen ist. Ausschlaggebend ist stets der Originalwortlaut des völkerrechtlichen Dokuments; an diesen Wortlaut haben sich die Vertragsstaaten mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung gebunden7. Die im Originalwortlaut, i.d.R. Französisch und/oder Englisch8, verwendeten Begriffe dürfen zudem nicht schlechthin mit den Begriffen der entsprechenden Rechtssprache gleichgesetzt werden9. Ihnen kann eine besondere einheitsrechtliche Bedeutung zukommen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich Divergenzen zwischen verschiedensprachigen Originalfassungen ergeben10. Die verschiedenen Texte besitzen dann nur eine einzige (einheitliche) Bedeutung11, die im Wege rechtsvergleichender Auslegung unter kritischer Auswertung auch der Judikatur und Doktrin der übrigen Vertragsstaaten zu
1 Dies ist i.d.R. Sachrecht, einige Abkommensregeln enthalten aber auch Kollisionsnormen. 2 BGH v. 14.12.1988 – I ZR 235/86, VersR 1989, 309 f.; BGH v. 16.6.1982 – I ZR 100/80, VersR 1982, 1100 f.; BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583 m. zust. Anm. Kropholler; BGH v. 27.10.1978 – o. Az., ETL 1979, 651, 656; BGH v. 25.6.1969 – I ZR 15/67, BGHZ 52, 216 (220); Koller, Transportrecht, CMR, vor Art. 1 CMR Rz. 3 f.; Kronke in MünchKomm/ HGB, Art. 1 WA Rz. 2 f. („der Rechtsanwender sollte bemüht sein, sein Ergebnis international plausibel und akzeptabel zu machen“); Basedow in MünchKomm/HGB, Einl. CMR Rz. 22; Thume in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 5. 3 Wiener Vertragsrechtsübereinkommen vom 25.3.1969, BGBl. II 1985, 926, insbes. Art. 31 ff. 4 Seidl-Hohenveldern, S. 118 ff. 5 Art. 32 WVÜ weist der historischen Auslegung eine untergeordnete Bedeutung zu. Zur demgegenüber beachtlichen Bedeutung in der Praxis amerikanischer Gerichte: Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 3. 6 Grundsätzlich: Kropholler, S. 258 ff., 293 ff.; Chauveau, AASL 2 (1977) 47–54. Vgl. weiter: Canaris, JZ 1987, 543; Lieser, S. 5–58. 7 Soweit erforderlich, muss sich der Rechtsanwender daher vom deutschen Rechtsbegriff lösen: BGH v. 22.2.1975 – I ZR 40/74, NJW 1975, 1597 f.; BGH v. 27.10.1978 – o. Az., ETL 1979, 641; BGH v. 14.7.1983 – I ZR 128/81, NJW 1984, 565 ff. 8 Dazu vgl. etwa Art. 51 CMR. 9 Fothergill v. Monarch, (1980), 2 All E.R. 696, 699 (H.L.); Abnett v. B.A., (1997), 2 W.L.R. 26 = (1996), 146 N.L.J.Rep. 1851 (H.L.); Air France v. Saks, 470 U.S. 392 (1985); Eastern v. Floyd, 499 U.S. 530 = 23 CCH Avi. 17,367 und 17,811 (1991); Zicherman v. KAL, 116 S. Ct. 629 = AASL 21-II (1996) 449; Mankiewicz, Nr. 22 (S. 17–20). 10 Z.B. bei der Beschreibung des schweren Verschuldens nach kontinentaleuropäischer gegenüber Common-Law-Terminologie. Dazu mit Beispielen: Kadletz, Conflicts, S. 28 ff. 11 BGH v. 10.10.1991 – I ZR 193/89, NJW 1992, 621 f.; OGH Wien v. 27.4.1987 – I Ob 558/87, TranspR 1987, 372; Surprenant v. Air Canada, (1973), C.A. 107 (Québec); Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 4.
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Teil E Rz. 8
Transport
ermitteln ist1. Jedenfalls wäre als gravierender Fehler in der Anwendung internationaler Abkommen anzusehen, wollte man den jeweiligen Text in seiner nicht immer eindeutigen Übersetzung nur als selbstverständliche Bestätigung der bisherigen eigenen Rechtsprechung zu nationalem Recht ansehen, statt die in den Motiven des jeweiligen Abkommens enthaltenen Beweggründe als Anregung zu verstehen, die nationale Ausrichtung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, um die gewünschte internationale Vereinheitlichung zu ermöglichen. 8
Die Abkommenstexte sind im Wege der Rechtsfortbildung ergänzend auszulegen, wenn sich in dem jeweiligen Abkommen eine planwidrige Lücke findet, die aus dem Sinn und Zweck des Abkommens unter Beachtung der Maxime der Einheitlichkeit gefüllt werden muss2. Das Instrumentarium dafür entspricht dem üblichen (Analogie, Umkehrschluss, teleologische Reduktion und Fortbildung3). Bewusste Regelungslücken4 und planwidrige Lücken, die unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten nicht aus den Abkommen selbst heraus geschlossen werden können5, werden durch das zusätzlich anwendbare nationale Recht gefüllt6. Da der Zweck der Transportrechtsabkommen darin liegt, Einheitsrecht zu schaffen, kann die Reichweite des Einheitsrechts nicht vom unvereinheitlichten, nationalen Recht ausgehend ermittelt werden7. Das ergänzende nationale Recht wird in erster Linie durch die vereinzelt in den Abkommen selbst enthaltenen vereinheitlichten Kollisionsnormen berufen8, im Übrigen durch das IPR des Forums.
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Ein Kern des international vereinheitlichten Transportrechts ist die Transportschadenshaftung. Insoweit ist den meisten Transportrechtskonventionen der Haftungstypus gemeinsam: Es handelt sich um Obhutshaftung mit Exkulpationsvorbehalt9. Den Grundsätzen des modernen Transportrechts entspricht weiterhin die summenmäßig beschränkte Haftung des Frachtführers für einfaches Verschulden10 in Verbindung mit 1 So deutlich Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 4; Mankiewicz, Nr. 23.2, S. 22 f.; Mann, LQR 62 (1946) 278. Dem entspricht die Praxis der Gerichte anderer Rechtsordnungen: Fothergill v. Monarch, (1980), 2 All E.R. 696, 699 (H.L.); Abnett v. B.A., (1997), 2 W.L.R. 26 = (1996), 146 N.L.J.Rep. 1851 (H.L.); Air France v. Saks, 470 U.S. 392 (1985); Eastern v. Floyd, 499 U.S. 530 = 23 CCH Avi. 17,367 und 17,811 (1991); Zicherman v. KAL, 116 S. Ct. 629 = AASL 21-II (1996) 449 m. Anm. Harakas, AASL 21-II (1996) 321 und 1 TAQ 81 (1996/97); nachfolgend Potter v. Delta, 98 F.3d 881 (C.A. 5 Cir. 1996). Kronke hebt hervor, dass der materielle Interessenausgleich zwischen den Transportvertragsparteien allerdings schwerer wiegt als eine zweifelsfrei als unrichtig erkannte Entscheidung eines angesehenen Gerichts. 2 BGH v. 28.2.1975 – I ZR 40/74, NJW 1975, 1597 f.; BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583 f. m. Anm. Kropholler; BGH v. 14.12.1988 – I ZR 235/86, VersR 1989, 309 f.; Kropholler, S. 292; Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 4; Kronke, MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 5; Thume in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 12 f. 3 Kropholler, S. 292 ff. m.w.N. 4 Auf diese weisen bereits die Originaltitel der HR und des WA besonders hin „Convention internationale pour l’unification de certaines règles en matière de connaissements“ bzw. „Convention pour l’unification de certaines règles relatives au transport aérien international“ [Hervorhebungen vom Verf.]. 5 Z.B. bei Regelungsbedarf aufgrund technischer Weiterentwicklung. 6 Bezeichnend Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 4 (vor Art. 17 CMR Rz. 1): „Die CMR stellt keine Kodifikation dar.“ Ausführlich: Lieser, Ergänzung der CMR durch unvereinheitlichtes deutsches Recht; vgl. auch Basedow, TranspR 1994, 338. 7 So aber OLG Düsseldorf v. 18.11.1971 – 18 U 102/71, VersR 1973, 177 f. im Hinblick auf das Abkommenskollisionsrecht der CMR. 8 Etwa Art. 35 Abs. 2 Montrealer Übereinkommen, nach dem sich die Berechung der Ausschlussfrist für Ansprüche gegen den Frachtführer nach den Gesetzen des angerufenen Gerichts bestimmt. 9 Grundsätzlich: Helm, Haftung für Schäden an Frachtgütern (1966); Basedow, Transportvertrag, S. 392 ff. Zur Obhut aus jüngster Zeit: General Electric v. Harper Robinson, 818 F.Supp. 31, 33 ff. (E.D.N.Y. 1993); LG Hamburg v. 5.4.1995 – 417 O 142/93, IPRax 1995, 402 m. Anm. Kronke. 10 Nach Helm, Haftung für Schäden an Frachtgütern, S. 148 handelt es sich dabei um kein echtes Prinzip des Transportrechts, sondern um eine Gemeinsamkeit der Transportrechtsgesetze. Vgl. auch Rodière, Nr. 544, 628 ff. der insbesondere für das innerfranzösische Transportrecht, das
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Transportverträge
Rz. 12 Teil E
dem Ausschluss der Berufung des Frachtführers auf die Haftungsbeschränkung, wenn ihm qualifiziertes Verschulden, d.h. in der Regel Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Von diesen Grundsätzen gibt es aber auch eine Ausnahme: Das moderne Luftfrachtrecht kehrt mit dem Montrealer Zusatzprotokoll Nr. 4 zum Warschauer Abkommen und dem Montrealer Übereinkommen von 1999 (s. Rz. 201 ff.) zur strikten Haftung und damit zur strengen Rezeptumshaftung des alten Transportrechts zurück. Damit geht die Unverbrüchlichkeit der Haftungshöchstgrenzen sogar für Vorsatz einher. Diese prinzipielle Umkehr sollte die Schadensregulierung vereinfachen, indem sie eine Beschleunigung und die Senkung der Fracht- und Versicherungskosten1 bewirkt. Ob diese Hoffnung erfüllt worden ist, darf bezweifelt werden. Es kann hilfreich sein, Transportrechtsabkommen übergreifend systematisch auszulegen. Dies ist u.a. dort von Nutzen, wo das Recht des grenzüberschreitenden Transports nicht nur durch ein einziges Abkommen geregelt ist, sondern durch ein aus mehreren Völkerrechtsverträgen bestehendes „Abkommenssystem“. Dies ist neben dem Seetransportrecht insbesondere im Lufttransportrecht der Fall (dazu s. Rz. 200 ff.). Bei der Auslegung jüngerer Abkommenstexte und Zusatzprotokolle ergibt sich der Regelungsumfang und -zweck häufig vor dem Hintergrund früherer Praxis bei der Anwendung paralleler älterer Texte2 (so lässt sich bei der Schaffung der CMR etwa der Rückgriff auf das WA und das HP und dort der Rückgriff auf die HR belegen; darüber hinaus wurde bei der Schaffung der Transportrechtsnovelle auf CMR, WA, HP, ZAG und HR zurückgegriffen3). Der üblichen Gesetzestechnik entspricht es schließlich, dass Änderungen des Wortlauts entweder nur auf eine Klarstellung oder auf eine Neuregelung abzielen können4.
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Kapitel 2. Transportverträge Der Begriff „Transportverträge“ ist mit Vorsicht zu verwenden. Im weitesten Sinne deutet er auf einen Vertrag hin, der sich auf die Beförderung von Personen oder Gütern bezieht. In der Praxis des Transportgeschäfts gibt es allerdings neben den Unternehmern, die Transporte selbst durchführen, auch solche, die sie nur vermitteln und die Beförderung organisieren. Terminologisch handelt es sich bei Ersteren um Frachtführer und bei Letzteren um Spediteure. Die deutsche, die schweizerische und die österreichische Rechtsordnung unterscheiden dementsprechend und haben eigene Regelungskomplexe für Spediteur einerseits und Frachtführer andererseits herausgebildet. Schwierig ist die Abgrenzung im täglichen Leben allerdings deshalb, weil moderne Logistikunternehmen alle Arten von Logistikdienstleistungen anbieten und dabei mal als Spediteur, mal als Frachtführer im juristischen Sinne auftreten. Zudem ist der Transportvertrag von Miet- oder Charterverträgen abzugrenzen, bei denen es sich um Gebrauchsüberlassungsverträge handelt.
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Bevor nachfolgend die einzelnen Vertragstypen abgehandelt werden, sei mit folgender Differenzierung die juristische Einordnung erleichtert: Ein Transportvertrag im enge-
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keine Haftungsbeschränkung auf den Sachwert kennt, den Zuspruch auch des Folgeschadensersatzes nachweist. Vermeidung von Mehrfachversicherung durch Deckungslücken. Dazu Kadletz, Haftung und Versicherung, S. 66. Problematisch sind in diesem Zusammenhang allerdings die gesetzlichen Haftungsausschlüsse (Art. 18 Abs. 3 WA/HP/MP Nr. 4) sowie der insoweit nicht bedachte Vorteil einer Door-to-door-Versicherung; dazu ebd. S. 283 ff. Montreal Trust v. Stampleman, 14 CCH Avi. 17,510 (S. Ct. Canada) m. Anm. Magdelénat, AASL 2 (1977) 469. Auch die Überarbeitung des eigentlich älteren Eisenbahntransportrechts orientiert sich nunmehr am Straßengütertransportrecht: Mutz, Die Reform des internationalen Eisenbahntransportrechts im Lichte der CMR in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 301 ff. Chauveau, AASL 2 (1977), 47, 48; Riese, ZLR 5 (1956), 4.
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Transportverträge
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dem Ausschluss der Berufung des Frachtführers auf die Haftungsbeschränkung, wenn ihm qualifiziertes Verschulden, d.h. in der Regel Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Von diesen Grundsätzen gibt es aber auch eine Ausnahme: Das moderne Luftfrachtrecht kehrt mit dem Montrealer Zusatzprotokoll Nr. 4 zum Warschauer Abkommen und dem Montrealer Übereinkommen von 1999 (s. Rz. 201 ff.) zur strikten Haftung und damit zur strengen Rezeptumshaftung des alten Transportrechts zurück. Damit geht die Unverbrüchlichkeit der Haftungshöchstgrenzen sogar für Vorsatz einher. Diese prinzipielle Umkehr sollte die Schadensregulierung vereinfachen, indem sie eine Beschleunigung und die Senkung der Fracht- und Versicherungskosten1 bewirkt. Ob diese Hoffnung erfüllt worden ist, darf bezweifelt werden. Es kann hilfreich sein, Transportrechtsabkommen übergreifend systematisch auszulegen. Dies ist u.a. dort von Nutzen, wo das Recht des grenzüberschreitenden Transports nicht nur durch ein einziges Abkommen geregelt ist, sondern durch ein aus mehreren Völkerrechtsverträgen bestehendes „Abkommenssystem“. Dies ist neben dem Seetransportrecht insbesondere im Lufttransportrecht der Fall (dazu s. Rz. 200 ff.). Bei der Auslegung jüngerer Abkommenstexte und Zusatzprotokolle ergibt sich der Regelungsumfang und -zweck häufig vor dem Hintergrund früherer Praxis bei der Anwendung paralleler älterer Texte2 (so lässt sich bei der Schaffung der CMR etwa der Rückgriff auf das WA und das HP und dort der Rückgriff auf die HR belegen; darüber hinaus wurde bei der Schaffung der Transportrechtsnovelle auf CMR, WA, HP, ZAG und HR zurückgegriffen3). Der üblichen Gesetzestechnik entspricht es schließlich, dass Änderungen des Wortlauts entweder nur auf eine Klarstellung oder auf eine Neuregelung abzielen können4.
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Kapitel 2. Transportverträge Der Begriff „Transportverträge“ ist mit Vorsicht zu verwenden. Im weitesten Sinne deutet er auf einen Vertrag hin, der sich auf die Beförderung von Personen oder Gütern bezieht. In der Praxis des Transportgeschäfts gibt es allerdings neben den Unternehmern, die Transporte selbst durchführen, auch solche, die sie nur vermitteln und die Beförderung organisieren. Terminologisch handelt es sich bei Ersteren um Frachtführer und bei Letzteren um Spediteure. Die deutsche, die schweizerische und die österreichische Rechtsordnung unterscheiden dementsprechend und haben eigene Regelungskomplexe für Spediteur einerseits und Frachtführer andererseits herausgebildet. Schwierig ist die Abgrenzung im täglichen Leben allerdings deshalb, weil moderne Logistikunternehmen alle Arten von Logistikdienstleistungen anbieten und dabei mal als Spediteur, mal als Frachtführer im juristischen Sinne auftreten. Zudem ist der Transportvertrag von Miet- oder Charterverträgen abzugrenzen, bei denen es sich um Gebrauchsüberlassungsverträge handelt.
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Bevor nachfolgend die einzelnen Vertragstypen abgehandelt werden, sei mit folgender Differenzierung die juristische Einordnung erleichtert: Ein Transportvertrag im enge-
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keine Haftungsbeschränkung auf den Sachwert kennt, den Zuspruch auch des Folgeschadensersatzes nachweist. Vermeidung von Mehrfachversicherung durch Deckungslücken. Dazu Kadletz, Haftung und Versicherung, S. 66. Problematisch sind in diesem Zusammenhang allerdings die gesetzlichen Haftungsausschlüsse (Art. 18 Abs. 3 WA/HP/MP Nr. 4) sowie der insoweit nicht bedachte Vorteil einer Door-to-door-Versicherung; dazu ebd. S. 283 ff. Montreal Trust v. Stampleman, 14 CCH Avi. 17,510 (S. Ct. Canada) m. Anm. Magdelénat, AASL 2 (1977) 469. Auch die Überarbeitung des eigentlich älteren Eisenbahntransportrechts orientiert sich nunmehr am Straßengütertransportrecht: Mutz, Die Reform des internationalen Eisenbahntransportrechts im Lichte der CMR in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 301 ff. Chauveau, AASL 2 (1977), 47, 48; Riese, ZLR 5 (1956), 4.
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Teil E Rz. 13
Transport
ren Sinne – „Frachtvertrag“ – liegt nach deutschem (§ 407 dtHGB), österreichischem (§ 425 öUGB) und schweizerischem (Art. 440 Abs. 1 OR) Recht vor, wenn der Transportunternehmer die Ausführung des Transportes gegen Entgelt als eigene Pflicht übernimmt. Der Frachtvertrag kann auch als Raumfrachtvertrag geschlossen werden, bei dem der Frachtführer seinem Kunden Schiffs-, Eisenbahnwaggon- oder Lkw-Laderaum entweder ganz oder räumlich abgegrenzt zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zum Frachtvertrag, für den das werkvertragliche Erfolgselement typisch ist (in der Schweiz sind auf den Frachtvertrag jedoch ergänzend die Bestimmungen über den Auftrag, nicht über den Werkvertrag, anwendbar; Art. 440 Abs. 2 OR), stellt die bloße Überlassung eines Fahrzeugs zu Transportzwecken Miete oder Charter dar. Schwierig kann die Abgrenzung zum so genannten Wet Lease werden, bei dem das Fahrzeug mitsamt Fahrzeugführer und sonstigen Funktionen (Treibstoff etc.) zur Verfügung gestellt wird1. Ein schlichter Gebrauchsüberlassungsvertrag – und kein Frachtvertrag – liegt dann vor, wenn das Fahrzeug letztlich der Verfügungsgewalt des Mieters unterstellt ist2. Dies gilt auch für den Lohnfuhrvertrag, der eine Kombination aus Mietvertrag und Dienstverschaffungsvertrag darstellt3. 13
Der Spediteur ist hingegen nicht selbst Beförderer – mithin nicht „Frachtführer“ –, sondern Geschäftsbesorger; er schuldet die Organisation der Beförderungsleistung. Diese Differenzierung gilt sowohl in Deutschland (§ 453 dtHGB) als auch Österreich (§ 407 öUGB) und der Schweiz (Art. 439 OR). Weiterhin ist der deutschen und österreichischen Rechtsordnung gemeinsam, dass in den Fällen der §§ 458–460 des deutschen HGB und der §§ 412, 413 des österreichischen UGB der Spediteur entweder qua gesetzlicher Anordnung oder durch Wertung4 wie ein Frachtführer haftet. Dabei handelt es sich um die Fälle, in denen der Spediteur die Versendung des Gutes entweder zu fixen Kosten übernimmt, den Transport selbst ausführt oder sog. „Sammelladungsspedition“ vorliegt. Im schweizerischen Recht bereitet lediglich die dogmatische Einordnung des Selbsteintritts, der Sammelladungs- oder der Fixkostenspedition einige Probleme. Da der Spediteur in Bezug auf den Transport der Waren aber immer nach Frachtvertragsrecht haftet, hat die Qualifizierung dieser Sachverhalte als Speditions- oder Frachtvertrag in Bezug auf die Haftung keine gewichtigen praktischen Auswirkungen5.
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In der Praxis schließt allerdings auch der Unternehmer, der sich „Spediteur“ nennt, häufig Frachtverträge ab. Ob ein Speditions- oder ein Frachtvertrag vorliegt, bestimmt sich nicht nach der äußeren Bezeichnung der Parteien, sondern ist durch Auslegung zu ermitteln; auch dies gilt in Deutschland ebenso wie in der Schweiz6 und Österreich7.
I. Spedition und Multimodaler Transport 1. Allgemeines 15
Für Speditionsverträge mit grenzüberschreitendem Bezug existiert bislang keine in Kraft getretene international rechtsvereinheitlichende Konvention, wie es sie etwa für verschiedene Frachtverträge (Straße, Schiene, Luft, See) gibt. Internationale Ver1 Schwenk, BB 1970, 282 f. 2 BGH v. 14.7.1970 – VI ZR 203/68, VersR 1970, 934 f.; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 91/85, VersR 1986, 31 f. (Binnenschiff); OLG Nürnberg v. 21.1.1994 – 12 U 2519/93, TranspR 1994, 286 f.; OGH Wien v. 30.5.1985 – 7 Ob 29/84, TranspR 1986, 225 (Lkw). 3 OLG Innsbruck v. 20.6.1995 – I R 154/95, TranspR 1997, 343 (346). 4 Montanaro, Die Haftung des Spediteurs für Schäden an Gütern (2001), S. 102–123. 5 Vgl. zum Ganzen Montanaro, S. 103 ff.; Gautschi, N 8 zu Art. 439; Von Ziegler/Montanara, N 18 ff. zu Art. 457; Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 15.11.1993, SJZ 1996, S. 12. 6 Montanaro, S. 7–8. 7 Csoklich in Jabornegg/Artmann, Kommentar zum UGB, 2. Aufl. (März 2010), Rz. 16 zu § 407; Kerzendorfer/Geist in Jabornegg, Kommentar zum HGB, Wien 1997, § 407 HGB Rz. 8 ff.
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Transportverträge
Rz. 17 Teil E
bände wie z.B. der Spediteurverband FIATA1 haben sich aber um Vereinheitlichung durch Standardklauseln bemüht. Dies trifft auf die allgemeine Tätigkeit des Spediteurs (Transportorganisation) ebenso zu wie insbesondere auf die Organisation und auch auf die Durchführung des sog. „Multimodaltransports“ (MT). Beim MT handelt es sich um den Transport mit verschiedenartigen Transportmitteln (z.B. zunächst per LKW, dann auf der Schiene und später per Luft oder über See oder Binnenschiff) aufgrund eines einheitlichen Frachtvertrages („Durchfrachtvertrag“). Häufig erfolgt dieser Transport mit Containern, die am Abgangsort verschlossen, dann im Laufe des Transports verschiedentlich umgeladen, aber erst am Bestimmungsort vom Empfänger wieder geöffnet werden. Der Spediteur, der den Multimodaltransport „nur“ organisiert, wird auch als „Multimodal Transport Operator“ (MTO) bezeichnet, derjenige, der sich selbst zur Ausführung des Multimodaltransportes als Ganzes oder über eine multimodale Teilstrecke verpflichtet, als „Multimodal Transport Carrier“ (MTC)2.
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Ein internationales Abkommen über den Multimodaltransport (MT-Übereinkommen) ist bislang nicht in Kraft getreten (s. hierzu Rz. 17). 2. Internationales Privatrecht a) Multimodaltransport-Übereinkommen Obwohl Transporte mit verschiedenen Transportmitteln aufgrund einheitlichen Frachtvertrages (Multimodaltransport, Durchfrachtoperationen) bereits im 19. Jahrhundert ausgeführt wurden (z.B. Beförderung amerikanischer Baumwolle ins deutsche Binnenland als einheitliche Dienstleistung über See und Eisenbahn) und seit dem Aufkommen der grenzüberschreitenden multimodalen Containertransporte enorme Bedeutung genießen, fehlt es bisher an einer einheitlichen Rechtsordnung. Das UNÜbereinkommen über den internationalen multimodalen Durchfrachtverkehr (MTÜbk.) vom 24.5.19803 ist bisher weder in Kraft getreten noch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden. Das MT-Übk. sieht ein dem Konnossement vergleichbares, begebbares Transportpapier vor (Art. 5–13) sowie zwingende Haftungsregeln für Frachtschäden und Verspätung (Art. 14 ff.). Die Haftung folgt dem Network-System mit Einheitshaftung. Der MTO haftet danach für vermutetes Verschulden (Art. 16), und zwar bei unbekanntem Schadensort in Höhe der so genannten „Einheitshaftung“ (Art. 18), die davon abhängig ist, ob der Transport auch über Binnengewässer oder über See geführt hat (sog. Prinzip der „gespaltenen Basishaftung“4). Dies liegt insbesondere beim Ro/Ro-Verkehr5 vor. Die „Einheitshaftung“ liegt dann der Höhe nach auf dem Niveau der seefrachtrechtlichen Hamburg-Regeln6 (dort Art. 6 Abs. 1: 2,5 SZR und § 504 Abs. 1 Satz 1 dtHGB: 2 SZR; Art. 18 Abs. 1 MT-Übk.: 2,75 SZR) und soll bewirken, dass das Prozessieren um die Frage, ob der Schaden auf der Seestrecke (niedrigere Haftung) oder auf der Landstrecke (höhere Haftung) eingetreten ist, vermieden wird. Ansonsten, etwa beim „Huckepack-Verkehr“ i.e.S.7, beträgt die Einheitshaftung bei 1 Fédération Internationale des Associations de Transitaires et Assimilés. 2 Die Terminologie ist nicht immer einheitlich. Montanaro, S. 16, bezeichnet etwa den MTO als denjenigen, der nicht nur organisiert, sondern selbst die Beförderungspflicht übernimmt. 3 Abdruck in ETL 1980, 487 ff.; TranspR 1981, 67 ff. sowie bei Bydlinsky in MünchKomm/HGB, MMT Rz. 87 ff. Ausführlich dazu: Richter-Hannes, Die UN-Konvention über die internationale multimodale Güterbeförderung, 1982; Herber; Helm u.a., TranspR 1981, 37 ff.; Herber, Hansa 1980, 950; Larsen/Dielmann, VersR 1982, 417. 4 Dubischar, S. 164. 5 Roll-on/Roll-off-Verkehr: Beförderung beladener Straßenfahrzeuge per See- oder Binnenschiff. 6 UN Convention on the Carriage of Goods by Sea, 1978 (Hamburg Rules). Durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz v. 25.7.1986 (BGBl. I, 1120) sind wesentliche Vorschriften der Hamburg-Regeln, die die Haager Regeln von 1921/24 modifizieren, in das Seefrachtrecht des HGB eingeflossen. 7 Beförderung beladener Straßenfahrzeuge per Eisenbahn.
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Bürskens 379
17
Teil E Rz. 18
Transport
unbekanntem Schadensort 8,33 SZR (Art. 18 Abs. 1). Ist der Schadensort hingegen bekannt, haftet der MTO über den Einheitsbetrag hinaus nach dem einschlägigen Teilstreckenrecht, sofern das anwendbare internationale Einheitsrecht oder das Landesrecht eine höhere Haftung vorsieht (Art. 19)1. Die Haftungsbeschränkungen entfallen bei qualifiziertem Verschulden des MTO (Art. 21). b) Dokumente des kombinierten Transports 18
Mangels Einheitsrechts folgen die für den grenzüberschreitenden Multimodaltransport anwendbaren Regeln im Wesentlichen den als Basis des Transportes verwendeten Dokumenten2. In der Praxis sind für internationale kombinierte Transporte das von der Internationalen Handelskammer (ICC) ausgearbeitete CT-Dokument3 und das Papier des internationalen kombinierten Transports der FIATA, das Combined Transport Bill of Lading (FBL), gebräuchlich4. Allerdings können selbstverständlich auch Transporte, welche auf anderen Frachtdokumenten basieren, nach den Regeln des multimodalen Transportes zu behandeln sein. Das FIATA Combined Bill of Lading5 verbrieft den Anspruch des Berechtigten auf Beförderung und Ablieferung des Gutes im kombinierten Verkehr. Stellt der Spediteur ein FBL aus, obwohl er das Gut nicht übernommen hat, so haftet er der Höhe nach ohne transportrechtliche Beschränkungen auf Schadensersatz6.
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Das FIATA7 Forwarders Certificate Receipt8 entspricht hingegen einer normalen Quittung für die Übernahme von Gütern zum Transport. Es ist weder einem Frachtbrief noch einem Konnossement noch einem sonstigen Legitimations- oder Wertpapier vergleichbar9. Etwas Anderes gilt für das Forwarders Certificate of Transport10, welches als Orderpapier ausgestellt wird und in dem der Spediteur es unwiderruflich und zugunsten des daraus Berechtigten i.S.d. § 328 BGB (Österreich: § 881 ABGB, Schweiz: Art. 1145 OR) übernimmt, dem aus dem FCT Berechtigten das Gut durch einen Empfangsspediteur auszuhändigen11. c) Kollisionsrecht für Spedition und Multimodaltransporte
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Sofern die auf den jeweiligen Multimodaltransport anwendbaren Regelungen nicht den für den Transport ausgestellten Dokumenten zu entnehmen sind, sind diese durch Anwendung von Kollisionsrecht zu ermitteln. aa) Speditionsvertrag
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Für den Speditionsvertrag finden sich in den von den Spediteuren verwendeten Bedingungswerken Rechtswahlklauseln (in Deutschland derzeit die ADSp 2016, dort Ziff. 30.1; in Österreich die AÖSp 2003, dort § 65; in der Schweiz AB Spedlogswiss 2005, 1 Dazu vgl. die grafische Gegenüberstellung der verschiedenen Vorschriften über den Haftungsumfang bei Basedow, S. 415. 2 S. auch z.B. Kindred/Brooks, Multimodal Transport Rules, 1997. 3 ICC Publication No. 481. 4 Ramberg, The Present State of the Freight Forwarder as Multimodal Transport Operator, in FIATA Information (März 1992) S. 2 f. Für einen rechtsvergleichenden Überblick über die Auslegung der Standardklauseln: De Vitt, ch. 5 (S. 243 ff.). 5 Abdruck eines Musters bei Bydlinsky in MünchKomm/HGB, S. 389–393. 6 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 26/86, NJW 1987, 588. 7 Fédération Internationale des Associations des Transporteurs et Assimilés. 8 Abdruck eines Musters bei Bydlinsky in MünchKomm/HGB, S. 394. 9 BGH v. 15.12.1976 – VIII ZR 295/75, BGHZ 68, 18 (22); OLG Hamburg v. 19.8.1982 – 6 U 59/82, VersR 1983, 453; LG Hamburg v. 28.4.1992 – 402 O 184/91 VersR 1993, 211 (Sonderfall). 10 Abdruck bei Bydlinsky in MünchKomm/HGB, S. 395. 11 Das FCT stellt aber kein Konnossement dar; AG Bremen v. 19.6.1992 – 7 C 153/92, TranspR 1992, 418.
380 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 25 Teil E
Art. 33; AB Spedlogswiss Reedereiagenten 2005, Art. 28 und AB Spedlogswiss Lager 2001, Art. 32). Dabei definieren die ADSp 2016 in Ziff. 2.1 zunächst ihren eigenen Anwendungsbereich als weit (für alle Verkehrsverträge, gleichgültig ob Speditionsvertrag i.e.S., Fracht- oder sonstiger Verpackungssarbeiten), machen nachfolgend allerdings weitgehende Einschränkungen (keine Geltung für Verträge mit Verbrauchern, für Umzugsgut). Insofern sind auch andere Bedingungswerke zu beachten. Das schweizerische Bedingungswerk geht gar noch weiter und unterstellt sämtliche von den Mitgliedern der AB Spedlogswiss abgeschlossenen Verträge, sei es als Vermittler, als Frachtführer, als Lagerhalter, als Reedereiagent oder als Erbringer weiterer Dienstleistungen dem jeweiligen Bedingungswerk. Die Verwendung von Standardbedingungen ist im Speditionsgeschäft weitestgehend üblich. Diese enthalten üblicherweise Rechtswahlklauseln. Sofern aber eine solche Klausel nicht wirksam in den Speditionsvertrag eingeführt worden oder unwirksam sein sollte, kommen die Vermutungsregeln des Kollisionsrechts zur Anwendung1.
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Die kollisionsrechtliche Bewertung hängt zunächst vom Charakter des zugrunde liegenden Vertrages ab. Daher stellt sich zunächst die Frage nach der kollisionsrechtlichen Qualifikation des Speditionsvertrages (Transportvertrag? Geschäftsbesorgungsvertrag? Dienstvertrag? Werkvertrag?). In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es hier ein weitgehend übereinstimmendes Bild.
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Im Allgemeinen Sprachgebrauch wird der „Spediteur“ häufig als Synonym für Frachtführer gebraucht. Und auch das tatsächliche Geschäftsportfolio eines als „Spedition“ auftretenden Unternehmens umfasst häufig viele, zivilrechtlich völlig unterschiedlich zu beurteilende Arten von Geschäften wie Planung und Organisation von Versendungen, eigene Durchführung (gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Subunternehmern), Lagerung, Erarbeitung und Umsetzung komplexer Logistik-Komplettlösungen z.B. für Distributionskanäle, Dienstleitungen betreffend Ladevorgänge, Zollhandling, Verpackung, Projektberatung und -überwachung. Der zivilrechtliche Begriff der Spedition ist jedoch enger. Er beschreibt nicht alle der vorgenannten Tätigkeiten, sondern im Wesentlichen die Organisation der Versendung von Gütern; die Durchführung von Transporten bzw. die eigene Übernahme der Verpflichtung zur Durchführung von Transporten ist hingegen eine frachtvertragsrechtliche Verpflichtung2.
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Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Speditionsvertrages mangels Rechtswahlklausel (Art. 3 Rom I-VO, Art. 116 IPRG) Art. 5 Abs. I Rom I-VO, („Beförderungsverträge“)3 unterliegt. Die Differenzierung zwischen Spediteur und Frachtführer wird zwar nicht in allen Ländern mit vergleichbarer Schärfe durchgeführt. In Übereinstimmung mit der Vorläuferbestimmung (Art. 4 Abs. 4 EVÜ, Art. 28 Abs. 4 dtEGBGB) sind als „Güterbeförderungsverträge“ im Sinne der Rom I-VO aber nur solche anzusehen, in denen der Vertragspartner die Beförderung selbst zu übernehmen verspricht4. Dem entspricht das deutsche Rechtsverständnis, denn der „klassische“ Spediteur verspricht gerade nicht die eigene Erbringung einer Beförderungsleistung. Daher fällt das typische Speditionsgeschäft nicht unter Art. 5 der Rom I-VO, sondern unter Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO (Anknüpfung an den Ort der gewerblichen Niederlassung des Spediteurs)5.
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1 Ausführlich: Mankowski in Reithmann/Martiny, Rz. 1366 ff. 2 Valder, Zur Definition des Speditionsgeschäfts in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 171 ff. 3 Zur Änderung der Rechtsprechung zu Art. 28 EGBGB durch Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO: Vyvers, NZV 2013, 224. 4 Bericht von Giuliano/Lagarde, abgedr. in North, Contract Conflicts, Oxford 1982, Appendix B, S. 355 ff., 376. 5 So auch Mankowski in Reithmann/Martiny, Rz. 1375 ff.; Koller, Transportrecht, § 453 HGB Rz. 64. Insofern in Übereinstimmung mit der noch zur EVÜ ergangenen Entscheidung EuGH v. 23.10.2014 – Rs. C-305/13.
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Teil E Rz. 26 26
Transport
Das schweizerische IPR-Gesetz1 knüpft für Speditionsdienstleistungen bei Fehlen einer Rechtswahl an die Niederlassung des Dienstleistungserbringers an (Art. 117 Abs. 2 i.V.m. mit Abs. 3 lit. c IPRG)2. Mangels vertraglicher Rechtswahl ist in Österreich für nach dem 18.12.2009 geschlossene Speditionsverträge das anwendbare Recht nach der Rom I-Verordnung zu bestimmen. Dabei ist als Vorfrage zu klären, ob es sich um einen Speditionsvertrag oder einen Güterbeförderungsvertrag handelt, da die Anknüpfungspunkte in der Rom-I-Verordnung unterschiedlich sind. Gelangt man zum Ergebnis, dass ein Güterbeförderungsvertrag vorliegt – was nach hM bei Selbsteintritt und Fixkostenspedition sowie bei Sammelladungsspedtion vorliegt – so finden die Bestimmungen in Artikel 5 der Rom-I-Verordnung für Beförderungsverträge Anwendung: Mangels Rechtswahl ist im Hinblick auf den Speditionsvertrag dann das Recht jenes Staates anzuwenden, in dem der Spediteur im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern in diesem Staat auch der Übernahme- oder Ablieferort liegt oder der Absender dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Liegt tatsächlich ein Speditionsvertrag vor, so kommen die allgemeinen Bestimmungen in Artikel 4 Abs. 2 der Rom I-Verordnung zur Anwendung: Mangels Rechtswahl unterliegt der Speditionsvertrag dem Recht jenes Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat3.
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Vor dem aufgezeigten Hintergrund ist für die kollisionsrechtliche Einordnung im Falle einer nicht vorhandenen oder unwirksamen Rechtswahl stets die Frage zu klären, ob der Spediteur konkret als Geschäftsbesorger oder als Frachtführer handelt (sei es weil es so ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde oder weil der Spediteur nach zwingendem Recht z.B. als Frachtführer behandelt wird, wie im Falle der Fixkostenspedition, des Selbsteintritts oder der Sammelladung). Ist er wie ein Frachtführer zu behandeln, so folgen seine Pflichten insoweit frachtrechtlichen Regeln. Dies gilt auch für die Frage der Zulässigkeit der Rechtswahl und die gesetzliche Anknüpfung. bb) Multimodale Transporte
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Grundsätzlich bleibt es auch im Bereich des multimodalen Transportes beim Vorrang zwingender internationaler Abkommen vor den vertraglichen Festlegungen und dem jeweiligen nationalen Recht. Dies führt bei bekanntem Schadensort dazu, dass sich die Haftung des Frachtführers nur nach den Regelungen richtet, welche auf die entsprechende Teilstreckenbeförderung anwendbar gewesen wären (§ 452a dtHGB)4.
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Dies wird – je nach den Umständen der Teilstreckenbeförderung – nach den allgemeinen Regeln wiederum das Recht eines internationalen Abkommens, deutsches oder auch ausländisches nationales Recht sein. Lediglich in solchen Fällen, in denen der Schadensort im Rahmen eines multimodalen Transportes unbekannt bleibt, verweist § 452 dtHGB auf die §§ 407 ff. dtHGB. Insofern hat der Gesetzgeber dem „Schärfsthaftungsprinzip“ des BGH eine Absage erteilt5.
1 2 3 4
Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (IPRG); SR 291. Amstutz/Vogt/Wang, Art. 117 Rz. 38. Jabornegg/Artmann, Kommentar zum UGB, 2. Aufl. (März 2010), Rz. 46 zu § 407 UGB. Übersicht der anwendbaren Regelungen bei: Fremuth in Fremuth/Thume, Transportrecht, HGB, § 452 HGB Rz. 23. Das schweizerische Recht kennt keine entsprechende Regelung, so dass das nach Kollisionsrecht ermittelte Recht zur Anwendung gelangt (Erbe/Schlienger, Der Multimodalvertrag im schweizerischen Recht, TranspR 2005, S. 421 ff.; Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4A.218/2009 vom 19.2.2009; a.A. Benz, N 11 zu Art. 456). 5 BGHZ 101, 172 (179 ff.).
382 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 32 Teil E
3. Materiellrechtliche Besonderheiten a) Das Speditionsrecht und seine Neuregelung in Deutschland von 1998 Die charakteristische Leistung des Speditionsgeschäfts1 liegt in der Übernahme der Versendung für Rechnung eines anderen. Typischerweise übernimmt es der Spediteur, gegen Entgelt die Organisation des Transportes zu besorgen. Soweit er die zum Transport erforderlichen Frachtverträge selbst abschließt, ist er der Absender i.S.d. Frachtrechts; der Auftraggeber des Spediteurs wird in § 453 Abs. 2 dtHGB als Versender bezeichnet. Der Spediteur kann auch weitere Spediteure einschalten; diese sind dann Zwischenspediteure, wenn sie die weitere Besorgung für eine Teilstrecke selbständig übernehmen2, oder Unterspediteure, wenn sie nach Weisung des Hauptspediteurs eine die Besorgung fördernde Handlung vornehmen3. Der Empfangsspediteur wird typischerweise vom Versendungsspediteur zur Empfangnahme des Gutes und zur Endablieferung eingeschaltet. Der sog. „Bahnspediteur“ schließlich ist kein Spediteur, sondern als amtlich bestellter Rollfuhrunternehmer Erfüllungsgehilfe der Bahn4. Die Aufwendungen, die dem Spediteur durch den Abschluss der Verträge über die Ausführung der Versendung (so die Bezeichnung in § 454 Abs. 1 Nr. 2 dtHGB) mit Frachtführern, weiteren Spediteuren und Lagerunternehmern oder durch anderweitige Auslagen, etwa im Rahmen der Zollbehandlung, entstehen, kann er aufgrund seines Aufwendungsersatzanspruchs vom Versender verlangen5. Der Spediteur ist allerdings nicht zwingend darauf beschränkt, den Transport nur zu organisieren. Er hat das Recht, den Transport selbst auszuführen (Selbsteintritt, § 458 dtHGB), was zur Folge hat, dass hinsichtlich der Beförderung Frachtrecht Anwendung findet und er die Fracht selbst als Gegenleistung vom Versender verlangen kann. Dasselbe gilt bei der Spedition zu festen Kosten (Fixkostenspedition, § 459 dtHGB) und der Sammelladungsspedition (§ 460 dtHGB).
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Der Speditionsvertrag ist für den Spediteur ein Kaufmannsgeschäft (§ 453 Abs. 3 dtHGB). Die Haftung des Spediteurs für Güterschäden folgt der summenmäßig beschränkten Obhuthaftung des Frachtführers (§ 461 Abs. 1 dtHGB), während Verzögerungs- und andere Begleitschäden der unbeschränkten Haftung für vermutetes Verschulden unterliegen (§ 461 Abs. 2 dtHGB). Hinsichtlich der Gegenleistung wurde der Provisionsbegriff durch den der Vergütung (§ 456 dtHGB) ersetzt.
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Bis 1998 wurde die Rechtswirklichkeit allerdings nicht maßgeblich von der gesetzlichen Regelung bestimmt, sondern von den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp). Sie gingen zurück auf einen Kompromiss zwischen Spediteuren und der verladenden Wirtschaft. Ziel dieser Einigung war es, die durch Klauselverdikte der Rspr. „ins Unerträgliche“6 gesteigerte Rechtsunsicherheit über die Standardbedingungen von Speditionsverträgen zu beseitigen. Seit dem Transportrechtsreformgesetz
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1 Jesser-Huß, Reform des österreichischen Transportrechts? in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 349 ff. 2 RG v. 2.2.1918 – I 245/17, RGZ 94, 97, 101; BGH v. 28.6.1962 – II ZR 96/60, BGHZ 37, 294 (296). 3 RG v. 2.2.1918 – I 245/17, RGZ 94, 97 (101). 4 Zur Rechtslage in Österreich vgl. Jabornegg/Altmann, Kommentar zum UGB, 2. Aufl. (März 2010, Rz. 13 zu § 407: Bahnspediteure sind – im Regelfall von der Eisenbahn – mit dem Vor-/ Nachtransport zu einem Eisenbahntransport beauftragt; sie sind daher Frachtführer iSd § 425 bzw Art. 1 CMR (Kerzendorfer/Geist in Jabornegg § 407 Rz. 12; Krejci, UR4, 418; Bydlinski in MünchKomm/HGB § 453 HGB Rz. 69). 5 Der Entwurf der Sachverständigenkommission sah im dortigen § 456 sogar eine ausdrückliche Regelung dieses Anspruchs vor. 6 Canaris, S. 448.
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Bürskens 383
Teil E Rz. 33
Transport
von 19981 bestimmte dann das dtHGB einen zwingenden gesetzlichen Haftungsrahmen, von dem durch AGB (ADSp) nur in geringem Rahmen abgewichen werden durfte. Demzufolge haben die ADSp in ihrer damaligen Neufassung 2003 ihr Gesicht völlig verändert. Mit dem Seehandelsrechtsreformgesetz traten 2013 wiederum Gesetzesänderungen in Kraft, in deren Folge die Spediteursverbände und Versenderverbände versuchten, eine umfassende Neuregelung der ADSp zu verhandeln. Diese Verhandlungen scheiterten allerdings im Herbst 2015, so dass die bis dahin als gemeinsame Empfehlung publizierten ADSp aus dem Jahr 2003 nunmehr von den Versendern ausdrücklich nicht mehr empfohlen wurden – diese publizierten stattdessen mit den Deutschen Transport- und Lagerbedingungen (DTLB) eine eigene AGB-Empfehlung. Die Speditionsverbände wiederum empfehlen seit dem 1.1.2016 im Geschäftsverkehr zwischen Speditions- und Logistikunternehmen und ihren Auftraggebern die neuen ADSp 2016. Wie erwähnt, ist es den Verbänden bei der Neufassung der ADSp allerdings – anders als bei den Vorgängerregelungen – nicht gelungen, sich auf ein einheitliches Bedingungswerk zu einigen. Während die Verladerverbände ab dem 18.9.2015 die Deutschen Transport- und Lagerbedingungen (DTLB)2 zur Anwendung empfehlen, hat der Deutsche Speditions- und Logistikverband e.V. (DSLV) mit den ADSp 2016 eigene Bedingungen veröffentlicht. Diese Bedingungen stellen also keine „fertig bereitliegende Rechtsordnung“ mehr dar, sondern es handelt sich um in vollem Umfang einer Inhaltskontrolle zugängliche AGB. 33
Mit den ADSp 2016 ist damit ein völlig neues Bedingungswerk geschaffen worden, welches sich ebenso wie die DTLB oder andere Branchenempfehlungen im Markt wird behaupten müssen. Entsprechend enthalten die ADSp 2016 beispielsweise in Ziffer 1 eine Abwehrklausel gegenüber anderen AGB oder vorformulierten Vertragsbedingungen. Die modernisierten ADSp 2016 sehen auch in Ziffer 4a erstmals Klauseln zur elektronischen Kommunikation und Dokumentation vor. Wesentliche Änderungen der ADSp 2016 sind auch in den Ziffern 11 (Nichteinhaltung von Ver- und Entladezeiten, Standgeld), 25 (Haftungsausschluss bei See- und Binnenschiffsbeförderungen) und 29 (Geheimhaltung, Compliance) enthalten. Die praktisch bedeutsamsten Neuerungen sind innerhalb der Haftungsklauseln zu finden. Die Haftungshöchstsumme bei Güterschäden ist nach Ziff. 23 und 24 von 5 Euro auf 8,33 Sonderziehungsrechte (SZR) je Kilogramm angehoben. Bei Multimodalverträgen unter Einschluss einer Seebeförderung ist die Haftung bei Güterschäden auf 2 SZR pro Kilogramm beschränkt. Nach wie vor enthalten die ADSp 2016 Haftungshöchstbeträge pro Schadensfall (Güterschäden höchstens 1 Mio. Euro oder 2 SZR/kg je Schadenfall; für andere als Güterschäden 100.000 Euro je Schadenfall; Schäden bei verfügter Lagerung 25.000 Euro je Schadenfall; Inventurdifferenzen höchstens 50.000 Euro pro Jahr). aa) Vertragsschluss, Speditionsdokumente
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Der Speditionsvertrag ist ein formloser Konsensualvertrag. Wenn der Spediteur Transporte auch selbst durchführt, kann es erforderlich sein, zu ermitteln, ob die Parteien einen Speditions- oder einen Frachtvertrag geschlossen haben. Hierbei ist nicht darauf abzustellen, ob sich der Unternehmer äußerlich als Spediteur oder Frachtführer bezeichnet, sondern das erkennbar Gewollte ist auszulegen und einzuordnen. Es findet sich weder im Gesetz noch in den ADSp eine Vermutung für den Abschluss des einen oder des anderen Vertragstypen. Auch die Ausstellung eines Frachtbriefes bildet kein Indiz für den Abschluss eines Speditionsvertrages, weil dies praktisch häufig auch vom 1 Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts – TRG v. 25.6.1998, BGBl. 1998 I, Nr. 39. 2 Zu den Deutschen Transport- und Lagerbedingungen Vyvers, TranspR 2016, 13.
384 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 36 Teil E
Frachtführer übernommen wird. Nimmt der Auftragnehmer bei der Auftragserteilung aber einen Frachtbrief entgegen, in dem der Auftraggeber sich selber als Absender eingetragen und den Frachtführer offen gelassen oder gar den Auftragnehmer als Frachtführer eingetragen hat, so spricht dies für einen Frachtvertrag1. Für einen Frachtvertrag spricht weiterhin, dass der Auftragnehmer – erkennbar – eigenen Linienverkehr auf der vom Kunden gewünschten Strecke unterhält2. Die Vereinbarung, das Gut zum Zielort zu bringen oder an einen bestimmten Empfänger abzuliefern, deutet ebenfalls auf einen Frachtvertrag hin3. Mit Koller lässt sich im Anschluss an den BGH sagen, dass ein Frachtvertrag um so eher anzunehmen ist, je exakter die Konditionen des technischen Ablaufs des Transportes festgelegt werden4. Für einen Frachtvertrag spricht ferner die Ausstellung eines Durchfrachtbriefes (Through Bill of Lading), in dem über die reine speditionelle Tätigkeit hinausgehende Leistungen aufgelistet sind. OLG Hamburg v. 20.11.1986, VersR 1987, 504: Transport von Kabul nach Hamburg, im Through Bill of Lading wurde nach Auffassung des Gerichts nicht nur Auftrag zur Besorgung des Transports als Spediteurin gegeben, da hiernach (neben „forwarded“) auch „goods shipped, carried and delivered“ werden sollten. Daher Qualifizierung als Frachtvertrag.
Auslegungszweifel gehen zu Lasten der Partei, die sich auf Anspruchsvoraussetzungen eines für sie günstigen Vertragstypus beruft5. Da die ADSp ihrer Rechtsnatur nach gewöhnliche AGB sind, bedarf es ihrer Einbeziehung in den Speditionsvertrag nach allgemeinen Regeln. Einen Brauch, dass Spediteure nur nach den ADSp handeln, gibt es nicht. ADSp können aber durch schlüssiges Verhalten konkludent einbezogen werden. Ausländische Auftraggeber müssen sich i.d.R. an ADSp festhalten lassen, wenn auch im Land ihres Sitzes Spediteure üblicherweise nur zu standardisierten Bedingungen arbeiten6. Im Übrigen ist auch gegenüber Ausländern ausreichend, dass diese davon wissen müssen, dass ihr Vertragspartner regelmäßig nach den ADSp arbeitet7. Die Rspr. lässt es als Indiz für ein positives Wissen ausreichen, dass auf vorausgegangenen Rechnungen auf die Geltung der ADSp hingewiesen wurde oder dem Auftraggeber die ADSp aufgrund laufender Geschäftsbeziehung bekannt sind8.
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Nach § 453 Abs. 1 dtHGB besteht die vertragstypische Hauptpflicht des Spediteurs darin, die Versendung des Gutes für Rechnung des Versenders zu besorgen. § 454 Abs. 1 dtHGB beschreibt die Pflicht zur Besorgung der Versendung damit, dass der Spediteur die Organisation der Beförderung zu übernehmen hat. Die Ziff. 1 bis 3 der Vorschrift zählen beispielhaft auf, was darunter zu verstehen ist, nämlich die Bestimmung des Beförderungsmittels und des Beförderungsweges, die Auswahl der ausführenden Unternehmer sowie der Abschluss der für die Ausführung erforderlichen Verträge und die Sicherung von Schadensersatzansprüchen des Versenders.
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1 BGH v. 28.5.1971 – I ZR 149/69, VersR 1971, 755; BGH v. 25.4.1991 – III ZR 74/90, VersR 1991, 1037 f. 2 Koller, Transportrecht, § 453 HGB Rz. 19. 3 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 39/61, BGHZ 38, 150 (153); LG Bonn v. 18.1.1986 – 11 S 29/85, TranspR 1986, 239. 4 BGH v. 22.10.1992 – I ZR 244/90, TranspR 1993, 143 f.; Koller, Transportrecht, § 453 HGB Rz. 19. 5 OLG Frankfurt v. 5.11.1985 – 5 U 261/84, TranspR 1986, 282, 284; Dubischar, S. 180; Bydlinsky in MünchKomm/HGB, § 407 HGB Rz. 55. 6 Bydlinsky in MünchKomm/HGB, ADSp vor § 1 Rz. 37 (bejahend wohl zumindest für alle EUMitgliedstaaten). 7 Hiervon ist bei ausländischen Spediteuren auszugehen, Koller, Transportrecht, vor Ziffer 1 ADSp, Rz. 13. 8 OLG Hamburg v. 30.4.1981 – 6 W 175/80 TranspR 1984, 132.
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Bürskens 385
Teil E Rz. 37
Transport
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§ 454 Abs. 1 Nr. 2 dtHGB verpflichtet den Spediteur dazu, die Ausführungsverträge abzuschließen. Dies kann im eigenen oder im fremden Namen geschehen. Weiterhin gehören zu den Pflichten der dritten Gruppe des § 454 Abs. 1 dtHGB etwa die Untersuchung des Gutes und die Rüge zum Erhalt von Schadensersatzansprüchen, die Sammlung von Quittungen und sonstigen Papieren zur Beweisführung für die Übergabe und den Zustand des Gutes. Dies erstreckt sich zum einen auf den vom Versender beauftragten Spediteur selbst1, zum anderen auch auf die Auswahl von Zwischen- und Unterspediteuren. Hier muss der Hauptspediteur auch auf deren Zuverlässigkeit zur Vornahme anspruchswahrender Handlungen achten. Weiterhin gehört es zu den Pflichten des Spediteurs, die ihm formal zustehenden Schadensersatzansprüche aus den Verkehrsverträgen an den Versender abzutreten, sofern nicht der Spediteur auch das „claims handling“ übernimmt, was allerdings einer besonderen Vereinbarung bedarf. Das Weitere ergibt sich aus § 457 dtHGB.
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Der Spediteur kann weitere Pflichten wie Ver- und Entladung, Ausstellung der Begleitpapiere, Bereitstellung von Packmitteln wie Container, Paletten und Gitterboxen übernehmen2. Auch zum Einzug von Nachnahmen ist der Spediteur nur bei dahingehender Abrede verpflichtet3.
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Die Pflichten des Versenders folgen hingegen aus den §§ 453 Abs. 2, 455 dtHGB. § 453 Abs. 2 dtHGB legt allgemein die Pflicht des Versenders fest, dem Spediteur die vereinbarte Vergütung zu zahlen. Daneben hat der Spediteur stets einen Anspruch auf Aufwendungsersatz für alle von ihm geschuldeten und erbrachten Aufwendungen aus § 670 BGB. Gemäß §§ 675, 669 BGB können Aufwendungen auch als Vorschüsse gefordert werden4. Für seine Ansprüche gegen den Versender hat der Spediteur ein gesetzliches Pfandrecht an dem Versendungsgut (§ 464 dtHGB).
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§ 455 dtHGB statuiert weitere Pflichten des Versenders. Die Verpflichtung zur Verpackung und Kennzeichnung des Gutes obliegt nach § 455 Abs. 1 dtHGB ebenso dem Versender wie die, dem Spediteur alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die zur Ausführung des Vertrages notwendigen Urkunden zur Verfügung zu stellen. Für die Gefahrgutversendung trifft den Versender die Pflicht, dem Spediteur die Gefahren und zu ergreifende Vorsichtsmaßnahmen rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. § 455 Abs. 2 dtHGB nimmt den Versender, analog dem Absender im allgemeinen Frachtrecht, ausdrücklich in die verschuldensunabhängige Haftung, wenn dem Spediteur Schäden aufgrund ungenügender Verpackung oder Kennzeichnung durch den Absender, aufgrund unterbliebener Mitteilung über die Gefährlichkeit des Gutes oder aufgrund unrichtiger Urkunden oder Auskünfte entstehen5.
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Die §§ 458–460 dtHGB regeln die bereits eingangs erwähnten Fälle, in denen der Spediteur für einen Teil seiner Tätigkeit wie ein Frachtführer zu behandeln ist. Gemäß § 458 dtHGB hat der Spediteur das Recht zum Selbsteintritt6, d.h. er darf die Beförderung selbst ausführen; dieses Recht ist allerdings abdingbar. Das Recht zum Selbsteintritt umfasst nur die Ausführung der Beförderung, nicht hingegen auch die in § 454 Abs. 2 dtHGB genannten Leistungen. Hat der Spediteur es übernommen, den Speditionsvertrag einschließlich der Veranlassung der Beförderung zu festen Kosten auszuführen (Fixkostenspedition), so fehlt es an der Vereinbarung speditioneller Dienstleistung 1 OLG Frankfurt v. 19.1.1984 – 15 U 306/82, TranspR 1985, 420; teilweise einschränkend aber Koller, Transportrecht, § 454 HGB Rz. 12, 20, 22. 2 Koller, Transportrecht, § 454 HGB Rz. 22, 28, 33. 3 BGH v. 3.3.1988 – I ZR 33/86, NJW-RR 1988, 925 f. 4 Bydlinsky in MünchKomm/HGB, § 409 HGB Rz. 87. 5 Ferner s. Schindler, Zivilrechtliche Verantwortlichkeit beim Gefahrguttransport auf der Straße in Thume (Hrsg.), FS Rolf Herber, 1999, S. 119 ff. 6 Jungfleisch, Der Selbsteintritt des Spediteurs (Diss. 1984); Temme, VersR 1984, 813.
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Transportverträge
Rz. 43 Teil E
für Rechnung des Empfängers i.S.d. § 453 Abs. 1 dtHGB. Dem entspricht es, dass der Spediteur gemäß § 459 dtHGB wie ein Frachtführer behandelt wird. Dahinter steht der Gedanke, dass der Spediteur die Beförderung selbst übernehmen kann, um die Beförderung dann unterhalb der angesetzten Kosten auszuführen. Pauschale Sätze wie die Berechnung pro Kilogramm1 oder pro Lkw-Fahrt2 stellen Fixkostenvereinbarungen dar, während in der Abrede einer Vergütung in Höhe von „plus 5 %“ der tariflichen oder üblichen Sätze keine Fixkostenabrede zu sehen ist3. Die nunmehr in § 460 dtHGB geregelte Sammelladung stellt einen der traditionsreichsten Tätigkeitsbereiche des Spediteurs dar. Die degressive Tarifstaffelung der Bahn ließ die Spediteure seit Ende des 19. Jahrhunderts Sammelsendungen zusammenstellen, die zur Verbilligung des Transportes führten. In § 460 dtHGB findet sich für die Sammelladung eine eigenständige Anknüpfung, so dass die Befugnis zur Sammelladung keiner besonderen Abrede bedarf. Ein Fall der Sammelladung liegt dann vor, wenn das Gut des Versenders zusammen mit denen anderer Versender versendet wird. Damit liegt bei der Sammelversendung verschiedener Güter desselben Versenders („Werksammelladung“) kein Fall des § 460 dtHGB vor. Soweit nach den §§ 458–460 dtHGB Frachtrecht anzuwenden ist, kann auch der Spediteur frachtrechtliche Vorschriften nur so weit abbedingen, als das bezuggenommene Frachtrecht dies zulässt (§ 466 Abs. 3 dtHGB). bb) Haftung des Spediteurs Soweit der Spediteur wie ein Frachtführer behandelt wird (§§ 458–460 dtHGB), haftet er für die Beförderung nach den Vorschriften des jeweils anwendbaren Frachtrechts.
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Im Übrigen ist die Haftung des Spediteurs in § 461 dtHGB neu geordnet worden, ohne das frühere System der ADSp („Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz“) zu übernehmen. Der Annäherung des Speditionsrechts an das Frachtrecht entspricht es, dass die Haftung des Spediteurs für den Schaden, der durch den Verlust oder die Beschädigung des Gutes während seiner Obhutzeit entsteht, nach den Haftungsregeln des Allgemeinen Frachtrechts haftet (§ 461 Abs. 1 dtHGB). Für sonstige Schäden, also solche, die nicht im Verlust oder der Beschädigung des Gutes während der Obhut des Spediteurs begründet sind, haftet der Spediteur gemäß § 461 Abs. 2 dtHGB, wenn er eine ihm nach § 454 dtHGB obliegende Spediteurpflicht verletzt. Das Verschulden wird dabei vermutet. Übernimmt der Spediteur weitere Pflichten im Rahmen des Speditionsvertrages (z.B. Nachnahmeeinzug (zur Nachnahme s. Rz. 127), Einlösung von erlaubterweise per Nachnahme eingelösten Schecks), so haftet er hierfür nach den jeweils anwendbaren allgemeinen oder besonderen Vorschriften über Leistungsstörungen. Die Regelungen des § 461 Abs. 3 dtHGB enthalten einen eigenen Mitverschuldenstatbestand; die frachtrechtliche Leutehaftung wird durch § 462 dtHGB auf den Speditionsvertrag übertragen. cc) Verjährung, Reichweite des zwingenden Rechts Für die Verjährung verweist § 463 dtHGB auf § 439 dtHGB. Damit beträgt die Verjährungsfrist ein Jahr, bei grobem Verschulden drei Jahre, ab Ablieferung des Gutes. Diese Verjährungsfrist gilt für alle Ansprüche aller am Speditionsvertrag beteiligten Seiten. Gemäß § 466 Abs. 1 dtHGB darf von der Verjährungsvorschrift durch AGB nicht abgewichen werden. Auch von der Obhuthaftung des Spediteurs kann durch AGB nicht abgewichen werden, auch nicht durch Rahmenvertragsbedingungen für eine Mehrzahl 1 OLG Hamburg v. 31.1.1985 – 6 U 200/84, TranspR 1985, 172 f. 2 BGH v. 18.2.1972 – I ZR 103/70, NJW 1972, 1003; OLG Hamburg v. 6.12.1979 – 10 U 84/78, VersR 1980, 290. 3 OLG Hamburg v. 29.9.1983 – 6 U 132/82, TranspR 1985, 20, 22; Helm in Großkommentar HGB, §§ 412, 413 HGB Rz. 114 m. umfangr. Beispielen.
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Teil E Rz. 44
Transport
von Verträgen zwischen denselben Personen1. § 466 Abs. 2 dtHGB entspricht § 449 Abs. 2 dtHGB, wonach die Höchstbeschränkung für den Verlust des Gutes in AGB den dort beschriebenen Mindeststandard nicht unterschreiten darf. Das frühere Modell der Versicherung statt Haftung nach den ADSp war bei der Schaffung des neuen Speditionsrechts äußerst umstritten2. Eine Ersetzung der Spediteurhaftung durch einen Anspruch gegen den Speditionsversicherer (s. auch Rz. 42) entspricht nunmehr nicht mehr dem gesetzlichen Leitbild des Speditionsvertrages3. b) Der Multimodaltransportvertrag und seine Neuregelung in Deutschland von 1998 44
Mit den §§ 452 bis 452d dtHGB wurde 1998 erstmals eine systematische gesetzliche Regelung des Multimodaltransportvertrages in Deutschland geschaffen. Dabei definiert § 452 Satz 1 dtHGB den multimodalen Transportvertrag als einen Vertrag, aufgrund dessen einheitlich mit verschiedenen Beförderungsmitteln transportiert wird, bei dem aber hypothetisch bei Abschluss separater Verträge für die jeweilige Teilstrecke auf die verschiedenen Teilstrecken verschiedene Rechtsvorschriften anzuwenden gewesen wären. Allerdings unterliegt nicht automatisch jeder Transport, in dessen Abwicklung unterschiedliche Transportmittel eingesetzt werden, den Regelungen des multimodalen Transportes nach §§ 452–452d dtHGB. Vielmehr ist im Einzelfall abzugrenzen, ob bei einer durch verschiedene Transportmittel durchgeführten Lieferung tatsächlich eine nach den Regelungen des multimodalen Transportes zu bewertende Leistung oder eine nach den Regeln des jeweils vereinbarten Transportmittels zu bewertende einheitliche Leistung vorliegt. Von einer derartigen einheitlichen Leistung ist beispielsweise auszugehen, wenn der Frachtführer eigenmächtig Teilstrecken auf andere Beförderungsmittel als vereinbart verlagert – es sei denn, er hätte sich insofern ausdrücklich ein Ermessen einräumen lassen4. Ebenso ist nach dem jeweiligen Teilstreckenrecht zu verfahren bei entsprechenden gesetzlichen Vermutungen, etwa nach Art. 18 Abs. 3 WA5. Schließlich werden ebenso die Fälle zu behandeln sein, in welchen die Parteien eine ausdrückliche Rechtswahl vorgenommen haben. Vereinbaren daher die Parteien eines mit verschiedenen Transportmitteln durchzuführenden Transportes gleichwohl die Anwendbarkeit beispielsweise der CMR oder des WA für die gesamte Transportabwicklung, so dürfte diese Festlegung einer Anwendung der §§ 452 ff. dtHGB entgegenstehen. Die Anwendung nationalen Rechts kommt dann nur subsidiär im Falle von Regelungslücken in Betracht.
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Die gesetzliche Regelung stellt in § 452 Satz 1 dtHGB klar, dass der Multimodaltransportvertrag ein Frachtvertrag ist. Dementsprechend sind die Vorschriften des Allgemeinen Frachtrechts sowie des internationalen Frachtrechts auf diesen Vertrag anwendbar, soweit die §§ 452–452d dtHGB keine Sondervorschriften enthalten. Der Regelungsmechanismus erschließt sich aus einer Gesamtschau der §§ 452, 452a und 407 ff. dtHGB: Grundsätzlich gelten für den Multimodaltransportvertrag die allgemeinen Regeln der §§ 407 ff. dtHGB. Für die Schadenshaftung enthält § 452a dtHGB eine Sonderregelung für den Fall, dass der Schadensort bekannt ist. Nach Satz 1 der Vorschrift bestimmt sich in diesem Fall die Haftung nach dem Recht, welches auf die Teilsrecke anzuwenden ist, auf der das Schadensereignis (Verlust, Beschädigung oder Verspätung) eingetreten ist. Dies entspricht dem Grundsatz des „Networksystems“, 1 Temme, Individualvereinbarung und AGB im neuen Transportrecht in Thume, FS für Rolf Herber, 1999, S. 197 ff. 2 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 170. 3 De la Motte, Die neue Speditionsversicherung: Rückblick und Ausblick in Thume, FS für Rolf Herber, 1999, S. 179 ff.; Bydlinski in MünchKomm/HGB, Ergänzungsband, Anh. 1 zu § 466 HGB; Bracker, ADSp 1998 und Speditionsversicherung, TranspR 1998, 450. Zu beachten ist, dass die derzeit aktuelle Fassung der ADSp von 2003 ist. 4 Fremuth in Fremuth/Thume, Transportrecht, § 452 HGB Rz. 16. 5 So im Ergebnis auch Fremuth in Fremuth/Thume, Transportrecht, § 452 HGB Rz. 36, 38.
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Transportverträge
Rz. 48 Teil E
welches bereits vor der Transportrechtsreform von der Rspr.1 und dem Schrifttum2 herausgearbeitet worden war. Kann der Schaden nur auf einer Teilstrecke über Land (auf der Straße oder auf der Schiene) oder bei einem Binnenschifftransport eingetreten sein, so erübrigt sich, sofern nur deutsches Frachtrecht in Betracht kommt, eine genauere Feststellung des Schadensortes. Denn dann gelten ohne weitere Unterschiede die §§ 407 ff. dtHGB. Aus der Regelungssystematik ergibt sich weiterhin, dass dann, wenn der Schadensort unbekannt ist – so insbesondere im Falle des nicht feststellbaren Schadensortes bei Containertransporten – ebenfalls die allgemeinen Regeln der §§ 407 ff. dtHGB gelten. Diese Lösung wurde dem vormals praktizierten Günstigkeitsprinzip zugunsten der Klarheit und Einfachheit vorgezogen3. § 452a dtHGB enthält weiterhin für den bekannten Schadensort in Satz 2 eine eindeutige Beweislastregelung. Die Beweislast liegt bei demjenigen, der sich auf den Schadenseintritt auf der jeweiligen Teilstrecke beruft. Ein non liquet führt somit stets zur Anwendung der allgemeinen Regeln der §§ 407 ff. dtHGB.
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§ 452b dtHGB enthält schließlich Sonderregeln für die Schadensanzeige und die Verjährung. Der Empfänger kann bei der Ablieferung des Gutes an ihn nicht stets wissen, dass überhaupt ein multimodaler Transport vorgelegen hat bzw. mit welchen vorhergehenden Transportmitteln die Beförderung durchgeführt wurde. Deshalb genügt es gemäß § 452b Abs. 1 dtHGB in jedem Falle, wenn hinsichtlich der Schadensanzeige den Bestimmungen des § 438 dtHGB oder dem besonderen Recht der letzten Teilstrecke entsprochen wird. Auch für den Fall, dass sich der zunächst unbekannte Schadensort erst später herausstellen sollte und der Absender den Frachtführer nach dem Networksystem haftbar machen will, genügt stets die Schadensanzeige nach § 438 dtHGB4. In § 452b Abs. 2 dtHGB findet sich die Verankerung eines Mindeststandards für die Verjährung. § 452d dtHGB bestimmt schließlich, in welchem Umfang, insbes. durch AGB, von den Regeln über den Multimodaltransportvertrag abgewichen werden darf. Insbesondere Absatz 2 dieser Vorschrift erweitert die Gestaltungsfreiheit der Parteien durch Zulassung vorformulierter Vertragsbedingungen, so dass die verbreiteten Dokumente des Multimodaltransports grundsätzlich verwendet werden können (UNCTAD/ICC-Regeln für Multimodaltransportdokumente5 und das FIATA6 Multimodal Transport Bill of Lading 19927). Wichtig sind allerdings die Einschränkungen, denen § 452d dtHGB die vorformulierten Dokumente unterwirft. Danach eröffnet sich keine Gestaltungsfreiheit für die Haftung bei unbekanntem Schadensort.
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c) Speditionsrecht und MT in Österreich Das österreichische Speditionsrecht entspricht weitgehend der in Deutschland bis zum In-Kraft-Treten des Transportrechtsreformgesetzes 1998 geltenden Rechtslage. Dies gilt nicht nur für die Paragraphen-Nummerierung im Unternehmensgesetzbuch (öUGB), sondern im Speditionsrecht insbesondere für das Prinzip „Haftungsersetzung 1 BGH v. 24.6.1987 – I ZR 127/85, BGHZ 101, 172 (180) = TranspR 1987, 447 = VersR 1987, 1212 = NJW 1988, 640 ff.; BGH v. 30.9.1993 – I ZR 258/91, TranspR 1994, 16 f.; BGH v. 11.7.1996 – I ZR 75/94 VersR 1997, 513. 2 Helm in Großkommentar HGB, Anh. V zu § 452 HGB Rz. 21 ff.; Herber, TranspR 1990, S. 8 ff.; Koller, Transportrecht, Teil D Rz. 3 ff.; Dubischar, S. 156 ff.; Fremuth in Fremuth/Thume, vor §§ 425 ff. HGB Rz. 77 ff.; Bydlinsky in MünchKomm/HGB, MMT Rz. 25 ff. 3 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 145. 4 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 148. 5 ICC Publication No. 481 (1992). 6 Fédération Internationale des Associations des Transporteurs et Assimilés. 7 Abdruck in TranspR 1993, 402 sowie bei Helm, Anh. IV zu § 415 HGB Rz. 11 ff.; Bydlinsky in MünchKomm/HGB, S. 389–400. Zur Wertpapiereigenschaft: OGH Wien v. 29.4.1992, IPRax 1993, 252 (nach österreichischem Recht) und dazu Koller, IPRax 1993, 257; Helm, ibd., Rz. 14.
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Transport
durch Versicherung“. Dieser Grundsatz wird durch die AÖSp in den Speditionsvertrag eingeführt. Durch ihn wird die gesetzliche Haftung des Spediteurs auf ein Minimum reduziert, weil er, sofern nicht ausdrücklich vom Versender gewünscht, eine haftungsersetzende Versicherung abschließt. Durchbrechung erfährt dieser Grundsatz nur beim Nachweis grober Fahrlässigkeit des Spediteurs1. 49
Das Speditionsrecht ist in Österreich in §§ 407–415 des österreichischen UGB geregelt. § 407 Abs. 2 öUGB verweist im Übrigen auf die für den Kommissionär geltenden Vorschriften, insbesondere die §§ 388–390 öUGB. Auch im Anwendungsbereich internationaler Abkommen können von Bedeutung sein das Pfandrecht nach § 410 öUGB und die Verjährung von Ansprüchen gegen den Spediteur wegen Verlust, Minderung, Beschädigung oder verspäteter Ablieferung des Gutes in einem Jahr nach § 414 Abs. 1 öUGB. Daneben sind die speditionellen Leistungen in der Regel den allgemeinen österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp) unterworfen (derzeit Stand Juni 2003). Zu beachten ist allerdings, dass die in § 37d AÖSp enthaltene Abbedingung der Legalzession im Anwendungsbereich der CMR wegen des zwingenden Charakters von Art. 41 Abs. 2 CMR unwirksam ist2.
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Eine gesetzliche Regelung des multimodalen Transportes existiert in Österreich nicht. Damit verbleibt es im Hinblick auf den multimodalen Transport in Österreich bei dem vor In-Kraft-Treten des Transportrechtsreformgesetzes auch in Deutschland gültigen so genannten Network-Liability-System, wonach sich eine Haftung nach den Regeln des Transportmittels bestimmt, bei dessen Verwendung ein Schaden eingetreten ist3. OGH (Wien) v. 19.1.1994, TranspR 1994, 437: Die Klägerin erteilte der Beklagten den Auftrag zum Transport von Kränen von Österreich zu Nordseehäfen mittels LKW und Eisenbahn. Umladung erfolgte in Österreich. Während der Umladung kam es zu Beschädigungen. Der OGH wies die Klage wegen Verjährung ab (§ 64 AÖSp) und lehnte die zwischen den Parteien vereinbarte Geltung der CMR ebenso ab wie eine Verdrängung der AÖSp durch zwingende eisenbahnrechtliche Vorschriften, nach welchen keine Verjährung eingetreten gewesen wäre. Da die Beschädigung vor Beendigung des Verladens eingetreten sei, erfolge die Bewertung nach nationalem Straßentransportrecht.
d) Speditionsrecht und MT in der Schweiz 51
Speditionsrecht: Der Speditionsvertrag ist in Art. 439 OR geregelt, welcher grundsätzlich das Kommissionsrecht für anwendbar erklärt, jedoch in Bezug auf den Transport der Güter auf das Frachtvertragsrecht verweist. Sowohl auf den Kommissionsvertrag als auch auf den Frachtvertrag kommt sodann subsidiär das Auftragsrecht zur Anwendung (Art. 425 resp. 440 OR). In Bezug auf den Transport der Güter bedeutet dies, dass der Spediteur immer genau gleich wie ein Frachtführer haftet4, ohne dass es der Voraussetzungen eines Selbsteintritts, einer Sammelladungsspedition oder einer Fixkostenspedition bedürfte. Für die sonstigen Tätigkeiten haftet der Spediteur nach Auftragsrecht. Er haftet damit in diesem Bereich bloß für die sorgfältige Ausführung, nicht aber für den Erfolg5. Dem Spediteur steht nach Art. 434 OR ein Retentionsrecht am Transportgut zu, sobald er in den Besitz der Ware gelangt, wobei unselbständiger Besitz wie beispielsweise im Falle eines eingesetzten Frachtführers ausreicht6. Von praktisch 1 Ausführlich: Krejci, Handelsrecht, 1995, Kap. 22 (zur Haftung insbes. Unterabschnitt V.F.); Feil, HGB-Kommentar für die Praxis, § 407 HGB Rz. 3 ff.; Kerzendorfer/Geist in Jabornegg, Kommentar zum HGB, § 408 HGB Rz. 33 jew. m.w.N.; Tuma, ADSp, AÖSp, SVS und SP in Österreich – Sind die §§ 39a, 41a AÖSp (noch) verbindlich?, TranspR 1986, 209; Csoklich, Die Allgemeinen Österreichischen Speditionsbedingungen und das Konsumentenschutzgesetz, ÖJZ 1986, 437. 2 OGH Wien v. 24.6.1999 – 2 Ob 377/97y, TranspR 2000, 370. 3 Vgl. OGH Wien v. 19.1.1994 – 7 Ob 3/94, TranspR 1994, 437. 4 Montanara, S. 36. 5 Pfenninger, Art. 439 N 3. 6 Staehelin, Art. 439 N 12.
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Rz. 52 Teil E
größerer Bedeutung als das spezielle Retentionsrecht des Spediteurs ist allerdings das allgemeine kaufmännische Retentionsrecht, welches in Art. 895 ZGB geregelt ist, denn es stellt bedeutend geringere Anforderungen an die Konnexität. Kommen die AB Spedlogswiss zur Anwendung, so besteht zudem ein vertragliches Retentionsrecht, welches ebenfalls die gleichen geringeren Anforderungen an die Konnexität stellt (Art. 31). Multimodaltransporte: Die Schweiz kennt keine den Art. 452 ff. dtHGB vergleichbare Regelung, womit mangels rechtlicher Grundlage auch kein Netzwerkprinzip zur Anwendung gelangen kann1. Da (von wenigen Ausnahmen abgesehen) die transportrechtlichen Staatsverträge nicht zur Anwendung kommen, ist – sofern nach kollisionsrechtlichen Regeln schweizerisches Recht anwendbar ist – das Frachtvetragsrecht der Art. 440 ff. OR anwendbar. 4. Checkliste – Die im Bereich Spedition/multimodaler Transport anzuwendenden Rechtsnormen bestimmen sich zunächst nach der Rechtsnatur des jeweiligen Vertrages. Abzugrenzen sind insbesondere der Speditionsvertrag vom Frachtvertrag und der einheitliche Frachtvertrag („Durchfrachtvertrag“) wiederum vom Multimodalvertrag nach §§ 452 ff. dtHGB. – Der Spediteur übernimmt gegen Entgelt die Organisation eines Transports (§ 453 dtHGB); der Frachtführer hingegen ist der vom Absender beauftragte Güterbeförderer. Absender kann dabei auch der Spediteur im Rahmen der von ihm durchzuführenden Organisation des Transports sein. Der Spediteur kann aber auch – sofern er die Beförderung der Güter selber durchführt („Selbsteintritt“ § 458 dtHGB) oder eine Fixkosten- (§ 459 dtHGB) oder Sammelladungsspedition (§ 460 dtHGB) erbringt, wie ein Frachtführer zu behandeln sein. – Auf den Multimodalvertrag sind – soweit keine internationalen Abkommen (CMR, COTIF, WA, Haager Regeln, Haag-Visby-Regeln) zur Anwendung kommen – primär die §§ 452a bis 452d dtHGB anzuwenden, subsidiär gelten die §§ 407 ff. dtHGB. – Im Bereich der einzelnen Beförderungsstrecken sind verschiedene Internationale Abkommen zu beachten. Für den multimodalen Transport hingegen ist das entsprechende UN-Übereinkommen bislang nicht in Kraft getreten. Hiermit ist auch nicht kurzfristig zu rechnen. – Für Speditionsverträge finden sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den einschlägigen Bedingungswerken Rechtswahlklauseln. Sind diese nicht wirksam vereinbart oder nicht anwendbar, kommt Kollisionsrecht zur Anwendung. – Die speditionelle Leistung ist kollisionsrechtlich in Deutschland nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, nicht also als Güterbeförderungsvertrag im Sinne von Art. 5 Rom I-VO zu bewerten . – In der Schweiz folgt die kollisionsrechtliche Anknüpfung von Speditionsverträgen über Art. 117 Abs. 2 i.V.m. mit Abs. 3 lit. c schwIPRG, in Österreich über Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO. – Bei Güterschäden unterliegt der Spediteur gemäß neuem deutschem Transportrecht nach § 461 Abs. 1 dtHGB einer verschuldensunabhängigen Obhutshaftung entsprechend den frachtvertraglichen Regelungen. Diese Regel ist im Rahmen des § 466 dtHGB eingeschränkt dispositiv. – Für Verspätungsschäden haftet der Spediteur, sofern ihm eine Pflichtverletzung nach § 454 dtHGB vorzuwerfen ist. 1 Erbe/Schlienger, Der Multimodalvertrag im schweizerischen Recht, TranspR 2005, S. 421 ff.; Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4A.218/2009 v. 19.2.2009; a.A. Benz, N 11 zu Art. 456.
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Teil E Rz. 53
Transport
– Wertersatz und Schadensfeststellungskosten sind nach §§ 461 Abs. 1, 431 dtHGB höhenmäßig begrenzt, sofern keine qualifizierte Fahrlässigkeit oder Vorsatz gegeben sind (§§ 461 Abs. 1, 435 dtHGB). Die Haftung ist hiernach in der Höhe auf einen Betrag von 8,33 Rechnungseinheiten je Kilogramm beschränkt, entsprechend ungefähr 10,60 Euro1 je Kilogramm. – Das System der ADSp ist in den vergangenen Jahren grundsätzlich verändert worden. Insbesondere stellen die ADSp 2016 kein zwischen Interessenverbänden ausgehandeltes Ergebnis, sondern einseitig von den Speditionsverbänden empfohlene AGB dar.
II. Straße 1. Allgemeines 53
Der wesentliche Inhalt grenzüberschreitender Transporte auf der Straße ist in Europa durch das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im Internationalen Straßengüterverkehr (Convention on the Contract for the International Carriage of Goods by Road, kurz: „CMR“) geregelt (vgl. hierzu nachstehend Rz. 54 ff.). Im Übrigen, d.h. soweit die CMR keine Regelung enthält oder soweit sie nicht anwendbar ist (Rz. 55–59), ist das anwendbare Sachrecht durch das Kollisionsrecht des Forums zu ermitteln. 2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Straßenfrachtrecht – CMR
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Zu Grundlagen und Auslegung des internationalen Transporteinheitsrechts s. oben die Ausführungen unter Rz. 7 ff. aa) Anwendbarkeit der CMR, Beförderungsvertrag, Frachtbrief
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Voraussetzung für die Anwendung der CMR2 ist ein Beförderungsvertrag über den grenzüberschreitenden Gütertransport mittels Kraftfahrzeug auf der Straße, wobei gem. Art. 2 CMR auch der Huckepacktransport ausreicht, wenn es sich um einen einheitlichen Frachtvertrag handelt3. Es muss also ein Beförderungsvertrag (Frachtvertrag) vorliegen. Dabei ist der Vertragsschluss selbst nicht in der CMR geregelt. Da der Beförderungsvertrag gem. Art. 4 Satz 2 CMR von der Ausstellung und Übergabe eines Frachtbriefes unabhängig ist und sich aus Art. 9 Abs. 1 CMR ergibt, dass der Beförderungsvertrag auch nicht von der Übergabe des Frachtgutes abhängt, ist der CMR-Vertrag ein Konsensualvertrag4. Der Konsens ist anhand des Vertragsstatuts zu beurteilen5.
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Ein Beförderungsvertrag liegt dann vor, wenn der Frachtführer die Verpflichtung übernimmt, Güter von einem Ort zum anderen zu befördern und am Bestimmungsort beim Empfänger abzuliefern. Vertragspartner sind der Absender und der Frachtführer6. Auch 1 Berechnet auf Basis des Umrechnungskurses zum 3.8.2015. 2 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr v. 19.5. 1956 (CMR), BGBl. II 1961, 1119. Zum Ratifizierungsstand vgl. die Übersicht bei: Hein/Eichhoff/ Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 2. Bd., J 111. 3 Art. 2 CMR ist auf besonderen Wunsch Großbritanniens aufgrund seiner Insellage aufgenommen worden. 4 BGH v. 27.1.1982 – I ZR 33/80, VersR 1982, 669 (670). 5 Art. 8 EVÜ, Art. 31 EGBGB, vgl. Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 212 ff. 6 OLG Hamburg v. 15.3.1984 – 6 U 17/84, TranspR 1984, 191.
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Transportverträge
Rz. 58 Teil E
zwischen Haupt- und Unterfrachtführer kommt ein CMR-Frachtvertrag zustande, wenn der Unterfrachtführer sich zum grenzüberschreitenden Transport i.S. des CMR verpflichtet. Es ist also möglich, dass auf diese Weise mehrere verschachtelte CMRVerträge zustande kommen1. Entscheidend für das Zustandekommen eines Beförderungsvertrages ist nicht das Auftreten der Vertragsparteien nach außen, sondern die Vertragsgestaltung2. Abzugrenzen ist der Frachtvertrag insbesondere einerseits vom Charter- und Mietvertrag3 sowie andererseits vom Speditionsvertrag. Liegt ein Speditionsvertrag vor (zur inhaltlichen Bestimmung s. Rz. 21 ff., so ist die CMR nicht anwendbar4, es sei denn – dies gilt in Deutschland und Österreich ebenso wie in der Schweiz –, der Spediteur ist aufgrund Selbsteintritts, Fixkosten- oder Sammelladungsspedition wie ein Frachtführer zu behandeln5. Selbst dann ist die CMR allerdings unanwendbar, wenn bei der grenzüberschreitenden Speditionsvereinbarung die Fixkostenabrede nur für den Abschnitt bis zur Grenze gilt6.
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Ist der Frachtbrief ordnungsgemäß unterzeichnet, stellt er eine widerlegbare7 Beweisurkunde für das Zustandekommen und den Inhalt des Frachtvertrages dar (Art. 9 CMR)8. Er bewirkt die volle Umkehr der Beweislast9. Gegenstand des Beweises ist allerdings lediglich der formale Konsens, nicht hingegen die Freiheit von Willensmängeln; ferner die Personen des Absenders und des Frachtführers sowie der fixierte Vertragsinhalt10 (der notwendige Vertragsinhalt ergibt sich aus Art. 6 CMR). Eine TIRKarte steht dem Frachtbrief nicht gleich11. Wurde der Frachtbrief nicht oder nicht rechtsgültig unterschrieben12, so führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Frachtvertrages13. Da dann jedoch kein gültiger Frachtbrief ausgestellt wurde, ist dort, wo die CMR einen Frachtbrief voraussetzt, so zu verfahren, als sei keiner vorhanden14.
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1 OLG Düsseldorf v. 21.4.1994 – 18 U 53/73, TranspR 1995, 347 = NJW-RR 1994, 1253. 2 OGH Wien v. 30.5.1985 – 7 Ob 29/84, TranspR 1986, 225. 3 OLG Innsbruck v. 20.6.1995 – 1 R 154/95, TranspR 1997, 343, 346; allgeme in Koller, Transportrecht, Art. 1 CMR Rz. 3; Thume in Fremuth/Thume, Art. 1 CMR Rz. 6 m.w.N.; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 1 CMR Rz. 9. 4 BGH v. 23.3.1995 – III ZR 177/93, VersR 1995, 940; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 18 U 50/93, NJW-RR 1995, 1122. 5 Deutschland: §§ 457–459 HGB und st. Rspr.: BGH v. 21.11.1975 – I ZR 74/75, BGHZ 65, 340 = NJW 1976, 1029; BGH v. 25.10.1995 – I ZR 230/93, TranspR 1996, 118 = NJW-RR 1996, 353. Österreich: §§ 412, 413 HGB. In der Schweiz ist der Spediteur in Bezug auf den Transport immer wie ein Frachtführer zu behandeln; vgl. Art. 439 OR. 6 OLG Hamburg v. 18.5.1989 – 6 U 258/88, TranspR 1990, 188 f. 7 Cass. (fr., 1.12.1992) ETL 1993, 745 f. 8 BGH v. 16.10.1986 – I ZR 149/84, VersR 1987, 304 f.; BGH v. 8.6.1988 – I ZR 149/86, VersR 1988, 952. 9 BGH v. 6.7.1982 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 f.; BGH v. 27.1.1982 – I ZR 33/80, NJW 1982, 1944 f.; OGH Wien v. 3.7.1985 – 3 Ob 547/85, TranspR 1987, 374 (377). Zurückhaltender: Texas Instruments v. Nason (Q.B. 1990) ETL 1991, 671 (677). 10 OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 4596/73, VersR 1975, 129 f.; OLG Hamburg v. 6.11.1980 – 6 U 68/86, VersR 1982, 556; OLG München v. 27.3.1981 – 23 U 2358/80, VersR 1982, 264 f.; Koller, Transportrecht, Art. 9 CMR Rz. 2; Thume in Fremuth/Thume, Art. 9 CMR Rz. 4. 11 Teutsch in Thume, CMR, Art. 5 CMR Rz. 4; Hill/Messent, CMR, S. 34. 12 Das Fehlen der Unterschrift bereits einer der Vertragsparteien genügt zur Unwirksamkeit des Frachtbriefes: OLG München v. 27.11.1992 – 23 U 3700/92, TranspR 1993, 190; Helm, Probleme der CMR, VersR 1988, 548 (551). 13 § 408 Abs. 2 Satz 3 HGB enthält eine auf Art. 5 Abs. 2 Satz 2 CMR abgestimmte Sonderregel, wonach die Unterschrift auf dem Frachtbrief durch einen Aufdruck oder Stempel ersetzt werden kann. 14 Es entfallen: die Beweiswirkung nach Art. 9 CMR, OLG Köln v. 2.2.1994 – 27 U 87/93, TranspR 1995, 162 m.w.N.; die Anwendung der Art. 34 ff. CMR, BGH v. 9.2.1984 – I ZR 18/82, TranspR 1984, 146 = VersR 1984, 578; OLG Innsbruck v. 26.1.1990 – 4 R 298/89, TranspR 1991, 12; die Sperrwirkung nach Art. 12 Ziff. 5a CMR, BGH v. 27.1.1982 – I ZR 33/80, TranspR 1982, 105 = VersR 1982, 669; die Haftung des Absenders nach Art. 7 CMR, OLG Düsseldorf v. 13.12.1990 – 18 U 142/90, TranspR 1991, 91; die Kostentragungspflicht des Empfängers nach Art. 13 Ziff. 2
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Bürskens 393
Teil E Rz. 59
Transport
OLG Köln v. 2.2.1994, TransportR 1995, 162: Die klagende Versicherung wollte sich zum Nachweis eines Frachtvertrages auf den Frachtbrief stützen. Das Gericht lehnte dies ab, da die Beweiswirkung nach Art. 9 Abs. 1 CMR Unterschrift durch beide Vertragspartner voraussetze, im vorliegenden Fall seien Frachtbriefe zwar unterschrieben, allerdings in der Rubrik „Absender“ von einem Vertreter des beklagten Frachtführers und in der Rubrik „Frachtführer“ von einem Vertreter eines Unterfrachtführers. Die Beweiswirkung des Frachtbriefes beziehe sich daher allenfalls auf den Vertrag zwischen diesen beiden Firmen.
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Die CMR gilt gemäß Art. 1 CMR in den Mitgliedstaaten unabdingbar (Art. 41 CMR)1 für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, sofern der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer ein Vertragsstaat ist. Dabei kommt es darauf an, ob vertraglich eine durchgehende, grenzüberschreitende Beförderung vereinbart war. Liegen vertraglicher Abgangs- und Bestimmungsort in demselben Staat und wird die Grenze nur vorübergehend „zur Abkürzung“ oder „als Schlenker“ überschritten, so findet die CMR keine Anwendung2. Die Einschaltung von Unterfrachtführern oder Umladungen ändern nichts an der Anwendung der CMR3. bb) Rechte und Pflichten der CMR-Vertragsparteien
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Der Transportvertrag verpflichtet den Frachtführer gegenüber dem Absender, das Gut an den Empfänger zu überbringen. Er begründet also ein dreiseitiges Verhältnis von Rechten und Pflichten zwischen den Abschlusspartnern (Absender und Frachtführer) und dem Empfänger. Auch der Frachtbrief wird in drei Ausfertigungen ausgestellt. Von diesen erhält eine der Absender, eine begleitet das Gut und die dritte behält der Frachtführer (Art. 5 CMR).
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Der Absender haftet für die von ihm zum Frachtbrief gemachten Angaben gemäß Art. 6, 7 CMR gegenüber dem Frachtführer ohne Begrenzung4 und auch für Folgeschäden5 (entgegenstehende Vereinbarungen sind nach Art. 41 CMR unwirksam). Der Absender haftet dem Frachtführer nach Art. 10 CMR ferner für Schäden am Betriebsmaterial und an anderen Frachtgütern, die durch mangelhafte Verpackung des Gutes des Absenders entstehen. Die Haftung setzt kein Verschulden voraus und ist der Summe nach unbegrenzt6. Der Ersatzumfang ergibt sich aus dem nationalen Recht7. Anspruchsinhaber ist der Frachtführer8. Dritte können aus Art. 10 CMR keine Rechte ableiten.
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8
CMR, Thume in Fremuth/Thume, Art. 5 CMR Rz. 6; die Wirksamkeit der Wertdeklaration nach Art. 24 CMR, der Vereinbarung eines besonderen Interesses nach Art. 26 CMR und der Beförderung im offenen Fahrzeug nach Art. 17 Ziff. 4a CMR. Insbes. bei Selbsteintritt, Fixkostenspedition und Sammelladung kann die CMR nicht durch Vereinbarung der ADSp ersetzt werden: BGH v. 10.2.1982 – I ZR 80/80, BGHZ 83, 96 = IPRax 1982, 240 m. Anm. Helm, ibd. S. 225. Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 1 CMR Rz. 18. OGH Wien v. 10.7.1985 – 1 Ob 563/85, TranspR 1986, 377. H.M.; Herber/Piper, Art. 7 CMR Rz. 7; Basedow in MünchKomm/HGB, CMR, Art. 7 CMR Rz. 6; Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 7 CMR Rz. 8; Loewe, ETL 1976, 503, 535; Clarke, S. 38; Hill/Messent, S. 74. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen Textfassungen. Vgl. auch Koller, Transportrecht, Art. 7 CMR Rz. 1; Thume in Fremuth/Thume, Art. 7 CMR Rz. 8. Abweichende Vereinbarungen sind nach Art. 41 CMR unwirksam. Mitverschuldensvorschriften der nationalen Rechtsordnungen sind anwendbar. Herber/Piper, Art. 10 CMR Rz. 22; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 10 CMR Rz. 8; Koller, Transportrecht, Art. 10 CMR Rz. 4; Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 10 CMR Rz. 21; Clarke, S. 429. Gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation. Koller, Transportrecht, Art. 10 CMR Rz. 4; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 10 CMR Rz. 6; Temme in Fremuth/Thume, Art. 10 CMR Rz. 24–26; Thume in Fremuth/Thume, Art. 10 CMR Rz. 22.
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Transportverträge
Rz. 65 Teil E
Den Frachtführer hingegen trifft die Obliegenheit1, den äußeren Zustand des Frachtgutes und die Anzahl der Stücke zu prüfen (Art. 8 Abs. 1 CMR). Es werden keine strengen Maßstäbe an die Prüfungsobliegenheit gestellt2. Vorbehalte müssen gem. Art. 8 Abs. 2 CMR in den Frachtbrief eingetragen werden. Der Absender ist verpflichtet, dem Frachtführer die erforderlichen Begleitpapiere (amtliche Bescheinigungen etc.) beizugeben (Art. 11 Abs. 1 CMR), und er haftet auch ohne Verschulden für die Folgen der Fehlerhaftigkeit (Art. 11 Abs. 2 CMR).
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Der Absender hat grundsätzlich auch während der Beförderung das Recht, über das Gut zu verfügen (z.B. Stoppen der Beförderung oder Änderung des Bestimmungsortes), und zwar bis zur Übergabe der Zweitausfertigung des Frachtbriefes an den Empfänger. Von diesem Zeitpunkt an ist der Empfänger weisungsbefugt (Art. 12 Abs. 1, 2 CMR). Der Zeitpunkt der Weisungsbefugnis des Empfängers kann durch Eintragung in den Frachtbrief vorverlegt werden (Art. 12 Abs. 3 CMR). Die CMR lässt allerdings keine Überschneidungen der Verfügungsbefugnis zu. Mehrkosten, die durch Weisungen entstehen, sind dem Frachtführer zu vergüten. Der Empfänger kann nach Art. 13 CMR die Übergabe des Gutes gegen Zahlung der Fracht verlangen.
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cc) Schadenshaftung des Frachtführers In Art. 17 ff. CMR ist die Haftung des Frachtführers für Transportschäden geregelt. Neben der dort begründeten Haftung für Verlust, Beschädigung und Verspätung im Hinblick auf das Frachtgut finden sich weitere Grundlagen für Ansprüche gegen den Frachtführer in Art. 21 (Fehler beim Einzug von Nachnahmen), Art. 11 Abs. 2 (Verlust bzw. unrichtige Verwendung von Begleitpapieren) und Art. 12 Abs. 7 (fehlerhafte Ausführung von Weisungen) CMR. Diese Anspruchsgrundlagen sind nicht analogiefähig; Lücken sind aus dem ergänzend anzuwendenden Recht zu schließen3. Auch die Verletzung von Nebenpflichten kann Schadensersatzforderungen begründen (OLG Karlsruhe v. 24.3.2011 – 9 U 81/10).
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(1) Schadenszeitraum Die Art. 17 ff. CMR begründen eine frachtvertragliche Obhutshaftung des Frachtführers. Der Frachtführer haftet danach grundsätzlich für Schäden, Verlust oder Verspätung des Gutes während seines Obhutszeitraums. Will er der Haftung entgehen, so trägt der Frachtführer die Last, den Exkulpationsbeweis nach den besonderen Grundsätzen der CMR zu erbringen. Die Beweislast für den Schadenseintritt während des Obhutszeitraums trifft stets denjenigen, der sich auf die Art. 17 ff. CMR beruft. Zwar wird dies zumeist der Geschädigte sein4, dem die Vermutung des Art. 9 CMR insoweit hilft. Zur Begrenzung seiner Haftung kann dies aber auch der Frachtführer sein5. 1 Keine vertragliche Nebenpflicht: BGH v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 = VersR 1979, 466 f. 2 Thume in Fremuth/Thume, Art. 8 CMR Rz. 9 ff., 12 ff.; Teutsch in Fremuth/Thume, Art. 8 CMR Rz. 3 ff.; Herber/Piper, Art. 8 CMR Rz. 7 ff.; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 8 CMR Rz. 6 ff. 3 Koller, Transportrecht, vor Art. 17 CMR Rz. 1; vgl. Basedow in MünchKomm/HGB Art. 17 CMR Rz. 6. 4 BGH v. 12.12.1985 – I ZR 88/83, VersR 1986, 381 (383); BGH v. 8.6.1988 – I ZR 149/86, VersR 1988, 952. 5 Etwa bei der Inanspruchnahme aus allgemeiner vertraglicher Haftung wegen umstrittener anderer Pflichtverletzungen vor oder nach der Beförderung. Ähnlich im Fall LG Mönchengladbach v. 8.12.1969 – 1 O 248/69, VersR 1971, 218: der Güterschaden wurde beim Rangieren nach bereits erfolgter Teilentladung verursacht; da die Ablieferung des Gutes bereits erfolgt war, lag die Schädigung außerhalb des Obhutzeitraumes.
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Bürskens 395
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Teil E Rz. 66
Transport
OLG Karlsruhe v. 27.1.2004 – 15 U 47/02: Wer eine Übernahmequittung (hier: Ladeliste) ohne einen einschränkenden Zusatz unterschreibt, kann sich nach Treu und Glauben später nicht darauf berufen, er habe die Ladeliste „blind“ im Vertrauen auf ihre Richtigkeit unterschrieben, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, die Richtigkeit der Ladeliste zu kontrollieren. Ob eine solche Kontrolle unüblich oder zeitaufwendig gewesen wäre, ist ohne Bedeutung.
Im Einzelfall ist oft umstritten, ob ein beim Empfänger nicht angekommener Teil der Sendung zuvor überhaupt in die Obhut des Frachtführers gelangt war. Der BGH vertritt hierzu die Auffassung, dass hier nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises zurückgegriffen werden kann. Da die Parteien über den Grund der Haftung stritten, scheide auch eine Anwendung des § 287 ZPO aus. Der Anspruchsteller habe daher in einem solchen Fall den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass der nicht beim Empfänger angekommene Teil der Sendung zuvor in die Obhut des Frachtführers gelangt sei (BGH v. 26.4.2007 – I ZR 31/05). (2) Befreiungsgründe 66
Bei der Exkulpation ist zwischen sog. „nicht bevorrechtigten“ und „bevorrechtigten“ Befreiungsgründen zu unterscheiden. Nicht bevorrechtigt sind solche Gründe, für die der Frachtführer nach Art. 18 Abs. 1 CMR den vollen Beweis für ihr Vorliegen zu erbringen hat. Dies ist nach Art. 17 Abs. 2 CMR dann der Fall, wenn der Schaden auf eine nicht vom Frachtführer verschuldete Weisung, einen Mangel des Gutes oder durch Umstände verursacht worden ist, die für den Frachtführer „nicht vermeidbar“ oder „nicht abwendbar“ waren. Dies bedeutet letztlich, dass die Exkulpation mit einer Darlegung „höherer Gewalt“ einhergeht1. Der Begriff der „höheren Gewalt“ wurde allerdings bei der Schaffung der CMR aufgrund unterschiedlicher Verwendung in der jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsprechung vermieden2. Der von der CMR angenommene optimale Frachtführer muss stets die Möglichkeit eines Schadenseintritts erwägen. Beispielsweise darf er bei erkennbaren erheblichen Schadensrisiken nicht blind darauf vertrauen, dass beispielsweise eine in einer behördlichen Transportgenehmigung angesprochene Durchfahrthöhe in jedem Fall gewährleistet ist (BGH v. 10.4.2003 – I ZR 228/00).
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Die Darlegung des Fehlens eines zurechenbaren Verschuldens des Frachtführers reicht nicht aus. Vielmehr ist erforderlich, dass der Frachtführer darlegt, dass der Schaden auch bei der Anwendung äußerster Sorgfalt unter den gegebenen Umständen nicht hätte vermieden werden können3. Die Anforderungen, die die Rspr. an den Nachweis, dass äußerste Sorgfalt angewendet wurde, stellt, sind äußerst streng.4. OLG Hamburg v. 4.10.2001, TranspR 2002, 109: Transport wertvoller Ladung mit drei LKW von Hamburg nach Kiew. Frachtführer war in acht Jahren mit zehn LKW bei ca. 1 200 Fahrten in Ukraine und ca. 2 400 Durchfahrten durch Polen nie von Überfällen der hier einschlägigen Art betroffen. Fahrer bemühten sich an der Grenze um Aufnahme in Zollkonvoi durch Polen, aber polnische Zöllner entschieden, dass nur einer der drei LKW dort mitfahren solle. Einer der beiden anderen LKW wurde in vorgetäuschter Polizeikontrolle gestoppt und gestohlen. Gericht vertrat Auffassung, dass Fahrer (an der Grenze verfügbaren) privaten Begleitschutz hätten engagieren oder zumindest beim Auftraggeber Weisungen hätten einholen müssen, nachdem Zoll Aufnahme in Konvoi verweigerte. 1 Einzelheiten sind str. Dazu grundsätzlich: Basedow, Transportvertrag, S. 397–400; Koller, Transportrecht, Art. 17 CMR Rz. 13 ff. 2 Denkschrift, BT-Drucks. III/1144, S. 40. 3 Aus diesem Umstand wird häufig der Schluss gezogen, es handele sich um „Gefährdungshaftung“. 4 OLG Hamburg v. 7.6.2001 – 6 U 271/00, TranspR 2002,108: unbeaufsichtigtes Abstellen an einer Mautstelle in Portugal.
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Transportverträge
Rz. 72 Teil E
Bevorrechtigt sind hingegen die Befreiungsgründe nach Art. 17 Abs. 4, 18 Abs. 2 CMR. Dabei wird vermutet, dass andere Ursachen als solche, die vom Frachtführer während seiner Obhutszeit gesetzt werden, den Schaden verursacht haben. Ein solcher Fall ist gegeben (Art. 17 Abs. 4 lit. a bis f CMR), wenn – der Transport vertragsgemäß mit offenen Fahrzeugen erfolgt, – fehlerhafte oder gar keine Verpackung vorliegt und dies den Gütern naturgemäß schadet, – Dritte für den Absender die Entladung vornehmen, – die natürliche Beschaffenheit der Güter diese besonderen Gefahren aussetzt (Bruch, Rost etc.), – die Frachtgüter unzureichend nummeriert oder bezeichnet sind oder – lebende Tiere befördert werden.
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Nach Art. 18 Abs. 2 CMR wird die Schadensursächlichkeit aufgrund dieser Umstände jedoch nur vermutet, wenn der Frachtführer darlegt, dass der Schaden aus einer oder mehrerer dieser Gefahren entstehen konnte (z.B. Bruchgefahr beim Transport von Fliesen). Der Geschädigte hat allerdings die Möglichkeit, den Gegenbeweis zu führen, dass der Schaden nicht oder nicht ausschließlich aufgrund einer der Gefahren des Art. 17 Abs. 4 CMR entstanden ist (z.B. ungenügende Verstauung der Fliesen, so dass sie beim Bremsen in Rutschen kamen1). Dann hätte sich das spezifische Risiko, um das es in Art. 17 Abs. 4 CMR geht, nicht verwirklicht.
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Um der Darlegungslast nach Art. 18 Abs. 2 CMR zu genügen, reicht es nicht aus, dass der Frachtführer lediglich die abstrakte Möglichkeit einer Verursachung aufzeigt. Vielmehr müssen diejenigen Tatbestände des Art. 17 Abs. 4 CMR, auf die sich der Frachtführer berufen will, unstreitig oder von ihm bewiesen sein2. Steht allerdings ein solcher Tatbestand fest, so genügt für die weitere Darlegung die bloße Möglichkeit der Kausalität zwischen diesem Umstand und dem Schaden3. Weiterhin ist der Frachtführer dann, wenn z.B. ein Verpackungsmangel (Art. 17 Abs. 4 lit. b CMR) bewiesen ist, zugleich von der Beweislast nach Art. 18 Abs. 1 CMR befreit dafür, dass der Transport ordnungsgemäß durchgeführt wurde4.
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Die CMR legt zwar die Beweislastverteilung fest, da jedoch die Beweiswürdigung dem nationalen Recht vorbehalten bleibt5, sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises (prima facie) in ihrer jeweiligen nationalen Ausgestaltung anwendbar. Dies gilt hingegen dann nicht, wenn dadurch de facto die zwingenden Beweislastvorschriften (Art. 41 CMR) aus den Angeln gehoben werden. Deshalb ist es nicht zulässig, aus der Tatsache, dass der Transport normal verlaufen ist, darauf zu schließen, dass Schäden am Transportgut durch Verpackungsmängel eingetreten sein müssen6.
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Nach Art. 17 Abs. 5 CMR sind die Grundsätze der Mitverantwortlichkeit anwendbar7. Umgekehrt muss es sich der Frachtführer unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung anrechnen lassen, wenn der Schaden aufgrund eines Fahrfehlers und mangelhafter Verladung durch den Absender verursacht wurde, die mangelhafte Verladung aber dem Fahrer bekannt war8. Umgekehrt ist ein Nichteinschreiten des an sich zur Ver-
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1 Dazu etwa OLG Saarbrücken v. 23.8.1985 – 4 U 118/83, TranspR 1985, 392. 2 St. Rspr. u. h.M.: BGH v. 10.10.1983 – I ZR 105/81, TranspR 1984, 100 = VersR 1984, 262; BGH v. 28.3.1985 – I ZR 194/82 TranspR 1985, 261; OLG Hamm v. 18.10.1984 – 18 U 175/82, TranspR 1985, 107; Piper, TranspR 1990, 357 (359); Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 18 CMR Rz. 19; Herber/Piper, Art. 17 CMR Rz. 87, 89. 3 BGH v. 10.10.1983 – I ZR 105/81 TranspR 1984, 100 = VersR 1984, 262. 4 BGH v. 28.3.1985 – I ZR 192/82, NJW 1985, 2092. 5 Dubischar, S. 106. 6 BGH v. 4.10.1984 – I ZR 112/82, NJW 1985, 554. 7 Etwa: BGH v. 28.3.1985 – I ZR 192/82 NJW 1985, 2092 (Fahrfehler und Verpackungsmangel). 8 OLG München v. 28.7.1995 – 23 U 2624/95, VersR 1997, 386 (LS).
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Bürskens 397
Teil E Rz. 73
Transport
ladung verpflichteten Versenders bei einer vom Fahrer vorgenommenen unzureichenden Verzurrung des Gutes im Rahmen der Haftungsabwägung nach Art. 17 Abs. 2 i.V. mit Abs. 5 CMR zu berücksichtigen (BGH v. 25.1.2007 – I ZR 43/04). dd) Haftungshöchstbeträge 73
Die Haftung des Frachtführers für Verlust und Verspätung (Art. 23 Abs. 1 und 5 CMR) sowie für Beschädigungen des Transportgutes (Art. 25 CMR) ist auf 8,33 Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (SZR)1 pro kg Rohgewicht2 beschränkt (Art. 23 Abs. 3, 7)3. Bei teilweiser Beschädigung oder teilweisem Verlust kommt es darauf an, ob hierdurch die gesamte Lieferung entwertet ist. Ist dies nicht der Fall, ist nur das Gewicht der betroffenen Stücke maßgeblich (Art 25 Abs. 2 lit. b CMR)4. Bei Lieferfristüberschreitungen kommt eine Entschädigung nur bis zur Höhe der Fracht in Betracht (Art. 23 Abs. 5 CMR). Die Entschädigung wird nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme nach dem Börsen-, hilfsweise nach dem Marktpreis berechnet (Art. 23 Abs. 1, 2 CMR). Bei Verlust oder Schaden sind Frachten und Zölle außerdem zurückzuerstatten (Art. 23 Abs. 4 CMR). Die gesetzliche Verzinsung beträgt 5 % (Art. 27 CMR).
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Die Haftung kann dadurch erweitert werden, dass im Frachtbrief ein besonderer Wert (Art. 24 CMR) oder ein besonderes Interesse (Art. 26 CMR) deklariert werden. Die praktische Bedeutung dieser Möglichkeiten dürfte aufgrund des umfangreichen Angebots umfassender Transportversicherung gering sein5, wobei ein eventuell bestehender Selbstbehalt im Rahmen der Transportversicherung durch die Deklaration des besonderen Interesses abgefangen werden kann. Die Haftungshöchstgrenzen gelten nach Art. 28 CMR auch für konkurrierende außervertragliche Anspruchsgrundlagen. ee) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen
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Art. 29 CMR ermöglicht es dem Geschädigten, dem Frachtführer die Berufung auf die Haftungsbeschränkung dann abzuschneiden, wenn dem Frachtführer oder seinen Hilfspersonen Vorsatz oder ein dem Vorsatz nach der lex fori gleichgestelltes schweres Verschulden anzulasten ist6. Bei deutschem Vertragsstatut ist die gleichgestellte Verschuldensform die grobe Fahrlässigkeit7. In praktischer Hinsicht ist relevant, welche Erfordernisse an die Darlegung der groben Fahrlässigkeit zu stellen sind. 1 Den jeweiligen Tageskurs kann man auf der Homepage des Internationalen Währungsfonds unter www.imf.org abfragen. 2 Zur Berechnung: BGH v. 30.1.1981 – I ZR 18/79, BGHZ 79, 302 = NJW 1981, 1902. 3 Derartige Höchstsummenbegrenzungen, die allen Transportrechtskonventionen gemeinsam sind, werden als Kernstück des internationalen Transportrechts bezeichnet. So im Hinblick auf das WA schon Goedhuis, S. 173 „Le point capital de la C.V. réside dans cet article“. Zur Herkunft dieses Prinzips: Basedow, Transportvertrag, S. 408 ff. Nach Helm, Haftung für Schäden an Frachtgütern, S. 148 handelt es sich dabei um kein echtes Prinzip des Transportrechts, sondern um eine Gemeinsamkeit der Transportrechtsgesetze. 4 BGH v. 30.1.1981 – I ZR 18/79, BGHZ 79, 302 = NJW 1981, 1902. 5 Kadletz, Haftung und Versicherung, S. 7 ff., 114 ff. 6 OGH Wien v. 31.7.2001 – 7 Ob 184/01, TranspR 2002, 113: Welches Verschulden gemäß Art. 29 der groben Fahrlässigkeit gleich steht, ist unter bewusstem Verzicht auf Rechtsvereinheitlichung dem nationalen Recht der Vertragsstaaten überlassen worden. Die Ausfüllung dieser Begriffe ist daher uneinheitlich und vieles ist im Einzelnen umstritten. Dazu ausführlich: Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 29 CMR Rz. 3–25; Helm, IPRax 1985, 10; Koller, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 2 ff.; Herber, TranspR 1992, 175 ff.; ders./Piper, Art. 29 CMR Rz. 4–9; Tuma, ETL 1993, 649; Jesser, TranspR 1997, 169. 7 BGH v. 14.7.1983 – I ZR 121/81, BGHZ 88, 157; BGH v. 16.2.1984 – I ZR 179/81, VersR 1984, 551; BGH v. 27.6.1985 – I ZR 40/83, VersR 1985, 1060. Ebenso OGH Wien v. 14.7.1993 – 7 Ob 594/93, TranspR 1994, 189 f.
398 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 75 Teil E
Die deutsche Rspr. ist ausgesprochen geschädigtenfreundlich, und hat den Ruf, im europäischen Vergleich vergleichsweise hohe Anforderungen an den Frachtführer zu stellen. Die Literatur sieht dies meist kritisch und es ist bedauerlich, dass insoweit eine CMR-weite Vereinheitlichung von Haftungsprinzipien bisher nicht erreicht wurde. Gerade die Bewertung des schweren Verschuldens nach Art. 29 CMR ist in den Beitrittsländern so unterschiedlich, dass es in Schadensfällen oft zu einem Wettlauf um den attraktivsten Gerichtsstand kommt. Die von deutschen Gerichten errichteten vergleichsweise hohen Schwellen für eine ordnungsgemäße Organisation und Transportdurchführung haben einerseits erheblichen Druck auf die Frachtführer zur Verbesserung und Kontrolle der eigenen Organisation ausgeübt und damit sicherlich zu einer Verbesserung von Branchenstandards geführt. Andererseits werden die Anforderungen zum Teil so hoch angesetzt, dass nahezu jegliche Form von Fahrlässigkeit als haftungsdurchbrechend angesehen wird und vom Frachtführer eine quasi fehlerfreie Organisation gefordert wird. Hier gilt es, die von der CMR getroffene Grundentscheidung nicht aus den Augen zu verlieren: als Standardfall wurde in der CMR (wie auch in den meisten transportrechtlichen Regelwerken) die in ihrer Höhe begrenzte Grundhaftung festgesetzt, die lediglich im Ausnahmefall in die eine oder andere Richtung (völliger Haftungsausschluss oder unbegrenzte Haftung) durchbrochen wird. Grobe Fahrlässigkeit wird im Rahmen der CMR dann angenommen, wenn objektiv und subjektiv ein besonders schwerer Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorliegt und das unbeachtet blieb, was jedem hätte einleuchten müssen1. In Diebstahlfällen sowie in Fällen des Transportes in Osteuropa, Norditalien oder Südfrankreich etwa werden die Sorgfaltsanforderungen sehr hoch und damit die Hürde zur groben Fahrlässigkeit eher niedrig angelegt. Danach ist insbesondere in den genannten Ländern für Besetzung des Fahrzeugs mit mindestens zwei Fahrern und ständige Bewachung oder sonstige Sicherheitsmaßnahmen anzuraten2. Grobe Fahrfehler sowie die Überschreitung von Dienstzeiten des Fahrers stellen stets grobe Fahrlässigkeit dar. Wird die Überschreitung der vereinbarten Lieferzeit durch die Einhaltung von Dienstzeiten verursacht, so ist es grob fahrlässig, wenn kein weiterer Fahrer zwecks Wechsel zum Einsatz kommt3. OLG Celle v. 16.1.2003 – 11 U 105/02: Einem Frachtführer ist ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden vorzuwerfen, wenn er einen Planen-Lkw mit einer Ladung von mehr als 2 Mio DM allein mit einem Fahrer als Besatzung und ohne Sicherung durch eine Alarmanlage nachts auf einem unbewachten Parkplatz abstellt.
In neuerer Rechtsprechung scheinen sich die Anforderungen an den vom Frachtführer anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab etwas zu lockern. Beispielsweise hat das OLG Karlsruhe entschieden, dass ein Frachtführer, der eine auf einem mit einer Plane abgedeckten Anhänger befindliche Ladung Zigaretten über das Wochenende auf einem Gelände verwahrt, das in einem Industriegebiet liegt und welches durch einen 2 m hohen Zaun 1 BGH v. 11.5.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 16; OLG Hamm v. 9.5.1996 – 18 U 123/95, TranspR 1997, 189. 2 BGH v. 14.1.1983 – I ZR 128/81, TranspR 1984, 68; BGH v. 16.4.1982 – I ZR 197/81, TranspR 1984, 182; BGH v. 17.4.1997 – I ZR 131/95, TranspR 1998, 25 ff. Zwar auch OLG Hamm v. 9.5. 1996 – 18 U 123/95, TranspR 1997, 189: Keine grobe Fahrlässigkeit, wenn ein schlafender Fahrer den Lkw in Osteuropa bewacht. Hingegen aber OLG München v. 29.11.1995 – 7 U 4806/95, TranspR 1997, 190: Grobe Fahrlässigkeit, wenn nur ein schlafender Fahrer einen Lkw mit Planenabdeckung und wertvoller Ladung in Turin bewacht. OLG München v. 4.12.1996 – 7 U 3479/95, TranspR 1997, 193 = VersR 1997, 769: Gesteigerte Sorgfaltsanforderungen bei Übernachtung in „einer als diebstahlsgefährdet bekannten Region“; vgl. weiter Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 29 CMR Rz. 2–25; Herber/Piper, Art. 29 CMR Rz. 10; Thume in Fremuth/ Thume, Art. 29 CMR Rz. 12 ff.; Koller, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 4 ff.; zum Diebstahl bei Zwischenlagerung: Thume in ders., CMR, Art. 29 CMR Rz. 30; vgl. OLG München v. 22.1. 2015 – 23 U 1589/14. 3 Ähnlich: OLG Düsseldorf v. 12.12.1985 – 18 U 90/85, TranspR 1986, 56 = VersR 1986, 1069.
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Teil E Rz. 76
Transport
und eine rundherum angebrachte so genannte stille Alarmanlage gesichert ist, nicht leichtfertig handelt (OLG Karlsruhe v. 12.5.2005 – 9 U 164/04). Es bleibt abzuwarten, welche Linie die Rechtsprechung in Zukunft vorgeben wird1. 76
In Deutschland haben die von der Rspr. entwickelten Grundsätze über die Beweislastverteilung– genauer: Beweislasterleichterungen des Geschädigten – besondere Bedeutung erlangt. Dabei ging der BGH im Ausgangspunkt von Folgendem aus: im älteren Speditionsrecht (i.E. vor 1998) war streitig, ob der Spediteur im Hinblick auf einen Ladungsschaden grob fahrlässig gehandelt hatte (dann gemäß § 51 ADSp 1993 keine Haftungsbeschränkung) oder nicht (dann Haftungsbeschränkung bzw. Haftungsersetzung durch Speditionsversicherung nach den vor 1998 anwendbaren Grundsätzen). Demgegenüber zieht der BGH inzwischen bei seinen Überlegungen in Betracht, dass der Spediteur gegenüber dem Geschädigten einen Informationsvorsprung hat. Der Geschädigte weiß in der Regel nicht, wann sich das Gut wo befindet; ihm kommt es nur auf rechtzeitige unversehrte Ankunft an. Der Spediteur hingegen muss den Transport organisieren. Ihm obliegt es daher im Schadensfalle den Reiseweg des Gutes sowie insbesondere beim Umladen die sog. „Schnittstellen“ zu kontrollieren bzw. kontrollieren zu lassen und den Weg des Gutes zu verfolgen. Kann er hierzu im Prozess um einen Schadensfall nichts darlegen, (sog. „sekundäre Darlegungslast“) so begründet dies grobes Organisationsverschulden des Spediteurs2 mit der Folge einer unbegrenzten Haftung. Diese im Kern aus den ADSp a.F. hervorgegangene Rspr. wurde später auch auf das Frachtrecht übertragen, und zwar insbes. auch auf Art. 29 CMR und Art. 25 WA/ HP. Auch hier nahm der BGH an, dass der Frachtführer aufgrund seiner Obhut über das Frachtgut einen entscheidenden Informationsvorsprung gegenüber dem Ladungsinteressenten hat. Der Frachtführer habe demnach die Reise des Gutes in angemessener Weise zu dokumentieren und den Verlauf einschließlich erforderlicher Kontrollen zu dokumentieren. Könne er im Schadensersatzprozess des Ladungsgeschädigten bzw. dessen Versicherers unter der Voraussetzung einer auf ihn übergegangenen Darlegungslast zum Transportverlauf nichts vortragen, sei der Rückschluss auf grobes Organisationsverschulden des Frachtführers – und damit den Wegfall der summenmäßigen Haftungsbeschränkungen – nach der Rechtsprechung des BGH gerechtfertigt3. Auch auf die deutsche Regelung des § 435 dtHGB ist diese zum internationalen Transportrecht (vor allem dem wörtlichen Vorläufer Art. 25 WA/HP, hinsichtlich der Beweislastverteilung systematisch aber auch Art. 29 CMR) ergangene Rechtsprechung anwendbar4. Nach Auffassung des BGH wird eine Darlegungslast des Frachtführers überhaupt nur ausgelöst, „wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein grob fahrlässiges Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe legt“. Der Frachtführer muss demnach „nicht von vornherein zur Vermeidung prozessualer Nachteile vortragen“, sondern nur dann, „wenn das prozessuale Geschehen Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden bietet. Insoweit darf sich der klägerische Sachvortrag nicht 1 Vgl. BGH v. 10.12.2009 – I ZR 154/07; OLG Düsseldorf v. 3.12.2014 – I-18 U185/13. 2 Grundlegend zuletzt BGH v. 3.11.1994 – I ZR 100/92, BGHZ 127, 275, 277 = TranspR 1995, 253 m. Anm. Blanck = NJW 1995, 1490 = VersR 1995, 604; ferner etwa BGH v. 4.5.1995 – I ZR 70/93, TranspR 1996, 34 f. = VersR 1995, 1334 f. 3 Mittlerweile st. Rspr.; zuletzt ausführlich und instruktiv BGH. 21.9.2000 – I ZR 135/98, ZLW 50 (2001), 254, 260 ff.; BGH v. 9.11.1995 – I ZR 122/95, TranspR 1996, 303 = VersR 1996, 782; BGH v. 7.11.1996 – I ZR 111/94, TranspR 1997, 291, 293 = VersR 1997, 725 f.; zurückhaltender aber BGH v. 16.7.1998 – I ZR 44/96, TranspR 1999, 19; OLG Nürnberg v. 18.11.1998 – 12 U 2204/98, TranspR 2000, 126. Weitere umfangr. Nachw. bei Piper, Ausgewählte Fragen zur Haftung und zur Darlegungs- und Beweislast im Prozess des Frachtführers und des Spediteurs unter Berücksichtigung des Transportrechtsreformgesetzes in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 135 ff., 143 f., der die Entwicklung der Rspr. kristallklar nachvollzieht und erläutert; auch Koller, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 7, § 435 HGB Rz. 20 f., Art. 25 WA Rz. 9. 4 Piper in Thume (Hrsg.), FS Rolf Herber, 1999, S. 135 ff., 143 f.; Koller, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 7, § 435 HGB Rz. 20 f., Art. 25 WA Rz. 9.
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Transportverträge
Rz. 78 Teil E
darauf beschränken, die bloße Tatsache des Verlustes vorzutragen.“ (BGH v. 21.9.2000, TranspR 2001, 29)1. Zudem stellte der BGH in dieser Entscheidung klar, dass sich die materielle Beweislast nicht ändert. Diese verbleibt beim Geschädigten, der auch den „Nachteil aus der Nichterweislichkeit seiner Behauptungen“ trägt2. Dies gilt auch dann, wenn dem Geschädigten die nähere Darlegung eines zum Wahrnehmungsbereich des Gegners gehörenden Geschehens nicht möglich ist. Ein solcher Umstand führt allenfalls zu erhöhten Anforderungen an die (sekundäre) Darlegungslast des Prozessgegners (BGH v. 10.12.2009 – I ZR 154/07). Diese Grundsätze über grob fahrlässiges Organisationsverschulden des Spediteurs finden auch auf Paketdienste Anwendung3. Sie kommen allerdings nicht ohne weiteres zur Anwendung, wenn nicht wegen Verlustes des Transportgutes, sondern wegen Beschädigung Schadensersatz verlangt wird4.
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BGH v. 15.11.2001 – I ZR 158/99, DB 2002, 2161: „Auf während des Transports eingetretene Sachschäden sind diese Grundsätze jedoch nicht ohne weiteres übertragbar, da die gebotenen Kontrollmaßnahmen beim Warenumschlag nicht darauf abzielen, den Spediteur zu einem sorgfältigeren Umgang mit den ihm anvertrauten Gütern anzuhalten. Zwar kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die Durchführung genauerer Schnittstellenkontrollen im Einzelfall auch zu einem sorgfältigeren Umgang beim Umladen der Güter führen mögen, jedoch ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine wesentliche Verringerung der Schadenshäufigkeit auch bei schärferen Schnittstellenkontrollen nicht zu erwarten. Dieser Einschätzung wird nicht zuletzt durch die Zusammensetzung der Klageforderung belegt: denn nur in einem der 25 Schadensfälle wird Ersatz für einen Sachschaden begehrt. Darüber hinaus kann die Schnittstellenkontrolle ohnehin nur äußerliche Beschädigungen der Sendungen erfassen und trägt zur Vermeidung von Sachschäden mithin nichts Wesentliches bei, wenn das Packstück äußerlich unbeschädigt geblieben ist. Bei dieser Sachlage hätte die Kausalität des vom Berufungsgericht festgestellten Organisationsverschuldens der Beklagten (…) gesondert festgestellt werden müssen. Daran fehlt es jedoch gerade.“
Auch auf Verspätungsfälle macht eine Übertragung der Regeln zur sekundären Darlegungslast aus den gleichen Gründen im Regelfall keinen Sinn. Eine andere Ansicht vertritt allerdings das OLG Hamm (Urt. v. 15.9.2008 – 18 U 199/07). ff) Mitverschulden Gemäß den allgemein im Transportrecht anerkannten Grundsätzen gelten auch im Hinblick auf die Haftung nach der CMR die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zum transportrechtlichen Mitverschulden. Die Gerichte haben insofern in den vergangenen Jahren über dieses Institut einen dogmatisch fragwürdigen Weg gefunden, um die im internationalen Vergleich oft überzogen harte Rechtsprechung zum grob fahrlässigen Organisationsverschulden abzumindern. BGH v. 20.1.2005 – I ZR 95/01: Im Rahmen einer Haftung nach Art. 17, 29 CMR kann der Spediteur/Frachtführer nach ergänzend anwendbarem deutschen Schuldrecht dem Absender entgegenhalten, vor Vertragsschluss nicht auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadensrisikos hingewiesen worden zu sein. 1 BGH v. 21.9.2000 – I ZR 135/98 – ZLW 50 (2001), 254, 260 ff.; TranspR 2001, 29 ff., dort rechtfertigte nach Auffassung des BGH die Tatsache, dass in der Nähe des Flughafens Verpackungsmaterial gefunden worden war, die Annahme objektiver Anhaltspunkte für einen Verschuldensvorwurf, ebenso OLG Düsseldorf v. 17.1.2003 – 32 O 165/98. 2 BGH v. 21.9.2000 – I ZR 135/98 – ZLW 50 (2001), 254, 260 ff.; TranspR 2001, 29 ff. 3 BGH v. 15.11.2001 – I ZR 158/99, DB 2002, Heft 23, VIII f. 4 BGH v. 15.11.2001 – I ZR 182/99, DB 2002, Heft 23, IX; In der schweizerischen transportrechtlichen Rechtsprechung sind keine Fälle bekannt, in denen ein Organisationsverschulden als Grundlage für die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung angerufen wurde.
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Bürskens 401
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Teil E Rz. 79
Transport
Die Rechtsprechung geht von einem haftungsrelevanten Mitverschulden aus, wenn der Frachtführer einem Haftungsrisiko ausgesetzt wird, welches mehr als das 10-fache des nach Vertrag und Gesetz zu erwartendem Haftungsvolumen aus dem konkreten Transport beträgt, ohne hierauf hingewiesen worden zu sein. Der Frachtführer soll theoretisch in die Lage versetzt werden, den Transport angesichts eines besonders hohen Haftungsrisikos abzulehnen oder anders zu organisieren. Ob der Frachtführer dies auch tatsächlich getan hätte, darauf soll es nicht ankommen. gg) Aktiv- und Passivlegitimation, Anspruchsdurchsetzung 79
Der Empfänger des Gutes kann im eigenen Namen Schadensersatzansprüche wegen Verlust und Verspätung gegen den Frachtführer geltend machen. Insoweit kann es zu einer doppelten Aktivlegitimation von Empfänger und Absender, der als Transportvertragspartner unabhängig von seiner Verfügungsbefugnis nach Art. 12 CMR stets anspruchsberechtigt ist, kommen1.
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Umstritten war, ob der Empfänger auch den Unterfrachtführer in Anspruch nahmen kann. Die frühere Rechtsprechung des BGH und der belgische Kassationshof2 verneinten dies deshalb, weil Art. 34, 36 CMR die Haftung des Unterfrachtführers abschließend regeln und die Person des „Frachtführers“ im Sinne der CMR (nur) der vom Absender beauftragte Frachtführer sei3. Der italienische Kassationshof4 und das deutsche Schrifttum5 hingegen bejahten den Anspruch gegen den Unterfrachtführer, da dieser (dem Hauptfrachtführer) auch aufgrund der CMR hafte. Mit dem Urteil vom 14.7. 2007 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben. Der Hauptfrachtführer, der einen Beförderungsauftrag nicht selbst ausführt, sondern im eigenen Namen und für eigene Rechnung einen anderen Frachtführer, den Unterfrachtführer, beauftragt, schließt einen selbstständigen (Unter-)Frachtvertrag mit diesem ab. Er ist Absender i.S. des Landfrachtrechts, weil er Vertragspartner des (Unter-)Frachtführers ist. Der Unterfrachtführer haftet dem Hauptfrachtführer als dem Absender, soweit es sich um einen grenzüberschreitenden Beförderungsvertrag handelt, nach den Haftungsbestimmungen der Art. 17 ff. CMR. Trifft aber den Unterfrachtführer dem Hauptfrachtführer gegenüber die volle Frachtführerhaftung, gibt es keinen Grund, seine Haftung gegenüber dem Empfänger als Drittbegünstigten des Unterfrachtvertrags auszuschließen6.
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Im Übrigen ist bei Abtretungen Art. 41 Abs. 2 CMR zu beachten, da sämtliche Abmachungen, durch die sich der Frachtführer Ansprüche aus der Versicherung des Gutes abtreten lässt, nichtig sind7. Die Art. 34 bis 40 CMR über mehrere aufeinanderfolgende
1 BGH v. 10.4.1974 – I ZR 84/73, VersR 1974, 796 f. = NJW 1974, 1614; BGH v. 1.10.1975 – I ZR 12/75, VersR 1976, 168 f.; BGH v. 6.5.1981 – I ZR 70/79, VersR 1981, 929 f.; BGH v. 24.10.1991 – I ZR 208/89, TranspR 1992, 177 = VersR 1992, 640. A.A. Helm, TranspR 1983, 29. Eine doppelte Inanspruchnahme kommt nicht in Betracht: BGH v. 6.7.1979 – I ZR 127/78, BGHZ 75, 92 = TranspR 1980, 49 = VersR 1979, 1105. 2 Cass. (bel. 17.9.1987) ETL 1988, 201. 3 BGH v. 24.9.1987 – I ZR 197/85, TranspR 1988, 108 = VersR 1988, 244; BGH v. 28.4.1988 – I ZR 32/86 TranspR 1988, 338 = VersR 1988, 828; BGH v. 10.5.1990 – I ZR 234/88, TranspR 1990, 418. 4 Cass. (it. 21.10.1991) ZEuPR 1993, 141. 5 Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 13 CMR Rz. 18; Helm in Großkommentar HGB, Art. 13 CMR Rz. 3; Glöckner, Leitfaden zur CMR, Art. 13 CMR Rz. 8; Thume in Fremuth/Thume, Art. 13 CMR Rz. 18; Thume, TranspR 1991, 85; Koller, Transportrecht, Art. 13 CMR Rz. 5; Koller, VersR 1988, 673; Temme in Thume, CMR, Art. 13 CMR Rz. 17. A.A. Piper, Höchstrichterliche Rechtsprechung Rz. 477; ders., TranspR 1990, 357 (359); Herber/Piper, Art. 13 CMR Rz. 19. 6 BGH v. 14.6.2007 – I ZR 50/05, NJW 2008, 289. 7 BGH v. 13.2.1980 – IV ZR 39/78, NJW 1980, 2021.
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Transportverträge
Rz. 84 Teil E
Frachtführer setzen einen einheitlichen Frachtvertrag voraus, weshalb ihre praktische Bedeutung gering ist1. Einzelheiten zur Anspruchsdurchsetzung sind in Art. 30 bis 33 CMR geregelt. Für die Bearbeitung von Schadensfällen sind diese „formalen Vorschriften“ besonders wichtig, weil sie von anderen gängigen vertragsrechtlichen Erfordernissen abweichen und Verstöße oder Versäumnisse strikten Sanktionen unterliegen können. So sind Ersatzansprüche wegen Beschädigungen bei Versäumnis der Schadensanzeigefrist von sieben Tagen ausgeschlossen.
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Nimmt der Empfänger das Gut vorbehaltlos in Empfang, so spricht die Vermutung des Art. 30 Abs. 1 CMR gegen ihn, wenn er Ansprüche gegen den Frachtführer .geltend machen will. Ansonsten bleibt dem Anspruchsteller nur die alsbaldige Reklamation unter den Voraussetzungen des Art. 30 Abs. 2 CMR. Um die Reklamationsfrist von nur sieben Tagen zu wahren, genügt die rechtzeitige Absendung2. Verjährung3 tritt nach einem Jahr, bei Vorsatz bzw. dem gleichstehenden Verschulden nach drei Jahren ein (Art. 32 Abs. 1 CMR). Diese Fristen gelten auch für Ansprüche wegen schuldhafter Pflichtverletzungen aus dem Frachtvertrag (soweit neben der CMR zulässig), wegen Verletzung von Nebenabreden und für sonstige außervertragliche Ansprüche4. Die erforderliche schriftliche Reklamation5 bewirkt die Hemmung der Verjährung bis zur schriftlichen Zurückweisung (Art. 32 Abs. 2 CMR). Der alsbaldigen Klärung der Ansprüche aus dem CMRFrachtvertrag soll ferner das Widerklage- und Einredeverbot im Hinblick auf verjährte Ansprüche (Art. 32 Abs. 4 CMR), das sich auch auf die Aufrechnung erstreckt6, dienen.
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Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach Art. 31 CMR. Die örtliche Zuständigkeit beurteilt sich daneben auf Basis des nationalen Rechts7. Bei deutschem Vertragsstatut findet insbesondere Art. 1a des Zustimmungsgesetzes zur CMR8 Anwendung9, der die innerstaatliche Zuständigkeit regelt. Als Foren eröffnen sich nach Art. 31 CMR der Staat des Sitzes oder einer Niederlassung des Frachtführers und die Staaten der vorgesehenen Übernahme bzw. Ablieferung des Gutes. Art. 31 CMR erstreckt sich auf alle Streitigkeiten aus der CMR, beinhaltet also auch außervertragliche Ansprüche aller prozessualen Verfahrensarten10. Gerichtsstandvereinbarungen kön-
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1 Die FIATA hat ihre ersatzlose Streichung vorgeschlagen. Dazu: Glöckner, TranspR 1984, 113; R.T. Schmid in Thume, vor Art. 34 CMR Rz. 3; Thume in Fremuth/Thume, vor Art. 34 CMR Rz. 1. 2 Loewe, ETL 1976, 503 (577); Herber/Piper, Art. 30 CMR Rz. 8; Basedow in MünchKomm/ HGB, Art. 30 CMR Rz. 24; Koller, TransportR, Art. 30 CMR Rz. 6, 14, 18; Thume in Fremuth/ Thume, Art. 30 CMR Rz. 12; Demuth in Thume, Art. 30 CMR Rz. 23; Clarke, S. 322 (Nr. 63b); Hill/Messent, S. 222; a.A. für den Fall der Frist von 21 Tagen bei Verspätung (Art. 30 Abs. 3 CMR): BGH v. 14.11.1991 – I ZR 236/89, TranspR 1992, 135 (138): Entscheidend sei der Zugang. Nach der gebotenen Auslegung anhand des Originalwortlautes („without sending“/„sent“ bzw. „adressé“) kann es jedoch nur auf das Absenden, nicht aber auf den Zugang ankommen. 3 Zum Zusammenspiel der Verjährungsvorschriften der CMR mit dem deutschen HGB: Demuth, Verjährungsvorschriften in CMR und Transportrechtsreformgesetz – Vergleich und Zusammenwirken in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 325 ff. 4 BGH v. 6.7.1979 – I ZR 97/77, NJW 1979, 2472. 5 BGH v. 9.2.1984 – I ZR 18/82, TranspR 1984, 146. 6 OLG Hamburg v. 10.5.1984 – 6 U 236/83, TranspR 1984, 196. 7 BGH v. 6.2.1981 – I ZR 148/78, BGHZ 79, 332; OLG Hamm v. 17.4.1986 – 18 U 45/84, TranspR 1986, 431; Erbe, Kommentar zum Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau HOR 2010.47 v. 7.6.2011, in TranspR 2012, S. 339 ff. 8 ZustimmungsG v. 16.8.1961 (BGBl. II 1119) i.d.F. des G. v. 5.7.1989 (BGBl. II 586). 9 OLG München v. 23.7.1996 – 25 U 4715/95, TranspR 1997, 33. Dies gilt auch, wenn der Bestimmungsort erst während des Transportes konkretisiert wird: LG Hamburg v. 20.10.1993 – 417 O 223/92 und OLG München v. 7.4.1994 – 6 U 68/94, TranspR 1995, 114 ff. Anders aber, wenn die Annahme zunächst verweigert wird und das Gut deshalb an einen anderen Ort verbracht wird: kein neuer Ablieferungsort vereinbart. OLG Karlsruhe v. 7.12.1995 – 9 U 281/94, TranspR 1996, 203. 10 BGH v. 31.5.2001 – I ZR 85/00. Außer Klagen gilt dies also auch für gerichtliche Mahnverfahren, Arrest, Urkundenprozess etc.; Herber/Piper, Art. 31 CMR Rz. 4.
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Teil E Rz. 85
Transport
nen die zusätzliche Zuständigkeit eines Gerichtes eines anderen CMR-Vertragsstaates begründen1. Hier können insbesondere Gerichtsstandvereinbarungen aus allgemeinen Geschäftsbedingungen – auch aus AÖSp, ADSp2 und AB Spedlogswiss3 – zur Anwendung kommen. b) IPR und ergänzend zur CMR anwendbares Recht 85
Zahlreiche Sachverhalte sind nicht durch die CMR geregelt, da die CMR nur Fragen des grenzüberschreitenden Straßentransports zwischen den Mitgliedstaaten der CMR erfasst. Für nicht von der CMR gedeckte Sachverhalte (nationale Sachverhalte, Transporte zwischen Nichtvertragsstaaten der CMR) ist daher zunächst das nach Kollisionsrecht berufene Recht zu ermitteln und sodann dessen materielles Frachtrecht für Straßentransporte anzuwenden.
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Die Bestimmung des anwendbaren Rechts erfolgt nach deutschem und österreichischem Kollisionsrecht unter Anwendung von Art. 3, 5 Rom I-VO4 In der Schweiz kommen Art. 116 (Rechtswahl) bzw. Art. 117 (objektive Anknüpfung mangels einer solchen) des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (IPRG) zur Anwendung5. Danach ist zunächst das von den Parteien ausdrücklich oder stillschweigend gewählte Recht maßgeblich. Mangels einer solchen Rechtswahl gilt das Recht des Staates, in dem der beauftragte Frachtführer seine Niederlassung hat, in deren Rahmen der Frachtvertrag geschlossen wird6. Rechtswahlklauseln können sich ebenso wie die oben erwähnten Gerichtsstandsklauseln aus individuellen oder Standardbedingungen wie ADSp, AÖSp oder AB Spedlogswiss ergeben.
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Nachfolgend werden einige bedeutsame, nicht durch die CMR geregelte, sondern dem ergänzend anzuwendenden Recht unterliegende Aspekte aufgelistet7:
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– Aufrechnung: Soweit nicht durch Art. 32 Abs. 4 CMR eingeschränkt, ist die Aufrechnung möglich, wenn vom anwendbaren Recht (in Deutschland und Österreich Art. 12 Abs. 1 lit. d, 17 Rom I-VO; in der Schweiz Art. 148 Abs. 4 Satz 2 IPRG) zugelassen8.
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– Außervertragliche Ansprüche (unerlaubte Handlungen, ungerechtfertigte Bereicherung): Sie sind durch die CMR nicht ausgeschlossen. Soweit die jeweiligen nationalen Regelungen (nationales Deliktsrecht) mit Art. 17 ff. CMR konkurrieren, erstreckt Art. 28 CMR die Haftungsbeschränkung (insbes. Art. 25 CMR) auch auf diese Ansprüche. Ansprüche Dritter sind nicht ausdrücklich geregelt. Da insbes. nach Art. 51 CMR eine Erstreckung der Haftungsbeschränkungen möglich ist, wird differenziert: Musste der Dritte mit der Beförderung des Gutes rechnen, so wir1 Die Formulierung „Gerichtsstand Hamburg“ ohne jeden weiteren Zusatz in einer Auftragsbestätigung lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass ein ausschließlicher Gerichtsstand gewollt ist: Hans. OLG Hamburg v. 11.10.2001 – 6 U 163/00, TranspR 2002, 111. 2 Ziff. 30.3 ADSp 2016. Dazu: Dubischar, S. 111 (unter Bezugnahme auf die Gerichtsstandsklausel des § 65 der insoweit gleichlautenden früheren ADSp); Herber/Piper, Art. 31 CMR Rz. 20; Thume in Fremuth/Thume, Art. 31 CMR Rz. 10 ff.; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 31 CMR Rz. 24. 3 Allgemeine Bedingungen (2005) der Spedlogswiss – Verband schweizerischer Speditions- und Logistikunternehmen. Dazu z.B. Montanaro, Die Haftung des Spediteurs für Schäden an Gütern (Zürich 2001), S. 11. 4 Mankowski in Reithmann/Martiny, Rz. 1426. 5 SR 291. 6 Kerzendorfer/Geist in Jabornegg, Kommentar zum HGB, Wien 1997, § 408 HGB Rz. 25. 7 Vgl. auch die Auflistungen bei: Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 7 ff.; Thume in Fremuth/Thume, CMR, vor Art. 1 Rz. 17 ff.; Lieser, S. 89–188; Helm in Großkommentar HGB, Art. 1 CMR Rz. 3 ff.; Basedow in MünchKomm/HGB, Einl. CMR Rz. 48; de la Motte in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 23–55. 8 OLG München v. 5.7.1989 – 7 U 5947/88, TranspR 1990, 16 f.
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Transportverträge
Rz. 93 Teil E
ken die Regelungen der CMR auch gegen ihn (h.M.)1. Hat der Dritte keinerlei zurechenbare Nähe zum Transportvertrag, so erstrecken sich die Wirkungen der CMR nicht auf ihn2. Art. 28 CMR umfasst allerdings in der Regel keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche. Solche Ansprüche sind etwa bei Überzahlung oder fehlgeschlagenem Vertragsschluss denkbar. – Be- und Endladen: Die CMR regelt in Art. 17 Abs. 4 lit. c nur, wer das Risiko einer fehlerhaften Be- oder Endladung zu tragen hat, nicht aber, wen die Pflicht zur Verstauung trifft. Diese Frage wird durch das nationale Recht beantwortet3.
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– Erfüllungsort: Kann frei vereinbart werden. Aus Art. 31, 39 CMR darf nicht auf den Erfüllungsort geschlossen werden4. – Haftpflichtversicherung: Die CMR statuiert keine Versicherungspflicht. – Kombinierter Transport (Multimodaltransport): Art. 2 CMR enthält eine Sondervorschrift, i.Ü. gelten die oben unter Rz. 17 ff. dargelegten Grundsätze.
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– Kündigung/Rücktritt: Nach Übernahme des Frachtgutes gelten Art. 12, 16 CMR. Da Art. 16 Abs. 1 CMR die Rechtsfolgen nur für außerordentliche Aufwendungen regelt, kann im Hinblick auf die Folgen für die Zahlung der Fracht auf das Recht des Vertragsstatuts zurückgegriffen werden (Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 116 oder 117 SchwIPRG)5. § 415 dtHGB enthält ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Absenders. Vor Übernahme des Gutes finden die nationalen Vorschriften uneingeschränkt Anwendung. Im österreichischen Frachtrecht ist eine Kündigung nicht ausdrücklich geregelt. In der Schweiz folgt ein Kündigungsrecht aus Art. 404 OR.
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– Leistungsstörungen: Die CMR regelt Verlust und Beschädigung gem. Art. 17, Verspätung gem. Art. 17, 19, daraus resultierende unmittelbare und mittelbare Schäden, die Haftung für unzulängliche Briefangaben (Art. 7 CMR) und unzulänglichen Umgang mit den Papieren (Art. 11 CMR), für die Nichtbeachtung und unzulässige Beachtung von Weisungen (Art. 12 Abs. 7 CMR), mangelnde Informationen über Gefahrgüter (Art. 22 Abs. 2 CMR) sowie teilweise Folgen von Beförderungs- und Ablieferungshindernissen (Art. 14, 15, 16 Abs. 1 CMR). Die CMR bildet für die Beeinträchtigung des Gutes, Lieferfristüberschreitungen und die Haftung wegen Beförderungs- und Ablieferungshindernissen ein geschlossenes System6. Insoweit entfaltet Art. 41 CMR Sperrwirkung. Im Übrigen ist ergänzendes Leistungsstörungsrecht anzuwenden. Bei deutschem Vertragsstatut sind dies insbesondere Ansprüche
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1 OLG Frankfurt a.M. v. 8.6.1982 – 5 U 159/81, VersR 1983, 141 m. Anm. Reiß; OGH Wien v. 25.1. 1990 – 7 Ob 698/89, TranspR 1990, 235, 238; Loewe, ETL 1976, 503 (574); Helm in Großkommentar HGB, Art. 28 CMR Rz. 6; Thume in Fremuth/Thume, Art. 28 CMR Rz. 5; Herber/Piper, Art. 28 CMR Rz. 4; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 28 CMR Rz. 11; Koller, Art. 28 CMR Rz. 3; Ruhwedel, Das störende Eigentum am Frachtgut in Thume (Hrsg.), FS Rolf Herber, 1999, S. 163 ff.; Clarke, S. 339; Hill/Messent, S. 207; Jesser, S. 139; teilw. anders Piper, Einige ausgewählte Probleme der CMR, VersR 1988, 200, 209; a.A. Glöckner, TranspR 1988, 327 (331); Heuer, S. 188; Tuma, VersR 1983, 408. Der BGH v. 12.12.1991 – I ZR 212/89, TranspR 1992, 152 traf nur scheinbar eine andere Entscheidung, denn es lag kein Fall der CMR, sondern der §§ 414, 439 HGB vor, denen eine den Art. 28 Abs. 1, 32 Abs. 1 CMR vergleichbare Regelung fehlt. 2 Helm in Großkommentar HGB, Art. 28 CMR Rz. 6; Thume in Fremuth/Thume, Art. 28 CMR Rz. 5; Koller, Transportrecht, Art. 28 CMR Rz. 3; Piper, VersR 1988, 200, 209; R.T. Schmid in Thume, CMR, Art. 28 CMR Rz. 17; Jesser, S. 139. 3 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 86/76, VersR 1979, 417 f.; BGH v. 28.3.1985 – I ZR 194/82, TranspR 1985, 261, 264. Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 17 CMR Rz. 19, 25; Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 8; Helm in Großkommentar HGB, Art. 17 CMR Rz. 16 jew. m. umfangr. Nachw. aus der ausländ. Rspr.; für die Schweiz: Erbe, Haftung für fehlerhafte Ladungssicherung, in StrassenTransport 11/2008, S. 28 ff. 4 Koller, CMR und Speditionsrecht, VersR 1988, 556 (560). 5 Helm in Großkommentar HGB, Art. 16 CMR Rz. 2; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 16 CMR Rz. 16; Herber/Piper, Art. 16 CMR Rz. 7. 6 BGH v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, VersR 1979, 445 f.
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Bürskens 405
Teil E Rz. 94
Transport
wegen schuldhafter Pflichtverletzung von Schuldverhältnissen1 und in der Schweiz ist Art. 97 OR einschlägig. Auch sind Schadensersatzansprüche aus diesem Gesichtspunkt (in Form der früheren Regeln der positiven Forderungsverletzung des deutschen Rechts2) bei Güterschäden außerhalb des Obhutzeitraums denkbar, bei der Verletzung von außerhalb der CMR übernommenen Nebenpflichten3, bei Schäden infolge Falschauslieferung4 oder bei falscher Beratung5. 94
– Pfandrecht/Zurückbehaltungsrecht (res in transitu): Insbesondere die Art. 13, 16 Abs. 2 CMR stehen der Begründung von Pfand- und Zurückbehaltungsrechten nach nationalem Recht nicht entgegen6. Bei der Anwendung deutschen Rechts können diese Rechte nach BGB, dtHGB (insbes. §§ 440–442 dtHGB), AGB und Individualabreden entstehen7. Für Rechte an Sachen während des Transports (res in transitu) gilt im Falle deutschen Kollisionsrechts Art. 43 EGBGB8. Während das EVÜ in Österreich keine entsprechende Regelung vorsieht, folgt in der Schweiz eine vergleichbare Festlegung aus Art. 100 Satz 2 IPRG. Für die Entstehung gesetzlicher Pfandrechte gelten daher die Regeln an dem Ort, an dem das Frachtgut bei der Entstehung des Pfandrechts belegen ist. In Österreich hat der Frachtführer ein Pfandrecht am übernommenen Gut nach §§ 440–443 öUGB. In der Schweiz sieht Art. 451 OR ein Retentionsrecht des Frachtführers vor. Weitergehenden Schutz bietet allerdings das in Art. 895 ZGB geregelte allgemeine kaufmännische Retentionsrecht.
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– Sonderpflichten: Die Übernahme besonderer, in der CMR nicht geregelter Pflichten ist zulässig, soweit Art. 41 CMR nicht entgegensteht. Insoweit ist anhand der Auslegungsgrundsätze (s. Rz. 89) zu ermitteln, ob die CMR die Übernahme konkreter Pflichten gestattet. Gemischte Verträge kann der Frachtführer unproblematisch mit beliebigem Inhalt schließen. Die Übernahme der Verpflichtung zur Eindeckung einer Transportversicherung9 oder zur Überprüfung von Waren vor Übernahme ist beispielsweise zulässig.10
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– Standgeld: Wird die Standzeit durch ein Ereignis i.S. des Art. 10, 11, 14, 15 CMR verursacht, so treffen die Art. 10, 11 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 1 CMR eine abschließende Regelung (str.)11. Dann sind davon abweichende Vereinbarungen unwirksam12. Im Übrigen herrscht Vertragsfreiheit. Bei deutschem Vertragsstatut greifen subsidiär §§ 412 Abs. 3, 415 Abs. 2 Ziff. 1, 416 Satz 2, 421 Abs. 3 dtHGB und § 642 BGB ein13. In Österreich sind Mehrkosten unter den Voraussetzungen von § 433 1 Thume in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 23; ders., vor Art. 17 CMR Rz. 35–37; Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 23 ff.; de la Motte in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 47 ff.; Basedow in MünchKomm/HGB, Art. 17 CMR Rz. 6. 2 Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 30; Basedow in MünchKomm/HGB, CMR, Art. 17 CMR Rz. 6. 3 BGH v. 28.2.1975 – I ZR 40/74, VersR 1975, 610 (vertragswidriges Unterlassen des Abschlusses einer Versicherung). 4 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 30/77, TranspR 1982, 108 = VersR 1979, 276. 5 OLG Hamm v. 28.4.1983 – 18 U 230/81, TranspR 1983, 151. 6 OLG Hamburg v. 3.11.1983 – 6 U 118/83, VersR 1984, 235 f. 7 Überblick über andere Vertragsstaaten bei Theunis, S. 213 ff.; Herber/Piper, Anhänge A bis K. 8 Palandt/Thorn, 75. Aufl. Art. 43 EGBGB Rz. 2, 9. 9 BGH v. 28.2.1975 – I ZR 40/74, VersR 1975, 610, 611; OLG Frankfurt v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281 (WA). 10 Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 35; Thume in Fremuth/Thume, Art. 8 CMR Rz. 17 ff. jew. m.w.N. str., nach der Rspr. aber zu bejahen: OLG München v. 3.5.1989 – 7 U 6078/88, TranspR 1991, 61 f.; OGH Wien v. 8.10.1984 – 1 Ob 577/84, TranspR 1985, 103, 105. 11 Koller, Transportrecht, vor Art. 1 CMR Rz. 15; ders, TranspR 1988, 129, 132 ff.; de la Motte in Fremuth/Thume, vor Art. 1 CMR Rz. 32. A.A. OGH Wien v. 1.2.1983 – 2 Ob 572/82, TranspR 1983, 160. 12 Koller, ibd. 13 LG Stuttgart v. 10.10.1990 – 13 S 146/90, TranspR 1991, 142.
406 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 103 Teil E
Abs. 1 öUGB erstattungsfähig. Die Schweiz kennt keine gesetzliche Regelung in Bezug auf Standgelder. Diese sind somit nur zu ersetzen, wenn dies vertraglich vereinbart ist1 oder wenn dem Frachtführer der schwer zu erbringende Schadensnachweis gelingt. – Vergütung: Die CMR regelt den Vergütungsanspruch, abgesehen von Art. 13 Abs. 2 CMR, nicht. Er folgt bei deutschem Vertragsstatut aus §§ 407 Abs. 2, 420, 421 dtHGB. Das österreichische UGB regelt in § 436 eine Zahlungspflicht des Empfängers, in der Schweiz folgt die Zahlungspflicht aus Art. 440 OR.
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– Vertragsschluss: Konsens, Willensmängel und Folgen der Nichtigkeit beurteilen sich anhand des Art. 10 Rom I-VO bzw. Art. 116 ff. schwIPRG anzuwendenden Rechts.
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– Zession: Abgesehen von Art. 41 CMR zulässig2. Das anwendbare Recht bestimmt sich nach Art. 14 Rom I-VO bzw. Art. 145, 146 schwIPRG3.
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– Zoll: Verzollung ist gem. Art. 6 Abs. 1 lit. i, j, Art. 11 CMR mangels abweichender Anweisung Sache des Frachtführers. Ebenso sonstige amtliche Behandlungen der Sendung4.
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3. Materiellrechtliche Besonderheiten in Deutschland a) Anzuwendende Regeln Ein guter Überblick über Transportrechtsvorschriften für alle Beförderungsmittel findet sich auf der Webseite der deutschen Gesellschaft für Transportrecht (http:// www.transportrecht.org).5
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Systematisch gliedert sich die gesetzliche Regelung wie folgt: Die Allgemeinen Regeln des Frachtvertrags finden sich in §§ 407 bis 450 dtHGB, dem die besonderen Unterabschnitte über die Beförderung von Umzugsgut (§§ 451 bis 451h dtHGB) und den multimodalen Transport folgen (§§ 452 bis 452d dtHGB). Das Speditionsrecht findet sich in den §§ 453 bis 466 dtHGB. Die §§ 467 bis 475h dtHGB sind dem Lagergeschäft vorbehalten.
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Das materielle Frachtrecht ist in Deutschland seit 1998 wesentlich an die CMR angelehnt6. § 449 dtHGB bestimmt durch eine komplizierte Regelung, in welchem Umfang
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1 Von Ziegler/Montanaro, N 8 zu Art. 440; a.A. Staehelin, N 11 zu Art. 440. 2 BGH v. 21.11.1996 – I ZR 139/94, VersR 1997, 385 (Abtretung von Schadensersatzansprüchen an den Güterversicherer). 3 Wird der Schadensersatzanspruch eines Geschädigten an eine Versicherung abgetreten, so ist jedoch zu beachten, dass die Versicherung nur dann auf den Schadensverursacher Regress nehmen kann, wenn dieser den Schaden absichtlich oder grobfahrlässig verursacht hat (sog. Gini/Durlemann-Praxis; BGE 80 II 247). Dies ergibt sich laut Bundesgericht aus einem Zusammenspiel von Art. 51 OR und Art. 72 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag. In einem jüngeren Urteil hat das Bundesgericht die Gini/Durlemann-Praxis insofern gelockert, als dass diese gestützt auf Art. 144 IPRG nicht zur Anwendung kommt, wenn sowohl Forderungs- als auch Kausalstatut ausländisches oder dem schweizerischen Recht vorgehendes Staatsvertragsrecht sind (BGE 132 III 626). Gründet der Schadenersatzanspruch also in der CMR und untersteht auch der Versicherungsvertrag ausländischem Recht, so kann ein Versicherer den ihm abgetretenen Anspruch in der Schweiz regressweise geltend machen. Vgl. auch die sehr differenzierten Aussagen zu dieser Thematik im Urteil des Handelsgerichts Zürich HG030194 vom 8.7.2005. 4 BGH v. 15.1.1987 – I ZR 215/87, VersR 1987, 980 f.; OLG Saarbrücken v. 31.1.1992 – 4 U 179/90, TranspR 1992, 371; OLG Düsseldorf v. 18.11.1993 – 18 U 99/93, RIW 1994, 598. 5 Transportrechtsreformgesetz (TRG). 6 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 7: „Vorbildfunktion für das künftige Frachtrecht sollte das im Straßentransportrecht als modernste Regelungswerk angesehene europaweit geltende Übereinkommen von 1956 über die Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) haben.“ Auch ibd. S. 35.
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Bürskens 407
Teil E Rz. 104
Transport
von den Vorschriften des Allgemeinen Teils abgewichen werden darf. Dabei ist den am Frachtvertrag beteiligten Parteien nur in engem Rahmen Gestaltungsfreiheit zuerkannt worden. Die Regelung besagt im Kern, dass nicht durch vorformulierte Vertragsbedingungen von der gesetzlichen Frachtführerhaftung für Güterschäden zuungunsten des Ladungsgeschädigten abgewichen werden darf. Der strengste Schutz kommt dabei dem Verbraucher zu (§ 449 Abs. 3 dtHGB). Im Rahmen von Individualvereinbarungen oder bei einer Mehrzahl gleichartiger Verträge zwischen denselben Vertragsparteien1 besteht umfangreichere Parteiautonomie. Gemäß § 449 Abs. 2 dtHGB darf die Haftung des Frachtführers in ihrem Umfang auch durch AGB verändert werden, wenn der Wert der Entschädigung zwischen 2 und 40 Rechnungseinheiten je kg liegt und deutlich darauf hingewiesen wird oder die veränderte Haftungsgrenze für den Transportkunden günstiger ist als die gesetzliche und es sich nicht um einen Verbrauchervertrag handelt (§ 449 Abs. 2 dtHGB). In kollisionsrechtlicher Hinsicht findet sich in § 449 Abs. 4 dtHGB eine Sonderanknüpfung i.S. des Art. 9 Rom I-VO (in Österreich: Art. 9 Rom I-VO,), wonach das durch § 449 Abs. 1–3 dtHGB bestimmte zwingende Allgemeine Frachtrecht auch dann anzuwenden ist, wenn der Frachtvertrag ausländischem Recht unterliegt. 104
§ 407 dtHGB beschreibt den Inhalt des Frachtvertrages. Der Frachtvertrag ist Werkvertrag und das Werkvertragsrecht des BGB kann ergänzend herangezogen werden2. Dies ist nach dem seit 1998 geltenden Recht allerdings nicht mehr in demselben Ausmaß erforderlich wie zuvor, da eine beträchtliche Anzahl von Fallkonstellationen, für die früher auf die §§ 631 ff. BGB zurückgegriffen wurde, nunmehr besonderen, auf das Frachtrecht abgestimmten Regelungen unterliegen (z.B. §§ 407 Abs. 2, 420 Abs. 1 Satz 1, 420, 412 Abs. 3, 415 dtHGB). Der Frachtvertrag enthält allerdings auch Elemente des Geschäftsbesorgungsvertrags i.S. des § 675 BGB, so beim Einzug von Nachnahmen (§ 422 dtHGB), bei der Ausführung von Weisungen (§ 418 dtHGB) und bei der Übernahme der frachtrechtlichen Obhut über das Gut3. Wie bereits dargestellt, ist der Frachtvertrag vom Speditionsvertrag abzugrenzen, s. Rz. 11 ff. b) Materielles Recht
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Das Allgemeine Frachtrecht des dtHGB gilt für den Land-, Luft- und Binnengewässertransport von Gütern (§ 407 Abs. 3 Nr. 1 dtHGB). Allerdings gehen bei multimodalen Beförderungen regelmäßig internationale Abkommen vor, vgl. Art. 1 § 3 CIM, Art. 18 IV MÜ4. aa) Frachtvertrag
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Der Frachtvertrag wird in der Regel als Stückgutfrachtvertrag (über die Beförderung von einzelnen oder mehreren Ladungsgütern) oder als Raumfrachtvertrag geschlossen, bei dem der Frachtführer seinem Kunden Schiffs-, Eisenbahnwaggon- oder Lkw-Laderaum entweder ganz oder räumlich abgegrenzt zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zum Frachtvertrag, für den das werkvertragliche Erfolgselement typisch ist, stellt die bloße Überlassung eines Fahrzeugs zu Transportzwecken Miete oder Charter dar. Schwierig kann die Abgrenzung zum so genannten Wet Lease werden, bei dem das Fahrzeug mitsamt Fahrzeugführer und sonstigen Funktionen (Treibstoff etc.) zur Verfügung gestellt wird5. Ein 1 Insbes. Rahmenverträge und sog. „Dauerfrachtverträge“; zu Letzteren Dubischar, S. 8. 2 RG v. 2.7.1884 – I 236/84, RGZ 15, 74; BGH v. 27.10.1988 – I ZR 156/86, VersR 1989, 213 f.; Fremuth in Fremuth/Thume, HGB, § 425 HGB Rz. 12. 3 Weitere Geschäftsbesorgungspflichten können ausdrücklich oder auch konkludent vereinbart werden: OLG Frankfurt v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281 (konkludente Vereinbarung über Versicherungsschutz). 4 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 47. 5 Schwenk, BB 1970, 282 f.
408 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 109 Teil E
schlichter Gebrauchsüberlassungsvertrag liegt dann vor, wenn das Fahrzeug letztlich der Verfügungsgewalt des Mieters unterstellt ist1. Dies gilt auch für den Lohnfuhrvertrag, der eine Kombination aus Mietvertrag und Dienstverschaffungsvertrag darstellt2. OLG Nürnberg v. 21.1.1994, TranspR 1994, 286: Die Beklagte hatte Auftrag zur Verladung von Werkzeugmaschine mittels Autokrans übernommen. Entscheidungserheblich war Einstufung als (frachtrechtlicher) Werkvertrag oder als Mietvertrag (verbunden mit Dienstverschaffungsvertrag). Das Gericht nahm – abweichend von herrschender Rechtsprechung – einen Frachtvertrag an, da Beklagte in AGB ihre Leistungen als „Frachtverträge im Sinne des HGB“ angeboten hatte.
Das Frachtrecht macht, anders als vor 1998, hinsichtlich des Vertragsschlusses keinen Unterschied zwischen Straßen-, Schienen-, Luft- oder Binnengewässertransport: Nunmehr gelten einheitliche Regeln für den Abschluss dieser Art Frachtverträge. Auch die vormalige Unterscheidung zwischen Güternah- (AGNB) und -fernverkehr (KVO) gibt es nicht mehr. Der Frachtvertrag ist einheitlich als Konsensualvertrag ausgestaltet3. Die ursprünglich zur Marktüberwachung und Tarifkontrolle4 in §§ 55, 61 EVO und §§ 10, 15 KVO statuierte Voraussetzung, dass zwingend ein Frachtbrief auszustellen sei (Formalvertrag), besteht im allgemeinen Frachtrecht nicht mehr. Hierdurch wird dem Erfordernis der Praxis entsprochen, Frachtverträge schnell und ohne hinderliche Förmlichkeiten, insbesondere auch mündlich oder durch Computernetze, schließen zu können. Für die Beweisführung ist die Ausstellung des Frachtbriefes freilich von ungebrochener Bedeutung, denn gemäß § 409 Abs. 1 dtHGB weist er bis zum Beweis des Gegenteils den Abschluss und Inhalt des Frachtvertrages sowie die Übernahme des Gutes durch den Frachtführer nach.
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Der Frachtvertrag kommt zwischen dem Absender und dem Frachtführer zustande5. Es handelt sich gemäß § 407 dtHGB um einen dreiseitigen Vertrag i.S.d. § 328 BGB zugunsten des Empfängers6, der einen Anspruch auf Ablieferung bei Ankunft des Gutes am Bestimmungsort (§ 421 dtHGB) sowie Verfügungsrechte hat (so etwa gemäß § 418 Abs. 2 Satz 2 dtHGB). Häufig treten für Absender und Empfänger Versendungs- und Empfangsspediteure auf. In solchen Fällen hat dann der Spediteur die jeweilige Rechtsposition inne. Da der Spediteur beim Abschluss der Verkehrsverträge typischerweise im eigenen Namen handelt, ist trotz des Auftretens eines Spediteurs „as agent“ im Regelfall keine direkte Stellvertretung anzunehmen7.
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bb) Frachtbrief Das Allgemeine Frachtrecht hält am Frachtbrief als wichtigstem Transportdokument fest. Die Ausstellung eines Frachtbriefs ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Frachtvertrag. Wegen der Beweiswirkung des Frachtbriefes kann der Frachtführer nach § 408 Abs. 1 dtHGB aber vom Absender die Ausstellung eines Frachtbriefes, der die dort in Nummer 1 bis 12 genannten Angaben enthält, verlangen. Der Frachtbrief ist als Absenderurkunde ausgestaltet. Der Frachtführer kann aber das Gut zurückweisen, wenn der Absender ihm keinen Frachtbrief ausstellt, bzw. Gut und Brief zurückwei1 BGH v. 14.7.1970 – VI ZR 203/68, VersR 1970, 934 f.; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 91/85, VersR 1986, 31 f. (Binnenschiff); OLG Nürnberg v. 21.1.1994 – 12 U 2519/93, TranspR 1994, 286 f.; OGH Wien v. 30.5.1985 – 7 Ob 29/84, TranspR 1986, 225 (Lkw). 2 OLG Innsbruck v. 20.6.1995 – I R 154/95, TranspR 1997, 343 (346). 3 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 35. 4 Basedow, S. 221 ff., insbes. S. 228 f.; Dubischar in MünchKomm/HGB, § 10 KVO Rz. 1. 5 Die seefrachtrechtliche Terminologie weicht hiervon ab, indem der Absender als „Befrachter“ und der Frachtführer als „Verfrachter“ bezeichnet wird. 6 BGH v. 10.4.1974 – I ZR 83/74, NJW 1974, 1615. A.A. Dubischar, S. 15: Der Empfänger sei Rechtsnachfolger des Absenders. 7 OLG Köln v. 15.8.1985 – 7 U 221/84, TranspR 1986, 74; ibd. S. 194.
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Bürskens 409
109
Teil E Rz. 110
Transport
sen, wenn der Frachtbrief fehlerhaft ist. Weigert sich der Absender, macht er sich schadensersatzpflichtig. 110
Inhaltlich folgt § 408 dtHGB zwar dem Muster des früheren § 426 dtHGB sowie der Art. 5 f. CMR, §§ 10 f. KVO, Art. 12 f. CIM und der §§ 55 f. EVO, er ist jedoch ausführlicher und genauer. So sieht etwa Nummer 10 ausdrücklich einen Nachnahmevermerk und Nummer 5 die Meldeadresse des Empfängers vor, wodurch die Kontaktaufnahme zur Anzeige der Entladebereitschaft erleichtert wird. Dies entspricht der Angabe unter „notify“ im Konnossement und Luftfrachtbrief. Nummer 4 spricht von der für die Ablieferung vorgesehenen „Stelle“, womit jede geographische Bezeichnung, die wesentlich genauer als die politische Gemeinde sein kann, gemeint ist1. Die nach Nummer 12 vorgesehene Angabe über die Beförderung in offenen, nicht mit Planen verdeckten Fahrzeugen oder auf Deck enthält eine Neuerung, die mit der Haftungsregelung in § 427 dtHGB korrespondiert, welche ihr Vorbild in den so genannten „bevorrechtigten Haftungsbefreiungsgründen“ des Art. 17 Abs. 4 CMR (vgl. Rz. 68 ff.) findet. Wegen der erhöhten Schadensanfälligkeit der offen beförderten Güter (Wetter, Nässe, Über-Bord-Spülen, Diebstahl) lenkt Nummer 12 die Aufmerksamkeit der Vertragsbeteiligten auf diesen Punkt. Weitere Angaben können gemäß § 408 Abs. 1 Satz 2 dtHGB in den Frachtbrief eingetragen werden. Dies kann z.B. wegen § 412 Abs. 1 Satz 1 dtHGB für die Vereinbarung gelten, dass der Frachtführer die Entladung vorzunehmen hat. Das Ausfüllen beschränkt sich praktisch häufig darauf, dass der Frachtführer den Frachtbrief entsprechend den Angaben des Absenders ausfüllt. Eine dem Art. 7 Abs. 2 CMR entsprechende Vermutung, aus der sich ergäbe, dass der Frachtführer bei der Ausstellung des Frachtbriefes als Beauftragter handelt, enthält das Allgemeine Frachtrecht nicht. Allerdings besorgt der Frachtführer mit der Ausstellung ein Geschäft des Absenders, so dass sich der Frachtführer bei selbstverschuldeten Falscheintragungen nicht auf die Angaben im Frachtbrief berufen darf und bei Schädigung Dritter zumindest dem Absender regresspflichtig ist. Der Absender haftet allerdings gemäß § 414 Abs. 1 Nr. 2 dtHGB verschuldensunabhängig (Verbraucher gem. Abs. 3 nur bei Verschulden), jedoch der Höhe nach unbeschränkt (Die ursprünglich gesetzlich vorgesehene Haftungsbeschränkung auf 8,33 Einheiten pro kg wurde durch das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts abgeschafft) für die Folgen unrichtiger oder unvollständiger Angaben, so z.B. für dadurch verursachte Schäden an Transportfahrzeugen2. Schäden anderer, insbesondere der Unterfrachtführer, kann der Frachtführer nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend machen. Dies gilt grundsätzlich auch für andere Ladungsbeteiligte; im Einzelfall ist dann jedoch zu prüfen, ob der eingetretene Schaden für den Absender vorhersehbar war. Gemäß § 414 Abs. 2 dtHGB ist insoweit auch Mitverschulden des Frachtführers beachtlich.
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§ 408 Abs. 2 dtHGB bestimmt, dass der Frachtbrief in drei Ausfertigungen3 ausgestellt und im Regelfall vom Absender unterschrieben wird. Der Absender kann auch vom Frachtführer die Unterzeichnung des Frachtbriefes verlangen, wobei beide Unterschriften auch gedruckt oder gestempelt werden können. Diese Regelung erklärt sich damit, dass die CMR in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 für Aufdrucke auf unvereinheitlichtes nationales Recht verweist, und deshalb Regelungsbedarf gesehen wurde4.
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Nach § 409 Abs. 1 dtHGB ist der Frachtbrief Beweisurkunde für das Zustandekommen und den Inhalt des Frachtvertrages sowie gem. Abs. 2 für den Zustand des Gutes. Die Beweiswirkung ist jedoch an die Unterzeichnung durch beide Vertragspartner ge1 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 49. 2 S. schon RG v. 22.9.1919 – I 84/19, RGZ 96, 277 (279); BGH v. 28.9.1978 – I ZR 10/77, BGHZ 72, 174 (181). 3 Die durch § 408 Abs. 2 Satz 4 dtHGB vorgenommene Zuweisung der Ausfertigungen ist von Bedeutung etwa für § 418 Abs. 4 dtHGB, der auf die „Absenderausfertigung“ Bezug nimmt. 4 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 51.
410 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 114 Teil E
knüpft. Diese Regelung entspricht Art. 9 CMR. Die Unterzeichnung nur durch den Frachtführer begründet diese Beweiswirkung ebenso wenig1 wie eine nicht ordnungsgemäße Unterzeichnung2. § 409 dtHGB bewirkt die volle Umkehr der Beweislast3. Gegenstand des Beweises ist lediglich der formale Konsens, nicht aber die Freiheit von Willensmängeln; ferner die Personen des Absenders und des Frachtführers sowie der fixierte Vertragsinhalt4. Um die Vermutung für die Richtigkeit der Angaben des Frachtbriefes auszuschalten, kann der Frachtführer nach § 409 Abs. 2 dtHGB begründete Vorbehalte in den Frachtbrief eintragen, wobei die Angabe, dass der Frachtführer keine Möglichkeit zur Prüfung der Ladung hatte, ausreicht. Der Nichteintrag einer behaupteten Tatsache hat demnach denselben Beweiswert wie der positive Eintrag. Wird kein Frachtbrief ausgestellt, so greift die gesetzliche Vermutung nicht ein5. Da die Ausstellung von drei Ausfertigungen des Frachtbriefes dem gesetzlichen Regelfall entspricht und, nach dem Regelungszusammenhang, die gesetzliche Beweiswirkung daran geknüpft wird, entfällt die Notwendigkeit, Quittungen und Ladelisten besondere Beweiswirkungen zuzumessen. Der Anwendung der allgemeinen Grundsätze über den Anscheinsbeweis in Bezug auf Quittungen, Ladelisten und dergleichen dürfte allerdings nichts entgegenstehen. In Übertragung der zu Art. 9 CMR entwickelten Grundsätze kann eine Vermutung dafür bestehen, dass der Frachtführer, der keinen Frachtbrief ausgestellt hat, auch keine Vorbehalte hatte6. Die Anforderungen an die Widerlegung allgemeiner Vermutungen und den Anschein sind allerdings nicht hoch anzusetzen. Wurden etwa Lkw und Anhänger gleichzeitig beladen und war nur ein Fahrer anwesend, so kann dies bedeuten, dass dem Frachtführer die Quittung nicht entgegen gehalten werden darf7. Allgemeine Prüfungspflichten, wie sie sich für den Frachtführer in Art. 8 CMR finden, sind in das Allgemeine Frachtrecht des dtHGB nicht eingeflossen. Lediglich in § 409 Abs. 3 dtHGB findet sich die Verpflichtung des Frachtführers, auf Verlangen des Absenders Gewicht, Menge und Inhalt der Ladung zu prüfen, sofern „angemessene Mittel“ zur Überprüfung zur Verfügung stehen.
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Eine der drei Ausfertigungen des Frachtbriefes behält der Absender zu Beweiszwecken. Diese Ausfertigung wird kurioserweise in Art. 5 CMR als „erste Ausfertigung“ und in § 56 EVO als Frachtbriefdoppel bezeichnet. In den genannten Fällen ist es zur Ausübung des Weisungsrechts des Absenders während des Transportes erforderlich, dem Frachtführer diese Ausfertigung vorzulegen (Art. 12 CMR; Art. 12 WA; Art. 7 ABB Luftfracht; § 72 EVO; Art. 30 ER/CIM). Gemäß Art. 12 MÜ hat der Absender entweder die Ausfertigung des Luftfrachtbriefes oder die Empfangsbestätigung des Frachtführers
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1 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 52. Ebenso bei Art. 9 CMR: OLG Hamm v. 18.10.1984 – 18 U 175/82, TranspR 1985, 107. 2 BGH v. 16.10.1986 – I ZR 149/84, VersR 1987, 304 f.; BGH v. 8.6.1988 – I ZR 149/86, VersR 1988, 952; jeweils zu Art. 9 CMR. 3 BGH v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 f. = VersR 1979, 445 f.; BGH v. 27.1.1982 – I ZR 33/80, NJW 1982, 1944 f.; OGH Wien v. 3.7.1985 – 3 Ob 547/85, TranspR 1987, 374 (377); jeweils zu Art. 9 CMR. Zurückhaltender im Rahmen der Beweiswirkung von Art. 9 CMR: Texas Instruments v. Nason (Q.B. 1990) E.T.L. 1991, 671 (677). 4 So die Rechtslage nach der CMR: OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 4596/73, VersR 1975, 129 f.; OLG Hamburg v. 6.11.1980 – 6 U 68/80, VersR 1982, 556; OLG München v. 27.3.1981 – 23 U 2358/80, VersR 1982, 264 f.; Koller, Transportrecht, Art. 9 CMR Rz. 2; Thume in Fremuth/Thume, Art. 9 CMR Rz. 4. 5 Insoweit zu Art. 9 CMR: BGH v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 f.; BGH v. (16.10.1986) VersR 1987, 304 f.; BGH v. 8.6.1988 – I ZR 149/86 VersR 1988, 952. 6 BGH v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 f. 7 OLG Köln v. 19.6.1969 – 1 22/68, VersR 1969, 1111; Dubischar, S. 19 m.w.N. A.A. Helm in Großkommentar HGB, § 16 KVO, Anm. 17: der Fahrer solle dann die Quittung verweigern. Dagegen argumentiert Willenberg, § 16 KVO, Anm. 56, dass ein Absender, der den Fahrer mithelfen und bewusst etwas Quittieren lasse, was er nicht übersehen könne, daraus nicht auch noch Beweisvorteile ziehen dürfe.
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vorzuweisen, die ihm nach Art. 4 MÜ statt des Frachtbriefdoppel ausgehändigt wurde. Daraus folgt, dass der Absender, der sich dieser Ausfertigung bzw. der Empfangsbestätigung begibt, sich zugleich seines Weisungsrechts entledigt, weshalb – der negativen Seite der Legitimationsfunktion entsprechend – in diesen Fällen eine Sperrwirkung eintritt. Dies ist im Rahmen von Verkaufsgeschäften wichtig, da grundsätzlich die Andienungsfähigkeit im Dokumentenakkreditiv1) mit dieser Sperrwirkung verknüpft ist (Art. 20 ff. ERA)2. Das Allgemeine Frachtrecht sieht jedoch, ebenso wie der § 433 dtHGB a.F. (vor 1998), im Regelfall keine Ausgestaltung des Frachtbriefes als Sperrpapier vor. Durch einen entsprechenden Vermerk kann der Frachtbrief des Allgemeinen Frachtrechts jedoch die Wirkung eines Sperrpapiers erhalten.3 115
Mit den §§ 443–448 dtHGB eröffnet das Allgemeine Frachtrecht dem Frachtführer die Möglichkeit, den so genannten „Ladeschein“ – ein Wertpapier, das die Verpflichtung des Frachtführers zur Ablieferung verbrieft – auszustellen. Wegen der im Allgemeinen kurzen Transportzeiten im Landbinnentransport besteht, anders als im Seefrachtrecht (§ 513 Abs. 1 dtHGB), grundsätzlich kein Anspruch auf Ausstellung eines solchen Binnenkonnossementes4. Der Grund für die Beibehaltung des als obsolet bezeichneten5 Ladescheins im reformierten HGB-Frachtrecht besteht neben der Anwendbarkeit auf Transporte mit Binnenschiffen darin, dass Ladescheine auch im Bereich des multimodalen Transportes häufig zu finden sind6. cc) Rechte und Pflichten der Beteiligten (1) Grundpflichten
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Die Rechte und Pflichten der Beteiligten sind im dtHGB ausführlicher als in der CMR geregelt. Die Hauptpflichten zur Beförderung und Ablieferung des Gutes bzw. zur Zahlung der vereinbarten Fracht ergeben sich aus § 407 Abs. 1 und 2 dtHGB. Nach § 420 Abs. 1 dtHGB wird die Fracht mit der Ablieferung des Gutes fällig. Der Empfänger7 kann, soweit keine vollständige Vorauszahlung erfolgt ist, gemäß § 421 dtHGB die Ablieferung nur gegen Zahlung der noch ausstehenden Fracht und eventueller Standgelder durchsetzen. Das Allgemeine Frachtrecht fasst den Bestimmungsort sehr genau, so dass der Ablieferungsanspruch nicht schon mit dem Eintreffen am politischen Ort, sondern erst mit dem Eintreffen an der Ablieferstelle (§ 421 Abs. 1 Satz 1 dtHGB) entsteht. So reicht es für die Ablieferung beispielsweise nicht aus, dass das Gut in einem Freihafengelände ankommt und der Empfänger davon unterrichtet wird8. Ist kein Frachtbrief ausgestellt worden oder ergibt sich die Höhe der Fracht nicht aus dem Frachtbrief, so ist der Empfänger nach § 421 Abs. 2 Satz 2 dtHGB zur Zahlung eines „angemessenen“ Betrages verpflichtet. Der Absender haftet dem Frachtführer allerdings auf die Differenz zu einem ggfls. höheren Betrag (§ 421 Abs. 4 dtHGB). Eine Art. 13 Abs. 2 Satz 2 CMR entsprechende Regelung, nach welcher der Empfänger bei Streit über die Höhe des Beförderungsentgeltes Sicherheit leisten muss, ist absichtlich nicht in § 421 dtHGB aufgenommen worden, um der Annahme vorzubeugen, der 1 Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive 1993, Abdruck bei Baumbach/Hopt, HGB, (11). 2 BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, WM 1976, 566 (zum Luftfrachtbriefdritt, nunmehr Art. 23 ERA). 3 Dazu bereits Grönfors in FS für Alex Meyer II, S. 103 ff., 109–113. 4 Zum Hintergrund Koller, IPRax 1993, 257. 5 So von Dubischar, S. 21. 6 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 117. Zum FIATA Bill of Lading (nach österreichischem Recht – Ziff. 20 der FBL-Bedingungen verweist auf das Recht des Staates der Hauptniederlassung des Spediteurs): OGH Wien v. 29.4.1992 – 3 Ob 519/92, IPRax 1993, 252 und dazu Koller, IPRax 1993, 257. 7 Zur Stellung des Empfängers Thume, Die Stellung des Empfängers im neuen Frachtrecht in Thume (Hrsg.), FS Rolf Herber, 1999, S. 153 ff. 8 OLG Hamburg v. 14.5.1996 – 6 U 247/95, TranspR 1997, 101.
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Transportverträge
Rz. 117 Teil E
Frachtführer solle von seinen Zurückbehaltungs- und Pfandrechten nur eingeschränkt Gebrauch machen1. Daraus ergibt sich, dass der Empfänger zwar Sicherheitsleistung anbieten kann, sich der Frachtführer aber nicht treuwidrig verhält, wenn er dennoch sein Zurückbehaltungs- oder Pfandrecht geltend macht. Das Frachtführerpfandrecht gemäß §§ 440–442 dtHGB entspricht im Wesentlichen den §§ 440 ff. dtHGB a.F. (bis 1998) bzw. den entsprechenden Normen im österreichischen UGB. Dies gilt insbesondere für die von den allgemeinen Pfandrechtsvorschriften abweichenden Regelungen, dass das Pfandrecht bis zum dritten Tag nach Ablieferung fortbesteht und dass bei mehreren Frachtführen das des späteren dem des früheren vorgeht. Das Pfandrecht erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Begleitpapiere, da diese für die Verwertung des Gutes von Bedeutung sind2. Darüber hinaus findet sich in § 440 Abs. 1 dtHGB eine Ausdehnung des Pfandrechts auf inkonnexe Forderungen des Frachtführers aus Transport- und Lagergeschäften im weiteren Sinne3. (2) Gefahrguttransport Handelt es sich um einen Gefahrguttransport4, so hat der Absender den Frachtführer gemäß § 410 Abs. 1 dtHGB schriftlich, rechtzeitig und genau über die Gefahren und die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen aufzuklären5. Mit dem Begriff „gefährliches Gut“ knüpft § 410 dtHGB ebenso wenig wie Art. 22 CMR an die öffentlich-rechtliche Klassifizierung des Gefahrgutrechts an. Die Bestimmung eines Gefahrguts i.S. des § 410 dtHGB erfolgt also allein anhand frachtrechtlicher, d.h. transportspezifischer, Gesichtspunkte6. Die Handlungsmöglichkeiten des Frachtführers sind gegenüber Art. 22 CMR erweitert. Gemäß § 410 Abs. 2 dtHGB kann der Frachtführer dann, wenn er bei der Übernahme des Gutes nichts vom Gefahrgutcharakter gewusst hat7 oder ihm dies nicht mitgeteilt worden ist, das Gut ausladen, einlagern, zurückbefördern oder – falls erforderlich – vernichten oder unschädlich machen, ohne dem Absender zum Schadensersatz verpflichtet zu sein. Zwischen mehreren Maßnahmen hat der Frachtführer das Wahlrecht. Da dieses allerdings Treu und Glauben unterliegt, muss er notfalls Rücksprache mit dem Absender halten. Dies kommt auch in der Formulierung „soweit erforderlich“ zum Ausdruck. § 410 Abs. 2 Nr. 1 dtHGB knüpft den Entfall der Schadensersatzpflicht des Frachtführers für ergriffene Maßnahmen daran, dass er eine der dort genannten Maßnahmen ergreift, weil es sich um Gefahrgut handelte („deshalb“). Erforderlich ist demnach ein Zurechnungszusammenhang zwischen Maßnahme und Gefahrgut. Nicht geregelt ist indes der Fall, dass der Frachtführer aufgrund eines unvermeidbaren Irrtums – etwa weil eine verlässliche Stoffanalyse zu lange gedauert hätte – daran glaubte, es handele sich um Gefahrgut. Auch die Materialien schweigen hierzu. Man wird hier § 410 Abs. 2 dtHGB deshalb entsprechend anwenden müssen, weil es dem Absender zuzumuten ist, den Frachtführer bei pseudo-gefährlichen Gütern über diese Eigenschaft aufzuklären. Und wenn sich der Absender selbst nicht sicher ist, dann ist das Gut im Zweifel als gefährliches zu behandeln. Gemäß § 414 Abs. 1 Nr. 3 dtHGB haftet der Absender ohne Verschulden für die Folgen einer unterlassenen Mitteilung an den Frachtführer8. § 410 Abs. 2 Nr. 2 dtHGB gibt dem 1 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 78. 2 Eine entsprechende Regelung findet sich etwa auch in Ziff. 14 des FIATA Multimodal Transport Bill of Lading 1992, abgedr. bei Bydlinsky in MünchKomm/HGB, MMT, S. 390–393. 3 Dazu: Czerwenka, S. 357 f. 4 Der Anteil an Gefahrguttransporten ist beträchtlich. Für das Jahr 1981 wurde er mit 18 % des deutschen Gesamttransportvolumens beziffert; Dubischar, S. 29. 5 BayObLG v. 10.10.1996 – 3 ObOWi 103/96, TranspR 1997, 66 (zur Hinweispflicht des Verladers gegenüber dem Fahrer). 6 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 54. 7 Dazu: BGH v. 26.10.1977 – I ZR 90/75, BB 1978, 1235. 8 Für die Anwendung von Regeln wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten oder Deliktsrecht, wie sie bis zur Reform von 1998 gelegentlich angenommen, wurde bleibt insoweit wenig Raum.
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Transport
Frachtführer zudem einen Aufwendungsersatzanspruch wegen der nach § 410 Abs. 2 Nr. 1 erforderlichen Maßnahmen1. (3) Kennzeichnung und Begleitpapiere 118
§ 411 dtHGB trifft eine ausdrückliche Regelung der Kennzeichnungs- und Verpackungspflicht, die im Rahmen der CMR in Art. 17 Abs. 4 nur mittelbar durch die Schadensrisikoverlagerung zuungunsten des Absenders geregelt ist. Zweck des § 411 dtHGB ist es, eine an § 18 KVO angelehnte Auffangregelung für das praktisch häufige Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung zu treffen2. Die statuierte Pflicht, dass der Absender das Gut, soweit dessen Natur unter Berücksichtigung der vereinbarten Beförderung eine Verpackung erfordert, so zu verpacken habe, dass es vor Verlust und Beschädigung geschützt ist und auch dem Frachtführer keine Schäden entstehen, ist von generalklauselartiger Weite. Dass hier generell keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen, ergibt sich schon daraus, dass der Absender gemäß § 414 Abs. 1 Nr. 1 dtHGB für die ihm nach § 411 dtHGB auferlegten Pflichten verschuldensunabhängig und der Summe nach unbeschränkt haftet.
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Den Absender trifft nach § 413 Abs. 1 dtHGB die Pflicht, dem Frachtführer die Begleitpapiere, insbesondere für amtliche Behandlungen, beizugeben. Diese Vorschrift wurde aus § 427 dtHGB a.F. (bis 1998), Art. 11 Abs. 1 CMR und § 12 Abs. 1 KVO entwickelt. Gibt der Absender die nötigen Papiere nicht bei oder sind sie unvollständig oder fehlerhaft, so haftet der Absender nach § 414 Abs. 1 Nr. 4 dtHGB. Schadensersatzansprüche können etwa aufgrund der Sicherstellung des Transportfahrzeuges mitsamt Ladung bestehen3; ersatzfähig ist dann auch der weiter gehende entgangene Gewinn des Frachtführers. Neben dem Absender können auch weitere Personen, die die Übergabe der Begleitpapiere aufgrund anderer Funktionen vornehmen, dem Frachtführer nach Deliktsrecht haften4. Einklagen kann der Frachtführer die Übergabe der Papiere allerdings nicht. § 413 Abs. 2 dtHGB begründet eine Schadensersatzpflicht des Frachtführers für den Fall, dass er für den Verlust, die Beschädigung oder die unrichtige Verwendung der Begleitpapiere verantwortlich ist, es sei denn, dies beruht auf Umständen, die der Frachtführer nicht vermeiden konnte. § 413 dtHGB legt einen strengeren Haftungsmaßstab zugrunde als die allgemeinen Schadensersatznormen der §§ 425, 426 dtHGB, weil Frachtführer in der Praxis ausreichend Erfahrung im Umgang mit amtlichen Papieren besitzen5. (4) Verladen, Entladen und Standgeld
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Nach § 412 dtHGB hat der Absender, als derjenige, der näher am Gut ist und es im Regelfall gemäß § 411 dtHGB verpackt hat, das Gut zu laden, zu verstauen und zu befestigen. Dabei wird das Laden, Stauen und Befestigen als „Verladen“ legal definiert. Der Frachtführer hingegen, als derjenige, der näher am Transport ist, hat für die Betriebssicherheit der Verstauung zu sorgen. Die in § 412 Abs. 1 dtHGB ebenfalls bestimmte Verpflichtung des Absenders zum Entladen6 stellt klar, dass das Entladen nicht Sache des Frachtführers ist. Als Kehrseite zum Verladen müsste das Entladen nach dem dreiseitigen Frachtvertragstypus eigentlich dem Empfänger obliegen. Da dieser jedoch nicht am Vertragsschluss mitgewirkt hat, kann er nicht als Dritter mit Pflichten belas1 Im Übrigen s. auch Schindler, Zivilrechtliche Verantwortlichkeit beim Gefahrguttransport auf der Straße in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 119 ff. 2 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 55. 3 BGH v. 23.1.1954 – I ZR 78/53, NJW 1955, 257. 4 BGH v. 15.6.1955 – VI ZR 325/54, VersR 1955, 523; BGH v. 14.2.1958 – VI ZR 46/57, VersR 1958, 267. 5 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 59 f. 6 Für den Binnenschiffverkehr wird das Entladen als „Löschen“ verstanden; BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 57.
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tet werden1. Empfängerpflichten – im Wesentlichen die Zahlung der noch ausstehenden Fracht – entstehen zudem nach § 421 dtHGB erst dann, wenn der Empfänger Ablieferung verlangt. Daher weist § 412 Abs. 1 dtHGB dem Absender die Entladepflicht zu. Der Absender hat also zumindest vertraglich dafür Sorge zu tragen, dass die ihm obliegende Entladung erfolgt, sei es durch Abrede mit dem Empfänger, dem Frachtführer oder einem Dritten. § 412 Abs. 1 dtHGB kann – auch – konkludent abbedungen werden. In einigen Transportarten ist eine Ver- und Entladung durch den Absender bzw. Empfänger derart unüblich, dass davon ausgegangen werden kann, dass ein konkludentes Abbedingen die Regel ist – beispielsweise im Luftfrachtgeschäft. § 412 Abs. 2 dtHGB bestimmt, dass für das Verladen und Entladen ein angemessener Zeitraum ohne besondere Vergütung zur Verfügung stehen muss. Eine längere ladebedingte Standzeit, die nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen ist, gibt dem Frachtführer einen Anspruch aus Absatz 3 der Vorschrift auf Zahlung einer angemessenen Vergütung (Standgeld).
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(5) Weisungsrechte § 418 dtHGB regelt die Weisungsrechte in Anlehnung an Art. 12 CMR. Es handelt sich um Weisungen i.S.d. §§ 662, 665 BGB. Der Absender hat grundsätzlich bis zur Ablieferung des Gutes das Recht, den Frachtführer anzuweisen, das Gut an einen anderen Empfänger, einen anderen Bestimmungsort oder es gar nicht weiter zu befördern. Die Aufzählung in § 418 Abs. 1 dtHGB ist nicht abschließend2. Der Frachtführer muss diesen Weisungen allerdings nur insoweit nachkommen, als dies weder Schäden für seinen Betrieb noch für die Absender oder Empfänger anderer Güter mit sich bringt (§ 418 Abs. 1 Satz 3 dtHGB). Umstände, die den Frachtführer daran hindern, Weisungen nachzukommen, muss der Frachtführer notfalls beweisen. Kann der Frachtführer Weisungen allerdings nicht ausführen, so muss er dies dem Absender anzeigen (§ 418 Abs. 5 dtHGB). Der Frachtführer kann Aufwendungsersatz auch als Vorschuss für die Ausführung der Weisungen aus § 418 Abs. 1 Satz 4 dtHGB verlangen. Weist der Absender den Frachtführer an, das Gut an einen anderen Empfänger abzuliefern, so kann dieser Empfänger nicht die Ablieferung an einen wiederum anderen Empfänger anordnen (§ 418 Abs. 3 dtHGB). Mit der Ablieferung an den Empfänger geht das Weisungsrecht allerdings auf diesen über (§ 418 Abs. 2 dtHGB); übt er es aus, so schuldet auch er dem Frachtführer Aufwendungsersatz. Verweigert der Empfänger die Annahme des Gutes, so kann er die Ablieferung nur noch so lange verlangen, wie der Absender keine erneute Weisung getroffen hat (Grundsatz vom Vorrang der Absenderweisung gemäß § 419 dtHGB)3.
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BGH v. 5.2.1987, VersR 1987, 678: Transport von 42 t Tomatenmark von Türkei nach Deutschland. Vorgesehene Empfängerin, die Stadtsparkasse, lehnte die Annahme ab. Frachtführer lud daraufhin ab und nahm die Güter auf Lager. Anschließend erteilte Absenderin Weisung zur Auslieferung an neuen Empfänger. Frachtführer befolgte Weisung nicht und ließ Güter versteigern. BGH entschied, dass Beförderungsvertrag mit Ausladen geendet hatte, Absenderin war daher zu beförderungsvertraglichen Verfügungen einschließlich Bestimmung eines neuen Empfängers nicht mehr berechtigt. Der Frachtbrief ist nach § 418 Abs. 4 dtHGB grundsätzlich kein Sperrpapier, so dass Weisungen auch dann zu beachten sind, wenn der Frachtbrief nicht vorgelegt wird. Durch Eintragung auf dem Frachtbrief kann er allerdings zum Sperrpapier gemacht 1 OLG Rostock v. 27.11.1996 – TranspR 1997, 113, 115 f. – zum Seefrachtrecht: Drittablader haftet ohne besondere Verpflichtungserklärung nicht für die Fracht. 2 Weitere denkbare Anweisungen sind etwa die Zwischenlagerung oder der Rücktransport; vgl. auch OLG Köln v. 26.8.1994 – 19 U 190/93, TranspR 1995, 68 = NJW-RR 1995, 671. 3 BGH v. 5.2.1987 – I ZR 7/85, TranspR 1987, 180 = VersR 1987, 678 (zur CMR).
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werden. Dann macht sich der Frachtführer schadensersatzpflichtig, wenn er Weisungen ohne Vorlage des Frachtbriefes ausführt (§ 418 Abs. 6 dtHGB). Die bislang unbeschränkte Haftung ist gem. § 418 Abs. 6 S. 2 dtHGB auf den Betrag begrenzt, der bei Verlust des Gutes zu zählen wäre. 124
Der Empfänger kann nach § 421 Abs. 1 dtHGB die Übergabe des Gutes gegen Zahlung der Fracht verlangen, die nach § 420 Abs. 1 dtHGB mit der Ablieferung fällig wird. Während § 421 Abs. 1 dtHGB dem Art. 13 CMR entspricht, findet § 420 dtHGB nicht in der CMR, sondern in den §§ 20 ff. KVO, § 69 EVO, Art. 15 CIM sowie §§ 63–65 BinSchG seine Vorbilder.
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Der Empfänger haftet nach § 421 Abs. 3 dtHGB auch auf noch ausstehendes Standgeld. Abs. 4 der Vorschrift bestimmt ausdrücklich, dass der Absender neben dem Empfänger für Fracht und Standgeld haftbar bleibt. Der Empfänger kann weiterhin im eigenen Namen Schadensersatzansprüche wegen Verlust und Verspätung gegen den Frachtführer geltend machen. Insoweit kann es zu einer doppelten Aktivlegitimation von Empfänger und Absender, der als Transportvertragspartner unabhängig von seiner Verfügungsbefugnis nach § 421 dtHGB wie auch nach Art. 12 CMR stets anspruchsberechtigt ist, kommen1. Gegebenenfalls können die Grundsätze der Drittschadensliquidation2 und der gewillkürten Prozessstandschaft zur Anwendung kommen. Während bei der CMR umstritten ist, ob der Empfänger auch den Unterfrachtführer in Anspruch nehmen kann, ergibt sich dies im deutschen Allgemeinen Frachtrecht aus § 437 Abs. 3 dtHGB, der bestimmt, dass der ausführende Frachtführer neben dem vertraglichen Frachtführer als Gesamtschuldner haftet, und zwar in Verbindung mit § 421 Abs. 1 Satz 2 dtHGB, wonach der Empfänger die Schadensersatzansprüche des Versenders geltend machen kann. Dem ausführenden Frachtführer stehen allerdings alle sich aus dem Frachtvertrag ergebenden Einwendungen und Einreden zu. (6) Kündigungsrecht und Anspruch auf teilweise Beförderung
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§ 415 dtHGB führt ein allgemeines Kündigungsrecht des Absenders in das Frachtrecht ein. Die Kündigung kann durch den Absender jederzeit erfolgen. Dem Frachtführer steht dann gemäß § 415 Abs. 2 dtHGB das Wahlrecht zu, entweder die vereinbarte Fracht, Standgeld und gegebenenfalls weitere Aufwendungen ersetzt zu verlangen (Nr. 1) oder eine Fautfracht in Höhe von einem Drittel der vereinbarten Fracht zu fordern (Nr. 2). Im Falle der Nummer 1 muss sich der Frachtführer Vorteile anrechnen lassen. Daher stellt die Pauschallösung des Fautfrachtanspruches eine schnelle und bequeme Variante der Abwicklung dar3. § 415 Abs. 3 dtHGB stellt dem Frachtführer kraft Verweisung auf § 419 dtHGB Mittel für die Konstellation zur Verfügung, dass der Absender im Falle einer Kündigung nach bereits erfolgtem Verladen nicht unverzüglich wieder ablädt. Wird das Gut nur unvollständig verladen, so hat der Absender einen Anspruch auf Teilbeförderung aus § 416 dtHGB. Der Frachtführer kann jedoch Zahlung der vollen Fracht und weiterer entstehender Aufwendungen, gegebenenfalls in Form von Sicherheitsleitung, verlangen. 1 Zur CMR: BGH v. 10.4.1974 – I ZR 84/73, VersR 1974, 796 f. = NJW 1974, 1614; BGH v. 1.10.1975 – I ZR 12/75, VersR 1976, 168 f.; BGH v. 6.5.1981 – I ZR 70/79, VersR 1981, 929 f.; BGH v. 24.10. 1991 – I ZR 208/89, TranspR 1992, 177 = VersR 1992, 640. A.A. Helm, TranspR 1983, 29. Eine doppelte Inanspruchnahme kommt nicht in Betracht: BGH v. 6.7.1979 – I ZR 127/78, BGHZ 75, 92 = TranspR 1980, 49 = VersR 1979, 1105. 2 BGH v. 20.4.1989 – I ZR 154/87, TranspR 1989, 413 = VersR 1989, 1168; Sieg, TranspR 1996, 317 ff. 3 Die Fautfracht gemäß § 415 Abs. 2 Ziff. 2 dtHGB entspricht den früheren §§ 34, 36 BinSchG. Im Seefrachtrecht beträgt sie gemäß § 580 Abs. 1 dtHGB die Hälfte der vereinbarten Fracht.
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Transportverträge
Rz. 129 Teil E
(7) Nachnahme und Frachtüberweisung Die Nachnahme ist von der transportrechtlichen Überweisung1 der Last zur Frachtzahlung zu unterscheiden. Eine solche Überweisung der Kosten liegt vor, wenn der Empfänger die Fracht nicht im Voraus gezahlt hat. Die Vorauszahlung wird normalerweise auf dem Frachtbrief vermerkt2. Der Vermerk „freight prepaid“ bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass die Fracht tatsächlich im Voraus gezahlt wurde oder dass die Fracht im Voraus geschuldet ist3. Diese Deutung lässt sich mit guten Gründen für standardisierte Frachtbriefe wie etwa den Luftfrachtbrief halten, denn dort ist jeweils eine Spalte für prepaid und collect vorgesehen, in die Fracht und Nebenkosten (Steuern, Versicherung etc.)4 eingetragen werden können5. Hieraus folgt, dass eine Aufteilung der Kostenpflicht vorgenommen werden kann6, die keinen zwingenden Rückschluss auf die tatsächliche Zahlung zulässt. Auch der Eintrag freight prepaid auf der Rückseite eines seerechtlichen Konnossementes ist so verstanden worden, dass der Verfrachter die Zahlung der Fracht nicht vom Empfänger verlangen konnte7. Bleibt das Vorauszahlungsfeld im Frachtbrief unausgefüllt, so lässt sich hieraus nicht zwingend folgern, dass Fracht und Nebenkosten als auf den Empfänger überwiesen gelten. Der Frachtführer kann jedoch gemäß § 421 Abs. 2 dtHGB Leistung der Fracht Zug um Zug gegen Aushändigung des Frachtgutes verlangen8.
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Während der Frachtführer im Falle der Überweisung eine eigene Forderung einzieht, handelt es sich bei der echten Nachnahme (Warennachnahme) um eine Anweisung i.S. des § 783 BGB; der Frachtführer wird ermächtigt, den Kaufpreis im eigenen Namen vom Empfänger einzuziehen, und der Empfänger kann mit befreiender Wirkung an den Frachtführer leisten. Ist eine Nachnahmevereinbarung getroffen, ergibt sich aus § 422 Abs. 1 dtHGB die Auslegungsregel, dass die Einziehung in bar oder mittels eines gleichwertigen Zahlungsmittels9 zu erfolgen hat. Andere Zahlungsweisen bedürfen also der Vereinbarung10. Ist die Erhebung der Nachnahme, sei es auch aus rechtlichen Gründen11, nicht möglich, so darf das Gut nicht ausgeliefert werden. Die Verpflichtung zur Ablieferung der Nachnahme an den Absender ergibt sich aus §§ 675, 667 BGB. Für Fehler bei der Nachnahmeerhebung hat der Frachtführer gemäß § 422 Abs. 3 dtHGB – in Anlehnung an Art. 21 CMR, § 31 Abs. 1 KVO und Art. 17 § 3 ER/CIM – verschuldensunabhängig einzustehen. Im Hinblick darauf, dass nicht stets ein Frachtbrief, der gemäß § 408 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 dtHGB einen Nachnahmevermerk enthalten soll, vorliegt, ist diese Haftung allerdings nach § 422 Abs. 3 Satz 2 dtHGB auf den Betrag der Nachnahme beschränkt.
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(8) Schadenshaftung des Frachtführers Das haftungsrechtliche Kernstück des Allgemeinen Frachtrechts findet sich in den §§ 423–436 dtHGB; es lehnt sich eng an die Art. 17 ff. CMR an. Es besteht dem Grundsatz nach eine am Prozessrisiko orientierte „Haftungsverlagerung durch beweisrecht1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 11
So die Terminologie in § 21 Abs. 1 KVO und § 69 EVO. „Frei“, „prepaid“ oder ähnliche Vermerke. OLG Düsseldorf v. 31.7.1986 – 18 U 163/85, TranspR 1986, 341 (zur Luftfracht). Zu den Nebenkosten: Magdelénat, S. 55. Abdr. von Luftfrachtbriefmustern bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 281 (Rz. 304); Ehlers, Montrealer Protokolle, S. 142; Magdelénat, S. 169; Giemulla/Schmid, Anh. IV-5. So etwa ein konkludent geschlossener Geschäftsbesorgungsvertrag über die Eindeckung einer Transportversicherung: OLG Frankfurt v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281. OLG Hamburg v. 15.12.1983 – 6 U 200/83, TranspR 1984, 288 m. Anm. Rabe; Dubischar, S. 32. Koller, Transportrecht, § 421 HGB Rz. 6. Damit wird die von der Sachverständigenkommission vorgeschlagene Auslegungsregel, ohne besondere Vereinbarung nur Barzahlung zuzulassen – BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 79 – weitgehend aufgeweicht. Andere Zahlungsmittel als Bargeld sollten gerade wegen des damit verbundenen Aufwandes als vereinbarungsbedürftig gelten. BGH v. 10.2.1982 – I ZR 80/80, VersR 1982, 543 f. (CMR). OLG Hamm v. 16.8.1984 – 18 U 281/83, TranspR 1985, 97 (98).
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Teil E Rz. 130
Transport
liche Mittel“1. § 425 Abs. 1 dtHGB bildet die Anspruchsgrundlage für verlust-, beschädigungs- und verspätungsbedingte Schäden, auf die die Haftungssummenbeschränkungen des § 431 dtHGB anzuwenden sind. Daneben finden sich weitere besondere Anspruchsgrundlagen für den Absender in § 422 Abs. 3 dtHGB (Fehler beim Einzug von Nachnahmen; Haftungsbeschränkung auf den Umfang des Nachnahmebetrages), § 413 Abs. 2 Satz 1 dtHGB (Verlust bzw. unrichtige Verwendung von Begleitpapieren; Haftungsbeschränkung auf den Ersatzumfang bei Verlust des Gutes, §§ 413 Abs. 2 Satz 2, 431 Abs. 1 dtHGB) und § 418 Abs. 6 Satz 1 dtHGB (fehlerhafte Ausführung von Weisungen; Beschränkung der Haftung, § 418 Abs. 6 Satz 2 dtHGB). (9) Schadenszeitraum und -arten 130
§ 425 Abs. 1 dtHGB begründet die frachtrechtliche Obhuthaftung des Frachtführers („von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung“). Während des Obhutzeitraums obliegt dem Frachtführer die Exkulpation für Verlust, Beschädigung und Verspätung des Gutes nach den besonderen Grundsätzen der §§ 426 ff. dtHGB.
131
Der Frachtführer erlangt dann Obhut, wenn das Gut zur Durchführung des Transportes derart in seinen Machtbereich gelangt ist, dass er es vor Schäden schützen kann2. Die Obhuterlangung setzt aber weder Gewahrsam noch Besitz voraus3, wenngleich bei Erlangung des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes zum Zwecke der Beförderung jedenfalls Obhut besteht4. Die Obhuterlangung kann durch vertragliche Abreden vorverlagert werden5. Hat der Frachtführer das Gut aus anderen Gründen bereits in seiner Gewalt, so beginnt der Obhutzeitraum erst mit der Vereinbarung zwischen Frachtführer und Absender, dass der Frachtführer mit dem Transport alsbald beginnen solle6. Dasselbe gilt bei einer späteren Entscheidung oder Abrede mit dem Spediteur zum Selbsteintritt gemäß § 458 dtHGB. Hat der Absender das Gut zu verladen (Regelfall nach § 412 Abs. 1 Satz 1 dtHGB), so beginnt der Obhutzeitraum in dem Augenblick, in dem der verladende Absender zu erkennen gibt, dass er den Ladevorgang abgeschlossen habe. Auf das Schließen der Türen durch den Fahrer kann grundsätzlich nicht abgestellt werden7. Dies ergibt sich daraus, dass den Frachtführer nach § 412 Abs. 1 Satz 2 dtHGB die Pflicht trifft, für die Betriebssicherheit des Transportes zu sorgen. Deshalb können nach dem Ende des Verladens abschließende Überprüfungen und Maßnahmen des Fahrers notwendig werden. Hat der Frachtführer das Verladen übernommen, so beginnt seine Obhut damit, dass er zu erkennen gibt, dass er die Herrschaft übernehme, was insbesondere mit Beginn des Verladevorganges8 erfolgt.9 Der Obhutzeitraum erstreckt sich auch auf die Zeit, während der das Gut beim Zoll verwahrt10 oder vom 1 So Stoll, AcP 176 (1976), 145. 2 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 114/76, NJW 1979, 493 f. 3 Dubischar, S. 125; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 21: Auf die physische Herrschaft kommt es gar nicht an. Guldimann, WA Art. 18 Rz. 7–10: Die Notlandung eines Flugzeuges kann zur (vorübergehenden) Aufhebung der Obhut führen, eine verzögerte Wiederherstellung der faktischen Obhut ist unbeachtlich. 4 OLG Frankfurt v. 10.1.1978 – 5 U 50/77, ZLW 27 (1978), 215, 217. 5 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 114/76, NJW 1979, 493 f. Nach h.M. ist die Obhuterlangung durch Annahme des Gutes ein Rechtsgeschäft: Helm in Großkommentar HGB, § 429 HGB Rz. 51; a.A. Koller, Transportrecht, § 425 HGB Rz. 17. 6 Koller, Transportrecht, § 425 HGB Rz. 17. 7 So aber OLG Celle v. 22.11.1973 – 12 U 58/73, NJW 1974, 1095 f.; Koller, § 425 HGB Rz. 19. Dagegen aber auch Piper, TranspR 1990, 357 (360). 8 OGH Wien v. 3.7.1985 – 3 Ob 547/85, TranspR 1987, 374, 376. 9 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 21. Zum vorübergehenden Verlust der Obhut: Guldimann, Art. 7–10 WA; jeweils zum Luftfrachtrecht. 10 OLG Köln v. 20.11.1980 – 1 U 129/79, ZLW 31 (1982), 167, 171; LG Stuttgart v. 21.2.1992 – II KfH O 172/90, ZLW 43 (1994), 240 f.; Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 5; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 19 ff.; mit Einschränkungen Ruhwedel, S. 344 (Rz. 443).
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Transportverträge
Rz. 132 Teil E
Frachtführer zwischengelagert wird1. Einer faktisch gelockerten Herrschaftsgewalt des Frachtführers kann im Einzelfall im Rahmen des Entlastungsbeweises Rechnung getragen werden. Die Ablieferung erfolgt nicht schon mit der körperlichen Ankunft am Bestimmungsort; auch eine Benachrichtigung des Empfängers von der Ankunft reicht nicht2. Neben der Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsgewalt ist auch die zumindest stillschweigende Einwilligung des Empfängers zur Aufgabe der Obhut erforderlich3. Erklärt der Verfügungsberechtigte insoweit sein Einverständnis, dann kann die Obhut auch an einem anderen als dem vertraglichen Bestimmungsort aufgegeben werden4. Im Einvernehmen mit dem Empfänger kann der Frachtführer die Obhut auch durch Aufgabe der Sachherrschaft aufgeben5. Nach allgemeinen Regeln hat derjenige den Schadenseintritt während des Obhutzeitraumes zu beweisen, der sich darauf beruft. Dies ist i.d.R. der Geschädigte, der von der dem Grunde nach erleichterten Haftung profitieren will6. Im Rahmen der Beweisführung hilft ihm die Vermutungswirkung des Frachtbriefes nach § 408 dtHGB. Um die Wirkung der Haftungsbeschränkung nach § 431 dtHGB herbeizuführen, kann auch dem Frachtführer die Darlegung des Obhutzeitraumes günstig sein7. Als Beweismittel kommen neben Zeugenaussagen insbesondere schriftliche Quittungen (etwa auf dem Frachtbrief) und Bestätigungen in Betracht, die allerdings nicht zu einer Beweislastumkehr führen. Nach § 438 dtHGB wird vermutet, dass das Gut im vertraglich vereinbarten Zustand abgeliefert wurde, wenn der Empfänger bei der Ablieferung keine Vorbehalte macht8. Der Frachtführer haftet nach § 425 Abs. 1 dtHGB für Zerstörung, Beschädigung und Verlust des Gutes. Zerstörung umfasst das Zunichtemachen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs9. Ein Verlust ist anzunehmen, wenn das Gut nicht innerhalb der Fristen der §§ 423 f. dtHGB abgeliefert wird, ferner auch bei einer unwiederbringlichen Auslieferung an einen falschen Empfänger10, Diebstahl11 oder bei hoheitlicher Beschlagnahme12. Ein Teilverlust kann gleichzeitig eine Beschädigung des zu liefernden Gutes als Sachgesamtheit darstellen. Die Unterscheidung, ob ein Teilverlust „nur“ einen Verlust einzelner Teile oder auch eine Beschädigung der restlichen Sendung darstellt, ist im Einzelnen schwierig. Beispielsweise führt rein wirtschaftlich je nach den 1 Dies erlangt wesentliche Bedeutung in unaufklärbaren Diebstahlsfällen. 2 OLG Hamburg v. 14.5.1996 – 6 U 247/95, TranspR 1997, 101. 3 So schon ROHG 2, 247; RG v. 22.9.1926 – I Z 430/25, RGZ 114, 308 (314); BGH v. 20.6.1963 – II ZR 141/61, VersR 1963, 774 f.; BGH v. 19.1.1973 – I ZR 4/72, VersR 1973, 350; OGH Wien v. 6.7. 1989 – 7 Ob 614/89, VersR 1990, 1180. 4 OLG Frankfurt v. 7.4.1987 – 5 U 102/86, NJW-RR 1987, 1055 f. 5 OLG Hamburg v. 4.6.1981 – 6 U 107/83, VersR 1983, 42. 6 BGH v. 12.12.1985 – I ZR 88/83, VersR 1986, 381, 383; BGH v. 8.6.1988 – I ZR 149/86, VersR 1988, 952; OLG Köln v. 20.11.1980 – 1 U 120/79, ZLW 31 (1982), 167 (171); OLG Frankfurt v. 15.11.1983 – 5 U 270/83, ZLW 33 (1984), 90; OLG Frankfurt v. 25.1.1983 – 5 U 155/82, DB 1983, 709. 7 Etwa bei der Inanspruchnahme aus schuldhafter Vertragspflichtverletzung wegen umstrittener anderer Pflichtverletzungen vor oder nach der Beförderung. Ähnlich im Fall LG Mönchengladbach v. 18.12.1969 – 1 O 258/69, VersR 1971, 218: Der Güterschaden wurde beim Rangieren nach bereits erfolgter Teilentladung verursacht; da die Ablieferung des Gutes bereits erfolgt war, lag die Schädigung außerhalb des Obhutzeitraumes. 8 BGH v. 27.1.1994 – I ZR 314/91, TranspR 1994, 387, 389; zum Luftfrachtrecht: Hitachi v. United Parcel, no. 94–15292, D.C. no. CV-93–00433 WHO (C.A. 9th Cir. 2 Febr. 1996) (trotz nicht ordnungsgemäß ausgestellten Luftfrachtbriefes i.E. keine Haftung, da der Empfänger seiner Rügepflicht nicht gehörig nachkam). 9 OLG Frankfurt v. 25.1.1983 – 5 U 155/82, VersR 1983, 484 (LS) ; Kronke in MünchKomm/HGB, WA Art. 18 Rz. 7: Verdorbene Nahrungsmittel sind zerstört, selbst wenn sie noch als Viehfutter zu gebrauchen wären. 10 OLG Frankfurt v. 14.7.1977 – 5 U 129/76, ZLW 27 (1978), 53 = RIW 1978, 197. 11 OLG Frankfurt v. 23.12.1992 – 21 U 62/92, IPRax 1994, 141 (LS) m. Anm. Kronke. 12 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 10; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 10.
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Teil E Rz. 133
Transport
Umständen des Einzelfalles der Verlust eines Teils einer Sendung möglicherweise schon zu der Entwertung auch der Teile, welche äußerlich unbeschädigt eigentlich noch vorhanden sind. Allerdings erscheinen die Abgrenzungen auf Basis einer rein wirtschaftlichen Betrachtung oft willkürlich. Daher dürfte der sachenrechtlichen Betrachtung der Vorrang zu geben sein, wonach maßgeblich ist, ob der Teilverlust bei einem Sachbestandteil im Sinne von § 93 dtBGB eingetreten ist, wodurch auch die Gesamtsache beschädigt wurde, oder ob sich der Teilverlust auf eine selbständige Sache bezieht, wodurch die weiteren Güter als nicht beschädigt anzusehen sind. Auch bei der sachenrechtlichen Auslegung sind im Übrigen wirtschaftliche Faktoren mit zu berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen Verlust bzw. Teilverlust und Beschädigung wird etwa im Rahmen des Art. 26 WA bzw. Art. 31 MÜ hinsichtlich der Anzeigefristen relevant. Der Frachtführer ist aufgrund des Frachtvertrags verpflichtet, dem durch einen Verlust Geschädigten eine Bescheinigung zu Beweiszwecken auszustellen1. (10) Befreiungsgründe 133
Der Frachtführer kann sich im Rahmen der §§ 426, 427 dtHGB von der Haftung befreien. Dabei ist – wie bei der CMR – zwischen sog. „nicht bevorrechtigten“ und „bevorrechtigten“ Befreiungsgründen zu unterscheiden. (11) Nicht bevorrechtigte Befreiungsgründe
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Nicht bevorrechtigt sind solche Gründe, für die der Frachtführer nach § 426 dtHGB den vollen Beweis für ihr Vorliegen zu erbringen hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Verlust-, Beschädigungs- oder Verzögerungsfolge auf Umständen beruht, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Modell für § 426 dtHGB hat insoweit Art. 17 Abs. 2 CMR gestanden. Dies bedeutet, dass die Enthaftung des Frachtführers mit der Darlegung „höherer Gewalt“ – dieser Begriff wurde bei der Schaffung der CMR jedoch aufgrund unterschiedlicher Verwendung in der einzelstaatlichen Rspr. vermieden – einhergeht2. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass § 426 dtHGB dem Art. 17 Abs. 2 CMR deshalb nachempfunden wurde, weil er sich in der Praxis – ähnlich auch in der des Eisenbahnfrachtrechts gemäß Art. 36 § 2 CIM – bewährt habe und man einen Gleichlauf mit der CMR befürwortete3. Daraus folgt, dass die Darlegung des fehlenden zurechenbaren Verschuldens des Frachtführers nicht ausreicht. Vielmehr ist erforderlich, dass der Frachtführer darlegt, dass der Schaden auch bei der Anwendung äußerster Sorgfalt unter den gegebenen Umständen nicht hätte vermieden werden können. Als vermeidbar hat die Rspr. etwa angesehen4: Diebstahl und Raub5; Durchbrechen der Leitplanken aus ungeklärtem Grund6; Fahrfehler7; Fahren mit 65 km/h bei einspuriger Streckenführung an einer Baustelle8; voraussehbare Vereisungen der Straße, Straßen1 OLG Frankfurt, Beschl. v. 3.8.1982 – 5 W 15/82, ZLW 32 (1983), 59 = RIW 1982, 913; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 9; Dubischar, S. 126. 2 Einzelheiten sind str. Dazu grundsätzlich: Basedow, S. 397–400. Koller, Transportrecht, Art. 17 CMR Rz. 13 ff. 3 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 86. 4 Ausführliche Übersicht der Kasuistik bei: Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 17 CMR Rz. 40 ff.; Thume in ders., CMR, Art. 17 CMR Rz. 95–111; Basedow in MünchKomm/HGB, CMR, Art. 17 CMR Rz. 43 ff.; Herber/Piper, Art. 17 CMR Rz. 39–55. 5 BGH v. 16.2.1984 – I ZR 197/81, TranspR 1984, 182 = VersR 1984, 551 = NJW 1984, 2033; OLG München v. 27.3.1981 – 23 U 2358/80, VersR 1982, 264 f.; OLG Zweibrücken v. 17.12.1996 – 8 U 63/96, TranspR 1997, 369 (371 f.). 6 OLG Bremen v. 12.2.1976 – 2 U 113/75, VersR 1976, 584. 7 OLG Düsseldorf v. 21.4.1994 – 18 U 53/93, TranspR 1995, 347. 8 OLG Düsseldorf v. 24.3.1983 – 18 U 186/82, TranspR 1984, 14.
420 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 136 Teil E
staus oder Blockaden1; Nässe- und dadurch bedingte Rostschäden am Frachtgut2. Unvermeidbar sind unabwendbare Ereignisse im Straßenverkehr gem. § 7 Abs. 2 StVG3. Auch bei Mängeln am Beförderungsmittel liegt die Annahme nah, dass sie vermeidbar waren4. (12) Bevorrechtigte Befreiungsgründe Bevorrechtigt sind die Befreiungsgründe nach § 427 Abs. 1, 2 dtHGB. Bei Vorliegen einer der unter § 427 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 dtHGB enumerierten Tatbestände, wird vermutet, dass dieser Tatbestand den Schaden kausal verursacht hat. Dem Frachtführer wird also der Enthaftungsbeweis erleichtert. Entlasten kann sich der Frachtführer, wenn (1) der Transport vertragsgemäß oder typischerweise mit offenen Fahrzeugen oder auf Deck erfolgt (vorbehaltlich der Sonderregelungen des Abs. 2 Satz 2 und des Abs. 3), wenn (2) das Gut vom Absender ungenügend verpackt wurde, wenn (3) Dritte für den Absender die Entladung vornehmen, wenn (4) die natürliche Beschaffenheit der Güter diese besonderen Gefahren aussetzt (Bruch, Rost etc.), wenn (5) die Frachtgüter unzureichend nummeriert oder bezeichnet sind oder schließlich wenn (6) lebende Tiere befördert werden. Für die Vermutung der Schadensursächlichkeit aufgrund dieser Umstände und damit die Entlastung des Frachtführers reicht es nach § 427 Abs. 2 dtHGB aus, wenn der Frachtführer darlegt, dass der Schaden aus einer oder mehrerer dieser Gefahren entstehen konnte (z.B. Bruchgefahr beim Transport von Fliesen). Der Geschädigte kann jedoch den Gegenbeweis führen, dass der Schaden nicht oder nicht ausschließlich aufgrund eines der Tatbestände des § 427 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 dtHGB entstanden ist (z.B. ungenügende Verstauung der Fliesen, so dass sie beim Bremsen in Rutschen kamen5). Dann hat sich die spezifische Gefahr nicht verwirklicht. Sonderregelungen enthalten wiederum Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 bis 5. Danach tritt das Vorrecht bei der Beförderung im offenen Fahrzeug oder auf Deck nicht ein, wenn ein „außergewöhnlich großer Verlust“ vorliegt. Im Falle der besonderen Anfälligkeit des Gutes nach § 427 Abs. 2 Nr. 4 dtHGB und des Transportes lebender Tiere obliegt dem Frachtführer gegebenenfalls eine gesteigerte Beweislast hinsichtlich der ihm nach den Umständen obliegenden Maßnahmen und der Einhaltung von besonderen Weisungen des Absenders, § 427 Abs. 5 dtHGB.
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Um seiner durch § 427 Abs. 2 dtHGB erleichterten Darlegungslast zu genügen, reicht es allerdings nicht aus, dass der Frachtführer lediglich die abstrakte Möglichkeit einer Verursachung aufzeigt. Vielmehr müssen diejenigen Tatbestände, auf die sich der Frachtführer berufen will, unstreitig oder von ihm bewiesen sein6. Steht allerdings ein solcher Tatbestand fest, so genügt für die weitere Darlegung die bloße Möglichkeit der Kausalität zwischen diesem Umstand und dem Schaden7. Diese gesetzliche Beweislastverteilung darf durch die Beweiswürdigung nicht verkehrt werden. Daher ist die Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis darauf abzustimmen. Es ist demnach z.B. im Rahmen von § 427 dtHGB unzulässig, aus der Tatsache, dass der Transport normal verlaufen ist, darauf zu schließen, dass Schäden am Transportgut durch Verpackungsmängel eingetreten sein müssen8.
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1 OLG Saarbrücken v. 10.2.1971 – 1 U 9/70, VersR 1972, 757 f. 2 So jedenfalls im Grundsatz: OLG Hamburg v. 28.6.1984 – 6 U 227/83, TranspR 1985, 114 [zu § 29 KVO]. 3 Herber/Pieper, CMR, Art. 17 Rz. 42; Thume in Fremuth/Thume, CMR, Art. 17 CMR Rz. 38; Koller, Transportrecht, Art. 17 CMR Rz. 19, jew. m.N. 4 Anders aber beim unabwendbaren „Reifenplatzer“, OGH Wien v. 10.7.1991 – 1 Ob 579/91, TranspR 1991, 422. 5 Dazu etwa OLG Saarbrücken v. 23.8.1985 – 4 U 118/83, TranspR 1985, 392. 6 St. Rspr. u. h.M.: BGH v. 10.10.1983 – I ZR 105/81, TranspR 1984, 100 = VersR 1984, 262; BGH v. 28.3.1985 – I ZR 194/82, TranspR 1985, 261; Piper, TranspR 1990, 357, 359; Thume in Fremuth/ Thume, Art. 18 CMR Rz. 19. 7 BGH v. 20.10.1983 – I ZR 105/81, TranspR 1984, 100 = VersR 1984, 262. 8 BGH v. 4.10.1984 – I ZR 112/82, NJW 1985, 554.
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Bürskens 421
Teil E Rz. 137
Transport
(13) Mitverantwortlichkeit 137
Nach § 425 dtHGB sind die Grundsätze des Mitverschuldens anwendbar1. (14) Haftungshöchstbeträge
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Die Haftung des Frachtführers für Verlust und Verspätung ist auf 8,33 Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (SZR) pro kg Rohgewichtes des Gutes beschränkt (§ 431 Abs. 1 dtHGB). Das Allgemeine Frachtrecht ist insoweit vollständig mit der CMR synchronisiert2. Das SZR des Internationalen Währungsfonds wird mit dem Kurs am Tag der Übernahme des Gutes zur Beförderung oder an dem von den Parteien vereinbarten Tag umgerechnet (§ 431 Abs. 4 dtHGB). Bei teilweiser Beschädigung oder teilweisem Verlust kommt es nicht auf das Gewicht einzelner Stücke, sondern auf das Gewicht der gesamten Sendung an3, wobei gemäß § 431 Abs. 2 dtHGB maximal bis zu 8,33 SZR pro kg des Rohgewichtes des Verlustteils gehaftet wird. Bei Lieferfristüberschreitungen kommt eine Entschädigung bis zur dreifachen Höhe der Fracht in Betracht (§ 431 Abs. 3 dtHGB). Die Entschädigung wird nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme nach dem Börsen-, hilfsweise nach dem Marktpreis berechnet (§ 429 dtHGB). Bei Verlust oder Schaden sind Frachten und Zölle außerdem zurückzuerstatten (§ 432 dtHGB), die Schadensfeststellungskosten sind stets gesondert ersatzfähig (§ 430 dtHGB). (15) Außervertragliche Ansprüche
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Von großer Bedeutung sind die §§ 433 ff. dtHGB. § 434 Abs. 1 dtHGB erstreckt die Haftungsbeschränkungen des Allgemeinen Frachtrechts auf deliktische Ansprüche, die mit den frachtvertraglichen konkurrieren. Absatz 2 der Vorschrift fixiert den Grundsatz, dass der Frachtführer sich auf seine Haftungsbeschränkung auch ladungsinteressierten Dritten gegenüber berufen darf, es sei denn, dass diese der Beförderung des Gutes nicht zugestimmt hatten und der Frachtführer die fehlende Befugnis des Versenders kannte oder hätte kennen müssen oder diesen das Gut i.S. des § 935 BGB abhanden gekommen ist4. Zudem kann der Frachtführer gem. § 434 Abs. 2 Nr. 1 HGB gegenüber den außervertraglichen Ansprüchen des Dritten wegen Verlust oder Beschädigung des Gutes die Einwendungen i.S.d. § 434 Abs. 1 HGB dann nicht geltend machen, wenn sie auf eine Vereinbarung gestützt werden, die von den in § 449 Abs. 1 Satz 1 genannten Vorschriften zu Lasten des Absenders abweicht. Dies gilt jedoch nicht für eine nach § 449 HGB zulässige Vereinbarung über die Begrenzung der vom Frachtführer zu leistenden Entschädigung wegen Verlust oder Beschädigung des Gutes auf einen niedrigeren als den gesetzlich vorgesehenen Betrag, wenn dieser den Betrag von 2 Rechnungseinheiten nicht unterschreitet.
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§ 433 dtHGB sieht eine weitere Haftungsbeschränkung eigener Art für Fälle des Ersatzes von Vermögensschäden aufgrund sonstiger Pflichtverletzungen durch den Frachtführer vor5. Haftet der Frachtführer wegen einer Vertragsverletzung, die nicht unter § 425 dtHGB fällt, die mit der Beförderung des Gutes zusammenhängt und die nicht zu einem Personen- oder Vermögensschaden führt, so ist die Haftung auf das dreifache des Betrages, der im Verlustfalle zu zahlen wäre, beschränkt. 1 BGH v. 28.3.1985 – I ZR 194/82, NJW 1985, 2092 (Fahrfehler und Verpackungsmangel). 2 Derartige Höchstsummenbegrenzungen, die allen Transportrechtskonventionen gemeinsam sind, werden als Kernstück des internationalen Transportrechts bezeichnet. Dazu Basedow, S. 408 ff. 3 BGH v. 30.1.1981 – I ZR 18/79, BGHZ 79, 302. 4 Hübsch, VersR 1997, 799. 5 BMJ (Hrsg.), Bericht, S. 97 f.
422 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 143 Teil E
(16) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen § 435 dtHGB ermöglicht es dem Geschädigten, dem Frachtführer die Berufung auf sämtliche Haftungsbeschränkungen dann abzuschneiden, wenn der Schaden auf den Vorsatz des Frachtführers oder einer seiner Hilfspersonen (§ 428 dtHGB)1 zurückgeht, oder wenn der Schaden auf eine Handlung zurückzuführen ist, die der Frachtführer bzw. dessen Hilfsperson leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat.
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Im Wesentlichen sind hiermit Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gemeint, die (nahezu) im gesamten Frachtrecht eine Durchbrechung der summenmäßigen Haftungsbeschränkung des Frachtführers bewirken. (Ausnahme ist vor allem das Montrealer Übereinkommen) Der Maßstab des § 435 dtHGB ist allerdings ein anderer als beispielsweise der des Art. 29 CMR, denn § 435 dtHGB enthält zusätzlich ein subjektives Tatbestandsmerkmal (und übernimmt insofern denWortlaut des Art. 25 WA/HP).
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Nach § 435 dtHGB setzt ein qualifiziertes Verschulden zwei Tatbestandsvoraussetzungen voraus, nämlich Leichtfertigkeit sowie das Bewusstsein, den Schaden mit Wahrscheinlichkeit herbeizuführen. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich wiederum, dass hier eine einheitsrechtliche Synthese von wilful misconduct in der Form der gross negligence und faute équivalente au dol gemäß der verbindlichen französischen Originalfassung des Art. 25 Abs. 1 WA/HP gebildet werden sollte2. Man kann sich daher an den zur groben Fahrlässigkeit entwickelten Grundsätzen orientieren, wobei stets neben objektiver Leichtfertigkeit auch die subjektive Komponente zu prüfen ist3. Das objektive Verhalten des Frachtführers bzw. seiner Hilfspersonen lässt um so eher auf das Vorliegen dieser subjektiven Voraussetzungen schließen, je weiter es vom vernünftigen oder insbes. vom eintrainierten oder typischen Transportablauf entfernt liegt4. Anhaltspunkte bilden etwa die Kenntnis vom besonders hohen Wert5 oder der gesteigerten Wetteranfälligkeit des Gutes, das bewusste Unterlassen von zu erwartenden Handlungen (z.B. das kühlbedürftige Gut trotz vorhandener Möglichkeit nicht zu kühlen6, oder das unbeaufsichtigte Abstellen des Gutes an leicht zugänglichen Stellen7). Grobe Fahrfehler sowie die Überschreitung von Dienstzeiten des Fahrers stellen stets grobe Fahrlässigkeit dar8. Im Ergebnis ist das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit zu bejahen, wenn der Schädiger einen besonders krassen Pflichtverstoß begangen hat und sich ihm dabei die Erkenntnis aufdrängen mußte, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit hieraus ein Schaden entstehen werde9.
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1 Zur frachtrechtlichen Haftung der Hilfspersonen: Kronke, TranspR 1988, 29. 2 ICAO Doc. 7686-LC/140, vol. I (Minutes), 1956, S. 156 ff.; 182 ff. Matte, Int.Encycl.Comp.L. XII, ch. 6, S. 62; Magdelénat, S. 103; Kronke in MünchKomm/HGB, WA, Art. 25 WA Rz. 23. 3 BGH v. 16.2.1979 – I ZR 97/77, BGHZ 74, 162 = NJW 1979, 2473; OLG Frankfurt v. 15.10.1991 – 5 U 196/90, TranspR 1993, 61 m. zust. Anm. Müller-Rostin; Basedow, S. 420 ff.; Giemulla in Giemulla/Schmid, Art. 25 WA Rz. 12 ff.; Kronke in MünchKomm/HGB, WA, Art. 25 WA Rz. 24 ff. unter Hinweis auf die kontinental-europäisch geprägten Rechtssysteme. Anders dagegen die englische, kanadische und australische Rspr., die allein auf objektive Maßstäbe abstellen: Goldman v. Thai Airways, [1983] 3 All.E.R. 693 (C.A.) m. Anm. McGilchrist, L.M.C.L.Q. 1983, 488; Newell v. CPA, 74 D.L.R.3d 574 (Co.Ct. Ont. 1976); SS Pharmaceutical v. Qantas, [1991] 1 Ll.Rep. 288 (Austr. C.A.). 4 Basedow, S. 422 f.; Sundberg, Air Law 6 (1981) 230, 244 spricht von einem „industrialized approach“. 5 BGH v. 16.2.1979 – I ZR 97/77, BGHZ 74, 162; Bank of Nova Scotia v. Panam, 16 CCH Avi. 17,378 (S. D.N.Y. 1981). Vgl. auch OLG München v. 29.11.1995 – 7 U 4806/95, TranspR 1997, 190 (zu Art. 29 CMR). 6 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 25 WA Rz. 33. 7 OLG Stuttgart v. 24.2.1993 – 3 U 167/92, TranspR 1995, 74 (Streik der Wachleute). 8 Ähnlich: OLG Düsseldorf v. 12.12.1985 – 18 U 90/85, TranspR 1986, 56 = VersR 1986, 1069. 9 OLG Hamburg v. 26.6.2014 – 6 U 172/12.
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Bürskens 423
Teil E Rz. 144
Transport
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Dem Geschädigten obliegt der volle Beweis der Voraussetzungen des § 435 dtHGB. Auch hier darf – ebenso wie bei § 427 dtHGB – der Typus des Haftungssystems, in dem § 435 dtHGB gerade die Ausnahme darstellt, nicht verkehrt werden. Daher reicht i.d.R. ein schweres Verschulden prima facie nicht aus1. Ausgehend von der oben aufgestellten Indizienregel muss ein ungewöhnlicher Transportablauf somit für den Frachtführer eher entlastend wirken. Nach der Systematik des Gesetzes sollte die unbegrenzte Haftung infolge eines qualifizierten Verschuldens des Frachtführers eigentlich die nur in krassen Fällen anwendbare Ausnahme sein, während Regelfall die gewichtsmäßig aufgebaute Grundhaftung darstellen sollte (welche der Frachtführer wiederum nur in Ausnahmesituationen vermeiden kann). In der Praxis haben viele deutsche Gerichte die Anforderungen an die Organisation des Frachtführers so hoch gesetzt, dass in Deutschland – anders als in vielen anderen Ländern – eine unbegrenzte Haftung oft schon bei geringen Pflichtverstößen des Frachtführers zur Anwendung kommt und eher den Regelfall darstellt.2
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Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Beweislast ausgehend vom Speditionsrecht auch für das internationale Frachtrecht der CMR und des WA/HP differenzierte Regeln über die Darlegungs- und Beweislast entwickelt. Diese Regeln, die oben im Zusammenhang mit Art. 29 CMR ausführlich erläutert (Rz. 75) wurden, sind auch auf § 435 dtHGB anwendbar. c) Aktiv- und Passivlegitimation
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Aktivlegitimiert ist stets der Absender und im Rahmen des § 421 Abs. 1 dtHGB der Empfänger. Der Dritteigentümer der Ladung hat deliktische Ansprüche, die den Beschränkungen des § 434 dtHGB unterliegen3. Fallen die Person des formell Aktivlegitimierten und des Geschädigten auseinander, so kommt die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation in Betracht. Dies ist stets der Fall, wenn Spediteure die Frachtverträge als mittelbare Stellvertreter abgeschlossen haben4.
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Im Übrigen wird vom BGH im weiten Rahmen unter denjenigen, die vom Transportvertrag auch nur mittelbar betroffen sind (insbes. Versicherer), die gewillkürte Prozessstandschaft zugelassen5. Wo sich der Prozessstandschafter der Anerkennung seiner Prozessstandschaft durch das Gericht, die wegen der Unterbrechung der Verjährung wichtig ist6, nicht sicher ist7, hilft nach allgemeinen Grundsätzen eine Abtretung. Der BGH hat vereinzelt mit der Annahme konkludenter Abtretungserklärungen hinsichtlich der Schadensersatzansprüche an den Güterversicherer geholfen8. Eine derartige konkludente Abtretung dürfte in der Regel aber zu verneinen sein. Zur Vermeidung von Unklarheiten sind vielmehr angesichts der Möglichkeit, dass verschiedene Anspruchsteller (Absender, Empfänger, die jeweiligen Versicherer) unterschiedliche Anspruchsgegner (z.B. aufeinander folgende Frachtführer) in Anspruch nehmen kön1 BGH v. 11.7.1967 – VI ZR 14/66, VersR 1967, 909, 910; Guldimann, WA Art. 25 Rz. 11; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 25 WA Rz. 38. 2 Koller Transportrecht, § 435 HGB Rz. 20 ff. 3 Ferner s. auch Ruhwedel, Das störende Eigentum am Frachtgut in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 163 ff. 4 BGH v. 30.4.1959 – II ZR 7/57, VersR 1959, 502, 504; Rabe, TranspR 1993, 1. 5 BGH v. 10.4.1974 – I ZR 84/73, NJW 1974, 1614 f.; BGH v. 20.2.1970 – I ZR 11 = 768, VersR 1970, 416 f.; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 207/77, VersR 1979, 906 f.; BGH v. 6.5.1981 – VersR 1981, 929; OLG Düsseldorf v. 21.3.1996 – 18 U 130/95, VersR 1997, 212. 6 BGH v. 24.10.1991 – I ZR 208/89, VersR 1992, 640: Keine Unterbrechung der Verjährung bei Klage durch den materiell Geschädigten, aber nicht Aktivlegitimierten. 7 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 207/77, VersR 1979, 906 f.: Keine Anerkennung der Ermächtigung des Absenders durch den Güterversicherer des Empfängers; ähnlich: BGH v. 6.2.1981 – I ZR 172/78, VersR 1981, 571. 8 BGH v. 21.11.1996 – I ZR 139/94, VersR 1997, 365.
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Transportverträge
Rz. 151 Teil E
nen, präzis auf den konkreten Schadensfall formulierte Abtretungserklärungen zu verlangen. Im Rahmen der Aktivlegitimation stellt sich darüber hinaus das Problem der Mitversicherung durch mehrere gleichberechtigte Versicherer. Dabei wird in der Regel ein Versicherer im Versicherungsvertrag als führender Mitversicherer bestimmt. Diese Führung durch einen Mitversicherer beinhaltet jedoch keinerlei passive oder aktive Vollmacht, sondern grundsätzlich nur die Vertretung der anderen Mitversicherer bei der Entgegennahme von Anzeigen und Willenserklärungen des Versicherungsnehmers1. Die Vertretung der Mitversicherer durch den führenden Mitversicherer im Rahmen eines Prozesses aufgrund gewillkürter Prozessstandschaft muss ausdrücklich im Versicherungsvertrag enthalten sein.
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§ 437 dtHGB führt schließlich ein aus dem internationalen Lufttransportrecht bekanntes Institut2 in das Allgemeine Frachtrecht ein, indem Haupt- und Unterfrachtführer aus dem Frachtvertrag dem Berechtigten gleichermaßen und unter gleichen Voraussetzungen als Gesamtschuldner haften.
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d) Anspruchsdurchsetzung, Schadensanzeige, Verjährung und gerichtliche Zuständigkeit Im Falle einer offensichtlichen Beschädigung oder eines offensichtlichen Verlusts, spricht die Vermutung des § 438 Abs. 1 dtHGB gegen den Empfänger, wenn dieser das Gut vorbehaltlos in Empfang nimmt. Das Gut gilt in diesem Fall als in ordnungsgemäßer Verfassung übernommen. Agiert ein beauftragter Versendungsspediteur zugleich auch als Frachtführer und Empfangsspediteur, so kann er sich in seiner Funktion als Frachtführer nicht auf die vorbehaltlose Annahme des Gutes berufen3. Bei äußerlich nicht erkennbaren Beschädigungen greift die gleiche Vermutung, wenn der Empfänger nicht spätestens innerhalb von sieben Tagen reklamiert, § 438 Abs. 2 dtHGB. Ansprüche wegen Überschreitung der Lieferfrist müssen innerhalb von einundzwanzig Tagen geltend gemacht werden (§ 438 Abs. 3 dtHGB). Um die Reklamationsfristen zu wahren, genügt die rechtzeitige Absendung, § 438 Abs. 4 Satz 2 dtHGB4.
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Verjährung5 tritt nach einem Jahr, bei qualifiziertem Verschulden nach drei Jahren ein (§ 439 Abs. 1 dtHGB). Dies gilt auch für Ansprüche aufgrund sonstiger Pflichtverletzungen (§ 280 BGB) und für außervertragliche Ansprüche6. Seit Inkrafttreten des Seerechtsreformgesetzes ist die Einhaltung der Textform ausreichend. Die Reklamation muss deutlich machen, wer welche Ansprüche erhebt7 und bewirkt die Hemmung der Verjährung bis zur Zurückweisung in Textform (§ 439 Abs. 3 dtHGB).
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1 Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, Vor § 58 VVG Rz. 3 ff. 2 Zusatzabkommen zum Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr über die von einem anderen als den vertraglichen Luftfrachtführer ausgeführte Beförderung im internationalen Luftverkehr, abgeschlossen in Guadalajara am 18.9.1961 (BGBl. II 1963, 1159). 3 BGH v. 11.7.1996 – I ZR 75/94, VersR 1997, 513 ff. 4 Für den Fall der Frist von einundzwanzig Tagen bei Verspätung gem. Art. 30 Abs. 3 CMR entschied der BGH v. 14.11.1991 – I ZR 236/89, TranspR 1992, 135 (138), dass der Zugang entscheidend sei. Nach der gebotenen Auslegung der CMR anhand des Originalwortlautes („without sending“/„sent“ bzw. „adressé“) kann es jedoch auch dort nach richtigem Verständnis nur auf das Absenden, nicht aber auf den Zugang ankommen. 5 Zur Verjährung auch Demuth, Verjährungsvorschriften in CMR und Transportrechtsreformgesetz – Vergleich und Zusammenwirken in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 325 ff. 6 BGH v. 6.7.1979 – I ZR 127/78, NJW 1979, 2472 (zur CMR). 7 BGH v. 9.2.1984 – I ZR 18/82, TranspR 1984, 146; OLG Düsseldorf v. 13.6.1996 – 18 U 117/95, VersR 1997, 342 (LS).
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Bürskens 425
Teil E Rz. 152 152
Transport
Zusätzliche gerichtliche Zuständigkeitsregelungen finden sich in § 30 ZPO. Danach ist für Streitigkeiten aus dem HGB-Frachtvertrag auch das Gericht am Ort der Übernahme des Gutes sowie dasjenige am Ort der vertraglichen Ablieferung zuständig. Satz 2 der Vorschrift gibt einen selbstständigen Gerichtsstand gegen den ausführenden Frachtführer an dessen allgemeinem Gerichtsstand. Die Regelung des § 30 ZPO entspricht Art. 1a des Zustimmungsgesetzes zur CMR sowie dem früheren § 56 LuftVG. Sie soll nach dem Vorbild des bisherigen § 440 Abs. 1 HGB das HGB-Frachtrecht mit dem internationalen Frachtrecht und vormaligem Sonderrecht in Einklang bringen1. 4. Materiellrechtliche Besonderheiten in Österreich a) Anzuwendende Regeln
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In Österreich finden sich die allgemeinen Regeln des Frachtgeschäfts in §§ 425–450 öUGB. Der Speditionsvertrag hingegen ist in §§ 407–414 öUGB geregelt, Die Beförderung von Briefen und briefähnliche Sendungen ist in § 451 UGB, geregelt. In diesem Fall kommen nicht die Bestimmungen für das Frachtgeschäft zur Anwendung, sondern jene des allgemeinen Zivil- und Unternehmensrechtes. Besonders zu beachten ist, dass gemäß § 439a Abs. 1 öUGB in Österreich auch für den innerstaatlichen Straßengütertransport2 die Vorschriften des CMR gelten. Gemäß der Rechtsprechung des österreichischen OGH galt für der CMR unterliegende Beförderungsverträge Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nicht, da gemäß Art. 57 EuGVÜ die CMR dem EuGVÜ vorging3. b) Materielles Recht
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Von besonderer praktischer Bedeutung gerade auch für Fälle mit internationaler Anknüpfung ist die in Österreich gebräuchliche Definition des dem Vorsatz gleichstehenden Verschuldens im Sinne von Art. 29 CMR. Nach Auffassung des österreichischen OGH ist diese Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 29 CMR die grobe Fahrlässigkeit4. Damit schreibt der OGH auch für die rein nationale Anwendung die zum internationalen Anwendungsbereich des CMR entwickelte Rechtsprechung fort und begründet dies damit, dass andernfalls der Gesetzgeber bei der Übernahme der CMR für den nationalen Geltungsbereich eine abweichende Regelung hätte treffen können. Demgegenüber wird in der Rechtsliteratur die Auffassung vertreten, dass entsprechend der in Österreich herrschenden Auslegung zum WA/HP und den Hamburger Regeln Art. 29 CMR jedenfalls für den nationalen Bereich dahingehend auszulegen sei, dass ein Handeln in dem Bewusstsein, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten werde, als dem Vorsatz im Sinne des Art. 29 CMR gleichstehend anzuerkennen sei5.
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Ein unvermeidbares Ereignis mit der Folge der Haftungsbefreiung ist nach Auffassung des OGH im Falle eines bewaffneten Raubüberfalles während der Fahrt gegeben6. Zur Beweislast führt der OGH unter Bezugnahme auf die Vorinstanz aus: „Der Geschädigte hat den Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers zu beweisen. Die besondere frachtrechtliche Situation könne aber dazu führen, dass der Geschädigte mit dem Beweis von Umständen belastet werden, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung nicht kennen könne. Den Frachtführer treffe in diesen Fällen nach Treu und Glauben eine Darlegungspflicht 1 BT-Drucks. 13/10014 v. 4.3.1998, S. 49. 2 OGH Wien v. 14.7.1993, TranspR 1994, 189; Seltmann, TranspR 1990, 405; Basedow in MünchKomm/HGB, Einl. CMR Rz. 32. 3 OGH v. 18.12.2000 – 2 Nd 512/00, TranspR 2003, 66; OGH v. 8.4.2002 – 2 Nd 504/02, TranspR 2003, 67. 4 7 Ob 69/08k, 6 Ob 257/o7y. 5 Csoklich in Jabornegg/Artmann, Kommentar zum UGB, Art. 29 CMR, Rz. 8. 6 OGH v. 19.1.1994 – 7 Ob 607/93, TranspR 1994, 282.
426 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 157 Teil E
über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Gutes und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen.“1 Nach der Rechtsprechung des OGH ist ein Fahrzeugmangel im Sinne von Art. 17 Abs. 3 CMR jedenfalls gegeben, wenn das Fahrzeug den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen nicht entspricht2.
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OGH v. 13.2.2003 – 81 – 8 Ob 148/02a, TransportR 2003, 311: Vertragspartner des Frachtführers war die Empfängerin. Entsprechend war die Lieferantin nicht Absender im Sinne der CMR. Für diesen Fall entschied der OGH, dass der Verlader (Lieferantin) nicht berechtigt sei, wirksame Weisungen zu geben oder den Vertragsinhalt zu ändern: „Die Billigung der gewählten Form der Verstauung durch den Verlader bzw. dessen Äußerung, dass die Sicherung (durch Stangen) ausreichend sei, kann daher den Frachtführer nach Art. 17 Abs. 2 CMR nicht entlasten.“
Die Grundsätze der Drittschadensliquidation finden im Verhältnis zwischen Hauptfrachtführer und Unterfrachtführer im Anwendungsbereich des Kapitels VI der CMR keine Anwendung3. 5. Materiellrechtliche Besonderheiten in der Schweiz In der Schweiz gilt verfassungsungsgewohnheitsrechtlich ein monistisches System. Völkerrechtliche Verträge bedürfen somit, sofern sie self-executing sind, keiner Transformation ins Landesrecht4. Die Bestimmungen der CMR sind somit in der Schweiz direkt anwendbar. Wo die CMR nicht greift, sei es weil es kein grenzüberschreitender Straßentransport vorliegt oder weil die CMR für eine bestimmte Frage keine Regelung vorsieht, kommen – sofern die kollisionsrechtlichen Regeln auf schweizerisches Recht verweisen – die allgemeinen frachtvertraglichen Bestimmungen der Art. 440–456 OR zur Anwendung. Diese Bestimmungen sind seit dem Inkrafttreten der CMR für die Schweiz nicht geändert worden, so dass sie auch in keiner Art und Weise mit der CMR koordiniert sind. Enthalten die frachtvertraglichen Normen des OR keine Regelung, so greifen ergänzend die Bestimmungen über den Auftrag (Art. 394 ff. OR). Der Frachtvertrag ist also anders als im deutschen Recht nicht eine Unterart des Werkvertrags, sondern eine besondere Form des Auftrags. Nachfolgend sollen in aller Kürze einige Besonderheiten des Transportvertrags unter schweizerischem Recht dargestellt werden. Was die Haftungsdurchbrechung nach Art. 29 CMR anbelangt, so gibt es in der Schweiz nur sehr wenige Urteile zu dieser Frage5. Es scheint sich nun aber die Ansicht durchgesetzt zu haben, dass Grobfahrlässigkeit als das nach schweizerischem Recht dem Vorsatz gleichgestellte Verschulden im Sinne von Art. 29 CMR zu betrachten ist. In der Praxis werden den Frachtverträgen sehr oft allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde gelegt, wobei insbesondere die AB Spedlogswiss (2005) und die Frachtführerhaftungsbestimmungen der ASTAG zu nennen sind6. Die AB Spedlogswiss (2005) sind derart weitverbreitet, dass vielerorts davon ausgegangen wird, diese würden per se Anwendung finden. Dies trifft aber nicht zu. Die AB Spedlogswiss sind allgemeine Ge1 2 3 4
OGH v. 29.11.2001 – 6 Ob 267/01k, TranspR 2004, 36. OGH v. 13.2.2003 – 8 Ob 148/02a, TranspR 2003, 311. OGH v. 29.1.2002 – 1 Ob 189/01b, TranspR 2003, 463 (465). Hangartner, in Ehrenzeller/Mastronardi/Schweiz/Vallender (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung, Zürich, 2002, N 41 zu Art. 5; Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich 2001, S. 561. 5 Erbe, Kommentar zum Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau HOR 2010.47 v. 7.6.2011, TranspR 2012, S. 339 ff.: Grobe Fahrlässigkeit reicht aus; Urteil des Appellationsgerichts BaselStadt v. 12.5.2000, BJM 200, S. 311: Grobe Fahrlässigkeit reicht aus; Urteil des Zivilgerichts Basel-Stadt v. 14.2.1989, BJM 1991, S. 289: Vorsatz oder Eventualvorsatz erforderlich. 6 Die AB Spedlogswiss (2005) sind unter www.spedlogswiss.ch abrufbar. Die Frachtführerhaftungsbestimmungen der ASTAG können unter www.astag.ch kostenpflichtig bestellt werden.
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Teil E Rz. 157
Transport
schäftsbedinungen und kommen somit nur zur Anwendung, wenn sie gültig vereinbart und damit Vertragsbestandteil werden1. Obwohl das Gesetz den Frachtbrief nicht speziell regelt, setzt es die Möglichkeit solcher Frachtbriefe ohne Weiteres voraus (vgl. Art. 443 Abs. 1 Ziff. 1 OR). Der Frachtbrief ist kein Wertpapier und es kommt ihm auch keine erhöhte Beweiskraft zu2. Hingegen hat er gewisse Wirkungen in Bezug auf das Weisungsrecht (vgl. Art. 443 OR). Die Haftung des Frachtführers hat im schweizerischen Recht in den Art. 446 bis 448 OR eine etwas eigene Regelung erfahren. Zwar ist die Haftung teilweise auch begrenzt, doch sind die Haftungsgrenzen anders als in den einschlägigen internationalen Konventionen ausgestaltet. Zudem kommt neben den klassischen Haftungsgründen (Beschädigung, Untergang, Verspätung) ein weiterer hinzu (Interessenwahrung; Art. 446 OR) und schließlich ist das Haftungsregime dispositiv und kann somit von den Parteien abgeändert werden. Art. 447 OR regelt die Haftung für Verlust und Untergang des Gutes während Art. 448 OR die Rechtsfolgen bei Verspätung, Beschädigung und teilweisem Untergang festschreibt. Das Haftungsregime der Art. 447 und 448 OR ist eine durch die Möglichkeit des Entlastungsbeweises gemilderte Kausalhaftung3. Demnach haftet der Frachtführer unabhängig von einem persönlichen Verschulden, hat jedoch die Möglichkeit, den sog. Entlastungsbeweis zu erbringen. Hierfür muss er beweisen, dass der Schaden auf die natürliche Beschaffenheit des Guts zurückzuführen ist, dass ein Verschulden des Absenders oder Empfängers Ursache ist oder dass der Schaden auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht hätten abgewendet werden können. Art. 447 OR setzt die Haftung auf den vollen Wert des transportierten Guts und nicht auf einen fixen Betrag pro kg fest. Zudem wird aus dieser Formulierung hergeleitet, dass nach Art. 447 OR nicht alle Schäden geltend gemacht werden, sondern im Gegensatz zu Art. 448 OR (hierzu sogleich) nur der unmittelbare Schaden4. Sind die Voraussetzungen des Art. 447 OR erfüllt, so geht die Haftung immer auf den vollen Wert, auch wenn der effektiv eingetretene Schaden geringer ist5. Art. 447 OR ist somit zugleich eine betragsmäßige Haftungsbegrenzung nach unten und nach oben. Art. 448 OR (Haftung für Verspätung, Beschädigung und teilweisen Untergang) knüpft insofern an Art. 447 OR an, als der Wert des Gutes ebenfalls als Obergrenze festgeschrieben wird. Bis zu dieser Obergrenze sind aber sämtliche Schäden, also auch mittelbare Schäden zu ersetzen. Eine innere Begründung für diese summenmäßige Beschränkung der mittelbaren Schäden auf den Sachwert des transportierten Guts ist nicht ersichtlich6. Umstritten und höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob die Haftungsbegrenzung nach Art. 447 und 448 OR auf den vollen Wert des Gutes durchbrochen werden kann. Der Wortlaut des Gesetzes sieht klarerweise keine Durchbrechung vor7. 1 Urteil des Bezirksgerichts Werdenberg v. 22.9.1998, in TranspR 2001, S. 132 ff.; Urteil des Zivilgerichts Basel-Stadt v. 14.2.1989, in BJM 1991, S. 289; In BGE 77 II 154 ging das Bundesgericht von einer stillschweigenden Übernahme aus. In BGE 126 III 192 erachtete es das Bundesgericht hingegen als zweifelhaft, ob die AB Spedlogswiss überhaupt zur Anwendung kommen können, wenn der geschlossene Vertrag kein Speditionsvertrag sei (in casu lag ein Hinterlegungsvertrag vor). Angesichts der Tatsache, dass die AB Spedlogswiss explizite Regelung u.a. zum Frachtvertrag beinhalten, scheint diese Ansicht zu weitgehend (vgl. auch von Ziegler/Montanaro, N 9 zu Art. 440). 2 Staehelin, N 4 zu Art. 443; Gautschi, N 11a zu Art. 443; Benz, N 6 zu Art. 443. 3 BGE 102 II 256. 4 BGE 88 II 197. 5 Benz, N 6 zu Art. 447; Staehelin, N 5 zu Art. 447; von Ziegler/Montanaro, N 15 zu Art. 447/448, die diese Regelung jedoch als Verletzung des Bereicherungsverbots kritisieren. 6 Staehelin, N 3 zu Art. 448; vgl. auch von Ziegler/Montanaro, N 17 zu Art. 447/448 und Montanaro, S. 65 f. 7 Für eine absolute Unverbrüchlichkeit: Benz, N 17 zu Art. 447; Für eine Durchbrechung nur bei Vorsatz: von Ziegler/Montanaro, N 19 zu Art. 447/448; Montanaro, S. 69; Für eine Durchbrechung bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz v.a. die ältere Literatur (Gautschi, N 8 zu Art. 447
428 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 158 Teil E
Gerichtlich nicht geklärt ist die Frage der Aktivlegitimation. Problematisch ist dabei, dass die schweizerische Lehre und Rechtsprechung dem Institut der Drittschadensliquidation gegenüber äußerst kritisch eingestellt ist1. Die meisten Autoren knüpfen die Aktivlegitimation an die Verfügungsberechtigung an. Diese Autoren scheinen aber zu übersehen, dass das Verfügungsrecht nach Art. 443 OR nur in bestimmten Fällen auf den Empfänger übergeht und der geschädigte Empfänger somit in vielen Fällen nicht aktivlegitimiert wäre (während der noch verfügungsberechtigte Absender keinen Schaden hat)2. Mangels Anerkennung der Grundsätze der Drittschadensliquidation ist mit von Ziegler/Montanaro richtigerweise davon auszugehen, dass der Frachtvertrag ein echter Vertrag zugunsten Dritter ist (Art. 112 Abs. 2 OR) und der Dritte aus diesem Grund berechtigt ist, aus eigenem Recht Schadenersatzansprüche geltend zu machen3. Gefahrguttransporte: Für die Beförderung und Verpackung gefährlicher Güter sind die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu beachten, für die Schweiz insbesondere das europäische Übereinkommen ADR4 sowie die dazugehörige schweizerische Verordnung SDR5. Anspruchsdurchsetzung: Vorbehaltlose Annahme des Gutes und Bezahlung der Fracht gilt in Bezug auf äusserlich erkennbare Mängel als Anerkennung der richtigen Erfüllung. Auf jeden Fall sind Mängel, dies gilt auch für die äußerlich nicht erkennbaren, spätestens innert 8 Tagen zu melden (Verwirkungsfrist). Die 8-Tagesfrist ist zwingendes Recht6. Ansprüche gegen den Frachtführer verjähren nach Art. 454 OR innerhalb eines Jahres ab vertraglichem Liefertermin (Verlust, Verspätung) resp. ab effektiver Übergabe (Beschädigung). Im Gegensatz zum allgemeinen Verjährungsrecht der Art. 127 ff. OR ist die effektive Kenntnis des Schadens und des Schädigers nicht ausschlaggebend7. Ebenfalls abweichend vom allgemeinen Verjährungsrecht ist eine einredeweise Geltendmachung nach Art. 454 OR nur möglich, wenn innerhalb der Verjährungsfrist reklamiert wurde, also eine substantiierte8 Mängelrüge abgegeben wurde. 6. Checkliste – Europäische grenzüberschreitende Transporte auf der Straße unterliegen überwiegend den Regelungen der CMR. Entscheidend ist, dass es sich um einen Vertrag über die grenzüberschreitende entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße in dem von Art. 1, 2 CMR definierten Geltungsbereich handelt. Für die Anwendbarkeit der CMR genügt bereits, dass ein Mitgliedstaat beteiligt ist. – Die CMR findet nur auf Frachtverträge, nicht aber auf Charter- oder Mietverträge oder Speditionsverträge Anwendung, sofern nicht der Spediteur aufgrund der Art der Leistungserbringung wie ein Frachtführer zu behandeln ist. – Haftung: Für die Praxis relevant ist insbesondere die Haftung des Absenders für mangelhafte Verpackung (verschuldensunabhängig und in der Höhe unbegrenzt) nach Art. 10 CMR und die Haftung des Frachtführers nach Art. 17 ff. CMR für Transportschäden. Die hieraus resultierende Obhuthaftung des Frachtführers entfällt, sofern dieser sich nach Art. 17, 18 CMR exkulpieren kann. Die in diesem Rah-
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und Schönenberger, N 5 zu Art. 447). Der oft angeführte BGE 102 II 256 ist nicht einschlägig, denn er handelt von vertraglichen, nicht von gesetzlichen Haftungsbeschränkungen. Vgl. statt vieler: Gauch/Schluep, Schweizerisches Obligationenrecht, Band II, 9. Auflage, Zürich 2008, N 288; Reetz/Graber, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Obligationenrecht, Allgemeine Bestimmungen, 2. Auflage, Zürich 2012, N 41ff. zu Art. 112. Schönenberger, N 7 zu Art. 447; Gautschi, N 15a zu Art. 447; Staehelin, N 12 zu Art. 447. Von Ziegler/Montanaro, N 20 zu Art. 448. SR 0.741.621. SR 741.621. Staehelin, N 6 zu Art. 452; Gautschi, N 6c zu Art. 452. Staehelin, N 9 zu Art. 454. BGE 48 II 334.
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Bürskens 429
158
Teil E Rz. 158
Transport
men maßgebliche Beweislastverteilung richtet sich nach den Regeln der CMR, die Beweiswürdigung und Anwendung von Beweisregeln hingegen folgt dem jeweiligen nationalen Recht. – Sofern nicht der Auftraggeber im Frachtbrief einen besonderen Wert oder ein besonderes Interesse deklariert (Art. 24, 26 CMR), ist die Haftung des Frachtführers regelmäßig in der Höhe beschränkt auf 8,33 SZR je kg Rohgewicht der Sendung (Art. 23 Abs. 3 CMR1). Allerdings entfällt diese summenmäßige Begrenzung, wenn dem Frachtführer oder dessen Hilfspersonen Vorsatz oder dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden nachgewiesen wird (Art. 29 CMR). – Die CMR gewährt bei Verlust oder Verspätung sowohl Absender als auch Empfänger Ansprüche (doppelte Aktivlegitimation). – Schäden an Gütern sind innerhalb von sieben Werktagen ab Empfang anzuzeigen, sonst sind diese im Anwendungsbereich der CMR ausgeschlossen (Art. 30 CMR). Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung der Mängelanzeige. – Die internationale Zuständigkeit der Gerichte richtet sich nach Art. 31 CMR. Die örtliche Zuständigkeit hingegen folgt dem nationalen Prozessrecht. Im Rahmen der CMR ist eine Vereinbarung zusätzlicher Gerichtsstände – auch durch AGB – zulässig, soweit es sich um Vertragsstaaten handelt. In die durch Art. 31 CMR verbindlich geregelte internationale Zuständigkeit darf dabei nicht eingegriffen werden, ein Ausschluss sich hieraus ergebender Gerichtsstände ist also nicht zulässig. – Die CMR ist lex specialis zur Brüssel Ia-VO oder zur Rom I-VO. – Da zahlreiche Lebenssachverhalte nicht durch die CMR geregelt sind, bleibt daneben die Anwendung nationaler Regelungen von praktischer Bedeutung. Für nicht von der CMR geregelte Sachverhalte ist das durch Kollisionsrecht berufene Recht zu ermitteln und ergänzend anzuwenden. – Anspruchsgrundlagen der CMR: Die wesentlichen im Anwendungsbereich der CMR zu beachtenden Anspruchsgrundlagen zugunsten des Frachtführers sind: – Schadensersatz und Ersatz von Aufwendungen: Art. 7 Abs. 1 (unrichtige Angaben), Art. 10 (mangelhafte Verpackung), Art. 11 Abs. 2 (fehlende oder falsche Urkunden oder Angaben), Art. 12 Abs. 2, Art. 12 Abs. 5 lit. a und Art. 16 Abs. 1 (wegen Einholung oder Ausführung von Weisungen), Art. 20 Abs. 3 (Gegenanspruch wegen Ansprüchen aus Frachtbrief und Rückzahlung von Entschädigung), Art. 22 Abs. 2 (durch gefährliche Güter verursachte Schäden und Kosten). – Vergütung: Diese ist in der CMR nicht geregelt, der entsprechende vertragliche Anspruch richtet sich nach den jeweiligen vertraglichen Festlegungen und dem nach IPR zu bestimmenden nationalen Recht. Zu beachten ist allerdings die Verjährung nach Art. 32 CMR. Die wesentlichen im Anwendungsbereich der CMR zu beachtenden Anspruchsgrundlagen gegen den Frachtführer sind: – Schadensersatz: Art. 7 Abs. 3 (fehlende Angaben in Frachtbrief), Art. 17 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2, 3 (Benachrichtigung und Herausgabe von verlorenem Gut), Art. 21 (Erstattung von Nachnahme bei unterlassener Einziehung), Umfang der Haftung: Art. 23–27. – Sonstige Ansprüche: Art. 13 Abs. 1 (Herausgabe von 2. Ausfertigung des Frachtbriefs und des Gutes), Ansprüche wegen Schlechterfüllung oder Nichterfüllung (zu beachten aber: Art. 28 CMR) sowie der vertragliche Erfüllungsanspruch sind 1 Entsprechend einem Betrag von ca. 10,60 Euro je kg auf Basis des Umrechnungskurses zum 3.8. 2015.
430 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 159 Teil E
in der CMR nicht ausdrücklich geregelt und bestimmen sich nach dem nach IPR zu bestimmenden jeweils anwendbaren nationalen Recht. Zu beachten ist aber jeweils Art. 32 CMR.
III. Bahn 1. Allgemeines Die Grundidee des internationalen Eisenbahnbeförderungsrechtes besteht darin, mehrere aufeinander folgende, grundsätzlich nur im nationalen Netz verkehrende Eisenbahnen ex lege zu einer Beförderungs- und Haftungsgemeinschaft zusammenzufassen. Historisch verfügt der Eisenbahnverkehr über das älteste Transporteinheitsrecht1. In Europa wurde bereits 1890 mit dem „Berner Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr“ eine internationale Konvention beschlossen, in der in vorausschauender Weise Revisionskonferenzen vorgesehen waren. Aus diesem Abkommen ging 1980 ein Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr, die COTIF2, hervor. Ziel der COTIF war die Schaffung eines für die Mitgliedstaaten internationalen Einheitsrechtes für die durchgehende internationale Beförderung von Personen und Gepäck auf der einen (CIV), und Gütern auf der anderen Seite (CIM). Zu den Mitgliedstaaten zählen die meisten europäischen sowie Mittelmeeranrainerstaaten3. Ausgelöst durch die Richtlinie 91/440/EWG des Rates wurde 1999 die COTIF 1980 durch die Generalversammlung der Zwischenstaatliche Organisation für den Eisenbahnverkehr (OTIF) in Vilnius grundlegend revidiert und hat inzwischen die ursprüngliche Fassung von 1980 abgelöst4. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass das EG-Recht grundsätzlich zwischen Betrieb der Infrastruktur und Erbringung der Eisenbahnbeförderungsleistung trennt, was nicht dem Prinzip der COTIF 1980 entsprach. Als weiteres Ergebnis ist im Protokoll vom 3.6.1999 betreffend die Änderungen des COTIF vom 9.5.1980 (Vilnius Protokoll 1999) geregelt, dass die OTIF nunmehr die einzige zwischenstaatliche Organisation für den Bereich des internationalen Eisenbahnverkehrs bildet. Inhaltlich ist die ER/CIM weitgehend mit der CMR harmonisiert worden. Die ER/CIM 1999 sind jetzt zwingend anwendbar für jeden Vertrag über die entgeltliche Güterbeförderung auf der Schiene, wenn der Versandort (Ort der Übergabe des Gutes) und Empfangsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen. Die Beschränkung auf die frühere Liste der Linien entfällt; der Transit über einen Nichtmitgliedstaat schadet nicht mehr. Die Beförderungs- und Tarifpflicht wurde – auch für gefährliche Güter – aufgehoben. Im Gegenzug wurde die RID eigene Anlage der COTIF 1999 und ist somit unabhängig vom Bestand eines CIM-Beförderungsvertrages zwingendes Recht. Da die Weiterent1 Bei Modernisierungen stehen nunmehr allerdings andere Regeln Modell: Mutz, Die Reform des internationalen Eisenbahntransportrechts im Lichte der CMR, in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 301 ff. 2 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (Convention relative aux transports internationaux ferroviaires – COTIF -); in Kraft seit dem 1.5.1985. 3 Aktuell haben die folgenden Länder das Übereinkommen ratifiziert und in Kraft gesetzt: Albanien, Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Irak, Iran, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Libanon, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Marokko, Mazedonien EJR, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Syrien, Tschechische Republik, Tunesien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich. 4 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr, in Deutschland in Kraft seit dem 1.7.2006. BGBl. II S. 827.
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Teil E Rz. 160
Transport
wicklung des Eisenbahnsektors eine klare Unterscheidung zwischen technischer Zulassung einerseits und dem Vertrag über die Verwendung von Wagen andererseits erfordert, wurden entsprechende Regelungen nunmehr in zwei weiteren Anhängen getroffen (CUV, ATMF). Die Trennung zwischen Betrieb der Infrastruktur und Erbringung der Eisenbahnbeförderungsleistung wird auch in den neuen „Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr“, CUI, berücksichtigt und regelt die vertraglichen Beziehungen zwischen Infrastrukturbetreiber und Beförderer einschließlich Haftung. 2. Internationales Privatrecht a) Internationales Einheitsrecht 160
Die COTIF regelt Zweck und Organisation der „Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr“, der OTIF1, sowie die Anwendungsbereiche der ER/CIV und ER/CIM. In ihren Anhängen A (ER/CIV), B (ER/CIM) und den weiteren Anhängen sind die eigentlichen materiell-rechtlichen Fragen geregelt. Als internationales Einheitsrecht setzt die COTIF mit ihren Anhängen vorrangig geltendes Recht (Art. 5 ER/CIM) und verdrängt sowohl Kollisionsrecht2 als auch nationales materielles Recht. Soweit Regelungslücken bleiben, ist über das jeweilige Kollisionsrecht die Rechtsordnung zu bestimmen, welche die offen gebliebenen materiellen Rechtsfragen löst.
161
Anhang A enthält die „Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Beförderung von Personen und Gepäck“ (ER/CIV3). Anhang B zur COTIF enthält die „Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern“ (ER/CIM4). Diese Regeln sind denen der CMR ähnlich5 und wie diese – da internationales Einheitsrecht – zwingend.
162
Die COTIF mit ihren Anhängen verwirklicht die Idee von der Beförderungs- und Haftungsgemeinschaft. Durch Übernahme des Gutes mit Frachtbrief, zu der die Eisenbahnen im Rahmen der Beförderungspflicht angehalten sind, treten diese nach Maßgabe dieses Frachtbriefes in den von der Ausgangsbahn abgeschlossenen Frachtvertrag ein, Art. 26 ER/CIM. Dasselbe Prinzip gilt auch für die Beförderung von Reisegepäck. Allerdings besteht bei der Haftung wegen Tötung und Verletzung von Passagieren keine derartige Solidarhaftung. In diesem Bereich haftet vielmehr nur diejenige Eisenbahn, welche die Linie betreibt, auf der sich der Unfall ereignet hat, Art. 26 § 5 ER/CIV. Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen auf die ER/CIM, also die Güterbeförderung.
1 OTIF „Organisation Intergouvernementale pour les Transports Internationaux Ferroviaires“ mit Rechtspersönlichkeit und Sitz in Bern; die Website http://www.otif.dewww.otif.de bietet eine Fülle aktueller Informationen und stellt wichtige Regelwerke im Volltext bereit. 2 Kollisionsrecht bezeichnet nationales Recht, welches im Konfliktfall bestimmt, welche Rechtsordnung im konkreten Fall eingreift, EGBGB. Anknüpfungspunkte können der Parteiwille, Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Handlungsort u.a. sein. 3 Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des voyageurs et des bagages. 4 Convention internationale concernant le transport des marchandises par chemin de fer (CIM). 5 S. Rz. 55 ff.; aber Achtung: Die Regeln stimmen nicht überein; es ist erst eine Annäherung erfolgt. Die COTIF 1999 übernimmt weitaus mehr Parallelen aus der CMR.
432 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 169 Teil E
b) Grundlegende Regelungen der ER/CIM aa) Anwendungsbereich Die ER/CIM ist bei kumulativem Vorliegen der folgenden Voraussetzungen anwendbar: – Gütersendungen per Bahn – Gebiet mindestens zweier Mitgliedstaaten berührt – Über die Beförderung soll ein einheitlicher Frachtbrief ausgestellt werden. Das Fehlen eines solchen einheitlichen Frachtbriefes berührt aber, anders als nach alter Rechtslage, nicht die Wirksamkeit des Frachtvertrages (Art. 6 § 2 ER/CIM).
163
bb) Vertragsschluss Der Frachtvertrag nach ER/CIM ist ein Konsensualvertrag. Der Inhalt soll in einem Frachtbrief festgehalten werden, dessen Inhalt in Art. 7 ER/CIM aufgelistet ist. Der Frachtbrief erbringt gemäß Art. 12 § 1 Beweis über Abschluss und Inhalt des Frachtvertrages sowie die übernommenen Güter.
164
Nach Art. 6 § 6 ER/CIM ist für jede Sendung ein gesonderter Frachtbrief zu verwenden. Der Ausdruck „Sendung“ meint beförderungsrechtlich eine Einheit. Ein Frachtbrief darf daher nur die Ladung eines einzigen Wagens zum Gegenstand haben.
165
cc) Lieferfristen Die einzuhaltenden Lieferfristen regelt – wenn nicht anders zwischen den Parteien vereinbart – Art. 16 ER/CIM, wobei es Zuschlagsfristen für besondere, in § 3 aufgezählte Fälle gibt. Frachtgut kann danach als Stückgut oder als Wagenladung transportiert werden, wobei bei Wagenladungen die – in jedem Falle nur einmal zu berechnende – maximale Abfertigungsfrist mit zwölf Stunden deutlich kürzer ist als bei Stückgut (24 Stunden).
166
dd) Ablieferung des Gutes Das Ende des Obhutzeitraums des Beförderers wird durch die Ablieferung bestimmt (Art. 17 ER/CIM). Sie wird als die tatsächliche und gewollte Aufgabe des Gewahrsams über das Gut mit zumindest stillschweigender Zustimmung des Empfängers verstanden. Die körperliche Entgegennahme durch den Empfänger ist nicht erforderlich, sofern er in die Lage versetzt wird, den Besitz zu übernehmen und seine Bereitwilligkeit hierzu „irgendwie zu erkennen gibt“1.
167
Der Frachtführer kann die Ablieferung des Gutes davon abhängig machen, dass der Empfänger sämtliche sich aus dem Beförderungsvertrag zu entnehmende Forderungen zahlt. Die Übergabe an die empfangende Zoll- oder Steuerverwaltung oder eine Einlagerung kann für eine wirksame Ablieferung ausreichen, Art. 17 § 2 ER/CIM.
168
Umgekehrt kann der Empfänger die Annahme des Gutes solange verweigern, bis seinem Verlangen auf Feststellung eines behaupteten Schadens Folge geleistet wird (Art. 17 § 4 ER/CIM). Diese Regel wird ergänzt durch Art. 42 ER/CIM, der den Frachtführer zu einer „Tatbestandsaufnahme“ von Schäden, möglichst in Gegenwart des Berechtigten, verpflichtet. Hintergrund dieser Regelung ist neben der Beweissicherung, dass ansonsten gemäß Art. 47 § 1 ER/CIM alle Ansprüche gegen die Eisenbahn aus
169
1 BGH v. 14.2.1963 – II ZR 19/61, MDR 1963, 744. Der Begriff der Ablieferung des Art. 28 ER/CIM deckt sich mit dem des § 75 EVO. Dazu: Dubischar, S. 72; Mutz in MünchKomm/HGB, Art. 28 CIM Rz. 1.
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Bürskens 433
Teil E Rz. 170
Transport
dem Frachtvertrag wegen teilweisem Verlust, Beschädigung oder Überschreiten der Lieferzeit mit Annahme des Gutes erlöschen. Vor diesem Hintergrund wird die Wichtigkeit der „Tatbestandsaufnahme“ deutlich, da diese das Erlöschen von Schadensersatzansprüchen (Art. 47 ER/CIM) verhindert. ee) Haftung des Frachtführers 170
Die Haftung nach ER/CIM ist eine strenge Kausalhaftung mit Haftungsbefreiungsgründen. Art. 50–52 ER/CIM regeln den Rückgriff der beteiligten Beförderer untereinander. (1) Haftende Bahn
171
Die Eisenbahn, die das Gut zur Beförderung übernimmt (Versandbahn), haftet für die Ausführung der Beförderung auf der ganzen Strecke bis zur Ablieferung, Art. 23 § 1, 27 § 1 ER/CIM. Jede der Versandbahn folgende Bahn tritt mit Übernahme des Gutes samt Frachtbrief als Gesamtschuldner in den Frachtvertrag ein. Dies entspricht dem Grundsatz von der Haftungsgemeinschaft der Eisenbahnen.
172
Ansprüche auf Erstattung von Beträgen, die aufgrund des Frachtvertrages erhoben werden, können gegen die Eisenbahn geltend gemacht werden, die den Betrag erhoben hat oder zu deren Gunsten der Betrag erhoben worden ist, Art. 45 § 3 ER/CIM.
173
Sonstige Ansprüche aus dem Frachtvertrag (wie Verlust, Beschädigung, Überschreiten der Lieferzeit) können gegen die Versandbahn und die Empfangsbahn (als Gesamtschuldner) oder gegen diejenige Bahn gerichtlich geltend gemacht werden, auf deren Linien die den Anspruch begründenden Tatsachen eingetreten sind. Für die Empfangsbahn gilt dies selbst dann, wenn sie das Gut und den Frachtbrief gar nicht erhalten hat, Art. 45 § 2. Hat der Kläger allerdings einmal gegen eine Eisenbahn Klage erhoben, erlischt sein Wahlrecht, Art. 45 § 7 ER/CIM. (2) Haftungsgründe
174
Anspruchsgrundlage für die Haftung des Frachtführers bei Verlust (Verlustvermutung gemäß Art. 29 ER/CIM, wenn das Gut nicht 30 Tage nach Ablauf der Lieferfrist dem Empfänger abgeliefert/bereitgestellt wurde), Beschädigung, oder Überschreiten der Lieferzeit sind die Art. 23, 30 ff. ER/CIM1. Zusätzlich führt Art. 38 ER/CIM eine Regelung zur Haftung im Eisenbahn-Seeverkehr ein und Art. 39 regelt die Haftungslage bei Nuklearunfällen. Wie bei der CMR teilen die ER/CIM die Liste der Haftungsausschlussgründe in bevorrechtigte und nicht bevorrechtigte ein:
175
Nicht bevorrechtigte Haftungsauschlussgründe sind gemäß Art. 23 § 2 ER/CIM das Verschulden des Berechtigten, insbesondere bei Weisungen des Berechtigten, besondere Mängel des Gutes (wie innerer Verderb, Schwund) und unvermeidbare Umstände, d.h. höhere Gewalt. Als höhere Gewalt kommen solche Ereignisse infrage, die mit dem Eisenbahnbetrieb nicht zusammenhängen und für die mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln keine Vorkehrungen zur Vermeidung getroffen werden konnten2. Vollständige Unvorhersehbarkeit wird nicht gefordert3. So liegt höhere Gewalt etwa dann vor, wenn 1 Eine Synopse der Haftungsvorschriften mit denen anderer internationaler Transportrechtsabkommen und der EVO findet sich bei Basedow, S. 402 f. 2 BGH v. 28.2.1956 – I ZR 59/54, VersR 1956, 278; Dubischar, S. 73; Mutz in MünchKomm/HGB, Art. 36 CIM Rz. 10. International ist der Begriff der höheren Gewalt (force majeure) sehr umstritten. Dazu: Mutz, ibd.; Nanassy, S. 531; Wick, Art. 27 CIM i.d.F. von 1970, Anm. 15; Rodière, Nr. 542. 3 Mutz in MünchKomm/HGB, Art. 36 CIM Rz. 10; Rodière, Nr. 542.
434 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 180 Teil E
der Schaden auf Naturereignisse (z.B. Erdrutsch) oder Attentate zurückgeht oder auch wenn ein auf den Gleisen abgestellter Waggon nachts in Brand gesteckt wird. Die Haftung bei Nuklearunfällen wird in Art. 39 separat behandelt. Bei nicht bevorrechtigten Haftungsausschlussgründen muss der Frachtführer das vollständige Vorliegen der Voraussetzungen darlegen und beweisen. Bevorrechtigte Haftungsausschlussgründe, die so genannten „Sondergefahren“ sind in Art. 23 § 3 lit. a bis g ER/CIM aufgeführt. Hier ist die Beweislast des Frachtführers nach Art. 23 § 3, Art. 25 § 2 ER/CIM erleichtert. Der Frachtführer muss nur die Voraussetzungen der „Sondergefahr“ darlegen und beweisen. Sodann wird vermutet, dass der Schaden aufgrund der „Sondergefahr“ eingetreten ist. Solange nur die Möglichkeit besteht, dass der Schaden durch eine dieser „Sondergefahren“ herbeigeführt wurde, haftet der Frachtführer also nicht. Allerdings bleibt dem Berechtigten der Gegenbeweis zugänglich. Eine begrenzte Rückausnahme bei Transporten in offenen Wagen etabliert Art. 25 § 3 ER/CIM.
176
Zusätzlich statuiert Art. 31 ER/CIM einen gesetzlichen Haftungstatbestand für Verlust bei natürlichem Schwund. Dem Berechtigten bleibt der Gegenbeweis, dass der Schwund auf anderen Ursachen beruhte, zugänglich. Bei gänzlichem Verlust wird aber bei der Berechnung der Entschädigung kein Abzug für natürlichen Schwund vorgenommen, Art. 31 § 5 ER/CIM.
177
ff) Umfang der Haftung Basis für die Haftung des Beförderers bei gänzlichem oder teilweisen Verlust ist der Wert der Ware am Übernahmeort, allerdings mit einer gewichtsmäßigen Begrenzung auf 17 SZR pro Kilogramm, Art. 30 § 2 ER/CIM1. Darüber hinaus hat die Bahn sämtliche aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes gezahlten Beträge (Zölle, Fracht, Verbrauchsabgaben) zu erstatten. Bei Teilverlust sind zumindest die anteiligen Beförderungskosten zurückzuerstatten („aus Anlass der Beförderung des verlorenen Gutes gezahlte Beträge“).
178
Bei Beschädigung ist die Wertminderung am Bestimmungsort zu ersetzen, wobei die Obergrenze der Betrag ist, der bei Verlust zu zahlen wäre, Art. 32 ER/CIM. Bei Lieferfristüberschreitungen wird nach Art. 33 § 1 ER/CIM bis maximal zur vierfachen Höhe der Fracht gehaftet. Allerdings können die oben genannten Haftungshöchstgrenzen angehoben werden: Art. 34, 35 ER/CIM eröffnet die Möglichkeit der Deklaration eines Wertes und eines Interesses an der Lieferung mit daraus folgender unbeschränkter Haftung auf das deklarierte Interesse. Bei Vorsatz und bewusster Leichtfertigkeit besteht unbeschränkte Haftung nach Art. 36 ER/CIM2.
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gg) Verjährung Die Verjährung der Ansprüche aus dem Frachtvertrag beträgt nach Art. 48 § 1 ER/CIM grundsätzlich ein Jahr. Ansprüche auf Auszahlung einer Nachnahme, auf Auszahlung des Erlöses eines vom Beförderer vorgenommenen Verkaufs sowie Ansprüche wegen Schäden, die auf Vorsatz oder bewusster Leichtfertigkeit beruhen, verjähren in zwei Jahren. Die Verjährung beginnt bei vollständigem Verlust mit dem 30. Tag nach Ablauf der Lieferfrist bzw. bei teilweisem Verlust, Beschädigung und Überschreiten der Liefer1 Ein SZR entspricht circa 1,27 Euro (Stand 3.8.2015), aktueller Kurs ist abrufbar unter: http:// www.imf.org. 2 Vgl. § 435 dtHGB. Die bewusste Leichtfertigkeit ähnelt zwar der groben Fahrlässigkeit, doch können im Einzelfall strengere Anforderungen zu stellen sein.
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Bürskens 435
180
Teil E Rz. 181
Transport
frist mit dem Tag der Ablieferung (des Restes), Art. 48 § 2 ER/CIM. Bei der Fristberechnung wird der als Beginn der Verjährung bezeichnete Tag nicht mitgerechnet (also eine Fristberechnung entsprechend § 187 Abs. 1 BGB). 181
Gemäß Art. 48 § 3 ER/CIM wird der Ablauf der Verjährung durch die erste Schadensanzeige beim Beförderer bis zur schriftlichen Entscheidung darüber gehemmt. Für sonstige Fragen der Hemmung und Unterbrechung gilt nationales Recht.
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Das Frachtbriefdoppel dient bei der Geltendmachung von Ansprüchen als Beweismittel; seine Vorlage ist aber vorbehaltlich Art. 44 § 5 ER/CIM nicht Anspruchs- oder Klagevoraussetzung. hh) Prozessuales
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Die prozessualen Fragen der Aktiv- bzw. Passivlegitimation sowie des Gerichtsstandes sind in den Art. 44 bis 46 ER/CIM geregelt. Der Absender hat zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche das Frachtbriefdoppel vorzulegen. Anderenfalls muss er die Zustimmung des Empfängers zur Klage bzw. dessen Annahmeverweigerung nachweisen. Der Gerichtsstand richtet sich entweder nach der Parteivereinbarung (im Rahmen der Mitgliedsstaaten) oder es sind die Gerichte des Sitzes des Beförderers bzw. der Geschäftsstelle, durch welche der Beförderungsvertrag zustande kam zuständig, alternativ die Gerichte des Ortes der Übernahme oder der (vorgesehenen) Ablieferung, Art. 46 ER/CIM. c) Anlagen zum ER/CIM
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Als einheitliche Rechtsvorschriften gelten neben den ER/CIM und ER/CIV und weiteren, in Art. 6 COTIF Bezug genommenen Anlagen (RID, CUV, CUI, APTU, ATMF) auch noch einige Anlagen der COTIF 1980 fort – soweit diese nicht in der COTIF 1999 neu geregelt wurden (wie beispielsweise die jetzt als Anlage C zur unmittelbaren Anlage der COTIF gemachte Anlage RID). Die in der transportrechtlichen Praxis wichtigsten dieser Anlagen sind: – RID1 (Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter) als Anhang C der COTIF. – IP2 (Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung von Privatwagen) als Anlage II zum Anhang B der COTIF 19803. – RICo4 (Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung von Containern) als Anlage III zum Anhang B der COTIF 1980. – RIEx5 (Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung von Expreßgut) als Anlage IV zum Anhang B der COTIF 1980. d) Technische Normen und Vorschriften
185
Die technischen Zulassungen von Eisenbahnfahrzeugen und die Verbindlichkeitserklärung technischer Normen für Eisenbahnmaterial sind in vielen Staaten uneinge1 Règlement international concernant le transport des marchandises dangereux par chemin de fer; Volltext abrufbar unter www.otif.org/Übereinkommen/COTIFlang 1980 Anlagen. 2 RID: Règlement concernant le transport international ferroviaire des wagons de particulières; Volltext abrufbar unter www.otif.org/Übereinkommen/COTIFlang 1980 Anlagen. 3 RIP, RICo und RIEx sind damit also Anlagen zur ER/CIM. 4 RICo: Règlement concernant le transport international ferroviaire des conteneurs; Volltext abrufbar unter www.otif.org/Übereinkommen/COTIFlang 1980 Anlagen. 5 RIEx: Règlement concernant le transport international ferroviaire des colis express; Volltext abrufbar unter www.otif.org/Übereinkommen/COTIFlang 1980 Anlagen.
436 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 191 Teil E
schränkt den Eisenbahnunternehmen überlassen. Die Ausarbeitung technischer Normen erfolgt weitgehend in nichtstaatlichen Normungsinstituten wie dem „Europäischen Komitee für technische Normung“ (CEN), dem „Europäischen Komitee für elektrotechnische Normung“ (CENELEC) und dem „Europäischen Institut für Telekommunikationsnormung“ (ETSI) unter Beteiligung der Eisenbahnverkehrsunternehmen, der Infrastrukturbetreiber und der Hersteller von Eisenbahnmaterialien (wie Internationaler Eisenbahnverband – UIC, Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen – OSShD, Verband der europäischen Eisenbahnindustrie – UNIFE). aa) Internationales Recht Für die Verbindlichkeitserklärung technischer Normen und die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften hat die OTIF „Einheitliche Rechtsvorschriften“ (APTU)1 entwickelt, Diese gehen den zuvor international maßgeblichen Regelungen „Technische Einheit im Eisenbahnwesen“ vor, Art. 11 § 1 APTU.
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bb) EG-Recht Im Bereich des Rechtes der Europäischen Gemeinschaften wurden einheitliche technische Vorschriften ursprünglich in der Richtlinie 96/48/EG vom 23.7.1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems .festgelegt Es ist offensichtlich, dass zur Schaffung eines sicheren durchgehenden Verkehr nötig ist, technische Details wie Spurweite, Stromsysteme und Fahrzeugbegrenzungslinien einheitlichen Normen und Verfahren zu unterwerfen. Die Richtlinie 2001/16/EG dehnte den Anwendungsbereich auch auf das konventionelle Eisenbahnsystem aus, beide Richtlinien wurden dann durch die Richtlinie 2008/57/EG abgelöst.
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3. Materiellrechtliche Besonderheiten Das CIM als internationales Einheitsrecht regelt den Frachtvertrag ohne Rückgriff auf nationales Recht. Daher muss bei der Auslegung zunächst auf die Entstehungsgeschichte, den Gesamtzusammenhang und Zweck der Vereinheitlichungsvorschriften zurückgegriffen werden. Nationale Rechtsvorstellungen müssen dahinter zurücktreten. Auch auf die Rechtsprechung in anderen, den einheitlichen Rechtsvorschriften angehörigen Staaten kann und muss zurückgegriffen werden2. Nur soweit die ER/CIM keine Regelungen treffen, muss über das Kollisionsrecht das nationale Recht die Lücken schließen.
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a) Deutschland Wichtigste Rechtsquelle für den Gütertransport im deutschen Recht ist seit dem Transportrechtsreformgesetz (TRG) vom 1.7.1998 das Handelsgesetzbuch (HGB). Durch das TRG wurde auch das Güterverkehrsrecht der Bahn neu gefasst. Der Bereich wurde aus der EVO komplett ausgegliedert und in die §§ 407–449 sowie 452–452d dtHGB aufgenommen.
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Der Bereich „Personen und Gepäck“ wird im Wesentlichen durch die Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) vom 8.9.1938, in der Fassung vom 30.4.1999 geregelt.
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Ihr Anwendungsbereich betrifft Personen und Gepäck auf allen dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen in der Bundesrepublik Deutschland, soweit nicht die Ver-
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1 Einheitliche Rechtsvorschriften für die Verbindlichkeitserklärung technischer Normen und für die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Eisenbahnmaterial, das zur Verwendung im internationalen Verkehr bestimmt ist, APTU. 2 Vgl. Müglich in Transport- und Logistikrecht, 2002, S. 138.
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Bürskens 437
Teil E Rz. 192
Transport
ordnung (EG) Nr. 1371/2007 vom 23.10.2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr oder das COTIF nebst Anlagen Anwendung finden. Ergänzend gelten die Ausführungs- und Tarifbestimmungen der beteiligten Verkehrsträger. b) Österreich 192
Das österreichische UGB regelt im sechsten Abschnitt, §§ 425 ff., das Frachtgeschäft. Frachtführer ist danach, wer es gewerbsmäßig übernimmt, die Beförderung von Gütern zu Lande oder auf Flüssen oder sonstigen Binnengewässern auszuführen. In den Regelungsumfang mit eingeschlossen ist auch die Beförderung per Eisenbahn. c) Schweiz
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Frachtverträge im nationalen Eisenbahnverkehr werden in der Schweiz durch das Bundesgesetz über den Gütertransport von Bahn- und Schifffahrtsunternehmen vom 9.12. 2008 (Gütertransportgesetz, SR 742.41) geregelt1. Art. 10 (nach der Revision des Gütertransportgesetzes Art. 20) verweist dabei integral auf die Vorschriften der CIM, die somit kraft dieser Bestimmung auch als nationales Recht gelten. Lediglich in Bezug auf die Lieferfristen hat der Bundesrat im Rahmen seiner Verordnungskompetenz für die nationalen Transporte abweichende Vorschriften erlassen2. Nicht geregelt ist, welche Vorschriften zur Anwendung kommen, wenn weder das Gütertransportgesetz noch die Gütertransportverordnung eine Regelung bereithalten. Es ist davon auszugehen, dass in einem solchen Fall die allgemeinen frachtvertraglichen Regeln des OR Anwendung finden, womit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann. 4. Checkliste – Anwendbares Recht
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Das internationale Eisenbahnrecht wird im Wesentlichen durch die COTIF und die Anhänge ER/CIM (für den Gütertransport) und ER/CIV (für Personen- und Gepäckförderung) geregelt. Weiter sind zu beachten die Anlagen zu COTIF 1999 (insbesondere RID) sowie RID, RIP, RICo, RIEx, die ebenfalls international gültiges Recht darstellen. Im nationalen Recht gilt in Deutschland das HGB. – Vertragsschluss
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Der Frachtvertrag nach ER/CIM ist Konsensualvertrag. d.h. der Vertrag kommt bereits mit der Willenseinigung der Parteien zustande3. – Haftung des Frachtführers
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Die Eisenbahn, die das Gut zur Beförderung übernimmt (Versandbahn), haftet für die Ausführung der Beförderung auf der ganzen Strecke bis zur Ablieferung, Art. 23, Art. 27 § 1 ER/CIM. Jede der Versandbahn folgende Bahn tritt mit Übernahme des Gutes samt Frachtbrief als Gesamtschuldner in den Frachtvertrag ein. Haftungsausschlussgründe werden in bevorrechtigte (bei diesen ist die Beweislast des Frachtführers nach Art. 23 § 3, Art. 25 § 2 ER/CIM erleichtert) und nicht bevorrechtigte (dies sind absolute Ausschlussgründe wie Verschulden des Berechtigten oder höhere Gewalt) eingeteilt. 1 Das Gütertransportgesetz befindet sich zurzeit in Revision. Am 19.3.2015 hat der Nationalrat als Erstrat das revidierte Gesetz verabschiedet. Es ist damit zu rechnen, dass noch im Verlaufe dieses Jahres auch der Ständerat als Zweitrat über die Revision befinden wird, so dass in Kürze mit einem Inkrafttreten zu rechnen ist. Art. 10 (neu Art. 20), der vom Güterbeförderungsvertrag handelt, soll in der Revision nicht abgeändert werden (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision des Gütertransportgesetzes, BBl 2014 3827, S. 105). 2 Verordnung über den Gütertransport von Bahn- und Schifffahrtsunternehmen (SR 742.411). 3 Palandt/Heinrichs, 68. Aufl., Vor § 305 Rz. 9.
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Transportverträge
Rz. 200 Teil E
– Übersicht über wesentliche Anspruchsgrundlagen gegen den Beförderer: – Art. 15 § 3 bei Verlust/Fehlverwendung von zoll-/verwaltungsbehördlichen Papieren – Art. 26 § 2 bei Erfüllung verwaltungsbehördlicher Vorschriften – Art. 19 § 6 bei mangelhafter oder unterbliebener Ausführung nachträglicher Verfügungen – Art. 19 § 7 bei Ausführung nachträglicher Verfügungen des Absenders ohne Vorlage des Frachtbriefdoppels – Art. 30 bei Verlust des Frachtgutes – Art. 32 bei Beschädigung des Frachtgutes – Art. 33 bei Überschreiten der Lieferzeit – Technische Normen
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Internationale verbindliche technische Normen enthält insbesondere die ER/APTU sowie für den Bereich der EU die Richtlinie 2008/57/EG.
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IV. Luft 1. Allgemeines Im internationalen Lufttransportrecht existiert rund um das sogenannte „Warschauer System“ und das in der Praxis vorrangige, am 4.11.2003 in Kraft getretene Montrealer Übereinkommen ein ganzes Gefüge von internationalen Abkommen. Im Hinblick auf den Passagiertransport sind darüber hinaus Überlagerungen des Einheits- und des nationalen Rechts durch Vereinbarungen zwischen staatlichen Behörden (z.B. der US-Zivilluftfahrtbehörde) und Fluggesellschaften oder deren Dachgesellschaften (IATA), Vereinbarungen zwischen den Fluggesellschaften und ihrem Dachverband IATA zugunsten von Passagieren in Form der „Inter Carrier Agreements“ sowie EU-Verordnungen (hinsichtlich speziellen Fragen des Luftverkehrs und der Haftung gegenüber Flugpassagieren) zu beachten. Wegen der Rechtslage zum Passagiertransport wird auf die Literaturübersicht zu Beginn dieses Teils, dort Passagiertransport, verwiesen.
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Nachfolgend wird das Luftfrachtrecht behandelt. 2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Luftfrachtrecht („Warschauer System“ seit 1929; Montrealer Übereinkommen) aa) Überblick und Anwendungsbereich Die gegenwärtigen Regeln über den internationalen Lufttransportvertrag sind in einem ganzen System völkerrechtlicher Instrumente niedergelegt: – Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (WA 1929)1; – Haager Protokoll von 1955 zur Änderung des WA 1929 (HP)2; 1 Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, abgeschlossen in Warschau am 12.10.1929 (RGBl. II 1933, 1041). 2 Protokoll zur Änderung des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, unterzeichnet in Warschau am 12.10.1929, abgeschlossen in Den Haag am 28.9.1955 (BGBl. II 1958, 291).
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Teil E Rz. 201
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– Zusatzabkommen von Guadalajara zum Warschauer Abkommen (ZAG)1; – Zusatzprotokoll von Guatemala (GP – nicht in Kraft)2; – Montrealer Zusatzprotokolle Nr. 1 bis 4 (MP Nr. 1, 2 und 4 in Kraft, Nr. 3 nicht in Kraft)3. – Montrealer Übereinkommen (MÜ – seit 4.11.2003 in Kraft, für die EU seit dem 28.6. 2004, für die Schweiz seit dem 5.9.2005)4. 201
Auch wenn das Warschauer Haftungssystem immer wieder als kompliziert und völlig zersplittert kritisiert wurde, hat es im internationalen Luftverkehr über fast 70 Jahre in rund 150 Staaten internationale Anwendung gefunden. Es ist jedoch inzwischen ganz überwiegend von dem Übereinkommen über die Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr („Montrealer Übereinkommen“) vom 28.5.1999 abgelöst worden. Dieses Übereinkommen hat das Warschauer Haftungssystem novelliert und die Rechtslage vor allem im Hinblick auf die Haftung des Luftbeförderers den Bedürfnissen des modernen Luftverkehrs angepasst. Das In-Kraft-Treten des Übereinkommens für die EU erfolgte durch die Ratifizierung vom 29.4.2004 noch vor Beitritt der neuen Mitgliedstaaten. Für die bisherigen Staaten der EU (Stand 29.4.2004) trat das Abkommen daher am 28.6.2004 in Kraft, für alle weiteren erst nach Ratifizierung. Das Übereinkommen brachte zum Teil erhebliche und durchaus umstrittene Änderungen gegenüber dem Warschauer Haftungssystem. Das MÜ ersetzt zwar nicht das Warschauer System, geht aber diesem bei konkurrierender Anwendung vor5. 1 Zusatzabkommen zum Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr über die von einem anderen als den vertraglichen Luftfrachtführer ausgeführte Beförderung im internationalen Luftverkehr, abgeschlossen in Guadalajara am 18.9.1961 (BGBl. II 1963, 1159). 2 Zusatzprotokoll von Guatemala v. 8.3.1971: Protocol to Amend the Convention for the Unification of Certain Rules Relating to International Carriage by Air Signed at Warsaw on 12 October 1929 as Amended by the Protocol Done at The Hague on 28 September 1955, Signed at Guatemala City on 8 March 1971, ICAO Doc. 8932. Der Text ist außerdem abgedr. in AASL 18-II (1993) 409–433. Das Abkommen betrifft lediglich den Passagiertransport. 3 Montrealer Zusatzprotokolle v. 25.9.1975: Protocols no.s 1–4 to Amend the Convention for the Unification of Certain Rules Relating to the International Carriage by Air Signed at Warsaw on 12 October 1929, Signed at Montreal on 259.1975, ICAO Doc.s 9145–9148. Der Text ist außerdem abgedr. in Giemulla/Schmid, WA, Anh. II-3 bis 6 und in AASL 18-II (1993) 435–515. 4 Stand 15.4.2004, s. Fn. zu Rz. 5. 5 Benkö/Kadletz, Unfallhaftpflicht in Luftverkehrssachen, 2000, S. 97 ff.; dies. in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 2002, S. 720 ff.; Kadletz, Das neue Montrealer Übereinkommen vom 28.5.1999 über den internationalen Luftbeförderungsvertrag; Schmid/Müller-Rostin, In-Kraft-Treten des Montrealer Übereinkommens von 1999: Neues Haftungsregime für internationale Lufttransporte, NJW 2003, 3516 ff.; Ruhwedel, Das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999, TranspR 2001, 189 ff.; Bin Cheng, The Labyrinth of the Law of International Carriage by Air – Has the Montreal Convention 1999 Slain the Minotaur? ZLW 50 (2001), 155 ff.; ders., The 1999 Montreal Convention on International Carriage by Air Concluded on the Seventieth Anniversary of the 1929 Warsaw Convention, Part I and II, ZLW 49 (2000), 287 ff. und 484 ff.; Gran, Das Dilemma bei der Vereinheitlichung des internationalen Luftverkehrsrechts, TranspR 2004, 72 ff.; Littger/Kirsch, Die Haftung im internationalen Luftverkehr nach In-Kraft-Treten des Montrealer Übereinkommens, ZLW 52 (2003), 563 ff.; Schollmeyer, Die Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr zwischen Warschau, Montreal und Brüssel, IPRax 2004, 78 ff.; Milde, The Warsaw System of Liability in International Carriage by Air: History, Merits and flaws and the New „Non-Warsaw“ Convention of 28 May 1999, AASL 24 (1999), 155; MüllerRostin, Die internationale Luftprivatrechtskonferenz zur Reform des Warschauer Abkommens (28.5.1999), ZLW 49 (2000), 36; Weber, The Modernization and Consolidation of the Warsaw System on Air Carrier Liability: The Montreal Convention of 1999, in Benkö/Kröll, Luft- und Weltraumrecht im 21. Jahrhundert – FS Karl-Heinz Böckstiegel, 2001, S. 247 ff.; Weber/Jacob, The Modernization of the Warsaw System: The Montreal Convention of 1999, AASL 24 (1999), 333; Bollweg, Montrealer Übereinkommen – Rückblick – Überblick – Ausblick, ZLW 49 (2000), 439 ff. sowie die Website von von Elm, www.luftrecht-online.de. Speziell die frachtrechtlichen
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Transportverträge
Rz. 202 Teil E
Das WA 1929 ist anwendbar, wenn der Staat des frachtvertraglichen Abgangs- und der des Bestimmungsortes dem WA 1929 beigetreten sind. Das WA 1929 ist ebenfalls anwendbar, wenn nur einer der Abkommensstaaten das HP ratifiziert hat, sofern beide Staaten dem WA 1929 beigetreten sind. Diese Konstellation ist häufig, da etwa die USA das HP aus politischen Gründen1 nicht ratifiziert haben. Das WA/HP, das ZAG und die MP Nr. 1, 2 und 4 sind jeweils nur dann anwendbar, wenn ihnen beide Staaten beigetreten sind2. Auf eine Beförderung zwischen Vertrags- und einem Nichtvertragsstaat (z.B. Thailand, Bahrain) ist das WA daher nicht anwendbar3. Für den Fall einer Beförderung von Deutschland nach Taiwan hatte ein deutsches Landgericht das WA nicht angewendet, weil Taiwan dem WA nicht beigetreten sei4. Der Grund für die deutlich unterschiedliche Praxis etwa amerikanischer Gerichte5 liegt in ihrer Bindung an die völkerrechtliche Anerkennung durch die Exekutive, während deutsche und österreichische Gerichte unabhängig über die Staatseigenschaft entscheiden6. Liegt die Staateneigenschaft nicht auf der Hand, wie insbesondere im Falle Taiwans, so muss der Richter allerdings begründet und zutreffend Stellung beziehen, zu welchem Staat das entsprechende Territorium völkerrechtlich gehört und wie dies im Sinne des WA einzuordnen ist. Mindestens daran fehlte es mit der erforderlichen Gründlichkeit bei der immer wieder zitierten landgerichtlichen Entscheidung. Ist eine Partei dem WA 1929 (z.B. USA) und die andere nur dem HP (nicht auch ausdrücklich dem WA 1929, so z.B. Singapur, Korea) beigetreten, ist nach richtiger Auffassung das „Warschauer System“ mangels völkervertragsrechtlicher Basis nicht anwendbar7. Liegen Abgangs- und
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Regelungen sind vergleichend dargestellt bei Diederiks-Verschoor, Current Practice and Developments in Air Cargo: Comparison of the Warsaw Convention 1929 and Montreal Convention 1999, in Benkö/Kröll, Luft- und Weltraumrecht im 21. Jahrhundert – FS Karl-Heinz Böckstiegel, 2001, S. 26 ff.; daneben Harms/Schuler-Harms, Die Haftung des Luftfrachtführers nach dem Montrealer Übereinkommen, TranspR 2003, 369 ff. Matte, AASL 8 (1983) 151, 154–156; Müller-Rostin, TranspR 1989, 408. So auch trotz mehrdeutiger Wortwahl Benkö/Kadletz, Unfallhaftpflicht in Luftverkehrssachen, 2000, S. 59; eindeutig hingegen dies. in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 2002, Kap. 19: Luftverkehr Rz. 91. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem WA 1929, dem HP und dem ZAG beigetreten. Listen der Vertragsstaaten bei Benkö/Kadletz, Unfallhaftpflicht in Luftverkehrssachen, Anh. I – 2.3 (S. 164 ff.); Koller, Transportrecht, Art. 1 WA Rz. 11; Giemulla/Schmid, Anh. I-10. OLG Frankfurt v. 10.7.1979 – 5 U 146/77, ZLW 29 (1980), 77 (Deutschland-Bahrain); OLG Köln v. 5.5.1982 – 24 U 148/81, ZLW 31 (1982), 401 (Brasilien-Bolivien); Trib.civ. Genève (8.3.1955) RFDA 1955, 335 (Schweiz-Türkei). Abweichend und gegen den Wortlaut des Art. 1 WA Trib. Napoli (23.4.1983, no. 2850, Fratelli Martinez c. Thai Airways) Air Law 14 (1989), 213, nach dem es für die Anwendung des WA ausreichen soll, dass entweder Abgangs- oder Zielland dem WA beigetreten sind. LG Mönchengladbach v. 24.2.1988 – 9 O 58/87, TranspR 1988, 283; dem folgen Mankowski in Reithmann/Martiny, Rz. 1473 f.; Giemulla in Frankfurter Kommentar, Art. 1 WA Rz. 25; auch (ohne die deutsche Entscheidung zu kennen) die taiwanische Autorin Lu, AASL 22-II (1997), 175, 181. An einer tragfähigen Grundlage fehlt es für diese Argumentation allerdings; vgl. daher die Kritik bei Kadletz, AASL 23-I (1998). In Atlantic Mutual Ins. v. Northwest Airlines, 96 F.Supp. 18 = 24 CCH Avi. 17,122 (E.D. Wisc. 1992) wurde das WA auf eine Beförderung von Milwaukee nach Taipeh angewandt, weil die VR China das WA ratifiziert habe. Ähnlich bereits Lee v. China Airlines, 669 F. Supp. 979 (C.D. Cal. 1987). Seidl-Hohenveldern, Rz. 668–673; McDougal/Reismann, S. 326–328, 386–392; Kadletz, AASL 23-I (1998). Die polemische Kritik von Lu, AASL 22-II (1997), 175, 181 f. übersieht diese Zusammenhänge und kann nicht überzeugen. Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 11; Shawcross & Beaumont I, ch. 24, VII (11); Bin Cheng, ZLW 38 (1989), 319, 327; Benkö/Kadletz in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 2002, Kap. 19: Luftverkehr, Rz. 91. Die Gegenansicht verkennt, dass keine Verbindung zwischen dem WA 1929 und dem isolierten HP besteht (Art. XXI Abs. 2; XXIII Abs. 2 HP). Insbesondere führt ein Beitritt zum HP nicht automatisch zur Ratifizierung des WA 1929, und zentrale Haftungsvorschriften werden durch das isoliert ratifizierte HP gar nicht zur Anwendung gebracht. Dennoch vertreten die Gegenauffassung immerhin trotz Kritik: In re Korean Airlines Disaster of September 1, 1983, 932 F.2d 1475 (D.C.Cir. 1991); der US Supreme Court hat diese Frage in Zicherman v. KAL, 116 S. Ct. 629 = AASL 21-II (1996), 449 m. Anm. Harakas, AASL 21-II (1996),
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Teil E Rz. 203
Transport
Bestimmungsort in demselben Vertragsstaat, so ist das WA anwendbar, wenn der Vertrag einen Zwischenstopp in einem anderen Staat vorsieht („Rundreise“); so insbes. bei vertraglich vereinbartem Hin- und Rücktransport, was im Frachtbereich eher selten der Fall sein wird. Das MÜ findet genauso wie das WA Anwendung, wenn der Luftfrachttransport zwischen zwei Mitgliedstaaten des Übereinkommens durchgeführt wird. Hat der Absender- oder Empfängerstaat das Übereinkommen noch nicht ratifiziert, so sind die einzelnen Abkommen und Protokolle des Warschauer Systems wie oben beschrieben anzuwenden – natürlich unter der Voraussetzung, dass beide Staaten Mitglieder des Warschauer Abkommens oder Haager Protokolls sind. 203
Soweit weder MÜ noch das „Warschauer Haftungssystem“ Anwendung finden, unterliegt der Lufttransportvertrag dem Vertragsstatut. Die nicht durch Vertrag oder das jeweils anwendbare Abkommen vereinheitlichten Aspekte richten sich nach dem ergänzend anzuwendenden einzelstaatlichen Recht. Die kollisionsrechtliche Anknüpfung ist allerdings nicht im WA, WA/HP geregelt; insbesondere kann aus den sporadischen Verweisungen auf die lex fori nicht auf eine allgemeine Regel geschlossen werden1. Rechtswahlklauseln unterliegen der Einschränkung des Art. 32 WA, wonach die im Vertrag getroffene Rechtswahl unwirksam ist, soweit sie von den zwingenden Bestimmungen des WA abweicht2. Nach dem Eintritt eines Schadens ist die Rechtswahl nach Art. 32 WA bzw. Art. 49 MÜ jedoch zwischen den Parteien uneingeschränkt zulässig.
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Umfangreiche Regelungen enthalten auch die IATA-Standardbedingungen, die als AGB Eingang in den Frachtvertrag finden können3. Die Tatsache, dass diese Bedingungen oftmals nur in englischer Sprache abgedruckt sind, hindert ihre Geltung auch bei deutschen Vertragsparteien im Regelfalle nicht, wenn sie dem Vertragspartner äußerlich zugänglich gemacht werden4. bb) Beförderungsvertrag und Transportdokument
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Der Luftfrachtvertrag ist, wie der CMR-Frachtvertrag, ein Konsensualvertrag. Der Frachtbrief stellt ein widerlegliches Beweismittel für den Vertragsschluss und -inhalt
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321 ff.; ders., TAQ 1 (1996/97), 81 nicht entschieden; Hyosung (America) v. JAL, 19 CCH Avi. 18,034 (S. D.N.Y 1985); Mankiewicz, Liability Regime, S. 2; ders., Rev.gén.air 19 (1956) 239; de Juglart, Rz. 2542 f. und wohl auch Giemulla in Giemulla/Schmid, Einl. WA Rz. 28; MüllerRostin, TranspR 1989, 121 f. So in Art. 21, 22 Abs. 1, 24 Abs. 2, 25 Abs. 1, 28 Abs. 2, 29 Abs. 2 WA. Ausführlich dazu: Sand, ZLW 18 (1969), 205, 206–209; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 13; Giemulla in Giemulla/Schmid, Einl. WA Rz. 21; Kadletz, Conflicts, S. 77–82. A.A. LG Hamburg v. 6.4.1955 o.Az., ZLR 4 (1955), 226, 230 – SAS/Wucherpfennig m. insow. abl. Anm. Alex Meyer; Riese, Luftrecht, S. 397; Rabel, Conflict of Law, S. 316. Dazu: Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 15; Art. 32 WA Rz. 3 f.; Kadletz, AASL 22-I (1997), 217, 222 f. Die IATA-Standardbedingungen regeln die Rechtsverhältnisse der am Transportvertrag beteiligten Personen sehr umfassend. Abdr. bei Kronke in MünchKomm/HGB, WA, S. 2172 ff.; Giemulla/Schmid, WA, Anh. II-1a, 3. Diese Bedingungen unterliegen aber, soweit sie nicht auf dem WA beruhen (teilw. widersprachen sie diesen sogar: Alex Meyer, Urteilsamm., ZLR 7 [1955] 232 f.), der AGB-Inhaltskontrolle: BGH v. 20.1.1983 – VII ZR 105/81, NJW 1983, 1322 = AASL 8 (1983), 513–523 (Deutsche Lufthansa/Verbraucherschutzverein e.V.); Böckstiegel in FS Alex Meyer II, 1975, S. 55 ff.; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 9 AGBG Rz. F-68 bis F-101. Zur Reichweite der AGB-Regelungen auch Tai Ping Ins. v. Northwest, 25 CCH Avi. 17, 548 = Air Law 22 (1997), 101 Nr. 9 (der Vorbehalt, den Flugplan zu ändern, umfasst nicht das Recht, Zwischenstopps einzulegen, die nicht in den Luftfrachtbrief eingetragen wurden). AG Frankfurt a.M. v. 11.10.1996 – 21 C 1922/96–48, ZLW 46 (1997), 299 f. Der kanadische Supreme Court hat in dem Fall Montreal Trust v. Stampleman, 14 CCH Avi. 17,510 (1976) m. Anm. Magdelénat, AASL 2 (1977), 469 die Revision unter dem Aspekt, dass die deutsche Klägerin die englischen Beförderungsbedingungen der TWA mangels ausreichender Sprachkenntnis nicht verstanden habe, nicht zugelassen; Brief no. 878–9491 des Anwalts David Lack, Montréal, S. 4–9 (insow. unveröfftl.). Gilt dies bei Personenbeförderungen, so gilt es erst Recht im Frachtverkehr.
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Transportverträge
Rz. 209 Teil E
dar (Art. 11 WA). Seine Ausstellung ist jedoch nicht konstitutiv für den keiner zwingenden Form unterliegenden Vertrag (Art. 5 Art. 2 WA, Art. 9 MÜ). Das Fehlen des Frachtbriefes hat allerdings nach Art. 9 WA zur Folge, dass sich der Frachtführer nicht auf die Haftungsbeschränkung (Art. 22 WA) berufen kann. Nach dem MÜ kommt dem Frachtbrief ebenso wie der Empfangsbestätigung zwar ebenfalls Beweiskraft hinsichtlich des Vertragsschlusses, der Annahme der Güter und des Vertragsinhalts zu. Die Rechtsfolgen des Fehlens des Luftfrachtbriefes nach WA sind im Rahmen des MÜ jedoch weggefallen (Art. 9 MÜ). Da der Luftfrachtbrief nun ausdrücklich durch „andere Aufzeichnung“ ersetzt werden kann (Art. 4 MÜ), wurde die Sanktion der unbeschränkten Haftung des Frachtführers aufgrund Fehlens des Frachtbriefes oder fehlender Angaben im Luftfrachtbrief im MÜ konsequenterweise nicht mehr aufgegriffen. Ebenfalls nicht mehr notwendig ist ein Verweis auf die beschränkte Haftung aufgrund der internationalen Abkommen, damit die Haftungsbeschränkungen auch tatsächlich greifen. Die Haftungsbeschränkung nach Art. 22 MÜ kommt auch zur Anwendung, wenn der Frachtführer nicht auf das MÜ hinweist.
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Die Bestandteile des Luftfrachtbriefes ergeben sich aus den Art. 5 ff. WA1. Dazu treten die IATA-Standardbedingungen. Hinsichtlich der Beförderungsbedingungen des Luftfrachtführers ist zu beachten, dass mit dem MÜ der Luftfrachtbrief nur noch Beweis über die Einbeziehung der Allgemeinen Beförderungsbedingungen erbringt, die unmittelbar auf dem Luftfrachtbrief bzw. der Empfangsbestätigung abgedruckt sind, Art. 11 MÜ.
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Der Absender haftet dem Frachtführer unbeschränkt2 für die Richtigkeit der von ihm gemachten Angaben zum Luftfrachtbrief (Art. 10 WA) sowie zum Gut selbst (Art. 16 WA)3. Diese Haftung des Absenders wird im Rahmen des MÜ (Art. 10 MÜ) noch ausgedehnt auf falsche Angaben, die der Frachtführer in die Empfangsbestätigung oder in andere Aufzeichnungen für den Absender aufnimmt.
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Der Luftfrachtbrief wird in drei Originalen (Art. 6 Abs. 1 WA), oft auch noch in zusätzlichen Kopien4 ausgestellt5. Große Bedeutung hat daneben der elektronische Frachtbrief. Das Montrealer Übereinkommen sieht in Art. 4 II MÜ vor, dass anstelle eines Luftfrachtbriefs jede andere Aufzeichnung verwendet werden kann, welche die Angaben über die auszuführende Beförderung enthält. Die IATA hat zusammen mit der FIATA für den elektronisch gestützten Luftfrachttransport einen internationalen Standard („Multilateral e-Air Waybill Agreement“, IATA-Resolution 672) entwickelt, der die bisher üblichen bilateralen Vereinbarungen zwischen Airlines und Spediteuren ersetzen soll. Der Vorteil des Multilateral e-AWB Agreement besteht darin, dass sowohl Fluggesellschaften als auch Spediteure nur eine Vereinbarung mit IATA unterzeichnen müssen, um den e-AWB mit den jeweils angeschlossenen Partnern des Agreements nutzen zu können.
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1 Ausführlich zu den Bestandteilen des Luftfrachtbriefes: Magdelénat, Air Cargo, S. 42–78; Schoner, TranspR 1979, 80; Ruhwedel, TranspR 1983, 1; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 6 WA Rz. 1–8; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 8 WA Rz. 2–4. Die Art. 5 ff. WA entsprechen den damaligen Vorstellungen der IATA (die Vorkriegs-IATA hieß „International Air Traffic Association“) über die Vereinheitlichung des Luftfrachtbriefes: Tobolewski, S. 975. Abdr. eines Luftfrachtbriefmusters in Giemulla/Schmid, WA, Anh. IV-5. 2 H.M.: Guldimann, Art. 10 WA Rz. 15; Mankiewicz, Liability Regime, S. 65 f.; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 10 WA Rz. 10; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 10 WA Rz. 10. A.A. Abraham, Art. 10 WA, Anm. 8. 3 Hitachi v. United Parcel, no. 94–15292, D.C. no. CV-93–00433 WHO (C.A. 9th Cir. 2 Febr. 1996); Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 16 WA Rz. 9; Magdelénat, AASL 1 (1976) 97, 105. 4 Diese Kopien spielten eine Rolle in Cooper’s Finest Food v. Panam, 9 CCH Avi. 17.776 (Fla. C.A. 1965): Dort wurde gegen Vorlage einer bloßen Kopie Schadensersatz gezahlt. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 18.1.1996 – 18 U 50/95, VersR 1997, 385 (zu Art. 54 § 3 CIM). 5 Ausführlich: Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 268 ff. (Rz. 279 ff.); Grönfors in FS Alex Meyer II, 1975, S. 103 ff.
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Bürskens 443
Teil E Rz. 210
Transport
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Werden mehrere Frachtführer tätig, so können Unterfrachtverträge oder Sukzessivbeförderungen vorliegen1. Sukzessivbeförderungen stellen nach Art. 1 Abs. 3 WA eine einheitliche Beförderung dar, wenn von den Parteien eine einheitliche Beförderung gewollt ist. Dann tritt jeder Teilstreckenfrachtführer in den Frachtvertrag mit dem Absender ein (Art. 30 Abs. 1 WA; Art. 36 MÜ)2.
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Der Lufttransportvertrag i.S.d. WA bzw. MÜ ist abzugrenzen von Miet- und Transportcharterverträgen3, Wet Lease, Dry Lease und sonstigen Gebrauchsüberlassungsverträgen4. Bei der Bestimmung der Vertragspartner ist darauf zu achten, dass nicht nur die IATA als Vermittler auftritt5, sondern auch gelegentlich als Frachtführer auftretende Personen häufig nur vermittelnd tätig werden6. Unterliegt ein Spediteur der frachtrechtlichen Haftung (dazu s. Rz. 42 ff.), so führt dies zur Anwendung des WA/MÜ7. Führt ein anderer als der vertragliche Luftfrachtführer den Transport durch, so haftet auch dieser gemäß Art. II ZAG8 bzw. Art. 39 ff. MÜ dem Absender entsprechend den Vorschriften des WA bzw. MÜ. cc) Verfügungsrechte
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Das Weisungsrecht des Absenders hinsichtlich des transportierten Gutes folgt aus Art. 12–14 WA oder den nahezu identischen Normen des MÜ9. Durch Weisungen (die der Beförderer nur gegen Vorlage des Luftfrachtbriefdoppels bzw. der Empfangsbestätigung beachten muss) entstehende Mehrkosten sind dem Frachtführer gemäß Art. 12 Abs. 1 WA (Art. 12 Abs. 1 MÜ) zu ersetzen. Bei der Missachtung von Weisungen macht sich der Frachtführer schadensersatzpflichtig (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 WA/ MÜ). Wenn in diesem Zusammenhang ein Schaden entsteht, der unter die Art. 18 ff. WA/MÜ (Haftung für Schäden an Luftfrachtgütern, Verlust und Verspätung) fällt, 1 OLG Hamburg v. 9.8.1984 – 6 U 28/84, TranspR 1984, 299. 2 Insoweit wird von einer gesetzlich fingierten Parteistellung im Frachtvertrag gesprochen: Dubischar, S. 122; Ehlers in Giemulla/Schmid, Art. 30 WA Rz. 22 und auch BGH v. 23.3.1976 – VI ZR 150/74, NJW 1976, 1586 f. 3 Zumindest bei Personenbeförderungsverträgen kann ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegen. Dann ist der Chartercarrier unmittelbar dem Vertragspartner des vertraglichen Frachtführers verpflichtet, und zwar auch zum Schadensersatz: BGH v. 24.6.1969 – VI ZR 45/67, BGHZ 52, 194, 201 f. = NJW 1969, 2008 = ZLW 19 (1970), 199, 205 f.; BGH v. 17.1.1985 – VI ZR 63/84, BGHZ 93, 271 = TranspR 1985, 231 = NJW 1985, 1457; BGH v. 20.3.1986 – VII ZR 191/85, TranspR 1986, 244 = VersR 1986, 552. In Block v. Air France, 10 CCH Avi. 17,518 (C.A. 5 Cir., 1967) hielt das Gericht den Chartercarrier für den Frachtführer i.S.d. WA. Vgl. weiter: Schwenk, BB 1970, 282. 4 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 31; Giemulla in Giemulla/Schmid, Art. 1 WA Rz. 30. Ausführlich zu den verschiedenen Lease-Vertragsarten: Bunker, S. 18–57. 5 Die IATA, eine Rechtspersönlichkeit nach kanadischem Recht (mit Sitz in Montréal), errichtet durch Inkorporationsakt. Das LG Essen v. 6.10.1995 – 45 O 29/95, TranspR 1997, 37 hat der IATA trotz Vorlage der Inkorporationsurkunde in kaum nachvollziehbarer Weise die Prozessbefugnis vor deutschen Gerichten abgesprochen. Inkorporationsakt: Stat. of Canada, 1945, ch. 51 (Assented to 18th Dec., 1945) as Amended by Stat. of Canada, 1974–75–76, ch. 111 (Assented to 27th Febr., 1975). Zur IATA: Haeck, AASL 19-II (1994), 363. 6 So die Deutsche Lufthansa nach Art. 13 Nr. 7 ABB-Fracht = Art. 11.10 IATA Conditions für die Ausstellung von Frachtbriefen für Linien anderer Carrier. Dazu: Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 1 WA Rz. 49. 7 BGH v. 22.4.1982 – I ZR 86/90, BGHZ 84, 101 (Spediteur und IATA-Frachtagent benutzen Frachtführer-AGB wie eigene); OLG Hamburg v. 10.9.1974 – 12 U 32/74, VersR 1975, 660 (Spediteur geriert sich als Luftfrachtführer, indem er sich als „Carrier“ bezeichnet). Schoner, TranspR 1979, 57 ff.; ausführlich unter Berücksichtigung französischer und nordamerikanischer Rspr.: Magdelénat, Air Cargo, S. 29–33. 8 Ausführlich zum ZAG: LeGoff, RFDA 1963, 21; Riese, ZLW 11 (1962), 1; Matte, Treatise, S. 444–454 sowie die umfangr. Kommentarliteratur: Ehlers in Frankfurter Kommentar, ZAG; Kronke in MünchKomm/HGB, ZAG. 9 Die wesentlichen Einzelheiten entsprechen denen der CMR.
444 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 216 Teil E
sind diese Regeln anwendbar; andernfalls folgt die Haftung aus dem ergänzend anwendbaren nationalen Recht1. Art. 15 Abs. 2 WA/MÜ erlaubt als Ausnahme von Art. 23 WA/ Art. 26 MÜ insoweit allerdings die Haftungsfreizeichnung. Der Übergang des Weisungsrechts auf den Empfänger erfolgt gemäß Art. 12 Abs. 4, 13 Abs. 1, 14 WA/MÜ nach Ankunft des Gutes am Bestimmungsort. Der Empfänger kann als aus dem Luftfrachtvertrag begünstigter Dritter2 gegen Zahlung der etwa noch ausstehenden Fracht3 Übergabe des Gutes und des Frachtbriefes verlangen. Damit erlischt das Verfügungsrecht des Absenders (Art. 12 Abs. 4 WA/MÜ). Der Schadensersatzanspruch des Empfängers aus Art. 13 Abs. 1 WA/MÜ wandelt sich bei endgültigem Verlust in einen Anspruch nach Art. 18 WA/MÜ um. Da der Empfänger nur drittbegünstigt, aber nicht selbst Partei des Frachtvertrages ist, können Vertragsvereinbarungen zu seinen Lasten, insbes. durch AGB, nicht getroffen werden4.
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dd) Haftung, Grundregelung Die Schadenshaftung für Frachtgüter nach den Art. 18–20 WA entspricht dem transportrechtlichen Typus der Obhutshaftung mit umgekehrter Verschuldensbeweislast5. Die Haftung ist nach Maßgabe des Art. 22 WA summenmäßig beschränkt, wobei die Beschränkung beim Nachweis schweren Verschuldens des Frachtführers durchbrochen werden kann (Art. 25 WA).
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Das MÜ etabliert im Bereich des Verlustes, der Zerstörung oder der Beschädigung der Sendung noch mehr eine reine Obhuthaftung. Ein Verschulden des Frachtführers ist keine Voraussetzung der Haftung des Frachtführers6. Im Gegenzug wird jedoch die Haftung des Frachtführers gemäß Art. 22 Abs. 3 MÜ auf 19 SZR des Internationalen Währungsfonds pro Kilogramm der betroffenen Sendung beschränkt. Eine darüber hinaus gehende Haftung, wie sie Art. 25 WA noch vorsieht, ist im Bereich von Frachtgut nicht mehr gegeben (Art. 22 Abs. 5 MÜ nimmt ausdrücklich nur auf die Personen- und Reisegepäckbeförderung in Art. 22 Abs. 1, 2 MÜ Bezug). Die Haftung für Verspätung der Sendung ist gemäß Art. 19 MÜ eine Obhutshaftung mit Entlastungsmöglichkeit für den Luftfrachtführer.
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Gehaftet wird nach Art. 18 WA für Zerstörung, Beschädigung und Verlust des Gutes. Zerstörung umfasst das Zunichtemachen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs7. Ein Verlust ist auch bei einer unwiederbringlichen Auslieferung an einen falschen Empfänger8,
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1 Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 247 f. (Rz. 228); Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 12 WA Rz. 17; Müller-Rostin, TranspR 1989, 1. 2 OLG Frankfurt v. 10.5.1977 – 5 U 174/76, BB 1977, 1071 = ZLW 26 (1977), 230; LG Frankfurt a.M. 23.9.1992 – 3/2 O 48/92, ZLW 44 (1995), 357; Kronke, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 11.11.1993, IPRax 1995, 402; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, vor Art. 12 WA Rz. 1; Sieg, TranspR 1996, 317; Mankiewicz, Liability Regime, S. 83 (Nr. 105). Weitergehend Rodière, Nr. 346 (S. 421 ff.) zum französischen Recht. 3 LG Köln v. 11.5.1970 – 15 O 113/70, ZLW 20 (1971), 49 f. Die Klausel auf dem Luftfrachtbrief „prepaid as per charter agreement“ ist allerdings dahin zu verstehen, dass der Empfänger bei der Übergabe keine Fracht zu zahlen hat: OLG Düsseldorf v. 31.7.1986 – 18 U 163/85, TranspR 1986, 341 f. 4 Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 252 f. (Rz. 239). Im Verhältnis Luftfrachtführer/Dritteigentümer: AG Köln v. 8.7.1976, NJW 1976, 2076 (zur ABB-Fracht). 5 Zur Abgrenzung zum BGB-Schuldrecht: Abraham, Art. 20 WA, Anm. 2. Zum BGB-Werkvertragsrecht bei Luftbeförderungen auch BGH v. 17.1.1995 – X ZR 88/93, VersR 1995, 805. 6 Harms/Schuler-Harms, Die Haftung des Luftfrachtführers nach dem Montrealer Übereinkommen, TranspR 2003, 369 ff. 7 OLG Frankfurt v. 25.1.1983 – 5 U 155/82, TranspR 1983, 120; Hughes-Gibb v. Flying Tigers, 504 F.Supp. 1239; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 9; Kronke in MünchKomm/ HGB, Art. 18 WA Rz. 7: Verdorbene Nahrungsmittel sind zerstört, selbst wenn sie noch als Viehfutter zu gebrauchen wären. 8 OLG Frankfurt v. 14.7.1977 – 5 U 126/76, ZLW 27 (1978) 53 = RIW 1978, 197.
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Bürskens 445
Teil E Rz. 217
Transport
Diebstahl1, Verkaufsuntauglichkeit2 oder bei hoheitlicher Beschlagnahme3 anzunehmen. Ein Teilverlust stellt dann eine Beschädigung dar und ist als solche zu behandeln, wenn dadurch ein weiterer Teil der Sendung beschädigt wurde oder nicht mehr verwertbar ist4. Die Unterscheidung zwischen Verlust bzw. Teilverlust und Beschädigung wird etwa im Rahmen des Art. 26 WA bzw. Art. 31 Abs. 2 MÜ hinsichtlich der Anzeigefristen relevant. Der Luftfrachtführer ist aufgrund des Frachtvertrages verpflichtet, dem durch Verlust Geschädigten eine Bescheinigung zu Beweiszwecken auszustellen5. Das Schadensereignis umfasst jede Schadensursache6; ein spezifischer Zusammenhang zur Betriebsgefahr des Luftfahrzeuges ist nicht erforderlich (insofern besteht ein Unterschied zur Haftung für beförderte Passagiere)7. 217
Die Obhuterlangung durch den Luftfrachtführer ist anhand frachtrechtlicher Maßstäbe zu beurteilen8. Sie setzt daher weder Gewahrsam noch Besitz voraus9; vielmehr kann die Obhuterlangung durch vertragliche Abreden vorverlagert werden10. Einer faktisch gelockerten Herrschaftsgewalt des Frachtführers kann im Einzelfall normativ im Rahmen des Entlastungsbeweises (Art. 20 WA) Rechnung getragen werden11. Der Obhutzeitraum erstreckt sich auch auf den Zeitraum der Zollverwahrung12 und der Zwischenlagerung des Gutes. Dies bestätigt auch Art. 18 Abs. 3 MÜ. Der Geschädigte hat nach allgemeinen Regeln zu beweisen, dass der Schaden während des Obhutzeitraums eingetreten ist13. Hat der Empfänger das Gut ohne Vorbehalte angenommen, so wird nach Art. 26 Abs. 1 WA bzw. Art. 31 Abs. 1 MÜ widerleglich vermutet, dass das Gut in einem dem Luftfrachtbrief entsprechenden Zustand abgeliefert wurde14. 1 OLG Frankfurt v. 23.12.1992 – 21 U 62/92, IPRax 1994, 141 (LS) m. Anm. Kronke; International Mining v. Aerovias Nacionales de Colombia, 14 CCH Avi. 17, 707 (N.Y. S. Ct. 1977); Manufacturers Hanover Trust v. Alitalia, 429 F.Supp. 964 (S. D.N.Y. 1977). 2 OLG Hamm v. 6.2.1997 – 18 U 141/96, TranspR 1998, 34 (Lebensmittelverpackungen mit Wasserrändern). 3 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 10; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 10. 4 Koller, Transportrecht, § 425 HGB Rz. 12. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 3.8.1982 – 5 W 15/82, ZLW 32 (1983), 59 = RIW 1982, 913; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 9; Dubischar, S. 126. 6 BGH v. 9.10.1964 – Ib ZR 226/62, NJW 1964, 2348 f.; CA Paris (8.11.1951) RFDA 1951, 433; CA Paris (14.3.1960) RFDA 1960, 317; Mankiewicz, Liability Regime, Nr. 199; Goldhirsch, S. 69 f.; Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 3; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 5 ff.; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 3. 7 BGH v. 9.10.1964 – Ib ZR 226/62, NJW 1964, 2348 f.; Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 3; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 14 ff.; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 15–18. 8 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 114/76, NJW 1979, 493, 494 BGH v. 16.2.1979 – I ZR 97/77, NJW 1979, 2474 (2475); Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 4; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 19; Müller-Rostin, TranspR 1989, 121, 123. 9 Instruktiv: Dubischar, S. 125; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 21: Auf die physische Herrschaft kommt es gar nicht an; Guldimann, Art. 18 WA Rz. 7–10: Eine Notlandung kann zur (vorübergehenden) Aufhebung der Obhut führen, eine verzögerte Wiederherstellung der faktischen Obhut ist unbeachtlich. Einschränkend aber Müller-Rostin in Frankfurter Kommentar, Art. 18 WA Rz. 18d. 10 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 114/76, NJW 1979, 493 f. 11 Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 21. Zum vorübergehenden Verlust der Obhut: Guldimann, Art. 18 WA Rz. 7–10. 12 OLG Köln v. 20.11.1980 – 1 U 120/79, ZLW 31 (1982), 167, 171; LG Stuttgart v. 21.2.1992 – 11 KfH O 172/90, ZLW 43 (1994), 240 f.; Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 5; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 19 ff.; mit Einschränkungen Ruhwedel, S. 344 (Rz. 443); Giemulla/Schmid, ZLW 1993, 386 (392) jew. m. umfangr. N. 13 OLG Köln v. 20.11.1980 – I U 120/79, ZLW 1982, 167 (171); OLG Frankfurt v. 25.1.1983 – 5 U 155/83, DB 1983, 709. 14 Dazu letztens: Hitachi v. United Parcel, no. 94–15292, D.C. no. CV-93–00433 WHO (C.A. 9th Cir. 2 Febr. 1996) trotz nicht ordnungsgemäß ausgestelltem Luftfrachtbrief i.E. keine Haftung, da der Empfänger seiner Rügepflicht nicht gehörig nachkam.
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Transportverträge
Rz. 219 Teil E
Durch die Vermutung des Art. 18 Abs. 3 WA wird der Obhutzeitraum des Luftfrachtführers auf Land-, See- und Binnengewässerbeförderung außerhalb des Flughafens erstreckt, wenn diese Beförderung zum Zwecke der Verladung, der Ablieferung oder der Umladung dient. Dabei ist in der Rechtsprechung und Literatur strittig, wie weit die Begriffe der Zubringerdienste und der Umladung zu fassen sind1. Zubringerdienste und Umladung liegen jedenfalls dann vor, wenn der Transport zum nächsten Flughafen erfolgt, von dem der Transport aufgrund der technischen Möglichkeiten bzw. aufgrund passender Verkehrsverbindungen stattfinden kann2. Dies ist nicht zwingend der nächstgelegene Flughafen. Beispielsweise darf nicht vom Frachtführer verlangt werden, unsinnige Zwischenlufttransporte zum nächsten vorgesehenen Umschlagsflughafen durchzuführen3. Es muss sich vielmehr um einen geeigneten, logistisch sinnvollen Flughafen mit geeigneten Flugverbindungen handeln4. Ist ein eigentlich näher gelegener Flughafen nach diesen Kriterien nicht geeignet, so wird der zu einem entfernter gelegenen, aber geeigneteren Flughafen durchgeführte Oberflächentransport an der Einstufung als Lufttransport im Sinne von Art. 18 WA nichts ändern.
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„Trucking“ (Luftfrachtersatzbeförderung auf der Straße) im Rahmen des WA: Bei vertragswidriger5 Luftersatzbeförderung6 ist das Warschauer Abkommen mangels tatsächlicher „Beförderung durch ein Luftfahrzeug“ (Art. 1 Abs. 1, 31 Abs. 1 WA) eigentlich nicht anwendbar. Da aber auch kein Straßentransport vereinbart war, dürften auch die CMR-Regeln nicht zum Zuge kommen7. Die ältere Rechtsprechung hatte versucht, der durch den Abschluss eines Luftbeförderungsvertrages gerechtfertigten Erwartung des Transportvertragspartners durch die Anwendung der Art. 18 ff. WA zu entsprechen8. Nunmehr vertritt der BGH9 eine Art „Günstigkeitsprinzip“10: Grundsätzlich hafte der vertragswidrig „truckende“ Luftbeförderer für den Straßentransportabschnitt nach Straßengüterrecht; jedoch dürfe der sich vertragswidrig verhaltende Luftbeförderer auf keinen Fall besser gestellt werden, als der vertragskonform tatsächlich Luft-
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1 Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 13; OLG Hamburg, Urt. v. 11.1.1996, TranspR 1997, 267. 2 Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 23b m.w.N. 3 LG Heidelberg, Beschluss v. 22.11.2002 – 12 O 55/02 KfH (WA anwendbar auf Transport von Heidelberg nach Frankfurt trotz anderer näherer Flughäfen); AG Pforzheim, Beschluss v. 18.4.2002 – 1 C 285/01 (das AG verwendet eine „logistische Betrachtung“ und sieht Straßentransport v. Birkenfeld über Karlsruhe v. nach Frankfurt als Zubringerdienst und damit Luftbeförderung i.S.d. Art. 18 WA an). 4 Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 23b. 5 Die ABB enthalten in ihren Begriffsbestimmungen überwiegend Definitionen, nach denen die im Vertrag gemeinte Beförderung eine Luftbeförderung ist. Vgl. etwa Ziff. 1.5 der IATA CoC sowie die ABB Fracht vor Ziff. 1. Zudem können Vorbehalte bzgl. der Transportmodalitäten gegen das nach IPR anwendbare AGB-Recht verstoßen. Die IATA-Resolution 507b (dazu: MüllerRostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 24c), die eine entsprechende -allerdings dennoch umstrittene- Gestattungsklausel enthielt, ist mittlerweile außer Kraft; zu einem entsprechenden Fall vgl. aber OLG Stuttgart v. 7.10.1987 – 3 U 181/86, VersR 1988, 909. 6 Bei vereinbarungsgemäßem Ersatztransport von Luftfracht auf der Straße gilt lt. OLG Düsseldorf das WA nur für die Luftbeförderung. Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.3.1984 – 18 U 154/83, TranspR 1985, 351. 7 OLG Frankfurt v. 11.11.1981 – 21 U 108/81, u. LG Frankfurt/M. v. 26.2.1981 – 3/II O 125/80, VersR 1982, 697; OLG Hamburg v. 31.12.1986 – 6 U 151/85, TranspR 1987, 142, 145; LG Stuttgart v. 20.8.1991 – 3 KfH O 52/91, IPRax 1993, 109 (LS) m. Anm. Kronke; Helm, Probleme der CMR, VersR 1988, 548 f.; Willenberg/Lucas, TranspR 1989, 201 f. 8 Z.B. BGH v. 13.10.1983 – I ZR 157/81, VersR 1984, 680; OLG Düsseldorf v. 21.1.1993 – 18 U 144/92, EuZW 1993, 423 f.; LG Stuttgart v. 20.8.1991 – 3 KfHO 52/91, IPRax 1993, 109 (LS) m. Anm. Kronke. 9 BGH v. 17.5.1989 – ZR 211/87, ZLW 39 (1990), 108 = TranspR 1990, 19 = NJW 1990, 639 = VersR 1990, 331. Ebenso: Cass. (fr.) (31.1.1978) RFDA 1979, 310 und zuvor bereits CA Paris (6.5.1976) RFDA 1977, 79. 10 So die Bezeichnung von Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 18 WA Rz. 49.
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Bürskens 447
Teil E Rz. 220
Transport
befördernde1. Die Haftung richtet sich folglich nach dem WA, aber auch nach dem Recht des jeweils eingesetzten Transportmittels, soweit dies für den Geschädigten günstiger ist. Darüber hinaus erfüllt der Frachtführer beim vertragswidrigen Trucking sein vertragliches Versprechen, eine bestimmte Modalität des Transportes einzuhalten, nicht. Ergeben sich Schäden am Transportgut gerade aus der Vertragswidrigkeit des Ersatztransportes, so könnten weiter gehende Schadensersatzansprüche des Vertragspartners in Betracht kommen. Derartige Ansprüche sind allerdings im WA selbst, das in den Art. 18 ff. nur Substanz- und Verspätungsschäden enthält, nicht geregelt. Teilweise wird hier eine Ausschlusswirkung der Abkommensordnung hinsichtlich weiterer Ansprüche angenommen2. Zu bedenken ist zwar, dass das WA den internationalen Luftfrachtvertrag nur lückenhaft regelt. Neben dem WA kommt vielmehr in nicht vom Abkommen geregelten Fällen das nationale Recht in Betracht3, Es dürfte aber sachgerecht sein, für derartige Fälle die transportrechtlichen Haftungssysteme als abschließende Regelung anzusehen. Zum einen ist der Luftersatztransport in der heutigen Transportwelt absolut üblich und unter den beteiligten Verkehrskreisen in der Regel auch akzeptiert. Zum anderen sind die Haftungssysteme der unterschiedlichen Verkehrsträger soweit aufeinander abgestimmt, dass eine ernsthafte Benachteiligung des Kunden durch diese Betrachtung nicht erfolgt. 220
Im Falle des erlaubten Truckings, welches durch die Parteien des Luftfrachtvertrages (ggf. stillschweigend) vorgesehen wurde, finden bei Anwendbarkeit deutschen Rechts die Regelungen des multimodalen Transportes (§§ 452 ff. HGB) Anwendung. Allerdings ist im Einzelfall abzugrenzen zu den Fällen des Art. 18 Abs. 3 des WA, der dem nationalen Recht vorgeht. Auch steht es den Parteien frei, eine andere Entscheidung vertraglich zu regeln, beispielsweise durch Einbeziehung der Luftersatzbeförderung in die Luftbeförderung.
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Das MÜ dagegen sieht für das verbotene Trucking in Art. 18 Abs. 4 MÜ ausdrücklich vor, dass der Luftfrachtführer auch in diesen Fällen nach den Regeln des MÜ haftet. Diese Entscheidung der Mitglieder der Konferenz der Internationalen ZivilluftfahrtOrganisation (ICAO) von Montreal steht damit im Widerspruch zu der Rechtsprechung in Deutschland zum Warschauer Abkommen4. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH vor diesem Hintergrund seine Rechtsprechung ändern wird.
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Die geschilderte Situation kann in der Praxis in haftungsrelevanten Situationen zu einer Privilegierung des pflichtwidrig handelnden Frachtführers führen. Dieser genießt die Haftungsbeschränkung des MÜ auch bei Fällen qualifizierten Verschuldens, während der aufgrund entsprechender Absprache pflichtgemäß „truckende“ Frachtführer sich in gleich gelagerten Fällen nach bisheriger deutscher Rechtslage auf diese Haftungsbeschränkung nicht berufen konnte. Diese scheinbare Bevorzugung des vertragswidrig handelnden Frachtführers wird in Deutschland so empfunden, weil die strenge Rechtsprechung deutscher Gerichte den eigentlich von den internationalen Abkommen gewährten Vorteil der Herabsetzung der Mindesthaftung (8,33 SZR in der CMR) 1 Im Ergebnis ebenso Blaschczok, TranspR 1987, 401 (409); Koller, Transportrecht, Art. 18 WA Rz. 18; Helm in Großkommentar HGB, § 425 HGB Rz. 3; eingehend: Kronke in MünchKomm/ HGB, Art. 18 WA Rz. 49–51 und Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 24g. Dem folgte das LG Hamburg v. 19.6.1989 – 62 O 112/88, ZLW 39 (1990), 229 = TranspR 1989, 278. 2 Krings-Brand, IPRax 1994, 272 f. 3 BGH v. 17.5.1989 – I ZR 211/87, VersR 1990, 331; OLG Bremen v. 10.7.1986 – 2 U 21/86, VersR 1986, 1120; OLG Hamburg v. 30.8.1984 – 6 U 57/84, VersR 1985, 832; LG Frankfurt/M. v. 9.8. 1993 – 2/94 S 162/93, TranspR 1994, 243 mit der Anwendung von BGB-Gewährleistungsrecht neben dem WA. Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 18 WA Rz. 24h; Kronke in MünchKomm/HGB, WA, Art. 18 WA Rz. 49–51; Helm in Großkommentar HGB, § 425 HGB Rz. 3; Koller, VersR 1988, 432 (436). 4 Schmid/Müller-Rostin, In-Kraft-Treten des Montrealer Übereinkommens von 1999: Neues Haftungsregime für internationale Lufttransporte, NJW 2003, 3516 ff.
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Transportverträge
Rz. 224 Teil E
gegenüber der festen Haftungsobergrenze des MÜ (bei allerdings 19 SZR) nicht erstrebenswert erscheinen lässt. Vor diesem Hintergrund ist diese geschilderte Situation wohl als Begleiterscheinung internationaler Rechtsvereinheitlichung hinzunehmen. In praktischer Hinsicht dürfte eine vertragliche „Rechtswahl“ zum MÜ weiterhelfen. Hierdurch könnten die Parteien in ihrer Disposition auch für Luftersatztransporte wirksam die Anwendbarkeit des MÜ vereinbaren und damit Sicherheit hinsichtlich der anwendbaren Haftungsvorschriften schaffen. Im Hinblick auf § 449 dtHGB dürfte eine derartige auf den Luftersatzverkehr bezogene Aussage jedenfalls unter Kaufleuten wirksam sein. Für Verspätungsschäden bildet Art. 19 WA/MÜ eine eigene Anspruchsgrundlage. Die Rechtsprechung trägt bei der Gewährung von Schadensersatz wegen Verspätung den dem Lufttransport eigentümlichen Gefahren (Fluggerät- und Luftraumsicherheit) in weitem Umfang Rechnung1. Der BGH hat die von Frachtführerseite unter Hinweis auf Sicherheitsaspekte immer wieder geforderte2 weitestgehende Freizeichnung von der Haftung für unvorhergesehene Flugplanänderungen „wenn die Umstände es erfordern“ in AGB allerdings verworfen3. Die Nichtbeförderung stellt dagegen Nichterfüllung des Vertrages dar und richtet sich deshalb nicht nach Art. 19 WA, sondern nach dem ergänzenden nationalen Recht4. Im Bereich der Luftfracht ist die Nichtbeförderung aber wohl eher die Ausnahme, da in der Regel der Luftfrachtführer keinen festen Flug für eine Sendung bucht, so dass kein Fixgeschäft wie im Bereich der Passagierbeförderung abgeschlossen wird.
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Sofern das Warschauer Abkommen Anwendung findet, kann der Luftfrachtführer nach Art. 20 WA den Entlastungsbeweis führen, dass er und seine Hilfspersonen alle Maßnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen haben oder dass solche Maßnahmen nicht getroffen werden konnten5. Im Rahmen des MÜ ist dies nur noch für Verspätungsschäden vorgesehen, Art. 19 MÜ. An den Entlastungsbeweis werden strenge Anforderungen gestellt6. Der Luftfrachtführer muss nachweisen, dass (ex ante)7 jede denkbare Ursache entweder nicht vermieden werden konnte oder insoweit Sicherungsvorkehrungen getroffen waren8. Auch anweisungswidrige strafbare Handlungen des Personals werden dem Luftfrachtführer zugerechnet9. Eventuelles Mitverschulden kann nach Art. 21 WA unter Berücksichtigung der lex fori berücksichtigt werden10. In Deutschland hat in den vergangenen Jahren insbesondere die Mitverschuldensrecht-
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1 Insoweit aus dem Reiserecht: AG Frankfurt a.M. v. 26.4.1993 – 32 C 2722/94–18; v. 4.10.1994 – 32 C 733/93–83; v. 11.10.1996 – 32 C 1922/96–48, ZLW 46 (1997), 297–300 m. Anm. Neumann, ZLW 46 (1997), 216; Vitt/Specht, NJW 1996, 2916. Aus der französischen Rspr.: TI Longjumeau (9.6.1994, Messeau v. Air Inter), RFDA 1995, 95. 2 Mapelli y Lopez, AASL 1 (1976), 109, 112–131. 3 BGH v. 20.1.1983 – VII ZR 10/81, NJW 1983, 1322 (1325) = AASL 8 (1983), 513 (518 f.). 4 Ausführlich: Guerreri, AASL 14 (1989), 191 (193 f.); Schmid, TranspR 1985, 369 (374); Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 19 WA Rz. 39 ff. 5 Das WA 1929 sah darüber hinaus auch die Enthaftung bei nautischem Verschulden vor. Durch das HP ist diese Vorschrift gestrichen worden. Insbes. im Verkehr mit den USA bleibt sie jedoch anwendbar. 6 Dubischar, S. 126; Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 429 (Rz. 635); zur Kautelarjurisprudenz: Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 16 ff.; Koller, Transportrecht, Art. 20 WA Rz. 3 ff.; Schmid in Giemulla/Schmid, Art. 20 WA Rz. 4, 10. 7 BGH v. 9.10.1964 – Ib ZR 226/62, NJW 1964, 2348. Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 11 f.; Schmid in Giemulla/Schmid, Art. 20 WA Rz. 5. 8 Dies betrifft den organisatorischen Ablauf wie auch das technische Material und sogar bauliche Maßnahmen. Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 8. Zum Einsatz lediglich zweistrahliger Flugzeuge (künftig insbes. B-777) im Langstreckenverkehr (sog. ETOPS – Extended Rage Twin Engined Operations): Schmid in Giemulla/Schmid, Art. 20 WA Rz. 7. 9 Das gilt insbesondere für den Diebstahl. Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 46; Schmid in Giemulla/Schmid, Art. 20 WA Rz. 15 jew. m.w.N. 10 OLG Frankfurt v. 14.7.1977 – 5 U 129/76, RIW 1978, 197.
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Bürskens 449
Teil E Rz. 225
Transport
sprechung für solche Fälle an Gewicht gewonnen, in welchen der Versender dem Frachtführer keine angemessenen Hinweise auf besonders hohe Werte des transportierten Gutes gegeben hat (i.d.R. erforderlich, wenn der tatsächliche Wert bei mehr als dem 10-fachen des auf Basis der gesetzlichen Haftung zu erwartenden Betrages liegt). Ausgehend von der Überlegung, dass einem Frachtführer die Möglichkeit genommen wird, angesichts der damit zusammen hängenden Haftungsrisiken gegebenenfalls einen Transport abzulehnen, kommt in solchen Fällen eine Haftungsreduzierung bis auf „0“ in Betracht. 225
Nach dem MÜ ist es dem Frachtführer möglich, seine Haftung nach Art. 18 Abs. 2 MÜ bzw. Art. 20 MÜ durch den Beweis einer Mitverursachung bzw. des Mitverschuldens des Anspruchstellers oder seiner Rechtsvorgänger ausschließen. Dabei zählt Art. 18 Abs. 2 MÜ einen Katalog von Umständen auf, die dazu führen, dass der Frachtführer anteilig, je nach Grad der Mitursächlichkeit, von seiner Haftung befreit wird1. Das MÜ regelt somit im Gegensatz zum WA nun umfassend die Mitverursachung durch den Absender, so dass ein Verweis auf die nationalen Vorschriften hinsichtlich des Mitverschuldens nicht mehr nötig ist2.
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Es gelten die Beweisregeln der lex fori3. Die Beweislast folgt dem frachtrechtlichen Haftungstypus: Ist das schadensauslösende Ereignis bekannt, so hat im Rahmen der Vorschriften des Warschauer Abkommens der Luftfrachtführer voll zu beweisen, dass er alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat oder dass solche nicht getroffen werden konnten (etwa wegen unvorhersehbarer hoheitlicher Maßnahmen). Wird das schadensauslösende Ereignis vermutet, so muss der Luftfrachtführer für alle in seinen Verantwortungsbereich fallenden Ursachen darlegen, dass er Maßnahmen zur Vermeidung getroffen hatte4. Dem frachtrechtlichen Prinzip entspricht es, dass der Luftfrachtführer bei letztlich unbekannter bzw. unaufklärbarer Schadensursache haftet5. Der Nachweis, beim Start alles allgemein Erforderliche veranlasst zu haben, genügt also bei unbekannter Schadensursache nicht.
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Das MP Nr. 4 folgt hingegen einem gänzlich anderen Haftungsprinzip: Der Frachtführer haftet für Verlust und Beschädigung strikt, d.h. verschuldensunabhängig vorbehaltlich der in Art. IV MP Nr. 4 (Art. 18 Abs. 3 WA/HP/MP Nr. 4) bezeichneten Ausnahmetatbestände (Kausalhaftung)6. Die Haftungshöchstgrenzen gemäß Art. 22 WA/ HP/MP Nr. 4 sind dafür (quid pro quo) unverbrüchlich, wie sich aus dem neu gefassten Art. 25 WA/HP/MP Nr. 4 ergibt, der keine Durchbrechung der Haftungsgrenzen für Frachtbeförderung mehr vorsieht. Für Verspätungsschäden haftet der Luftfrachtführer weiterhin nur auf der Grundlage vermuteten Verschuldens. Allerdings ist auch hier die Haftungshöchstgrenze unverbrüchlich. Dies ist vom MÜ aufgegriffen worden.
1 Schmid/Müller-Rostin, NJW 2003, 3516 ff. 2 Harms/Schuler-Harms, TranspR 2003, 369 ff. 3 Guldimann, Art. 20 WA Rz. 12; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 54; Kronke in Soergel, BGB, Art. 38 EGBGB, Anh. IV Rz. 136 ff.; Schack, Rz. 656 ff. 4 AG World Exports v. Arrow Air, 22 CCH Avi. 18,221 (S. D.Fla. 1990); Matte, Treatise, S. 411 f.; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 55; Guldimann, Art. 20 WA Rz. 9. Im Fall BGH v. 9.10.1964 – Ib ZR 226/62, NJW 1964, 2348 = ZLW 14 (1965), 167 kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine die Beschlagnahme der Zollbehörde im gegebenen Fall unvorhersehbar war. 5 Grundlegend: LG Frankfurt/M. v. 8.3.1939 – ArchLR 1939, 180; CA Paris (12.12.1961), J.C.P. 1962 II 12596 m. Anm. de Juglart und Matte, Int.Encycl.Comp.L. XII, ch. 6, S. 65; Kamil v. Sabena, ZLR 10 (1961) 133; OLG Karlsruhe v. 7.3.1984 – 13 U 136/82, TranspR 1984, 235; Cass. (fr.) (22.7.1986) RFDA 1986, 428; Panalpina International v. Densil Underwear, [1981], 1 Ll.Rep. 187 (Q.B.) (unaufgeklärte Ursache, unsubstanziierte Darlegung zur Exkulpation). Ausführlich: Hjalsted, JALC 1960, 1, 1–119; Mankiewicz, Nr. 145, S. 105 f.; Ficht, S. 44–81; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 20 WA Rz. 55; Schmid in Giemulla/Schmid, Art. 20 WA Rz. 11. 6 Ausführlich: Ehlers, S. 89–95.
450 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 229 Teil E
ee) Haftungshöchstgrenzen Die Haftung des Frachtführers ist nach Maßgabe des Art. 22 WA beschränkt auf 250 Goldfranken1 pro kg. Das Berechnungssystem wurde zwar mit der Freigabe der goldbezogenen Wechselkurse obsolet2. Soweit das SZR nicht als Basis anwendbar ist (z.B. weil entsprechende Abkommensversionen nicht anwendbar sind)3, erfolgt die Umrechnung in Deutschland4 anhand der 4. UmrechnungsVO v. 4.12.19735. Danach ergibt sich eine Haftungshöchstsumme von 53,50 DM = 27,35 Euro pro Kilogramm. Aufgrund des nach Art. 23 WA zwingenden Charakters des Art. 22 WA ist eine vertragliche Vereinbarung einer anderen Bezugsgröße, die zu einer Unterschreitung der im WA fixierten Umrechnung führen würde unwirksam6. Das MÜ legt die Haftungshöchstgrenze für Verlust, Zerstörung, Beschädigung und Verspätung von Frachtgut mit 19 SZR des Internationalen Währungsfonds pro Kilogramm Sendungsgewicht fest. Diese Höchstgrenze ist im Frachtbereich verbindlich – unabhängig vom Verschuldensgrad. Die Tatsache, dass sich der Frachtführer hinsichtlich der beschränkten Mindest-Haftung nicht exkulpieren kann, gilt als Ausgleich für einen Verzicht im MÜ auf eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers, wie sie noch das WarschauerAbkommen gemäß Art. 25 WA vorsieht7. Wie bereits unter dem Regime des Warschauer Systems können die Parteien des Frachtvertrages natürlich weiterhin eine höhere Haftung des Luftfrachtführers vertraglich vereinbaren, sei es durch die Deklaration eines besonderen Interesses des Absenders, sei es durch vertragliche Vereinbarung.
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Art. 25A WA/HP bzw. Art. 30 MÜ stellt klar, dass die Haftungshöchstsummen auch die nach außervertraglichem8 nationalem Recht direkt in Anspruch genommenen Hilfspersonen des Luftfrachtführers schützen9. Die Haftungshöchstsummen können durch eine Wertdeklaration auf dem Luftfrachtbrief erweitert werden, die praktische Bedeutung der Wertdeklaration ist allerdings gering10. Die Ursache dürfte darin liegen, dass mit der Wertdeklaration nur für den Zeitpunkt der Obhut des Luftfrachtführers ein weiter gehender Haftungsrahmen zur Verfügung steht, während Transportgüterversicherungen – immerhin jedoch ohne den bei der Wertdeklaration gegebenen Vorzug der Beweislastumkehr – „door to door cover“ gewähren11 und meist günstigere Prämien bieten als die auf den Einzelfall abgeschlossene Deklaration eines Transportver-
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1 Ein Goldfranke (Poincaré-Franke) hat den Wert von 65,5 mg Gold von 900/1000 Feingehalt. 2 Ausführlich zu diesem Problem: Wiedemann, Die Haftungsbegrenzung des WA (1987); Müller-Rostin, Der Gold-Dollar des Warschauer Abkommens I, TranspR 1982, 91; II, TranspR 1984, 29. 3 Das Goldfrankenumrechnungsgesetz v. 9.6.1980 (BGBl. II 721) erfasst das WA nicht. 4 Zur Umrechnungspraxis anderer Staaten vgl. die Liste bei Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 22 WA Rz. 20. 5 BGBl. I, 815. Ermächtigungsgrundlage bildet § 2 II des DurchführungsG zum WA v. 15.12.1933 (RGBl. I, 1079) i.d.F. des Verkehrs- und HaftpflichtRMaßnG v. 16.7.1957 (BGBl. I, 710). 6 Rudolf, ZLW 32 (1983), 91 (96). 7 Schmid/Müller-Rostin, NJW 2003, 3516 ff., 3522. 8 Werden Ansprüche des Frachtführers gegen seine Hilfspersonen an den Geschädigten abgetreten, so müsste Art. 25A WA/HP entsprechend geltend. 9 Ausführlich dazu: Schmid, Die Arbeitsteiligkeit im modernen Luftverkehr (1983); Shawcross & Beaumont I, ch. 27 VI (200). Obwohl die USA dem HP nicht beigetreten sind, wenden amerikanische Gerichte den Grundsatz des Art. 25A WA/HP gleichwohl an: Reed v. Wiser, 555 F.2d 1079 (C.A. 2 Cir. 1977); in diesem Sinne auch Matte, Treatise, S. 413–415. 10 Diederiks-Verschoor, AASL 5 (1980), 37, 44–46. 11 Müller-Rostin, TranspR 1994, 321, 326 berichtet von der „grundsätzlichen Übung der verladenden Wirtschaft, Versicherungsschutz einzudecken“. Die Eintragung einer Güterversicherung auf dem Luftfrachtbrief bedeutet keine Wertdeklaration; OLG Frankfurt a.M. v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281. Um einen luftfrachtrechtlichen Fall handelt es sich in dem nicht unumstrittenen Urteil des BGH v. 3.10.1983 – II ZR 254/82, TranspR 1984, 136. Zur Kritik an der Auslegung insbesondere der door to door-Klausel Sieg, TranspR 1995, 19 ff. m.w.N.
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Bürskens 451
Teil E Rz. 230
Transport
sicherungswertes auf dem Frachtbrief. Die Eintragung eines Zollwertes auf dem Luftfrachtbrief bedeutet keine Wertdeklaration1. ff) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen 230
Wird kein Luftfrachtbrief ausgestellt (Art. 9 WA) oder trifft den Luftfrachtführer der Vorwurf des schweren Verschuldens (Art. 25 WA), so kann er sich nicht auf die Haftungshöchstsummen berufen. Zur Vermeidung (unnötiger2) Divergenzen zwischen kontinentaleuropäisch und anglo-amerikanisch geprägter Rechtsprechung3 ist die Fassung des WA 1929, die von dem Vorsatz nach der lex fori gleichgestellter Fahrlässigkeit spricht, mit dem WA/HP durch eine beschreibende Formulierung ersetzt worden. Die Fassung des Art. 25 WA/HP spricht insoweit von zwei Erfordernissen, nämlich der Leichtfertigkeit und dem Bewusstsein, den Schaden mit Wahrscheinlichkeit herbeizuführen. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass hier eine einheitsrechtliche Synthese von wilful misconduct in der Form der gross negligence und faute équivalente au dol gebildet werden sollte4. Die Orientierung erfolgt daher anhand des Begriffs der „groben Fahrlässigkeit“, wobei stets neben objektiver Leichtfertigkeit auch die subjektive Komponente zu prüfen ist5. Das objektive Verhalten des Luftfrachtführers und seiner Hilfspersonen lässt um so eher auf das Vorliegen dieser subjektiven Voraussetzungen schließen, je weiter es vom vernünftigen oder insbes. vom eintrainierten oder typischen Transportablauf entfernt liegt6.
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Damit wurde bewusst eine Unterscheidung zu dem im deutschen Recht bekannten Begriff der „groben Fahrlässigkeit“ gewählt und ein weiteres Tatbestandselement eingefügt. BGH v. 16.2.1979, BGHZ 74, 162 (168): „Das weiter erforderliche Bewusstsein ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstehen. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist demnach dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt. Dabei ist festzuhalten, dass nicht mit jedem leichtfertigen Verhalten ein solches Be1 OLG Frankfurt v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281. 2 Der englische Deligierte Sir Alfred Dennis hatte auf der Warschauer Konferenz 1929 gegen die als „unglücklichsten Satz des Abkommens“ bezeichnete (so Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 25 WA Rz. 13; Drion, S. 197; Riese, S. 466) Formulierung im Vertrauen auf die verständige Würdigung der internationalen Errungenschaft des WA seitens des angelsächsischen „reasonable man“ (dazu: Faredell v. Potts, in A.P. Herbert, Uncommon Law [Nachdr. New York 1993] S. 1–6) keine Bedenken: II Conférence Internationale de Droit Privé Aérien, Varsovie 4–12 Octobre 1929, Procès-Verbaux (Warschau 1929) S. 40 ff., ferner S. 15, 164. Der Berichterstatter Ripert, Clunet 57 (1930), 90 (100) bezeichnete das WA sogar als „heureuse combinaision du droit continental et du droit anglo-saxon“. Die bibliothekenfüllenden Ausführungen zur dem „wilful misconduct“ (Art. 25 WA 1929) angeblich gleichzustellenden Verschuldensform haben diese Erwartung enttäuscht. 3 Dazu vor allem Miller, S. 79 ff. 4 ICAO Doc. 7686-LC/140, vol. I (Minutes), 1956, S. 156 ff.; 182 ff. Matte, Int.Encycl.Comp.L. XII, ch. 6, S. 62; Magdelénat, Air Cargo, S. 103. 5 BGH v. 16.2.1979 – I ZR 97/77, BGHZ 74, 162 = NJW 1979, 2473; BGH v. 12.1.1982 – VI ZR 286/80, VersR 1982, 369; OLG Frankfurt v. 15.10.1991 – 5 U 196/90, TranspR 1993, 61 m. zust. Anm. Müller-Rostin; Basedow, S. 420 ff.; Giemulla in Giemulla/Schmid, Art. 25 WA Rz. 12 ff.; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 25 WA Rz. 24 ff. unter Hinweis auf die kontinental-europäisch geprägten Rechtssysteme. Anders dagegen die englische, kanadische und australische Rspr., die allein auf objektive Maßstäbe abstellen: Goldman v. Thai Airways, [1983] 3 All.E.R. 693 (C.A.) m. Anm. McGilchrist, Neil, L.M.C.L.Q. 1983, 488; Newell v. CPA, 74 D.L.R.3d 574 (Co.Ct. Ont. 1976); SS Pharmaceutical v. Qantas, [1991] 1 Ll.Rep. 288 (Austr. C.A.). Cass. (fr., 5.12.1967) JCP 1968, 15350 folgte – entgegen dem Plädoyer des Avocat Général – ebenfalls dem objektiven Begriff. 6 Basedow, S. 422 f.; Sundberg, Air Law 6 (1981), 230 (244) spricht von einem „industrialized approach“.
452 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 234 Teil E
wusstsein – eine solche Erkenntnis der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts – verbunden sein muss; ein solches Bewusstsein kann zum Beispiel eher nahe liegen, wenn es um Schäden an Leib und Leben geht […] als bei Sachschäden.“
Im Gegensatz zum leichtfertigen Verhalten des Luftfrachtführers bzw. dessen Leuten steht das Einzelfallversagen eines Mitarbeiters. Dieses Einzelfallversagen des Mitarbeiters muss jeweils als Alternative neben dem leichtfertigen Verhalten in Betracht gezogen werden und stellt kein zur unbegrenzten Haftung führendes Organisationsverschulden dar.
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OLG Frankfurt v. 9.9.2003 – 5 U 50/02: Verwechslung zweier Sendungen durch einen Mitarbeiter. „Es geht hier vielmehr um die einfache Verwechslung zweier Packstücke. Eine solche Verwechslung lässt nicht auf Leichtfertigkeit schließen und erst recht nicht auf das Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. …Eine so einfache Aufgabe durften die Beklagte und ihre Streithelferin einem Fahrer überlassen, ohne dass dessen Tätigkeit nochmals bei jedem einzelnen Packstück kontrolliert werden musste.“
Der Luftfrachtführer haftet demnach nicht für jeden Fehler im Transportverlauf unbeschränkt. Er ist im Rahmen seiner Tätigkeit darauf angewiesen, dass Mitarbeiter Arbeitsgänge durchführen, auch wenn diesen im Einzelfall Fehler unterlaufen können. Dies aber führt nicht zur Annahme groben Organisationsverschuldens, wenn die Mitarbeiter ausreichend geschult und instruiert sind. Nicht zu übersehen ist die weitere Anforderung von Art. 25 WA, wonach im Falle einer Handlung oder Unterlassung der Leute des Luftfrachtführers diese in Ausführung ihrer Verrichtungen gehandelt haben müssen.
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OLG Stuttgart v. 24.2.1993, TranspR 1995, 74: Ein Wachmann, welcher an einem Warnstreik teilnimmt, handelt nicht in Ausübung seiner Verrichtungen.
Dem Geschädigten obliegt der volle Beweis der Voraussetzungen des Art. 25 WA. Soweit die lex fori im Prozess Indizien und Anscheinsbeweise zulässt1, darf hierdurch der Typus des Haftungssystems, in welchem Art. 25 WA gerade die Ausnahme markiert, nicht verkehrt werden. Daher reicht i.d.R. ein schweres Verschulden prima facie nicht aus2. Ausgehend von der oben aufgestellten Indizienregel muss ein ungewöhnlicher Transportablauf somit für den Frachtführer eher entlastend wirken. In Fällen, in denen der Luftfrachtführer den Transportablauf nicht nachvollziehbar darlegt, tendiert die Rechtsprechung, wie auch im übrigen Transportrecht, allerdings zunehmend zur Annahme grober Fahrlässigkeit und mithin zur Anwendung des Art. 25 WA3. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Beweislast ausgehend vom Speditionsrecht auch für das internationale Frachtrecht des WA/HP sowie für die CMR differenzierte Regeln über die Darlegungs- und Beweislast entwickelt. Diese Regeln wurden bereits oben im Zusammenhang mit Art. 29 CMR angesprochen. Hiernach ist der Frachtführer gehalten, zum Ausgleich seines Informationsvorsprunges gegenüber einem Anspruchsteller zu seiner Organisation im Allgemeinen und zu den Gegebenheiten des konkreten Schadensfalles vorzutragen4. Hervorzuheben ist aber, dass ein An1 Im anglo-amerikanischen Recht etwa res ipsa loquitur. Dazu ausführlich: Fenston, Res Ipsa Loquitur (1950). Zur anglo-amerikanischen Praxis weiter: Mankiewicz, Nr. 165, S. 126 f.; Nr. 161–161.3, S. 118–121. 2 BGH v. 11.7.1967 – VI ZR 14/66, VersR 1967, 909 f.; Guldimann, Art. 25 WA Rz. 11; Kronke, Changing Law of Air Freight, Art. 25 WA Rz. 38; a.A. Riese, ZLW 5 (1956), 4, 33 f. u. mögl. Giemulla in Giemulla/Schmid, Art. 25 WA Rz. 22. 3 OLG Köln v. 27.6.1995 – 22 U 265/94, TranspR 1996, 26; sehr weit gehend: AG Frankfurt/M. v. 7.2.1997 – 32 C 2762/96, TranspR 1997, 346, 348 f. m. teilw. abl. Anm. Gran. 4 OLG Köln, Urteil v. 27.6.1995 – 22 U 265/94, TransportR 1996, 26; Müller-Rostin in Fremuth/ Thume, Transportrecht, Art. 25 WA, Rz. 10.
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Bürskens 453
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Teil E Rz. 235
Transport
spruchsteller sich nicht etwa nur darauf beschränken darf, einen Schaden darzulegen, um die sekundäre Darlegungslast des Frachtführers auszulösen. Diese entsteht vielmehr nur dann, wenn das prozessuale Geschehen Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden bietet1. Auch sofern der Frachtführer zu seiner Organisation vorzutragen hat, ändert dies nichts daran, dass der Anspruchsteller weiterhin die volle materielle Beweislast für die Erweislichkeit seiner Behauptungen zum Verschulden des Frachtführers trägt2. 235
Wenn der Frachtführer ausreichend zu seiner Organisation vorträgt und die dargelegten Sicherungs- und Organisationsmaßnahmen den branchenüblichen Maßstäben genügen, so wäre es widersinnig, diese Situation im Sinne eines „Zirkelschlusses“ wiederum gegen den Frachtführer zu verwenden. Dennoch wird zum Teil in der Rechtsprechung zugelassen, den Rückschluss zu ziehen, dass ein Abhandenkommen von Fracht aus einem entsprechend gut organisierten Betrieb mutmaßlich durch einen Diebstahl von mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten „Leuten“ des Frachtführers verursacht sein dürfte3. Der Frachtführer kann bei einer derartigen Argumentation der unbegrenzten Haftung nicht entkommen, denn der angenommene Diebstahl durch eigene Mitarbeiter führt wiederum zur unbegrenzten Haftung. Dies entspricht nicht dem Grundgedanken der transportrechtlichen Haftungssystematik, wonach die unbegrenzte Haftung im Falle groben Verschuldens die Ausnahme der Regel sein sollte. Solange der Anspruchsteller also nicht darlegen und beweisen kann, dass alternative Ursachen (Diebstahl außenstehender Dritter, Fehlverladung, Diebstahl von „Leuten“, welche nicht in Ausführung ihrer Verrichtungen i.S. von Art. 25 WA gehandelt haben, etc.) völlig ausgeschlossen sind, ist nicht akzeptabel, dem Frachtführer gerade seine gute Organisation vorzuwerfen und diese zur alternativen Basis einer unbegrenzten Haftung zu machen.
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Das MP Nr. 4 hat die Unverbrüchlichkeit der Haftungshöchstsummen eingeführt4. Dies ist im MÜ weitergeführt worden. Im Bereich des MÜ sind die Haftungshöchstgrenzen also fest und werden selbst bei qualifiziertem Verschulden oder Vorsatz nicht durchbrochen.5 gg) Anspruchslegitimation
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Die Anspruchslegitimation richtet sich nach Art. 12–14 WA/MÜ. Absender und Empfänger können also – für eigene oder fremde Rechnung – die ihnen zustehenden Rechte im eigenen Namen geltend machen.
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Das Kapitel V des MÜ (Art. 39 ff. MÜ) regelt die Haftungszurechnung, wenn neben dem vertraglichen Frachtführer ein weiterer Frachtführer in die tatsächliche Durchführung eines Lufttransports eingebunden ist. Passivlegitimiert ist nach Art. 40 MÜ der vertragliche Luftfrachtführer sowie der ausführende Luftfrachtführer. Das MÜ hat insofern die Regelung des Art. II ZAG übernommen. Demnach wird der ausführende 1 BGH, Urteil v. 21.9.2000 – I ZR 135/98, TranspR 2001, 29 (33 f.) (im dortigen Fall lieferte in der Nähe des Flughafens aufgefundenes Verpackungsmaterial die erforderlichen objektiven Anhaltspunkte). 2 BGH, Urteil v. 21.9.2000 – I ZR 135/98, TranspR 2001, 29 (33). 3 So aber das OLG Karlsruhe in Aufhebung der zuvor klageabweisenden landgerichtlichen Entscheidung – Urteil v. 10.11.2008, 15 U 75/07, inzwischen bestätigt durch den BGH, Urteil v. 22.7.2010, I ZR 194/08. 4 Der Rechtsausschuss der ICAO stellte 1974 fest, dass Art. 25 WA im Frachtbereich – anders als im Personenbeförderungsbereich – keine besondere Bedeutung zukomme. Art. 25 WA sei im Wesentlichen als Druckmittel bei Vergleichsverhandlungen zum Zuge gekommen: ICAO-Doc. 9131, LC/173-2, Legal Committee, 21st Session, Montréal 3-22 October 1974, vol. II (Documents), S. 24, Nr. 19.1. 5 Zum Verhältnis von Art. 22 Abs. 3 MÜ und Ziff. 27.2. ADSp: Vyvers, VersR 2010, 1554.
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Transportverträge
Rz. 240 Teil E
Frachtführer dem vertraglichen Frachtführer im Außenverhältnis gleichgestellt, beide haften als Gesamtschuldner Die Handlungen der Frachtführer werden dabei dem jeweils anderen zugerechnet, Art. 41 MÜ1. Der ausführende Frachtführer kann genauso wie der vertragliche an seinem Sitz verklagt werden (Art. 45, 46 MÜ). hh) Anspruchsdurchsetzung Einzelheiten zur Anspruchsdurchsetzung sind in den Art. 26, 28, 29, 35 WA bzw. Art. 31, 33, 35 und 52 MÜ geregelt2.
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Nimmt der Empfänger das Gut rügelos in Empfang, so spricht die Vermutung des Art. 26 Abs. 1 WA/Art. 31 Abs. 1 MÜ (widerleglich) gegen ihn, dass das Gut unbeschädigt angekommen ist. Ansonsten muss unverzüglich nach Entdeckung eines Schadens, jedenfalls aber innerhalb von 14 Tagen nach Ablieferung, dem Luftfrachtführer der Schaden angezeigt werden. Zu beachten ist, dass bei Anwendung des WA 1929 die Frist für die Rüge des Empfängers bei nur sieben Tagen liegt. Bei Verspätung beträgt die Frist 21 Tage (Art. 26 Abs. 2 WA/Art. 31 Abs. 2 MÜ)3. Für den Verlust ist keine Anzeigefrist vorgeschrieben4. Bei der Fristberechnung sind nach Art. 35 WA/Art. 52 MÜ auch Sonn- und Feiertage mitzuzählen. Wird die Anzeigefrist versäumt, so ist die Schadensersatzklage ausgeschlossen, wenn nicht der Frachtführer arglistig gehandelt hat (Art. 26 Abs. 4 WA/Art. 31 Abs. 4 MÜ)5. Auch im Warschauer System und im Rahmen des MÜ sind Ansprüche nach Ablauf der zweijährigen Ausschlussfrist gemäß Art. 29 WA bzw. Art. 35 MÜ vom Zeitpunkt der (geplanten) Ablieferung des Frachtgutes ausgeschlossen. Anders als Art. 30 CMR (dazu Rz. 82 f.) erfasst die Klageausschlussfrist nach wohl h.M. nur die Ansprüche aus Art. 17–19 WA bzw. 17–19 MÜ sowie die damit konkurrierenden Ansprüche aus dem nationalen Recht6, nicht aber beispielsweise Ansprüche aus den Art. 10–16 MÜ. Außerhalb des vereinheitlichten Haftungssystems des WA bzw. MÜ stehende Ansprüche unterliegen nicht dem Art. 29 WA. Umstritten ist, ob im Fall von Multimodaltransporten unter Einschluss einer internationalen Luftbeförderung die 2-jährige Ausschlussfrist des MÜ oder – im Hinblick auf § 452b dtHGB – die 3-jährige Verjährungsfrist des § 439 HGB vorgeht. Hierzu wird vertreten, dass der (nationale) Gesetzgeber dem dtHGB insofern den Vorrang habe einräumen wollen. Angesichts des Vorranges internationaler Abkommen und der Tatsache, dass das MÜ lex posterior ist, gebührt diesem jedoch der Vorrang. Nach Ablauf der Ausschlussfrist des Art. 29 WA bzw. 35 MÜ ist die Forderung folglich nicht mehr durchsetzbar: LG Darmstadt v. 26.5.2003 – 22 O 469/02: „Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Untergang der Forderung (BGH NJW 1983, 516). Die Klägerin kann sich zur Wahrung des Anspruchs auch nicht auf das Anerkenntnis eines Scha1 Eingehend, die Kommentierung zum ZAG: Kronke in MünchKomm/HGB, ZAG; Ruhwedel, Das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im Internationalen Luftverkehr v. 28.5.1999, TranspR 2001, 189 f. (200). 2 Dazu: Ehlers, TranspR 1996, 183. 3 Die auf sieben Tage verkürzte Anzeigefrist der ABB-Fracht ist unwirksam. Dubischar, S. 128; Wolf/Horn/Lindacher, § 9 AGBG Anm. F. 92–00. Zur Fristverlängerung durch AGB: Ehlers in Giemulla/Schmid, Art. 26 WA Rz. 30. Zu den Anforderungen an die Rüge: Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 26 WA Rz. 9; Koller, Art. 26 WA Rz. 12. 4 BGH v. 22.4.1982 – I ZR 86/90, BGHZ 84, 101. 5 OLG Frankfurt v. 3.6.1976 – 16 U 92/75, ZLW 26 (1977), 152 (154) – Empfänger wurde zurechenbar und schuldhaft daran gehindert, rechtzeitig anzuzeigen; OLG Köln v. 11.6.1982 – 20 U 121/81, ZLW 32 (1983), 167 – Täuschung über Schadensumfang. Zum Arglisttatbestand vgl. weiter Matte, Treatise, S. 425 f.; Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 370 (Rz. 489). 6 BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583, 1585; OLG Frankfurt v. 20.4.1989 – I U 34/88, VersR 1990, 1031; Ehlers in Giemulla/Schmid, Art. 29 WA Rz. 3; Koller, Transportrecht, Art. 29 WA Rz. 2 f.
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Bürskens 455
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Teil E Rz. 241
Transport
densersatzanspruchs der Beklagten durch Rückerstattung der Fracht berufen. Ist bereits zweifelhaft, ob darin überhaupt ein Schuldanerkenntnis der Beklagten zu sehen ist, wäre es dieser gleichwohl nicht verwehrt, sich auf den Ablauf der Ausschlussfrist zu berufen (so OLG Frankfurt, MDR 1984, 944).“1
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Anders als im Rahmen des CMR regelt das WA bzw. das MÜ die internationale und nationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte Dies ergibt sich aus Art. 28 Abs. 1 WA bzw. Art. 33 MÜ. Die Literatur und Rechtsprechung ist zu der Frage, ob sich auch die nationale Zuständigkeit nach der Regelung des Art. 28 WA bzw. Art. 33 MÜ bestimmt uneins2. Der Wortlaut der Vorschrift spricht jedoch dafür, dass auch die nationale Zuständigkeit durch das internationale Abkommen geregelt werden sollte. Dies folgt auch aus einem Vergleich mit dem Wortlaut von Art. 31 CMR, der sich im Gegensatz dazu ausdrücklich nur auf die Zuweisung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines Staates beschränkt. Gerichtsstand ist demnach wahlweise3 der Wohnsitz oder der Sitz der Hauptbetriebsleitung des Frachtführers, der Sitz der Geschäftsstelle des Frachtführers, die den Frachtvertrag abgeschlossen hat4, oder das zuständige Gericht des Bestimmungsortes5. Folgt man der Gegenmeinung, ist § 30 dtZPO zu beachten. In der Schweiz verweist Art. 12 LTR (Schweizerisches Lufttransportreglement vom 3.10.19526) hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit auf das Warschauer Abkommen, so dass auch hier die nationale Zuständigkeit durch das WA bzw. MÜ geregelt wird7. Als vertragsschließende Geschäftsstelle im Sinne der Vorschrift kommt auch eine Agentur in Betracht, derer sich ein Frachtführer bedient, der keine eigenen Geschäftsstellen in dem entsprechenden Staat unterhält8. Gerichte eines Nichtvertragsstaates sind an Art. 28 WA bzw. Art. 31 MÜ ebenso wenig gebunden wie Kläger, die Ansprüche einklagen, die nicht vom Warschauer Haftungssystem bzw. dem MÜ geregelt werden. Hierzu gehören insbesondere die Ansprüche gegen Hilfspersonen des Beförderers, die in Art. 25A WA/HP bzw. Art. 30 MÜ nur beiläufig erwähnt werden9.
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Gerichtsstandvereinbarungen vor Schadenseintritt sind nach Art. 32 WA bzw. Art. 49 MÜ unwirksam. Schiedsklauseln für Frachtbeförderungen bleiben hingegen ausdrücklich zulässig (Art. 32 Satz 2 WA). Die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens wird in Art. 34 MÜ nun auch ausdrücklich geregelt. In einem solchen Verfahren werden die Schiedsrichter ausdrücklich zur Anwendung des MÜ verpflichtet. Art. 28 WA bzw. Art. 31 MÜ geht dem EuGVÜ (für Dänemark) nach dessen Art. 57 Abs. 1, der EuGVO bzw. der Brüssel Ia-VO nach deren Art. 71 Abs. 1 vor, soweit es um die internationale Zuständigkeit geht. Die EuGVO/Brüssel Ia-VO und das EuGVÜ bleiben jedoch ins1 Vgl. Müller-Rostin, TranspR 2008, 241; TranspR 2012, 14; Ruhwedel in MünchKomm/HGB, 3. Aufl., Art 35 MÜ, Rz. 11; Reuschle, Montrealer Übereinkommen, Art. 18 MÜ, Rz. 45a; Koller, TranspR 2015, 98, 100. 2 Dettling-Ott in Giemulla/Schmid, Art. 28 WA Rz. 6 ff.; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 28 WA Rz. 20; Kronke, Anm., IPRax 1993, 109; LG Bad Kreuznach v. 16.10.2003 – 5 O 70/02; a.A. Koller, Transportrecht, Art. 28 WA Rz. 1. 3 Dazu: Milor v. B.A., Times Law Report, 19 February 1996 (C.A. 1996). 4 BGH v. 22.4.1982 – I ZR 86/80, NJW 1983, 516 (518 f.); OLG Hamburg v. 18.11.1982 – 6 U 151/82, TranspR 1985, 351 ff.; LG Stuttgart v. 20.8.1990 – 3 KfH O 52/91, IPRax 1993, 109 m. Anm. Kronke. 5 BGH v. 23.3.1976 – VI ZR 92/75, NJW 1976, 1586; OLG Düsseldorf v. 24.3.1975 – 1 U 87/74, VersR 1975, 645 f. 6 SR 748.411. 7 Dettling-Ott in Giemulla/Schmid, Art. 28 WA Rz. 6 ff. 8 BGH v. 22.4.1982 – I ZR 86/80, NJW 1983, 516 (518 f.) m. Anm. Giemulla/Mölls. 9 BGH v. 6.1.1981 – VI ZR 112/80, NJW 1982, 524 = IPRax 1983, 124 m. Anm. Reifarth, ibd. S. 107; Guldimann, Art. 28 WA Rz. 2; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 28 WA Rz. 5 f.; Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 442 (Rz. 660), Ehlers in Giemulla/Schmid, Art. 28 WA Rz. 6. Offenlassend: Shawcross & Beaumont I, ch. 27, VII (200). A.A. Mankiewicz, Liability Regime, S. 133; Schoner, Anm. zu BGH v. 6.10.1981, RIW 1982, 598.
456 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 251 Teil E
besondere im Hinblick auf die internationale Anerkennung und Vollstreckung anwendbar (Art. 71 Abs. 2 lit. a EuGVO/Brüssel Ia-VO, Art. 57 Abs. 2 EuGVÜ)1. Für die Schweiz gilt diesbezüglich weiterhin Art. 57 Abs. 1, 2 Luganer Abkommen. b) IPR und ergänzend anwendbares Recht aa) Nicht durch das Warschauer System geregelte Sachverhalte Das Warschauer Haftungssystem regelt ebenso wie das MÜ den internationalen Luftfrachtvertrag nicht abschließend. Nachstehend findet sich eine Übersicht einiger, häufig wichtiger Aspekte, die nicht vom Warschauer Haftungssystem erfasst sind2:
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– Aufrechnung: Uneingeschränkt zulässig.
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– Außervertragliche Ansprüche: Grds. wie entspr. Anm. zur CMR (Rz. 89). Außervertragliche Ansprüche kommen daher neben den vertraglichen Anspruchsgrundlagen in Betracht, soweit sie nicht durch das Anspruchssystem des WA bzw. des MÜ ausgeschlossen werden. Ansprüche des Dritteigentümers der Ladung sind also nicht ohne weiteres der Haftungsbeschränkung unterworfen3. Art. 24 WA bzw. Art. 29 MÜ enthalten insofern aber eine Sonderregel (die im Wesentlichen Art. 28 CMR entspricht), wonach die Haftungsbeschränkungen der internationalen Abkommen (Art. 22 WA) weitergehende konkurrierende Ansprüche aus nationalem Recht sperren. Vom internationalen Abkommen nicht geregelte Ansprüche können nach wohl h.M. aber weiter neben dem WA/MÜ bestehen).
245
– Be- und Entladen: Das WA enthält keine Regel. Es gilt das in der entspr. Anm. zur CMR Gesagte (Rz. 90).
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– Erfüllungsort: Wie oben entspr. Anm. zur CMR (Rz. 91).
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– Haftpflichtversicherung: Das WA statuiert keine Versicherungspflicht4. Das MÜ sieht in Art. 50 MÜ vor, dass die Mitgliedstaaten ihre Luftfrachtführer zu einer Versicherungspflicht aufgrund nationaler Vorschriften verpflichten.
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– Kombinierter Transport (Multimodaltransport): Art. 31 WA bzw. Art. 38 MÜ enthält eine Sondervorschrift5, im Übrigen gelten die anwendbaren Regeln zum Multimodaltransport – bei deutschem Vertragsstatut etwa die §§ 452 ff. dtHGB (vgl. Rz. 44). Gegebenenfalls ist im Einzelfall abzugrenzen, beispielsweise im Hinblick auf Art. 18 Abs. 4 MÜ. Nach allgemeinen Regeln geht im Zweifel das internationale Abkommen vor.
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– Kündigung/Rücktritt: Abgesehen von Art. 12 WA/MÜ nicht geregelt. Daher wie entspr. Anm. zur CMR (Rz. 92).
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– Leistungsstörungen: Das WA und auch das MÜ regeln Verlust, Beschädigung und Verspätung in Art. 17–19 WA bzw. MÜ (Anspruchsgrundlagen) sowie in Art. 20–25 WA bzw. Art. 19–25 MÜ, ferner die Haftung für unzulängliche Briefangaben (Art. 10 WA/MÜ) und für die Nichtbeachtung und unzulässige Beachtung von Wei-
251
1 LG Stuttgart v. 20.8.1991 – 3 KfH O 52/91, IPRax 1993, 109 (LS) m. Anm. Kronke; Zum Ganzen: ders. in MünchKomm/HGB, Art. 28 WA Rz. 7 ff. 2 Vgl. auch die Auflistung bei Koller, Transportrecht, vor Art. 1 WA Rz. 7 ff.; Giemulla in Giemulla/Schmid, Einl. WA Rz. 17 f. 3 Gatewhite v. Iberia, [1989] 1 All E.R. 944 (946) = [1989] 1 Ll.Rep. 160 (162) (Q.B.). Die internationale Rspr. ist hier allerdings uneinheitlich; vergleichend: Wilkinson, AASL 17-II (1992), 441, 452–472; Ruhwedel, Das störende Eigentum am Frachtgut in Thume, FS Rolf Herber, 1999, S. 163 ff. 4 Zu anderweitigen Pflichtversicherungsnormen: Kadletz, ZLW 44 (1995), 270. 5 Naveau, ETL 1975, 721 ff.
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Bürskens 457
Teil E Rz. 252
Transport
sungen (Art. 12 Abs. 3 WA/MÜ) und mangelnde Informationen (Art. 16 WA/MÜ). Eine dem Art. 11 CMR entsprechende Vorschrift fehlt; insoweit müssen Ansprüche auf nationales Frachtrecht oder schuldhafte allgemeine Vertragsverletzung gestützt werden1. Das WA enthält für die Beeinträchtigung des Gutes und Lieferfristüberschreitungen ein in sich geschlossenes System. Bei Beförderungs- und Ablieferungshindernissen ist nach Art. 12 WA/MÜ um Weisungen zu ersuchen. Die verspätete Ankunft des Gutes führt im Übrigen zur Haftung nach Art. 19 WA/MÜ. Das ergänzende Leistungsstörungsrecht ist dem nationalen Recht zu entnehmen. Bei deutschem Vertragsstatut insbesondere § 280 BGB2. Der vertraglichen Vereinbarung ist zu entnehmen, ob es sich um ein Fixgeschäft handelt3. Die Regeln der schuldhaften Vertragspflichtverletzung sind bei Güterschäden außerhalb des Obhutzeitraums anwendbar sowie bei der Verletzung von außerhalb des WA übernommenen Nebenpflichten4 und bei Schäden infolge Falschauslieferung5 oder falscher Beratung6. 252
– Pfandrechte: Das „Warschauer System“ bzw. das MÜ enthält keine besonderen Regeln. Daher wird auf die entsprechenden Anmerkungen zur CMR7 (Rz. 94) verwiesen.
253
– Sonderpflichten: Wie entspr. Anm. zur CMR (Rz. 95). Für die Nachnahme enthält das WA bzw. das MÜ keine Sondervorschriften8. Die Eindeckung einer Güterversicherung kann der Absender entsprechend der allgemein in den transportrechtlichen Regelungswerken üblichen Verfahren durch einen zusätzlichen Eintrag eines Transportversicherungswertes (abzugrenzen vom Zollwert, dieser stellt keine für die Versicherung relevante Wertdeklaration dar) im Luftfrachtbrief und die Entrichtung der anfallenden Versicherungsprämie9 erreichen.
254
– Vergütung: Der Vergütungsanspruch ist außer in Art. 13 Abs. 1 WA/MÜ nicht geregelt. Es gilt das oben in der entspr. Anm. zur CMR Gesagte10. Die Verjährungsfrist ergibt sich aus dem nationalen Recht11.
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– Verjährung: Zu beachten ist, dass WA und MÜ keine Verjährungsfristen enthalten. Art. 29 WA bzw. Art. 35 MÜ sind als Ausschlussfristen dogmatisch von Verjährungsfristen zu unterscheiden und gehen diesen als lex specialis vor. Nachträglich (also nach Schadenseintritt) können diese Fristen abbedungen werden.12 1 Koller, Transportrecht, Art. 16 WA Rz. 4; Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 24 WA Rz. 10 ff.; Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 10 WA Rz. 8. 2 Koller, Transportrecht, vor Art. 1 WA Rz. 15 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 13.12.1990 – 18 U 120/90, TranspR 1991, 106 f.; OLG Frankfurt v. 25.4.1983 – 5 U 75/82, TranspR 1984, 21, 23. 4 BGH v. 28.2.1975 – I ZR 40/74, VersR 1975, 610 (vertragswidriges Unterlassen des Abschlusses einer Versicherung, zur CMR). 5 BGH v. 27.10.1978 – I ZR 30/77, TranspR 1982, 108 = VersR 1979, 276 f. (zur CMR); zur pFV wegen mangelhafter Dokumentation: OLG Frankfurt v. 20.4.1989 – I U 34/88, ZLW 38 (1989), 381. 6 OLG Hamm v. 28.4.1983 – 18 U 230/81, TranspR 1983, 151 (zur CMR). Einschränkend aber OLG Köln v. 16.2.1990 – 20 U 177/89, TranspR 1990, 199, 201: Hebelt der pFV-Anspruch das Haftungssystem des WA indirekt aus, so gelten zumindest seine Beschränkungen auch für die pFV (im konkreten Fall war ein Anspruch aus pFV gänzlich ausgeschlossen). Dazu vgl. weiter Kronke in MünchKomm/HGB, Art. 24 WA Rz. 11. 7 Vgl. weiter: Riese, ZLR 7 (1958), 271, 283; Milde, McGill L.J. 11 (1965), 220, 260 f. 8 OLG Frankfurt v. 28.4.1981 – 5 U 179/80, ZLW 1984, 91 (93); zur Nichtbeachtung der „collecton-delivery“-Anweisung: Professional Computer Consultants v. Porter, 683 F.Supp. 742 (C.D.Cal. 1988). 9 OLG Frankfurt v. 16.4.1996 – 5 U 219/94, ZLW 46 (1997), 281. 10 Weiter: Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 254 ff. (Rz. 245 ff.). 11 BGH v. 7.5.1981 – VII ZR 107/80, BGHZ 80, 280 = NJW 1981, 1664 (1665). 12 AG Rüsselsheim, Urteil v. 20.10.1999 – 3 C574/99; LG Darmstadt, Urteil v. 26.5.2003 – 22 O 469/02; LG Frankfurt/M., Urt. v. 8.3.2000 – 3/3 O 119/98.
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Transportverträge
Rz. 260 Teil E
– Vertragsschluss: Beim Luftfrachtvertrag handelt es sich um einen formlosen Konsensualvertrag1. Dass der Luftfrachtbrief lediglich Beweiszwecken dient, wird nicht immer beachtet2. Bei Spediteuren liegt in der Ausstellung eines Luftfrachtbriefes regelmäßig der Selbsteintritt3. Umstritten ist, ob bei Ausstellung des Luftfrachtbriefes nach Vertragsschluss die standardisierten AGB Vertragsbestandteil geworden sind4. Die IATA-Standardbedingungen stellen jedenfalls keinen Handelsbrauch dar5.
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– Zession: Weder WA noch MÜ enthalten Regeln. Im Übrigen s. oben entspr. Anm. zur CMR (Rz. 100).
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– Zoll: Das WA und das MÜ enthalten unmittelbar keine Regelungen. Aus Art. 16 WA/HP bzw. Art. 16 MÜ folgt, dass die Verzollung Sache des Luftfrachtführers ist6.
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bb) IPR Zunächst sei verwiesen auf die voranstehend zum Transportrecht allgemein sowie zum Anwendungsbereich des Warschauer Abkommens bzw. des Montrealer Übereinkommens gemachten Ausführungen. Wichtig sind die Verweisungen auf die lex fori in den Abkommenstexten sowie das Rechtswahlverbot des Art. 32 WA bzw. des Art. 49 MÜ. Darüber hinaus gelten die oben zum IPR bei Straßenfrachtverträgen (Rz. 85) allgemein angestellten Überlegungen auch für Luftfrachtverträge. Ergänzend wird verwiesen auf van Dieken7, wobei allerdings die zwischenzeitliche Aufhebung der frachtrechtlichen Vorschriften des LuftVG zu berücksichtigen ist.
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Wie oben im Zusammenhang mit dem Strassentransport bereits dargestellt, sind für die Schweiz die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht einschlägig8. 3. Materiellrechtliche Besonderheiten a) Lufttransportrecht in Deutschland Im Rahmen der Besonderheiten des deutschen Rechts zum Straßenfrachtrecht wurde der Allgemeine Teil des deutschen Frachtrechts im HGB (§§ 407 dtHGB) bereits dargestellt. Wie dargelegt, gelten diese Regelungen auch für den Lufttransport. Auf diese Ausführungen wird verwiesen. Die frachtrechtlichen Vorschriften des deutschen LuftVG wurden 1998 durch das Transportrechtsreformgesetz aufgehoben9. Die Vorschriften über Passagierbeförderung, Haftung gegenüber Dritten und öffentlich-rechtliche Angelegenheiten des Luftverkehrs sind, soweit nicht durch Europarecht überlagert (s. dazu oben die Bemerkungen eingangs des Transportrechtsabschnitts), weiterhin im LuftVG geregelt. 1 S. Rz. 205 (WA), Rz. 36 (Speditionsvertrag) und Rz. 99 (CMR); BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583 f. 2 OLG Stuttgart v. 7.10.1987 – 3 U 181/86, VersR 1988, 909 und dazu Koller, Transportrecht, vor Art. 1 WA Rz. 7. 3 OLG Hamburg v. 18.2.1988 – 6 U 195/87, TranspR 1988, 201 f. 4 Bejahend: Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, Art. 11 WA Rz. 8; Abraham, Art. 11 WA, Anm. 3; Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, S. 205 (Rz. 139); verneinend: Koller, Transportrecht, vor Art. 1 WA Rz. 7. 5 OLG Köln v. 5.5.1982 – 5 U 32/79, ZLW 1982, 401; Rudolf, ZLW 18 (1969), 90 (94). 6 OLG Frankfurt v. 1.2.1972 – 5 U 141/71, ZLW 21 (1972), 276, 279; a.A. Guldimann, Art. 13 WA Rz. 13. 7 Reithmann/Martiny, Rz. 1464 ff. 8 Dettling-Ott, Internationales und Schweizerisches Lufttransportrecht, 1993, S. 78 ff.; Meili, S. 17 f. 9 Kadletz in Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 17: Nationales Transportrecht Rz. 3, 5. Insofern ist daher die aus älterer Zeit stammende Darstellung bei van Diecken in Reithmann/Martiny entsprechend überholt.
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Teil E Rz. 261
Transport
b) Lufttransportrecht in Österreich 261
Neben Warschauer Abkommen, Haager Protokoll und Montrealer Übereinkommen gilt in Österreich das österreichische Luftfahrtgesetz (LFG)1. Luftfrachtgeschäfte unterfallen den §§ 158 ff. LFG, sofern nicht bereits ein internationales Übereinkommen diese Materie regelt (§ 146 LFG) Die Haftung der §§ 158 LFG ist den Regelungen im Montrealer Übereinkommen weitgehend angelehnt2. In Österreich sind die §§ 425 ff. öUGB, wie vor 1998 in Deutschland, nicht unmittelbar auf Lufttransporte anwendbar3. Wie allerdings auch in Deutschland können einzelne Regelungen der §§ 425 ff. öUGB in Analogie auf Luftfrachtverträge angewandt werden, soweit nicht der Grundgedanke des möglichst weitgehenden Gleichlaufs des österreichischen Luftfrachtrechts mit dem Montrealer Übereinkommen beeinträchtigt wird.
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Das Luftfahrtgesetz regelt die Haftung für Schäden am Frachtgut wie folgt: Der Beförderer haftet für den Schaden, der während der Beförderung am Frachtgut entsteht, nur dann, wenn der Schaden auf sein Verschulden oder das Verschulden seiner Leute zurückzuführen ist. In Fällen leichter Fahrlässigkeit wird die Haftung auf 19 SZR pro kg beschränkt. Eine Verjährungsregelung ist im LFG nicht enthalten. Damit verjähren die Schadensersatzansprüche gem. § 1489 des österreichischen ABGB in drei Jahren ab Kenntnis des Ersatzberechtigten von Schaden und Schädiger, im Übrigen in 30 Jahren ab dem Unfall. c) Lufttransportrecht in der Schweiz
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Die Schweiz hat das Warschauer Abkommen wie auch das Haager Protokoll, das Zusatzabkommen von Guadalajara sowie die Zusatzprotokolle Nr. 1, 2 und 4 ratifiziert. Ebenso gilt das Montrealer Übereinkommen4. Mit Inkrafttreten des MÜ hat die Schweiz das damalige Lufttransportreglement aufgehoben und durch die Lufttransportverordnung (LTrV)5 ersetzt, die auf alle nationalen und internationalen Beförderungen Anwendung findet, welche nicht dem MÜ unterstehen (Art. 1 LTrV). Art. 2 LTrV erklärt sodann einen Großteil der Bestimmungen des MÜ für anwendbar, so dass im Ergebnis viele Bestimmungen des MÜ kraft nationalen Rechts auch dann zur Anwendung kommen, wenn das MÜ aus sich selber heraus nicht anwendbar wäre. Enthalten weder das MÜ noch die LTrV eine Regelung, so kommt subsidiär das schweizerische Obligationenrecht zur Anwendung6. 4. Checkliste
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– Das internationale Lufttransportrecht umfasst eine Vielzahl internationaler Regelungswerke. Deren Anwendbarkeit hängt von den Umständen des jeweiligen Transports ebenso ab wie vom Ratifizierungsstand des jeweiligen Regelungswerkes. 1 ÖBGBl. 1957/253 i.d.F. ÖBGBl. I 2003/73. 2 Eichler, Die Haftung nach dem österreichischen Luftfahrtgesetz, ZLW 50 (2001), 500 m.w.N. 3 Kerzendorfer/Geist in Jabornegg, Kommentar zum HGB, 1997, § 425 HGB Rz. 4; Krejci, Handelsrecht, 1995, Kap. 24 I.B. 4 Warschauer Abkommen: SR 0.748.410; Haager Protokoll: SR 0.748.410.1; Zusatzabkommen von Guadalajara: SR 0.748.410.2; Zusatzprotokoll Nr. 1: SR 0.748.410.3; Zusatzprotokoll Nr. 2: SR 0.748.410.4; Zusatzprotokoll Nr. 4: SR 0.748.410.6; Montrealer Übereinkommen: SR 0.748.411. 5 SR 748.411. 6 Vgl. Art. 79 des Luftfahrtgesetzes (LFG), SR 748.0. Sehr ausführlich setzt sich Dettling-Ott, Internationales und schweizerisches Lufttransportrecht, Zürich 1993, S. 51 ff. mit der Frage der anwendbaren Rechtsgrundlagen auseinander. Die Ausführungen erfolgen allerdings auf der Grundlage des damals noch anwendbaren Lufttransportreglements und sind deshalb teilweise überholt; vgl. auch Montanaro, S. 20 ff.
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Transportverträge
Rz. 264 Teil E
– Basis des internationalen Lufttransportrechts war lange Zeit das Warschauer Abkommen von 1929, welches von 152 Staaten ratifiziert worden ist. Ergänzend sind das Haager Protokoll von 1955 (ratifiziert von 137 Staaten), das Abkommen von Guadalajara (1961) sowie das Montrealer Protokoll Nr. 4 (in Kraft getreten am 14.6.1998, dieses wurde von der Schweiz, nicht aber von Österreich und Deutschland ratifiziert) zu beachten. Inzwischen hat das Montrealer Übereinkommen vom 28.5.1999 das Warschauer Abkommen (WA) in seiner Bedeutung abgelöst, dieses ist inzwischen von 119 Staaten ratifiziert und geht dem WA vor. Ergänzend sind die IATA Beförderungs- und Vertragsbedingungen und eine Reihe weiterer Zusatzprotokolle zu beachten. Die internationalen Abkommen stellen infolge Ratifizierung zugleich nationales innerstaatliches Recht dar und enthalten sowohl kollisionsrechtliche als auch materiellrechtliche Normen. – Voraussetzung für die Anwendbarkeit der maßgeblichen internationalen Abkommen ist das Vorliegen einer gewerblichen internationalen Luftbeförderung zwischen zwei Vertragsstaaten. Dabei kommt es auf den vereinbarten Inhalt des Beförderungsvertrages an, nicht die tatsächliche Handhabung. – Die internationalen Abkommen stellen keine abschließenden Regelungswerke dar. Ergänzend kommen die jeweiligen vertraglichen Festlegungen und die nach den Regeln des IPR zu bestimmenden nationalen Luftfrachtregelungen zur Anwendung. – Welches internationale Abkommen Anwendung findet, bestimmt sich danach, welches Abkommen von Absender- und Empfängerstaat ratifiziert wurde. Ist keines der infrage kommenden Abkommen von beiden Staaten ratifiziert worden, so finden auf den Beförderungsvertrag lediglich die konkreten vertraglichen Festlegungen (Beförderungsbedingungen!) und das nach IPR zu bestimmende nationale Recht Anwendung. – Der Lufttransportvertrag im Sinne des WA oder MÜ ist abzugrenzen von Miet-, Charter- und sonstigen Gebrauchsüberlassungsverträgen, auf welche die internationalen Abkommen keine Anwendung finden. – Von besonderer Bedeutung war lange die Tatsache, dass die USA lediglich das Warschauer Abkommen von 1929, nicht aber das Haager Protokoll von 1955 ratifiziert haben. Teilweise werden jedoch über das Vierte Montrealer Protokoll die Normen in der Fassung des Haager Protokolls auch für Transporte aus oder in die USA angewandt. Inzwischen verdrängt im internationalen Luftverkehr das von den meisten Staaten (einschließlich den USA) ratifizierte MÜ das an Bedeutung verlierende WA. – In der Praxis von erheblicher Bedeutung sind die in Art. 12, 14 WA/HP sowie MÜ geregelten Weisungsrechte von Absender und Empfänger. – Im Warschauer Haftungssystem haftet der Luftfrachtführer für Zerstörung, Beschädigung und Verlust nach Art. 18 WA/HP, sofern er sich nicht nach Art. 20 WA/HP exkulpieren kann. Die Haftung ist aber gemäß Art. 22 Abs. 2 lit. a WA/HP in der Höhe beschränkt auf 250 Gold-Franken je kg (entsprechend ca. 27,35 Euro), sofern der Absender im Frachtbrief nicht einen höheren Haftungswert deklariert und den entsprechenden Zuschlag gegenüber dem Frachtführer entrichtet hat. Die begrenzte Haftung wird im Warschauer Haftungssystem durchbrochen, wenn dem Luftfrachtführer gemäß Art. 25 WA/HP qualifiziertes Verschulden nachgewiesen wird. – Das MÜ verändert dieses Haftungssystem zugunsten des Luftfrachtführers. Gemäß Art. 22 Abs. 3 MÜ beschränkt sich seine Haftung auf nunmehr 19 SZR, eine Haftungsdurchbrechung bei qualifiziertem Verschulden findet nicht mehr statt. Der Absender kann aber auch im Rahmen des MÜ einen Transportwert deklarieren und hierüber eine höhere Versicherung eindecken (gegen Zahlung eines Zuschlages).
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Bürskens 461
Teil E Rz. 265
Transport
– Im Falle von Beschädigungen oder Verzögerungen legt Art. 26 WA/HP Ausschlussfristen für den Geschädigten von sieben bzw. 21 Tagen fest (Ausnahme: Arglist des Frachtführers). Im Rahmen des MÜ gelten Fristen von 14 respektive 21 Tagen bei Beschädigungen oder Verzögerungen (Art. 31 (2) MÜ). – Übersicht über Vorgehensweise bei der Identifizierung der anwendbaren Normen im internationalen Lufttransportrecht: – Welches sind Abgangs- und Bestimmungsstaat des maßgeblichen Lufttransportes? – Haben beide Staaten eines der maßgeblichen internationalen Abkommen ratifiziert? – Sofern beide Staaten übereinstimmend mehrere der Abkommen ratifiziert haben, gilt das jeweils zeitlich jüngere. – Sofern keines der internationalen Abkommen zur Anwendung kommt oder Sachverhalte dort nicht erschöpfend geregelt sind, kommen ergänzend die Regelungen des nationalen Luftfrachtrechts zur Anwendung. Diese sind über die Regeln des IPR zu bestimmen. – Ergänzend sind weiterhin anzuwenden: die jeweiligen Parteivereinbarungen, Beförderungsbedingungen und sonstiges nationales Recht. – Übersicht über die wesentlichen Anspruchsgrundlagen im internationalen Lufttransportrecht zugunsten des Frachtführers: – Schadensersatz: Art. 10 Abs. 2 WA/HP/MÜ, Art. 16 Abs. 1 WA/HP/MÜ (unrichtige, ungenaue oder unvollständige Angaben); – sonstige Ansprüche: Art. 5 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 MÜ (Ausstellung und Aushändigung v. Luftfrachtbrief); Art. 6 Abs. 1 MÜ, Art. 16 Abs. 1 WA/HP (Auskunftspflicht); Art. 7 WA/HP, Art. 8 Abs. 1 MÜ (mehrere Frachtbriefe). – Ansprüche gegen den Luftfrachtführer: – Schadensersatz (zum Ausschluss und Umfang: Art. 20–25 WA/HP/MÜ): Art. 10 Abs. 3 MÜ (unrichtige, ungenaue oder unvollständige Angaben in Empfangsbestätigung oder anderen Aufzeichnungen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 MÜ); Art. 12 Abs. 3 WA/HP/MÜ (Unterlassen der Vorlage des Luftfrachtbrief); Art. 18 Abs. 1 WA/HP/MÜ (Zerstörung, Verlust, Beschädigung); Art. 19 WA/HP/MÜ (Verspätung); Art. 40 MÜ (Ausweitung der Haftung auf ausführenden Luftfrachtführer); – sonstige Ansprüche: Art. 4 Abs. 2 MÜ (Empfangsbestätigung); Art. 5 Abs. 1 WA/HP (Annahme von Luftfrachtbrief); Art. 12 Abs. 1 WA/HP/MÜ (Weisungsrecht); Art. 13 Abs. 1 WA/HP/MÜ (Ablieferung); Weitere Ansprüche folgen dem jeweiligen Beförderungsvertrag sowie den allgemeinen Regeln des jeweils anwendbaren Rechts. 5. Steuerrechtliche Hinweise 265
Steuerrechtliche Aspekte des deutschen Luftrechts sind umfassend abgehandelt bei Krämer, Die Behandlung der Luftfahrt im deutschen Steuerrecht, in Benkö/Kröll (Hrsg.), Luft- und Weltraumrecht im 21. Jahrhundert, Festschrift für Karl-Heinz Böckstiegel, 2001, S. 112.
V. See 1. Allgemeines 266
Das Seehandelsrecht hat eine vom Landfrachtrecht unabhängige Entwicklung genommen und unterliegt sowohl international als auch in den nationalen Handelsrechten vom allgemeinen Frachtrecht zu differenzierenden Regelungen. 462 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 267 Teil E
2. Internationales Privatrecht a) International vereinheitlichtes Seefrachtrecht: Haager Regeln, Haag/Visby Regeln, Hamburg Regeln und Rotterdam Regeln Das internationale Seehandelsrecht setzt sich aus einer Vielzahl von internationalen Übereinkommen und Konventionen mit unterschiedlichem Ratifikationsstand zusammen1. Die derzeit wesentlichsten geltenden Übereinkommen im internationalen Seefrachtrecht sind die Haager Regeln von 19242, die Haag/Visby Regeln von 19683 und die Hamburg Regeln von 19784. Diese Übereinkommen haben nicht nur eine große Rolle bei der Vereinheitlichung des internationalen Seefrachtrechts gespielt, sondern auch die nationalen Rechtsordnungen wesentlich beeinflusst, da ihre Bestimmungen von einer Mehrzahl von Staaten in das eigene nationale Seefrachtrecht eingearbeitet wurden. Das Nebeneinander von Übereinkommen, die den gleichen Gegenstand ganz oder teilweise regeln, führt zu einer Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit. Dieser Zustand im internationalen Seetransportrecht sollte eigentlich durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über die internationale Beförderung von Gütern ganz oder teilweise auf See endgültig aufgehoben werden. Die sog. Rotterdam Regeln sind allerdings bislang nur von drei Staaten (Spanien, Togo und Kongo) ratifiziert worden und deswegen noch nicht in Kraft getreten. Die Haager Regeln (im Folgenden: „HR“) sind (ihrem Titel entsprechend) ein internationales Übereinkommen, das „bestimmte Regeln über Konnossemente“ vereinheitlicht. Sie waren als Konnossementsbedingungen gedacht und enthalten keine umfassende Regelung des Seefrachtvertrages. Subsidiär ist damit das nach den Regeln des Internationalen Privatrechts jeweils anwendbare nationale Recht heranzuziehen. Art. 10 HR bestimmt den Anwendungsbereich der Haager Regeln. Hiernach ist das Übereinkommen auf jedes Konnossement anwendbar, das in einem der Vertragsstaaten ausgestellt wird. Die Vertragsstaaten konnten das Übereinkommen entweder unmittelbar im Gesetzesrang für wirksam erklären oder die darin enthaltenen Regeln in das nationale Recht einführen. Deutschland hat sich für den zweiten Weg entschieden und die Bestimmungen der Haager Regeln durch das Seefrachtgesetz vom 10.8.1937 in das dtHGB inkorporiert. Die Haager Regeln wurden später im Rahmen des Änderungsprotokolls vom 23.2.1968 modernisiert. Die sog. Haag/Visby Regeln („im Folgenden: HVR“) erweitern den engen Geltungsbereich der HR, indem in Art. 10 lit. b HVR – alternativ zum Ort der Konnossementsaustellung – an den Abgangsort der Beförderung angeknüpft wird. Außerdem gelten nach Art. 10 lit. c HVR deren Regelungen, wenn das jeweilige Konnossement dies vorsieht (sog. Paramount Klauseln). Die Haag/Visby Regeln wurden von Deutschland nicht ratifiziert, aber durch das 2. Seerechtsänderungsgesetz vom 25.7.1986 in das dtHGB eingearbeitet5. Die Hamburg Regeln („im Folgenden: HAR“), die 1978 von den Vereinten Nationen auf einer diplomatischen Konferenz in Hamburg beschlossen wurden, sind zwar am 1.11. 1992 in Kraft getreten, fanden aber bislang bei den meisten Schifffahrtnationen keine Akzeptanz und sind auch für Deutschland und die Schweiz nicht in Kraft getreten. In 1 Eine übersichtliche Auflistung findet sich auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Transportrecht unter www.transportrecht.org. 2 Internationales Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente v. 25.8.1924 (RGBl. 1939 II 1049). 3 Protocol to Amend the International Convention for the Unification of Certain Rules of Law Relating to Bills of Lading („Visby Rules“) v. 23.2.1968. 4 United Nations Convention on the Carriage of Goods by Sea, 1978 (Hamburg Rules) v. 31.3.1978. 5 Die Schweiz hat die Haag-Visby-Regeln ratifiziert und im Bundesgesetz über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge (Seeschifffahrtsgesetz) v. 23.9.1953 (SSG), SR 747.30, ins Landesrecht überführt. Art. 87 SSG hält ausdrücklich fest, dass bei Fehlen einer Regelung die Bestimmungen des Obligationenrechts zur Anwendung kommen.
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267
Teil E Rz. 268
Transport
Art. 2 HAR bestimmen die Hamburger Regeln ihren Anwendungsbereich nicht mehr anhand der Ausstellung eines Konnossements, sondern setzen den Abschluss eines Seebeförderungsvertrags voraus. Art. 1 Nr. 6 HAR definiert den Seefrachtvertrag als einen Vertrag, indem sich der Beförderer gegen Zahlung von Fracht verpflichtet, Güter auf See von Hafen zu Hafen zu befördern. Die Regeln gelten folglich für jeden Vertrag über die Güterbeförderung auf See, auch wenn kein Konnossement ausgestellt wurde. Anders als die Haag-Visby Regeln und die Hamburg Regeln erstrecken die Rotterdam Regeln1 („im Folgenden: RR“) ihren Anwendungsbereich nicht auf den reinen Seetransport, sondern gelten nach Art. 5 RR für (auch multimodale) „Frachtverträge“, die eine Seestrecke einschließen. Daher wird der Charakter der Rotterdam Regel als „maritime plus“ oder „wet multimodal transport“ beschrieben. Nach Art. 5 RR muss die Beförderung die Eigenschaft der sog. doppelten Internationalität („double internationality“) besitzen. Dies bedeutet, dass sowohl der Seeabschnitt der Gesamtstrecke als auch die Gesamtbeförderung „international“ im Sinne des Übereinkommens sein müssen. Die RR gelten nicht für Deutschland. b) IPR 268
Deutschland ist einer der Vertragsstaaten der Haager Regeln in ihrer Urfassung von 1924. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 20.4.2013 Art. 6 EGHGB neu gefasst und geregelt, dass diese Regelung ohne Rücksicht auf das im Übrigen über die Anwendung eines bestimmten nationalen Rechts entscheidende internationale Privatrecht zur Anwendung kommt, sofern ein Konnossement in einem Vertragsstaat der HR ausgestellt wurde. Rechtsfolge ist, dass die in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EGHGB aufgezählten Vorschriften nur mit den in Nr. 1–4 genannten Modifizierungen zur Anwendung gelangen. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die Bestimmungen des dtHGB mit den Haager Regeln möglichst nicht im Widerspruch stehen. Die in der Regelung umschriebenen Abänderungen betreffen den Haftungsausschluss für nautisches Verschulden und Feuer (Nr. 1), die Haftungshöchstsummen (Nr. 2), den Umfang der Vertragsfreiheit (Nr. 3) und die Verjährung der Schadensersatzansprüche (Nr. 4). Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EGHGB bleibt daneben das Recht der Parteien, eine Rechtswahl zu treffen, unberührt. Wird für den Frachtvertrag ein ausländisches Recht gewählt, so bleibt es stets bei der Anwendung der in Satz 1 genannten Vorschriften des deutschen Rechts mit den dort umschriebenen Modifizierungen, soweit die Voraussetzungen der Anwendung des Art. 6 EGHGB vorliegen. Die Regelung steht aber der Wahl einer Rechtsordnung nicht entgegen, die den Verfrachter strenger haften lässt als das deutsche Recht2. Ist allerdings ein Konnossement in Deutschland ausgestellt, kommt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EGHGB nur dann zur Anwendung, wenn sich das Konnossement auf die Beförderung von Gütern von oder nach einem Hafen in einem anderen Vertragsstaat der Haager Regeln bezieht. Deswegen werden Beförderungen von oder nach Deutschland in einen oder aus einem Staat, der nicht Vertragsstaat der HR ist, von der Regelung ebenso wenig erfasst, wie Inlandsbeförderungen von einem deutschen Haften zu einem anderen deutschen Hafen (Art. 6 Abs. 2 EGHGB). Dies beruht auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit: Art. 6 EGHGB findet nur Anwendung, wenn der im Konnossement bestimmte Lade- oder Löschhafen in einem anderen Vertragsstaat der Haager Regeln liegt. Ansonsten ist Deutschland frei bei der Ausgestaltung des anzuwendenden Rechts. 1 United Nations Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea vom 11.12.2008. 2 Mankowski, TranspR 2014, 268 (270); Herber, TranspR 2013, 368 (369).
464 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 271 Teil E
Art. 6 Abs. 3 EGHGB betrifft die Frage, welche Staaten als ein Vertragsstaat der Haager Regeln anzusehen sind. Es gibt nämlich weiterhin Staaten, die die Visby Regeln ratifiziert haben, ohne jedoch die Haager Regeln gekündigt zu haben. Absatz 3 stellt diesen Staaten den Nichtvertragsstaaten der Haager Regeln gleich. Wird mithin ein Konnossement in einem Haag/Visby Staat ausgestellt, so ist nach den Vorschriften des IPR zu bestimmen, welches materielle Recht anwendbar ist. Gelangt das Recht eines Staates der Visby Regeln zur Anwendung, so bleiben die seefrachtrechtlichen Vorschriften des dtHGB außer Betracht. 3. Materiellrechtliche Besonderheiten in Deutschland a) Anzuwendende Regeln Mit der Seerechtsreform von 2013 wird das bislang im Fünften Buch des Handelsgesetzbuches geregelte Seehandelsrecht neu gefasst. Systematisch gliedert sich das deutsche Seehandelsrecht wie folgt: Das neue Fünfte Buch regelt in seinem ersten Abschnitt die Personen der Schifffahrt (§§ 476 bis 480 dtHGB). Danach finden sich im ersten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts die Vorschriften der Seefrachtverträge, die sich mit dem Gütertransport beschäftigen. Daneben werden die Personenbeförderungsverträge (§§ 536 bis 552 dtHGB) im zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts geregelt. Die Seefrachtverträge enthalten die Regelungen über den Stückgutvertrag (§§ 481 bis 526 dtHGB) und über den Reisefrachtvertrag (§§ 527 bis 535 dtHGB). Dem zweiten Abschnitt „Beförderungsverträge“ folgen der dritte Abschnitt über die Schiffsüberlassungsverträge, die den Schiffsmietvertrag (§§ 553 bis 556 dtHGB) und den Zeitchartervertrag (§§ 557 bis 569 dtHGB) umfassen, und die besonderen Abschnitte über die Schiffsnotlagen (§§ 570 bis 595 dtHGB), über die Schiffsgläubiger (§§ 596 bis 604 dtHGB), über die Verjährung (§§ 605 bis 610 dtHGB) und die allgemeine Haftungsbeschränkung (§ 611 bis 617 dtHGB). Schließlich finden sich im achten Abschnitt des Fünften Buchs besondere Verfahrensvorschriften (§§ 618 und 619 dtHGB).
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b) Materielles Recht aa) Seefrachtverträge Das neue Seehandelsrecht regelt unter der Überschrift „Beförderungsverträge“ die Seefrachtverträge und Personenbeförderungsverträge. Davon sind die im dritten Abschnitt geregelten Schiffsmietverträge (§ 553 dtHGB) und Zeitcharterverträge (§ 557 dtHGB) abzugrenzen, die lediglich die Überlassung eines Schiffes zum Gegenstand haben. Dagegen handelt es sich bei beiden Seefrachtvertragstypen um Verträge, nach denen ein Beförderungserfolg geschuldet wird. Der Stückgutvertrag stellt nunmehr den zentralen Vertragstyp des Seefrachtrechts dar. Die Besonderheit des Reisefrachtvertrags besteht darin, dass der Verfrachter die Beförderungsleistung „mit einem Schiff im Ganzen, mit einem verhältnismäßigen Teil eines bestimmten Schiffes oder in einem bestimmt bezeichneten Raum eines solchen Schiffes“ schuldet. Da der Reisefrachtvertrag in der Praxis generell formularvertraglich ausgestaltet ist, werden für diesen lediglich einige wenige eigenständige Regelungen in das dtHGB aufgenommen. Ansonsten finden die Regelungen über den Stückgutfrachtvertrag weitgehend entsprechende Anwendung. (§ 527 Abs. 2 dtHGB).
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bb) Beförderungsdokumente Das neue Seehandelsrecht regelt in einem Untertitel neben dem Konnossement erstmalig den Seefrachtbrief (§ 526 dtHGB) und sieht eine gesetzliche Grundlage für elektronische Beförderungsdokumente (§ 516 Abs. 2 und 3, § 526 Abs. 4 dtHGB) vor.
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Bürskens 465
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Teil E Rz. 271
Transport
In Anlehnung an den bisherigen § 642 dtHGB a.F. hat der Ablader nach § 513 Abs. 1 dtHGB einen Anspruch gegenüber dem Verfrachter auf Ausstellung eines Orderkonnossements. In Absatz 2 findet sich eine Legaldefinition des Begriffs „Ablader“. Dies ist derjenige, der das Gut dem Verfrachter zur Beförderung übergibt und vom Befrachter als Ablader zur Eintragung in das Konnossement benannt ist. Hat der Befrachter den Ablader nicht benannt oder übergibt ein anderer als der Ablader das Gut, so gilt der Befrachter nach § 513 Abs. 2 Satz 2 dtHGB als Ablader und kann die Ausstellung des Konnossements auf sich verlangen. Der Zweck dieser Regelung ist der Schutz des Verkäufers bei einem FOB-Geschäft, indem ihm eine eigene wertpapierrechtlich geschützte Rechtsstellung eingeräumt wird1. Der Käufer schließt mit dem Verfrachter den Stückgutfrachtvertrag und ist mithin der Befrachter. In diesem Fall hat nur der Käufer die Kontrolle über die Beförderung. Mit der Übergabe der Ware zur Beförderung an den Verfrachter verliert der Verkäufer die Möglichkeit, seinen Kaufpreisanspruch durchzusetzen. Durch den Anspruch auf die Ausstellung eines Konnossements soll also sichergestellt werden, dass der Verkäufer vor Erhalt des Kaufpreises Einfluss auf die Beförderung hat. Das Orderkonnossement ist auf Verlangen des Absenders an die Order des Empfängers oder lediglich an Order zu stellen. Im letzten Fall ist unter der Order die Order des Abladers zu verstehen. Der Ablader kann auch ausdrücklich verlangen, dass das Konnossement an seine Order gestellt wird. Der Aussteller des Konnossements ist regelmäßig der Verfrachter. Nach § 513 Abs. 1 Satz 2 dtHGB steht dem Kapitän sowie jedem anderen zur Zeichnung von Konnossement für den Reeder Befugten die Vertretungsbefugnis zu, das Konnossement für den Verfrachter auszustellen. Da dem Konnossement unter anderem die Funktion der Empfangsbekenntnis (§ 486 Abs. 1 Satz 2 dtHGB) zukommt, ist es nach § 514 Abs. 1 Satz 1 dtHGB erst dann auszustellen, wenn der Verfrachter das Gut übernommen hat. Deswegen begründet das Konnossement nach § 517 dtHGB die Vermutung, dass der Verfrachter das Gut so übernommen hat, wie es im Konnossement nach § 515 Abs. 1 Nr. 7 und 8 dtHGB beschrieben ist. Es handelt sich dabei um eine widerlegliche Vermutung. Allerdings erklärt § 522 Abs. 2 dtHGB die Vermutung für unwiderleglich gegenüber einem in Konnossement benannten Empfänger, der im Zeitpunkt der Begebung gutgläubig war. Gleiches gilt nach § 522 Abs. 2 Satz 2 dtHGB für den sonstigen Dritten, dem das Konnossement übertragen wurde. Die Vermutung gilt nicht, wenn die Beschreibung sich auf ein geschlossenes Lademittel bezieht oder das Konnossement einen Vorbehalt nach § 517 Abs. 2 dtHGB enthält. Wird das Gut in einem geschlossenen Lademittel befördert, gilt die Vermutungswirkung nur dann, wenn der Inhalt vom Verfrachter überprüft und das Ergebnis der Überprüfung im Konnossement eingetragen worden ist. Deswegen wird zukünftig die bislang nach § 656 Abs. 3 Nr. 2 dtHGB a.F. zum Ausschluss der Vermutung vorgesehene Unbekannt-Klausel an Bedeutung verlieren2. Nach wie vor unterscheidet das Gesetz zwischen Bord- und Übernahmekonnossement. Unter einem Bordkonnossement ist ein Konnossement zu verstehen, das der Verfrachter nach der Übernahme des Gutes an Bord ausgestellt hat. Bei einem Übernahmekonnossement handelt es sich um ein Konnossement, das bereits vor dem Zeitpunkt, indem das Gut an Bord genommen wurde, ausgestellt wurde. Sie unterscheiden sich dadurch, dass der Verfrachter bei Ausstellung eines Bordkonnossements angeben muss, wann und in welches Schiff das Gut an Bord genommen wurde, während im Übernahmekonnossement erst auf Verlangen des Abladers ein Bordvermerk aufgenommen wird. § 516 Abs. 2 dtHGB regelt die Ausstellung eines elektronischen Konnossements, das einem Konnossement in Papierform gleichgestellt wird, sofern es dieselben Funktio1 BT-Drucks. 17/10309, S. 90; Paschke in Oetker/HGB, § 513 HGB Rz. 5. 2 Herber in MünchKomm/HGB, § 517 HGB Rz. 10; Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 116.
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Transportverträge
Rz. 271 Teil E
nen erfüllt. Hierzu zählen vor allem die Beweisfunktion, die Sperrfunktion, die Traditionsfunktion und die Legitimationsfunktion. Auch müssen Authentizität und Integrität sicher gestellt sein1. Von einer ausführlicheren Regelung des elektronischen Konnossements hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, da es bislang an einer hinreichenden Erfahrung der Praxis mit der Verwendung solcher Konnossemente fehlt und die Entwicklung der elektronischen Dokumentation durch starre Regeln nicht ausgehöhlt werden soll. § 516 Abs. 3 dtHGB ermächtigt dem Bundesministerium der Justiz, durch eine Rechtsverordnung Einzelheiten zu regeln. Bislang wurde allerdings von dieser Ermächtigung kein Gebrauch gemacht. Durch das Konnossement bestätigt der Verfrachter den Empfang des Gutes und verpflichtet sich, es zum Bestimmungsort zu befördern und an den aus dem Konnossement Berechtigten gegen Rückgabe des Konnossements abzuliefern (§ 521 Abs. 2 dtHGB). Die Verpflichtung des Verfrachters zur Beförderung und Auslieferung des Gutes an den Empfänger wird also durch das Konnossement wertpapierrechtlich verbrieft2. Dieser Auslieferungsanspruch gegen den Verfrachter steht unabhängig von Inhalt und Wirksamkeit des Seefrachtvertrags dem legitimierten Konnossementsinhaber zu. Gem. § 519 Satz 1 dtHGB können die im Konnossement verbrieften seefrachtvertraglichen Ansprüchen nur von dem aus dem Konnossement Berechtigten geltend gemacht werden. Nach Satz 2 wird zugunsten des aus dem Konnossement legitimierten Besitzers auf seine Berechtigung geschlossen. Die im Konnossement verbrieften Ansprüche sind als wertpapierrechtlich verselbständigte Ansprüche von den Ansprüchen aus dem Frachtvertrag zu unterscheiden und gehen diesen im Zweifel vor. Ein vertraglich Berechtigter (bspw. der Empfänger) kann also an der Ausübung seiner Ansprüche gehindert sein, wenn das Konnossement diesbezüglich eine Regelung enthält. Soweit das Konnossement allerdings keine Regelung enthält, können die frachtvertraglichen Ansprüche neben denen aus dem Konnossement geltend gemacht werden3. Zu den im Konnossement verbrieften Ansprüchen zählen die Ansprüche gegen den Verfrachter auf Ablieferung des Gutes sowie auf Schadensersatz bei Verlust oder Beschädigung des Gutes4. Der in Anspruch genommene (ausführende) Verfrachter kann nach § 522 Abs. 1 dtHGB dem Berechtigten nur bestimmte Einwendungen entgegenhalten. Dies sind zunächst – obwohl in der Regelung nicht ausdrücklich vorgesehen – solche, die sich gegen die materielle Berechtigung des legitimierten Besitzers des Konnossements richten5. Daneben können dem aus dem Konnossement Berechtigten solche Einwendungen entgegengesetzt werden, die die Gültigkeit der Konnossementserklärungen betreffen oder sich aus dem Inhalt des Konnossements ergeben oder dem Verfrachter unmittelbar gegenüber dem aus dem Konnossement Berechtigten zustehen. Zu den Einwendungen, die sich aus dem Inhalt des Konnossements ergeben, zählen auch solche, die dem Verfrachter nach dem gesetzlichen Seefrachtrecht zustehen6. Zu beachten ist nach § 522 Abs. 1 Satz 2 dtHGB, dass eine Vereinbarung, auf die im Konnossement lediglich verwiesen wird, nicht Inhalt des Konnossements ist. Die neue Regelung hat vor allem erhebliche Bedeutung für Charter-Konnossemente (beispielsweise Congenbill 2007 der BIMCO7), die nur wenige Regelungen enthalten und im Übrigen auf die Bestimmungen des zugrundeliegenden Chartervertrags verweisen. Dies führt im Er1 Czerwenka, Das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts, S. 177. 2 Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 119. 3 Herber in MünchKomm/HGB, § 519 HGB Rz. 10; Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 128. 4 Herber in MünchKomm/HGB, § 519 HGB Rz. 11; Paschke in Oetker/HGB, § 519 HGB Rz. 2. 5 Herber in MünchKomm/HGB, § 522 HGB Rz. 5. 6 BT-Drucks. 17/10309, S. 96. 7 Baltic and International Maritime Council; weitere Standarddokumente zur Seeschiffahrt finden sich auf der Homepage der BIMCO unter http://www.bimco.org.
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Bürskens 467
Teil E Rz. 272
Transport
gebnis dazu, dass Einwendungen, die sich aus einer solchen Vereinbarung ergeben, nicht als Einwendungen anzusehen sind, die sich gem. § 522 Abs. 1 Satz 1 dtHGB aus dem Konnossement ergeben1. Neu eingeführt ist auch die Regelung nach § 522 Abs. 3 dtHGB, die sich auf den ausführenden Verfrachter bezieht. Hiernach kann er sich auf die gleichen Einwendungen berufen, soweit er aus dem Konnossement in Anspruch genommen wird. Die Haftung des Verfrachters und des Reeders für unrichtige oder fehlende Konnossementsangaben ist in § 523 dtHGB geregelt. Anders als § 644 dtHGB a.F. beschränkt sich die Haftung des Verfrachters aus § 523 Abs. 1 dtHGB nicht mehr auf den Sonderfall der fehlenden oder falschen Nennung des Verfrachters, sondern erfasst nunmehr alle nach § 515 und § 517 Abs. 2 dtHGB aufzunehmenden Angaben und Vorbehalte. Es handelt sich um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Die Haftung entfällt, wenn der Verfrachter weder gewusst hat noch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters hätte wissen müssen, dass die Angaben fehlen oder unrichtig oder unvollständig sind. Nach § 523 Abs. 2 HGB haftet der Verfrachter verschuldensunabhängig, wenn ein Bordkonnossement ausgestellt oder in ein Übernahmekonnossement ein Bordvermerk aufgenommen wird, bevor das Gut an Bord genommen wurde. § 523 Abs. 3 dtHGB begründet eine verschuldensabhängige Haftung des Reeders für die unrichtige Angabe des Namens des Verfrachters. Absatz 4 ordnet an, dass die Haftung des Verfrachters bzw. des Reeders auf den Betrag begrenzt ist, der bei Verlust des Gutes zu zählen wäre. Gem. § 525 dtHGB kann im Konnossement von den gesetzlichen Haftungsbestimmungen nur dann wirksam abgewichen werden, wenn diese Vereinbarung im Einzelnen ausgehandelt wurde. Abweichungen von den gesetzlichen Haftungsvorschriften sind also durch vorformulierte Vertragsbedingungen nicht möglich. Eine wichtige Neuerung der Seehandelsreform sind die Regelungen über den Seefrachtbrief (§ 526 dtHGB). Die Vorschrift sieht keine Verpflichtung des Verfrachters zur Ausstellung des Seefrachtbriefs vor. Dem Verfrachter wird lediglich die Möglichkeit eingeräumt, einen Seefrachtbrief auszustellen, sofern er nicht schon ein Konnossement ausgestellt hat2. Um ein Dokument als Seefrachtbrief zu qualifizieren, muss dieses einen bestimmten Inhalt haben. In diesem Fall tritt der Befrachter in die Position des Abladers ein. § 526 Abs. 1 Satz 2 dtHGB verweist hinsichtlich des Inhalts des Seefrachtbriefs auf § 515 dtHGB. Ferner ist der Seefrachtbrief nach § 526 Abs. 3 dtHGB von dem Verfrachter zu unterzeichnen. Nach § 526 Abs. 2 dtHGB dient der Seefrachtbrief als Nachweis für Abschluss und Inhalt des Stückgutfrachtvertrages sowie die Übernahme des Gutes. Ihm kommt dieselbe Vermutungswirkung wie dem Konnossement zu. cc) Rechte und Pflichten der Beteiligten (1) Hauptpflichten 272
§ 481 Abs. 1 dtHGB regelt die vertraglichen Leistungspflichten des Verfrachters auf der einen Seite und des Befrachters auf der anderen Seite. Während durch den Stückgutfrachtvertrag der Verfrachter verpflichtet wird, das Gut mit einem Schiff über See zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern, muss der Befrachter die vereinbarte Fracht zahlen.
1 Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 131. 2 Czerwenka, Das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts, S. 200.
468 | Bürskens
Transportverträge
Rz. 275 Teil E
(2) Bereitstellung der See- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes Anders als § 559 I dtHGB a.F. sieht § 485 dtHGB keinen eigenen Haftungstatbestand vor, sondern formuliert lediglich die Pflicht des Verfrachters, dass er dafür zu sorgen hat, dass das Schiff in seetüchtigem Stand, gehörig eingerichtet, ausgerüstet, bemannt und mit genügenden Vorräten versehen ist (Seetüchtigkeit) sowie dass sich die Laderäume einschließlich der Kühl- und Gefrierräume sowie alle anderen Teile des Schiffs, in oder auf denen Güter verladen werden, in dem für die Aufnahme, Beförderung und Erhaltung der Güter erforderlichen Zustand befinden (Ladungstüchtigkeit). Im Vergleich zu § 559 Abs. 1 dtHGB a.F. bezieht sich die Legaldefinition der Ladungstüchtigkeit auch auf das Deck des Schiffes, auf dem Container verladen werden1.
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Die Pflicht des Verfrachters zur Sorge für die See- und Ladungstüchtigkeit bezieht sich nach § 485 dtHGB nicht auf einen bestimmten Zeitrahmen2. Die See- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes muss vor dem Antritt der Reise hergestellt werden. Die Reise ist angetreten, wenn die Fortbewegung des Schiffes beginnt, um den Lade- oder Liegeplatz zu verlassen und auszulaufen. Sie muss dann die ganze Reise über aufrechterhalten werden und erstreckt sich damit auf die Zeit der Beförderung des Gutes vom Lade- bis zum Löschhafen3. (3) Ladungsfürsorgepflicht Neben der Sorgepflicht bezüglich der See- und Ladungstüchtigkeit obliegt dem Verfrachter die Pflicht zur Ladungsfürsorge, die früher in § 606 dtHGB a.F. ausdrücklich normiert war. Die Ladungsfürsorgepflicht erstreckt sich auf den gesamten Obhutszeitraum ab der Übernahme zur Beförderung. Solange sich die Frachtgüter in der Obhut des Verfrachters befinden, hat er mit der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters zu verfahren. Er ist also von seiner Haftung dann befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruhen, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht hätten abgewendet werden können. Verletzt er seine Fürsorgepflicht schuldhaft, so haftet er den geschädigten Ladungsinteressenten für Schäden durch Verlust bzw. Beschädigung der Güter von der Übernahme bis zur Ablieferung.
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(4) Abladen, Verladen, Umladen und Löschen Im Vergleich zur allgemeinen frachtrechtlichen Regelung des § 412 Abs. 1 dtHGB, wonach der Absender beförderungssicher das Gut zu laden, zu stauen und zu befestigen (verladen) sowie zu entladen hat, ist nach dem Seefrachtrecht der Verfrachter verantwortlich für diese Tätigkeiten. Gem. § 486 Abs. 1 Satz 1 dtHGB hat der Befrachter die Übergabe des Gutes an den Verfrachter zur Beförderung, also die Abladung zu bewirken. Den Befrachter trifft zwar keine Verpflichtung zur Abladung der Güter. Aber die Abladung muss innerhalb der vertraglich vereinbarten Zeit erfolgen, da die eigene Pflicht des Verfrachters zur Leistungserbringung davon abhängig ist4. Die Rechtsfolge bei säumiger Abladung ergibt sich aus § 490 dtHGB. Der Verfrachter kann gem. § 490 Abs. 1 dtHGB dem Befrachter eine Nachfrist setzen, wenn der Befrachter die Abladung des Gutes nicht oder nicht vollständig innerhalb der vertraglich vereinbarten Zeit bewirkt. Die Nachfristsetzung ist gem. § 490 Abs. 4 Satz 1 dtHGB dann nicht erforderlich, wenn der Befrachter oder der Ablader die Abladung ernsthaft und endgültig verweigert. Nach Satz 2 ist eine Fristsetzung für die Kündigung entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die ihm unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die 1 Paschke in Oetker/HGB, § 485 HGB Rz. 3. 2 Ramming, RdTW 2014, 41 (43); Paschke in Oetker/HGB, § 485 HGB Rz. 4. 3 Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 144. 4 BT-Drucks. 17/10309, S. 69.
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Teil E Rz. 276
Transport
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Nach Ablauf der Nachfrist hat der Verfrachter nach § 490 Abs. 2 dtHGB das Recht, den Vertrag zu kündigen und die Ansprüche aus § 489 Abs. 2 dtHGB geltend zu machen. Außerdem kann er nach Absatz 3 mit der Beförderung eines bereits verladenen Teils des Gutes beginnen und die volle Fracht sowie Ersatz der Aufwendungen verlangen. Gem. § 486 Abs. 2 dtHGB hat der Verfrachter die Güter zu verladen und zu löschen, soweit sich aus den Umständen oder der Verkehrssitte nichts anderes ergibt oder die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Im Seefrachtrecht ist es üblich, dass diese Verpflichtung des Verfrachters insbesondere durch die Klauseln FIO (Free In and Out), FIOS (Free In and Out Stowed) oder FIOST (Free In and Out Stowed and Trimmed) abbedungen wird, indem der Befrachter sie selbst übernimmt oder dem Empfänger überträgt1. Gem. § 486 Abs. 3 dtHGB ist dem Verfrachter im Containerverkehr die Umladung des Gutes gestattet. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um einen geschlossenen Container oder einen Flatrack handelt2. Das Umladeverbot findet aber auf die nicht in einem Container verpackten Güter Anwendung. Die Parteien können jedoch durch sog. Substitutionsklauseln in Konnossementen abweichende Vereinbarungen treffen, wonach dem Verfrachter gestattet wird, das Gut in ein anderes Schiff zu verladen3. § 486 Abs. 4 Satz 1 dtHGB statuiert den Grundsatz des Deckladeverbots, soweit es an einer Zustimmung des Befrachters mangelt. Eine Ausnahme von dem Zustimmungserfordernis des Befrachters sieht Satz 2 vor, wenn ein Konnossement ausgestellt wird. In diesem Fall ist die Zustimmung des Abladers erforderlich. Der Geltungsbereich des Deckladeverbots wird gem. § 486 Abs. 4 Satz 3 dtHGB in den Fällen eingeschränkt, in denen sich das Gut in oder auf einem Lademittel befindet, das für die Beförderung auf Deck tauglich ist, insbesondere die Verladung von Containern auf Deck von Containerschiffen. (5) Verpackung, Kennzeichnung und Begleitpapiere 276
Nach § 484 dtHGB trifft den Befrachter die Verpackungs- und Kennzeichnungspflicht. Darüber hinaus hat er in den Fällen, in denen das Gut in einem Container, auf einer Palette oder in oder auf einem sonstigen Lademittel zur Beförderung übergeben wird, das Gut beförderungssicher zu stauen und zu sichern. Bei ungenügender Verpackung oder Kennzeichnung der Güter haftet der Befrachter aus § 488 Abs. 1 Nr. 3 dtHGB dem Verfrachter für Schäden und Aufwendung, die dadurch verursacht wurden. § 487 dtHGB begründet die Pflicht des Befrachters, dem Verfrachter Begleitpapiere und Informationen zur Verfügung zu stellen, die für eine amtliche Behandlung, insbesondere eine Zollabfertigung, vor der Ablieferung erforderlich sind. Kommt der Befrachter seiner Verpflichtung nicht nach, so haftet er aus § 488 Abs. 1 Nr. 4 dtHGB für Schäden und Aufwendungen, die durch Fehlen, Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der in § 487 Abs. 1 dtHGB genannten Urkunden oder Auskünfte resultieren. Nach § 487 Abs. 2 dtHGB haftet der Verfrachter für Schäden wegen Verlust oder Beschädigung der ihm übergebenen Urkunden oder durch deren unrichtige Verwendung, es sei denn, der Schaden hätte durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht abgewendet werden können. Die Haftung ist der Höhe nach auf den Betrag begrenzt, der bei Verlust des Gutes zu zahlen wäre, also auf einen Betrag von 666,67 SZR für das Stück oder die Einheit oder einen Betrag von 2 SZR für das Kilogramm des Rohgeweicht des Gutes, je nachdem, welcher Wert der höhere ist.
1 Pötschke in MünchKomm/HGB, § 486 HGB Rz. 11. 2 BT-Drucks. 17/10309, S. 69. 3 Pötschke in MünchKomm/HGB, § 486 HGB Rz. 14.
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Transportverträge
Rz. 278 Teil E
(6) Weisungsrechte In Anlehnung an § 418 dtHGB führt § 491 Abs. 1 dtHGB das Weisungsrecht des Befrachters in das deutsche Seehandelsrecht ein. Zu beachten ist, dass § 520 Abs. 1 dtHGB das Verfügungsrecht nach §§ 491 und 492 dtHGB zugunsten des Inhabers eines Konnossements einschränkt und damit den Vorrang des Konnossements als Sperrpapier sicherstellt. Wurde ein Konnossement ausgestellt, so steht dieses Weisungsrecht ausschließlich dem legitimierten Besitzer des Konnossements zu und der Verfrachter hat Weisungen nur gegen Vorlage sämtlicher Ausfertigungen des Konnossements auszuführen. Für den Fall, dass anstelle eines Konnossements ein Seefrachtbrief ausgestellt ist, legt § 491 Abs. 3 dtHGB fest, dass der Befrachter sein Verfügungsrecht nur gegen Vorlage der für ihn bestimmten Ausfertigung des Seefrachtbriefs ausüben kann, sofern dies darin geschrieben ist. Somit können die Parteien des Frachtvertrags den Seefrachtbrief als Sperrpapier ausgestalten und dadurch sicherstellen, dass die Befolgung der Weisungen nur noch gegen Vorlage des Seefrachtbriefs zu erfolgen hat1. § 491 Abs. 1 Satz 2 dtHGB definiert den Inhalt des Weisungsrechts des Befrachters oder des legitimierten Besitzer des Konnossements. Dieser kann verlangen, dass der Verfrachter das Gut nicht weiterbefördert, es zu einem anderen Bestimmungsort befördert oder es an einem anderen Löschplatz oder einen anderen Empfänger abliefert. Die Aufzählung ist nicht abschließend2. Satz 3 legt die Grenzen des Weisungsrechts fest. Nach Satz 4 kann der Verfrachter Aufwendungsersatz sowie eine angemessene Vergütung geltend machen. Ihm steht ferner ein Vorschussanspruch zu. Mit der Ankunft des Gutes am Löschplatz geht das Weisungsrecht allerdings auf den Empfänger über (§ 491 Abs. 2 dtHGB); macht dieser von seinem Recht Gebrauch, so schuldet auch er dem Verfrachter Aufwendungsersatz und eine angemessene Vergütung. Soweit der Verfrachter beabsichtigt, eine ihm erteilte Weisung nicht zu befolgen, muss er gem. § 491 Abs. 4 dtHGB den Weisungsgeber hiervon unverzüglich benachrichtigen. Schließlich normiert Abs. 5 eine verschuldensunabhängige Haftung des Verfrachters, wenn er eine Weisung ausführt, ohne sich die Ausfertigung des Seefrachtbriefs vorlegen zu lassen. § 492 dtHGB enthält eine Sonderregelung im Falle von Beförderungsund Ablieferungshindernissen.
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(7) Rechte des Empfängers § 494 dtHGB normiert die Rechte und Pflichten des Empfängers. Nach Absatz 1 Satz 1 steht dem Empfänger ein Anspruch auf Ablieferung des Gutes Zug um Zug gegen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Stückgutfrachtvertrag zu. Umgekehrt kann dem Verfrachter ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen3. Der Anspruch entsteht nach Ankunft des Gutes am Löschplatz. Satz 2 sieht vor, dass der Empfänger die Ansprüche aus dem Stückgutfrachtvertrag im Falle von Güterschäden und Lieferverzögerungen neben dem Befrachter im eigenen Namen verlangen kann. Der Befrachter ist also weiterhin aktivlegitimiert. § 494 Abs. 1 Satz 3 dtHGB stellt klar, dass Befrachter und Empfänger berechtigt sind, Ansprüche im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Mit der Geltendmachung des Ablieferungsverlangens entsteht die Pflicht des Empfängers zur Zahlung der im Beförderungsdokument angegebenen, alternativ (z.B. wenn das Dokument nicht ausgestellt wurde oder nicht vorliegt) einer angemessenen Fracht (§ 494 Abs. 2 dtHGB). Abweichend vom bisherigen § 614 dtHGB a.F. ist also die „bloße“ Annahme des Gutes nicht mehr für die Begründung der Zahlungspflicht ausreichend. Vielmehr muss der Empfänger den Willen zum Ausdruck bringen, 1 Hartenstein in Hartenstein/Reuschle, Handbuch des Fachanwalts Transport- und Speditionsrecht, Teil 1 Kapitel 4 Rz. 164. 2 Pötschke in MünchKomm/HGB, § 491 HGB Rz. 14. 3 Paschke in Oetker/HGB, § 494 HGB Rz. 1.
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Teil E Rz. 279
Transport
das Frachtgut als Erfüllung des Frachtvertrags anzunehmen1. Außerdem schuldet der Empfänger auch die nach § 493 Abs. 4 dtHGB zu zahlende Vergütung für Beförderungsverzögerungen, wenn ihm dieser Betrag bei Ablieferung des Gutes mitgeteilt worden ist. Anders als im allgemeinen Frachtrecht ist im Stückgutfrachtvertrag die Zahlung von Liegegeld nicht vorgesehen. § 494 Abs. 4 dtHGB stellt klar, dass der Befrachter und der Empfänger Gesamtschuldner sind. (8) Haftung des Befrachters und Dritter 279
Die Haftung des Befrachters richtet sich nach § 488 dtHGB. Er haftet insbesondere verschuldensabhängig für unvollständige und fehlerhafte Angaben, gerade auch zur Gefährlichkeit des Gutes oder für Fehler bei Verpackung und Kennzeichnung. Diese verschuldensabhängige Haftung gilt sinnvoller Weise hinsichtlich der Informationspflichten auch für durch den Befrachter eingeschaltete Dritte, denn die Weitergabe derartiger Informationen ist von elementarer Bedeutung. Für Angaben in einem ausgestellten Konnossement haftet der Befrachter (neben dem Ablader) auch ohne Verschulden, § 488 Abs. 3 dtHGB. Die Haftung nach § 488 dtHGB kann in AGB zwar beschränkt, aber nicht ausgeschlossen werden, dies bleibt aber in Individualabreden zulässig. (9) Haftung des Verfrachters
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§ 498 Abs. 1 dtHGB begründet die Obhutshaftung des Verfrachters für Schäden, die durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entstehen (vgl. § 559 und § 606 dtHGB a.F.) Nicht geregelt ist im neuen Seefrachtrecht die Haftung des Verfrachters für die Lieferfristüberschreitung, die sich nach den allgemeinen Regeln bestimmt. Aufgrund der Neufassung des § 485 dtHGB stellt sich die Frage, ob der Verfrachter für die durch mangelnde See- und Ladungstüchtigkeit verursachten Schäden nach allgemeinen Vorschriften des BGB, also unbeschränkt nach §§ 280, 249 dtBGB, oder nach den §§ 498 ff. dtHGB haftet. Nach § 559 dtHGB a.F. erstreckte sich die Haftung des Verfrachters auf jeden Schaden aus mangelnder See- und Ladungstüchtigkeit, etwa auf bloße Vermögensschäden, wenn die aufgrund anfänglicher Seeuntüchtigkeit eingetretene Ankunftsverzögerung des Schiffs im Löschhafen zu einer Minderung des Marktwerts der Ladung führt2. In diesem Fall hat der Verfrachter für diese Schäden nach § 280 dtBGB i.V.m. § 485 dtHGB einzustehen, was eine unbeschränkte Haftung nach §§ 249 ff. dtBGB zum Ergebnis hat, da es sich bei § 485 dtHGB weder um eine Bestimmung des zweiten Untertitels gem. §§ 502 ff. dtHGB noch um eine Haftung auf außervertraglicher Basis i.S.d. § 506 HGB handelt3. Demgegenüber ist es folgerichtig, auf die durch den Mangel an der See- und Ladungstüchtigkeit verursachten Fälle von Verlust und Beschädigung des Gutes, die in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entstanden sind, die seefrachtrechtlichen Vorschriften der §§ 498 ff. dtHGB anzuwenden. Anders als das allgemeine Frachtrecht, welches in § 426 dtHGB den Frachtführer nur freizeichnet, wenn er Schäden auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden konnte, sieht § 498 dtHGB eine verschuldensabhängige Haftung vor. Die Ersatzpflicht des Verfrachters entfällt (schon), soweit der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht hätten abgewendet werden können. In § 498 Abs. 2 Satz 2 dtHGB findet sich eine Sonderregelung zur Berufung auf die Haftungsbefreiung, wenn das Schiff nicht see- oder ladungstüchtig war. Kann der 1 BT-Drucks. 17/10309, S. 77. 2 Rabe, Seehandelsrecht, § 559 HGB Rz. 1. 3 Schwampe, RdTW 2014, 381, 383; Ramming, RdTW 2014, 41, 47 f.; Paschke in Oetker/HGB, § 485 HGB Rz. 5.
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Transportverträge
Rz. 282 Teil E
Ersatzberechtigte beweisen, dass die Ursache für den Verlust oder die Beschädigung wahrscheinlich auf die See- und Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes zurückzuführen ist, so kann sich der Verfrachter von seiner Haftung befreien, wenn er umgekehrt beweist, dass der Mangel der See- oder Ladungstüchtigkeit bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters bis zum Antritt der Reise nicht zu entdecken war. (10) Haftungsausschlussgründe In § 499 dtHGB ist ein abschließender Katalog von Haftungsausschlussgründen geregelt, der sich im Wesentlichen an den in Art. 4 Abs. 2 HVR aufgelisteten Befreiungstatbeständen orientiert. Eine wichtige Neuerung des Seerechtsreformgesetzes ist, dass sich der Verfrachter nicht mehr von der Haftung für nautisches Verschulden seiner Leute und der Schiffsbesatzung und Feuer befreien kann. Jedoch dürfen die Parteien des Frachtvertrages gem. § 512 Abs. 2 Nr. 1 dtHGB durch vorformulierte Bedingungen eine Haftungsbefreiung des Verfrachters vereinbaren.
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Nach Absatz 2 Satz 1 wird die Kausalität der Katalogtatbestände für den entstandenen Schaden vermutet, wenn nach den Umständen des Falles wahrscheinlich ist, dass der Schaden auf einem der in § 499 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 aufgelisteten Umstände beruht. Damit muss der Verfrachter, anders als Art. 4 Abs. 2 HVR und Art. 17 Abs. 3 RR, zum Zweck seiner Entlastung nicht den vollen Nachweis führen, dass der Schaden aus einem der in Absatz 1 aufgeführten Tatbestände entstanden ist. Die Vorschrift beinhaltet also eine Beweiserleichterung für den Verfrachter. Dieser muss aber noch immer die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem entstandenen Schaden und dem Katalogtatbestand darlegen und beweisen1. Er muss konkrete Tatsachen aufzeigen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den Katalogumstand nach der Lebenserfahrung ergibt. Umgekehrt kann der Anspruchsteller die Vermutung dadurch widerlegen, dass er nachweist, dass der Verfrachter zur Abwendung des entstandenen Schadens die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht angewandt hat (§ 499 Abs. 1 Satz 2). Ferner greift die Beweiserleichterung nicht ein, wenn das Gut mit einem seeuntüchtigen oder ladungsuntüchtigen Schiff befördert wurde. In diesem Fall muss der Verfrachter den vollen Beweis erbringen, dass der in Absatz 1 aufgeführte Umstand tatsächlich für den Schaden kausal war oder dass ihm kein Verschulden zur Last fällt. Außerdem finden sich in § 499 dtHGB Sonderregelungen für die Haftungsausschlussgründe nach Nr. 6 und Nr. 7, die im Wesentlichen den allgemein frachtrechtlichen Regelungen nach § 427 Abs. 4 und 5 dtHGB entsprechen. (11) Haftung wegen unerlaubter Verladung auf Deck § 500 dtHGB normiert abweichend vom Haftungsgrund des § 498 dtHGB die verschuldensunabhängige Haftung des Verfrachters für Schäden an dem zu befördernden Gut, das ohne die nach § 486 Abs. 4 dtHGB erforderliche Zustimmung des Befrachters oder des Abladers auf Deck verladen wurde. Er haftet also für den Schaden, der dadurch entsteht, dass das Gut auf Grund der Verladung auf Deck verloren gegangen ist oder beschädigt wurde. Zugunsten des Ersatzberechtigten wird dabei nach § 500 Satz 2 dtHGB vermutet, dass der Verlust oder die Beschädigung des Gutes darauf zurückzuführen ist, dass das Gut auf Deck verladen wurde. Beweist der Verfrachter, dass der Schaden nicht auf die Decksverladung zurückzuführen ist, so entfällt seine Haftung.
1 Herber in MünchKomm/HGB, § 499 HGB Rz. 55.
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Teil E Rz. 283
Transport
(12) Haftungshöchstbeträge 283
Die Haftung des Verfrachters für Verlust oder Beschädigung ist auf einen Betrag von 666,67 SZR je Stück oder Einheit oder einen Betrag von 2 SZR je kg des Gewichts beschränkt, je nachdem, welcher Betrag höher ist (§ 504 Abs. 1 Satz 1 dtHGB). Die Haftungsbeschränkung gilt nur für Güterschäden, also für Schäden wegen Verlusts oder Beschädigung des Frachtgutes in der Obhutszeit und ist auf Verspätungsschäden nicht anwendbar. Bei Verwendung eines Containers, einer Palette oder eines sonstigen Lademittels gilt jedes Stück und jede Einheit, welche in einem Beförderungsdokument als in einem solchen Lademittel enthalten angegeben ist, als Stück oder Einheit im Sinne des Satz 1. Enthält das Beförderungsdokument eine solche Angabe nicht, so liegt der Berechnung der Haftungssumme das gesamte Lademittel als einzige Einheit zugrunde. Um von dem Privileg der Vervielfachung der Haftungshöchstsumme Gebrauch zu machen, wird also vorausgesetzt, dass das Beförderungsdokument angibt, wie viele Stücke oder Einheiten der Container enthält. Mit dem Konnossement i.S.d. § 660 Abs. 2 dtHGB a.F. ist nur dasjenige gemeint, das der Verfrachter ausgestellt hat. Sofern also ein Unterverfrachter ein Konnossement ausgestellt hat, nicht aber der Verfrachter, so bleibt das Konnossement des Unterverfrachters außer Betracht und der Verfrachter muss sich die Angaben in diesem Konnossement nicht zurechnen lassen1. In dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall hatte der Verfrachter kein Konnossement ausgestellt. In einem Fremdkonnossement war vermerkt, dass die Container insgesamt 1.250 Kartons mit 14.994 Paar Damenschuhen enthielten. Hierauf konnte sich der Befrachter nicht berufen. Es mache keinen Unterschied, ob ein Konnossement keine Angaben enthalte oder gar nicht existiere. Neben der Kilogramm-Alternative kämen somit lediglich die beiden Containers als maßgebliche Berechnungsgrundlage der Haftungshöchstsumme nach „Stück“ in Betracht. In einem weiteren Urteil hat sich das OLG Hamburg mit der Frage beschäftigt, was unter den Begriff „Stück“ i.S.d. § 660 dtHGB a.F. fällt. Das OLG Hamburg gelang zu dem Schluss, dass es bei der Schadensberechnung im Hinblick auf den mit 7 Trolleys mit 3.204 Stück Hosen beladenen Container nicht auf die Hosen, sondern nur auf die Trolleys ankomme. Zwar mache der Wortlaut des § 660 dtHGB a.F. deutlich, dass auch unverpackte Einzelstücke als Stück im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können. Allerdings müsse man sich an der Art der Packung orientieren, wenn die Güter tatsächlich verpackt seien. Diese Beurteilung stelle auch keinen Widerspruch zur Schweinehälften-Entscheidung, wonach die unverpackten Schweinehälften als „Einheiten“ i.S.d. § 660 dtHGB a.F. angesehen wurden, dar, weil diese eben unverpackt waren. Entscheidend seien die Verhältnisse auf dem Transport und was üblicherweise einzeln verschifft werden solle2. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Beschädigung des Frachtgutes kommt es in Anlehnung an § 431 Abs. 2 dtHGB auf das Gewicht der gesamten Ladung an, wenn dadurch die gesamte Ladung entwertet ist. Das Gewicht nur der verlorenen oder beschädigten Frachtstücke ist dann zugrunde zu legen, wenn nur ein Teil der Ladung entwertet ist (§ 504 Abs. 2 dtHGB). Die Entschädigung bestimmt sich, anders als nach allgemeinem Frachtrecht, nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Ablieferung. Damit sind die Wertsteigerungen, die im Rahmen der Beförderungen eingetreten sind, mit zu berücksichtigen. Der Wert des Gutes wird nach seinem Marktpreis, hilfsweise dem gemeinen Wert von vergleichbaren Gütern berechnet (§ 502 dtHGB). Da bei der Berechnung der Haftungssumme auf den Ablieferungswert abgestellt wird, sind die ersparten Beförderungskosten vom Wert in Abzug zu bringen (§ 502 Abs. 4 dtHGB). Darüber hinaus muss der Verfrachter die Schadensfeststellungskosten tragen (§ 503 dtHGB). 1 OLG Hamburg v. 8.12.2011 – 6 U 205/10; eine ausführliche Besprechung des Urteils findet sich in Ramming, RdTW 2014, 390. 2 OLG Hamburg v. 22.4.2010 – 6 U 1/09.
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Transportverträge
Rz. 286 Teil E
(13) Außervertragliche Ansprüche In Anlehnung an § 434 Abs. 1 dtHGB statuiert § 506 Abs. 1 dtHGB den Grundsatz, wonach die Haftungsbefreiungen und Haftungsbeschränkungen auch für außervertragliche Ansprüche des Befrachters oder des Empfängers (etwa deliktische Ansprüche) gelten. § 506 Abs. 2 dtHGB ermöglicht dem Verfrachter, gegenüber außervertraglichen Ansprüchen Dritter – beispielsweise des Eigentümers der Güter – wegen Güterschäden Einwendungen geltend zu machen. Ausnahmen liegen vor, wenn diese Einwendungen von den gesetzlichen Regeln zu Lasten des Absenders abweichen (Nr. 1), die Zustimmung des Dritten zur Beförderung fehlt und der Verfrachter die fehlende Befugnis des Befrachters, das Gut zu versenden, kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 2) oder das Gut dem Dritten abhanden gekommen ist (Nr. 3). In § 506 Abs. 2 Satz 3 dtHGB findet sich eine Rückausnahme für eine nach § 512 Abs. 2 Nr. 1 dtHGB getroffene Vereinbarung über den Haftungsausschluss wegen nautischen Verschuldens oder Feuer.
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(14) Durchbrechung der Haftungshöchstgrenzen Der Verfrachter kann sich weder auf die vertraglichen noch auf die gesetzlichen Haftungsbefreiungen und –begrenzungen berufen, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Verfrachter selbst vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen hat, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (§ 507 dtHGB). Hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes entspricht die Regelung § 435 dtHGB1. Allerdings ist zu beachten, dass abweichend von § 435 dtHGB ein qualifiziertes Verschulden der Leute oder der Schiffsbesatzung des Verfrachters ihm nicht zuzurechnen ist. Damit orientiert sich § 507 dtHGB an den internationalen seefrachtrechtlichen Übereinkommen – wie beispielsweise Art. 4 Abs. 5 lit. e HVR, Art. 8 Abs. 1 HAR und Art. 61 RR –, bei denen es lediglich auf das qualifizierte Verschulden des Verfrachters ankommt. § 507 Nr. 2 dtHGB enthält eine Sonderregelung für den Fall, dass der Verfrachter entgegen einer besonderen Vereinbarung das Gut auf Deck verladen hat. Er kann die vertraglichen und gesetzlichen Haftungsbefreiungen und Haftungsbeschränkungen nicht geltend machen, wenn der Schaden auf diese vereinbarungswidrige Decksverladung zurückzuführen ist.
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c) Aktiv- und Passivlegitimation Aktivlegitimiert ist zunächst der Befrachter, der mit dem Verfrachter den Vertrag geschlossen hat. Gem. § 494 Abs. 1 Satz 2 dtHGB kann bei Beschädigung, Verlust oder verspäteter Ablieferung des Gutes auch der Empfänger Ansprüche aus dem Stückgutfrachtvertrag im eigenen Namen geltend machen. Ferner sind der Befrachter und der Empfänger im Wege der Drittschadensliquidation berechtigt, Ansprüche im fremden Namen geltend zu machen (§ 494 Abs. 1 Satz 3 dtHGB). Sieht man den Unterfrachtvertrag als einen Vertrag zu Gunsten des Empfängers an, kann der vom BGH2 zum Landfrachtrecht entwickelte Direktanspruch des Empfängers gegen den Unterfrachtführer auch im Seefrachtrecht zur Anwendung kommen3. Damit steht dem Empfänger ein unmittelbarer Schadensersatzanspruch gegen den Unterverfrachter aus dem Unterfrachtvertrag zu. Anspruchsgegner sind der Verfrachter sowie der ausführende Verfrachter gem. § 509 dtHGB. In Anlehnung an § 437 dtHGB normiert das neue Seehandelsrecht die Haftung des ausführenden Verfrachters für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung 1 Paschke in Oetker/HGB, § 507 HGB Rz. 1. 2 BGH v. 14.6.2007 – I ZR 50/05, MDR 2007, 1434. 3 Herber in MünchKomm/HGB, § 498 HGB Rz. 93.
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Teil E Rz. 287
Transport
des Gutes während der durch ihn ausgeführten Beförderung eingetreten ist. Somit haftet er in der gleichen Weise wie der vertragliche Verfrachter. Zu berücksichtigen ist, dass abweichend von § 437 dtHGB die Haftung des ausführenden Verfrachters für Schäden wegen der Überschreitung der Lieferfrist in § 509 dtHGB nicht geregelt ist. Hier ist wiederum denkbar, dass der Empfänger unter Bezugnahme auf die oben aufgeführte Rechtsprechung aus dem Unterfrachtvertrag berechtigt ist, direkt vom Unterverfrachter Schadensersatz wegen Verzug zu verlangen. d) Anspruchsdurchsetzung, Schadensanzeige, Verjährung und gerichtliche Zuständigkeit 287
Die Struktur des § 510 dtHGB entspricht im Wesentlichen der allgemeinen frachtrechtlichen Regelung des § 438 dtHGB. Abs. 1 begründet im Falle des offensichtlichen Verlusts oder der offensichtlichen Beschädigung die widerlegliche Vermutung, dass das Gut vollständig und unbeschädigt abgeliefert wurde, soweit der Empfänger oder der Befrachter dem Verfrachter nicht spätestens bei Ablieferung des Gutes etwas anderes anzeigt. Diese Vermutung gilt bei nicht äußerlich erkennbaren Verlusten oder Beschädigungen, sofern diese nicht binnen 3 Tagen nach Ablieferung angezeigt werden – insofern abweichend von der gem. § 438 Abs. 2 dtHGB geltenden siebentägigen Frist des allgemeinen Frachtrechts (§ 510 Abs. 2 dtHGB). Damit wird zwar ein Gleichlauf mit internationalen seerechtlichen Abkommen erreicht, gleichzeitig aber eine im Multimodalverkehr unglückliche Situation geschaffen, da der Frachtführer des Nachlaufs gegenüber dem Verfrachter die kurze 3-tägige Frist zu beachten hat, auch wenn er selber Schadensanzeigen oft erst nach Ablauf dieser Frist erhalten wird. Hier dürfte Bedarf für eine sichernde vertragliche Regelung bestehen. Abweichend von § 438 Abs. 4 dtHGB ist jede Schadensanzeige in Textform zu erstatten. Für die Fristwahrung ist die rechtzeitige Absendung ausreichend. Haben mehrere Verfrachter an dem Transportvorgang teilgenommen, so genügt nach Absatz 4 die Anzeige gegenüber demjenigen, der das Gut abliefert. Die Verjährungsvorschriften finden sich nunmehr im sechsten Abschnitt. Für Ansprüche aus einem Seefrachtvertrag und aus einem Konnossement sieht § 605 Nr. 1 dtHGB eine einjährige Frist vor. Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 607 Abs. 1 dtHGB mit der Ablieferung. Im Falle der Nichtablieferung ist der Tag maßgeblich, an dem das Gut hätte abgeliefert werden müssen. Für die Hemmung der Verjährung ist eine Reklamation in Textform ausreichend (§ 608 dtHGB). § 30 Abs. 1 ZPO begründet zusätzliche Gerichtsstände für Rechtstreitigkeiten über Ansprüche aus Güterbeförderungsverträgen. Besonderer Gerichtsstand ist wahlweise der Ort der Übernahme des Gutes oder der für die Ablieferung vorgesehene Ort. Außerdem können die Klagen gegen einen ausführenden Verfrachter oder einen Verfrachter am Gerichtsstand des jeweils anderen erhoben werden (§ 30 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO). 4. Materiellrechtliche Besonderheiten in der Schweiz
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Das schweizerische Seetransportrecht ist im Seeschiffahrtsgesetz vom 23. September 1953 (SSG)1 geregelt. Für die „Verträge über die Verwendung eines Seeschiffes“ sind die Bestimmungen des fünften Teils des SSG maßgeblich, wobei das Obligationenrecht weiterhin subsidiär zur Anwendung kommen kann (Art. 87 Abs. 1 SSG). Das SSG unterscheidet zwischen Schiffsmiete (Art. 90–93 SSG), Chartervertrag (Art. 94–100), Seefrachtvertrag (Art. 101–117 SSG). Durch den Seefrachtvertrag verpflichtet sich der Seefrachtführer, die mit dem Ablader vereinbarte Beförderung von Gütern über Meer gegen Einrichtung der Fracht auszuführen (Art. 101 Abs. 1 SSG). Ferner bestimmt Art. 101 Abs. 2 SSG, dass bei der Anwendung und Auslegung der Bestimmungen des 1 Bundesgesetz v. 23.9.1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizer Flagge (SR 747.30).
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Transportverträge
Rz. 289 Teil E
SSG die Haag/Visby Regeln zu berücksichtigen sind. Zu den wesentlichen Pflichten des Seefrachtführers gehören die Seetüchtigkeit des Schiffes und die Ladungsfürsorgepflicht (Art. 102 SSG). Art. 103 SSG regelt die Haftung des Seefrachtführers für Verlust, Beschädigung und verspätete Lieferung des Guts. Art. 104 Abs. 1 SSG sieht eine Haftungsbefreiung bei Schäden durch nautisches Verschulden und Feuer vor. Absatz 2 enthält in Anlehnung an Art. 4 Abs. 2 HVR weitere Befreiungsgründe zugunsten des Seefrachtführers. Die Haftung ist begrenzt auf den Wert des Frachtguts am Löschort bzw. maximal auf 666.67 SZR pro Stück oder Einheit oder 2 SZR pro kg, je nachdem, welcher Betrag höher ist (Art. 105 SSG). Weder der Seefrachtführer noch seine Hilfspersonen können sich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit auf die Haftungsbefreiungen und Haftungsbeschränkungen berufen (Art. 105a SSG). Eine praxisrelevante Darstellung des schweizerischen Seetransportrechts findet sich in Brunner in Münch/Passadelis/Lehne, Handbuch Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht, 2015, § 3 Internationale Transportgeschäfte – transportrechtliche Regeln und Standarddokumente Rz. 3.71–3.89. 5. Checkliste – Die derzeit geltenden internationalen Übereinkommen sind die Haager Regeln von 1924, die Haag/Visby Regeln von 1968 und die Hamburg Regeln von 1978. Die Rotterdam Regeln von 2009 sind noch nicht in Kraft. – Die internationalen Übereinkommen wurden auf unterschiedliche Weise in nationale Rechtsordnungen umgesetzt. Das neue deutsche Seehandelsrecht baut grundsätzlich auf den Bestimmungen der Haager Regeln und der Visby Regeln auf. – Soweit die internationalen Übereinkommen nicht maßgeblich sind, bestimmt sich das anwendbare Recht nach den nationalen Kollisionsvorschriften, insbesondere unter Berücksichtigung von § 6 dtEGHGB. – Zu den Seefrachtverträgen, die die Beförderung von Gütern zum Gegenstand haben, gehören der Stückgutvertrag (§§ 481–526 dtHGB) und der Reisefrachtvertrag (§§ 527–535 dtHGB). Der Stückgutvertrag stellt den zentralen Vertragstyp der Güterbeförderung dar. Für den Reisefrachtvertrag gelten weitgehend die Regelungen über den Stückgutfrachtvertrag. – Neben dem Konnossement regelt das deutsche Seehandelsrecht auch den Seefrachtbrief. Obwohl dieser in der Praxis an Bedeutung gewinnt, ist das Konnossement weiterhin vor allem für Akkreditivgeschäfte wichtig. Die wertpapierrechtliche Funktion des Konnossements ist die Verbriefung des Auslieferungsanspruchs bezüglich der transportierten Güter. Soweit seefrachtvertragliche Ansprüche im Konnossement verbrieft sind, können diese nur von dem aus dem Konnossement Berechtigten geltend gemacht werden. Der Seefrachtbrief dient als Nachweis für Abschluss und Inhalt des Stückgutfrachtvertrages sowie die Übernahme des Gutes. – Durch den Stückgutfrachtvertrag ist der Verfrachter verpflichtet, das Gut zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern. Innerhalb des Zeitraums, während dessen sich die Güter in seiner Obhut befinden, trifft ihn die Ladungsfürsorgepflicht. Zudem hat er dafür Sorge zu tragen, dass das Schiff see- und ladungstüchtig ist. Darüber hinaus hat der Verfrachter das Gut in das Schiff zu laden und dort zu stauen und zu sichern (verladen) sowie das Gut zu löschen. In der Praxis von erheblicher Bedeutung sind die Klauseln zur Bestimmung der Pflichtenverteilung (FIO, FIOS und FIOST). Der Verfrachter darf das Gut umladen, wenn es sich in einem Container befindet. Ohne Zustimmung des Befrachters darf kein Gut auf Deck verladen werden. Eine Ausnahme gilt insbesondere für Fälle der Verladung von Containern auf Deck von Containerschiffen. – Der Befrachter ist verpflichtet, die vereinbarte Fracht zu zahlen. Ferner muss er Angaben über Maß, Zahl oder Gewicht sowie über Merkzeichen und die Art des Gutes
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289
Teil E Rz. 290
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Transport
machen. Darüber hinaus hat er die Begleitpapiere für eine amtliche Behandlung zur Verfügung zu stellen. Ihn trifft die Verpackungs- und Kennzeichnungspflicht. Neu geregelt ist die Haftung des Befrachters bzw. Dritter für bestimmte Pflichtverletzungen wie etwa für unrichtige Angaben nach § 488 dtHGB. § 498 Abs. 1 dtHGB begründet eine verschuldensabhängige Haftung des Verfrachters für Schäden, die durch Verlust oder Beschädigung in der Obhutszeit entstanden sind. Die Haftung für Lieferfristüberschreitung bestimmt sich hingegen nach den allgemeinen Regeln. Für mangelnde See- und Ladungstüchtigkeit gem. § 485 dtHGB haftet er nach Maßgabe des § 280 dtBGB grundsätzlich unbeschränkt. Hat die mangelnde See- und Ladungstüchtigkeit die Beschädigung oder den Verlust des transportierten Gutes zur Folge, bestimmt sich die Haftung des Verfrachters nach den §§ 498 ff. dtHGB. § 499 dtHGB enthält ein abschließender Katalog von Haftungsausschlussgründen. Hervorzuheben ist, dass sich der Verfrachter nicht mehr von der Haftung für nautisches Verschulden seiner Leute und der Schiffsbesatzung und Feuer freizeichnen kann. Jedoch dürfen die Parteien des Frachtvertrages gem. § 512 Abs. 2 Nr. 1 dtHGB durch vorformulierte Bedingungen eine Haftungsbefreiung des Verfrachters vereinbaren. § 500 dtHGB begründet eine verschuldensunabhängige Haftung des Verfrachters für Schäden wegen unerlaubter Verladung auf Deck. Die Haftung für Verlust oder Beschädigung ist summenmäßig auf 666,67 SZR je Stück oder Einheit oder 2 SZR je kg des Gewichts beschränkt, je nachdem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, dass der Schaden auf Vorsatz oder grobes Verschulden des Verfrachters zurückzuführen ist. Aktivlegitimiert ist zunächst der Befrachter. Der Empfänger kann gem. § 494 Abs. 1 Satz 2 dtHGB Ansprüche aus dem Stückgutvertrag im eigenen Namen geltend machen. Neu eingeführt ist die Haftung des ausführenden Verfrachters nach § 509 dtHGB.
VI. Incoterms 290
Bei der Bewertung von transportrechtlichen Sachverhalten sind selbstverständlich auch die in das jeweilige Handelsgeschäft einbezogenen Handelsklauseln zu berücksichtigen. Bei derartigen Handelsklauseln handelt es sich um vertragliche Regelungen innerhalb des zugrunde liegenden Handelsgeschäfts, diese stellen also keine Abreden zwischen den Parteien des Frachtvertrages dar. Im internationalen Rechtsverkehr haben neben den Trade Terms in der Fassung von 1955 insbesondere die Incoterms („International Commercial Terms“), welche von der International Chamber of Commerce herausgegeben werden, in der Praxis erhebliche Bedeutung erlangt. Bei den Incoterms handelt es sich um genormte Vertragsformeln, welche das Ziel haben, durch kurze, griffige Umschreibung ein international einheitliches Verständnis von üblichen Standardleistungen herbeizuführen. Die Incoterms behandeln insbesondere Themen wie Gefahrübergang, Risikoverteilung oder Haftungsfragen.
291
Nach der Revision 2010 umfassen die Incoterms 11 (davor 13) Klauseln. Diese gliedern sich in 4 Gruppen (so genannte E-, F-, C- und D-Klauseln). Gruppe E enthält eine Abholklausel, während Gruppe D drei so genannte Ankunftsklauseln umfasst. Die Gruppen C und F enthalten Klauseln hinsichtlich des Haupttransports und differenzieren danach, ob der Verkäufer diesen Transport bezahlt (Gruppe C) oder nicht bezahlt (Gruppe F).
292
Im Einzelnen regeln die Incoterms beispielsweise, ob der Transportvertrag vom Verkäufer oder Käufer abzuschließen ist, wer Waren zum Export oder Import freizumachen hat, wo der Ort der Lieferung und damit des Gefahrübergangs sowie Kostenübergangs liegt 478 | Bürskens
Transportversicherung
Rz. 296 Teil E
(Ausnahme: C-Gruppe, wo hinsichtlich Kostenübergang nach Bestimmungshafen oder Bestimmungsort differenziert wird) oder die Transportversicherungspflicht. Zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten ist zu empfehlen, schon bei der Bezugnahme auf Incoterms nicht nur das übliche Kürzel der jeweiligen Klausel zu verwenden, sondern gleichzeitig auch klarzustellen, welche konkrete Fassung der Incoterms (z.B.: Incoterms 2010) in Bezug genommen wird. Selbstverständlich ersetzt die Bezugnahme auf Incoterms nicht die Vertragsgestaltung im Übrigen. Incoterms beziehen sich lediglich auf ausgewählte Bereiche des internationalen Warenkaufs. In den Incoterms nicht geregelte Sachverhalte (insbesondere Eigentumsübergang, aber auch Vertragsschluss, Leistungsstörungen) sind von den Parteien weiterhin frei zu vereinbaren und regeln sich im Übrigen nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Zwischen den Parteien getroffene Individualvereinbarungen gehen Incoterms grundsätzlich vor.
293
Kapitel 3. Transportversicherung I. Allgemeines Die maßgeblichen Transportversicherungen unterscheiden sich nach der Art der jeweils versicherten Interessen. Zu unterscheiden ist die Versicherung des betroffenen Transportmittels (z.B. Schiff, Eisenbahn, LKW, nicht aber Luftfahrzeuge, die über eine Luftkaskoversicherung abgesichert werden), die Versicherung der zu transportierenden Güter, die jeweilige Verkehrshaftungsversicherung des beteiligten Verkehrsträgers und sonstige Versicherungen, welche im gewerblichen Güterverkehr keine besondere Rolle spielen, auch wenn sie begrifflich als Transportversicherungen bezeichnet werden (z.B. Reisegepäckversicherung). In der alltäglichen Praxis sind vor allem die Güterversicherung und die Verkehrshaftungsversicherung von Bedeutung.
294
Das Recht der Transportversicherungen ist im Wesentlichen nationales Recht. Die internationalen Abkommen begnügen sich in der Regel mit Öffnungsklauseln, welche durch nach lokalem Recht einzudeckende Versicherungen auszufüllen sind. Insofern sind im Haftungsfall insbesondere der jeweilige Versicherungsvertrag und die anwendbaren Bedingungswerke zu beachten. Nachfolgend werden mangels international vereinheitlichten Rechts der Transportversicherungen nur die wesentlichen, für einzudeckende Versicherungen maßgeblichen Normen der einschlägigen internationalen Abkommen hervorgehoben. Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Versicherungsformen würde den Rahmen dieses Werkes sprengen. Insofern sei verwiesen auf die Literaturangaben zu Beginn dieses Teils zu Transportversicherung.
II. Internationales Privatrecht Die internationalen transportrechtlichen Abkommen enthalten keine Verpflichtungen zur Eindeckung von Versicherungen. Solche Pflichten ergeben sich daher allenfalls nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht oder aus Parteivereinbarung (vgl. Ziff. 28 ADSp 2016). Stattdessen begnügen sich die jeweiligen Regelungswerke allenfalls mit knappen Verweisungen auf existierende Versicherungen oder auf aus den jeweiligen Transportverträgen folgende Nebenpflichten.
295
1. CMR Das CMR regelt keine Versicherungspflicht1. Art. 6 Abs. 2 lit. e CMR legt lediglich fest, dass im Frachtbrief Weisungen des Absenders bezüglich der Versicherung des Gu1 Vgl. zur CMR-Versicherung de la Motte, VersR 1988, 317 (322 f.).
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296
Transportversicherung
Rz. 296 Teil E
(Ausnahme: C-Gruppe, wo hinsichtlich Kostenübergang nach Bestimmungshafen oder Bestimmungsort differenziert wird) oder die Transportversicherungspflicht. Zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten ist zu empfehlen, schon bei der Bezugnahme auf Incoterms nicht nur das übliche Kürzel der jeweiligen Klausel zu verwenden, sondern gleichzeitig auch klarzustellen, welche konkrete Fassung der Incoterms (z.B.: Incoterms 2010) in Bezug genommen wird. Selbstverständlich ersetzt die Bezugnahme auf Incoterms nicht die Vertragsgestaltung im Übrigen. Incoterms beziehen sich lediglich auf ausgewählte Bereiche des internationalen Warenkaufs. In den Incoterms nicht geregelte Sachverhalte (insbesondere Eigentumsübergang, aber auch Vertragsschluss, Leistungsstörungen) sind von den Parteien weiterhin frei zu vereinbaren und regeln sich im Übrigen nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Zwischen den Parteien getroffene Individualvereinbarungen gehen Incoterms grundsätzlich vor.
293
Kapitel 3. Transportversicherung I. Allgemeines Die maßgeblichen Transportversicherungen unterscheiden sich nach der Art der jeweils versicherten Interessen. Zu unterscheiden ist die Versicherung des betroffenen Transportmittels (z.B. Schiff, Eisenbahn, LKW, nicht aber Luftfahrzeuge, die über eine Luftkaskoversicherung abgesichert werden), die Versicherung der zu transportierenden Güter, die jeweilige Verkehrshaftungsversicherung des beteiligten Verkehrsträgers und sonstige Versicherungen, welche im gewerblichen Güterverkehr keine besondere Rolle spielen, auch wenn sie begrifflich als Transportversicherungen bezeichnet werden (z.B. Reisegepäckversicherung). In der alltäglichen Praxis sind vor allem die Güterversicherung und die Verkehrshaftungsversicherung von Bedeutung.
294
Das Recht der Transportversicherungen ist im Wesentlichen nationales Recht. Die internationalen Abkommen begnügen sich in der Regel mit Öffnungsklauseln, welche durch nach lokalem Recht einzudeckende Versicherungen auszufüllen sind. Insofern sind im Haftungsfall insbesondere der jeweilige Versicherungsvertrag und die anwendbaren Bedingungswerke zu beachten. Nachfolgend werden mangels international vereinheitlichten Rechts der Transportversicherungen nur die wesentlichen, für einzudeckende Versicherungen maßgeblichen Normen der einschlägigen internationalen Abkommen hervorgehoben. Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Versicherungsformen würde den Rahmen dieses Werkes sprengen. Insofern sei verwiesen auf die Literaturangaben zu Beginn dieses Teils zu Transportversicherung.
II. Internationales Privatrecht Die internationalen transportrechtlichen Abkommen enthalten keine Verpflichtungen zur Eindeckung von Versicherungen. Solche Pflichten ergeben sich daher allenfalls nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht oder aus Parteivereinbarung (vgl. Ziff. 28 ADSp 2016). Stattdessen begnügen sich die jeweiligen Regelungswerke allenfalls mit knappen Verweisungen auf existierende Versicherungen oder auf aus den jeweiligen Transportverträgen folgende Nebenpflichten.
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1. CMR Das CMR regelt keine Versicherungspflicht1. Art. 6 Abs. 2 lit. e CMR legt lediglich fest, dass im Frachtbrief Weisungen des Absenders bezüglich der Versicherung des Gu1 Vgl. zur CMR-Versicherung de la Motte, VersR 1988, 317 (322 f.).
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Teil E Rz. 297
Transport
tes aufzunehmen sind. Art. 41 Abs. 2 CMR regelt die Nichtigkeit von Abmachungen, durch die der Frachtführer sich Ansprüche aus der Transportversicherung1 des Gutes abtreten lässt. Eine Haftpflichtversicherung des Frachtführers ist hiervon nicht betroffen2. Damit wird verhindert, dass der Frachtführer unberechtigterweise von einer Transportversicherung des Berechtigten profitiert und die eigene gesetzliche Haftung begrenzt3. 2. MÜ 297
Das MÜ etabliert in Art. 50 eine von den Vertragsstaaten durchzusetzende Pflicht zu angemessener Versicherung. Ein Empfängerstaat kann einen Nachweis über angemessenen Versicherungsschutz verlangen. Entsprechend sieht der Entwurf eines Gesetzes zur Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr4 in Art. 1 § 4 Abs. 1 vor, dass der Luftfrachtführer für Versicherung nach §§ 50 und 51 des Luftverkehrsgesetzes sowie den Vorschriften der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung zu sorgen hat. 3. EG-VO 1008/2008
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Die EG-VO 1008/2008 (welche die zuvorige VO 2407/925 abgelöst hat) legt in Art. 4 lit. h gemeinsam mit der VO 785/2004 für alle Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft Mindestversicherungsanforderungen fest.
1 Koller, Transportrecht, Art. 41 CMR, Rz. 2. 2 BGH, TransportR 1999, 155; OGH Wien, VersR 1978, 980; OGH Wien, TranspR 1985, 348. 3 Koller, Transportrecht, Art. 41 CMR Rz. 2; Thume in Fremuth/Thume, Transportrecht, Art. 41 CMR Rz. 9. 4 BT-Drucks. 15/2359. 5 Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates v. 23.7.1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen, ABl. EG Nr. L 240 v. 24.8.1992, S. 1 und Nr. L 45 v. 23.2.1993, S. 30.
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Teil F. Handel mit geistigem Eigentum Kapitel 1. Völker- und europarecht1 licher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . I. Technische Schutzrechte 1. Einleitung und Schutzprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. PVÜ und Sonderabkommen, TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) EPÜ . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) PCT . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. EU-Recht a) EU-Gemeinschaftspatent . . 29 b) Schutzzertifikate, Biotechnologie-Richtlinie . . . . . . . 34 4. TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. Nationale Besonderheiten . . . 44 II. Sortenschutz . . . . . . . . . . . . . 51 1. Internationaler Sortenschutzvertrag (UPOV) . . . . . . . . . . 52 2. EG-Sortenschutz-VO und dtSortenschutzG . . . . . . . . . 53 3. Auswirkungen im Patentrecht . 54 4. Verhältnis von Sortenbezeichnung und Markenrecht . . . . . 55 5. Besonderheiten bei der Übertragung von Sortenschutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Kennzeichen 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 59 2. Internationaler Kennzeichenschutz – PVÜ und Sonderabkommen . . . . . . . . . . . . . 61 a) Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) . . . . . . . . . 63 b) Madrider Markenabkommen (MMA) und Protokoll (MMP), Gemeinsame Ausführungsordnung (GAMMA/MMP) . . . . . . . . . . 72 c) Mehrseitige Herkunftsabkommen . . . . . . . . . . . 81 3. Internationaler Kennzeichenschutz – TRIPS . . . . . . . . . . 82 4. Internationaler Kennzeichenschutz – TLT und STLT . . . . . 83 5. Europäisches Recht a) Markenrechts-Richtlinie 2008/95/EG (MKRiLi) . . . . 86 b) Unionsmarkenverordnung (UMVO) . . . . . . . . . . . . . 87 6. Nationale Besonderheiten . . . 90 IV. Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. PVÜ, HMA . . . . . . . . . . . . 96 2. EU-Musterschutz . . . . . . . . . 100 a) Geschmacksmusterrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . 101
b) EG-Gemeinschaftsgeschmacksmuster . . . . . . c) Sonderproblem: Ersatzteile . 3. Nationale Besonderheiten . . . V. Urheberrechte und Software 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 2. Mehrseitige Staatsverträge zum Urheber- und Leistungsschutzrecht . . . . . . . . . . . . a) Die Berner Übereinkunft, Pariser Fassung (RBÜ) . . . . b) Welturheberrechtsabkommen, Pariser Fassung (WUA) c) Das Rom-Abkommen . . . . d) TRIPS . . . . . . . . . . . . . . e) WCT . . . . . . . . . . . . . . . f) WPPT . . . . . . . . . . . . . . 3. EU-Recht a) EU-Vertrag/EWRAbkommen . . . . . . . . . . . b) EG/EU-Richtlinien . . . . . . 4. Nationale Besonderheiten . . . VI. Erschöpfung 1. Grundgedanken . . . . . . . . . . 2. Sachliche Grenzen der Erschöpfung – Vermietung, Recycling, Wiederbefüllen und Neuherstellung . . . . . . . . . . 3. Inverkehrbringen . . . . . . . . . 4. Berechtigung . . . . . . . . . . . 5. Nationale Besonderheiten, territoriale Wirkung der Erschöpfung . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. TechnologietransferVerträge I. Allgemeines zur Patent- und Know-how-Lizenz und Patentkaufverträgen . . . . . . . . . . . . . 1. Kauf, Lizenz, bloße Gestattung 2. Formvorschriften . . . . . . . . . 3. Einfache und ausschließliche Lizenz . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäisches Kartellrecht . . . . a) Art. 101 AEUV . . . . . . . . b) Die Kartellverordnung . . . . c) Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) . . . . . . . . . aa) Vertikal-GVO . . . . . . . bb) TechnologietransferGVO (GVO-TT) . . . . . cc) Forschung und Entwicklung . . . . . . . d) Lizenzvertrag als Zusammenschlusstatbestand . . . . e) Art. 102 AEUV – Missbrauchstatbestand . . . .
102 107 109 115 117 119 128 129 135 141 147 154 155 156 160
166 173 174 176
180 181 184 186 188 189 195 197 198 199 206 207 208
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Teil F II. Ausgestaltung des Lizenzvertrags 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . 2. Lizenzgebühren . . . . . . . . . . 3. Ausübungspflicht . . . . . . . . . 4. Produktions-, Kunden- und Mengenbeschränkungen . . . . 5. Bezugspflichten, Markengebrauch . . . . . . . . . . . . . . 6. Erfahrungsaustausch, Rücklizenzen . . . . . . . . . . . . . . 7. Verteidigung und Verfolgung von Verletzern . . . . . . . . . . 8. Unterlizenzen . . . . . . . . . . . 9. Gewährleistung . . . . . . . . . . 10. Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationale Besonderheiten 1. Gesetzliche Regelungen . . . . . 2. Insbesondere: Kartellrecht . . . 3. Einzelne Klauseln, Zwangslizenzen . . . . . . . . . . . . . . IV. Internationales Privatrecht 1. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Rechtswahl . . . . a) Immaterialgüterstatut . . . . b) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften . . . . . . 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . . a) Patent/Know-howKaufvertrag . . . . . . . . . . . b) Patent/Know-howLizenzvertrag . . . . . . . . . . V. Steuerrechtliche Hinweise . . . . . VI. Checkliste . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Softwareverträge I. Einleitung 1. Erscheinungsformen des Handels mit Software . . . . . . . . . 2. Standardsoftware a) Überlassung von Programmkopien auf Dauer gegen Einmalentgelt . . . . . . . . . . . b) Überlassung von Programmkopien auf Zeit aa) Miete . . . . . . . . . . . . bb) Application Service Providing (ASP)/Software as a Service (SaaS)/ Cloud Computing . . . . cc) Leasing . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zwischen Miete und Kauf . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung der Abgrenzung zwischen Miete und Kauf . . e) Abgrenzung zwischen den Vertragstypen „Kauf“ und „Werklieferungsvertrag“ . . . f) Bedeutung der Abgrenzung „Kauf“ und „Werklieferungsvertrag“ . . . . . . . . .
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Handel mit geistigem Eigentum 219 221 229 230 232 234 235 239 242 265 274 276
II.
III.
278 280 281 282 286 287 288 289 292 297
298
300 302
303 304 305 306 307 308
IV.
V.
g) Shareware, Public Domain Software, Freeware . . . . . . aa) Shareware . . . . . . . . . bb) Public Domain Software cc) Open Source Software . . 3. Individualsoftware . . . . . . . . 4. Vollübertragung/Lizenzierung des Urheberrechts . . . . . . . . 5. Software als Kreditsicherheit . . 6. Pflegevertrag, Change Management, Beratungsvertrag . . . . . Rechtsschutz von Software 1. Urheberrecht . . . . . . . . . . . 2. Patentrecht . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Immaterialgüterrechte Beschränkungen beim Vertrieb von Software 1. Verwendungsbeschränkungen . a) Arten von Verwendungsbeschränkungen . . . . . . . . b) Wirksamkeit der Verwendungsbeschränkungen . . . . aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) . . . bb) Individualvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . cc) Insbesondere: Zwingende Mindestrechte des Nutzers . . . . . . . . . . . . . dd) Insbesondere: Kartellrecht . . . . . . . . . . . . ee) Erschöpfung . . . . . . . . ff) Wirksamkeit einzelner Klauselgruppen . . . . . . 2. Einzelne Geschäftsbereiche im Softwarehandel a) Online-Vertrieb von Software . . . . . . . . . . . . . . . b) Handel mit Gebraucht-Software . . . . . . . . . . . . . . . c) Handel mit der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . d) Shrink-wrap . . . . . . . . . . e) Technische Sicherungen, Sperren . . . . . . . . . . . . . Nationale Besonderheiten 1. Österreich . . . . . . . . . . . . . 2. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . 3. Liechtenstein . . . . . . . . . . . Internationales Privatrecht . . . . 1. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Rechtswahl . . . . a) Verbraucherschutz . . . . . . b) Zwingende Vorschriften zum Schutz der Urheber . . . . . . c) Immaterialgüterstatut . . . . d) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften . . . . . . . 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . .
310 311 314 315 318 321 325 326 327 333 335 337 338 339 340 344 345 346 352 355
366 370 371 375 376 380 387 396 399 400 401 402 404 408 411 412
Teil F
Übersicht 4. Internationales Einheitsrecht VI. Steuerrechtliche Hinweise 1. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . 2. Ertragssteuern und Bilanzierung bei Inlandsfällen . . . . . . 3. Internationales Ertrags-Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Checkliste 1. Vertrieb einzelner Softwarekopien . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollübertragung/-lizenzierung der Rechte an der Software . . Kapitel 4. Kennzeichenverträge I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 1. Marken . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Kennzeichen . . . . . . a) Geschäftliche Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Geographische Herkunftsangaben . . . . . . . . . . . . . 3. Bürgerlich-rechtlicher Namensschutz . . . . . . . . . . . . 4. Domainnamen . . . . . . . . . . II. Übertragung von Kennzeichen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Form, Eintragung . . . . . . . . 3. Rechtswirkung der Umschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einschränkungen der Übertragbarkeit a) Täuschende Übertragung . . b) Teilübertragung . . . . . . . . c) Sonderfragen der IR-Marke . d) Telle-quelle-Marke (Art. 6quinquies PVÜ) . . . . e) Sonderfragen der Unionsmarke . . . . . . . . . . . . . . f) Bürgerlicher Name (§ 12 dtBGB; § 43 öABGB) . . . . . III. Übertragung von Domains 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschränkung der Übertragbarkeit a) Berechtigte Domain-Inhaber b) Sperrfristen . . . . . . . . . . 4. Gewährleistung . . . . . . . . . IV. Lizenzen an Kennzeichen 1. Rechtsnatur/Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form, Eintragung . . . . . . . . 3. Einschränkungen bei der Einräumung von Lizenzen a) Kartellrecht . . . . . . . . . . b) Täuschende Lizenz . . . . . . c) Registerstand . . . . . . . . . d) Gefahr der Entstehung von Freizeichen . . . . . . . . . .
417 420 425 430 438 439 440 441 444 445 446 447 449 450 452 453 455 456 459 464 465 468 469 476 477 478 479 482 489 492 504 505 506
e) Ausgleichsanspruch des Lizenznehmers analog § 89b dtHGB . . . . . . . . . f) Weiterübertragbarkeit von Markenlizenzen . . . . . . . . g) Sonstige Kennzeichen, Domains, Firma, bürgerlicher Name . . . . . . . . . . . . . . V. Nationale Besonderheiten 1. Österreich . . . . . . . . . . . . . 2. Schweiz a) Marken . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Kennzeichen . . . . c) Domains . . . . . . . . . . . . 3. Liechtenstein . . . . . . . . . . . VI. Internationales Privatrecht 1. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Rechtswahl . . . . a) Immaterialgüterstatut . . . . b) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften . . . . . . 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht . . . . . . . . a) Kennzeichen-Kaufvertrag . . b) Kennzeichen-Lizenzvertrag . 4. Internationales Einheitsrecht . VII. Steuerrechtliche Hinweise 1. Umsatzsteuern . . . . . . . . . . 2. Ertragssteuern a) Veräußerer/Lizenzgeber . . . b) Käufer/Lizenznehmer . . . . 3. Internationales Steuerrecht . . VIII. Checkliste 1. Übertragung/Lizenzierung von Kennzeichen . . . . . . . . . . . 2. Übertragung/Lizenzierung von Domains . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5. Urheberrechtliche Verträge I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Verlagsvertrag 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . 2. Checkliste – Buchverlagsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 3. Checkliste – Musikverlag . . . III. Filmverträge 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . 2. Auftragsproduktion . . . . . . . 3. Koproduktion . . . . . . . . . . . 4. Vorbestehende Werke . . . . . . 5. Regisseur und andere Miturheber . . . . . . . . . . . . 6. Verträge mit Darstellern . . . . 7. Filmauswertungsverträge (Kinorechte) . . . . . . . . . . . . IV. Sendeverträge . . . . . . . . . . . . V. Wahrnehmungsverträge 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Wahrnehmungsverträge (Berechtigungsverträge) . . . . .
507 508 509 511 517 522 523 525 529 530 531 533 534 535 536 538 539 540 541 544 548 549 550 566 575 576 578 580 582 583 588 591 593 596 600 602
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Teil F 3. Verträge mit den Nutzern 4. Verteilung . . . . . . . . . . VI. Nationale Besonderheiten . . VII. Internationales Privatrecht 1. Vertragsstatut . . . . . . . a) Rechtswahl . . . . . . .
Handel mit geistigem Eigentum . . . 606 . . . 608 . . . 610 . . . 616 . . . 617
b) Grenzen der Rechtswahl . . 618 c) Immaterialgüterstatut . . . . 620 2. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht . . . . . . . . 622 VIII. Steuerrechtliche Hinweise . . . . 623
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485
Teil F
Handel mit geistigem Eigentum
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Rz. 3 Teil F
in von Büren/David SIWR, Band); Noth/Bühler/Thouvenin, Markenschutzgesetz (MSchG), 2009; Schluep, Neues Markengesetz und Kartellgesetz, sic! 1997, 16; Troller, Manuel du droit suisse des biens immatériels, 2. Aufl. 1996; Willi, Markenschutzgesetz, 2002. Urheberrechtl. Verträge: Deutschland: Beier/Götting/Lehmann/Moufang (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, Festschrift für Schricker, 1995; Delp, Das gesamte Recht der Publizistik (RdPubl), Loseblattsammlung; Dreier/Schulze, Kommentar zum Urheberechtsgesetz, Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Kunsturhebergesetz, 6. Aufl. 2015; Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl. 2014; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht (Loseblatt); Nordemann/Hertin/Vinck, Münchener Vertragshandbuch Bd. 3/Wirtschaftsrecht II, 7. Aufl. 2015, VII, Vertragsmuster zum Urheber- und Verlagsrecht; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 6. Aufl. 2013; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2016; Schricker, Verlagsrecht, 3. Aufl. 2001; Schulze, Urheberrecht in der Musik, 5. Aufl. 1981; Ulmer-Eilfort/Obergfell, Verlagsrecht, 1. Aufl. 2013; Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014. Österreich: Dittrich, Das österreichische Verlagsrecht, 1969. Schweiz: v. Büren/David, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Bd. II/1, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, 3. Aufl. 2014 (zit.: Bearbeiter in von Büren/David SIWR, Band); Hilty zu Art. 380 ff. OR in Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg), Obligationsrecht I. 1. Art. 1–529 OR, 6. Aufl. 2015; Rehbinder/Grossenbach, Schweizerisches Urhebervertragsrecht, 1979; A. Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 3. Aufl. 1981. Filmverträge: v. Hartlieb, Handbuch des Film-, Fernseh-, und Videorechts, 5. Aufl. 2011; HenningBodewig in Festschrift für Schricker, 1995, S. 414 ff.
Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen Für alle Gewerblichen Schutzrechte gilt das Territorialitätsprinzip. Deutsche Patente oder Kennzeichen genießen nur in Deutschland Schutz, umgekehrt genießen ausländische Patente oder Marken in Deutschland nur aufgrund von Sonderregelungen Schutz. Das Territorialitätsprinzip ist in allen Rechtsordnungen anerkannt. Daraus folgt, dass das inhaltlich gleiche Schutzrecht in verschiedenen Ländern für verschiedene Inhaber geschützt sein kann. Es müssen also Schutzrechte für sämtliche Länder erworben werden, in denen der Schutz von Interesse ist. Auch wenn es fallweise wirtschaftlich ausreichend sein kann, nur einige Kernländer schutzrechtlich zu sperren, um den Konkurrenten überregional auszuschalten, so bedeutet das gleichwohl im Regelfall für ein international tätiges Unternehmen, dass es grundsätzlich in jedem einzelnen Staat das Anmeldeverfahren mit seinen jeweiligen formalen und materiellen Anforderungen durchlaufen müsste. Dazu kommt, dass eine in einem Territorium veröffentlichte Patentanmeldung neuheitsschädlich sein könnte für Folgeanmeldungen in anderen Territorien. Der Wunsch nach Harmonisierung hat zum Abschluss internationaler Abkommen geführt, die zumindest in Einzelbereichen Angleichungen und Erleichterungen für die Schutzrechtsinhaber bewirken.
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Der Handel mit geistigem Eigentum – Übertragung und Lizenzen – ist ganz überwiegend nationalem Recht überlassen mit der Besonderheit, dass europarechtlich Art. 101 AEUV und die dazu ergangenen Gruppenfreistellungsverordnungen besondere Beschränkungen enthalten.
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Das Netzwerk völkerrechtlicher Verträge umfasst vier Hauptabkommen: für technische Schutzrechte, Kennzeichenrechte und Wettbewerbsrecht die PVÜ1, für Urheberrechte die RBÜ2, für Pflanzenschutzrechte das internationale Pflanzenschutz-
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1 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums v. 20.3.1883, in der für Deutschland, Schweiz und Österreich verbindlichen Stockholmer Fassung v. 14.7.1967, BGBl. 1970 II, 391; Text (englisch) und Mitgliedsstand unter http://www.wipo.int/treaties/en/ip/paris. 2 Revidierte Berner Übereinkunft v. 6.9.1886, Beck’sche Textausgabe Gewerblicher Rechtsschutz Nr. 900.
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Teil F Rz. 4
Handel mit geistigem Eigentum
abkommen UPOV1, und schließlich übergreifend das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums v. 15.4.1994 (TRIPS)2. In Deutschland, und ebenso in Österreich und der Schweiz, werden die Bestimmungen dieser internationalen Abkommen – bis auf TRIPS – und ihrer Tochterabkommen, die sich auf Einzelne und deren Rechte an geistigem Eigentum beziehen, als Kraft einmal erfolgter Ratifizierung unmittelbar anwendbar angesehen. So konnte sich der Ausländer gegenüber dem früher nach dem Warenzeichengesetz ungünstigeren deutschen nationalen Recht auf den günstigeren telle-quelle Schutz nach der PVÜ und dem MMA berufen3. 4
Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3. 1883 (PVÜ) ist mehrfach revidiert worden und besteht deshalb in unterschiedlichen Fassungen. Im Verhältnis der einzelnen Verbandsstaaten zueinander gilt die PVÜ in der jeweils jüngsten Fassung, die beide Verbandsstaaten ratifiziert haben4; die meisten Länder sind der letzten Fassung beigetreten, der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967. Sie gilt für Ansprüche zwischen Angehörigen verschiedener Verbandsstaaten.
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Art. 1 Abs. 1 und 2 PVÜ regeln den Grundsatz der Inländerbehandlung. Ausländische Schutzrechtsinhaber müssen unter den gleichen Voraussetzungen und mit den gleichen Rechtsfolgen Schutzrechte erwerben können wie Inländer. Für die gerichtliche Durchsetzung erworbener Schutzrechte können die Verbandsländer allerdings Sonderregeln vorsehen (Art. 2 Abs. 3 PVÜ). Art. 4 PVÜ enthält den Grundsatz der Unionspriorität: Eine innerhalb von 12/6 Monaten nach der in einem Verbandsstaat vorgenommenen Erstanmeldung erfolgende Zweitanmeldung erhält die Priorität der Erstanmeldung. Dies gilt auch für den Rechtsnachfolger. Die PVÜ als Mutterabkommen hat unter sich Sonderabkommen nach Art. 19 PVÜ: für die einheitliche Patenterteilung das EPÜ5, für die einheitliche Patentanmeldung den PCT6, für die Kennzeichenregistrierung MMA und MMA-Protokoll7, für die Vereinheitlichung der Formalien nationaler Markenanmeldungen den Trademark Law Treaty8 und für Geschmacksmuster das Haager Musterabkommen – HMA –9, sowie einige weitere, die hier nicht näher behandelt werden.
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TRIPS erweitert und ergänzt Mindestschutzstandards. Bis 1995 wurden Abkommen zum geistigen Eigentum nur durch die WIPO vorbereitet und verwaltet. Mit der Umformung des GATT zur WTO ergänzt nun das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums v. 15.4.1994 (TRIPS) die obigen multilate1 Union pour la Protection des Obtentions Vegetales, revidierte Fassung von 1991 in Kraft für Deutschland seit 23.7.1998. 2 TRIPS = Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights im Rahmen von Gatt/WTO am 15.4.1994 abgeschlossen, BGBl. 1994 II, 1730. 3 BGH v. 4.7.1991 – I Z.B. 9/90, GRUR 1991, 839 – Z-Tech; BGH v. 31.5.1990 – I Z.B. 6/89, GRUR Int. 1991, 738 = GRUR 1991, 535 – ST; BGH v. 5.4.1990 – I Z.B. 7/89, GRUR 1991, 838 = BGHZ 111, 134 – IR-Marke FE. 4 Ausnahme: Art. 27 Abs. 3 PVÜ – ein Nichtverbandsstaat, der der Stockholmer Fassung beitritt, hat diese auch gegenüber Verbandsstaaten früherer Fassungen anzuwenden. 5 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) v. 5.10.1973, Ausführungsordnung Nr. 51. 6 PCT = Patent Cooperation Treaty v. 19.6.1970. 7 MMA = Madrider Markenabkommen v. 14.4.1891; Protokoll zum Madrider Markenabkommen v. 27.6.1989, mit der gemeinsamen Ausführungsordnung, sämtlich unter http://www.wipo.int/ madrid/en/legal_texts. 8 Trademark Law Treaty v. 27.10.1994, Text (englisch) unter http://www.wipo.int/treaties/en/ text.jsp?file_id=294357. 9 Haager Musterschutzabkommen v. 6.11.1925.
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Rz. 7 Teil F
ralen Abkommen durch die Festlegung weiterer Mindeststandards. Über die Regelungen der PVÜ geht es vor allem in zwei Aspekten hinaus: Das TRIPS behandelt erstmalig Fragen der gerichtlichen Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und ergänzt den Grundsatz der Inländerbehandlung (gleiche Rechte für Ausländer und Inländer) um den der Meistbegünstigung in Art. 4 TRIPS (gleiche Rechte verschiedener Ausländer)1. Nach herrschender Meinung sind die TRIPS-Vorschriften jedoch auch dann nicht unmittelbar anwendbares Recht für den Einzelnen, wenn sie nicht „Soll“- oder „Kann“-Vorschriften für die Staaten enthalten sondern zwingend bestimmte Rechte statuieren2. Soweit die TRIPS-Vorschriften sich jedoch auf Gebiete auswirken, auf denen die EG Rechtsakte erlassen hat, sind die nationalen Gerichte EG-rechtlich mindestens gehalten, bei der Anwendung des nationalen Rechts Sinn und Zweck der TRIPSVorschriften zu berücksichtigen, da auch die EG das TRIPS-Abkommen mit abgeschlossen hat3. Innerhalb der EU hat die EG (nunmehr EU) mit Richtlinien Schutzstandards vereinheitlicht, mit Verordnungen zum Teil einheitliche Schutzrechte geschaffen und mit den oben erwähnten Gruppenfreistellungsverordnungen den Technologietransfer geregelt. Richtlinien zur Vereinheitlichung und Verordnungen mit unmittelbarer Geltung sind auf dem Gebiet des geistigen Eigentums bspw.: Auf dem Gebiet des Patentrechts die Biotechnologierichtlinie4, und die Verordnungen über ergänzende Schutzzertifikate (ESZ, engl: SPC) für Arzneimittel und für Pflanzenschutzmittel5 und auf dem angrenzenden Gebiet des Sortenschutzes die EG-SortenschutzVO6; – Auf dem Gebiet des Kennzeichenrechts: die erste Markenrichtlinie (MKRiLi)7, die im deutschen MarkenG von 1994 umgesetzt wurde, und die GemeinschaftsmarkenVO (GMVO)8 (nunmehr: UnionsmarkenVO v. 16. Dezember 2015 (UMVO)) als unmittelbar geltendes EU-Recht u.a. in Deutschland und Österreich über einen EU-weiten einheitlichen Markenschutz; 1 Unter http://www.wto.org/english/tratop_e/trips_e/intel7_e.htm findet sich der aktuelle Stand der Notifizierungen nach Art. 4 lit. d. 2 EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-135/10, GRUR 2012, 593, Tz. 43 ff. – SCF; TRIPS ist nach nach deutscher h.M. aber auch in den Bereichen nicht unmittelbar anwendbar, in denen die EU im Bereich des Geistigen Eigentums noch keine Rechtsakte gesetzt hat und daher ein Vorrang der Auslegung durch den EuGH nicht in Betracht kommt, vgl. z.B. LG Düsseldorf v. 7.12.2000 – 4 O 296/98, InstGE 1, 160 – WC-Körbchen III. 3 EuGH v. 16.6.1998 – Rs. C-53/96, Slg. 1998, I 3603 = NJW 1999, 2103 = GRUR. Int. 1998, 697 – Hermès; EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C 300/98 und C 392/98, Slg. 2000, I 307 = GRUR 2001, 235 = GRUR Int. 2001, 327 – Dior; EuGH v. 13.9.2001 – Rs. C 89/99 = GRUR Int. 2002, 41 – Route 66: jeweils zur letztlich verneinten unmittelbaren Anwendbarkeit der Hauptsacheklagefrist nach Art. 50 (6) TRIPS bei Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. 4 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. EG Nr. L 213/1998, S. 13–21. 5 Verordnung (EWG) 469/2009 v. 6.5.2009, ABl. EG Nr. L 152/2009, S. 1 und Verordnung (EWG) 1610/96 v. 23.7.1996, ABl. EG Nr. L 198/1996, S. 30. 6 Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz v. 27.7. 1994, ABl. EG Nr. L 227/1994, S. 1 und ABl. EG Nr. L 258/1995, S. 3. 7 Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken, ABl. EG Nr. L 299/2008, S. 25 ff.; Neufassung durch Richtlinie Nr. 2015/2436 des Europäischen Parlaements und des Rates v. 16.12.2015, ABl. EU Nr. L 336/2015, S. 1 ff. 8 Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Gemeinschaftsmarke v. 26.2.2009, ABl. EU Nr. L 78/2009, S. 1, mit der DurchführungsVO EG Nr. 2868/95 v. 13.12.1995, ABl. EG Nr. L 303/1995, S. 1 und der Gebührenordnung (EG) Nr. 2869/95 v. 13.12.1995, ABl. EG Nr. L 303/1995, S. 33.
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Teil F Rz. 8
Handel mit geistigem Eigentum
– Auf dem Gebiet des Urheberrechts u.a.: die Softwareschutzrichtlinie1, die in §§ 69a ff. des dtUrhG umgesetzt wurde, die Datenbankrichtlinie2, umgesetzt in §§ 87a ff. dtUrhG, sowie u.a. die Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft3; neu die 2014 ergangene Verwertungsgesellschaftenrichtlinie4; – Auf dem Gebiet des Musterrechts: die Geschmacksmusterrichtlinie von 19985 und die GemeinschaftsgeschmacksmusterVO6, mit der ein in den EU-Ländern einheitlich geltendes Geschmacksmuster geschaffen wurde. 8
Soweit ein Staat miteinander in Konflikt stehende völkerrechtliche Verträge abschließt, ist er grundsätzlich aus allen Verträgen verpflichtet, die Verträge gelten also – unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses und des Inkrafttretens – nebeneinander7. Das Verhältnis des EU-Rechts zu anderen Abkommen erkennt dieses völkerrechtliche Prinzip an, es ist aber wegen der Besonderheiten des EU-Vertrages zu modifizieren: – Alte, vor Abschluss der EG/EU-Verträge geschlossene Abkommen der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten gelten nach Art. 351 Abs. 1 AEUV fort; die Mitgliedstaaten sind nach Art. 351 Abs. 2 AEUV allerdings gehalten, bei Konflikten mit EURecht die Verträge anzupassen oder zu beenden; bis zur Beendigung des Vertrages darf der Altvertrag aber weiter angewendet werden, und muss auch in der Restzeit nicht „gemeinschaftsrechtskonform“ ausgelegt werden8. – Neue Verträge mit Drittstaaten in Bereichen, die in die Kompetenz der EU fallen, sind gemeinschaftsrechtswidrig, aber ebenfalls völkerrechtlich wirksam9. – EU-widrige Verträge zwischen Mitgliedstaaten treten hinter EU-Recht zurück10. – Völkerrechtliche Verträge der EU sind gegenüber EU-Primärrecht nachrangig, aber sie gehen sekundärem, auch späterem Gemeinschaftsrecht vor11; die Mitgliedstaaten sind gehalten, ihre Verträge dem neuen Recht anzupassen (Art. 218 Abs. 2 AEUV). – Bei der Auslegung des EU-Sekundärrechts sind völkerrechtliche Verträge zu berücksichtigen, und zwar nicht nur, wenn die EU dem völkerrechtlichen Vertrag
1 Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2009 über den Rechtsschutz von Computer-Programmen, ABl. EU Nr. L 111/2009, S. 16. 2 Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Datenbanken v. 11.3.1996, ABl. EG Nr. L 77/1996, S. 20. 3 Richtlinie 2001/29/EG v. 11.3.1996, ABl. EG Nr. L 167/2001, S. 10, sog. „InfoSoc-Richtlinie“. 4 Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt v. 26.2.2014, umzusetzen in nationales Recht bis 10.4.2016. 5 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen v. 13.10.1998, ABl. EG Nr. L 289/1998, S. 28. 6 Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster v. 12.12. 2001, ABl. EG Nr. L 3/2002, S. 1. 7 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 11. Aufl. 2005, Rz. 110. 8 EuGH v. 18.11.2003 – Rs. C-216/01 – Budejovicky/American Bud. 9 Soweit die fehlende Kompetenz nicht offensichtlich ist; das ist jedenfalls für den Bereich des geistigen Eigentums nicht anzunehmen, vgl. Oppermann, Rz. 609; EuGH Slg. 1994, I-5267 ff. – Gutachten 1/94 – WTO. 10 Oppermann, Rz. 597 für zeitlich nach den EU-Verträgen liegende Abkommen; für vor den EUVerträgen abgeschlossene Vereinbarungen lässt sich dieser Grundsatz aus der lex-posterior-Regel ableiten, so auch Schmalenbach in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 351 AEUV Rz. 8. 11 EuGH v. 10.9.1996 – Rs. C-61/94, Slg. 1996, I 3989, EuZW 1997, 122, Rz. 52 – Kommission ./. Deutschland.
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Rz. 8 Teil F
(auch) beigetreten ist1, sondern auch, wenn (nur) die Mitgliedstaaten dem völkerrechtlichen Vertrag beigetreten sind2. – Regelt das EU-Sekundärrecht einen Bereich abschließend (Vollharmonisierung), können die EU-Mitgliedsstaaten in diesem Bereich keine weitergehenden Rechte bzw. Beschränkungen vorsehen, auch wenn ein internationales Abkommen, dem der Mitgliedssaat beigetreten ist, das gestattet. Der vorstehende Auslegungs-Grundsatz gilt aber auch hier – das EU-Sekundärrecht ist also auch hier soweit möglich im Lichte des völkerrechtlichen Vertrages auszulegen3. – TRIPS ist ein Sonderfall, da es von den Mitgliedstaaten und der EG (sog. „gemischter Vertrag“) abgeschlossen wurde und Bestimmungen enthält, die teils schon EUrechtlich geregelt sind, teils noch in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen. Gemischte Verträge sind in Art. 216 AEUV nicht ausdrücklich geregelt. Nach den vorstehenden Grundsätzen gehen die EU-Rechts-parallelen Vorschriften des TRIPS dem sekundären Gemeinschaftsrecht vor: Sowohl die UMVO wie die MKRiLi sind daher in Übereinstimmung mit TRIPS auszulegen; (nur) den TRIPS-Bestimmungen aus dem nicht harmonisierten Bereich können die Mitgliedstaaten darüber hinaus auch unmittelbare Wirkung zuerkennen4. – Die für TRIPS geltenden Grundsätze dürften für alle „gemischten Verträge“ gelten, so z.B. nach Beitritt der EU in 2010 auch für die (urheberrechtlichen) WCT und WPPT, sowie für das UPOV5.
1 EuGH v. 10.9.1996 – Rs. C-61/94, Slg. 1996, I 3989, EuZW 1997, 122, Rz. 52 – Kommission ./. Deutschland; EuGH v. 7.6.2007 – Rs. C-335/05, RIW 2007, 879, Rz. 16 ff. (Verhältnis zum GATS). 2 Rosenkranz, EuZW 2007, 238 (241); ebenso, aber ohne nähere Begründung EuGH v. 7.12.2006 – Rs. C-306/05, EuZW 2007, 81 – SGAE. 3 EuGH v. 13.2.2014 – Rs. C-466/12, GRUR 2014, 360 = EuZW 2014, 265, Rz. 33 ff. – Nils Svensson ua. ./. Retriever Sverige; EuGH v. 22.1.2015 – Rs. C-419/13, GRUR 2015, 256, Rz. 38 – Allposters ./. Pictoright (zum Verhältnis RBÜ – InfoSoc-Richtlinie). 4 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-300/98, 392/98, Slg. 2000, I 307 = GRUR 2001, 235 – TRIPS-Abkommen (Parfums Christian Dior), zum Markenrecht; EuGH v. 11.9.2007 – Rs. C-431/05, GRUR 2008, 55 – Merck Genéricos (ablehnend für Patentrecht); EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-414/11 – Daiichi Sankyo, Sanofi-Aventis/Demo (bejahend für Ergänzendes Schutzzertifikat). Ob diese Rechtsprechung unverändert fortgilt, ist nicht zweifelsfrei, da EuGH v. 4.9.2014 – Rs. C-114/12 – Kommission ./. Rat jetzt die ausschließliche Zuständigkeit schon dann annimmt, wenn das zu verhandelnde Abkommen zu einem Rechtsgebiet gehört, das „weitgehend“ von gemeinsamen Regeln der EU erfasst ist. 5 BGH v. 13.1.2014 – X ZB 18/12 – Fond Memories lässt allerdings den Neuheitsbegriff des UPOV gegenüber dem (engeren) des § 6 Abs. 1 dtSortSchG vorgehen, mit der Begründung, es fehle an einer Rechtsangleichung in der EU.
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Brandi-Dohrn 491
Teil F Rz. 9
Handel mit geistigem Eigentum
In einer graphischen Übersicht kann man das Geflecht internationaler Verbände und Abkommen ohne letzte Vollständigkeit etwa wie folgt verdeutlichen: 9
Verbände und mehrseitige Abkommen
I. Technische Schutzrechte Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
1. Einleitung und Schutzprinzipien 10
Technische Schutzrechte sind Patente, Gebrauchsmuster, Know-how und auch die freilich nur eine geringe Rolle spielenden Topographieschutzrechte. Patente und Gebrauchsmuster werden vom Staat als zeitlich begrenzte Ausschließlichkeitsrechte gewährt zum Lohn dafür, dass der Erfinder seine Erfindung der Allgemeinheit mitteilt. Know-how wird nicht mitgeteilt sondern geheimgehalten. Dafür gibt es kein Ausschließlichkeitsrecht, sondern nur einen Wettbewerbsschutz. Als Wissensposition stellt Know-how aber ein wertvolles und auch handelbares Immaterialgut dar.
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Patente und Gebrauchsmuster werden nur für „technische Erfindungen“ gewährt. So heißt es bspw. in Art. 27 TRIPS, dass Patente auf allen Gebieten der Technik erhältlich sein sollen. Streitig ist aber, was „Technik“ ist, etwa im Unterschied zu bloßen Geschäftsmethoden. Dieser Streit spielt eine große Rolle bei der Frage, inwieweit Software dem Patentschutz zugänglich ist. Die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) haben keine Definition für „Technik“ entwickelt. Der BGH definiert 492 | Brandi-Dohrn
Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 14 Teil F
„Technik“ als Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs außerhalb des bloßen Einsatzes der menschlichen Verstandestätigkeit1. Für derart technische Erfindungen werden Patente erteilt, in Deutschland und Österreich nach einem patentamtlichen Prüfungsverfahren auf Neuheit und Erfindungshöhe. Das eidgenössische Institut für gewerbliches Eigentum (IGE) hat die Vorprüfung aufgegeben (Art. 59 Abs. 4 schwPatG). Gebrauchsmuster werden in Österreich und Deutschland ohne Vorprüfung registriert. Die erteilten bzw. registrierten Patente und die registrierten Gebrauchsmuster gewähren ihrem Inhaber ein absolutes Ausschließlichkeitsrecht für eine Laufzeit bis zu 20/10 Jahren, können aber widerrufen werden. Das absolute Ausschließlichkeitsrecht wirkt anders als das Urheberrecht auch gegen spätere unabhängige Doppelerfindungen, ja sogar gegen die frühere Erfindung, wenn diese nicht vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag des nachfolgenden Patents in Benutzung genommen oder wenigstens Veranstaltungen dazu getroffen wurden (Vorbenutzungsrecht).
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Als Know-how bezeichnet man nicht patentgeschützte, geheim gehaltene technische Kenntnisse von wirtschaftlichem Wert. Eine Begriffsbestimmung enthält Art. 39 Abs. 2 TRIPS. Da es sich um einen tatsächlichen Wissensvorsprung handelt, gibt Know-how, anders als das Patent, kein absolutes Ausschlussrecht gegen jüngere Benutzer. Die tatsächliche Position des Know-hows ist rechtlich geschützt durch Vorschriften des HGB und des UWG. Während des Beschäftigungsverhältnisses ist das Know-how einmal durch das Wettbewerbsverbot nach § 60 dtHGB geschützt sowie durch die Geheimhaltungspflicht nach § 17 Abs. 1 dtUWG. Nicht allgemein offenkundige, nicht erfinderische Kenntnisse, die ein Angestellter im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses erarbeitet, stehen iS des § 17 dtUWG ohne weiteres dem Arbeitgeber zu2.
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Nachvertraglich ist der Angestellte frei, redlich erworbenes Wissen anderweit für sich oder Dritte zu nutzen. Es kann ihm aber ein entschädigungspflichtiges Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. dtHGB auferlegt werden. Entschädigungslos darf nach BAG die nachvertragliche Verwertung punktuell einzelner Betriebsgeheimnisse durch Vereinbarung ausgeschlossen werden, während der BGH diesseits der Grenze der Sittenwidrigkeit die Verwertung redlich erworbener Betriebsgeheimnisse gestattet3. Betriebliches Know-how ist jedoch geschützt gegen künstliches Transferieren aus dem Unternehmen, z.B. durch körperliche und unkörperliche Kopien4, aber auch durch gezieltes Auswendiglernen. Denn unredlich und unbefugt nach § 17 Abs. 2 dtUWG ist nach der Rechtsprechung eine Kenntnisverschaffung dann, wenn sie durch eine nicht im Rahmen der dienstvertraglichen Tätigkeit liegende nähere Beschäftigung mit den betrieblichen Unterlagen, sei es durch Zuhilfenahme technischer Mittel, sei es durch Anfertigung von Zeichnungen oder bloßes sich Einprägen derart gefestigt wird, dass der Beschäftigte im Stande ist, nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb davon Gebrauch zu
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1 BGH v. 22.6.1976 – X ZB 23/74, BGHZ 67, 22 = GRUR 1977, 96 – Dispositionsprogramm; BGH v. 11.6.1991 – X ZB 24/89, GRUR 1992, 36 – chinesische Schriftzeichen; BGH v. 13.12.1999 – X ZB 11/98, GRUR 2000, 498 – Logikverifikation; BGH v. 11.5.2000 – X ZB 15/98, GRUR 2000, 1007 – Sprachanalyseeinrichtung. Dabei muss ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst werden, BGH v. 24.2.2011 – X ZR 121/09, CR 2011, 494 = GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige. 2 BGH v. 16.11.1954 – I ZR 180/53, NJW 1955, 463 = GRUR 1955, 402 – Anreißgerät; BGH v. 18.2. 1977 – I ZR 112/75, NJW 1977, 1062 = GRUR 1977, 539 = DB 1977, 766 – Prozessrechner. 3 BAG v. 16.3.1982 – 3 AZR 83/79, NJW 1983, 134 = BB 1982, 1792 – Rezeptur einer Reagenz; BAG v. 25.4.1989 – 3 AZR 35/88, NJW 1989, 3237 zur vertraglichen und nachvertraglichen punktuellen Geheimhaltungsverpflichtung; BGH v. 3.5.2001 – I ZR 153/99, GRUR 2002, 91 – Spritzgießwerkzeuge; BGH v. 7.11.2002 – I ZR 64/00, GRUR 2003, 356 – Präzisionsmessgeräte. 4 BGH v. 26.2.2009 – I ZR 28/06, GRUR 2009, 603 – Versicherungsuntervertreter.
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Teil F Rz. 15
Handel mit geistigem Eigentum
machen. Dabei dürfen die Anforderungen an den Nachweis des unredlichen Erwerbs nicht überspannt werden1. Außerdem kann die nachvertragliche Verwertung oder Mitteilung spezifischer Betriebsgeheimnisse dann, wenn der Arbeitnehmer das geheime Wissen nicht mitbegründet hat, fallweise auch aus § 3 dtUWG und/oder nachvertraglicher Treupflicht verboten sein. Das ist z.B. erörtert worden für den Fall einer wichtigen betriebsgeheimen Rezeptur, die ein leitender, hochbesoldeter Angestellter aufgrund seiner Position erfuhr, um kurz darauf das Unternehmen zu verlassen und eine eigene Produktion aufzubauen2. Allgemein gibt es aber kein Verschwiegenheitsgebot und Verwertungsverbot zu Lasten des ausgeschiedenen Arbeitnehmers aus nachvertraglicher Treuepflicht3. 15
Gegenüber freien Auftragnehmern ist mitgeteiltes Know-how durch den Schutz gegen „Vorlagenfreibeuterei“ nach § 18 dtUWG gegen Weitergabe und gegen eigennützige Verwendung für sich oder andere Auftraggeber geschützt. Auch hier müssen die Vorlagen Betriebsgeheimnisse sein, denn andernfalls könnten sie nicht anvertraut werden4.
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Betriebsgeheimnis iS des §§ 17, 18 dtUWG ist jede Kenntnis, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Betrieb steht, nur einem begrenzten Kreis bekannt und in ihrer konkreten Ausformung nicht ohne weiteres Dritten zugänglich ist, und an welcher der betreffende Betriebsinhaber aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses ein Geheimhaltungsinteresse hat5. Der Schutz der konkreten Ausprägung des Betriebsgeheimnisses und der durch konkrete Vorkehrungen betätigte Geheimhaltungswille wird durch Art. 39 TRIPS in Anknüpfung an angelsächsische Know-how-Schutzprinzipien gefordert. Art. 39 TRIPS ist für die Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechtes ein internationaler Maßstab. 2. PVÜ und Sonderabkommen, TRIPS
17
Die PVÜ regelt die so genannte „externe“ Priorität in Art. 4 PVÜ, also die Beanspruchung des Anmeldetags einer ausländischen Voranmeldung für eine Nachanmeldung in einem anderen Verbandsstaat6. Deutschland in § 41 dtPatG, die Schweiz in Art. 17 schwPatG und Österreich in §§ 93–95 öPatG haben die PVÜ-Prioritätsregelung in ihr Recht übernommen. Mit dem Prioritätsrecht soll dem früheren Missstand abgeholfen werden, dass ein ins Ausland versandter Anmeldetext dort so spät ankam und erst so spät angemeldet werden konnte, dass inzwischen die Veröffentlichung der Heimatanmeldung neuheitsschädlich entgegen stand. Daher bestimmt Art. 4 B PVÜ, dass die innerhalb der Prioritätsfrist von 12 Monaten für technische Schutzrechte – Art. 4 1 RG v. 17.3.1936 – II 223/35, GRUR 1936, 573 = JW 1936, 2081 – Albertus Stehfix; BGH v. 19.11. 1982 – I ZR 99/80, NJW 1984, 239 = GRUR 1983, 179 – Stapelautomat. 2 BGH v. 21.12.1962 – I ZR 47/61, BGHZ 38, 391 = NJW 1963, 856 = GRUR 1963, 367 = BB 1963, 248 – Industrieböden – zur nachvertraglichen Verwertung eines Kunststeinbodenrezeptes durch einen leitenden Angestellten, der nach kurzfristiger Tätigkeit im Unternehmen wieder ausgeschieden ist; BGH v. 19.11.1982 – I ZR 99/80, NJW 1984, 239 = GRUR 1983, 179 – Stapelautomat – zum Verstoß gegen § 1 UWG (heute § 3 UWG), weil der nachvertraglich vertriebene Stapelautomat während der Beschäftigungsdauer unerlaubt gebaut worden war. 3 BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, BB 1999, 212 = ZIP 1999, 295 = DB 1999, 289. 4 BGH v. 10.7.1963 – Ib ZR 21/62, NJW 1963, 2120 = BB 1963, 953 = GRUR 1964, 31 – Petromax II. 5 RG v. 17.3.1936 – II 223/35, GRUR 1936, 573, 576 – Albertus Stehfix; RG v. 22.11.1935 – II 128/35, RGZ 149, 329 – Stiefeleisenpresse; BGH v. 15.3.1955 – I ZR 111/53, GRUR 1955, 424 = DB 1955, 453 – Möbelpaste; BGH v. 7.1.1958 – I ZR 73/57, GRUR 1958, 297 = NJW 1958, 671 = BB 1958, 214 – Petromax I; BGH v. 7.11.2002 – I ZR 64/00 GRUR 2003, 356 – Präzisionsmessgeräte. 6 Nahezu alle Staaten der Welt sind Mitglieder der PVÜ. Zu den ganz wenigen Ausnahmen gehört 2015 noch Taiwan, das aber als TRIPS-Mitglied zur Einhaltung der PVÜ verpflichtet ist.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 20 Teil F
C Abs. 1 PVÜ – bewirkte Auslandshinterlegung nicht durch anderweitige Veröffentlichung oder offenkundige Vorbenutzung unwirksam gemacht werden kann. Die Prioritätsfrist schützt damit nicht nur gegen eigene, sondern auch gegen fremde Vorveröffentlichungen im sog. „Prioritätsintervall“. Das Prioritätsrecht knüpft an eine ausländische „erste“ Voranmeldung an, für die ein wirksamer Anmeldetag genügt; das spätere Schicksal der Voranmeldung ist gleichgültig: sie kann zurückgenommen werden, wegen nicht behobener Mängel, z.B. fehlender Gebühren, als zurückgenommen gelten oder zurückgewiesen worden sein, gleichwohl besteht das Prioritätsrecht – Art. 4 A Abs. 3, Art. 4bis PVÜ. Kettenprioritäten, also Prioritäten von einer zweiten oder dritten Anmeldung der gleichen Erfindung sind nicht zugelassen, wohl aber in einer Nachanmeldung die Beanspruchung der Prioritäten mehrerer Voranmeldungen (Mehrfachprioritäten), wenn sie alle im 12-Monatszeitraum liegen – Art. 4 F PVÜ. Das Prioritätsrecht ist übertragbar1, nach Art. 4 A PVÜ steht es auch dem Rechtsnachfolger zu. Streitig ist das erforderliche Maß der Identität zwischen Vor- und Nachanmeldung für eine wirksame Prioritätsbeanspruchung oder, anders ausgedrückt, welches Maß an Weiterentwicklungen prioritätsunschädlich zulässig ist2. Die Große Beschwerdekammer des EPA vertritt mittlerweile eine sehr strikte Erfindungsidentität3 und dem hat sich der BGH angeschlossen4. Außer dem freien Teilungsrecht in Art. 4 G PVÜ sind die sonstigen Mindestschutzvorschriften der PVÜ nicht besonders wichtig. Die PVÜ lässt in Art. 19 Sonderabkommen zu, sofern diese den Bestimmungen der Übereinkunft nicht zuwiderlaufen. Solche Sonderabkommen für Patente sind der PCT und das EPÜ.
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a) EPÜ Seinem Schutzgegenstand nach ist das Europäische Patentübereinkommen – EPÜ – ein Erteilungs- und zentraler Einspruchsverband mit einer eigenen Organisation, der Europäischen Patentorganisation mit dem Europäischen Patentamt (EPA) in München und Den Haag.
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Das Schutzprinzip ist auf einheitliche Erteilung und nationalen Schutz gerichtet. Das EPA recherchiert Anmeldungen auf neuheitsschädlichen oder erfindungsschädlichen Stand der Technik und prüft auf Antrag, der innerhalb von sechs Monaten ab Übersendung des Recherchenberichts gegebenenfalls zu stellen ist. Bei positivem Ergebnis erteilt das EPA das EP-Patent à la carte für die Mitglieds-5 und Erstreckungsstaaten6 für
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1 BGH v. 16.4.2013 – X ZR 49/12, GRUR 2013, 712 = ZIP 2013, 1395 – Fahrzeugscheibe. 2 Das deutsche BPatG vertrat dazu einen großzügigen Standpunkt: Erfindungsidentität im Wesentlichen genügt, zusätzliche Merkmale in der Nachanmeldung nehmen evtl. an der Priorität nicht teil: BPatG v. 22.3.1995 – 7 W (pat) 17/94, GRUR 1995, 667 – Hakennagel; ebenso einige Europäische Beschwerdekammern: EPA T 73/88 ABl. EPA 1992, 557 = GRUR Int. 1993, 232 – Snackfood/ HOWARD. 3 EPA v. 16.8.1994 – G 3/93 – ABl. EPA 1995, 18 = GRUR Int. 1995, 336 – Prioritätsintervall: zusätzliche Merkmale sind für die ganze Priorität schädlich; EPA v. 31.5.2001 – G 2/98 – ABl. EPA 2002, 413 = GRUR Int. 2002, 80 – Voraussetzung für die Prioritätsbeanspruchung „derselben Erfindung“: die Nachanmeldung darf gegenüber der Voranmeldung nicht neu sein. 4 BGH v. 11.9.2001 – X ZR 168/98, GRUR 2002, 146 = ABl. EPA 2002, 331 – Luftverteiler: keine Kombination von Einzelmerkmalen mit unterschiedlicher Priorität in einer Nachanmeldung; BGH v. 14.10.2003 – X ZR 4/00, GRUR 2004, 133 – Elektrische Funktionseinheit. 5 Liste der Mitgliedstaaten: http://www.epo.org/about-us/organisation/member-states_de.html. 6 Vom EPA erteilte Patente erkennen folgende Erstreckungsstaaten wie eigene national erteilte Patente an: Bosnien/Herzegowina (BA), Montenegro (ME).
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Teil F Rz. 21
Handel mit geistigem Eigentum
die gezahlt worden ist1. Die Benennungsgebühren sind in der gleichen Frist zu zahlen wie die Prüfungsgebühr: sechs Monate nach Veröffentlichung des Recherchenberichts. Das EPA veröffentlicht 18 Monate nach dem Prioritätsdatum die Anmeldung und später das erteilte Patent. Ab Veröffentlichung der Patenterteilung treten in den benannten Mitgliedstaaten die vollen Schutzwirkungen wie bei einem national erteilten Patent ein und es läuft für Dritte die neunmonatige Frist für das zentrale Einspruchsverfahren beim EPA an. Ein Patent, das danach rechtskräftig erteilt ist, kann gleichwohl noch nachträglich national für nichtig erklärt werden – Art. 138 EPÜ. Ein Verfahren wegen Patentverletzung muss nach Art. 64 EPÜ national und nach nationalem Recht geführt werden. Das bedeutet, dass in Deutschland und in Österreich Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren2 getrennt ablaufen – sog. Trennungsprinzip, während in der Schweiz der Verletzungsrichter sowohl über Verletzung wie auch über Rechtsbestand entscheiden kann. Einige Besonderheiten sind zum EPÜ zu erwähnen: 21
Das EPÜ enthält in Art. 87, 88 EPÜ eine vollständige parallele Prioritätsregelung zur PVÜ, naturgemäß beschränkt auf die technischen Schutzrechte, und mit der für Sonderabkommen erlaubten günstigen Ergänzung der „inneren“ Priorität: Auch das Land der Ursprungsanmeldung darf für eine EP-Nachanmeldung benannt werden.
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Mit der Offenlegung der europäischen Anmeldung tritt nach Art. 67 Abs. 2 EPÜ der gleiche Schutz ein wie bei der Veröffentlichung einer nationalen Anmeldung. Das bedeutet für Deutschland nach Art. II § 1(1) IntPatÜG ein Entschädigungsanspruch, aber kein Unterlassungsanspruch, ebenso für Österreich nach § 4 Abs. 1 PatV-EG; die Schweiz gewährt nach Art. 111 schwPatG zwar vollen Schadensersatz, aber ebenfalls keinen Anspruch auf Unterlassung. Da die europäische Anmeldung nach Art. 66 EPÜ die gleichen Wirkungen wie eine nationale Anmeldung hat, kann nach § 5 dtGebrMG in Deutschland ein Gebrauchsmuster abgezweigt und kurzfristig eingetragen werden, und daraus können gegen frühe Verletzer Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden. Das Gleiche ist in Österreich möglich, nicht aber in der Schweiz, da es dort kein Gebrauchsmuster gibt.
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In allen Patentrechtssystemen (seit 2013 auch in den USA, aufgrund des America Invents Act) gilt das „first to file“ Prinzip: der erste unabhängige Anmelder hat nach Art. 60 EPÜ das Recht auf das Patent. Hat er aber die Erfindung eines anderen ohne dessen Einwilligung angemeldet, so kann jener ein Berechtigungsverfahren bei einem zuständigen nationalen Gericht3 anstrengen und im Erfolgsfall entweder die Anmeldung des anderen übernehmen oder eine Ersatzanmeldung tätigen oder die widerrechtliche Anmeldung löschen lassen.
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Das Neuheitserfordernis im EPÜ gilt nach Art. 54 EPÜ weltweit und ohne Neuheitsschonfrist außer, nach Art. 55 EPÜ, bei missbräuchlichen Veröffentlichungen und dann nur für maximal sechs Monate vor dem Anmeldetag4. Dass jegliche Vorbenutzung oder mündliche oder schriftliche Verlautbarung irgendwo auf der Welt zählt, 1 Maximal müssen sieben Benennungsgebühren gezahlt werden, um ein europäisches Patent für alle Mitglieds- und Erstreckungsstaaten zu erhalten. 2 Der Rechtszug für die Nichtigkeitsklage ist in Deutschland BPatG – BGH. Im Patentverletzungsstreit kann der Verletzungsrichter nur aussetzen, wenn er den Widerruf für hoch wahrscheinlich hält. Bei Gebrauchsmusterverletzungen kann der deutsche Verletzungsrichter sowohl Verletzung wie auch Rechtsbestand prüfen. 3 Die Zuständigkeit ist im sog. Anerkennungsprotokoll geregelt, abgedruckt in der blauen Textausgabe des EPA. 4 Ob sechs Monate vor der Priorität oder nur vor dem Tag der Nachanmeldung war streitig. Für den Tag der Nachanmeldung haben entschieden: EPA G 3/98 und G 2/99 ABl. EPA 2001/62/83 = GRUR Int. 2001, 340 – Sechsmonatsfrist; BGH v. 5.12.1995 – X ZB 1/94, GRUR 1996, 349 – Corioliskraft; BG v. 19.8.1991, GRUR Int. 1992, 293 = ABl. EPA 1993, 170.
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Rz. 27 Teil F
ist patentrechtlich internationaler Standard. Das unterscheidet das Patent- vom Gebrauchsmusterrecht: Nach § 3 dtGebrMG ist neuheitsschädlich zwar jede schriftliche Veröffentlichung weltweit, aber nur inländische Vorbenutzungen; außerdem bleiben in Deutschland – und in Österreich – Vorveröffentlichungen des Anmelders aus den letzten 6 Monaten vor der Anmeldung unberücksichtigt, § 3 Abs. 4 öGebrMG, § 3 dtGebrMG. Das Fehlen einer Neuheitsschonfrist unterscheidet das europäische und die kontinentalen Patentrechte von anglo-amerikanisch beeinflussten Rechtsordnungen, wie USA, Kanada, Australien und Japan, die eine einjährige (bzw. 6-monatige) grace period kennen, innerhalb derer eine Vorveröffentlichung nicht als neuheitsschädlich gilt. b) PCT Seinem Gegenstand nach ist der PCT ein Patentanmeldeverband: eine internationale Anmeldung gilt als Anmeldung für die darin bestimmten Staaten, die endgültige Prüfung und Erteilung ist dann aber Sache der Bestimmungsstaaten.
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Das Prinzip des PCT ist eine Zweiteilung in internationale und nationale/regionale Phase. Das PCT-Verfahren teilt sich in eine internationale Phase auf mit dem Pflichtprogramm: Anmeldung bei dem zuständigen internationalen Anmeldeamt, internationale Recherche, Veröffentlichung durch WIPO nach 18 Monaten und optional internationaler vorläufiger Prüfungsbericht. Nach 30 Monaten (beim EPA 31 Monate) endet die internationale Phase und die Anmeldung wird in den Bestimmungsstaaten in die nationale Phase mit weiteren Gebührenzahlungen und mit endgültiger, territorialer Erteilung oder Versagung überführt. Vor Ablauf der 30 Monate darf kein Bestimmungsstaat die Anmeldung behandeln oder dafür Gebühren verlangen, außer der Anmelder verlangt vorzeitig Übertritt in die nationale Phase. Dann allerdings sind PCT- und nationale Gebühren zusammen höher. Der Anmelder kauft sich mithin auf dem PCTWeg zusätzliche Zeit.
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Die nationale Phase kann auch eine regionale sein. Die PCT-Anmeldung kann z.B. in die regionale EPÜ-Erteilung beim EPA (so genannte Euro-PCT-Anmeldung) einmünden. Mit der Bestimmung „EP“ kann sich der PCT-Anmelder mit einer Bestimmung und entsprechend nur einer Bestimmungsgebühr alle EPÜ-Länder reservieren. Die gewünschten Länder benennt er dann bei Eintritt in die regionale Phase beim EPA durch Zahlung der entsprechenden Bestimmungsgebühren, maximal sieben. Das auf die PCT-Anmeldung hin erteilte Patent gilt dann nach Nationalisierung für die benannten europäischen Staaten. Das nachfolgende Schaubild verdeutlicht die Verfahrensschritte und die Phasen.
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Teil F Rz. 28
28
Handel mit geistigem Eigentum
Diese Abfolge ist wirtschaftlich wichtig, um bei Lizenzen oder bei der due diligence eines Unternehmenskaufs anhand des Verfahrensfortschritts Anhaltspunkte zu gewinnen, wieweit der Schutz schon verlässlich geworden ist und welche zusätzlichen Informationsmittel über die Verlässlichkeit (Recherchenbericht, internationaler vorläufiger Prüfungsbericht oder Prüfungsbescheide) schon vorliegen müssten. Wichtig ist diese 498 | Brandi-Dohrn
Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 30 Teil F
Abfolge auch bei der Finanzierung von Start-up Unternehmen: Wieweit lässt sich der territoriale Schutzbereich durch Ergänzungen der Länderbestimmungen (PCT) oder der Länderbenennungen (EPÜ) noch verbessern? In beiden Vertragswerken gibt es die formblattmäßige Vorsorge-Bestimmung (Benennung) aller Mitgliedstaaten, die alsdann durch spätere Gebührenzahlung, im PCT 15 Monate nach Prio, validiert werden kann. 3. EU-Recht a) EU-Gemeinschaftspatent Nach einem ersten – gescheiterten – Versuch (dem Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ) von 19751, welches nie in Kraft getreten ist), hat die EU einen neuen Anlauf für ein echtes EU-Gemeinschaftspatent unternommen. Rechtliche Grundlagen für das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (Unitary Patent) sind – die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 v. 17.12.2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (ePat-VO)2; – die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 v. 17.12.2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen; – das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht v. 11.1.2013 (EPGÜ), das der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bedarf.
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Das System dieses EU-Einheitspatentes ist bislang noch nicht in Kraft getreten. Die beiden obigen Verordnungen werden erst mit Inkrafttreten des Übereinkommens wirksam (Art. 89 EPGÜ; Art. 18 (2) ePat-VO) Nachdem der EuGH zwischenzeitlich die Rechtsgültigkeit der obigen Rechtsnormen bestätigt hat3, soll das Abkommen 4 Monate nach Ratifizierung durch 13 Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Kraft treten. Nach derzeitigem Ratifikationsstand ist mit einem Inkrafttreten ungefähr Anfang 2017 zu rechnen. Da Großbritannien ein „MussStaat“ ist und nur Mitgliedstaaten dem Abkommen beitreten können, liegt allerdings in dem von Großbritannien nun beschlossenen Austritt aus der EU ein erhebliches Risiko für das Einheitspatent. Das EU-Einheitspatent setzt auf dem bestehenden System des EPÜ auf, rechtlich bildet es ein „besonderes Abkommen“ unter Art. 142 EPÜ: Das Anmeldeverfahren verläuft also grundsätzlich wie beim EPÜ. Erst mit Erteilung des EP entscheidet der Anmelder, ob er das EP als EP weiter verfolgen (nationalisieren) will oder als EU-Einheitspatent. Im letzteren Fall – erhält der Patentinhaber ein Patent, dessen Umfang in allen Ratifikationsstaaten einheitlich ist (Art. 5 (2) ePat-VO) – das also im Falle einer erfolgreichen Nichtigkeitsklage auch einheitlich seine Wirkung verliert, – ist für den Umfang der Rechte des Patentinhabers gegen Verletzer allein das Recht des Ratifikationsstaates maßgeblich, in dem der Patentinhaber zum Zeitpunkt der Patentanmeldung seinen Sitz hat. Liegt dieser Sitz nicht in einem Ratifikationsstaat, gilt deutsches Recht (Art. 5 (3) iVm Art. 7 (1), (3) ePat-VO), – sind sowohl für Verletzungs- wie Nichtigkeitsklagen ausschließlich die Gemeinschaftspatentgerichte zuständig. Hauptvorteile des Einheitspatentes sollen sein (i) die einheitliche Verwaltung durch das EPA, (ii) die vereinfachte Fristenüberwachung und (iii) die deutlich niedrigeren 1 ABl. EG Nr. L 17/1975, S. 1 und L 401/1989. 2 ABl. EG Nr. L 361/2012, S. 1. 3 EuGH v. 5.5.2015 – Rs. C-146/13, GRUR 2015, 562; v. 5.5.2015 – Rs. C-147/13, GRUR 2015, 567.
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Teil F Rz. 31
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Kosten der Patenterteilung (wegen eines reduzierten Übersetzungsaufwandes) und der Aufrechterhaltung (wegen einer einzigen Jahresgebühr)1. 31
Das System des Einheitspatentes hat insoweit Auswirkungen auf das EPÜ2, als die ausschließliche Jurisdiktion der Gemeinschaftspatentgerichte sich auch auf EPs erstrecken wird (Art. 3 lit. c, d EPGÜ). Allerdings hat der Inhaber eines EP das Recht, sein Patent dieser Gerichtsbarkeit zu entziehen („Opt-Out“, Art. 83 EPGÜ). Dieser OptOut muss gegenüber dem Gemeinschaftspatentgericht angezeigt werden und wird mit Eintragung im Register wirksam; ein Opt-Out ist nur möglich (i) solange noch keine Klage beim Gemeinschaftspatentgericht gegen das EP eingereicht worden ist und (ii) nur innerhalb der ersten sieben Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens. Wegen dieser Auswirkungen auf alle EPs sollten die Auswirkungen des Einheitspatentes bei der Lizenzierung von Patenten vertraglich schon jetzt berücksichtigt werden (s.u. Rz. 238).
32–33
Einstweilen frei.
b) Schutzzertifikate, Biotechnologie-Richtlinie 34
Das Ergänzende Schutzzertifikat (ESZ) ist für Deutschland und Österreich als EU Mitglieder geregelt in den unmittelbar geltenden EG-Verordnungen über ergänzende Arzneimittel- und Pflanzenschutzzertifikate3, in der Schweiz inhaltlich parallel in Art. 140a ff. schwPatG:
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Schutzprinzip ist, dass der Patentschutz zum Ausgleich für lange Zulassungsverfahren verlängert werden soll, wie es in der Begründungserwägung 9 heißt: „Die Dauer des durch das Zertifikat gewährten Schutzes sollte so festgelegt werden, dass dadurch ein ausreichender tatsächlicher Schutz erreicht wird. Hierzu müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden.“
36
Schutzgegenstand des ESZ ist der patentgeschützte Wirkstoff eines Arzneimittels oder eines am menschlichen Körper eingesetzten Diagnostikums wie zugelassen, wenn die zugelassene Form im Schutzbereich des Grundpatents liegt, und nur für die zugelassene Indikation (Verwendung), Art. 4 iV mit Art. 1 – Definitionen der ESZ-VO. Es handelt sich also um einen akzessorischen, zweckgebundenen Stoffschutz, der enger, aber nicht weiter als das Grundpatent sein kann.
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Die Laufzeit beträgt nach Art. 13 ESZ-VO: im Anschluss an die maximale gesetzliche Patentlaufzeit die Dauer zwischen Patent-Anmeldung und erster Zulassung minus fünf Jahre, maximal zusätzliche fünf Jahre. Es gibt kein ESZ, wenn das Grundpatent vorzeitig erloschen oder vernichtet worden ist – Art. 15 ESZ-VO. Es gilt nach Art. 2 ESZ-VO je patentgeschütztes EU-Land. Es wird nach Art. 9 ESZ-VO, beim nationalen Patentamt, auf Antrag innerhalb von sechs Monaten ab Zulassung oder sechs Monate ab Erteilung des Grundpatents, je nachdem was später ist, erteilt, nach sachlicher Prüfung der ESZ-Voraussetzungen.
1 Zur Höhe der Gebühr vgl. Weiden, GRUR 2015, 860. 2 Das Verhältnis des Einheitspatentes zu etwaigen parallelen nationalen Patenten ist unklar, vgl. Chudziak, GRUR 2015, 839 ff. 3 Verordnung (EWG) 469/2009 v. 6.5.2009, ABl. EG Nr. L 152/2009, S. 1 – ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel; VO (EG) 1610/96 – ergänzendes Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel v. 23.7.1996, ABl. EG Nr. L 198/1996, S. 30.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 42 Teil F
Die EG-Richtlinie über den Schutz biotechnologischer Erfindungen ist in zweiter Auflage am 6.7.1998 erlassen worden1, und war bis zum 30.7.2000 umzusetzen. In Deutschland ist die Richtlinie durch das Biopatentgesetz verspätet am 21.1.2005 umgesetzt worden2. Dabei hat der deutsche Gesetzgeber den absoluten Stoffschutz in § 1a Abs. 4 BioPatG für menschliche Gensequenzen zu einem indikationszweckgebundenen Stoffschutz abgewandelt. Schon der Richtlinienvorschlag hatte Vorwirkungen, indem die seit 1.10.1996 neu gefassten Hinterlegungsregeln R 28, R 28a EPÜ sprachlich der Richtlinie angepasst worden waren und andererseits in die Richtlinie aufgenommen wurden.
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Österreich hat in der PatentG-Novelle 20053 die EG-Biotech-RiLi ohne Einschränkung beim Stoffschutz umgesetzt. Die Europäische Patentorganisation ist nicht EG-Mitglied und daher auch nicht zur Umsetzung verpflichtet. Sie hat aber gleichwohl und frühzeitig umgesetzt und dazu ab 1.9.1999 die neuen R 23b, 23c, 23d, 23e EPÜ erlassen. Das gleiche gilt für die Schweiz, die mit Wirkung ab 1.7.2008 das schwPatG um Bestimmungen zum Schutz biotechnologischer Erfindungen ergänzt hat. Schutzgegenstand ist biologisches und mikrobiologisches Material, also Leben (Art. 2, 3 Biotech-RiLi) mit Ausnahme des Menschen in jeder Entwicklungsphase (Art. 5 Biotech-RiLi), und mit Ausnahme der anderweit geschützten Pflanzensorten, sowie mit Ausnahme der Tierrassen (Art. 4 Biotech-RiLi).
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Schutzprinzip ist ein umfassender Schutz außerhalb der ausgeschlossenen Gegenstände, auch für solches biologisches Material, das zwar in der Natur schon vorhanden war, aber erstmals mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird – Art. 3 Abs. 2 Biotech-RiLi, also z.B. das aus dem Genom oder aus einer genomischen Datenbank isolierte Gen (DNA), erst recht die daraus hergestellte cDNA. Schutzfähig sind daher auch Sequenzen oder Teilsequenzen eines Gens, auch eines menschlichen Gens, selbst wenn es in seinem Aufbau identisch mit dem natürlich vorkommenden Gen ist (anders: Art. 1b Abs. 1 schwPatG). Für solche Gensequenzen muss aber die gewerbliche Anwendbarkeit, also die Funktion der DNA und gegebenenfalls des Proteins, für das sie codiert, angegeben werden – Art. 5 Abs. 2, 3 und Begründungserwägungen 23, 24 Biotech-RiLi. Streitig ist, ob die Funktion und das codierte Protein auch in den Anspruch gehören und dort den Schutz begrenzen; dafür haben sich Frankreich, Deutschland und die Schweiz entschieden. Das ist rechtlich problematisch, weil für europäische Patente der Schutz supranational in Art. 69 EPÜ ohne Zweckbindung geregelt ist.
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Erweitert wird ferner der Stoff- und der Verfahrensschutz in Art. 8, 9 Biotech-RiLi. Er umfasst nicht nur das unmittelbar hergestellte Erzeugnis, sondern auch jedes weitere aus dem biologischen Material durch generative oder vegetative Vermehrung abgeleitete Erzeugnis, das die ursprünglichen, erfindungsgemäßen Eigenschaften noch aufweist.
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Art. 11 Biotech-RiLi enthält ein „farmers’ privilege“: Landwirte dürfen legal erworbenes biologisches Material, z.B. geschütztes Saatgut, ungehindert zur neuen Aussaat im eigenen Betrieb verwenden, nicht aber an Dritte verkaufen. Mögliche Abhängigkeiten zwischen Sortenschutz- und Patentrechten werden durch erleichterte Zwangslizenzen in Art. 12 Biotech-RiLi gemildert. Diese Regelung hat trotz Umsetzung in Deutsch-
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1 Richtlinienvorschlag v. 13.12.1995, Dok. KOM (95) 661 endg. – ABl. EG 1996 C 296/4 – GRUR Int. 1996, 652; Billigung des Parlaments mit Änderungen ABl. EG Nr. C 2861/1997, S. 87, endgültige Richtlinie 98/44/EG: ABl. EG Nr. L 213/1998, S. 13 = ABl. EPA 1999, 101 = GRUR Int. 1998, 675. 2 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen v. 21.1.2005, BGBl. 2005 I, 146. 3 BGBl. I 2005/42 v. 9.6.2005.
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Teil F Rz. 43
Handel mit geistigem Eigentum
land bislang nicht zu einer generellen Lockerung der bisher in § 24 dtPatG sehr restriktiven Zwangslizenz geführt. 4. TRIPS 43
Die patentrechtlichen Vorschriften stehen in Art. 27 ff. TRIPS. Art. 28 lit. a TRIPS schreibt international vor, alles das als Verletzungshandlungen vorzusehen, was auch z.B. in § 9 dtPatG Verletzungshandlung ist (bis auf „Besitzen“). Art. 28 lit. b TRIPS schreibt international die Erstreckung des Verfahrensschutzes auf unmittelbare Verfahrenserzeugnisse vor. Ein Deutscher kann also bspw. erwarten, dass er aus Parallelpatenten in anderen Ländern weitgehend die gleichen Rechte geltend machen kann, wie aus seinem deutschen Patent1. Nicht in TRIPS vereinheitlicht ist allerdings der Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Schutzdauer nach Art. 30 TRIPS einheitlich 20 Jahre ab Anmeldung beträgt. Das hat schon zu einer Änderung des US-Rechts geführt, wo die Patentlaufzeit früher 17 Jahre ab Erfindung betrug. 5. Nationale Besonderheiten
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Das Patentrecht wird in Deutschland und in Österreich, nicht aber in der Schweiz, ergänzt durch einen Gebrauchsmusterschutz2. Das Gebrauchsmuster muss zwar neu (mit den oben beschriebenen Neuheitsschonfristen) und – nach neuerer Rechtsprechung sowohl in Deutschland wie in Österreich – im gleichen Maße wie ein Patent erfinderisch3 sein. Diese Anforderungen werden jedoch nicht im Eintragungsverfahren geprüft, sondern nur im Löschungsverfahren auf Antrag Dritter oder im Verletzungsverfahren bei Einwand des Beklagten. Eine bestimmte Raumform ist nicht mehr wie früher Voraussetzung für den Gebrauchsmusterschutz. Auch formlose Stoffe sind dem Gebrauchsmusterschutz zugänglich, in Deutschland aber nicht Verfahren nach § 2 Nr. 3 dtGebrMG, in Österreich hingegen Computerprogramme, § 1 Abs. 2 öGebrMG. Besonderheiten gegenüber dem Patentrecht gelten im deutschen Gebrauchsmusterrecht bei der Neuheit nach § 3 dtGebrMG: hier gilt einmal eine Sechsmonats-Neuheitsschonfrist vor dem Prioritätstag gegen eigene Vorbeschreibungen oder Vorbenutzungen und zum anderen sind nur inländische Vorbenutzungen schädlich. Österreich kennt immerhin eine Neuheitsschonfrist von 6 Monaten für eigene Vorveröffentlichungen, § 3 Abs. 4 öGebrMG. In beiden Ländern beträgt die Dauer ab Anmeldetag maximal zehn Jahre. Beide Länder kennen die Gebrauchsmusterabzweigung aus einer schwebenden nationalen, EPÜoder PCT-Anmeldung – § 5 dtGebrMG, § 15a öGebrMG. Die Abzweigung ist ein interessantes Instrument vorgezogener Rechtsdurchsetzung, wenn die Erteilungsveröffentlichung eines Patentes noch auf sich warten lässt: Der Patentanmelder hat vor Veröffentlichung der Erteilung nur Entschädigungsansprüche aber keine Unterlassungsansprüche. Durch Abzweigung eines rasch und ohne weitere Vorprüfung eingetragenen Gebrauchsmusters kann er sich solche aber vorgezogen verschaffen. 1 Die Auslegung von Art. 27 TRIPS obliegt innerhalb der EU jedoch ausschließlich dem EuGH, EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-414/11 – Daiichi Sankyo, Sanofi-Aventis/Demo (zum Schutzbereich des Ergänzenden Schutzzertifikates). 2 GebrMG v. 28.8.1986, zuletzt geändert 13.12.2001; Österreichisches Bundesgesetz über den Schutz von Gebrauchsmustern (GMG) idF BGBl. I 175/1998, I 143/2001, I 2004/149 und I 2005/42. 3 Diese Änderung jahrzehntealter Rechtsprechung hat der BGH in der Entscheidung BGH v. 20.6. 2006 – X ZB 27/05, GRUR 2006, 842 – Demonstrationsschrank vollzogen, der öOPM mit der Entscheidung v. 22.12.2010 – OGM 1/10 – Teleskopausleger.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 48 Teil F
Deutschland und Österreich sind bei der Patenterteilung Prüfungsländer. Die Schweiz hat früher auf Teilgebieten geprüft, hat die Prüfung jedoch aufgegeben.
45
Aufgrund des Patentzusammenarbeitsvertrages Schweiz – Liechtenstein1 gilt für diese beiden Länder im Patentwesen einheitliches Recht. Bei Patentanmeldungen können beide Länder nur gemeinsam bestimmt werden, ein Patent für die Schweiz entfaltet seine Wirkung auch in Liechtenstein (Art. 2–4). Lediglich für den Grundsatz der Erschöpfung werden beide Territorien getrennt behandelt – eine Erschöpfung in Liechtenstein bewirkt keine Erschöpfung in der Schweiz2.
46
Im Patentrecht sind die Verletzungshandlungen in Österreich, der Schweiz und Deutschland weitgehend gleich (Herstellen, Feilhalten, In-Verkehr bringen, Importieren und zu den genannten Zwecken besitzen). Unterschiedlich geregelt ist die mittelbare Patentverletzung: In § 10 dtPatG ist es, vereinheitlicht durch Art. 26 GPÜ, die Lieferung wesentlicher Mittel im Inland an Nichtberechtigte, wenn die Mittel bestimmt und geeignet sind zur unmittelbaren Patentverletzung und es sich nicht um allgemein erhältliche Stapelware handelt. In Art. 66 lit. d schwPatG gibt es stattdessen Anstiftung, Mitwirkung Begünstigung oder Erleichterung der Patentverletzung, und diese Bestimmung wird ähnlich angewandt wie § 10 dtPatG, wenngleich in der Schweiz mittelbare Patentverletzungen als Anstiftung oder Beihilfe anders als in Deutschland streng akzessorisch sind3. Österreich hat 2004 in § 22 Abs. 3, 4 öPatG eine Art. 26 GPÜ entsprechende Regelung der mittelbaren Patentverletzung aufgenommen.
47
Das EPÜ kennt kein eigenständiges Verletzungsrecht, sondern verweist insofern in Art. 64 EPÜ auf das nationale Recht mit zwei Ausnahmen: Der Schutz des unmittelbaren Verfahrensprodukts ist in Art. 64 Abs. 2 EPÜ vorgeschrieben, sowie ein einheitlicher Schutzumfang nach Art. 69 EPÜ, bestimmt durch den Anspruchswortlaut unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen und ergänzt durch das Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ, das eine mittlere Linie vorzuschreiben sucht. Die jeweils nationale Auslegung von Art. 69 EPÜ hat, anknüpfend an unterschiedliche nationale Traditionen der Schutzbereichsbestimmung, gleichwohl zu divergierenden Entscheidungen geführt, wobei die früher insb. zwischen Großbritannien und Deutschland divergierenden Prinzipien4 sehr aneinander angeglichen wurden.
48
In fünf Entscheidungen aus dem Jahr 2002 zum Schutzbereich von Zahlenwerten hat der BGH betont, dass mit der 3. Catnic-Frage auch in Deutschland zu fragen sei, ob ein fachmännischer Leser aus dem Gesamtinhalt zu dem Schluss kommen würde, dass es auf die strikte oder enge Einhaltung des Wortlautes des Anspruches ankomme5. Gleichwohl kann es bei der Subsumtion bei gleichen Parallelpatenten und Verletzungsformen in verschiedenen Staaten zu konträren Entscheidungen kommen, wie der „Spannschrauben“-Fall zwischen Deutschland und der Schweiz gezeigt hat. 1 2 3 4
Patentschutzvertrag v. 22.12.1978, SR 0.232.149.514. Art. 1 Ergänzungsvereinbarung zum Patentschutzvertrag v. 2.11.1994. BG v. 21.7.2003 – 4 C 69/2003, GRUR Int. 2004, 971 – Strickmaschine. Verdeutlicht im Epilady-Krieg gleicher paralleler nationaler Patente und Verletzungsformen in verschiedenen Ländern: Großbritannien hat die Verletzung verneint – Improver v. Remington (1990), FSR 181 = GRUR Int. 1993, 345 – Epilady IX, ebenso OLG Wien v. 31.7.1989, GRUR Int. 1992, 53 – Epilady V, während OLG Düsseldorf v. 21.11.1991 – 2 U 27/89, GRUR Int. 1993, 242 – Epilady VIII verurteilt hat. Deutschland prüft zweistufig nach Verletzung im ausgelegten Wortlaut und in der zweiten Stufe den äquivalenten Schutzbereich. England prüft einstufig nach den sog. drei Catnic-Fragen aus House of Lords 1982 RPC 183 – Catnic = GRUR Int. 1982, 136 – Stahlträger. 5 BGH v. 12.3.2002 – X ZR 168/00, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; BGH v. 12.3.2002 – X ZR 135/01, GRUR 2002, 519 – Schneidmesser II; BGH v. 12.3.2002 – X ZR 43/01, GRUR 2002, – Kunststoffrohrteil; BGH v. 12.3.2002 – X ZR 73/01, GRUR 2002, 527 – Custodiol II.
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Brandi-Dohrn 503
Teil F Rz. 49
Handel mit geistigem Eigentum
BGH v. 2.3.1999 – X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 – Spannschraube und anders BGE v. 12.4.2001 – 4 C 348/99, Mitt. 2001, 364 – Spannschraube Der BGH legte das europäische Klagepatent restriktiv aus und verneinte Verletzung, das BG weit und bejahte Verletzung.
Während der BGH den Schutzumfang in zwei Stufen prüft – (i) Verletzung im (ausgelegten) Wortlaut und, falls nein, (ii) Verletzung im darüber hinausreichenden Äquivalenzbereich durch gleichwirkende und für den am Anspruchswortlaut orientierten Fachmann nahe liegende Abwandlungen –, lehnt die englische Rechtsprechung eine solche Äquivalenzstufe bis heute ab1. Ob sich hieran etwas durch das im Zuge der EPÜ-Reform verabschiedete Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ2 ändert, bleibt abzuwarten. 49–50
Einstweilen frei.
II. Sortenschutz 51
Vermehrungsgut (Samen, Stecklinge, Knollen) für Pflanzen unterliegt einem koordinierten internationalen Schutzsystem nach dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV-Abkommen)3 von 1961, revidiert 1978 und 1991, EG-SortenschutzVO und nationalem Sortenschutzgesetz. 1. Internationaler Sortenschutzvertrag (UPOV)
52
Das UPOV-Abkommen schreibt Inländerbehandlung und gewisse Mindeststandards in Art. 6 für die Schutzvoraussetzungen und in Art. 5 für die Voraussetzungen des Schutzes vor. Die Sorte muss neu4, unterscheidbar, homogen und beständig sein. „Sorte“ ist dabei nach Art. 1 vi) UPOV eine pflanzliche Gesamtheit innerhalb eines einzigen botanischen Taxons der untersten bekannten Rangstufe, die unabhängig davon, ob sie alle Voraussetzungen für ein Züchterrecht erfüllt, durch unterscheidbare Merkmale ihres Genotyps definiert und unverändert vermehrt werden kann. Nach Art. 14 UPOV soll das nach Prüfung erteilte Züchterrecht Schutz gewähren gegen Erzeugung und Vermehrung, sowie Feilhalten und Verkauf. Ausgenommen ist jedoch der Verkauf von Erntegut aus berechtigtem und daher das Schutzrecht erschöpfendem Anbau (Art. 16 UPOV). Erlaubt ist auch die Verwendung geschützten Saatgutes zur Züchtung neuer Sorten, sog. Züchterprivileg nach Art. 15 Abs. 1 iii) UPOV. Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 15 Abs. 2 UPOV frei, ein Landwirteprivileg einzuführen, also die Verwendung von Erntegut als Saatgut zur Vermehrung im Betrieb des Landwirts. Die EU, Deutschland, Österreich, Schweiz und die meisten anderen EU-Staaten sind Mitglieder des UPOV in der Fassung von 1991, nicht jedoch Liechtenstein. 2. EG-Sortenschutz-VO und dtSortenschutzG
53
Die Vorgaben des UPOV sind umgesetzt worden national im dtSortSchG5 und europäisch in der EG-SortenschutzVO6. Beide Sortenschutzsysteme bestehen nebeneinander, 1 House of Lords v. 21.10.2004 – [2004] UKHL 46 – GRUR Int. 2005, 343 – Kirin Amgen and others v. Hoechst Marion Russel and TKT – Erythropoietin. 2 Das nach Art. 164 Abs. 1 EPÜ integraler Bestandteil des EPÜ ist. 3 UPOV = Union pour la Protection des Obtentions Végetales. 4 BGH v. 13.1.2014 – X ZB 18/12 – Fond Memories lässt den Neuheitsbegriff des UPOV gegenüber dem (engeren) des § 6 Abs. 1 dtSortSchG vorgehen. 5 Sortenschutzgesetz i.d.F. v. 19.12.1997; zum Schutz ausführlich EG-Kommission v. 14.12.1998 – IV/35.280, ABl. EG Nr. L 4/1999, S. 27 – Sicasov: Beurteilung und Freistellung eines Vermehrungslizenzsystems mit Ausfuhrverboten. 6 Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz v. 27.7.1994, ABl. EG Nr. L 227/1994, S. 1 und ABl. EG Nr. L 258/1995, S. 3.
504 | Brandi-Dohrn
Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 55 Teil F
dürfen im Einzelfall aber nicht kumuliert werden, d.h. ein etwaiges nationales Sortenschutzrecht verliert seine Wirkung, sobald ein EG-Sortenschutzrecht erteilt wird (Artt. 3, 92 Abs. 1 EG-Sortenschutz-VO). Geschützt ist danach das Vermehrungsmaterial, also das Saatgut, nicht die zum Verzehr bestimmte Pflanze. Geschützt ist also z.B. die Saatkartoffel, nicht aber die Speisekartoffel1. Beschränkt ist der Schutz durch das Landwirteprivileg – Art. 14 EG-SortenSchVO, § 10a Abs. 2 dtSortSchG und durch das Züchterprivileg – Art. 15 lit. c EG-SortenSchVO, § 10a Abs. 1 Nr. 3 dtSortSchG. Das Landwirteprivileg erlaubt es dem Bauern, Vermehrungsmaterial aus der vorjährigen Ernte zurückzubehalten für die neue Aussaat. Er darf also Vermehrungsmaterial erzeugen. Er darf es nach § 10 Nr. 1 dtSortSchG jedoch nicht vermarkten oder für eine Vermarktung erzeugen und er muss dem Rechteinhaber ein „angemessenes Entgelt“ zahlen. Jeder Verstoß gegen die Grenzen des Landwirteprivilegs führt zur vollen Schadensersatzpflicht des Landwirts2. Das Züchterprivileg bedeutet, dass die Züchtung einer unterscheidbaren neuen Sorte, anders als eine abhängige Erfindung im Patentrecht, keine Verletzung sondern erlaubt ist. 3. Auswirkungen im Patentrecht Da das UPOV-Abkommen 1978 nur alternativ Schutz durch Sortenschutz oder Patent erlaubte3, versagen Art. 53 lit. b EPÜ und § 2 Abs. 2 dtPatG Pflanzensorten den Patentschutz, obwohl die jetzt geltende Fassung des UPOV das Doppelschutzverbot abgeschafft hat. Das Doppelschutzverbot ist in Art. 1 und 92 EG-SortenSchVO festgeschrieben worden. Dieser Ausschluss des Patentschutzes gilt jedoch nicht für chemisch behandelte Pflanzen generell4 und auch nicht für genetische Ausgangsmaterialien wie etwa genetisch veränderte Zellen, die alsdann bei der Pflanzenzüchtung eingesetzt werden können. Die genetisch veränderte Pflanze selbst war strittig. Eine Beschwerdekammer des EPA sah sie als eine unterscheidbare, stabile Sorte an, so dass sie aus dem Patentschutz heraus und in den Sortenschutz falle5. Art. 4 Abs. 2 der Biotechnologierichtlinie6 bestimmt jedoch, dass Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen sind, patentiert werden können, wenn die Ausführung der Erfindung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte beschränkt ist. Dem hat sich das EPA in R 23c lit. b der EPÜAusführungsordnung 1999 (jetzt: R 27 lit. b EPÜ-Ausführungsordnung 2000) angeschlossen sowie die große Beschwerdekammer in der Novartis-Entscheidung7.
54
4. Verhältnis von Sortenbezeichnung und Markenrecht Die geschützte Sorte darf nur unter ihrer Sortenbezeichnung vertrieben werden, das gilt sogar nachdem der Sortenschutz erloschen ist (Art. 13 Abs. 1 schwSortenSchutzG, § 14 Abs. 1 dtSortenSchutzG, Art. 17 EG-SortenSchutzVO). Bei mehreren Eintragungsländern ist in der Regel die gleiche Sortenbezeichnung zu verwenden (Art. 12 Abs. 3 schwSortenSchutzG, § 7 Abs. 3 dtSortenSchutzG, § 17 Abs. 6 öSorten1 BGH v. 15.12.1987 – X ZR 55/86, GRUR 1988, 370 = NJW 1988, 2110 – Achat: als Saatgut geeignete Speisekartoffeln durften nicht an Landwirte vertrieben werden. 2 EuGH v. 5.7.2012 – Rs. C-509/10, GRUR Int 2012, 745 – Geistbeck. 3 Mit einem auf USA zugeschnittenen und von den USA auch genutzten Vorbehalt. 4 EPA v. 26.7.1983 – T-49/83, ABl. EPA 1984, 112 = GRUR Int. 1984, 301 – chemisch behandeltes Vermehrungsgut/CIBA GEIGY. 5 EPA v. 21.2.1995 – T-356/93, ABl. EPA 1995, 545 = GRUR Int. 1995, 978 – Pflanzenzellen/ PLANT GENETICS: die gentechnische Erfindung einer Herbizidresistenz wurde patentrechtlich hinsichtlich der genetisch veränderten Zelle geschützt, nicht aber für die daraus resultierende Pflanze. Dagegen beziehen Art. 4 Abs. 2 und 10 der EG-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen die Pflanze in den Patentschutz mit ein. 6 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. EG Nr. L 213/1998, S. 13 = GRUR Int. 1998, 675. 7 EPA v. 20.12.1999 – G 1/98, ABl. EPA 2000, 111 – transgene Pflanzensorte/NOVARTIS.
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Brandi-Dohrn 505
55
Teil F Rz. 56
Handel mit geistigem Eigentum
SchutzG). Der Inhaber einer Marke kann die Benutzung der Sortenbezeichnung für diese Sorte nicht untersagen (§ 14 Abs. 2 dtSortenSchutzG, § 18 öSortenSchutzG, Art. 18 Abs. 1 EG-SortenschutzVO), außer die Marke bestand schon, bevor die Sortenbezeichnung gewährt wurde. Ist die Sortenbezeichnung als Marke angemeldet worden, gilt in Deutschland das Datum der Markenanmeldung auch als Prioritätstag für die Sortenschutzanmeldung (§ 23 Abs. 3 dtSortenSchG). Wird in der Schweiz/EU der Sortenbezeichnung für den Vertrieb ein weiteres Kennzeichen hinzugefügt, muss sich dieses deutlich von der Sortenbezeichnung unterscheiden (Art. 13b schSortenSchutzG, Art. 17 Abs. 1 EG-SortenSchutzVO). In Österreich kann der Sortenschutzinhaber die Rechte aus einer etwaigen für die Sorte eingetragenen Marke – sowie aus allen ähnlichen Marken – ab Eintragung der Sortenbezeichnung im Register nicht mehr geltend machen. 5. Besonderheiten bei der Übertragung von Sortenschutzrechten 56
In Österreich wird die Übertragung eines Sortenschutzrechts erst mit Eintragung im Register wirksam. Dem Register ist zugleich die Urkunde über die Übertragung beizufügen, die Übertragung bedarf mithin der Schriftform (§ 13 Abs. 1 öSortenSchutzG). Das EG-Sortenschutzrecht kann ebenfalls nur schriftlich übertragen werden, wobei die Unterschrift der Vertragsparteien auf ein und derselben Urkunde geleistet werden sollte1. Vor Eintragung der Übertragung im Register besteht Gutglaubensschutz für Dritte. In der Schweiz und Deutschland bedürfen weder Übertragung noch Lizenzierung einer besonderen Form; vor Eintragung der Übertragung/Lizenz können sich Dritte in der Schweiz jedoch auf Gutglaubensschutz berufen (Artt. 18 Abs. 2, 21 Abs. 2 schwSortenSchutzG) und in Deutschland wird die Übertragung nur eingetragen, wenn sie „nachgewiesen“ ist, was letztlich auf ein Schriftformerfordernis hinausläuft (§ 28 Abs. 3 dtSortenSchutzG).
57–58
Einstweilen frei.
III. Kennzeichen Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
1. Einleitung 59
Die Kennzeichen gehören wie Patent, Gebrauchsmuster und Geschmacksmuster zu den Gewerblichen Schutzrechten. Auch das Kennzeichenrecht ist ein eigentumsartig ausgestattetes Ausschließlichkeitsrecht, über das der Inhaber durch schuldrechtliche und dingliche Verträge grundsätzlich frei verfügen kann und das ihm Schutz gegen bestimmte Arten von Beeinträchtigungen gewährt, insb. gegen das Kennzeichnen und Inverkehrbringen schutzrechtsverletzender Produkte. Die verschiedenen Schutzrechte des geistigen Eigentums stehen grundsätzlich unabhängig nebeneinander. Es ist daher möglich, dass an einem bestimmten Produkt gleichzeitig oder nacheinander unterschiedliche Schutzrechte bestehen. So berührt bspw. der Ablauf des Patentschutzes für eine bestimmte technische Ausgestaltung eines Produktes nicht einen, daneben bestehenden, Markenschutz auf dieselbe drei1 Entsprechend der zum gleichlautenden Art. 72 EPÜ ergangenen Rechtsprechung, vgl. BGH v. 23.6.1992 – X ZR 98/90, GRUR 1993, 692, 693 – Magazinbildwerfer.
506 | Brandi-Dohrn
Rz. 62 Teil F
Völker- und europarechtlicher Rahmen
dimensionale Gestaltung1. Dieser Grundsatz der Unabhängigkeit der verschiedenen Schutzrechte ist gerade für die Vermarktung von Kennzeichenrechten interessant, da das Markenrecht als einziges gewerbliches Schutzrecht zeitlich unbegrenzten Schutz bietet (vgl. § 47 dtMarkenG). Es ist daher als „Auffangschutzrecht“ von besonderem wirtschaftlichen Interesse. Gewerbliche Schutzrechte an demselben Gegenstand können aufgrund der Unabhängigkeit der Schutzrechte voneinander auch unterschiedlichen Inhabern zugeordnet sein (z.B. die Rechte eines Urhebers an der Gestaltung einer Bildmarke2; das Recht an einem Unternehmenskennzeichen gegenüber der gleich lautenden eingetragenen Marke). In solchen Fällen kann es zu Kollisionen der verschiedenen Schutzrechte kommen, wenn das gewerbliche Schutzrecht dem Inhaber bspw. das Recht zugesteht, die Benutzung des Kennzeichens zu untersagen3.
60
Maßgeblich für den Vorrang der verschiedenen Schutzrechte untereinander ist grundsätzlich das Prioritätsprinzip (§ 13 dtMarkenG; Art. 52 Abs. 2 UMVO). Hiervon kann nur in Ausnahmefällen abgewichen werden: BGH v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, GRUR 2002, 622, 625 – shell.de Das Recht eines Herrn Shell, die Domain shell.de, gestützt auf sein Namensrecht (§ 12 BGB), für private Zwecke zu nutzen, muss angesichts der ganz überragenden Bekanntheit des Ölkonzerns Shell dessen Interessen weichen, obwohl dem Unternehmen keine Priorität zukommt und bei mehreren Schutzrechtsinhabern auch bei der Domainregistrierung grundsätzlich die Priorität entscheidet.
2. Internationaler Kennzeichenschutz – PVÜ und Sonderabkommen Wie für alle Gewerblichen Schutzrechte gilt für die Kennzeichen das Territorialitätsprinzip. Deutsche Kennzeichen genießen nur in Deutschland Schutz, umgekehrt genießen ausländische Marken in Deutschland nur aufgrund von Sonderregelungen Schutz (nämlich als notorische Marken, § 4 Nr. 3 dtMarkenG; als IR-Marken, §§ 107–125 dtMarkenG, und als Gemeinschaftsmarken, §§ 125a–125h dtMarkenG). Das Territorialitätsprinzip ist in allen Rechtsordnungen anerkannt. Daraus folgt, dass die identische Marke für die identischen Waren oder Dienstleistungen in verschiedenen Ländern für verschiedene Inhaber geschützt sein kann. Es müssen also gesonderte Markenrechte für jedes Land erworben werden, in denen die Marke benutzt werden soll. Das bedeutet für ein international tätiges Unternehmen, dass es grundsätzlich in jedem einzelnen Staat das Anmeldeverfahren mit seinen jeweiligen formalen und materiellen Anforderungen durchlaufen müsste. Der Wunsch nach Harmonisierung hat zum Abschluss internationaler Abkommen geführt, die zumindest in Einzelbereichen Harmonisierungen und Erleichterungen für die Markeninhaber bewirken.
61
Inwieweit die jeweiligen Bestimmungen dieser Abkommen auf Rechtsverhältnisse zwischen Staatsangehörigen der Verbandsstaaten unmittelbare Anwendung finden oder lediglich die Mitgliedstaaten verpflichten, ihre innerstaatliche Rechtsordnung an das Abkommen anzupassen, ist eine Frage des Einzelfalles und wird im Folgenden bei den jeweiligen Bestimmungen angemerkt.
62
1 Markenschutz für Ausgestaltung eines Lego-Bausteines, dessen Patentschutz bereits abgelaufen war – BGH v. 6.11.1963 – Ib ZR 37/62, GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; Urheberschutz an einer besonderen Markengestaltung, Appellationshof Bern v. 7.3.1979, GRUR Int. 1980, 535. 2 BPatG v. 21.8.2008 – 27 W (pat) 30/08 – Hooschebaa. 3 LG Magdeburg v. 16.10.2003 – 7 O 847/03, GRUR 2004, 672 – Himmelsscheibe von Nebra; BGH v. 31.10.2002 – I ZR 138/00, LM § 14 MarkenG 3/03 – Knabberbärchen zum Vorgehen aus Formmarke gegen Geschmacksmuster.
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Brandi-Dohrn 507
Teil F Rz. 63
Handel mit geistigem Eigentum
a) Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) 63
Schutzgegenstand: Mit Bezug auf Kennzeichen erfasst die PVÜ Fabrik- und Handelsmarken, in eingeschränkter Form auch Dienstleistungsmarken, sowie Handelsnamen1 und Herkunftsbezeichnungen.
64
Schutzprinzipien: Art. 1 Abs. 1 und 2 PVÜ regeln den Grundsatz der Inländerbehandlung (s. Rz. 5). Im Kennzeichenrecht wird daher nach Art. 8 PVÜ in Deutschland z.B. der Handelsname eines ausländischen Unternehmens geschützt, wenn der Name kennzeichnend ist und in Deutschland in Gebrauch genommen wurde2 – auch wenn dem Handelsnamen im Heimatland des Unternehmens Kennzeichenschutz versagt wurde3. Ob eine nur im Ausland notorisch bekannte Marke im Inland nach den Vorschriften für notorisch bekannte Marken zu behandeln ist, wird allerdings nicht einheitlich beurteilt4.
65
Über die Inländerbehandlung hinaus gewährt die PVÜ folgende besondere Rechte (Mindestschutz). Soweit diese über das jeweilige nationale Recht hinausgehen, kann sich zwar der ausländische Verbandsangehörige hierauf berufen, nicht aber der Inländer. Für ihn bleibt es bei den Bestimmungen des nationalen Rechts (sog. Inländerdiskriminierung)5.
66
Art. 4 PVÜ enthält den Grundsatz der Unionspriorität: Eine innerhalb von sechs Monaten nach der in einem Verbandsstaat vorgenommenen Marken(Erst-)anmeldung6 erfolgende Zweitanmeldung erhält die Priorität der Erstanmeldung. Dies gilt auch für den Rechtsnachfolger. Bei Übertragung einer Marke, die zum Zeitpunkt der Übertragung nur in einigen der Länder eingetragen ist, für die sie benutzt werden soll, sollte der Käufer daher an die Möglichkeit der prioritätswahrenden Nachanmeldung für die übrigen Länder denken.
67
Art. 5 PVÜ enthält Regelungen zum Benutzungszwang. Dieser Benutzungszwang ist in §§ 25, 26 dtMarkenG (§ 33a öMSchG; Art. 12 schwMSchG) dahin gehend konkretisiert, dass Rechte aus einer eingetragenen Marke gegen Dritte nicht geltend gemacht werden können, wenn die Marke nicht innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Zeitpunkt der Geltendmachung im Inland ernsthaft genutzt worden ist. Daraus folgt zugleich, dass der Nachweis der ernsthaften Benutzung frühestens fünf Jahre nach Eintragung der Marke verlangt werden kann (so genannte „Benutzungsschonfrist“). Bei der Übertragung von Marken, welche länger als fünf Jahre eingetragen sind, sollte sich der Erwerber also geeignete Benutzungsnachweise vorlegen lassen (z.B. Geschäftsbriefe, Rechnungskopien, Werbebroschüren, Produktkataloge, Warenverpackungen).
68
In den Verbandsstaaten hängt die Wirksamkeit des Markenschutzes nicht davon ab, dass durch ein besonderes Zeichen auf das Schutzrecht hingewiesen wird (Art. 5 D 1 Der dem deutschen Recht unbekannte Begriff ist als „Unternehmenskennzeichen“ im Sinne von § 5 Abs. 2 MarkenG zu definieren, vgl. Fezer, Art. 8 PVÜ, Rz. 1; implizit auch BGH v. 12.6.1995 – I ZR 140/93, BGHZ 130, 276 (280) = GRUR 1995, 825 – Torres. 2 BGH v. 28.9.1979 – I ZR 146/77, GRUR 1980, 114 – Concordia; das gilt allerdings auch für NichtPVÜ-Verbandsmitglieder, BGH v. 2.4.1971 – I ZR 41/70, NJW 1971, 1522 – SWOPS. 3 BGH v. 12.7.1995 – I ZR 140/93, GRUR 1995, 825 – Torres; jetzt auch gegen die bis dahin herrschende österreichische Rechtsprechung OPM v. 25.11.1992 – Om 12/92, GRUR Int. 1994, 859 – Dr. Schnell’s; v. 11.7.2001, PBl. 2002, 9 – Holztherm. 4 Dafür (Bekanntheit im Inland entscheidend): schwz. BG v. 7.4.1994, BGE 120 II 144 = GRUR Int. 1996, 837 (838) – Yeni Raki; BGH v. 2.4.1969 – I ZR 47/67, GRUR Int. 1969, 257 (258) – Recrin; a.A. Hoge Raad v. 17.12.1982, GRUR Int. 1984, 366 – Frico; öOGH v. 20.4.1993 – 4 Ob 35/93, GRUR Int. 1994, 535 – Cos. 5 BGH v. 14.11.1975 – I ZR 9/74, GRUR 1976, 355 (356) P-Tronics; anders in der Schweiz: Art. 20 Abs. 2 schwMSchG. 6 Dies gilt allerdings nicht für Dienstleistungsmarken; diese werden erst durch TRIPS und den TLT den Handelsmarken gleichgestellt.
508 | Brandi-Dohrn
Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 74 Teil F
PVÜ). Das Vorhandensein von Bezeichnungen wie „reg.TM“ oder „ “ ist also für die Wirksamkeit der Marke ohne Bedeutung. Die PVÜ räumt den Verbandsstaaten das Recht ein, die Übertragung von Marken nur zusammen mit dem zugehörigen Unternehmen zu gestatten. Art. 6quater PVÜ beschränkt diese Pflicht jedoch auf die in dem jeweiligen Verbandsland befindlichen Teile des Unternehmens; die Regel hat heute wegen Art. 21 TRIPS nur noch geringe Bedeutung (vgl. § 27 dtMarkenG; Art. 17 schwMSchG).
69
Nach Art. 8 PVÜ wird der Handelsname in allen Verbandsstaaten auch ohne Eintragung geschützt; in Deutschland besteht daher Kennzeichenschutz nicht nur für die Firma, sondern für alle Unternehmenskennzeichen1.
70
Unmittelbare Anwendbarkeit: Die vorstehenden Schutzprinzipien sind überwiegend als unmittelbar anwendbar anerkannt2.
71
b) Madrider Markenabkommen (MMA) und Protokoll (MMP), Gemeinsame Ausführungsordnung (GA-MMA/MMP) Räumliche Anwendbarkeit: Das Madrider Abkommen über die Internationale Registrierung von Marken vom 14.4.18913 (MMA) ist ein Sonderabkommen nach Art. 19 zum PVÜ. Auch das MMA ist mehrfach revidiert worden. Wie beim PVÜ gilt zwischen den Vertragsstaaten die jeweils letzte von den betreffenden Staaten ratifizierte Version4.
72
Das Protokoll zum Madrider Abkommen über die Internationale Registrierung von Marken vom 27.6.19895 (MMP) soll Ländern, die dem MMA aus grundsätzlichen Erwägungen nicht beigetreten sind, die Einbeziehung in das System des MMA ermöglichen. Das MMP findet grundsätzlich vorrangig Anwendung, soweit die betroffenen Länder auch Mitglied des MMA sind (Art. 9 sexies MMP). Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein sind Mitglieder sowohl des MMA wie des MMP, sodass zwischen ihnen das MMP anwendbar ist. Praktische Bedeutung für Anmelder aus diesen Ländern hat das MMA derzeit – da Algerien als letztes „Nur-MMA-Land“ mit Wirkung zum 31.10.2015 ebenfalls dem MMP beigetreten ist – lediglich noch (i) für die Gebührenzahlung (hier gelten vorrangig weiter die günstigen Gebühren des MMA) und (ii) für die Fristen der Schutzentziehung (s. Rz. 76).
73
Um die Unterschiede zwischen MMA und MMP zu verringern, ist zusätzlich die Gemeinsame Ausführungsordnung zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken und zum Protokoll zu diesem Abkommen6 (GA MMA/ MMP) verabschiedet worden. Schutzgegenstand: Ziel des MMA/MMP ist es, parallele Markenanmeldungen in mehreren Mitgliedsländern zu erleichtern, indem die Anmeldungen einheitlich beim Internationalen Büro in Genf registriert werden. Dadurch entsteht allerdings kein suprana1 BGH v. 18.5.1973 – I ZR 12/72, GRUR 1973, 661 Metrix. 2 Fezer, Int. MarkenR, Einführung, Rz. 50; BGH v. 2.4.1969 – I ZR 47/67, GRUR Int. 1969, 257 (258) – Recrin (zu 6bis PVÜ); BGH v. 12.11.2009 – I ZR 183/07 – WM-Marken; BG v. 8.11.2004 – 4C.31/2004, MMR 2005, 229 (231), unter 7.1 – riesen.ch; die unmittelbare Anwendbarkeit verneinen allerdings poln. Oberstes Gericht v. 7.10.1999 – I CKN 126/98, GRUR Int. 2001, 639; EuGH v. 25.10.2007 – Rs. C-238/06, GRUR 2008, 339 – Develey-Kunststoff-Flasche; CA 9th Circuit, GRUR Int. 2005, 748 (751) – in Re Dr. Matthias Rath. 3 Text (englisch) und Mitgliedsstand: http://www.wipo.int/treaties/en/registration/madrid/. 4 Vgl. allerdings für die Möglichkeit der Kündigung älterer Fassungen Art. 16 Abs. 1b MMA. 5 Text (englisch) und Mitgliedsstand: http://www.wipo.int/treaties/en/registration/madrid_pro tocol. 6 Text (englisch): http://www.wipo.int/treaties/en/registration/madrid/index.html.
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Brandi-Dohrn 509
74
Teil F Rz. 75
Handel mit geistigem Eigentum
tionales Schutzrecht (wie im Fall der Unionsmarke), sondern nur ein Bündel nationaler Marken. Die über die Madrider Abkommen registrierten Marken werden als „IR-Marken“ bezeichnet. 75
Schutzprinzipien: Die Angehörigen1 der Vertragsstaaten sichern sich Markenschutz in allen übrigen Vertragsstaaten, indem sie ihre im Ursprungsland eingetragenen (Art. 1 MMA) bzw. angemeldeten oder eingetragenen (Art. 2 MMP) Marken2 bei der WIPO in Genf hinterlegen. Die Vertragsstaaten haben durchgängig vom Recht des Art. 3bis MMA/MMP Gebrauch gemacht, dass der Hinterleger ausdrücklich beantragen muss, für welche Vertragsstaaten er Schutz begehrt. Daher ist bei Übertragung von IR-Marken und IR-Markenanmeldungen zu prüfen, für welche Länder Markenschutz beantragt bzw. gewährt wurde.
76
Mit der Registrierung der Marke bei der WIPO ist die Marke in jedem der benannten Vertragsländer ebenso geschützt wie wenn sie dort unmittelbar hinterlegt worden wäre. Die nationalen Behörden können innerhalb einer Frist von maximal einem Jahr nach der internationalen Registrierung (Art. 5 Abs. 2 MMA), bei entsprechender Option eines Protokollstaates innerhalb von 18 Monaten3 nach Absendung des Schutzausdehnungsgesuchs durch WIPO an die nationale Behörde (Art. 5 Abs. 2 MMP), der IR-Marke in ihrem Land den Schutz nachträglich verweigern, jedoch nur aus den in Art. 6quinquies PVÜ vorgesehenen Gründen.
77
Mit der Registrierung der IR-Marke erwirbt der Inhaber einen einheitlichen Schutz für 20 (Art. 6 MMA) bzw. zehn Jahre (Art. 6 MMP), der verlängerbar ist. Nach Regel 30 Abs. 4 GA MMA/MMP gilt aber einheitlich ein Zeitraum von zehn Jahren für Erneuerungszahlungen.
78
Art. 6 Abs. 2 MMA/MMP bestimmt, dass die IR-Marke während der ersten fünf Jahre nach der internationalen Registrierung vom Bestand der Ursprungsmarke abhängig ist (zu den Konsequenzen bei der Übertragung nur der Basismarke vgl. Rz. 460). Erlischt die Marke im Ursprungsland während dieses Zeitraumes, verfallen nach dem MMA die Schutzrechte aufgrund der internationalen Registrierung. Dagegen erlaubt Art. 9quinquies MMP, die IR-Marke in diesen Fällen binnen drei Monaten prioritätswahrend in den benannten Staaten als nationale Marken anzumelden.
79
Das DPMA soll – entgegen der Rechtsprechung – in entsprechender Anwendung von Art. 4bis MMA dem IR-Marken-Inhaber die Priorität einer älteren identischen deutschen Eintragung4 gewähren. Wird die nationale Marke dann als überflüssige Doppelmarke gelöscht, bliebe ihre Priorität für die IR-Marke bestehen.
80
Das Internationale Büro in Genf trägt im Register jede Änderung des Inhabers der internationalen Registrierung ein (Einzelheiten des Verfahrens in Art. 9bis, Art. 9ter MMA; Art. 9 MMP). Da diese Änderungen regelmäßig nur auf Antrag des bisherigen Markeninhabers vorgenommen werden, sollte man beim Erwerb von IR-Marken zweckmäßigerweise von vornherein ein solches Gesuch vom Übertragenden in der vom Patentamt vorgeschriebenen Form5 unterschreiben lassen. 1 Das sind die jeweiligen Staatsangehörigen und Unternehmen der Vertragsstaaten (Art. 1 MMA) und MMA-fremde Personen/Unternehmen, die in einem MMA-Staat Wohnsitz oder Niederlassung haben (Art. 2 MMA, Art. 3 PVÜ). 2 Nach Art. 2 Abs. 1 ii) MMP kann auch eine Unionsmarke als Basismarke dienen. 3 Im Falle eines Widerspruchsverfahrens sogar noch länger, vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. c MMP. 4 Ingerl/Rohnke in Ingerl/Rohnke, § 9, Rz. 6; Miosga, Internationaler Marken- und Herkunftsschutz, München 1967, S. 219; dagegen: LG Berlin v. 2.6.1956 – 16 O 105/54, GRUR 1957, 374 – Heller m.w.N.; wohl auch CA Paris v. 25.6.1958, GRUR Int. 1960, 71 – Koh-i-noor. 5 Für Mitgliedstaaten des TLT existiert ein gemeinsames Formular, über dessen Inhalt hinaus keine weiteren Anforderungen gestellt werden dürfen, unter http://www.wipo.int/treaties/en/ text.jsp?file_id=294346.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 83 Teil F
c) Mehrseitige Herkunftsabkommen Da geographische Herkunftsangaben im Allgemeinen nicht übertragbar oder lizenzierbar sind (s. Rz. 446), sei nur am Rande auf das Madrider Abkommen über die Verhinderung täuschender Herkunftsangaben vom 14.4.18911, das Lissabonner Abkommen über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen und ihre Internationale Registrierung vom 31.10.1958, sowie die Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 vom 21.11.2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel hingewiesen, die geographische Herkunftsangaben in unterschiedlichem Umfang schützen.
81
3. Internationaler Kennzeichenschutz – TRIPS Vgl. allgemein zu Schutzgegenstand und Schutzprinzipien Rz. 62. Die markenrechtlichen Bestimmungen des TRIPS sind weitgehend der MKRiLi nachgebildet, sodass sich für Deutschland kein Umsetzungsbedarf ergibt; lediglich die Kollision der unter TRIPS ebenfalls geschützten Handelsnamen mit anderen Kennzeichen dürfte entgegen der bisherigen h.M. in Deutschland zu behandeln sein3. Art. 21 TRIPS legt fest, dass die Vertragsstaaten die Bedingungen für die Vergabe von Lizenzen an und die Übertragung von Marken frei festlegen dürfen (insb. auch wettbewerbswidrige Lizenzklauseln untersagen können – Art. 40 TRIPS), mit der Einschränkung, dass (i) Zwangslizenzen unzulässig sind und (ii) die Übertragung einer Marke nicht an die Übertragung des Geschäftsbetriebes gekoppelt werden darf.
82
Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von TRIPS s. Rz. 6. Da die EU mit der MKRiLi und der UMVO im Bereich des Markenrechts Rechtsakte erlassen hat, haben die deutschen und österreichischen Gerichte bei der Auslegung des deutschen Rechts die TRIPS-Vorschriften zu berücksichtigen. Verhältnis zu anderen Abkommen: Für Vertragsstaaten des TRIPS sind die materiellen Regelungen der PVÜ ebenfalls verbindlich (Art. 2 Abs. 1 TRIPS)4; im Verhältnis zu MMA/MMP dürften Kollisionen ausgeschlossen sein (vgl. Art. 5 TRIPS); TRIPS und TLT überschneiden sich dagegen in einer Reihe von Bereichen, ohne dass TRIPS hierfür Kollisionsnormen aufstellt5. Zum EU-Recht s. Rz. 8. 4. Internationaler Kennzeichenschutz – TLT und STLT Der Markenrechtsvertrag vom 27.10.1994 (Trademark Law Treaty – TLT6) soll das Eintragungsverfahren vor den nationalen Behörden vor allem durch standardisierte Anmeldungen vereinheitlichen; für den Handel mit Marken ist insb. die Einführung eines standardisierten Formulars zur Anzeige des Inhaberwechsels wichtig, über dessen In1 Text (englisch) und Mitgliedstaaten in http://www.wipo.int/treaties/en/ip/madrid/index.html, darunter Deutschland, Schweiz, Liechtenstein, nicht aber Österreich. 2 Der Grundsatz der Meistbegünstigung (Art. 4 TRIPS) hat im Markenrecht für Deutschland bisher keine große Bedeutung, da nach Art. 5 die Vorteile der WIPO-Abkommen, insb. des MMA und MMP, ausgenommen sind; Angehörige von Drittstaaten können auch weder aus primärem und sekundärem EU-Recht (vgl. GRUR Int. 1996, 269), noch aus den bilateralen Verträgen Deutschlands mit einzelnen Staaten Rechte herleiten, da Deutschland diese gemäß Art. 4 lit. d notifiziert und damit von der Meistbegünstigung ausgenommen hat. 3 Vgl. eingehend Heim, Der Schutz von Handelsnamen unter dem TRIPS-Abkommen, GRUR Int. 2005, 545 ff., insbes. 556. 4 Vgl. zum Verhältnis zwischen TRIPS und PVÜ im Markenrecht EuGH v. 16.11.2004 – Rs. C-245/02, ABl. EG Nr. C, S. 6 v. 8.1.2005, 5 – Budejovicky/Anheuser-Busch – Rz. 91 ff. 5 Vgl. zum Verhältnis der einzelnen Vorschriften Kur, GRUR Int. 1994, 987 (990); Bastian in FS Beier, 1996, S. 218 (219). 6 Text (deutsch) in http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_232_112_1.html; Mitgliederstand in http://www.wipo.org/treaties/en/ip/tlt/; die Schweiz, Liechtenstein und Deutschland haben das Abkommen ratifiziert; in Österreich steht das Zustimmungsgesetz noch aus.
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Teil F Rz. 84
Handel mit geistigem Eigentum
halt und die einfache Schriftform hinaus die Vertragsstaaten keine weiteren Anforderungen an den Nachweis des Inhaberwechsels stellen dürfen (Art. 11 TLT/STLT). Der TLT wurde 2006 durch den Singapore Treaty on the Law of Trademarks (STLT)1 abgelöst, der am 16.3.2009 in Kraft getreten ist. Er gilt derzeit in der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein; Österreich hat zwar unterzeichnet, bislang aber nicht ratifiziert. Im Verhältnis dieser drei Länder zueinander gilt seither nur noch der STLT, im Verhältnis zu Ländern, die nur dem TLT beigetreten sind, gilt weiter der TLT (Art. 27 STLT). Inhaltlich weicht der STLT vom TLT im Wesentlichen ab (i) durch den auf sämtliche Markenformen erweiterten Anwendungsbereich (Art. 2 (1) STLT) und (ii) durch die Erstreckung der Formerleichterungen für die Übertragung auch auf die Eintragung von Lizenzen (Art. 17 f. STLT). (iii) Die Eintragung der Lizenz im Register darf nicht zur Voraussetzung gemacht werden für die Wirksamkeit der Markeneintragung oder die Anerkennung einer Benutzung durch den Lizenznehmer auch als rechtserhaltende Benutzung des Markeninhabers (Art. 19 STLT). 84
Verhältnis zu anderen Abkommen: Nach Art. 15 TLT/STLT haben die Vertragsstaaten materiell-rechtlich die Bestimmungen der PVÜ einzuhalten; über die PVÜ hinaus verpflichtet Art. 16 TLT/STLT die Vertragsstaaten, auch Dienstleistungsmarken zur Eintragung zuzulassen. Mit dem MMA/MMP bestehen keine Überschneidungen; zu TRIPS vgl. Rz. 82.
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Einstweilen frei. 5. Europäisches Recht a) Markenrechts-Richtlinie 2008/95/EG (MKRiLi)
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Die Erste Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG) vom 21.12.1988, in der Fassung der Richtlinie 2008/95/EG v. 22.10.20082 dient der Harmonisierung der nationalen Vorschriften zum Markenschutz innerhalb der EG. Sie ist in Deutschland durch Erlass des Markengesetzes, in Österreich durch Anpassung des Markenschutzgesetzes umgesetzt worden. Die entsprechenden Bestimmungen der nationalen Markengesetze sind richtlinienkonform auszulegen und ggf. vom EuGH zu überprüfen. Durch die Richtlinie (EU) 2015/2436 v. 16.12.2015 ist die MKRiLi in wesentlichen Punkten neu gefasst worden. Die neuen Bestimmungen sind von den Mitgliedsstaaten überwiegend bis zum 14.1.2019 in nationales Recht umzusetzen. b) Unionsmarkenverordnung (UMVO)
87
Durch die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993 in der kodifizierten Fassung Nr. 207/2009 v. 26.2.20093 wurde neben den nationalen Marken ein einheitliches, in allen EU-Mitgliedstaaten geltendes Schutzrecht geschaffen; seit der Neufassung durch die Verordnung 2015/2424 v. 16. Dezember 20154 wird sie als Unionsmarke bezeichnet. Diese Einheitlichkeit unterscheidet sie von der IR-Marke, die lediglich ein Bündel nationaler Rechte darstellt. Die Unionsmarke besteht grundsätzlich unabhängig von eventuellen parallelen nationalen 1 Singapore Treaty on the Law of Trademarks, Text (englisch) unter: http://www.wipo.int/trea ties/en/ip/singapore/; Text (deutsch) unter: http://www.admin.ch/opc/de/official-compilation/ 2009/887.pdf. 2 ABl. EG Nr. L 299 v. 8.11.2008, S. 25. 3 ABl. EG Nr. L 11 v. 14.1.1994, geänd. ABl. EG Nr. L 349 v. 31.12.1994, S. 83; Neufassung Abl. EG Nr. L 78 v. 24.3.2009, S. 1. 4 ABl. EU Nr. L 321 v. 24.12.2015, S. 21 ff.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 90 Teil F
Schutzrechten desselben Inhabers. §§ 125a–h dtMarkenG1 regeln die Mitwirkung deutscher Behörden bei der Anmeldung sowie die gerichtliche Durchsetzung der Rechte aus der Unionsmarke. Gemäß Art. 110 Abs. 1 GMVO (= Art. 110 Abs. 1 UMVO) gilt auch hier ein strenges Prioritätsprinzip: Wenn nur in einem Mitgliedstaat ein älteres Recht geltend gemacht wird, wird die Unionsmarke für sämtliche Mitgliedstaaten für nichtig erklärt. Um dem Totalverlust seiner Rechte zu entgehen, kann der Inhaber der Unionsmarke binnen 3 Monaten beantragen, dass die Unionsmarke in nationale Marken umgewandelt wird (Art. 112 GMVO = Art. 112 UMVO).
88
Einen zweiten Bezug zwischen nationalem Markenrecht und Unionsmarke stellt Art. 34 UMVO auf: Besitzt der Anmelder schon eine identische nationale Marke, kann er – mit Anmeldung der Unionsmarke oder binnen zwei Monaten nach Anmeldung (Art. 34 Abs. 1a UMVO) den Zeitrang dieser nationalen Marke für seine Unionsmarke in Anspruch nehmen, jedoch beschränkt auf den betreffenden Mitgliedstaat. Zweck ist allein, trotz späteren Erlöschens der nationalen Marke, der Marke in dem Mitgliedstaat den ursprünglichen Zeitrang zu erhalten; wenngleich die Seniorität sich nur aus dem Unionsmarkenregister ergibt, werden weiterhin Rechte aus der nationalen Marke geltend gemacht2. Wird nur eine Unionsmarke übertragen, sollte der Erwerber daher prüfen, ob der Zeitrang nationaler Marken schon in Anspruch genommen wurde und dies ggf. sicherstellen. Zu berücksichtigen ist aber, dass der SenioritätsRang erlischt, wenn Dritte die nationale Marke nachträglich wegen Nichtbenutzung angreifen und die Löschungsreife schon vor dem Zeitpunkt bestand, zu dem die Marke (wegen Nichtverlängerung oder Verzichts) erlosch (§ 125c Abs. 2 dtMarkenG; § 69a Abs. 3 öMSchG).
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Zum Verhältnis des EU-Rechts zu anderen Abkommen s. Rz. 8. 6. Nationale Besonderheiten In Deutschland existieren neben den mehrseitigen Staatsverträgen zahlreiche bilaterale Abkommen, die dem deutschen internationalen Markenrecht vorgehen. Wegen des Umfangs dieser Abkommen – insb. im Bereich der geschützten Herkunftsangaben – sei nur auf die wichtigsten hingewiesen3: Nach dem Übereinkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz, betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz vom 13.4.18924 gilt als Benutzung der Marke im Inland auch die Benutzung im jeweils anderen Vertragsstaat. Hierauf können sich nach Art. 2 PVÜ auch Angehörige anderer Vertragsstaaten der PVÜ berufen5. Diese Benutzungserleichterung gilt jedoch nicht gegenüber Unionsmarken. Der Inhaber der deutschen Marke kann mit einer Benutzung in der Schweiz daher in einem Widerspruchsverfahren vor dem AEUGE (früher: HABM) keine ausreichende Benutzung darlegen6. Das mit der Schweiz geschlossene Abkommen vom 2.11.1950 über die Verlängerung von Prioritätsfristen auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes7 verlängerte die Frist zur Abgabe von Prioritätserklärungen wegen der Kriegswirren bis zum 31.7. 1951. 1 In Österreich vgl. §§ 69 ff. öMSchG. 2 Eisenführ in Eisenführ/Schennen, GMVO, 4. Aufl. 2014, Art. 34, Rz. 34. 3 Auflistung aller von Deutschland abgeschlossenen Verträge in Fezer, Int. MarkenR, Einführung, Rz. 32 ff. 4 RGBl. 1894, 511 idF des Abkommens v. 26.5.1902, RGBl. 1903, 1819; Text (deutsch) in http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_232_149_136.html. 5 BGH v. 15.12.1999 – I ZR 114/97, RIW 2000, 702 – Playboy. 6 EuGH v. 12.12.2013 – Rs. C-445/12 P, Rivella International/HABM – Baskaya. 7 BGBl. 1951 II, 63; das Abkommen gilt nach Art. 7 auch für Liechtenstein.
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Teil F Rz. 91
Handel mit geistigem Eigentum
Das mit Österreich abgeschlossene Übereinkommen über Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes und des gegenseitigen Schutzes des Urheberrechts vom 15.2.19301 ist nur noch für Kollektivmarken bedeutsam; diese dürfen im anderen Vertragsstaat weder als Freizeichen angesehen werden noch dürfen sie von anderen als den Verbandsmitgliedern als Marken angemeldet werden (Art. 4 V.). Der deutsch-österreichische Vertrag zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen vom 15.6.19572 regelt in Art. 63 ff. die Entflechtung österreichischer und deutscher Unternehmen nach dem Krieg mit Bezug auf Kennzeichenrechte und ist zeitlich weitgehend überholt3. Der mit den USA abgeschlossene (von den USA vielfach verwendete) Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag regelt auch die Erlangung und Aufrechterhaltung von Handelsnamen und sonstigen gewerblichen Schutzrechten. Für diese Rechte gilt aber nicht das Herkunftslandprinzip des Art. XXV Abs. 5 S. 2, sondern lediglich der Grundsatz der Inländerbehandlung nach Art. X Abs. 14. 91
Nach Art. 5 des Vertrages vom 29.3.1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das Schweizerische Zollgebiet5 hat sich Liechtenstein verpflichtet, den Geltungsbereich der schweizerischen nationalen Gesetze zum Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht sowie die von der Schweiz abgeschlossenen multilateralen und bilateralen Verträge in diesem Bereich auch für das Liechtensteinische Landesgebiet anzuerkennen.
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Das Risiko der Inländerdiskriminierung ist in der Schweiz im Markenrecht durch Art. 20 Abs. 2 schwMSchG beseitigt worden, der auch Inländern die aufgrund internationaler Abkommen gewährten Rechte einräumt.
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Verhältnis zu multilateralen Abkommen: Verschiedentlich klingt an, die zweiseitigen Abkommen gingen den mehrseitigen vor6. Dies widerspricht für ältere zweiseitige Abkommen sowohl Art. 19 PVÜ (der bilaterale Abkommen nur zulässt, soweit sie der PVÜ nicht widersprechen) wie der völkerrechtlichen lex-posterior-Regel, wonach jüngere Verträge eines Staates im Zweifel den von diesem Staat abgeschlossenen älteren Verträgen vorgehen. Vor Anwendung dieser Regel ist allerdings zu prüfen, ob im Einzelfall eine völkerrechtskonforme Auslegung des späteren Vertrages möglich ist, die zur Übereinstimmung mit dem früher abgeschlossenen Abkommen führt7. Außerdem ist zu beachten, dass die lex-posterior-Regel nur zwischen den jeweiligen Vertragsstaaten angewendet werden kann – kollidiert ein jüngerer bilateraler Vertrag mit älteren Verpflichtungen einer Partei gegenüber einem dritten Staat, so bleiben beide Bestimmungen wirksam; es ist dann Sache des betreffenden Staates, sich um die Lösung der widerstreitenden Verpflichtungen zu kümmern8.
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Einstweilen frei.
IV. Muster 95
Geschmacksmuster schützen im Unterschied zu den technischen Gebrauchsmustern das Design. Der Musterschutz bezieht sich auf die Erscheinungsform eines Erzeugnisses in Linien, Konturen, Farben, Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder Werkstoff 1 2 3 4 5 6 7 8
RGBl. 1930 II, 1077, 1221; BGBl. 1952 II, 436. BGBl. 1958 II, 130 ff. = GRUR Int. 1958, 420 ff. Vgl. im Einzelnen Schönherr, NJW 1958, 853 ff. BGH v. 13.12.2012 – I ZR 150/11, NJW-RR 2013, 487 – dlg.de. Text in http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_631_112_514.html. Ingerl/Rohnke in Ingerl/Rohnke, Einl. Rz. 25; Fezer, Int. MarkenR, Einführung, Rz. 32. Vgl. hierzu allgemein Stein/v. Buttlar, Völkerrecht, 13. Aufl. München 2012, Rz. 109. Stein/v. Buttlar (vorige Fn.), Rz. 110.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 98 Teil F
und/oder Verzierung (vgl. Art. 1 EG-MusterRiLi 98/71 EG)1. Der Musterschutz kann überlappen mit Markenschutz, insb. mit dem Schutz von Bildmarken, und dem Patentund Gebrauchsmusterschutz, weil eine Ausgestaltung, z.B. eine Türklinke, sowohl technische Funktionen erfüllen kann wie auch ästhetisch ansprechend sein mag. Auch Geschmacksmusterschutz und der länger dauernde Urheberschutz können für ein und dieselbe Gestaltung bestehen, wenn sie zugleich den Anforderungen des Urheberschutzes an Originalität und Kreativität genügt2. Ähnlich wie bei den Marken gibt es neben dem nationalen Musterschutz einen Internationalen Bündelschutz und einen einheitlichen europäischen Musterschutz. 1. PVÜ, HMA Der Internationale Bündelschutz knüpft an die PVÜ3 an. Die PVÜ betrifft nach Art. 1 Abs. 2 PVÜ auch die gewerblichen Muster und Modelle, regelt für diese die Auslandspriorität in Art. 4 C (1) PVÜ mit sechs Monaten und bestimmt in Art. 5quinquies, dass die gewerblichen Muster und Modelle in allen Verbandsländern der PVÜ geschützt werden.
96
Als Sonderabkommen nach Art. 19 PVÜ wurde 1925 das Haager Musterabkommen (HMA) geschlossen. Derzeit umfasst das HMA drei Fassungen, wobei es sich jeweils um selbständige Verträge handelt (Londoner Akte von 1934; Haager Akte von 1960; Genfer Akte von 19994) Die Londoner Akte hat praktisch keine Bedeutung mehr, die Haager Akte ist weiter relevant5, hat jedoch erheblich an Bedeutung verloren, da wichtige Staaten nur6 oder auch7 der Genfer Akte beigetreten sind, die erstmals auch den Beitritt zwischenstaatlicher Organisationen (wie der EU) zulässt und sich für Vertragsstaaten geöffnet hat, die Geschmacksmuster vor Eintragung inhaltlich prüfen. Die Artikel des HMA werden ergänzt durch die Regeln der Ausführungsordnung zu den Fassungen des Haager Abkommens von 1999, 1960 und 1934 (AO-HMA)8.
97
Ähnlich wie das Madrider Markenabkommen (MMA) für die Marken, ermöglicht das Haager Musterabkommen (HMA) eine internationale Schutzausdehnung durch Hinterlegung bei WIPO in Genf. Wie beim MMA gilt das Prinzip der Verbandsberechtigung. Zur Hinterlegung berechtigt sind Bürger mit Staatsangehörigkeit oder mit Wohnsitz oder Niederlassung in einem HMA-Staat9. Anders als beim MMA ist aber ein Heimat-Musterschutz nicht Voraussetzung, es kann aber innerhalb von sechs Monaten die Priorität einer nationalen Hinterlegung beansprucht werden – R. 7 (5) (c) AO-HMA.
98
1 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen v. 13.10.1998, ABl. EG Nr. L 289/1998, S. 28. 2 Die deutsche Rechtsprechung hat seit 2013 die (höheren) urheberrechtlichen Schutzanforderungen für Werke der angewandten Kunst aufgegeben, sodass künftig häufiger mit derartigen Schutzrechts-Kollisionen zu rechnen sein wird, BGH v. 13.11.2013 – I ZR 143/12 –, GRUR 2014, 175 = NJW 2014, 460 – Geburtstagszug. 3 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums v. 20.3.1883. 4 Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle v. 6.11.1925, revidiert in London 2.6.1934 – RGBl. II 1937, 617; Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle weiter revidiert in Haag am 25.11.1960 und ergänzt in Monaco am 18.11.1961 sowie Ergänzungsvereinbarung von Stockholm v. 20.8. 1984, BGBl. 1970 II, 448 und BGBl. 1984 II, 798; Genfer Akte des Haager Abkommens vom 6.11.1925 über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle v. 2.7.1999, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, S. 28. 5 Einbeziehung in besonderen Fällen. 6 ZB. die EU, OAPI, Japan, Polen, USA. 7 Frankreich, Deutschland, Liechtenstein, Schweiz, Spanien. 8 Derzeit gültige Fassung (Stand 1.1.2015) unter http://www.wipo.int/treaties/en/registration/ hague/. 9 Nach Art. 3 Genfer Akte genügt auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Verbandsstaat.
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Teil F Rz. 99
Handel mit geistigem Eigentum
Der Schutz wird international ausgedehnt auf die in der internationalen Hinterlegung benannten HMA Staaten. Der Schutz in jedem benannten HMA Staat beträgt mindestens fünf plus fünf Jahre (Art. 11 Abs. 1 Haager Akte) bzw. fünf plus zehn Jahre (Art. 17 Abs. 3 a) Genfer Akte), nach dem Grundsatz der Inländerbehandlung aber mindestens die Dauer eines etwa längeren nationalen Musterschutzes – Art. 11 Abs. 2 Haager Akte, Art. 17 Abs. 3 b) Genfer Akte: also z.B. in Deutschland und der EU insgesamt maximal 25 Jahre. Die Verbotsrechte und der Rechtsbestand, also die Anforderungen an Neuheit und Eigentümlichkeit, bemessen sich alsdann nach dem nationalen Recht des benannten HMA-Schutzstaates nach dem Grundsatz der Inländerbehandlung. 99
Einstweilen frei. 2. EU-Musterschutz
100
Die EG hat 1998 eine Musterrichtlinie zur Harmonisierung der nationalen Geschmacksmusterrechte1 erlassen und 2001 eine Verordnung über ein einheitliches europäisches Gemeinschaftsgeschmacksmuster2, das beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken Muster, Modelle) – HABM in Alicante – registriert wird. a) Geschmacksmusterrichtlinie
101
Die Geschmacksmusterrichtlinie verlangt, – dass der Schutz auf bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbare Teile eines komplexen Erzeugnis beschränkt wird – Art. 3 Abs. 3 EG-MusterRiLi – und schließt den Schutz für technisch funktionsbedingte Formen aus – Art. 7 EG-MusterRiLi; – dass das Muster neu und eigentümlich gegenüber dem vorbekannten Formenschatz sei – Art. 4, 5 EG-MusterRiLi –, wobei nicht der absolute Neuheitsbegriff gilt, sondern der relative zumutbarer Bekanntheit in EU-Fachkreisen – Art. 6 Abs. 1 EGMusterRiLi. Dies entspricht deutscher Rechtstradition3. – Sie schreibt eine Neuheitsschonfrist von zwölf Monaten vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag vor eigenen Vorveröffentlichungen vor – Art. 6 Abs. 2 EG-MusterRiLi (jetzt ebenso in § 6 dtDesignG). – Das Geschmacksmuster gewährt ein Sperrrecht gegen alle Muster, die denselben Gesamteindruck erwecken – Art. 9 EG-MusterRiLi. – Die Schutzdauer wird auf bis zu 25 Jahre erstreckt, soweit jeweils alle fünf Jahre die fälligen Verlängerungsgebühren entrichtet werden, Art. 10. – Unverändert bleibt die Registrierung ohne materielle Prüfung, wenn die materielle Schutzfähigkeit mindestens in einem Nichtigkeitsverfahren geprüft werden kann (Art. 11 EG-MusterRiLi). b) EG-Gemeinschaftsgeschmacksmuster
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Die EG-Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO sieht zwei Musterformen vor: – Das beim HABM registrierte Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit einer Schutzdauer von 5 + 5 + 5 + 5 + 5 = bis 25 Jahren ab Anmeldung – Art. 12 EG-GGeschM-VO. – Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit einer Schutzdauer von drei Jahren ab 1. Veröffentlichung – Art. 11 EG-GGeschM-VO. 1 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen v. 13.10.1998, ABl. EG Nr. L 289/1998, S. 28. 2 VO (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster v. 12.12.2001, ABl. EG Nr. L 3/2002, S. 1. 3 BGH v. 8.5.1968 – I ZR 67/95, GRUR 1969, 90 – Rüschenhaube.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 107 Teil F
Für beide Geschmacksmusterformen gelten nach Art. 3 EG-GGeschM-VO die gleichen materiellen Schutzvoraussetzungen der Sichtbarkeit in einem komplexen Erzeugnis, der Neuheit und der Eigenart nach dem relativen Offenbarungsbegriff der zumutbaren Bekanntheit in EU-Fachkreisen.
103
Das veröffentlichte, eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster entfaltet nach Art. 19 EG-GGeschM-VO eine objektive Sperrwirkung gegen jüngere Gestaltungen; das nicht eingetragene Geschmacksmuster und das eingetragene Geschmacksmuster, dessen Bekanntmachung aufgeschoben ist, gewähren hingegen nur einen subjektiven Nachahmungsschutz. Das Verletzungsverfahren läuft nach Art. 80 ff. EG-GGeschM-VO vor nationalen Verletzungsgerichten nach den Vorschriften der Gemeinschaftsgeschmacksmuster-VO und ergänzend nationalem Verfahrensrecht ab. Das Verletzungsgericht prüft sowohl Verletzung wie auch Rechtsgültigkeit des Musters. Dabei wird die Rechtsgültigkeit vermutet bis zur Nichtigkeitswiderklage durch den Beklagten.
104
Das Eintragungsverfahren beim HABM für die registrierten Gemeinschaftsgeschmacksmuster folgt eng dem Eintragungsverfahren für Gemeinschaftsmarken beim HABM.
105
Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist nach Art. 1 Abs. 3 EG-GGeschM-VO einheitlich, wird also einheitlich für nichtig erklärt oder übertragen, kann jedoch gebietsweise lizenziert werden – Art. 32 EG-GGeschM-VO.
106
c) Sonderproblem: Ersatzteile Der Schutz sichtbarer must-match-Ersatzteile ist in der EU bis heute umstritten, wenngleich seit einigen Jahren keine große rechtspolitische Bewegung mehr zu erkennen ist1. Die Automobilhersteller befürworten den Musterschutz für sichtbare Ersatzteile, z.B. Kotflügel, die Ersatzteileindustrie ist verständlicherweise gegen einen solchen Schutz. Die EU-Staaten sind gespalten. Griechenland, Italien2, Benelux, England3 und Irland sind für Freiheit der Ersatzteile, Deutschland4, Dänemark, Frankreich, Schweden sowie Schweiz5 sehen keine „Reparatur-Klausel“ also keinen Ausschluss des Musterschutzes für Ersatzteile vor. Der EuGH6 hatte nationalen Geschmacksmus1 Beier, Der Musterschutz von Ersatzteilen in den Vorschlägen für ein Europäisches Musterrecht, GRUR Int. 1994, 716; Eichmann, Das europäische Musterrecht auf Abwegen? GRUR Int. 1996, 859; ders., GRUR Int. 1997, 595; Kroher, EG-Geschmacksmusterschutz für Kraftfahrzeugersatzteile, GRUR Int. 1993, 457; Kur, Gedanken zur Systemkonformität von must-match Ersatzteilen im künftigen europäischen Geschmacksmusterrecht, GRUR Int. 1996, 876, dies., Die Auswirkungen des neuen Geschmacksmusterrechts auf die Praxis, GRUR 2002, 661; Riehel, Gewerblicher Rechtsschutz für Ersatzteile – Pro und Contra, GRUR 1994, 506. 2 Art. 27 des decreto legislativo v. 2.2.2001 zur Umsetzung der EG-MusterRiLi im Anschluss an eine Entscheidung der Corte di Cassazione v. 24.7.1996, Nr. 6640, GRUR Int. 1997, 650 – Kraftfahrzeug-Ersatzteile (Golf-Heckleuchte) – ein in seiner Gestalt von der Gesamtkarosserie abhängiges Karosserieteil sei als solches nicht geschmacksmusterfähig. Ein Geschmacksmusterschutz laufe auch dem Gedanken der Erschöpfung zuwider. 3 Sect. 7 A Abs. 5 des Registered Designs Act entsprechend einer Entscheidung des House of Lords v. 14.12.1994, GRUR Int. 1996, 660, weil Ersatzteile bestimmungsgemäß nur Bestandteile eines Gesamterzeugnisses sind. 4 BGH v. 16.10.1986 – I ZR 6/85, GRUR 1987, 518 – Kotflügel; OLG Düsseldorf v. 23.12.1996 – U (kart) 5/96, GRUR Int. 1997, 646 – Golf-Heckleuchte. Da (nationales) Urheberrecht neben den Bestimmungen des EU-Geschmacksmusterrechts weiter anwendbar bleibt, dürfte die Entscheidung des BGH, die (höheren) urheberrechtlichen Schutzanforderungen für Werke der angewandten Kunst aufzugeben, vgl. BGH v. 13.11.2013 – I ZR 143/12, GRUR 2014, 175 = NJW 2014, 460 – Geburtstagszug, den Streit insoweit leerlaufen lassen, als die Geschmacksmusterinhaber sich künftig leichter auf ergänzenden Urheberrechtsschutz berufen können. 5 Schweizer BG v. 15.10.1990, GRUR Int. 1991, 314 – Kotflügel: Ersatzteile sind zwar geschmacksmusterfähig, aber im konkreten Fall scheiterte der Schutz an mangelnder Originalität gegenüber vorbekannten Formen. 6 EuGH v. 23.12.1996 – Rs. 53/87, GRUR Int. 1990, 140 – Cicra/Renault.
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Brandi-Dohrn 517
107
Teil F Rz. 108
Handel mit geistigem Eigentum
terschutz nicht als unzulässige Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels angesehen. Angesichts dieser Uneinigkeit wurde eine einheitliche Lösung in der EGMusterschutz Richtlinie vertagt: nach der so genannten „freeze-plus“-Regelung in Art. 14 der EG-MusterschutzRiLi bleibt es den Mitgliedstaaten freigestellt, Musterschutz auf Reparaturteile beizubehalten oder auszuschließen, wobei aber eine Änderung ihrer bestehenden Bestimmungen nur im Sinne einer größeren Liberalisierung des Handels mit Ersatzteile vorgenommen werden darf. Die EG-Kommission hat am 14.9.2004 in einem Änderungsvorschlag zur EG-MusterschutzRiLi vorgeschlagen, Ersatzteile vom Musterschutz auszuschließen. Dieser Vorschlag wurde zwar vom Parlament angenommen, ist jedoch bis heute – wegen der Sperrminorität der Gegner der Ersatzteilfreiheit im Rat – nicht verabschiedet. In Art. 110 der GGeschM-VO ist die Kommission den umgekehrten Weg gegangen: bis zur Vorlage eines neuen, einheitlichen Vorschlags sind Ersatzteile dem Schutz durch Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht zugänglich. 108
Einstweilen frei 3. Nationale Besonderheiten
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In Deutschland hat es im wesentlichen drei Geschmacksmusterperioden gegeben: Das bis 2004 geltende Geschmacksmustergesetz von 1876 sah zuletzt eine maximale Schutzdauer von 20 Jahren vor. Diese maximale Schutzdauer gilt auch weiterhin für noch unter Geltung dieses Gesetzes eingetragene Geschmacksmuster (§ 72 Abs. 2 dtGeschmMG 2004).
110
Im Geschmacksmustergesetz 20041 wurde in Umsetzung der EG-MusterRiLi in § 6 GeschmMG eine Schonfrist von zwölf Monaten gegen Veröffentlichungen, die auf den Entwerfer zurückgehen, eingeführt. Für eingetragene und veröffentlichte Geschmacksmuster wird, anstelle des bisherigen Nachahmungsschutzes, ein objektiver Sperrschutz eingeführt, § 38 dtGeschmMG 2004. Der Nachahmungsschutz bleibt nach § 38 Abs. 3 dtGeschmMG 2004/dtDesignG für unveröffentlichte Muster weiter bestehen, denn der Anmelder hat nach § 21 dtGeschmMG 2004 die Möglichkeit, die kostenpflichtige Bekanntmachung um bis zu 30 Monate hinauszuschieben, muss dafür aber eine etwas geringere Schutzwirkung hinnehmen. Ein nicht eingetragenes Geschmacksmuster wie in der EU kennt das deutsche Recht nicht, dafür gibt es den Schutz gegen sklavische Nachahmung im UWG, sowie seit 2014 einen erleichterten urheberrechtlichen Schutz für Werke der angewandten Kunst2. Der Schutzumfang erstreckt sich nach § 38 Abs. 2 dtGeschmMG 2004/dtDesignG „auf jedes Muster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt“. Die Musterabbildungen werden ohne Prüfung auf Neuheit und Eigenart – § 2 dtGeschmMG 2004 – eingetragen (§ 16 Abs. 1 dtGeschmMG 2004/dtDesignG). Diese Schutzerfordernisse werden im Verletzungsfall geprüft, wobei die Vermutung für die Rechtsgültigkeit spricht, § 39 dtGeschmMG/dtDesignG. Die Schutzdauer kann nach § 28 dtGeschmMG 2004/dtDesignG auf bis zu 25 Jahre verlängert werden. Das deutsche Geschmacksmuster ist somit in weitem Maße harmonisiert mit dem EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Ein Ausschluss des Musterschutzes für sichtbare „must match“ Ersatzteile, also eine „Reparaturklausel“ ist nicht eingeführt worden, ein Punkt, der auch in Deutschland streitig war und ist. Ausgeschlossen vom Muster1 Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz – GeschmMG) v. 12.3.2004, BGBl. 2004 I, 390, in Kraft getreten am 1.6.2004. Dazu: Bullinger, Das neue deutsche Geschmacksmustergesetz, Mitt. 2004, 254; Berlitt, Das neue Geschmacksmusterrecht, GRUR 2004, 635; Beyerlein, Das neue Geschmacksmustergesetz, WRP 2004, 676; Wandtke/Obst, Reform des deutschen Geschmacksmustergesetzes, GRUR Int. 2005, 91. 2 BGH v. 13.11.2013 – I ZR 143/12, GRUR 2014, 175 = NJW 2014, 460 – Geburtstagszug.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 114 Teil F
schutz sind in § 3 Abs. 1 Nr. 2 dtGeschmMG/dtDesignG nur die „must fit“-Teile, bei denen also nicht nur die optische Gestaltung sondern darüber hinaus die Maße technisch durch die Einbauumgebung vorgegeben sind. Die Übertragung eines Designs ist nach § 29 dtDesignG formfrei möglich; die (mögliche) Eintragung im Register ist nicht konstitutiv. Die Lizenzierung ist nach § 31 dtDesignG für Deutschland oder Teile Deutschlands möglich; auch der Lizenzvertrag bedarf keiner bestimmten Form. Durch eine weitere Novellierung1 wurde das Geschmacksmustergesetz nunmehr in Designgesetz (dtDesignG) umbenannt, wenngleich ohne gravierende Neuerungen; das Geschmacksmuster wird nun als „eingetragenes Design“ bezeichnet. Daneben wurde ein eigenes Nichtigkeitsverfahren für eingetragene Designs beim Deutschen Patent- und Markenamt eingeführt. Auch ist beim Zusammenfassen mehrerer Muster in Sammelanmeldungen das Erfordernis, derselben Warenklasse anzugehören, entfallen.
111
Österreich ist nicht Mitglied des HMA. In Österreich werden Geschmacksmuster als „Muster“ bezeichnet. Österreich hat die Vorgabe der EG-MusterRiLi in der Musterschutznovelle 20032 umgesetzt mit einer von 15 auf 25 Jahre verlängerten Laufzeit, ein Jahr Neuheitsschonfrist aber ohne das „nicht eingetragene“ Geschmacksmuster. Die Übertragung von Mustern wird erst mit Eintragung im Register wirksam; der Übergang muss mit beglaubigter Urkunde nachgewiesen werden (§ 22 öMuSchG). Lizenzen sind nicht explizit erwähnt, werden aber im Register eingetragen; es ist daher davon auszugehen, dass die für Übertragungen geltenden Formvorschriften auch für Lizenzverträge einzuhalten sind.
112
Die Schweiz hat im Design-Gesetz 20013 ihren Musterschutz der europäischen Rechtslage angepasst. Nach Art. 3 schwDesG gilt eine zwölfmonatige Schonfrist. Das eingetragene und veröffentlichte Design verleiht Sperrwirkung gegen die Designs, welche die gleichen wesentlichen Merkmale aufweisen und dadurch den gleichen Gesamteindruck vermitteln wie ein bereits eingetragenes Design – Art. 8, 9 schwDesG. Nach Art. 5 schwDesG kann der Schutz bis zu max. 25 Jahre in Fünfjahresschritten verlängert werden; die neue Schutzfrist gilt auch für Alt-Designs (Art. 52 (1) schwDesignG). Ein nicht eingetragenes Design wie nach der EG-GGeschM-VO gibt es auch in der Schweiz nicht. Insoweit verbleibt es in der Schweiz beim wettbewerblichen Nachahmungsschutz.
113
Die Übertragung von Schweizer Designs bedarf der Schriftform; die Eintragung ins Register ist nicht konstitutiv, jedoch kann der Übergang Dritten erst nach Eintragung ins Register entgegen gehalten werden (Art. 14 schwDesignG). Lizenzen bedürfen keiner besonderen Form; werden sie ins Register eingetragen, entfalten sie Wirkung auch gegenüber späteren Rechten am Design (Art. 15 schwDesignG). Einstweilen frei.
114
1 Gesetz zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachungen zum Ausstellungsschutz vom 10.10.2013, BGBl. 2013 I, 3799, in Kraft getreten am 1.1.2014. 2 Bundesgesetz über den Schutz von Mustern (Musterschutzgesetz 1990 – ÖBGBI. 497/1990 idF ÖBGBI. 772/1992 und I 143/2001 mit der Novelle v. 26.8.2003, BGBl. 81/2003. 3 Bundesgesetz über den Schutz von Design (Designgesetz, DesG) v. 5.10.2001.
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Teil F Rz. 115
Handel mit geistigem Eigentum
V. Urheberrechte und Software Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
1. Einleitung 115
Das Urheberrecht zählt, wie Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster- und Markenrecht, zu den Rechten des geistigen Eigentums. Es wird jedoch üblicherweise nicht zu den Gewerblichen Schutzrechten gezählt, da es sich in mancher Hinsicht von den übrigen Schutzrechten unterscheidet. So bedürfen z.B. Änderungen des Werkes oder des Werktitels der Zustimmung des Urhebers (§ 39 Abs. 1 dtUrhG) – auch dann, wenn der Erwerber ein alle Nutzungsarten umfassendes Nutzungsrecht erworben hat. Anders als z.B. das Recht an einer Marke kann das deutsche und österreichische Urheberrecht wegen des Urheberpersönlichkeitsrechts als solches nicht übertragen werden (§ 29 Satz 2 dtUrhG; § 23 Abs. 3 öUrhG; einzige Ausnahme: im Rahmen der Erbauseinandersetzung – § 29 Satz 1 dtUrhG; § 23 Abs. 1 öUrhG)1; um das Ziel einer Übertragung zumindest wirtschaftlich zu erreichen, müssen in Deutschland und Österreich am Urheberrecht Nutzungsrechte erworben werden. Folge des Urheberpersönlichkeitsrechts ist auch, dass z.B. der Inhaber eines Nutzungsrechtes Dritten hieran (Unter-)Nutzungsrechte nur mit Zustimmung des Urhebers einräumen kann (§ 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1 dtUrhG) oder vor Zerstörung eines Originalwerkes dieses unter Umständen dem Urheber angeboten werden muss (Art. 15 schwURG; anders § 22 Satz 2 öUrhG).
116
An einem Gegenstand können gleichzeitig unterschiedliche Rechte geistigen Eigentums bestehen, die dann auch unterschiedlichen Inhabern zugeordnet sein können2. So kann die grafische Gestaltung einer Marke Werkqualität besitzen und daher zugleich ein Urheberrecht an der Gestaltung bestehen3. Der Titel einer Software kann z.B. als Werktitel4 Kennzeichenschutz genießen und zugleich als Werktitel urheberrechtlich geschützt sein5. Software wird primär urheberrechtlich geschützt (vgl. §§ 69a ff. dtUrhG; §§ 40a ff. öUrhG). Soweit das Programm „technischen Charakter“ aufweist, kann es aber auch patentschutzfähig sein. 2. Mehrseitige Staatsverträge zum Urheber- und Leistungsschutzrecht
117
Auch für das Urheberrecht gilt heutzutage nahezu universell das Territorialitätsprinzip. Es besagt, dass sich das Urheberrecht räumlich nur auf das Territorium desjenigen Staates erstreckt, der es individuell verleiht oder – unter bestimmten Voraussetzungen – generell anerkennt. Ob ein Staat den Geltungsanspruch seiner Schutzrechte in dieser Weise territorial beschränkt, ist jedoch seine eigene, souveräne Entscheidung. Für das deutsche Recht bezeichnet der BGH das Territorialitätsprinzip als allgemein anerkannt6. Das entgegengesetzte Universalitätsprinzip liegt einigen alten Staatsverträgen zugrunde und wird vereinzelt in der deutschen Literatur vertreten. Es hat sich interna1 Anders Schweiz: generelle Übertragbarkeit (Art. 16 Abs. 1 URG). 2 Vgl. z.B. BGH v. 15.6.1988 – I ZR 211/86, GRUR 1990, 218 (220) – Verschenktexte I. 3 Dazu ausführlich Wandtke/Bullinger, Die Marke als urheberrechtlich schutzfähiges Werk, GRUR 1997, 573 ff. Umgekehrt steht auch die Gemeinfreiheit eines urheberrechtlich geschützten Werkes der Eintragung als Marke nicht entgegen, BPatG v. 26.7.2005 – 27 W (pat) 182/04, MarkenR 2006, 172 (173). 4 Soweit Kennzeichnungskraft oder Verkehrsgeltung vorliegt, ablehnend für App „wetter DE“ OLG Köln v. 5.9.2014 – 6 U 205/13. 5 Vgl. Ahlberg in Möhring/Nicolini, Urheberrecht, 3. Aufl. München 2014, § 2 Rz. 168 f.; auch wenn der Titel – wie häufig – aufgrund fehlender Werkqualität keinen Urheberrechtsschutz genießt, ist immer noch das Veränderungsverbot nach § 39 dtUrhG zu berücksichtigen. 6 BGH v. 16.6.1994 – I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 (255) – „Folgerechtsanspruch bei Auslandsbezug“; BGH v. 2.10.1997 – I ZR 88/95, BGHZ 136, 380 (385) = GRUR Int. 1998, 427 (429) = AfP 1998, 56 – Spielbankaffäre.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 122 Teil F
tional nicht durchgesetzt1. Dem Universalitätsprinzip liegt die Idee zugrunde, dass ein nach der Rechtsordnung des Ursprungslandes gewährtes Urheberrecht grundsätzlich weltweite Geltung beanspruchen können soll. Folge des Territorialitätsprinzips ist, dass an demselben Werk für jedes Staatsterritorium nach dessen jeweiligem Recht ein eigenes Urheberrecht besteht; Verletzungen des Urheberrechts sind nach dem Recht des Staates zu verfolgen, für dessen Gebiet Schutz in Anspruch genommen wird (Schutzlandprinzip). Vor diesem Hintergrund sind schon frühzeitig mehrseitige Staatsverträge geschlossen worden, die den Urhebern der Verbandsstaaten über die Grenzen hinweg einen gewissen Mindestschutz sichern sollen. Ob die Urheber sich unmittelbar auf diese Bestimmungen berufen können (unmittelbare Anwendung), oder die Bestimmung sich nur an die Verbandsstaaten richtet, ist eine Frage des Einzelfalls.
118
a) Die Berner Übereinkunft, Pariser Fassung (RBÜ) Die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9. 18862 ist zwischenzeitlich mehrfach revidiert worden; für das Verhältnis der ganz überwiegenden Zahl der Verbandsländer3 zueinander ist die Fassung von Paris vom 24.7. 1971 maßgeblich4.
119
Räumliche Anwendbarkeit: Die RBÜ ist anwendbar, wenn das Schutzland und (i) entweder das Land des Autors oder (ii) das Land, in dem das Werk erstmals veröffentlicht wurde, zu den Verbandsstaaten gehören (Art. 3 RBÜ).
120
Schutzgegenstand: Die RBÜ schützt Werke der Kunst und Literatur einschließlich der angewandten Kunst sowie Muster und Modelle, Übersetzungen und Bearbeitungen. Leistungsschutzrechte unterliegen nicht der RBÜ. Ausgeschlossen sind nach hM auch Software und Datenbanken5, da sie nicht im Katalog schutzfähiger Werkarten aufgeführt sind.
121
Schutzprinzipien: Urheber6 anderer Verbandsländer erhalten in allen Verbandsstaaten den Schutz, den das Recht dieser Länder den inländischen Urhebern gewährt (Inländerbehandlung; Ausnahmen: Art. 7 Abs. 8 – Schutzfristenvergleich; Art. 2 Abs. 7 – Muster und Modelle)7. Ein Künstler kann also in einem Land Urheberrechte beanspruchen, auch wenn ihm im Ursprungsland kein Urheberrechtsschutz zusteht. So steht ihm nach hM z.B. urheberrechtlicher Schutz für Software nach der RBÜ zu, wenn ein Vertragsstaat solchen Werken urheberrechtlichen Schutz zuerkennt, obwohl die RBÜ an sich Software nicht als Werk ansieht8.
122
1 Vgl. im Einzelnen Stollwerck in Möhring/Nicolini, (Fn. 170) IntUrhR Rz. 10. 2 Text (englisch) und Mitgliedsstand: http://www.wipo.int/treaties/en/ip/berne/index.html. 3 Zu Fragen der Anwendbarkeit zwischen Urhebern aus Staaten, die verschiedenen Fassungen beigetreten sind, vgl. Majoros, UFITA 62 (1971), 109 ff. 4 Vgl. allerdings die Ausnahme in Art. 32 Abs. 2 RBÜ: Tritt ein Staat der RBÜ neu bei, hat er die neueste Fassung auch gegenüber denjenigen Ländern anzuwenden, die nur einer älteren Fassung beigetreten sind. 5 Katzenberger, GRUR Int. 1995, 447 (464); Nordemann/Vinck/Hertin, Art. 2/2bis RBÜ Rz. 2; Ullrich in Ullrich/Lejeune, Der Internationale Softwarevertrag, 2. Aufl. 2006, Rz. 101; Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. München 2010, Vor §§ 69a ff.. Rz. 15; Reinbothe, GRUR Int. 1992, 707 (710); Duggal, IPRax 2002, 103. 6 Die Frage, wer nach der RBÜ als „Urheber“ anzusehen ist, ist streitig, die h.M. bestimmt sie nach dem Schutzlandprinzip, sodass an einem Werk von Land zu Land unterschiedliche Urheber bestehen können, vgl. Petry, GRUR 2014, 536 ff. m.w.N. 7 Vgl. z.B. OGH v. 3.4.1990 – 4 Ob 12/90, GRUR Int. 1992, 142 (143) – Piccadilly für italienischen Musterinhaber. 8 Das ist dogmatisch zweifelhaft, da der Grundsatz der Inländerbehandlung eigentlich nur für den Schutzgegenstand des Abkommens gelten kann.
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Brandi-Dohrn 521
Teil F Rz. 123
Handel mit geistigem Eigentum
123
Die RBÜ gewährt bestimmte Mindestrechte, auf die sich ein Urheber in jedem Verbandsstaat berufen kann, auch wenn er hierdurch besser gestellt wird als nationale Urheber dieses Landes1. Diese umfassen das Urheberpersönlichkeitsrecht (Art. 6bis), das Vervielfältigungsrecht (Art. 9), das Vortrags-, Aufführungs- und Übertragungsrecht (Art. 11 f.), das Senderecht sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe gesendeter Werke (Art. 11bis), das Übersetzungs- und Bearbeitungsrecht (Art. 8, 12) sowie das Verfilmungsrecht (Art. 14 f.).
124
Demgegenüber ist das Folgerecht kein Mindestrecht – dem Urheber ist es nur zu gewähren, wenn (i) es auch in seinem Heimatland existiert und (ii) nur in dem Umfang, in dem es auch Inländern im Schutzland gewährt wird2 (Art. 14 ter Abs. 2).
125
Für Entwicklungsländer gelten Ausnahmen (Art. 21 iV mit Appendix). Hervorzuheben ist insb. Art. III des Appendix, der diesen Ländern die Erteilung von Zwangslizenzen gestattet, wenn das Werk nicht innerhalb von drei bis fünf Jahren nach Veröffentlichung im Inland allgemein zu üblichen Preisen angeboten wird.
126
Unmittelbare Anwendbarkeit: Nach hM gelten die Bestimmungen der RBÜ über die Mindestrechte und die Inländerbehandlung unmittelbar3.
127
Verhältnis zu anderen Abkommen: Andere Staatsverträge sind bzw. bleiben anwendbar, soweit sie mindestens die Rechte der RBÜ gewähren (Art. 20) – also z.B. das WCT (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 WCT) und das WPPT (Art. 1 WPPT). TRIPS verpflichtet seine Mitglieder zur Anwendung der Regeln der RBÜ (Art. 9 Abs. 1 TRIPS), ist daher vorrangig vor der RBÜ zu prüfen; das WUA findet keine Anwendung, wenn Ursprungsland des betreffenden Werkes ein RBÜ-Verbandsstaat ist (Art. XVII WUA). b) Welturheberrechtsabkommen, Pariser Fassung (WUA)
128
Das Welturheberrechtsabkommen vom 6.9.1952 ist ebenfalls mehrfach revidiert worden; für die meisten Vertragsstaaten ist heute die Pariser Fassung vom 24.7.1971 maßgeblich4. Es bleibt in manchen Aspekten hinter der RBÜ zurück und ist heute neben TRIPS und RBÜ nahezu bedeutungslos5. c) Das Rom-Abkommen
129
Das Internationale Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen vom 26.10.19616 ist das erste von mehreren Abkommen, das in Ergänzung zur RBÜ die Harmonisierung von Leistungsschutzrechten anstrebt. Ebenfalls mit Leistungsschutzrechten befassen sich das Europäische Abkommen zum Schutz von Fernsehsendungen vom 22.6.1960 (Straßburger Fernsehabkommen)7, das Übereinkommen zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger vom 29.10.1971 (Genfer Tonträ1 OGH v. 31.1.1995 – SZ 68/25, ÖBl 1995, 184 = ZUM 1995, 865 = GRUR Int. 1995, 729 f. – Ludus tonalis. 2 BGH v. 23.6.1978 – I ZR 112/77, BGHZ 72, 63 (68 f.)= GRUR 1978, 639 – Jeannot; BGH v. 16.6. 1994 – I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 (255) – Folgerechtsanspruch bei Auslandsbezug. 3 BGH v. 6.11.1953 – I ZR 97/52, GRUR 1954, 216 (217) – Romfassung zum Recht der öffentlichen Wiedergabe; ebenso OGH v. 31.1.1995 – SZ 68/25, GRUR Int. 1995, 729 (730) – Ludus tonalis zum Vervielfältigungsrecht; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff., Rz. 116; Duggal, IPRax 2002, 101 (104). 4 Text (deutsch) in http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_231_01.html. 5 Zu Einzelheiten vgl. Stollwerck in Möhring/Nicolini, IntUrhR Rz. 16. 6 Text (englisch) und Mitgliedsstand in http://www.wipo.int/treaties/en/ip/rome/index.html. 7 Einzelheiten bei Hartmann in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. München 2000, Vor §§ 120 f. Rz. 75 f.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 136 Teil F
gerübereinkommen)1 sowie das Übereinkommen über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen programmtragenden Signale vom 21.5.1974 (Brüsseler SatellitenÜbereinkommen)2,, sowie dem noch nicht in Kraft getretenen Beijing Treaty on Audiovisual Performances vom 24.6.20123, auf welche aus Platzgründen hier nicht näher eingegangen werden soll. Räumliche Anwendbarkeit: Das Rom-Abkommen ist anwendbar, wenn das Schutzland ein Vertragsstaat ist und für Tonträger folgende Beziehungen zu einem anderen Vertragsstaat bestehen: (i) der Tonträgerhersteller muss (ii) Angehöriger eines anderen Vertragsstaates sein, (iii) der Ton wurde erstmals in einem anderen Vertragsstaat festgelegt4 oder (iv) der Tonträger wurde erstmals in einem anderen Vertragsstaat veröffentlicht (Art. 5 Abs. 1, 2). Sendeunternehmen müssen (i) ihren Sitz in einem anderen Vertragsstaat haben oder (ii) die Sendung vom Gebiet eines anderen Vertragsstaates ausgestrahlt haben (Art. 6 Abs. 1). Bei ausübenden Künstlern muss die Darbietung in einem anderen Vertragsstaat erfolgt sein.
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Schutzgegenstand: Das Rom-Abkommen schützt ausübende Künstler, Hersteller von Tonträgern und Sendeunternehmen, nicht dagegen Filmhersteller.
131
Schutzprinzipien: Das Abkommen gewährt Inländerbehandlung (Art. 2 i.V. mit Art. 4–6) sowie folgende Mindestrechte:
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Ausübende Künstler werden geschützt gegen unerlaubte Sendung/öffentliche Wiedergabe, das unbefugte Mitschneiden und – mit Einschränkungen – gegen unerlaubte Vervielfältigung (Art. 7). Dem Tonträgerhersteller steht das Recht zur Vervielfältigung zu (Art. 10), den Sendeunternehmen das Recht zur Fixierung, Vervielfältigung, Wiedergabe und Weitersendung der Sendungen (Art. 13)5.
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Unmittelbare Anwendbarkeit: Die Bestimmungen des Rom-Abkommens über die Inländerbehandlung und die Mindestrechte gelten nach bisher hM unmittelbar6.
134
Verhältnis zu anderen Abkommen: Das Rom-Abkommen geht den Bestimmungen des (künftigne) Beijing Treaty vor (Art. 1 Abs. 1 Beijing Treaty). d) TRIPS Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15.4.1994 (s. Rz. 6) baut auf der RBÜ und dem Rom-Abkommen auf, geht jedoch teilweise über die dort gewährten Rechte hinaus.
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Räumliche Anwendbarkeit: Urheber werden unter TRIPS geschützt, wenn ihre Werke bei entsprechender Anwendung der Kriterien der RBÜ verbandseigene Werke wären (Art. 1 Abs. 3 Satz 2 TRIPS iV mit Art. 3 Abs. 1, 2 RBÜ). In gleicher Weise wird für die Leistungsschutzrechte auf die Kriterien des Rom-Abkommens verwiesen.
136
1 2 3 4
BGBl. 1973 II, 1670 f. BGBl. 1979 II, 114 f. Text (englisch) unter: http://www.wipo.int/treaties/en/ip/beijing/. Dieses Kriterium gilt nicht für Deutschland, vgl. Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes v. 15.9.1965, BGBl. 1965 II, 1243 f. 5 Vorbehalte von Deutschland, Österreich und der Schweiz, vgl. http://www.admin.ch/ch/d/sr/ 0_231_171/index.html. 6 Differenzierend Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, Vor §§ 120 ff. Rz. 24; ablehnend aufgrund der EuGH-Entscheidung „SCF“ Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl. 2014, Vor §§ 120 ff. Rz. 11; unklar Stollwerck in Möhring/Nicolini, IntUrhR Rz. 18.
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Brandi-Dohrn 523
Teil F Rz. 137 137
Handel mit geistigem Eigentum
Schutzgegenstand: Im Bereich des Urheberrechts werden über die Werke der RBÜ hinaus auch Software und Datenbanken geschützt (Art. 10 Abs. 1). Im Bereich der Leistungsschutzrechte sieht TRIPS über das Rom-Abkommen hinaus erstmalig das Vermietrecht für Filmwerke vor (Art. 11).
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Schutzprinzipien: Im Bereich des Urheberrechts sind die TRIPS-Mitglieder verpflichtet, den Schutz der RBÜ (mit Ausnahme des Urheberpersönlichkeitsrechts) zu gewähren (Art. 9 Abs. 1 TRIPS). Darüber hinaus gilt der Grundsatz der Meistbegünstigung (Art. 4 TRIPS)1. Software (mit Ausnahme des Entwurfsmaterials) wird grundsätzlich als Werk der Literatur nach der RBÜ geschützt, das Vermietrecht für Computerprogramme greift allerdings nicht, wenn die Software nicht der wesentliche Vermietungsgegenstand ist (z.B. Hardware mit vorinstallierter Software) (Art. 11 TRIPS). Datenbanken werden geschützt, soweit sie geistige Schöpfungen darstellen, ein eigenes Vermietrecht ist für sie nicht vorgesehen. Bei den Leistungsschutzrechten ist der Grundsatz der Inländerbehandlung und Meistbegünstigung auf die nach Art. 14 TRIPS garantierten Mindestrechte beschränkt, da diese teilweise hinter dem Schutzniveau des Rom-Abkommens zurückbleiben, so z.B. bzgl. der obligatorischen Schutzrechte zugunsten des Sendeunternehmens (Art. 14 Abs. 3 Satz 2). Dagegen geht TRIPS über das Rom-Abkommen bei den Schutzfristen (Art. 14 Abs. 5), der zeitlichen Anwendbarkeit (Art. 14 Abs. 6 Satz 2) und den Vermietrechten für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller (Art. 14 Abs. 4) hinaus2.
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Unmittelbare Anwendbarkeit: Eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen von TRIPS scheidet nach Auffassung des EuGH aus3.
140
Verhältnis zu anderen Abkommen: Die RBÜ bleibt neben TRIPS anwendbar, tritt aber faktisch hinter TRIPS zurück, da deren Rechte auch in TRIPS enthalten sind; das RomAbkommen, WUA, WCT und WPPT bleiben neben TRIPS anwendbar, sodass geprüft werden muss, welches Abkommen den weitestgehenden Schutz gewährleistet. e) WCT
141
Der WIPO-Urheberrechtsvertrag vom 20.12.1996 (WIPO Copyright Treaty, WCT)4 ist als Versuch der WIPO zu werten, die mit TRIPS an die WTO verlorene Initiative im Urheberrecht wieder an sich zu reißen. Es ist ein Sonderabkommen zur RBÜ und ergänzt diese.
142
Zur räumlichen Anwendbarkeit verweist der WCT auf die RBÜ.
143
Schutzgegenstand: In Anpassung an technische Neuerungen erweitert der WCT den Werkbegriff auf Software und Datenbanken.
144
Schutzprinzipien: Über die RBÜ geht der WCT insb. hinaus durch die Anerkennung des generellen ausschließlichen Verbreitungsrechts (Art. 6 Abs. 1); das Vermietrecht ist nun identisch wie in TRIPS geregelt. Neu gegenüber RBÜ und TRIPS ist die Anerkennung des Onlinerechts (Art. 8); die auf das Vervielfältigungsrecht beschränkte Regel zu gesetzlichen Schranken der Vervielfältigungsrechte (Art. 9 Abs. 2 RBÜ) ist nun verallgemeinert auf alle Verwertungsrechte (Art. 10 WCT). Die Vertragsstaaten sind 1 Vgl. zum eingeschränkten Anwendungsbereich dieses Grundsatzes Fn. 2 zu Rz. 82 und Stollwerck in Möhring/Nicolini, IntUrhR Rz. 17. 2 Vgl. im Einzelnen Reinbothe, GRUR Int. 1992, 707 (713). 3 EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-135/10, GRUR 2012, 593, Tz. 43 ff. – SCF. Diese Auffassung ist jedenfalls für Deutschland und Österreich verbindlich. 4 Text (englisch) und Mitgliedsstand in http://www.wipo.int/treaties/en/ip/wct/index.html; das Abkommen ist am 6.3.2002 in Kraft getreten.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 153 Teil F
darüber hinaus verpflichtet, Maßnahmen vorzusehen, um das Umgehen technischer Schutzvorrichtungen zu unterbinden (Art. 11, 12). Unmittelbare Anwendbarkeit: Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit liegt bislang nicht vor1; nach den bisher geltenden Prinzipien dürften Art. 3–9, 13 WCT unmittelbar gelten (trotz der den Vertragsstaaten in Art. 10 eingeräumten Möglichkeit zur Einschränkung dieser Rechte)2, nicht dagegen Art. 11, 12.
145
Verhältnis zu anderen Abkommen: Der WCT ist als Sonderabkommen ergänzend zur RBÜ anwendbar. Im Verhältnis zu anderen Abkommen besteht Gleichrangigkeit (Art. 1 Abs. 1 Satz 2).
146
f) WPPT Der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger vom 20.12.1996 (WIPO Performances and Phonograms Treaty, WPPT)3 ergänzt – parallel zum WCT – das Rom-Abkommen, ohne allerdings formal ein Sonderabkommen zu sein.
147
Zur räumlichen Anwendbarkeit verweist der WPPT auf die Kriterien des Rom-Abkommens (Art. 3 Abs. 2)4, erweitert aber die Möglichkeiten, das WPPT auf bei In-Kraft-Treten des WPPT schon bestehende Rechte anzuwenden (Art. 22 Abs. 1 WPPT; vgl. demgegenüber Art. 20 Rom-Abkommen).
148
Schutzgegenstand: wie Rom-Abkommen, jedoch unter Ausschluss von Sendeunternehmen.
149
Schutzprinzipien: Hervorzuheben ist, dass gegenüber dem Rom-Abkommen das Formalitätenverbot nun uneingeschränkt gilt (Art. 20); die Inländerbehandlung ist wie in TRIPS auf die im WPPT gewährten Rechte beschränkt. Ausübenden Künstlern wird erstmalig ein Persönlichkeitsrecht zuerkannt (Art. 5); ungünstiger als das RomAbkommen gewährt Art. 6 keinen Schutz gegen die filmische Nutzung der nicht festgelegten Darbietungen des ausübenden Künstlers5. Die Rechte an festgelegten Darbietungen sind gleichlautend zum WCT geregelt, wobei zum Vervielfältigungsrecht ausdrücklich klargestellt wird, dass es auch im digitalen Bereich Anwendung findet.
150
Unmittelbare Anwendbarkeit: Eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen des WPPT scheidet nach Auffassung des EuGH aus6.
151
Verhältnis zu anderen Abkommen: Im Verhältnis zu anderen Abkommen besteht Gleichrangigkeit (Art. 1), lediglich gegenüber dem (noch nicht in Kraft getretenen) Beijing Treaty besteht Anwendungsvorrang (Art. 1 Abs. 1 Beijing Treaty).
152
Einstweilen frei.
153
1 Die Entscheidung EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-135/10, GRUR 2012, 593, Tz. 43 ff. – SCF befasste sich nicht mit dem WCT; allerdings ist auszunehmen, dass der EuGH auch für den WCT eine unmittelbare Anwendbarkeit verneinen würde. 2 Vgl. insoweit zur Parallelvorschrift Art. 9 Abs. 2 RBÜ OGH v. 31.1.1995 – SZ 68/25, ÖBl 1995, 184 = ZUM 1995, 865 = GRUR Int. 1995, 729 (730) – Ludus tonalis. 3 Text (englisch) und Mitgliedsstand in http://www.wipo.int/treaties/en/ip/wppt/index.html; das Abkommen ist am 20.5.2002 in Kraft getreten. 4 Vgl. im Einzelnen von Lewinski, GRUR Int. 1997, 667 (672). 5 Vgl. Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff., Rz. 87. 6 EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-135/10, GRUR 2012, 593, Tz. 48 – SCF. Diese Auffassung ist jedenfalls für Deutschland und Österreich verbindlich.
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Brandi-Dohrn 525
Teil F Rz. 154
Handel mit geistigem Eigentum
3. EU-Recht a) EU-Vertrag/EWR-Abkommen 154
Gemäß Art. 18 AEUV/Art. 4 EWR-Abkommen ist jede Diskriminierung von Angehörigen anderer EWR-Mitgliedstaaten untersagt1. Soweit nationales Recht oder die mehrseitigen Staatsverträge zum Urheberrecht Einschränkungen von der Inländerbehandlung vorsehen, gelten diese nur für Nicht-EWR-Angehörige2. b) EG/EU-Richtlinien
155
Die EG/EU hat eine Reihe von Richtlinien erlassen, die in nationales Recht umgesetzt wurden; die entsprechenden Bestimmungen des Urhebergesetzes sind daher im Lichte dieser Richtlinienbestimmungen auszulegen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um – die Software-Richtlinie (Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen), umgesetzt in §§ 69a–g, 137 dtUrhG; §§ 40a–e öUrhG; ersetzt durch die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen3. – die Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht (Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19.11.1992 über das Vermietrecht und Verleihrecht sowie bestimmte dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums)4, umgesetzt in §§ 17, 27, 137e dtUrhG; §§ 16 Abs. 3, 16a öUrhG; ersetzt durch die Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums5; – die Schutzdauer-Richtlinie (Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte)6, umgesetzt in § 137 f. dtUrhG und den dort in Bezug genommenen Paragraphen; abgelöst von der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, nunmehr ersetzt durch die Richtlinie 2011/77/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.9.2011 zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte7, umgesetzt in §§ 65, 79a, 137m dtUrhG; §§ 60 Abs. 2, 67 Abs. 1, 76 Abs. 5, 7 bis 9, 116 öUrhG; – die Datenbank-Richtlinie (Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken)8, umgesetzt in §§ 4, 23, 53, 55a, 63, 87a–e, 108, 119, 127a, 137g dtUrhG; §§ 40f–h, 76c–e, 99c öUrhG; – die Satelliten- und Kabelrichtlinie (Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschrif1 Grundlegend zum Urheberrecht EuGH v. 20.10.1993 – Rs. C-92/92, 326/92, NJW 1994, 375 = GRUR 1994, 280 (282) – Phil Collins; BGH v. 6.10.1994 – I ZR 155/90, NJW 1995, 868 (869) – Cliff Richard II. 2 Für Liechtenstein also bis zum 30.4.1995, für Österreich bis zum 31.12.1993, für die Schweiz bis heute. 3 ABl. EG Nr. L 122 v. 17.5.1991, S. 42, geändert durch Richtlinie 93/98/EWG v. 29.10.1993; ABl. EU Nr. L 111 v. 5.5.2009, S. 16. 4 ABl. EG Nr. L 346 v. 27.11.1992, S. 61, geändert durch die Richtlinien 93/98/EWG v. 29.10.1993, 2001/29/EG v. 22.5.2001. 5 ABl. EG Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 28. 6 ABl. EG Nr. L 290 v. 24.11.1993, S. 9, geändert durch Richtlinie 2001/29/EG v. 22.5.2001. 7 ABl. EG Nr. L 372 v. 27.12.2006, S. 12; ABl. EU Nr. L 265 v. 11.10.2011, S. 1. 8 ABl. EG Nr. L 77 v. 27.3.1996, S. 20.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 156 Teil F
ten betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung)1, umgesetzt in §§ 20a, b, 76, 87, 94, 137h dtUrhG; § 176 öUrhG; – die Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (InfoSoc-Richtlinie) (Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft)2, durch die die Bestimmungen des WPPT und des WCT europaweit umgesetzt wurden3, in Deutschland in §§ 19a, 42a, 44a, 45a, 46, 61, 95a–d, 137j, k dtUrhG; §§ 18a, 41a, 42d, 71a, 90b–d öUrhG; – die Folgerechts-Richtlinie (Richtlinie 2001/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.9.2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks)4. – Die Verwaiste Werke-Richtlinie (Richtlinie 2012/28/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.2.1012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Filmwerke)5, umgesetzt in §§ 38, 61, 61a bis 61c, 63, 137n sowie Anlage dtUrhG; §§ 13d, 13e dtUrhWG; § 56e öUrhG. – Die Verwertungs-Richtlinie (Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheberund verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt), die bis zum 10.4.2016 in nationales Recht umzusetzen war. Verhältnis zu anderen Abkommen: s. Rz. 8. 4. Nationale Besonderheiten Während bilaterale Verträge nach allgemeinen Grundsätzen jeweils nur zwischen den jeweiligen Vertragsstaaten Wirkung entfalten, ist für das Immaterialgüterrecht auf eine Besonderheit hinzuweisen. Art. XXIV:5 GATT entbindet die Vertragsparteien von Freihandelsabkommen von der Beachtung der GATT-Meistbegünstigungsverpflichtung. Die bilateralen Verträge können also dem Vertragspartner Rechte einräumen, ohne Drittstaaten diese Vergünstigungen ebenfalls gewähren zu müssen. Allerdings befreit Art. XXIV:5 GATT nicht von der Anwendung der Meistbegünstigungsklausel auf Rechte Geistigen Eigentums gemäß Art. 4 TRIPS. Soweit ein Staat also in einem bilateralen Vertrag z.B. über TRIPS hinausgehende Verpflichtungen akzeptiert, ist er verpflichtet, diese Rechte allen WTO-Staaten einzuräumen6. Deutschland hat eine Reihe bilateraler Abkommen zum Urheberrecht geschlossen, die gegenüber der RBÜ weiterreichende Rechte gewähren und neben RBÜ und TRIPS weiter gelten7. 1 ABl. EG Nr. L 248 v. 6.10.1993, S. 15. 2 ABl. EG Nr. L 167 v. 22.6.2001, S. 10; sie erfasst alle nach dem 22.12.2002 entstandenen Werke und verwandte Schutzrechte (Art. 10) und war bis zu diesem Zeitpunkt umzusetzen (Art. 13 Abs. 1). 3 Zum Verhältnis der Richtlinie zum urheberrechtlichen Softwareschutz Jaeger, CR 2002, 309. 4 ABl. EG Nr. L 272 v. 13.10.2001, S. 32; zur Entstehung vgl. Zimmerling, EuZW 2002, 267 ff. 5 ABl. EU Nr. L 299 v. 27.10.2012, S. 5. 6 Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, 6. Aufl. 2015, Rz. 112. Vor allem die Schweiz hat in einer Reihe bilateraler Verträge einen „TRIPS-Plus“-Standard vereinbart. 7 Praktisch bedeutsam ist das Übereinkommen zwischen dem Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Amerika über den gegenseitigen Schutz der Urheberrechte v. 15.1.1892, das insb. Inländerbehandlung ohne Schutzfristenvergleich vorsieht; dieser Vergleich bleibt weiterhin zulässig trotz Art. 7 Abs. 1 der Schutzdauer-Richtlinie (Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie). Vgl. zu den einzelnen Abkommen Hartmann in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, Vor §§ 120 ff. Rz. 133 ff.
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Teil F Rz. 157
Handel mit geistigem Eigentum
157
Österreichs bilateraler Vertrag mit dem Deutschen Reich1 ist durch die weiter gehenden Rechte nach AEUV und EU-Richtlinien heute bedeutungslos; für Nutzungshandlungen vor dem Beitritt Österreichs zum EWR-Abkommen gilt das alte Recht.
158
Zur Verpflichtung Liechtensteins gegenüber der Schweiz, den Geltungsbereich der schweizerischen nationalen Gesetze zum gewerblichen Rechtsschutz sowie die von der Schweiz abgeschlossenen multilateralen und bilateralen Verträge in diesem Bereich auch für ihr Land anzuerkennen, s. Rz. 91. Liechtenstein setzt allerdings seit geraumer Zeit insbesondere die urheberrechtlichen Richtlinien der EU in nationales Recht um, zuletzt in 2014 die Schutzdauer-Richtlinie – offenbar ungeachtet des Standes einer etwaigen Umsetzung in der Schweiz.
159
Einstweilen frei.
VI. Erschöpfung 1. Grundgedanken 160
Gerade im internationalen Wirtschaftsrecht liegt es nahe, geistiges Eigentum als Lenkungsmittel für Handelsströme einzusetzen, z.B. um mittels territorial wirkender Schutzrechte den Vertriebshändler im einen Gebiet vor Querlieferungen aus einem anderen Gebiet zu schützen oder um Billigimporte der gleichen Ware aus dem Ausland, wo ein anderes Preisniveau herrscht, abzuwehren. Diese Möglichkeiten schränkt die Erschöpfungslehre und Artt. 34, 36 AEUV, die innergemeinschaftliche Handelsfreiheit, ein. Sie grenzt die Interessen des Schutzrechtsinhabers von denen der Allgemeinheit ab: Der Schutzrechtsinhaber soll den Lohn für seine Leistung erhalten oder erhalten können, indem ihm bzw. seinem Berechtigten das Recht des ersten Inverkehrbringens vorbehalten ist. Für die Allgemeinheit soll aber alsdann der freie Warenverkehr durch das Schutzrecht nicht mehr behindert werden. Das Schutzrecht, Patent, Marke, Urheberrecht, räumt dem Inhaber (oder seinem Lizenznehmer) nicht die Befugnis ein, auf den Verkehr mit den geschützten Erzeugnissen Einfluss zu nehmen, wenn sie einmal im Inland berechtigt in Verkehr gebracht worden sind2.
161
Geregelt ist die patentrechtliche Erschöpfung in Deutschland und Österreich weder im Patent- noch im Gebrauchsmustergesetz (vgl. aber § 9a schwPatG), markenrechtlich in Art. 7 der EU-MarkenRiLi und § 24 dtMarkenG, urheberrechtlich in § 17 Abs. 2 dtUrhG, § 16 Abs. 3 öUrhG, Art. 12 schwURG, und für Geschmacksmuster/Designs in Art. 15 EG-Muster-RiLi, Art. 21 EG-GGeschM-VO sowie § 48 dtDesignG. Wenngleich für alle Schutzrechte einheitlich der Begriff der Erschöpfung verwendet wird, darf das nicht darüber täuschen, dass die Voraussetzungen und Grenzen der Erschöpfung von Schutzrecht zu Schutzrecht variieren können. Das kann dazu führen, dass bei mehreren an einem Gegenstand bestehenden Schutzrechten z.B. urheberrechtlich Erschöpfung eingetreten ist, der Rechteinhaber sich jedoch einem Vertrieb mit Hinweis auf eine noch nicht eingetretene markenrechtliche Erschöpfung einem Vertrieb widersetzen kann3. 1 Übereinkommen v. 25.2.1930, RGBl. 1930 II, 1077 f. 2 RG v. 26.3.1902, RGZ 51, 139; BGH v. 29.2.1968 – Ia ZR 49/65, GRUR 1968, 195 – Voran; BGH v. 8.3.1973 – X ZR 6/70, GRUR 1973, 518 – Spielautomat II; BGH v. 26.9.1996 – X ZR 72/94, GRUR 1997, 116 – Prospekthalter. 3 Vgl. z.B. BGH v. 1.3.2012 – I ZR 6/10, GRUR 2012, 392 = NJW-RR 2012, 616 – Echtheitszertifikat (Vertrieb von Software untersagt unter Berufung auf Markenrecht, obwohl Urheberrecht erschöpft war).
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 167 Teil F
Die Erschöpfung ist früher und im Ausland zum Teil heute noch mit einer impliziten Lizenz erklärt worden. Im deutschen Patentrecht hat man sich davon frühzeitig für Vorrichtungspatente gelöst. Wird die geschützte Vorrichtung vom Berechtigten in Verkehr gebracht, so ist das Patentrecht an dieser Vorrichtung objektiv verbraucht. Die Erschöpfung erfasst den konkreten, berechtigt in den Verkehr gebrachten Gegenstand, über den dann frei und unbelastet durch das Patent verfügt werden kann.
162
Bringt der Inhaber eines Verfahrenspatents eine Vorrichtung in den Verkehr, die nur oder vorzugsweise der Ausübung des geschützten Verfahrens dienen kann oder bestimmungsgemäß dazu dienen soll, dann darf das Verfahren mit dieser Vorrichtung ausgeübt werden1.
163
Bringt der Inhaber eines Verfahrenspatents eine Vorrichtung in den Verkehr, die sowohl nach dem geschützten Verfahren als auch patentfrei arbeiten kann, so tritt Erschöpfung nach einer implizierten Lizenz ein, es ist also der Inhalt des Vertrages maßgebend, ob mit ihm stillschweigend oder sogar ausdrücklich die Erlaubnis zur Benutzung des geschützten Verfahrens gegeben wurde. Der Inhaber des Verfahrenspatents ist nicht gehindert, sich von dem Erwerber der Vorrichtung für die Benutzung des geschützten Verfahrens Lizenzgebühren versprechen zu lassen2.
164
Bei Vorrichtungs- und Verfahrensansprüchen wird die Vorrichtung zu jedwedem Gebrauch immer „objektiv“ frei3.
165
2. Sachliche Grenzen der Erschöpfung – Vermietung, Recycling, Wiederbefüllen und Neuherstellung Die Erschöpfung ist grundsätzlich auf die „Folgerechte“ nach dem Herstellen, also auf das In-Verkehr-Bringen, Anbieten, Gebrauchen, Einführen und Besitzen beschränkt. Nicht erschöpft wird das „Primärrecht“, das Herstellen bzw. das Anbringen einer Marke (zu den Besonderheiten des Urheberrechts vgl. Rz. 171 ff.).
166
Das erfordert vorzugsweise im Patentrecht, aber auch im Markenrecht4 eine Abgrenzung zwischen der Reparatur, die zum bestimmungsgemäßen Gebrauch gehört, und der Neuherstellung, die dem Schutzrechtsinhaber vorbehalten bleibt5. Zum erschöpften bestimmungsgemäßen Gebrauch gehören solche Reparaturen, die zur Erhaltung der nach der Verkehrsanschauung normalen Lebensdauer dienen6, – soweit die Reparatur nicht gerade ein Verschleißteil betrifft, in dem sich der patentrechtliche Erfindungsgedanke verwirklicht7 –, während künstliche Verlängerung der Lebensdauer8, Neuaufbau aus Altteilen9 und Umbau, der nicht aus dem Bereich des Schutzanspruchs herausführt10, verbotene Neuherstellung sind.
167
1 RG v. 14.10.1931, RGZ 133, 326 – Gummitüllen; RG v. 10.2.1932, RGZ 135, 145 – Bandeisenstreifen; BGH v. 16.9.1997 – X Z.B. 21/94, GRUR 1998, 130 – Handhabungsgerät; OGH v. 18.5. 1993 – 4 Ob 42/93, ÖBL.1994, 33 (36) = GRUR Int. 1994, 324 – Sockelplatte. 2 BGH v. 24.9.1979 – KZR 14/78, GRUR 1980, 38 – Full-Plast-Verfahren. 3 BGH v. 16.9.1997 – X Z.B. 21/94, GRUR 1998, 130 – Handhabungsgerät; LG Düsseldorf v. 3.11. 1998 – 4 O 175/98, Mitt. 1999, 179 – Levitationsmaschine. 4 BGH v. 26.4.1990 – I ZR 198/88, GRUR 1990, 678 – Herstellerkennzeichen auf weitgehend neu aufgebautem Unfallwagen. 5 Vgl dazu Bodewig, Umweltschutz und Patentrecht, Zum Schutz wiederverwertbarer Stoffe, GRUR 1992, 567; Rübel, Patentschutz bei Reparatur- und Ersatzteilfällen, GRUR 2002, 561. 6 BGH v. 21.11.1958 – I ZR 129/57, GRUR 1956, 232 – Förderrinne; BGH v. 24.5.1963, WRP 1968, 50 – Spielautomat I. 7 BGH v. 27.2.2007 – X ZR 38/06, GRUR 2007, 769 (772), Rz. 27 f. – Pipettensystem. 8 LG Düsseldorf v. 10.6.1987 – 4 O 129/86, GRUR 1988, 116 – Ausflussschieberverschluss. 9 LG Düsseldorf v. 7.1.1956 – 4 O 153/55, GRUR 1957, 599 – Rebuild-Pumpen; Rinken/Kühnen in Schulte, Patentgesetz, 9. Auflage 2014, § 9 Rz. 49. 10 BGH v. 8.3.1973 – X ZR 6/70, GRUR 1973, 518 – Spielautomat II.
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Brandi-Dohrn 529
Teil F Rz. 168
Handel mit geistigem Eigentum
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Im Markenrecht gehört die normale, funktionsgerechte Bewerbung mit der Originalmarke zum erlaubten Ankündigungsrecht, das zum erschöpften Weitervertrieb gehört1. Dagegen kann sich der Markeninhaber – weitergehend als im Patentrecht – dem Vertrieb von Waren schon dann widersetzen, wenn deren Zustand durch den Wiederverkäufer „verändert oder verschlechtert“ ist (§ 24 Abs. 2 dtMarkenG). Zum nicht erschöpften Neuversehen gehört daher der Umbau der Waren unter der alten Marke oder die Veränderung von Bestandteilen der Ware2. Das Wiederbefüllen fremd gekennzeichneter Behältnisse mit eigenen Waren ist unzulässig, wenn der Verkehr die fremde Behälterkennzeichnung auf den Behälterinhalt bezieht3; dagegen zulässig, wenn die Originalkennzeichnung vor Fremdbefüllung entfernt wird4, bei üblicher Verwendung gar nicht sichtbar ist5 oder durch anderweitige Kennzeichnung deutlich gemacht wird, dass sich die Originalkennzeichnung nur auf den Behälter, nicht den Inhalt bezieht6. Hier hilft auch ein Rückgriff auf patentrechtliche (Nicht-)Erschöpfung in der Regel nicht, da das Wiederbefüllen in den meisten Fällen noch zum bestimmungsgemäßen Gebrauch gehört7.
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Eingeschränkt ist nach der EuGH-Rechtsprechung8 das Umverpacken von Ware, also insb. das Umverpacken von aus dem Ausland parallel importierter Arzneimittel, um sie an inländische Packungsgrößen und Verkehrsvorschriften hinsichtlich des Beipackzettels in inländischer Sprache anzupassen. Umverpacken ist dann erlaubt und hindert die Erschöpfung nicht, wenn kumulativ – durch das Markenrecht sonst eine künstliche Marktabschottung einträte, – der Originalzustand der Ware nicht beeinträchtigt oder gefährdet wird, – Hersteller der Ware und Umverpacker klar angegeben sind, – die Aufmachung den Ruf nicht schädigt, – der Parallel-Importeur zuvor den Hersteller unterrichtet und auf Verlangen ein Umverpackungsmuster zur Verfügung stellt, – als generelle Voraussetzung: wenn es keinen geringeren Eingriff als das Umverpacken gibt, z.B. Bündelung von Originalpackungen9. 1 EuGH v. 4.11.1997 – Rs. C-337/95, Slg 1997, I – 6034 = GRUR Int. 1998, 140 – Dior; BGH v. 30.4. 1987 – I ZR 39/85, GRUR 1987, 707 – Ankündigungsrecht I; BGH v. 30.4.1987 – I ZR 237/85, GRUR 1987, 823 – Ankündigungsrecht II und BGH v. 4.5.2000 – I ZR 256/97, GRUR 2001, 51 – Parfumflakon – für die erlaubte Werbeabbildung eines urheberrechtlich geschützten Flacons zum freien Weitervertrieb. 2 BGH v. 9.6.2004 – I ZR 13/02, GRUR 2005, 160 – SIM-Lock (Produktveränderung durch Entsperren eines Mobiltelefons); BGH v. 1.3.2012 – I ZR 6/10, GRUR 2012, 392 = NJW-RR 2012, 616 – Echtheitszertifikat (Produktveränderung durch Anbringen eines Original-Echtheitszertifikats auf CD-Hülle). 3 BGH v. 16.5.1952 – I ZR 143/51, GRUR 1952, 521 – Minimax – zum grundsätzlich unzulässigen Wiederbefüllen von Feuerlöschern; BGH v. 10.2.1987 – KZR 43/85, GRUR 1987, 438 – Handtuchspender: unzulässiges Wiederbefüllen fremder Handtuchspender, wenn der Verkehr das Zeichen auf dem Spender auf den Inhalt bezieht (vgl. aber BGH v. 16.3.2006 – I ZR 51/03, GRUR 2006, 763 (764) Rz. 14 ff. – Seifenspender); 4 OLG Düsseldorf v. 31.10.2000 – 20 U 73/00, WRP 2001, 288 (290) – Wiederverwendbare Gaszylinder. 5 öOGH v. 28.9.2006 – 4Ob158/06y, ÖBl. 2007, 70 (72) = ecolex 2007, 267 – Primagaz (Marke auf Deckelinnenseite eines im Boden vergrabenen Tanks). 6 BGH v. 24.6.2004 – I ZR 44/02, GRUR 2005, 162 (163) – Sodastream; EuGH v. 14.7.2011 – Rs. C-46/10, GRUR Int. 2011, 827 – Viking Gas. 7 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf v. 21.2.2013 – I-2 U 72/12 und I-2 U 73/12, GRUR-RR 2013, 185 – Nespressokapsel. 8 EuGH v. 23.5.1978 – Rs. 102/77, Slg. 1978, 1139 = GRUR 1978, 599 – Hoffmann-La Roche/Centrafarm (Valium); EuGH v. 11.7.1996 – Rs. C-427/93, Slg. 1996, I – 3457 = GRUR Int. 1996, 1144 – Bristol-Myes Squibb/Paranova; EuGH v. 11.7.1996 – Rs. C 71–73/94, Slg. 1996, I – 3603 = NJW 1997, 1632 – Eurim-Pharm. 9 EuGH v. 12.10.1999 – Rs. C-379/97, Slg. 1999, I – 6927 = GRUR Int. 2000, 159 – Pharmacia & Upjohn; BGH v. 11.7.2002 – I ZR 219/99, GRUR Int. 2003, 67 – Zantac/Zantic; BGH v. 11.7. 2002 – I ZR 35/00, GRUR Int. 2003, 250 – Aspirin; BGH v. 9.10.2013 – I ZR 99/12, MarkenR 2014, 265 – Micardis.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 172 Teil F
Dabei sieht der BGH wegen des Gefährdungspotenzials schon das Einlegen eines deutschen Beipackzettels oder das Hinzufügen eines Verfallsdatums als „Umverpackung“ an1, das die fünf Anforderungen, insb. die vorherige Unterrichtung des Markeninhabers, auslöst. Das Neuversehen einer Exportware mit einer im Importland abweichenden Marke des gleichen Konzerns fällt zwar nicht unter die normale, markenrechtliche Erschöpfung nach § 24 dtMarkenG, kann aber nach Art. 36 AEUV nach den gleichen Grundsätzen gerechtfertigt sein, falls andernfalls durch die territorial unterschiedlichen Marken eine unnötige und daher objektiv künstliche Marktabschottung vorläge2.
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Ein Beispiel bietet der Fall Zantac/Zantic des BGH v. 11.7.2002 – I ZR 219/99, GRUR Int. 2003, 97 Der Arzneimittelhersteller brachte in Österreich unter Zantac, in Deutschland unter Zantic in Verkehr, weil früher gegen Zantac in Deutschland ein verwechslungsfähiges, älteres Drittzeichen bestand. Der Parallelimporteur aus Österreich kennzeichnete für den Vertrieb in Deutschland mit „Zantic“. Wenn das ältere, hindernde Drittzeichen nicht mehr bestand, wäre diese Neukennzeichnung unnötig und eine nicht durch Art. 36 AEUV legitimierte Zeichenverletzung.
Das Urheberrecht bestimmt die Grenzen der Erschöpfung wiederum anders: Zwar tritt auch hier Erschöpfung des Verbreitungsrechts ein, wenn ein Werkstück mit Zustimmung des Berechtigten in Verkehr gebracht wird. Während in Deutschland und Österreich der Erwerber jedoch ausdrücklich zwar zur Weiterveräußerung, nicht aber zur Vermietung berechtigt ist (§ 17 Abs. dtUrhG; § 16a Abs. 1 öUrhG3), umfasst in der Schweiz die Erschöpfung auch das Vermietrecht, allerdings mit zwei Besonderheiten: (i) Im Falle der Vermietung muss der Erwerber dem Urheber eine zusätzliche Vergütung zahlen (§ 13 schwURG) und (ii) speziell für Computerprogramme entspricht die schweizerische Regelung der deutschen/österreichischen, dh Ausschluß des Vermietrechts (das der Erwerber auch nicht durch Zahlen der zusätzlichen Vergütung erwerben kann, § 13 Abs. 4 schwURG).
171
Im Urheberrecht ist bis heute streitig, inwieweit sich die Erschöpfung nur auf körperliche Werkstücke bezieht oder ob Erschöpfung auch an urheberrechtlichen Werken eintreten kann, die der Erwerber online, per Download, erhalten hat. Für Software dürfte die Streitfrage durch die Entscheidung EuGH Oracle/UsedSoft4, wonach Erschöpfung auch beim Download von Software eintritt und sich diese Erschöpfung auch auf die in der Folge erlangten Updates erstreckt, dem Grunde nach geklärt sein (vgl. im Einzelnen Rz. 352). In der Schweiz entsprach das schon vorher der hM in Rechtsprechung und Literatur5. Für Videos, e-Books und andere online vertriebene urheberrechtliche Werke ist die Rechtslage weiterhin ungeklärt, da der EuGH sich in seiner Oracle/UsedSoft-Entscheidung ausdrücklich auf die Bestimmungen der Softwareschutz-Richtlinie gestützt hat; jüngste Entscheidungen deuten an, dass eine Erschöpfung bei anderen Werken als Software beim Online-Vertrieb eher nicht eintritt6. Eine
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1 BGH v. 19.10.2000 – I ZR 89/98, GRUR 2001, 422 – ZOCOR; BGH v. 29.3.2001 – I ZR 263/98, GRUR 2002, 57 – Adalat. 2 EuGH v. 12.10.1999 – Rs. C-379/97, Slg. 1999, I – 6927 = GRUR Int. 200, 159 – Pharmacia & Upjohn. 3 EuGH v. 28.4.1998 – Rs. C-200/96, Slg. 1998, I – 1953 = CR 1998, 684 – Verbot der CD-Vermietung; BGH v. 7.6.2001 – I ZR 21/99, GRUR 2001, 1036 – Kauf auf Probe steht der Vermietung gleich. 4 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. 5 Kantonsgericht Zug v. 4.5.2011 – ES 2010 822, Adobe/UsedSoft; Neff/Arn in von Büren/David, SIWR, Bd. II/2, 1998, S. 247 f. m.w.N.; Rigamonti, GRUR Int. 2009, 14 (20)); Straub, Softwareschutz, Zürich 2011, Rz. 198 ff.; Streuli-Youssef, Urhebervertragsrecht, Basel/Genf 2006, S. 159. 6 EuGH v. 22.1.2015 – Rs. C-419/13, CR 2015, 180, Rz. 39 – Art & Allposters International, m. Anm. Struwe; verneinend für E-Books in Deutschland OLG Stuttgart v. 3.11.2011 – 2 U 49/11, AfP 2012, 469 = IPRB 2012, 155; OLG Hamm v. 15.5.2014 – 22 U 60/13; OLG Hamburg v. 24.3.
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Brandi-Dohrn 531
Teil F Rz. 173
Handel mit geistigem Eigentum
Unterscheidung zwischen Software einerseits und sonstigen Werken andererseits würde allerdings notwendiger Weise das Folgeproblem aufwerfen, wie Software einzuordnen ist, die – was heute die Regel ist – neben dem Softwarecode weitere urheberrechtlich geschützte Werkgattungen beinhaltet, z.B. Computerspiele. 3. Inverkehrbringen 173
Erschöpfendes Inverkehrbringen liegt vor, wenn die tatsächliche Verfügungsgewalt dauerhaft auf einen freien Dritten übertragen wird. Eine Konzerngesellschaft ist kein freier Dritter, so dass Geschäfte im Konzern nicht zur Erschöpfung führen1. Die vorübergehende miet- oder lizenzweise Gebrauchsüberlassung führt nicht zur Erschöpfung2, es muss sich aber um eine wirklich zeitweilige Lizenz handeln und nicht um Dauerüberlassung nur mit dem Namen „Lizenz“3. 4. Berechtigung
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Verletzendes Inverkehrbringen erschöpft nicht, vielmehr sind die Abnehmer des Verletzers ihrerseits Verletzungsansprüchen wegen Gebrauchens oder Weitervertreibens ausgesetzt. Nur berechtigtes Inverkehrbringen erschöpft, berechtigt ist nicht nur der Schutzrechtsinhaber und sein Lizenznehmer, berechtigt sind auch Tochter- und Schwestergesellschaften im Konzern4. Wenn der Schutzrechtsinhaber oder eine Konzerngesellschaft freiwillig in einem EWR-Land in Verkehr bringen, in dem sie keinen Schutz haben, so wirkt auch dieses Inverkehrbringen erschöpfend in anderen EWRLändern5. Die erschöpfende Erlaubnis zum Inverkehrbringen im geschützten Territorium, z.B. zum (Re-)Import in die EU, kann zwar auch konkludent erteilt werden6, in der Regel muss sie aber ausdrücklich erklärt werden, z.B. in einem Lizenzvertrag7. Erschöpfung tritt nur für die Artikel ein, deren Vertrieb der Schutzrechtsinhaber konkret zugestimmt hat8. Wird die Zustimmung mit Auflagen oder Beschränkungen erteilt, was insb. im Urheberrecht und beim Softwarevertrieb häufig ist, so muss von Fall zu Fall ermittelt werden, ob es sich um besondere Randbedingungen mit nur schuldrechtlicher Wirkung zwischen den Parteien handelt, So wurde geurteilt im Fall BGH v. 6.7.2000, GRUR 2000, 671 – OEM-Version Die Lizenzbeschränkung, das Programm nur mit einem neuen Computer weiterzugeben, wirkte nur schuldrechtlich. Die Überlassung an den OEM-Hersteller erschöpfte gleichwohl Rechte gegen dessen Abnehmer.
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6 7 8
2015 – 10 U 5/11; dagegen bejahend Niederlande: CA Amsterdam v. 20.1.2015, CRi 2015, 47 (48) – Tom Kabinet. OLG Karlsruhe v. 26.8.1998 – 6 U 36/98, GRUR 1999, 343 – REPLAY-Jeans. BGH v. 16.9.1997 – X ZB 21/94, GRUR 1998, 130 (132 aE) – Handhabungsgerät. BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, NJW 2000, 3571 = GRUR 2000, 671 – OEM-Version. BGH v. 21.3.1985 – I ZR 166/82, GRUR 1985, 924 – Schallplattenimport II. EuGH v. 14.7.1981 – Rs. 187/80, Slg. 1981, 2063 = GRUR Int. 1982, 47 – Merck I; EuGH v. 5.12. 1996 – Rs. C-267a und 268/95, Slg. 1996, I – 6285 = GRUR Int. 1997, 250 – Merck II zu Fällen, in denen Arzneimittel in EU-Ländern in Verkehr gebracht worden waren, in denen es damals noch keinen patentrechtlichen Stoffschutz gab. EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-324/08, GRUR 2009, 1159 – Makro; das blosse Schweigen oder Zuwarten mit einer Rechtsverfolgung ist aber keine konkludente Zustimmung, BGH v. 18.1.2012 – I ZR 17/11, GRUR 2012, 928 (Rz. 19) – Honda Grauimport. EuGH v. 20.11.2001 – Rs. C 414/99, GRUR 2002, 156 (159) – Davidoff; C-416/99 – Levi Strauss, Slg. 2001, I – 8691 = GRUR 2002, 156; v. 23.4.2009 – Rs. C-59/08, GRUR 2009, 593 (Rz. 44) – Copad/Dior. EuGH v. 1.7.1999 – C-173/98, Slg. 1999, I – 4103 = GRUR Int. 1999, 870 – Sebago; öOGH v. 9.9. 1975 – 4Ob331/75: keine Erschöpfung bei Schenkung mit der Vereinbarung, dass das Werk in der Privatsphäre des Empfängers bleiben soll.
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Völker- und europarechtlicher Rahmen
Rz. 179 Teil F
Es kann auch eine territorial oder ihrer Art nach beschränkte Lizenz vorliegen, bei deren Überschreitung das Recht nicht erschöpft gegen Dritte fortbesteht1. Ist streitig, ob der Berechtigte erschöpfend in Verkehr gebracht hat, z.B. ob der beklagte Parallelimporteur innerhalb der EU erworben oder von einem Drittland aus eingeführt hat, so liegt die Beweislast grundsätzlich beim Parallelimporteuer, der sich auf die Erschöpfung beruft2. Dieser Grundsatz wird allerdings durchbrochen, wenn das Offenlegen der innereuropäischen Bezugsquelle eine Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte bergen würde, insbesondere bei exklusiven oder selektiven Vertriebssystemen3. In diesem Fall muss zunächst der Schutzrechtsinahber beweisen, dass diese Ware außerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurde, der Parallelimporteuer sodann das Vorliegen der Zustimmung zum Reimport.
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5. Nationale Besonderheiten, territoriale Wirkung der Erschöpfung Die Erschöpfung im Patentrecht betraf ursprünglich nur das Recht aus dem inländischen Schutzrecht. Ein berechtigtes In-Verkehrbringen im Ausland erschöpfte daher das nationale Schutzrecht nicht4. Anders war es im Markenrecht. Dort galt früher der Grundsatz der internationalen Erschöpfung5: Die Ware durfte unter der Marke im Inland frei zirkulieren, wenn sie irgendwo auf der Welt mit Zustimmung des Markeninhabers in Verkehr gebracht worden war.
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Nach der Rechtsprechung des EuGH tritt bei allen Schutzrechten EWR-weite Erschöpfung ein, wenn der Schutzrechtsinhaber eine Ware in der EU bzw. dem EWR, selbst oder durch Dritte mit seiner Zustimmung, in Verkehr bringt. Das gilt auch im Markenrecht, abweichend von der früher weltweiten deutschen markenrechtlichen Erschöpfungslehre6.
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Diese EU-weite Erschöpfung gilt für die EU-Mitglieder Deutschland und Österreich. Anders ist es in dem Nicht-EU-Land Schweiz: Dort gilt im Urheber-7 und Markenrecht8 die internationale Erschöpfung. Die frühere Rechtsprechung des schwBG zur nur nationalen Erschöpfung im Patentrecht gilt seit 1.7.2009, der Revision des schwPatG, nicht mehr. In § 9a schwPatG hat die Schweiz den Grundsatz der EWRweiten Erschöpfung übernommen. Lediglich für Waren, deren Preis entweder in der Schweiz oder im Land des Inverkehrbringens staatlich festgelegt ist, bleibt es beim Grundsatz der nationalen Erschöpfung (§ 9a Abs. 5 schwPatG). Ein pharmazeutisches Unternehmen könnte sich also bei staatlicher Preisfestsetzung unterliegenden Arzneimitteln, die in Deutschland in Verkehr gebracht wurden, einem Re-Import in die Schweiz entgegen stellen.
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Einstweilen frei.
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1 So z.B. BGH v. 12.12.1991, GRUR 1992, 310 – Taschenbuchausgabe – als dinglich wirkende Lizenzbeschränkung auf eine eigenständige Nutzungsart. 2 BGH v. 23.10.2003 – I ZR 193/97, GRUR Int. 2004, 440 = GRUR 2004, 156 (157) – Stüssy II (Markenrecht); BGH v. 3.3.2005 – I ZR 133/02, GRUR 2005, 505 (506) = ZUM 2005, 475 – Atlanta (Urheberrecht). 3 EuGH v. 8.4.2003 – Rs. C-244/00, Slg. 2003, I – 3525 = GRUR 2003, 512 – stüssy; BGH v. 15.3. 2012 – I ZR 137/10, GRUR 2012, 630 – CONVERSE II. 4 BGH v. 29.2.1968 – Ia ZR 49/65, GRUR 1968, 195 – Voran; BGH v. 3.6.1976 – X ZR 57/73, GRUR 1976, 579 – Tylosin. 5 BGH v. 2.2.1973 – I ZR 85/71, GRUR 1973, 468 – Cinzano. 6 EuGH v. 16.7.1998 – Rs. C 355/96, Slg. 1998, I – 4799 = GRUR Int. 1998, 695 – Silhouette; gegen EFTA-Gerichtshof v. 3.12.1997, Mitt. 1998, 188 – Mag Instrument. Zur nur noch EG-weiten Erschöpfung im Markenrecht auch BGH v. 14.12.1995 – I ZR 210/93, GRUR 1996, 271 = NJW 1996, 994 – gefärbte Jeans. 7 Schweizer BG v. 20.7.1998, BGE 124 III 321 = GRUR Int. 1999, 362 – Nintendo. 8 Schweizer BG v. 23.10.1996, BGE 122 III 469 = GRUR Int. 1998, 520 – Chanel.
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Brandi-Dohrn 533
Teil F Rz. 180
Handel mit geistigem Eigentum
Kapitel 2. Technologietransfer-Verträge Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Allgemeines zur Patent- und Know-how-Lizenz und Patentkaufverträgen 180
Die nachfolgenden Ausführungen gelten gleichermaßen für Gebrauchsmuster und Sortenschutzrechte mit der Maßgabe, dass es Gebrauchsmuster als Gegenstand von Kauf oder Lizenz in Deutschland und Österreich gibt, nicht jedoch in der Schweiz. Die Know-how-Lizenz ist mit der Patentlizenz eng verwandt, unterscheidet sich von ihr aber im Grad der Ausschließlichkeit. Know-how ist kein absolutes Ausschlussrecht gegen Dritte. 1. Kauf, Lizenz, bloße Gestattung
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Es gibt in allen Rechtsordnungen einmal die Vollübertragung nach § 15 dtPatG, Art. 33 schwPatG, § 33 öPatG, die eine Rechtsübertragung nach §§ 413, 398 BGB, § 425 ABGB, Art. 164 ff. OR darstellt, und sodann die mehr oder minder eingeschränkte Einräumung von Nutzungsrechten, die Lizenz; von dieser wird in der neueren Rechtsprechung die (schuldrechtliche) Gestattung abgegrenzt. Die gleichen Bestimmungen gelten für die europäischen Patente, da sie nach Art. 2 Abs. 2 EPÜ in jedem Vertragsstaat, für den sie erteilt worden sind, die gleichen Wirkungen haben und den gleichen Vorschriften unterliegen wie nationale Patente. Europäische Patentanmeldungen unterliegen im Anmeldestadium dem EPÜ, können aber nach Art. 71–74 EPÜ länderweise übertragen oder lizenziert werden. Auch das Recht auf Inanspruchnahme der Priorität kann rechtsgeschäftlich übertragen werden1. Der Vollübertragung liegt meist ein schuldrechtliches Rechtskaufgeschäft nach §§ 453, 433 ff. BGB zugrunde.
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Die Lizenz kann sich als so genannte Negativlizenz auf einen bloßen Verzicht auf das Verbietungsrecht beschränken und enthält dann darüber hinaus für den Lizenzgeber keinerlei Verpflichtungen; oder sie kann als positive Lizenz positive Nutzungsrechte mit Obhuts-, Aufrechterhaltungs- und Gewährleistungspflichten des Lizenzgebers zum Inhalt haben. Die Know-how-Lizenz ist wesensmäßig eine positive Lizenz. Sie verpflichtet zum aktiven Wissenstransfer. Besonders häufig ist die gemischte Knowhow-/Patentlizenz. Die positive Lizenz wird teils als kaufähnlicher Vertrag2, teil als Rechtspacht3, in Österreich entsprechend als „Bestandsvertrag“ nach § 1090 ABGB4, überwiegend wohl als ein der Rechtspacht ähnlicher Vertrag sui generis angesehen5. Letzterer Auffassung wird auch hier gefolgt, da die Lizenz in der Rechtsprechung besondere Ausprägungen gefunden hat.
183
Nach der neuen Rechtsprechung des BGH ist jedoch nicht jede Gestattung, ein Schutzrecht zu nutzen, eine Lizenz, wie das früher allgemein angenommen wurde. Diese ist vielmehr insbesondere abzugrenzen von der bloßen schuldrechtlichen (einseitigen) Gestattung/Einwilligung6. Letztere kommt insbesondere aber keineswegs nur im Bereich 1 BGH v. 16.4.2013 – X ZR 49/12, GRUR 2013, 712 – Fahrzeugscheibe. 2 Nirk, GRUR 1970, 392 (333); Malzer, GRUR 1971, 96 (99); Kraßer/Schmid, GRUR Int. 1982, 324 (336). 3 Pfaff, BB 1974, 565; Groß, Der Lizenzvertrag, 11. Aufl. Frankfurt/M. 2015, Rz. 20 ff. 4 Liebscher, Lizenzverträge, Wien 2001, S. 19 ff. 5 Ullmann/Deichfuß in Benkard, Kommentar zum Patentgesetz, § 15 PatG Rz. 81; Henn, Patentund Know-how Lizenzvertrag, 5. Aufl. 2003, S. 56, 62; Bartenbach, Rz. 61; K. Troller, Grundzüge des schweizerischen Immaterialgüterrechts, 2. Aufl. Basel, 2005, S. 293. Für Österreich VerwGH v. 24.9.1952, Öst.PatBl. 1952, 162; OGH v. 28.11.1978 – 4 Ob 347 u. 377/78, ÖBl. 1979, 94 = GRUR Int. 1980, 242 – Guhl. 6 Vgl. grundlegend zu den verschiedenen Graden der Nutzungsrechtseinräumung Ohly, GRUR 2012, 983 ff., insbes. S. 987.
534 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 185 Teil F
der Nutzung von Werken im Internet vor1. Die bloße (einseitige) Gestattung unterscheidet sich von der „echten“ Lizenz im Wesentlichen darin, dass der Gestattende keinerlei Haftung für Bestand oder Gebrauchsmöglichkeit des Schutzrechts gewährt. Andererseits gilt für die Gestattung nicht der im Lizenzrecht geltende Grundsatz, dass im Verhältnis der Parteien zueinander Nutzungshandlungen des Lizenznehmers, die zum Erwerb von Rechten führen (insbesondere der Erwerb von Markenrechten durch Benutzung), ausschließlich dem Lizenzgeber zu Gute kommen; der Nutznießer einer bloßen Gestattung kann also eigene Benutzungsmarken erwerben. Beweispflichtig für das Vorliegen eines echten Lizenzvertrages ist der Lizenznehmer, wobei der BGH angesichts der Bedeutung derartiger Verträge im kaufmännischen Geschäftsverkehr im Regelfall einen schriftlichen Vertrag verlangt2. 2. Formvorschriften Im Allgemeinen bedarf weder die Patentübertragung noch die Patentlizenz einer besonderen Form mit zwei Ausnahmen3: In der Schweiz ist zwar die Lizenz formfrei, Art. 34 schwPatG, die Übertragung eines Patentes/einer Patentanmeldung bedürfen jedoch der Schriftform, Art. 33 schwPatG. Die Übertragung einer europäischen Patentanmeldung bedarf ebenfalls nach Art. 72 EPÜ der Schriftform4, also beidseitiger Unterzeichnung. Dagegen bedarf weder die Übertragung des Rechts auf das (europäische) Patent der Schriftform5 noch die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer nationalen Patentanmeldung – auch nicht, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll6. Jedoch ist wegen der vorstehenden neuen Rechtsprechung des BGH dringend zu einer schriftlichen Dokumentation des Vertragsschlusses zu raten, damit die Nutzungsrechtseinräumung nicht als bloße Gestattung qualifiziert wird.
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Die Übertragung wird auf Antrag in das Patentregister (deutsch: die Patentrolle) eingetragen. Die Umschreibung im Register bzw. der Rolle ist in Deutschland und der Schweiz notwendig, damit der Erwerber für Klagen gegen Drittverletzer bei Gericht legitimiert ist, § 30 Abs. 3 Satz 3 dtPatG, Art. 33 Abs. 3 schwPatG. Die Verletzungsklage muss entweder durch den Eingetragenen erhoben sein, oder der Eingetragene muss den Kläger im Wege der Prozessstandschaftserklärung ermächtigt haben7. Die Eintragung erfordert als Nachweis des Inhaberwechsels, in Deutschland die einfache schriftliche Umschreibungsbewilligung des Abgebenden; insofern ist also einseitige Schriftform nötig. In Österreich sind privatschriftliche Urkunden zu beglaubigen (§ 43 Abs. 6 öPatG). Auch ausschließliche Lizenzen können in die Patentrolle nach § 30 Abs. 4 dtPatG eingetragen werden. Dies ist jedoch in Deutschland nicht üblich, weil die Eintragung 1 BGH v. 19.10.2011 – I ZR 140/10, GRUR 2012, 602 – Vorschaubilder II: Wer eigene Bilder ohne Zugriffssperre ins Internet setzt, erklärt sich mit im Internet üblichen Nutzungsformen (hier: Verlinken) einverstanden. BGH v. 27.3.2013 – I ZR 93/12, GRUR 2013, 1150 (Rz. 50 f.) – Baumann: Lizenzierung/Gestattung eines Unternehmenskennzeichens; BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 31) – Ecosoil. 2 BGH v. 27.3.2013 – I ZR 93/12, GRUR 2013, 1150 (Rz. 51) – Baumann; BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 31) – Ecosoil. 3 Das Schriftformerfordernis nach § 34 GWB aF wurde in Deutschland 1999 abgeschafft. 4 BGH v. 23.6.1992 – X ZR 98/90, GRUR 1992, 692 – Magazinbildwerfer: die einseitige notarielle Umschreibungsbewilligung des Abgebenden reichte für die Übertragung des parallelen deutschen Gebrauchsmusters, nicht aber für die Übertragung der zugehörigen europäischen Patentanmeldung. 5 LG Düsseldorf v. 14.11.2006 – 4a O 406/06, GRUR Int. 2007, 347 – Medizinisches Instrument. 6 BGH v. 16.4.2013 – X ZR 49/12, GRUR 2013, 712 – Fahrzeugscheibe. 7 In Österreich gibt es die gewillkürte Prozessstandschaft nicht, es genügt der Nachweis des Übertragungsvertrags oder der eingeräumten Klagebefugnis auch vor Eintrag in das Register: OGH v. 12.2.1991 – 4 Ob 173/90, ÖBl. 1991, 153 = GRUR Int. 1992, 131 – Duschtrennwand.
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Teil F Rz. 186
Handel mit geistigem Eigentum
nicht konstitutiv wirkt und eine früher erteilte Lizenz allemal gegen den späteren Erwerber des Patents fortwirkt – § 15 Abs. 3 dtPatG. Anders in Österreich und der Schweiz: dort hängt nach französischem Vorbild die Wirkung der Lizenz gegen gutgläubige Dritte, nämlich späteren Erwerbern des Schutzrechtes, von der Eintragung ab – § 43 Abs. 1, 2 öPatG, Art. 34 Abs. 3 schwPatG. Die Eintragung ist in Österreich jedoch keine Voraussetzung für das Klagerecht gegen Dritte, die Verletzer sind. Das Klagerecht steht dem nicht eingetragenen Lizenznehmer implizit zu, wenn er ausschließlicher Lizenznehmer ist und dem einfachen, wenn es ihm eingeräumt worden ist1. 3. Einfache und ausschließliche Lizenz 186
Lizenzen können voll ausschließlich sein (Exklusivlizenz) oder ein Alleinrecht gewähren (sole licence) oder einfach, nichtausschließlich, sein. Die voll ausschließliche Lizenz schließt auch den Schutzrechtsinhaber selbst von der Nutzung des Schutzrechtes aus. Sie kommt der Vollübertragung sehr nahe, unterscheidet sich von ihr aber dadurch, dass der Lizenzgeber als Inhaber in Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren verteidigungsbefugt bleibt und – häufig regeln die Parteien das abweichend – die Jahresgebühren zur Aufrechterhaltung des Rechts zahlt. Laufende, umsatzabhängige Gebühren können zwar auch bei der Vollübertragung vereinbart werden, sind dort aber anders als bei der Lizenz wirtschaftlich die Ausnahme. Bei der ausschließlichen Know-howLizenz ist die Ausschlusswirkung gegen Dritte so nicht gegeben: Schutz besteht nur gegen wettbewerbswidrige Aneignung, nicht aber gegen Parallelentwicklung oder gegen Nachbau nach wettbewerbskonformer Lüftung des Geheimnisses, z.B. Analyse oder Demontage eines freien Marktproduktes.
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Bei der Alleinlizenz sind Schutzrechtsinhaber und alleiniger Lizenznehmer nutzungsberechtigt. Weitere Lizenznehmer können nicht zugelassen werden. Bei der einfachen Lizenz kann der Schutzrechtinhaber beliebige weitere Lizenzen vergeben. Hier sind für die früheren Lizenznehmer Meistbegünstigungsklauseln2 interessant, für den Lizenzgeber aber lästig, auch dann, wenn sie nur für die Gebührenhöhe gelten und nicht für alle Vertragsbedingungen. 4. Europäisches Kartellrecht
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Das europäische Kartellrecht enthält eine sehr detaillierte Regelung, welche Klauseln in Lizenzverträgen zulässig, unzulässig und möglicherweise zulässig sind. Die Struktur des europäischen Kartellrechts in Bezug auf Lizenzverträge ist folgende. a) Art. 101 AEUV
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Nach Art. 101 Abs. 1, AEUV sind verboten: Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen, gleich ob es sich um horizontale oder vertikale Vereinbarungen handelt. Vereinbarungen zwischen Privatpersonen werden nicht erfasst, 1 OGH v. 12.2.1991 – 4 Ob 173/90, ÖBl. 1991, 153 = GRUR Int. 1992, 131: Duschtrennwand zur Patentlizenz und zur markenrechtlichen Lizenz: OGH v. 15.2.2000, ÖBl. 2000, 178 – BOSS-Brillen I; OGH v. 17.8.2000, ÖBl. 2001, 89 – BOSS-Brillen II; OGH v. 15.10.2002, ÖBl. 2003, 87 – Brühl – sowie Hiti in Anmerkung zu Brühl und in „Drittwirkung von Marken- und Patentlizenzen“ in ÖBl. 2003, 1. 2 Meistbegünstigungsklauseln sind wohl unbedenklich unter dem neuen unbedingten Vorrang des EG-Rechts. Sie waren nach Art. 2 Nr. 10 TTVO 240/96 freigestellt und waren in den Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 EGV auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EG Nr. C 101/2004, S. 2 nicht problematisiert. Dies hat sich auch nach den neuen Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EU 2014/C 89/03 nicht geändert.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 191 Teil F
kommen bei Lizenzverträgen aber auch kaum vor. Es muss sich um Unternehmen als getrennte, selbständige Rechtspersönlichkeiten handeln. Konzerngesellschaften, die miteinander eine wirtschaftliche Einheit bilden, sind in ihren Rechtsbeziehungen untereinander im Regelfall keine eigenständigen Unternehmen, weder nach Art. 101 AEUV noch im Hinblick auf irgendwelche Beschränkungen bei den Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO)1. Konzerngesellschaften werden in Art. 1 Abs. 2 der Gruppenfreistellungsverordnung Technologietransfer (GVO-TT) – als „verbundene Unternehmen“ definiert. Das sind Mutter-, Tochter- und SchwesterUnternehmen, bei denen die Mutter mehr als 50 % des Kapitals, der Stimmen oder des Leitungsorgans besitzt bzw. stellt oder das Recht hat, die Geschäfte der Tochter zu führen2. Der Nachteil dieser Verbundklausel ist, dass die Marktanteile der verbundenen Unternehmen für das Eingreifen oder Nichteingreifen der Gruppenfreistellung zusammengerechnet werden.
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Art. 101 AEUV ist unmittelbar und mit Vorrang vor nationalem Recht anwendbar, wenn der Vertrag geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinflussen. Das wird nach einer weiten Formel bei solchen Vereinbarungen bejaht, bei denen sich anhand einer Gesamtheit objektiver, rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne – spürbar – beeinflussen können3. Nach der Zwischenstaatlichkeitsklausel sind daher EU-relevant: – Lizenzverträge über mehrere EU-Parallelpatente oder nationale Anteile von europäischen Patenten in mehreren EU-Mitgliedstaaten, wenn sie über die bloße Pflicht zur Lizenzzahlung hinaus begrenzende Klauseln oder Verpflichtungen enthalten, z.B. Ausschließlichkeit, Gebietsbeschränkungen, insbesondere Preisstellungen; – der ausschließliche Einzellizenzvertrag eines Herstellerunternehmens über die Grenze hinweg, z.B. deutscher Produzent nutzt sein Patent in Deutschland selbst und erteilt eine Lizenz an Dritte für Frankreich; regelmäßig jedoch nicht die Lizenz eines Privaterfinders aus einem Mitgliedsstaat an ein Unternehmen eines anderen Mitgliedsstaates; – Wird eine Technologie mit einem eigenen Markt etwa nur für Deutschland ausschließlich lizenziert, dann kann das einen großen Markt in der EU für Andere sperren. Auch wenn in einem solchen Fall weitergehende Ein- oder Ausfuhrbeschränkungen nicht vereinbart sind, kommt ein Eingreifen der EU-Kommission dennoch in Betracht, wenn der gemeinsame Marktanteil der Vertragsparteien 5 % oder das Lizenzproduktvolumen von Lizenzgeber und Lizenznehmer 40 Mio. Euro überschreitet4.
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Da das nationale Recht dem EU-Recht folgt, ist das Merkmal der spürbaren Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels nurmehr eine Frage der Entscheidungskom1 EuGH v. 12.7.1984 – Rs. 170/83, Slg. 1984, 2999, 3016 – Hydrotherm/Compact: Mehrere Konzerngesellschaften auf einer Vertragsseite zählen nur als eine Vertragspartei; EuGH v. 4.5.1988 – Rs. 30/87, Slg. 1988, 2479 – Bodson/Pompes funèbres, Tz. 19 und Ls. 4. 2 GVO-TT Art. 1 Abs. 2: a – Tochter, b – Mutter, c – Schwester. 3 Vgl. Nr. 23 der Leitlinien der Kommission zum zwischenstaatlichen Handel, ABl. EG Nr. C 101/2004, S. 82. Ferner aus der Rspr.: EuGH v. 19.4.1988 – Rs. 27/87, NJW 1989, 3084 – La Hesbignonne für einen ausschließlichen Sortenschutzlizenzvertrag für Belgien mit Exportverbot und Mindestpreisfestsetzungen; EuG v. 14.7.1994 – Rs. T-77/92, Slg. 1994 II 549 – Parker Pen (Tz. 39); EuGH v. 6.4.1995 – Rs. C-241/91 P, C-242/91 P, Slg. 1995 I 747 – Magill: Es genügt die Eignung auch ohne aktuelle Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Im Magill-Fall betraf der Missbrauch durch Lizenzverweigerung nur Irland und Nordirland. Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels wurde bejaht. 4 Leitlinien der Kommission zum zwischenstaatlichen Handel, ABl. EG Nr. C 101/2004, Nr. 52.
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Teil F Rz. 192
Handel mit geistigem Eigentum
petenz; materielle Bedeutung hat dies mittelbar allerdings insoweit, als die EU-Kommission in ihrer Bagatellbekanntmachung zum Teil großzügigere Nichtaufgreifensschwellen festlegt als etwa das deutsche BKartA in seiner. Da das BKartA nach der dtKartellVO Verstöße nicht strenger verfolgen darf, als das EU-Recht vorgibt, sperrt die Kommission zumindest solche Fälle, für die sie wegen der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels zuständig ist. 192
Maßstab für eine Wettbewerbsbeschränkung ist einmal, ob die Vereinbarung den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb auf dem Markt austauschbarer Güter beschränkt, der ohne die Vereinbarung bestanden hätte, und sodann, ob die enthaltenen Beschränkungen den ohne sie möglichen Wettbewerb beschränken, ohne objektiv notwendig, nämlich als Hilfsklauseln vernünftig, zu sein1. Es wird also für Nebenbestimmungen (ancillary clauses) eine „rule of reason“ angewandt.
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In allen diesen Fällen muss für die Anwendung des EU-Kartellrechts die Beeinträchtigung des Wettbewerbs spürbar sein2. Die de-minimis-Bekanntmachung der Kommission3 legt bestimmte Marktanteilsschwellen fest, unterhalb derer die Kommission (außer bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen) nicht tätig wird, auch wenn die Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, in denen die Kommission also davon ausgeht, dass der Wettbewerb nicht spürbar beeinträchtigt wird (siehe hierzu Teil M, Rz. 22 ff.). Trotz der „Sperrwirkung“ des Art. 3 Abs. 2 der KartellVO Nr. 1/2003 sind die nationalen Kartellbehörden und Gerichte jedoch nicht gehindert, eine Lizenzvereinbarung als wettbewerbswidrig zu beurteilen und zu untersagen, wenn die Schwellen der de-minimis-Bekanntmachung unterschritten werden. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist zwar nur anwendbar, wenn die Vereinbarung den Markt mehr als nur geringfügig beeinträchtigt; nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (i) sind die Marktanteilsschwellen der de-minimis-Bekanntmachung hierfür aber bestenfalls ein Indiz und (ii) stellen Vereinbarungen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken (und nicht lediglich bewirken), immer eine spürbare Beschränkung dar4. Soweit also die Lizenzvereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, können Marktteilnehmer in der Praxis aus der de-minimis-Bekanntmachung weder gegenüber der EU-Kommission noch gegenüber etwaigen Verfahren nationaler Behörden oder Gerichte etwas für sich herleiten. OB eine Vereinbarung die Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, richtet sich nicht nach den subjektiv verfolgten Absichten oder Beweggründen, vielmehr ist der objektive Zweck der Regelung unter Berücksichtigung der rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu ermitteln. Bestehen objektive Gründe für die Klausel, die keinen unmittelbaren Bezug zu einer Wettbewerbsbeschränkung haben, spricht das gegen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Die Kommission zählt im Lizenzvertragsrecht insbesondere sämtliche Kernbeschränkungen im Sinne der GVOen zu den bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen5. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nach der Rechtsprechung des BGH bestimmte – nicht spürbare und daher kartellrechtlich unbedenkliche – Klauseln, insbesondere nachvertragliche Wettbewerbsverbote schon nach § 138 BGB nichtig sind, wenn die 1 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zu Art. 81 Abs. 3 EG, ABl. EG Nr. C 101/2004, S. 97; Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 EG auf Technologietransfer-Vereinbarungen ABl. EG Nr. C 101/2004, Tz. 11. 2 EuGH v. 19.4.1988 – Rs. 27/87, NJW 1989, 3084 – La Hesbignonne zu einem Lizenzvertrag; EuGH v. 25.11.1971 – Rs. 22/71, Slg. 1971, 949 – Beguelin zu einem Alleinvertriebsvertrag. 3 De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission v. 30.8.2014, ABl. EG Nr. C 291/2014, S. 1 ff. 4 EuGH v. 13.12.2012 – Rs. C-226/11 (Rz. 16 f.) – Expedia; Esken, WRP 2013, 443; ebenso jetzt Nr. 2 der De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission. 5 Nr. 13 De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission; siehe auch Teil M, Rz. 23; ausführlich zum Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ Heinrich/Ströbl, BB 2014, 2506 ff.; Fiebig, WuW 2015, 462 ff.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 195 Teil F
Voraussetzungen eines Kartellverstoßes vorliegen, ohne dass es dann auf die Spürbarkeit ankommt1. Art. 101 Abs. 3 AEUV sieht eine Freistellung vom Kartellverbot für nützliche Vereinbarungen vor, wenn sie zwar Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, diese aber – der Verbesserung der Warenerzeugung oder –verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen (nützliche Zwecke) und – die Verbraucher am entstehenden Gewinn angemessen beteiligt werden und – wenn keine Beschränkungen auferlegt werden, die für die nützlichen Zwecke nicht unerlässlich sind, und – wenn die Vereinbarungen nicht die Möglichkeit eröffnen, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschließen.
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Die in den nachfolgend näher beschriebenen GVOen aufgeführten sog. „Kernbeschränkungen“ sind nicht nützlich und prinzipiell nicht unerlässlich. Lizenzvereinbarungen mit Kernbeschränkungen sind daher prinzipiell nicht freistellungsfähig. b) Die Kartellverordnung Nach dem System der EG-Kartell-VO2 erteilt nicht die EU-Kommission nach Prüfung des Lizenzvertrags eine Freigabe, sondern die Parteien eines Lizenzvertrages müssen selbst einschätzen, ob Vereinbarungen eines Vertrages kartellwidrig sind. Da insbesondere die Einschätzung, ob eine Klausel unter die Ausnahmeregelungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV fällt, mit erheblichen Unsicherheiten belastet ist, hat die Kommission zwei Arten von Instrumenten geschaffen – die Gruppenfreistellungsverordnungen (dazu unter Rz. 197) und Erläuterungen zur Auslegung des Art. 101 Abs. 3 AEUV, die sog. „Leitlinien“3. Diese Leitlinien sind keine förmlichen Rechtsvorschriften. Sie sind für die Gerichte also nicht verbindlich. Sie haben aber als Rechtsauslegung der Kommission die Autorität der Sachkunde und sie bewirken eine Selbstbindung der Kartellbehörden bis auf weiteres, weil die Behörden sich in der Einzelfallbeurteilung an ihre eigenen publizierten Bekanntmachungen halten müssen4. Nach wohl hM steht allerdings den Unternehmen bei ihrer Selbsteinschätzung – anders als früher der Kommission – kein Beurteilungsspielraum zu5. Denn nicht nur die nun auch im Bereich von Art. 101 Abs. 3 AEUV vorgesehene richterliche Entscheidungskompetenz, sondern auch der Neutralitätsunterschied zwischen Kommission und selbsteinschätzendem Unternehmen verbieten einen solchen Beurteilungsspielraum für das dem Recht unterworfene Individuum. Kernelemente der EG-Kartell-VO sind: – Art. 1 Abs. 2 EG-Kartell-VO: Die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV wirkt von selbst, ohne vorherige Entscheidung, als Legalausnahme vom Kartellverbot. – Art. 3 Abs. 1, 5, 6 EG-Kartell-VO: Die nationalen Kartellbehörden (z.B. in Deutschland das BKartA in Bonn; in Österreich die Wettbewerbskommission in Wien) und Gerichte wenden Art. 101 Abs. 1 AEUV = Verbot und – das ist neu – Art. 101 Abs. 3 AEUV = Legalausnahme unmittelbar an, wenn eine Vereinbarung den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen kann. Ist der zwischenstaatliche Handel nicht 1 BGH v. 10.12.2008 – KZR 54/08, WuW/E DE-R 2554 – Subunternehmervertrag II. 2 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates v. 16.12.2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG Nr. L 1/2003, S. 1 ff. 3 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV, ABl. EG Nr. C 2004, 101/08 und C 2004 101/07; dazu Müller, Neue Leitlinien zu Anwendung des Art. 81 III EG im Legalausnahmensystem der Kartellverordnung 1/2003, WRP 2004, 1472. 4 Müller, WRP 2004, 1472 (1477). 5 Vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 1. EU, Teil 2, 5. Aufl. 2012, Art. 1 VO 1/2003, Rz. 31 mit Nachw. zum Streitstand.
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195
Teil F Rz. 196
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Handel mit geistigem Eigentum
beeinträchtigt, so verfahren die nationalen Kartellbehörden ebenso, nur auf der Basis etwa des § 2 GWB. Art. 3 Abs. 2 EG-Kartell-VO bestimmt den Vorrang in der Anwendung des EU-Kartellrechts im Bereich des zwischenstaatlichen Handels: was dort EU-rechtlich erlaubt ist, darf national nicht verboten werden. Um den Vorrang auch behördlich sicher zu stellen, informieren die nationalen Kartellbehörden bei ihrer Anwendung des EU-Kartellrechts die Kommission und diese kann ein Verfahren zu Lasten der nationalen Behörde an sich ziehen, Art. 11 Abs. 6 EG-Kartell-VO. Art. 2 EG-Kartell-VO – Beweislast: Für das Verbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ist die Behörde beweispflichtig, für die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV das betroffene Unternehmen. Art. 10 EG-Kartell-VO: Freistellungsentscheidungen auf Einzelantrag gibt es nicht mehr, allenfalls Freistellungen im öffentlichen Interesse. Art. 29 EG-Kartell-VO: Die Kommission kann den Vorteil einer GVO durch Einzelfallentscheidung entziehen, wenn die Vereinbarung Wirkungen hat, die mit Art. 101 Abs. 3 AEUV unvereinbar sind.
Die EG-KartellVO schreibt einen absoluten Vorrang für das Europäische Kartellrecht vor. Als EG-Verordnung ist sie in Deutschland unmittelbares, vorrangig geltendes Recht. Damit ist für kartellvertragliche nationale Sonderregelungen kein Platz mehr. Es gilt also für deutschem oder österreichischem Kartellrecht unterliegende Lizenzverträge, aber auch für alle anderen Verträge, Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen nur noch das EU-Kartellrecht, jedoch ohne Bezugnahme auf den zwischenstaatlichen Handel. Das dtGWB wurde mit Wirkung zum 1.7.2005 sprachlich entsprechend angepasst. Wegen des Vorrangs des EU-Kartellrechts entspricht § 1 dtGWB bis auf die (unten zur Verdeutlichung in Klammern mit aufgenommene) Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels voll dem Art. 101 Abs. 1 AEUV. § 1 dtGWB lautet: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, (welche den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und) die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“
Beide, sowohl Art. 101 AEUV wie auch § 1 dtGWB erfassen gleichermaßen horizontale wie vertikale Verträge, also sowohl Verträge zwischen Unternehmen auf der gleichen Marktstufe wie auch auf unterschiedlichen Marktstufen. § 2 Abs. 1 dtGWB regelt die Voraussetzungen für Legalausnahmen, mit einer dynamischen Verweisung auf das – nachfolgend erörterte – EU-Sekundärrecht zu Art. 101 Abs. 3 AEUV: „Bei der Anwendung von Abs. 1 gelten die Verordnungen des Rates oder der Europäischen Kommission über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Gruppenfreistellungsverordnungen) entsprechend. Dies gilt auch, soweit die dort genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beeinträchtigen.“ „Dynamisch“ heißt die Verweisung, weil sie auch künftige Gruppenfreistellungsverordnungen oder deren künftige Änderungen einbezieht. In der sog. Bagatellbekanntmachung Nr. 18/2007 vom 13.3.20071 hat das Bundeskartellamt Marktanteilsschwellen festgelegt, bei deren Unterschreiten das BKartA kartellwidrige Absprachen in der Regel wegen der geringfügigen Auswirkungen auf den 1 Hierzu ausführlich Pfeffer/Wegner, BB 2007, 1173 ff.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 197 Teil F
Markt nicht im Wege der Missbrauchsaufsicht beanstandet. Das BKartA weist jedoch selbst darauf hin, dass solche Absprachen dennoch zivilrechtlich wegen Verstoßes gegen das dtGWB nichtig sein können, da die Bekanntmachung des BKartA die Gerichte in ihrer Beurteilung nicht bindet, ob ein Verstoß gegen das GWB vorliegt. c) Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) Art. 103 AEUV ermächtigt den Rat zum Erlass von Ausführungsverordnungen zu Art. 101 AEUV. Der Rat hat die Kommission in der Rats-Verordnung 19/65 ermächtigt, Gruppenfreistellungsverordnungen für Vertikal- und Lizenzverträge zu erlassen, und in der Rats-VO Nr. 2821/71 solche für Horizontalverträge. Auf der Grundlage dieser Ermächtigungen hatte die Kommission in der Vergangenheit zur Verwaltungsvereinfachung bestimmte Vertragstypen und -klauseln generell für gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV kartellkonform erklärt. Im System der EG-Kartell-VO sind Gruppenfreistellungen eigentlich systemwidrig, da die Kommission gar nicht mehr die Befugnis hat, bestimmte Vertragsgruppen konstitutiv vom Kartellverbot zu befreien. Sie werden aber als historisch überkommen fortgeführt und tragen zur Rechtssicherheit bei1. Die Systemänderung spiegelt sich bei den GVOen darin wider, dass die GVOen „alten Typs“ einen Katalog von sog. „weißen“, also freigestellten Klauseln neben einem Katalog von sog. „schwarzen“, also nicht gruppenweise freigestellten Klauseln enthielten. Demgegenüber enthalten die GVOen „neuen Typs“ eine Grundfreistellung bestimmter horizontaler oder vertikaler Vertragstypen, wenn die Vertragsbeteiligten bestimmte Marktanteilswerte nicht überschreiten, verbunden mit einem Katalog schwarzer, also nicht freigestellter und in der Regel auch nicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freistellungsfähiger Klauseln. Listen weißer Klauseln fehlen. Unterhalb der Marktanteilsschwellen ist also der Vertragstyp generell freigestellt, wenn die Vereinbarung keine schwarze Klausel enthält. Überschreiten die Vertragsbeteiligten die Marktanteilsgrenzen, mit den dazu formulierten Toleranzmargen, so heißt das nicht, dass ihre Vereinbarung kartellrechtswidrig und verboten wäre. Es heißt nur, dass sie noch nicht gruppenfreigestellt ist, sondern dass die Unternehmen selbst einschätzen müssen, ob ihre Vereinbarung – überhaupt wettbewerbsbeschränkend nach Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV ist – und ob sie alsdann nach der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV als „nützliche Vereinbarung“ gleichwohl von Gesetzes wegen erlaubt ist. Die Marktanteilsschwellen sind unterschiedlich hoch, je nachdem ob die Vertragsparteien Wettbewerber sind oder nicht. In der GVO für Technologietransferverträge beträgt sie 20 % gemeinsam bei Wettbewerbern und 30 % je einzeln bei Nichtwettbewerbern. Dazu kommt, dass die schwarzen Klauseln zwischen Wettbewerbern schärfer gefasst sind als zwischen Nichtwettbewerbern. Anfängliche Nichtwettbewerber können im Laufe des Vertragslebens zu Wettbewerbern werden; dann gelten die einmal vereinbarten Klauseln unter der großzügigeren Freistellung für Nichtwettbewerber weiter, es sei denn der Vertrag würde wesentlich geändert. Auch können die Marktanteile der Vertragspartner später die Gruppenfreistellungswerte überschreiten. Dann behalten sie die Gruppenfreistellung noch für eine gewisse Zeit, zwei Jahre bei Technologietransferverträgen. Die Marktanteile zutreffend abzuschätzen, von denen es abhängt, ob man unter dem Dach einer sichernden GVO ist oder in der Unsicherheit der „Selbstveranlagung“ nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, ist sehr schwierig, denn man muss den relevanten Markt erfassen und dann braucht man eine Menge Informationen über die Relation der Wettbewerber zueinander. Der sachlich relevante 1 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner bezeichnen in ihrem EU-Kartellrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2014, Art. 29 VO 1/2003 Rz. 2, die Gruppenfreistellungsverordnungen als unwiderlegliche Vermutungen für die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV.
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Brandi-Dohrn 541
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Teil F Rz. 198
Handel mit geistigem Eigentum
Produktmarkt, an dem der Anteil zu ermitteln ist, wird durch die Produkte gebildet, die einander derart substituieren können, dass Abnehmer bei einer dauerhaften kleinen Preissenkung von 5–10 % auf das andere Produkt übergehen würden1. Wichtig ist, dass auch Unternehmen, die an sich Konkurrenten sind, dann als Nicht-Wettbewerber gelten, wenn einer den anderen – oder beide sich gegenseitig – mit ihren Schutzrechten sperren können2. Die erste Variante tritt insbesondere bei abhängigen Erfindungen, typischerweise erfinderische Weiterentwicklungen, auf, die zweite vor allem dann, wenn es für beide Parteien ohne jeweils eine Lizenz am anderen Schutzrecht unwirtschaftlich wäre, am relevanten Markt teilzunehmen (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. n TT-GVO). Werden die Anforderungen der einschlägigen GVO durch einen Lizenzvertrag eingehalten, kann die Kommission den Vorteil einer GVO dennoch im Einzelfall entziehen, wenn die Vereinbarung Wirkungen hat, die mit Art. 101 Abs. 3 AEUV unvereinbar sind (Art. 29 EG-Kartell-VO). Für das Lizenzvertragsrecht sind folgende GVOen relevant: aa) Vertikal-GVO 198
Die Vertikal-GVO3 regelt die vertikalen Austauschverträge, insbesondere die selektiven Vertriebssysteme, Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen und Franchisesysteme. Dazu sind Vertikal-Leitlinien4 ergangen. Die Grundfreistellung gilt nach Art. 1 Abs. 1 lit. a, Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO für Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung auf einer anderen Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können, in der Vertikal-GVO „vertikale Vereinbarungen“ genannt. Auch Vereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte werden nach Art. 2 Abs. 3 Vertikal-GVO miterfasst, allerdings nur dann, wenn es sich um Nebenvereinbarungen zu den Lieferverträgen handelt. Sofern die Vereinbarungen keine „schwarzen Klauseln“ enthalten, insbesondere keine Preisbindung für den Käufer und keinen absoluten Gebietsschutz, sind Vertikalvereinbarungen freigestellt, wenn Lieferant und Abnehmer jeweils nicht mehr als 30 % Marktanteil besitzen. Bei höheren Marktanteilen ist der Vertrag weder pauschal freigestellt noch verboten. Die Beteiligten müssen ihren Vertrag hinsichtlich der kartellrechtlichen Erlaubtheit selbst einschätzen. bb) Technologietransfer-GVO (GVO-TT)
199
Die GVO-TT)5 gilt für die Lizenzierung von vorbestehendem Geistigem Eigentum des Lizenzgebers (mit Ausnahme von Markenrechten), das Hauptgegenstand des Vertrages 1 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (dort insbesondere Tz. 17), ABl. EG Nr. C 372/1997, S. 1. 2 So ausdrücklich noch Art. 1 Abs. 1 lit. j GVO-TT 2004; diese Klarstellung ergibt sich unter der neuen GVO-TT nur noch aus den TT-Leitlinien, vgl. dort Rz. 29 ff.; ebenso Röhling/Nagel in MünchKomm/WettbR, Bd. 1 Europ. WettbR, 2. Aufl. 2015, Art. 1 GVO Nr. 316/2014 Rz. 120. 3 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission v. 20.4.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. EU Nr. L 102/2010, S. 1. 4 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. EU Nr. C 130/2010, S. 1 („Vertikal-GVO-Leitlinien“). 5 Verordnung (EU) Nr. 317/2014 der Kommission v. 21.3.2014 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EU Nr. L 93/2010, S. 17. Hierzu z.B. Frenz, EuZW 2014, 532 ff.
542 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 201 Teil F
ist. Das besagt in Art. 1 Abs. 1 lit. c GVO-TT die Definition der TechnologietransferVereinbarung. Danach ist: „Technologietransfer-Vereinbarung“: eine von zwei Unternehmen geschlossene Vereinbarung über die Lizenzierung von Technologierechten mit dem Ziel der Produktion von Vertragsprodukten durch den Lizenznehmer und/oder seine Zulieferer; eine Übertragung von Technologierechten zwischen zwei Unternehmen mit dem Ziel der Produktion von Vertragsprodukten, bei der das mit der Verwertung der Technologierechte verbundene Risiko zum Teil beim Veräußerer verbleibt. Technologierechte umfassen nach der Definition Art. 1 Abs. 1 lit. b GVO-TT Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Topographien von Halbleiterprodukten, ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel oder andere Produkte, für die solche ergänzenden Schutzzertifikate vergeben werden können, Sortenschutzrechte sowie Software-Urheberrechte. Wenngleich im Gegensatz zur TT-GVO 2004 Software-Urheberrechte nunmehr ausdrücklich und ohne Einschränkung zu den Technologierechten gezählt werden, fällt nach wie vor nicht jede Art von Vertrieb von Software unter die TT-GVO; vielmehr muss eine Technologietransfer-Vereinbarung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. c vorliegen, die Softwarelizenzierung also der „Produktion von Vertragsprodukten“ dienen. Aus diesem Systemwechsel ergeben sich markante Abweichungen von der TT-GVO 2004. Es ist zu unterscheiden: – Softwarevertrieb zur Benutzung der Software ist (wie bisher) – auch wenn diese Verträge oft als „Lizenz“ bezeichnet werden und auch die Kommission solche Verträge als Lizenzverträge ansieht – kein Fall der GVO-TT, sondern der Vertikal-GVO1; – Der Vertrieb von Masterkopien an Händler mit dem Recht, hiervon Vervielfältigungen anzufertigen, um diese dann – allein oder in Verbindung mit Hardware (sog. „OEM-Geschäft“) – zur Benutzung der Software weiter zu vertreiben, ist (im Gegensatz zur GVO-TT 2004) systemwidrig ebenfalls ein Fall der Vertikal-GVO2; – Dagegen sind alle Softwarelizenzierungen, die dem Lizenznehmer ermöglichen, mit Hilfe der Lizenz über die bloße Nutzung der Software hinaus andere Vertragsprodukte herzustellen – z.B. eine Steuerungssoftware für die kostengünstigere Herstellung von Produkten3 – oder diese in andere Produkte integriert wird – z.B. firmware, embedded software –, nunmehr nach der TT-GVO zu beurteilen4. – Diese Abgrenzung gilt unabhängig davon, ob die Software auf Datenträger oder online vertrieben wird5.
200
In Art. 2 GVO-TT werden Technologietransfer-Vereinbarungen freigestellt, falls sie Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 101 Abs. 1 AEUV enthalten, solange die lizenzierten Patente bestehen oder das Know-how geheim bleibt, wenn (Art. 3 GVO-TT) – bei konkurrierenden Vertragsteilnehmern beide zusammen auf dem relevanten Markt keinen höheren Anteil als 20 % und
201
1 TT-Leitlinien 2014, Rz. 62. 2 Röhling/Nagel, (Fn. 2 zu Rz. 197), Rz. 48; Erwäg.grd. Nr. 7 der TT-GVO. 3 Hier ist die Abgrenzung von der blossen (innerbetrieblichen) Benutzung der Software in der TTGVO jedoch nicht klar. Eventuell ist entscheidend, ob die Herstellung der Vertragsprodukte auch Gegenstand der Technologietransfer-Vereinbarung wird – das würde immerhin eine Reihe von Vertriebsmodellen, die die Vergütung an den Umfang der Nutzung der Software knüpfen – evtl. in den Anwendungsbereich der TT-GVO ziehen. 4 TT-Leitlinien, Rz. 62 f. 5 Soweit die Kommission in den TT-Leitlinien, Rz. 62, die TT-GVO generell auszuschließen scheint, soweit die Software im Wege des Download bezogen wird, ist das aus dem Kontext dahin zu verstehen, dass die Kommission hier in der Regel davon ausgeht, dass die Software nur zur Benutzung herunter geladen wird, also keine generelle Ausnahme des Online-Bezugs vorliegt, ebenso Röhling/Nagel (oben Fn. 2), Rz. 51.
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Brandi-Dohrn 543
Teil F Rz. 202
Handel mit geistigem Eigentum
– bei nicht konkurrierenden Vertragsteilnehmern keiner allein einen Marktanteil von mehr als 30 % besitzt. 202
Außerdem darf die Technologietransfer-Vereinbarung keine Kernbeschränkungen (schwarze Klauseln) enthalten, die nach Art. 4 Abs. 1 GVO-TT für Wettbewerber strenger sind als in Art. 4 Abs. 2 GVO-TT für Nichtwettbewerber. Werden die Parteien erst nachträglich zu Wettbewerbern, so bleibt es zwischen ihnen bei den schwarzen Klauseln für Nichtwettbewerber, es sei denn, sie würden den Vertrag wesentlich ändern, Art. 4 Abs. 3 GVO-TT. Enthält der Vertrag eine einzige schwarze Klausel, so ist er insgesamt nicht gruppenfreigestellt, sondern fällt unter die Selbsteinschätzung. Schwarze Klauseln zwischen aktuellen und potentiellen Wettbewerbern auf dem Produktmarkt sind nach Art. 4 Abs. 1 GVO-TT: – Bindung der Abgabepreise des Partners, – Beschränkung der Produktion oder des Absatzes und Mengenbeschränkungen, ausgenommen (a) Beschränkung des Outputs von Vertragsprodukten des Lizenznehmers in einer nicht wechselseitigen Lizenz und (b) Beschränkung des Outputs von Vertragsprodukten eines der Lizenznehmer in einer wechselseitigen Lizenz (Outputbeschränkungen des Lizenznehmers, die sich auf dessen eigene Technologie beziehen, sind jedoch immer verboten), – Marktzuweisungen oder Abnehmerbeschränkungen, ausgenommen (a) die Erteilung einer Alleinlizenz; die Erteilung einer Exklusivlizenz ist ebenfalls zulässig, außer es handelt sich um eine wechselseitige Lizenz (b) in nicht-wechselseitigen Lizenzen das Verbot für eine oder beide Parteien, in das Exklusivgebiet/die Exklusivkundengruppe der anderen Partei zu vertreiben (aktiv und passiv); (c) in nicht-wechselseitigen Lizenzen das Verbot für den Lizenznehmer, aktiv in das Exklusivgebiet/die Exklusivkundengruppe eines anderen Lizenznehmers zu vertreiben, soweit diese beiden Lizenznehmer bei Lizenzerteilung keine Wettbewerber waren; (d) die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Vertragsprodukte nur für den Eigenbedarf zu produzieren, sofern er die Freiheit behält, die Vertragsprodukte ungehindert als Ersatzteile für seine eigenen Produkte zu vertreiben; (e) in einer nicht-wechselseitigen Lizenz die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Vertragsprodukte nur für einen bestimmten Kunden zu produzieren, soweit die Lizenz erteilt wurde, um dem Kunden eine zweite Bezugsquelle zu verschaffen („Second-Source-Beschränkung“) – Unzulässig sind Verbote oder Beschränkungen, eigene Technologie anzuwenden oder Forschung und Entwicklung zu betreiben, es sei denn, letztere Beschränkung wäre zur Geheimhaltung von lizenziertem Know-how nötig. „Wechselseitige“ Beschränkungen sind nicht schon Beschränkungen in gegenseitigen Verträgen, sondern in gegenseitigen Lizenzen (unabhängig ob im gleichen oder in getrennten Verträgen eingeräumt) für konkurrierende Technologien oder für die Produktion konkurrierender Produkte, Art. 1 Abs. 1 lit. d GVO-TT. Die Abgrenzung zwischen aktivem und passivem Vertrieb ist bei modernen Vertriebsformen – insbesondere beim Online-Marketing über das weltweit zugängliche Internet – in Einzelfällen (z.B. Bannerwerbung, Targeting, Keyword Advertising, Suchmaschinenoptimierung, Werbung in Social Media) nicht ganz einfach1. 1 Vgl. hierzu Bühlmann/Schirmbacher, CR 2012, 451 ff. zu den kartellrechtlichen Anforderungen und der Abgrenzung unter EU-Recht und Schweizer Kartellrecht, einschließlich von Musterklauseln.
544 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 204 Teil F
Zwischen Nicht-Wettbewerbern sind die schwarzen Klauseln in Art. 4 Abs. 2 GVO-TT abgemildert; verboten sind hier insbesondere:
203
– die Bindung der Abgabepreise des Partners – erlaubt ist aber die Festsetzung von Maximalpreisen und Preisempfehlungen ohne Druck; – da sich das Preisbindungsverbot nur auf die Verkaufsprodukte bezieht, ist eine Meistbegünstigungsklausel zu Lasten des Lizenzgebers zulässig, in der dieser sich verpflichtet, von Dritten keine höheren Lizenzgebühren zu fordern – diese Klausel bezieht sich nur auf die Lizenzierung des Technologierechts1; – Marktzuweisungen oder Abnehmerbeschränkungen zu Lasten des Lizenznehmers, ausgenommen (a) alle Bestimmungen, die dem Lizenznehmer den aktiven Verkauf an Dritte untersagen, (b) das Verbot auch des passiven Verkaufs an Kunden oder in Gebiete, die dem Lizenzgeber vorbehalten sind; ein passiver Verkauf in anderen Lizenznehmern vorbehaltene Gebiete darf dagegen nicht mehr untersagt werden2; (c) die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Vertragsprodukte nur für den Eigenbedarf zu produzieren, sofern er die Freiheit behält, die Vertragsprodukte ungehindert als Ersatzteile für seine eigenen Produkte zu vertreiben; (d) die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Vertragsprodukte nur für einen bestimmten Kunden zu produzieren, soweit die Lizenz erteilt wurde, um dem Kunden eine zweite Bezugsquelle zu verschaffen („Second-Source-Beschränkung“); (e) die Verpflichtung, nicht an Endverbraucher zu liefern – eine Einschränkung, die vor allem den Einzelhändler vor dem Wettbewerb mit Großhändlern schützen soll. Je einzeln nicht freigestellt sind folgende Einzelklauseln nach Art. 5 GVO-TT:
204
– Ausschließliche Rücklizenzen oder die Pflicht zur (Rück-)Übertragung eigener Verbesserungserfindungen des Lizenznehmers oder neuen eigenen Anwendungen der lizenzierten Technologie. „Eigene Anwendungen“ sollen über den Wortlaut hinaus ebenfalls eine eigene Verbesserung des Lizenznehmers voraussetzen, die eine neue Anwendung der Technologie erschließt3. Das in der TT-GVO 2004 noch enthaltene Recht des Lizenzgebers, sich exklusiv zumindest nicht abtrennbare Verbesserungen vorzubehalten, ist entfallen. Damit sind freistellungsfähig nur noch (i) Alleinlizenzen zu Gunsten des Lizenzgebers sowie (ii) andere als exklusive Produktionslizenzen4; – Nichtangriffsklauseln, wobei nunmehr nur noch erlaubt ist, die Kündigung einer exklusiven Lizenz vorzusehen, wenn der Lizenznehmer eines der Schutzrechte des Lizenzgebers angreift5. Zwischen Nicht-Wettbewerbern sind Verbote oder Beschränkungen, eigene Technologie anzuwenden oder Forschung und Entwicklung zu betreiben (soweit sie nicht unerlässlich sind, um die Preisgabe des lizenzierten Know-Hows an Dritte zu verhindern) wie unter Wettbewerbern unzulässig, ohne aber den Gesamtvertrag zu gefährden: 1 Röhling/Nagel (Fn. 2 zu Rz. 197), Art. 4 GVO Nr. 316/2014, Rz. 71. 2 Anders noch Art. 4 Abs. 2 lit. b ii) TT-GVO 2004; in diesem Fall kommt nur eine Einzelfreistellung in Betracht, hierzu gibt die Kommission Hinweise in den TT-Leitlinien, Rz. 126. 3 Röhling/Nagel (Fn. 2 zu Rz. 197), Art. 5 GVO Nr. 316/2014, Rz. 3. 4 Ebenso Röhling/Nagel (Fn. 2 zu Rz. 197), Art. 5 GVO Nr. 316/2014, Rz. 4 m.w.N. 5 Unter der TT-GVO 2004 konnte noch jede Art von Lizenz gekündigt werden, wenn der Lizenznehmer das Schutzrecht angriff.
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Brandi-Dohrn 545
Teil F Rz. 205
Handel mit geistigem Eigentum
Denn solche nur nach Art. 5 GVO-TT untersagte Klauseln sind isoliert von der Freistellung ausgenommen, ohne dass dadurch der Gesamtvertrag nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten und nichtig wäre. 205
Werden die Marktanteilsschwellen für die Gruppenfreistellung überschritten, so heißt das nur, dass die Technologietransfervereinbarung noch nicht gruppenweise freigestellt ist. Die Beteiligten müssen selbst einschätzen, ob sie von der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV profitieren können. Da aber die Marktanteilsschwellen schwer zu bestimmen sind, wird folgendes Prüfungsschema empfohlen1: – Haben die Klauseln überhaupt wettbewerbsbeschränkenden Charakter nach Art. 101 Abs. 1 AEUV? Das verneinen die Leitlinien z.B. für Vertraulichkeitsabreden, Unterlizenzbeschränkungen, nachvertragliche Unterlassungsvereinbarungen, Mindestlizenzen und Zeichenführungspflichten2 sowie fast alle Lizenzgebührenklauseln, selbst solche über die Schutzfrist hinaus3. – Liegen hingegen „schwarze Klauseln“ vor, so sollten sie gemieden werden, weil sie im Zweifel spürbar wettbewerbsbeschränkend und nicht freistellungsfähig sind. – Alsdann: sind die möglichen Wettbewerbsbeschränkungen nach der de-minimisBekanntmachung überhaupt spürbar, haben die Vertragsteilnehmer als Wettbewerber mehr als 10 % oder als Nicht-Wettbewerber mehr als 15 % Marktanteil4? – „4 plus-Daumenregel“: Die Kommission steht auf dem Standpunkt, „dass eine Verletzung des Art. 101 AEUV außerhalb der sog. Kernbeschränkungen unwahrscheinlich ist, wenn es neben den von den Vertragsparteien kontrollierten Technologien vier oder mehr von Dritten kontrollierte Technologien gibt, die zu für den Nutzer vergleichbaren Kosten anstelle der lizenzierten Technologie eingesetzt werden könnten“5. cc) Forschung und Entwicklung
206
Für die horizontale FuE-Zusammenarbeit und für die Aufteilung in der Produktion gelten die Gruppenfreistellungsverordnungen: – FuE-GVO Nr. 1217/2010 vom 14.12.20106 sowie die – Spezialisierungs-GVO Nr. 1218/2010 vom 14.12.20107, – mit den horizontalen Leitlinien dazu8; sowie – die VO (EG) Nr. 169/2009 des Rates, deren Art. 2 Vereinbarungen erfasst, die die technische Zusammenarbeit im Bereich des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs betreffen9. Die FuE-GVO gilt für die „gemeinsame“ Forschung und Entwicklung mit oder ohne gemeinsame Verwertung der Entwicklungsergebnisse. Ihre Darstellung geht über 1 2 3 4 5 6
Zöttl, WRP 2005, 33, 44. TT-Leitlinien, Rz. 183. TT-Leitlinien, Rz. 184–188. De-minimis-Bekanntmachung der Kommission v. 30.8.2014, Abl. EG Nr. C 291, S. 1 ff. TT-Leitlinien, Rz. 157. Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission v. 14.12.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABl. EG 2010 Nr. L 335, S. 36 ff. 7 Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission v. 14.12.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. EG 2010 Nr. L 335, S. 43 ff. 8 ABl. EG 2011 Nr. C 11, S. 1. 9 Verordnung (EG) Nr. 169/2009 des Rates v. 26.2.2009 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, ABl. EG 2009 Nr. L 61, S. 1.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 210 Teil F
den Umfang dieses Werkes hinaus, da sie nicht vorrangig den Handel mit Geistigem Eigentum, sondern dessen Entwicklung betreffen1. d) Lizenzvertrag als Zusammenschlusstatbestand Nur im Falle einer ausschließlichen Lizenz an einer bereits vermarkteten Technologie kann der Vertragsschluss zu einem Kontrollerwerb i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GWB (bzw. Art. 3 der Fusionskontroll-VO 139/2004/EG) führen. Dies kann dann eintreten, wenn der Lizenzvertrag dem Lizenznehmer erst ermöglicht, die Kontrolle über die „Gesamtheit oder einen Teil“ eines anderen Unternehmens auszuüben. Der BGH nimmt das an, wenn sich die Lizenz auf einen „wesentlichen Teil des Vermögens des Lizenzgebers“ beziehen. „Wesentlich“ kann sowohl quantitativ (im Verhältnis zum Restvermögen des Lizenzgebers) verstanden werden wie qualitativ (Lizenz erfasst entweder einen gesamten (Teil-)Geschäftsbetrieb oder Lizenznehmer rückt durch den Lizenzvertrag in die (bestehende) Marktstellung des Lizenzgebers in einem abgrenzbaren unternehmerischen Bereich ein)2.
207
Liegt ein Kontrollerwerb vor, muss der beabsichtigte Lizenzvertrag bei den zuständigen Kartellbehörden angemeldet werden. Unterbleibt das, ist der Lizenzvertrag – zumindest schwebend – unwirksam. e) Art. 102 AEUV – Missbrauchstatbestand Art. 102 AEUV bestimmt, dass die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten ist, soweit diese dazu führen kann, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dann folgen Missbrauchsbeispiele wie die Erzwingung unangemessener Preise, unnötiger Einschränkungen, Diskriminierung oder Koppelung. Auch eine an sich nach einer GVO freigestellte LizenzVereinbarung kann wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung untersagt werden:
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Es liegt in der Natur der durch gewerbliche Schutzrechte, Urheberrechte, Marken oder Patente verliehenen Ausschlussrechte, dass sie gerade bei besonders nützlichen und daher markterobernden Neuerungen zur Beherrschung eben dieser neuen Märkte führen. Die Frage der Grenze zwischen erlaubter Nutzung des Schutzrechts und missbräuchlicher Ausnutzung der gewährten Monopolstellung stellt sich in dreierlei Hinsicht: – im Zusammenhang mit dem Erwerb und dem Geltendmachen des Schutzrechts; – im Zusammenhang mit der kommerziellen Verwertung des Schutzrechts; – im Zusammenhang mit der Weigerung, Lizenzen zu erteilen.
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(1) Erwerb und Einsatz von Schutzrechten ist von den europäischen Gerichten nur in engem Umfang beanstandet worden, da der AEUV diese Ausschließlichkeitsrechte an sich in ihrem Bestand schützt (Art. 36, 345 AEUV). Dennoch unterliegt die Ausübung der Rechte aus einem Schutzrecht in vollem Umfang der Missbrauchskontrolle des Art. 102 AEUV, ja sogar der bloße Erwerb und die Inhaberschaft als solche, soweit damit Ziele verfolgt werden, die der Wirtschaftsordnung unverfälschten Wettbewerbs of-
210
1 Eingehend zur kartellrechtlichen Beurteilung von Klauseln in F&E-Verträgen, insbesondere auch zur Verwertung der erarbeiteten Technologie Brandi-Dohrn in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, Kap. „Forschung und Entwicklung“, Rz. 67 ff.; Schweiz: Egli, recht 2014, 2 ff.; AJP 2015, 993. 2 BGH v. 10.10.2006 – KVR 32/05, GRUR 2007, 517 = WM 2007, 846 – National Geographic; Strohmayr, GRUR 2010, 583 ff.
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Brandi-Dohrn 547
Teil F Rz. 211
Handel mit geistigem Eigentum
fensichtlich widersprechen1. Insbesondere darf ein Ausschließlichkeitsrecht – gleich ob unmittelbar oder infolge einer Lizenzverweigerung – für Wettbewerber nicht als absolutes Marktzugangshindernis wirken; unzulässig ist daher insbesondere – der Erwerb einer exklusiven Lizenz an der einzigen Konkurrenztechnologie durch das auf dem relevanten Markt marktbeherrschende Unternehmen2; – der Einsatz von Schutzrechten zur Abschottung oder Aufteilung von Märkten – was insbesondere beim Einsatz von Marken häufiger zu beobachten ist3. 211
(2) Auch die Vergabe von Lizenzen kann – unter dem Aspekt des Ausbeutungsmissbrauchs – zur Unwirksamkeit eines Lizenzvertrages nach Art. 102 AEUV führen: Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Schutzrechtsinhaber unangemessen hohe Lizenzgebühren fordert4 oder dem Vertragspartner sonstige vertragliche Pflichten auferlegt, die dessen unternehmerische Freiheit über das zur Abwicklung des Vertrags erforderliche Maß hinaus beschränken5 – das kommt insbesondere bei Koppelungsvereinbarungen6 vor, die allerdings im Lizenzvertragsbereich nicht generell missbräuchlich sind, da sie häufig der Sicherung der Produktqualität und/oder der Sicherung des geheimen Know-hows des Lizenzgebers dienen sollen (siehe hierzu Rz. 232). Die in Art. 4 TT-GVO festgelegten schwarzen Klauseln sollen sämtlich zugleich Fälle des potentiellen Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV darstellen7.
212
(3) Nach dem Grundsatz der (negativen) Vertragsfreiheit steht es dem Schutzrechtsinhaber grundsätzlich frei, ob er sein Schutzrecht selbst, durch Dritte (per Lizenz) oder gar nicht verwerten will. Wegen des Charakters von Schutzrechten als staatliches, auf Zeit gewährtes Monopolrecht gibt es jedoch einige Konstellationen, in denen vom Schutzrechtsinhaber verlangt wird, sein Schutzrecht Dritten zur Ausübung zur Verfügung zu stellen: – die „essential facilities-Doktrin“, die aus Art. 102 AEUV abgeleitet wird; – die „FRAND-Lizenz“ im Rahmen von Standardisierungs- und Normungsvorhaben; – die Zwangslizenzen des einzelstaatlichen Rechts.
213
Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH – der den aus dem US-Recht stammenden Begriff „essential facilities“8 nicht benutzt – stellt die Lizenzverweigerung in dieser Konstellation nur in Einzelfällen einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar9, nämlich wenn 1 Vgl. EuG v. 10.7.1990 – T-51/89, Slg. 1990-II, 309, Rz. 23 – Tetra Pak I; EuG v. 1.7.2010 – Rs. T-321/05 – AstraZeneca/Kommission; restriktiver der Gerichtshof in früheren Entscheidungen, EuGH – Rs. 53/87, Slg. 1988, 6039, Rz. 15 – CICRA und Maxicar/Renault. Die Kommission hat insbesondere in ihrem Bericht zum Arzneimittelsektor eine Tendenz zu „defensiven Patentstrategien“ moniert, die primär darauf zielen, Wettbewerber vom Markt fernzuhalten, vgl. Mitteilung der Kommission, Zusammenfassung des Berichts über die Untersuchung des Arzneimittelsektors v. 8.7.2009. 2 EuG v. 10.7.1990 – T-51/89, Slg. 1990-II, 309, Rz. 23 – Tetra Pak I. 3 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Jung, Art. 102 AEUV Rz. 230. 4 EuGH v. 13.7.1989, Slg. 1989, 2521 (2581) – Tournier (dort auch zur Frage, wie die Unangemessenheit der Lizenzgebühr zu berechnen ist.). 5 EuGH v. 27.3.1974, Slg. 1974, 313 (317), Tz. 15 – BRT II; Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rz. 197. 6 Vgl. z.B. KOMM. v. 15.11.2011, COMP/39.592, Tz. 34 ff. – Standard & Poor’s. 7 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Bd. 1, Art. 102 AEUV Rz. 367. 8 Weiterführend zur essential-facilities-Doktrin des EuGH Ensthaler/Bock, GRUR 2009, 1 ff.; Frenz, WuW 2014, 282 ff. 9 EuGH v. 5.10.1988 – Rs. 53/87, NJW 1990, 627 – Maxicar./.Renault und EuGH v. 5.10.1988 – Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211– Volvo/Veng, zulässiger Einsatz von Geschmacksmuster gegen Nachbau von Karosserieteil; EuGH v. 6.4.1995 – Rs. C-241 und 242/91, GRUR Int. 1995, 490 – Magill; EuGH v. 26.11.1998 – Rs. C 7/97, Slg. 1998 I 7791– Bronner; EuGH v. 29.4.2004 – Rs. C 418/01, Slg. 2004 I-5039– IMS/Health; EuG v. 27.6.2012 – T-167/08, WuW/E EU-R 2511 – Microsoft II.
548 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 215 Teil F
– die Lizenz für die Bedienung eines anderen Marktes unerlässlich1 ist, – wenn der Dritte auf dem abgeleiteten Marktes (Sekundärmarkt) andere, neue Erzeugnisse oder Dienstleistungen anbieten will, die der Inhaber der Ausschließlichkeit nicht anbietet, für die aber ein Bedarf besteht, und – wenn die Nicht-Vergabe einer weiteren Lizenz sachlich nicht gerechtfertigt ist. Die Verweigerung einer Lizenz (oder ein Angebot zu ungünstigeren Konditionen als sie der Lizenzgeber selbst auf dem Sekundärmarkt erzielt) muss mithin geeignet sein, den Schutzrechtsinhaber und evtl. seinen Lizenznehmer auf einem Sekundärmarkt ungerechtfertigt vor jeglichem Wettbewerb auf diesem abgeleiteten Markt zu schützen2. Ein Unterfall des Diskriminierungsverbots ist die sog. FRAND/RAND-Lizenz3: Der BGH hatte schon in der Standard-Spundfass-Entscheidung festgestellt, dass eine Pflicht zur Lizenzvergabe insbesondere dann in Betracht kommt, wenn eine sog. „standard-essentielle“ Technologie vorliegt. Solche Technologien müssen nach Kriterien an alle Interessierten lizenziert werden, die „fair, reasonable and non-discriminatory“ (FRAND) sind. Heutzutage müssen sich die Inhaber von Schutzrechten, die in internationalen Normungsgremien mitarbeiten wollen (z.B. ETSI oder ISO), in der Regel nicht nur verpflichten offenzulegen, wenn sie Inhaber von Schutzrechten sind, die Auswirkungen auf einen geplanten technischen Standard haben. Sie müssen sich auch verpflichten, FRAND-Lizenzen an etwaigen standard-essentiellen Patenten zu erteilen. In manchen Normungsgremien wird das Problem, welche Lizenzbedingungen denn FRAND-Kriterien genügen, dadurch umgangen, dass der Technologieinhaber sich vorab zu konkreten Lizenzbedingungen verpflichten muss, bevor seine Technologie zum Standard erhoben wird4.
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Um eine aufgrund öffentlichen Interesses oder zum Schutz abhängiger Schutzrechte gebotene Verwertung einer Erfindung sicherzustellen, kann der Patentinhaber auch nach nationalem Recht zur Lizenzvergabe verpflichtet werden (Zwangslizenz) (z.B. § 24 dtPatG, §§ 36, 37 öPatG; Artt. 36, 36a, 37, 40–40e schwPatG sehen deutlich weitergehende Ansprüche auf Lizenzerteilung insbesondere im F&E-, Biotechnologie- und Pharmaziebereich vor, vgl. im Einzelnen Rz. 278). Die früher sehr restriktiven Voraussetzungen des § 24 dtPatG sind im Zuge der Umsetzung der EG-Biotechnologie-Richtlinie etwas gelockert worden: Zwangslizenzen können gerichtlich erteilt werden, wenn entweder (i) das öffentliche Interesse die Erteilung gebietet oder (ii) wenn ein abhängiges jüngeres Patent sonst nicht verwertet werden kann, dieses aber verglichen mit dem hindernden älteren Patent einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung aufweist. Nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung muss der Lizenzsucher aber in beiden Fällen vor dem (unlizenzierten) Einsatz der Technologie den Patentinhaber um eine Lizenz zu angemessenen finanziellen Bedingungen ersuchen, d.h. ihm ein konkretes Lizenzangebot unterbreitet haben5. Der EuGH unterscheidet nunmehr zwischen Ansprüchen auf Unterlassung (zur Vermeidung künftiger Verletzungen) – diese setzen zunächst ein konkretes Angebot auf Abschluss einer FRAND-Lizenz an den Verletzer voraus – und Ansprüchen auf Schadens-
215
1 Unerlässlich ist die Lizenz insbesondere dann nicht, wenn es Dritten möglich und zumutbar ist, eine alternative Technologie zu entwickeln, die den Sekundärmarkt ohne Lizenz erschließt, Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rz. 336. 2 Vgl. hierzu die „Durchsetzungsprioritäten“ der Kommission, ABl. EG 2009 Nr. C 45, S. 7, Rz. 19. 3 „RAND“-Kriterien sind im angloamerikanischen Raum üblich, während in Europa der FairnessGedanke stärker betont wird; praktisch sind die Unterschiede aber gering. 4 Vgl. z.B. die ETSI: http://www.etsi.org/WebSite/AboutETSI/IPRsInETSI/Ex-ante.aspx; weiterführend Fröhlich, GRUR 2008, 205 ff. Umfassend und rechtsvergleichend zur vertraglichen Einordnung derartiger Erklärungen Hilti/Slowinski, GRUR Int. 2015, 781 (787 ff.). 5 BGH v. 6.5.2009 – KZR 39/06, BGHZ 180, 312 = NJW-RR 2009, 1047 = GRUR 2009, 694 = WM 2009, 1386 – Orange-Book Standard; Friedl/Ann, GRUR 2014, 948 ff. zur Entgeltberechnung für FRAND-Lizenzen.
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Brandi-Dohrn 549
Teil F Rz. 216
Handel mit geistigem Eigentum
ersatz (für vergangene Verletzungen) – diese kann der Patentinhaber ohne weiteres erheben. Ob diese Rechtsprechung auch anwendbar ist, wenn es sich um einen De-FactoStandard handelt, ist weiterhin offen1. 216
Das Markenrecht kennt keine Zwangslizenz2. Das Urheberrecht verpflichtet dagegen in zwei Bereichen den Urheber, Dritten Lizenzen einzuräumen – so in § 5 Abs. 3 dtUrhG (Lizenz an privaten Normwerken an Verlage) und in § 42a dtUrhG (Zwangslizenz zur Herstellung von Tonträgern). Im wirtschaftlichen Ergebnis einer Zwangslizenz sehr nahe kommen auch die im Urheberrecht an verschiedener Stelle Dritten eingeräumten gesetzlichen Nutzungsrechte gegen Vergütung.
217–218
Einstweilen frei.
II. Ausgestaltung des Lizenzvertrags 1. Gegenstand 219
Die Lizenz als Nutzungserlaubnis kann an dem oder den Schutzrechten als solchen erteilt sein und erlaubt dann alle unterschiedlichen Ausführungsformen, die unter das/ die Schutzrecht(e) fallen. Ein Mehrzahl von Schutzrechten liegt insb. vor bei einer Lizenz an einem europäischen Bündelpatent. Die Lizenz an dem Bündel nationaler Schutzrechte kann natürlich auch länderweise gesondert eingeräumt werden. Die Lizenz kann auch auf eine bestimmte Ausführungsform beschränkt sein. Die Kombination von freigestellter Ausführungsform und lizenziertem Schutzrecht begegnet nicht selten bei Vergleichen in Patent- (Gebrauchsmuster-)Verletzungsstreiten: Die Ausführungsform des Beklagten wird für die Vergangenheit, etwa gegen Zahlung eines Pauschalbetrages, von jedweden patentrechtlichen Ansprüchen des Klägers freigestellt; für die Zukunft wird dem Beklagten eine einfache Lizenz an dem oder den Klägerpatent(en) X erteilt, etwa gegen eine Lizenzgebühr von Y %. Sinn eines solchen Lizenzvergleiches ist es, die schon bekannten Ausführungsformen für die Vergangenheit von Ansprüchen, gleich aus welchem patentrechtlichen Rechtsgrund, zu befreien, für die Zukunft aber weder eine weite Lizenz an allen möglichen Patenten zu erteilen noch den Beklagten auf die Ausführungsform aus der Vergangenheit festzulegen und ihm Modifikationen in der Produktion abzuschneiden. Daher werden spezifische Schutzrechte für die Zukunft lizenziert, regelmäßig als einfache Lizenzen mit oder ohne weitere Beschränkungen.
220
Für die Freistellung von etwaigen Verstößen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV muss das Know-how geheim, wesentlich und identifiziert sein – Art. 1 lit. i TT-GVO, ebenso schon die frühere Art. 1 lit. i TT-GVO 2004. 2. Lizenzgebühren
221
An Gebührenvereinbarungen kommen Einmalgebühren und umsatzabhängige Gebühren und Kombinationen beider in Form von meist anrechenbaren Einstandsgebühren (upfront payments, milestone payments, annual minimum license fees) vor. Einmalgebühren sind selten, begegnen aber bisweilen in Lizenzvergleichen, wo sich der angegriffene Wettbewerber nicht in die Umsatzkarten schauen lassen möchte. Umsatzabhängige Lizenzen begegnen selten als feste Stücklizenzen. Sie sind zwar leichter 1 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C 170/13, BeckRS 2015, 80933 = GRUR 2015, 764 = GRUR-Prax 2015, 323 – Huawei Technologies/ZTE: Im entschiedenen Fall hatte Huawei als Patentinhaberin gegenüber der ETSI eine FRAND-Erklärung abgegeben. Ausführlich hierzu Heinemann, GRUR 2015, 855 ff., Palzer, EuZW 2015, 702 ff. 2 Im Markenrecht dürfte eine gesetzliche Zwangslizenz gegen Art. 21 TRIPS verstoßen, Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 MarkenG Rz. 6.
550 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 224 Teil F
kontrollierbar, halten aber mit Preissteigerungen des Lizenzprodukts nicht Schritt. Häufiger und überwiegend gängig sind daher prozentuale Gebühren auf den Umsatz. Dann aber müssen sich die Parteien Gedanken über die Bemessungsgrundlage machen, und zwar in preislicher und in sachlicher Hinsicht. Im deutschen Recht ist ein genannter Preis, und entsprechend ein Umsatz, selbst unter Kaufleuten ein Bruttopreis bzw. Bruttoumsatz mit Umsatzsteuer1. Ob sich ohne nähere Absprache auch eine umsatzabhängige Lizenzgebühr auf den Bruttoumsatz bezieht oder ob nicht als Auslegung iS des Üblichen der Nettoumsatz ohne Umsatzsteuer als Bemessungsgrundlage genommen werden muss2, ist in der deutschen Rechtsprechung noch nicht geklärt. Nützlich und üblich ist die Regelung der Bemessungsgrundlage als Nettorechnungsbetrag ohne gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer, Fracht, Verpackung, Zölle, Skonti und Boni und ohne Retouren. Sind die Retouren nicht geregelt, so mindern sie in Deutschland nicht die Bemessungsgrundlage3. Entgegen der früheren gegenteiligen deutschen Rechtsprechung ist aufgrund des Vorrangs des EU-Kartellrechts nunmehr geklärt, dass es kartellrechtlich unbedenklich ist, die Zahlung von Lizenzgebühren auch über die Laufzeit des Schutzrechts hinaus zu vereinbaren4.
222
Findet das geschützte Erzeugnis Eingang in ein komplexes Produkt, so stellt sich die Frage, ob Bemessungsgrundlage nur der Wert des geschützten Produkts oder das komplexe, meist wesentlich teurere Endprodukt ist. Kartellrechtlich soll die Bemessung nach dem Endprodukt, in das das geschützte Produkt Eingang gefunden hat, zulässig sein5. Bei Lizenzgebühren auf eigenständige, gesondert absetzbare Produkte wird zu unterscheiden sein: Unter Wettbewerbern dürfen freie Konkurrenzprodukte nicht durch Lizenzbelastungen vom Markt gedrängt oder benachteiligt werden, insbesondere nicht, wenn die nicht vom Schutzrecht erfassten gesonderten Produkte ihrerseits durch Schutzrechte des Lizenznehmers geschützt sind6. Unter Nicht-Wettbewerbern stellt das Einbeziehen nicht von der Lizenz erfasster Produktbestandteile nur in Ausnahmefällen eine Wettbewerbsbeschränkung dar7. Fehlt es an einer vertraglich eindeutigen Regelung, sind im Zweifel nur die Handlungen vergütungspflichtig, die das Schutzrecht verletzen würden8.
223
Damit erscheinen auch die in der Biologie diskutierten Reach-through-Licences, also Lizenzen auf ein erfolgreiches, mit einem geschützten Forschungsmittel (research tool: z.B. Gen- oder Antikörperbank) entwickeltes oder gescreentes Arzneimittel, in einem neuen Licht. Für die Nutzung der patentierten Gen- oder Antikörperbank erhält man am Markt nur eine mäßige Lizenzgebühr. Interessant ist die Erfolgsgebühr auf den Umsatz mit dem gefundenen Wirkstoff. Dieser fällt nicht unter das Schutzrecht für das
224
1 BGH v. 11.5.2001 – V ZR 492/99, NJW 2001, 2464; BGH v. 28.2.2002 – I ZR 318/99, NJW 2002, 2312 = GRUR 2003, 84 – Videofilmverwertung. 2 Dafür Bartenbach, Rz. 1714. 3 BGH v. 2.12.1997 – X ZR 13/96, GRUR 1998, 561 – Umsatzlizenz. Retouren wegen Mängeln dürften aber anders zu behandeln sein, weil das patentbenutzende Verkehrsgeschäft rückgängig gemacht wird, OLG Karlsruhe v. 30.1.1997 – 6 W 112/97, Mitt. 1998, 302 – Inverkehrbringen durch Zurückgabe. 4 TT-Leitlinien, Rz. 187; tendenziell vorsichtiger Seitz/Kock, GRUR Int. 2012, 868, 871; Bartenbach, Rz. 1678. Nach früherem Recht nichtige Vereinbarungen werden durch das neue EU-Kartellrecht aber nicht automatisch geheilt, BGH v. 5.7.2005 – X ZR 14/03, GRUR 2005, 845 (848) – Abgasreinigungsvorrichtung. 5 TT-Leitlinien, Rz. 184. 6 EuGH v. 25.2.1986 – Rs. 193/83, Slg. 1986, 611 = GRUR Int. 1986, 635 – Windsurfing International: Lizenzgebühren auf schutzrechtsfreie Teile (Windsurfbretter) sind unzulässig, wenn das zu höheren Gebühren führt; Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO: verbotene Kernbeschränkung der Nutzung der eigenen Technologien unter Wettbewerbern, Nr. 101, 116, 185 TT-Leitlinien. 7 TT-Leitlinien, Rz. 188. 8 BGH v. 5.7.2005 – X ZR 14/03, GRUR 2005, 845 – Abgasreinigungsvorrichtung.
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Brandi-Dohrn 551
Teil F Rz. 225
Handel mit geistigem Eigentum
research tool oder für das Screening-Verfahren1. Zwar fallen Lizenzvereinbarungen, die (nur) die Erforschung und Entwicklung nicht vom Schutzbereich der Lizenz erfasster anderer Produkte zum Ziel haben, nicht unter die TT-GVO2. Eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt aber nur dann vor, wenn die (nicht lizenzgebührenbelasteten) Wettbewerber des Lizenznehmers alternative Produkte so viel billiger herstellen könnten, dass der Reach-Through-Lizenznehmer aus dem Markt ausscheiden müsste. Das Folgeprodukt ist aber seinerseits in der Regel patentgeschützt und damit gegen Ersatzprodukte mehr oder minder gut geschützt. 225
Die Frage nach Richtlinien für angemessene Lizenzgebühren, die sich auch beim Verletzerschadensersatz und bei der Vergütung von Diensterfindungen stellt, ist nur mit Unsicherheit, großer Schwankungsbreite und vorbehaltlich dominierender Umstände des Einzelfalls zu beantworten. An Einzelfallumständen spielen u.a. eine Rolle: – nur Schutzrechts- oder auch Know-how-Lizenz – Marktreife der Erfindung – Stärke und Unumgehbarkeit des Schutzrechts – Massenprodukt oder wenige Erzeugnisse – Teil oder ganzes Erzeugnis – Konkurrenzsituation und Bedarf – eventuelle Eintrittszahlungen oder Gebührenabstaffelungen bei hohen Umsätzen.
226
Aus verschiedenen Quellen3 werden folgende %-Lizenzsätze genannt, die hier zum Teil vergröbernd zusammengefasst sind. Als schwerpunktmäßig häufig genannte Lizenzsätze sind unterstrichen. B
H/H
G
Kfz-Industrie
0,5 bis >1 bis 2 0,3 bis1,5 bis 4 0,5 bis 5
Maschinen- und Werkzeugbau
2 bis 4
0,15 bis 1,5 bis 3 bis 8 0,25 bis 2,5 bis 4 bis 6
Optik, Kamera
0,5 bis 2,5 bis 4 0,01 – 6
Chemie
0,1 bis 0,6 bis 2,5
0,5 bis 5
Bekleidung
0,5 bis 3 bis 5
–
Software (allgemein)
Sonstige
1 bis 6 bis 9
6 1 bis 2, bis 5 5 (DOB) –
US-SEC-Filings: 3 – 174
1 Ausnahmefall BGH v. 14.12.1978 – X ZB 14/77, GRUR 1979, 461 – Farbbildröhre; In den USA ist im Fall Housey v. Bayer entschieden worden, dass ein erfolgreich gescreentes Produkt nicht hergestelltes Verfahrenserzeugnis (made product) des geschützten Screening-Verfahrens ist: CAF v. 22.8.2003, Mitt. 2003, 509. 2 Keine „Technologietransfer-Vereinbarung“, da Ziel nicht die Produktion von „Vertragsprodukten“ ist, TT-Leitlinien, Rz. 66. 3 Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindervergütung, KommRL, 3. Aufl. 2009, RL 10 Rz. 91 ff. und Bartenbach, Rz. 1785 ff. – beide in der Übersicht „B“; Hellebrand/Himmelmann, Lizenzsätze für technische Erfindungen, 4. Aufl. 2011 – in der Übersicht „H/H“. Die dort genannten Lizenzsätze sind regelmäßig bei hohen Umsätzen nach RL 10 Vergütungsrichtlinien abgestaffelt; Groß, Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-how- und Computerprogrammlizenzverträgen, BB 1995, 885 sowie BB 1998, 1321; Groß/Rohrer, Lizenzgebühren, 3. Aufl. 2012 – in der Übersicht „G“. 4 Varner, Technology Royalty Rates in SEC Filings (zu USA), LES Nouvelles 2010, 120 ff.
552 | Brandi-Dohrn
Rz. 229 Teil F
Technologietransfer-Verträge B
H/H
G
Sonstige 1–25 % (IQR1: 2–11 %)
Software: Chemie: Pharma: Telekom: Consumer:
2–20 % (IQR: 4,5–20 %) 1–80 % (IQR: 5–45 %) 2–60 % (IQR: 10–33 %)2
Verpackung
bis 1
1
Elektro, weiß
0,5 bis 2
0,25 bis 4
Elektro braun
1 bis 2,5
0,4 bis 4
Elektr. Bauelemente
0,5 bis 3
0,25 bis 5
Pharmazie
0,5 bis 2,5 bis 10
1 bis 5
Agrochemie
3 bis 5
0,4
5 bis 10 bis 15
Urteile: 83 US-SEC-Filings: 3–8, jedoch meist verbunden mit hohen Einmalzahlungen; bei zugelassenen Medikamenten bis 404
Mindestlizenzgebühren, üblicherweise anrechenbar, sind kartellrechtlich unbedenklich5.
227
Auch ohne ausdrückliche Regelung ist der Lizenznehmer bei einer umsatzabhängigen Lizenzgebühr über den Umsatz auskunftspflichtig. Separate Buchführungspflichten und besondere Kontrollrechte durch Bucheinsicht müssen hingegen vereinbart werden6. Häufig wird Buchprüfung durch einen neutralen, zur allgemeinen Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer vereinbart, der aber über festgestellte Abweichungen berichten darf. Die Kosten einer solchen externen Buchprüfung werden oft derart geregelt, dass sie der Lizenznehmer dann trägt, wenn Fehlbeträge über einer gewissen Toleranzgrenze (z.B. 5 %) festgestellt werden, andernfalls der auftraggebende Lizenzgeber.
228
3. Ausübungspflicht Schuldverhältnisse tragen, auch ungeschrieben, Pflichten zur Rücksichtnahme nach Treu und Glauben in sich – § 241 Abs. 2 BGB. Daraus hat die Rechtsprechung den Grundsatz abgeleitet, dass bei ausschließlichen Lizenzen gegen Stück- oder Umsatzgebühren, bei denen der Lizenzgeber sein Schutzrecht und seine damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen ganz in die Hände des Lizenznehmers gibt, diesen eine Pflicht zur Ausübung, begrenzt aus Treu und Glauben, trifft7. Die Ausübungspflicht 1 IQR = Interquartile Range, innerhalb dieser Werte liegen 50 % der untersuchten Lizenzverträge. 2 Olson, Software Licensing and Royalty Rates, LES Nouvelles 2015, 29 (34). 3 BPatG v. 7.6.1991 – 3 Li 1/90, GRUR 1994, 98 (103) – Human-Immuninterferon: 8 % für eine Zwangslizenz; BGH v. 6.3.1980 – X ZR 49/78, GRUR 1980, 841 – Tolbutamid – 8 % Schadensersatz nach der Lizenzanalogie. 4 Varner, Technology Royalty Rates in SEC Filings (zu USA), LES Nouvelles 2010, 120 ff.; Renwick/McCarthy, LES Nouvelles 2009, 62 (66). 5 Keine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV, TT-Leitlinien, Rz. 183 lit. e. 6 BGH v. 3.7.1984 – X ZR 84/73, GRUR 1984, 728 – Dampffrisierstab. Ob zumindest Vorlage der Abnehmerrechnungen verlangt werden kann, ist streitig, dagegen OLG Düsseldorf v. 16.12.2004 – 1-2 U 71/03, InstGE 5, 89 – Münzschloss. Bei Schutzrechtsverletzung gewähren jetzt u.a. § 140c Abs. 1 dtPatG auch einen Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen. 7 BGH v. 17.4.1967 – KZR 15/68, GRUR 1969, 560 – Frischhaltegefäß; BGH v. 20.7.1999 – X ZR 121/96, GRUR 2000, 138 – Knopflochnähmaschine. Ebenso für die Schweiz: Blum/Pedrazzini, Das schweizerische Patentrecht, Band II, 2. Aufl. Bern 1975, § 34 PatG Anm. 101; A. Troller, Immaterialgüterrecht II, 3. Aufl. Basel 1985, S. 833.
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Teil F Rz. 230
Handel mit geistigem Eigentum
wird fallweise begrenzt durch die Zumutbarkeit. Die Ausübungspflicht entfällt, auch ohne Kündigung des ganzen Vertrags, nicht nur aber jedenfalls dann, wenn eine Absetzbarkeit der Produkte am Markt nicht mehr erreichbar ist1. Das Maß der Ausübungsanstrengungen kann durch anderweite Abhilfe zugunsten des Lizenzgebers, etwa eine Mindestlizenzgebühr, gemindert sein. 4. Produktions-, Kunden- und Mengenbeschränkungen 230
Wenn der Lizenzgeber auf dem Produktmarkt auch tätig ist, wird er daran interessiert sein, sich bestimmte Anwendungsbereiche oder bestimmte Kunden weiterhin vorzubehalten. Die Beschränkung auf bestimmte Anwendungsbereiche – field of use-Beschränkungen – sind unter der seit 2014 gültigen TT-GVO (im Gegensatz zur TT-GVO 2004, vgl. dort Art. 4 Abs. 1 lit. c ii) nunmehr kartellrechtlich erlaubt2.
231
Kunden- und Gebietsbeschränkungen unter Wettbewerbern sind im Grundsatz als Kernbeschränkung nach Art. 4 Abs. 1 lit. c TT-GVO verboten, jedoch mit wichtigen Ausnahmen: An Mengen- und Kundenbeschränkungen ist ein produzierender Lizenzgeber insb. dann interessiert, wenn ein Großabnehmer von ihm die Eröffnung einer Second Source verlangt. Diesem Interesse trägt die Ausnahme in Art. 4 Abs. 1 lit. c iv) TT-GVO Rechnung. Eine weitere wichtige Ausnahme ist die Möglichkeit des Lizenzgebers, sich in nicht wechselseitigen Vereinbarungen Gebiete oder Kundengruppen vorzubehalten, Art. 4 Abs. 1 lit. c i) TT-GVO. Gegenüber der TT-GVO 2004 gilt nun zwischen Nicht-Wettbewerbern auch das Verbot von Passiv-Verkäufen an anderen Lizenznehmern vorbehaltene Kunden oder nicht zugewiesene Gebiete als verbotene Kernbeschränkung3. 5. Bezugspflichten, Markengebrauch
232
Bisweilen wird dem Lizenznehmer die Verpflichtung auferlegt, Hilfs- oder Vormaterialien vom Lizenzgeber zu beziehen. Der Lizenzgeber kann einfach Absatzinteressen haben oder auch das Interesse, eine einwandfreie Qualität des Vertragsprodukts sicherzustellen. Nach der TT-GVO und Nr. 221 ff. der zugehörigen Leitlinien sind solche Koppelungsvereinbarungen bis zu den Schwellenwerten von 20 % unter Wettbewerbern und 30 % unter Nicht-Wettbewerbern freigestellt. Oberhalb dieser Schwellen ist abzuwägen, ob die Marktstellung des Lizenzgebers auf dem Markt für das gekoppelte Produkt einerseits so stark ist, dass er durch die Koppelung den Wettbewerb von Drittanbietern spürbar beeinträchtigt, und ob die Koppelung gleichwohl gerechtfertigt ist, weil sie für Qualität und Ruf des Lizenzerzeugnisses sinnvoll ist. Dabei ist es ein unterstützender Faktor, wenn das Produkt in bestimmter Qualität auch vom Lizenzgeber selbst oder von anderen Lizenznehmern – und zusätzlich möglicherweise noch unter einer Lizenzgebermarke – vertrieben wird.
233
Die Verpflichtung, die Marke des Lizenzgebers zu verwenden, wird in Nr. 183 der Leitlinien zu Technologietransferverträgen nicht als Wettbewerbsbeschränkung eingestuft.
1 BGH v. 11.10.1977 – X ZR 24/76, GRUR 1978, 166 – Banddüngerstreuer. 2 TT-Leitlinien, Rz. 113. 3 Für die danach notwendige Einzelfallprüfung lassen die TT-Leitlinien, Rz. 126, aber einige Möglichkeiten, solche Klauseln dennoch zu retten. Zu weiteren Klauselgestaltungen in wechselseitigen Lizenzverträgen, insbes. bei Patent-Pools, vgl. Königs, GRUR 2014, 1155 ff.
554 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 235 Teil F
6. Erfahrungsaustausch, Rücklizenzen Der bloße Erfahrungsaustausch ist keine Wettbewerbsbeschränkung. Bei Rücklizenzen an eigenen Verbesserungen oder eigenen neuen Anwendungen differenziert die EU-Kommission in der TT-GVO und den TT-Leitlinien: – Einfache Rücklizenzen sind im Rahmen der Marktschwellen von 20/30 % gruppenfreigestellt. Betrifft die Rücklizenz allerdings eine schon bestehende eigene Technologie, so wäre das unter Wettbewerbern verboten, Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO. – Exklusive Rücklizenzen an Verbesserungserfindungen (ebenso wie die Pflicht zur Abtretung) sind nach Art. 5 Abs. 1 lit. a TT-GVO nicht gruppenfreigestellt, sondern bedürfen der Einzelbewertung; im Rahmen dieser Bewertung ist insbesondere von Bedeutung, ob die Rücklizenz entgeltlich ist und wie stark die Stellung des Lizenzgebers im Technologiemarkt ist1.
234
7. Verteidigung und Verfolgung von Verletzern Bei der Patentlizenz ist die Aufrechterhaltung, also Zahlung der Jahresgebühren, außer bei der rein duldenden Negativlizenz, in erster Linie eine Pflicht bzw. Obliegenheit des Schutzrechtsinhabers, also des Lizenzgebers. Gegenüber einfachen Lizenznehmern ist der Lizenzgeber ebenso wenig zur Verfolgung von Drittverletzern verpflichtet wie zur Enthaltung von weiteren Lizenzvergaben. Anders ist es, wenn er eine Meistbegünstigung eingegangen ist, weil er dann Dritte nicht frei nutzen lassen darf. Bei der ausschließlichen Lizenz ist nach deutschem, österreichischem und (seit 2008) schweizerischem Recht der ausschließliche Lizenznehmer im Rahmen seiner Nutzungsbefugnis selbst klageberechtigt2, sodass ohne ausdrückliche Regelung im Vertrag eine Pflicht des Lizenzgebers zum Vorgehen gegen Verletzer nicht angenommen werden kann. Eine vertragliche Regelung zum Klagerecht3 empfiehlt sich allemal, denn in der Schweiz und anderen Ländern Europas kann der beklagte Verletzer mit dem Einwand der Nichtigkeit antworten. Das kann er in Deutschland und Österreich im Verletzungsprozess zwar so nicht, er kann aber eine Nichtigkeitsklage gegen den Schutzrechtsinhaber/Lizenzgeber erheben und darauf gestützt Aussetzung des Verletzungsstreits beantragen. Wenn im Nichtigkeitsverfahren eine Niederlage droht, muss der Lizenzgeber im Lizenzvertrag dafür Sorge getragen haben, dass er trotz der Ausschließlichkeit vergleichsfähig bleibt, er muss sich also als Ausnahme zur Ausschließlichkeit das Recht ausbedingen, in Nichtigkeitsverfahren Vergleiche abzuschließen, dafür aber dem Lizenznehmer dort etwa vereinbarte günstigere Lizenzgebühren ebenfalls zukommen zu lassen (Meistbegünstigung). Zweckmäßig ist auch eine Vereinbarung über Kosten und Einkünfte aus einem Verletzungsverfahren, z.B.: „Klagebefugt ist in erster Linie der Lizenzgeber. Klagt er auf Aufforderung innerhalb von (z.B. zwei Monaten) nicht, so ist der Lizenznehmer ermächtigt, Verletzungsklage zu erheben. Der jeweilige Kläger handelt auf sein Risiko und seine Kosten. Erstreitet er jedoch Schadensersatz, so wird dieser 1 TT-Leitlinien, Rz. 130. 2 BGH v. 29.4.1965 – Ia ZR 260/63, GRUR 1965, 591 – Wellplatten; BGH v. 12.12.1991 – I ZR 165/89, GRUR 1992, 310 – Taschenbuchlizenz; BGH v. 20.12.1994 – X ZR 56/93, GRUR 1994, 338 (340) – Kleiderbügel; für Österreich OGH v. 12.2.1991 – Ob 173/90, ÖBl. 1991, 153 = GRUR Int. 1992, 131 – Duschtrennwand, OGH v. 15.2.2000, ÖBl. 2000, 178 – BOSS-Brillen I, sowie OGH v. 17.8.2000, ÖBl. 2001, 89 – Boss-Brillen II für die ausschließliche Markenlizenz. Art. 75 schw.PatG, Art. 62 Abs. 3 schwURG, Art. 35 Abs. 4 DesignG, Art. 55 Abs. 4 schwMarkenG. 3 Auch dem einfachen Lizenznehmer kann vertraglich ein Klagerecht eingeräumt werden, so für Österreich, obwohl dort die gewillkürte Prozessstandschaft nicht bekannt ist: OGH v. 15.10. 2002, ÖBl. 2003, 87. Auch in der Schweiz kann ein Klagerecht vertraglich eingeräumt werden, s. BG v. 5.5.1987, BGE 113 II 190 (193) – Le Corbusier-Möbel; seit 2008 steht es in der Schweiz zudem den Lizenznehmern sämtlicher Schutzrechte frei, einem vom Schutzrechtsinhaber angestrengten Prozess beizutreten, um ihren eigenen Schaden geltend zu machen, z.B. Art. 75 Abs. 2 schwPatG.
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Brandi-Dohrn 555
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Teil F Rz. 236
Handel mit geistigem Eigentum
nach Abzug von Prozessaufwendungen (alle, auch nicht erstattungsfähigen, gezahlten Anwalts-, Reise- und Übersetzungs- sowie Gutachtenskosten) im Verhältnis (z.B. 2/3 für den Kläger, 1/3 für die andere Lizenzvertragspartei) verteilt“.
236
Bei der Know-how-Lizenz gibt es immer nur ein persönliches Klagerecht wegen Geheimnisverrats oder Ausnutzung des unredlich Erlangten aus §§ 1, 17, 18 dtUWG.
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Ein überflüssig zugespitzter Diskussionspunkt ist die Nichtangriffsverpflichtung des Lizenznehmers: Will er sie umgehen, so gewinnt er einen „unabhängigen“ Dritten mit einem gewerblichen Eigeninteresse an einer Nichtigkeitsklage. Umgekehrt macht es wenig Sinn, die Assistenzpflicht seitens des Lizenznehmers gegen Drittverletzer für wettbewerblich unbedenklich zu halten1, die dazu korrespondierende Nichtangriffsverpflichtung aber nicht frei zu stellen: Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b TT-GVO sind vertragliche Verpflichtungen, die lizenzierten Schutzrechte nicht anzugreifen, nicht freigestellt, allerdings darf bei exklusiven Lizenzen für diesen Fall ein Kündigungsrecht vorbehalten werden2. Kritisch werden Nichtangriffsverpflichtungen im Rahmen gerichtlicher Vergleiche, wenn dem Patentinhaber letztlich die Schwäche seines Patentes bewusst ist und er den Wettbewerber durch Zahlungen vom Markteintritt abzuhalten versucht („pay for delay“)3.
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Im Hinblick auf das – noch nicht in Kraft getretene – EU-Einheitspatent (s. Rz. 29 ff.) ist bei der Lizenzierung von Europäischen Patenten zu berücksichtigen, dass diese – soweit der Patentinhaber keinen Opt-Out erklärt – der ausschließlichen Jurisdiktion der neuen Gemeinschaftspatentgerichte unterfallen werden. Um einen solchen OptOut dem Patentinhaber zu ermöglichen, müsste dieser dem Lizenznehmer vertraglich untersagen, Klagen vor dem Gemeinschaftspatentgericht anzustrengen. Ist die Wirksamkeit des Patentes unsicher, kann es im Interesse beider Parteien liegen, dem Patentinhaber einen Opt-out zwingend vorzuschreiben, um dadurch jeweils einzelne Nichtigkeitsverfahren in den einzelnen Staaten zu erzwingen4. Aus Sicht des Lizenznehmers bietet es sich zur Rechtssicherheit auch an, sich den Ort des Sitzes des Patentinhabers zum Zeitpunkt der Patentanmeldung nennen zu lassen, da hiervon das auf das Patent anwendbare nationale Recht abhängt. 8. Unterlizenzen
239
Ein selbstständiges Recht zur Vergabe von Unterlizenzen ist mit der einfachen Lizenz nicht verbunden. Es ist aber eine Auslegungsregel, dass im Zweifel die ausschließliche Lizenz auch zur Unterlizenzierung berechtigt5. Diese Regel ist aber nicht zwingend. Laufende Lizenzgebühren und gegenständliche Beschränkungen können auch zur Auslegung führen, dass ohne ausdrückliche Zustimmung des Lizenzgebers keine weitere Unterlizenz eingeräumt werden darf6. Diese Auslegung wird insb. bei der beschränkt ausschließlichen Lizenz oder Alleinlizenz (Lizenzgeber plus ein Lizenznehmer) naheliegen, weil die Vermehrung von Lizenzberechtigungen die Marktstellung des Lizenzgebers beeinträchtigen würde. 1 TT-Leitlinien, Rz. 183. 2 Ebenso in der Schweiz: A. Troller, S. 834. Eine Nichtangriffspflicht kann sich auch aus Lizenzverhältnissen mit besonderer Assistenz- und Treuepflicht ungeschrieben ergeben: BG v. 22.3. 1949, BGE 75 II 167. 3 Vgl. Pressemitteilung der Kommission v. 25.7.2012 – IP/12/834, EuZW 2012, 684 – Lundbeck; dagegen Jansen/Johannsen, EuZW 2012, 893 ff. 4 Ausführlich zu strategischen Überlegungen im Zusammenhang mit dem Einheitspatent Nieder, GRUR 2015, 728 ff. 5 RG v. 1.11.1933, RGZ 142, 168 = GRUR 1934, 36 – Loseblätterbuch; BGH v. 7.11.1952, GRUR 1953, 114 (118) – Reinigungsverfahren; Blum/Pedrazzini, § 34 PatG Anm. 50; h.M. auch für die Schweiz, vgl. Streuli-Youssef (Fn. 5 zu Rz. 172), S. 25. Liebscher, S. 34 für Österreich. 6 BGH v. 10.7.1986 – I ZR 102/84, GRUR 1987, 37 – Videolizenzvertrag.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 243 Teil F
Es empfiehlt sich, die Unterlizenzvergabe ausdrücklich zu erlauben, eingeschränkt zu erlauben oder auszuschließen. Regelungen über die Unterlizenz fallen zwar nicht unter die neue TT-GVO, werden aber auch nicht für kartellrechtlich bedenklich gehalten1. Ist die Unterlizenzvergabe bei der voll ausschließlichen Generallizenz implizit oder ansonsten explizit erlaubt, so kann sie keine weiter gehenden Rechte als die Hauptlizenz verleihen. Sie ist im Zweifel in Konkordanz mit der Hauptlizenz auszulegen.
240
Da eine vom Hauptlizenznehmer erteilte Unterlizenz letztlich auf der ihm selbst nur vertraglich eingeräumten Nutzungsberechtigung beruht, müsste eigentlich mit der Beendigung des Hauptlizenzvertrages automatisch auch jedes Recht der Unterlizenznehmer erlöschen, da der Hauptlizenznehmer ihnen nunmehr keine (Nutzungs-)Rechte mehr vermitteln kann2. Der BGH hat nun – für den Bereich des Urheberrechts, aber mit einer auf alle Schutzrechte übertragbaren Begründung – entschieden, dass sowohl nicht exklusive3 wie exklusive4 Unterlizenzen bei Wegfall des Hauptlizenzvertrages (gleich aus welchem Grund) in aller Regel fortbestehen. Folge ist also, dass sich der Schutzrechtsinhaber trotz (berechtigter) Vertragsbeendigung weiterhin berechtigten (Unter-)Lizenznehmern gegenüber sehen kann; es sollte daher vertraglich die Unterlizenzvergabe an die vorherige Zustimmung des Lizenzgebers geknüpft werden, um die Vergabe von Unterlizenzen kontrollieren zu können5.
241
9. Gewährleistung Die bloße Negativlizenz begründet keine Gewährleistungshaftung, denn bei ihr wird lediglich auf die Ausübung des Verbotsrechts verzichtet. Eine Gewährleistungshaftung kommt hingegen in Betracht bei der echten Lizenz, mit der ein positives Benutzungsrecht vergeben wird.
242
Die Gewährleistungshaftung und die Gewährleistungsfolgen bemessen sich dann vorrangig nach den vertraglichen Vereinbarungen. Dabei wird häufig vereinbart, dass der Lizenzgeber für Rechts- und Sachmängel, insb. Unabhängigkeit, Nichtbestehen von Vorbenutzungsrechten und Rechtsbeständigkeit nicht einsteht, jedoch versichert, dass ihm entgegenstehende Rechte Dritter nicht bekannt sind. Haben die Parteien keine Regelung getroffen, so ist zu beachten, dass der Lizenzvertrag ein Vertrag eigener Art ist. Außerdem ist er ein gewagtes Geschäft, bei dem der Lizenznehmer von Haus aus ein Risiko eingeht. Für seine Inhaberschaft sowie den Bestand des Rechts bei Vertragsschluss, dass das lizenzierte Schutzrecht also bspw. noch nicht abgelaufen ist, haftet der Lizenzgeber nach den Grundsätzen der Rechtsmängelhaftung, § 311a BGB. Der Lizenzgeber haftet auf Schadensersatz, im Ergebnis aber nur, wenn der Lizenzvertrag dem Lizenznehmer nicht rein faktisch die wirtschaftliche Vorzugsstellung verschafft, die er aufgrund des Schein-Schutzrechts erwarten durfte – denn der Lizenznehmer ist nicht primär am formalen Schutzrecht interessiert, sondern an der dadurch vermittelten wirtschaftlichen Vorzugsstellung6. Bis dahin ist er mithin auch zur Zahlung der Lizenzgebühren verpflichtet, kann aber den Lizenzvertrag kündigen, sobald die Nichtexistenz des Schutzrechts offenbar wird. 1 TT-Leitlinien, Rz. 183. 2 So noch RG v. 1.11.1933 – I 119/33, RGZ 142, 168 – Loseblätterbuch. Ebenso in der Schweiz, vgl. ausführlich Iskic/Strobel, sic! 2013, 682 ff., da dort die Lizenz als rein schuldrechtliches Geschäft angesehen wird. 3 BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, BGHZ 180, 344 – Reifen Progressiv. 4 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671 – Take Five. 5 Zu Klauselalternativen vgl. insbes. Spindler, CR 2014, 557 (564). 6 BGH v. 2.2.2012 – I ZR 162/09, MDR 2012, 1304 = GRUR 2012, 910 – Delcantos Hits.
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Teil F Rz. 244
Handel mit geistigem Eigentum
244
Beim gemischten Patentlizenz-/Know-how-Vertrag liegt nur ein teilweiser Rechtsmangel vor, wenn das Patent abgelaufen, das zusätzliche Know-how aber noch geheim und werthaltig ist. Hierbei hat der Lizenznehmer ein Wahlrecht: Möchte er das Knowhow weiter nutzen, so hat er ein Interesse an dieser Teilleistung und bleibt zu einem geminderten Teilentgelt verpflichtet; ist die teilweise Erfüllung des Vertrags für ihn ohne Interesse, so kann er entsprechend § 323 Abs. 5 BGB vom ganzen Vertrag Abstand nehmen und vollen Schadensersatz verlangen. Nach der objektiven Interessenbewertung kommt die erstere Möglichkeit der Minderung in der Regel nur in Betracht, wenn bei einer Paketlizenz ein Schutzrecht schon abgelaufen ist.
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Mangelnde Berechtigung liegt vor bei widerrechtlicher Entnahme, wenn also der Lizenzgeber das Schutzrecht aus dem Erfindungsbesitz eines Dritten abgeleitet und unerlaubt angemeldet hat, §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 8 dtPatG, §§ 5, 46 öPatG, Art. 29 schwPatG. Vom Entnehmer vergebene Lizenzen sind nach bisheriger herrschender Lehre dem Berechtigten gegenüber unwirksam1; ob das nach der neuen BGH-Rechtsprechung zur Fortgeltung der Unterlizenz weiter gelten kann, erscheint zweifelhaft. Dagegen hat in Österreich der gutgläubige Lizenznehmer nach § 49 Abs. 6 öPatG einen Anspruch auf Fortsetzung der erteilten Lizenz. Art. 29 Abs. 3 schwPatG gibt immerhin einen Anspruch auf Fortsetzung als einfache Lizenz, wenn gutgläubig die Benutzung aufgenommen oder Veranstaltungen dazu getroffen waren. Der unberechtigte Lizenzgeber haftet nach §§ 280, 281 BGB auf Schadensersatz gegenüber seinem Lizenznehmer, wenn er innerhalb angemessener Nachfrist die Genehmigung des wahren Berechtigten nicht beibringen kann. Mangelnde Berechtigung kommt in der Praxis zudem häufig vor bei Arbeitnehmererfindern. In Deutschland sind insbesondere Arbeitnehmererfindungen genau zu prüfen, die vom Erfinder vor dem 1.10.2009 dem Arbeitgeber gemeldet wurden – nach damals geltendem Recht mussten solche Erfindungen frist- und formgerecht vom Arbeitgeber in Anspruch genommen werden, ansonsten blieben sie im Eigentum des Arbeitnehmers. In der Schweiz weist dagegen Art. 332 OR solche Erfindungen ausschließlich dem Arbeitgeber zu. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf sonstige, insbesondere Auftrags-Verhältnisse wird jedoch auch in der Schweiz abgelehnt2.
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Gleiches gilt in Deutschland bei ausschließlicher Lizenz und Vorlizenzierung an einen Dritten. Wegen der Fortwirkung der früheren Lizenz nach § 15 Abs. 3 dtPatG ist die spätere ausschließliche Lizenz mit einem Rechtsmangel behaftet. Solche Situationen treten bei der „vergessenen Verpflichtung“ aus früheren Paketlizenzvereinbarungen auf. In Österreich und der Schweiz (Art. 34 Abs. 3 schwPatG) ist die Situation anders: die Vorlizenz wirkt gegen einen späteren Lizenznehmer nur, wenn sie im Register eingetragen war. Der Rechtsmangel der Vorlizenzierung verpflichtet den Lizenzgeber nach §§ 280, 281 BGB zur vollen Schadensersatzpflicht, wenn er den Rechtsmangel nicht durch Zustimmung des Vorberechtigten beseitigen kann3.
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Auch Abhängigkeit ist ein Rechtsmangel, wenn also die Lizenz an dem Schutzrecht mit den Merkmalen a+b+c nicht benutzt werden kann ohne Verletzung des dominierenden Schutzrechtes mit den Merkmalen a+b. Die volle Schadensersatzhaftung für diesen Rechtsmangel aus §§ 280, 281 BGB wurde aber in ergänzender Vertragsauslegung aufgrund der gewagten Natur des Geschäfts als stillschweigend ausgeschlossen angesehen4. Wenn das Abhängigkeitsrisiko vom Lizenzgeber übernommen worden ist, dann gilt die 1 Mellulis in Benkard, § 8 PatG Rz. 17 m.w.N. 2 H.M, vgl. Egli, AJP 2015, 993 (995). 3 BGH v. 15.11.1990 – I ZR 254/88, GRUR 1991, 332 = NJW 1991, 1109 – Lizenzmangel: als Schaden sind auch Zahlungen an einen nur scheinbar besser Berechtigten zu ersetzen, wobei aber zu prüfen war, ob dieser Schaden vom Lizenzgeber adäquat kausal verursacht war. 4 RG v. 17.10.1934, GRUR 1935, 306 (308); RG v. 11.7.1939, RGZ 163, 1 (8) – Frutapect. Heute wird überwiegend eine verschuldensabhängige Schadensersatzhaftung bejaht, vgl. Kraßer, § 41 V
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 252 Teil F
Rechtsmängelhaftung auch für entstehende Drittrechte, die bei Vertragsschluss angemeldet aber vielleicht noch nicht erkennbar waren1. Üblich ist aber, dass lediglich versichert wird, dass entgegenstehende Rechte Dritter nicht bekannt sind. Der Lizenznehmer hat aber auch dann, wenn der Lizenzgeber keine Haftung übernommen hat, nach § 314 BGB ein Kündigungsrecht, wenn der Inhaber des dominierenden Patents seine Verbotsrechte durchsetzt und es dem Lizenzgeber nicht innerhalb gesetzter, angemessener Frist gelingt, den Abhängigkeitsmangel zu beseitigen. Bis zur Kündigung bleibt der Lizenznehmer zur vollen Lizenzzahlung verpflichtet, vorbehaltlich einer Aufrechnung mit anrechenbaren Zahlungen an den dominierenden Dritten.
248
Nach herrschender Meinung sind Lizenzzahlungen an den dominierenden Dritten anrechenbar. Wie sie anrechenbar sind, ist unklar, ob auf die Umsatzbasis oder auf die Lizenzgebühr2. Betragen Lizenz- und Drittlizenzgebühr jeweils 5 %, so ist es für den Lizenznehmer keine angemessene Entlastung, wenn er 5 % weiter zahlen muss, lediglich von 95 statt von 100, also nur eine Minderung auf 4,95 % erhält. Die volle Anrechnung auf die Lizenzgebühr ist eine Minderung auf Null und ist unangemessen, weil der Lizenznehmer das abhängige Lizenzrecht weiter benutzen will. Für den Regelfall wird nach Treu und Glauben im Rahmen des § 313 BGB eine Schadensteilung derart angemessen sein, dass die halbe Drittlizenzgebühr auf die Lizenzgebühr anzurechnen ist. Die Umstände des Einzelfalls werden diese Lösung variieren.
249
Den Lizenzgeber trifft immer eine Offenbarungspflicht über ihm bekannte Abhängigkeitsrisiken, und zwar nicht nur dann, wenn die Abhängigkeit ungeregelt geblieben ist, sondern auch dann, wenn der Lizenznehmer vertraglich das volle Risiko der Abhängigkeit übernommen hat3. Fahrlässige Verletzung der Offenbarungspflicht verpflichtet zum Aufwendungsersatz aus culpa in contrahendo nach §§ 241 Abs. 2, 280 BGB.
250
Nach § 12 dtPatG, § 23 öPatG, Art. 35 schwPatG hat derjenige, der gutgläubig im jeweiligen Territorium die Erfindung vor ihrem Prioritätstag in Benutzung genommen oder dazu Veranstaltungen getroffen hat, ein Vorbenutzungsrecht, das ihn zur Weiterbenutzung im eigenen Betrieb berechtigt. Mehr noch als bei der Abhängigkeit gilt der Grundsatz, dass den ausschließlichen Lizenzgeber angesichts des beiderseits gewagten Geschäfts eine Schadensersatzpflicht nur bei Verschulden trifft, was bei internen Vorbenutzungen Dritter regelmäßig zu verneinen ist. Da die Vorbenutzung kein Verbotsrecht gewährt, ist der Lizenznehmer zudem weit weniger beeinträchtigt. Ein Recht zur Minderung der Lizenzgebühren für die Zukunft (gemäß § 313 BGB) steht ihm analog der späteren Beschränkung des Schutzrechts dann zu, wenn für die Stellung am Markt der volle Umfang des Patentschutzes wesentlich ist.
251
Insbesondere beim Risiko des Rechtsbestands und späterer Beschränkung empfehlen sich vertragliche Regelungen. Selten wird vereinbart, dass der Lizenzgeber die volle Haftung für den Rechtsbestand übernimmt. Es begegnen jedoch Zwischenlösungen etwa derart, dass der Lizenznehmer verpflichtet ist, die Lizenzgebühren bis zu einer etwaigen erstinstanzlichen Entscheidung voll an den Lizenzgeber zu zahlen; bei erstinstanzlicher Entscheidung gegen den Rechtsbestand und während der Rechtsmittelinstanz hat er einstweilen entweder gemindert oder voll auf ein gemeinsames Sperr-
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Rz. 71; Ullmann/Deichfuß in Benkard, § 15 PatG Rz. 171; Kühnen in Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl. 2014, § 15 PatG Rz. 63. 1 RG v. 20.4.1940 – I 184/36, GRUR 1940, 265 – Reibselschleuder; BGH v. 16.5.1973 – VIII ZR 42/72, GRUR 1973, 667 – Rolladenstäbe. 2 RG v. 17.10.1934, GRUR 1935, 306 für Anrechnung auf die Umsatzbasis, Ullmann/Deichfuß in Benkard, § 15 PatG Rz. 171 für Anrechnung – als Schadensersatz – auf die Lizenzgebühr. 3 BGH v. 23.3.1982 – X ZR 76/80, GRUR 1982, 481 (483) – Hartmetallkopfbohrer; BGH v. 11.10. 1991, NJW-RR 1992, 91 – nicht offenbarter langfristiger Pachtvertrag bei einem Grundstücksverkauf mit einer Pachtübernahmeklausel.
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Teil F Rz. 253
Handel mit geistigem Eigentum
konto zu zahlen mit Nachzahlungs- bzw. Freigabepflicht, wenn das Patent Bestand hat. Die Freigabe zugunsten des Lizenznehmers erfolgt, wenn die Ungültigkeit bestätigt oder das Schutzrecht so beschränkt wird, dass die Ausführungsform des Lizenznehmers nicht mehr im Schutzumfang liegt. 253
Ohne anderweitige vertragliche Regelung ist der Lizenznehmer bis zur rechtskräftigen Entscheidung zur Fortzahlung der Lizenzgebühren verpflichtet. Das ist ständige Rechtsprechung, auch wenn die Widerrufsentscheidung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren das Patent ex tunc erlöschen läßt1. Der Lizenzvertrag erlischt nur ex nunc wegen Wegfalls seiner Schutzrechtsgrundlage. Bis dahin genießt der Lizenznehmer die wirtschaftliche Vorzugsstellung der Nutzungsberechtigung.
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Auch bei drohender Vernichtbarkeit nimmt die Rechtsprechung nicht Rechtsmängelhaftung an, sondern ein Kündigungsrecht ex nunc wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage – § 313 BGB, früher § 242 BGB – unter zwei kumulativen Voraussetzungen: – die Vernichtung muss wahrscheinlich sein, – und die Vorzugsstellung des Lizenznehmers muss konkret dadurch beeinträchtigt sein, dass die Konkurrenz lizenzgebührenfrei fertigt2.
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Drohende Nichtigkeit allein befreit den Lizenznehmer nicht, auch nicht bei ungeprüften Schutzrechten wie dem Gebrauchsmuster oder bei Lizenzerteilung an einer noch nicht geprüften Patentanmeldung3. Der Lizenznehmer gewinnt aber ein schadensersatzrechtliches Kündigungsrecht aus culpa in contrahendo nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB, wenn der Lizenzgeber den ihm bekannten, relevanten Stand der Technik verschwiegen hat4.
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Bei rechtskräftiger Beschränkung endet die Lizenzgebührenpflicht, wenn die Ausführungsform des Lizenznehmers aus dem beschränkten Schutzumfang des Patents herausfällt. Ist das nicht der Fall, so kann gleichwohl eine Minderung der Lizenzgebühren stattfinden, wenn eine umfassende Lizenz am Patent und nicht nur eine Lizenz für eine beschränkte, nicht betroffene Ausführungsform erteilt war, wenn die Parteien bei Vertragsschluss das Gesamtpatent als wesentlich angesehen haben und wenn der volle Umfang der Verbotsrechte zur Fernhaltung der Konkurrenz vertragswesentlich war5. 1 St. Rspr., vgl. folgende Fn; das gilt sogar, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das Patent wegen technischer Unausführbarkeit nicht hätte erteilt werden dürfen, OLG Karlsruhe v. 23.7. 2008 – 6 U 109/07, GRUR-RR 2009, 121 – Bodybass. 2 Schweiz strittig: Blum/Pedrazzini, § 34 PatG Anm. 64 ff., 66: der Lizenzvertrag über ein Patent, das sich als nichtig erweist, ist als auf einen unmöglichen Gegenstand gerichtet nach Art. 20 OR nichtig und der Lizenznehmer zur Rückzahlung verpflichtet. Dagegen: BG v. 22.3.1949, BGE 75 II 172: wegen tatsächlich genossener Vorzugsstellung keine Rückzahlung von Lizenzgebühren für die Vergangenheit; ebenso BG v 5.4.1990, BGE 116 II 191 (196) zu einem schutzunfähigen Geschmacksmuster, das gegen die Konkurrenz nicht mehr durchgesetzt wurde. Deutschland: RG v. 21.11.1914 – Rep. I 119/14, RGZ 86, 45 (56); RG v. 22.1.1921 – I 240/20, RGZ 101, 235 (238) – Nichtigkeitsklage des Lizenznehmers; BGH v. 12.4.1957 – I ZR 1/56, GRUR 1957, 595 f. – Verwandlungstisch: Kündigungsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB; BGH v. 28.6.1957 – I ZR 229/55, GRUR 1958, 175 (177) – Wendemanschette; BGH v. 26.6. 1969 – X ZR 52/66, GRUR 1969, 677 – Rüben-Verladeeinrichtung; BGH v. 17.10.1968 – KZR 11/66, GRUR 1969, 409 – Metallrahmen: Auch ein Lizenzvertrag über ein vernichtbares Patent ist patentrechtlich voll wirksam; BGH v. 28.9.1976 – X ZR 22/75, GRUR 77, 107 – Werbespiegel: Löschungsreife eines ungeprüften Gebrauchsmusters entbindet ohne lizenzfrei fertigende Konkurrenten nicht von der Lizenzzahlungspflicht; BGH v. 27.6.1991 – I ZR 7/90, GRUR 1993, 40 f. – Keltisches Horoskop – zur Übertragung eines urheberrechtlichen Scheinrechts; BGH v. 14.5.2002 – X ZR 144/00, GRUR 2002, 787 – Abstreifleiste. 3 BGH v. 28.9.1976 – X ZR 22/75, GRUR 77, 107 – Werbespiegel – für ein ungeprüftes Gebrauchsmuster. 4 RG v. 19.11.1940 – I 12/40, GRUR 1941, 99 – Federglühofen; BGH v. 23.3.1982 – X ZR 76/80, GRUR 1982, 481 (483) – Hartmetallkopfbohrer. 5 BGH v. 24.9.1957 – I ZR 128/56, GRUR 1958, 231 – Rundstuhlwirkware.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 260 Teil F
Es kann sein, dass eine Ausführungsform in der irrigen Annahme zum Lizenzgegenstand gemacht worden ist, sie falle unter das Patent. Es kann auch sein, dass sich der Lizenznehmer, der nach dem Patent arbeitet, dabei einen sachlichen Verbots- und Exklusivbereich versprochen hat, der in dieser Weite nicht besteht. Sind zum Schutzumfang keine Zusicherungen gemacht worden, so gehören Annahmen über die Weite des Verbotsbereichs grundsätzlich zum Lizenznehmerrisiko.
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Haben die Parteien den Lizenzvertrag wegen einer Ausführungsform geschlossen, um das Risiko oder die Annahme einer andernfalls gegebenen Verletzung auszuschließen, so ist Geschäftsgrundlage die Beseitigung des Risikos, und sie ändert sich nicht dadurch, dass der Lizenznehmer oder auch ein Gericht dieses Risiko später anders wertet. War die Rechtslage ernstlich zweifelhaft, so ist auch ein während des Gerichtsverfahrens geschlossener Lizenzvergleich, mag er auch tatsächlich über den Inhalt des Schutzrechts hinausgehen, kartellrechtlich wirksam1. Ist bei einer Lizenz an einem Patent oder an einem Patentpaket noch für eine Ausführungsform weitergezahlt worden, obwohl sie von Anfang an nicht geschützt war, so hat das RG Nichtigkeit und Rückzahlungspflicht angenommen2. Im Allgemeinen wird man aber in der Zahlung eine konkludente Erklärung sehen müssen, dass die Ausführungsform im Hinblick auf ein sonst bestehendes Verletzungsrisiko als lizenzpflichtig behandelt werden solle, und es gilt das über die irrig lizenzierte Ausführungsform zuvor Gesagte. Für jegliche Art der Gebrauchstauglichkeit – Serienreife, Rentabilität, Konkurrenzfähigkeit, technische Brauchbarkeit – haftet der Lizenzgeber, wenn er entsprechende Zusicherungen abgibt3. Die Zusicherungshaftung stellt eine Garantieübernahme nach § 276 Abs. 1 BGB dar und verpflichtet nach § 281 BGB zum Schadensersatz nach dem Erfüllungsinteresse einschließlich des entgangenen Gewinns.
258
Ohne Zusicherungen haftet der Lizenzgeber grundsätzlich nicht für die wirtschaftliche Brauchbarkeit. Diese ist das Risiko des Lizenznehmers. Somit haftet der Lizenzgeber auch nicht dafür, dass der Lizenzgegenstand zu konkurrenzfähigen Preisen hergestellt werden kann. Der Kalkulationsirrtum geht zu Lasten des Lizenznehmers4. Der Lizenznehmer kann grundsätzlich wegen Unrentabilität auch dann nicht kündigen, wenn er sich zu einer Mindestlizenzgebühr verpflichtet hat. Die Mindestlizenzgebühr als Alternative zum Ausübungszwang entfällt nur in Ausnahmefällen, wenn der Lizenznehmer mehr oder weniger unverkäuflichen Schrott produzieren und sehenden Auges dem Ruin entgegenwirtschaften müsste, also unter strengeren Voraussetzungen als die Ausübungspflicht selbst5.
259
Wird der Lizenzgegenstand am Markt überholt, so fällt auch das grundsätzlich in die Risikosphäre des Lizenznehmers. Im Falle der Ausübungspflicht kann das jedoch zu einem Vertragsanpassungs- und letztlich Kündigungsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach §§ 313, 314 BGB führen, wenn die Grenzen der Zumutbarkeit des Festhaltens an der Ausübungspflicht überschritten sind6.
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1 BGH v. 7.12.2010 – KZR 71/08, WRP 2011, 768 = GRUR 2011, 641 – Jette Joop (zum Markenrecht). 2 RG v. 18.11.1911 – Rep. I 79/11, RGZ 78, 10 – Gliederofen. 3 BGH v. 11.6.1970 – X ZR 23/68, GRUR 1970, 547 – Kleinfilter. 4 RG v. 11.7.1939 – I 4/39, RGZ 163, 1 (6) – Frutapect. 5 BGH v. 11.10.1977 – X ZR 24/76, GRUR 1978, 166 – Banddüngerstreuer; BGH v. 20.7.1999 – X ZR 121/96, GRUR 2000, 138 – Knopflochnähmaschine: beide zum Entfallen der Ausübungspflicht; BGH v. 14.11.2000 – X ZR 137/99, GRUR 2001, 223 (225) – Bodenwaschanlage: Anpassung nach § 313 BGB denkbar, wenn sich das Preisgefüge, das Grundlage für die Mindestlizenzgebühr war, erheblich ändert. 6 S. vorhergehende Fn.
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Teil F Rz. 261
Handel mit geistigem Eigentum
261
Ohne entsprechende Zusicherungen haftet der Lizenzgeber grundsätzlich auch nicht für Fabrikationsreife und Serienreife1. Das kann anders sein beim Know-how-Vertrag oder beim gemischten Patent-/Know-how-Lizenzvertrag, wenn das lizenzierte Knowhow gerade Fabrikations-Know-how sein soll. Haftet der Lizenzgeber nicht für Fabrikationsreife, so bedeutet das umgekehrt nicht, dass der Lizenznehmer für immer gebunden und zahlungspflichtig bliebe. Lässt sich in angemessener Zeit keine brauchbare, fabrikationsreife Lösung erzielen, so entfällt die Geschäftsgrundlage und der Lizenznehmer kann aus wichtigem Grund nach § 314 BGB kündigen.
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Technische Brauchbarkeit bedeutet, dass das Lizenzschutzrecht mit dem Ergebnis ausführbar ist, insb. sich der Gegenstand herstellen lässt, der dem von den Parteien vertraglich vorausgesetzten Zweck oder dem gewöhnlichen, patentgemäßen Zweck entspricht. Im Grundsatz gilt, dass der Lizenzgeber auch ohne Zusicherung für technische Brauchbarkeit haftet und zwar auf Schadensersatz nach dem Erfüllungsinteresse nach den Grundsätzen über die Einstandspflicht auch bei anfänglicher subjektiver Unmöglichkeit (§§ 275 Abs. 4, 276, 281 BGB). Das entspricht auch schon früherer Rechtsprechung2. Die Haftung tritt aber nur ein, wenn nicht, auch stillschweigend, etwas Anderes vereinbart ist. Stillschweigender Ausschluss ist insb. dann anzunehmen, wenn der Lizenznehmer wusste, dass das lizenzierte Verfahren noch nicht ausreichend erprobt war, sondern weitere Versuche erforderlich sein würden3. War dem Lizenzvertrag eine Erprobungsphase vorgeschaltet, so haftet der Lizenzgeber nicht mehr für technische Brauchbarkeit, weil der Lizenznehmer Gelegenheit hatte, die Erfindung vorab auszuprobieren. Haben sich aber Lizenzgeber und Lizenznehmer gemeinsam über die technische Brauchbarkeit geirrt und lässt sich die technische Brauchbarkeit in angemessener Zeit nicht herstellen, so verbleibt dem Lizenznehmer ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 BGB4. Für die technische Brauchbarkeit ist der Vertragszweck entscheidend, sowohl für das Fehlen wie auch für das ausreichende Bestehen der Brauchbarkeit. Ein wissenschaftliches Reaktionsmessgerät unterliegt strengeren Brauchbarkeitsanforderungen als ein Reaktionsmessgerät zu Unterhaltungszwecken in Gaststätten5. Auch ist dem Lizenzgeber eine angemessene Frist zur Nachbesserung und Herstellung der technischen Brauchbarkeit zu gewähren.
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Sämtliche Gewährleistungsansprüche, auch solche wegen Rechtsmängeln, verjähren in Deutschland in drei Jahren ab Ende des Kalenderjahres, in dem der Lizenznehmer seinen Anspruch ohne grobe Fahrlässigkeit hätte kennen müssen, §§ 194, 199 Abs. 1 BGB. Konnte der Lizenznehmer seine Ansprüche nicht kennen, so beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre ab tatsächlichem Entstehen des Rechts- oder Sachmangels.
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Einstweilen frei.
1 RG v. 1.3.1911 – Rep. I 366/10, RGZ 75, 400 (402); RG v. 12.6.1942 – I 151/41, GRUR 1943, 35; BGH v. 26.11.1954 – I ZR 244/52, GRUR 1955, 338 (340) – beschlagsfreie Brillengläser. 2 RG v. 1.3.1911 – Rep. I 366/10, RGZ 75, 400 – Entschirrungsapparat für durchgehende Pferde, der nicht zuverlässig funktionierte; BGH v. 28.6.1979 – X ZR 13/78, GRUR 1979, 768 = BB 1979, 1316 – Mineralwolle: untaugliche Rezeptur bei einer Know-how-Lizenz; großzügiger OLG Karlsruhe v. 23.7.2008 – 6 U 109/07, GRUR-RR 2009, 121 – Bodybass, obwohl dort ebenfalls das Patent wegen technischer Unausführbarkeit nicht hätte erteilt werden dürfen. 3 So der Fall Mineralwolle, vgl. vorhergehende Fn. 4 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 244/52, GRUR 1955, 338 (341) – beschlagsfreie Brillengläser. 5 BGH v. 1.12.1964 – Ia ZR 212/63, GRUR 1965, 298 = BB 1965, 217 = NJW 1965, 759 – Reaktionsmessgerät: Das Reaktionsmessgerät war trotz des Fehlers, dass die Reaktionseinsatzzeit regelmäßig und daher gewöhnbar war, für den Massenvertrieb in Gaststätten noch geeignet.
562 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 269 Teil F
10. Dauer Der Lizenzvertrag endet durch ordentliche Kündigung oder Ablauf der Zeitdauer, wie sie gegebenenfalls im Vertrag vorgesehen sind. Ist nichts vorgesehen, so läuft der Vertrag im Zweifel auf die Laufzeit des Schutzrechtes. Mit Ablauf enden – vorbehaltlich abweichender Regelung im Lizenzvertrag – auch die Lizenzgebührenpflicht und alle sonstigen Lizenznehmerbeschränkungen.
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Die Know-how-Lizenz endet, wenn das Know-how offenkundig wird. Die Zahlungspflicht endet aber nicht, wenn das vormalige Know-how in einer Patentanmeldung schutzrechtlich weitergeführt wird1. Auch endet die Zahlungspflicht nicht, wenn es gerade der Lizenznehmer war, der das Know-how pflichtwidrig offenkundig gemacht hat.
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Einstweilen frei.
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Bei kürzeren Vertragslaufzeiten als der Laufzeit des Patents werden häufig Verlängerungsklauseln vereinbart. Sie gehen dahin, dass, wenn eine Partei nicht binnen bestimmter Frist vor Ende einer Vertragsperiode ihre Absicht erklärt, den Vertrag nicht fortzusetzen, sich der Vertrag alsdann um eine weitere Vertragsperiode verlängert.
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Läuft der Vertrag auf unbestimmte Zeit oder ist er auf die Laufzeit des Schutzrechtes oder über mehrere Jahre geschlossen, so ist eine Kündigung aus wichtigem Grund wie bei allen Dauerschuldverhältnissen möglich. Auch ohne spezielle Kodifikation ist der Grundsatz auch im schweizerischen und österreichischen Recht anerkannt2. Auch § 314 BGB über die Kündigung aus wichtigem Grund kodifiziert nur die bestehende deutsche Rechtsprechung. Nach § 314 BGB und der bisherigen Rechtsprechung liegt ein wichtiger Grund dann vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Vertragstreue die Fortsetzung bis zum ordentlichen Ende des Vertrags nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist3. Das erfordert eine Interessenabwägung unter Beachtung des Grundsatzes, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind. Verschulden einer Partei an dem Kündigungsgrund ist nicht erforderlich4. Aber auf eigene, überwiegende Zerrüttung des Vertragsverhältnisses kann der Kündigende sich nicht berufen5. Für sich genommen unzureichende Kündigungsgründe können in ihrer Kumulierung wichtig sein6; dabei können auch vergangene, bereinigte oder verziehene Verstöße in der Gesamtwürdigung neuerer Verstöße mitzählen7. Frühere Kündigungsgründe, die erst später bekannt werden, können nach-
269
1 BGH v. 14.5.2002 – X ZR 144/00, GRUR 2002, 787 – Abstreifleiste. 2 Blum/Pedrazzini, § 34 PatG Anm. 114; BGE 92 II 300, und im österreichischen Recht: OGH v. 28.11.1978, ÖBl. 1979, 94 (96) – Guhl; Liebscher, S. 45. 3 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 244/52, GRUR 1955, 338 – beschlagsfreie Brillengläser (Know-how-Lizenz); BGH v. 28.6.1957 – I ZR 229/55, GRUR 1958, 175 (177) – Wendemanschette (Patentlizenz); BGH v. 22.5.1959 – I ZR 46/58, GRUR 1959, 616 – Metallabsatz: Patentlizenz mit Vertrieb durch den Lizenzgeber, Kündigung statt Rücktritt nach §§ 325, 326 BGB aF; BGH v. 14.12.1989 – I ZR 56/88, GRUR 1990, 443 – Musikverleger IV (Verlagsvertrag); BGH v. 2.5.1991 – I ZR 184/89, GRUR 1992, 112 – pulp-wash (Markenlizenzvertrag); OLG Karlsruhe v. 25.4.1990 – 6 U 42/88, GRUR 1992, 162 – Schleifvorrichtung; OLG München v. 25.1.1996 – 29 U 2404/95, Mitt. 1997, 30 – aliseo (Firmenlizenzvertrag); BGH v. 29.4.1997 – X ZR 127/95, GRUR 1997, 610 = BB 1997, 1502 = NJW-RR 1997, 1467 – Tinnitus Masker (Patentlizenzvertrag). 4 RG v. 11.11.1933 – I 130/33, RGZ 142, 212 – berechtigte Kündigung wegen gesellschaftsrechtlicher Umgestaltung des Lizenznehmers. 5 BGH v. 14.6.1972 – VIII ZR 153/71, DB 1972, 2054 – Kündigung eines Vertriebsvertrages nach beiderseitigen Vertragsverletzungen. 6 BGH v. 14.12.1989 – I ZR 56/88, GRUR 1990, 443 (445) – Musikverleger IV. 7 BGH v. 26.11.1954 – I ZR 244/52, GRUR 1955, 338 (340) – beschlagsfreie Brillengläser.
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Brandi-Dohrn 563
Teil F Rz. 270
Handel mit geistigem Eigentum
geschoben werden. Neue Kündigungsgründe können nur eine erneute Kündigung, ex nunc, ab Kenntnis des Grundes rechtfertigen1. Bei behebbarem wichtigen Grund, insb. bei Gründen im Leistungsbereich des Kündigungsgegners, ist die Kündigung erst nach einer Behebungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung und Hinweis auf die Kündigungsfolgen entsprechend §§ 314 Abs. 2, 323 BGB berechtigt. 270
Die außerordentliche Kündigung muss in angemessener Frist, nämlich grundsätzlich innerhalb von maximal zwei Monaten ab Kenntnis des wichtigen Grundes erklärt werden2. Die Kündigung durch einen Vertreter sollte unter Original-Vollmachtsvorlage erfolgen, um eine unverzügliche Zurückweisung nach § 174 BGB zu vermeiden.
271
Als Gestaltungserklärung bringt die berechtigte Kündigung das ganze Lizenzverhältnis einseitig ex nunc zum Erlöschen. Kündigung von Teilbereichen, Gebieten oder bloß der Ausschließlichkeit3 ist ohne Vereinbarung nicht möglich. Es ist daher ratsam, ein Teilkündigungsrecht im Vertrag im Voraus zu vereinbaren, insb. für Fälle unzureichender Ausübung oder unzureichender Marktpflege hinsichtlich der betroffenen Gebiete und/oder für die Ausschließlichkeit.
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Da die berechtigte Kündigung ex nunc wirkt, sind grundsätzlich früher gezahlte Lizenzgebühren nicht zurückzuzahlen. Das gilt auch, sofern nichts Anderes vereinbart ist, für eine vereinbarte Einmal-Pauschalzahlung zu Vertragsbeginn4. Anders verhält es sich bei vorausgezahlten, anrechenbaren Mindestlizenzgebühren; sie sind pro rata rückzuerstatten. Rückerstattung von Einmalzahlungen kann ferner dann in Betracht kommen, wenn der Kündigungsgrund vom Lizenzgeber schuldhaft gesetzt worden ist, weil dann eine Schadensersatzpflicht aus positiver Vertragsverletzung neben der Kündigung aus wichtigem Grund besteht. Ähnliches gilt umgekehrt, und ist im umgekehrten Verhältnis auch relevanter, wenn der Lizenznehmer schuldhaft einen Kündigungsgrund setzt und trotz Abmahnung nicht abstellt. In diesem Fall kann der Lizenzgeber als Schadensersatz die entgangenen Lizenzeinnahmen bis zum ersten Termin verlangen, zu dem der Lizenznehmer sich durch ordentliche Kündigung vom Vertrag hätte lösen können5.
273
Mit berechtigter Kündigung erlischt das Benutzungsrecht. Bei Patentlizenzverträgen tritt das gesetzliche Benutzungsverbot nach § 9 dtPatG gegen den früheren Lizenznehmer in Kraft. Der Lizenznehmer hat jedoch ein Recht zum Abvertrieb. Schon aus dem Grundsatz der Erschöpfung folgt, dass der Lizenznehmer Erzeugnisse, die er während der Lizenzzeit berechtigt hergestellt hat, auch nach Ende der Lizenz vertreiben darf6. Auch während der Vertragszeit aufgenommene Bestellungen darf der Lizenznehmer grundsätzlich nachvertraglich noch fertigen und ausliefern. Das ergibt sich aus nachvertraglicher Treuepflicht ähnlich wie beim Eigenhändler.
1 BGH v. 29.4.1997 – X ZR 127/95, GRUR 1997, 610 = BB 1997, 1502 = NJW-RR 1997, 1467 – Tinnitus Masker. 2 BGH v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722 (Vertragshändler-Vertrag und ähnliche Verträge); OLG Karlsruhe v. 25.4.1990 – 6 U 42/88, GRUR 1992, 162 (164) – Schleifvorrichtung (Lizenzverträge); BGH v. 25.11.2010 – Xa ZR 48709, GRUR 2011, 455 (457), Rz. 29 – Flexitanks (zum Know-how-Lizenzvertrag): ein Monat jedenfalls ausreichend. 3 BGH v. 5.11.1992 – IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320 – unwirksame Teilkündigung durch einen Rechtsanwalt. 4 BGH v. 5.7.1960 – I ZR 63/59, GRUR 1961, 27 – Holzbauträger; BGH v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671, Rz. 21 – Take Five (zum Urheberrecht). 5 BGH v. 25.11.2010 – Xa ZR 48/09, GRUR 2011, 455 – Flexitanks. 6 Lüdecke/Fischer, Lizenzverträge, G 19, G 21; Ohl, GRUR 1992, 77 (81).
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 277 Teil F
III. Nationale Besonderheiten 1. Gesetzliche Regelungen In allen drei Ländern, Deutschland, Österreich und Schweiz fehlen eigene zivilrechtliche Regeln für den Lizenzvertrag als Vertragstyp. Die Ausformung des Lizenzrechts ist den Gerichten überlassen. Die deutsche Rechtsprechung ist dabei die verhältnismäßig reichhaltigste und übt daher eine gewisse Orientierungsfunktion aus.
274
Die Schweiz hat seit 2012 ein spezialisiertes Bundespatentgericht, das ausschließlich zuständig ist für Patentverletzungs- und -nichtigkeitsklagen, sowie (konkurrierend neben den ordentlichen Gerichten) für alle Auseinandersetzungen zwischen Patentlizenzvertragsparteien (Art. 26 Abs. 2 schwPatGG). Liechtenstein ist staatsvertraglich verpflichtet, die schweizerischen Gesetze zum Gewerblichen Rechtsschutz auch für sein Territorium anzuerkennen. Das liechtensteinische Patentrecht entspricht daher – bis auf die nicht übernommenen Art. 32 und 48b schwPatG – dem schweizerischen Recht. Aufgrund des zwischen beiden Ländern abgeschlossenen Patentschutzvertrages v. 1.4.1980 bilden beide Länder ein einheitliches Schutzgebiet für Patente und gilt die Benennung eines der Länder in einem Europäischen Patent oder einer PCT-Anmeldung als für beide Länder erfolgt. Die Patente können nur einheitlich für beide Länder übertragen werden (Art. 4 Abs. 1 PatentschutzV). Das künftige EU-Gemeinschaftspatent kann nur für alle teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlich übertragen werden; Lizenzen können jedoch für jedes Mitgliedsland gesondert erteilt werden (Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1257/2012).
275
2. Insbesondere: Kartellrecht Deutschland und Österreich folgen in ihren Kartellgesetzen auch für rein nationale Sachverhalte in vollem Umfang dem durch EU-Recht vorgegebenen Vorrang des EUKartellrechts. Nach § 3 öKartellG können durch Rechtsverordnung auf nationaler Basis ebenfalls Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen werden, hiervon wurde aber bisher im Bereich des Geistigen Eigentums kein Gebrauch gemacht. Auch in Österreich gilt die „Schutzrechtsimmanenztheorie“: Beschränkungen im Rahmen des gesetzlichen Schutzrechtsinhalts und Beschränkungen, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendig sind, stellen keine verbotenen Kartelle dar1.
276
Auch die Schweiz hat keine besonderen kartellrechtlichen Zusatzregelungen für Lizenzverträge. Nach Art. 3 Abs. 2 des schwKartellG2 sind Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen, die sich ausschließlich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben. Das Wort „ausschließlich“ soll bedeuten, dass der Vorbehalt zugunsten des geistigen Eigentums eng auszulegen sei; für Einfuhrbeschränkungen, die auf Rechte des geistigen Eigentums gestützt werden, ist schon nach dem Gesetzeswortlaut eine Kartellprüfung möglich. Ausgenommen seien die unilateralen Verbote aus dem geistigen Eigentum, während vertragliche Verfügungen ähnlich wie im EG-Kartellrecht auf wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hin zu untersuchen seien3. Ähnlich wie auf EU-Ebene kann die Wettbewerbskommission in Gruppenfreistellungsverordnungen Klauseln für bestimmte Vertragsgruppen kartellrechtlich freistellen; zu diesen Vertragstypen gehören auch ausschließliche Lizenzen, Art. 6 Abs. 1 lit. d schwKartellG. Eine entsprechende Gruppenfreistellungsverordnung liegt bislang nicht vor, so-
277
1 KOG v. 23.1.1978, ÖBl. 1978, 78 – Coca-Cola: dort wurde aber einer sternförmigen Markenlizenz mit Gebietsaufteilung unter den verschiedenen Abfüllern Kartellcharakter zugesprochen. 2 Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen v. 6.10.1995, SR 251. 3 Rauber in Stoffel/Zäch, S. 186.
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Brandi-Dohrn 565
Teil F Rz. 278
Handel mit geistigem Eigentum
dass die Lizenzvertragsparteien anhand der allgemeinen Grundsätze insbes. des Art. 5 schwKartellG die Wirksamkeit ihrer Vertragsklauseln einschätzen müssen. 3. Einzelne Klauseln, Zwangslizenzen 278
Anders als in Deutschland und Österreich1 sind in der Schweiz sämtliche Abreden nichtig, die die gesetzlich erlaubten Benutzungen (insbesondere das Versuchsprivileg) einschränken (Art. 9 Abs. 2, 35a Abs. 4 schwPatG). Die Schweiz kennt zudem ein gesetzlich erheblich weiter ausdifferenziertes Recht von Zwangslizenzen als Deutschland: So ist ein gesetzlicher Anspruch auf Lizenzerteilung vorgesehen, wenn eine biotechnologische Erfindung als Hilfsmittel oder Instrument zu weiterer Forschung benutzt werden soll (Art. 40b schwPatG), Diagnostika können jedenfalls bei festgestelltem Marktmißbrauch zwangslizenziert werden (Art. 40c), sonstige Arzneimittel zum Zwecke der Ausfuhr in Länder, die keine ausreichenden Herstellmöglichkeiten, jedoch Eigenbedarf haben (Art. 40d).
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Urteile des Fürstentums Liechtenstein werden bislang in Deutschland nicht anerkannt, da die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist2.
IV. Internationales Privatrecht 1. Rechtswahl 280
Die Parteien können nach Art. 3 Rom I-VO3 (bzw. Art. 122 Abs. 2 schwIPRG; Art. 39 liIPRG) das anwendbare Recht grundsätzlich frei bestimmen. Wählen sie „deutsches Recht“, so bezieht sich diese Rechtswahl auf das deutsche/österreichische Sachrecht, einschließlich des Einheitsrechts, nicht aber auf das Kollisionsrecht; eine Rück- oder Weiterverweisung ist daher nicht mehr zu prüfen (Art. 20 Rom I-VO). Die Rechtswahl erfasst in Deutschland und Österreich jedoch nicht etwaige neben den vertraglichen bestehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung4, was bei Verstößen gegen den Umfang der lizenzvertraglich eingeräumten Nutzungsrechte häufig der Fall ist (Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO)5. In der Schweiz gilt das Vertragsstatut jedoch auch für konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Art. 133 Abs. 3 schwIPRG). Ist ausländisches Recht gewählt, so bestimmt sich sowohl die Wirksamkeit dieser Rechtswahl6 wie die Frage, ob hierin eine Gesamtrechtsverweisung7 liegt, nach dem gewählten Recht.
1 Das Verbot gegenüber dem Lizenznehmer, die lizenzierte Technologie nicht weiter zu erforschen, ist kartellrechtlich unwirksam nur zwischen Wettbewerbern und auch zwischen diesen nicht generell, Art. 4 Abs. 1 lit. d TT-GVO. 2 OLG Stuttgart v. 28.7.2014 – 5 U 147/12, BB 2014, 2433. 3 VO (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 4 Beide Ansprüche können jedoch im gleichen Gerichtsstand geltend gemacht werden, da die Frage der unerlaubten Handlung notwendig eine Auslegung des Vertrages voraussetzt, sodass der Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) auch deliktische Ansprüche mit erfasst, EuGH v. 13.3.2014 – Rs. C-548/12, NJW 2014, 1648 – Brogsitter. 5 Nach dem in Deutschland außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom-II-VO weiter geltenden Art. 42 EGBGB kann nach Schadenseintritt eine vertragliche Rechtswahl erfolgen; ebenso die Schweiz, Art. 110 Abs. 2 schwIPRG. 6 BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, NJW 1994, 262; Art. 116 Abs. 2 Satz 2 schwIPRG. 7 Sachnormverweisung z.B. Art. 1 Abs. 1 liIPRG; eingeschränkte Gesamtrechtsverweisung z.B. Art. 14 schwIPRG.
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Technologietransfer-Verträge
Rz. 283 Teil F
2. Grenzen der Rechtswahl Die Rechtswahlfreiheit unterliegt Einschränkungen, zum einen aufgrund der Besonderheiten des Immaterialgüterrechts, zum anderen aufgrund (für alle Arten von Verträgen geltender) wirtschaftspolitischer Vorschriften.
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a) Immaterialgüterstatut Für Patente, Gebrauchsmuster und Sortenschutzrechte1 ist das Schutzlandprinzip heute allgemein anerkannt2. Daher ist jeweils zwingend gesondert nach dem Recht des Landes, für das der Schutz des Rechts geltend gemacht wird, anzuknüpfen, soweit es um den Bestand, die Gültigkeit, die Eintragung, den Umfang oder die Dauer des Schutzrechts geht3. Nach dem Schutzland bestimmt sich daher auch, ob das jeweilige Recht überhaupt lizenziert oder das Recht oder die Lizenz übertragen werden kann, einschließlich der Frage, ob die Lizenz gegenüber Dritten Wirkung entfaltet (sog. „dingliche Wirkung“)4. Dann dürfte sich auch die Frage, ob – entsprechend der neuen Rechtsprechung in Deutschland – bei Wegfall der Hauptlizenz die Unterlizenz fortbesteht, nach dem Schutzland richten, also nur für das deutsche Schutzrecht gelten5. Auch für die Wirkung etwaiger FRAND-Erklärungen des Patentinhabers gegenüber Dritten im Rahmen von Standardisierungsbemühungen soll nicht das Vertragsstatut sondern das Schutzlandprinzip gelten6. Unberührt bleibt allerdings die nach Vertragsstatut zu beurteilende Möglichkeit der Streitparteien, z.B. im Rahmen eines Vergleiches, inter partes zu vereinbaren, den Umfang des Schutzrechtes untereinander als nur mit einem geringeren Schutzbereich gültig anzusehen oder keine Ansprüche wegen Patentverletzung mehr geltend zu machen7.
282
Das Recht des Schutzlandes bestimmt auch, wer als originärer Inhaber des Schutzrechts anzusehen ist – mit einer bedeutsamen Ausnahme: Nach überwiegender Meinung bestimmt sich der Inhaber bei in Arbeitsverhältnissen geschaffenen Erfindungen (Arbeitnehmererfindungen) nach dem Arbeitsvertragsstatut8. Eine Sonderanknüpfung erfolgt für europäische Patente, dessen Art. 60 EPÜ eine eigene Kollisionsnorm für Arbeitnehmererfindungen enthält (Recht des Staates der überwiegenden Beschäftigung des Arbeitnehmers, ohne Möglichkeit einer vertraglich abweichenden Regelung). Ob diese Kollisionsnorm eine Gesamtverweisung darstellt – sodass auch das in Bezug genommene Kollisionsrecht anwendbar bleibt, also Art. 8 Rom IVO – ist umstritten9. Bei europäischen Patenten ist im Übrigen das Recht des benannten Staats Schutzstatut bis auf die zentral geregelten Bereiche der Art. 69 (Schutzumfang) und Art. 138 (Nichtigkeit) EPÜ.
283
1 Mit Besonderheiten bei konkurrierenden Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, vgl. Art. 97 EU-Sortenschutz-VO. 2 Zur Einschränkung des Schutzlandprinzips insbesondere durch die Notwendigkeit einer patentrechtlich relevanten Benutzungshandlung im Schutzland vgl. Sack, WRP 2008, 1405 (1411); Buchner, GRUR Int. 2005, 1004 (1006). 3 OLG Karlsruhe v. 25.2.1987 – 6 U 32/86, GRUR Int. 1987, 788 – Offenendspinnmaschinen; BGH v. 2.10.1997 – I ZR 88/95, GRUR 1999, 152 = GRUR Int. 1998, 427 = NJW 1998, 1395 – Spielbankaffaire, für urheberrechtliche Verletzungsansprüche. Ebenso Art. 3:102 (1) CLIP-Grundregeln. 4 OLG Düsseldorf v. 12.6.2014 – I-2 U 86/09, openJur 2014, 14243, Rz. 92; LG Mannheim v. 29.5.2015 – 2 O 147/14, BeckRS 2015, 15001; Art. 3.301 CLIP-Grundregeln. 5 Offen Spindler, CR 2014, 557 (567). 6 LG Düsseldorf v. 24.4.2012 – 4b O 273/10, openJur 2012, 86155, Rz. 227 ff. 7 BGH 15.9.2009 – X ZR 115/05, GRUR 2010, 322 (325) – Sektionaltor, Rz. 20 ff. 8 Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, 6. Aufl. 2015, Rz. 191ff, vorrangig ist danach in Deutschland und Österreich nach Art. 8 Rom I-VO anzuknüpfen, in der Schweiz gemäß Art. 122 Abs. 3 schwIPRG, ebenso in Liechtenstein Art. 38 Abs. 2, 3, Art. 47 Abs. 2 liIPRG. 9 Nachweise zum Streitstand bei Drexl (vorige Fn.), Rz. 198.
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Brandi-Dohrn 567
Teil F Rz. 284
Handel mit geistigem Eigentum
284
Für die Frage, ob und nach welchen Bestimmungen an einem Patent ein Sicherungsrecht eingeräumt werden kann, ist zu unterscheiden: Ob überhaupt ein Sicherungsrecht bestellt werden kann, richtet sich nach dem Schutzlandprinzip; ebenso die Frage, ob die Begründung des Sicherungsrechtes seine Eintragung in einem Register voraussetzt. Das zwingt bei Kreditsicherungsverträgen, mit denen Sicherheiten an kompletten Patentportfolios bestellt werden sollen, zu einer Überprüfung des jeweiligen Landesrechts der einzelnen Patente. Das auf die Sicherungsvereinbarung anwendbare Recht bestimmt sich nach dem Vertragsstatut, also vorrangig dem von den Kreditsicherungsparteien gewählten Recht. Noch weitgehend ungeklärt ist, ob die Bestellung des Sicherungsrechts und seine Wirkung gegenüber Dritten ebenfalls dem Schutzlandprinzip folgen oder eher auf das Sitzland des Bestellers der Sicherheit abzustellen ist1.
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Für Europäische Patentanmeldungen, ebenso das EU-Gemeinschaftspatent, gelten eigene Kollisionsnormen: Gemäß Art. 74 EPÜ ist für alle Fragen, die die europäische Patentanmeldung als „Gegenstand des Vermögens“ betreffen, ausschließlich auf das Sachrecht2 des (jeweils) benannten Staates abzustellen. Das Schutzlandstatut gilt damit – wie nach den obigen allgemeinen Regeln – insbesondere für die Übertragbarkeit und Lizenzierbarkeit solcher Patente, ebenso wie für die Möglichkeit, an der europäischen Patentanmeldung Sicherungsrechte einzuräumen. Für das EU-Gemeinschaftspatent (das seiner Konzeption nach ebenfalls ein Europäisches Patent ist, jedoch mit einheitlicher Wirkung für die teilnehmenden Mitgliedstaaten) gilt dagegen Art. 7 VO (EU) Nr. 1257/2012: Soweit das Gemeinschaftspatent als Gegenstand des Vermögens betroffen ist, ist einheitlich auf das Recht des Staates abzustellen, (i) in dem der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung ausweislich der Eintragung im Patentregister seinen Sitz hatte, soweit dieser Sitz in einem der teilnehmenden Mitgliedstaaten liegt, (ii) andernfalls gilt einheitlich deutsches Recht3. Reicht also ein Schweizer Erfinder künftig eine EP-Patentanmeldung ein, so unterliegt diese als Gegenstand des Vermögens bis zur Erteilung dem jeweiligen Schutzland, ab der Erteilung jedoch, soweit sie im Register für den einheitlichen Patentschutz eingetragen ist, für die teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlich dem deutschen Recht, im übrigen (also z.B. in der Schweiz) weiterhin dem Schutzlandprinzip. b) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften
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In dem Land, in dem Lizenznehmer- oder Lizenzgeberbeschränkungen Auswirkungen haben – Wirkungsstatut –, gelten zwingend die dortigen kartellrechtlichen Vorschriften, mögen auch die beiden Parteien selbst in einem anderen Staat ansässig sein, so jetzt ausdrücklich Art. 6 Abs. 3 Rom-II-VO. Im Bereich des Technologietransfers sind daneben die Bestimmungen des jeweiligen Außenwirtschaftsrechts von erheblicher Bedeutung, vgl. hierzu ausführlich Teil B, Kapitel 1. 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht
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Ausgangspunkt der Prüfung über das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht ist für die Schweiz das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Patentinhabers bzw. Lizenz1 Vgl. im Einzelnen Drexl (Fn. 8 zu Rz. 283), Rz. 218 ff.; Art. 3:802 CLIP-Grundregeln spricht sich dem Grundsatz nach für das Sitzland aus, der UNCITRAL Legislative Guide on Secured Transactions – Supplement on Security Rights in Intellectual Property 2011 versucht, beide Ansätze miteinander zu verbinden (Empfehlung 248). 2 Allg. M., da das Patent wie ein nationales Patent zu behandeln ist, vgl. Ullmann/Grabinski in Benkard, EPÜ, 2. Aufl. 2012, Art. 74 Rz. 3; Almer in Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl. 2013, Art. 74 Rz. 5. 3 Ausführlich Paschold/Müller-Stoy, GRUR Int. 2014, 646 ff.
568 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 289 Teil F
gebers (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG). In Liechtenstein ist das Schutzlandprinzip maßgeblich für das Vertragsstatut, außer der Vertrag bezieht sich auf mehrere Länder (sodass es kein einheitliches Vertragsstatut mehr gäbe) – in diesem Fall gilt das Recht am Ort des Lizenznehmers (Art. 47 Abs. 1 liIPRG). Für Deutschland und Österreich gilt auch bei Verträgen über Immaterialgüterrechte Art. 4 Rom IVO, der auf das Recht verweist, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen hat – das ist das Recht des Landes, in dem der Erbringer der charakteristischen Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wie diese charakteristische Leistung zu bestimmen ist, ist im Bereich des Technologietransfergeschäfts bis heute umstritten. a) Patent/Know-how-Kaufvertrag Beim Kaufvertrag ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. der Niederlassung des Verkäufers maßgeblich (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG; Art. 4 Abs. 2 Rom-I-VO); in Liechtenstein bleibt es bei der obigen Anknüpfung nach Art. 47 liIPRG. Das Verfügungsgeschäft in Ausführung der kaufvertraglichen Verpflichtung unterliegt jedoch dem Recht des jeweiligen Schutzlandes.
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b) Patent/Know-how-Lizenzvertrag Für die Frage, wer beim Technologie-Lizenzvertrag der Erbringer der charakteristischen Leistung ist, hat sich in Deutschland auch unter Geltung der Rom-I-VO keine eindeutige hM herausgebildet1. Die objektive Anknüpfung soll sich richten nach – der Niederlassung des Lizenzgebers2, – dem (jeweiligen) Schutzland3, – der Niederlassung des Lizenznehmers, soweit die Lizenz mehrere Länder umfasst4, – der Niederlassung des Lizenznehmers, soweit es sich um eine ausschließliche Lizenz handelt oder Verwertungspflichten bestehen5. Wenn sich, wie das bei umfangreicheren Lizenzverträgen häufig der Fall ist, beide Seiten zu umfangreichen Leistungen verpflichten (Kreuzlizenzen, Ausübungspflichten, weitere Forschungs- und Lizenzierungspflichten), dann ist eine vertragscharakteristische Leistung kaum identifizierbar. In diesem Fall ist nach Art. 4 Abs. 4 Rom-I-VO das Recht des Staates anwendbar, zu dem die engste Verbindung besteht. Die an sich naheliegende Anknüpfung an das Schutzland hilft jedenfalls dann nicht weiter, wenn die Lizenz für mehrere Länder und Schutzrechte erteilt wird, da der Wille der Parteien jedenfalls dahin gehen dürfte, ihren Vertrag einem einheitlichen Recht zu unterstellen. In solchen Fällen sind sämtliche Umstände des Vertrages heranzuziehen, um die relative engste Verbindung zu einer Rechtsordnung zu definieren. 1 Vgl. ausführlich hierzu Hiestand in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rz. 1862 ff.; ob die bisherige Rechtsprechung und Literatur unverändert herangezogen kann, wird allerdings unter Verweis auf den in Art. 4 statuierten Vorrang der charakteristischen Leistung bezweifelt, vgl. Stimmel, GRUR Int. 2010, 783 (786). 2 BGH v. 15.9.2009 – X ZR 115/05, GRUR 2010, 322 (325) – Sektionaltor, Rz. 21; Hiestand in Reithmann/Martiny (vorige Fn.), Rz. 1869; Hohloch in Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, Art. 4 Rom I Rz. 42, 43; Heinrich in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar, 4. Aufl. 2012, Art. 73 EPÜ, Rz. 16; Liebscher, S. 50 (für Österreich); Groß, Rz. 442; Martiny in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rom I-VO Rz. 265, 271 (mit Ausnahmen). 3 OLG Düsseldorf v. 4.8.1961 – 2 U 66/61, GRUR Int. 1962, 256 – Tubenverschluss (Erlöschen der Patentlizenz); LG Stuttgart v. 14.3.1957, IPR Rspr. 1956/57, Nr. 29; Beier, GRUR Int. 1981, 299 (304); LG Düsseldorf v. 10.1.1999 – 4 O 114/98, GRUR Int. 1999, 772 – Virusinaktiviertes Blutplasma. Das dürfte seit Geltung des Art. 4 Rom I-VO kaum noch anzunehmen sein. 4 OGH v. 22.11.1994 – 4 Ob 118/94, GRUR Int. 1996, 259 – Virion (zum Markenrecht). 5 Hohloch in Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, Art. 4 Rom I Rz. 43 (für Know-How-Vertrag); Stimmel, GRUR Int. 2010, 783 (787); Ulmer, Die Immaterialgüterrechte im Internationalen Privatrecht, Köln 1975, S. 103 f.
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Brandi-Dohrn 569
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Teil F Rz. 290 290
Handel mit geistigem Eigentum
In der Schweiz ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. der Niederlassung des Lizenzgebers maßgeblich (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG); in Liechtenstein bleibt es bei der obigen Anknüpfung nach Art. 47 liIPRG. Da sich eine eindeutig herrschende Meinung zur Frage des anwendbaren Rechts bislang nicht gebildet hat, ist eine ausdrückliche Rechtswahl dringend anzuraten.
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Einstweilen frei.
V. Steuerrechtliche Hinweise 292
Für die umsatzsteuerrechtliche und ertragssteuerrechtliche Beurteilung von Lizenzverträgen über technische Schutzrechte in Inlandsfällen vgl. die Ausführungen bei den Kennzeichenverträgen (Rz. 539 ff.) – Lizenzgebühren sind beim Lizenznehmer Betriebsausgaben, beim inländischen Lizenzgeber steuerpflichtige Einkünfte. Zu beachten ist allerdings, dass die finanzgerichtliche Rechtsprechung den Patentkauf von der Patentlizenz nicht nach dem gewählten Vertragstyp abgrenzt, sondern danach, ob das Patent wirtschaftlich betrachtet übertragen wird. Wird das Patent exklusiv für die Laufzeit des Patents lizensiert, ohne dass ein vorzeitiger Rückfall vertraglich in Betracht kommt, wird Patentkauf angenommen, sodass der Lizenzerlös unmittelbar ertragssteuerlich wirksam wird und kein Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen werden darf1. Die der steuerrechtlichen Betrachtung vorgelagerten Fragen der Bilanzierung von Lizenzvereinbarungen sind detailliert in IFRS 15 geregelt2.
293
Für das internationale Steuerrecht gilt in Deutschland: Beim ausländischen Lizenzgeber ohne inländischen Geschäftsbetrieb sind die Lizenzgebühren (soweit sie nicht schon unter § 49 Abs. 1 Nr. 1–5 dtEStG fallen) beschränkt steuerpflichtige Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 dtEStG (Patentlizenzen und Lizenzen an anderen Registerrechten) bzw. nach Nr. 9 (Know-how-Lizenzen). Die für Technologielizenzen fällige Steuer beträgt 15 % des Bruttolizenzbetrages der im Inland genutzten oder im Register eingetragenen Rechte (§ 50a Abs. 2 S. 1 dtEStG)3. Bei Lizenzgebern mit Sitz in einem EU/ EWR-Mitgliedsland (also einschließlich Liechtenstein, jedoch nicht bei Lizenzgebern mit Sitz in der Schweiz) ist es (über den Wortlaut des § 50a Abs. 3 EStG hinaus) zulässig, mit der Bruttolizenzvergütung in Zusammenhang stehende Aufwendungen abzuziehen4. Schuldner dieser Steuer ist der (inländische) Lizenznehmer. Dieser kann den Steuerabzug nur vermeiden, wenn der Lizenzgeber ihm vor Zahlung der jeweiligen Lizenzgebühren eine Freistellung nach § 50d Abs. 2 dtEStG vorlegt. Die Freistellung ist formulargebunden und beim Bundeszentralamt für Steuern zu beantragen5. Sie wird, in der Regel rückwirkend auf den Tag der Antragstellung, für maximal drei Jahre erteilt und nur dann wenn (i) in anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen ein geringerer Steuersatz vereinbart ist6 und (ii) die Gesellschaft nicht lediglich zu steuerlichen Zwe1 FG Münster v. 15.12.2010 – 8 K 1543/07, BB 2011, 623; ausführlich zur Abgrenzung Greinert/ Metzner, IPRB 2015, 256 ff. 2 Hierzu und zu den verbleibenden Auslegungsfragen Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“, Bilanzierung von Lizenzvereinbarungen nach IFRS, DB 2015, 1537 ff. 3 Ob bzgl. etwa mitlizenzierter ausländischer Patente derselben Patentfamilie der Lizenznehmer tatsächlich eine „Verwertung im Inland“ vornimmt, ist ungeklärt und zweifelhaft. Ggfls. sollte die Lizenzgebühr für die in Deutschland geltenden Patente und die ausländischen im Lizenzvertrag gesondert ausgewiesen werden. 4 BMF-Schreiben v. 17.6.2014, Nr. 7, BStBl. I 2014, 887. 5 Formulare und Merkblätter in verschiedenen Sprachen: http://www.bzst.de/DE/Steuern_Inter national/Abzugsteuerentlastung/Freistellung_Erstattung/freist_erst_node.html. 6 Liste der aktuellen DBA-Steuersätze: http://www.bzst.de/DE/Steuern_International/Auslaendi sche_Quellensteuer/auslaendische_quellensteuer_node.html.
570 | Brandi-Dohrn
Technologietransfer-Verträge
Rz. 296 Teil F
cken von inländischen Gesellschaftern zur Verringerung der Steuer „zwischengeschaltet“ wurde (§ 50d Abs. 3 dtEStG). Wurde die Freistellung versäumt, kann der Lizenzgeber die Rückerstattung von einbehaltenen Steuern nach § 50d Abs. 1 beantragen, wenn nach dem anwendbaren DBA eine geringere Besteuerung gilt. Beim Abschluß von Lizenzverträgen sollte der Lizenznehmer daher darauf achten, dass rechtzeitig vor Abschluß des Vertrages eine Freistellung beantragt wird (ggfls sogar durch ihn selbst als Vertreter des Lizenzgebers) und etwaige Lizenzzahlungen erst nach Vorliegen der Bescheinigung fällig werden. Der inländische Lizenzgeber kann eine im Ausland auf Lizenzgebühren seines ausländischen Lizenznehmers erhobene Quellensteuer nach § 34c dtEStG auf seine inländische Steuerschuld anrechnen. Alternativ kann er – soweit das ausländische Recht das vorsieht – die Rückerstattung der einbehaltenen Quellensteuer bei der jeweiligen ausländischen Behörde beantragen1.
294
Eine Freistellung kann ein ausländischer Lizenzgeber auch beantragen, wenn Lizenzzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen aus Staaten der EU/EWR oder der Schweiz2 geleistet werden (§ 50g Abs. 1, 2, 6 dtEStG). Bei Lizenzverträgen im Konzern, den inländischen wie den transnationalen, müssen die Lizenzgebühren jedoch angemessen („at arms’ length“) sein, um beim Lizenznehmer als abzugsfähige Betriebsausgabe anerkannt und nicht als verdeckte Gewinnausschüttung besteuert zu werden. § 1 Abs. 1 Außensteuergesetz (AStG) fasst das so:
295
„Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrrechnungspreise) zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.“
Leitet der inländische Erfinder die Lizenzgebühren an eine ausländische Zwischengesellschaft in einem Niedrigsteuerland, so können ihm nach §§ 7, 8, 10 dtAStG die Lizenzeinkünfte dieser Zwischengesellschaft zugerechnet werden. Die Umleitung der Lizenzzahlungen über ausländische Zwischengesellschaften erfolgt häufig in der Weise, dass die Lizenzschutzrechte in die ausländische Gesellschaft als Holding gegen Anteilsrechte eingebracht werden. Ist der inländische „Lizenzgeber“ alsdann allein oder zusammen mit ihm nahestehenden Personen (z.B. weiteren Konzerngesellschaften) an der ausländischen Patentholding zu mehr als 50 % beteiligt, so findet die Zurechnung der Holding-Lizenzeinkünfte statt, wenn die Holding wirklich nur eine Zwischengesellschaft ist. Zwischengesellschaft ist sie nach § 8 dtAStG dann, wenn sie (i) in einem Niedrigsteuerland mit einer Ertragsteuer von nicht mehr als 25 % (z.B. Liechtenstein) belastet ist und (ii) wenn die Zwischengesellschaft nicht produktiv tätig ist. Letzteres bedeutet, dass ihre Lizenzeinkünfte nicht aus eigener Forschung oder Entwicklungsarbeit stammen, sondern aus der ihres Gesellschafters, § 8 Abs. 1 Nr. 6 lit. a dtAStG. Die vorstehende Problematik stellt sich auch in anderen Ländern, da die Verlagerung von Gewinnen und Steuern zwischen Mitgliedern internationaler Konzerne (base erosion and profit shifting – BEPS) schon seit einiger Zeit die OECD beschäftigt; dies gilt insbesondere für die Verrechnungspreise immaterieller Wirtschaftsgüter3. Angesichts 1 Das BZSt stellt hierfür die notwendigen Formulare bereit: http://www.steuerliches-infocenter.de/DE/AufgabenDesBZSt/AuslaendischeFormulare/Quellensteuer/quellensteuer_node. html. 2 Im Falle der Schweiz allerdings nur, wenn die dortige Gesellschaft eine AG, KgaA oder GmbH ist. 3 Vgl. den OECD-Aktionsplan unter www.oecd.org/tax/beps-2014-deliverables-explanatory-state ment.pdf. Hierzu und zu den zu erwartenden Auswirkungen in Deutschland Crüger/Riedl, IStR 2014, 625 ff. Nach § 90 Abs. 3 AO muss in Deutschland der Steuerpflichtige die Ermittlung der Verrechnungspreise im Detail dokumentieren, hierzu Greinert, RIW 2006, 449 ff.
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Teil F Rz. 297
Handel mit geistigem Eigentum
der in den kommenden Jahren im internationalen Lizenzvertragsverkehr zu erwartenden steuerlichen Änderungen ist dringend anzuraten, gerade langfristige Verträge wie Patent-Lizenzverträge nicht vorwiegend an steuerlichen Gesichtspunkten auszurichten.
VI. Checkliste 297
– Form – Schriftform nach Landesrecht beachten – Bei konzerninternen Verträgen Schriftform zur steuerlichen Anerkennung nötig – Gegenstand – Patent- und/oder Know-how, eventuell Patentkomplex (Patentfamilie) – (nur) bestimmte Ausführungsformen – Art – Einfache Lizenz – Alleinlizenz (sole licence = Lizenzgeber und nur ein Lizenznehmer) – Exklusive Lizenz (nur der Lizenznehmer auch unter Ausschluss des Lizenzgebers), dann: Ausübungspflicht – Unterlizenzberechtigung – Keine Unterlizenzberechtigung – Nicht gegen begründetes Veto des Patentinhabers – Freie Unterlizenzberechtigung – Beschränkungen – Gebietsbeschränkungen – Mengenbeschränkungen – Kundenbeschränkungen (jeweils unter Berücksichtigung der Grenzen des Kartellrechts) – Qualitätsbindungen, Bezugsverpflichtungen – Lizenzgebühren – Einmalgebühr – Upfront payments – im Allgemeinen anrechenbar auf laufende Gebühren – Stücklizenzen, meist in Prozent vom Umsatz, Staffelung erwägen – (anrechenbare) Mindestlizenzgebühren – Basis der Lizenzgebühren definieren: – Umsatzbasis – meist Nettoverkaufspreis ohne gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer, Transportkosten – Produktbasis – die ganze Einheit oder nur der schutzrechtsbetroffene Teil – Reach through licence: Gebühren auf freie Folgeprodukte? – Laufzeit – kartellrechtlich auch über die Laufdauer des Schutzrechts hinaus möglich – üblich bei Patentbündeln sind Längstlaufklauseln – Steuern – Lizenzgebühren zuzüglich USt. – Einkommensteuern trägt der Lizenzgeber – Assistenz bei der Erlangung von Steuerbefreiung im anderen Land – Rechnungslegung und Buchprüfung – Erfahrungsaustausch und Rücklizenzen – Erfahrungsaustausch – Einfache Rücklizenzen, keine Übertragung von Lizenznehmererfindungen 572 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 299 Teil F
– Geheimhaltung – Verteidigung – Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren – Lizenzgeber übernimmt Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren – dabei Vergleichsfähigkeit bei der Allein- und Exklusivlizenz berücksichtigen. – Nichtangriffsklausel, bei Verletzung nur Kündigung des Vertrages – Verfolgung von Schutzrechtsverletzungen durch Dritte – Kosten- und Schadensersatzverteilung – Haftung – Angriffe auf das Lizenzschutzrecht: z.B. Zahlung auf Sperrkonto nach erstinstanzlicher Vernichtung. Andernfalls muss der Lizenznehmer bis zur rechtskräftigen Vernichtung zahlen. – Abhängigkeit: Keine Haftung für unbekannte Abhängigkeiten, aber Kündigung aus wichtigem Grund, wenn eine hindernde Abhängigkeit hervortritt. – Wirtschaftliche und technische Brauchbarkeit: Wirtschaftliche Brauchbarkeit ist Lizenznehmerrisiko. Er wird aber von seiner Ausübungspflicht frei, wenn die Patentgegenstände nicht mehr absetzbar sind. – Technische Brauchbarkeit: Haftungsrisiko des Lizenzgebers. – Beendigung – Kündigung aus wichtigem Grund – Teilkündigung regeln, z.B. Umwandelung in eine einfache Lizenz für bestimmte Gebiete, wenn dort nicht hinreichend ausgeübt wird. – Recht, Gerichtsstand, Sonstiges – Anwendbares Recht – Gerichtsort – Schlussbestimmungen – Schriftformklausel – salvatorische Klausel – Übertragung des Vertrages im Konzern
Kapitel 3. Softwareverträge Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Einleitung 1. Erscheinungsformen des Handels mit Software Der Begriff „Software“ umfasst im Allgemeinen das Computerprogramm (eine Folge von Befehlen, die einen Computer oder Maschine veranlassen, eine bestimmte Aufgabe auszuführen) sowie die dazu gehörende Programmbeschreibung (eine Darstellung der Befehlsabfolgen, die das Computerprogramm darstellen, häufig in der Form des sog. Source Code) und ggf. Begleitmaterial (alle sonstigen Unterlagen, die das Verständnis und die Benutzung der Software fördern, z.B. Benutzerhandbuch)1.
298
Im Handel mit Software lassen sich im Wirtschaftsleben mehr Erscheinungsformen unterscheiden als bei anderen Produkten des geistigen Eigentums; dies hängt zum Teil mit dem Massencharakter vieler Software-Produkte zusammen, zum Teil mit nur für Software wirtschaftlich sinnvollen speziellen Vertriebsformen. Um den jewei-
299
1 Zu den Begriffsbestimmungen vgl. schon § 1 der Mustervorschriften für den Schutz von Computersoftware der WIPO, GRUR Int. 1978, 286 (290).
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Softwareverträge
Rz. 299 Teil F
– Geheimhaltung – Verteidigung – Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren – Lizenzgeber übernimmt Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren – dabei Vergleichsfähigkeit bei der Allein- und Exklusivlizenz berücksichtigen. – Nichtangriffsklausel, bei Verletzung nur Kündigung des Vertrages – Verfolgung von Schutzrechtsverletzungen durch Dritte – Kosten- und Schadensersatzverteilung – Haftung – Angriffe auf das Lizenzschutzrecht: z.B. Zahlung auf Sperrkonto nach erstinstanzlicher Vernichtung. Andernfalls muss der Lizenznehmer bis zur rechtskräftigen Vernichtung zahlen. – Abhängigkeit: Keine Haftung für unbekannte Abhängigkeiten, aber Kündigung aus wichtigem Grund, wenn eine hindernde Abhängigkeit hervortritt. – Wirtschaftliche und technische Brauchbarkeit: Wirtschaftliche Brauchbarkeit ist Lizenznehmerrisiko. Er wird aber von seiner Ausübungspflicht frei, wenn die Patentgegenstände nicht mehr absetzbar sind. – Technische Brauchbarkeit: Haftungsrisiko des Lizenzgebers. – Beendigung – Kündigung aus wichtigem Grund – Teilkündigung regeln, z.B. Umwandelung in eine einfache Lizenz für bestimmte Gebiete, wenn dort nicht hinreichend ausgeübt wird. – Recht, Gerichtsstand, Sonstiges – Anwendbares Recht – Gerichtsort – Schlussbestimmungen – Schriftformklausel – salvatorische Klausel – Übertragung des Vertrages im Konzern
Kapitel 3. Softwareverträge Spezialliteratur siehe Literaturübersicht zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Einleitung 1. Erscheinungsformen des Handels mit Software Der Begriff „Software“ umfasst im Allgemeinen das Computerprogramm (eine Folge von Befehlen, die einen Computer oder Maschine veranlassen, eine bestimmte Aufgabe auszuführen) sowie die dazu gehörende Programmbeschreibung (eine Darstellung der Befehlsabfolgen, die das Computerprogramm darstellen, häufig in der Form des sog. Source Code) und ggf. Begleitmaterial (alle sonstigen Unterlagen, die das Verständnis und die Benutzung der Software fördern, z.B. Benutzerhandbuch)1.
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Im Handel mit Software lassen sich im Wirtschaftsleben mehr Erscheinungsformen unterscheiden als bei anderen Produkten des geistigen Eigentums; dies hängt zum Teil mit dem Massencharakter vieler Software-Produkte zusammen, zum Teil mit nur für Software wirtschaftlich sinnvollen speziellen Vertriebsformen. Um den jewei-
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1 Zu den Begriffsbestimmungen vgl. schon § 1 der Mustervorschriften für den Schutz von Computersoftware der WIPO, GRUR Int. 1978, 286 (290).
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Teil F Rz. 300
Handel mit geistigem Eigentum
ligen Erwerbsvorgang einordnen zu können, müssen folgende Vorfragen geklärt werden: – Handelt es sich um Standardsoftware (auf einen breiten Anwenderkreis zugeschnittene Software, bei der keine funktionale Anpassung an die Wünsche des Kunden vereinbart ist) oder um Individualsoftware (speziell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene und für diesen entwickelte Software)? – Wird die Software dem Vertragspartner insgesamt überlassen oder soll er lediglich einzelne Vervielfältigungsstücke der Software erwerben? – Wird die Software auf Dauer oder lediglich auf Zeit überlassen? – Soll die Software auf Datenträger übergeben werden oder über Datenleitung (onlineDownload) eingespielt (kopiert)? 2. Standardsoftware a) Überlassung von Programmkopien auf Dauer gegen Einmalentgelt 300
Es war (und ist) streitig, wie die Überlassung von Standardsoftwarekopien auf Dauer1 gegen eine einmalige Zahlung rechtlich einzuordnen ist. Mit der gefestigten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Regelungen des Kaufrechts zumindest entsprechend anzuwenden sind2. BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, NJW 2000, 1415 = WM 2000, 485 – Lohnprogramm Auf einen derartigen Vertrag sind die Vorschriften sowohl der §§ 433 ff., 434 ff. BGB als auch des § 377 HGB zumindest entsprechend anwendbar. Ebenso OGH v. 23.5.2000 – 4 Ob 30/00s, MR 2000, 249 = ÖBl. 2001, 141 – WIN-Handwerkerpaket; schwBG v. 29.8.1998, BGE 124 III 456 (459).
Unter Kaufleuten gilt in Deutschland und Österreich dann § 377 Abs. 1 dtHGB (§ 377 Abs. 1 öUGB): Der Erwerber verliert seine Gewährleistungsansprüche, wenn er nicht unverzüglich nach Ablieferung die Software auf Mängel prüft und diese rügt3. Angemessen sollen aber bei komplexen Systemen immerhin Fristen von drei bis fünf Wochen sein4. 301
Die Streitfrage, ob Software eine „Sache“ ist5, ist in Deutschland für die Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertrag relevant – bei Einordnung als Kauf ist es wegen § 453 dtBGB gleichgültig, ob es sich um eine Sache oder ein Immaterialgut handelt. Liegt (z.B. weil die Vertragsparteien neben der Lieferung der Software auch umfangreiche Anpassungsmaßnahmen vereinbart haben, z.B. bei ERP-Software) dagegen ein Werkvertrag vor, hätte dies weitreichende Folgen insbesondere für die Sach- und Rechtsmängelhaftung. Nach den Ausführungen des EuGH in der Sache UsedSoft sollte – auch wenn diese Entscheidung einen Kauf-, keinen Werkvertrag betraf – die Einord1 Das von der bisherigen ständigen Rechtsprechung für die Einordnung als Kaufvertrag zusätzlich geforderte Kriterium der „Einmalzahlung“ hat der BGH im Gefolge der EuGH-Entscheidung Oracle/UsedSoft offenbar stillschweigend aufgegeben, vgl. BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (269), Rz. 61 – UsedSoft II; Schneider/Spindler, CR 2014, 213 (216). 2 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, NJW 1988, 406 = CR 1988, 124 – Mangelhafter Compiler; v. 14.7.1993 – VIII ZR 147/92, NJW 1993, 2436 – Gewährleistung bei Software; v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – CPU-Klausel; v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 – UsedSoft II; der Sache nach auch EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/ UsedSoft. 3 BGH v. 14.7.1993 – VIII ZR 147/92, NJW 1993, 2436 (2437); OLG München v. 22.3.2000 – 7 U 5021/99, CR 2000, 731; BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, NJW 2000, 1415 = WM 2000, 485 – Lohnprogramm; Schneider, Kap. J, Rz. 195; kritisch Bartsch, CR 2001, 649 (655). 4 OLG München v. 11.3.1998 – 7 U 2964/97, CR Intern. 1999, 116. 5 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = NJW 2007, 2394 – ASP, gegen Meier-Beck/ Voit, WM-Sonderbeilage Nr. 2/2004, S. 10; Thewalt, CR 2002, 1 ff.
574 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 303 Teil F
nung von Software als Sache (und zwar gleich, ob die Software online zur Verfügung gestellt wird oder auf einem Datenträger verkörpert ist) nunmehr zu bejahen sein1. Keine einheitliche Linie ist in der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung allerdings auszumachen, was die Grenzen der Anwendung des Kaufrechts angeht. Insbesondere lässt der BGH in der letzten Zeit Zurückhaltung erkennen, bei kaufrechtlich übertragener Software auch die Wertungen der §§ 305 ff. BGB an dem gesetzlichen Leitbild des Kaufrechts auszurichten2; hier ist die weitere Entwicklung abzuwarten. Geklärt ist nach der Entscheidung Oracle/UsedSoft des EuGH3, dass in Bezug auf Erschöpfung kein Unterschied besteht, ob die Software auf Datenträger oder im Wege des Online-Downloads zur Verfügung gestellt wird. Dem Zweiterwerber ist es sogar gestattet, direkt von der Webseite des Erstverkäufers die jeweils aktuelle Version der erworbenen Software herunterzuladen, wenn der Ersterwerber einen Wartungsvertrag über die weiterverkaufte Software abgeschlossen hatte. Wie der Zweiterwerber seinen Kauf rechtssicher dokumentieren kann, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt4. b) Überlassung von Programmkopien auf Zeit aa) Miete Vereinbaren die Parteien, die Software gegen laufende Zahlungen (z.B. monatliche Pauschalen oder pro Anzahl der mit der Software durchgeführten Buchungen) zu überlassen und soll die Software nach Ende der Mietzeit zurückgegeben (oder gelöscht) werden, so liegt ein Mietverhältnis vor.
302
bb) Application Service Providing (ASP)/Software as a Service (SaaS)/Cloud Computing Eine neue Form des Mietvertrages5 stellt das ASP6 (auch: SaaS) dar, bei dem Software nicht auf dem System des Nutzers installiert, sondern auf einem Server des Vermieters (oder in der Cloud) zur Verfügung gehalten wird und der Kunde die Software nur pro Zeiteinheit der tatsächlichen Nutzung zahlt. ASP wird häufig im Zusammenhang mit Outsourcing genannt. Bei Letzterem bleibt der Nutzer jedoch meist Eigentümer der Software, die er in einem (fremden) Rechenzentrum weiter nutzt. 1 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft; OLG Hamm v. 28.11.2012 – 12 U 115/12, CR 2013, 215 = NJW-RR 2013, 1136; Schneider/Spindler, CR 2014, 213 (214). 2 Unklar BGH v. 11.2.2010 – I ZR 178/08, NJW 2010, 2661 = MMR 2010, 771 (mit Anm. Heydn) = CR 2010, 565 (mit krit. Anm. Menz/Neubauer) – Half Life II; implizit auch der Vorlagebeschluss des BGH v. 3.2.2011 – I ZR 129/08, CR 2011, 223 = GRUR-Prax 2011, 172 = MMR 2011, 305 – UsedSoft I und v. 17.7.2013, GRUR 2014, 264 ff. – UsedSoft II: Offenbar geht der BGH von der AGB-rechtlichen Unbedenklichkeit der streitigen Klauseln aus; die Entscheidung des EuGH in dem Vorlageverfahren befasst sich nicht mit Fragen des AGB-Rechts. 3 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft; ebenso für die Schweiz Kantonsgericht Zug v. 4.5.2011 – ES 2010 822, sic!online 2012, Ausgabe 2. 4 Vgl. zu den Anforderungen BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (269 f.), Rz. 61 ff. – UsedSoft II; ob die vom BGH geforderte Darlegung in allen Punkten dem effet utile des EURechts entspricht, wird wohl noch durch den EuGH zu klären sein. 5 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = NJW 2007, 2394 = WM 2007, 467 – ASP; soweit dem Nutzer das Recht eingeräumt wird, die Software seinerseits Dritten zur Verfügung zu stellen („Untervermietung“), kann auch Rechtspacht vorliegen, Koch, ITRB 2001, 39 (41); Röhrborn/ Sinhart, CR 2001, 69 (71); die Vertragsauslegung dürfte im Regelfall auch einen einheitlichen Mietvertrag ergeben, nicht eine Kette einzelner Mietverträge im Umfang der einzelnen Zugriffe. 6 Hierzu allgemein Koch, ITRB 2001, 39 ff. (mit Checkliste der vertraglich zu regelnden Aspekte); Grützmacher, ITRB 2001, 59 ff. (zu den urheberrechtlichen Aspekten); zur vertragstypologischen Einordnung vgl. Sedlmaier/Kolk, MMR 2002, 75; zur Einordnung beim Cloud Computing auch Schulz/Rosenkranz, ITRB 2009, 232 ff.
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Brandi-Dohrn 575
303
Teil F Rz. 304
Handel mit geistigem Eigentum
Die urheberrechtliche Einordnung hängt bei ASP wesentlich davon ab, ob die konkrete Software (i) vom Mieter auf dem Server des Vermieters genutzt wird, (ii) der Mieter bei Gebrauch eine Programmkopie auf seinen eigenen Rechner herunter lädt oder (iii) der Auftraggeber den Provider lediglich beauftragt, für ihn bestimmte Funktionen mit dem Programm auszuführen (Dienstvertrag, z.B. ausgelagerte Personalbuchhaltung)1. cc) Leasing 304
Leasing unterscheidet sich von der Miete insoweit, als dem Leasingnehmer die Gefahr des Unterganges oder der Beschädigung des Leasinggutes sowie die Kosten der Instandhaltung übertragen werden. Die rechtliche Ausgestaltung von Leasingverträgen wird primär von steuerrechtlichen Erwägungen geprägt (s. Rz. 426 f), sodass die urheberrechtliche Seite der vertraglichen Gestaltung oftmals vernachlässigt wird2. Beim Erwerb von Software – insb. beim gebündelten Erwerb von Hard- und Software – ist Finanzierungsleasing denkbar, beim ASP – wenn überhaupt – nur Operatingleasing. c) Abgrenzung zwischen Miete und Kauf
305
Die Rechtsprechung und hL ordnet Verträge dem Kaufrecht zu, wenn die Software auf Dauer überlassen wird. Die ursprünglich in der Rechtsprechung zusätzlich geforderten Kriterien, die Software müsse „zur freien Verfügung“ und „gegen Einmalentgelt“3 überlassen werden, sind mittlerweile stillschweigend entfallen. Liegt das Merkmal der dauerhaften Überlassung vor, ist Kaufrecht auch anwendbar, wenn die Parteien z.B. den Vertrag als „Lizenz“ bezeichnen, dem Käufer nur ein urheberrechtliches Nutzungsrecht eingeräumt wird und/oder die Software im Eigentum des Lieferanten verbleiben soll4. Fehlt es am Merkmal der dauerhaften Überlassung, kommt nur eine Einordnung als Mietvertrag in Betracht. Gegen eine Überlassung „auf Dauer“ sprechen die in Softwarekaufverträgen immer wieder anzutreffenden Klauseln, die dem Verwender ein außerordentliches Kündigungsrecht des Vertrags zugestehen5. Solche Klauseln sind mit dem gesetzlichen Leitbild eines Kaufvertrags schwerlich zu vereinbaren. Dagegen dürfte die Verpflichtung des Käufers, die Nutzung der Software einzustellen und diese zurückzugeben, wenn ihm im Rahmen der Nachbesserung Updates geliefert werden, an der kaufrechtlichen Einordnung des Vertrags nichts ändern. Denn das Kaufrecht berechtigt den Verkäufer, bei Nachbesserung die mangelhafte Sache wieder zurück zu fordern6. Zur Qualifizierung als Mietvertrag kann es dagegen kommen, wenn die Funktionsfähigkeit der Software von einer Anbindung an den Server des Verkäufers (Lizenz-Key, user account) abhängig gemacht wird. Das zeitweise Zur-Verfügung-Stellen der Server enthält miet1 Im ersten Fall müsste dem Vermieter vom Software-Inhaber nach h.M. das Recht zur Vermietung ausdrücklich eingeräumt werden, denn auch bei Veräußerung bleibt das Vermietrecht vorbehalten (§ 17 Abs. 2 dtUrhG); im zweiten vervielfältigt der Vermieter die Software im Umfang der Zahl seiner Mieter, benötigt also ggf. ebenso viele Lizenzen. Vgl. hierzu im Einzelnen Grützmacher, ITRB 2001, 59; Koch, ITRB 2001, 39. 2 Vgl. die Hinweise bei Vander, CR 2011, 77 ff.; zur rechtlichen Beurteilung beim Finanzierungsleasing von Software OLG Hamm v. 28.11.2012 – 12 U 115/12, NJW-RR 2013, 1136 ff. 3 Entfallen seit BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (269), Rz. 61 – UsedSoft II. 4 OLG Nürnberg v. 20.10.1992 – 3 U 2087/92, CR 1993, 359; OLG Düsseldorf v. 9.6.1989 – 16 U 209/88, NJW 1989, 2627 = CR 1990, 122; implizit auch EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. Einschränkungen der kaufvertraglichen Pflicht, das Eigentum uneingeschränkt zu übertragen, sind in AGB unwirksam, OLG Hamm v. 28.11.2012 – 12 U 115/12, CR 2013, 215 = NJW-RR 2013, 1136 (1138) (zum Finanzierungsleasing von Software). 5 Vgl. z.B. Ziff. 4.1 der EVB-IT Überlassung Typ A; Schneider, Kap. J, Rz. 185, 189. 6 A.A. für den Fall, dass die Altversionen zurückgefordert werden Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (138).
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Softwareverträge
Rz. 307 Teil F
und dienstvertragliche Elemente und kann im Einzelfall den Schwerpunkt des Vertrages prägen1. d) Bedeutung der Abgrenzung zwischen Miete und Kauf Die Bedeutung der Abgrenzung beruht darauf, dass bei beiden Vertragstypen Vor- und Nachteile bestehen:
306
Beim Verkauf erschöpfen sich die Rechte des Verkäufers an der verkauften Programmkopie – unabhängig davon, ob die Kopie auf Datenträger zur Verfügung gestellt wird oder im Wege des Online-Downloads2. Er kann also die weitere Nutzung und den Vertrieb nur noch in eingeschränktem Umfang kontrollieren. Größter Vorteil ist die zeitlich eingeschränkte Gewährleistungspflicht für Mängel der Software, die unter Kaufleuten wegen § 377 Abs. 1 dtHGB, § 377 Abs. 1 öUGB, zusätzlich erleichtert ist (vgl. oben Rz. 300). Bei Vermietung hat der Vermieter hingegen die Möglichkeit, die Nutzung der Software durch den Mieter einzuschränken und bei Mehrnutzung zusätzliches Geschäft zu generieren. Dieser Vorteil wird im deutschen Recht allerdings mit einer Reihe von Nachteilen erkauft, insbesondere – einem dauerhaften Recht des Mieters auf Mietminderung auch bei Mängeln, die erst nach Gefahrübergang (Auslieferung der Mietsache) entstehen (§ 536 Abs. 1 dtBGB, ebenso § 1096 öABGB), – dem Risiko fehlender Insolvenzfestigkeit seines Softwarenutzungsrechtes, da der Insolvenzverwalter im Insolvenzfall nach § 103 dtInsO Nichterfüllung wählen kann, – einem Kündigungsrecht während der gesamten Mietlaufzeit, wenn die Mängel den Gebrauch beeinträchtigen (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 dtBGB). Wirtschaftliche Konsequenz ist vor allem, dass der Vermieter nicht den Abschluss eines kostenpflichtigen Pflegevertrags neben dem Mietvertrag verlangen kann, da er kostenlose Fehlerbeseitigung schuldet3. Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Miete und Kauf dürften künftig deutlich abgemildert sein, wenn (auch) der Verkäufer den weiteren Vertrieb kontrollieren kann, indem er die Benutzung der Software von (nicht übertragbaren) „User accounts“ abhängig macht. Ob dies in Deutschland AGB-rechtlich wirksam möglich ist, ist jedoch (noch) nicht sicher4. e) Abgrenzung zwischen den Vertragstypen „Kauf“ und „Werklieferungsvertrag“ Abzugrenzen ist der Kauf von Software in Deutschland zudem vom Werklieferungsvertrag5. Dabei stellt hier weniger die Erstellung und Lieferung von Individualsoftware ein 1 2 3 4
Rössel, Anm. zu LG Berlin v. 21.1.2014 – 15 O 56/13, ITRB 2014, 131 (133). EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. LG Wuppertal v. 28.9.2001 – 11 O 94/01, CR 2002, 7; Schneider, Kap. K, Rz. 88 f. Die Entscheidung des BGH v. 11.2.2010 – I ZR 178/08, NJW 2010, 2661 = MMR 2010, 771 = CR 2010, 565 – „Half Life II“ ist zum Teil in diese Richtung interpretiert worden, vgl. Heydn, Anm. zu BGH „Half Life II“, MMR 2010, 773; Rössel, Anm. zu BGH „Half Life II“, ITRB 2010, 222; zu Recht kritisch vor allem unter AGB-Gesichtspunkten Menz/Neubauer, Anm. zu BGH „Half Life II“, CR 2010, 567. Gerade nach den Wertungen der Entscheidung EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – „UsedSoft“ ist fraglich, ob der BGH die Entscheidung Half Life II weiterhin aufrecht erhalten würde – wenn sie überhaupt dahin verstanden werden darf, dass durch user accounts der Erschöpfungsgrundsatz umgangen werden kann (dem BGH folgend nun aber LG Berlin v. 21.1.2014 – 15 O 56/13, ITRB 2014, 131 ff.). 5 Da die Software vom Verkäufer hergestellt/angepasst wird, kommt in aller Regel nur ein Werklieferungsvertrag in Betracht. Die seit der Schuldrechtsmodernisierung in der Literatur bis heute streitige Frage, ob Software eine „bewegliche Sache“ im Sinne des § 651 BGB ist (dann liegt ein Werklieferungsvertrag vor), ist vom BGH zwischenzeitlich bejaht worden, BGH v. 15.11.2006 –
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307
Teil F Rz. 308
Handel mit geistigem Eigentum
Problem dar (diese ist unstreitig und eindeutig den werkvertraglichen Vorschriften der §§ 631 ff. dtBGB zuzuordnen), sondern die Lieferung von auf Käuferbedürfnisse individuell angepasster Standardsoftware. In Betracht kommen in der Praxis sowohl individuell programmierte Programmbestandteile, aber auch Kalibrierungen, Parametrisierung und Customizing der Standardsoftware. Je größer der Anteil der auf die individuellen Leistungen entfallenden Vertragspflichten ist, desto stärker stellt sich die Frage, ob hierdurch der Kaufvertrag zu einem Werklieferungsvertrag mutiert. Die deutsche Rechtsprechung ordnet solche Mischformen insgesamt dem Vertragstyp zu, in dem der Schwerpunkt des Vertrages liegt – „umfangreiche“ Anpassungen von Standardsoftware an Individualbedürfnisse1 können dann ebenso aus der Anwendung kaufvertraglicher Regelungen herausführen wie die Portierung einer Standardsoftware auf ein anderes Betriebssystem2, bei sehr umfangreichen Tätigkeiten sogar die bloße Parametrisierung der Standardsoftware3 (insbesondere wenn diese ohne solche Individualisierungen faktisch für den Käufer nicht nutzbar ist, wie häufig bei ERP-Software). f) Bedeutung der Abgrenzung „Kauf“ und „Werklieferungsvertrag“ 308
Liegt der Schwerpunkt des Vertrages auf den werkvertraglichen Elementen, dann ist in Deutschland auf den Vertrag Kaufrecht über § 651 dtBGB nur modifiziert anwendbar. Da die auf die Käuferbedürfnisse individuell angepasste Software nach einhelliger Meinung eine nicht vertretbare Sache darstellt, sind gemäß § 651 Satz 3 dtBGB neben den Vorschriften des Kaufrechts die §§ 642, 643, 645, 649 und 650 dtBGB anwendbar. Abweichend vom Kaufrecht – kann der Verkäufer eine angemessene Entschädigung verlangen, wenn der Käufer notwendige Mitwirkungshandlungen (z.B. Benennen der Kriterien für die Parametrisierung) unterlässt und dadurch in Annahmeverzug kommt; – kann der Käufer nach § 649 dtBGB den Vertrag (insgesamt) bis zur Fertigstellung und Übergabe der fertig gestellten Werkleistung jederzeit kündigen; – liegt nach § 650 dtBGB das wirtschaftliche Risiko beim Verkäufer, dass der von ihm für die Anpassungen veranschlagte Aufwand zutrifft; – umgekehrt erfolgt die Billigung der werkvertraglichen Leistungen nur dann im Wege einer Abnahme, wenn die Parteien dies ausdrücklich vertraglich vereinbaren. Da der Vertrieb von (auch individuell angepasster) Standardsoftware in der Regel auf der Basis von Vertragsmustern erfolgt, sollten in Deutschland die zusätzlich angebotenen individuellen Anpassungen in einer separaten Vertragsurkunde vereinbart werden, damit nicht die Standardklauseln (als AGB) als weitgehend unwirksam behandelt werden4.
309
In Österreich ist die Unterscheidung zwischen Kauf- und Werkvertrag dagegen von geringerer praktischer Bedeutung. Nach § 381 Abs. 2 öUGB ist der Unternehmer auch beim Werkvertrag zur sofortigen Prüfung und Rüge verpflichtet und gelten für Kaufund Werkverträge einheitliche Gewährleistungsregeln (§§ 922 ff. öABGB).
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XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394; in dieselbe Richtung wird die Entscheidung EuGH Oracle/UsedSoft interpretiert, vgl. Rz. 301. BGH v. 25.3.2010 – VII ZR 224/08, CR 2010, 422 = NJW 2010, 2200, Rz. 14; in der Rechtsprechung ist vereinzelt auf den schlichten Wertanteil der Anpassungsleistungen abgestellt worden, OLG Nürnberg v. 30.1.1990 – 11 U 893/88, Beil. 7 zu BB 1991, 10 (25 % Anteil am Gesamtpreis führt zu Werkvertragsrecht), aber dieses Kriterium dürfte zu kurz greifen. Die Nutzerhinweise zum EVB-IT Systemvertrag stellen drei Abgrenzungskriterien auf: (i) die Dauer der Anpassungsarbeiten, (ii) die Nutzbarkeit der SW für den Käufer nur mit den Anpassungsleistungen und (iii) ein Preisanteil für die Individualleistungen von (mindestens) 15–20 %. BGH v. 9.10.2001 – X ZR 58/00, CR 2002, 93 (94). Redeker in Schneider/Graf v. Westphalen, Softwareerstellungsverträge, 2. Aufl. 2014, Kap. D, Rz. 92. Vgl z.B. OLG Jena v. 19.9.2013 – 1 U 194/13, GRUR-RR 2014, 182.
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Softwareverträge
Rz. 314 Teil F
g) Shareware, Public Domain Software, Freeware Die Begriffe kennzeichnen besondere Erscheinungsformen der Standardsoftware, es besteht jedoch keine allgemein verbindliche Definition der Begriffe; beim Handel mit Software, die unter diesen Begriffen angeboten wird, muss man daher die Bedingungen, unter denen das konkrete Programm angeboten wird, prüfen (z.B. wird „Freeware“ keineswegs notwendig kostenlos abgegeben).
310
aa) Shareware Der Begriff „Shareware“ kennzeichnet bislang nicht eindeutig eine bestimmte Form des Vertriebs, sodass in besonderem Maße auf die konkreten Vereinbarungen zu achten ist. Shareware wird in der Regel gegen Gebühr1 an die Anwender abgegeben, wobei der Autor den (Weiter-)Vertrieb des Programmes beliebigen Dritten überlässt2. In der Regel wird eine kostenlose Probephase zugestanden, teilweise eine lediglich freiwillige Lizenzzahlung. Problematisch ist bei diesem unkontrollierten Vertrieb insb. der Übergang auf neuere Versionen oder die Umstellung des Vertriebssystems3.
311
Shareware ist nach noch hM rechtlich meist ein Kauf auf Probe4 nach §§ 454 f. dtBGB (bei lediglich freiwilliger Zahlung eine Schenkung), im Übrigen handelt es sich nur um eine besondere Vertriebsform, mit der heutzutage auch große Softwarehäuser eine rasche Marktdurchdringung anstreben. § 455 Satz 2 dtBGB, wonach nach Fristablauf die übergebene Software als gebilligt gilt, kann abbedungen werden, auch stillschweigend; das dürfte am ehesten im nicht kommerziellen Bereich anzunehmen sein.
312
Eine gesetzliche Einschränkung der Gewährleistungshaftung kommt (nur) in Betracht, wenn (i) mangels Zahlungspflicht eine Schenkung vorliegt (dann nur Haftung bei Arglist, §§ 523 f. dtBGB) oder (ii) erkennbar nur eine Version mit eingeschränkter Funktionalität zu Demonstrationszwecken angeboten wird5. Im Übrigen gelten die kaufrechtlichen Bestimmungen.
313
bb) Public Domain Software Public Domain Software ist kostenlose Standardsoftware. Das Konzept stammt aus den USA, praktische Anwendungsfälle sind vor allem mit öffentlichen Mitteln entwickelte Programme und Software, an der der Urheber nach US-amerikanischem Copyright die Nutzungsrechte zugunsten der Allgemeinheit verloren hat6. Sie wird 1 Wenngleich die Gebühr häufig eher symbolisch ist, gehört die Beschränkung auf den nicht-kommerziellen Bereich keineswegs zum Wesen der Shareware, LG München I v. 3.6.1992 – 21 O 8607/92 – Shareware. 2 Ob jedem Erwerber daher zwingend ein freies Kopier- und Weitergaberecht eingeräumt wird, ist allerdings umstritten; dafür: LG München I v. 3.6.1992 – 21 O 8607/92 – Shareware; OLG Hamburg v. 1.2.1994 – 3 N 20/94, CR 1994, 616; dagegen: OLG Düsseldorf v. 26.7.1995 – 20 U 65/95, CR 1995, 730; OLG Köln v. 12.7.1996 – 6 U 136/95, CR 1996, 723, die Beschränkungen des Vertriebsrechts auf den nicht-kommerziellen Vertrieb oder den Vertrieb nicht zusammen mit anderen Programmen auch urheberrechtlich für zulässig halten; dem widerspricht nun der BGH, BGH v. 11.12.2014 – I ZR 8/13, GRUR 2015, 773 (778, Rz. 62) – UsedSoft III. 3 Hierzu LG München I v. 3.6.1992 – 21 O 8607/92 – Shareware. 4 Hoeren, CR 1989, 887 (889); a.A. Heymann, CR 1991, 6 (reiner Kauf); Marly, Praxishandbuch Softwarerecht, 6. Aufl. 2014, Rz. 926 ff. (Dienstvertrag (ohne Entgeltpflicht: Auftragsverhältnis) zwischen Erwerber und Händler, Lizenzvertrag zwischen Erwerber und Programmautor). 5 BGH v. 24.6.1999 – I ZR 51/97, CR 1999, 687 – Kennzeichenpflicht für Shareware-Version. 6 Bislang nicht diskutiert ist, dass dem Urheber trotz Verlustes seines US-Copyrights in Deutschland weiterhin Urheberrechtsschutz zukommt (gemäß dem bilateralen Abkommen USA – Deutschland, s. Fn. 7 zu Rz. 156), sodass in Deutschland ggf. gegenüber dem US-amerikanischen Konzept des public domain weiter gehende Einschränkungen der Nutzungsrechte zulässig sind; dies wird nicht problematisiert in OLG Frankfurt v. 20.4.1989 – 6 U 213/88, CR 1989, 905 – PAM-Crash.
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Teil F Rz. 315
Handel mit geistigem Eigentum
vom Urheber in aller Regel zur einfachen Nutzung und Weitergabe zur Verfügung gestellt; insb. die Umgestaltung oder Verwendung in eigener Software ist aber regelmäßig nicht mehr Gegenstand der Rechteeinräumung. Umstritten ist, ob der Urheber implizit eine Vervielfältigung auch für kommerzielle Zwecke gestattet1, wenn er das Programm als Public Domain Software bezeichnet. Rechtlich liegt eine Schenkung2 der Software-Kopie vor, sodass eine Haftung des Urhebers nur bei Arglist in Betracht kommt (§§ 523 f. dtBGB). cc) Open Source Software 315
Als Open Source Software (OSS) (synonym: Freeware, Free Software, Freely Distributable Software) wird Software bezeichnet, deren Quellcode offengelegt und für jedermann erhältlich ist. OSS darf üblicherweise verändert, kopiert und weitergegeben werden. Häufig, aber keineswegs zwingend, wird die Software kostenlos abgegeben3.
316
Freeware wird häufig unter der sog. „GNU-GPL“ bzw. „GNU-LGPL“4 vertrieben, bekanntestes Produkt ist das Betriebssystem „Linux“. Die vertragstypologische Einordnung von Open Source Software ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, diskutiert werden unter anderem5 eine Schenkung unter auflösenden Bedingungen6 (nämlich die Einhaltung der Lizenzbedingungen) und eine Schenkung unter Auflagen7.
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Der entgeltliche Vertrieb – insb. zusammen mit anderen Software-Produkten – wirft zahlreiche rechtliche Probleme auf8; fraglich sind insb. – in Deutschland die AGB-rechtliche Wirksamkeit des in der GPL vorgesehenen vollständigen Gewährleistungsausschlusses9 und der Verpflichtung zur Weitergabe der Lizenz10; – die Reichweite der (kostenlosen) Rücklizenzierungspflicht (Ziff. 2 lit. c GPL) bezüglich zusammen mit der Open Source Software vermarkteter proprietärer (urheberrechts- oder patentgeschützter) Software11;
1 Dagegen wohl Koch, Handbuch Software- und Datenbank-Recht, Berlin 2003, § 2 Rz. 86; dafür: OLG Stuttgart v. 22.12.1993 – 4 U 223/93, CR 1994, 743 (gegen Vorinstanz LG Stuttgart, CR 1994, 162); wohl auch OLG Frankfurt v. 20.4.1989 – 6 U 213/88, CR 1989, 905 PAM-Crash; Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen, 2. Aufl. 1993, Kap. II, Rz. 156. 2 Koch (vorige Fn.), § 2 Rz. 86; ablehnend Schneider, Kap. J Rz. 24. 3 Vgl. Präambel, Nr. 4, 2. Abs. der GNU General Public License, Version 3, Juni 2007; unrichtig daher Koch, CR 2000, 273; Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 156. 4 Aktuelle Version: GNU-General Public License, Version 3, Juni 2007; GNU-Lesser General Public License, Version 3, Juni 2007Häufig genutzt wird auch MPL (Mozilla Public License) und BSD. Liste gängiger Lizenzbedingungen unter http://opensource.org/licenses. 5 Noch anders: Sester, CR 2000, 797 (801): Ähnlichkeit zur BGB-Gesellschaft; Koch, CR 2000, 333 (335): Vertrag eigener Art nach § 311 BGB; Grützmacher, ITRB 2002, 84 (86): normalerweise Kauf. 6 Metzger/Jaeger, GRUR Int. 1999, 839 (847). 7 Spindler/Wiebe, CR 2003, 873 (876, 879); Spindler, Rechtsfragen bei Open Source, Köln 2004, Kap. C, Rz. 6; Deike, CR 2003, 9 (14); kritisch Schneider, Kap. J, Rz. 24. 8 Umfassend Spindler, Rechtsfragen bei Open Source, 2004. 9 Schneider, Kapitel J, Rz. 255; Grützmacher, ITRB 2002, 84 (89 f.); Lejeune, ITRB 2003, 10 (12). 10 Spindler/Wiebe, CR 2003, 873 (879) m.w.N.; LG München I v. 19.5.2004 – 21 O 6123/04, CR 2004, 774 (775) – netfilter hält die Lizenzweitergabepflicht für AGB-rechtlich zulässig. 11 Sog. viraler Effekt, hierzu insb. Funk/Zeifang, CR 2007, 617 ff.; Schöttle, CR 2012, 1 ff. (zu patentrechtlichen Konsequenzen); Lejeune, ITRB 2003, 10 (11); zur kartellrechtlichen Zulässigkeit Grützmacher, ITRB 2002, 84 (88); Koch, CR 2000, 333 (341 ff.).
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Softwareverträge
Rz. 321 Teil F
– inwieweit die Bedingungen der GPL eine eigenständige Nutzungsart definieren (und daher dingliche Wirkung entfalten)1. 3. Individualsoftware Individualsoftware ist die auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene (aber nicht notwendigerweise ausschließlich von diesem sinnvoll nutzbare) und für diesen entwickelte Software. Ihre Erstellung ist regelmäßig Werkvertrag2 nach §§ 631 ff. dtBGB3, da ein Erfolg – funktionsfähiges Softwareprogramm – geschuldet wird.
318
Wenn der Hersteller nicht ausnahmsweise die zu bearbeitende Software vom Besteller erhält4, liegt allerdings ein Werklieferungsvertrag vor, auf den gemäß § 651 Satz 1 dtBGB grundsätzlich Kaufrecht anzuwenden ist5. Unter Kaufleuten gilt dann insb. – wie beim Softwarekauf – § 377 Abs. 1 dtHGB.
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Die Erstellung eines Individualprogrammes kann auch Dienstvertrag nach §§ 611 ff. dtBGB sein, soweit die Parteien darüber einig sind, dass nur ein Bemühen um den Erfolg geschuldet sein sollte. (Nicht zwingende) Kriterien, das Vorliegen eines Dienstvertrages näher zu prüfen, können eine Vergütung nach Zeit oder Weisungen zum Arbeitsablauf sein6.
320
4. Vollübertragung/Lizenzierung des Urheberrechts Strikt vom Kauf einer Programmkopie zu trennen ist der Erwerb der gesamten Rechte an einer bestimmten Software durch Übertragung (Art. 16 schwURG) bzw. exklusiver Lizenzierung (soweit das Urheberrecht nicht übertragen werden kann, wie nach § 29 Abs. 1 dtUrhG; § 23 Abs. 3 öUrhG) der hieran bestehenden Urheberrechte (bzw. Übertragung der Nutzungsrechte). Der Erwerb ist Rechtskauf7 und soll allein dem Käufer ermöglichen, über Nutzung und Vertrieb des Programmes zu entscheiden. Denkbar ist – wie bei allen Schutzrechten – auch die Einräumung einer mehr oder minder umfänglichen Lizenz an dem Urheberrecht. Auch eine solche Lizenz ist strikt zu trennen vom Erwerb einzelner Programmkopien (selbst wenn Letzteres häufig als „Softwarelizenz“ bezeichnet wird). In Grenzfällen – z.B. Vereinbarung eines umsatzabhängigen Kaufpreises – ist danach zu fragen, ob der Vertrag das Risiko der wirtschaftlichen Verwertung dem Käufer (dann Kauf) oder dem Verkäufer (dann umfängliche Lizenz) zuordnet8. Für diese Verträge gelten die kauf- und lizenzrechtlichen Bestimmungen wie für sonstige Urheberverträge, auf die verwiesen wird (Teil F, Kap. V.). Derartige („echte“) Softwarelizenzverträge werden von der Gruppenfreistellungs-Verordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen mit umfasst (s. oben Rz. 200; zu sonstigen kartell1 H.M.: keine eigenständige Nutzungsart, LG München I v. 19.5.2004 – 21 O 6123/04, CR 2004, 774 (775) – netfilter mit konträren Anm. Hoeren und Metzger; LG Frankfurt/M. v. 6.9.2006 – 2-6 O 224/06, CR 2006, 729 (731); Metzger/Jaeger, GRUR Int. 1999, 839 (843); Grützmacher, ITRB 2002, 84 (87); Marly, Rz. 953 ff.; a.A. Koch, CR 2000, 333 (336); wohl auch Spindler, Kap. C, Rz. 35 ff. 2 Grdl. BGH v. 11.2.1971 – VII ZR 170/69, BB 1971, 677; OLG Köln v. 22.9.1995 – 19 U 65/94, NJW 1996, 1067. 3 Wegen des geschuldeten Werkerfolges kann der Wille der Parteien bei besonders riskanten Entwicklungsverträgen evtl. auch eine andere Einordnung nahelegen, s. oben Teil C, Rz. 486. 4 Dann liegt reiner Werkvertrag vor, BGH v. 9.10.2001 – X ZR 58/00, CR 2002, 93. 5 Zu den Konsequenzen s. Rz. 307 f. 6 Vgl. ausführlich anhand des Beispiels des EVB-IT Systemvertrags Kremer/Sander, CR 2015, 146 ff. 7 Auch für Deutschland dürfte sich die Anwendung kaufrechtlicher Regeln anbieten, obwohl es sich formal um einen exklusiven Lizenzvertrag handelt, ebenso Haedicke, GRUR 2004, 123 (125) zur Patentlizenz. 8 So schon Erwägungsgrund Nr. 9 der EG-TTVO v. 31.1.1996, ABl. EG Nr. L 31 v. 9.2.1996, S. 2.
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Teil F Rz. 322
Handel mit geistigem Eigentum
rechtlich bedeutsamen Klauseln in derartigen Lizenzverträgen s. Rz. 338 ff., 493 ff.; zur Übertragung der Bezeichnung der Software („Werktitel“) s. Rz. 451). 322
In Deutschland muss vor Übertragung urheberrechtlicher Nutzungsrechte an Software die Zustimmung des selbständigen Programmautors eingeholt werden, außer sie gehen im Rahmen der Gesamtveräußerung des Unternehmens oder Unternehmensteils auf den Erwerber über (§ 34 Abs. 3 dtUrhG). Für den Normalfall – Erarbeitung des Programmes durch angestellte Softwareprogrammierer – bedarf es generell nicht deren Zustimmung1. Auch selbständige Programmautoren können vertraglich im vorhinein auf das Zustimmungserfordernis verzichten (§ 34 Abs. 5 Satz 2 dtUrhG). In Österreich bedarf es für die Übertragung von Werknutzungsrechten an Software keiner Einwilligung des Urhebers, es kann aber Abweichendes vereinbart werden (§ 40c öUrhG).
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Nicht vertraglich im Voraus abdingbar ist in Deutschland die gesamtschuldnerische Haftung (§ 34 Abs. 4, 5 dtUrhG) des Softwareerwerbers für die vertraglichen Verpflichtungen des Veräußerers gegenüber dem Urheber; Österreich sieht zwingend eine Schuldübernahme bzw. Bürgenstellung des Veräußerers vor (§ 27 Abs. 3, 4 öUrhG). Ob zumindest bei angestellten Softwareentwicklern § 69b dtUrhG diese Haftung ausschließt – oder der Erwerber für die (arbeits-)vertraglichen Verpflichtungen des Arbeitgebers (Veräußerers) einzustehen hat –, ist bislang ungeklärt.
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Für Datenbanken gelten Besonderheiten: Soweit sie als „Datenbankwerke“ angesehen werden können, richtet sich Übertragbarkeit und Lizenzierung nach den obigen Grundsätzen für Software. Unabhängig davon besteht in Deutschland und Österreich (aufgrund Umsetzung der EG-Datenbank-Richtlinie) ein besonderer Schutz für „Datenbanken“ (§§ 87a ff. dtUrhG; §§ 76c ff. öUrhG), der anderen Einschränkungen als das allgemeine Urheberrecht unterliegt und frei übertragbar und abtretbar ist2. In der Schweiz sind Datenbanken lediglich über § 5 schwUWG geschützt. OGH v. 9.4.2002 – 4 Ob 17/02, GRUR Int. 2004, 66 Eine Datenbank, die als amtliche Bekanntmachung vom Schutz als Datenbankwerk ausgeschlossen ist, kann dennoch Schutz als Datenbank nach § 76c öUrhG genießen.
Bei Software, die Datenbanken enthält, müssen also Rechte an den Datenbanken sowohl nach allgemeinem Urheberrecht wie nach dem sui-generis-Schutz als Datenbank übertragen werden. Erleichert wird die Übertragung bei Auftragsproduktionen dadurch, dass der sui-generis-Schutz originär nicht in der Person des Urhebers entsteht, sondern bei demjenigen, der die Investition vorgenommen hat (§ 87a Abs. 2 dtUrhG; § 76d Abs. 1 öUrhG). Im Folgenden soll primär der den Softwarehandel prägende Verkauf einzelner Softwarekopien beschrieben werden. 5. Software als Kreditsicherheit 325
Für den Einsatz von Software als Kreditsicherheit3 sei vorrangig auf Teil H, Rz. 604 ff. verwiesen. In Betracht kommt vorrangig die Sicherungstreuhand (Sicherungsübertragung), denkbar ist auch die Einräumung eines Pfandrechts. Da Software typischer 1 Loewenheim in Schricker/Loewenheim, § 69b Rz. 12; Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz: UrhG, § 69b Rz. 9. 2 Dreier in Dreier/Schulze, Vor §§ 87 ff. Rz. 2; Thum/Hermes in Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 87a ff. UrhG, Rz. 28. 3 Weiterführend zur Verwendung von Software als Sicherheit vgl. Söbbing, CR 2014, 485 ff.; Kotthoff/Pauly, WM 2007, 2085 ff. (insbesondere zu im Zusammenhang mit Software häufig bestehenden weiteren Rechten, die bei der Sicherung mit beachtet werden sollten); Klawitter/Hombrecher, WM 2004, 1213 (1218).
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Softwareverträge
Rz. 327 Teil F
Weise einer konstanten Weiterentwicklung unterliegt, ist daran zu denken, dass auch die späteren Updates/Upgrades von der Sicherungsabrede erfasst sind. Da der Sicherungsgeber die Software während des Treuhandzeitraumes weiter nutzen können muss, der Kreditgeber aber bei der Sicherungstreuhand Inhaber der Nutzungsrechte ist, müsste er dem Kreditnehmer an seiner Stelle die Nutzung der Software gestatten1. 6. Pflegevertrag, Change Management, Beratungsvertrag Gleich in welcher Form die Software überlassen wird, besteht häufig ein beidseitiges Interesse, das Programm nach Erwerb durch Fehlerbeseitigung und Verbesserungen2 zu aktualisieren. Derartige Pflegeverträge können im Überlassungsvertrag selbst oder gesondert vereinbart werden und machen bei umfangreicher Software häufig den größeren Teil des erzielten Umsatzes aus. Da sie nicht zum Handel mit Software im engeren Sinn gehören, sollen sie hier aus Platzgründen nicht näher behandelt werden3. Ebenfalls den Umfang dieser Darstellung sprengen würde die Einbeziehung der praktisch bedeutsamen Gestaltung des Überganges von einer Softwarelösung auf eine andere (sog. Change Management).
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II. Rechtsschutz von Software 1. Urheberrecht Software ist als urheberrechtliches Werk geschützt (§ 69a Abs. 3 dtUrhG; Art. 2 Abs. 3 schwURG; § 40a öUrhG). Die frühere deutsche Rechtsprechung, die zusätzliche Anforderungen an die Schöpfungshöhe der Software stellte4, ist überholt. Computerspiele sind zwar ebenfalls als Software geschützt, sie stellen jedoch in aller Regel „hybride“ Werke dar, da sie neben dem nach § 69a ff. dtUrhG geschützten Softwarecode in aller Regel auch noch zahlreiche weitere Werke enthalten, die entweder nach den allgemeinen urheberrechtlichen Regeln geschützt werden (z.B. Texte; die Figuren und Charaktere des Spiels5; die Begleitmusik, uU auch schon einzelne Soundeffekte; die Grafik, die bei modernen Games in der Regel nahezu Filmqualität besitzt6; ob daneben auch das jeweilige Bildschirmdisplay als Einzelbild Schutz nach § 72 dtUrhG genießt, ist streitig7, vor allem wegen des für die Bildfolge jedenfalls gewährten Laufbildschutzes nach §§ 94, 95 dtUrhG). Die Unterscheidung zur „reinen“ Software ist im Handel mit derartigen Werken vor allem bedeutsam, weil der EuGH seine Feststellung, Erschöpfung beim Vertrieb von Software trete auch beim Online-Vertrieb ein, maßgeblich auf die Besonderheiten der Software-Richtlinie gestützt hat8. Daher geht die h.L. davon aus, dass eine Er1 Zur urheberrechtlichen und vertragsrechtlichen Konstruktion vgl. Söbbing, CR 2014, 485 (487 f.). 2 Terminologisch wird üblicherweise unterschieden zwischen Updates (Fehlerbeseitigung und kleinere Ergänzungen des Leistungsumfanges) und Upgrades (umfangreichere Änderungen des Leistungsumfanges). 3 Vgl. hierzu z.B. Schneider, Kap. K – Software-Pflege. 4 Z.B. BGH v. 9.5.1985 – I ZR 52/83, CR 1985, 22 – Inkasso-Programm. 5 Weiterführend Graef, ZUM 2012, 108 ff.; BGH v. 11.3.1993 – I ZR 264/91, GRUR 1994, 191 (192) – Asterix-Persiflagen. 6 Rauda, Recht der Computerspiele, Rz. 87. 7 Dagegen: Rauda, Recht der Computerspiele, Rz. 92; Axel Nordemann in Fromm/Nordemann, § 72 UrhG, Rz. 8; OLG Hamm v. 24.8.2004 – 4 U 51/04, MMR 2005, 106 – Web-Grafiken; dafür: Büchner, ZUM 2011, 549 (552); Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, § 72, Rz. 7. 8 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft.
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Brandi-Dohrn 583
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Teil F Rz. 328
Handel mit geistigem Eigentum
schöpfung bei sonstigen Werken (Computerspiele, e-Books etc.), die nicht oder nicht ausschließlich der Software-Richtlinie unterfallen, beim Online-Vertrieb nicht eintritt1. 328
Nach allgemeinem Urheberrecht steht ausschließlich dem Urheber das Recht zu, insb. Art und Zeitpunkt der Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung und Wiedergabe zu bestimmen (§ 15 dtUrhG; Art. 10 schwURG; § 14 öUrhG). Die allgemeinen Regeln sind für Software – in Umsetzung der Software-Richtlinie – in §§ 69a ff. dtUrhG; §§ 40a ff. öUrhG (zur in Einzelfragen abweichenden autonomen Umsetzung der Richtlinie in der Schweiz vgl. Rz. 387) teilweise abgeändert worden:
329
§ 69a ff. dtUrhG spezifizieren Nutzungsarten, die der Zustimmung des Berechtigten bedürfen (§ 69c dtUrhG) und legen zugleich Mindestrechte des Erwerbers von Software fest, die vertraglich nicht abbedungen werden können (§ 69g Abs. 2 dtUrhG, § 40d Abs. 4 öUrhG). Darüber hinaus ist dem Erwerber – soweit nicht (zulässiger Weise) individuell etwas Anderes vereinbart ist – alles erlaubt, was für eine „bestimmungsgemäße Benutzung der (Software)Kopie notwendig ist“2. Der Umfang der Nutzungsrechte ist anhand der Eigenschaften des Programmes, den wirtschaftlich verfolgten Zwecken und den technischen Parametern (z.B. Angabe der Netzwerkfähigkeit oder Kompatibilität mit bestimmten Programmen legen Berechtigung zu entsprechendem Einsatz nahe) im Einzelfall zu bestimmen3. Der Umfang der bestimmungsgemäßen Nutzung kann zwar vertraglich eingeschränkt werden (§ 69d Abs. 1 dtUrhG; § 40d Abs. 4 öUrhG), in Deutschland jedoch nicht durch AGB-Klauseln; ein (gesetzlich nicht abschließend definierter) Kern von Rechten ist darüber hinaus auch individualvertraglich nicht abdingbar4.
330
Umstritten sind die Grenzen der urheberrechtlich zustimmungspflichtigen Handlungen – primär, weil Einschränkungen oder Vergütungsregelungen, die an nicht urheberrechtlich relevante Handlungen anknüpfen, nur schuldrechtlich wirksam, also gegenüber Dritten nicht durchsetzbar sind. Dies gilt insb. für das Vervielfältigungsrecht, dessen Erstreckung auf die Installation (auf der Festplatte)5, das Laden (in den Arbeitsspeicher)6 und das Ablaufen7 des Programmes umstritten ist.
331
Ausländische Urheber aus Nicht-EWR-Staaten (vgl. § 120 dtUrhG) genießen in Deutschland nach § 121 Abs. 1 dtUrhG Schutz wie Inländer nur für ihre in Deutsch1 2 3 4
Eingehend zum Streitstand Redeker, CR 2014, 73 (76 f.). Erwägungsgrund Nr. 17 der Softwarerichtlinie, § 69d Abs. 1 dtUrhG. Ulmer, ITRB 2001, 214 (218); Loewenheim in Schricker/Loewenheim, § 69d, Rz. 8. BGH v. 24.2.2000 – I ZR 141/97, CR 2000, 656 (658) = BB 2000, 2227 = K&R 2000, 457 – Fehlerbeseitigung. 5 Ganz h.M.: Vervielfältigung, vgl. nur BGH v. 20.1.1994 – I ZR 267/91, NJW 1994, 1216 = CR 1994, 274 – Holzhandelsprogramm; Harte-Bavendamm/Wiebe in Kilian/Heussen, Computerrechtshandbuch, Kap. 51, Rz. 54; Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (139). 6 Str., für Vervielfältigung die h.M.: M. Brandi-Dohrn, BB 1994, 658 (659) m.w.N.; Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 117 ff.; Loewenheim in Schricker/Loewenheim, § 69c UrhG Rz. 9; Czychowski in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl. 2014, § 69c Rz. 8; a.A.: Hoeren/ Schuhmacher, CR 2000, 137 (143 f.); unklar LG Mannheim v. 11.9.1998, CR 1999, 360 m. krit. Anm. Bartsch. 7 HM: keine Vervielfältigung, vgl. Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 122 m.w.N.; Lehmann in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. I A, Rz. 13; BGH v. 20.1.1994 – I ZR 267/91, NJW 1994, 1216 = CR 1994, 274 – Holzhandelsprogramm; Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (139); Czychowski in Fromm/Nordemann (vorige Fn.), § 69c Rz. 8; a.A.: Harte-Bavendamm/ Wiebe in Kilian/Heussen, Kap. 51 Rz. 55; Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (143), die auf den Wortlaut der Software-Richtlinie und des § 69c Nr. 3 Satz 2 dtUrhG verweisen können.
584 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 334 Teil F
land erschienenen Werke, außer diese sind schon mehr als 30 Tage vorher im Ausland erschienen. Wird Software ausschließlich online vertrieben, erscheint das Werk (Software) überall gleichzeitig1. Der Grundsatz ist allerdings weitgehend bedeutungslos, da alle nach der RBÜ bzw. TRIPS geschützten ausländischen Urheber sich auf den Grundsatz der Inländerbehandlung berufen können. Die RBÜ ist nun nach Art. 10 Abs. 1 TRIPS ausdrücklich auch auf Computerprogramme anwendbar, sodass ein Urheber sich in jedem TRIPS-Mitgliedstaat auch auf die in der RBÜ festgeschriebenen Mindestrechte berufen kann. In den Ländern, in denen das WCT anwendbar ist, kann sich der Software-Urheber zugleich auf das Online-Recht berufen. Für Datenbanken besteht kein Schutz durch internationale Konventionen (abgesehen vom wettbewerbsrechtlichen Schutz gegen sklavische Nachahmung nach Art. 10bis PVÜ). Datenbankhersteller, die nicht EU-Bürger (bzw. Unternehmen mit Sitz in der EU) sind, genießen also in Deutschland und Österreich den besonderen sui-generisSchutz nur, wenn eine Reziprozitätsvereinbarung besteht2 (bislang existieren solche nicht). Die Übertragung eines einmal entstandenen Datenbankschutzes auf ein NichtEU-Unternehmen ist aber ohne Einschränkung möglich.
332
2. Patentrecht Daneben gewährt die Rechtsprechung3 – trotz des auf den ersten Blick den Patentschutz ausschließenden § 1 Abs. 2 Nr. 3 dtPatG, § 1 Abs. 2 Nr. 3 öPatG – schon seit langem Patentschutz auf Software, wobei die Kriterien der Schutzgewährung bis heute nicht eindeutig sind. Die Anforderungen, unter denen Patentschutz für Software gewährt wird, sollten daher durch eine EG-Richtlinie vereinheitlicht werden, die jedoch gescheitert ist; ebenfalls gescheitert ist der Versuch der Präsidentin des Europäischen Patentamtes, zumindest für den Bereich der europäischen Patente eine Vereinheitlichung und Präzisierung der Patentierungsgrundsätze zu erreichen4.
333
Da sowohl Patent- wie Urheberrecht dem Schutzrechtsinhaber ein Ausschließlichkeitsrecht auf die Software gewähren, kann es zu einer Schutzrechtskollision kommen, wenn die Rechte unterschiedlichen Personen zustehen. Dieses – in Deutschland ungelöste5 – Problem entsteht z.B., wenn die Software (wie meistens) von Arbeitnehmern entwickelt wird. Dann steht das urheberrechtliche Verwertungsrecht im Regelfall ausschließlich dem Arbeitgeber zu (§ 69b dtUrhG; Art. 17 schwURG). Für patentrechtliche Ansprüche gilt das in Deutschland jedoch nicht automatisch, sondern nur, wenn der Arbeitgeber auf Meldung des Arbeitnehmers die Erfindung form- und fristgerecht in Anspruch genommen hat (§ 6 dtArbNErfG). Hat er – z.B. wegen der erheblichen Kosten der Patentanmeldung oder in der irrigen Meinung, Patentschutz sei sowieso nicht zu erhalten – dem Arbeitnehmer die Rechte freigegeben, so stehen patentrechtliche Ansprüche dem Arbeitnehmer zu (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 dtArbNErfG).
334
1 Nordemann in Fromm/Nordemann, § 6 Rz. 21. 2 Dreier in Dreier/Schulze, Vor §§ 87a ff. Rz. 12; Thum/Hermes in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 87a ff. Rz. 44, 47 f. 3 BGH v. 13.11.1999 – X ZR 11/98, CR 2000, 281 – Logikverifikation; BGH v. 11.5.2000 – X ZR 15/98, CR 2000, 500 – Sprachanalyseeinrichtung; BGH v. 24.2.2011 – X ZR 121/09, CR 2011, 494 = MMR 2011, 540 – Webseitenanzeige. Die lange Zeit in den USA großzügigere Patentierungspraxis bei Software ist mit der Entscheidung US Supreme Court in re: Bilski zum Stillstand gekommen, vgl. hierzu Lejeune/Sieckmann, MMR 2010, 741 ff. 4 Fragen von der Großen Beschwerdekammer des EPA als unzulässig verworfen, Große BK v. 12.5. 2010 – G3/08. 5 BGH v. 24.10.2000 – X ZR 72/98, CR 2001, 223 – Wetterführungspläne I; BGH v. 23.10.2001, CR 2002, 249 – Wetterführungspläne II, jeweils m. Anm. Brandi-Dohrn, CR 2001, 285 ff.; CR 2002, 252 ff.; Bayreuther, GRUR 2003, 570 ff.
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Brandi-Dohrn 585
Teil F Rz. 335
Handel mit geistigem Eigentum
Kritisch ist auch der zunehmende Einsatz von selbständigen Softwareentwicklern anstelle von Angestellten. Soweit deren Verträge nicht explizit eine Übertragung aller Rechte auf den Auftraggeber vorsehen, erhält dieser in Deutschland nach der sog. Zweckerreichungslehre nur soviel an Rechten, wie er für die Zwecke des Vertrages benötigt. Das kann zur Auslegung führen, dass er lediglich die auf die konkrete Ausgestaltung der Software bezogenen Urheberrechte erhält, nicht aber Patentrechte, die über die Verwertung der konkreten Software hinausgehen. 3. Sonstige Immaterialgüterrechte 335
Software kann wettbewerblichen Schutz nach § 4 Nr. 9 dtUWG, Art. 3d, 5 schwUWG gegen Nachahmungen, Übernahme von Strukturmerkmalen etc. genießen. Daneben genießt sie – soweit geheim – als Betriebsgeheimnis nach § 17 dtUWG, § 11 Abs. 2 öUWG, Art. 6 schwUWG Schutz. In anderen PVÜ-Verbandsstaaten wird der Geheimnisschutz nach Maßgabe der jeweiligen inländischen Gesetzgebung gewährt (Inländerbehandlung, Art. 1 Abs. 2 PVÜ), sklavische Nachahmungen können unter den Tatbestand des Art. 10bis PVÜ (bzw. Art. 39 TRIPS) fallen und dann – unabhängig vom Niveau des nationalen lauterkeitsrechtlichen Schutzes – unterbunden werden1.
336
Häufig wird vergessen, dass die Bezeichnung von Computersoftware Werktitelschutz genießt2, die Rechte zur markenrechtlichen Nutzung also bei einer Übertragung gegebenenfalls nach den für Kennzeichen geltenden Regeln mit übertragen oder lizenziert werden müssen (hierzu unter Rz. 451, 509). Da für die Erschöpfung von Kennzeichenrechten andere Grenzen gelten als für die urheberrechtliche Erschöpfung, machen sich manche Software-Hersteller dies zur Absicherung ihrer Vertriebsmodelle zunutze3. Praktisch bedeutungslos ist dagegen der Topographieschutz4, der für Software in Betracht kommt, die unmittelbar auf einem Chip umgesetzt wird (sog. Firmware).
III. Beschränkungen beim Vertrieb von Software 1. Verwendungsbeschränkungen 337
Sowohl beim Softwarekauf wie bei der -miete spielen Verwendungsbeschränkungen eine erhebliche Rolle; sie sollen vor allem (i) die Überprüfung der vertragsgemäßen Nutzung erleichtern und (ii) den Preis durch Spaltung in verschiedene Preisbestandteile erhöhen helfen. Sie basieren auf der Befugnis des Urhebers, die Rechte an seinem Werk beschränkt zu lizenzieren (§ 32 dtUrhG; § 26 öUrhG) und zwar grundsätzlich mit sog. „dinglicher Wirkung“, d.h. mit Wirkung gegen jeden Dritten, der das Werkstück im Verlauf erwirbt. Gerade im Bereich von Software sind jedoch so viele Varianten persönlicher, sachlicher, zeitlicher und territorialer Einschränkungen denkbar, um die Verwertung zu optimieren, dass für Dritte die Erkennbarkeit der jeweiligen Beschränkungen verloren zu gehen droht. Diese Erkenntnis hat im Lauf der Zeit dazu geführt, dass – entgegen dem Prinzip des Lizenzvertragsrechts – Verwendungsbeschränkungen nur noch mit gewissen Einschränkungen zulässig sind.
1 Brandi-Dohrn in Ullrich/Lejeune, Rz. 183 f. 2 BGH v. 24.4.1997 – I ZR 44/95, WRP 1997, 1184 – Power Point; BGH v. 24.4.1997 – I ZR 233/94, WRP 1997, 1181 – FTOS. Einen Grenzfall stellt Software dar, die fest in Hardware integriert ist. 3 Z.B. Microsoft, vgl. BGH v. 6.10.2011 – I ZR 6/10, GRUR 2012, 392 = NJW-RR 2012, 616 – Echtheitszertifikate. 4 Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen v. 22.10.1987, BGBl. 1987 I, 2294 ff., in Umsetzung der EG-Richtlinie 87/54/EWG v. 16.12.1986.
586 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 340 Teil F
a) Arten von Verwendungsbeschränkungen In der Praxis spielen folgende Verwendungsbeschränkungen eine Rolle: – Weitergabeverbot; – Weitergabebeschränkung: Die Software darf nur mit bestimmten Einschränkungen weitergegeben werden, z.B. nur zusammen mit einem neuen Computer (sog. OEMKlausel) oder nur an bestimmte Nutzergruppen, z.B. Schulversionen (sog. „Field-ofUse“-Beschränkungen). – CPU-Klausel/Maschinen-Klausel („echte CPU-Klausel“): Die Software darf nur auf einem bestimmten Computer genutzt werden, ggf. mit Ausweichrecht bei Funktionsstörungen. Als Variante kann die Cluster-Lizenz gelten, die eine Nutzung auf einem Zusammenschluss von Rechnern gestattet; – Upgrade-Klausel (oder „unechte CPU-Klausel“): Beim Wechsel der Hardware (vorzugsweise auf eine leistungsfähigere Hardware) wird eine Zuzahlung fällig1; – Gebäude-/Betriebs- und Konzernlizenz: Die Software darf nur an den vereinbarten Orten/Betrieben genutzt werden; – sog. „Service-Büro-Klausel“: Die Software darf nur für die eigenen Geschäftsvorfälle, aber nicht für die Bearbeitung von Daten oder Geschäftsvorfällen Dritter genutzt werden; – Einzelplatz- oder Netzwerklizenz: Die Software verbietet entweder ausdrücklich die Benutzung auf einem Netzwerkserver (Einzelplatzlizenz) oder – bei Gestattung – gibt die Nutzung nur für eine bestimmte Zahl von Personen oder Rechnern frei, meist mit entsprechender Preisstaffel. Verschiedene Varianten sind marktüblich: (i) Einmalentgelt für eine bestimmte Zahl von Nutzern, die das Programm gleichzeitig nutzen dürfen (sog. Concurrent User oder Floating Lizenz), (ii) Einmalentgelt für eine maximale Zahl von Nutzern, die individualisiert sein können (Named User), (iii) Vergütung in Abhängigkeit von der tatsächlich erfolgten Nutzung (Software Metering). – Kopierverbot; – Änderungsverbot.
338
b) Wirksamkeit der Verwendungsbeschränkungen Die Wirksamkeit einer Verwendungsbeschränkung kann aus unterschiedlichen Rechtsgründen zweifelhaft sein. Entsprechend unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen einer Unwirksamkeit:
339
aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind vorgefertigte Formulierungen, die der Verwender plant, für eine Vielzahl von Verträgen einzusetzen2. Im Bereich des Softwarehandels dürfte – bis auf Vereinbarungen zur Herstellung von Individualsoftware – der Großteil der vertraglichen Vereinbarungen als AGB einzustufen sein. 1 Zu den typischen Klauselgestaltungen vgl. Scholz/Haines, CR 2003, 393 m.w.N. 2 BGH v. 27.9.2001 – VII ZR 388/00, NJW 2002, 138 – geplante dreimalige Verwendung reicht aus; gegenüber Verbrauchern sind die Bestimmungen überwiegend schon anwendbar, wenn die Klausel nur zur einmaligen Verwendung bestimmt war, vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB; BGH v. 27.11. 2003 – VII ZR 53/03, WM 2004, 290 – zur Beweislast; BGH v. 9.3.2006 – VII ZR 268/04, NJW-RR 2006, 740 – nimmt Vertragspartner AGB des anderen vorausschauend in sein Angebot auf, bleibt der andere Verwender der AGB; BGH v. 19.5.2005 – III ZR 437/04, NJW 2005, 2543 – auch handschriftliche Ergänzungen können AGB sein; BGH v. 22.11.2012 – VII ZR 222/12, NJW 2012, 856: Stellt der AGB-Verwender den Vertragsentwurf als „nicht verhandelbar“ dar, ist dieser auch dann als AGB zu qualifizieren, wenn der Käufer diesen juristisch prüft und Klauseln – erfolglos – kritisiert hat.
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Brandi-Dohrn 587
340
Teil F Rz. 341
Handel mit geistigem Eigentum
341
AGB-Klauseln sind in Deutschland überhaupt nur wirksam, wenn die andere Seite sie vor oder bei Vertragsschluss zumutbar zur Kenntnis nehmen konnte. Einschränkende Klauseln, die der Verwender erst nach dem Vertragsschluss sieht, entfalten also nach deutschem Recht keine Wirkung. Daher sind z.B. unwirksam Bedingungen in sog. „shrink-wrap-Verträgen“ (= Schutzhüllenverträge, bei denen der Käufer nach Erwerb der Software zusätzliche Bedingungen durch Aufreißen der Verpackung akzeptieren soll) oder „Enter-Verträgen“ (erst beim Starten der erworbenen Software erscheinen zusätzliche Bedingungen in einem Fenster, die akzeptiert werden müssen, bevor das Programm genutzt werden darf) (s. dazu Rz. 375).
342
AGB-Klauseln sind außerdem – auch im Verkehr zwischen Unternehmern (vgl. § 310 Abs. 1 Satz 1 dtBGB) – unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen1. Das ist im Zweifel anzunehmen, wenn die Klausel (i) mit „wesentlichen Grundgedanken“ der gesetzlichen Regelung, von der sie abweicht, nicht zu vereinbaren ist oder (ii) wesentliche Rechte oder Pflichten derart einschränkt, dass das Erreichen des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 dtBGB). Um feststellen zu können, ob eine Verwendungsbeschränkung in einem Softwarevertrag von der gesetzlichen Regelung abweicht, muss der Vertrag einem der gesetzlich normierten Vertragstypen zugeordnet werden, bei Standardsoftware also den Typen „Kauf“ oder „Miete“, ggf. „Werklieferungsvertrag“ (s. Rz. 305, 307). Unabhängig vom Vertragstyp muss zudem dem Software-Anwender immer erlaubt sein, was zur bestimmungsgemäßen Nutzung notwendig ist.
343
Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Bestimmungen zu AGB-Klauseln ist nicht die Unwirksamkeit des Vertrages insgesamt (Ausnahme § 306 Abs. 3 dtBGB: Festhalten am Vertrag bedeutet für eine Partei eine unzumutbare Härte) und auch nicht die bloße Reduktion der unwirksamen Klausel auf das gesetzlich eben noch Zulässige; vielmehr tritt an die Stelle der unwirksamen Klausel die gesetzliche Regelung, der Rest des Vertrages bleibt wirksam (§ 306 Abs. 1, 2 dtBGB). bb) Individualvereinbarungen
344
Bei Individualvereinbarungen gilt grundsätzlich Vertragsfreiheit. Verstößt eine Vertragsbestimmung allerdings gegen ein gesetzliches Verbot, so ist als Rechtsfolge im Zweifel der gesamte Vertrag unwirksam (§ 139 dtBGB). Im Bereich der Softwareverträge können zur Nichtigkeit insb. Einschränkungen der dem Nutzer zwingend zustehenden Mindestrechte (§ 69g Abs. 2 dtUrhG) führen, wie auch die kartellrechtlichen Schranken nach Art. 101 Abs. 2 AEUV (vormals Art. 81 Abs. 2 EGV); §§ 1, 19 Abs. 1 dtGWB, die der Klauselgestaltung Grenzen setzen: cc) Insbesondere: Zwingende Mindestrechte des Nutzers
345
Die im UrhG für Software geltenden Regelungen enthalten zu Gunsten des Erwerbers einen auch individualvertraglich nicht entziehbaren Kern. Zu diesen Mindestrechten gehören: – das Recht auf die Erstellung von Sicherungskopien (§ 69d Abs. 2 dtUrhG); – die Dekompilierung unter den Voraussetzungen des § 69e dtUrhG; – Testläufe sowie die Beobachtung des Programmes (§ 69d Abs. 3 dtUrhG); hiermit kollidieren häufig Geheimhaltungsklauseln; 1 Benachteiligt sich dagegen der Verwender durch die Klausel selbst, bleibt die Bestimmung wirksam; dies ist z.B. bei den von der deutschen öffentlichen Hand verwendeten BVB bzw. EVB-IT teilweise der Fall.
588 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 346 Teil F
– das Recht zur Fehlerbeseitigung, jedenfalls nach hM1; – nach hM Änderungen des Programmes, um es an neue gesetzliche Bestimmungen oder an andere Hardware (sog. Portierung oder Migration)2 anzupassen; – das Recht, das Programm zu installieren3 – natürlich nur im Rahmen der „bestimmungsgemäßen Benutzung“. Unzulässig wäre z.B. eine Pflicht, das Programm nur von der Originaldiskette aus zu starten4. – das Laden und Laufenlassen des Programmes. Unzulässig ist daher jede Behinderung des Ablaufes, z.B. durch Sperren5, soweit diese nicht durch den erworbenen Nutzungsumfang gerechtfertigt ist (z.B. Sperrung einer zu Testzwecken erworbenen Version nach Ablauf der zugestandenen Testzeit). Unzulässig soll auch sein, die Vergütung in Abhängigkeit von der tatsächlich erfolgten Nutzung des Programmes zu berechnen6, soweit die Kopie gekauft, nicht lediglich gemietet wurde. Das begegnet Bedenken, da es sich hier um Preisabreden handelt, die auch in einem Kaufvertrag nicht unzulässig sind (gestreckter Kaufpreis). – der bestimmungsmäßige Gebrauch durch den Nutzungsberechtigten; der Umfang des Gebrauchs ist im Gesetz nicht näher definiert und ergibt sich jeweils aus dem Vertragszweck. „Nutzungsberechtigter“ ist auch der Zweiterwerber der Software, dessen Nutzungsrecht gegenüber dem Urheber sich daher nicht auf einen (abgeleiteten) vertraglichen Nutzungsanspruch stützt, sondern auf das gesetzliche Nutzungsrecht des § 69d dtUrhG7. dd) Insbesondere: Kartellrecht Weitergehende Einschränkungen können sich aus Kartellrecht ergeben. Hier ist zunächst auf die allgemeine Darstellung Rz. 188 ff. zu verweisen. Beim Vertrieb von Software sind häufig vertikale Beschränkungen zu beobachten (hier verdrängt das EG-Kartellrecht die nationalen Regelungen in Deutschland und Österreich, soweit die Klausel geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinflussen)8, daneben auch 1 Lehmann, NJW 1993, 1822 (1823); Schneider, Kap. C, Rz. 59; BGH v. 24.2.2000 – I ZR 141/97, CR 2000, 656 (658) = BB 2000, 2227 = K&R 2000, 457 – Fehlerbeseitigung; vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 17 sowie Art. 5 Abs. 1 der Softwareschutz-Richtlinie 2009/24/EG, Abl. EG 2009 L 111, S. 16 ff. 2 Str., für Mindestrecht Ulmer, ITRB 2001, 214 (218); Hoeren/Schuhmacher CR 2000, 137 (139); einschränkend auf kleinere Programmänderungen Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 109; ablehnend Harte-Bavendamm/Wiebe in Kilian/Heussen, Kap. 51, Rz. 75; einschränkend Schneider, Kap. C, Rz. 90 ff., 245 ff.; vgl. auch vor Erlass der Softwareschutz-Richtlinie Lehmann, CR 1990, 625 (630). 3 Schneider, Kap. C, Rz. 65; die Vertragsauslegung kann ergeben, dass auch die Installation bei einem (dritten) Schulungsunternehmen erlaubt ist, vgl. OLG Düsseldorf v. 29.5.2001 – 20 U 166/00, NJW-RR 2002, 1049 = CR 2002, 95 (96) – Generallizenz. 4 Schuhmacher, CR 2000, 641 (645). 5 OLG München v. 12.10.2000 – 29 U 3680/00, CR 2001, 11 – Programmsperre zu Registrierungszwecken; LG Frankfurt/M. v. 30.3.2012 – 3-12 O 24/11, CR 2013, 768 n. rkr.; Schneider, Kap. C, Rz. 75. 6 Schneider, Kap. C, Rz. 187; Kap. J, Rz. 174. 7 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft; BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (266), Rz. 31 – UsedSoft II; dennoch verpflichtet der BGH den Zweitkäufer, im Streitfall den ursprünglichen Lizenzvertrag vorzulegen, um damit seine Übereinstimmung mit der „bestimmungsgemäßen Nutzung“ zu belegen, BGH aaO, Rz. 68. Das steht offensichtlich in Widerspruch zur Auffassung des BGH in der OEM-Entscheidung (BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, CR 2000, 651) und der Entscheidung BGH v. 11.12.2014 – I ZR 8/13, GRUR 2015, 772 (778, Rz. 62) – UsedSoft III, wonach das Verbreitungsrecht vollständig erschöpft, Nutzungseinschränkungen gegenüber dem Ersterwerber also nicht auf den Zweiterwerber fortwirken; vgl. ähnlich OLG Frankfurt aM, GRUR 2013, 279 (281) – Adobe/UsedSoft. 8 Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EG-KartellVO; nach der 7. GWB-Novelle seit 1.7.2005 werden auch rein deutsche Sachverhalte nach denselben Grundsätzen geprüft, ähnlich in Österreich, vgl. §§ 1 ff. KartellG.
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Brandi-Dohrn 589
346
Teil F Rz. 347
Handel mit geistigem Eigentum
missbräuchliche Klauseln marktmächtiger Unternehmen (hier kann sich die Nichtigkeit sowohl aus EG-Kartellrecht wie aus nationalem Kartellrecht ergeben)1. 347
An den kartellrechtlichen Bestimmungen werden nur Klauseln gemessen, die nicht den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts betreffen, sondern dessen wirtschaftliche Ausübung2. Nach hM sind somit Klauseln, die nach nationalem Urheberrecht dingliche Wirkung haben, der kartellrechtlichen Überprüfung entzogen3. Von den obigen Verwendungsbeschränkungen ist das bislang explizit nur für die Einzelplatz-/ Mehrplatzlizenz anerkannt4. Verwendungsbeschränkungen sind nur kartellrechtlich zu beanstanden, wenn sie den Wettbewerb „spürbar“5 (Art. 101 Abs. 1 AEUV) beeinträchtigen. Das ist in der Regel bei addierten Marktanteilen von zwischen 1 und max 5 % auf dem relevanten Markt zu verneinen6, ebenso unter Umständen bei nur zeitweiliger Überlassung der Software (Miete)7. Die de-minimis-Bekanntmachung der Kommission8 legt bestimmte Marktanteilsschwellen – 10 % zwischen Wettbewerbern und 15 % zwischen Nicht-Wettbewerbern – fest, unterhalb derer die Kommission (außer bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen) wegen angenommener Nicht-Spürbarkeit nicht tätig wird. Die praktische Bedeutung der De-Minimis-Bekanntmachung ist jedoch in mehrerlei Hinsicht eingeschränkt: – Trotz der „Sperrwirkung“ des Art. 3 Abs. 2 der KartellVO Nr. 1/2003 sind die nationalen Kartellbehörden und Gerichte nicht gehindert, eine Softwarevertriebsvereinbarung als wettbewerbswidrig zu beurteilen und zu untersagen, wenn die Schwellen der de-minimis-Bekanntmachung unterschritten werden. – Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH stellen Vereinbarungen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken (und nicht lediglich bewirken), immer eine spürbare Beschränkung dar9. Soweit also die Softwarevertriebsvereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, können Marktteilnehmer aus der deminimis-Bekanntmachung weder gegenüber der EU-Kommission noch gegenüber etwaigen Verfahren nationaler Behörden oder Gerichte etwas für sich herleiten. Ob eine Vereinbarung die Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, richtet sich nicht nach den subjektiv verfolgten Absichten oder Beweggründen, vielmehr ist der objektive Zweck der Regelung unter Berücksichtigung der rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu ermitteln. Bestehen objektive Gründe für die Klausel, die keinen unmittelbaren Bezug zu einer Wettbewerbsbeschränkung haben, spricht das gegen eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Die Kommis-
1 Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EG-KartellVO. 2 EuGH v. 18.2.1971 – Rs. C-40/70, Slg. 1971, 69 – Sirena/Novimpex; vgl. zu Unterschieden in der Abgrenzung im deutschen und EG-Kartellrecht Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (881); Schuhmacher, GRUR Int. 2004, 487 (495). 3 Polley, CR 1999, 345 (350); Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (881); a.A. Ullrich/Heinemann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1, EU/Teil 2, 5. Aufl. 2012, GRUR B, Rz. 29 ff. 4 Soweit im Gefolge der Entscheidung OLG München v. 3.7.2008 – 6 U 2759/07, CR 2008, 551 – Oracle/UsedSoft auch dinglich wirkende Weitergabeverbote als zulässige Beschränkung der Nutzungsrechte angesehen wurden (so Bräutigam, Anm. zu OLG München, CR 2008, 551 (552)), dürfte das durch die Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren obsolet sein. 5 Hierzu Klotz in Schröter, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV, Rz. 713 ff. 6 EuGH v. 9.7.1969 – Rs. C-5/69, Slg. 1969, 295 (302) – Völk/Vervaecke; EuGH, Rs. C-107/82, Slg. 1983, 3151 (3201) – AEG-Vertrag. 7 Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (884): Berücksichtigung insb. der wirtschaftlichen Lebensdauer der vermieteten Software und eventueller Verlängerungsklauseln im Vertrag. 8 De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission v. 30.8.2014, ABl. EG Nr. C 291/2014, S. 1 ff. 9 EuGH v. 13.12.2012 – Rs. C-226/11 (Rz. 16 f.) – Expedia; Esken, WRP 2013, 443; ebenso jetzt Nr. 2 der De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission.
590 | Brandi-Dohrn
Rz. 349 Teil F
Softwareverträge
sion zählt sämtliche Kernbeschränkungen im Sinne der GVOen zu den bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen1. – Zu berücksichtigen ist zuletzt, dass nach der Rechtsprechung des BGH bestimmte – nicht spürbare und daher kartellrechtlich unbedenkliche – Klauseln, insbesondere nachvertragliche Wettbewerbsverbote, schon nach § 138 dtBGB nichtig sind, wenn die Voraussetzungen eines Kartellverstoßes vorliegen, ohne dass es auf Spürbarkeit ankommt2. Die EG-Kommission sieht bestimmte Vereinbarungen pauschal als gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Kartellverbot freigestellt (sog. „Gruppenfreistellungs-Verordnungen“, s. Rz. 197 ff.):
348
Der Vertrieb („Bezug, Verkauf und Weiterverkauf“, nicht also die Vermietung) von Software kann unter die Vertikal-GVO fallen, soweit die urheberrechtlichen Nutzungsrechte nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind, sondern sich nur auf die Nutzung der Ware durch den Abnehmer (bzw. dessen Kunden) beziehen3. So fällt der Vertrieb von Softwarekopien unter die Vertikal-GVO4, ebenso das Überlassen einer Master-Copy an den Händler mit dem Recht, hiervon selbst Kopien anzufertigen und zu vertreiben5. Beschränkungen beim Vertrieb von Softwarekopien sieht die EG-Kommission vom Kartellverbot freigestellt, soweit der Marktanteil 30 % nicht überschreitet (Art. 3) und keine „schwarzen Klauseln“ (Art. 4, 5) vereinbart werden. Zu diesen verbotenen Klauseln gehören insb. bestimmte Preisbindungen und Weiterverkaufsbeschränkungen, Wettbewerbsverbote und bestimmte nachvertragliche Vertriebsbeschränkungen6. BGH v. 23.2.1995 – I ZR 68/93, GRUR 1995, 673 (676) – Mauerbilder Könnte der Rechtsinhaber, wenn er das Werkstück verkauft hat, noch in den weiteren Vertrieb des Werkstückes eingreifen, so wäre dadurch der freie Warenverkehr in unerträglicher Weise behindert.
Die derzeitige, seit 30.4.2015 auch für alle früher abgeschlossenen Vereinbarungen geltende TT-GVO erfasst den Softwarevertrieb nur mit Einschränkungen7: Da Gegenstand der TT-GVO der „Technologietransfer“ ist, wird der (bloße) „Erwerb von Waren“ ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen, Gegenstand der Vereinbarung muss vielmehr die Lizenzierung oder Übertragung von Technologierechten mit dem Ziel der Herstellung von Vertragsprodukten sein8. Der (bloße) Vertrieb von Softwarekopien fällt nicht unter die TT-GVO. Denkbar ist aber die Anwendung der TT-GVO z.B. auf Software, die zur Weiterentwicklung oder für das Anbieten als SaaS, 1 Nr. 13 De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission; ausführlich zum Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ Heinrich/Ströbl, BB 2014, 2506 ff.; Fiebig, WuW 2015, 462 ff. 2 BGH v. 10.12.2008 – KZR 54/08, WuW/E DE-R 2554 – Subunternehmervertrag II. 3 Art. 2 Abs. 3 Vertikal-GVO, Vertikal-GVO-Leitlinien, Rz. 41; während dort noch eine Beschränkung auf den Vertrieb nur auf Datenträger anklingt, ist durch die Formulierung in den neueren TT-Leitlinien, Rz. 62, nun ausdrücklich auch für den Online-Vertrieb ausschließlich die Vertikal-GVO einschlägig; umfassend zur Anwendung der GVOen auf Softwareverträge Polley, CR 2004, 641 ff.; Frank, CR 2014, 349 ff. 4 Unabhängig davon, ob der Käufer die Software für den Weitervertrieb oder den Eigengebrauch erwirbt, vgl. Klotz in Schröter, Art. 101 AEUV – Fallgruppen/Liefer- und Bezugsvereinbarungen, Rz. 722; Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (886); Polley, CR 2004, 641 (644). 5 Das ergibt sich aus der Abgrenzung in den TT-Leitlinien 2014, Rz. 62, die auch die Erlaubnis zur Vervielfältigung zum Vertrieb ausdrücklich der Vertikal-GVO zuweist, anders noch die VertikalGVO 2000, vgl.Vertikal-GVO-Leitlinien 2000, Rz. 32. 6 Zur unterschiedlichen Auswirkung von Klauseln nach Art. 4 und solchen nach Art. 5 vgl. Vertikal-GVO-Leitlinien, Rz. 65 f. Solche Klauseln sind in der Regel auch nicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freistellungsfähig. 7 Art. 1 lit. b vii TT-GVO, TT-Leitlinien, Rz. 44, 62. 8 Art. 1 Abs. 1 lit. c TT-GVO.
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Brandi-Dohrn 591
349
Teil F Rz. 350
Handel mit geistigem Eigentum
IaaS oder PaaS1 lizenziert wird, die zur Programmierung anderer Software2 oder Hardware (insbesondere von Produktionsmaschinen) dient oder in ein anderes Produkt integriert werden soll, mit dem die Software interagiert3. 350
Einstweilen frei.
351
Das Verhältnis verschiedener GVOen zueinander folgt keiner allgemein gültigen Regel4. Die Vertikal-GVO ist jedoch immer dann unanwendbar, wenn der betreffende Vertrag in den Geltungsbereich einer anderen GVO fällt (Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO) – die TT-GVO ist also vorrangig. ee) Erschöpfung
352
Die Weiterverbreitung eines Exemplars eines Werkes ist zulässig, wenn es im Wege der Veräußerung vom Berechtigten (oder mit dessen Zustimmung) in Verkehr gebracht worden ist (§ 17 Abs. 2 dtUrhG; Art. 12 schwURG; § 16 Abs. 3 öUrhG). EG-rechtlich gilt dieser Grundsatz nunmehr für jedes Inverkehrbringen innerhalb des EWR (sog. EUweite Erschöpfung5, § 69c Nr. 3 dtUrhG, § 16 Abs. 3 öUrhG). Der Grundsatz der Erschöpfung hat Auswirkungen auch auf die Rechtsfolgen einer Verwendungsbeschränkung: Der Zweiterwerber eines Werkstückes kann nämlich aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs nur dann von der vertraglichen Verwendungsbeschränkung erfasst werden, wenn es sich um eine übliche, klar abgrenzbare, sowie technisch und wirtschaftlich eigenständige Nutzungsform handelt6. Als eigenständig anerkennt die hM im Softwarebereich die Unterscheidung zwischen Einzelplatz- und Mehrplatznutzung7, wobei „Einzelplatznutzung“ von der Vorgabe eines bestimmten Rechners für die Nutzung des Rechners (CPU-Klausel) strikt zu unterscheiden ist. Soweit Software im Wege des Online-Download erworben wurde, tritt ebenfalls Erschöpfung ein8. Diese erstreckt sich nicht nur auf die ursprünglich verkaufte Programmversion, sondern erfasst auch etwaige im Rahmen von Wartungsverträgen vor Weiterverkauf erworbene Updates/Upgrades9. Der „Weiterverkauf“ kann gemäß EuGH dann auch in der Form erfolgen, dass der Erstkäufer dem Zweitkäufer ermöglicht, die Kopie seinerseits unmittelbar von der Webseite des Herstellers erneut herunterzuladen. Voraussetzung ist lediglich, dass der Erstkäufer seine Kopie nicht weiter nutzt und löscht10.
353
Nach dieser Klarstellung des EuGH kreist die Diskussion11 derzeit im Wesentlichen um folgende Fragen alternativer Vermarktungsmodelle im Softwarevertrieb: 1 2 3 4 5 6 7
8 9 10 11
Software/Infrastructure/Platform as a Service, so Frank, CR 2014, 349 (351). Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (885); a.A.: Polley, CR 2004, 641 (646 f.). TT-Leitlinien, Rz. 63. Vgl. allgemein Veelken in FS Mestmäcker, 1996, S. 789 ff. Vgl. für das Urheberrecht EuGH v. 8.6.1971 – Rs. 78/70, Slg. 1971, 471 = GRUR Int. 1971, 450 – Deutsche Grammophon/Metro. Ulmer, ITRB 2001, 214 (216); BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – CPU-Klausel. Marly, Praxishandbuch Softwarerecht, 6. Aufl., Rz. 1735; Grützmacher, ITRB 2001, 59 (62); Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 163; Metzger, NJW 2003, 1994; OLG Frankfurt v. 14.12.1999 – 11 U 7/99, CR 2000, 146 (150); zu den urheberrechtlichen Problemen der Nutzung im Netzwerk insbes. Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (142 ff.). EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. EuGH a.a.O. Rz. 68. EuGH a.a.O., Rz. 70. Ob es ausreicht, dass der – insoweit beweispflichtige – Zweiterwerber zum Beleg auf eine entsprechende Bestätigung des Ersterwerbers verweist, ist noch unklar. Vorschläge für zulässige Klauselgestaltungen bei Brandi-Dohrn in Redeker, Handbuch der ITVerträge, Kap. 1.2, Rz. 133 ff.; Scholz, GRUR 2015, 142 ff.
592 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 354 Teil F
– da der EuGH dem Ersterwerber untersagt, die erworbenen Lizenzen „aufzuspalten“ (EuGH aaO, Rz. 69), wird zum Teil vertreten, dass der Ersterwerber die erworbenen Lizenzen generell nur einheitlich weitergeben könne. Allerdings bezog sich die Entscheidung des EuGH auf sog. Client-Server-Software, wogegen beim Erwerb mehrerer Lizenzpakete, die jeweils auf einzelnen Clients installiert werden, kein Grund ersichtlich ist, eine Weitergabe einzelner der erworbenen Lizenzen zu untersagen1; – Da der EuGH die Erschöpfung ausdrücklich auf die Besonderheiten der Softwareschutz-Richtlinie gestützt hat und neuere Entscheidungen nahelegen, dass beim Online-Vertrieb anderer Werkgattungen keine Erschöpfung eintritt2, stellt sich die Frage, wie Software einzuordnen ist, die – wie in der Regel – auch urheberrechtlich schutzfähige Werke anderer Werkgattungen enthält, z.B. Computerspiele oder e-Books (sog. hybride Werke); – Der BGH hatte in der Entscheidung Half-Life II3 entschieden, dass kein Verstoss gegen den Erschöpfungsgrundsatz vorliege, wenn der Software-Anbieter zwar den freien Weitervertrieb der Software (hier: ein Computerspiel) gestatte, nicht aber die parallele Weitergabe eines bei ihm einzurichtenden User Accounts, ohne den das Computerspiel faktisch nicht nutzbar war. Hieraus ist gefolgert worden, es sei zulässig, durch Verwendung von User Accounts gespaltene Vertriebswege für verschiedene Käufergruppen vorzusehen4. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Entscheidung des BGH eine derartige Aussage tatsächlich entnommen werden kann, da sie prozessualen Besonderheiten unterlag5. Betrifft die Verwendungsbeschränkung keine eigenständige Nutzungsart, so wirkt sie (soweit sie nach oben Rz. 341 ff. als AGB überhaupt wirksam ist)6 nur im Verhältnis der Parteien zueinander, also z.B. gegenüber dem Zwischenhändler als Vertragspartner, aber nicht gegenüber dem nächsten Erwerber, wenn der Zwischenhändler die Klausel nicht weitergegeben hat7. Der Erwerber ist also im Umfang der eingetretenen Erschöpfung zur Nutzung berechtigt; beim Softwarekauf ist der Erwerber z.B. zur Weiterverbreitung berechtigt, aber nicht zur gewerbsmäßigen Vermietung (§ 69c Nr. 3 dtUrhG; § 16a Abs. 1 öUrhG; Art. 13 Abs. 4 schwURG) oder zum öffentlichen Zugänglichmachen z.B. auf einem der Öffentlichkeit zugänglichen Server (§ 69c Nr. 4 dtUrhG) .
1 Das gilt nach OLG Frankfurt. v. 18.12.2012 – 11 U 68/11, CR 2013, 148 = GRUR 2013, 279, Rz. 54 – Adobe/UsedSoft auch, wenn das Lizenzpaket unter einer einheitlichen Seriennummer vertrieben wurde; ebenso Redeker, CR 2014, 73 (75). Zur Klauselgestaltung Brandi-Dohrn in Redeker, Handbuch der IT-Verträge, Kap. 1.2 Rz. 135. 2 EuGH v. 22.1.2015 – Rs. C-419/13, Rz. 39 f., CR 2015, 180 – Art&Allposters International, mit Anm. Struwe. 3 BGH v. 11.2.2010 – I ZR 178/08, CR 2010, 565 – Half-Life II. 4 Hansen, GRUR-Prax. 2014, 162; Hilgert, CR 2014, 354 (359); LG Berlin v. 21.1.2014 – 15 O 56/13, CR 2014, 400, n.rkr. 5 Vgl. Brandi-Dohrn in Redeker, Handbuch der IT-Verträge, Kap. 1.2, Rz. 78a; kritisch auch Schneider/Spindler, CR 2014, 213 (220). 6 Eine Klausel, die gegen den Erschöpfungsgrundsatz verstößt, ist nach h.M. AGB-widrig, Hoeren in Graf von Westphalen, AGB-Klauselwerke, Loseblatt, Stand Februar 2014, IT-Verträge, Rz. 17; Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, Klauseln, Rz. S 227; Lehmann, NJW 1993, 1822 (1825); Ernst in Ulmer/Brandner/Hensen, Teil 2, (44) Softwareverträge, Rz. 53. 7 BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, NJW 2000, 3571 = WRP 2000, 1309 = MMR 200, 749 = GRUR 2000, 671 = CR 2000, 651 – OEM-Version; hierzu kritisch Moritz, MMR 2001, 94 ff.; hiergegen wiederum Baus, MMR 2002, 14 ff.; BGH v. 11.12.2014 – I ZR 8/13, GRUR 2015, 772 (778, Rz. 62) – UsedSoft III.
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Brandi-Dohrn 593
354
Teil F Rz. 355
Handel mit geistigem Eigentum
ff) Wirksamkeit einzelner Klauselgruppen 355
– Weitergabeverbot: Beim Softwarekauf stellt ein pauschales Weitergabeverbot in AGB einen Verstoß gegen § 307 BGB dar1; das Gleiche gilt für faktische Weitergabeverbote z.B. durch Programmsperren2 oder die Identifizierung des Rechners, auf dem die Software ablaufen darf (echte CPU-Klausel, s. Rz. 358). Zulässig ist hingegen ein Verbot der gewerblichen Weitervermietung3. Umstritten ist in AGB (und, soweit in solchen Klauseln eine unzulässige Beschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes zu sehen ist, wohl auch in Individualverträgen), inwieweit die Weitergabe an Bedingungen geknüpft werden kann, z.B. an die Mitteilung des Namens des Abnehmers4, die Pflicht, eine Nutzungsbeschränkung auch dem Zweitabnehmer aufzuerlegen5, bzw. das Knüpfen der Weitergabe an die Zustimmung des Berechtigten6. Verstößt der Vertragspartner gegen eine Bedingung, tritt allerdings dennoch Erschöpfung ein. – Unklar ist bislang, ob bei sog. Unternehmenslizenzen die Übertragbarkeit eingeschränkt werden kann7.
1 Ganz h.M.: OLG Frankfurt v. 25.6.1996 – 11 U 4/96, NJW-RR 1997, 494; OLG Frankfurt v. 5.11. 2013 – 11 U 92/12, GRUR-Prax 2014, 258; Redeker, ITRB 2013, 68 (69); Schuhmacher, CR 2000, 641 (648); Polley, CR 1999, 345 (354); differenzierend bei Unternehmenslizenzen Grützmacher, ITRB 2004, 204 (207); ablehnend Bräutigam/Wiemann, CR 2010, 215. 2 Schneider, Kap. J, Rz. 150; OLG München v. 12.10.2000 – 29 U 3680/00, CR 2001, 11; der BGH hat die Frage bislang nicht entschieden (vgl. BGH v. 15.9.1999 – I ZR 98/97, CR 2000, 94 (96) – Programmsperre III, m. Anm. Würmeling), aber deutliche Vorbehalte erkennen lassen (vgl. BGH v. 25.3.1987 – VIII ZR 43/86, NJW 1987, 2004 = CR 1987, 358 – Programmsperre II: Programmsperre stelle „nicht stets“ einen Mangel dar). 3 Das wäre nur ein Verweis auf die Gesetzeslage, wonach das Vermietrecht dem Berechtigten vorbehalten bleibt; str. ist, ob ein Verbot „jeder vorübergehenden Überlassung an Dritte“ in AGB zulässig ist, obwohl es auch die (unentgeltliche) Leihe umfasst, die dem Erwerber trotz § 17 Abs. 2 dtUrhG gestattet bleibt, dafür: Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 71; Pagenberg/Beier, Lizenzverträge, 6. Aufl. 2008, Kap. 14 Rz. 22; wohl auch Harte-Bavendamm/ Wiebe in Kilian/Heussen, Kap. 51, Rz. 62 (wegen des dem Urheber nach § 27 Abs. 2 dtUrhG zustehenden Vergütungsanspruches). Dagegen: Pres, Gestaltungsformen urheberrechtlicher Softwarelizenzverträge, Köln 1994, S. 117, 227; Schuhmacher, CR 2000, 641 (649). 4 Wohl h.M.: zulässig, vgl.Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 70; Pres (vorige Fn.), S. 224; einschränkend Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Klauseln Rz. S 226; Marly, Rz. 1663 f.: zulässig, soweit höherwertige Software; nur bei AGB-Miete Polley, CR 1999, 345 (354); evtl. scheitert aber eine Auskunftsklage zur Mitteilung der Namen am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, da Erschöpfung eingetreten ist, so wohl OLG Frankfurt v. 3.11.1998 – 11 U 20/98, CR 1999, 7 (10). 5 Str., dafür: Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 70 m.w.N.; dagegen: Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Klauseln Rz. S 226; OLG Hamburg v. 30.4.2013 – 5 W 35/13; CR 2013, 700 = ITRB 2013, 251 = MMR 2014, 115 (116); differenzierend Marly, Rz. 1665 f. (nach Wert der Software). Der BGH geht davon aus, dass jedenfalls der sich aus dem Vertrag ergebende Umfang der bestimmungsgemäßen Nutzung vom Zweiterwerber einzuhalten ist und daher der Vertrag in diesem Umfang auch für ihn gilt, BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (270), Rz. 68 – Used Soft II. 6 Str., dafür: Lehmann in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XIII, Rz. 56–61; dagegen: OLG Frankfurt v. 25.6.1996 – 11 U 4/96, NJW-RR 1997, 494; OLG Hamburg v. 30.4.2013 – 5 W 35/13, CR 2013, 700 = ITRB 2013, 251 = MMR 2014, 115 (116); Marly (Fn. 533), Rz. 1662; Pres (Fn. 3), S. 224; Schuhmacher, CR 2000, 641 (649); Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, Klauseln Rz. S 226; offen gelassen in BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, NJW 2000, 3571 = CR 2000, 651 – OEM-Version. 7 Hierzu Grützmacher, ITRB 2004, 204 ff.; Marly, EuZW 2012, 654 (657) (ja, soweit eine zahlenmässig nicht begrenzte „Unternehmenslizenz“ erworben wurde).
594 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 356 Teil F
– Auch individualvertraglich vereinbarte pauschale Weitergabeverbote in Softwarekaufverträgen verstoßen gegen den Erschöpfungsgrundsatz1; sie dürften auch kartellrechtlich unwirksam sein2. – Bei Softwaremiete sind Weitergabeverbote dagegen grundsätzlich – auch in AGB – zulässig3. – Weitergabebeschränkungen: In der sog. „OEM-Entscheidung“ hat der BGH festgehalten, dass eine OEM-Klausel mit dem Grundsatz der Erschöpfung nicht vereinbar ist, also nicht gegenüber (Zweit-)Abnehmern wirkt. BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, NJW 2000, 3571 = WRP 2000, 1309 = MMR 2000, 749 = GRUR 2000, 671 = CR 2000, 651 – „OEM-Version“ Ein Softwarehersteller kann sein Interesse daran, dass eine zu einem günstigen Preis angebotene Programmversion nur zusammen mit einem neuen PC veräußert wird, nicht in der Weise durchsetzen, dass er von vornherein nur ein auf diesen Vertriebsweg beschränktes Nutzungsrecht einräumt. – Was dies für die Wirksamkeit der OEM-Klausel bedeutet, ist noch nicht endgültig geklärt4, in AGB dürfte die Klausel aber wegen des Verstoßes gegen den Erschöpfungsgrundsatz unwirksam sein5. Unklar ist auch, ob sich das OEM-Urteil nicht durch andere Vertriebsgestaltungen, bzw. den Rückgriff auf Markenrechte6 oder Seriennummern7 umgehen lässt. 1 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. 2 Dies unabhängig von den jeweiligen Marktanteilen der Beteiligten, da eine solche Klausel eine sog. bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt, vgl. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO; im Ergebnis ebenso schon Polley, CR 1999, 345 (352). 3 Schneider, Kap. J, Rz. 387; Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 69; wohl auch OLG Frankfurt v. 26.4.1989 – 13 U 54/88, BB 1990, Beil. 24, S. 8. Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 134 hält die Klausel bei kombiniertem Hardwareverkauf und Softwaremiete für unwirksam, wenn hierdurch faktisch der Weiterverkauf der Hardware verhindert wird. Diese Konstellation dürfte aber meist schon zur Einordnung des Softwarelizenzvertrages als Kauf führen. 4 Die EG-Kommission scheint kartellrechtlich gegen OEM-Klauseln keine Einwände zu haben, vgl. Vertikal-GVO-Leitlinien, Rz. 42; Seffer/Beninca, ITRB 2004, 210 (213) halten eine Einzelfallprüfung anhand Art. 101 Abs. 3 AEUV für nötig; a.A.: Polley, CR 1999, 345 (352). Die in der OEM-Entscheidung des BGH anklingenden kartellrechtlichen Bedenken sind wegen des Vorranges der GVO nach Art. 3 Abs. 2 KartellVO wohl nur noch mit Einschränkungen gültig. 5 H.M., vgl. Witte, CR 2000, 645; Grützmacher in Wandtke/Bullinger, § 69c, Rz. 38 m.w.N.; Schneider, Kap. J, Rz. 127, 150. Ob im Online-Vertrieb von e-Books etc. ein Weitergabeverbot in AGB unwirksam ist, obwohl am Eintritt der Erschöpfung insoweit überwiegend gezweifelt wird, ist umstritten, bejahend Druschel/Oehmichen, CR 2015, 233 (238). 6 Nach BGH v. 9.6.2004 – I ZR 13/02, MarkenR 2005, 45 = ITRB 2005, 56 – SIM-Lock soll eine die markenrechtliche Erschöpfung ausschließende Produktveränderung vorliegen, wenn eine Softwaresperre entfernt wird, die die Nutzung (hier: von Mobiltelefonen) einschränkt (hier: auf Telefonate in nur einem Mobilfunknetz). Da der Titel von Software markenrechtlichen Schutz genießt (vgl. Rz. 445), ist diese Entscheidung für alle Arten von Software anwendbar. Vgl. auch BGH v. 1.3.2012 – I ZR 6/10, GRUR 2012, 392 = NJW-RR 2012, 616 – Echtheitszertifikat (für Softwarevertrieb unter Einsatz von markenrechtlich geschützten Aufklebern). 7 Das Verbot, Seriennummern zur Kennzeichnung der verschiedenen Vertriebswege zu entfernen, wird überwiegend für AGB-rechtlich zulässig gehalten (so Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, Klauseln, Rz. S 228; Marly, Rz. 1763; OLG Frankfurt v. 3.11.1998 – 11 U 20/98, CR 1999, 7), sodass auf diesem Umweg die Wirkung einer OEM-Klausel erreicht werden kann. Der BGH betont allerdings, dass die Veränderung/Entfernung von Kontrollnummern die Erschöpfung nur verhindert, wenn die Nummer „legitimen Zwecken dient“, BGH v. 21.2.2002 – I ZR 140/99, GRUR 2002, 709 (711) – Entfernung der Herstellungsnummer III. § 95c Abs. 1 dtUrhG untersagt zwar ausdrücklich die Entfernung derartiger Kennzeichen, ist aber auf Software nicht unmittelbar anwendbar (§ 69a Abs. 5 dtUrhG). Der EuGH hat in der Entscheidung Oracle/UsedSoft (EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498) betont, dass der Begriff der Erschöpfung so auszulegen ist, dass die Freiheit des Warenverkehrs nicht eingeschränkt wird; in der Entscheidung Nintendo (EuGH v. 23.1. 2014 – Rs. C-355/12, GRUR 2014, 255) hat er klargestellt, dass Sperren nicht grundsätzlich zulässig
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Brandi-Dohrn 595
356
Teil F Rz. 357
Handel mit geistigem Eigentum
– Die Grundsätze der OEM-Entscheidung dürften auf alle Fälle anwendbar sein, in denen dieselbe Software auf verschiedenen Vertriebswegen verbreitet wird, also z.B. bei Unterscheidung zwischen Voll- und Updateversion (Erwerb der günstigeren Update-Version setzt Besitz der Vorgängerversion der Software voraus)1, Vertrieb von Schul-/Universitätsversionen2, sog. Cross-Competitive-Versionen (Vertrieb knüpft an den Besitz bestimmter (Fremd-) Software an) oder sog. „Field-of-Use-Klauseln“ (Nutzung nur für eine bestimmte Branche). Solche Klauseln sind also nur wirksam, wenn es sich um wirtschaftlich und technisch eigenständige Nutzungsarten handelt. 357
– In der Entscheidung Half Life II hat der BGH3 nun aber in folgender Konstellation einen Verstoß gegen den Erschöpfungsgrundsatz verneint: Der Verkäufer hatte in den Softwarelizenzbedingungen zwar die Weitergabe der Software zugelassen. Für den Zweiterwerber war das Computerspiel jedoch nur in Verbindung mit einem beim Hersteller einzurichtenden user account nutzbar; die Vertragsbedingungen untersagten dem Ersterwerber, bei Weitergabe des Computerspiels auch seinen user account weiterzugeben. In der Literatur wurde daraus teils gefolgert, durch Verwendung von user accounts sei es künftig möglich, gespaltene Vertriebswege (und damit gespaltene Preise für verschiedene Käufergruppen) in rechtlich zulässiger Form vorzusehen. Der Entscheidung Half Life II ist jedoch – ungeachtet der Frage, ob der BGH sie heute, nach der Entscheidung EuGH Oracle/UsedSoft, überhaupt noch in dieser Form aufrecht erhalten würde4 – in Wahrheit eine solche Einschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes nicht zu entnehmen. Ob Softwarevertriebsverträge durch Koppelung an einen user account tatsächlich rechtlich wirksam die Erschöpfung einschränken können, muss weiterhin als sehr fraglich angesehen werden – eine solche Klauselgestaltung ist derzeit nicht anzuraten5.
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– CPU- oder Maschinen-Klausel: Eine echte CPU-Klausel dürfte in Übereinstimmung mit der hM jedenfalls in Kauf-AGB6, darüber hinaus auch individualvertraglich7 unwirksam sein.
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sind, sondern jeweils eine Abwägung der beidseitigen Interessen vorzunehmen ist. So ist derzeit unklar, in welcher Form die Vorgabe von Lizenzschlüsseln („Keys“), Freischaltcodes u.ä. ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Erschöpfung an die Person des Ersterwerbers geknüpft werden kann, vgl. – differenzierend – Schneider/Spindler, CR 2014, 213 (221) und – restriktiv – OLG Frankfurt v. 18.12.2012 – 11 U 68/11, CR 2013, 148 ff. = GRUR 2013, 279 ff., Rz. 40, 49 – Adobe/UsedSoft. Witte, CR 1999, 65 (69 ff.); OLG München v. 12.2.1998 – 29 U 5911/97, CR 1998, 265 mit abl. Anm. Erben/Zahrnt; OLG Frankfurt v. 12.8.2003 – 11 U 15/03, GRUR-RR 2004, 198 = NJOZ 2004, 874 – Softwarefälschung; OLG Frankfurt aM v. 3.11.1998 – 11 U 20/98, CR 1999, 7 sieht einen Wettbewerbsverstoß, wenn dem Zweitabnehmer falsche Seriennummern abgegeben werden, damit er die Software als Vollversion freischalten kann. Witte, CR 1999, 65 (71). BGH v. 11.2.2010 – I ZR 178/08, NJW 2010, 2661 = MMR 2010, 771 (mit Anm. Heydn) = CR 2010, 565 (m. krit. Anm. Menz/Neubauer) – Half Life II. Vgl. Schneider/Spindler, CR 2014, 213 (221 f.); dem BGH folgend nun aber LG Berlin v. 21.1.2014 – 15 O 56/13, ITRB 2014, 131 ff., (s.a. KG – 23 U 42/14). Der BGH betont am Ende seiner Entscheidung selbst, dass er sich ausschließlich mit der beanstandeten Klausel befasst, nicht mit der Wirksamkeit des Gesamtvertrags, BGH, Fn. 3, Rz. 24. Schneider, Kap. C, Rz. 276, Kap. J Rz. 60; Schuhmacher, CR 2000, 641 (646); Grützmacher ITRB 2003, 279 (280); ders. in Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG Rz. 42; Loewenheim in Festschrift für Gaedertz, S. 359 (361); Scholz/Haines, CR 2003, 393 (398) (allerdings für Zulässigkeit bei Vorhandensein einer Ausweichklausel, jedenfalls in AGB-Miete); Marly, Rz. 1695 ff.; auch in AGB-Miete unwirksam nach OLG Nürnberg, v. 20.6.1989 – 3 U 1342/88, CR 1990, 118 (121) – Hardware und Betriebssystem II; Schuhmacher, CR 2000, 641 (647); Marly, Rz. 1711; auch nach Nr. 1. c bb und d der Entscheidung des BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – CPU-Klausel dürfte eine Klausel, die einen Wechsel des Rechners generell untersagt, unwirksam sein. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG Rz. 37: Verstoß gegen § 69d Abs. 1 UrhG; Loewenheim in Festschrift für Gaedertz, S. 359 (363 ff.); Nordemann, CR 1996, 5 (10); Scholz/Wage-
596 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 361 Teil F
– Upgrade-Klauseln werden sowohl in Kauf- wie in Mietverträgen überwiegend nur dann für AGB-fest gehalten, wenn sie auf Fälle beschränkt sind, in denen mit dem Upgrade für den Käufer ein echter Mehrnutzen entsteht1.
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BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – „CPU-Klausel“ Eine Upgrade-Klausel ist in einem Mietvertrag auch in AGB wirksam, wenn (i) beide Seiten Unternehmer sind, (ii) komplexe, hochpreisige Software mit zahlenmäßig begrenzten Einsatzmöglichkeiten überlassen wird, und (iii) nicht zugleich eine echte CPU-Klausel in den Vertrag aufgenommen wurde.
Die Entscheidung des BGH lässt den Fall eines Softwarekaufes ausdrücklich offen – und sie hätte wohl anders ausfallen müssen, wenn der Hersteller zugleich Pflegeleistungen erbringt und die im Rahmen der Pflege upgedatete Software sinnvoll nur noch auf einem leistungsstärkeren Rechner verwendet werden kann2. Kartellrechtliche Aspekte spielten in der BGH-Entscheidung keine Rolle. Beim Softwarekauf kann eine Upgrade-Klausel aber eine der CPU-Klausel gleiche Wirkung entfalten, wenn die Höhe der Zuzahlung den Käufer von einem Wechsel auf andere Hardware abhält3. – Konzernlizenzen werden – jedenfalls in Individualverträgen – als zulässig angesehen4. Richtigerweise dürfte hier aber – ähnlich wie bei Gebäude- und Betriebslizenzen – danach zu differenzieren sein, ob es sich der Struktur nach um einen Kaufoder einen Mietvertrag handelt. Da im Fall eines Verkaufs das Verbreitungsrecht des Verkäufers erschöpft wird, dürfte die Beschränkung der Weitergabe gegenüber konzernfremden oder betriebsfremden Zweitkäufern jedenfalls in AGB, gegenüber dem Zweiterwerber aber auch in Individualverträgen5, unwirksam sein. Bei Mietverträgen sind solche Verbote auf jeden Fall zulässig6.
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– Service-Büro-Klauseln beschränken den Nutzer auf die Bearbeitung seiner eigenen Geschäftsvorfälle. Mit der Beschränkung der Nutzung nur für eigene Zwecke soll insb. der Einsatz der Software in sog. Servicebüros verunmöglicht werden. Während diese Beschränkung in Individualverträgen zulässig sein soll, wird an ihrer Wirk-
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ner, CR 2003, 880 (887): Kartellwidrige und nicht freistellbare Kundenkreisbeschränkung; a.A. Schneider, Kap. J, Rz. 59, 144, 393: Vertrag ist als Mietvertrag einzuordnen und dann wirksam; Marly, Rz. 1706. Schneider, Kap. J, Rz. 61, 392; (unter der Voraussetzung, dass nicht zugleich eine echte CPUKlausel vereinbart ist); Nordemann, CR 1996, 5 (9); Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 74; OLG Frankfurt v. 14.12.1999 – 11 U 7/99, CR 2000, 146 (150) (insoweit bestätigt durch BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – CPU-Klausel – für Upgrade-Klausel mit Mehrnutzen); für generelle Wirksamkeit Scholz/Haines, CR 2003, 393 (396 f.); Metzger, NJW 2003, 1994 (1995); für generelle Unwirksamkeit Marly, Rz. 1703 ff. (außer bei gleichzeitiger Mehrfachnutzung); Schuhmacher, CR 2000, 641 (647); Polley, CR 1999, 345 (353). Nach dem instruktiven Fall LG Frankfurt v. 30.3.2012 – 3-12 O 24/11, CR,2013, 768 ff. stellt die Änderung der Nutzung einer Software auf CPUs mit mehreren Nodes (Mehrkernprozessor mit entsprechend höherer Leistung) keinen nach § 69c Nr. 1 UrhG zusätzlich zu lizenzierenden Eingriff dar. Dann wäre nämlich der zwingende Kern des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ betroffen, ebenso wohl Schuhmacher CR 2000, 641 (648). Vgl. auch Polley, CR 1999, 345 (352); a.A. Scholz/Wagener, CR 2003, 880 (887). OLG Düsseldorf v. 7.6.2006 – I-20 U 121/05, CR 2006, 656 f. Nach EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft ist der Zweiterwerber nach § 69d Abs. 1 dtUrhG schon kraft Gesetzes zum bestimmungsgemäßen Gebrauch berechtigt, sein Nutzungsrecht stützt sich nicht auf ein vom Erstverkäufer abgeleitetes (und dann auf Konzernunternehmen eingeschränktes) Recht. A.A. wohl Marly, Rz. 222. Ausführlich und differenziert zu Unternehmens-/Konzernlizenzen: Grützmacher, ITRB 2004, 204 ff.
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Brandi-Dohrn 597
Teil F Rz. 362
Handel mit geistigem Eigentum
samkeit in AGB-Verträgen teilweise gezweifelt1. Auch in Individualverträgen dürften allerdings dann Zweifel an der Wirksamkeit angebracht sein, wenn der bestimmungsgemäße Gebrauch der Software zumindest implizit auch einen Einsatz der Software für Dienstleistungen an Dritte nahe legt. 362
– Einzelplatz- oder Netzwerklizenz: Kartellrechtlich ist gegen derartige Klauseln nichts einzuwenden, da die Unterscheidung nach Einzel-/Mehrplatznutzung eine auch urheberrechtlich wirksame ist. Ist die Software nur für den Einsatz auf Einzelplatzrechnern bestimmt, so sind Klauseln, die die Nutzung im Netzwerk verbieten, auch in AGB (Kauf wie Miete) wirksam2. Ist die Software für Netzwerkanwendungen ausgelegt, dürfte eine derartige Beschränkung in AGB aber unwirksam, da überraschend, sein. – Ist eine Netzwerknutzung unter Einschränkungen gestattet, ist zwischen den obigen drei Varianten zu unterscheiden (s. Rz. 338): Variante (i) – Floating Lizenz – wird allgemein auch in Kauf-AGB als wirksam angesehen3, da hier eine gesteigerte Intensität der Nutzung vorliegt. Die dingliche Wirkung einer solchen Regelung – also ihre Wirksamkeit auch gegenüber einem Zweitabnehmer – dürfte nach der Entscheidung EuGH Oracle/UsedSoft jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn es sich um Client-Server-Software handelt, da die Weitergabe einzelner Concurrent-User-Lizenzen als unzulässig anzusehen ist. Variante (ii) – Named User –, dürfte in AGB unwirksam sein4. Jedenfalls fehlt hier jeder Bezug zu urheberrechtlichen Anknüpfungskriterien, sodass eine solche Beschränkung bei Weitergabe den (Zweit-)Abnehmer nicht bindet5. Variante (iii) – Software-Metering – ist in Miet-AGB wirksam, in Kauf-AGB dagegen unwirksam6. Im Individualvertrag dürfte diese Variante wohl zur Qualifizierung des Vertrages als Mietvertrag führen.
363
– Kopierverbot: Ist AGB-rechtlich nur unbedenklich, soweit es auf Kopien für Dritte beschränkt ist. Dagegen gehört das Erstellen von Sicherungskopien (zusätzlich zur gelieferten Originaldiskette)7 zu den unentziehbaren Mindestrechten des Anwenders, das auch nicht durch eine Verpflichtung des Herstellers ersetzt werden kann, bei Verlust jederzeit Ersatz zu leisten8. Ob es – entsprechend der deutschen Umsetzung der Richtlinie – zulässig ist, den Anwender auf eine Sicherungskopie zu beschränken, erscheint zweifelhaft, da die englische Fassung von „any back up copy“ spricht9 und heutige Backup-Systeme üblicherweise mehr als eine Sicherungskopie anlegen. Individualvertraglich sind Kopierverbote wirksam, soweit sie das Recht auf Sicherungskopie(n) nicht einschränken. 1 Grützmacher in Wandtke/Bullinger, § 69d UrhG, Rz. 39, 44; Kremer in Taeger, Die Welt im Netz – Tagungsband Herbstakademie, Oldenburg 2011, S. 353 (365); a.A. Sucker, CR 1989, 468 (476). 2 Haberstumpf in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. II, Rz. 163; Polley, CR 1999, 345; einschränkend Schuhmacher, CR 2000, 641 (650), weil die Installation auf dem Server auch lediglich die Wartung erleichtern kann – auf solche (auf Nutzerseite freiwilligen) Beschränkungen muss der Hersteller seine Klausel aber wohl nicht abstimmen, BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, GRUR 2003, 416 = CR 2003, 323 – CPU-Klausel. 3 Polley, CR 1999, 345 (353); Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 74; wohl auch Schneider, Kap. J, Rz. 67. 4 Schuhmacher, CR 2000, 641 (650); Schneider, Kap. C, Rz. 172. 5 Schneider, Kap. C Rz. 172. 6 Schneider, Kap. J, Rz. 67. 7 Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (140). 8 Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 ff.; a.A. Hoeren in Graf von Westphalen, AGB, IT-Verträge, Rz. 35. 9 Hoeren/Schuhmacher, CR 2000, 137 (140); offen Schneider, Kap. C, Rz. 94; a.A. Bericht der EGKommission v. 10.4.2000 KOM (2000) 1999 und die wohl noch hM, vgl. Harte-Bavendamm/ Wiebe in Kilian/Heussen, Kap. 51, Rz. 79; Hoeren in Graf von Westphalen, AGB, IT-Verträge, Rz. 34.
598 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 367 Teil F
– Änderungsverbot: Ein pauschales Änderungsverbot (oder Reparaturverbot) ist in AGB (bei Kauf wie Miete) unwirksam1, da es auch die Fehlerbeseitigung und Änderungen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs umfasst, die dem Nutzer als zwingende Mindestrechte zustehen. Das Gleiche gilt bei generellen Verboten, die Software nicht einmal für die Fehlerbeseitigung an Dritte weiterzugeben2. BGH v. 24.2.2000 – I ZR 141/97, CR 2000, 656 (658) = BB 2000, 2227 = K&R 2000, 457 – Fehlerbeseitigung In AGB unwirksam ist es auch, die Beseitigung technischer Sperren (z.B. Dongles) pauschal zu untersagen, da ohne deren Abschaltung eine Fehlerbeseitigung uU nicht möglich ist3. Zulässig sind aber Klauseln, die dem Hersteller zunächst einen Versuch der Fehlerbeseitigung vorbehalten, bevor der Erwerber (oder von ihm beauftragte Dritte) die Fehlerbeseitigung selbst in die Hand nehmen darf4. Inwieweit Änderungen zur Portierung untersagt werden können, ist umstritten (s. oben Rz. 345), soweit nicht der Sonderfall einer nach § 69e dtUrhG erlaubten Dekompilierung vorliegt. Individualvertraglich sind Änderungsverbote jedenfalls unwirksam, soweit sie die zwingenden Mindestrechte des Erwerbers aushöhlen. Der EuGH hat zudem kürzlich in der Entscheidung Nintendo5 klargestellt, dass der Schutz technischer Maßnahmen (§ 95a dtUrhG; § 90c öUrhG) den Rechteinhaber keineswegs per se berechtigt, Sperren bei Computerspielen vorzusehen, vielmehr ist jeweils eine Abwägung der beidseitigen Interessen vorzunehmen. Das gilt für AGB-Verträge ebenso wie für Individualvereinbarungen.
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Einstweilen frei.
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2. Einzelne Geschäftsbereiche im Softwarehandel a) Online-Vertrieb von Software Online wird Software im Wesentlichen in zwei Formen vertrieben: (i) Der Verkäufer bietet Software auf einem Internet-Portal an, der Kaufvertrag wird online geschlossen, die erworbene Software wird dann auf Datenträger (auf dem Versandweg) an den Käufer versandt. (ii) Der Verkäufer bietet die Software auf dem Internet-Portal an, von dem sie nach Erwerb online herunter geladen werden kann (sei es zur zeitlich unbegrenzten Nutzung, dann Kauf, oder zur zeitlich begrenzten Nutzung (SaaS, ASP), dann Miete) – der Nutzer erhält also keinen Datenträger mehr, sondern speichert die Software unmittelbar auf seinem Rechner. Besondere Rechtsprobleme stellen sich beim Vertrieb virtueller Güter, wie sie heutzutage in vielen Computerspielen gängig sind6.
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(i) Im ersten Fall liegt ein normaler Softwarevertrieb vor, bei dem in Deutschland und Österreich die Fernabsatzrichtlinie zu beachten ist, die den Anbieter zu bestimmten
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1 OLG Hamm v. 14.2.2000 – 13 U 196/99, NJW-RR 2000, 1224; Schmidt in Lehmann, Rechtsschutz, Kap. XV, Rz. 75; Schneider, Kap. C, Rz. 59, 88 ff., 232 ff., 246, Kap. J, Rz. 217. 2 Schneider, Kap. C, Rz. 59. 3 Schneider, Kap. C, Rz. 290, Kap. J, Rz. 271; BGH v. 24.2.2000 – I ZR 141/97, CR 2000, 656 (658) = BB 2000, 2227 = K&R 2000, 457 – Fehlerbeseitigung; das übersehen OLG Karlsruhe v. 10.1.1996 – 6 U 40/95, CR 1996, 341; LG Düsseldorf v. 20.3.1996 – 12 O 849/93, CR 1996, 737; Pagenberg/ Beier, Kap. 14, Rz. 21. 4 Harte-Bavendamm/Wiebe in Kilian/Heussen, Kap. 51, Rz. 76; jedenfalls individualvertraglich auch BGH v. 24.2.2000 – I ZR 141/97, WRP 2000, 1306 = CR 2000, 656 – Programmfehlerbeseitigung; nach § 440 Satz 2 BGB n.F. darf der Hersteller sich jetzt zwei Nachbesserungsversuche vorbehalten. 5 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-355/12, GRUR 2014, 255 – Nintendo. 6 Vgl. zur Haftung der Betreiber virtueller Welten für die virtuellen Güter Lober/Weber, CR 2006, 837 ff.
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Brandi-Dohrn 599
Teil F Rz. 368
Handel mit geistigem Eigentum
Hinweisen gegenüber dem Erwerber verpflichtet1. In der Schweiz verlangt Art. 3 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb lediglich einige der in § 312i dtBGB vorgesehenen Angaben beim Online-Vertrieb, sowie – nur beim Vertrieb an Verbraucher – ein im Kern dem § 307 dtBGB angelehntes Verbot, gegen Treu und Glauben verstossende AGB zu verwenden. 368
(ii) Im zweiten Fall stellt sich – soweit Kauf vorliegt – zusätzlich die Frage, ob das Urheberrecht des Verkäufers an dieser Softwarekopie sich erschöpft. Geklärt ist nach der Entscheidung Oracle/UsedSoft des EuGH2 für Deutschland und Österreich, aber auch für die Schweiz3 jedenfalls, dass – entgegen der bisher wohl hL in Deutschland – in Bezug auf die Erschöpfung kein Unterschied besteht, ob die Software auf Datenträger oder im Wege des Online-Downloads zur Verfügung gestellt wird. Dem Zweiterwerber ist es sogar gestattet, direkt von der Webseite des Erstverkäufers die jeweils aktuelle Version der erworbenen Software herunterzuladen, wenn der Ersterwerber einen Wartungsvertrag über die weiterverkaufte Software abgeschlossen hatte. Wie der Zweiterwerber seinen Kauf rechtssicher dokumentieren kann, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt4.
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Einstweilen frei. b) Handel mit Gebraucht-Software
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Gerade beim Erwerb von Standardsoftware tritt häufig die Situation auf, dass der Erwerber die Software nicht mehr benötigt und diese – vollständig oder nur bzgl. einzelner Lizenz(-pakete) weiter vertreiben möchte, um den Kaufpreis zumindest teilweise wieder zu amortisieren. Dieser sog. Handel mit Gebrauchtsoftware war und ist heftig umstritten, da die Softwarehersteller hierin insbesondere einen unzulässigen Eingriff in ihre Urheberrechte, kommerziell aber vor allem eine unerwünschte Konkurrenz für ihre Geschäftsmodelle sehen. Derzeit lässt sich die rechtliche Zulässigkeit wie folgt zusammen fassen: Keinesfalls ist der Erwerber derartiger Software berechtigt, die Software (i) parallel zum Zweiterwerber weiter zu nutzen (hierdurch träte eine urheberrechtlich dem Softwarehersteller vorbehaltene Vervielfältigung ein) oder (ii) die Software Dritten lediglich mietweise zur Verfügung zu stellen (das Vermietrecht erschöpft sich nicht, § 17 Abs. 2 dtUrhG, § 16a Abs. 1 öUrhG, Art. 10 Abs. 3, Art. 12 Abs. 2 schwURG). Geklärt ist nach der Entscheidung Oracle/UsedSoft des EuGH5 dass der Zweiterwerber die jeweils aktuelle Version der erworbenen Software direkt von der Webseite des Erstverkäufers herunter laden darf, wenn der Ersterwerber einen Wartungsvertrag über die weiterverkaufte Software abgeschlossen hatte. Wie der Zweiterwerber seinen Kauf rechtssicher dokumentieren kann, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt; ebenso ist noch nicht geklärt, in welchem Umfang der Erwerber einzelne Lizenzen weiterverkaufen kann, wenn er diese als „Paket“ erworben hat, nicht als gesonderte Lizenzen (vgl. hierzu Rz. 353).
1 Zu den verschiedenen Informationspflichten z.B. Nordmann in Lehmann/Meents, Hdb des FA Informationstechnologierecht, 2. Aufl. 2011, Kap 16, Rz. 30 ff. 2 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft. 3 So schon vor dem EuGH: Kantonsgericht Zug v. 4.5.2011 – ES 2010 822, Adobe/UsedSoft, sic!online 2012, Ausgabe 2. 4 Vgl. zu den Anforderungen BGH v. 17.7.2013 – I ZR 129/08, GRUR 2014, 264 (269 f.), Rz. 61 ff. – UsedSoft II; ob die vom BGH geforderte Darlegung in allen Punkten dem effet utile des EURechts entspricht, wird wohl noch durch den EuGH zu klären sein. 5 EuGH v. 3.7.2012 – Rs. C-128/11, CR 2012, 498 – Oracle/UsedSoft.
600 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 373 Teil F
c) Handel mit der öffentlichen Hand Der Einkauf von Software durch die deutsche öffentliche Hand1 ist der Erwerb einer „Leistung“ im Sinne von § 1 VOL/A2; soweit ein Beschaffungsvorgang nach VOL abzuwickeln ist, wird der Vertrag nur unter Geltung spezieller Vertragsbedingungen abgeschlossen, nämlich den – EVB-IT Überlassung Typ A3, die auf der Grundlage von § 9 Nr. 3 Abs. 2 VOL/A speziell für den Kauf von Standardsoftware ausgearbeitet wurden, – ergänzend den Regelungen der VOL/B.
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In der Schweiz erfolgt die Vergabe auf Bundesebene unter Einbeziehung der „AGB für die Beschaffung und Pflege von Standardsoftware“ (Stand: 19.11.2014)4, vgl. Art. 29 Abs. 3 VO über das öffentliche Beschaffungswesen; auf kantonaler Ebene werden die AGB der Schweizerischen Informatikkonferenz für IKT-Leistungen (AGB SIK)5 eingesetzt. In Österreich erfolgt der Einkauf durch die öffentliche Hand unter Einbeziehung der „AVB-IT“ (Stand Januar 2011). Die Regelungen der VOL und die auf deren Grundlage ergangenen speziellen Vertragsbedingungen sind weder Gesetz noch Rechtsverordnung, sondern allgemeine Verwaltungsvorschriften, die durch entsprechende Anordnungen der jeweils für die öffentliche Auftragsvergabe zuständigen oberen Behörde als Dienstanweisung eingeführt werden, an die die Vergabestellen gebunden sind. Für welche Stellen der öffentlichen Hand die Vertragsbedingungen verbindlich vorgeschrieben sind, lässt sich nicht einheitlich und nicht ohne weiteres beantworten:
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– Die VOL/B sind allen Vergaben der öffentlichen Hand zugrunde zu legen, da sowohl auf Bundes-, wie Landes- wie Kommunalebene die Anwendung der VOL/A vorgeschrieben ist (vgl. § 4 VgV), die in § 9 Abs. 1 Satz 1 VOL/A vorschreibt, die VOL/B zur Grundlage der Vergabe zu machen. – Die EVB-IT Überlassung Typ A ist vom Kooperationsausschuss Datenverarbeitung der öffentlichen Hand zur Einführung empfohlen worden. Derzeit befindet sich die Umsetzung auf den verschiedenen föderalen Ebenen in Deutschland noch im Gang6. Die Verpflichtung zur Anwendung bedarf auch hier einer gesonderten Verwaltungsanweisung, ein Hinweis lediglich auf die VOL/A reicht nicht aus7. Quasi alle Stellen der öffentlichen Hand wenden die EVB-IT im Vorgriff auf eine zukünftige verpflichtende Einbeziehung an.
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1 In der Schweiz gelten aufgrund der Ratifizierung des GPA ähnliche Vergabegrundsätze, vgl. Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen v. 16.12.1994, SR 172.056.1 (Stand: 1.4.2015); Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen v. 11.12.1995, SR 172.056.11. In Österreich erfolgt die Vergabe auf der Grundlage des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (BVergG 2006), das wie das deutsche Vergaberecht den entsprechenden EU-Richtlinien nachgebildet ist. 2 Derzeitig gültige Fassung v. 20.11.2009 („VOL/A 2009“), BAnz. Nr. 196a v. 29.12.2009, ber. Fassung v. 19.2.2010, BAnz. Nr. 32 v. 26.2.2010. 3 Ergänzende Vertragsbedingungen für die Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalvergütung, Neufassung v. 16.7.2015, Text unter http://www.cio.bund.de/Web/DE/IT-Beschaffung/ EVB-IT-und-BVB/Aktuelle_EVB-IT/aktuelle_evb_it_node.html. Gegenüber den bisher geltenden Bedingungen von 2002 sind insbesondere die Anforderungen an Vertraulichkeit und Sicherheit der zu liefernden Software verschärft worden. Häufig wird auch das – umfassendere – Formular des EVB-IT Systemvertrags verwendet; zu dessen rechtlicher Einordnung Kremer/Sander, CR 2015, 146 ff. 4 Text: https://www.bkb.admin.ch/bkb/de/home/hilfsmittel/agb.html. 5 Texte unter www.sik.ch. 6 Bislang ist die Umsetzung nur für Beschaffungen des Bundes erfolgt, sowie für einen Teil der Länder. Auf kommunaler Ebene ist jeweils zu prüfen, inwieweit die Anwendung verpflichtend vorgeschrieben ist. 7 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, VOL/A, 4. Aufl. 2014, § 11 EG, Rz. 7.
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Brandi-Dohrn 601
Teil F Rz. 374 374
Handel mit geistigem Eigentum
Zivilrechtlich sind die Vertragsbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren. Einbeziehung und Wirksamkeit richten sich daher grundsätzlich nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB1. d) Shrink-wrap
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Sowohl mit „shrink-wrap-Verträgen“ (= Schutzhüllenverträge, bei denen der Käufer nach Erwerb der Software zusätzliche Bedingungen durch Aufreißen der Verpackung akzeptieren soll) wie mit „Enter-Verträgen“ (erst beim Starten der erworbenen Software erscheinen zusätzliche Bedingungen in einem Fenster, die akzeptiert werden müssen, bevor das Programm genutzt werden darf) versucht der Hersteller in der Verkaufskette den Erschöpfungsgrundsatz zu umgehen, indem er unmittelbar Verträge mit dem Endkunden anstrebt. Wirksame Vereinbarungen nach Erwerb der Programmkopie setzen allerdings entsprechende Willenserklärungen der Parteien voraus; diese können in AGB nicht dadurch ersetzt werden, dass der Vertrag bestimmte tatsächliche Handlungen (Aufreißen der Verpackung) als Willenserklärung fingiert (§ 308 Nr. 5 dtBGB)2. Aber auch im eher seltenen Fall eines Individualvertrages dürfte es für einen Vertragsschluss an der Willenserklärung des Erwerbers fehlen; diesem fehlt in der Regel der Wille, sich nach dem Erwerb weiteren Nutzungsbeschränkungen zu unterwerfen, außer der Erwerber lässt sich beim Hersteller nach Erwerb registrieren und diese Registrierung bringt hinreichend deutlich seinen Willen zum Ausdruck, sich den zusätzlichen vertraglichen Bestimmungen zu unterwerfen3. Auch die Wahl ausländischen Rechts (angenommen, dieses Recht bejahe in einer solchen Gestaltung einen wirksamen Vertragsschluss) führt nicht zur Wirksamkeit solcher Verträge in Deutschland4. e) Technische Sicherungen, Sperren
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Zum Schutz von Software vor unerlaubter Vervielfältigung und/oder Weitergabe, aber auch um Registrierungen oder den Abschluss von Wartungsverträgen etc. zu erzwingen, sehen Hersteller immer wieder technische Maßnahmen vor, die die Nutzung außerhalb des vom Hersteller zugestandenen Rahmens unmöglich machen5.
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Schon bisher verstieß ein Unternehmer gegen das Irreführungsverbot des § 3 dtUWG aF, wenn er verschwieg, dass in die Software Kopierschutzmaßnahmen integriert sind6; nunmehr ist er verpflichtet, auf Kopien urheberrechtlich geschützter Werke7 deutlich sichtbar auf das Vorhandensein und die Eigenschaften der jeweiligen technischen Maß-
1 Kulartz/Vavra in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl. 2014, § 9 Rz. 3; Gnittke/Hattig in Müller-Wrede (vorige Fn.), § 11 EG Rz. 7; BGH v. 4.3.1997 – X ZR 141/95, CR 1997, 470 f. 2 Allg.M., Lehmann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 76 Rz. 36; das gilt auch im kaufmännischen Verkehr, Schneider, Kap. I Rz. 100. 3 Ganz hM, vgl. Ulmer, ITRB 2001, 214 (218); Schuhmacher, CR 2000, 641 (642 f.); Schneider, Kap. I Rz. 8. 4 Lauber-Rönsberg in Möhring/Nicolini, KollisionsR Rz. 35 ff.; Hoeren, CR 1993, 129 (132): Verstoß einer solchen Rechtswahl gegen Art. 6 dtEGBGB (ordre public). 5 Darstellung verschiedener gängiger technischer Maßnahmen bei Wandtke/Ohst in Wandtke/ Bullinger, § 95a Rz. 14 ff. 6 OLG München v. 12.10.2000 – 29 U 3680/00, ZUM-RD 2001, 244 (246). 7 Da nach § 69a Abs. 5 dtUrhG, § 90c öUrhG die Regelungen zu technischen Schutzmaßnahmen nicht für Software gelten, sind die Bestimmungen der §§ 95a ff. dtUrhG unmittelbar nur für sonstige Werke anwendbar, insbesondere für e-Books, Musik und Computer-Spiele. Die Hinweispflicht für Software-Schutzmaßnahmen ergibt sich weiterhin aus § 3 UWG.
602 | Brandi-Dohrn
Rz. 380 Teil F
Softwareverträge
nahme hinzuweisen; er hat außerdem – allerdings nicht beim Online-Vertrieb – seine Firma und eine zustellungsfähige Anschrift1 anzugeben (§ 95d dtUrhG). Ob der Einbau von Schutzvorrichtungen einen Mangel der Software darstellt, ist – trotz drei vordergründig einschlägiger Entscheidungen – in Deutschland nach wie vor nicht höchstrichterlich geklärt.
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BGH. v. 3.6.1981 – VIII ZR 153/80, NJW 1981, 2684 – Programmsperre I Periodische Unterbrechung der Nutzung (expiration date) kein Mangel, da (i) der Nutzer vertraglich zum aktiven Schutz des Programmes verpflichtet war und (ii) das Programm eine Vorwarnung abgab und berechtigter Nutzer dann mit einem Programm auf Datenträger die Nutzung wieder aktivieren konnte.
BGH v. 25.3.1987 – VIII ZR 43/86, NJW 1987, 2004 = CR 1987, 358 – Programmsperre II „nicht grundsätzlich ein Mangel“
BGH v. 15.9.1999 – I ZR 98/97, CR 2000, 94 (96) – Programmsperre III (wiederum expiration date wie in „Programmsperre I“). Mangelhaftigkeit offen gelassen – es könne dahinstehen, ob das Berufungsgericht im Einbau der Programmsperre zu Recht eine objektiv sittenwidrige Schädigung gesehen habe.
Wenngleich §§ 95a ff. dtUrhG jetzt offenbar von der grundsätzlichen Zulässigkeit technischer Schutzmaßnahmen ausgehen, dürfte die bisher ergangene Rechtsprechung weiterhin Bedeutung haben. Der EuGH hat in der Entscheidung Nintendo2 klargestellt, dass der Schutz technischer Maßnahmen (§ 95a dtUrhG; § 90c öUrhG) den Rechteinhaber keineswegs per se berechtigt, Sperren vorzusehen, vielmehr ist jeweils eine Abwägung der beidseitigen Interessen vorzunehmen. So können Programmsperren jedenfalls dann einen Mangel darstellen, wenn damit der Vertragspartner zur Abnahme weiterer Leistungen3 oder (ohne ausdrücklichen vorherigen Hinweis) zur Registrierung4 gezwungen wird, wenn ihm dadurch der Zugang zu Daten unmöglich gemacht wird, auf die er aus beruflichen Gründen (z.B. Arzt) jederzeit zugreifen können muss5, wenn die Sicherungsmaßnahme dem Erwerber verschwiegen wird6 – und natürlich, soweit sie den bestimmungsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt. Einstweilen frei.
379
IV. Nationale Besonderheiten 1. Österreich Der urheberrechtliche Schutz von Computerprogrammen ist aufgrund der EU-Harmonisierung mit dem deutschen Recht weitgehend deckungsgleich (vgl. § 40a ff. öUrhG). Abweichend von Deutschland ist aber die Programmlogik, die einer Software zugrunde liegt, ausdrücklich als gebrauchsmusterschutzfähig anerkannt (§ 1 Abs. 2 öGMG). Wie in Deutschland gilt auch in Österreich der Grundsatz EWR-weiter Erschöpfung des Verbreitungsrechtes, wenn Software vom Berechtigten innerhalb des EWR verkauft wird7. 1 Angabe eines Postfaches ist unzureichend, BVerwG v. 13.4.1999 – 1 C 24/97, NJW 1999, 2608 (2609). 2 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-355/12, GRUR 2014, 255 – Nintendo. 3 OLG Celle v. 3.3.1992, CR 1994, 217 (218); im Ergebnis – über Qualifizierung als PVV – auch BGH v. 25.3.1987 – VIII ZR 43/86, NJW 1987, 2004 = CR 1987, 358 – Programmsperre II. 4 Schneider, Kap. C Rz. 611. 5 OLG Düsseldorf v. 30.1.1992, jur-pc 1992, 1580. 6 Schneider, Kap. C Rz. 611; OLG Köln v. 29.10.1999 – 19 U 94/99, CR 2000, 354; OLG Köln v. 9.8. 1995 – 19 U 294/94, CR 1996, 285. 7 § 16 Abs. 3 öUrhG; OGH v. 23.5.2000 – 4 Ob 30/00s, MR 2000, 249 = ÖBl. 2001, 141 – WINHandwerkerpaket.
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Brandi-Dohrn 603
380
Teil F Rz. 381
Handel mit geistigem Eigentum
Die Weitergabe von Nutzungsrechten bedarf – anders als in Deutschland (§ 34 Abs. 1 S. 1 dt UrhG) – nur „in der Regel“ der Zustimmung des Urhebers. Daher kann insbesondere die Zweckerreichungslehre1 eine Auslegung des Vertrags dahin ergeben, dass die Weitergabe von Nutzungsrechten implizit mit gestattet ist2. 381
Die rechtliche Einordnung des Softwarevertriebs unter die Vertragstypen „Kauf“ bzw. „Miete“, sowie „Werkvertrag“ folgt in Österreich denselben Kriterien wie in Deutschland3. Anders als in Deutschland besteht in Österreich eine Pflicht zur unverzüglichen Prüfung und Rüge von Mängeln sowohl beim Handelskauf wie bei Werk(lieferungs-)verträgen (§§ 377, 381 Abs. 2 öUGB). Bei Einordnung des Vertrages als Mietvertrag war früher eine sog. Rechtsgeschäftsgebühr von 1 % des Vertragswertes zu zahlen4. Diese Regelung ist 2007 mit rückwirkender Kraft für alle nach dem 31.12.2001 abgeschlossenen Softwarenutzungsverträge entfallen.
382
Verträge über den Vertrieb von Software bedürfen grundsätzlich keiner besonderen Form. Entfallen ist die früher nach § 30b öKartG 1988 bestehende Pflicht des bindenden Unternehmers, vertikale Vertriebsbindungen vor ihrer Durchführung dem Kartellgericht unter Vorlage der Vereinbarung anzuzeigen.
383
Der Vertrieb von Software unterliegt in Österreich – wie in Deutschland – der Vertragsfreiheit, die ihre Grenze findet in (i) Verstößen gegen gesetzliche Verbote und/oder die guten Sitten (§ 879 Abs. 1 ABGB), sowie (ii) in unzulässigen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 879 Abs. 3 ABGB, sowie – für Verträge mit Verbrauchern – dem Konsumentenschutzgesetz, KSchG).
384
Auch unter Kaufleuten sind AGB nichtig, die den Vertragspartner „gröblich benachteiligen“ (§ 879 Abs. 3 ABGB) oder mit denen er nicht rechnen musste, es sei denn, der Vertragspartner hat ihn auf die Bestimmung ausdrücklich hingewiesen (§ 864a ABGB)5. Der Vertragspartner kann aber das Geschäft gelten lassen (relative Nichtigkeit). Grundsätzlich erfasst die Nichtigkeit nur die betreffende Vertragsklausel, außer die Wertung aller Umstände ergibt die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages. Anders als Deutschland hat die österreichische Rechtsprechung eine geltungserhaltende Reduktion von AGBKlauseln angenommen6, diese gilt allerdings seit der Normierung des Transparenzgebotes (§ 6 Abs. 3 öKSchG) nur noch außerhalb des Verbraucherbereichs7.
385–386
Einstweilen frei.
2. Schweiz 387
Auch in der Schweiz ist Software urheberrechtlich geschützt (Art. 2 Abs. 3 URG)8, jedoch bislang nur für 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers (Art. 29 Abs. 2 URG). Die 1 Die auch in Österreich gilt, öOGH v. 18.10.1994 – 4 Ob 105/94, ECLI:AT:OGH0002:1994: 0040OB0015.94.1018.000. 2 öOGH v. 23.4.2014 – 4 Ob 69/14x, MR 2014, 254 = ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB000 69.14X.0423.000 – Zirbenholz-Studie. 3 Roth, ITRB 2008, 109; Aicher in Rummel, § 1053 Rz. 52; OGH v. 23.5.2000 – 4 Ob 30/00s, ÖBl. 2001, 141 – WIN-Handwerkerpaket. 4 § 33 TP 5 Abs. 1 Nr. 1 Gebührengesetz 1957; VwGH v. 19.12.1986 – ZLEN 85/15/0249.0253; VwGH v. 19.4.1995 – 94/160193. 5 Für den Hinweis gibt es keine Formvorschrift, er muss jedoch außerhalb der AGB erfolgen und dem Vertragspartner ermöglichen, die Tragweite der Bestimmung zu erkennen, Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer, KSchG, § 864a, Rz. 101; Rummel in Rummel, 3. Aufl., § 864a Rz. 9. 6 OGH v. 13.4.1983 – 1 Ob 581/83, JBl. 1983, 534 (536). 7 öOGH v. 5.6.2007 – 10Ob67/06k, RdW 2007, 661 = ECLI:AT:OGH0002:2007:0100OB000 67.06K.0605.000; Leitner, ÖJZ 2002, 711 (717) m.w.N. 8 Die Schutzvoraussetzungen gleichen denen des europäischen Rechts, vgl. Neff/Arn in von Büren/David, SIWR Band II/2, Basel 1998, S. 25.
604 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 389 Teil F
Regelungen zum Softwareschutz – z.T. im URG selbst, zum Teil in Art. 17 Urheberrechtsverordnung – lehnen sich im Übrigen weitgehend an die Bestimmungen der betreffenden EG-Richtlinien an. Lediglich für Datenbanken besteht bislang kein eigenständiger Schutz1. Abweichend von Deutschland gilt für urheberrechtlich geschützte Software der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung (Art. 12 Abs. 2 URG)2. Wie in Deutschland umfasst die Erschöpfung nur das Recht der Weiterveräußerung, nicht z.B. der Vermietung (Art. 13 Abs. 4 URG)3. Die hM in der Schweiz nimmt bei OnlineÜbermittlung der Software ebenfalls Erschöpfung an4. In der Schweiz ist bis heute unklar, welche Grenzen dem Gebrauch von AGB gesetzt sind. Weitgehend Einverständnis besteht nur darüber, dass die Generalklausel des Art. 8 schwUWG (dessen Wortlaut der Generalklausel des § 307 dtBGB ähnlich ist5) nach ihrer Revision im Jahr 2012 eine AGB-Kontrolle im Geschäftsverkehr gegenüber Verbrauchern vorschreibt. Im unternehmerischen Verkehr kommt es damit gegenüber der bisherigen Rechtslage – in der Art. 8 schwUWG zumindest irreführende Klauseln auch gegenüber Unternehmern für unwirksam erklärte – zur mißlichen Situation, dass Unternehmer in der Lieferkette einerseits einseitigsten AGB-Klauseln ihrer Lieferanten ausgesetzt sind, diese andererseits an ihre Abnehmer (Verbraucher) nicht weiterreichen können. Nach stehender Rechtsprechung sind zumindest unklare Klauseln gegen den Verwender auszulegen und überraschende („ungewöhnliche“) unwirksam6.
388
Schweizer BG v. 7.1.2004 – 7B.249/2003/rov Vorformulierte Vertragsbestimmungen sind grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie individuell verfasste Vertragsklauseln auszulegen. (…) Versagen die übrigen Auslegungsmittel (zur Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens), gelangt die Unklarheitenregel zur Anwendung. (…) Danach sind mehrdeutige Wendungen in vorformulierten Vertragsbestimmungen im Zweifel zu Lasten der Partei auszulegen, welche sie verfasst hat. Die Geltung von vorformulierten Vertragsbestimmungen wird schließlich durch die Ungewöhnlichkeitsregel eingeschränkt, wonach von der global erklärten Zustimmung zu den AGB alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen sind, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam gemacht worden ist.
Über diesen Umweg scheint die Rechtsprechung auch im unternehmerischen Bereich in der Schweiz fallweise eine Inhaltskontrolle von AGB vorzunehmen7, wenngleich eine klare Struktur – wegen der Kasuistik bei AGB-Fällen – noch fehlt. Die rechtliche Einordnung des Softwarevertriebs unter die Vertragstypen „Kauf“ bzw. „Miete“ oder „Lizenzvertrag“, sowie „Werkvertrag“ ist in der Schweiz nach wie vor 1 Schutz in engen Grenzen bietet lediglich Art. 5 lit. c schwUWG (Übernahme fremder Arbeitsergebnisse); ZG Basel-Stadt v. 20.1.2004, sic! 2004, 490 – Arzneimittel-Kompendium; auch aus Art. 10 Abs. 2 TRIPS lässt sich kein eigenständiger Schutz von Datenbanken herleiten, vgl. Neff/ Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 76. 2 BG v. 20.7.1998, BGE 124 III 321 = GRUR Int. 1999, 362 – Nintendo Videospiel; dies ist auch unter TRIPS zulässig, vgl. Art. 6 TRIPS. 3 Anders als in Deutschland soll allerdings auch das Verleihen nicht erschöpfen, Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 241 Fn. 171; kritisch zur Dogmatik der Erschöpfung aus rechtsvergleichender Sicht Hilty, MMR 2003, 3 (13 f.). 4 Kantonsgericht Zug v. 4.5.2011 – ES 2010 822, Adobe/UsedSoft; Rigamonti, GRUR Int. 2009, 14 (20); Fröhlich-Bleuler/Roth, ITRB 2009, 108; Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 248, mwN; a.A. Salvadé sic! 2001, 795 (797). 5 Art. 8 UWG: „Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.“ 6 Koller, AJP 2008, 943 (950); Stöckli, BR 2011, 184 (187); Bucher in Honsell/Vogt/Wiegand, Art. 1 Rz. 59 ff. 7 Briner, S. 133; Baudenbacher, Lauterkeitsrecht – Kommentar zum UWG, Basel 2001, N. 19 zu Art. 8 UWG: verdeckte Inhaltskontrolle.
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Brandi-Dohrn 605
389
Teil F Rz. 390
Handel mit geistigem Eigentum
umstritten1; für den Vertrieb von Standardsoftware ist dieser Streit jedoch weitgehend bedeutungslos, da die schweizerische Rechtsprechung – wie die deutsche – kaufrechtliche Normen anwendet2. Verträge über den Vertrieb von Software bedürfen keiner besonderen Form. 390
Unter den Verwendungsbeschränkungen hat die Abgrenzung Einzel-/Mehrplatzlizenz dingliche Wirkung3; ob CPU-Klauseln in Kaufverträgen wirksam sind, ist bislang nicht eindeutig geklärt, urheberrechtliche Wirkung kommt ihnen wohl nicht zu4.
391
Nach Art. 11 Abs. 1 lit. a URG steht dem Urheber das Änderungsrecht zu. Änderungsverbote in Kaufverträgen sind daher grundsätzlich wirksam, sie finden ihre Grenze nur im Grundsatz von Treu und Glauben; es wird daher als zulässig angesehen, wenn auch das Recht zur Fehlerbeseitigung untersagt wird, soweit der Rechtsinhaber anbietet, die Fehlerbeseitigung selbst vorzunehmen, z.B. durch Abschluss eines Pflegevertrages5; auch Anpassungen der Software, die Portierung auf andere Systeme und sonstige Weiterentwicklungen können nach h.M., vertraglich ausgeschlossen werden6. Ob das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen die Software zu dekompilieren, vertraglich abbedungen werden kann, ist umstritten7; das Recht zur Dekompilierung ist nunmehr in Art. 21 URG geregelt, welcher das URG mit der Software-RL in Übereinstimmung zu bringen suchte und der nach hL im Lichte der Software-RL auszulegen ist8.
392
Vervielfältigungsverbote finden ihre – auch vertraglich nicht abdingbare (Art. 24 Abs. 2 Halbsatz 2 URG) – Grenze (nur) im Recht des Nutzers, eine Sicherungskopie zu ziehen. Ohne ausdrückliches Verbot darf der Nutzer auch Vervielfältigungen anfertigen, soweit diese zur bestimmungsgemäßen Nutzung oder zur Fehlerbeseitigung notwendig sind (Art. 13a URG). Weitergabeverbote sind in Mietverträgen ohne Einschränkungen gültig, in Kaufverträgen haben sie keine dingliche Wirkung, da der Erschöpfungsgrundsatz Vorrang beansprucht. Anders als in Deutschland in AGB-Verträgen sollen Weitergabeverbote aber ohne Einschränkungen gegenüber dem Vertragspartner wirken9.
393
Das Kartellrecht kann dem Handel mit Software in der Schweiz Schranken setzen, soweit die Beschränkungen nicht aus dem Wesen des geistigen Eigentums resultieren (Art. 3 Abs. 2 KG). Vertikalbeschränkungen werden vom Kartellgesetz erst erfasst seit der Revision von 1995, die Kartellgesetzrevision mit Wirkung ab dem 1.4.200410 1 Wie in Deutschland: Honsell/Pietruszak, AJP 2001, 771 (780); Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (573); ders., Softwareverträge, 2. Aufl. Bern 2014, Rz. 1653; ders./Roth, ITRB 2009, 108; Neff/ Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 272; kritisch Hilty, MMR 2003, 3 (4), m.w.N. auf die Gegenmeinung in Fn. 9. 2 BG v. 29.8.1998, BGE 124 III 456 (459); Hepp/Müller/Herrmann in Ullrich/Lejeune, Rz. 1644. Wird Standardsoftware angepasst, kann das wie in Deutschland zur Anwendung werkvertraglicher Bestimmungen führen, BG v. 27.4.2007 – 4C.393/2006. 3 Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 255; Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (573), Hepp/Müller/Herrmann in Ullrich/Lejeune, Rz. 1569 sehen auch die Beschränkung auf bestimmte Nutzerzahlen im Mehrplatzsystem als selbstständige Nutzungsart an. 4 Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (572); ders. Softwareverträge, 2. Aufl. Bern 2014, Rz. 155 bejaht ausschließlich schuldrechtliche Wirksamkeit, und zwar sowohl für echte wie unechte CPUKlauseln; Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 255: „lässt sich eine solche Einschränkung nicht aus dem Gesetz ableiten.“; a.A. Hepp/Müller/Herrmann in Ullrich/Lejeune, Rz. 1643. 5 Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 257; Cherpillod in von Büren/David SIWR, Band, II/1, S. 252; Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (574). 6 Neff/Arn in von Büren/David SIWR, Band, II/2, S. 258 f. m.w.N.; offen gelassen in FröhlichBleuler, AJP 1995, 569 (575). 7 Für zwingenden Charakter die hL, vgl. Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (578) m.w.N.; a.A. jedenfalls für Individualverträge: Hepp/Müller/Herrmann in Ullrich/Lejeune, Rz. 1579. 8 Oertli in Müller/Oertli, Urheberrechtsgesetz (URG), Bern 2006, Art. 21 Rz. 2 f. 9 Fröhlich-Bleuler, AJP 1995, 569 (574). 10 Überblick bei Krauskopf/Carron, WuW 2004, 495 ff.
606 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 396 Teil F
verschärfte die frühere Rechtslage, die bei Vertikalverträgen (i) die uneingeschränkte Möglichkeit vorsah, Vertragsklauseln aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz zu rechtfertigen und (ii) Weitergabebeschränkungen und andere nach EG-Recht kartellrechtswidrige Beschränkungen in Softwarevertikalverträgen nur im Fall von Machtmissbrauch untersagte1. In der Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden v. 18.6.2010 geht die Wettbewerbskommission (WEKO) im Grundsatz davon aus, dass ein Kartellverstoss nicht vorliegt, wenn keines der beteiligten Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 30 % hält und keine qualitativ schwerwiegenden Abreden getroffen wurden (Vorbem. III; Ziff. 12 (2) zählt die schwerwiegenden Abreden in Anlehnung an die Vertikal-GVO auf, die auch ausdrücklich zur Auslegung heranzuziehen ist). Liegt der Marktanteil jedes beteiligten Unternehmens unter 15 % (bei einer Mehrzahl paralleler Vereinbarungen im Markt unter 5 %), liegt in der Regel keine erhebliche Beeinträchtigung vor (Bagatellgrenze, Ziff. 13). Für die Rechtfertigung hat die WEKO Leitlinien vorgegeben (Ziff. 16). Die Bekanntmachung hat keine selbständige normative Kraft und ist für die Zivilgerichte nicht bindend (Vorbem. XIII). Es wird vermutet, dass Vertikalabreden
394
– über Mindest- oder Festpreise, sowie – über Gebietsbeschränkungen, soweit auch Dritte nicht in das Gebiet hinein verkaufen dürfen, wettbewerbsbeschränkend sind (Art. 5 Abs. 4 schwKG). Solche Klauseln unterliegen auch Bußgeldern (Art. 49a Abs. 1 schwKG), alle übrigen erst, wenn die WEKO sie als beeinträchtigend eingestuft hat. Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Schutzrechte stützen, sind von einer kartellrechtlichen Prüfung nicht mehr ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 schwKG); der missverständliche Begriff soll sich nur auf Parallelimporte beziehen, die künftig voller kartellrechtlicher Kontrolle unterstehen2. Kartellrechtlich bedenklich sind daher Weitergabeverbote (insb. in AGB), da damit allen Käufern ein Querverkauf an Dritte verboten wird. Ob OEM-Verträge als Festpreisvereinbarung qualifiziert werden, wird sich zeigen müssen. Einstweilen frei.
395
3. Liechtenstein Liechtenstein ist staatsvertraglich verpflichtet, die schweizerischen Gesetze zum Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht auch für sein Territorium anzuerkennen (s. oben Rz. 91). Liechtenstein setzt allerdings seit geraumer Zeit insbesondere die urheberrechtlichen Richtlinien der EU in nationales Recht um, offenbar ungeachtet des Standes einer etwaigen Umsetzung in der Schweiz. So setzt das liechtensteinische Urheberrechtsgesetz z.B. die wesentlichen Bestimmungen der EG-Softwarerichtlinie und der EG-Richtlinie über das Vermiet- und Verleihrecht um, insb. die Einschränkung der (in Liechtenstein weltweiten) Erschöpfung bei Vermietung (Art. 13 Satz 2 liURG) und die vertraglich nicht abdingbaren Rechte, Sicherungskopien herzustellen, das Programm zu testen und es zu dekompilieren (Art. 24 liURG); zuletzt wurde in 2014 die Schutzdauer-Richtlinie in liechtensteinisches Recht inkorporiert (Art. 32 ff. liURG). 1 Baudenbacher, AJP 1996, 826 (831 f.); Rauber in Stoffel/Zäch, Kartellgesetzrevision 2003, Neuerungen und Folgen, Zürich 2004, S. 200; vgl. zu einzelnen Klauseln nach bisherigem Recht A. Troller, S. 732 ff. 2 Rauber in Stoffel/Zäch, Kartellgesetzrevision 2003, Neuerungen und Folgen, Zürich 2004, S. 206.
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Brandi-Dohrn 607
396
Teil F Rz. 397
Handel mit geistigem Eigentum
397
Ein Gesetz zur Regelung des Kartellrechts fehlt bislang, seit dem Beitritt Liechtensteins zum EWR gelten dort materiell-rechtlich den Art. 101 ff. AEUV entsprechende Regeln (vgl. Teil M, Rz. 102).
398
Urteile des Fürstentums Liechtenstein werden bislang in Deutschland nicht anerkannt, da die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist1.
V. Internationales Privatrecht 399
Zum Fremdenrecht, also der Behandlung der Werke ausländischer Urheber im Inland, s. Rz. 331. 1. Rechtswahl
400
Grundsätzlich sind die Parteien frei, sowohl den Verkauf von Softwarekopien wie auch echte Softwarelizenzverträge einem von ihnen frei gewählten Recht zu unterstellen (Art. 3 Rom I-VO; Art. 122 Abs. 2 schwIPRG; Art. 39 liIPRG). Wählen sie „deutsches Recht“, so bezieht sich diese Rechtswahl auf das deutsche Sachrecht (Art. 20 Rom I-VO) (einschließlich des Einheitsrechts), nicht aber auf das Kollisionsrecht; eine Rückoder Weiterverweisung ist daher nicht mehr zu prüfen. Ist ausländisches Recht gewählt, so bestimmt sich sowohl die Wirksamkeit dieser Rechtswahl2 wie die Frage, ob hierin eine Gesamtrechtsverweisung liegt3, nach dem gewählten Recht. 2. Grenzen der Rechtswahl
401
Die Freiheit der Rechtswahl unterliegt verschiedenen Einschränkungen: Insbesondere bei Softwarekaufverträgen sind Sonderbestimmungen zu beachten zugunsten von Verbrauchern (nachfolgend unter (a)). Weitere Begrenzungen ergeben sich aus zwingenden Eingriffsnormen zum Schutz der Urheber (b)), aus dem Immaterialgüterstatut (c)) und wirtschaftspolitischen Vorschriften (d)). a) Verbraucherschutz
402
In den meisten Ländern ist die Rechtswahlfreiheit beim Vertrieb von Software an Verbraucher eingeschränkt; unter der Geltung der Rom I-VO ist die Beschränkung der Brüssel I-VO auf die Lieferung beweglicher Sachen entfallen, sodass die Regeln des Verbraucherschutzes ebenso für den Online-Vertrieb von Software wie für die Vermietung (ASP, SaaS etc) gelten4: Eine Rechtswahl ist in Deutschland und der Schweiz z.B. unzulässig, soweit dem Verbraucher der Schutz der am Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes geltenden Rechtsvorschriften entzogen wird und bestimmte zusätzliche Beziehungen zum Staat des Verbrauchers im Rahmen der Vertragsanbahnung bestehen (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 120 Abs. 1 schwIPRG). Die Schweiz geht nur scheinbar über den deutschen Wortlaut hinaus, wenn sie generell die Anwendung des Rechts am Wohnsitz des Konsumenten anordnet (also nicht nur der seinem Schutz dienenden Rechtsvorschriften). Liechtenstein kennt eine ähnliche Regelung (Art. 45 liIPRG). 1 OLG Stuttgart v. 28.7.2014 – 5 U 147/12, BB 2014, 2433. 2 BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, NJW 1994, 262. 3 Anders als Art. 20 Rom I-VO lassen ausländische IPR-Gesetze bisweilen eine Rechtswahl auch unter Einschluss der IPR-Normen zu, vgl. Sachnormverweisung in Art. 11 Abs. 1 öIPRG, Art. 11 Abs. 1 liIPRG; Gesamtnormverweisung in Art. 13 f., 116 schwIPRG; ausführlich Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 218 f. 4 Palandt/Thorn, BGB, Art. 6 Rom I-VO Rz. 4; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 6 Rom I-VO Rz. 13; ebenso in der Schweiz, vgl. Schwander, Bd. 2, Rz. 569 (zur Softwaremiete).
608 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 406 Teil F
Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO gestattet den Vertragsparteien auch im Verbrauchervertrag zwar die freie Wahl des Vertragsstatuts; führt diese Wahl allerdings zu einem anderen Recht als das nach Abs. 1 im Falle fehlender Rechtswahl sich ergebende, kann sich der Verbraucher auf dieses Recht berufen, soweit es ihm günstige, unabdingbare Regelungen enthält. Wegen der dadurch sich für den Verkäufer ergebenden undurchsichtigen Gemengelage ist von einer abdrängenden Rechtswahl abzuraten. Internet-Angebote sind, da überall zu empfangen, immer innerhalb des EWR abgegeben, sodass der Online-Vertrieb an deutsche Verbraucher immer an den AGB-Bestimmungen der §§ 305 ff. dtBGB zu messen ist1.
403
b) Zwingende Vorschriften zum Schutz der Urheber Nach Art. 9 Rom I-VO, Art. 19 schwIPRG sind unabhängig vom gewählten Recht solche Bestimmungen eines ausländischen Rechts anwendbar, die den Sachverhalt zwingend regeln. Die Gerichte Österreichs müssten also z.B. gemäß Art. 9 Rom I-VO deutsche Eingriffsnormen beachten.
404
Eingriffsnormen bestehen primär für Softwarelizenzverträge, für den Vertrieb von Softwarekopien kommen bestenfalls kartellrechtliche Grenzen in Betracht. Ausländisches Kartellrecht kann in Zivilstreitigkeiten als Eingriffsnorm Beachtung finden (vgl. hierzu Teil M, Rz. 143 ff.).
405
Im Urheberrecht kann man vereinfachend sagen, dass jeweils die Eingriffsnormen des Schutzlandrechts anzuwenden sind2.
406
In Deutschland sieht bei urheberrechtlichen Lizenz- oder Kaufverträgen § 32b dtUrhG vor, dass dem Urheber zwingend ein Anspruch auf (ggf. weitere) angemessene Vergütung zusteht, wenn (i) auf den Vertrag mangels Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden wäre oder (ii) das Werk maßgeblich3 in Deutschland verwertet wird. Die Unangemessenheit kann sowohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhanden sein wie auch später entstehen, wenn das Werk sich als über Erwarten erfolgreich erweist und die ursprünglich vereinbarte Vergütung diesem Erfolg nicht angemessen Rechnung trägt (§ 32a dtUrhG). Der Anspruch besteht allerdings nur insoweit, als die Vergütung für die Nutzung in Deutschland nicht angemessen ist, ein Missverhältnis der Vergütung für die Auslandsverwertung ist ohne Bedeutung. Nach hM sind alle nach deutschem UrhG zwingenden Bestimmungen als Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Rom I-VO zu qualifizieren. Der Zweckübertragungsgrundsatz des § 31 Abs. 5 dtUrhG gehört nach BGH – entgegen der bisher h.L. – jedoch nicht zu den zwingenden Eingriffsnormen4. Umstritten ist, ob der Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 32, 32a dtUrhG – trotz der Sonderregelung in § 69b dtUrhG – auch dem angestellten Softwareentwickler zusteht5. 1 Palandt/Thorn, Art. 6 Rom I-VO Rz. 6 m.w.N.; Lehmann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 76 Rz. 35 (Fn. 132). 2 Lauber-Rönsberg in Möhring/Nicolini, KollisionsR Rz. 7 m.w.N. 3 Der Begriff ist nicht nach dem Anteil der Verwertungshandlungen im Vergleich zum sonstigen Verwertungsgebiet zu bestimmen, sondern danach, ob eine Nutzung in Deutschland von den Parteien beabsichtigt war, v. Welser, IPRax 2002, 364 (365). Kritisch zur Einordnung der §§ 32, 32a dtUrhG als Eingriffsnorm Pütz, IPRax 2005, 13 (16), unter Fn. 25. 4 BGH v. 24.9.2014 – I ZR 35/11, MarkenR 2015, 151 = GRUR 2015, 264 – Hi Hotel; a.A. Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 ff., Rz. 166; Dreier in Dreier/ Schulze, Vor §§ 120 ff., Rz. 55; gegen Eingriffsnorm schon Nordemann/Schiffel in Fromm/Nordemann, UrhR, Vor §§ 120 ff., Rz. 88; Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 31 Rz. 117. 5 Dafür: BGH v. 23.10.2001, CR 2002, 249 – Wetterführungspläne II (allerdings zur Vorläufervorschrift des § 36 dtUrhG); Brandi-Dohrn, CR 2001, 285 ff.; CR 2002, 252 ff.; Dreier in Dreier/ Schulze, § 69b Rz. 10; Grützmacher in Wandtke/Bullinger, § 69b Rz. 22; a.A.: Bayreuther, GRUR 2003, 570 (574); Czychowski in FS Nordemann, 2004, S. 157 (163); Wimmers/Rode, CR 2003, 399 (404 f.). Die Frage der Reichweite des § 69b dtUrhG bedarf einer Vorlage an den EuGH.
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Brandi-Dohrn 609
Teil F Rz. 407 407
Handel mit geistigem Eigentum
Einstweilen frei. c) Immaterialgüterstatut
408
Als Besonderheit des internationalen Urhebervertragsrechts unterstellt die hM in Deutschland nicht nur den schuldrechtlichen Vertrag, sondern auch die dingliche Verfügung dem Vertragsstatut („Einheitstheorie“)1 – mit einer wichtigen Einschränkung: Alle das Urheberrecht selbst betreffenden Fragen unterliegen zwingend2 dem jeweiligen Schutzlandrecht (so ausdrücklich auch Art. 110 Abs. 1 schwIPRG; § 34 öIPRG). Inwieweit diese Interpretation sich auch Art. 5 Abs. 2 RBÜ entnehmen lässt und daher in den Vertragsstaaten allgemein gültig ist, ist allerdings umstritten3. Unabhängig vom gewählten Recht sind jedenfalls in Deutschland, Schweiz und Österreich nach dem für das Urheberrecht jeweils geltenden Landesrecht (einschließlich der in dem Land geltenden internationalen Abkommen) zu prüfen
409
– die Existenz, das Entstehen4 und Erlöschen5 des Urheberrechts (Schutzbeginn; Notwendigkeit der Registereintragung; Erschöpfung; Rückfall – z.B. nach §§ 41, 42 dtUrhG wegen Nichtausübung oder gewandelter Überzeugung des Urhebers)6; – Inhalt des Schutzes, Priorität und Schutzdauer7; die dingliche8 Wirksamkeit der Übertragung bzw. Lizenzierung9 (z.B. Reichweite der Übertragung, das Widerrufsrecht bei Verträgen über unbekannte Nutzungsarten (§ 31a Abs. 1 Satz 3 dtUrhG)10; Wirksamkeit von Verfügungsbeschränkungen gegenüber Dritten11; Wirksamkeit 1 Deutschland: OLG Frankfurt v. 3.12.1996 – 11 U 58/96, GRUR 1998, 141 (142) – MackintoshEntwürfe; OLG Hamburg v. 27.3.1958 – 3 U 220/1957, UFITA 26 (1958), 344 (350) – Brotkalender (schweizerisches Vertragsstatut und Rechtseinräumung in Deutschland); Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff. Rz. 149; Lauber-Rönsberg in Möhring/Nicolini, KollisionsR, Rz. 7 ff.; Unteregge, FS Sandrock, 1995, S. 167 (169, 174); dagegen: Schack, Rz. 1290; Pütz, IPRax 2005, 13 (14); Obergfell in Reithmann/Martiny, Rz. 1974 ff.; OLG München v. 22.4.1999 – 29 U 5876/98, ZUM 1999, 653 (655) – M; v. Welser in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 120 ff. Rz. 22; Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, Rz. 173; Martiny in MünchKomm/ BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 203. Schweiz: dafür: Vischer, GRUR Int. 1987, 670 (680), Fn. 133; (für Online-Verträge) Dutoit, Droit international privé suisse: Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4. Aufl., Basel 2005, Art. 122, Rz. 5 ff.; dagegen: Keller/Schluep/Troller/Schätzle/Wilms, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts im internationalen Privatrecht III: Immaterialgüterrecht, Zürich 1982, S. 4. 2 BGH v. 17.6.1992 – I ZR 182/90, NJW 1992, 2824 – Alf; Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, Rz. 7. 3 Zum IPR-rechtlichen Umfang des Art. 5 Abs. 2 RBÜ Carrascosa González in FS Jayme, 2004, Bd. 1, S. 105 (113 f.). 4 Nach dem Arbeitsvertragsstatut richtet sich aber die Frage, ob der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber originärer Inhaber des Urheberrechts werden, Pütz, IPRax 2005, 13 (14) m.w.N.; dagegen OGH v. 8.6.2004 – 4 Ob 125/04, GRUR Int. 2005, 335 (337) unter Verweis auf Art. 14 bis Abs. 2 (a) RBÜ. 5 OLG München v. 29.1.1959 – 6 U 1525/59, GRUR Int. 1960, 75 (76) – Le Mans. 6 v. Welser, IPRax 2002, 364 (365); Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff. Rz. 166; Hausmann in FS Schwarz, 1988, S. 47 (65). 7 Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, Rz. 203, dort auch zu Sonderfragen der Schutzdauer nach RBÜ und EGV. 8 Die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrages bestimmt sich nach h.M. nach dem Vertragsstatut, vgl. Drexl in MünchKomm/BGB, IntImmGR, Rz. 199; s. auch Art. 110 Abs. 3 schwIPRG. 9 BGH v. 2.10.1997 – I ZR 88/95, BGHZ 136, 380 (387) = GRUR Int. 1998, 427 (429) = AfP 1998, 56 – Spielbankaffäre; OLG München v. 29.4.2010 – 29 U 3698/09, GRUR-RR 2011, 1 (Rz. 48) – MyVideo; Vischer, GRUR Int. 1987, 670 (680). 10 Str. dafür v. Welser, IPRax 2002, 364 (366); Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff. Rz. 150; a.A. Nordemann/Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff. Rz. 88; Wille, GRUR Int. 2008, 389 (390). 11 Vischer, GRUR Int. 1987, 670 (680); LG München I v. 19.5.2004 – 21 O 6123/04, CR 2004, 774 (775) – netfilter mit ablehn. Anm. Hoeren.
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Softwareverträge
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Rz. 410 Teil F
welcher Verfügung bei Mehrfachübertragung1; gutgläubiger Erwerb2; Sukzessionsschutz)3; seit der BGH in den Entscheidungen Take Five und M2Trade die Unterlizenz rechtlich von der Hauptlizenz gelöst hat, ist streitig, ob die Übertragung der Nutzungsrechte weiterhin dem Schutzlandprinzip unterstellt werden soll oder dem Vertragsstatut (und damit einer Rechtswahl der Parteien offen stünde)4; Streitig ist, ob die nach § 34 dtUrhG notwendige Zustimmung des Urhebers zur Übertragung von Nutzungsrechten dem Vertrags- oder Urheberrechtsstatut unterliegt. Die Frage ist praktisch vor allem bei der Übertragung von Software-Konzernlizenzen (z.B. im Rahmen eines Unternehmenskaufs) relevant5. Die Qualifizierung von Nutzungshandlungen, also die Frage, ob eine bestimmte Handlung als Werknutzung anzusehen und daher der Gestattung des Urhebers vorbehalten ist6. Streitig ist, ob die Form der Übertragung bzw. Lizenzierung sich ebenfalls ausschließlich nach dem Schutzland richtet oder ob es ausreicht, die Formvorschriften des Landes einzuhalten, in dem die Verfügung vorgenommen wird. In Deutschland neigt die wohl h.M. Letzterem zu, greift also auf Art. 11 Abs. 1 dtEGBGB (bzw. Art. 11 RomI-VO) zurück7. In der Schweiz gilt das Schutzlandprinzip für den verfügungsrechtlichen Teil8, für die schuldrechtliche Wirksamkeit soll nach Art. 124 IPRG die Form des Schuldstatuts oder die des Abschlussortes ausreichen. In Österreich soll die Form nach dem Vertragsstatut bestimmt werden9, jedoch erlaubt § 8 öIPRG auch die Form am Abschlussort; dasselbe gilt für Liechtenstein (Art. 8 liIPRG). Die Frage ist für alle von der RBÜ geschützten Urheber nur marginal, da Art. 5 Abs. 2 Satz 1 RBÜ untersagt, die Ausübung der Urheberrechte in anderen Verbandsländern an besondere Formerfordernisse des Ursprungs- oder Schutzlandes zu knüpfen.
Beim Online-Vertrieb ist urheberrechtlich primär das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung einschlägig. Da im Urheberrecht das Territorialitätsprinzip gilt, fragt sich, ob bei Übertragungsvorgängen im Internet und ähnlichen Netzen für die Rechtsanknüpfung auf den Ort der Einspeisung (Standort des Servers) oder (auch) den des Empfangs abgestellt werden kann. Die hM stellt zumindest dann auch auf den Empfangsort ab, wenn das Recht des Sendestaates kein ausreichendes Schutzniveau garantiert (sog. Bogsch-Theorie)10. Der EuGH erstreckt das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung auf den gesamten Prozess vom Angebot im Internet bis zur Erfüllung des Angebots durch Lieferung, hat aber zugleich in Einschränkung der Bogsch-Theorie die 1 Hartmann in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, Vor §§ 120 ff. Rz. 43. 2 Hartmann in Möhring/Nicolini, Vor §§ 120 ff. Rz. 42; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, Vor §§ 120 ff. Rz. 150. 3 LG Mannheim v. 29.5.2015 – 2 O 147/14, BeckRS 2015, 15001. 4 Für Vertragsstatut: Dreier in Dreier/Schulze, vor § 120, Rz. 50; für Schutzlandstatut: v. Welser in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 120 ff., Rz. 22; ebenso Art. 3:301 CLIP Principles. Offen Spindler, CR 2014, 557 (567). 5 Eingehend Stopp, IPRax 2008, 386 ff. 6 EuGH v. 6.2.2014 – Rs. C-98/13, GRUR 2014, 283 – Blomqvist/Rolex; EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-5/11, GRUR 2012, 817 – Donner: Da das EU-Recht bzgl. der Verwertungsrechte voll harmonisiert ist, bestimmt es auch, wo der Ort einer Nutzungshandlung liegt und inwieweit Teilakte auch im Ausland verwirklicht werden können. 7 Obergfell in Reithmann/Martiny, Rz. 2068; v. Welser in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 120 ff., Rz. 21; Hartmann in Möhring/Nicolini, Vor §§ 120 ff., Rz. 43; a.A.: Katzenberger in Schricker/ Loewenheim, Vor §§ 120 ff. Rz. 150 m.w.N.; Schulze in Dreier/Schulze, § 31a Rz. 24 (zur Formvorschrift des § 31a Abs. 1 Satz 1 dtUrhG). 8 Dutoit, Art. 122 Rz. 10; Jegher/Vasella in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, 3. Aufl. 2013, Art. 122 Rz. 24. 9 Schwimann, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2001, Kapitel E III; Schwind, Internationales Privatrecht, Wien 1990, Rz. 406. 10 Vgl. näher zum Streitstand Grützmacher in Wandtke/Bullinger, § 69c Rz. 60; NordemannSchiffel in Fromm/Nordemann, UrhR, Vor §§ 120 ff., Rz. 71.
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Brandi-Dohrn 611
410
Teil F Rz. 411
Handel mit geistigem Eigentum
blosse Möglichkeit, die Webseite mit dem Angebot im Schutzland abzurufen, als nicht ausreichend bezeichnet; vielmehr bedürfe es einer an die Verbraucher des Schutzlandes gerichteten Werbung oder eines Verkaufsangebots1. d) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften 411
Beim Softwarevertrieb sind die Einschränkungen des Außenwirtschaftsrechts zu beachten. Im Softwarevertrieb versuchen vor allem US-amerikanische Exporteure, ihre ausländischen Vertriebspartner vertraglich zur Einhaltung der US-Exportkontrollbestimmungen zu verpflichten und damit den räumlichen Geltungsbereich des USAußenwirtschaftsrechts auszudehnen2. Daneben begrenzen die Bestimmungen des jeweiligen nationalen Kartellrechts die Klauselgestaltung bei Lizenzverträgen. Dabei ist sowohl im Raum des EWR3 wie auch in der Schweiz4 das Kartellrecht desjenigen Staates anwendbar, in dessen Territorium sich die Vereinbarung auswirkt. 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht
412
Wurde keine Rechtswahl getroffen, unterliegt der Vertrag (in den obigen Grenzen zwingender Normen des jeweiligen Landesrechtes) dem Vertragsstatut, also in Deutschland nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist, im Zweifel dem des gewöhnlichen Aufenthaltes der Partei, die die charakteristische Leistung erbringt. Hier kommen – je nach Art der vereinbarten Leistungen – folgende Rechtsordnungen in Betracht: – beim Kauf oder Miete von Softwarekopien das Sitzland des Verkäufers/Vermieters, da dieser mit der Nutzungseinräumung die charakteristische Leistung erbringt; – bei exklusiven Lizenzverträgen5 oder solchen, die den Lizenznehmer zur Ausübung verpflichten6, das Land des Lizenznehmers; – bei nicht exklusiven Lizenzverträgen das Land des Lizenzgebers7.
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In der Schweiz erfolgt die objektive Anknüpfung an das Recht des Landes, in dem der Berechtigte (Lizenzgeber) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG)8. In Österreich regelte bis zum 1.12.1998 § 34 öIPRG das Urhebervertragsrechtsstatut, das das Schutzlandprinzip postulierte und weiterhin für alle vor dem 1.12. 1998 abgeschlossenen Verträge gilt; bezieht sich der Vertrag auf mehrere Länder (sodass es kein einheitliches Vertragsstatut mehr gäbe), gilt das Recht am Ort des Lizenznehmers9. Für neuere Verträge gilt Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, der zum gleichen Ergebnis wie in Deutschland führen dürfte10. In Liechtenstein gilt die gleiche Regelung wie in 1 EuGH v. 6.2.2014 – Rs. C-98/13, GRUR 2014, 283, Rz. 31 – Blomqvist/Rolex. Strenger Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff. Rz. 79 (Abrufbarkeit im Schutzland ausreichend). 2 Vgl. zur eingeschränkten Wirksamkeit solcher Klauseln Funk/Zeifang, CR 2004, 11 ff. 3 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. C-89, 104, 114, 116, 117, 125–129/85, Slg. 1988, 5193 (5242 ff.) – Ahlström u.a./Kommission. 4 Hepp in Ullrich/Lejeune, Rz. 1696. 5 BGH v. 29.3.1960 – I ZR 1/59, GRUR 1960, 447 – Comics (zum Verlagsvertrag); Hausmann in FS Schwarz, 1988, S. 47 (57); v. Welser in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 120 UrhG Rz. 24; dagegen: von Hoffmann in Soergel, BGB, Bd. 10, 13. Aufl. Stuttgart 2011, Art. 28 EGBGB Rz. 512 (für Verlagsvertrag). 6 BGH v. 29.3.2001 – I ZR 182/98, GRUR 2001, 1134 = ZUM 2001, 989 (991) – Lepo Sumera; Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff., Rz. 90. 7 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 222; Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff., Rz. 90; v. Welser in Wandtke/Bullinger, Vor §§ 120 ff., Rz. 24; Schack, Rz. 1287. 8 Dutoit, Art. 122 Rz. 6 hält andere Anknüpfungen über Art. 117 schwIPRG bei der Übertragung von Urheberrechten für zulässig. 9 Posch, Bürgerliches Recht VII. Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 2010, § 13/9. 10 Posch (vorige Fn.), § 13/9 nimmt dennoch an, es bleibe beim alten Schutzlandprinzip.
612 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 418 Teil F
Österreich vor dem 1.12.1998 (vgl. Art. 47 Abs. 1 liIPRG), bei Lizenzierung für mehrere Länder wird wie in Österreich auf das Land des Lizenznehmers abgestellt. Wird Software kostenlos vertrieben (z.B. Public Domain Software, Freeware), so liegt eine Schenkung vor, auf die das Sachrecht des Anbieters der Software anzuwenden ist, da dieser die charakteristische Leistung erbringt (Deutschland, Österreich) bzw. die Lizenz vergibt (Schweiz).
414
Open Source Software enthält zumeist keine ausdrückliche Rechtswahl (vgl. insb. die sog. „GNU GPL“). Bei der GPL ist wohl auch nicht von einer impliziten Rechtswahl US-amerikanischen Rechts auszugehen1, sodass das anwendbare Recht nach dem Vertragsstatut zu bestimmen ist. Es ist für die GNU GPL überwiegend anerkannt, dass auf das Recht des Lizenzgebers abzustellen ist2. Allerdings soll gemäß Ziff. 6 GPL Lizenzgeber immer der (ursprüngliche) Urheber sein, der Empfänger also bei Weitergabe wie ein Bote auftreten. Da an Open Source Software in der Regel zahlreiche Urheber aus verschiedenen Ländern mitarbeiten, finden sämtliche dieser Rechtsordnungen Anwendung3.
415
Einstweilen frei.
416
4. Internationales Einheitsrecht Das CISG4 gilt nach Art. 1 nur für „Kaufverträge über Waren“. Die Überlassung von Softwarekopien fällt nach hM in den Anwendungsbereich des Art. 1, wobei in der Literatur nicht immer deutlich wird, ob dies nur für den Fall gelten soll, dass die Softwarekopie auf einem Datenträger geliefert wird (und daher als „körperliche Sache“ unter den Warenbegriff fällt) oder ob das CISG auch auf den Online-Download von Software anzuwenden ist5. Nach einer ersten Entscheidung aus den Niederlanden soll sogar eine ausdrücklich als „Lizenz, nicht Kauf“ bezeichnete Einräumung von Nutzungsrechten und online zur Verfügung gestellte Software dem CISG unterfallen6. Beim Online-Vertrieb ist besonders schwer festzustellen, ob der Empfänger Verbraucher ist; hätte der Verkäufer die Verbrauchereigenschaft erkennen können, greift das CISG nicht ein7.
417
Wird Individualsoftware verkauft oder überwiegen wegen umfangreicher Anpassungsarbeiten an der Software die werkvertraglichen Elemente die kaufvertraglichen, so ist das CISG gemäß Art. 3 Abs. 2 ausgeschlossen. Entsprechendes gilt, wenn ein Vertrag über Standardsoftware auch deren Pflege umfasst und deren Kosten die der Software
418
1 Vgl. Deike, CR 2003, 9 (11); Sester, CR 2000, 797 (802); a.A. Metzger/Jaeger, GRUR Int. 1999, 839 (842). 2 A.A. LG München I v. 19.5.2004 – 21 O 6123/04, CR 2004, 774 (775) mit ablehn. Anm. Hoeren. 3 Im Einzelnen Deike, CR 2003, 9 (11 f.). 4 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11.4.1980, BGBl. 1989 II, 588. 5 Diedrich, RIW 1993, 441 (451); Endler/Daub, CR 1993, 601 (605); Lüderitz in Soergel, Art. 1 Rz. 16; explizit bejahend: Schmitt, CR 2001, 145 (151) mwN; Karollus, UN-Kaufrecht, Wien 1991, S. 21; Posch (Fn. 9 zu Rz. 413), § 16/5; dagegen: Mankowski, CR 1999, 581 (586); Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht – CISG, 6. Aufl. München 2013, Art. 1 CISG Rz. 38; Kitz in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 13.1 Rz. 267; vgl. auch LG München I v. 8.2.1995 – 8 HKO 24667/93; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (936). 6 Rechtbank Midden-Nederland v. 25.3.2015 – C/16/364668/HA ZA 14-217, ECLI:NL:RBMNE: 2015:1096, online unter http://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL: RBMNE:2015:1096&keyword=Midden-Nederland. 7 Im Einzelnen Mankowski, RabelsZ 1999, 232.
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Brandi-Dohrn 613
Teil F Rz. 419
Handel mit geistigem Eigentum
übersteigen; auch die Lieferung der im Rahmen der Pflege erstellten Updates unterfällt dann nicht dem CISG1. 419
Soweit beim Vertrieb von Public Domain Software und von Freeware kein Entgelt gefordert wird, kommt eine Anwendung des CISG nicht in Betracht, wohl aber beim Vertrieb von Shareware, der als Kauf auf Probe in Art. 35 Abs. 1 lit. c CISG explizit erwähnt ist2.
VI. Steuerrechtliche Hinweise 1. Umsatzsteuer 420
Das Besteuerungsverfahren ist durch die 6. MwSt.-Richtlinie teilweise EU-einheitlich geregelt. Der deutschen Umsatzsteuer unterliegen Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 dtUStG). Im Grundsatz gilt: Eine Lieferung gilt als im Inland ausgeführt, wenn sie von dort abgesendet wird, eine sonstige Leistung, wenn der leistende Unternehmer dort sein Unternehmen betreibt. Die in § 3a Abs. 4 dtUStG – in Umsetzung der einschlägigen EU-MwSt-Richtlinien – aufgeführten sonstigen Leistungen sind hingegen in Deutschland nur umsatzsteuerpflichtig, (i)
wenn der Empfänger ein Unternehmer ist und seinen Sitz in Deutschland hat – im internationalen B2B-Geschäft gilt also grundsätzlich das Empfängerortprinzip; einem Unternehmer gleichgestellt werden Nicht-Unternehmer, denen eine USt-IDNummer erteilt wurde – die Angabe der USt-ID-Nummer sollte der Lieferant daher immer verlangen und ihre Existenz und Richtigkeit online überprüfen.
(ii) wenn der Empfänger kein Unternehmer ist und innerhalb der EU ansässig ist, vorausgesetzt, der leistende Unternehmer sitzt in Deutschland oder außerhalb der EU. Im B2C-Geschäft gilt also grundsätzlich das Ursprungslandprinzip, der deutsche Verkäufer berechnet auf alle EU-Verbrauchergeschäfte die deutsche USt. Seit dem 1.1.2015 hat sich dieser Grundsatz des B2C-Geschäfts – hin zum Empfängerortprinzip – gewandelt für Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation, des Rundfunks/Fernsehens und anderer auf elektronischem Weg erbrachter Leistungen. Zu diesen Leistungen zählen insbesondere der Online-Download von Software, Computer-Spielen und Musik. Für diese Leistungen muss der Anbieter also künftig (a) verifizieren, dass es sich um einen Verbraucher handelt (das erfolgt durch Negativ-Abfrage der USt-ID-Nummer), (b) den Wohnort bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers feststellen3, (c) dem Verbraucher dann die in dessen Land geltende USt berechnen und einziehen und (d) die erhaltene USt an das jeweilige Land abführen. Zur Erleichterung für den Unternehmer richtet jedes Land eine Stelle ein, an die der Unternehmer die Steuern insgesamt abführen kann und die dann die Verteilung übernimmt (Mini-One-Stop-Shop, MOSS)4. 421
Für die umsatzsteuerliche Qualifikation der Softwareüberlassung unterscheidet die Rechtsprechung zwischen der Überlassung von Standardsoftware einschließlich der Updates (Behandlung als Lieferung, soweit „Offline-Geschäft“ – also Lieferung eines 1 Schmitt, CR 2001, 145 (154). 2 Schmitt, CR 2001, 145 (154). 3 Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 stellt eine Reihe von widerlegbaren Vermutungen zur Bestimmung des Wohn- bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auf, die der Verkäufer beim Aufbau der elektronischen Kommunikation mit dem Verbraucher automatisch abfragen kann. 4 In Deutschland ist hierfür die Registrierung beim BZSt notwendig, § 18h UStG.
614 | Brandi-Dohrn
Softwareverträge
Rz. 424 Teil F
Datenträgers1 –, als sonstige Leistung, soweit Online-Download) und der Überlassung von Individualsoftware (sonstige Leistung nach § 3a Abs. 4 Nr. 1, 3, 4 oder 5)2. Wird Standardsoftware verkauft, die erst durch die individuelle Anpassung an die Bedürfnisse des Käufers ihren Aufgabenzweck erfüllt, z.B. ERP-Software (Enterprise Resource Planning Software) wie SAP R3, dann unterliegt dieser Vertrag einheitlich den Regelungen für (technische) Dienstleistungen (§ 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG), gleich ob der Gesamtpreis in einen Kaufpreis und einen Preis für die Anpassungsleistungen aufgespalten ist3. Besondere Probleme stellen sich auch, wenn Software nicht erworben sondern nur im Rahmen des Cloud Computing zeitweise genutzt wird – sowohl ertragssteuerlich wie umsatzsteuerlich4. Steuerlich ungeklärt ist auch die Nutzung von Datenbanken im Ausland, z.B. die Abfrage von Datensätzen gegen Bezahlung5.
422
Der regelmäßige Umsatzsteuersatz beträgt derzeit 19 %. Umstritten war, unter welchen Voraussetzungen der reduzierte Satz von 7 % einschlägig ist, der für Umsätze anfällt, die sich aus der Einräumung oder Übertragung von Urheberrechten ergeben (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. c dtUStG). Der BFH unterwirft den Verkauf von Standardsoftware dem Regelsteuersatz6; Individualsoftware unterliegt dem reduzierten Satz, wenn dem Erwerber das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht (§ 69c Nr. 1–3 dtUrhG) nicht nur als Nebenfolge eingeräumt werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Software primär zur Weiterverbreitung erworben wird, nicht, wenn sie vorwiegend eigenen Bedürfnissen dienen soll7. Dementsprechend soll auch beim Vertrieb anderer OnlineGüter – wie Datenbank-Zugängen, E-Books – der normale USt-Satz zu berechnen sein8.
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Der BGH hat in der Entscheidung „Geburtstagszug“9 seine Rechtsprechung aufgegeben, wonach an Werke der angewandten Kunst höhere Anforderungen für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes zu stellen sind als an andere urheberrechtliche Werke. Hieraus resultiert insbesondere für den Bereich des Graphik-Designs (auch in der Computerspiel-Branche) das Problem des zutreffenden USt-Satzes. Das BMF hat nun festgelegt, dass steuerlich der Auffassung des BGH gefolgt wird und es auch nicht beanstandet wird, wenn die Betroffenen ihre Leistungen nun auf den niedrigeren UStSatz umstellen10. Ein ausländischer Unternehmer, der Lieferungen nach Deutschland erbringen will, muss sich beim für ihn zuständigen Finanzamt umsatzsteuerlich registrieren lassen (Schweiz, Liechtenstein: FA Konstanz). Bezieht ein in Deutschland ansässiges Unternehmen eine sonstige Leistung (s. Rz. 420 f.) von einem außerhalb Deutschlands ansässigen Lieferanten, so ist es Steuerschuldner für die Berechnung, den Ausweis und das Abführen der Umsatzsteuer (§ 13b 1 2 3 4 5 6 7
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9 10
BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BStBl. II 1997, 372. BFH v. 16.8.2001 – V R 42/99, UR 2002, 133 (136). EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04. Hierzu Rogge, DB 2015, 1823 ff. Hierzu Kessler/Wald, IStR 2015, 889 ff. BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BStBl. 1997 II, 372; ebenso in Österreich, vgl. BMF-Erlass v. 3.9. 1987 – Z 091017/1 – IV/9/87. BFH v. 27.1.2001 – V R 14/01, CR 2002, 411; BFH v. 25.11.2004 – V R 25, 26/04, BB 2005, 810 (812): Verbreitung innerhalb des Konzerns ausreichend; ebenso in Österreich ÖVGH v. 27.8. 1998 – 93/13/0261, UVR 1998, 435. Vgl. hierzu auch die Auffassung der FinVerw, OFD Hannover v. 14.2.2007 – S7240-37-StO183, DStR 2007, 808. FG Baden-Württ. v. 5.9.2013 – 12 K 1800/12, Rev. eingelegt, Az.: BFH V R 43/13; hierzu Kessler/ Wald, IStR 2015, 889 ff. Übersicht der Steuersätze für alle Varianten des Vertriebs OFD Niedersachsen, Vfg. v. 19.11.2015 – S 7221-145-St 187 VD, DStR 2016, 321. Es ist EU-rechtlich nicht zu beanstanden, wenn gedruckte Bücher und e-Books nicht demselben USt-Satz unterliegen, EuGH v. 11.9.2014 – Rs. C-219/13. BGH v. 13.11.2013 – I ZR 143/12, NJW 2014, 469. BMF-Schreiben v. 27.1.2015 – IV D 2 – S 7240/14/10001, DStR 2015, 300.
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424
Teil F Rz. 425
Handel mit geistigem Eigentum
Abs. 5 dtUStG), sog. „Reverse-Charge-Verfahren“. Da der Empfänger der Leistung einen Teil des Erwerbspreises als Steuer an das zuständige Finanzamt abführen muss, ist im Vertrag zu regeln, wer letztlich diese Steuer zu tragen hat. Ohne Regelung gilt in Deutschland der angegebene Preis als Bruttopreis (s. Rz. 222) – der Lieferant erhält dann also lediglich den angegebenen Betrag abzüglich der USt. 2. Ertragssteuern und Bilanzierung bei Inlandsfällen 425
Steuerrechtlich wird beim Softwareerwerb nur sekundär auf die rechtliche Form des Geschäfts abgestellt, primär auf das wirtschaftlich Gewollte. Die ertragssteuerliche Behandlung des Erwerbs von Software ist daher vom Zivilrecht losgelöst zu beurteilen. Erträge aus der Überlassung von Software durch ein Unternehmen sind daher steuerpflichtig als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 8 dtKStG, § 15 Abs. 1 dtEStG, bei selbstständigen Softwareentwicklern als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit nach § 18 dtEStG. Bei rein deutschen Sachverhalten spielt es praktisch keine Rolle, ob die Software nur zeitweise oder auf Dauer überlassen wird, da Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur vorliegen, wenn die Erlöse nicht einer der obigen Einkünftearten zugeordnet werden können – § 21 Abs. 3 dtEStG.
426
Von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist das Leasing von Hard- und Software1. Für die Vertragsgestaltung bedeutsam ist, dass die sog. „Leasingerlasse“ der deutschen Finanzverwaltung für das Softwareleasing nur ausnahmsweise gelten, soweit die Software als materielles Wirtschaftsgut2 einzustufen ist.
427
Bilanziell bildet Software (auch Systemsoftware) idR keine Einheit mit der Hardware, sondern ist gesondert – nach den Regeln für immaterielle, abnutzbare Wirtschaftsgüter – zu bilanzieren – gleich ob es sich um Individual- oder Standardsoftware handelt3: Wird sie entgeltlich erworben, ist sie beim wirtschaftlichen Eigentümer zu bilanzieren (§ 5 Abs. 2 dtEStG) und über die Nutzungsdauer abzuschreiben4. Wird sie dagegen selbst hergestellt, darf in der Handelsbilanz hierfür ein Aktivposten gebildet werden (§ 248 Abs. 2 Satz 1 dtHGB); in der Steuerbilanz ist die Software nicht zu aktivieren, die Herstellungskosten werden nicht abgeschrieben, sondern im Jahr der Herstellung berücksichtigt. Bei Individualsoftware5 kann man durch entsprechende Verteilung des Herstellerrisikos vertraglich gestalten, ob der Auftraggeber Hersteller ist oder Erwerber und damit, ob die Kosten der Software im Jahr der Anschaffung berücksichtigt werden oder verteilt über die Nutzungsdauer.
428
Erwirbt der Anwender gegen Einmalzahlung ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht an der Software, ist er idR als Erwerber anzusehen6, beim Leasing verbleibt das wirtschaftliche Eigentum in der Regel beim Hersteller.
429
Auf Seiten des Käufers/Lizenznehmers ist eine Besonderheit im Rahmen der Gewerbesteuer zu berücksichtigen. Dort sind 6,25 % der gezahlten Lizenzgebühren dem Gewinn für Gewerbesteuerzwecke wieder hinzuzurechnen, erhöhen also in diesem Umfang die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer (§ 8 Nr. 1 lit. f GewStG). Dies 1 Einzelheiten bei Engel, DStZ 1992, 721; v. Freeden in Kilian/Heussen, Kap. 90, Rz. 103 ff. 2 Ausnahmsweise gelten als materielle, bewegliche Wirtschaftsgüter: Software mit Anschaffungskosten von weniger als 410 Euro; Systemsoftware, die in der Hardware fest eingebaut ist; reine Sammlungen allgemein bekannter Daten ohne Steuerbefehle. 3 Einzelheiten: Stellungnahme des IDW – IDW ERS HFA 11, www.idw.de; v. Freeden in Kilian/ Heussen, Kap. 90, Rz. 40 ff. 4 Die Finanzverwaltung akzeptiert als Nutzungsdauer regelmäßig drei Jahre; bei ERP-Software ist umstritten, ob längere Abschreibungszeiträume gerechtfertigt sind, vgl. Köhler/Trautmann, DStR 2002, 926 (930). 5 Vgl. zu ERP-Software Köhler/Trautmann, DStR 2002, 926. 6 Köhler/Trautmann, DStR 2002, 926.
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Softwareverträge
Rz. 434 Teil F
gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich um eine reine Software-Vertriebslizenz handelt, also z.B. bei OEM-Lizenzverträgen, die dem Lizenznehmer den Weitervertrieb der Software zusammen mit Hardware gestatten. Sind mit der Weitergabe aber andere Dienst- oder Werkleistungen verbunden – z.B. die Anpassung der Software an die Bedürfnisse des Endkunden –, kann dies zur Anwendung der Hinzurechnungsregelung führen1. 3. Internationales Ertrags-Steuerrecht Unternehmen, die im Inland ansässig sind, sind ertragssteuerpflichtig in Deutschland bzgl. sämtlicher (auch ausländischer) Einkommen. Haben sie im Inland keinen Geschäftssitz, unterliegen sie der Steuerpflicht, jedoch beschränkt auf die in § 49 dtEStG, § 8 dtKStG aufgeführten Einkommensarten. Im Software-Handel – gleich ob Offline oder Online über das Internet – kommt eine Steuerpflicht in folgenden Fällen in Betracht:
430
– bei ausländischen Gewerbebetrieben für Gewinne, die sie in inländischen Betriebsstätten2 (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a dtEStG) oder aus der Vermietung/Veräußerung von Urheberrechten im Inland erzielen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. f dtEStG);
431
– bei ausländischen Selbständigen, soweit deren Arbeit im Inland verwertet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 dtEStG), z.B. Softwareprogrammierung oder Fernwartung über das Internet, wenn die Software in Deutschland eingesetzt wird;
432
– soweit die Softwareüberlassung zeitlich begrenzt erfolgt, wenn sie in Deutschland verwertet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Nr. 3 dtEStG3; ggf. auch – vor allem bei Überlassen des Source Code – nach § 49 Abs. 1 Nr. 9 dtEStG)4. Als „zeitlich begrenzt“ gelten auch Verträge ohne feste Laufzeit, soweit nur die Rückübertragung nicht vertraglich ausgeschlossen ist; die Laufzeit darf aber nicht die normale Nutzungsdauer der Software überschreiten5.
433
Die Einkunftsarten in Nr. 6 und 9 sind subsidiär gegenüber denjenigen aus Nr. 2 und 36.
434
Nach wohl hM wird der Verkauf von Standardsoftware wie eine Produktveräußerung besteuert, also nicht nach § 49 Nr. 6, 9, sondern nur nach Nr. 2 lit. a, d.h. ohne inländische Betriebsstätte besteht keine Steuerpflicht7. Bei zeitlich begrenzter Überlassung (bei Überlassung zum Weitervertrieb dürfte vorrangig Nr. 2 lit. f eingreifen) kann aber Nr. 6 einschlägig sein8, ebenso bei Ausgestaltung des Vertrages als Leasinggeschäft9. Hat das Softwarehaus also keine Betriebsstätte im Inland, bietet sich zur Steuervermeidung die Gestaltung der Verträge als Veräußerungsgeschäft an. 1 Weiterführend: Clemens/Laurent, DStR 2008, 440 (442). 2 Zur ertragssteuerlichen Definition der „Betriebsstätte“ vgl. § 12 AO und BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 = BB 1997, 138: es bedarf keines Personals vor Ort. Also begründet ein Server im Inland eine Betriebsstätte, wenn er nicht nur Hilfstätigkeiten (z.B. Werbung) ausführt, sondern den gesamten Geschäftsprozess, Böhme-Neßler, FR 2001, 1089 (1091). 3 BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142: Schweizer Mutter vertreibt ihre Software über deutsche Tochtergesellschaft. 4 BFH v. 20.7.1988 – I R 61/85, BStBl. 1989 II, 99: Schweizer Unternehmensberater erarbeitet Softwarelösung für den Betrieb des deutschen Auftraggebers. 5 BFH v. 7.12.1977 – I R 54/75, BStBl 1978 II, 355; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 22 Rz. 139. 6 Loschelder in Schmidt (vorige Fn.), § 49 Rz. 112, 126. 7 Böhme-Neßler, FR 2001, 1089 (1091) zu Fn. 17; Endriss/Käbisch, BB 1999, 2276 (2280); Käbisch, DStR 2001, 373 (375). 8 BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142; Loschelder in Schmidt (vorige Fn.), § 49 Rz. 113. 9 Strunk, IStR 1998, 257 (260).
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Teil F Rz. 435
Handel mit geistigem Eigentum
Die Überlassung von Individualsoftware kann je nach Gestaltung des Vertragswerkes zu allen der vorgenannten Einkünfte führen1. Bei neueren Formen der Software-Überlassung wie Application Hosting, Application Service Providing (ASP), SaaS, bei denen der Nutzer pro Zugriff auf die Software oder Zeiteinheit zahlt, die Software aber auf einem Rechner des Softwarehauses vorgehalten wird, dürfte ein Fall des § 49 Abs. 1 Nr. 6 vorliegen, wobei die Einordnung möglicherweise unterschiedlich in DBA-Fällen und inländischen Sachverhalten ist2. 435
Sind die Erträge steuerpflichtig, so ist zu prüfen, ob ein bestehendes DBA die Steuerpflicht in Deutschland einschränkt3. DBA’s bestehen unter anderem mit der Schweiz4, Österreich und5 Liechtenstein6. Die Erträge aus Software-Geschäften sind den Unternehmensgewinnen (Art. 7) oder den Lizenzeinnahmen (Art. 12) zuzuordnen, wobei die Unterscheidung im Wesentlichen danach zu treffen ist, ob der Erwerber nur Rechte an einer Programmkopie für den eigenen Gebrauch erhält (dann Verkaufserlös nach Art. 7) oder er auch das Recht zur Vervielfältigung und zum Weitervertrieb erhält (dann urheberrechtliche Lizenz nach Art. 12). Werden Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen aus verschiedenen EU/ EWR-Mitgliedstaaten oder der Schweiz vereinbart, gelten besondere Regelungen (vgl. Rz. 295 f.).
436
In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen Art. 7 und 12 DBA vor allem bedeutsam, weil (i) sich Deutschland für Lizenzzahlungen in vielen DBA’s den Einbehalt von Quellensteuern vorbehalten hat7, (ii) bei Lizenzzahlungen, nicht aber beim Kauf von Programmkopien, der inländische Empfänger der Software einen pauschalen Steuerabzug von 15 % vornehmen muss8, und (iii) die Steuern auf Lizenzgebühren idR9 auf den Bruttobetrag berechnet werden, die der Unternehmensgewinne einer inländischen Betriebsstätte auf den Nettobetrag10.
437
Einstweilen frei.
VII. Checkliste 1. Vertrieb einzelner Softwarekopien 438
– Wem gehören die Rechte an der Software? – Urheberrecht insb.: Wurden die notwendigen Urheber-/Nutzungsrechte kraft Vertrag oder kraft Gesetzes (z.B. § 69b dtUrhG, Art. 17 schwURG) wirksam erworben? 1 Böhme-Neßler, FR 2001, 1089 (1091). 2 Nach BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142 käme § 49 Nr. 6 EStG in Betracht, nach Nr. 17.1, 17.3 der OECD-Kommentierung zum Muster-DBA wohl nur Art. 7. 3 Eine Begründung oder Ausdehnung der Steuerpflicht durch DBA ist ausgeschlossen, BFH v. 21.1.1981 – I R 153/77, BStBl. 1981 II, 517. 4 DBA Schweiz v. 11.8.1971, idF des Revisionsprotokolles v. 12.3.2002 (in Kraft seit 24.3.2002). 5 DBA Österreich v. 24.8.2000 (anzuwenden ab 1.1.2003). 6 DBA Liechtenstein v. 17.11.2011 (anzuwenden ab 19.12.2012). 7 Ausführlich zu Quellensteuern bei Überlassung von Standardsoftware Petersen, IStR 2013, 896 ff.; Backu, ITRB 2012, 188 ff. 8 Sog. „Steuerabzugsverfahren“ § 50a Abs. 2 EStG. BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, DStR 2001, 2065: keine Steuerpflicht bei Veräußerung. Der Einbehalt kann nur vermieden werden, wenn der Lizenzgeber vor Fälligkeit der Lizenzbeträge eine Freistellungsbescheinigung vom zuständigen BZSt erhalten hat, § 50d Abs. 2 EStG. 9 Soweit das neue „Reverse-Charge-Verfahren“ anzuwenden ist (vgl. Rz. 424), bleibt die Umsatzsteuer außer Betracht, vgl. Loschelder in Schmidt (Fn. 5 zu Rz. 433), § 50a Rz. 17. 10 Vogel/Lehner, DBA – Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Vor Art. 10–12 Rz. 32.
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Kennzeichenverträge
Rz. 440 Teil F
insb.: Enthält die Software Open Source Software, deren Lizenzen den gewünschten Vertrieb zulassen? – Patentrecht insb.: Wurden die Rechte an der Softwareerfindung erworben (insb. Inanspruchnahme der Erfindung nach dtArbEG)? – Markenrecht insb.: Wem stehen die Rechte am Titel des Programmes zu? – Für alle Schutzrechte: In welchen Ländern soll die Software vertrieben werden? Sind die Schutzrechte für sämtliche Länder erworben worden? – Unter welchem Vertragstyp sollen die Softwarekopien vertrieben werden? – Verkauf insb.: Gestaltung der Kaufpreiszahlung („Lizenzzahlung“) als „Einmalzahlung“ – Vermietung insb.: Zusätzlicher entgeltlicher Pflegevertrag kann den Gewährleistungspflichten des Vermieters widersprechen insb.: Vermietung von Software an Inländer ist steuerpflichtig, Verkauf aus dem Ausland ohne inländische Betriebsstätte nicht – Werkvertrag insb.: Werkvertrag kann ungewollt entstehen, wenn neben Lieferung der Software auch Anpassungen, Installation o.Ä. angeboten werden – Werklieferungsvertrag insb.: sollen neben dem Verkauf der Software umfangreiche Anpassungen der Software an die Kundenbedürfnisse, Customizing etc. erfolgen? – Soll Vertrieb auch Online (über Internet) erfolgen? insb.: Besondere Informationspflichten nach EU-Fernabsatzrichtlinie beachtet? insb.: umsatzsteuerliche Besonderheiten beachtet? – Sind die Verwendungsbeschränkungen zu Lasten des Erwerbers nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zulässig? – Weitergabeverbote – Weitergabebeschränkungen (z.B. OEM-Klausel, Schulversionen, Verbot der Lizenzaufspaltung) – CPU-Klauseln/Upgrade-Klauseln/Gebäudelizenz – Service-Büro-Klausel – Einzelplatz-/Netzwerknutzung – Kopierverbote – Änderungsverbote 2. Vollübertragung/-lizenzierung der Rechte an der Software – Rechte an der Software (wie oben beim Vertrieb einzelner Softwarekopien) – Checkliste im Übrigen wie für Lizenzverträge (s. oben Rz. 297)
439
Kapitel 4. Kennzeichenverträge Spezialliteratur zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Einleitung Nach der im deutschen Markengesetz verwendeten Terminologie ist das „Kennzeichen“ der Oberbegriff, der einerseits „Marken“ (1.), andererseits „sonstige Kennzei-
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Kennzeichenverträge
Rz. 440 Teil F
insb.: Enthält die Software Open Source Software, deren Lizenzen den gewünschten Vertrieb zulassen? – Patentrecht insb.: Wurden die Rechte an der Softwareerfindung erworben (insb. Inanspruchnahme der Erfindung nach dtArbEG)? – Markenrecht insb.: Wem stehen die Rechte am Titel des Programmes zu? – Für alle Schutzrechte: In welchen Ländern soll die Software vertrieben werden? Sind die Schutzrechte für sämtliche Länder erworben worden? – Unter welchem Vertragstyp sollen die Softwarekopien vertrieben werden? – Verkauf insb.: Gestaltung der Kaufpreiszahlung („Lizenzzahlung“) als „Einmalzahlung“ – Vermietung insb.: Zusätzlicher entgeltlicher Pflegevertrag kann den Gewährleistungspflichten des Vermieters widersprechen insb.: Vermietung von Software an Inländer ist steuerpflichtig, Verkauf aus dem Ausland ohne inländische Betriebsstätte nicht – Werkvertrag insb.: Werkvertrag kann ungewollt entstehen, wenn neben Lieferung der Software auch Anpassungen, Installation o.Ä. angeboten werden – Werklieferungsvertrag insb.: sollen neben dem Verkauf der Software umfangreiche Anpassungen der Software an die Kundenbedürfnisse, Customizing etc. erfolgen? – Soll Vertrieb auch Online (über Internet) erfolgen? insb.: Besondere Informationspflichten nach EU-Fernabsatzrichtlinie beachtet? insb.: umsatzsteuerliche Besonderheiten beachtet? – Sind die Verwendungsbeschränkungen zu Lasten des Erwerbers nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zulässig? – Weitergabeverbote – Weitergabebeschränkungen (z.B. OEM-Klausel, Schulversionen, Verbot der Lizenzaufspaltung) – CPU-Klauseln/Upgrade-Klauseln/Gebäudelizenz – Service-Büro-Klausel – Einzelplatz-/Netzwerknutzung – Kopierverbote – Änderungsverbote 2. Vollübertragung/-lizenzierung der Rechte an der Software – Rechte an der Software (wie oben beim Vertrieb einzelner Softwarekopien) – Checkliste im Übrigen wie für Lizenzverträge (s. oben Rz. 297)
439
Kapitel 4. Kennzeichenverträge Spezialliteratur zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Einleitung Nach der im deutschen Markengesetz verwendeten Terminologie ist das „Kennzeichen“ der Oberbegriff, der einerseits „Marken“ (1.), andererseits „sonstige Kennzei-
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440
Teil F Rz. 441
Handel mit geistigem Eigentum
chen“ (2.) umfasst. Daneben existiert noch Kennzeichenschutz außerhalb des Markengesetzes (3.). 1. Marken 441
Der früher verwendete Begriff des „Warenzeichens“ ist seit der Einführung des Markengesetzes in Deutschland nicht mehr gebräuchlich. Formal können Marken auf dreierlei Weise entstehen: durch Registereintragung, durch Erwerb von Verkehrsgeltung und Benutzung im geschäftlichen Verkehr als Marke sowie aufgrund „notorischer Bekanntheit“ der Marke (vgl. § 4 dtMarkenG). Die Entstehung von Marken und das Einräumen von Rechten an Marken setzt in Deutschland (anders als in der Schweiz, Art. 5 schwMSchG, und Österreich, § 2 Abs. 1 öMSchG) also nicht zwingend eine Registereintragung der Marke voraus.
442
Soweit eine Marke weder eingetragen ist noch (in Deutschland) Verkehrsgeltung erlangt hat, erwirbt man daher in Deutschland und Österreich durch die blosse Nutzung eines Kennzeichens keinen Markenschutz – musste also ein möglicher Erwerber einer eingetragenen Marke keine Vorkehrungen treffen, um sich gegen eine Weiternutzung desselben Kennzeichens durch Dritte abzusichern. In der Schweiz gibt es dagegen ein Vorbenutzungsrecht für solche dritten Nutzer und der EuGH1 hat ein – allerdings allein gegen bekannte Marken (Art. 5 Abs. 2 Markenrechtsrichtlinie 2008/95/EG, jetzt: Art. 10 Abs. 2 lit. c Markenrechtsrichtlinie 2015/2436) wirkendes – Vorbenutzungsrecht kürzlich ebenfalls anerkannt, das künftig in Deutschland und Österreich mit berücksichtigt werden muss2 (vgl. jetzt auch Art. 14 Abs. 3 Markenrechtsrichtlinie 2015/2436, die bis 14.1.2019 in nationales Recht umzusetzen ist).
443
Zu den Marken zählen auch die Kollektivmarken. Sie unterscheiden sich von den Individualmarken darin, dass Markeninhaber nicht eine Person ist, sondern ein rechtsfähiger Verband, dessen Mitglieder die Kollektivmarke entsprechend der Markensatzung nutzen dürfen (§§ 97 ff. dtMarkenG; Art. 22 schwMSchG; in Österreich „Verbandsmarken“, § 62 ff. öMSchG). Kollektivmarken sind wie Individualmarken übertragbar, vorausgesetzt, der Erwerber erfüllt in seiner Person die gesetzlichen Anforderungen nach § 98 dtMarkenG3. Lizenzen – auch an Nichtmitglieder – sind zulässig, wenn die Markensatzung die Lizenzierung gestattet; im Lizenzvertrag ist der Lizenznehmer dann zur Einhaltung der Markensatzung zu verpflichten. Vertragspartner ist – soweit nicht die Markensatzung abweichendes vorsieht – immer der Verband, nicht die Verbandsmitglieder. Alternativ erreicht man ein Benutzungsrecht durch Aufnahme in den Verband; ein Recht auf Aufnahme besteht allerdings nur bei geographischen Herkunftsangaben (§ 102 Abs. 3 dtMarkenG; § 63 Abs. 1 Satz 2 öMSchG) und ausnahmsweise nach § 20 Abs. 5 dtGWB. 2. Sonstige Kennzeichen
444
Die sonstigen Kennzeichen umfassen „geschäftliche Bezeichnungen“ und „geographische Herkunftsangaben“. a) Geschäftliche Bezeichnungen
445
Die geschäftlichen Bezeichnungen zerfallen in zwei Untergruppen, die „Unternehmenskennzeichen“ und die „Werktitel“. 1 EuGH v. 6.2.2014 – Rs. C-65/12, MarkenR 2014, 63 – De Vries/Red Bull. 2 Ausführlich Sosnitza, MarkenR 2014, 133 ff. 3 Fezer, § 97 Rz. 24.
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Kennzeichenverträge
Rz. 446 Teil F
Die Unternehmenskennzeichen (§ 5 Abs. 2 dtMarkenG; § 9 Abs. 1 öUWG; zur Schweiz Rz. 517) umfassen vor allem die Firma und sonstige besondere Bezeichnungen von Geschäftsbetrieben, sowie alle sonstigen Unterscheidungsmerkmale, die – ohne Namenscharakter zu haben – Hinweise auf ein bestimmtes Unternehmen geben (.z.B. Telefonnummern und Fernschreibkennungen1; Werbesprüche2; die charakteristische Architektur eines Geschäftslokals3; besondere Uniformen oder Trachten des Unternehmens). Der Schutz von Werktiteln (§ 5 Abs. 3 dtMarkenG; § 9 Abs. 1 öUWG) bezieht sich auf den Namen oder die sonstige besondere Bezeichnung von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken, insb. auch die Bezeichnung von Computersoftware4. Entgegen der früher hM, wonach der (ursprüngliche) Inhaber des Werktitelrechts der Schöpfer des Werkes ist, der (jetzige) Anspruchsteller daher eine ununterbrochene Rechtekette nachweisen musste, weist die Rechtsprechung das Recht am Werktitel nun dem zu, der ihn verwendet, also z.B. bei einem Zeitschriftentitel dem, der bei Herstellung und Vertrieb der Zeitung maßgeblich beteiligt ist5. Da Verwender in diesem Sinne auch mehrere Personen sein können (z.B. Autor, Herausgeber, Verlag), ist bei Übertragung und Lizenzierung darauf zu achten, sich Rechte von allen etwaigen Rechteinhabern zu sichern. Auch Internet-Domains können als Kennzeichen schutzfähig sein (s. dazu gesondert unter Rz. 449). b) Geographische Herkunftsangaben Geographische Herkunftsangaben sind die Namen von Orten, Gegenden, Gebieten oder Ländern sowie sonstige Angaben, die zur Kennzeichnung der geographischen Herkunft von Waren oder Dienstleistungen benutzt werden (§ 126 Abs. 1 dtMarkenG). Sie unterscheiden sich strukturell von den Marken, da sie nicht auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinweisen, werden aber im Markengesetz ebenfalls geschützt (§ 126 ff. dtMarkenG; Art. 47 schwMSchG; §§ 68 ff. öMSchG, sowie ergänzend in § 8 öUWG). Obwohl die geographischen Herkunftsangaben überwiegend als subjektive Vermögensrechte angesehen werden6, scheidet eine Übertragung oder Lizenzierung ihrer Natur nach aus – selbst wenn die Produktion unter Aufsicht des im Gebiet belegenen Unternehmens und unter Verwendung der vom Berechtigten zur Verfügung gestellten Rohstoffe erfolgt7. Da sie objektiv an die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Gebiet anknüpfen, nicht an eine bestimmte Person oder Unternehmen, ist vielmehr jede Person automatisch rechtmäßiger Benutzer der Herkunftsangabe, die durch die Herkunft ihrer Waren oder Dienstleistungen die Voraussetzungen zur Benutzung der Herkunftsangabe erfüllt. 1 BGH v. 18.12.1985 – I ZR 12/83, GRUR 1986, 475 (476) – Fernschreibkennung; BGH v. 30.1.1953 – I ZR 88/52, GRUR 1953, 290 – Fernsprechnummer. 2 KG v. 26.2.1980 – 5 U 2914/79, WRP 1980, 623 – Jägernummer. 3 BGH v. 28.1.1997 – I ZR 109/75, GRUR 1977, 615 – Gebäudefassade; EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-421/13, – Apple Flagship Store (zu deutschem Anteil einer IR-Marke). 4 BGH v. 24.4.1997 – I ZR 44/95, WRP 1997, 1184 – Power Point; BGH v. 24.4.1997 – I ZR 233/94, WRP 1997, 1181 – FTOS. Einen Grenzfall stellt Software dar, die fest in Hardware integriert ist. 5 BGH v. 23.1.2003 – I ZR 171/00, GRUR 2003, 440 = NJW 2003, 1869 = MarkenR 2003, 155 – Winnetous Rückkehr; KG v. 23.1.2004 – 5 U 314/03, GRUR-RR 2004, 137 (139) – Omen; Deutsch, MarkenR 2006, 185 (189); a.A. Fezer, § 15 Rz. 308: BGH-Urteil betreffe nur die Aktivlegitimation, nicht die Inhaberschaft. 6 Fezer, § 126 Rz. 4; Knaak, GRUR 1995, 103 (105); dagegen Gruber in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, Vorb. zu §§ 126–129 Rz. 3. 7 Allg.M.: BGH v. 28.6.2007 – I ZR 49/04, MarkenR 2007, 379 (384) – Cambridge Institute; Fezer, § 30 Rz. 58; Gruber in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, Vorb. zu §§ 126–129 Rz. 4; BGH v. 19.5.1965 – Ib ZR 36/63, GRUR 1965, 681 – de Paris.
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Brandi-Dohrn 621
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Teil F Rz. 447
Handel mit geistigem Eigentum
Wenn die geographische Herkunftsangabe zugleich als Kollektivmarke eingetragen ist, ist eine Übertragung und Lizenzierung an Dritte zulässig, soweit die Produkte des Dritten aus der benannten Region stammen (§ 127 dtMarkenG; Art. 27 schwMSchG). In diesem Fall kann der Erwerber allerdings zugleich die Aufnahme in den Verband beanspruchen (§ 102 Abs. 3 dtMarkenG) und die Verbandsmitglieder können ihm die Benutzung der Herkunftsangabe im geschäftlichen Verkehr nicht untersagen (§ 100 Abs. 1 dtMarkenG). Da in Deutschland streitig ist, ob der Dritte nach § 100 Abs. 1 dann auch berechtigt ist, die Kollektivmarke „als Marke“ zu benutzen, zudem eine „unnötig“ enge Anlehnung des Erwerbers an die besondere Ausgestaltung der Kollektivmarke schon als sittenwidrig nach § 100 Abs. 1 dtMarkenG angesehen wird1, kann eine Lizenz vor Aufnahme in den Verband uU dennoch von Nutzen sein. 3. Bürgerlich-rechtlicher Namensschutz 447
§ 12 dtBGB (§ 43 öABGB, § 9 öUWG; Art. 29 schwZGB) gewähren außerhalb des Markengesetzes Schutz gegen Beeinträchtigungen des Namens einer Person. Dieser Schutz gilt nach hM nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für Personenvereinigungen mit und ohne Rechtsfähigkeit2. Geschützt ist auch ein Pseudonym, soweit der Verwender unter diesem Namen im Verkehr bekannt ist, also Verkehrsgeltung besitzt3. Seit der Neuregelung des Kennzeichenrechts durch das Markengesetz kommt dem bürgerlich-rechtlichen Namensschutz in Deutschland nur noch eingeschränkte Bedeutung zu.
448
Ein Kennzeichen kann gleichzeitig oder nacheinander nach verschiedenen der obigen Kategorien Kennzeichenschutz erwerben. Zum Beispiel kann eine geschäftliche Bezeichnung nach § 5 Abs. 1 dtMarkenG bestehen, die später durch Eintragung der Bezeichnung im Markenregister auch als eingetragene Marke (nach § 4 Nr. 1 dtMarkenG) geschützt ist. Da eine eingetragene Marke keinen Vorrang vor der gleichlautenden älteren nicht eingetragenen geschäftlichen Bezeichnung genießt (Prinzip der Gleichwertigkeit aller Kennzeichenrechte), es vielmehr ausschließlich darauf ankommt, welches Kennzeichen zeitlich älter ist (Prioritätsgrundsatz)4, ist beim Handel mit Kennzeichenrechten darauf zu achten, ein Kennzeichen in allen seinen geschützten Formen zu erwerben. Ansonsten kann z.B. der Inhaber eines prioritätsälteren (nicht eingetragenen) Unternehmenskennzeichens die Benutzung einer erworbenen, aber nach Entstehung des Unternehmenskennzeichens eingetragenen Marke untersagen – mit den Einschränkungen der neuen EuGH-Rechtsprechung (s. Rz. 442) und bis zur Umsetzung des Art. 14 Abs. 3 Markenrechtsrichtlinie 2015/2436. 4. Domainnamen
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Durch die Registrierung einer Domain erwirbt dessen Inhaber nach h.M. kein absolutes Recht an dem Domain-Namen, sondern lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Registrierungsstelle auf Nutzung dieser Domain5. Davon strikt zu trennen ist die Frage, inwieweit dem Domain-Namen aufgrund seiner Zeichenfolge neben diesem schuldrechtlichen Anspruch auch ein gegenüber jedem Dritten wirkender Kennzeichenschutz zukommen kann. Das hängt naturgemäß davon ab, welche Zeichenfolge der Anmeldende wählt. In der Rechtsprechung ist heute weit1 Dagegen Fezer, § 100 Rz. 2; dafür Gruber in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 100 Rz. 3; Ingerl/Rohnke, § 100 Rz. 5. 2 BGH v. 30.3.1953 – IV ZR 176/52, GRUR 1953, 446 – Verein der Steuerberater; BGH v. 8.12.1953 – I ZR 199/52, GRUR 1953, 195 = BGHZ 11, 214 – KfA. 3 BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, WM 2004, 32 (33) – maxem.de. 4 öOGH v. 24.6.2003 – 4 Ob 117/03i – computerdoktor.com. Dieser Grundsatz wird spätestens ab 15.1.2019 durch Art. 14 Abs. 3 Markenrechtsrichtlinie 2015/2436 aufgeweicht werden. 5 BGH v. 17.5.2001 – I ZR 216/99, GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de.
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Kennzeichenverträge
Rz. 450 Teil F
gehend anerkannt, dass Domain-Namen Kennzeichnungsfunktion zukommen kann1, sie also nicht bloße Adressen (ähnlich einer Telefon- oder Fernsprechnummer) sind2. Damit können Domains in Deutschland nicht erst bei Verkehrsgeltung Schutz als Kennzeichen genießen, sondern schon mit Benutzungsaufnahme, soweit die konkrete Zeichenfolge nach § 12 BGB3, als Unternehmenskennzeichen4 oder als Werktitel5 schutzfähig ist. Die nunmehrige Rechtsprechung in Deutschland sieht die Registrierung der Domain als Verletzung des Namens (§ 12 BGB) Dritter an6, während Marken und sonstige Kennzeichenrechte Dritter durch eine Domain in der Regel erst durch Benutzung der Domain im Internet verletzt werden, da insoweit eine kennzeichenmäßige Benutzung verlangt wird7. In Österreich gilt die Registrierung der Domain als ausreichende Vorbereitungshandlung für die Benutzungsaufnahme8, während in der Schweiz zum Teil ebenfalls die tatsächliche Benutzung im Internet als notwendig angesehen wird9. Wird die Domain als Werktitel geschützt, soll mit einer Titelschutzanzeige der maßgebliche Zeitpunkt zur Benutzungsaufnahme vorverlegt werden können10.
II. Übertragung von Kennzeichen 1. Allgemeines Nach § 27 dtMarkenG können angemeldete, eingetragene sowie durch Benutzung erworbene Marken durch Abtretung übertragen werden – auch ohne das zugehörige Unternehmen11. Umgekehrt umfasst die Übertragung eines Unternehmens im Zweifel 1 Wüstenberg, GRUR 2003, 109 (110); OLG Hamburg v. 5.11.1998 – 3 U 130/98, CR 1999, 184 – Emergency; BGH v. 19.2.2009 – I ZR 135/06, GRUR 2009, 685 (687) – ahd.de; für Österreich öOGH v. 20.8.2002 – 4 Ob 101/02k, WBl 2003, 45 – inet.at; für Liechtenstein fürstl. OGH v. 8.6.2000 – 6 Cg 45/00–17, LES 2000, 208 (210) – eschen.li; für Schweiz schwBG v. 21.1.2005 – 4C. 376/2004 – maggi.com. 2 Vor allem die frühere Literatur, vgl. zum Meinungsstand Kur, CR 1996, 325; Hoeren, CR 1996, 355; Bettinger, GRUR Int. 1997, 402; Fezer, WRP 2000, 669. 3 Wüstenberg, GRUR 2003, 109 ff.; BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, WM 2004, 32 (33) – maxem.de. 4 Ingerl/Rohnke, Nach § 15 Rz. 121; BGH v. 22.7.2004 – I ZR 135/01, NJW 2005, 1198 = GRUR 2005, 262 = CR 2005, 284 – soco.de; KG v. 4.4.2003 – 5 U 335/02, NJW-RR 2003, 1405 = CR 2004, 301 (303) – arena-berlin.de; öOGH v. 24.6.2003 – 4 Ob 117/03i, – computerdoktor.com. 5 Werktitelschutz setzt Unterscheidungskraft voraus, BGH v. 14.5.2009 – I ZR 231/06, CR 2009, 801 – airdsl.de. Zudem muss der Inhalt der Webseite die für einen Titelschutz erforderliche Werkqualität aufweisen, Gruber in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, Anhang zu § 5 Rz. 7. OLG München v. 20.10.2005 – 29 U 2129/05, CR 2006, 414 = GRUR 2006, 686 (687) – Österreich.de. 6 BGH v. 9.9.2004 – I ZR 65/02, MarkenR 2005, 185 – mho.de; BGH v. 26.6.2003 – I ZR 296/00, CR 2003, 845 – maxem.de. 7 BGH v. 5.2.2009 – I ZR 167/06, GRUR 2009, 485 (489, Rz. 64) – metrobus; BGH v. 19.7.2007 – I ZR 137/04, MarkenR 2007, 390 – Euro Telekom; Gruber in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, Anhang zu § 5 Rz. 20. 8 OGH v. 20.5.2003 – 4 Ob 103/03, MR 2004, 67 = ÖBl. 2003, 241 – centro-hotel.com. Die Konnektierung der Domain auf einem Domain-Name-Server als Vorstufe der Registrierung bei der Registrierungsstelle ist aber noch kein Benutzen, OLG Hamburg v. 17.2.2003 – 3 U 7/01, – nimm2.com. 9 GK Bern v. 15.3.1999, sic! 2000, 24 – artprotect.ch. 10 OLG Dresden v. 29.9.1998 – 14 U 433/98, CR 1999, 102 – dresden-online.de. Ob das nach BGH v. 14.5.2009 – I ZR 231/06, CR 2009, 801 = GRUR 2009, 1055 – airdsl.de weiter gilt, ist allerdings fraglich, da dort als Schutzvoraussetzung zumindest eine „weitgehende Fertigstellung“ der Webseite verlangt wurde. 11 Das gilt wegen Art. 21 TRIPS nunmehr für die nationalen Marken aller EU-Staaten, die Unionsmarke (Art. 17 Abs. 1 GMVO = Art. 17 Abs. 1 UMVO) und die schweizerischen Marken, vgl. hierzu Fezer, § 27 Rz. 6. Die vor dem 1.5.1992 erfolgten Leerübertragungen deutscher Marken wurden durch die Gesetzesänderung aber nicht geheilt, vgl. M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 27 Rz. 13 m.w.N.
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Teil F Rz. 451
Handel mit geistigem Eigentum
auch dessen Marken1. Ein gutgläubiger Erwerb deutscher Marken ist nicht möglich. Sicherungsübereignung und Verpfändung sind möglich2. Zur Vertragsgestaltung nach Ablauf der Benutzungsschonfrist Rz. 67. 451
Die Übertragung von Unternehmenskennzeichen und Werktiteln richtet sich nicht nach § 27 dtMarkenG, sodass insb. unklar ist, inwieweit diese Kennzeichen nur zusammen mit dem Geschäftsbetrieb übertragen werden können. Sicher ist das nur für den Namen3 und die Firma (§ 23 dtHGB = § 23 öUGB), so dass z.B. unzulässig ist, die Firma mit einem Teil des Betriebes auf einen Dritten zu übertragen und sie zugleich im Altbetrieb weiter zu nutzen4. Aufgrund dieser gesetzlichen Festlegung ist in der Folge streitig, ob eine – mit der Firma identische – eingetragene Marke dennoch frei übertragen werden kann – mit der Folge eines Auseinanderfallens der Berechtigten5. Sonstige Unternehmenskennzeichen können nach hM ebenfalls nur mit dem Geschäftsbetrieb zusammen übertragen werden6. Wird also eine Marke zulässigerweise ohne den Geschäftsbetrieb abgetreten, verbleibt die gleichlautende Geschäftsbezeichnung dennoch beim Übertragenden; es muss vertraglich vereinbart werden, ob der Übertragende die Geschäftsbezeichnung noch nutzen darf7. Werktitel gehen mangels abweichender Vereinbarung beim Übertragen des Werkes mit über. Umstritten ist, ob sie umgekehrt auch ohne das zugehörige Werk übertragen werden können – die noch hM in Deutschland verneint das auch unter dem neuen Markengesetz, da eine entsprechende Formulierung im Referentenentwurf nicht in das Gesetz übernommen wurde8. Diese Argumentation ist aber zweifelhaft, da nach § 413 BGB Rechte im Allgemeinen frei übertragbar sind, es daher einer ausdrücklichen abweichenden Regelung im Markengesetz als lex specialis bedurft hätte, um dieses Recht einzuschränken. 2. Form, Eintragung
452
Die Übertragung deutscher und österreichischer Marken ist formlos möglich – auch wenn das der Abtretung zugrunde liegende Geschäft formbedürftig sein sollte. Die Übertragung schweizerischer Marken bedarf der Schriftform (Art. 17 Abs. 2 S. 1 schwMSchG). Die Übertragung von Gemeinschaftsmarken bedarf der Schriftform, soweit die Marke nicht in Folge einer Unternehmensübertragung mit übergeht (Art. 17 1 Ebenso Österreich (§ 11 Abs. 1 Satz 2 öMSchG); Schweiz (Art. 17 Abs. 4 schwMSchG); Unionsmarken (Art. 17 Abs. 2 GMVO = Art. 17 Abs. 2 UMVO – soweit sich nicht aus dem anwendbaren Recht etwas Anderes ergibt). 2 Klawitter/Hombrecher, WM 2004, 1213 (1218). 3 BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, GRUR 1993, 151 = BB 1992, 2381 – Universitätsemblem. 4 BGH v. 22.11.1990 – I ZR 14/89, GRUR 1991, 393 (394) = WRP 1991, 222 – Ott International; a.A. (für freie Übertragbarkeit der Firma) Pahlow, GRUR 2005 705 (711). 5 Dafür Ingerl/Rohnke, Vor §§ 27–31 Rz. 8; Pahlow, GRUR 2005, 705 (710); dagegen M. BrandiDohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 27 Rz. 6. 6 BGH v. 15.6.1956 – I ZR 71/54, BGHZ 21, 66 = GRUR 1957, 25 – Hausbücherei; OLG Düsseldorf v. 13.3.2001 – 20 U 145/00, NJW-RR 2003, 106 (108) – START; BGH v. 2.5.2002 – I ZR 300/99, GRUR 2002, 972 = LM § 5 MarkenG 2/02 – FROMMIA; Fezer, § 15, Rz. 184; Lehmann in FS Beier, 1996, S. 279 (285); Ingerl/Rohnke, Vor §§ 27–31, Rz. 6; dagegen: dies., NJW 1994, 1247 f.; Ahrens, GRUR 1995, 635 (638). 7 Vgl. z.B. BGH v. 22.11.1990 – I ZR 14/89, GRUR 1991, 393 (394) = WRP 1991, 222 – Ott International. 8 Starck, WRP 1994, 698 (701); Teplitzky, AfP 1997, 450 (453); Deutsch, GRUR 2000, 126 (129); Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl. 2014, § 27 Rz. 74; für freie Übertragbarkeit dagegen: Ingerl/Rohnke, Vor §§ 27–31 Rz. 7; M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 27 Rz. 7; Fezer, § 15 Rz. 334; Schricker in FS Vieregge, 1995, S. 775 (788); Lehmann in FS Beier, 1996, S. 279 (285); vermittelnd Fuchs, GRUR 1999, 460 (467); offen gelassen in BGH v. 15.6. 1988 – I ZR 211/86, GRUR 1990, 218 (220) – Verschenktexte I.
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Kennzeichenverträge
Rz. 455 Teil F
Abs. 3 GMVO = Art. 17 Abs. 3 UMVO)1. Für die Übertragung von IR-Marken ist zwingend das Formular MM 5 der WIPO zu verwenden. In Mitgliedstaaten des TLT/STLT dürfen keine formalen Anforderungen an die Übertragung der Marke gestellt werden, die über die Anforderungen des TLT/STLT hinausgehen (s. oben Rz. 83). Für die Eintragung nationaler Marken im Register ist der Behörde der Rechtsübergang nachzuweisen. Dafür genügt in Deutschland und der Schweiz eine schriftliche Umschreibungsbewilligung des Übertragenden (vgl. im Einzelnen §§ 64 ff. dtMarkenV; Art. 28 schwMSchV und unten Rz. 519)2. Für österreichische Marken bedarf es der Vorlage einer beglaubigten Urkunde (§ 28 Abs. 1 öMSchG); das muss sich mit In-KraftTreten des TLT in Österreich ändern, der nur einfache Schriftform zulässt. Die Eintragung von Verpfändungen oder Sicherungsübereignungen ist möglich (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 dtMarkenG; § 28 öMSchG; Art. 19 schwMSchG)3. 3. Rechtswirkung der Umschreibung Die Umschreibung ist sowohl für deutsche wie für österreichische Marken (§ 27 Abs. 3 dtMarkenG; § 11 Abs. 3 öMSchG) wie für die entsprechenden IR-Marken nur deklaratorisch4; die Eintragung begründet auch keinen öffentlichen Glauben an die Richtigkeit des Registers oder die Rechtsinhaberschaft des Eingetragenen. Nach § 28 dtMarkenG wird allerdings vermutet, dass die Marke dem Eingetragenen zusteht; der Rechtsnachfolger ist für Verfahren in Deutschland schon ab Zugang des Umschreibungsantrages beim DPMA (bei IR-Marken: ab Zugang beim Register des Ursprungslandes)5 legitimiert, in Österreich ab Umschreibung.
453
Die Übertragung schweizerischer Marken ist gutgläubigen Dritten gegenüber erst mit Registereintragung wirksam (Art. 17 Abs. 2 Satz 2 schwMSchG). Nach hM ist auch bei Unionsmarken die Umschreibung nicht konstitutiv6. Anders als im deutschen Markenrecht ist jedoch ein gutgläubiger Erwerb der Unionsmarke vom Eingetragenen möglich, da der Erwerber sich auf die fehlende Eintragung eines evtl. Vorerwerbers verlassen darf (Art. 23 Abs. 1, 2 GMVO = Art. 23 Abs. 1, 2 UMVO). Anders als bei deutschen Marken kann der Erwerber – bis auf fristwahrende Erklärungen gegenüber dem AEUGE (früher: HABM) – auch erst ab Eintragung seine Rechte aus der Unionsmarke geltend machen (Art. 17 Abs. 6 GMVO = Art. 17 Abs. 6 UMVO).
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4. Einschränkungen der Übertragbarkeit a) Täuschende Übertragung Denkbar ist, dass die Übertragung der Marke zu einer Täuschung des Rechtsverkehrs führt, z.B. geographische Herkunftsangaben, die an Ortsfremde übertragen werden, oder die Übertragung einer bekannten Qualitätsbezeichnung. In Deutschland ist dieser Fall nicht ausdrücklich geregelt, nach der Rechtsprechung sind solche Übertragungen nach § 5 dtUWG, § 134 dtBGB nichtig, soweit (i) der Verkehr in einer bestimmten Gütevorstellung getäuscht wird und (ii) die Täuschung nicht durch entsprechende klar1 Dabei sind beiderseitige Unterschriften auf einer Urkunde erforderlich, nicht nur eine Bewilligung des Übertragenden oder ein Briefwechsel mit Unterschrift auf verschiedenen Urkunden; vgl. zur Parallelvorschrift Art. 72 EPÜ: BGH v. 23.6.1992 – X ZR 98/90, GRUR 1992, 692 – Magazinbildwerfer; v. Mühlendahl/Ohlgart, § 9 Rz. 11. 2 Der notariellen Beglaubigung bedarf es nicht, vgl. Mitt. DPMA 22/96. 3 Klawitter/Hombrecher, WM 2004, 1213 (1218). 4 BGH v. 7.6.1955 – I ZR 64/53, GRUR 1955, 575 – Hückel. 5 M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 28 Rz. 7. 6 Vgl. v. Mühlendahl/Ohlgart, § 9 Rz. 13; Schennen in Eisenführ/Schennen, GMV, 4. Aufl. 2014, Art. 17 Rz. 2; a.A. McGuire, GRUR 2008, 11 (17).
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455
Teil F Rz. 456
Handel mit geistigem Eigentum
stellende Zusätze beseitigt wird1. In der Schweiz kann die Irreführung ebenfalls zur Nichtigkeit führen (vgl. Rz. 518), in Österreich kommt die Zurückweisung durch das Amt in Betracht (§ 11 Abs. 2 öMSchG). Auch bei Unionsmarken kann das HABM Umschreibungsanträge solcher Marken zurückweisen (Art. 17 Abs. 4 GMVO = Art. 17 Abs. 5c UMVO). b) Teilübertragung 456
Deutsche, schweizerische und österreichische Marken können nach Waren/Dienstleistungen geteilt übertragen werden (Art. 17a schwMSchG; § 27 Abs. 1 dtMarkenG), in Österreich allerdings nicht, wenn die Aufteilung zu einander ähnlichen Warengruppen führt (§ 11 Abs. 2 öMSchG). Vorsicht ist allerdings geboten, wenn die Marke zugleich Basismarke für IR-Marken ist, s. Rz. 459; zum Risiko der Schwächung der Marke bei Nutzung durch mehrere Unternehmen s. unten Rz. 506. Beide Marken haben dann den gleichen Zeitrang, sodass der Übertragende gegen den anderen Markeninhaber keine Rechtsverletzung geltend machen kann. Eine territoriale Teilung, also die Übertragung nur für Teile des Bundesgebietes, ist nicht möglich (ebenso § 11 Abs. 1 öMSchG; Art. 17 Abs. 1 schwMSchG). Hier hilft nur die Einräumung einer Lizenz.
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IR-Marken können nach Waren/Dienstleistungen geteilt übertragen werden sowie nach einzelnen Ländern (9ter Abs. 3 MMA). Bei einer Aufteilung nach Ländern kann sich jeder Inhaber – nach neuerer Rechtsprechung des EuGH – auch Importen aus anderen EG-Staaten widersetzen2; insoweit ist also eine Marktaufteilung innerhalb der EU möglich (soweit keine kartellrechtswidrigen Absprachen bestehen).
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Unionsmarken können nunmehr auch geteilt werden, wenn die Teilmarken in der Hand desselben Inhabers verbleiben (Artt. 17 Abs. 1, 44, 49 UMVO), in keinem Fall aber territorial, also für einzelne Mitgliedstaaten, sondern nur nach Waren/Dienstleistungen. Die Waren/Dienstleistungen der jeweiligen Marken dürfen sich dabei nicht überschneiden. Soweit die Voraussetzungen des Art. 112 Abs. 1 UMVO vorliegen, kann der Markeninhaber allerdings durch Umwandlung der Unionsmarke in nationale Markenanmeldungen indirekt eine territoriale Teilübertragung wie bei IR-Marken herbeiführen. c) Sonderfragen der IR-Marke
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Deutsche, österreichische und schweizerische Marken können von jedermann angemeldet werden. Markeninhaber einer IR-Marke kann dagegen nur ein Verbandsangehöriger sein. Daher wird die Übertragung einer Marke auf den Angehörigen eines Nichtverbandstaates nicht im Register eingetragen; die Behörde des Ursprungslandes kann vom Internationalen Büro die Löschung der Marke verlangen (Art. 9bis Abs. 2, 3 MMA, Art. 9 MMP). Ob die Übertragung selbst unwirksam ist, die Marke also beim Verkäufer verbleibt3, ob die Marke erlischt4 oder der Erwerber lediglich seine Rechte mangels Eintragung gegenüber der Registerbehörde nicht verfolgen kann5, richtet sich – da das MMA/MMP hierzu keine abschließenden Bestimmungen trifft – nach den Vorschriften des Landes, für dessen Territorium die IR-Marke übertragen werden 1 BGH v. 28.2.2002 – I ZR 195/99, GRUR 2002, 703 ff. – Vossius & Partner; BGH v. 12.1.1966 – Ib ZR 5/64, GRUR 1966, 375 – Meßmertee II; Starck, WRP 1994, 700. 2 EuGH v. 22.6.1994 – Rs. C 9/93, GRUR Int. 1994, 614 (617) (Ziff. 41, 57) – Ideal-Standard II; vgl. auch Niehues, S. 283 ff. 3 Fezer, Art. 9bis MMA Rz. 5; Wiezcorek, GRUR Int. 1974, 421; wohl auch Hug, GRUR Int. 1965, 604 (606). 4 So span. Tribunal Supremo v. 27.6.1973, GRUR Int. 1974, 419 – Suprax mit abl. Anm. Wiezcorek. 5 Cour Cass. v. 28.3.1966, GRUR Int. 1968, 290 – Sombrero; Busse/Starck, Art. 9bis MMA, Rz. 5.
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Kennzeichenverträge
Rz. 464 Teil F
soll1; bei der Auslegung sind allerdings die Wertungen des MMA/MMP zu beachten. Für Deutschland ist die Frage streitig, die wohl hM betrachtet die Übertragung aber als unwirksam2. Da nach § 139 dtBGB bei Teilnichtigkeit eines Vertrages im Zweifel Nichtigkeit insgesamt anzunehmen ist, kann die Übertragung (auch) einer IR-Marke den Gesamtvertrag zu Fall bringen. Streitig ist auch, welche Auswirkung die Abhängigkeit der IR-Marke von der nationalen Basismarke hat (Art. 6 Abs. 2, 3 MMA). Nach wohl hM soll bei Übertragung der nationalen Basismarke die IR-Marke, solange sie noch abhängig ist, ohne weiteres mit übergehen3. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, da sie mit dem Grundsatz kollidiert, dass die Übertragung von IR-Marken auf Nichtverbandsstaaten unwirksam ist. Nach der hM führt z.B. die Übertragung der deutschen Marke eines deutschen Unternehmens auf eine kanadische Muttergesellschaft dazu, dass die IR-Marke zwar automatisch mit übergehen, der Übergang aber andererseits unwirksam sein soll. Diese Unwirksamkeit ergriffe dann wiederum im Zweifel auch die Abtretung der deutschen Basismarke (§ 139 BGB).
460
Nach umstrittener DPMA-Praxis (s. Rz. 79) soll der IR-Marke (für Deutschland) die Priorität einer parallelen älteren deutschen Marke zustehen. Ist die deutsche Paralleleintragung gelöscht, kann diese Priorität noch aus dem Register der IR-Marke zu ersehen sein (Regel 21 Abs. 1 iii, Abs. 2 GA MMA/MMP).
461
Bei der Teilübertragung einer nationalen Marke, die zugleich Basismarke einer IRMarke ist, können die übrigen Verbandsstaaten die Gültigkeit der Übertragung insoweit ablehnen, als die verbliebenen Waren mit den übertragenen gleichartig sind (Art. 9ter MMA). Die Teilung einer deutschen Marke, bei der die Teilung auch in einander ähnliche Waren/Dienstleistungen zulässig ist, kann also dazu führen, dass der IRMarke der nationale Schutz versagt wird.
462
Werden IR-Marken als Kreditsicherheit eingesetzt, ist eine Verpfändung grundsätzlich möglich (soweit das nationale Recht sie jeweils kennt) und kann als belastendes Recht auch bei der WIPO im Register eingetragen werden (Formular MM 19). Die in Deutschland vorherrschende Sicherungsübereignung ist dagegen zu behandeln wie eine Markenübertragung, kann also wirksam nur an Verbandsangehörige erfolgen. Das ist zum Zeitpunkt der Vertragserstellung häufig noch nicht mit Sicherheit festzustellen, da bei Kreditgeberkonsortien die Sicherungsnehmer häufig erst später beitreten. Von Sicherungsübereignungen ist daher abzuraten.
463
d) Telle-quelle-Marke (Art. 6quinquies PVÜ) Gemäß Art. 6quinquies A) Abs. 1 PVÜ ist eine im Ursprungsland eingetragene Marke – ungeachtet sonstiger nationaler Eintragungsvoraussetzungen in den Verbandsstaaten des TRIPS und der PVÜ – einzutragen, soweit keiner der in Art. 6quinquies B) PVÜ ge1 BGH v. 7.6.1955 – I ZR 64/53, GRUR 1955, 575 – Hückel; BGH v. 21.1.2010 – I ZR 206/07, MarkenR 2010, 324 – DiSC; öOGH v. 25.4.1995 – 4 Ob 3/95, GRUR Int. 1996, 1234 – Wirobit; CA Paris v. 25.6.1958, GRUR Int. 1960, 71 – koh-i-noor; a.A. Hamburger, GRUR Int. 1961, 224 f., der jedoch die Grenze der Inländerbehandlung nach Art. 2 PVÜ verkennt, wenn er Angehörigen von Nicht-MMA-Staaten, die der PVÜ angehören, den Status von MMA-Verbandsstaaten zuerkennen will. Noch anders OLG Stuttgart v. 23.10.1998 – 2 U 40/98, NJWE-WettbR 1999, 260 – ZILGREI: Wirksamkeit muss nach dem Recht beider Vertragsstaaten, dessen Angehörige an der Übertragung beteiligt sind, vorliegen. 2 Fezer, Art. 9bis MMA Rz. 5; offen lassend M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 27 Rz. 20. 3 Fezer, Art. 9bis MMA Rz. 2; Hug, GRUR Int. 1965, 604 (605); Miosga, zu Art. 9bis MMA, S. 302; a.A. M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 27 Rz. 13; unklar liecht. OGH v. 17.6.1991, GRUR Int. 1992, 396.
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Teil F Rz. 465
Handel mit geistigem Eigentum
nannten Versagungsgründe vorliegt. Art. 6quinquies A) Abs. 2 PVÜ stellt für den Begriff des „Ursprungslandes“ auf den Hinterleger ab. Überträgt der (ausländische) Hinterleger seine (ausländische) Ursprungsmarke auf einen Deutschen, so ist unklar, ob dieser sich für eine nachfolgende deutsche Markenanmeldung noch auf Art. 6quinquies PVÜ berufen kann. Denn als Inländer gilt für ihn die PVÜ im Rahmen der Anmeldung einer deutschen Marke nicht. Die Frage ist lediglich gelöst für den Fall der IR-Marke1. e) Sonderfragen der Unionsmarke 465
Art. 5 Abs. 1 UMVO legt die berechtigten Inhaber von Unionsmarken fest. Inhaber können seit dem 10.3.2004 alle natürlichen oder juristischen Personen sein2. Für Übertragungen vor diesem Zeitpunkt gilt: Ähnlich wie bei IR-Marken legte Regel 31 Abs. 3 GM-DVO fest, dass die Übertragung einer Unionsmarke auf einen Nichtberechtigten nicht ins Register eingetragen wurde. Da Art. 23 Abs. 1 UMVO auch die materiellen Konsequenzen der Abtretung an die Registereintragung knüpft, dürfte die Übertragung auf einen (nach altem Recht) Nichtberechtigten3 unwirksam gewesen sein, die Unionsmarke war also beim ursprünglichen Inhaber verblieben und müsste noch einmal übertragen werden.
466
Geht die Unionsmarke im Rahmen einer Unternehmensübertragung über, so soll Art. 23 Abs. 1 „nicht anzuwenden“ sein (vgl. Art. 23 Abs. 2 UMVO). Es soll also die Übertragung der Marke wirksam sein unabhängig von ihrer Eintragung in das Register. Die Situation ist dann mit der bei IR-Marken vergleichbar. Anders als bei IR-Marken richtet sich die Wirksamkeit der Übertragung der Unionsmarke jedoch nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht, vielmehr ist die Frage – da die UMVO den Themenkomplex in Art. 23 Abs. 1 UMVO regelt – autonom, d.h. aus der UMVO heraus zu lösen. Wurde vor dem 10.3.2004 ein Unternehmen auf einen nach altem Recht Nichtberechtigten übertragen, war die Unionsmarke nicht auf den Erwerber übergegangen (analog Art. 51 Abs. 1 lit. a GMVO aF, wonach Unionsmarken für nichtig zu erklären waren, wenn sie entgegen Art. 5 für einen Nichtberechtigten eingetragen worden waren). Auch hier dürfte durch die Änderung von Art. 5 die ursprünglich unwirksame Übertragung nicht automatisch nachträglich wirksam geworden sein, sondern bedürfte einer ausdrücklichen Bestätigung seitens der Parteien.
467
Einstweilen frei. f) Bürgerlicher Name (§ 12 dtBGB; § 43 öABGB)
468
Das Recht am bürgerlichen Namen ist nicht übertragbar4. Ist der bürgerliche Name zugleich Marke oder Firma, muss sich der Erwerber der Marke/Firma explizit auch ein Recht einräumen lassen, den bürgerlichen Namen führen zu dürfen5. 1 Art. 6 Abs. 3 MMA legt seit der Nizzaer Fassung fest, dass das „Ursprungsland“ gleich bleibt, unabhängig von späteren Übertragungen der IR-Marke. 2 EG-VO Nr. 422/2004 des Rates v. 19.2.2004, ABl. EG Nr. L 70, S. 1. 3 Das betraf die Angehörigen von Afghanistan, Anguilla, Bermudas, Bhutan (bis 4.8.2000), British Virgin Islands, Kanalinseln, Kapverden, Komoren, Eritrea, Äthiopien, die brit. Territorien im Indischen Ozean, Kiribati, Marschall Inseln, Mikronesien, Montserrat, Nepal (bis 22.6.2001), Pitcairn Inseln, Palau, Polynesien, Samoa, Saudi-Arabien (bis 11.3.2004), St. Helena, Seychellen (bis 7.11.2002), Somalia, Tonga (bis 14.6.2001), Turk Inseln, Tuvalu, Vanuatu, Jemen, Sandwich Inseln. Für Taiwan (ABl. EG Nr. C 335, S. 3 v. 9.11.1996), Andorra (ab 1.4.1996, ABl. EG Nr. C 359, S. 31 v. 11.12.1999) und die Cayman Islands (ab 14.4.1998, ABl. EG Nr. C 149 v. 19.5.2001) ist Gegenseitigkeit verbürgt, also eine Inhaberschaft zulässig. 4 Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl. 2015, § 12, Rz. 16; Säcker in MünchKomm/BGB, Allg. Teil, 6. Aufl. 2012, § 12 Rz 76; Koos, GRUR 2004, 808 (810); öOGH v. 15.6.2000 – 4 Ob 85/00d, JBl. 2001, 54 – Radetzki. 5 BGH v. 8.2.1996 – I ZR 216/93, GRUR 1996, 422 – J.C.Winter.
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Kennzeichenverträge
Rz. 470 Teil F
In der Insolvenz ist nach deutscher Rechtsauffassung der Kauf solcher Kennzeichen nur gestattet, wenn der Namensträger nach den gesetzlichen Bestimmungen zwischen einer Personen- und einer Sachfirma wählen konnte1. Ob diese Rechtsprechung aufrecht erhalten werden kann, seitdem §§ 18, 19 dtHGB neugefasst wurden, ist umstritten2. In Österreich bedarf nach umstrittener Rechtsprechung die Übertragung des Namens zusammen mit dem insolventen Unternehmen an einen Käufer nicht der Zustimmung des Namensträgers3.
III. Übertragung von Domains 1. Allgemeines Bei der Übertragung4 von Domains ist zwischen dem schuldrechtlichen Anspruch gegenüber der Registrierungsstelle (Registry, z.B. DENIC) und den jeweiligen Kennzeichenrechten zu unterscheiden:
469
Der schuldrechtliche Anspruch gegen die Registrierungsstelle auf Nutzung einer Domain kann nur mit ihrer Zustimmung übertragen werden. Ob und unter welchen Bedingungen diese Zustimmung erteilt wird, richtet sich nach den Bedingungen der jeweiligen Registrierungsstelle, die diese unaufgefordert zur Verfügung stellen muss5. Zu trennen ist hiervon der vom neuen Inhaber häufig zugleich gewünschte Wechsel der Domain vom bisherigen Domain-Provider (Registrar) zu einem neuen. Für solche Registrar-Wechsel hat die ICANN abschließend festgelegt, (i) unter welchen Voraussetzungen der bisherige Registrar eine Übertragung verweigern und (ii) welche formellen Anforderungen der neue Registrar maximal stellen darf6. Angesichts der Praxis mancher Registrare, vor Übertragung auf einen neuen Registrar den neuen Inhaber noch zum Abschluß eines Registrierungs-Vertrages (und Zahlung überrissener Gebühren) zu nötigen, hat die ICANN nunmehr derartige Verlangen explizit untersagt7. Der neue Inhaber kann jetzt die Registrierung als neuer Inhaber beim bisherigen Registrar ohne Vertragsschluß verlangen und anschließend die Übertragung der Domain auf einen ihm genehmen neuen Registrar. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf dabei die Behandlung von „Wartelisten-“ und „Dispute-Einträgen“ durch den Registrar, die bewirken können, dass eine Übertragung der Domain nicht möglich ist und bei Freigabe statt des gewünschten Erwerbers ein in der Warteliste der Registrierungsstelle eingetragener Dritter die Domain erhält. „.de“-Domains können frei übertragen werden, nach § 6 Abs. 2 der DENIC-Domainbedingungen8 aber nicht im Wege des Vertragsüberganges, sondern durch Kündigung des 1 Vgl. einerseits BGH v. 26.2.1960 – I ZR 159/58, GRUR 1960, 490 – Vogeler, andererseits BGH v. 14.12.1989 – I ZR 17/88, GRUR 1990, 601 – Benner. 2 Dagegen die wohl h.L: Säcker (Fn. 4 zu Rz. 468), § 12 BGB, Rz. 92; Schultze, DZWiR 2005, 56; Steinbeck, NZG 1999, 133 (138); Koos, GRUR 2004, 808 (809); dafür: Schmitt, WiB 1997, 1116 (1119). 3 OGH v. 16.1.2001 – 4 Ob 311/00i, EvBl. 2001, 126 = ÖBl. 2002, 240 – P-Kunstblumen; ReichRohrwig, GmbH-Recht, 2. Aufl., S. 663; a.A.: Aicher in Rummel, ABGB, § 43 Rz. 15; Buchegger in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht I, 4. Aufl. 2000, § 1 Rz. 83; Fromherz in Jabornegg/Artmann, Kommentar zum UGB, 2. Aufl. 2010, § 22 Rz. 15; wie in Deutschland Hämmerle/Wünsch, Handelsrecht, 4. Aufl. 1990, S. 259. 4 Ausführlich zu Domains als Vermögenswerten in Kauf, Lizenzierung, Beleihung und Zwangsvollstreckung Hombrecher, MMR 2005, 647 ff. 5 https://www.icann.org/resources/pages/approved-with-specs-2013-09-17-en#registrant. 6 Vgl. im Einzelnen die ICANN Policy on Transfer of Registrations between Registrars (Fassung gültig ab 31.1.2015): https://www.icann.org/resources/pages/policy-transfers-2014-07-02-en. 7 https://www.icann.org/en/system/files/correspondence/serad-to-ivanova-23jun14-en.pdf. 8 Abrufbar unter: http://direct.denic.de/denicdirect-servicecenter/dokumente-zum-herunter laden.html.
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470
Teil F Rz. 471
Handel mit geistigem Eigentum
bestehenden und Abschluss eines neuen Vertrages, faktisch also nur mit Zustimmung der DENIC1. Die gTLDs sind ebenfalls im Grundsatz frei übertragbar, wobei bestimmte Einschränkungen gelten (s. unten Rz. 477). 471
In der Praxis hat der Übertragende häufig nicht selbst den Vertrag mit der Registry geschlossen; vielmehr beauftragt er hiermit einen Service-Provider, der dem Übertragenden typischerweise ein komplettes Service-Paket anbietet, unter dem er unter anderem die angemeldete Domain im Wege eines Miet-/Pachtvertrages zur Nutzung zur Verfügung stellt (sog. „Web-hosting“). Der Erwerb der Domain durch den Provider im eigenen Namen (im Treuhand-Auftrag des Kunden) birgt allerdings kennzeichenrechtliche Risiken für den Treugeber und den Provider: BGH v. 8.2.2007 – I ZR 59/04, NJW 2007, 2633 = BGHZ 171, 104 = GRUR 2007, 811 = ITRB 2007, 224 – grundke.de Grundke Optik GmbH hatte einen Provider beauftragt, eine Domain „grundke.de“ anzumelden und hierunter ihre Webpräsenz zu gestalten. Später verlangte ein Dritter, Herr Grundke, Herausgabe der auf den Namen des Providers angemeldeten Domain, gestützt auf sein Namensrecht (§ 12 BGB). Die vom Provider erklärte Abtretung aller Rechte an der deutschen Domain an seinen Auftraggeber Grundke Optik GmbH geht in Deutschland ins Leere, da der Vertrag mit DENIC erlischt. Zwar kann sich der Provider grundsätzlich gegenüber dem Kläger auch auf das (bessere) Kennzeichenrecht seines Auftraggebers berufen, bei einer derartigen Treuhand sei dies gegenüber dem Dritten aber nur wirksam, wenn der Dritte einfach und zuverlässig prüfen könne, ob die Domain wirklich im Auftrag des Kennzeichenberechtigten registriert sei. Das setze entweder (i) eine aktive Webpräsenz des Berechtigten unter der Domain voraus (was hier vorlag) oder (ii) eine notarielle Beurkundung des Treuhandauftrags.
Wird der Miet-/Pachtvertrag mit dem bisherigen Service-Provider im Zuge der Übertragung beendet2, ist darauf zu achten, dass der Vertrag den Service-Provider verpflichtet, die Domain auf einen neuen Provider umzuleiten. 472
Soweit die Domain zugleich als Kennzeichen Schutz genießt, muss dieses gesondert übertragen werden. Ob und unter welchen Einschränkungen das möglich ist, beurteilt sich nach der Art des Kennzeichens – handelt es sich um ein Unternehmenskennzeichen, ist also eine Übertragung nur zusammen mit dem Geschäftsbetrieb zulässig. Im internationalen Verkehr ist es möglich, das eigene Kennzeichen zum Schutz vor unberechtigten Domainanmeldungen prüfen und hinterlegen zu lassen (Trademark Clearinghouse – TMCH); dem Käufer ist zu empfehlen, diese Datenbank zu konsultieren, bevor er eine Domain erwirbt. Soweit die Registrierungsstelle nur eine Aufgabe der Domain und Neubegründung durch den Käufer zulässt (z.B. DENIC, SWITCH), bedeutet das Erlöschen des Vertrages nicht, dass damit auch eine frühere kennzeichenrechtliche Priorität erlischt; diese richtet sich vielmehr nach den für die Art des Kennzeichens geltenden Regeln – ein Unternehmenskennzeichen erlischt z.B. erst bei endgültiger Geschäftsaufgabe3. Überhaupt kann der Domain-Name als Kennzeichen selbstverständlich auch ohne Zustimmung der Registry und ohne Übertragung des schuldrechtlichen Anspruches gegen diese übertragen werden. Der Käufer wird allerdings tunlichst darauf achten, bei der Registry auch als neuer Nutzer registriert zu werden, um von dieser als Verfügungsberechtigter anerkannt zu werden. 1 Rössel, CR 2004, 754 (755); Strömer, K&R 2004, 384 (385) nimmt eine antizipierte Zustimmung der DENIC an; a.A. Heine in MünchKomm/BGB, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, § 12 Rz. 294: Anspruch auf Übertragung gegen die DENIC, Vertragsübergang. 2 Zu Übertragungsansprüchen bei Verträgen mit Serviceprovidern z.B. OLG Köln v. 13.5.2002 – 19 U 211/01, CR 2002, 832; OLG München v. 5.12.2002 – 6 U 5770/01, NJW-RR 2003, 1423 – ritter.de. 3 Gruber in v. Schultz, MarkenG, 3. Aufl. 2012, § 5 Rz. 33.
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Kennzeichenverträge
Rz. 475 Teil F
Der Kauf von Domain-Namen im kommerziellen Domain-Handel ist heutzutage gängig, es existieren zahlreiche Marktplätze, auf denen Domains gekauft und getauscht werden können. Bei der Kaufpreisbestimmung ist zu beachten, dass der Wert einer Domain maßgeblich (mit-)bestimmt wird durch die Zahl der bisherigen Zugriffe auf die mit dieser Domain gekennzeichnete Web-Seite (den traffic) und die Zahl der Verweisungen von dritten Seiten auf diese (sog. referrals); professionelle Domain-Anbieter sorgen daher häufig durch technische Maßnahmen und Verweise von ihnen selbst gehörenden anderen Seiten dafür, dass diese Werte künstlich erhöht werden. Man sollte daher entsprechende Angaben prüfen1 und sich ggf. Zusicherungen geben lassen.
473
Der Erwerb einer Domain von sog. Domain-Grabbern (Unternehmen, die Domains für Bezeichnungen reservieren lassen, die zumeist mit Kennzeichen Dritter identisch sind, um diese Domains an die Kennzeicheninhaber zu verkaufen – was ohne Hinzutreten besonderer Umstände rechtmäßig ist2) führt nicht per se dazu, dass diese Domains gegenüber anderen Rechten zurücktreten müssten.
474
BGH v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, GRUR 2002, 622 (625) – shell.de Dem Inhaber der Domain (ein Herr Shell, der die Seite für private Zwecke nutzte) kann nicht entgegen gehalten werden, dass er die Domain von einem nicht zur Nutzung dieser Domain berechtigten Dritten erworben hat.
BGH v. 2.12.2004 – I ZR 207/01, GRUR 2005, 687 – weltonline.de Die Registrierung einer Vielzahl von Gattungsbegriffen als Domains begründet allein noch keine Schädigungsabsicht und ist zulässig. Der Inhaber des Zeitungstitels DIE WELT kann gegen die Domain „weltonline.de“ nicht vorgehen, solange keine Anhaltspunkte für eine Verwendung der Domain in kennzeichenverletzender Weise bestehen (vgl. andererseits – restriktiver – BGH v. 16.12. 2004 – I ZR 69/02, GRUR 2005, 517 – Literaturhaus).
Hat der Käufer an dem Domain-Namen zugleich ein Kennzeichenrecht, so kann ihm ein anderer Kennzeicheninhaber die Domain nicht schon mit der Begründung streitig machen, der Käufer habe die Domain von einem nicht berechtigten Dritten erworben. In diesem Fall kommt es häufig anstelle einer Prioritätsprüfung zu einer Interessenabwägung3. Der Käufer sollte klären, wann die Reservierung zur nächsten Erneuerung ansteht, da nach den Bedingungen einiger Registries die Domain gelöscht wird, wenn der DomainInhaber nicht von sich aus die Verlängerung beantragt und die entsprechenden Gebühren zahlt4.
1 Möglich ist auch, sich ein Wertgutachten anfertigen zu lassen, vgl. z.B. http://www.sedo.de; zur Bewertung vgl. auch Schmittmann, StuB 2002, 105. 2 BGH v. 19.2.2009 – I ZR 135/06, GRUR 2009, 685 (690, Rz. 45) – ahd.de; zum Teil wurde das Registrieren von Domains „ohne nachvollziehbares eigenes Interesse“ zuvor als Verstoß gegen § 826 BGB angesehen, vgl. LG Düsseldorf v. 6.7.2001 – 38 O 18/01, MMR 2002, 126 – literaturen.de; OLG Frankfurt v. 12.4.2000 – 6 W 33/00, MMR 2000, 424 – weideglück.de; strenger öOGH v. 22.4.2002 – 4 Ob 41/02m – graz2003.com/org, wonach die Reservierung von Domains zum Verkauf an Dritte (nicht aber zum Zweck der Zusammenarbeit mit diesen) sittenwidrig sei; zum Domaingrabbing in Österreich auch öOGH v. 13.3.2002, ecolex 2002, 598 – amade.at. 3 BGH v. 22.11.2001 – I ZR 138/99, GRUR 2002, 622 – shell.de; schwBG v. 21.1.2005 – 4C. 376/2004 – maggi.com. 4 Für die TLD’s „.com“, „.biz“, „.info“, „.name“, „.net“ und „.org“: Allerdings ist für die meisten dieser TLD’s – ebenso wie seit 2013 für „.de“-Domains – mittlerweile eine sog. „Redemption Grace Period“ (RGP) eingerichtet worden – innerhalb von 30 Tagen nach Zeitablauf kann die Domain „reaktiviert“ werden. Ob eine Domain sich in der RGP befindet, erkennt man aus der Whois-Abfrage und daraus, dass die Domain nicht abrufbar ist.
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Teil F Rz. 476
Handel mit geistigem Eigentum
2. Form 476
Die Übertragung von Domains ist grundsätzlich formfrei möglich1; einzelne Registrierungsstellen verlangen aber einen Übertragungsantrag in bestimmter Form: So muss für „.de“-Domains ein Dokument über die Übertragung der Domain sowie die Kündigung des bisherigen Domaininhabers vorliegen (§ 6 (2) DENIC-Domainbedingungen). Für die gTLDs, insb. die „.com“-Domains, hat sich in der Praxis weitgehend durchgesetzt, dass der Verkäufer dem Käufer ein Passwort (AuthInfo Code) zur Verfügung stellt, das es dem Käufer ermöglicht, beim bisherigen Registrar online die gewünschten Datenänderungen vorzunehmen. Für den Käufer potenziell gefährlich ist diese Praxis der meisten Registries, Änderungen des Inhabers mittels Passwort ohne Einschränkungen online zuzulassen. Der Verkäufer einer Domain kann dann auch nach Abschluss des Verkaufs seinen Namen wieder als Inhaber eintragen lassen oder einen Domain-Transfer auf einen anderen Registrar veranlassen. Hiergegen sichert sich der Käufer dadurch, dass er vertraglich die Einschaltung eines Notars als Treuhänder vereinbart, der den Kaufpreis erst ausbezahlt, wenn die Domain an einen Registrar übertragen wurde, der das Vertrauen des Käufers genießt (und der derartige Änderungen nicht ungeprüft zulässt). 3. Einschränkung der Übertragbarkeit a) Berechtigte Domain-Inhaber
477
Manche ccTLD’s werden nur an Staatsbürger des Landes bzw. Unternehmens mit Sitz im jeweiligen Land vergeben, z.B. Domains der ccTLD „.us“ (dort reicht immerhin eine „bona fide presence in the US“) und „.ca“. Das Gleiche gilt für die neue „.eu“-Domain2. „.biz“-Domains dürfen nur für geschäftliche Zwecke registriert werden, „.name“-Domains nur für natürliche Personen sowie für Namen fiktiver Charaktere. Gehört der Käufer nicht zum berechtigten Personenkreis, wird er nicht registriert bzw. sein Vertrag gekündigt. b) Sperrfristen
478
Nach den ICANN Regeln sind Domains generell erst nach einer 60-tägigen Frist ab Erstregistrierung auf andere Registrare übertragbar; für die immer zahlreicheren individuellen TLDs gibt es besondere Fristen für die Erstanmeldung (Sunrise Periods) und das Geltendmachen vorrangiger Rechte durch Inhaber von besseren (Kennzeichen-) Rechten3. 4. Gewährleistung
479
Nach deutschem Recht haftet der Verkäufer eines Rechts für dessen Bestand und Freiheit von Rechten Dritter (§§ 433, 434, 453 Abs. 1 BGB). Die Rechtsprechung akzeptiert in Individualvereinbarungen jedoch die Haftungsfreizeichnung bzgl. besserer Rechte Dritter an einer Domain4. Kennzeichenrechte Dritter stellen einen Mangel der Domain dar, soweit der Dritte dem Käufer aufgrund seines Rechts die Nutzung der Domain untersagen kann5. 1 Ebenso der zugrunde liegende Kaufvertrag, AG Ettlingen v. 11.5.2001 – 2 C 259/00, ITRB 2001, 233. 2 Art. 4 Abs. 2 lit. b der EG-VO 733/2002 v. 22.4.2002. 3 Kalender unter: https://newgtlds.icann.org/en/program-status/sunrise-claims-periods. 4 LG Frankfurt/M. v. 10.1.1998 – 2/14 O 412/97, CR 1998, 765 – „Sittenwidriger Domainhandel“. 5 A.A. (kein Mangel) Ernst, MMR 2002, 714 (720).
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Kennzeichenverträge
Rz. 483 Teil F
Viele Registries behalten sich vor, Domain-Verträge mit Domain-Grabbern zu kündigen; das Gleiche gilt bei Nichtzahlung fälliger Gebühren. Der Käufer wird daher zumindest klären wollen1, dass
480
(i) der Verkäufer keine Kenntnis von Verletzungen der Bestimmungen des Registrierungsvertrages hat, insb. alle fälligen Zahlungen geleistet wurden; (ii) derzeit kein Dispute-Eintrag eines Dritten gegen die Domain besteht und kein Verfahren zur Löschung, Freigabe oder Übertragung der Domain auf einen Dritten anhängig ist. 481
Einstweilen frei.
IV. Lizenzen an Kennzeichen 1. Rechtsnatur/Erscheinungsformen Überwiegend wird die – gesetzlich nicht als Vertragstyp geregelte – Lizenz als Vertrag eigener Art angesehen2, auf den die Bestimmungen des Miet-/Pachtrechts anzuwenden sind, ggf. auch gesellschaftsrechtliche Regelungen. Zu zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten der Lizenzgebühren s. Rz. 221 ff., zu Gewährleistungsfragen Rz. 242 ff., zur Kündigung aus wichtigem Grund Rz. 269 ff.
482
Inwieweit der Markenlizenz dingliche Wirkung zukommt ist bis heute ebenso umstritten wie die Folgerungen aus der Qualifizierung einer Lizenz als „dinglich“. Nach hM kommt der ausschließlichen Lizenz im Markenrecht „dingliche“ Wirkung zu3, nach einem Teil des Schrifttums auch der einfachen Lizenz4. Anerkannt ist jedoch, dass es neben der (dinglichen) Markenlizenz auch die (bloss schuldrechtlich wirkende) markenrechtliche Gestattung gibt, deren Abgrenzung in Verträgen jedoch schwierig ist, da sie üblicher Weise auch als „Lizenz“ bezeichnet wird. Die Qualifizierung als „dinglich“ ist praktisch häufig irrelevant, da das deutsche Recht bestimmte Rechtsfolgen dinglicher Natur ausdrücklich anordnet: (i) Der Lizenznehmer kann sich auch gegenüber einem Rechtsnachfolger sowie anderen Lizenznehmern auf die eingeräumten Rechte berufen (§ 30 Abs. 5 dtMarkenG, „Sukzessionsschutz“); (ii) soweit gegen die in § 30 Abs. 2 MarkenG aufgeführten Lizenzbedingungen verstossen wird, stellt das nicht nur eine Vertrags- sondern auch eine („dingliche“) Markenverletzung dar. (iii) Umgekehrt gewährt auch die ausschließliche Lizenz dem Lizenznehmer kein eigenes Klagerecht gegen Verletzer (§ 30 Abs. 3 dtMarkenG) und auch keine eigenen Ansprüche5. (iv) Offen, aber nach jüngeren BGH-Entscheidungen zum Urheberrecht6 wohl zu bejahen ist die Frage, ob die dingliche Wirkung dazu führt, dass der Unterlizenznehmer sich auch bei Wegfall der Hauptlizenz weiterhin – auch gegenüber dem Markeninhaber – auf seine Unterlizenz berufen kann7.
483
1 Weiterführende Hinweise zur Vertragsgestaltung: Härting, ITRB 2002, 96 ff. 2 BGH v. 8.5.1973 – X ZR 9/70, GRUR 1973, 669 – Spülmaschine; BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 43) – Ecosoil. 3 OLG München v. 8.8.1996 – 6 U 1938/96, NJW-RR 1997, 1266 (1267) – Fan-Artikel; Starck, WRP 1994, 698 (702); BGH v. 19.7.2007 – I ZR 93/04, GRUR 2007, 877 (879, Rz. 29) – Windsor Estate: dingliche Markenlizenzen sind jedenfalls möglich. A.A. Hacker in Ströbele/Hacker, 11. Aufl. 2014, § 30 Rz. 21. 4 Fezer, MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 30 Rz. 7; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 30 Rz. 13. 5 BGH v. 19.7.2007 – I ZR 93/04, GRUR 2007, 877 (879, Rz. 29) – Windsor Estate. 6 Vgl. Rz. 241; BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, BGHZ 180, 344 – Reifen Progressiv; BGH v. 19.7. 2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671 – Take Five. 7 Allerdings hat der EuGH kürzlich einer Auslegung eines Markenlizenzvertrages widersprochen, die dem Markeninhaber auch nach Beendigung des Markenlizenzvertrages die Möglichkeit genommen hätte, dem Lizenznehmer die weitere Nutzung der Marke zu untersagen, EuGH v.
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Teil F Rz. 484 484
Handel mit geistigem Eigentum
Die Rechtsprechung macht allerdings Einschränkungen, soweit die Lizenz dazu dienen soll, sich gegenüber Kennzeichenrechten eines Dritten ein noch älteres Recht zu verschaffen: OLG Düsseldorf v. 14.3.2000 – 20 U 61/99, GRUR-RR 2001, 49 – Combit/ComIT Die Einlizenzierung nur für Zwecke der Rechtsverteidigung gegen einen Dritten mit besseren Rechten ist unwirksam.
BGH v. 13.4.2000 – I ZR 220/97, GRUR 2001, 54 – SUBWAY/Subwear; OLG Hamburg v. 19.12.2003 – 5 U 43/03, GRUR-RR 2004, 175 (176, unter Nr. 5 a) – Löwenkopf; OLG Hamburg v. 28.4.2005 – 5 U 114/04, MarkenR 2006, 55 – Jan Ullrich Die Lizenz umfasst nur die eingetragene Marke, nicht mit ihr verwechselbare Zeichen und nicht lediglich Elemente der Marke. Das gilt sogar dann, wenn beide Vertragsparteien übereinstimmend von einem weiteren Schutzbereich ausgegangen sind.
öOGH v. 10.7.2001, ÖBl. 2002, 235 = WBl. 2002, 40 – Silberpfeil; öOGH v. 13.11.2001, ÖBl. 2002, 302 – Alpentrio Tirol Lizenz, die nur in Behinderungsabsicht genommen wird, ist unwirksam.
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Soweit an Kennzeichen lediglich schuldrechtliche Nutzungsrechte eingeräumt werden (können), kann der Lizenznehmer sie nicht gegen Dritte geltend machen; er kann sich in Deutschland aber gegen den Unterlassungsanspruch eines Dritten analog § 986 Abs. 1 BGB damit verteidigen, sein Lizenzgeber sei wiederum besser berechtigt als der Dritte. BGH v. 18.3.1993 – I ZR 99/92, BGHZ 122, 71 (74) = MDR 1993, 1071 – Decker; BGH v. 8.2.2007 – I ZR 59/04, NJW 2007, 2633 = BGHZ 171, 104 = GRUR 2007, 811 = ITRB 2007, 224 – grundke.de.
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Der Hauptunterschied zwischen der (echten, „dinglichen“) Lizenz und der blossen schuldrechtlichen Gestattung der Markennutzung liegt im möglichen Erwerb eigener Rechte durch den Nutzungsberechtigten: Wenn der Lizenznehmer während der Lizenzgewährung identische eigene Kennzeichen erwirbt – sei es durch Eintragung, sei es durch Benutzung/Verkehrsgeltung -, kann er sich gegenüber dem Lizenzgeber auf diese Kennzeichen auch dann nicht berufen, wenn dessen ursprüngliche Kennzeichen während der Lizenzdauer erloschen sind1; ein derartiger Besitzstand steht dem Lizenzgeber zu2. Demgegenüber fallen dem aufgrund einer schuldrechtlichen Gestattung Berechtigten während der Nutzungszeit bei ihm entstandene Kennzeichenrechte zu, auf die er sich – auch gegenüber dem Gestattenden – nach Ende der Nutzungsrechte weiter berufen kann. BGH v. 27.3.2013 – I ZR 93/12, GRUR 2013, 1150 (Rz. 50) = WRP 2013, 1473 – Baumann; BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 31) – Ecosoil.
487
Der Umfang der Lizenz kann – vorbehaltlich kartellrechtlicher Grenzen – frei bestimmt werden, z.B. – hinsichtlich des Rechts des Markeninhabers, weitere Lizenzen zu erteilen (einfache Lizenz, Alleinlizenz, Exklusivlizenz) – örtlich oder zeitlich beschränkt, – verbunden mit Auflagen zur Art und Weise der Benutzung der Marke, zur Qualität der gekennzeichneten Waren, 19.9.2013 – Rs. C-661/11, MarkenR 2013, 390 – Martin Y Pas. Ob der Markeninhaber diese Rechtsprechung auch dem Unterlizenznehmer entgegen halten kann, ist aber noch offen. 1 BGH v. 27.3.2013 – I ZR 93/12, MarkenR 2013, 397 (401, Rz. 46) – Baumann. 2 BGH v. 27.2.1963 – Ib ZR 180/61, GRUR 1963, 485 (487) – Micky-Maus-Orangen; BGH v. 21.10. 2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 31) – Ecosoil.
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Kennzeichenverträge
Rz. 490 Teil F
– als negative Lizenz (der Lizenzgeber verzichtet nur darauf, gegenüber dem Vertragspartner seine Verbotsrechte geltend zu machen, z.B. Abgrenzungs- oder Vorrechtsvereinbarungen). Verstöße gegen die Lizenzbedingungen sind zunächst Vertragsverletzungen. In Deutschland und in Österreich stellen die in § 30 Abs. 2 dtMarkenG, § 14 Abs. 2 öMSchG abschließend1 aufgeführten Beschränkungen darüber hinaus Markenverletzungen dar, deren Unterlassung der Lizenzgeber nicht nur vom Lizenznehmer, sondern auch von Dritten, z.B. den Abnehmern der Waren, verlangen kann. Da umstritten ist, ob der Lizenznehmer berechtigt ist, Unterlizenzen auch bei Exklusivlizenzen nur mit Zustimmung des Lizenzgebers zu erteilen, empfiehlt sich eine ausdrückliche Regelung2. Wegen der in Deutschland unklaren Rechtslage über die Fortdauer von Unterlizenzen bei Wegfall des Hauptlizenzvertrages3 (s. Rz. 241) sollte der Lizenzgeber Unterlizenzen seiner Zustimmung unterwerfen und diese nur erteilen, wenn der Unterlizenzvertrag eine automatische Beendigung bei Wegfall der Hauptlizenz enthält.
488
2. Form, Eintragung Die Markenlizenz an einer deutschen Marke ist nach dem Gesetz nicht formbedürftig. Der BGH verlangt jedoch zum Nachweis eines (echten) Lizenzvertrages eine „abgemilderte“ Schriftform – es bedarf bei Nutzungsverträgen im kaufmännischen Geschäftsverkehr zumindest einer schriftlichen Dokumentation der Lizenz. Dazu kann – neben einem die Schriftform wahrenden Lizenzvertragstext – schon das Protokoll einer Geschäftsführerbesprechung der an der Nutzungsrechtseinräumung beteiligten Gesellschaften ausreichen.4 Wird diese Form nicht eingehalten, liegt lediglich eine schuldrechtliche Gestattung vor, mit der Folge, dass der Nutzungsberechtigte eigene Kennzeichenrechte aus der Nutzung erwerben kann (s. Rz. 486).
489
Lizenzverträge aus der Zeit vor dem 1.11.1999 bedurften nach § 34 dtGWB aF der Schriftform5. Mit Streichung des § 34 GWB sind die früheren Verträge nicht automatisch wirksam geworden, sondern bedürfen der Bestätigung (§ 141 dtBGB) durch die Parteien6. Eine Eintragung der Lizenz im Markenregister ist nicht vorgesehen. Lizenzen an österreichischen und an schweizerischen Marken bedürfen keiner besonderen Form (§ 14 Abs. 1 öMSchG; Art. 18 schwMSchG). Die Eintragung einer Lizenz in Österreich erfolgt allerdings nur auf schriftlichen Antrag mit beglaubigter Unterschrift des Lizenzgebers (§ 28 Abs. 1 öMSchG), in der Schweiz reicht einfache Schriftform (vgl. Rz. 519). Bei der Lizenzierung von IR-Marken sind die Formvorschriften aller Länder zu beachten, für deren Territorien die Lizenz gelten soll; teilweise ist Schriftform notwendig7, teilweise ist die Schutzwirkung der Lizenz an die Eintragung im Markenregister geknüpft8. 1 EuGH v. 23.4.2009 – Rs. C-59/08, GRUR 2009, 593 – Copad. 2 Für Zustimmungserfordernis: Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl. 2015, § 30 Rz. 72; M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, MarkenG, 3. Aufl. 2012, § 30, Rz. 53; Fezer, § 30 Rz. 24; dagegen für exklusive Lizenz: Ingerl/Rohnke, § 30 Rz. 49. Ein Verbot der Unterlizenzierung ist kartellrechtlich unbedenklich, EuG v. 12.7.1997 Slg. 1997, II-923 (975) (Ziff. 151) – Tiercé Ladbroke. 3 Eine Fortdauer der Unterlizenz trotz Wegfalls der Hauptlizenz bejahen: Ingerl/Rohnke, § 30 Rz. 49; M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, MarkenG, 3. Aufl. 2012, § 30, Rz. 53. 4 BGH v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, ZIP 2016, 40 (43, Rz. 33) – Ecosoil. 5 Dies gilt unabhängig davon, ob der Lizenzvertrag kartellrechtliche Beschränkungen enthielt oder nicht, BGH v. 3.6.2003 – X ZR 215/01, WuW/E DE-R 1130 – Chirurgische Instrumente. 6 BGH v. 2.2.1999 – KZR 51/97, BB 1999, 865 – Coverdisk. 7 Dies gilt z.B. in Großbritannien, Irland, Griechenland. 8 Dies gilt z.B. für die Schweiz (Art. 44 Abs. 2, Art. 18 Abs. 2), sowie Frankreich, Benelux, Spanien.
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Brandi-Dohrn 635
490
Teil F Rz. 491
Handel mit geistigem Eigentum
In Regel 20bis GA MMA/PMMA ist nunmehr die gesammelte (deklaratorische) Eintragung von Lizenzen im IR-Markenregister vorgesehen. Einige Länder haben allerdings Anwendungsvorbehalte zu dieser Regel hinterlegt. 491
Für Unionsmarken ist die Schriftform nur erforderlich, wenn dies das Heimatrecht des Inhabers vorsieht (Art. 16 GMVO = Art. 16 UMVO)1; dies ist z.B. der Fall in Großbritannien, Irland und Griechenland. Eine Eintragung der Lizenz im Register ist möglich und wegen des Gutglaubensschutzes auch notwendig; für den Nachweis der Lizenz gegenüber dem Register unterscheidet R. 33 GMVO-DV danach, ob der Antrag vom Lizenzgeber (dann formfrei) oder vom Lizenznehmer (dann Nachweis notwendig) gestellt wird. Ob der nicht eingetragene Lizenznehmer Ansprüche aus der Unionsmarke gegen Dritte geltend machen kann, ist Gegenstand eines Vorlageverfahrens an den EuGH2. 3. Einschränkungen bei der Einräumung von Lizenzen a) Kartellrecht
492
Seit der 7. GWB-Novelle (1.7.2005) ist das deutsche Kartellrecht, auch soweit rein nationale Sachverhalte in Frage stehen, an das EU-Kartellrecht weitgehend angeglichen. Das europäische Kartellrecht enthält eine sehr detaillierte Regelung, welche Klauseln in Lizenzverträgen zulässig, unzulässig und möglicherweise zulässig sind. Siehe hierzu allgemein Rz. 189 ff., 197 ff. – nachfolgend soll vorrangig auf die Besonderheiten der Markenlizenzen eingegangen werden. Nach Art. 101 AEUV können Vereinbarungen nichtig sein, soweit sich der Lizenzvertrag (i) spürbar auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten auswirkt, (ii) die Beschränkung über den „spezifischen Gegenstand“ der Lizenz hinausgeht und (iii) nicht von einer Gruppenfreistellungsverordnung (GVO)3 freigestellt ist. Die Grundregeln der EUKommission, dass (i) im Lizenzvertragsrecht insbesondere sämtliche Kernbeschränkungen im Sinne der GVOen bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, bei denen die de-minimis-Bekanntmachung keine Anwendung findet4 und (ii) diese sog. „schwarzen Klauseln“ in aller Regel auch nicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freistellungsfähig sind, gilt auch für Markenlizenzverträge. Folgende Klauseln bedürfen insb. der Prüfung5:
493
Ausschließliche Lizenzen waren nach (bisherigem) deutschem Recht nur der Missbrauchsaufsicht nach § 16 dtGWB aF unterworfen, also in der Regel unbedenklich. Nach Ansicht der EG-Kommission unterfallen sie Art. 101 Abs. 1 AEUV, sie konnten aber nach Abs. 3 freigestellt sein, soweit sie nicht „unangemessen lang“ sind oder „unangemessene Preise vereinbart“ werden6. Der EuGH sah andererseits „offene Exklusivlizenzen“ gar nicht als Fall des Art. 101 Abs. 1 AEUV an, da sie nicht die Möglichkeit
1 Schennen in Eisenführ/Schennen, 4. Aufl. 2014, Art. 22, Rz. 6. 2 OLG Düsseldorf v. 31.3.2015 – I-20 U 259/13, MarkenR 2015, 315 – ARKTIS. 3 Soweit die Markenverwertung (nicht technische Schutzrechte oder Know-how) im Vordergrund der vertraglichen Vereinbarung steht und weder ein Franchising- noch ein Vertriebsvertrag vorliegt, sind die geltenden GVOen nicht einschlägig, vgl. Art. 1 (1) b) GVO-TT. 4 Nr. 13 De-Minimis-Bekanntmachung der EU-Kommission; ausführlich zum Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ Heinrich/Ströbl, BB 2014, 2506 ff.; Fiebig, WuW 2015, 462 ff. 5 Eine Zusammenstellung kartellrechtlich bedenklicher Klauseln in Markenlizenzverträgen findet sich bei Niebel, WRP 2003, 482 ff. 6 KOM v. 23.12.1977, ABl. EG Nr. L 70/1978, S. 69 – Campari; KOM v. 15.9.1989, ABl. EG Nr. L 284/1989, S. 36 – Filmeinkauf; a.A. Sack, RIW 1997, 449 (454) m.w.N.; Niebel, WRP 2003, 482 (485).
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Kennzeichenverträge
Rz. 498 Teil F
Dritter einschränken, in das Lizenzgebiet zu liefern1. Nach hier vertretener Ansicht gehört die Entscheidung des Markeninhabers, die Nutzung der Marke Dritten zu gestatten, zum Bestand des Schutzrechts, das dem Kartellrecht entzogen ist. Gebietslizenzen konnten nach bisherigem deutschem Kartellrecht – insb. in der Form wechselseitiger Gebietsaufteilungen bei Kollektivmarken2 – gegen § 1 GWB verstoßen. Das vorrangige EG-Kartellrecht unterscheidet wie folgt: – unzulässig (auch nach den Bagatellbekanntmachungen) ist die Vereinbarung eines absoluten Gebietsschutzes zwischen EG-Mitgliedstaaten, also das Verbot, aktiv und passiv außerhalb des Gebietes unter der Marke tätig zu werden3; – unzulässig sind Beschränkungen des Weitervertriebs innerhalb der EU durch Abnehmer des Lizenznehmers4; – ein Verbot, nicht aktiv in Drittländer zu exportieren, ist nach der EG-Kommission eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV5, jedoch nach Abs. 3 freistellbar6.
494
Markenlizenzverträge dürfen nach Art. 101 Abs. 1 (a) AEUV keine Preisbindung bzgl. der Abgabepreise des Lizenznehmers beinhalten7.
495
Während die Festlegung von Ausübungsverpflichtungen und Mindestmengen in der Regel8 kartellrechtlich unbedenklich sein dürfte, da sie dem berechtigten Interesse des Lizenzgebers am Rechtserhalt der Marke dient9, verstossen Höchstmengen für die Herstellung markengeschützter Produkte gegen Art. 101 AEUV10.
496
Bezugsbindungen des Lizenznehmers für Vorprodukte können in Markenlizenzen gerechtfertigt sein, wenn die Qualität der Markenware nur so sicher gestellt werden kann, z.B. bei geheimen Rezepturen11.
497
Nichtangriffsabreden: Der BGH sah Angriffe auf eine lizenzierte Marke auch ohne vertragliches Verbot unter Umständen als treuwidrig an12; liegt keine unzulässige Rechts-
498
1 EuGH v. 8.6.1982, Slg. 1982, 2015 (2069) (Ziff. 58) – Maissaatgut; EuGH v. 6.10.1982, Slg. 1982, 3381 (3401) (Ziff. 15) – Coditel/Cinevog II; anders aber, wenn dem Franchisenehmer untersagt wird, weitere Geschäftslokale zu eröffnen, EuGH v. 28.1.1986, Slg. 1986, 353 (383) (Ziff. 24) – Pronuptia. 2 BGH v. 12.3.1991 – KVR 1/90, GRUR 1991, 782 – Golden Toast; BGH v. 24.9.1973 – KZR 2/73, WuW/E 1293, 1297 – Platzschutz. 3 EuGH v. 13.7.1966 – Rs. 56, 58/64, GRUR Int. 1966, 580 – Grundig/Consten; LG München v. 6.10.1993 – 7 HK O 12087/92, NJW-RR 1994, 680. Zulässig können solche Ausfuhrverbote aber sein, wenn sie nicht vereinbart, sondern vom Hersteller einseitig auferlegt werden, EuGH v. 6.1.2004 – Rs. C-2/01P und C-3/01P, DB 2004, 245 – Bayer (Adalat). 4 EuGH v. 22.6.1994, GRUR Int. 1994, 614 (617) (Ziff. 38) – Ideal Standard II. 5 KOM v. 23.3.1990, GRUR Int. 1990, 626 – Moosehead/Whitbread; a.A. Sack, RIW 1997, 449 (452). 6 Vgl.entsprechend Art. 4 lit. b der Vertikal-GVO. 7 OLG München v. 27.2.1997 – U (K) 3297/96, NJWE-WettbR 1997, 234 – Sixt-Franchisevertrag zur gleichwirkenden (und daher ebenfalls verbotenen) Preisempfehlung. 8 Kartellrechtlich bedenklich sollen unrealistisch hohe Mindestmengen sein, Fezer, § 30 Rz. 70. 9 Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 131; Kreutzmann, WRP 2006, 453 (455); OLG Frankfurt v. 2.7.2013 – 11 U 4/12, WRP 2013, 1663 (1665, Rz. 30). 10 Dafür KOM v. 23.12.1977, ABl. EG Nr. L 70/1978, S. 69 – Campari; Schuhmacher in Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 85 Rz. 301; Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 131; Niebel, WRP 2003, 482 (485); a.A. Sack, RIW 1997, 451. Zur Zulässigkeit einseitiger Zuweisung von Höchstmengen durch den Hersteller vgl. EuGH v. 6.1.2004 – Rs. C-2/01P und C-3/01P, DB 2004, 245 – Bayer (Adalat). 11 Kreutzmann, WRP 2006, 453 (454); EU-Kommission v. 23.12.1977 „Campari“, ABl. EG 1978 L 69. 12 BGH v. 4.10.1988 – X ZR 3/88, GRUR 1989, 39 (40) – Flächenentlüftung (Patentlizenz).
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Brandi-Dohrn 637
Teil F Rz. 499
Handel mit geistigem Eigentum
ausübung vor, scheidet aber ein Verstoß gegen das GWB in der Regel aus1. Der EuGH hat solche Abreden zunächst als unzulässig angesehen, später dann für patentrechtliche Nichtangriffsabreden einen Verstoß verneint, wenn keinerlei weitere Beschränkungen oder gar Ausgleichszahlungen hinzukommen2. Wegen der bestehenden Rechtsunsicherheit wird hier empfohlen, statt einer Nichtangriffsabrede in Anlehnung an die Regelung des Art. 5 (1) c) GVO-TT ein Sonderkündigungsrecht für den Fall eines Angriffs auf die Marke vorzusehen. 499
Franchiseverträge beinhalten neben anderen Bestimmungen in der Regel eine ausschließliche (örtliche oder regionale) Markenlizenz. Derartige Verträge können nach der Vertikal-GVO allgemein freigestellt sein. Die Freistellung umfasst dann auch die erteilte Markenlizenz3.
500
Merchandising wird häufig mit Bezug auf Kennzeichen vereinbart, ist aber für jede Art von Schutzrecht, sogar für die Rufausbeutung nach § 4 Nr. 9 dtUWG denkbar. Bislang ist allerdings ungeklärt, ob beim gänzlichen Fehlen eines Ausschließlichkeitsrechts der Merchandising-Vertrag gegen Art. 101 AEUV bzw. § 1 dtGWB verstoßen kann.
501
Die Laufzeit einer Markenlizenz ist grundsätzlich – da die Marke zeitlich unbegrenzt verlängert werden kann – kartellrechtlich irrelevant. Etwas anderes kann sich dann ergeben, wenn lange Laufzeiten mit Wettbewerbsverboten gekoppelt werden4.
502
Wettbewerbsverbote kommen insbesondere in Franchiseverträgen vor. Sie werden dort – anders als in sonstigen Markenlizenzverträgen – von der Kommission als von vornherein kartellrechtlich unbedenklich angesehen (und zwar auch über die nach Art. 5 Vertikal-GVO an sich geltende Maximaldauer von 5 Jahren hinaus), soweit sie dazu dienen, den einheitlichen Auftritt und Qualität des Franchise-Netzwerkes zu sichern5. Kritisch zu beurteilen sind sie dann, wenn sie auch Waren/Dienstleistungen umfassen, die von den lizenzierten Marken nicht geschützt sind6.
503
Abgrenzungsvereinbarungen können gegen Kartellrecht verstoßen, wenn sie letztlich nicht der Beseitigung der Ungewissheit über eine mögliche Verwechslungsgefahr7, sondern der Steuerung des Warenverkehrs8, insbesondere durch Abgrenzung von Märkten9, dienen. 1 Vgl. aber bei Zusammenarbeitsverträgen BGH v. 4.10.1988 – X ZR 3/88, GRUR 1989, 39 (40) – Flächenentlüftung. 2 EuGH v. 30.1.1985, GRUR Int. 1985, 399 – Toltecs/Dorcet II; EuGH v. 25.2.1986, Slg. 1986, 611 (662) (Ziff. 81) – Windsurfing International; Änderung dann mit EuGH v. 27.9.1988, GRUR Int. 1989, 56 – Bayer/Süllhofer. Nach Art. 4 Abs. 2 lit. b der TTVO galten solche Klauseln als freistellungsfähig, für Patentrechte jetzt wie der EuGH: TT-Leitlinien, Rz. 204 ff. 3 Vgl. im Einzelnen Vertikal-GVO-Leitlinien, Rz. 189 ff. 4 OLG Hamburg v. 12.12.2013 – 3 U 38/11, BeckRS 2014, 01310 = GRUR-Prax 2014, 448: Markennießbrauch des Fußballvereins FC St. Pauli an seinen Vereinsmarken für 30 Jahre kartellwidrig, wenn zugleich dem Verein untersagt war, während der Laufzeit eigene Merchandisingaktivitäten durchzuführen. 5 Vertikal-GVO-Leitlinien, Rz. 190. 6 OLG Hamburg v. 12.12.2013 – 3 U 38/11, BeckRS 2014, 01310 = GRUR-Prax 2014, 448. 7 Maßgeblich ist dabei, ob nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses der Abgrenzungsvereinbarung objektiv begründeter Anlass bestand, dass die Benutzung des eingeschränkten Zeichens gerichtlich untersagt werden konnte, BGH v. 7.12.2010 – KZR 71/08, GRUR 2011, 641 (643) – Jette Joop; OLG Hamburg v. 30.4.2014 – 3 U 139/10, BeckRS 2014, 23186 = GRUR-Prax 2015, 312 – Peek&Cloppenburg (Revision BGB, Az.: KZR 69/14); das ist nicht der Fall, wenn die Marke wegen fehlender Benutzung löschungsreif wäre, OLG Düsseldorf v. 15.10.2014 – VI U (Kart) 42/13, WuW/E DE-R 4632 – Markenrechtliche Abnutzungsvereinbarungen. 8 EuGH v. 16.12.1982, GRUR Int. 1983, 294 – Toltecs/Dorcet; vgl. dazu im Einzelnen Harte-Bavendamm/v. Bomhard, GRUR 1998, 530 (532). 9 OLG Hamburg v. 30.4.2014 – 3 U 139/10, BeckRS 2014, 23186 = GRUR-Prax 2015, 312 – Peek&Cloppenburg (Revision BGH, Az.: KZR 69/14).
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Kennzeichenverträge
Rz. 508 Teil F
b) Täuschende Lizenz Die täuschende Lizenz ist zu behandeln wie die täuschende Übertragung (s. oben Rz. 455), zur Schweiz s. Rz. 520.
504
c) Registerstand Nach dem BGH1 sind Markenlizenzen auf die eingetragene Markenform beschränkt. Eine erteilte Lizenz erstreckt sich nicht auf verwechselbare Zeichen. Bei IR-Marken können die Mitgliedstaaten allgemein oder im Einzelfall der Wirksamkeit der Lizenzerteilung für ihr Land widersprechen2.
505
d) Gefahr der Entstehung von Freizeichen Verwenden mehrere, als Wettbewerber und selbständig auftretende Unternehmen aufgrund von Lizenzen oder Teilübertragungen dasselbe Kennzeichen, so kann das die Kennzeichenkraft der Marke schwächen und unter Umständen zur Entstehung eines Freizeichens führen3.
506
e) Ausgleichsanspruch des Lizenznehmers analog § 89b dtHGB In Deutschland kann dem Lizenznehmer eines Markenlizenzvertrages bei Beendigung des Lizenzverhältnisses ein Ausgleichsanspruch analog § 89b dtHGB (in Höhe von bis zu einer Jahresvergütung) zustehen. Das setzt nach der Rechtsprechung4 voraus, dass (i) der Lizenznehmer in die Absatzorganisation des Lizenzgebers eingebunden ist und (ii) der Lizenznehmer verpflichtet ist, dem Lizenzgeber den erworbenen Kundenstamm zu übertragen, sodass der Lizenzgeber sich bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstammes zunutze machen kann. An einer mit einem Handelsvertreter vergleichbaren Stellung fehlt es allerdings, wenn entweder (i) der Lizenzgeber selbst gar nicht im Warenvertrieb tätig ist oder (ii) der Lizenznehmer keine Waren vom Lizenzgeber bezieht, sondern lediglich von Dritten bezogene Waren mit der Marke des Lizenzgebers kennzeichnet. Bei Franchiseverträgen, die in der Regel mit einer Markenlizenz einhergehen, besteht hingegen ein erhebliches Risiko, dass dem Franchisenehmer ein derartiger Ausgleichsanspruch zusteht5.
507
f) Weiterübertragbarkeit von Markenlizenzen Umstritten ist, ob dem exklusiven Lizenznehmer das Recht zusteht, die ihm eingeräumte Lizenz auf einen Dritten weiter zu übertragen. Dies wird zum Teil – unter Verweis auf das Patentrecht bzw. die „dingliche“ Rechtsposition des exklusiven Lizenznehmers – angenommen6. Dem Lizenzgeber ist daher eine ausdrückliche vertragliche Klarstellung anzuraten, insbesondere wenn es ihm zum Erhalt der Qualitätsfunktion der Marke auf die Person des Lizenznehmers ankommt.
1 BGH v. 13.4.2000 – I ZR 220/97, GRUR 2001, 54 – SUBWAY/Subwear; dagegen M. Brandi-Dohrn in v. Schultz, 3. Aufl. 2012, § 30 Rz. 16. 2 Vgl. R. 20bis, Abs. 5, 6 GA MMA/PMMA. 3 BGH v. 12.1.1966 – Ib ZR 5/64, GRUR 1966, 375 – Meßmertee II. 4 BGH v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, DB 2010, 2331 – JOOP! 5 Vgl. z.B. BGH v. 12.12.1986 – I ZR 209/84, WM 1987, 512. 6 Ingerl/Rohnke, § 30 Rz. 49; eingeschränkt auch Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 71; ablehnend Kurtz, GRUR 2007, 292 (293).
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Brandi-Dohrn 639
508
Teil F Rz. 509
Handel mit geistigem Eigentum
g) Sonstige Kennzeichen, Domains, Firma, bürgerlicher Name 509
Lizenzen an geschäftlichen Bezeichnungen werden nicht von § 30 dtMarkenG erfasst1, sind jedoch zulässig – wenngleich wohl nur zusammen mit der Übertragung des betreffenden Geschäftsbetriebes2; nach hM kommt der Lizenz dingliche Wirkung zu3. Für Lizenzen an Werktiteln soll § 30 dtMarkenG analog gelten4; auch hier spricht sich die hM für eine dingliche Wirkung der Lizenz aus. Jedenfalls bei ausschließlichen Lizenzen am Werk wird dem Lizenznehmer implizit auch eine Lizenz am Werktitel eingeräumt5. Zur Lizenzierung von geographischen Herkunftsangaben und Kollektivmarken s. oben Rz. 446. Besondere Bedeutung erlangt die Frage schuldrechtlicher Gestattungen bei Domains, insb. im Zusammenhang mit Massenanmeldungen für neue TLD’s. Meldet ein Service-Provider im eigenen Namen eine auf den Namen eines an sich Berechtigten („A“) lautende Domain an, stellt sich die Frage, ob er einem bei der Anmeldung erfolglosen anderen Berechtigten („B“), der von ihm die Löschung der Domain wegen seines eigenen Namensrechts an der Domain verlangt, die (abgeleitete) bessere Berechtigung (dh ältere Priorität) des A entgegen halten kann. In Deutschland kann sich der Provider grundsätzlich gegenüber dem B auch auf das (bessere) Kennzeichenrecht seines Auftraggebers A berufen6. Eine derartige Treuhand ist gegenüber dem B aber nur wirksam, wenn der Dritte einfach und zuverlässig prüfen kann, ob die Domain wirklich im Auftrag des Kennzeichenberechtigten registriert wurde. Das setzt entweder (i) eine aktive Webpräsenz des A unter der Domain voraus oder (ii) eine notarielle Beurkundung des Treuhandauftrags. (vgl. Rz. 471).
510
An der Firma kann nach deutscher Sicht nur eine schuldrechtliche Lizenz erteilt werden; sie ist zudem nichtig, wenn nicht zugleich das Handelsgeschäft übergeht (Verbot der Leerübertragung, § 23 dtHGB = § 23 öUGB)7. Auch am bürgerlichen Namen kann in Deutschland nur eine schuldrechtliche Lizenz eingeräumt werden8. Für Österreich scheint nun am bürgerlichen Namen eine dingliche Lizenz anerkannt zu werden: öOGH v. 15.6.2000 – 4 Ob 85/00d, JBl. 2001, 54 – Radetzki Dieser Gestattungsvertrag wirkt aber nicht nur zwischen den Vertragspartnern, sondern auch „dinglich“ gegen Dritte in dem Sinn, dass diese auch kraft ihres eigenen Namens-(Firmen- oder Marken-)rechts den Gebrauch grundsätzlich nicht untersagen können. 1 Fezer, § 30 Rz. 103; Starck, WRP 1994, 703; Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 140 ff. 2 OLG München v. 8.8.1996 – 6 U 1938/96; a.A. Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 140: Nur bei Exklusivlizenz erlischt das Unternehmenskennzeichen. 3 Lehmann in FS Beier, 1996, S. 279 (285); Schricker in FS Vieregge, 1995, S. 775 (789); Fezer, § 30, Rz. 103; a.A. Hacker in Ströbele/Hacker, § 30 Rz. 140. 4 Fezer, § 15 Rz. 340; Ingerl/Rohnke, Vor §§ 27–31, Rz. 7. 5 BGH v. 15.6.1988 – I ZR 211/86, GRUR 1990, 218 – Verschenktexte; OLG München v. 29.6.1989 – 29 U 1523/89, ZUM 1990, 192 – Nachtgedanken. 6 „Decker-Rechtsprechung“, BGH v. 18.3.1993 – I ZR 99/92, BGHZ 122, 71 (74) = MDR 1993, 1071 – Decker; BGH v. 8.2.2007 – I ZR 59/04, NJW 2007, 2633 = BGHZ 171, 104 = GRUR 2007, 811 = ITRB 2007, 224 – grundke.de; OLG Hamm v. 19.6.2001 – 4 U 32/01, CR 2002, 217 (219) = MMR 2001, 749 – veltins.com; a.A. Rössel, CR 2004, 754 (760). 7 Ries in Röhricht/Graf v Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, § 23 Rz. 6; Fezer, § 15 Rz. 163; BGH v. 21.3.1985 – I ZR 190/82, GRUR 1985, 567 – Hydair; OLG Saarbrücken v. 24.3.1999 – 1 U 531/98–97, NJWE-WettbR 1999, 284 – H&K GmbH; OLG Hamm v. 25.4.2005 – 13 U 15/05; trotz der nur schuldrechtlichen Wirkung kann der Erwerber sich gegenüber Dritten aber auf die ursprüngliche Priorität berufen. 8 Fezer, § 15 Rz. 135; BGH v. 23.9.1992 – I ZR 251/90, GRUR 1993, 151 = BB 1992, 2381 – Universitätsemblem; OLG München v. 8.11.2001 – 6 U 5070/99, GRUR 2002, 453 (454) – Gesetzessammlung hält eine Lizenzierung generell für nicht denkbar.
640 | Brandi-Dohrn
Kennzeichenverträge
Rz. 516 Teil F
Nutzt eine Gesellschaft den Namen oder die Firma eines Gesellschafters, ist eine vertragliche Regelung für den Fall des Ausscheidens dieses Gesellschafters vorzusehen. BGH v. 8.5.1972 – II ZR 170/69, NJW 1972, 1418 (im gleichen Sinn auch öOGH v. 25.3. 1999 – 6 Ob 17/99, JBl. 1999, 610 = Rd 1999, 528 = GesRZ 1999, 192) Erlaubt der Gesellschafter einer GmbH, seinen Namen in der Firma zu führen, so steht der Gesellschaft dieses Recht mangels einer abweichenden Abrede auch nach Ausscheiden des Gesellschafters zu.
OLG Saarbrücken v. 24.3.1999 – 1 U 531/98–97, NJWE-WettbR 1999, 284 – H&K GmbH Durch die (bloße) Mitwirkung an der Errichtung einer GmbH, die seinen Namen führen soll, gestattet der Gesellschafter die Namensführung.
V. Nationale Besonderheiten 1. Österreich Anders als in Deutschland sind in Österreich nur eingetragene Marken markenrechtlich geschützt (§ 2 Abs. 1 öMSchG). Ein Ausstattungsschutz im deutschen Sinn existiert nicht, allerdings sind nicht eingetragene Kennzeichen nach § 9 öUWG geschützt; hinzu tritt das EU-rechtliche eingeschränkte Vorbenutzungsrecht gegenüber bekannten Marken (s. Rz. 442).
511
Das österreichische Markengesetz untersagt eine teilweise Übertragung von Marken sowie deren Lizenzierung, wenn sich hieraus eine Irreführung des Verkehrs ergibt; bei einer teilweisen Übertragung kann die Irreführung auch dadurch entstehen, dass sich die jeweiligen Warengruppen decken oder ähnlich sind (§ 11 Abs. 2, § 33c Abs. 1 öMSchG). Die frühere Bestimmung des § 3 öMSchG, wonach der originäre und derivative Erwerb einer Marke nur möglich war, wenn der Erwerber ein Unternehmen besitzt, aus dem die Waren/Dienstleistungen auch tatsächlich hervorgehen können1, ist seit 1999 aufgehoben2. Ob damit zugleich Altverträge nachträglich wirksam geworden sind, erscheint zweifelhaft (vgl. zum Parallelproblem in Deutschland Fn. 6 zu Rz. 489).
512
Für die Eintragung im Register ist dem Patentamt der Rechtsübergang bzw. die Lizenz nachzuweisen. Dafür bedarf es einer öffentlichen Urkunde oder einer Urkunde mit Unterschriftsbeglaubigung zumindest des Lizenzgebers (§ 28 Abs. 1 öMSchG).
513
Kartellrechtlich sind Lizenzverträge ab dem 1.5.2004 im Prinzip wie in Deutschland zu behandeln (s. Rz. 492 ff.); die früher in Vertikalvereinbarungen (z.B. Merchandisingverträgen mit Markenlizenz) wegen § 30b öKartG faktisch notwendige Schriftform ist mit dessen Streichung entfallen.
514
Vertikale Vertriebsbindungen, die der Vertikal-GVO unterfallen würden, gelten in Österreich auch bei rein nationalem Sachverhalt als freigestellt (VertVO)3. „.at“-Domains können auch im Wege der Vertragsübernahme übertragen werden4. Die Übertragung von „.at“- Domains hat auf den Formularen der NIC.AT zu erfolgen, die auch eine gesonderte schriftliche Bestätigung des Verkäufers und/oder des Käufers verlangen kann.
515
Einstweilen frei.
516
1 2 3 4
öOGH v. 25.4.1995, GRUR Int. 1996, 1234 – Wirobit. öBGBl. I 111/1999. öBGBl. II Nr. 177/2000. Vgl. Nr. 3.6 der NIC.AT-AGB 2015, https://www.nic.at/de/service/rechtliche-informationen/ agb/.
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Brandi-Dohrn 641
Teil F Rz. 517
Handel mit geistigem Eigentum
2. Schweiz a) Marken 517
Anders als Deutschland sind in der Schweiz seit dem 1.4.1995 nur eingetragene Marken markenrechtlich geschützt (Art. 5 schwMSchG)1. Ein Ausstattungsschutz im deutschen Sinn existiert nicht2. Dem älteren, nicht eingetragenen Nutzer eines Kennzeichens steht allerdings ein Vorbenutzungsrecht gegenüber dem Markeninhaber zu (Art. 14 schwMSchG). BG v. 17.3.2003, BGE 129 III 353 – Puls Ergänzender Schutz ergibt sich aus dem UWG.
518
Die Übertragung schweizerischer Marken bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 schwMSchG). Die Registereintragung wirkt nur deklaratorisch (Ausnahme: Garantie- und Kollektivmarken, Art. 27). Entgegen der mißverständlichen Formulierung des Art. 17 Abs. 2 Satz 2 schwMSchG gibt es wie in Deutschland auch keinen generellen gutgläubigen Erwerb vom eingetragenen Nichtberechtigten3. Wie in Deutschland ist eine Übertragung nur für Teile des Territoriums unzulässig; führt die Übertragung zu einer Irreführung, kann dies nach Art. 20 OR zur Nichtigkeit des Vertrages führen4. Die eingetragene Marke kann auch ohne das Unternehmen übertragen werden, nicht aber das Weiterbenutzungsrecht einer nicht eingetragenen Marke (Art. 14 Abs. 2 schwMSchG)5.
519
Für die Eintragung im Register ist dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) der Rechtsübergang bzw. die Lizenz nachzuweisen. Dafür reicht seit dem 1.7.2002 eine privatschriftliche Erklärung; wird der Antrag per e-Mail gestellt, sind die Dokumente als PDF anzuhängen6. Ausländische Antragsteller haben einen inländischen Vertreter für das Verfahren zu bestellen, der sich durch schriftliche Vollmacht auszuweisen hat7.
520
Lizenzen an Marken können formfrei (Ausnahme: Kollektivmarken) erteilt werden. Sie genießen in der Schweiz nur dann Sukzessionsschutz, wirken also auch gegenüber später an der Marke erworbenen Rechten, wenn sie in das Register eingetragen werden (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 schwMSchG). Diese Eintragung in das Register setzt jedoch – wie bei Übertragungen – den Nachweis der Lizenzierung (bei Unterlizenzen zudem den Nachweis, dass der Unterlizenzgeber zur Vergabe von Unterlizenzen berechtigt ist) voraus, sodass faktisch Schriftform notwendig ist. Dingliche Wirkung kommt der Lizenz jedoch – nach noch hM – nicht zu8. Bewirkt die Lizenzerteilung eine Täuschung des Rechtsverkehrs, soll dies unschädlich sein9. 1 Anders nur für notorisch bekannte Marken von Ausländern im Sinne von 6bis PVÜ, die auch ohne Eintragung Markenschutz genießen, BGE v. 17.3.2003, BGE 129 III 353 = AJP 2003, 1090 – Puls, mit ablehn. Anm. David. 2 A. Troller, S. 692. 3 Nr. 3.1 Richtlinien IGE. 4 Botschaft zum schwMSchG, S. 26. 5 BG v. 16.10.1991, GRUR Int 1993, 889 – Domsel. 6 Nr. 3.1 Richtlinien IGE. 7 Vgl. Art. 42 Abs. 1 schwMSchG; seit 1.7.2002 ist nach Art. 5 schwMSchV die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nicht mehr generell vorgeschrieben, sie wird vom Eidg. Amt f. Geistiges Eigentum aber bei Umschreibungen und Lizenzen weiterhin verlangt, Nr. 3.1.6 Richtlinien IGE. 8 BG v. 5.5.1987, BGE 113 II 190 (193); A. Troller, S. 726. 9 A. Troller, S. 769 f.; zw., da die täuschende Übertragung zur Nichtigkeit führen soll; für Einschränkung (nach dem alten MSchG) BG v. 29.11.1949, BGE 75 I 340 (347); da sich das Eidg. Amt für Geistiges Eigentum bei Prüfung der Eintragungsfähigkeit einer Lizenz auf diese Rechtsprechung beruft (vgl. A. Troller, S. 769, Fn. 34), ist mit Schwierigkeiten zu rechnen.
642 | Brandi-Dohrn
Kennzeichenverträge
Rz. 525 Teil F
Insbesondere bei ausschließlichen Lizenzen sind kartellrechtliche Beschränkungen zu beachten, da bei der Vereinbarung von Gebietsschutz nunmehr eine Wettbewerbsbeschränkung vermutet wird (Art. 5 Abs. 4 schwKG)1. Die Übertragung von Garantie- und Kollektivmarken sowie die Erteilung von Lizenzen an Kollektivmarken sind nur gültig, wenn sie in das Register eingetragen werden (Art. 27 schwMSchG). 521
Einstweilen frei. b) Sonstige Kennzeichen Unter den Unternehmenskennzeichen gewährt die Firma dem Inhaber ein Ausschließlichkeitsrecht2, nicht aber die sonstigen Unternehmenskennzeichen und die Ausstattung3. Die Übertragung einer Ausstattung ist nur zusammen mit dem (Teil-)Betrieb möglich4; das Gleiche dürfte für sonstige Unternehmenskennzeichen gelten.
522
c) Domains Die Vergabe und Übertragung von Domains ist – anders als in Deutschland – auf eine gesetzliche Grundlage gestellt5. Halter von Domains können auch Ausländer sein, die Domain muss jedoch vorrangig zur Verwendung in der Schweiz eingesetzt werden; erfolgt eine Übertragung auf einen Erwerber, der diese Voraussetzung nicht einhält, kann die Domainzuteilung widerrufen werden6. Ausländer müssen eine inländische Zustelladresse benennen (Art. 4 Abs. 4 AEFV). Die bisher mit der Domain-Verwaltung für die Schweiz und Liechtenstein beauftragte SWITCH liess die Übertragung von „.ch“- und „.li“-Domains im Wege einer Löschung und Neueintragung zu. Hierfür war – ausschließlich über die Web-Seite bzw. Schnittstelle bei SWITCH – die Änderung zu beantragen. Soweit der Antrag nicht vom Halter sondern vom Erwerber gestellt wird, verlangte SWITCH vom bisherigen Halter die Bestätigung des Antrages, die innerhalb von zehn Tagen ab Antrag bei SWITCH eingehen muss7. Mit Wirkung ab 1.1.2015 hat SWITCH die Vergabe von „.ch“-Domains eingestellt – die Vergabe von „.li“-Domains für Liechtenstein erfolgt jedoch weiterhin über SWITCH. Für „.ch“-Domains gelten künftig die jeweiligen Bedingungen des eingeschalteten Registrars, in den von ICANN vorgegebenen Grenzen (vgl. Rz. 469).
523
Einstweilen frei.
524
3. Liechtenstein Liechtenstein ist staatsvertraglich verpflichtet, die schweizerischen Gesetze zum Gewerblichen Rechtsschutz auch für sein Territorium anzuerkennen (s. Rz. 91). Das liechtensteinische Markengesetz entspricht daher weitgehend dem schweizerischen 1 Vgl. zum Verhältnis zur EU Rz. 494, und – zum alten Recht – weiterführend Schluep, sic! 1997, 16 ff. 2 Art. 956 OR. 3 A. Troller, S. 37, 128; ergänzender wettbewerbsrechtlicher Schutz nach § 1 schwUWG ist aber denkbar, vgl. BG v. 4.5.1964, BGE 90 II 192 = GRUR Int. 1966, 95 – Mondial. 4 A. Troller, S. 692; Keller/Kren Kostkiewicz in Heini/Keller, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, Art. 122, Rz. 15. 5 Verordnung über die Adressierungselemente im Fernmeldebereich (AEFV) v. 6.10.1997 idF v. 1.7. 2015; Verordnung über Internet Domains v. 5.11.2014, insbes. Art. 28 Abs. 3 VID. 6 Art. 4 Abs. 3 lit. c, Art. 11 Abs. 1 lit. c AEFV. 7 Vgl. Nr. 3.2.2, 3.1.2, 2. Abs. lit. e der SWITCH-AGB, https://www.nic.ch/reg/cm/wcm-page/ index.html?lid=de&plain=&res=/reg/guest/terms/prices.jsp (Stand: 1.1.2015, Version 10).
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Brandi-Dohrn 643
525
Teil F Rz. 526
Handel mit geistigem Eigentum
Markenschutzgesetz. Gemäß Art. 13 Abs. 6 liMSchG gilt der Grundsatz der internationalen Erschöpfung1. 526
Die Verwaltung von Domains unter der TLD „.li“ ist der schweizerischen SWITCH übertragen, s. oben.
527
Urteile des Fürstentums Liechtenstein werden bislang in Deutschland nicht anerkannt, da die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist2.
528
Einstweilen frei.
VI. Internationales Privatrecht 1. Rechtswahl 529
Grundsätzlich sind die Parteien frei, ihren Markenkauf- oder -lizenzvertrag einem von ihnen frei gewählten Recht zu unterstellen (Art. 3 Rom I-VO; Art. 122 Abs. 2 schwIPRG; Art. 39 liIPRG). Wählen sie „deutsches Recht“, so bezieht sich diese Rechtswahl auf das deutsche Sachrecht (Art. 20 Rom I-VO) einschließlich des Einheitsrechts, nicht aber auf das Kollisionsrecht; eine Rück- oder Weiterverweisung ist daher nicht mehr zu prüfen. Die Rechtswahl erfasst in Deutschland und Österreich jedoch nicht etwaige neben den vertraglichen bestehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung3, was bei Verstößen gegen den Umfang der lizenzvertraglich eingeräumten Nutzungsrechte häufig der Fall ist (Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO)4. In der Schweiz gilt das Vertragsstatut jedoch auch für konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Art. 133 Abs. 3 schwIPRG). Ist ausländisches Recht gewählt, so bestimmt sich sowohl die Wirksamkeit dieser Rechtswahl5 wie die Frage, ob hierin eine Gesamtrechtsverweisung liegt6, nach dem gewählten Recht. 2. Grenzen der Rechtswahl
530
Die Rechtswahlfreiheit unterliegt Einschränkungen, zum einen aufgrund der Besonderheiten des Immaterialgüterrechts, zum anderen aufgrund (für alle Arten von Verträgen geltender) wirtschaftspolitischer Vorschriften. a) Immaterialgüterstatut
531
Für Marken ist das Schutzlandprinzip heute allgemein anerkannt. Fragen, die die Marke als solche betreffen, sind daher zwingend7 gesondert anzuknüpfen nach dem 1 Hierzu fürstl. OGH v. 5.7.2001 – 9 Cg 24/99–72, LES 2001, 206 – Polo-Ralph Lauren. 2 OLG Stuttgart v. 28.7.2014 – 5 U 147/12, BB 2014, 2433. 3 Beide Ansprüche können jedoch im gleichen Gerichtsstand geltend gemacht werden, da die Frage der unerlaubten Handlung notwendig eine Auslegung des Vertrages voraussetzt, sodass der Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) auch deliktische Ansprüche mit erfasst, EuGH v. 13.3.2014 – Rs. C-548/12, NJW 2014, 1648 – Brogsitter. 4 Nach dem in Deutschland außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom-II-VO weiter geltenden Art. 42 EGBGB kann nach Schadenseintritt eine vertragliche Rechtswahl erfolgen; ebenso die Schweiz, Art. 110 Abs. 2 schwIPRG. 5 BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, NJW 1994, 262. 6 Anders als Art. 3 Rom I-VO lassen ausländische IPR-Gesetze bisweilen eine Rechtswahl auch unter Einschluss der IPR-Normen zu, vgl. Sachnormverweisung in Art. 11 Abs. 1 öIPRG, Art. 11 Abs. 1 liIPRG; eingeschränkte Gesamtnormverweisung in Art. 14 schwIPRG; ausführlich Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 218 f. 7 BGH v. 17.6.1992 – I ZR 182/90, NJW 1992, 2824 – Alf.
644 | Brandi-Dohrn
Kennzeichenverträge
Rz. 532 Teil F
im jeweiligen Schutzland der Marke geltenden Recht1; das Gleiche gilt auch für Namen2, Firma und sonstige Unternehmenskennzeichen, sowie nicht eingetragene Marken3. Auch das nach schweizerischem Recht bestehende markenrechtliche Vorbenutzungsrecht unterliegt diesen Grundsätzen4. Unabhängig vom gewählten Recht sind also nach dem für die betroffenen Kennzeichen jeweils geltenden Landesrecht (einschließlich der in dem Land geltenden internationalen Abkommen) zu prüfen5 – die Existenz, das Entstehen und Erlöschen des Kennzeichens (Schutzbeginn; Anmeldung; Notwendigkeit der Registereintragung; Erschöpfung). Das Schutzlandprinzip, erweitert durch den nach PVÜ und TRIPS gewährten Mindestschutz, führt daher zur Anerkennung von Kennzeichen in Deutschland, die im Entstehungsland keinen Schutz genießen. Für die Verbandsstaaten des TRIPS ist zu berücksichtigen, dass es für die telle-quelle-Marke (Art. 2 Abs. 1 TRIPS, Art. 6quinquies PVÜ) nur auf die Eintragung im Ursprungsstaat, nicht auf die Schutzvoraussetzungen des jeweiligen Schutzlandes ankommt. – Inhalt des Schutzes, Priorität und Schutzdauer6 (hier setzen PVÜ, TRIPS und MMA bestimmte Mindeststandards); die Wirksamkeit der Übertragung7 bzw. Lizenzierung (grds. Zulässigkeit von Übertragungen an die Person des Empfängers; Zulässigkeit von Teilübertragungen; gutgläubiger Erwerb; Sukzessionsschutz8). Nach dem Schutzland bestimmt sich daher, ob das jeweilige Recht überhaupt lizenziert oder das Recht oder die Lizenz übertragen werden kann, einschließlich der Frage, ob die Lizenz gegenüber Dritten Wirkung entfaltet (sog. „dingliche Wirkung“)9. Daher richtet sich auch die Frage, ob – entsprechend der neuen Rechtsprechung in Deutschland – bei Wegfall der Hauptlizenz die Unterlizenz fortbesteht, nach dem Schutzland, die Rechtsprechung gilt also nur für den deutschen Teil des Schutzrechtes10. – Für die Form der Übertragung bzw. Lizenzierung gilt zwar grundsätzlich Art. 11 Rom I-VO – jedoch sind für die Frage, ob eine Übertragung/Lizenzierung eines Kennzeichens in den jeweiligen Vertragsstaaten Wirkung entfaltet, die Formvorschriften des jeweiligen Schutzlandes maßgeblich11. Für die Frage, ob und nach welchen Bestimmungen an Kennzeichen Sicherungsrechte eingeräumt werden kann, ist zu unterscheiden: Ob überhaupt ein Sicherungsrecht bestellt werden kann, richtet sich nach dem Schutzlandprinzip; ebenso die Frage, ob die Begründung des Sicherungsrechtes seine Eintragung in einem Register voraussetzt. Das zwingt bei Kreditsicherungsverträgen, mit denen Sicherheiten an Markenportfolios bestellt werden sollen, zu einer Überprüfung des jeweiligen Landesrechts der einzelnen Marken. Das auf die Sicherungsvereinbarung anwendbare Recht bestimmt sich 1 AllgM, vgl. nur Drexl in MünchKomm/BGB, IPR II, 6. Aufl. 2015, IntImmGR, Rz. 6. Hierbei handelt es sich um eine Gesamtverweisung, insb. auch auf die jeweiligen internat. Abkommen; Schweiz: Art. 110 Abs. 1 IPRG. 2 Schweiz: vgl. die Sonderregelung in Art. 38 IPRG für Namen. 3 BGH v. 28.6.2007 – I ZR 49/04, MarkenR 2007, 379 (382, Rz. 26) – Cambridge Institute: für geschäftliche Bezeichung; für Namen und Unternehmenskennzeichen BGH v. 2.4.1971 – I ZR 41/70 – „SWOPS“; für Urheberrecht LG München I v. 14.5.2012 – 21 O 14914/09, BeckRS 2012, 13691; für nicht eingetragene Marken Drexl in MünchKomm/BGB, IPR II, Rz. 190. 4 schwBG v. 16.10.1991, GRUR Int. 1993, 889 – Domsel. 5 Vgl. im Einzelnen Hiestand in Reithmann/Martiny, Rz. 1875 ff. 6 Für die Unionsmarke sind Art. 14 Abs. 1, 97 Abs. 2 UMVO zu beachten. 7 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, GRUR Int. 1965, 504 – Carla; BGH v. 2.5.2002 – I ZR 300/99, GRUR 2002, 972 = LM § 5 MarkenG 2/02 – FROMMIA; Drexl in MünchKomm/BGB, IPR II, Rz. 213; Hiestand in Reithmann/Martiny, Rz. 1882; ebenso Art. 3:301 CLIP-Grundregeln. 8 LG Mannheim v. 29.5.2015 – 2 O 147/14, BeckRS 2015, 15001. 9 OLG Düsseldorf v. 12.6.2014 – I-2 U 86/09, openJur 2014, 14243, Rz. 92; Art. 3.301 CLIPGrundregeln. 10 Offen Spindler, CR 2014, 557 (567). 11 Beier, GRUR Int. 1981, 299 (306); Hiestand in Reithmann/Martiny, Rz. 1884; anders Art. 3:504 CLIP-Grundregeln und für Österreich: Schwimann, Kapitel E III; Schwind, Rz. 406.
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Brandi-Dohrn 645
532
Teil F Rz. 533
Handel mit geistigem Eigentum
nach dem Vertragsstatut, also vorrangig dem von den Kreditsicherungsparteien gewählten Recht. Noch weitgehend ungeklärt ist, ob die Bestellung des Sicherungsrechts und seine Wirkung gegenüber Dritten ebenfalls dem Schutzlandprinzip folgen oder eher auf das Sitzland des Bestellers der Sicherheit abzustellen ist1. b) Zwingende wirtschaftspolitische Vorschriften 533
Während im Markenrecht die Einschränkungen des Außenwirtschaftsrechts heute kaum noch bedeutsam sind, begrenzen die Bestimmungen des jeweiligen nationalen Kartellrechts die Klauselgestaltung bei Lizenzverträgen (vgl. Rz. 492 ff.). Dabei ist sowohl im Raum der EU wie auch in der Schweiz das Kartellrecht desjenigen Staates anwendbar, in dessen Territorium sich die Vereinbarung auswirkt. 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht
534
Ausgangspunkt der Prüfung über das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht ist für die Schweiz das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Schutzrechtsinhabers bzw. Lizenzgebers (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG). In Liechtenstein ist das Schutzlandprinzip maßgeblich für das Vertragsstatut, außer der Vertrag bezieht sich auf mehrere Länder (sodass ein einheitliches Vertragsstatut fehlt) – in diesem Fall gilt das Recht am Ort des Lizenznehmers (Art. 47 Abs. 1 liIPRG). Für Deutschland und Österreich gilt auch bei Verträgen über Immaterialgüterrechte Art. 4 Rom I-VO, der auf das Recht verweist, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen hat – das ist das Recht des Landes, in dem der Erbringer der charakteristischen Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wie diese charakteristische Leistung zu bestimmen ist, hängt von der Art des Vertrages ab: a) Kennzeichen-Kaufvertrag
535
Beim Kaufvertrag über Rechte ist in der Regel das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. der Niederlassung des Verkäufers2 maßgeblich; dennoch wird teilweise gefordert, auf das Recht des Schutzlandes abzustellen3. Das Schuldstatut wird natürlich auch hier begrenzt durch die Schranken der Rechtswahl (Rz. 530 ff.). b) Kennzeichen-Lizenzvertrag
536
Für die Frage, wer beim Marken-Lizenzvertrag der Erbringer der charakteristischen Leistung ist, hat sich in Deutschland keine eindeutig h.M. herausgebildet4. Die objektive Anknüpfung soll sich richten nach – der Niederlassung des Lizenzgebers5, 1 Vgl. im Einzelnen Drexl in MünchKomm/BGB, IPR II, Rz. 218 ff., dort auch spezifisch zur Unionsmarke; Art. 3:802 CLIP-Grundregeln spricht sich dem Grundsatz nach für das Sitzland aus, der UNCITRAL Legislative Guide on Secured Transactions – Supplement on Security Rights in Intellectual Property 2011 versucht, beide Ansätze miteinander zu verbinden (Empfehlung 248). 2 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, GRUR Int. 1965, 504 – Carla; Erman/G. Hohloch, BGB Bd. II, 14. Aufl. 2014, Art. 4 VO Rom I, Rz. 35; ebenso Schweiz: Art. 122 Abs. 1 IPRG. 3 Martiny in MünchKomm/BGB, IPR I, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rom I-VO, Rz. 264; Beier, GRUR Int. 1981, 299 (306) Fn. 51 m.w.N.; ebenso OLG München v. 12.1.2006 – 29 U 3736/05, GRUR-RR 2006, 130 (132) = MarkenR 2006, 123 – UltraMind; für Österreich ergibt sich das im Ergebnis auch, wenn man eine Rechtswahl für unzulässig hält, vgl. Schwimann, Kapitel E III., Schwind, Rz. 408 (noch zur alten Rechtslage vor 1998); in der Schweiz wird teilweise eine objektive Anknüpfung entgegen Art. 122 Abs. 1 IPRG für zulässig gehalten, Dutoit, Art. 122 Rz. 6. 4 Vgl. ausführlich hierzu Hiestand in Reithmann/Martiny, Rz. 1865 ff. 5 Hiestand in Reithmann/Martiny, Rz. 1869; Erman/G. Hohloch, BGB (s.o. Fn. 2), Rz. 42; Fezer, Einl. H, Rz. 62; Martiny in MünchKomm/BGB, Rz. 265.
646 | Brandi-Dohrn
Kennzeichenverträge
Rz. 539 Teil F
– dem (jeweiligen) Schutzland1, – der Niederlassung des Lizenznehmers, soweit die Lizenz mehrere Länder umfasst2, – der Niederlassung des Lizenznehmers, soweit es sich um eine ausschließliche Lizenz handelt oder Verwertungspflichten bestehen3, – dem gemeinsamen Heimatrecht der Parteien, oder – dem Gerichtsort. In der Schweiz erfolgt die objektive Anknüpfung an das Recht des Landes, in dem der Berechtigte (Lizenzgeber) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 122 Abs. 1 schwIPRG)4.
537
In Österreich regelte bis zum 1.12.1998 § 43 öIPRG das Vertragsrechtsstatut, nunmehr gilt Art. 4 Rom I-VO. Das führt zum gleichen – unklaren – Ergebnis wie in Deutschland. OGH v. 22.11.1994 – 4 Ob 118/94, GRUR Int. 1996, 259 – Virion (noch zu § 43 öIPRG) Es gilt das Recht des Lizenznehmers, wenn die Markenlizenz sich auf mehrere Länder bezieht.
In Liechtenstein ist das Schutzlandprinzip maßgeblich für das Vertragsstatut, außer der Vertrag bezieht sich auf mehrere Länder (sodass es kein einheitliches Vertragsstatut mehr gäbe) – in diesem Fall gilt das Recht am Ort des Lizenznehmers (Art. 47 Abs. 1 liIPRG). Da sich eine eindeutig herrschende Meinung zur Frage des anwendbaren Rechts bislang nicht gebildet hat, ist eine ausdrückliche Rechtswahl dringend anzuraten. 4. Internationales Einheitsrecht Neben den oben unter Rz. 61 ff. aufgeführten zwei- und mehrseitigen Abkommen sei hier lediglich auf das CISG5 verwiesen, das nach überwiegender Meinung weder auf den Kennzeichenkaufvertrag anzuwenden ist, noch auf Merchandising- und Franchising-Verträge6.
538
VII. Steuerrechtliche Hinweise 1. Umsatzsteuern Im Bereich der Umsatzsteuern ist bei Lizenzverträgen die teilweise Harmonisierung durch die 6. MwSt-Richtlinie zu berücksichtigen (s. Rz. 420 ff.): Ist der Käufer oder Lizenznehmer ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, der Verkäufer bzw. Lizenzgeber außerhalb Deutschlands ansässig, so ist der Lizenznehmer Steuerschuldner für die Berechnung, den Ausweis und das Abführen der Umsatzsteuer (§ 13b Abs. 5 UStG), sog. „Reverse-Charge-Verfahren“. Da der Empfänger der Leistung einen Teil des Erwerbspreises als Steuer an das zuständige Finanzamt abführen muss, ist im Vertrag zu regeln, wer letztlich diese Steuer zu tragen hat. Ohne Regelung gilt in Deutschland 1 OLG Düsseldorf v. 4.8.1961 – 2 U 66/61, GRUR Int. 1962, 256 – Tubenverschluss (Erlöschen der Patentlizenz); LG Stuttgart v. 14.3.1957, IPR Rspr. 1956/57, Nr. 29; Beier, GRUR Int. 1981, 299 (304). 2 Schwind, Rz. 408; öOGH v. 22.11.1994 – 4 Ob 118/94, GRUR Int. 1996, 259 – Virion. 3 Stimmel, GRUR Int. 2010, 783 (787); Ulmer, Die Immaterialgüterrechte im Internationalen Privatrecht, Köln 1975, S. 103 f. 4 Ebenso schwBG v. 22.4.1975, BGE 101 II 293 (298) – Togal zum früheren Recht. 5 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11.4.1980, BGBl. 1989 II, 588. 6 Vgl. im Einzelnen Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 5 zu Rz. 417), Art. 1 Rz. 31, 32, 36.
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Brandi-Dohrn 647
539
Teil F Rz. 540
Handel mit geistigem Eigentum
der angegebene Preis als Bruttopreis (s. Rz. 222) – der Lizenzgeber erhält dann also im Zweifel lediglich den angegebenen Betrag abzüglich der USt. 2. Ertragssteuern a) Veräußerer/Lizenzgeber 540
Die vom Verwertungsbetrieb selbst geschaffenen wie die erworbenen Marken gehören zum Betriebsvermögen. Der Verkaufserlös ist daher in Deutschland steuerpflichtig als Erlös aus Gewerbebetrieb nach § 8 dtKStG, § 15 Abs. 1 dtEStG bzw. – bei Selbstständigen (z.B. Markendesigner, Markenhändler) – nach § 18 dtEStG. Lizenzerträge stellen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auch bei zeitlich nicht festgelegter Dauer der Lizenz dar (§ 8 dtKStG, § 21 Abs. 1 Nr. 3 dtEStG); ist die Rückübertragung allerdings vertraglich oder aus tatsächlichen Gründen (Wertverzehr) ausgeschlossen, wird eine Übertragung der Marke angenommen1. Bei rein nationalen Sachverhalten kommt es dennoch wegen der Subsidiaritätsklausel des § 21 Abs. 3 dtEStG kaum je zu einer Qualifizierung als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Unterscheidung ist jedoch im internationalen Steuerrecht von erheblicher Bedeutung. b) Käufer/Lizenznehmer
541
Die Aufwendungen des Käufers für den Erwerb einer Marke sind grundsätzlich zu aktivieren (§ 5 Abs. 2 dtEStG). Der Preis kann über die Nutzungsdauer abgeschrieben werden, wenn die Marke als abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut einzustufen ist. Das wird von der Finanzverwaltung in der Regel angenommen2, wobei die Abschreibung über 15 Jahre erfolgt, soweit nicht eine kürzere Nutzungsdauer nachgewiesen wird3. Die Aufwendungen des Lizenznehmers sind grundsätzlich im Jahr der Lizenzzahlung als Betriebsausgabe absetzbar. Allerdings sind 6,25 % der gezahlten Lizenzgebühren dem Gewinn für Gewerbesteuerzwecke wieder hinzuzurechnen, erhöhen also in diesem Umfang die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer (§ 8 Nr. 1 lit. f GewStG)4. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich um eine reine Vertriebslizenz handelt; vertraglich ist daher anzuraten, bei gemischten Lizenzen die für die Vertriebslizenz geforderte Lizenzgebühr gesondert auszuweisen.
542
Sowohl bei Übertragung wie Lizenzierung ist beim Erwerb von Gesellschaftern des Betriebes auf das Risiko zu achten, dass die Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen eingestuft werden, wenn deren Höhe einem Fremdvergleich nicht standhält5. Der BFH lässt die entgeltliche Lizenzierung von Marken (nicht aber die Gestattung zum Gebrauch der Bezeichnung als Firma) innerhalb eines Konzerns sogar dann zu, wenn die Marke zunächst der Konzerngesellschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde6. Das eröffnet interessante Gestaltungsmöglichkeiten bei der Zuordnung 1 BFH v. 7.12.1977 – I R 54/75, BStBl. 1978 II, 355; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 22 Rz. 139. 2 BMF-Schreiben v. 12.7.1999, BStBl. 1999 I, 686, gegen BFH v. 4.9.1996 – II B 135/95, BStBl. 1996 II, 586; zur Bilanzierung von Marken vgl. umfassend Gerpott/Thomas, DB 2004, 2485 ff. 3 Vgl. näher Weber-Grellet in Schmidt (s.o. Fn. 1), § 5 Rz. 270 – „Warenzeichen“. 4 Weiterführend: Clemens/Laurent, DStR 2008, 440 ff. 5 Allg. Schwedhelm in Streck, KStG, 8. Aufl. 2014, § 8 Anh, Rz. 693 – „Immaterielle Wirtschaftsgüter“. Bei bekannten Marken sind Lizenzsätze von 20 % nicht unüblich; Sätze bis 5 % der Umsätze werden in der Regel ohne Schwierigkeiten anerkannt; ausführlich zu Gesellschafter-Markenlizenzen aus steuerlicher Sicht Schweiger, BB 1999, 451. 6 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, NJW 2001, 1519 = IStR 2001, 54.
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Kennzeichenverträge
Rz. 544 Teil F
von Erlösen1. Umgekehrt ergibt sich jedoch aus dieser Rechtsprechung das erhebliche Risiko, dass eine nicht dem Fremdvergleich standhaltende, insbesondere unentgeltliche Überlassung einer mit der Firma gleichlautenden Marke an eine ausländische Konzerngesellschaft zu einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 dtAStG führen kann, also zu einer Erhöhung der steuerbaren inländischen Einkünfte in Höhe der fiktiv zu erzielenden Lizenzgebühr2. Verkauf und Lizenzierung von Domains folgen denselben Regeln wie die Kennzeichenverträge – mit dem Unterschied, dass die Rechtsprechung Domains, anders als Marken, als nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter einstuft, sodass die Kosten für den Kauf einer Domain nicht der AfA unterliegen, sondern erst im Zeitpunkt der Weiterveräußerung bzw. Entnahme aus dem Betriebsvermögen steuerlich zu berücksichtigen sind3.
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3. Internationales Steuerrecht Bei Markenverträgen zwischen deutschen und ausländischen Vertragspartnern sind die von der ausländischen Partei erzielten Erlöse in Deutschland steuerpflichtig, wenn sie die Inlandskriterien des § 49 dtEStG erfüllen und der Ausländer (nur) beschränkt steuerpflichtig ist (§ 1 Abs. 4 dtEStG, § 2 Nr. 1, 2 dtKStG)4. Für die Zahlung der Steuern haftet auch der deutsche Lizenznehmer: So sind z.B. die Lizenz-Einnahmen aus einer eingetragenen deutschen5 Marke eines ausländischen Markeninhabers und Lizenzgebers idR zu versteuernde inländische Einkünfte6. Wird ein nicht eingetragenes Kennzeichen lizenziert, dürfte die Steuerpflicht davon abhängen, ob es in einer inländischen Betriebsstätte7 verwertet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 dtEStG). Die gleiche Unterscheidung nach dem Vorliegen einer Registereintragung gilt für die Veräußerung von Kennzeichen (zur Abgrenzung von der Lizenz s. Rz. 540); hier ergibt sich die Steuerpflicht aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. f dtEStG, soweit eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt. Werden Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen aus verschiedenen EU/ EWR-Mitgliedstaaten oder der Schweiz vereinbart, gelten besondere Regelungen (vgl. Rz. 295).
1 Vgl. Borstell/Wehnert, IStR 2001, 127; die verschärften Dokumentationspflichten für Konzerngeschäfte mit Auslandsbezug gemäß § 90 Abs. 3 AO sind zu beachten. 2 So FG Münster v. 14.2.2014 – 4 K 1053/11 E, IStR 2014, 489 v. BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14 nur für Lizenz an Firmierung zurückgewiesen); weitergehend zum Thema Listl, IStR 2014, 94 ff.; SchulzTrieglaff, IStR 2014, 596; Krüger, IStR 2015, 650 ff. 3 BFH v. 19.10.2006 – III R 6/05, DStR 2007, 335 = DB 2007, 430 (432); vgl. zur Bilanzierung und Bewertung von Domains Schmittmann, StuB 2002, 105. 4 Typischer Fall: Der deutschen Vertriebsgesellschaft wird von der ausländischen Konzernmutter eine Markenlizenz für den Vertrieb in Deutschland eingeräumt, vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, NJW 2001, 1519 = IStR 2001, 54. 5 Ob bzgl. etwa mitlizenzierter ausländischer identischer Marken der Lizenznehmer tatsächlich eine „Verwertung im Inland“ vornimmt, ist ungeklärt und zweifelhaft. Ggfls. sollte die Lizenzgebühr für die in Deutschland geltenden Marken und die ausländischen im Lizenzvertrag gesondert ausgewiesen werden. 6 Wird in einem Vertriebsvertrag der Vertriebsgesellschaft eine Lizenz an der deutschen Marke eingeräumt, sind die hieraus fließenden Lizenzzahlungen aber nur steuerpflichtig, wenn die Vertriebsgesellschaft auch selbst zeichenmäßig gekennzeichnete Waren herstellt, BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. 1989 II, 101. 7 Nicht notwendiger Weise eine Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens, Loschelder in Schmidt (Fn. 5 zu Rz. 433), § 49 Rz. 55; BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. 1993 II, 407 (409).
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Teil F Rz. 545 545
Handel mit geistigem Eigentum
Sind die Erträge steuerpflichtig, so ist zu prüfen, ob ein bestehendes DBA die Steuerpflicht in Deutschland einschränkt1. DBA’s bestehen unter anderem mit der Schweiz2, mit Österreich3, und mit Wirkung ab 1.1.2013 auch mit Liechtenstein4. Alle DBA’s gehen im Grundsatz davon aus, dass Lizenzgebühren nur im Sitzstaat des Lizenzgebers zu besteuern sind5 – § 49 dtEStG ist also ausgeschlossen. Von diesem Prinzip ausgenommen sind lediglich Lizenzeinkünfte, die zu einer inländischen Betriebsstätte gehören6, sowie Missbrauchsfälle7. Allerdings hat sich Deutschland, auch wenn nach dem DBA die Besteuerung ausschließlich dem Sitzstaat des Lizenzgebers zugewiesen ist, in den meisten8 DBA’s vorbehalten, vom Lizenznehmer eine Quellensteuer zu erheben9. Diese Quellensteuer ist dem Lizenzgeber auf seinen (fristgerechten) Antrag10 insoweit zu erstatten, als sie den Abkommenssatz überschreitet. Ist nach dem DBA der inländische Vertragspartner steuerpflichtig, kann seine Steuerlast ggf. durch Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verringert sein11. Ist unter Berücksichtigung des jeweiligen DBA der (ausländische) Vergütungsgläubiger steuerpflichtig und hat Deutschland sich die Erhebung von Quellensteuern vorbehalten, so ist der Lizenznehmer, nicht aber der Käufer eines Kennzeichens12, nach § 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 dtEStG verpflichtet, von den Zahlungen einen Steuerabzug von 15 % vorzunehmen und an das BZSt abzuführen (sog. „Steuerabzugsverfahren“) – auch wenn, wie im DBA Schweiz und Österreich, der Lizenzgeber in Deutschland gar keine Quellensteuer zu zahlen hätte. Vergisst der Lizenznehmer den Abzug, kann er per Haftungsbescheid13 zur Zahlung herangezogen werden. Er kann den Steuerabzug nur vermeiden, wenn der Lizenzgeber ihm vor Zahlung der jeweiligen Lizenzgebühren eine Freistellung nach § 50d Abs. 2 dtEStG vorlegt. Die Freistellung ist formulargebunden und beim Bundeszentralamt für Steuern zu beantragen14. Sie wird, in der Regel rückwirkend auf den Tag der Antragstellung, für maximal drei Jahre erteilt und nur dann wenn (i) in anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen ein geringerer Steuersatz vereinbart ist15 und (ii) die Gesellschaft nicht lediglich zu steuerlichen Zwecken von inländischen Gesellschaftern zur Verringerung der Steuerlast „zwischengeschaltet“ wurde (§ 50d Abs. 3 dtEStG). Wurde die Freistellung versäumt, kann der Lizenzgeber die Rückerstattung von einbehaltenen Steuern nach § 50d Abs. 1 beantra1 Eine Begründung oder Ausdehnung der Steuerpflicht durch DBA ist ausgeschlossen, BFH v. 21.1.1981 – I R 153/77, BStBl. 1981 II, 517. 2 DBA Schweiz v. 11.8.1971, idF des Revisionsprotokolles v. 27.10.2010. 3 DBA Österreich v. 24.8.2000 (anzuwenden ab 1.1.2003). 4 DBA Liechtenstein v. 17.11.2011. 5 Vgl. Art. 12 Nr. 1 OECD-Musterabkommen. 6 Vgl. z.B. Art. 12 Abs. 3 DBA Schweiz und DBA Österreich. 7 Vgl. z.B. Art. 23 DBA Schweiz. 8 Fehlt ein solcher Vorbehalt, stellt ein Einbehalt von Quellensteuer einen Verstoß gegen das DBA dar, BFH v. 22.10.1986 – I R 261/82, BStBl. 1987 II, 171; ausführlich Vogel/Lehner, DBA Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Aufl. 2015, Vor Art. 10–12 Rz. 48. 9 Vgl. z.B. DBA Schweiz, Art. 28, Abs. 1; DBA Österreich, Art. 27 Abs. 1; DBA Liechtenstein, Art. 30; zur EU-Konformität des Quellensteuerabzugs vgl. BFH v. 25.11.2002 – I B 69/02, DStR 2003, 111. 10 Der (inländische) Lizenznehmer kann nur als Bevollmächtigter Anträge stellen, vgl. § 50d Abs. 1 Satz 3 dtEStG. 11 Vgl. z.B. Art. 24 DBA Schweiz; zur Auslegung bei Lizenzen, insb. zur Zuordnung zu den Unternehmensgewinnen, falls es sich nur um Nebenerträge der eigentlichen Unternehmenstätigkeit handelt, BFH v. 29.11.2000 – I R 84/99, IStR 2001, 185. 12 Im Falle einer Veräußerung kommt ein Steuerabzug nicht in Frage, da § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG nur von „Überlassung“ spricht, BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, DStR 2001, 2065 (2066), gegen BMF v. 23.1.1996, BStBl. 1996 I, 89. 13 Vgl. nur BFH v. 20.7.1988 – I R 61/85, BStBl. 1989 II, 99. 14 Formulare und Merkblätter in verschiedenen Sprachen: http://www.bzst.de/DE/Steuern_Inter national/Abzugsteuerentlastung/Freistellung_Erstattung/freist_erst_node.html. 15 Liste der aktuellen DBA-Steuersätze: http://www.bzst.de/DE/Steuern_International/Aus laendische_Quellensteuer/auslaendische_quellensteuer_node.html.
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Kennzeichenverträge
Rz. 548 Teil F
gen, wenn er nach dem anwendbaren DBA einem niedrigeren Steuersatz als 15 % unterliegt. Beim Abschluß von Lizenzverträgen sollte der Lizenznehmer daher darauf achten, dass rechtzeitig vor Abschluß des Vertrages eine Freistellung beantragt wird (ggfls. sogar durch ihn selbst als Vertreter des Lizenzgebers) und etwaige Lizenzzahlungen erst nach Vorliegen der Bescheinigung fällig werden. Bei Lizenzgebern mit Sitz in einem EU/EWR-Mitgliedsland (also einschließlich Liechtenstein, jedoch nicht bei Lizenzgebern mit Sitz in der Schweiz) ist es (über den Wortlaut des § 50a Abs. 3 EStG hinaus) zulässig, mit der Bruttolizenzvergütung in Zusammenhang stehende Aufwendungen abzuziehen1.
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Der inländische Lizenzgeber kann eine im Ausland auf Lizenzgebühren seines ausländischen Lizenznehmers erhobene Quellensteuer nach § 34c dtEStG auf seine inländische Steuerschuld anrechnen. Alternativ kann er – soweit das ausländische Recht das vorsieht – die Rückerstattung der einbehaltenen Quellensteuer bei der jeweiligen ausländischen Behörde beantragen2.
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VIII. Checkliste 1. Übertragung/Lizenzierung von Kennzeichen – Existenz/Schutzumfang des Schutzrechtes – Registerstand zutreffend? Soweit Register keinen Gutglaubensschutz bietet, lückenlose Inhaberkette oder Garantie der Rechtsinhaberschaft nötig. – Benutzungsnachweise erhalten, soweit Benutzungsschonfrist für Kennzeichen abgelaufen? – Liegt Anmeldung weniger als sechs Monate zurück (dann prioritätswahrende weitere Anmeldungen bei Vertragsverhandlungen berücksichtigen)? – Kann Erwerber/Lizenznehmer die gewünschten Rechte an der Marke erwerben? – insb.: IR-Marken (nur Verbandsangehörige), Kollektivmarken (nur Verbandsmitglieder), – insb.: Kann Erwerb Täuschung des Rechtsverkehrs bewirken? – insb.: Kann das Kennzeichen ohne den Geschäftsbetrieb/das Werk übertragen werden? – insb.: Bei Übertragung einer Basismarke geht eine von der Basismarke abhängige IR-Marke evtl. automatisch mit auf den Erwerber über; – insb.: sind sämtliche notwendigen Schutzrechte erworben worden? z.B.: Unternehmenskennzeichen neben eingetragener Marke, z.B.: Urheberrechte an einer Markenform, z.B.: nationale Marke neben Unionsmarke, IR-Marke; Seniorität nationaler Marken bei Unionsmarke eingetragen? – Formvorschriften beachtet? – insb.: Form des Vertrages, Registereintragung. – bei Teilübertragung: – Lässt das jeweilige Kennzeichen die gewünschte Teilung zu? – Führt Teilübertragung zur Irreführung des Rechtsverkehrs? 1 BMF-Schreiben v. 17.6.2014, Nr. 7, BStBl. I 2014, 887. 2 Das BZSt stellt hierfür die notwendigen Formulare bereit: http://www.steuerliches-infocenter.de/DE/AufgabenDesBZSt/AuslaendischeFormulare/Quellensteuer/quellensteuer_node. html.
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Teil F Rz. 549
Handel mit geistigem Eigentum
– Ist übertragene Marke zugleich Basismarke für IR-Marken (Folge: deren Eintragung kann bei Teilübertragung verweigert werden)? – bei Lizenz: – Kartellrechtswidrige Klauseln? – IR-Marken: Regelung für den Fall vorgesehen, dass Mitgliedsland der Lizenzgewährung widerspricht? – Steuerabzug durch Lizenznehmer nach § 50a dtEStG durch Vorlage einer Freistellungsbescheinigung vermieden? – Vereinbarung über Zahlungspflicht für die vom deutschen Käufer/Lizenznehmer abzuführende USt? 2. Übertragung/Lizenzierung von Domains 549
– Existenz/Schutzumfang der Domain – Wenn Domain nicht auf Veräußerer angemeldet: Sieht Vertrag Verpflichtung des Anmelders zur Übertragung vor? – Genießt die Domain zeitlich unbegrenzt/begrenzt Schutz? Wann muss Schutz erneuert werden? – Wenn Registry-Bedingungen Kündigung bei Domain-grabbing zulassen: Kann Veräußerer Belege für „fair use“ der Domain vorlegen? – Ist Domainregister frei von „Dispute-“ bzw. „Hold-“Einträgen? – Kann Erwerber die Domain erwerben? – Lässt jeweilige Rechtsprechung Domainhandel zu? – Lassen die Bedingungen der Registry Übertragungen zu? Sind eventuelle Mindesthaltefristen abgelaufen? – Gehört Erwerber zum berechtigten Personenkreis für die gewünschte Domain (z.B. Staatsangehörigkeit/Unternehmenssitz)? – Genießt die Domain zugleich Kennzeichenschutz? wenn ja, ist Erwerb des Kennzeichens mit vereinbart? – Formvorschriften für Übertragung der jeweiligen Domain beachtet?
Kapitel 5. Urheberrechtliche Verträge Spezialliteratur zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 550
Im Unterschied zum Patent- und Markenrecht sind die urheberrechtlichen Nutzungsarten sehr viel vielfältiger. Ein literarisches Werk kann als Buch vervielfältigt und verkauft werden, es kann als Drehbuch bearbeitet und verfilmt werden. Der Film spielt Geld in Kinos ein und wird alsdann im Fernsehen gesendet und später auf Videokassette oder DVD verkauft. Bücher, Videokassette und DVDs können kopiert werden. Die Urheberrechtsgesetze1 folgen dem technischen Fortschritt der Nutzungsmöglichkeiten nach dem Grundgedanken, den Urheber tunlichst auf jeder Verwertungsstufe zu beteiligen, und ordnen dem Urheber oder seinem Rechtsnachfolger als wesentliche2 kommerzielle Nutzungsrechte (§ 15 dtUrhG) zu: 1 Deutschland: Urheberrechtsgesetz v. 9.9.1965; Österreich: Urheberrechtsgesetz BGBl. Nr. 111/1936 Schweiz: Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte v. 9.10.1992, AS 1993, 1798, Systematische Sammlung im Internet 231.1. 2 Die Aufzählung der Nutzungsrechte ist nicht abschließend, vielmehr soll sichergestellt werden, dass der Urheber an jeder wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes angemessen beteiligt wird.
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Teil F Rz. 549
Handel mit geistigem Eigentum
– Ist übertragene Marke zugleich Basismarke für IR-Marken (Folge: deren Eintragung kann bei Teilübertragung verweigert werden)? – bei Lizenz: – Kartellrechtswidrige Klauseln? – IR-Marken: Regelung für den Fall vorgesehen, dass Mitgliedsland der Lizenzgewährung widerspricht? – Steuerabzug durch Lizenznehmer nach § 50a dtEStG durch Vorlage einer Freistellungsbescheinigung vermieden? – Vereinbarung über Zahlungspflicht für die vom deutschen Käufer/Lizenznehmer abzuführende USt? 2. Übertragung/Lizenzierung von Domains 549
– Existenz/Schutzumfang der Domain – Wenn Domain nicht auf Veräußerer angemeldet: Sieht Vertrag Verpflichtung des Anmelders zur Übertragung vor? – Genießt die Domain zeitlich unbegrenzt/begrenzt Schutz? Wann muss Schutz erneuert werden? – Wenn Registry-Bedingungen Kündigung bei Domain-grabbing zulassen: Kann Veräußerer Belege für „fair use“ der Domain vorlegen? – Ist Domainregister frei von „Dispute-“ bzw. „Hold-“Einträgen? – Kann Erwerber die Domain erwerben? – Lässt jeweilige Rechtsprechung Domainhandel zu? – Lassen die Bedingungen der Registry Übertragungen zu? Sind eventuelle Mindesthaltefristen abgelaufen? – Gehört Erwerber zum berechtigten Personenkreis für die gewünschte Domain (z.B. Staatsangehörigkeit/Unternehmenssitz)? – Genießt die Domain zugleich Kennzeichenschutz? wenn ja, ist Erwerb des Kennzeichens mit vereinbart? – Formvorschriften für Übertragung der jeweiligen Domain beachtet?
Kapitel 5. Urheberrechtliche Verträge Spezialliteratur zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 550
Im Unterschied zum Patent- und Markenrecht sind die urheberrechtlichen Nutzungsarten sehr viel vielfältiger. Ein literarisches Werk kann als Buch vervielfältigt und verkauft werden, es kann als Drehbuch bearbeitet und verfilmt werden. Der Film spielt Geld in Kinos ein und wird alsdann im Fernsehen gesendet und später auf Videokassette oder DVD verkauft. Bücher, Videokassette und DVDs können kopiert werden. Die Urheberrechtsgesetze1 folgen dem technischen Fortschritt der Nutzungsmöglichkeiten nach dem Grundgedanken, den Urheber tunlichst auf jeder Verwertungsstufe zu beteiligen, und ordnen dem Urheber oder seinem Rechtsnachfolger als wesentliche2 kommerzielle Nutzungsrechte (§ 15 dtUrhG) zu: 1 Deutschland: Urheberrechtsgesetz v. 9.9.1965; Österreich: Urheberrechtsgesetz BGBl. Nr. 111/1936 Schweiz: Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte v. 9.10.1992, AS 1993, 1798, Systematische Sammlung im Internet 231.1. 2 Die Aufzählung der Nutzungsrechte ist nicht abschließend, vielmehr soll sichergestellt werden, dass der Urheber an jeder wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes angemessen beteiligt wird.
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Urheberrechtliche Verträge
Rz. 554 Teil F
– das Vervielfältigungsrecht (§ 16 dtUrhG, Art. 10 Abs. 2 lit. a schwURG/liURG, § 15 öUrhG) – das Verbreitungsrecht und das Vermietrecht, (§ 17 dtUrhG, §§ 16, 16a öUrhG, Art. 10 Abs. 2 lit. b schwURG. Das Vermietrecht nach Art. 13 schwURG sieht allerdings nur einen Vergütungsanspruch vor, soweit es sich nicht um Computerprogramme handelt, Art. 10 Abs. 3 schwURG, Art. 16 lit. c liURG) – das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführrecht, (§ 19 dtUrhG; Art. 10 Abs. 2 lit. c schwURG/liURG, § 18 öUrhG) – das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (für die Online-Verwertung), (§ 19a dtUrhG, § 18a öUrhG, Art. 10 Abs. 2 lit. c schwURG/liURG) – das Senderecht, (§§ 20, 20a dtUrhG, §§ 17, 17b öURG; Art. 10 Abs. 2 d schwURG/ liURG) – das Recht der Wiedergabe auf Bild- oder Tonträgern, (§ 21 dtUrhG, § 18 Abs. 2 öUrhG; Art. 10 Abs. 2 lit. c schwURG/liURG) – das Recht der öffentlichen Wiedergabe der Funksendungen (§ 22 dtUrhG; § 18 Abs. 3 öUrhG; Art. 10 Abs. 2 lit. f schwURG/liURG) Diese Nutzungsrechte kann der Urheber gegen finanzielle Beteiligung am Verwertungserlös an Verwerter (Verlage, Filmhersteller, Musikindustrie, Sendeanstalten) einräumen. Massenhafte und verstreute Kleinnutzungen wie etwa Kopien oder Musikdarbietungen an öffentlichen Orten sind aber weder für ihn noch seine Verwerter erfassbar. Hier werden die Nutzungsrechte Wahrnehmungsgesellschaften eingeräumt, die von den Herstellern entweder pauschale Entgelte über Geräte- oder Leerkassettenabgaben oder von Nutzern für Vorführungen einziehen und an Urheber und Verleger verteilen.
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Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft, also die tatsächliche Einräumung des Nutzungsrechts, sind als Akte praktisch nicht zu trennen. Auch in Deutschland wird herrschend das sonst im deutschen Recht geltende Abstraktionsprinzip für das Urhebervertragsrecht aufgegeben1. Die Einräumung von Nutzungsrechten stellt – soweit nicht eine lediglich schuldrechtliche Gestaltung nach § 29 Abs. 2 dtUrhG vorliegt – dennoch nicht nur ein schuldrechtliches Geschäft dar, sondern gleichzeitig eine Verfügung über das Urheberrecht. Bei der Vertragsanpassung wegen Änderung der Geschäftsgrundlage unterscheidet der BGH daher zwischen Anpassung des schuldrechtlichen Vertrags und der, einen Akt der Parteien erfordernden, Nachführung der dinglichen Nutzungsrechte2.
552
Miturheber und Urheber verbundener Werke, z.B. Text und Musik, können daher Nutzungsrechte nur gemeinsam vergeben und eingeräumte Nutzungsrechte nur gemeinsam kündigen3. Es darf aber ein Miturheber seine Zustimmung zur Verwertung nicht wider Treu und Glauben verweigern (§ 8 Abs. 2 S. 2 dtUrhG; Art. 7 Abs. 2 schwURG/ liURG; § 11 Abs. 2 öUrhG).
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Für einzelne Nutzungsarten vergebene Nutzungsrechte können, solange sie vergeben sind, weder nochmals vergeben noch gutgläubig erworben werden, denn ein gutgläubiger Erwerb von Rechten ist nicht möglich. Es besteht Sukzessionsschutz4 für zuvor eingeräumte Nutzungsrechte nach § 33 dtUrhG, § 24 Abs. 2 öUrhG.
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1 OLG Hamburg v. 15.3.2001 – 3 U 57/99, NJW-RR 2002, 402 – Keine Geltung des Abstraktionsgrundsatzes im Urheberrecht. 2 BGH v. 4.7.1994 – I ZR 101/94, GRUR 1997, 215 – Klimbim. 3 OLG Hamburg, v. 15.3.2001 – 3 U 57/99, NJW-RR 2002, 402. 4 BGH v. 25.6.1985 – KZR 81/84, GRUR 1986, 91 (93) – Preisabstandsklausel: Die vom Inhaber des Verlagsrechts eingeräumte Taschenbuchlizenz bleibt grundsätzlich bestehen, wenn das Verlagsrecht nachträglich übertragen wird.
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Brandi-Dohrn 653
Teil F Rz. 555
Handel mit geistigem Eigentum
555
Die Einräumung von Nutzungsrechten ist in Deutschland, Schweiz, Liechtenstein und Österreich grundsätzlich nicht an die Schriftform gebunden1. Hiervon gibt es in Deutschland zum Schutz der Urheber Ausnahmen (i) für Verträge über unbekannte Nutzungsarten (§ 31a Abs. 1 Satz 1 dtUrhG) und (ii) für die pauschale Rechtseinräumung an künftigen Werken (§ 40 Abs. 1 dtUrhG); (iii) daneben verlangt die Rechtsprechung in Arbeitsverhältnissen für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Nutzung von Abbildungen seiner Person ebenfalls die Schriftform2. Der nachfolgend erörterte Zweckübertragungsgrundsatz erfordert aber de facto eine schriftliche Festlegung, die im Urhebervertragsrecht auch allgemein üblich ist.
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Die Nutzungsrechte können einfach oder ausschließlich, räumlich, zeitlich oder gegenständlich beschränkt eingeräumt werden. Aber nicht alle Beschränkungen wirken „dinglich“, sondern nur, sofern sich eine Nutzungsart als wirtschaftlich-technische Einheit sinnvoll fassen lässt. BGH v. 8.11.1989 – I ZR 14/88, GRUR 1999, 669 – Bibelproduktion Lizenz für den Vertrieb außerhalb des Sortimentsbuchhandels ist eine eigenständige Nutzungsart, nicht mehr aber der dann erfolgte Vertrieb über Eduscho-Geschäfte3.
Überschreitet der Nutzungsberechtigte die ihm eingeräumte Nutzungsart, so verletzt er nicht nur den Vertrag, sondern auch das Urheberrecht – sodass der Lizenzgeber insbesondere auch direkt gegen Dritte vorgehen kann, die das Nutzungsrecht vom Nutzungsberechtigten ableiten (Unterlizenznehmer) . Nicht alle Beschränkungen wirken derart „dinglich“ und die Grenzziehung ist schwierig und streitig: Beschränkungen auf identifizierte Unterlizenznehmer wirken nur schuldrechtlich4, ebenso bloße Preisgestaltungsvorschriften5. Auch die Vorgabe, Software nur gebündelt mit einem neuen Computer zu vertreiben („OEM-Vertrieb“) wirkt nach BGH lediglich schuldrechtlich6. Dagegen ist der Betrieb eines Online-Videorekorders für die Verbreitung von Fernsehsendungen eine selbständige Nutzungsart im Rahmen des Senderechts7. Ebenso sollen das Streaming, der vorübergehende Download und der permanente Download eigenständige, abgrenzbare Nutzungsformen sein8. 557
Der Verwerter als Vertragspartner des Urhebers trachtet naturgemäß, die Verwertungsrechte in möglichst großem Umfang in die Hand zu bekommen. Dagegen kehren Gesetz und Rechtsprechung verschiedene Schutzmechanismen zugunsten des Urhebers vor. (1) Die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten und Verpflichtungen zu solchen Rechtseinräumungen bedarf grundsätzlich der Schriftform (§ 31a Abs. 1 Satz 1 dtUrhG); einzige Ausnahme ist die kostenlose Einräumung einfacher Nutzungsrechte an jedermann, mit der die Praxis von sog. Open-Source-Lizenzen gesetzlich anerkannt wurde. Dem Urheber steht ein – vertraglich nicht im Vorhinein abdingbares – Widerrufsrecht zu, das binnen drei Monaten nach Mitteilung über die beabsichtigte Ausübung der neuen Nutzungsart ausgeübt werden muss (§ 31a 1 öOGH v. 12.8.1996 – 4 Ob 2161/96, GRUR Int. 1997, 1030 – Buchstützen; vgl. aber nunmehr die Rechtsprechung des BGH zur Dokumentationspflicht von Lizenzverträgen, Rz. 489. 2 BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13, GRUR 2015, 922 – Einwilligung des Arbeitnehmers: Schriftform in verfassungskonformer Auslegung des § 22 dtKUG; kritisch hierzu die h.L., vgl. Cornelius, ZUM 2015, 608 m.w.N. 3 Ähnlich: BGH v. 12.12.1991 – I ZR 165/89, GRUR 1992, 310 = NJW 1992, 1320 – Taschenbuchausgabe. 4 OLG München v. 8.2.1996 – 29 U 3903/95, GRUR 1996, 972 – Accatone. 5 BGH v. 12.12.1991 – I ZR 165/89, GRUR 1992, 310 = NJW 1992, 1320 – Taschenbuchausgabe. 6 BGH v. 6.7.2000 – I ZR 244/97, NJW 2000, 3571 = GRUR 2000, 671 = CR 2000, 651 – OEM-Version. 7 OLG München v. 18.11.2010 – 29 U 3792/10, ZUM 2011, 167 = openjur 2012, 112112. 8 Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 31 UrhG, Rz. 61.
654 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 559 Teil F
Abs. 1, 4 dtUrhG). Für Lizenzverträge, die bis zum 31.12.2007 abgeschlossen wurden, gilt grundsätzlich das alte Recht weiter, dessen § 31 Abs. 4 aF Verträge über unbekannte Nutzungsarten als unwirksam behandelte1. Allerdings ist ein Nacherwerb der Rechte an unbekannten Nutzungsarten gemäß § 137l Abs. 1 dtUrhG in vielen Fällen möglich2. Das Schriftformgebot verstößt nicht gegen die RBÜ, da diese trotz Art. 5 Abs. 2 S. 1 RBÜ Formvorschriften im Rechtsverkehr nicht regelt3. Entsprechende Bestimmungen gibt es weder im österreichischen UrhG noch im Schweizer URG4, im Wege der Auslegung wird aber die Rechtseinräumung auf die bekannten und intendierten Nutzungsarten beschränkt5. „Bekannt“ ist, was zum Zeitpunkt des Vertrags nicht nur als technische Möglichkeit sondern was auch als wirtschaftlich bedeutsam und verwertbar bekannt ist6. „Neue Nutzungsart“ iS des § 31a Abs. 1 dtUrhG ist eine konkrete, technisch eigenständige Verwertungsform des Werkes, die sich von dem bisher bekannten so sehr unterscheidet, dass eine Verwertung in dieser Form nur aufgrund einer neuen Entscheidung des Urhebers in Kenntnis der neuen Nutzungsmöglichkeit zugelassen werden kann7.
558
(2) Der Umfang, in dem Nutzungsarten eingeräumt sind, bemisst sich bei pauschalen Rechtseinräumungen nach dem Übertragungszweckgedanken (früher: Zweckübertragungsgrundsatz), denn nach § 31 Abs. 5 dtUrhG bestimmt sich der Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte nach dem mit dem Vertrag verfolgten Zweck. Das gilt nicht nur „im Zweifel“, wenn die Parteien nichts näheres bestimmt haben, sondern auch gegenüber einer ausdrücklich umfassenden Nutzungsrechtseinräumung (z.B. durch Formulierungen wie „für alle bekannten Nutzungsarten“).
559
BGH v. 27.9.1995 – I ZR 215/93, NJW 1995, 3252 = BB 1996, 973 = GRUR 1996, 121 – Pauschale Rechtseinräumung, Ls. 2 Nach der allgemeinen Zweckübertragungslehre, die ihren gesetzlichen Niederschlag in § 31 Abs. 5 UrhG gefunden hat, deren Anwendungsbereich aber über diese Bestimmung hinausgeht, bestimmt sich bei einer pauschal formulierten Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte der (inhaltliche, räumliche und zeitliche) Umfang der Rechtseinräumung nach dem mit dem Vertrag verfolgten Zweck. Dies gilt auch dann, wenn der Wortlaut der Rechtseinräumung eindeutig ist.
Da die Lehre vom Übertragungszweck ein allgemeiner Rechtsgedanke ist, gilt sie auch bei der Einräumung von Leistungsschutzrechten8. Die Beschränkung gilt aber nur für dingliche, eigenständige Nutzungsarten, nicht für lediglich schuldrechtliche Varianten der Vertragsausnutzung9 und nicht für lediglich die bisherige Verwertung erset1 BGH v. 15.10.1987, I ZR 96/85, GRUR 1988, 297 – GEMA-Vermutung IV: die Video-Zweitauswertung von Film und Musik fällt nicht unter die treuhänderischen Musikwahrnehmungsrechte der GEMA, wenn die Videozweitauswertung zur Zeit des Berechtigungsvertrags noch eine unbekannte Nutzungsart war. BGH v. 11.10.1990 – I ZR 59/89, GRUR 1991, 133 – Videozweitauswertung: bei einem 1968 abgeschlossenen Regisseurvertrag war die ab 1977 einsetzende Video-Zweitauswertung eine noch unbekannte Nutzungsart. 2 Unrichtig daher Soppe in Möhring/Nicolini, UrhG, 3. Aufl. 2014, § 31a, Rz. 34. 3 Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 31a, Rz. 12. 4 Hilty in Loewenheim, § 52 Rz. 99. 5 OGH v. 12.8.1998 – 4 Ob 193/98, GRUR Int. 1999, 360 – Wiener Gruppe: eine umfassende Verlagsrechtseinräumung enthielt 1984 noch nicht die damals unbekannten CD-ROM-Rechte. 6 BGH v. 11.10.1990 – I ZR 59/89, GRUR 1991, 133 (135) – Videozweitauswertung. 7 BGH v. 4.7.1996 – I ZR 101/94, GRUR 1997, 215 – Klimbim: Satellitenausstrahlung keine neue Nutzungsart iSd § 31 Abs. 4 aF dtUrhG gegenüber terrestrischer Sendung. BGH v. 18.12.2008 – I ZR 23/06, GRUR 2009, 395 (397, Rz. 19 ff.) – Klingeltöne für Mobiltelefone: Auswertung von Musikwerken durch Handyklingeltöne war jedenfalls bis 1999 neue Nutzungsart. 8 BGH v. 10.10.2002 – I ZR 180/00, GRUR 2003, 234 (236) – EROC III. 9 Str., gegen Anwendung: Schulze in Dreier/Schulze, § 31 UrhG Rz. 119. Für Anwendung Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 31 Rz. 121.
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Brandi-Dohrn 655
Teil F Rz. 560
Handel mit geistigem Eigentum
zende statt zusätzlich ausnutzende Nutzungsarten1. Das Urheberrecht hat eine Tendenz, beim Urheber zu verbleiben2. Er gibt im Zweifel nicht mehr Rechte aus der Hand als er vernünftigerweise erklärt. Diesen Aspekt des Übertragungszweckgedankens finden wir auch in der Schweiz/Liechtenstein in Art. 16 Abs. 2 schwURG/Art. 18 Abs. 2 liURG und explizit im Verlagsrecht, wo Art. 381 OR bestimmt, dass die Rechte des Urhebers insoweit und auf so lange dem Verleger übertragen werden, als es für die Ausführung des Vertrags erforderlich ist3. Der Zweckübertragungsgrundsatz ist auch im österreichischen Recht anerkannt4 und findet sich in einer Reihe von Vorbehaltsauslegungsregeln zugunsten des Urhebers in §§ 33–37 öUrhG, auch wenn der Zweckübertragungsgrundsatz nicht so explizit gesetzlich formuliert wurde wie in Deutschland. Der Übertragungszweckgedanke hat für die Vertragspraxis zwei hauptsächliche Auswirkungen: – Die übertragenen Nutzungs- und Nebenrechte müssen enumerativ spezifiziert werden; – aus Beweisgründen muss die Aufzählung schriftlich erfolgen. 560
(3) In den Urheberrechtsverträgen mit routinierten Verwertern, Sendeanstalten, Filmproduzenten, Verlagen finden sich daher lange, detaillierte und umfassende Aufzählungen aller möglicher Rechte, die übertragen werden. Dabei handelt es sich regelmäßig um vorformulierte Vertragsformulare. Daher ist bei umfassenden detaillierten Rechtseinräumungen, aber auch bei anderen Klauseln in solchen Vertragswerken, die Frage aufgetaucht, ob der Umfang der Rechtseinräumung nicht durch die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach § 305 ff. BGB zurückzuschneiden ist. Die Kontrollvorschriften für allgemeine Geschäftsbedingungen sind jedenfalls seit der Urhebervertragsrechtsnovelle von 2002 grundsätzlich anwendbar5. Entgegen der Instanzgerichtsrechtsprechung hat der BGH nunmehr klar gestellt, dass § 31 Abs. 5 dtUrhG nur eine Auslegungsregel darstellt, aber keine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ermöglicht – detaillierte Nutzungsrechtskataloge können daher nicht als „unangemessen weitgehende“ AGB-Klausel reduziert werden6. Das gleiche gilt für §§ 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 92 Abs. 1 dtUrhG zur Filmauswertung7. Auch die unmittelbaren Preisbestimmungen in urheberrechtlichen Nutzungsverträgen unterliegen nicht der AGB-Kontrolle8. Überraschende Nutzungsrechtseinräumungen bleiben allerdings unwirksam (§ 305c BGB) – das kann z.B. der Fall sein, wenn die eingeräumte Nutzung objektiv wirtschaftlich ausscheidet oder Rechte eingeräumt werden, die objektiv nicht notwendig sind9.
561
(4) Wenngleich Preisbestimmungen in Deutschland keiner AGB-Kontrolle unterliegen, gibt das Gesetz einige zwingende Regelungen zum Schutz der Urheber vor: Der 1 So zwar nicht letztlich entschieden aber angedeutet in BGH v. 10.10.2002 – I ZR 180/00, GRUR 2003, 234 (236) – EROC III: CD-ROM statt 1979 erlaubter Schallplatte. 2 BGH v. 23.2.1979 – I ZR 27/77, GRUR 1979, 637 (639) – White Christmas: zu einer Schallplattenaufnahme als Vorspann zum Schokoladenverkauf. 3 Neff/Arn in von Büren/David, SIWR Band II/2, 273; A. Troller, S. 782; Hilty in Obligationenrecht I, Art. 1–529 OR, Art. 381 Anm. 4; Hilty in Loewenheim, § 52 Rz. 95. 4 OGH v. 2.6.1981 – 4 Ob 347/81, ÖBl. 1982, 52 = GRUR Int. 1982, 183 – Hiob; OGH v. 12.8.1996 – 4 Ob 2161/96, GRUR Int. 1997, 1030 – Buchstützen; Walter in Loewenheim, § 51 Rz. 221. 5 Weiterführend Jan Bernd Nordemann, NJW 2012, 3121 ff.; Limper, IPRB 2014, 158 ff. 6 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 73/10, NJOZ 2012, 1638 = GRUR 2012, 1031 – Honorarbedingungen freie Journalisten. 7 BGH v. 17.10.2013 – I ZR 41/12, NJW 2014, 1949 – Rechteeinräumung Synchronsprecher. 8 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 73/10, NJOZ 2012, 1638 = GRUR 2012, 1031 (Rz. 29) – Honorarbedingungen freie Journalisten. 9 Jan Bernd Nordemann, NJW 2012, 3121: Einräumung von Nutzungsrechten zu Gunsten von YouTube und Facebook, die zur Nutzung der Plattformen nicht notwendig sind.
656 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 566 Teil F
Urheber hat einen – vertraglich nicht abdingbaren – Anspruch auf Anpassung der vertraglich vereinbarten Vergütung, soweit diese Vergütung nicht angemessen ist (§ 32 Abs. 1 dtUrhG). Stellt sich nachträglich heraus, dass die Erlöse aus der Verwertung der eingeräumten Nutzungsrechte in deutlichem Mißverhältnis zu der mit dem Urheber vereinbarten Lizenzvergütung stehen, hat der Urheber einen – vertraglich nicht im Vorhinein abdingbaren – Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung. Der Anpruch besteht unabhängig davon, ob die Parteien bei Vertragsschluss die erzielbaren Erträge für möglich gehalten haben (§ 32a Abs. 1 dtUrhG). Waren Rechte an unbekannten Nutzungsarten wirksam eingeräumt worden, steht dem Urheber an den daraus fließenden Zusatzerträgen zwingend eine angemessene Zusatzvergütung zu (§ 32c Abs. 1 dtUrhG); soweit das entsprechende Nutzungsrecht einem Dritten übertragen wurde, haftet allein der Dritte für diese Zusatzvergütung. (5) Verträge über künftige Werke, einschließlich Optionsverträge auf künftige Werke, bedürfen nach § 40 dtUrhG dann der Schriftform, wenn es sich um unbestimmte künftige Werke und nicht um bestimmte Auftragsarbeiten handelt. Derartige Verträge über unbestimmte künftige Werke können nach § 40 dtUrhG und § 31 Abs. 2 öUrhG nach fünf Jahren gekündigt werden. Das Schweizerische Recht kennt keine entsprechende Bestimmung.
562
(6) Fehlende Verwertung: Nach § 41 dtUrhG und § 29 öUrhG hat der Urheber ein unabdingbares Kündigungsrecht (Deutschland: Rückrufsrecht), wenn der Verwerter das Werk aus Gründen, die nicht in der Sphäre des Urhebers liegen, binnen einer angemessenen Frist (Deutschland: zwei Jahre, Österreich drei Jahre) nicht oder nicht ausreichend verwertet und dadurch wichtige Interessen des Urhebers verletzt.
563
Die Weiterübertragung von Nutzungsrechten und die Vergabe von Unternutzungsrechten bedarf der Zustimmung des Urhebers. Der Urheber darf die Zustimmung aber nicht wider Treu und Glauben verweigern, §§ 34, 35 dtUrhG, § 27 öUrhG. Solche Unternutzungsrechte an einzelnen Nutzungsarten werden im Urheber- und Verlagsrecht spezifisch als „Lizenzen“ bezeichnet, z.B. „Taschenbuchlizenz“, „Schmalfilmlizenz“ usw. Zum in Deutschland bestehenden Risiko, dass eingeräumte Unterlizenzen auch bei berechtigter Kündigung des Hauptlizenzvertrages fortbestehen, vgl. Rz. 241.
564
Die Gewährleistung des Autors bezieht sich bei der Rechtsmängelhaftung auf freie Inhaberschaft an dem eingeräumten Nutzungsrecht und auf Freiheit von Rechten Dritter, dass das Werk also keine unfreie Bearbeitung oder gar Plagiat darstellt und Persönlichkeitsrechte Dritter nicht verletzt werden. Insoweit wird aber häufig nur eine Warnpflicht vereinbart. Bei der Sachmängelgewährleistung haftet der Autor auf Freiheit von formalen Mängeln, im Allgemeinen aber nicht auf künstlerische, literarische oder wissenschaftliche Güte1.
565
II. Verlagsvertrag 1. Übersicht Eine spezielle Form der Nutzungseinräumung, gerichtet auf Vervielfältigung und Verbreitung, ist der Verlagsvertrag. Er ist in Deutschland im Verlagsgesetz geregelt, in der Schweiz in Art. 380–393 OR und in Österreich rudimentär in §§ 1172, 1173 ABGB. Es gilt aber in Österreich ergänzend das deutsche Verlagsgesetz als Verkehrssitte2. Unter dem Verlagsvertrag werden für die Dauer des Vertragsverhältnisses die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte dem Verleger ausschließlich eingeräumt – § 2 Abs. 1, 1 BGH v. 8.7.1960, I ZR 36/59, GRUR 1960, 642 – Drogistenlexikon. 2 Walter in Loewenheim, § 51 Rz. 210.
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Brandi-Dohrn 657
566
Teil F Rz. 567
Handel mit geistigem Eigentum
§ 8 dtVerlG, vorbehaltlich, sofern nicht anders vereinbart, gewisser Bearbeitungsrechte wie z.B. das Übersetzungsrecht. Solche Nebenrechte lässt sich der Verleger aber häufig ebenfalls in weitem, wegen der Übertragungszwecklehre enumerativ aufgezähltem Umfang einräumen. Der Verleger ist zur Vervielfältigung und Verbreitung in angemessenem Umfang verpflichtet: § 1 Satz 2 dtVerlG, Art. 380 OR, § 1172 öABGB. Der Verlagsvertrag, dem Werkvertrag verwandt, weil meist ein Auftrag des Verlags an den Autor zugrunde liegt, wird gleichwohl als Vertrag eigener Art angesehen. 567
Gegenstand des Verlagsvertrags, so wie er im Verlagsgesetz geregelt ist, ist in Deutschland die Vervielfältigung und Verbreitung von literarischen Werken und von Werken der Tonkunst, in der Schweiz und in Österreich werden aber auch die Werke der bildenden Kunst, also der Kunstverlag erfasst. Als Ausprägungen kann man unterscheiden: – den Verlagsvertrag über literarische oder wissenschaftliche Werke, also den Buchverlag: hier steht Druck, Druckgestaltung und Verbreitung des Manuskripts im Vordergrund; – den Musikverlagsvertrag: nach dem Gegenstand unterscheidet man zwischen E-Musik (ernster Musik), bei der nach wie vor der Druck der Noten im Vordergrund steht, und der U-Musik (Unterhaltungsmusik), bei der zusätzlich zu Druck und Verbreitung von Noten und gegebenenfalls Text die Nebenrechte wie das Aufführungsrecht und das Senderecht eine sehr große Bedeutung haben. Der Verlag erhält Vervielfältigungsrecht und -pflicht hinsichtlich des Noten- und Textmaterials und das Aufnahme- und Aufführungsrecht (sog. „Große Rechte“), während die sonstigen Nebenrechte (die „Kleinen Rechte“) zur treuhänderischen Wahrnehmung der zuständigen Verwertungsgesellschaft eingeräumt werden. Die Noten werden nicht wie ein Buch in größerer Auflage verbreitet, sondern in der für Aufführungszwecke benötigten Zahl vervielfältigt und werden in Materialmietverträgen des Verlags mit den Aufführenden vorübergehend zur Verfügung gestellt. Beim U-Musikverlagsvertrag sind die Werbeanstrengungen des Verlags zu Sendeanstalten und Tonträgerherstellern hin von besonderer Wichtigkeit. – Der Bühnenverlagsvertrag hat mit dem Musikverlagsvertrag gemeinsam, dass auch bei ihm die Bewerbung und Weitervergabe der Aufführungsrechte im Vordergrund steht. Bei beiden liegt insofern ein dienstvertraglicher Geschäftsbesorgungsvertrag vor. – Schließlich – in Deutschland nicht im VerlG erfasst – der Kunstverlag. Hier gibt es in Deutschland alte „Richtlinien für den Abschluss und Auslegung von Verträgen zwischen bildenden Künstlern und Verlegern“ von 19261, die als solche nicht mehr gelten, aber als Verkehrssitte doch noch eine Richtlinienfunktion ausüben2. In wieweit die Grundsätze des Verlagsrechts entsprechend anwendbar sind, kann nur von Fall zu Fall bestimmt werden3.
568
Der Verfasser muss das Manuskript in druckreifer Form zur Verfügung stellen, §§ 1, 11 dtVerlG, Art. 380 OR. Dazu wird heutzutage regelmäßig elektronisch lesbare Form in einem gängigen Format, z.B. MS Word, vereinbart. Der Autor muss im Ausmaß der Rechtseinräumung das Verlagsrecht, nämlich das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung, dem Verleger verschaffen, dh unbelastet von Rechten Dritter – § 8 dtVerlG, Art. 381 Abs. 2 und 3 OR. Die Rechtsmängelhaftung ist aber teils gesetzlich, teils üblich vertraglich dahin abgemildert, dass der Autor nur mögliche Rechtsmängel, die er kennen muss, – z.B. Verletzung des Rechts am Bild Dritter, Kollision einer möglichen Bearbeitung mit einem früher anderweit verlegten Werk – dem Verlag nennen muss. 1 Abgedruckt bei Schricker, Verlagsrecht, 3. Aufl. 2001, S. 845 ff. 2 BGH v. 26.3.1976 – I ZR 157/74, GRUR 1976, 706 – Serigrafie. 3 Ulmer-Eilfort/Obergfell, Verlagsrecht 2013, 1 B Rz. 54; großzügiger Schricker/Loewenheim in Schricker/Loewenheim, vor § 28 Rz. 127.
658 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 575 Teil F
Das eingeräumte Verlagsrecht als Recht, das subjektive Verlagsrecht, wirkt als absolutes Ausschließlichkeitsrecht sowohl gegen den Autor wie auch gegen Dritte. Der Verleger hat ein eigenes Klagerecht, allerdings nur im Umfang des ihm eingeräumten Nutzungsrechts. Das gilt im Unterschied zum Lizenzrecht auch für den schweizerischen Verleger, weil ihm das urheberrechtliche Vervielfältigungsrecht übertragen wird, Art. 381 OR.
569
Der Verfasser darf während der Dauer des Verlagsvertrags das gleiche Werk nicht anderweit erscheinen lassen, § 2 Abs. 1 dtVerlG; Art. 382 OR. Er würde sonst zum Urheberrechtsverletzer an dem zuvor vergebenen Verlagsrecht als ausschließlichem Vervielfältigungsrecht. Ein neues Werk darf er anderweit veröffentlichen. Jedoch trifft ihn dann ein Wettbewerbsverbot, wenn das neue Werk nach gleichem Gegenstand und Abnehmerkreis den Absatz des alten Werkes ernsthaft beeinträchtigen würde1. Auch das ausschließliche Verlagsrecht wird durch die Übertragungszwecklehre und ggfls. das AGB-Recht begrenzt.
570
Üblicherweise wird das Verlagsrecht nicht für eine Auflage – so § 5 Abs. 1 dtVerlG, Art. 383 Abs. 1 OR –, sondern für alle Auflagen eingeräumt. Für die neuen Auflagen gelten dann im Zweifel die gleichen Abreden wie für die vorherigen.
571
Den Verleger trifft eine Ausübungspflicht. Er ist nach § 14 dtVerlG, Art. 384 OR verpflichtet, das Werk in der zweckentsprechenden und üblichen Weise zu vervielfältigen und zu verbreiten. Neuauflagen muss er allerdings nach § 17 dtVerlG nicht auflegen2. Nach Fristsetzung kann der Verfasser jedoch vom Verlagsvertrag zurücktreten, dh ihn kündigen, wenn der Verleger keine Neuauflage veranstaltet.
572
Der Verfasser hat Anspruch auf das vereinbarte, hilfsweise das angemessene, übliche Honorar, wenn, wie regelmäßig, die Überlassung nur gegen Honorar zu erwarten war – § 22 dtVerlG, Art. 388 OR. Beim Buchverlag ist üblich ein Honorar von 10 % bis 12 %, weniger bei Taschenbuchausgaben. Bei Festschriftbeiträgen ist ein Honorar nicht üblich.
573
Der Verlagsvertrag endet nach § 29 dtVerlG, wenn im Vertrag über eine Auflage die Auflage vergriffen ist. Beim Vertrag über mehrere Auflagen kann der Verfasser, wie dargelegt, nach § 17 dtVerlG, Art. 383 Abs. 3 OR kündigen. Außerdem besteht beim Verlagsvertrag als Dauerschuldverhältnis das allgemeine Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 dtBGB.
574
2. Checkliste – Buchverlagsvertrag Die nachfolgende Checkliste folgt ungefähr den zwischen Autoren- und Verwerterverbänden vereinbarten Vertragsempfehlungen, nämlich einmal dem Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen (Neufassung von 2014)3 und den Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke vom 24.3.2000 zwischen dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und dem Deutschen Hochschulverband4. Der Umfang einge1 BGH v. 23.2.1973 – I ZR 70/71, NJW 1973, 802 = BB 1973, 495 = GRUR 1973, 426 – MedizinDuden. 2 Bei einer Neuauflage des fremdsprachigen Originalautors ist der Verleger allerdings auch verpflichtet, die für alle Auflagen eingeräumten Rechte an der Übersetzung zu nutzen, BGH v. 17.6.2004, GRUR 2005, 148 – Oceano Mare. 3 Rahmenvertrag und zugehöriger Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen, vereinbart zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels v. 19.10.1978 in der Fassung v. 6.2.2014, abgedruckt http://www.boersenverein.de/ sixcms/media.php/976/Autorennormvertrag%206%202%202014_Logo.pdf. 4 Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke (Fassung 2000), abgedruckt http:// www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/wiss_vertragsnormen.pdf.
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Brandi-Dohrn 659
575
Teil F Rz. 575
Handel mit geistigem Eigentum
räumter Nebenrechte ist bei wissenschaftlichen Werken abweichend gestaltet. Auf den Normvertrag für den Abschluss von Übersetzungsverträgen1 sei hingewiesen. – Gegenstand – Werk nach seinem Arbeitstitel – Rechtseinräumung – Ausschließliches Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht: nur Druck oder auch körperliche elektronische Ausgaben (CD, CD-ROM, DVD)?2 Recht zur Vervielfältigung, Speicherung und Zugänglichmachung in unkörperlichen elektronischen Ausgaben (z.B. E-Book, App, Internet)? Zeitlich/räumlich beschränkt oder weltweit? Recht zu sonstiger Vervielfältigung und Verbreitung, insbes. durch digitale, fotomechanische oder ähnliche Verfahren? – Verlagsnahe Nebenrechte, z.B. Vorabdruck, Übersetzung, Taschenbuchausgabe, Mikrokopien, Fotokopien, audiovisuelle Recht, z.B. Hörbuch, Vortrags- und Wiedergaberechte, Vergabe von Lizenzen in das In- und Ausland – Verlagsferne Nebenrechte (nicht bei wissenschaftlichen Werken): Bühnenbearbeitung und Aufführungsrecht, Verfilmungsrecht, Rundfunk- und Fernsehrechte, Vertonung, Vergabe von Lizenzen für solche Nebenrechte – Wahrnehmungsrechte zur Einbringung bei den Verwertungsgesellschaften – Honorar bei Verwertung von Nebenrechten – Pflichten des Verlegers – Ausgabe (Hardcover, Paperback, Taschenbuch) – Höhe der Auflage – bestmögliche Verbreitung – Pflichten des Autors – Beschaffenheit und Umfang des Werkes – Manuskriptform (Layoutvorgaben, Format bei elektronischer Einreichung) – Ablieferungszeitpunkt, Haftung bei Verzug – Rechtsmängelhaftung – Vollbesitz der Rechte (vorbehaltlich Abtretung von Wahrnehmungsrechten an Verwertungsgesellschaften) oder nur Warnpflicht – Enthaltungspflicht und Konkurrenzverbot – Bei wahrscheinlichem Konkurrenzwerk Zustimmung des Verlags nötig, die dieser nicht wider Treu und Glauben verweigern darf – Freiexemplare – Satz und Korrektur – Honorar – Üblich in Deutschland: Prozentsatz vom Nettoladenverkaufspreis (also ohne MwSt.) wegen der Buchpreisbindung in Deutschland. Zuzüglich MwSt., wenn der Autor mehrwertsteuerpflichtig ist – Kein Honorar für kostenlose Besprechungsexemplare – Bei Dissertationen kein Honorar sondern Druckkostenzuschuss des Autors – Neuauflagen und Neubearbeitungen – Verramschung, Makulierung – Üblicherweise frühestens nach fünf Jahren, Anbietungspflicht an den Autor – Beendigung 1 Rahmen- und Normvertragsvereinbarung zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, neugefasst am 11.5.1992, als PDF: http://www.boersenverein.de/de/portal/Downloads/158384. 2 Im Hinblick auf den Zweckübertragungsgrundsatz ist eine detaillierte Aufzählung der eingeräumten Haupt- und Nebenrechte notwendig.
660 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 576 Teil F
– Abverkaufsrecht bei vorzeitiger außerordentlicher Kündigung, Fortführung von vergebenen Unterlizenzen – Eventuell auch Mitteilungspflicht des Verlages über Sitz- oder Beteiligungsveränderungen, selten verbunden mit einem Kündigungsrecht des Autors – Salvatorische Klausel und anwendbares Recht – Üblich ist das Recht des Verlagsorts. Über das Recht des Schutzlandes sind Vereinbarungen nicht möglich. 3. Checkliste – Musikverlag Die Checkliste folgt branchenüblichen Empfehlungen1. – Gegenstand – Werkbezeichnung, Komponist, Textdichter oder beide – Einstandspflicht für Inhaberschaft der Rechte und Freiheit von Rechten Dritter – Korrekturpflicht – Rechtseinräumung – Ausschließliches, räumlich unbeschränktes Verlagsrecht an den Noten (Papierrechte), auch zur Aufnahme in elektronische Medien und elektronische Datenbanken – Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht in Nachdrucken, Sammlungen, Potpourries – Einräumung der sonstigen Nebenrechte ggfls. zur gemeinsamen Einbringung bei der zuständigen Verwertungsgesellschaft (GEMA in Deutschland) – Aufführungsrecht mit oder ohne Text – Hörfunksenderecht – Recht der öffentlichen Wiedergabe der Rundfunkausstrahlung – Fernsehsenderecht – Recht der öffentlichen Wiedergabe der Fernsehausstrahlung – Filmvorführrechte – Audiovisuelle Aufnahmerechte mit Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechten – Verfilmungsrecht und filmisches Bearbeitungsrecht mit oder ohne Text und bearbeitende Verbindung mit anderen Werken auch zur Internetnutzung – Weitere Bearbeitungsrechte des Verlags: – Weite Bearbeitungsrechte (Instrumentalisierung, Arrangements, Chorsätze, Unterlegung aktualisierter oder fremdsprachiger Texte) – Verbindung des Texts mit anderer Musik oder der Musik mit anderem Text – Werbenutzung – Bühnenbearbeitung – Verlagspflichten und -rechte – Vervielfältigungs- und Verbreitungspflicht in üblicher Weise – Bemühen um Verwertung der eingeräumten sonstigen Rechte, insb. des Aufführungsrechts – Berichtspflicht über Verwertungsbemühungen – Ausstattung, Preis und Vertrieb bestimmt der Verlag – Honorar für die Verlagsausgabe 1 Angelehnt an den vom Deutschen Musikverlegerverband e.V. und dem Deutschen Komponisten-Interessenverband e.V. 1987 ausgehandelten Musikverlagsvertrag, veröffentlicht von Nordemann in ZUM 1988, 389; vgl. auch das Vertragsmuster in Ulmer-Eilfort/Obergfell, Verlagsrecht, Kap. 3 H.
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Brandi-Dohrn 661
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Teil F Rz. 577
Handel mit geistigem Eigentum
– x % (z.B. 10 %) vom Nettoladenpreis zuzüglich MwSt., wenn der Autor mehrwertsteuerpflichtig ist – Abrechnungsperioden – Verwertung von Nebenrechten – Erlöse nach Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft, soweit die Verwertungsrechte von ihr wahrgenommen werden – Im Übrigen Aufteilung eingehender Verwertungserlöse Dritter nach einem Schlüssel z.B. 50:50 – Subverlag – Weiterübertragungsrecht an Subverleger im Ausland, da ausländische Subverleger in ihrem Territorium sprachlich und usancenmäßig kompetenter für die Propagierung der Werkes sind – Unterrichtung des/der Autors(en) über solche Unterlizenzen – Miturheber – Erlösverteilung unter Komponist und Texter im Zweifel 50:50 – Belegexemplare – Urheberbenennung – Vertragsdauer – Für die gesetzliche Schutzfrist – Vorbehalten ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung – Vorbehalten ist das gesetzliche Rückrufsrecht mit Nachfrist wegen Nichtausübung, gegebenenfalls erweitert um Erreichung gewisser Mindestumsätze – Schriftform, salvatorische Klausel, Rechtswahl 577
Einstweilen frei.
III. Filmverträge Spezialliteratur zu Beginn des Teils F, vor Rz. 1.
1. Übersicht 578
Um einen Film zu schaffen und auszuwerten ist ein ganzes Netzwerk von Verträgen nötig. Es kann sich einmal um eine Auftragsproduktion handeln, z.B. seitens eines Filmverleihs oder einer Sendeanstalt als Auftraggeber, oder seitens eines sonstigen Unternehmens z.B. für einen Werbefilm1. Dann stellt sich das Geflecht der Verträge etwa wie folgt dar:
1 BGH v. 31.1.1966 – VII ZR 43/64, GRUR 1966, 390 – Werbefilm.
662 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 580 Teil F
Es kann aber auch sein, dass eine Sendeanstalt und ein Produzent sich zusammentun und einen Film in Koproduktion schaffen, bei dem der Produzent anschließend die Kinorechte auswertet und die Sendeanstalt die Senderechte. Dann stellt sich die Vertragskonstellation etwa folgendermaßen dar:
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2. Auftragsproduktion Der Auftrag ist eine Spielart des Werklieferungsvertrages. Es gilt im Prinzip das werkvertragliche Gewährleistungsrecht, freilich mit Einschränkungen hinsichtlich der inhaltlichen Qualität. Will der Besteller wegen Mängeln den Film ablehnen und sich von
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Brandi-Dohrn 663
580
Teil F Rz. 581
Handel mit geistigem Eigentum
der Honorarverpflichtung befreien, so trifft ihn im Allgemeinen die kaufmännische Rüge- und Untersuchungspflicht: §§ 378, 377 dtHGB. Er muss den Film unverzüglich prüfen und die Mängel unverzüglich rügen1. 581
Der Produzent räumt dem Besteller die Nutzungsrechte ein, regelmäßig ausschließlich und im Detail und umfassend definiert, andernfalls nach den Grundsätzen der Übertragungszwecklehre. Bei der Nutzungsrechtseinräumung kann der Produzent sein originäres Leistungsschutzrecht als Filmhersteller nach § 94 dtUrhG weitergeben. Dieses Leistungsschutzrecht gewährt ihm das Gesetz nicht wegen künstlerischer Leistung, sondern zum Schutz der Investition und der organisatorischen Leistung2. Rechte am Ursprungswerk und Rechte der sonstigen Filmurheber kann der Produzent nur in dem Maße übertragen, wie er sie erhalten hat. Er muss sie sich daher in so weitem Maße einräumen lassen, wie der Auftraggeber sie von ihm verlangt. 3. Koproduktion
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Bei der Koproduktion schließen sich zwei Produktionsunternehmen im Rahmen einer Gelegenheitsgesellschaft nach § 705 ff. BGB zusammen, um gemeinsam den Film zu schaffen. Häufige Konstellation ist dabei, dass ein Koproduzent ein Sendeunternehmen ist und der andere ein Filmproduktionsunternehmen. Koproduzent, also Mit-Filmhersteller, ist derjenige, der auch die wirtschaftliche Verantwortung und die organisatorische Tätigkeit mit übernimmt, die erforderlich sind, um den Film als fertiges Ergebnis der Leistung aller bei seiner Erstellung Mitwirkenden und damit als ein zur Auswertung geeignetes Werk herzustellen, wie die nachfolgende Entscheidung sagt. Die Einflussnahme des Drehbuchautors oder des Regisseurs auf das Werk macht ihn noch nicht zum Koproduzenten. BGH v. 22.10.1992 – I ZR 300/90, GRUR 1993, 472 – Filmhersteller Der erheblichen Einfluss nehmende Regisseur Fassbinder war nicht Koproduzent mit dem Recht eines 50 % Anteils am Einspielergebnis.
Auf der anderen Seite macht die Federführung und der bestimmende Einfluss einer Sendeanstalt das Produktionsunternehmen, das sich als Koproduzent geriert und bezeichnet, nicht zum bloßen Auftragnehmer3. 4. Vorbestehende Werke 583
Die dem Film zugrunde liegende Geschichte ist entweder ein vorbestehendes Werk, z.B. ein Roman oder ein Bühnenstück, das für den Film bearbeitet wird, also in bearbeiteter Form genutzt wird. Dann muss der Produzent in einem so genannten Stoffrechtevertrag vom Urheber das Verfilmungsrecht erwerben. Als Vorstufe der Verfilmung wird das Werk dann in einem Drehbuch bearbeitet, für das regelmäßig in einem Drehbuchvertrag ein Auftrag nötig ist, das Drehbuch in Bearbeitung des vorbestehenden Werks zu verfassen. Es kann auch sein, dass der Filmproduzent die Wünsche des Auftraggebers an einen Autor heranträgt, damit dieser sie in einem Treatment für den Film aufbereitet. Alsdann wird der Treatment-Autor oder ein anderer Autor mit der Ausarbeitung eines Drehbuchs für den Film beauftragt. Auch hier handelt es sich um Werkverträge.
584
Beide, also das zuvor verwertete Buch oder Stück wie auch das Auftragswerk, gelten als „vorbestehende Werke“. Die Autoren sind vorbehaltlich einer weiter gehenden Mit1 BGH v. 31.1.1966 – VII ZR 43/64, GRUR 1966, 390 – Werbefilm. 2 BGH v. 22.10.1992 – I ZR 300/90, GRUR 1993, 472 – Filmhersteller: in Abgrenzung zur Regieleistung von R.W. Fassbinder. 3 OLG München v. 5.12.2002 – 29 U 3069/02, NJW 2003, 683 – Alpensinfonie.
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Urheberrechtliche Verträge
Rz. 589 Teil F
wirkung am Filmwerk selbst nicht Miturheber des Filmwerks sondern nur Urheber ihrer vorbestehenden, bearbeiteten Werke. Sie räumen filmische Bearbeitungsrechte an ihren Werken ein und zwar, wenn nichts anderes vereinbart ist, das Werk „unter Bearbeitung oder Umgestaltung zur Herstellung eines Filmwerks zu benutzen und das Filmwerk sowie Übersetzungen und andere filmische Bearbeitungen auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen“ – § 88 Abs. 1 dtUrhG. Die Bestimmungen der §§ 34, 35 dtUrhG über die Weiterübertragung von Nutzungsrechten und das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung, § 41 dtUrhG, oder wegen gewandelter Überzeugung können nach Beginn der Dreharbeiten nicht mehr ausgeübt werden. Das verlangt der Schutz der Investition und Organisation des Filmherstellers, § 90 dtUrhG. Vor Beginn der Dreharbeiten kann jedoch ein Rückruf wegen Nichtausübung stattfinden.
585
§ 88 Abs. 1 dtUrhG gestattet als Ausnahme zum Zweckübertragungsgrundsatz eine pauschale, weitgehende Rechtseinräumung. Entsprechend ist auch ein Widerrufsrecht bei Verwertung in einer unbekannten Nutzungsart ausgeschlossen, § 88 Abs. 1 Satz 2 dtUrhG. Ausgenommen von der pauschalen Rechtseinräumung ist das Wiederverfilmungsrecht (Remake). Auch erlischt eine Ausschließlichkeit im Zweifel zehn Jahre nach Vertragsschluss, wenn nichts anderes vereinbart ist.
586
Trotz der gesetzlich weiten Vermutung für eine umfassende Rechtseinräumung besteht aus Gründen der Sicherheit und auch im Hinblick auf das Wiederverfilmungsrecht die Übung fort, in den Verfilmungsverträgen die Rechte in weitem Umfang enumerativ aufzuzählen und einzuräumen. Auf der anderen Seite behält sich der Urheber vorbestehender Werke, je nach seiner Verhandlungsposition (Bekanntheit, Werkerfolg) häufig ein mehr oder minder starkes Mitspracherecht vor, insb. hinsichtlich der Person des Regisseurs. Dem Filmproduzenten wird nach § 88 dtUrhG schließlich auch das Recht der filmischen Bearbeitung eingeräumt. Die Miturheber am Filmwerk und die Urheber vorbestehender Werke haben nach § 93 dtUrhG nur das Recht, sich gröblicher Entstellungen oder anderer gröblicher Beeinträchtigungen ihrer Werke oder Leistungen zu widersetzen. Ein starker Autor wird daher danach trachten, dieses schmale Recht zu erweitern, um die Eigenart seines Werkes zu wahren.
587
5. Regisseur und andere Miturheber Miturheber des Filmwerkes sind regelmäßig Regisseur1, Kameramann und Cutter, oft leisten aber auch Szenenbildner, Filmarchitekt, Kostümbildner und Tonmeister schöpferische Beiträge. Damit so viele Miturheber die Verwertung des gemeinsamen Filmwerkes nicht blockieren, sieht § 89 dtUrhG zugunsten des Filmherstellers „im Zweifel“ eine ähnlich pauschale und weitgehende Rechteeinräumung vor wie § 88 dtUrhG seitens der Urheber vorbestehender Werke. Im österreichischen Recht findet eine cessio legis nach § 38 Abs. 1 öUrhG statt, jedoch vorbehaltlich einer hälftigen Beteiligung an gesetzlichen Vergütungen (aus Leerkassetten- und Geräteabgabe usw.).
588
Während der Filmregisseur regelmäßig Miturheber ist, weil er entscheidend zum Werden des Filmwerkes beiträgt, ist das beim Theater- oder Opernregisseur eher die Ausnahme2, weil er das bestehende Werk aufführen, also darstellen soll. Auch dann hat er aber das Leistungsschutzrecht des Darstellenden oder Aufführenden nach § 73 dtUrhG.
589
1 BGH v. 24.11.1983 – I ZR 147/81, GRUR 1984, 730 – Filmregisseur. 2 Urheberrecht wurde positiv in Betracht gezogen, aber letztlich nicht entschieden für den eigenwillig prägenden Regisseur der Operette „Die Czardasfürstin“ an der Semperoper in Dresden – OLG Dresden v. 16.5.2000 – 14 U 729/00, NJW 2001, 622.
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Brandi-Dohrn 665
Teil F Rz. 590 590
Handel mit geistigem Eigentum
Der für einen bestimmten Film oder eine bestimmte Aufführung abgeschlossene Regievertrag ist ein Werkvertrag. Festangestellte Regisseure werden dagegen im Rahmen ihres Dienstverhältnisses dienstvertraglich tätig. Da das Werk einmal im Zusammenwirken mit anderen entsteht und außerdem vom Produzenten für mangelhaft erachtet werden kann, kann sich die Konfliktsituation ergeben, dass der Produzent den Regisseur wechseln will oder muss. Werkvertraglich kann er das nach § 649 dtBGB, muss dann aber die volle Gage abzüglich ersparter Aufwendungen leisten. Üblich ist die Vertragsklausel, dass der Produzent nach billigem Ermessen auf die weitere Mitwirkung des Regisseurs verzichten kann. Stellt der Produzent dann das Werk mit einem anderen Regisseur fertig, so muss er sich allerdings vergewissern, dass der erste ihm das im Voraus nicht verzichtbare Veröffentlichungsrecht nach § 12 dtUrhG und eventuell das Bearbeitungsrecht an seinem Werk einräumt. Das OLG München hat die Einwilligung zur Veröffentlichung in der Beteiligung am Rohschnitt gesehen1. Auf der anderen Seite benötigt auch der Regisseur selbst den Schutz vor unliebsamen Änderungen. Der Investitionsschutz beim Filmwerk führt nach § 93 dtUrhG dazu, dass sich der Miturheber „Regisseur“ nur gegen gröbliche Beeinträchtigungen seines Werkes und seiner Interessen zur Wehr setzen kann; dazu kann in Einzelfällen auch die „Zerstückelung“ des Erzählflusses durch Werbeeinblendungen bei der Fernsehausstrahlung gehören2. Den Theater- oder Opernregisseur schützt sein Leistungsschutzrecht nach § 75 dtUrhG vor erheblichen Änderungen seitens des Intendanten3. In beiden Fällen ist eine Interessenabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und den Gründen für den Eingriff erforderlich. 6. Verträge mit Darstellern
591
Die Verträge mit Darstellern und Aufführenden sind Dienstverträge. Bei Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen in den Diensten von Produktionsunternehmen und Sendeanstalten werden sie, einschließlich der umfangreichen und detaillierten Rechteeinräumung, durch Tarifverträge geregelt4. Diese Vertragsmuster bestimmen weitgehend auch die freien Dienstverträge. In den Tarifverträgen werden sowohl die Kinorechte wie auch die Senderechte und die audiovisuellen Rechte eingeräumt und wird die Weiterübertragung gestattet.
592
Die Darsteller sind ausübende Künstler nach § 73 dtUrhG, § 66 öUrhG, Art. 33 schwURG. Sie haben Leistungsschutzrechte, insb. das Recht der Aufnahme auf Bildund Tonträger und deren Verbreitung. Sie übertragen bei Mitwirkung am Film „im Zweifel“ auch nach § 92 dtUrhG die audiovisuellen Rechte nach § 77 Abs. 1 und 2 dtUrhG, jedoch vorbehaltlich ihrer Vergütungsrechte, sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe nach § 78 Abs. 1 dtUrhG. In Österreich entkleidet § 69 öUrhG die Darsteller bei Filmwerken dieser Rechte.
1 OLG München v. 20.7.2000 – 29 U 2762/00, NJW 2001, 618 – Regievertrag: Kein Anspruch des Regisseurs auf Mitwirkung an wesentlichen Verfahrensschritten bei der Filmherstellung; Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, BVerfG v. 25.9.2000 – 1 BvR 1520/00, NJW 2001, 600 – Urheberschutz und Kunstfreiheit bei der Filmproduktion. 2 Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 93, Rz. 22 m.w.N. 3 OLG Dresden v. 16.5.2000 – 14 U 729/00, NJW 2001, 622 – Verletzung des Leistungsschutzrechts eines Bühnenregisseurs durch Kürzungen seines Bühnenwerks. 4 Z.B.: Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende v. 24.5.1996, abgedruckt in Beck dtv 5538, UrhR, Nr. 10a; Tarifvertrag für auf Produktionsdauer Beschäftigte beim WDR v. 1.12.1976 idF v. 1.4.2001, a.a.O. Nr. 10d; Tarifvertrag über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR v. 14.9.1981 idF v. 1.4.2001, a.a.O. Nr. 10e.
666 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 596 Teil F
7. Filmauswertungsverträge (Kinorechte) Hier sind Verträge auf zwei Stufen zu unterscheiden: Einmal der Verwertungsvertrag zwischen dem Produzenten und dem Filmverleih, wobei es sein kann, dass der Filmverleih überhaupt der Auftraggeber war und der produzierte Film als Werk ihm zusteht und von ihm abgenommen wird. Allemal wird der Produzent verpflichtet sein, dem Verleih ein einwandfreies Bild- und Tonnegativ, die sog. „Lavendelkopie“ zu liefern, von der dann der Verleih die Kopien für die einzelnen Kinos zieht. Der Filmverleih wird Eigentümer dieser gezogenen Kopien1 und hat ein Verbreitungsrecht, aber selbstverständlich kein Änderungsrecht. Der Filmverleih hat für die Verbreitung der Kopien eine Lizenz am urheberrechtlichen Verbreitungsrecht und ist bei Beteiligung des Produzenten am Einspielerlös zu einer Auswertung nach allen zumutbaren Anstrengungen im Unterschied zu einer bestmöglichen Auswertung verpflichtet2.
593
Auf der zweiten Stufe stehen dann die Verleihverträge zwischen Filmverleih und den Kinos. Hier handelt es sich um Mietverträge. Auf dieser Stufe taucht bisweilen das kartellrechtliche Problem der Diskriminierung auf, wenn der mit einem bestimmten, erfolgreichen Titel marktstarke oder marktbeherrschende Verleih bestimmte Filmtheater übergeht.
594
Einstweilen frei.
595
IV. Sendeverträge Hier ist das Vertragsgeflecht mit freien Mitwirkenden ähnlich wie beim Filmschaffen, jedoch mit der Besonderheit, dass nicht selten viele Leistungen durch Angestellte des eigenen Hauses erbracht und mit ihnen in Tarifverträgen geregelt sind. Mit freien Mitarbeitern werden Formularverträge mit umfangreichen Rechteeinräumungen abgeschlossen. Wenngleich die §§ 305 ff. BGB jedenfalls seit der Urhebervertragsrechtsnovelle von 2002 grundsätzlich anwendbar sind3, ist die AGB-Kontrolle in entscheidenden Bereichen ausgeschlossen: So hat der BGH klar gestellt, dass § 31 Abs. 5 dtUrhG nur eine Auslegungsregel darstellt, aber keine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ermöglicht – detaillierte Nutzungsrechtskataloge können daher nicht als „unangemessen weitgehende“ AGB-Klausel reduziert werden4. Das gleiche gilt für §§ 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 92 Abs. 1 dtUrhG zur Filmauswertung5. Auch die unmittelbaren Preisbestimmungen in urheberrechtlichen Nutzungsverträgen unterliegen nicht der AGB-Kontrolle6. Die Rechte an vorbestehenden Werken liegen allerdings meist nicht mehr beim schwachen Autor sondern bei seinem Verlag, Bühnenverlag oder Musikverlag. Mit diesen Verwertern werden meist zeitlich begrenzte Sendeverträge abgeschlossen: Die Anstalt trifft zwar keine Sendepflicht, erfolgt aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Sendung, so fallen die Rechte an den Verlag zurück. Üblicherweise, auch in Verträgen mit Verlagen, wird nicht nur das Recht der terrestrischen Sendung eingeräumt, sondern auch das Recht der Verbreitung über Kabel oder über Satellit7. Üblich ist auch 1 BGH v. 7.6.1971 – I ZR 116/69, GRUR 1971, 481 – Filmverleih. 2 BGH v. 10.10.2002 – I ZR 193/00, NJW 2003, 664 = GRUR 2003, 173 – Filmauswertungspflicht eines Filmverleihs. 3 Weiterführend Jan Bernd Nordemann, NJW 2012, 3121 ff.; Limper, IPRB 2014, 158 ff. 4 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 73/10, NJOZ 2012, 1638 = GRUR 2012, 1031 – Honorarbedingungen freie Journalisten. 5 BGH v. 17.10.2013 – I ZR 41/12, NJW 2014, 1949 – Rechteeinräumung Synchronsprecher. 6 BGH v. 31.5.2012 – I ZR 73/10, NJOZ 2012, 1638 = GRUR 2012, 1031 (Rz. 29) – Honorarbedingungen freie Journalisten. 7 Das Recht der Satellitensendung ist zwar ein einräumungsfähiges und – ohne § 88 dtUrhG – auch einräumungsbedürftiges Recht, gleichwohl aber keine eigenständige neue Nutzungsart nach § 31 Abs. 4 aF dtUrhG: BGH v. 4.7.1996 – I ZR 101/94, NJW 1997, 320 – Klimbim.
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Brandi-Dohrn 667
596
Teil F Rz. 597
Handel mit geistigem Eigentum
die Einräumung des Rechts, die Fernseh- oder Hörfunkproduktion bzw. -bearbeitung audiovisuell zu verwerten1, sie also auf Bild-/Tonträger aufzunehmen und diese zu verbreiten. 597
Wenn, was freilich selten der Fall ist, die Rechteeinräumung im Vertragsformular der Sendeanstalt nicht detailliert und umfassend geregelt ist, gelten auch für die Verfilmung zu Sendezwecken die §§ 88 ff. dtUrhG über die pauschale, umfassende Rechtseinräumung als Ausnahme zum Zweckübertragungsgrundsatz (vgl. Rz. 586 ff.).
598
Zum Schutz seiner Investitionen räumen § 87 dtUrhG, § 76a öUrhG, Art. 37 schwURG dem Sendeunternehmen ein eigenes verwandtes Schutzrecht für die Dauer von 50 Jahren an seinen Produktionen ein. Dieses Recht umfasst die Weitersendung und das öffentliche Zugänglichmachen, also das Einstellen ins Internet, die audiovisuelle Aufnahme – außer zu privaten Zwecken gem § 53 dtUrhG – und die Weiterverbreitung, sowie die öffentliche Wiedergabe von Funksendungen. Nicht umfasst ist das Vermietrecht.
599
Einstweilen frei.
V. Wahrnehmungsverträge 1. Allgemeines 600
Die verstreuten Nutzungen urheberrechtlicher Werke (v.a. von Musik) in Kaufhäusern, Gaststätten, ebenso wie die durch Kopien betroffenen Vervielfältigungsrechte (v.a. schriftlicher Werke) sowie die gesetzlichen Vergütungsrechte werden kollektiv durch Verwertungsgesellschaften wahrgenommen. Die meisten gesetzlichen Vergütungsrechte sind überdies verwertungsgesellschaftenpflichtig, z.B. die Vergütung für die Kabelweitersendung nach § 20b dtUrhG, die Vergütung für Vermieten und Verleihen nach § 27 dtUrhG und die Leerkassetten- und Geräteabgabe nach §§ 54, 54a ff., 54h dtUrhG. Die Geschäftstätigkeit der Verwertungsgesellschaften ist für Deutschland geregelt im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz2, für Österreich im Verwertungsgesellschaftengesetz 20063 und für die Schweiz im vierten Titel des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes in Art. 40 ff. schwURG4. Nach § 1 dtUrhWG ist eine Verwertungsgesellschaft eine juristische Person, die urheberrechtliche Nutzungsrechte, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche kollektiv wahrnimmt. Die Verwertungsgesellschaften unterliegen einer Erlaubnispflicht und einer Überwachung. Die Erlaubnis wird in Deutschland vom DPMA, in der Schweiz vom IGE, in Österreich von der an das Bundesministerium für Justiz angegliederten Aufsichtsbehörde erteilt.
1 BGH v. 22.9.1983 – I ZR 40/81, GRUR 1984, 119 – Synchronisationssprecher: Aufnahme und Verwertung auf Tonträgern, damals Schallplatten. 2 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG) v. 9.9.1965 mit mehrfachen Änderungen, BGBl. 1965 I, 1294. 3 Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, BGBl. I Nr. 9/2006 mit mehrfachen Änderungen. 4 URG v. 9.10.1992, AS 1993, 1798, abrufbar in der Systematischen Sammlung des Schweizer Rechts unter http://www.admin.ch/ch/d/sr/2/231.1.de.pdf.
668 | Brandi-Dohrn
Rz. 603 Teil F
Urheberrechtliche Verträge
601
Für einige Gebiete sind die wichtigsten Verwertungsgesellschaften folgende: Gebiet
Deutschland
Österreich
Schweiz
Musik
GEMA1
AKM2 Austro Mechana
SUISA3
Literatur
VG Wort4
LVG – Literarische Verwertungsges. Literar Mechana
Pro Litteris5
Visueller Bereich
VG Bild-Kunst
Leistungsschutzrechte GVL der Darsteller
Suissimage LSG Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH
Swissperform
2. Wahrnehmungsverträge (Berechtigungsverträge) Zum Autor hin, also mit den Autoren selbst oder mit ihren Verlegern oder sonstigen Erstverwertern, denen die Autoren die Rechte zur gemeinsamen Einbringung eingeräumt haben, schließen die Verwertungsgesellschaften Wahrnehmungsverträge. Das sind Geschäftsbesorgungsverträge zur kollektiven, treuhänderischen Wahrnehmung von eingebrachten Urheberrechten und Leistungsschutzrechten. An diesen Rechtspositionen werden der Verwertungsgesellschaft einfache Nutzungsrechte eingeräumt mit der Befugnis, sie selbständig im eigenen Namen weiter einzuräumen6. Die Rechtseinräumung erfolgt für das In- und Ausland. Im Ausland werden die Rechte durch die dort tätigen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen auf der Grundlage von Gegenseitigkeitsvereinbarungen zwischen den Verwertungsgesellschaften7. Zur Stärkung des Binnenmarktes im Online-Musikgeschäft ist die EU-Verwertungs-Richtlinie geschaffen worden, die bis April 2016 in nationales Recht umzusetzen war (in Deutschland durch das Verwertungsgesellschaften-Richtlinien-Umsetzungsgesetz v. 24.5. 2016; in Österreich durch das Verwertungsgesellschaftengesetz 2016) (s.o. Rz. 155): Die Richtlinie sieht gemeinsame Mindeststandards für Wahrnehmungsgesellschaften vor, sowie insbesondere die Anforderungen, damit Wahrnehmungsgesellschaften im Online-Vertrieb von Musikwerken Mehrgebietslizenzen effektiv vergeben und verwalten können (Art. 23 ff. der Richtlinie).
602
Die Wahrnehmungsverträge umfassen bestehende, aber auch künftige Werke. Für die Rechteeinräumung gilt der Übertragungszweckgedanke. Daher enthalten die Wahrnehmungsverträge eine detaillierte und umfassende Aufzählung der eingeräumten Rechte. Nach der Praxis der deutschen Verwertungsgesellschaften ergänzen diese ihre Vertragsmuster, sobald neue Nutzungsarten entstehen; der auch zu Gunsten der Verwertungsgesellschaften geltende § 137l dtUrhG läuft daher faktisch leer (vgl. § 137l Abs. 3 dtUrhG). Als Formularverträge unterliegen die Wahrnehmungsverträge der AGB-Kontrolle.
603
1 2 3 4 5 6
http://www.gema.de. http://www.akm.at. http://www.suisa.ch. http://www.vgwort.de. http://www.prolitteris.ch/de/portrait-prolitteris/. Der Wahrnehmungsvertrag der VG-Wort ist abrufbar unter http://www.vgwort.de/fileadmin/ pdf/wahrnehmungsvertrag/Vertrag_Urheber_Muster.pdf, der Berechtigungsvertrag der GEMA unter https://www.gema.de/fileadmin/user_upload/Musikurheber/Informationen/Berechtigungs vertrag.pdf. 7 Ein Muster-Gegenseitigkeitsvertrag im EU-Bereich für das Vervielfältigungsrecht findet sich im Jahrbuch der GEMA, abrufbar unter: https://www.gema.de/fileadmin/user_upload/Presse/ Publikationen/Jahrbuch/Jahrbuch_aktuell/Gegenseitigkeitsvertraege.pdf.
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Brandi-Dohrn 669
Teil F Rz. 604
Handel mit geistigem Eigentum
604
Die Verwertungsgesellschaften unterliegen einem Wahrnehmungszwang, also einer Abschlusspflicht mit Autoren und Verlegern – § 6 dtUrhWG, Art. 44 schwURG.
605
Der mögliche Vergabekonflikt zwischen Rechteeinräumung an den Erstverwerter und Rechteeinräumung an die Verwertungsgesellschaften tritt in der Praxis immer wieder auf. Es ist zwar gängige Praxis und gängiges Verständnis, dass der Autor dem Erstverwerter die so genannten großen Rechte, also das Recht der Buchvervielfältigung, der Verfilmung, der Sendung, der Bühnenaufführung1 individuell einräumt, während die Verwertungsgesellschaften die kleinen Rechte wahrnehmen, also alle nicht individuell vergebenen; auch erfolgen zusätzliche Abgrenzungen in den Verträgen mit dem Erstverwerter, indem eine Rechtseinräumung vereinbart wird vorbehaltlich der an die Verwertungsgesellschaften eingeräumten Rechte. Zum anderen enthält auch bspw. der GEMA-Berechtigungsvertrag in § 1 lit. i eine auflösende Bedingung für die Rechtseinräumung zur filmischen Bearbeitung für den Fall, dass der Autor sich zur Vergabe des Rechts individuell an einen Verwerter entschließt, was er dann der GEMA mitteilen muss. Dennoch kommt es z.B. bei Musikverlagen häufig zu Kollisionen, weil deren Rechteeinräumungen sich teilweise mit denen der GEMA überschneiden. Soweit der Berechtigte schon vor Erstellung des Werkes Mitglied der GEMA war, erwirbt die GEMA diese Rechte wegen des Prioritätsgrundsatzes2. 3. Verträge mit den Nutzern
606
An die Nutzer vergeben die Verwertungsgesellschaften selbständig und vom Urheber unabhängig einfache Nutzungsrechte. Die Nutzungsrechte schließen aber kein Bearbeitungsrechte ein. Will der Nutzer eine Bearbeitung des Werkes vornehmen, so muss er die dazu erforderlichen Bearbeitungsrechte unmittelbar beim Autor oder seinem Rechtsnachfolger erwerben.
607
Die Verwertungsgesellschaften unterliegen einem Abschlusszwang nach § 11 dtUrhWG, § 17 öVerwGesG. Sie sind verpflichtet, mit den Nutzerverbänden Gesamtverträge abzuschließen, § 12 dtUrhWG, § 20 Abs. 1 öVerwGesG. Für die Nutzung und die Vergütung stellen sie nach § 13 dtUrhWG, Art. 46 schwURG Tarife auf. Gegenüber den Nutzern und Geräteherstellern besteht nach § 13b dtUrhWG eine Berechtigungsvermutung. 4. Verteilung
608
Die eingenommenen Erlöse werden nach bestimmten Verteilungsplänen unter die Berechtigten verteilt, also einmal an die Urheber und zum anderen an die Leistungsschutzberechtigten.
609
Einstweilen frei.
VI. Nationale Besonderheiten 610
Bei der Rechteeinräumung besteht eine scheinbar theoretische Besonderheit, die aber einige praktische Auswirkungen hat. In Österreich und Deutschland werden nicht Urheberrechte selbst – bzw. Teile davon – übertragen. Das Urheberrecht bleibt vielmehr beim Urheber. Er räumt lediglich Nutzungsrechte (Lizenzen) ein. Anders in der Schweiz: hier werden dem Verwerter abgespaltene Urheberrechte übertragen. An diese Inhaberschaft knüpft sich dann das Klagerecht des Verwerters, das ansonsten in der 1 Die bühnenmäßige Aufführung ist bspw. ausgenommen in § 1 Abs. 2 des öVerwGesG, ebenso in § 1 lit. a des GEMA-Berechtigungsvertrags. Sie ist nicht Gegenstand der genehmigungspflichtigen Verwertungstätigkeit nach Art. 40 Abs. 1 lit. a, 41 schwURG. 2 Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, § 137l Rz. 16 m.w.N.
670 | Brandi-Dohrn
Urheberrechtliche Verträge
Rz. 613 Teil F
Schweiz dem Lizenznehmer fehlt. Das Klagerecht als solches ist für den, dem ein exklusives Nutzungsrecht eingeräumt worden ist, hingegen in Österreich, Schweiz und Deutschland gleichermaßen anerkannt. Die Folge der Teilübertragung von Urheberrechten in der Schweiz ist, dass es viel schwieriger ist, dem Urheber fortdauernde, nachträgliche Beteiligungsrechte an der Werkverwertung einzuräumen1. So kennt z.B. das schweizerische Recht bis heute kein Folgerecht. In Deutschland und Österreich ist das durch die EU-Folgerechtsrichtlinie (2001/84/EC) vorgegebene Folgerecht in § 26 dtUrhG bzw. § 16b öUrhG normiert; Liechtenstein hat in Art. 15a ff. liURG ein Folgerecht mittlerweile ebenfalls eingeführt. Mit der Urheberrechtsnovelle vom 22.3.2002 ist im deutschen Recht ein den Urheber schützendes Urhebervertragsrecht in den Bestimmungen der §§ 32, 32a, 32b, 36, 36a dtUrhG eingeführt worden; mit dem „2. Korb“ wurde ab 2008 insbesondere § 32c ergänzt. Die Schutzbestimmungen gliedern sich in zwei Säulen. Die erste Säule regelt den Anspruch auf angemessene Vergütung, mit einem Anspruch auf angemessene Vergütung von Anfang an nach § 32 dtUrhG und einem Ausfüllungsanspruch – Fairnessausgleich – nachträglich nach § 32a dtUrhG. Dieser Fairnessausgleich ersetzt den früheren Bestsellerparagraphen (§ 36 dtUrhG aF), der nicht zuletzt wegen der Rechtsprechungsanforderung, dass zum krassen Missverhältnis der Vergütung hinzukommen muss, dass dieses unerwartet war, keine große praktische Rolle spielte2. Die zweite Säule bilden die §§ 36, 36a dtUrhG über gemeinsame Vergütungsregeln, sowie einem Schlichtungsverfahren. Damit wird der Anspruch auf eine angemessene Vergütung inhaltlich aufgefüllt. § 32c (iVm der Übergangsvorschrift des § 137l) gewährt dem Urheber einen nicht im Voraus abdingbaren Anspruch auf Zusatzvergütung für später bekannt werdende Nutzungsarten.
611
Der Anspruch auf angemessene Vergütung und auf den Fairnessausgleich ist nach § 32b dtUrhG zwingend, es sei denn, der Urheber würde unentgeltlich einfache Nutzungsrechte für jedermann einräumen, wie es bspw. bei Open Source Software der Fall ist. Bei der individuellen Bestimmung der Angemessenheit ist nach § 32 Abs. 2 dtUrhG auch die Üblichkeit zu berücksichtigen. Festschriftbeiträge werden daher auch in Zukunft ohne Honorar geliefert, und der Student muss sogar einen Druckkostenzuschuss zum Druck seiner Dissertation zahlen. Beim Auffüllungsanspruch reicht es nicht, dass die Unangemessenheit gerade eben beseitigt wird, sondern es muss darüber hinaus die Angemessenheit hergestellt werden3. Ein derart ausgebautes und die Urheber schützendes Urhebervertragsrecht kennt das österreichische Recht noch nicht. Es kennt auch nicht einen Bestsellerparagraph entsprechend § 36 dtUrhG aF. Ein Entwurf des Justizministeriums zur Novellierung lag zwar vor, gelangte jedoch nicht zur Abstimmung4. Nur beim Vermietrecht besteht ein unverzichtbarer Beteiligungsanspruch5.
612
In der Schweiz ist das Urhebervertragsrecht noch viel weniger ausgebaut. Die vermögensrechtlichen Befugnisse sind nur in Art. 10 URG geregelt, der § 15 dtUrhG entspricht. Es gibt weder einen Anspruch auf angemessene Beteiligung noch einen Bestsellerparagraph, auch kein Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung oder wegen Nichtausübung. Es herrscht weitgehend Vertragsfreiheit6.
613
1 Erläutert von Hilty in Loewenheim, § 52. 2 BGH v. 27.6.1991 – I ZR 22/90, GRUR 1991, 901 – Horoskop-Kalender; BGH v. 22.1.1998 – I ZR 189/95, GRUR 1998, 680 – Comic Übersetzungen I; BGH v. 13.12.2001 – I ZR 44/99, GRUR 2002, 602 – Musikfragmente. 3 BGH v. 21.6.2001 – I ZR 245/98, GRUR 2002, 153 = NJW 2002, 1053 – Kinderhörspiele. 4 Arbeitspapier zur Änderung des UrhG, abrufbar unter https://netzpolitik.org/wp-upload/ UrhNov-Arbeitspapier.pdf. 5 Walter in Loewenheim, § 51 Rz. 36. 6 Hilty in Loewenheim, § 52 Rz. 29.
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Brandi-Dohrn 671
Teil F Rz. 614 614
Handel mit geistigem Eigentum
Bei der Buchpreisbindung gibt es Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland einerseits und der Schweiz andererseits. Österreich und Deutschland kennen wie Frankreich die nationale Buchpreisbindung. In der Schweiz hat die Wettbewerbskommission 1999 die Buchpreisbindung aufgehoben1; Eine Wiedereinführung durch Gesetz scheiterte 2012 am Referendum. Die Schweiz gehört damit mit Großbritannien, Schweden und USA zu den Ländern ohne Buchpreisbindung2. Im europäischen Rahmen wird die Buchpreisbindung zwar national toleriert, darf aber nicht im grenzüberschreitenden Verkehr angewandt werden. Sie wird als nicht durch das Urheberrecht gerechtfertigtes zwischenstaatliches Handelshemmnis nach Art. 36 AEUV angesehen3. E-Books unterfallen in Österreich erst seit 1.12.2014 der Buchpreisbindung, in Deutschland ab dem 1.9.2016.
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Einstweilen frei.
VII. Internationales Privatrecht 1. Vertragsstatut 616
Das Vertragsstatut ist dasjenige Recht, dem die schuldrechtliche Rechtseinräumung vertraglich unterliegt. a) Rechtswahl
617
Das Vertragsstatut bemisst sich in erster Linie nach der Parteivereinbarung, (Art. 3 Rom I-VO; Art. 122 Abs. 2 schwIPRG; Art. 39 liIPRG). Wählen die Parteien „deutsches Recht“, so bezieht sich diese Rechtswahl auf das deutsche Sachrecht (Art. 20 Rom I-VO) (einschließlich des Einheitsrechts, s. Rz. 400), nicht aber auf das Kollisionsrecht; eine Rück- oder Weiterverweisung ist daher nicht mehr zu prüfen. b) Grenzen der Rechtswahl
618
Die freie Rechtswahl findet ihre Grenzen an zwingenden Schutzbestimmungen. Nach Art. 9 Rom I-VO, Art. 19 schwIPRG sind unabhängig vom gewählten Recht solche Bestimmungen eines ausländischen Rechts anwendbar, die den Sachverhalt zwingend regeln. Eine solche zwingende Schutzbestimmung ist § 32b dtUrhG. Danach sind die unabdingbaren Angemessenheitsregeln der §§ 32 und 32a dtUrhG auch dann anwendbar, wenn auf den Nutzungsvertrag (ohne Rechtswahl) deutsches Recht anzuwenden wäre oder soweit Gegenstand des Vertrages Nutzungshandlungen im räumlichen Geltungsbereich des deutschen UrhG sind. Ein Recht mit geringerem Schutzniveau, z.B. schweizerisches Recht, darf also nur dann gewählt werden, wenn es auch ohne die Rechtswahl gelten würde (vgl auch Rz. 404 ff.).
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Nicht zu den zwingenden Bestimmungen gehört dagegen der Übertragungszweckgedanke – ist daher z.B. US-Recht anwendbar (und wegen des dortigen work-for-hirePrinzips also sämtliche bekannten und unbekannten Nutzungsrechte dem Auftraggeber eingeräumt), greift § 31 Abs. 5 dtUrhG nicht ein4. Das gleiche gilt nach hL für § 31a, 32c dtUrhG (Schriftform für Verträge über unbekannte Nutzungsarten), sodass 1 Bericht in GRUR Int. 1999, 983. 2 Internationale Übersichten bei Obert, GRUR Int. 1999, 1017; Jungermann/Heine, CR 2000, 527. 3 EuGH v. 10.1.1985 – Rs. 229/83, Slg. 1985, 1 = GRUR Int. 1985, 190 – Leclerc; EuGH v. 3.10.2000 – Rs. C 9/99, Slg. 2000, I-8207 = GRUR Int. 2001, 49 – Eschirolles. 4 Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff. Rz. 88 m.w.N.
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Urheberrechtliche Verträge
Rz. 622 Teil F
ein fremdem Recht unterstellter Vertrag über unbekannte Nutzungsarten auch nicht für den deutschen Anteil der Schriftform bedarf1. c) Immaterialgüterstatut Zu Umfang und Grenzen des Immaterialgüterstatuts im Urheberrecht vgl. Rz. 408 ff. Wenngleich im Einzelnen vieles streitig ist, neigt die hL in Deutschland für sämtliche urhebervertragsrechtlichen Bestimmungen dazu, diese ausschließlich dem Vertragsstatut zu unterwerfen und nur soweit das Gesetz (wie in § 32b dtUrhG) ausdrücklich die Anwendung deutschen Rechts vorsieht, den Schutz deutscher Urheber auch in Auslandssachverhalten sicherzustellen.
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Bei Kabelsendung bemisst sich das anwendbare Recht prinzipiell nach dem Recht des Bestimmungsstaates, in dem die Signale der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht werden2. Für die nicht drahtgebundene, terrestrische Rundfunksendung ist Schutzland grundsätzlich das Ausstrahlungsland, auch dann, wenn ein nicht beabsichtigter Empfang in angrenzenden Landesteilen möglich ist (sog. nicht beabsichtigter overspill). Zusätzlich gilt aber das Recht des Empfangslands, wenn dieses gezielt von einem grenznahen Sender aus bestrahlt wird3. Nach der sog. Bogsch-Theorie ist bei nicht ausreichendem Schutzniveau im Sendestaat dagegen generell auch das Recht des Empfangsstaates anwendbar. Zum Vertrieb urheberrechtlicher Werke über das Internet vgl. Rz. 410. Das Schutzstatut führt zu einer territorialen Zersplitterung der Urheberrechte. Im Unterschied dazu sieht § 20a dtUrhG in Umsetzung der europäischen Richtlinie betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung4 vor, dass für Satellitensendungen das Recht des EU-Herkunftsstaates gilt und dass die Sendung auch unabhängig von ihrer viel breiteren Empfangsmöglichkeit als nur in dem Sendeland ausgeführt gilt, wo die Signale für den öffentlichen Empfang eingegeben werden. Die „Eingabe“ erfolgt allerdings nicht (nur) an der Erdfunkstelle, vielmehr setzt die Anwendbarkeit deutschen Urheberrechts voraus, dass die für den öffentlichen Empfang bestimmten Programmsignale in Deutschland in einer ununterbrochenen Kette zum Satelliten und zurück zur Erde eingespeist werden5.
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2. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht Ohne eine Rechtswahl gilt das Recht, mit dem der Vertrag die engste Verbindung hat. Dabei besteht die engste Verbindung mit dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringt, zur Zeit des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz hat – Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO, Art. 117, 122 schwIPRG. Dass beim Verlagsvertrag das Recht am Verlagsort gilt, ist wohl allgemein anerkannt6, für einen Vertrag zwischen einem in Deutschland ansässigen Fotografen und einer französischen Gesellschaft über das Anfertigen von Fotos eines in Frankreich 1 Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, § 31a Rz. 13 m.w.N. auch auf die Gegenmeinung; differenzierend Wille, GRUR Int 2008, 389 (391). 2 BGH v. 2.10.1997 – I ZR 88/95, GRUR 1999, 152 – Spielbankaffaire; OLG Graz v. 6.12.1990 – 3 R 71,72/90, GRUR Int. 1991, 386. 3 öOGH v. 28.5.1991 – 4 Ob 19/91, GRUR Int. 1991, 920 – TELE-UNO II; BGH v. 7.11.2002 – I ZR 175/00, GRUR 2003, 328 – Sender Felsberg. 4 Richtlinie 93/83/EWG des Rates v. 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. EG Nr. L 248/1993, S. 15. 5 Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, Vor §§ 120 ff. Rz. 71; ebenso für die Schweiz schwBG v. 12.1.2010 – 4A_203/2009. 6 Obergfell in Ulmer-Eilfort/Obergfell, Verlagsrecht, Kap. 1 M Rz. 15; Schricker, Einl. Rz. 41, 43.
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Brandi-Dohrn 673
622
Teil F Rz. 623
Handel mit geistigem Eigentum
belegenen Hotels soll französisches Recht anwendbar sein1. Zu den ansonsten im Urheberrecht denkbaren Anknüpfungspunkten vgl Rz. 412.
VIII. Steuerrechtliche Hinweise 623
Für die umsatz- und ertragssteuerliche Behandlung urheberrechtlicher Umsätze wird verwiesen auf Rz. 420 ff.2
1 BGH v. 24.9.2014 – I ZR 35/11, MarkenR 2015, 151 = GRUR 2015, 264 – Hi Hotel. 2 Eine praktische Zusammenstellung der – aus Sicht der Finanzverwaltung – anzuwendenden Umsatzsteuersätze für verschiedene urheberrechtliche Werke und Vertriebsformen findet sich in OFD Niedersachsen, Vfg. v. 19.11.2015 – S 7221-145-St 187 VD, DStR 2016, 321.
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Teil G. Distributionsgeschäfte Kapitel 1. Handelsvertretervertrag I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Das materielle Handelsvertreterrecht in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz 1. Die europäische Handelsvertreterrichtlinie – Hintergrund und Kerngedanke . . . . . . . . 2. Inhalt der Richtlinie, deren Umsetzung und das Schweizer Recht a) Legaldefinition des Handelsvertreters . . . . . . . . . b) Abschluss des Handelsvertretervertrages . . . . . . . . . c) Pflichten der Vertragspartner neben der Vergütung . . . . . aa) Pflichten des Handelsvertreters . . . . . . . . . bb) Pflichten des Unternehmers neben der Vergütung . . . . . . . . . . . d) Die Vergütung des Handelsvertreters und flankierende Informationsansprüche . . . aa) Höhe und Entstehung des Vergütungsanspruchs . . . . . . . . . bb) Rechtliche Behandlung des entstandenen Provisionsanspruchs . . . . e) Beendigung des Handelsvertretervertrages . . . . . . . . . f) Ausgleichs- bzw. Entschädigungsanspruch . . . . . . . . aa) Das „Ob“ des Anspruchs . . . . . . . . . . bb) Die Höhe des Anspruchs . . . . . . . . . . cc) Privatautonome Gestaltungsmöglichkeiten . . . g) Nachvertragliche Wettbewerbsabreden . . . . . . . . h) Verjährung . . . . . . . . . . . III. Europäisches Kartellrecht 1. Das Kartellverbot in der EU und im EWR . . . . . . . . . . . 2. Die Frage der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Handelsvertreterverträge . . . . . . 3. Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Nr. 330/2010 . . . . . IV. Internationales Privatrecht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . .
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2. Vertragsstatut a) Die Lage in Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . aa) Rechtswahl . . . . . . . . bb) Grenzen der Rechtswahl (1) Zwingendes inländisches Recht des Forumstaates . . . . . . . . . . . (2) Ordre-public-Vorbehalt im Forumstaat . . . . . . (3) Zwingendes ausländisches Recht . . . . . . . . cc) Rechtswahl durch AGBEinbeziehung . . . . . . . dd) Anwendbares Recht ohne Rechtswahl (1) Niederlassung des Handelsvertreters als grundsätzliches Anknüpfungskriterium . . . . . . (2) Renvoi und Haager Stellvertretungsübereinkommen . . . . . . . . . ee) Die Öffnungsklausel des § 92c dtHGB . . . . . . . b) Die Lage in der Schweiz aa) Grundsätzliches . . . . . bb) Rechtswahl . . . . . . . . cc) Anwendbares Recht ohne Rechtswahl . . . . c) Die Lage in Liechtenstein . . 3. Vertretungsstatut . . . . . . . . V. Gerichtsstand 1. Internationale Zuständigkeit a) Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlende Vereinbarung . . . 2. Örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit . . . . . VI. Weitere prozessuale Aspekte VII. Checkliste für Handelsvertreterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Franchisevertrag I. Allgemeines 1. Einführung . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsbestimmungen . . . . . 3. Geschichtliche Entwicklung II. Völker- und europarechtliche Regelungen 1. Modellgesetz über die Offenlegung beim Franchising . . . . a) Rechtlicher und wirtschaftlicher Hintergrund . . . . . . b) Geschichte des Modellgesetzes . . . . . . . . . . . . .
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Teil G c) Inhalt des Modellgesetzes . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . 2. Europäisches Kartellrecht a) Einleitung . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit von Art. 101, 102 AEUV . . . . . aa) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten . . . . . bb) Bagatellbekanntmachung . . . . . . . . . cc) Nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallende Klauseln . . . . . . . . . . dd) Typischerweise unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallende Klauseln . . . . c) Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . . . bb) Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . d) Freistellungen nach der Vertikal-GVO . . . . . . . . . aa) Vertikale Beschränkung bb) Übertragung von geistigen Eigentumsrechten . cc) Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern . . dd) Marktanteilsschwellen . ee) Kernbeschränkungen . . ff) Bedingte Verbote . . . . III. Internationales Privatrecht . . . . IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten 1. Rechtsnatur des Franchiseverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsverweigerung bei Nachinvestitionen und Investitionsschutz . . . . . . . . . . . 3. Die Behandlung von Leistungsstörungen in Franchiseverhältnissen . . . . . . . . . . . 4. Verbundene Verträge und einheitliche Rechtsgeschäfte . . . 5. Verbraucherschutzrecht a) Verbraucherkreditrecht . . . b) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . 6. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters . . . . . . . . Kapitel 3. Vertragshändlervertrag I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Kartellrecht 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . .
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Distributionsgeschäfte 173 178 180 182 187 190 195 205 212 213 217 219 220 221 222 223 224 229 237
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2. Freistellung von Vertragshändlervereinbarungen nach der Vertikal-GVO a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Freistellung von Vertragshändlerverträgen im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO . . . . . . . c) Quantitative Schranken, insb. Art. 3 Vertikal-GVO d) Verbotsklauseln nach Art. 4 Vertikal-GVO . . . . . . . . . aa) Preisfestsetzungen . . . bb) Gebietsbeschränkungen oder Beschränkungen des Kundenkreises . . . cc) Beschränkungen in selektiven Vertriebssystemen . . . . . . . . . . . . dd) Beschränkungen des Vertriebs von Ersatzteilen . . . . . . . . . . . . . e) Verbotene Regelung nach Art. 5 Vertikal-GVO . . . . . 3. Die Gruppenfreistellungsverordnung für Kfz-Händler (Kfz-GVO) . . . . . . . . . . . . . III. Internationales Privatrecht 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht . . . . . . . . a) Rahmenvertrag . . . . . . . . b) Einzelliefervertrag . . . . . . 4. Anwendung zwingender inoder ausländischer Normen . . IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . 2. AGB-Kontrolle von internationalen Vertragshändlerverträgen? a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) AGB-Kontrolle nach deutschem Recht . . . . . . . c) AGB-Kontrolle nach österreichischem Recht . . . . . . d) AGB-Kontrolle nach schweizerischem Recht . . . 3. Absatzförderungspflicht des Händlers und Lieferpflicht des Lieferanten . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung des Vertragshändlervertrages a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) Ordentliche Kündigung aa) Vertragliche Regelung . bb) Bei Fehlen einer vertraglichen Regelung . . .
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Teil G
Literatur c) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . 5. Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers? a) Einleitung . . . . . . . . . . b) Ausgleichsanspruch nach deutschem Recht . . . . . . c) Ausgleichsanspruch nach österreichischem Recht . .
. 384 . 391 . 395 . 405
d) Ausgleichsanspruch nach schweizerischem Recht . . 6. Rückgabe von Vertragswaren und Ersatzteilen . . . . . . . . 7. Wettbewerbsverbot . . . . . . a) Deutsches Recht . . . . . . b) Österreichisches Recht . . c) Schweizer Recht . . . . . . V. Checkliste . . . . . . . . . . . . .
. 411 . . . . . .
416 422 424 425 426 429
Literatur zu diesem Teil: zu den vier Rechtsordnungen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz mit ihren völkerrechtlichen und europäischen Rahmen (für allgemeine Literatur zur Thematik des Handbuch s. die Literaturübersicht auf S. XXXV): Allgemein: Basler Kommentar UWG, 1. Aufl., Basel 2013; Berni/Kellerhals, Internationales Handelsrecht IV: aktuelle Rechtsfragen zum internationalen Vertriebsrecht, Zürich 2010; Birk/Löffler, Marketing- und Vertriebsrecht, München 2012; Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl., Berlin 2014; Flohr/ Wauschkuhn (Hrsg.), Vertriebsrecht, München 2014; Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2. Aufl., Bonn 2011; Gildeggen/Willburger, Internationale Handelsgeschäfte, 4. Aufl., München 2012; Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 12. Aufl., München 2014; Liebscher/Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2. Aufl., München 2012; Kull/Wildhaber, Schweizer Vertriebsrecht, Zürich 2008; Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Aufl., München 2010; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO 2011, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2011; Zürcher Kommentar Agenturvertrag, 3. Aufl., Zürich 2000. Handelsvertreterverträge: Monographien, Handbücher, Spezialkommentierungen: Detzer/Thamm, Verträge mit ausländischen Handelsvertretern, Heidelberg, 3. Aufl. 1995; Detzer/Ullrich, Gestaltung von Verträgen mit ausländischen Handelsvertretern und Vertragshändlern, Heidelberg 2000; Detzer/Zwernemann, Ausländisches Recht der Handelsvertreter und der Vertragshändler, Heidelberg 1997; Eberstein, Der Handelsvertreter-Vertrag, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2008; Kindler, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters im deutsch-italienischen Warenverkehr (Diss.), Frankfurt a.M. 1987; Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2014; Menges, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters im Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Billigkeit: eine deutsch-italienische Studie zum Harmonisierungserfolg der Richtlinie Nr. 86/653/EWG (Diss.), Baden-Baden 2015; Nocker, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers, Wien 2001; Nocker, Kommentar zum Handelsvertretergesetz (HVertrG 1993), 2. Aufl., Wien 2012; Rödl & Partner (Hrsg.), Handbuch internationales Handelsvertreterrecht, 2. Aufl., Köln 2013; Thume/Riemer/Schürr (Hrsg.), Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 2016; Versin, Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB unter Einfluss der EG-Handelsvertreter-Richtlinie und aktueller EuGH-Rechtsprechung (Diss.), Frankfurt a.M. 2015; Weick/Basse, Recht des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, Berlin 2013; Westphal, Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Diss.), Münster 1994; Westphal, Vertriebsrecht, Band 1, Handelsvertreter, Düsseldorf 1998; v. Westphalen, Handbuch des Handelsvertreterrechts in den EU-Staaten und der Schweiz, Köln 1995; Wettenschwiler, Kommentierung des Agenturvertrags in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2011. Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken (thematisch sortiert): Zum Ausgleichsanspruch: Bälz, Der Ausschluss des Ausgleichsanspruchs in internationalen Handelsvertreterverträgen, NJW 2003, 1559; Baudenbacher, Zum Kundschaftsentschädigungsanspruch des Agenten im Schweizer Recht, JZ 1989, 919; Dathe, Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines in der EU tätigen Handelsvertreters nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH, NJOZ 2010, 2196; Eberl, Ausländische Handelsvertreter: Vertraglicher Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 92c HGB, RIW 2002, 305; Fröhlich, Der Begriff des Neukunden für den Ausgleichsanspruch gem. § 89b I 1 Nr. 1 HGB, GWR 2015, 313; Guski, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und seine Verwirkung: zur prinzipienorientierten Teleologie des Gemeinschaftsprivatrechts, GPR 2009, 285; Hepting/Detzer, Die Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausländischer Handelsvertreter und Vertragshändler, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 337; Müller-Feldhammer, Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers im deutsch-schweizerischen Handelsverkehr, RIW 1994, 926; Pauly, Aktuelle Entwicklung zum Handelsvertreterausgleich nach § 89b HGB, MDR 2013, 694; Petsche/Lager/Kutsche, Zum Ausgleichsanspruch des Handels-
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Teil G
Distributionsgeschäfte
vertreters in Österreich, ZVertriebsR 2013, 67; Thouvenin, Der Anspruch des Agenten auf Kundschaftsentschädigung in der Praxis, in Saenger/Schulze, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Baden-Baden 2000, S. 128; Thume, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gem. § 89b HGB im Lichte der Europäischen Union, BB 2004, 2473; Vieböck, Der Ausgleichsanspruch nach dem neuen Handelsvertretergesetz, Ecolex, 1993, 221. Zur Umsetzung der Handelsvertreter-Richtlinie: Emde, Die Handelsvertreter-Richtlinie 1986 und ihre Folgen, ZVertriebsR 2014, 218; Freitag/Leible, Internationaler Anwendungsbereich der Handelsvertreterrichtlinie – europäisches Handelsvertreterrecht weltweit?, RIW 2001, 287; Kindler, Neues deutsches Handelsvertreterrecht aufgrund der EG-Richtlinie, RIW 1990, 358; R. Koch, Das „neue“ Ausgleichsrecht des Handelsvertreters im Lichte europäischer Vorgaben, ZIP 2011, 1752; Küstner, Die Änderungen des Handelsvertreterrechts aufgrund der EG-Harmonisierungsrichtlinie vom 18.12.1986, BB 1990, 291; Sellhorst, Die Umsetzung der Handelsvertreterrichtlinie, Probleme bei der Harmonisierung europäischen Rechts, EWS 2001, 481; Thume, Zur richtlinienkonformen Anwendung der §§ 84 ff. HGB im gesamten Vertriebsrecht, BB 2011, 1800. Zum Kollisionsrecht: Häuslschmid, Handelsvertretervertrag in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl., Köln 2015, Kapitel 6 Abschnitt B; Heinicke, Stolpersteine im grenzüberschreitenden Handelsvertreterrecht, ZVertriebsR 2013, 275; W.-H. Roth, Handelsvertretervertrag und Rom I-Verordnung, in FS Spellenberg, München 2010, S. 309; Schurig, „Ingmar“ und die „international zwingende“ Handelsvertreter-Richtlinie, in FS Jayme, Band 1, München 2005, S. 837; Staudinger, Die ungeschriebenen kollisionsrechtlichen Regelungsgebote der Handelsvertreter-, Haustürwiderrufs- und Produkthaftungsrichtlinien, NJW 2001, 1974; J. Teichmann/Wauschkuhn, Die Anwendung der zwingenden Vorschriften der §§ 84 ff. HGB auf Handelsvertreter und Vertragshändler im internationalen Kontext, ZVertriebsR 2012, 274. Zu anderen Fragen: Breiter/Viehböck, Unterschiede zwischen österreichischem und deutschem Handelsvertreterrecht, in FS Thume, Frankfurt a.M. 2008, S. 11; Emde, Handelsvertreterrecht-relevante Vorschriften bei nationalen und internationalen Verträgen, MDR 2002, 190; Genzow, Echter und unechter Handelsvertreter – eine Abgrenzung, IHR 2014, 10; Gstoehl, Das Vertragsrecht des Fürstentums Liechtenstein im Lichte des Europarechts, DACH Schriftenreihe II, Grenzüberschreitendes Vertragsrecht, Köln 1999, S. 35; Heinicke, Stolpersteine im grenzüberschreitenden Handelsvertreterrecht, ZVertriebsR 2013, 275; Kuther, Die neuen Handelsvertretervorschriften im HGB, NJW 1990, 304; Martinek, Neue Perspektiven zur Europäisierung des Handelsvertreterrechts – Plädoyer für eine Europäische Handelsvertreter-Verordnung, ZVertriebsR 2014, 139; Martinek, Soll man die Handelsvertreter-Richtlinie von 1986 um eine neue Europäische Handelsvertreter-Verordnung ergänzen?, in Liber Amicorum Stein, Baden-Baden 2015, S. 733; Meyer, Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung im Vertriebsrecht, ZVertriebsR 2014, 352; Meyer, Handelsvertreterrecht, in Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 6 – Europäisches Privatund Unternehmensrecht, Baden-Baden 2016, S. 442–458; Muhl, Die außerordentliche Kündbarkeit von Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträgen im Falle der Insolvenz des Vertriebspartners, GWR 2014, 496; Nocker, Das Handelsvertreterrecht in Österreich, IHR 2007, 45; Nocker, Direkte Anwendung des HVertrG auf Versicherungsagenten, ecolex 2006, 575; Rohn, Internationale Distribution, in Münch/Passadelis/Lehne (Hrsg.), Handbuch Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht, Basel 2015, S. 160; Thouvenin, Die Handelsvertreterrichtlinie im Vergleich mit dem schweizerischen Obligationenrecht, DACH Schriftenreihe Nr. 11, Grenzüberschreitendes Vertragsrecht, Köln 1999, S. 17; Thume, Das Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters während der Vertragszeit, WRP 2000, 1033; Thume, Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters: Grenzen der Vertragsgestaltung, BB 2012, 975; Wauschkuhn/Meese, Die standardvertragliche Abdingbarkeit zwingender Vorschriften des Handelsvertreterrechts, RIW 2002, 301; Westphal, Neues Handelsvertreterrecht in der Europäischen Union, EWS 1996, 43. Franchiseverträge: Aufsätze: Becker, Vertragsrecht: Leistungspflichten aus Restaurant-FranchiseVertrag, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 13.1.2000 – III ZR 342/98, DStR 2000, 1618; Beuthien, Das Franchising im Gruppenwettbewerb des Handels, BB 1993, 77; Bodewick, Der Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, BB 1997, 637; Bräutigam, Mögliche Entwicklungen im EG-Kartellrecht für das Franchising, RIW 1997, 470; Bräutigam, Außervertragliche Schadensersatzhaftung der Mitglieder von Franchise-Systemen, WM 1994, 1189; Bunte, Franchising und EG-Kartellrecht, NJW 1986, 1406; v. Caemmerer/Schlechtriem, Kommentar zum Einheiten UN-Kaufrecht, 2. Aufl. 1995; Eckert, Die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruches nach § 89b HGB auf Vertragshändler und Franchisenehmer, WM 1991, 1237; Erdmann, Die Laufzeit von Franchise-Verträgen im Lichte des AGB-Gesetzes, BB 1992, 795; Finger, Die Offenkundigkeit des mitgeteilten Fachwissens bei Know-how-Verträgen, GRUR 1970, 3; Flohr, Die Anwendbarkeit des § 89b HGB auf den Ausgleichsanspruch des Franchise-Nehmers bei Beendigung des Franchisevertrages, DStR 1998, 572; Forkel, Der Franchise-Vertrag als Lizenz am Immaterialgut Unternehmen, in: Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 153 (1989), 511; Foth, Der Investitionsersatzanspruch des Vertragshändlers, BB 1987, 1270; Gast/Erdmann, Offenlegungs-
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Literatur
Teil G
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Teil G Rz. 1
Distributionsgeschäfte
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Kapitel 1. Handelsvertretervertrag Der Text von Kapitel 1 baut auf der ersten Auflage aus dem Jahre 2005 auf, die Karl-Heinz Thume verfasst hat. Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils G, vor Rz. 1.
I. Überblick 1
Auf Ebene der Europäischen Union sowie des Europäischen Wirtschaftsraums ist das materielle Handelsvertreterrecht für den Bereich der Warengeschäfte weitgehend angeglichen durch die sog. Handelsvertreter-Richtlinie vom 18.12.19861. Die Bedeutung dieser Richtlinie für den Europäischen Wirtschaftsraum folgt aus Art. 30 des EWR-Abkommens i.V.m. dessen Anhang VII, Abschnitt E, letzter Unterpunkt2. Die Richtlinie hat in Deutschland, Österreich und Liechtenstein Umsetzung erfahren. Das materielle Handelsvertreterrecht dieser drei Länder ist daher ähnlich, aber keineswegs identisch (näher hierzu Rz. 12 ff.).
2
Für die Schweiz, die nicht Mitglied des EWR ist, gilt die Handelsvertreterrichtlinie nicht (näher dazu Rz. 11). Dennoch weist das Handelsvertreterrecht der Schweiz zahlreiche inhaltliche Parallelen zu dem Handelsvertreterrecht der drei zuvor genannten Staaten – Deutschland, Österreich und Liechtenstein – auf. Die Legaldefinition des „Agenten“ – so die schweizerische Terminologie für „Handelsvertreter“3 – in Art. 418a Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Obligationenrecht (OR) ist nahezu gleichlautend mit derjenigen des Handelsvertreters in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, § 84 Abs. 1 des deutschen HGB (dtHGB), § 1 des österreichischen Handelsvertretergesetzes (öHVertrG) sowie Art. 87 des liechtensteinischen HGB (liHGB)4. Sie umfasst folgende Kriterien: – selbständiger Gewerbetreibender; 1 Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EG Nr. L 382 v. 31.12.1986, S. 17 ff. 2 ABl. EG Nr. L 1 v. 3.1.1994, S. 3 ff. (392); ein ständig aktualisiertes Register über die für den EWR relevanten Rechtsakte der EU ist abrufbar über die Stabsstelle EWR Liechtenstein unter http://www.llv.li/#/12320/stabsstelle-ewr. 3 Auch im Recht Liechtensteins sowie Österreichs ist der Begriff des Handelsagenten bzw. Agenten bekannt; vgl. Art. 87 Abs. 1 des Liechtensteiner HGB bzw. § 1 Abs. 3 des österreichischen HVertrG. 4 Durch Gesetz v. 16.9.1865 wurde im Fürstentum Liechtenstein das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch in Kraft gesetzt. In seiner heutigen Form ist es abrufbar unter https://www.gesetze.li.
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Handelsvertretervertrag
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– Vertragsabschlüsse in fremdem Namen und auf fremde Rechnung oder Vermittlungstätigkeit; – ständige Betrauung und Tätigkeit. Daran wird deutlich, dass der Handelsvertreter den mit dem Kunden angestrebten Vertrag – bspw. einen Kaufvertrag – nicht selbst schließt; dieser kommt vielmehr direkt zwischen dem Unternehmer und dem Kunden zustande. Dem Handelsvertreter obliegt lediglich die vertragliche Aufgabe, einen solchen Vertrag herbeizuführen. Dies ist ein zentraler Unterschied zwischen dem Handelsvertreter und dem Vertragshändler (zum Vertragshändler s. Rz. 282 ff. Das Handelsvertreter-Kartellrecht ist im Bereich von EU und EWR vereinheitlicht, insbesondere aufgrund der GVO 330/2010 und der dazu ergangenen Leitlinien (näher dazu Rz. 80 ff.).
3
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist das auf die Beziehung zwischen Handelsvertreter und Unternehmer anwendbare Sachrecht in Deutschland und Österreich unter Rückgriff auf die Regelungen der Rom-Verordnungen zu bestimmen; in Liechtenstein und in der Schweiz sind die Normen des jeweiligen nationalen IPRG heranzuziehen (näher dazu Rz. 87 ff.). Auf prozessualer Ebene führt in Deutschland und in Österreich die Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie in der Schweiz das revidierte Lugano-Übereinkommen (LugÜ II) zu einer relativ starken Stellung des Handelsvertreters (s. dazu Rz. 142 ff.).
4
II. Das materielle Handelsvertreterrecht in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz 1. Die europäische Handelsvertreterrichtlinie – Hintergrund und Kerngedanke Am 18.12.1986 wurde die Handelsvertreter-Richtlinie (HVertr-RL) verabschiedet1; sie entfaltet nicht nur für die EU Bedeutung, sondern für den gesamten EWR2. Inhaltlich betrifft sie die Rechtsbeziehung zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer. Für diese Beziehung etabliert sie bestimmte Verhaltensanforderungen und Vorgaben zur Vergütung bei laufender Geschäftsbeziehung sowie Regelungen zur Vertragsbeendigung.
5
Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte in Deutschland durch eine Neufassung der §§ 84 ff. HGB zum 1.1.1990, die – entsprechend der Richtlinienvorgabe3 – seit dem 1.1.1994 auch für Altverträge4 verbindlich ist.5 Österreich hat die europäischen Vorgaben mit dem neuen Handelsvertretergesetz von 1993 (öHVertrG) eingeführt, das an die Stelle der entsprechenden Vorgängerregelung6 getreten ist und seit dem 1.3.
6
1 Richtlinie Nr. 86/653/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EG Nr. L 382 v. 31.12.1986, S. 17 ff. 2 Vgl. Art. 30 des EWR-Abkommens i.V.m. dessen Anhang VII, Abschnitt E, letzter Unterpunkt, ABl. EG Nr. L 1 v. 3.1.1994, S. 3 ff. (392); ein ständig aktualisiertes Register über die für den EWR relevanten Rechtsakte der EU ist abrufbar über die Stabsstelle EWR Liechtenstein unter http://www.llv.li/#/12320/stabsstelle-ewr. 3 Vgl. Art. 22 Abs. 1 HVertr-RL. 4 Vgl. die intertemporale Regelung in Art. 29 EGHGB. 5 Zur Kritik an der Art der deutschen Richtlinienumsetzung, die sich nicht ausreichend am Wortlaut der Richtlinie orientieren soll, Emde, ZVertriebsR 2014, 218 (226 ff.); dort findet sich auch eine Liste mit Abweichungen der deutschen Umsetzung von der Richtlinie, die Zweifel an der Richtlinienkonformität aufwerfen. 6 1921 wurde in Österreich das Handelsagentengesetz geschaffen, öBGBl. 348/1921; dieses wurde im Zuge der Novelle des Jahres 1960 in Handelsvertretergesetz umbenannt, öBGBl. 153/1960.
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Distributionsgeschäfte
1993 Anwendung findet, seit dem 1.1.1994 auch auf Altverträge. Liechtenstein realisierte die Umsetzung im Wege einer Neufassung der Art. 87 ff. des liechtensteinischen HGB1 im Jahre 20012, anwendbar seit dem 16.11.2001, auf Altverträge seit dem 16.11. 20023. Die entsprechenden Regelungen sind weitgehend nahezu wortgleich mit den Umsetzungsbestimmungen des deutschen Rechts. 7
Die Richtlinie selbst gilt nur für Warenvertreter. Die nationalen Umsetzungsregelungen gehen aber teilweise darüber hinaus und entfalten ebenfalls Wirkung für Handelsvertreter, die Versicherungs- und Bausparverträge sowie allgemeine Dienst- und Werkleistungen vermitteln und vertreiben, also auch z.B. für Reisebüros und Anzeigenvermittler (näher dazu Rz. 13).
8
Ausgangspunkt für den Erlass der Handelsvertreter-Richtlinie war der Befund, dass die Unterschiede zwischen den nationalen Handelsvertreterregelungen den erwünschten Wettbewerb verfälschten und die grenzüberschreitende Tätigkeit der Handelsvertreter erheblich erschwerten. Der uneinheitliche Schutz der Handelsvertreter verkompliziere Vertragsschlüsse zwischen Handelsvertretern und Unternehmern aus verschiedenen Staaten4. Die aus diesem Befund abgeleitete Notwendigkeit einer Harmonisierung der bestehenden mitgliedstaatlichen Handelsvertreterrechte mündete in die Verabschiedung der Handelsvertreter-Richtlinie. Diese erfasst allerdings nur die wesentlichen Bereiche des Handelsvertreterrechts und räumt den Mitgliedstaaten an vielen Stellen ein Umsetzungsermessen ein, von dem unterschiedlich Gebrauch gemacht worden ist. Ferner enthält die Richtlinie eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die von der Rechtsprechung mit entsprechender Vorlage an den EuGH erst ausgefüllt werden müssen (näher zu alledem sogleich Rz. 12 ff.).
9
Deutschland und Österreich mussten ihr zuvor bestehendes Handelsvertreterrecht nur in relativ geringem Umfang ändern, weil in die Richtlinie Grundsätze ihrer Regelungssysteme Eingang gefunden haben. In anderen Mitgliedstaaten wurde dagegen eine umfassende Neugestaltung des Handelsvertreterrechts erforderlich. Dies führte zu verschiedenen Problemen. So gab es bspw. mehrere Vorlagen an den EuGH durch italienische Gerichte, die die Frage aufwarfen, ob die Gültigkeit eines Handelsvertretervertrages – wie unter der früheren italienischen Rechtslage – von der Eintragung des Handelsvertreters in das dazu vorgesehene Register abhängig ist. Der EuGH hat diese Frage wiederholt verneint und deutlich gemacht, dass nach der Richtlinie ein Handelsvertretervertrag ohne Eintragung des Handelsvertreters in ein Register gültig ist. Entgegenstehende nationale Regelungen sind richtlinienwidrig5.
10
Von allgemeinerer Bedeutung sind diese Urteile insoweit, als der EuGH dabei auf Folgendes hingewiesen hat: „[Die] nationale[n] Gericht[e] [haben] bei Anwendung der vor oder nach Inkrafttreten der Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften diese soweit wie möglich unter Berücksichtigung des Wortlautes und des Zweckes der Richtlinie auszulegen, so dass [diese] im Einklang mit den Zielen der Richtlinie angewandt werden können“6.
In anderem Kontext, bei einem Verbrauchsgüterkauf, hat der BGH für die deutsche Rechtsordnung entschieden, dass sämtliche auf nationaler Ebene zur Verfügung ste-
1 2 3 4 5
Vgl. allgemein zum liechtensteinischen HGB in diesem Handbuch Teil K Rz. 63. LGBl. 2001 Nr. 171. Vgl. Abschnitte II und III des Gesetzes LGBl. 2001 Nr. 171. Zu alledem s. Erwägungsgrund 4 HVertr-RL. EuGH v. 30.4.1998 – Rs. C-215/97 – Barbara Bellone/Yokohama SpA, EWS 1998, 215; vgl. auch EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C-456/98 – Centrosteel Srl/Adipol GmbH, EWS 2000, 358. 6 EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C-456/98 – Centrosteel Srl/Adipol GmbH, EWS 2000, 358.
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Handelsvertretervertrag
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henden Methoden Anwendung finden müssten, um den Richtlinien im Einzelfall zur Durchsetzung zu verhelfen. Dies umfasst auch die Methode der Rechtsfortbildung, wie bspw. die teleologische Reduktion1. Die Schweiz ist nicht Mitglied des EWR; hier entfaltet die Richtlinie daher keine Wirkung. Es gibt auch kein sektorielles Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, das auf diese Richtlinie verweist2, so dass dieser Richtlinie in der Schweiz auch keine Bedeutung über den Gleichwertigkeitsgrundsatz zukommt3. Das schweizerische Agenturrecht (Handelsvertreterrecht) hat in den Art. 418a ff. des Obligationenrechts (OR) Regelung erfahren. Diese Normen, die im Jahre 1949 Eingang in das Obligationenrecht gefunden haben, weisen deutliche Parallelen zum Inhalt der EU-Richtlinie auf4.
11
2. Inhalt der Richtlinie, deren Umsetzung und das Schweizer Recht a) Legaldefinition des Handelsvertreters Art. 1 Abs. 2 HVertr-RL enthält eine Legaldefinition des Handelsvertreters (in Deutschland: § 84 dtHGB; in Österreich: § 1 öHVertrG; in Liechtenstein: Art. 87 liHGB).
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Handelsvertreter ist, „wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person ([…] Unternehmer genannt) den Verkauf oder Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.“
Die Handelsvertreter-Richtlinie erfasst also nur Warenvertreter. Auf Handelsvertreter für andere Wirtschaftsgüter, insbesondere Dienstleistungen, findet die Richtlinie keine Anwendung5. Gleichwohl hat eine große Anzahl der Mitgliedsländer die nationalen Umsetzungsvorschriften auf diese Bereiche ausgedehnt. Dazu gehören auch die EU-Staaten Deutschland und Österreich sowie das EWR-Mitglied Liechtenstein6. In Österreich sind allerdings die Grundstücksgeschäfte aus dem Anwendungsbereich ausgenommen7. Auf diesem Gebiet findet das Maklergesetz8 Anwendung. Darüber hinaus sind für Versicherungsvertreter die Sonderregelungen in den §§ 26a–26d öHVertrG zu beachten. Das schweizerische Recht definiert in Art. 418a Abs. 1 OR einen Agentenbegriff, der dem Handelsvertreterbegriff der Richtlinie gleicht, im Unterschied zu diesem aber alle Geschäftsbereiche erfasst (s. dazu bereits Rz. 2).
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Für Handelsvertreter im Nebenberuf gestattet Art. 2 Abs. 2 HVertr-RL den Mitgliedstaaten, die Anwendung der Handelsvertreterregelungen auszuschließen. Von dieser Möglichkeit haben Deutschland und Liechtenstein im Hinblick auf die Kündigungsfrist, den Ausgleichsanspruch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses und den Provisionsvorschuss Gebrauch gemacht (§ 92b dtHGB; Art. 108 liHGB). Eine Sondervorschrift für Agenten im Nebenberuf enthält auch das Schweizer Recht in Art. 418a OR.
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1 BGH v. 26.11.2008, BGHZ 179, 27, Abschnitt B.I.3.b unter Auseinandersetzung mit EuGH v. 4.7. 2006 – Rs. C-212/04. 2 Vgl. das Register der Abkommen zwischen der Schweiz und der EU unter https://www.ad min.ch/opc/de/european-union/international-agreements/index.html. 3 Zu diesem Grundsatz im Kontext der sektoriellen Abkommen zwischen der EU und der Schweiz s. https://www.admin.ch/gov/de/start/bundesrecht/systematische-sammlung/internationalesrecht/rechtstexte-sektorielle-abkommen-ch-eu/das-recht-der-europaeischen-union-und-dieschweiz.html. 4 Vgl. die Synopse von Thouvenin in DACH-Schriftenreihe, Bd. 11 (1999), S. 17 ff. und Umbricht/ Grether in v. Westphalen, Handbuch des Handelsvertreterrechts (1995), S. 1015 ff. 5 So zu Versicherungsverträgen EuGH v. 6.3.2003 – Rs. C-449/01 Abbey Life Assurance Co. Ltd. 6 Vgl. § 84 dtHGB, § 1 öHVertrG sowie § 87 liHGB. 7 Vgl. § 1 Abs. 1 öHVertrG. 8 öBGBl. Nr. 262/1996.
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Sie führt zu einem Mehr an Privatautonomie in diesem Bereich, indem bestimmten Vorschriften ihr zwingender Charakter genommen wird. 15
Der Begriff „Alleinvertretung“, der sich in der Richtlinie in Art. 7 Abs. 2 findet, wurde von der Kommission schon in der „Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern vom 24.12.1962“ im kartellrechtlichen Kontext (näher dazu Rz. 80 ff.) verwendet1. Er bedeutet, dass dem Vertreter nicht nur ein bestimmtes Gebiet zugewiesen ist, sondern dass der Vertreter allein berechtigt ist, in diesem Gebiet tätig zu werden. Die Handelsvertreter-Richtlinie gewährt dem Handelsvertreter in derartigen Fällen einen Anspruch auf tätigkeitsunabhängige Provision gegenüber dem Unternehmer (vgl. Art. 7 Abs. 2 HVertr-RL, § 87 Abs. 2 dtHGB, Art. 92 Abs. 2 liHGB, § 8 Abs. 4 öHVertrG). Eine derartige Regelung kennt auch das schweizerische Recht in Art. 418g OR. b) Abschluss des Handelsvertretervertrages
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Die Handelsvertreter-Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten, ob diese den Handelsvertretervertrag einem Schriftformerfordernis unterwerfen oder nicht, Art. 13 HVertr-RL. Weder in Deutschland noch in Liechtenstein noch in Österreich unterliegt der Handelsvertretervertrag einem Formerfordernis2; auch nach Schweizer Recht kann der Agenturvertrag mündlich sowie durch konkludentes Verhalten zustande kommen3.
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Art. 13 HVertr-RL gibt aber jeder Vertragspartei einen Anspruch auf Aushändigung einer unterschriebenen Urkunde, die den Inhalt des Vertrags wiedergibt (vgl. die nationalen Umsetzungsvorschriften in § 85 dtHGB, Art. 88 liHGB sowie § 4 öHVertrG). Dem schweizerischen Recht ist eine solche Regelung unbekannt. c) Pflichten der Vertragspartner neben der Vergütung
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Art. 3 bis 6 HVertr-RL betreffen die vertraglichen Pflichten der beiden Parteien des Handelsvertretervertrags, also des Handelsvertreters auf der einen und des Unternehmers auf der anderen Seite (Umsetzung in §§ 86 und 86a dtHGB, §§ 5 und 6 öHVertrG sowie Art. 89, 90 liHGB; ähnlich in der Schweiz Art. 418c–418f OR für Agent und Auftraggeber). Nicht geregelt ist in diesen Normen allerdings die Vergütungspflicht des Unternehmers. Diese hat in den Art. 6–12 HVertr-RL einen eigenständigen Regelungskomplex erhalten (näher dazu Rz. 29 ff.). aa) Pflichten des Handelsvertreters
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Art. 3 Abs. 1 HVertr-RL enthält die zentrale Kernpflicht des Handelsvertreters: Dieser hat „die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen“ und sich dabei entsprechend der Gebote von Treu und Glauben zu verhalten.
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Abs. 2 von Art. 3 HVertr-RL konkretisiert diese Interessenwahrnehmungspflicht: Demnach hat sich der Handelsvertreter insbesondere „in angemessener Weise für die Vermittlung und ggf. den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einzusetzen“, dem Unternehmer die erforderlichen Informationen zukommenzulassen und die „an1 ABl. EG Nr. 139 v. 24.12.1962, S. 2921 – sog. „Weihnachtsbekanntmachung“. 2 Für Deutschland Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 85 Rz. 1; für Österreich Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 4 Rz. 12. 3 Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418a Rz. 5; sie weist aber zugleich darauf hin, dass das Gesetz für bestimmte Sondervereinbarungen, die die Parteien in den Handelsvertretervertrag aufnehmen können, Schriftform vorschreibt, bspw. Art. 418a Abs. 2 OR.
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Handelsvertretervertrag
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gemessenen Weisungen“ des Unternehmers zu befolgen (Art. 3 Abs. 1 und 2 HVertrRL). Diese Weisungsbefolgungspflicht hat Deutschland nicht im Gesetzeswortlaut umgesetzt1. Sie muss aber im Wege richtlinienkonformer Auslegung aus der allgemeinen Interessenwahrnehmungspflicht abgeleitet werden2. Ebenso ist die Lage in Österreich3. Liechtenstein hat die Weisungsbefolgungspflicht demgegenüber im Umsetzungsgesetz verankert (vgl. Art. 89 Abs. 3 Halbs. 2 liHGB, der abgesehen von dieser Ergänzung wörtlich § 86 dtHGB entspricht). Die entsprechende schweizerische Gesetzesnorm beinhaltet keine Weisungsbefolgungspflicht; eine solche wird aber auch aus der in Art. 418c OR statuierten Interessenwahrungspflicht abgeleitet4. Die Interessenwahrnehmungspflicht hat nach herrschender Auffassung darüber hinaus zur Folge, dass der Handelsvertreter während der Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmer keinerlei Konkurrenzprodukte vertreiben darf5. Der gesonderten Vereinbarung eines solchen Wettbewerbsverbots bedarf es also nicht. Zu kartellrechtlichen Fragen in diesem Kontext s. Rz. 84 ff.
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Eine Regelung zur Vereinbarung eines nachvertraglichen Konkurrenzverbotes findet sich in § 90a dtHGB, in Art. 103 liHGB6 sowie in Art. 418d OR. Ein solches Verbot wird durch diese Vorschriften aber nicht etabliert; vielmehr setzen die Vorschriften der privatautonomen Vereinbarung eines nachvertraglichen Konkurrenzverbotes Grenzen. In Österreich sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote gem. § 25 öHVertrG gar gänzlich unwirksam (näher zu nachvertraglichen Wettbewerbsabreden Rz. 73 ff.).
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In Österreich unterliegt der Handelsvertreter einem gesetzlich ausdrücklich statuierten Annahmeverbot von Belohnungen (§ 7 öHVertrG). Dieses Unterlassensgebot resultiert aber auch ohne entsprechende Regelung aus der allgemeinen Pflicht des Handelsvertreters, die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen7.
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bb) Pflichten des Unternehmers neben der Vergütung Der Unternehmer hat sich gem. Art. 4 Abs. 1 HVertr-RL „nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten“. In den deutschen Umsetzungsvorschriften der §§ 84 ff. dtHGB ist diese allgemeine Verhaltenspflicht nicht gesondert erwähnt; sie folgt aber aus § 242 dtBGB. Ebenso liegen die Dinge in Liechtenstein8. In Österreich statuiert § 6 Abs. 1 öHVertrG die allgemeine Pflicht des Unternehmers, „den Handelsvertreter bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu unterstützen.“ Daraus wird eine allgemeine „Fürsorgepflicht“ abgeleitet, die inhaltlich der Pflicht, sich entsprechend der Gebote von Treu und Glauben zu verhalten, entspricht9. Die schweizerischen Regelungen zum Agenturrecht enthalten in Art. 418f Abs. 1 S. 1 OR einen Hinweis auf das Gebot, 1 Vgl. dazu die Erläuterung des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 11/4559, 9 (zu Art. 1 Nr. 1a). 2 So Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 86 Rz. 16 f.; skeptisch vor dem Hintergrund des geäußerten Gesetzgeberwillens J. Meyer in Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, EnzEuR Bd. 6 (2015), § 5 Rz. 187. 3 Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 5 Rz. 21 a.E. 4 Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), § 418c Rz. 3. 5 Aus deutscher Perspektive Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 86 Rz. 24 ff.; aus österreichischer Perspektive Ratka/Rauter/Völkl, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band I (2013), S. 206 f. 6 Den europäischen Hintergrund dieser beiden Vorschriften bildet Art. 20 HVertr-RL. 7 Aus deutscher Perspektive Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 86 Rz. 19. 8 Vgl. Art. 90 liHGB, der keine konkrete Regelung enthält; zurückzugreifen ist daher auf den allgemeinen, das gesamte liechtensteinische Privatrecht überlagernden Grundsatz von Treu und Glauben, vgl. Art. 2 liPGR: „Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.“ S. dazu Legerer/Baur, Der Grundsatz von Treu und Glauben im liechtensteinischen Privatrecht (2006). 9 Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 6 Rz. 6.
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Teil G Rz. 25
Distributionsgeschäfte
sich entsprechend Treu und Glauben zu verhalten1. Dieses Gebot ist dem schweizerischen Recht in Art. 2 ZGB ebenfalls in allgemeiner Form bekannt2. 25
Ein Verbot, dem Handelsvertreter im Wege des Direktvertriebs oder über Dritte Konkurrenz zu machen, lässt sich aus dem allgemeinen Gebot, entsprechend Treu und Glauben zu agieren, nicht pauschal ableiten; vielmehr ist es anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Parteien ein solches Wettbewerbsverbot – zumindest konkludent – vereinbart haben oder aufgrund anderer besonderer Gegebenheiten konkurrierendes Verhalten treuwidrig ist. Ersteres liegt bspw. im Falle einer vertraglich vorgesehenen Alleinvertretung (zur Alleinvertretung s. Rz. 15) nahe3.
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In den Abs. 2 und 3 konkretisiert Art. 4 HVertr-RL die Pflichteninhalte: Demnach muss der Unternehmer dem Vertreter die Unterlagen zur Verfügung stellen, die zur vertraglich vereinbarten Tätigkeit des Handelsvertreters erforderlich sind. Der Begriff der Unterlagen ist dabei weit und funktional auszulegen. Dazu gehört neben der Musterkollektion, die zur Anpreisung der Ware notwendig ist, bspw. auch eine einheitliche und vom Unternehmer vorgegebene EDV-Software zur Angebotserstellung4. Die Bereitstellung hat der Unternehmer auf eigene Kosten zu realisieren; sie darf also nicht von einer Gegenleistung abhängig gemacht werden5.
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Im Jahre 2011 hat der BGH entschieden, dass Unterlagen nur erforderlich seien, sofern sie „für die spezifische Anspreisung der [Güter] unerlässlich [seien]“6. Damit erteilte der BGH der Auffassung, die bereits Nützlichkeit ausreichen lassen möchte, um eine Pflicht des Unternehmers zur kostenlosen Bereitstellung zu bejahen7, eine Absage8. Eine Vorlage an den EuGH war nicht erforderlich, weil der zugrunde liegende Fall sich im Bereich der Finanzdienstleistungen und somit außerhalb des Anwendungsbereichs der Handelsvertreter-Richtlinie bewegte. Sollte sich dieselbe Frage auf dem Gebiet des Warenhandels stellen, ist allerdings eine Vorlage an den EuGH geboten, da die Annahme eines acte clair wohl kaum zu überzeugen vermag.
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Schließlich hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung der Tätigkeit notwendigen Informationen mitzuteilen, Art. 4 Abs. 2 lit. b, Abs. 2 HVertr-RL. Insbesondere muss er diesen binnen angemessener Frist benachrichtigen, sobald er absieht, dass der Umfang der Geschäfte hinter dem, was der Handelsvertreter hätte erwarten können, erheblich zurückbleibt. Außerdem hat er den Handelsvertreter über die Annahme bzw. Ablehnung und eine etwaige Nichtausführung der vermittelten Geschäfte zu informieren. Diese Vorschriften sind nach Art. 5 HVertr-RL zwingend, weil die zu übermittelnden Daten von besonderer Bedeutung für den Provisionsanspruch 1 S. dazu Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), § 418f Rz. 1. 2 Die Norm lautet: „Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.“ 3 Zu alledem aus deutscher Perspektive Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 86a Rz. 25 ff.; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 6 Rz. 7; aus schweizerischer Perspektive Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418f Rz. 4. 4 Dazu aus deutscher Perspektive Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel IV Rz. 8; OLG München v. 3.3.1999 – 7 U 6158/98, BB 1999, 2320 = NJW-RR 1999, 1194; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 6 Rz. 14. 5 Aus deutscher Perspektive BGH v. 4.5.2011, NJW 2011, 2423 Abschnitt II.A.1; OLG Köln v. 12.4. 2013 – 19 U 101/12, Abschnitt II.A.2; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 6 Rz. 24. 6 BGH v. 4.5.2011, NJW 2011, 2423 Abschnitt II.A.3. 7 S. bspw. Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 86a Rz. 22. 8 Österreichische Stimmen unterstützen diese Linie; s. Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 6 Rz. 15 f.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 32
Teil G
des Handelsvertreters (dazu sogleich Rz. 29 ff.) sind1. Die nationalen Umsetzungsvorschriften finden sich in § 86a Abs. 2, 3 dtHGB, § 90 Abs. 2, 3 liHGB und § 6 öHVertrG. In der Schweiz ist Art. 418f OR in diesem Kontext zu beachten2. d) Die Vergütung des Handelsvertreters und flankierende Informationsansprüche Die Art. 6–12 HVertr-RL enthalten Vorschriften über die Vergütung des Handelsvertreters (umgesetzt in den §§ 86b–87c dtHGB, §§ 8–17 öHVertrG, Art. 91–95 liHGB; vgl. in der Schweiz Art. 418g–418m OR). Dieses gesetzliche Regime ist im Hinblick auf die Ausgestaltung der Provisionsentstehung in den Grenzen der allgemeinen zwingenden Regelungen, wie bspw. dem AGB-Recht, dispositiver Natur3. Dies gilt nicht in gleichem Maße für die Regelungen, die den bereits entstandenen Provisionsanspruch betreffen.
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aa) Höhe und Entstehung des Vergütungsanspruchs Art. 6 HVertr-RL bestimmt, dass der Handelsvertreter bei Fehlen einer Vereinbarung über die Höhe der Vergütung Anspruch auf jene Vergütung hat, die am Ort seiner Tätigkeit für die Vertretung von Waren gleicher Art üblich ist; lässt sich eine derartige ortsübliche Vergütung nicht ermitteln, gewährt die Norm einenAnspruch auf eine angemessene Vergütung. Keine Spezialregelung wurde in Deutschland, Österreich und Liechtenstein für den Rückgriff auf die angemessene Vergütung geschaffen. Auch Art. 418g Abs. 1 OR enthält bei Fehlen einer Vereinbarung nur den allgemeinen Verweis auf eine übliche Vermittlungs- oder Abschlussprovision. Der BGH hat in einem Fall, in dem die Vergütungshöhe nicht vereinbart war und in der sich keine übliche Vergütung ermitteln ließ, auf das einseitige Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB zurückgegriffen4. Dieses ist nach billigem Ermessen auszuüben und unterliegt insoweit der richterlichen Kontrolle5.
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Die Handelsvertreter-Richtlinie enthält detaillierte Regelungen über die Vergütung in Form der Provision, Art. 7–12. Andere Arten, wie Fixum oder Boni, Umlagen etc. sind nicht geregelt. Art. 6 Abs. 3 HVertr-RL macht aber klar, dass derartige andere Vergütungsformen teilweise oder auch gänzlich an die Stelle einer Provision treten können. Auch eine Bestimmung über die Delkredere-Provision, wie sie in Deutschland (§ 86b HGB) und in Liechtenstein (Art. 91 ADHGB) existiert, sieht die Richtlinie nicht vor. Die Schweiz kennt noch eine weitergehende Delkredere-Haftung für sämtliche Geschäfte mit allen Kunden. Dort besteht ebenfalls ein Anspruch auf ein angemessenes besonderes Entgelt (Art. 418c Abs. 3 OR)6.
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Bei welchen Geschäftsabschlüssen ein Provisionsanspruch entsteht, ist in Art. 7 HVertr-RL geregelt. Die entsprechenden nationalen Vorschriften finden sich in den §§ 87, 87a dtHGB, §§ 8, 9 öHVertrG und Art. 92, 93 liHGB. Ein Provisionsanspruch besteht demnach für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, wenn diese entweder auf die Tätigkeit des Handelsvertreters zurückzuführen sind (Tätigkeitsprovision) oder mit einem Dritten abgeschlossen werden, den der Handels-
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1 Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 86a Rz. 7. 2 S. dazu Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418f Rz. 3. 3 Aus deutscher Perspektive Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 87 Rz. 75 ff.; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 8 Rz. 5. 4 BGH v. 19.1.2005, NJW-RR 2005, 762 Abschnitt II.B.2. 5 Umfassend zu dieser Norm Kronke, AcP 183 (1983), 113 ff. 6 Zu dieser Regelung s. bspw. Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418c Rz. 8.
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Teil G Rz. 33
Distributionsgeschäfte
vertreter „bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte“ (Folgeprovisionen). Ferner kann der Vertreter Anspruch auf Provision für Direktgeschäfte des Unternehmers auch ohne jegliche Mitwirkung haben. Dies setzt voraus, dass ihm ein bestimmter Bezirk oder Kundenkreis zugewiesen ist oder er für einen bestimmten Bezirk oder Kundenkreis die Alleinvertretung innehat. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten in ihrem Art. 7 Abs. 2 S. 2 auf, eine dieser beiden Varianten umzusetzen. Deutschland und Liechtenstein haben den ersten Weg beschritten1, Österreich den zweiten bei gleichzeitiger Teilübernahme des ersten2. EuGH v. 12.12.1996 – C-104/95 – Georgios Kontogeorgas/Kartonpak AE: Der EuGH hatte über die Vorlagefrage zu entscheiden, ob Art. 7 Abs. 2 HVertr-RL tatsächlich einen Provisionsanspruch bei einem Geschäftsabschluss gewährt, der ohne jegliche Mitwirkung des Handelsvertreters zustande kommt. Im konkreten Fall ging es um einen Handelsvertreter, dem ein bestimmter Bezirk zugewiesen worden war. Der EuGH befand, dass ein solcher Handelsvertreter auch Anspruch auf Provision für jene Geschäfte hat, die ohne seine Mitwirkung mit Kunden seines Bezirkes abgeschlossen werden.
Im schweizerischen Recht enthält Art. 418g OR eine entsprechende Regelung. 33
Den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung bestimmt Art. 10 Abs. 1 HVertr-RL (§ 87a dtHGB, § 9 öHVertrG, Art. 93 liADHGB). Demnach entsteht der Provisionsanspruch erst, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat oder hätte ausführen sollen oder der Dritte das Geschäft ausgeführt hat. Bis dahin hat der Handelsvertreter eine Anwartschaft auf die Provision3. Im schweizerischen Recht entsteht der Provisionsanspruch nach Art. 418g OR mangels entgegenstehender Vereinbarung bereits mit Abschluss des Rechtsgeschäfts. Fälligkeit tritt freilich erst später ein (dazu Rz. 38).
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Art. 8 HVertr-RL (umgesetzt in § 87a Abs. 3 dtHGB, § 11 öHVertrG, Art. 92 Abs. 3 liHGB) regelt die Sonderfälle, bei denen dem Handelsvertreter Provision für ein Geschäft zusteht, das erst nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses abgeschlossen wurde. Dieser Anspruch besteht nur, wenn – der Handelsvertreter das Geschäft vermittelt oder es so eingeleitet und vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und der Geschäftsabschluss innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Handelsvertretervertrags erfolgt oder – „wenn die Bestellung des Dritten [noch] vor Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses beim Unternehmer oder beim Handelsvertreter eingegangen ist.“
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Auch in der Schweiz hat der Agent Anspruch auf die Vergütung für Geschäfte, die er vermittelt hat und die erst nach Beendigung des Agenturvertrages abgeschlossen werden4.
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Bei einem Wechsel des Handelsvertreters ist vor dem Hintergrund der soeben geschilderten Regelung das Entstehen von zwei Provisionsansprüchen – einer zugunsten des ausgeschiedenen Handelsvertreters, einer zugunsten des neuen Handelsvertreters – zu verhindern. Dies gewährleistet Art. 9 HVertr-RL, der die Entstehung eines Anspruchs 1 Vgl. § 87 Abs. 2 dtHGB bzw. Art. 92 Abs. 2 liHGB. 2 Vgl. zu zweitem § 8 Abs. 4 öHVertrG. § 8 Abs. 3 öHVertrG enthält darüber hinaus eine Sonderregelung für Kundschaft, die dem Handelsvertreter zugewiesen ist; welche Bedeutung dem Wort „Kundschaft“ in diesem Kontext zukommt, ist nicht eindeutig; vgl. dazu Nocker, Handelsvertretergesetz, § 8 Rz. 73 ff. 3 Aus deutscher Perspektive Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel V Rz. 239; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 9 Rz. 17. 4 Vgl. den Wortlaut von Art. 418g Abs. 1 OR sowie dazu Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418g Rz. 2.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 40
Teil G
zugunsten des neuen Handelsvertreters verhindert, sofern zugunsten des ausgeschiedenen Handelsvertreters ein Anspruch nach Art. 8 HVertr-RL entsteht. Besondere Umstände sollen zu einer Teilung der Provision zwischen den beiden Handelsvertretern führen (vgl. dazu § 87a Abs. 3 Satz 2 dtHGB, § 11 Abs. 1 Nr. 2 öHVertrG und Art. 92 Abs. 3 Satz 2 liHGB). In der Schweiz findet sich keine konkrete Regelung im Gesetz; das Bundesgericht verhindert aber ebenfalls eine die Entstehung von zwei Provisionsansprüchen, indem es dem Anspruch des ausgeschiedenen Handelsvertreters Vorrang einräumt1.Liegen die Umstände so, dass der Provisionsanspruch bereits ausschließlich dem neuen Handelsvertreter zusteht, so mag dieser mit einem Ausgleichs- bzw. Entschädigungsanspruch zugunsten des früheren Handelsvertreters zusammentreffen (vgl. dazu näher Rz. 45 ff.). bb) Rechtliche Behandlung des entstandenen Provisionsanspruchs Auch bei nicht ausgeführten Geschäften bleibt der Anspruch auf Provision bestehen, es sei denn, das Ausbleiben der Durchführung beruht auf Umständen, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat; dann erlischt der Provisionsanspruch, und bereits empfangene Provisionen sind zurückzuzahlen. Von diesen Bestimmungen der Richtlinie darf nicht zu Lasten des Handelsvertreters abgewichen werden (vgl. Art. 11 HVertr-RL, § 87a Abs. 3 dtHGB, § 9 Abs. 3 öHVertrG 1993, Art. 93 Abs. 3 liHGB; ebenso Art. 418h OR).
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Die Fälligkeit des Provisionsanspruches ist in Art. 10 Abs. 3 der HVertr-RL geregelt (umgesetzt in § 87a Abs. 1 u. 4 dtHGB, Art. 93 Abs. 1 u. 4 liHGB, § 15 öHVertrG i.V.m. § 14 öHVertrG2). Demnach tritt die Fälligkeit spätestens am letzten Tage des Monats ein, der dem Quartal folgt, in dem der Provisionsanspruch entstanden ist. In der Schweiz tritt die Fälligkeit gem. Art. 418i OR grundsätzlich am Ende eines jeden Kalenderhalbjahres ein. Wie in Österreich, gibt es aber auch hier eine Sonderregelung für das Versicherungsgeschäft: Fälligkeit „nach Maßgabe der Zahlung der ersten Jahresprämie“.
38
Die Abrechnung hat gem. Art. 12 Abs. 1 HVertr-RL ebenfalls spätestens am letzten Tage des Monats zu erfolgen, der dem Quartal folgt, in dem der Provisionsanspruch entstanden ist (Umsetzung in § 87c Abs. 1 dtHGB, § 14 öHVertrG, Art. 95 Abs. 1 liHGB; für die Schweiz vgl. Art. 418k OR).
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Art. 12 Abs. 2 HVertr-RL räumt dem Handelsvertreter einen provisionsbezogenen Auskunftsanspruch ein: Der Handelsvertreter kann Erteilung sämtlicher Auskünfte verlangen, über die der Unternehmer verfügt und die der Handelsvertreter zur Nachprüfung der ihm zustehenden Provisionen benötigt. Dazu gehört auch der Anspruch auf einen Buchauszug. Ob dem Handelsvertreter auch ein Bucheinsichtsrecht zusteht, überlässt die Richtlinie in Art. 12 Abs. 4 den Mitgliedstaaten. Ein solches Recht gewähren unter bestimmten Umständen § 87c Abs. 4 dtHGB, Art. 95 Abs. 4 liHGB sowie § 16 Abs. 2–5 öHVertrG. In der Schweiz garantiert Art. 418k Abs. 2 OR dem Agenten ein Einsichtsrecht in die für die Abrechnung maßgebenden Bücher und Belege des Auftraggebers; ein Anspruch auf Buchauszug besteht dort jedoch nicht3. Diese Rechte sind unabdingbar.
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1 BG v. 27.11.1958, BGE 84 II, 542; aus der jüngeren Literatur vgl. Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418g Rz. 4. 2 In Österreich sind für Versicherungsvermittler die Sonderregelungen der §§ 26a–26d öHVertrG zu beachten. 3 Vgl. die Hinweise bei Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418k Rz. 1–3.
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Teil G Rz. 41 41
Distributionsgeschäfte
Da der Anspruch auf Buchauszug sowie das Bucheinsichtsrecht „scharfe Schwerter“ des Handelsvertreters sind, empfiehlt es sich für den Unternehmer, zugleich mit der Abrechnung sämtliche für die Überprüfung des Provisionsanspruches notwendigen Kriterien anzugeben, also insbesondere auch bei Stornierungen von erteilten Aufträgen und Retouren die hierfür maßgeblichen Gründe zu benennen. Eine weitere Möglichkeit, diesen Anspruch zeitlich zu begrenzen, bietet – mit Ausnahme der Schweiz1 – die vertragliche Vereinbarung kürzerer Verjährungsfristen2 (näheres dazu s. Rz. 79). e) Beendigung des Handelsvertretervertrages
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Art. 15 HVertr-RL enthält für die ordentliche Kündigung eines auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Handelsvertretervertrages Vorgaben zu Mindestkündigungsfristen, gestaffelt nach der Dauer des Bestandes des Vertragsverhältnisses. Demnach beträgt die Kündigungsfrist für das erste Vertragsjahr 1 Monat, ab dem begonnenen zweiten Vertragsjahr 2 Monate und ab dem dritten Vertragsjahr 3 Monate. Kürzere Fristen dürfen die Mitgliedstaaten den Parteien nicht einräumen. Es ist jedoch gestattet, für länger bestehende Vertragsverhältnisse im bestimmten Rahmen längere Kündigungsfristen einzuführen. Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und noch eine weitere Stufe bei 5 Jahren eingeführt: Nach 5 Jahren Vertragslaufzeit beträgt die Kündigungsfrist hier gem. § 89 dtHGB 6 Monate. Die liechtensteinische Regelung, die sich im Übrigen sehr eng an der deutschen Umsetzung orientiert (s. dazu Rz. 6), hat diese Regelung nicht übernommen; sie ist bei den Mindestvorgaben der Richtlinie geblieben, Art. 99 liHGB. Demgegenüber hat Österreich drei zusätzliche Stufen eingebaut: Nach § 21 öHVertrG beträgt die Kündigungsfrist nach drei Jahren Vertragslaufzeit 4 Monate, nach vier Jahren 5 Monate und nach fünf Jahren, wie in Deutschland, 6 Monate. Zwei Stufen sieht die schweizerische Regelung in Art. 418q OR vor: 1 Monat im ersten Jahr, ab dem zweiten Jahr 2 Monate; allerdings kann ab dem zweiten Jahr nur noch zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden.
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Art. 16 HVertr-RL lässt das Recht der Mitgliedstaaten, Vorschriften über eine außerordentliche Kündigung zu erlassen, ausdrücklich unberührt. In Deutschland, Liechtenstein und Österreich besteht dieses Recht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 89a dtHGB, Art. 100 liHGB, § 22 Abs. 1 öHVertrG; ebenso in der Schweiz nach Art. 418r OR). Österreich hat in § 22 Abs. 2 und 3 öHVertrG einen Katalog besonders wichtiger Kündigungsgründe geschaffen. Die dortige Aufzählung ist nicht erschöpfend3. In Deutschland ist ein wichtiger Kündigungsgrund gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung bis zur vereinbarten Vertragsbeendigung oder bis zum Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung nicht zugemutet werden kann4. Die außerordentliche Kündigung muss binnen einer angemessenen Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes ausgesprochen werden, sonst ist sie als solche unwirksam (vgl. die allgemeine Regelung in § 314 Abs. 3 BGB). Was angemessen ist, bestimmt sich anhand der Umstände des Einzelfalls; häufig wird als maximale Grenze
1 Vgl. Art. 129 OR sowie dazu Däppen in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 129 Rz. 1–6. 2 Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 16 Rz. 45. 3 Vgl. den Wortlaut der Regelung: „insbesondere“; s. dazu auch Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 22 Rz. 33. 4 Ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. Urteile v. 16.2.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866 und v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 46
Teil G
ein Zeitraum von zwei Monaten genannt1. In der Regel ist bei Vertragsverstößen eine vorausgegangene Abmahnung erforderlich; eine Ausnahme bilden Vertrauensverstöße, die die Vertragsbasis derart erschüttern, dass diese nicht mehr wiederhergestellt werden kann, so z.B. bei einem Wettbewerbsverstoß2. Wichtige Kündigungsgründe können die Parteien auch vertraglich vereinbaren, bspw. in Allgemeinen Geschäftsbedingungen3. Damit kann allerdings keine Einschränkung des außerordentlichen Kündigungsrechts, das in § 89a Abs. 1 Satz 2 dtHGB gewährleistet ist, einhergehen. Der Nutzen liegt vielmehr in Folgendem: Ist ein wichtiger Grund wirksam vereinbart und liegt dieser vor, so bedarf es im Prozessfalle keiner weiteren Interessenabwägung des Gerichtes, ob wirklich ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt4. Freilich können besondere Umstände des Einzelfalles dazu führen, dass die Ausübung des Kündigungsrechts trotz gegebenen Kündigungsgrundes gegen Treu und Glauben verstößt5.
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f) Ausgleichs- bzw. Entschädigungsanspruch Art. 17 HVertr-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, für den Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrages entweder einen Ausgleichsanspruch (Art. 17 Abs. 2 HVertrRL) oder einen Entschädigungsanspruch (Art. 17 Abs. 3 HVertr-RL) zugunsten des Handelsvertreters gesetzlich vorzuschreiben. Die nationalen Umsetzungsvorschriften müssen Art. 19 HVertr-RL zufolge zwingend ausgestaltet sein, so dass die Vertragsparteien vor Beendigung des Vertrags davon nicht zu Lasten des Handelsvertreters abweichen können. Umsetzung erfahren hat diese Vorgabe in § 89b Abs. 4 dtHGB, Art. 101 Abs. 4 liHGB und § 27 Abs. 1 öHVertrG). Sofern die Vertragsbeendigung auf freier Initiative des Handelsvertreters beruht, scheidet ein solcher Ausgleichs- oder Entschädigungsanspruch freilich aus (zu weiteren Ausschlussgründen s. Art. 18 HVertr-RL sowie näher Rz. 48 f.).
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aa) Das „Ob“ des Anspruchs Deutschland, Österreich und Liechtenstein haben sich für den Ausgleichsanspruch i.S.v. Art. 17 Abs. 2 HVertr-RL entschieden (§ 89b HGB, Art. 101 liHGB, § 24 öHVertrG). Art. 17 Abs. 2 lit. a HVertr-RL sieht vor, dass der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch hat, – wenn und soweit der Unternehmer nach Beendigung des Vertrages aus Geschäften mit Kunden, die der Handelsvertreter entweder neu geworben hat oder zu denen der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat,6 „noch erhebliche Vorteile zieht“ – „und die Zahlung des Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände […] der Billigkeit entspricht.“ Zu den Umständen, die zu berücksichtigen sind, zählt die Richtlinie „insbesondere [die] dem Handelsvertreter aus [den künftigen] Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen“. Der Provisionsverlust des Handelsvertreters, der im Rahmen 1 S. bspw. BGH v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986; dies unterstützend Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 89a Rz. 10; a.A. Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 89a Rz. 44 (keine feste Maximalfrist). 2 BGH v. 26.5.1999 – VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986; Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel VIII Rz. 176. 3 BGH v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381. 4 BGH v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381. 5 Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel VIII Rz. 171 a.E., 186 ff. 6 Zu den Kriterien für die Beurteilung, wann es sich um einen neuen Kunden handelt, s. EuGH v. 7.4.2016 – Rs. C-315/14 – Marchon Germany GmbH/Yvonne Karaszkiewicz.
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Teil G Rz. 47
Distributionsgeschäfte
einer hypothetischen Vergleichsbetrachtung festzustellen ist, wird in der Richtlinie also als ein zentraler Aspekt bei der Billigkeitsabwägung angesehen. Zwingende Voraussetzung ist der Provisionsverlust aber nicht. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass in besonderen Fällen die Billigkeitsabwägung auch dann zu einem Ausgleichsanspruch für den Handelsvertreter führen mag, wenn ihm nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses gar kein Provisionsverlust entsteht1. 47
Demgegenüber sah der deutsche § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs bis zum 4.8.2009 vor, dass der Handelsvertreter infolge der Vertragsbeendigung Provisionen verlieren müsse, die er bei Vertragsfortsetzung aus Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden erhalten hätte. Diese Regelung wurde mit Wirkung zum 5.8.2009 im Sinne der Richtlinienvorgabe modifiziert2. Die österreichische Rechtslage war von Beginn an in Einklang mit der Richtlinie, § 24 öHVertrG. Nach wie vor besteht die Voraussetzung des Provisionsverlusts aber im Recht von Liechtenstein, Art. 101 Abs. 1 Nr. 2 liHGB. Als problematisch erweist sich dies bspw. bei Einsatz des Handelsvertreters in einem sog. Rotationsvertriebssystem, bei dem der Handelsvertreter jährlich den ihm zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis wechselt3. Bei genauer Betrachtung erleidet der Vertreter hier ja keinen Verlust von Provisionen, die er bei Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses aus Geschäften mit Kunden, die er in der Vergangenheit selbst geworben hat, erlangt hätte4. Eine europarechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung sollte beim Warenvertreter dazu führen, dass der Provisionsverlust keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung bildet, sondern nur einen zentralen Aspekt bei der Billigkeitsabwägung darstellt5.
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Art. 18 HVertr-RL enthält Gründe, die eine Entstehung des Ausgleichsanspruchs verhindern. Demnach besteht kein Ausgleichsanspruch, „wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt.“
Zwischen dem vertragswidrigen Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigungserklärung des Unternehmers muss also ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach dem Wortlaut des deutschen § 89b Abs. 3 Nr. 2 dtHGB und des liechtensteinischen Art. 101 Abs. 3 Nr. 2 liHGB würde es jedoch genügen, wenn der Unternehmer den Vertrag gekündigt hat und ein solcher wichtiger Kündigungsgrund rein objektiv vorlag. Der Kündigungsgrund könnte also zum Zeitpunkt der Kündigung noch unbekannt sein und später nachgeschoben werden. Diese früher in der deutschen Rechtsprechung übliche Interpretation6 ist seit Inkrafttreten der Richtlinie bei gebotener europarechtskonformer Auslegung nicht mehr möglich7. Allerdings können derlei Gründe, die später bekannt werden, im Rahmen der Billigkeitsabwägung Berücksichtigung finden. 1 Thume bringt als Beispiel den Fall, dass für die Vermittlung langjähriger Geschäftsverbindungen nur eine einmalige Provision gezahlt wurde, der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags aus dem vorhandenen Kundenstamm aber noch erhebliche Vorteile ziehen kann, BB 2004, 2473 (2475). 2 Art. 6a des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2512. 3 Vgl. BGH v. 28.4.1999 – VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668; Thume, BB 2004, 2473 (2475). 4 Dies veranlasste den BGH unter der alten deutschen Rechtslage, die der heutigen liechtensteinischen entsprach, in seiner Entscheidung VIII ZR 354/97 (s. vorherige Fn.) zu einer großzügigen „Provisionsverlustfiktion“; so die Wortwahl bei Thume, BB 2004, 2473 (2475). 5 So zur früheren entsprechenden deutschen Rechtslage Canaris, Handelsrecht (23. Aufl. 2000), S. 110, 351; Kindler, RIW 1990, 358 (362); Thume, BB 2004, 2473 (2474 f.). 6 Vgl. BGH v. 7.3.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 30 und BGH v. 6.7.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222. 7 Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel IX Rz. 83.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 51
Teil G
Ein weiterer Ausschlussgrund liegt nach Art. 18 lit. b HVertr-RL vor,
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„wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt.“
Die Umsetzungsvorschriften finden sich in § 89b Abs. 3 Nr. 1 dtHGB, Art. 101 Abs. 3 Nr. 1 liHGB sowie in § 24 Abs. 3 Nr. 1 öHVertrG. Es empfiehlt sich für den Handelsvertreter, die in diesen Normen entsprechend der Richtlinienvorgabe genannten ausgleichserhaltenden Gründe in der Kündigung anzugeben. Notwendig ist dies jedoch nicht. Das Nachschieben eines solchen Grundes ist zulässig1. Problematisch sind die Fälle, in denen die Handelsvertretung von einer Vertretungskapitalgesellschaft ausgeübt wird, da eine solche Kapitalgesellschaft weder altern noch krank werden kann. Bei der Ein-Personen-Kapitalgesellschaft spricht dennoch vieles dafür, die Lage nicht rein formal zu behandeln, sondern eine ausgleichserhaltende Kündigung anzunehmen, wenn die alters- oder krankheitsbedingten Gründe in der Person des geschäftsführenden Alleingesellschafters vorliegen und der Handelsvertretervertrag auf die Person dieses Alleingesellschafters zugeschnitten ist2. Bei Personengesellschaften ist die Lage ebenso, wenn die Gesellschaft faktisch mit der Person eines Gesellschafters „steht und fällt“3.
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Unterschiedliche Umsetzung hat Art. 18 lit. b HVertr-RL für den Fall erfahren, dass Umstände, die dem Unternehmer zurechenbar sind, die Vertragsbeendigung durch den Handelsvertreter rechtfertigen (Normtext der RL s. Rz. 49). Die deutsche Rechtsprechung geht davon aus, dass der Ausgleichsanspruch bereits dann erhalten bleibe, wenn der ausgleichserhaltende Grund objektiv vorlag4. Dass dieser Grund dem Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrages bereits bekannt gewesen sein muss oder gar die eigentliche Motivation der Vertragsbeendigung gewesen sein muss, verlangt der BGH nicht. Anders der österreichische OGH: In einer Entscheidung aus dem Jahre 2011 grenzt er die österreichische Rechtslage aufgrund des Wortlautes der dortigen Umsetzungsnorm des § 24 Abs. 3 Nr. 1 öHVertrG explizit von der deutschen Rechtsprechung ab und führt aus, dass der Handelsvertreter bei Eigenkündigung den Ausgleichsanspruch nur einfordern könne, wenn das unternehmerische Verhalten, das die Vertragsbeendigung rechtfertige, auch tatsächlich auf subjektiver Ebene Motivation der Vertragsbeendigung gewesen sei5. Zugleich betont der OGH aber auch, dass daraus nicht folge, dass der Handelsvertreter den entsprechenden Grund bei der Vertragsbeendigung bereits angeben müsse. Dennoch ist ein solches Vorgehen sicherlich ratsam, damit der Handelsvertreter später nicht in Beweisnot gerät. Es ist hoch zweifelhaft, ob die österreichische Rechtslage mit der Richtlinie vereinbar ist, da es nach der Richtlinie genügt, wenn ein Umstand, der dem Unternehmer zurechenbar ist, die Vertragsbeendigung „rechtfertigt“. Der Entscheidung des OGH lag allerdings ein
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1 Aus deutscher Perspektive s. bspw. Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 89b Rz. 35 a.E.; aus österreichischer Perspektive s. OGH v. 26.5.2004 – 9 Ob A2/04s. 2 Aus deutscher Perspektive OLG München v. 4.12.2002 – 7 U 347/02, DB 2003, 337; in einer späteren Entscheidung hat das OLG München die Voraussetzung, dass der Handelsvertretervertrag auf die Person des Alleingesellschafters zugeschnitten sein muss, besonders betont: OLG München v. 19.1.2006 – 23 U 3885/05, NJOZ 2007, 1481; vgl. dazu ausführlich Thume in Küstner/ Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel XI Rz. 130 ff.; aus österreichischer Perspektive vgl. Nocke, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 343. 3 Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 89b Rz. 35 a.E. 4 BGH v. 12.6.1963, BGHZ 40, 13 (16); diese Entscheidung erging zwar vor Verabschiedung der Handelsvertreter-Richtlinie; die entscheidende Passage im deutschen Normtext ist aber bis heute unverändert; dementsprechend berufen sich die Literaturstimmen immer noch auf die Entscheidung aus dem Jahre 1963; s. bspw. Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 89b Rz. 35. 5 OGH v. 21.1.2011 – 9 Ob A102/10f.
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Teil G Rz. 52
Distributionsgeschäfte
Sachverhalt zugrunde, der außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie angesiedelt war, so dass der OGH keiner Vorlagepflicht an den EuGH unterlag. Sollte dieselbe Frage im Kontext des Warenhandels auftreten, wäre eine Vorlage an den EuGH allerdings geboten. 52
Die schweizerische Rechtsordnung kennt ebenfalls einen Entschädigungsanspruch des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung. Dieser ist in Art. 418u OR normiert. Der Normtext ist nicht ganz so detailliert ausgestaltet wie die Richtlinie und die darauf aufbauenden nationalen Umsetzungstexte; im Wege der Auslegung werden aber bei der Frage des „Ob“ eines solchen Ausgleichsanspruchs häufig gleiche oder ähnliche Ergebnisse erzielt1. bb) Die Höhe des Anspruchs
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Die Höhe des Ausgleichsanspruchs ist das Ergebnis einer Prognoseentscheidung, deren Berechnung auf teils schwierig zu ermittelnden Parametern beruht2. Basisgrundlage sind die Vorteile, die der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrages aus Beziehungen zu Kunden, die der Handelsvertreter neu geworben oder bei denen er die Geschäftsbeziehung wesentlich erweitert hat, voraussichtlich erlangen wird.3
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Im Unterschied dazu war die deutsche Rechtslage bis zum Jahre 2009 durch Fokussierung auf die voraussichtlichen Provisionsverluste des Handelsvertreters gekennzeichnet. Diese bildeten den Ausgangspunkt der Prognoseentscheidung und bildeten zugleich die Obergrenze für den Ausgleichsanspruch.
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Diese Rechtslage hat der EuGH im Jahre 2009 als richtlinienwidrig eingestuft4. Dabei hat der EuGH explizit erläutert, dass der Ausgleichsanspruch auf Grundlage der Handelsvertreter-Richtlinie, also in Deutschland, Liechtenstein und Österreich in drei Stufen zu berechnen sei: Auf Stufe 1 sind die Vorteile, die der Unternehmer künftig ziehen wird, zu berechnen. Auf Stufe 2 ist zu überprüfen, ob der so errechnete Betrag unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls der Billigkeit entspricht; in diese Billigkeitsanalyse, also erst auf Stufe 2, fließen die zu erwartenden Provisionsverluste des Handelsvertreters ein. Die Stufe 3 zieht für den Ausgleichsanspruch eine Kappungsgrenze ein: Diese liegt bei der durchschnittlichen Jahresvergütung des Handelsvertreters unter Zugrundelegung des Zeitraums der letzten fünf Jahre vor Vertragsbeendigung (vgl. Art. 17 Abs. 2 lit. b HVertr-RL)5.
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Stufe 1 erfordert eine Prognose, die aus objektiver Perspektive zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung vorzunehmen ist. Es geht darum, alle Arten von Vorteilen zu erfassen, die der Unternehmer voraussichtlich aus den geworbenen Kunden sowie den Kunden, zu denen der Handelsvertreter die Geschäftsbeziehung wesentlich erweitert hat, erlangen wird. Als Orientierung kann das letzte Jahr vor Vertragsbeendigung dienen, sofern es nicht durch atypische Entwicklungen überlagert war (Basisjahr). Natürlich müssen 1 Zur Auslegung der schweizerischen Norm in diesem Punkt s. bspw. Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 418u Rz. 3 ff. 2 Vgl. zur deutschen Rechtslage R. Koch, ZIP 2011, 1752; Pauly, MDR 2013, 694; Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band III – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel VII, S. 167–262; zur österreichischen Rechtslage vgl. OGH v. 14.12.2000 – 6 Ob 260/00d – und v. 20.2.2003 – 6 Ob 170/02x; dazu mit Berechnungsbeispielen Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 748–774. Zur schweizerischen Rechtslage Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 418u Rz. 14: „Die Praxis zu Anspruch und Bemessung der Kundschaftsentschädigung lässt bez. Unübersichtlichkeit nichts zu wünschen übrig.“ 3 Zur Frage der Neukundeneigenschaft s. EuGH v. 7.4.2016 – Rs. C-315/14 – Marchon Germany GmbH/Yvonne Karaszkiewicz. 4 EuGH v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07 Turgay Semen/Deutsche Tamoil GmbH. 5 Zu alledem EuGH v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07 Turgay Semen/Deutsche Tamoil GmbH, Rz. 19.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 58
Teil G
ergänzend vorhersehbare Abwanderungsbewegungen von Kunden etc. in die Prognose einfließen1. Zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung unvorhersehbare Entwicklungen, wie bspw. die Stilllegung von Produktionslinien, bleiben demgegenüber unberücksichtigt, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsstreit um die Ausgleichshöhe bereits vorhersehbar oder gar eingetreten sind2. Da die Parameter, aus denen sich die Unternehmensvorteile berechnen, nicht immer leicht zu ermitteln sind, behilft sich die Rechtsprechung auch nach der Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2009 (dazu Rz. 55) häufig mit der Annahme, dass die Unternehmensvorteile den zu erwartenden Provisionsverlusten des Handelsvertreters entsprächen3. Vor dem Hintergrund der genannten EuGH-Entscheidung erscheint es durchaus fraglich, ob diese Vorgehensweise richtlinienkonform ist, da die tatsächlichen Unternehmensvorteile in aller Regel höher sein dürften4; zumindest muss dem Handelsvertreter die Möglichkeit gegeben werden, einen höheren Unternehmensvorteil darzulegen und zu beweisen5. Schließlich ist entscheidend, wie lange der Prognosezeitraum ist; dies lässt sich nicht pauschal bestimmen, sondern ist sehr produktund branchenabhängig; häufig wird auf 2 bis 4 Jahre abgestellt6.
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Auf Stufe 2 folgt eine Billigkeitsanalyse (Art. 17 Abs. 2 lit. a Spiegelstrich 2 HVertr-RL, § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 dtHGB, Art. 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 liHGB, § 24 Abs. 1 Nr. 3 öHVertrG). Diese ist nicht lediglich ein Mittel, den auf erster Stufe errechneten Betrag zu reduzieren; vielmehr kann aufgrund der Umstände des Einzelfalls auch eine Erhöhung dieses Betrags angezeigt sein7. In die Billigkeitsanalyse fließt vor allem der zu erwartende Provisionsverlust des Handelsvertreters ein. Auch dieser errechnet sich im Wege einer Prognose, die denselben Grundsätzen folgt wie die Prognose zu den Unternehmervorteilen (dazu Rz. 56). Den Ausgangspunkt bilden regelmäßig8 die Provisionen, die der Handelsvertreter im letzten Jahr des Vertragsverhältnisses aufgrund von Geschäften mit von ihm geworbenen Neukunden verdient hat. Zugrundezulegen sind dabei allerdings nur die Vermittlungs- bzw. Abschlussprovisionen – auch Überhangprovisionen –, nicht hingegen Vergütungen für Verwaltungstätigkeiten9. Anhand dieser Basiszahl wird eine Prognose über die Provisionen erstellt, die dem Handelsvertreter aufgrund der Vertragsbeendigung entgehen.
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1 So zur deutschen Rechtslage Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 3 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel VII Rz. 106; zur österreichischen Rechtslage Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 754. 2 Vgl. dazu in Deutschland BGH v. 1.10.2008 – VIII ZR 13/05, Abschnitt II.3.b.aa.; ganz generell v. Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB (2010), § 89b Rz. 81; für Österreich s. OGH v. 20.2. 2003 6 Ob 170/02x, Abschnitt 3; umfassend dazu Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 547 ff. 3 Für Deutschland s. bspw. BGH v. 6.10.2010 – VIII ZR 210/07, NJW-RR 2011, 389 Abschnitt II.2.a unter Hinweis auf die Schätzungsbefugnis nach § 287 Abs. 2 ZPO; für Österreich s. die Rechtsprechungsauswertung bei Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 753. 4 So sehr klar Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 89b Rz. 107. 5 Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 3 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel VII Rz. 110. 6 Für Deutschland s. die Rechtsprechungsauswertung bei Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel IX Rz. 54; für Österreich s. die Rechtsprechungsauswertung bei Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 551 ff. 7 Vgl. EuGH v. 26.3.2009 – Rs. C-348/07 Turgay Semen/Deutsche Tamoil GmbH, Rz. 23. 8 Eine Ausnahme betrifft langlebige Wirtschaftsgütern. 9 Zu alledem s. für Deutschland Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 3 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel IX; für Österreich s. Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 592 ff.
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Teil G Rz. 59
Distributionsgeschäfte
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Billigkeitsgründe, die zu einer Ausgleichsminderung führen können, sind insbesondere die Sogwirkung der vertriebenen Ware, da diese die Arbeit des Handelsvertreters erleichtert, eine zusätzliche Altersversorgungszusage des Unternehmers oder ein etwaiges schuldhaftes Verhalten des Vertreters, das den Vertrag beeinträchtigt, nicht jedoch zu einer Kündigung geführt hat. Schließlich hat eine Abzinsung zu erfolgen1.
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Auf Stufe 3 ist die Kappungsgrenze in Höhe der jährlichen Bruttodurchschnittsvergütung des Handelsvertreters, berechnet auf Grundlage der letzten 5 Jahre vor Vertragsbeendigung, zu beachten (Art. 17 Abs. 2 lit. b HVertr-RL, § 89b Abs. 2 dtHGB, Art. § 101 Abs. 2 liHGB, § 24 Abs. 4 öHVertrG2). Bei kürzerer Vertragsdauer ist der Vergütungsdurchschnitt während dieser Dauer maßgeblich. In die Berechnung fließen sämtliche Vergütungsanteile ein. Aufgrund der Schwierigkeit, die Höhe genau zu berechnen, wird in der Literatur bisweilen vorgeschlagen, einen unbezifferten Klageantrag zuzulassen.3
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Der Ausgleichsanspruch ist innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Jahr nach Vertragsbeendigung beim Unternehmer geltend zu machen (Art. 17 Abs. 5 HVertr-RL, § 89b Abs. 4 dtHGB, § 24 Abs. 5 öHVertrG und Art. 101 Abs. 4 liHGB).
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Unter Anwendung schweizerischen Rechts hat der Agent nach Art. 418u OR einen unabdingbaren Anspruch auf Kundschaftsentschädigung, wenn er den Kundenkreis des Auftraggebers wesentlich erweitert hat und dem Auftraggeber aus der Geschäftsverbindung mit dem neu geworbenen Kundenkreis nach Auflösung des Vertrages erhebliche Vorteile verbleiben. Auch im schweizerischen Recht gibt es eine Billigkeitskontrolle: Soweit die Zahlung einer Entschädigung unbillig wäre, besteht kein Anspruch. Gestützt auf diese Billigkeitsregelung kann der Richter die Kundschaftsentschädigung nicht nur herabsetzen, sondern auch ganz verweigern4.
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Nach schweizerischem Recht ist der Entschädigungsanspruch ebenfalls der Höhe nach begrenzt; im Unterschied zur Handelsvertreter-Richtlinie liegt die Grenze bei einem Nettojahresverdienst (Ertrag abzgl. der Unkosten, bei Handelsvertreterfirmen also der ausgewiesene Firmengewinn), berechnet nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre5.
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Der Anspruch besteht nicht, wenn das Agenturverhältnis aus einem Grunde aufgelöst wird, den der Agent zu vertreten hat. cc) Privatautonome Gestaltungsmöglichkeiten
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Im Ausgangspunkt ist die Regelung zum Ausgleichsanspruch zwingend ausgestaltet. Folgende Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich dennoch:
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Vereinbarungen über die Vorauserfüllung können wirksam getroffen werden. Die Vorauserfüllung erfolgt dabei üblicherweise durch laufende Zahlungen, die dem Handelsvertreter in Ergänzung zur Provision gewährt werden. Eine solche Vereinbarung, die hinreichend klar zum Ausdruck kommen muss, ist allerdings nur wirksam, wenn auch ohne die Vorauserfüllungsvereinbarung keine höheren Provisionen vereinbart 1 Berechnungsbeispiel für Deutschland bei Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (2014), § 89b HGB Rz. 169. 2 Für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter gelten in Deutschland die besonderen Bestimmungen des § 89b Abs. 5 dtHGB. 3 Meyer, ZVertriebsR 2014, 352 (356). 4 Schweizerisches Bundesgericht v. 9.10.1984, BGE 110 II, 476 ff.; Wettenschwiler spricht sich sogar dafür aus, dass im Unbilligkeitsfalle ein Entschädigungsanspruch nie entstehen könne, also auch nicht teilweise, in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), § 418a Rz. 9. 5 Vgl. Thouvenin in Saenger/Schulze, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2000), S. 128 (134).
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Handelsvertretervertrag
Rz. 70
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worden wären. Die Beweislast für diese Wirksamkeitsvoraussetzung trägt der Unternehmer1. Seiner Beweisführungslast kann der Unternehmer unter bestimmten Umständen dadurch genügen, dass er darlegt, dass die Gesamtsumme, die dem Handelsvertreter versprochen worden ist, deutlich über den branchenüblichen Provisionsvereinbarungen liegt2. Ist dem Unternehmer der Beweis einer Einigung über Vorauserfüllung sowie der Beweis dieser Wirksamkeitsvoraussetzung gelungen, bedeutet dies aber nicht, dass bei Vertragsbeendigung kein Ausgleichsanspruch mehr zu errechnen wäre. Vorauserfüllung bedeutet lediglich, dass die neben der Provision gezahlten Beträge auf den bei Vertragsbeendigung entstehenden Ausgleichsanspruch angerechnet werden. Ist der Ausgleichsanspruch (zu dessen Berechnung Rz. 53 ff.) höher, schuldet der Unternehmer dem Handelsvertreter noch die Differenz. Eine gegenteilige Vereinbarung wäre mit dem zwingenden Charakter der Ausgleichsanspruchsregelung unvereinbar. Sollte die Differenz zugunsten des Unternehmers ausfallen – bleibt also der Ausgleichsanspruch hinter den empfangenen Zusatzzahlungen zurück – so ist im Grunde der Handelsvertreter rückzahlungspflichtig. Auf diesen Rückzahlungsanspruch kann der Unternehmer freilich bereits im Vorfeld verzichten. Fraglich ist, ob der Unternehmer bei Vereinbarung der Vorauszahlung sogar gänzlich auf Rückzahlung verzichten kann, also auch für den Fall, dass der Vertrag in einer Weise beendet wird, die die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs verhindert (zu derartigen Konstellationen Rz. 48 ff.). Zwar mag auf Auslegungsebene eine solche Absprache gegen die Annahme einer Vorauserfüllungsvereinbarung sprechen; lässt sich eine solche aber aufgrund der Gesamtumstände eindeutig feststellen und liegt die bei Rz. 66 genannte Wirksamkeitsvoraussetzung vor, so spricht der Telos von Art. 17 HVertr-RL sowie der nationalen Umsetzungsbestimmungen nicht gegen die Wirksamkeit der von den Parteien gewollten Vorauserfüllungsvereinbarung3.
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Ist eine Vorauserfüllungsvereinbarung unwirksam, werden sämtliche vertraglich vereinbarten Zahlungen als Provisionszahlungen eingestuft4.
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Einstandszahlungen für die Übernahme einer neuen Vertretung können zum einen darauf angelegt sein, die Ausgleichszahlung, die der Unternehmer dem Vorgänger schuldet, teilweise auf den Nachfolger abzuwälzen; sie können aber auch davon unabhängig vereinbart werden. Die Grundidee besteht darin, dass der neue Handelsvertreter dem Unternehmer eine Vergütung für die Chance zahlt, mit einem bereits vorhandenen Kundenstamm Provisionen zu generieren. Die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen hängt von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab5.
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Ursprünglich hatte der BGH eine solche Klausel, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten war, als Leistungsbeschreibung (Gegenleistung für die Gewähr der geschilderten Chance) angesehen, die nicht der richterlichen Inhaltskontrolle unterliege6. Eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des Handelsvertreterrechts mag man jedoch in der Verschiebung der gesetzlich zugrunde gelegten Risikoverteilung erblicken, so dass eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB möglich ist. Bei einem besonders krassen Missverhältnis zwischen eingeräumter Profitchance und Einstandszahlung
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1 So mit ausführlicher Begründung BGH v. 13.1.1972, BGHZ 58, 60 (64) Abschnitt 4.e. 2 BGH v. 13.1.1972, BGHZ 58, 60 (64) Abschnitt 4.e.cc. 3 So bspw. aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 787; a.A. aus deutscher Perspektive Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel XIII Rz. 44 ff. 4 BGH v. 13.1.1972, BGHZ 58, 60 (64) Abschnitt 4.e.dd. 5 Umfassend dazu und zum Folgenden aus deutscher Perspektive Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel III Rz. 15 ff.; aus österreichischer Perspektive Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 24 Rz. 223 ff. 6 BGH v. 9.12.1992 – VIII ZR 23/92, NJW-RR 1993, 375.
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Teil G Rz. 71
Distributionsgeschäfte
lässt sich auch an Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit denken. Ein zur Unwirksamkeit führendes Missverhältnis haben der OGH Wien und das OLG Stuttgart bei Übernahme des Ausgleichsanspruches des Vorgängers durch den Nachfolger allerdings nicht zwingend gesehen1. Dagegen hat das OLG Celle ein Einstandsgeld in Höhe einer Jahresprovision allein für die Übernahme der Vertretung als unangemessen hoch und als Verstoß gegen § 89b Abs. 4 dtHGB eingestuft2. Auch andere OLG sind in Einzelfällen dieser Auffassung gefolgt3. 71
Für die Frage der Wirksamkeit ist schließlich von Relevanz, ob der von dem Vorgänger geworbene Kundenstamm bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs des neuen Handelsvertreters als von diesem geworben gelten soll4. Gerade in Fällen, in denen der Unternehmer dem neuen Handelsvertreter die Zahlung der Einstandssumme bis zur Vertragsbeendigung stundet, um diese dann mit der geschuldeten Ausgleichssumme zu verrechnen, ist genau zu analysieren, ob die Vereinbarung nicht wegen Umgehung der zwingenden Regelungen zum Ausgleichsanspruch unwirksam ist5.
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Bei vorzeitiger Vertragsbeendigung, die von den Vorstellungen der Parteien abweicht, können im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung Rückzahlungsansprüche hergeleitet werden6. g) Nachvertragliche Wettbewerbsabreden
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Nach Beendigung des Vertrages ist der Handelsvertreter grundsätzlich berechtigt, in Wettbewerb zum Unternehmer zu treten, also auch Konkurrenzvertretungen zu übernehmen. Der Unternehmer mag freilich ein Interesse daran haben, mit dem Handelsvertreter noch vor Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses eine nachvertragliche Wettbewerbsabrede zu treffen, die die nachvertragliche Freiheit des Handelsvertreters einschränkt. Art. 20 HVertr-RL stellt Mindestanforderungen für derartige Vereinbarungen auf. Diese unterliegen der Schriftform und müssen sich auf den Bezirk bzw. Kundenkreis beziehen, der dem Handelsvertreter bei seiner Tätigkeit zugewiesen ist; überdies darf nur die Warengattung erfasst sein, die Gegenstand der Vertretertätigkeit ist. Die Maximaldauer einer Wettbewerbsabrede beträgt zwei Jahre. Zur Vereinbarkeit mit dem europäischen Kartellverbot nach Art. 101 AEUV s. Rz. 84.
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Nach Art. 20 Abs. 4 HVertr-RL bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen noch weitergehende Beschränkungen für die Wirksamkeit solcher Abreden aufzustellen. Auf diese Regelung beruft sich Österreich, wo nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkungen jeglicher Art gänzlich unwirksam sind (vgl. § 25 öHVertrG). Vor dem Hintergrund des Telos der Richtlinienregelung müsste auch ein solches gänzliches Verbot richtlinienkonform sein.
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Das deutsche und liechtensteinische Recht lassen demgegenüber nachvertragliche Wettbewerbsabreden zu. In § 90a dtHGB bzw. Art. 103 liHGB finden sich die sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Richtlinie ohne Modifikation. Ergänzend sehen die beiden nationalen Bestimmungen die Pflicht des Unternehmers zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung für die Dauer der Wettbewerbsbeschränkung vor. Diese Pflicht entsteht per Gesetz, sobald die Parteien eine Wettbewerbsabrede getroffen haben; die Wirksamkeit der Wettbewerbsabrede ist daher nicht davon abhängig, 1 OGH v. 7.10.1997 – 4 Ob 245/97x und OLG Stuttgart v. 27.8.1998 – 11 U 153/97. 2 OLG Celle v. 14.12.2000 – 11 U 61/00 und v. 12.12.2001 – 11 U 90/01. 3 OLG Schleswig v. 18.2.2000 – 14 U 18/99 (Zweifel an der Werthaltigkeit des übernommenen Gebietes); OLG München v. 4.12.1996 – 7 U 3915/96 (Sittenwidrigkeit). 4 OLG München v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04. 5 Zu diesem Umgehungsgedanken vgl. OGH v. 24.2.2010 – 3 Ob 212/09m. 6 BGH v. 10.5.1984 – I ZR 36/82, NJW 1985, 58; OLG München v. 4.12.1996 – 7 U 3915/96, NJW-RR 1997, 986.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 79
Teil G
dass die Abrede selbst eine Entschädigungspflicht vorsieht1. Es ist aber ratsam, dass die Parteien die Entschädigungspflicht konkretisieren. Dabei können sie statt einer Geldzahlung auch eine andere Leistung des Unternehmers vorsehen2. Gibt es zwischen den Parteien Streit über die angemessene Höhe der Entschädigung, haben die Gerichte darüber zu befinden3. Auch die Schweiz kennt ein nachvertragliches Konkurrenzverbot gegen Zahlung einer Karenzentschädigung. Zur genaueren Ausgestaltung nimmt Art. 418d Abs. 2 OR die Regelungen zum Dienstvertrag in Bezug. Angesprochen sind somit die Art. 340–340c OR4.
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h) Verjährung Die Handelsvertreter-Richtlinie enthält keine Regelung zur Verjährung. In Deutschland beträgt die Verjährungsfrist für alle seit dem 15.12.2004 entstandenen Ansprüche drei Jahre5, in Österreich ebenfalls drei Jahre (§ 18 Abs. 1 öHVertrG), und in Liechtenstein verjähren sämtliche Ansprüche aus dem Handelsvertretervertragsverhältnis in fünf Jahren (Art. 97 liHGB). In der Schweiz beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich zehn Jahre (vgl. Art. 127 OR). Eine Ausnahme gilt für periodisch fällig werdende Provisionsansprüche: Hier greift nach Art. 128 Ziff. 1 OR eine Fünfjahresfrist6.
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Die Verjährungsfrist beginnt in Deutschland nach § 199 BGB regelmäßig am Ende des Jahres, in dem die Ansprüche fällig7 geworden sind. In gleicher Weise regelt Art. 97 liHGB den Verjährungsbeginn für Liechtenstein. In Österreich enthält § 18 öHVertrG eine detaillierte Regelung zum Verjährungsbeginn, die nach drei verschiedenen Anspruchsarten unterscheidet. In der Schweiz beginnt die Verjährungsfrist nach Art. 130 Abs. 1 OR unmittelbar mit der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen.
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Nach deutschem und österreichischem Recht ist eine vertragliche Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist – auch in AGB – grundsätzlich möglich. Jedoch ist der Grundsatz der Gleichbehandlung beider Vertragspartner, den der BGH sogar bei einer Individualvereinbarung herangezogen hat, einzuhalten8. Die zwingend ausgestaltete materiell-rechtliche Einjahresfrist zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs (s. dazu Rz. 61) spricht im Hinblick auf diesen Anspruch gegen die Zulässigkeit einer Verjährungsverkürzung auf weniger als ein Jahr9.
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In der Schweiz kann die Verjährungsfrist vertraglich nicht verkürzt werden (Art. 129 OR). 1 Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 90a Rz. 23. 2 BGH v. 30.4.1962 – VII ZR 21/61, NJW 1962, 1346; näher zu dieser Frage Schröder in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel X Rz. 105 f. 3 Schröder in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel X Rz. 104. 4 Näher dazu Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418d Rz. 5. 5 § 88 dtHGB a.F., der eine Vierjahresfrist enthielt, ist durch Art. 9 des Gesetzes vom 9.12.2004 (BGBl. I, 3214) aufgehoben worden. Seitdem gilt die allgemeine Verjährungsvorschrift des § 195 dtBGB i.V.m. § 199 dtBGB. 6 S. dazu Wettenschwiler in Basler Kommentar, Obligationenrecht I (2011), Art. 418i Rz. 1. 7 Zur Fälligkeit als entscheidendem Zeitpunkt s. bspw. Mansel in Jauernig, Kommentar zum BGB (2015), § 199 Rz. 2. 8 BGH v. 10.5.1990 – I ZR 175/88, NJW-RR 1991, 35; BGH v. 12.2.2003 – VIII ZR 284/01, DB 2003, 2121. Aus österreichischer Sicht vgl. Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 18 Rz. 42. 9 Für Deutschland Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 2 – Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (2014), Kapitel XIX Rz. 26; für Österreich Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 18 Rz. 44.
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Huber 699
Teil G Rz. 80
Distributionsgeschäfte
III. Europäisches Kartellrecht 1. Das Kartellverbot in der EU und im EWR 80
Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV (früher Art. 81 Abs. 1 EGV, noch davor Art. 85 Abs. 1 EGV) sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, mit dem Binnenmarkt unvereinbar und deshalb verboten. Gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV sind solche Vereinbarungen nichtig. Ein entsprechendes Kartellverbot enthält der EWR-Vertrag in Art. 53, so dass Liechtenstein neben den EU-Staaten Deutschland und Österreich ebenfalls erfasst ist, nicht hingegen die Schweiz, die nicht Mitglied des EWR ist. 2. Die Frage der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Handelsvertreterverträge
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Das primärrechtliche Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen gilt auch für vertikale Absprachen1, d.h. Vertriebsvereinbarungen. Damit ist der Bereich der Handelsvertreterverträge ebenfalls angesprochen, die nahezu dadurch gekennzeichnet sind, dass sie wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen enthalten2. Diese weitreichende Ausdehnung des Anwendungsbereichs veranlasste die Kommission schon im Jahre 1962 zu ihrer sog. „Weihnachtsbekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern“3. Darin vertrat die Kommission die – freilich nicht bindende – Auffassung, dass „echte“ Handelsvertreterverträge nicht in den Anwendungsbereich dieses Verbotes fielen. Als entscheidend sah die Kommission die Hilfsfunktion des Handelsvertreters an: Dieser helfe dem Unternehmer beim Vertrieb seiner Wirtschaftsgüter und trete am Markt nicht eigenständig als Anbieter auf. Dies schlägt sich in der Tat darin nieder, dass das wirtschaftliche Risiko der vom Handelsvertreter angebahnten Geschäfte nicht ihn trifft, sondern den Unternehmer.
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Diese Verteilung des wirtschaftlichen Vertrags- und Investitionsrisikos war das Schlüsselelement in der Passage zu den Handelsvertreterverträgen in den – ebenfalls nicht bindenden4 – Leitlinien für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, die die Kommission im Jahre 2000 erließ und die an die Stelle der Weihnachtsmitteilung aus dem Jahre 1962 traten5. „Echte“ Handelsvertreterverträge, bei denen die Vertriebspersonen kein bedeutsames Vertrags- und Investitionsrisiko tragen, sollten nach Auffassung der Kommission nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbotes fallen.
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Die aktuellen Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen aus dem Jahre 20106 knüpfen inhaltlich an die Leitlinien aus dem Jahre 2000 an, unterscheiden aber auf terminologischer Ebene nicht mehr zwischen echten und unechten Handelsvertreterverträgen; stattdessen definieren sie den Handelsvertretervertrag im kartellrechtlichen Sinne über das bereits bekannte und auch vom EuGH7 herangezogene Kriterium der Risikotragung. Wenn die Vertriebsperson im Hinblick auf die Tätigkeiten, die der Unternehmer ihr überträgt, kein wirtschaftlich bedeutsames Risiko trage, handele es sich um einen Handelsvertretervertrag im kartellrechtlichen Sinne. In dessen Rahmen 1 2 3 4
EuGH v. 30.6.1966 – Rs. 56/65, LTM/MBU, Slg. 1966, 284 (302 f.). Klement in Nocker, Handelsvertretergesetz (2015), § 1 – Exkurs Rz. 308. ABl. EG Nr. 139 v. 24.12.1962, S. 2921. Zwar haben die Leitlinien keinen bindenden Charakter; sie gelten jedoch als eine wichtige Hilfe für die Anwendung der GVO; in diesem Rahmen kommt ihnen zumindest Orientierungsfunktion zu. So zu den Vorgängerleitlinien aus dem Jahre 2000 Lange, EWS 2001, 18; Emde, BB 2002, 949. 5 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. v. 13.10.2000 C 291/1, dort Rz. 13–17. 6 ABl. 2010 C 130/1, dort Rz. 12–21. 7 S. bspw. EuGH v. 11.09.2008 – Rs. C-279/06 Rz. 36.
700 | Huber
Handelsvertretervertrag
Rz. 86
Teil G
sollen Verpflichtungen, die die Vertriebsperson gegenüber ihrem Vertragspartner im Hinblick auf die abzuschließenden Verträge eingeht, nicht unter das Kartellverbot fallen1. Dazu gehören bspw. Vorgaben, bestimmte Preise einzuhalten oder nur bestimmte Kundengruppen zu bedienen. Dieses Handelsvertreter-Privileg greift demgegenüber nicht bei Vereinbarungen, die das Verhältnis des Handelsvertreters zu anderen Handelsvertretern oder Wettbewerbern des Unternehmers betreffen. Als Beispiele nennen die Leitlinien Alleinvertretungsklauseln, Wettbewerbsverbote sowie Markenzwangklauseln2. Dies bedeutet freilich nicht, dass es sich dabei stets um verbotene Wettbewerbsbeschränkungen i.S.v. Art. 101 AEUV handelt. Entscheidend ist, ob die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllt sind. Auf dieser Ebene geht die Kommission davon aus, dass Alleinvertretungsklauseln in Handelsvertreterverträgen keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben und somit von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfasst werden3. Bei Wettbewerbsverboten und Markenzwangklauseln sieht die Kommission dies anders, sofern diese Vereinbarungen zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen. Eine derartige wettbewerbsbeschränkende Wirkung wird man bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten i.S.v. Art. 20 HVertr-RL (dazu Rz. 73 f.) sowie bei Wettbewerbsverboten, die für die Dauer der Handelsvertreterbeziehung vorgesehen sind und die im Grunde nur wiederholen, was aus der gesetzlich vorgegebenen Interessenwahrnehmungspflicht des Handelsvertreters folgt (dazu Rz. 20 f.), ablehnen müssen4.
84
Fällt eine Vereinbarung unter das Kartellverbot, kann sie dennoch unter die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen fallen. 3. Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Nr. 330/2010 Bei vertikalen Vertriebsvereinbarungen sind Wettbewerbsbeschränkungen, die grundsätzlich vom Kartellverbot erfasst sind, zulässig, wenn sie durch eine Einzelfreistellung oder Gruppenfreistellung der EU gestattet werden. Letzteres ist insbesondere durch die GVO Nr. 330/20105 geschehen, die die vorherige GVO 2790/19996 ersetzt hat. Die Verordnung ist auch für den EWR von Relevanz, also auch für Liechtenstein.
85
Nach Art. 5 GVO 330/2010 gilt diese Freistellung jedoch nicht für unmittelbare oder mittelbare Wettbewerbsverbote, die die Parteien auf unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbaren. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote müssen auf einen Zeitraum von höchstens einem Jahr begrenzt sein und bestimmten Zwecken dienen. Da die bei Handelsvertreterverträgen üblichen Wettbewerbsverbote allerdings gar nicht die Voraussetzungen des Kartellverbotstatbestands erfüllen (vgl. dazu Rz. 84), kommt es hier auf eine Freistellung gar nicht an.
86
1 2 3 4 5
Leitlinien Rz. 18 ff. Leitlinien Rz. 19. Leitlinien Rz. 19. So im Ergebnis ganz h.M.; s. bspw. Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 84 Rz. 86. Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission v. 20.4.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. EU Nr. L 102 v. 23.4.2010, S. 1–7. 6 Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission v. 22.12.1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. EG Nr. L 336 v. 29.12.1999, S. 21.
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Huber 701
Teil G Rz. 87
Distributionsgeschäfte
IV. Internationales Privatrecht 1. Allgemeines 87
Weist ein Handelsvertretervertrag einen Bezug zu mehr als einem Staat auf, weil bspw. der Unternehmer und der Handelsvertreter ihren jeweiligen Sitz in verschiedenen Staaten haben, so stellt sich die Frage, welches Recht auf den Handelsvertretervertrag Anwendung findet. Diese Frage nach dem Vertragsstatut beantwortet in Deutschland und in Österreich die Rom I-VO, die der europäische Gesetzgeber zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei vertraglichen Schuldverhältnissen erlassen hat1 (näher dazu Abschnitt 2 ab Rz. 89 ff.). In Liechtenstein und in der Schweiz sind die nationalen IPR-Gesetze heranzuziehen (näher dazu Rz. 122 ff., 131 ff.).
88
Bei Handelsvertretern kommt neben der Regelung der Rechtsbeziehung zum Unternehmer die Frage hinzu, ob der Handelsvertreter den Unternehmer bei seiner Tätigkeit gegenüber Dritten unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Damit ist die Problematik der Stellvertretung angesprochen. Diese ist internationalprivatrechtlich als eigenständige Frage zu behandeln. Der europäische Gesetzgeber hat sie in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeklammert. Somit ist in allen vier hier besprochenen Rechtssystemen das jeweilige, rein nationale Kollisionsrecht maßgebend. Auf dieser Grundlage ist das auf die Stellvertretung anwendbare Sachrecht, das Stellvertretungsstatut, zu bestimmen (zu alledem näher Abschitt 3 ab Rz. 137 ff.). 2. Vertragsstatut a) Die Lage in Deutschland und Österreich
89
In Deutschland und Österreich ist das Internationale Privatrecht für Schuldverträge, also auch für Handelsvertreterverträge, mit der Rom I-VO einheitlich geregelt2. Diese Verordnung ist nach ihrem Art. 29 seit dem 17.12.2009 anwendbar. Art. 28 Rom I-VO konkretisiert die intertemporale Regelung dahin gehend, dass die Verordnung nur auf Verträge Anwendung findet, die seitdem geschlossen worden sind. Dies gilt auch für Dauerschuldverhältnisse, also auch für Handelsvertreterverträge3.
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Somit unterliegen Handelsvertreterverträge, die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden, dem Vorgängerregime. Dies wurde bestimmt durch das EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (EVÜ)4. Die Übernahme der Regelungen dieses Übereinkommens in das deutsche Recht erfolgte im Jahre 1986 mit den Art. 27–37 EGBGB a.F. Österreich realisierte die Integration der EVÜ-Bestimmungen auf nationaler Ebene durch Einfügung des früheren § 53 Abs. 2 in sein Internationales Privatrechts-Gesetz mit Wirkung zum 1.12.1998. Für diese frühere Rechtslage wird auf die Vorauflage verwiesen (dort Rz. 73 ff.). Inhaltlich hat der Übergang vom EVÜ zur Rom I-VO im Bereich der Handelsvertreterverträge aber keine grundlegenden Strukturveränderungen mit sich gebracht.
1 Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177, S. 6. 2 Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177, S. 6. 3 Kindler in beck-online.Großkommentar (2015), Art. 28 Rom I-VO Rz. 5. 4 Römisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980 (80/934/EWG), ABl. EG Nr. L 266 v. 9.10.1980, S. 1.
702 | Huber
Handelsvertretervertrag
Rz. 94
Teil G
aa) Rechtswahl Die Rom I-VO rückt die Parteiautonomie an die erste Stelle: Die Parteien können das Recht, dem ihr Vertrag unterstehen soll, in den Grenzen des Art. 3 Rom I-VO frei wählen. Diese Rechtswahl kann ausdrücklich sowie stillschweigend erfolgen; sie kann auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgenommen werden (näher zu Letzterem Rz. 103 f.).
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Eine stillschweigende Vereinbarung kann nur angenommen werden, wenn sich diese „eindeutig1 aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles“ ergibt (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Der tatsächliche Rechtswahlwille der Parteien muss festgestellt werden. Typische Umstände, die hierfür Anhaltspunkte bieten, sind
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– die Vereinbarung eines einheitlichen Gerichtsstandes2, – die Vereinbarung eines Schiedsgerichts3, – die Bezugnahme auf bestimmte Rechtsvorschriften eines Staates, – die Verwendung der juristischen Terminologie einer konkreten Rechtsordnung, – die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Formularen, die auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsordnung entworfen sind, – das übereinstimmende Prozessverhalten der Vertragspartner: gemeinsames Verhandeln auf der Grundlage einer ausländischen Rechtsordnung4. Die Frage der wirksamen Einigung über die Rechtswahl unterliegt nach Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich dem Recht, das in der Rechtswahl bezeichnet wird. Eine Ausnahme davon gilt nur in der von Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO erfassten Sondersituation. In jedem Fall ist zu beachten, dass die Rechtswahl unabhängig vom Vertrag betrachtet wird, so dass dessen Nichtigkeit die Rechtswahl nicht automatisch unwirksam werden lässt5.
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Die Parteien können grundsätzlich jede staatliche6 Rechtsordnung wählen. Eine objektive Beziehung zwischen der Rechtsordnung und dem Vertragsverhältnis ist nicht erforderlich. Somit ist die Wahl eines völlig neutralen Rechts möglich. Ein deutscher Handelsvertreter und ein türkischer Unternehmer können ihre Rechtsbeziehung bspw. schweizerischem Recht unterstellen7. Die Rechtswahl kann jederzeit, also auch nachträglich, selbst noch im Prozess, erfolgen. Sie ist nach Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO auch jederzeit durch eine neue ausdrückliche sowie stillschweigende Vereinbarung der Vertragsparteien abänderbar. Die Parteien können einer solchen Änderungsvereinbarung Wirkung ex nunc oder auch ex tunc ver1 Hier hat der Gesetzgeber den Wortlaut der Rom I-VO ganz bewusst gegenüber der vorherigen Rechtslage, in der nur „hinreichende Sicherheit“ verlangt wurde, verschärft; vgl. dazu Wendland in beck-online-Großkommentar (2015), Art. 3 Rom I-VO Rz. 132 ff. 2 Vgl. dazu Erwägungsgrund 12 der Rom I-VO. 3 Näher dazu NK-BGB/Leible (2014), Art. 3 Rom I-VO Rz. 54 f. 4 Weniger klar liegen die Dinge bei gemeinsamem Verhandeln auf der Grundlage des Forumrechts; hier mag den Parteien das Bewusstsein, dass eigentlich ein anderes Recht anwendbar wäre, und somit das Rechtswahlbewusstsein fehlen; näher dazu NK-BGB/Leible (2014), Art. 3 Rom I-VO Rz. 59; großzügiger scheinbar Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.87 ff. 5 S. dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.12 ff. 6 Die kollisionsrechtliche Wahl von nichtstaatlichen Instrumenten wie bspw. den UNIDROITPrinciples of International Commercial Contracts ist ausgeschlossen; auf sie kann nur im Rahmen der zwingenden Regelungen des jeweils anwendbaren staatlichen Sachrechts Bezug genommen werden; näher dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.34 ff. 7 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.21.
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Huber 703
94
Teil G Rz. 95
Distributionsgeschäfte
leihen1. Rechte Dritter werden dadurch allerdings nicht berührt (Art. 3 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO). 95
Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 3 Rom I-VO ist Teilrechtswahl möglich. Die Parteien können also sowohl für den ganzen Vertrag als auch nur für einzelne, sachlich eigenständige2 Vertragsteile eine Rechtswahl vereinbaren. Dabei können sie verschiedene Teile auch unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstellen, bspw. die Ausübung der eigentlichen Handelsvertretertätigkeit einem Recht und die zusätzliche Lagerhaltung einem anderen. Soweit für einen Vertragsteil keine Rechtswahl getroffen ist, richtet sich das Vertragsstatut für den entsprechenden Teil nach der objektiven Anknüpfung gem. Art. 4 Rom I-VO (dazu Rz. 105 ff.).
96
Rechtsänderungen des Staates, dessen Recht die Vertragspartner gewählt haben, erfassen auch den Vertrag, für den die Rechtswahl getroffen wurde. Wollen die Parteien dies verhindern, müssen sie eine entsprechende Regelung vereinbaren. Deren Wirksamkeit beurteilt sich nach der gewählten Rechtsordnung3. bb) Grenzen der Rechtswahl (1) Zwingendes inländisches Recht des Forumstaates
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Bei reinen Inlandsverträgen kann die Rechtswahl ihre typischen kollisionsrechtlichen Wirkungen nicht entfalten: Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO lässt bei einer solchen Vertragssituation ohne jegliche Auslandsberührung die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung die zwingenden Vorschriften des heimischen Rechts unberührt. Das gewählte Recht kommt anders als bei grenzüberschreitend angelegten Verträgen4 nur insoweit zum Tragen, als das heimische Recht dispositiven Charakter aufweist. So können bspw. zwei deutsche, in Deutschland ansässige Parteien eines Handelsvertretervertrags, der sich auf einen Bezirk in Deutschland bezieht, durch die Vereinbarung einer ausländischen Rechtsordnung, die keinen Ausgleichsanspruch kennt (zum Ausgleichsanspruch Rz. 45 ff.), die zwingende Bestimmung des § 89b dtHGB bzw. § 24 öHVertrG nicht abwählen5.
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Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO überträgt dieses Prinzip auf EU-Binnensachverhalte: Weist der Handelsvertretervertrag keine Berührungen zu Staaten außerhalb der EU auf, so kann die Wahl eines Nicht-EU-Staates die Anwendung der zwingenden Regelungen des Unionsrechts nicht verhindern. Art. 17 HVertr-RL würde sich in Form der nationalen Umsetzungsvorschrift des Forumstaates, also bspw. über § 89 dtHGB oder § 24 öHVertrG, gegenüber einer gewählten Rechtsordnung, die einen derartigen Anspruch nicht kennt, durchsetzen6.
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Selbst in Sachverhalten mit Auslandsberührung zu Nicht-EU-Staaten können trotz der Wahl eines Nicht-EU-Staaten-Rechts inländische Normen zur Anwendung kommen. Art. 9 Rom I-VO ermöglicht dies bei Eingriffsnormen, also Normen, 1 Wendland in beck-online-Großkommentar (2015), Art. 3 Rom I-VO Rz. 212. 2 Zu diesem Kriterium näher Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.27. 3 „Versteinerungsklausel“, näher dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.33. 4 Eine Auslandsberührung kann sich daraus ergeben, dass die Parteien in verschiedenen Staaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder auch daraus, dass der Handelsvertreter in einem anderen Staat tätig werden soll. 5 Vgl. zu diesem Beispiel Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 79. 6 Umfassend zu diesem Mechanismus Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.128 ff.
704 | Huber
Handelsvertretervertrag
Rz. 101 Teil G
„deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“1
In diesem Kontext sind zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Entschädigungs- und Ausgleichsregelung der Handelsvertreterrichtlinie zu beachten2: Der ersten Entscheidung lag ein Vertrag zwischen einem in Großbritannien tätigen Handelsvertreter und einem in Kalifornien ansässigen Unternehmer zugrunde. Die Parteien hatten diesen Handelsvertretervertrag kalifornischem Recht unterstellt, das nach Beendigung des Handelsvertretervertrags keinen Ausgleich vorsieht. Nach Vertragsbeendigung klagte der Handelsvertreter nun gegen den kalifornischen Unternehmer auf Ausgleich. Der EuGH entschied, dass die Entschädigungs- bzw. Ausgleichsregelung der in das englische Recht umgesetzten Art. 17 und 18 HVertr-RL nicht durch Wahl des Rechts eines Nicht-EU-Staates ausgeschlossen werden könne. Die Anwendung dieser Regelung sei aufgrund der EU-Niederlassungsfreiheit und zum Schutze vereinheitlichter Wettbewerbsbedingungen in der Union geboten.
100
Nach dieser Entscheidung ist es nicht möglich, einem Handelsvertreter, der im Gebiet der EU oder des EWR tätig ist, den Ausgleich bzw. die Entschädigung nach den Vorschriften des Forumstaates (zum Gerichtsstand s. Rz. 142 ff.), die die Art. 17 und 18 HVertr-RL umsetzen, auszuschließen (zur zuständigkeitsrechtlichen Flankierung dieses kollisionsrechtlichen Weges s. Rz. 145). Der Wortlaut der Entscheidung legt nahe, dass dies selbst dann gilt, wenn der Handelsvertreter seinen Sitz außerhalb dieses Gebietes hat, aber innerhalb dieses Gebiets tätig ist3. Die zweite Entscheidung betrifft einen Handelsvertretervertrag zwischen einem in Belgien ansässigen Handelsvertreter und einem in Bulgarien ansässigen Unternehmer. Gegenstand des Vertrags war allerdings nicht der Warenhandel, so dass die Handelsvertreter-Richtlinie keine Durchsetzung verlangte. Die Parteien hatten die Anwendung des bulgarischen Rechts vereinbart. Dennoch klagte der belgische Handelsvertreter nach Kündigung des Vertrags durch den Unternehmer in Belgien auf Ausgleichszahlung nach belgischem Recht, das für den Handelsvertreter günstiger ausgestaltet ist als das bulgarische. Der EuGH befand, dass die belgischen Gerichte der belgischen Ausgleichsregelung über Art. 9 Rom I-VO zur Durchsetzung verhelfen können4. Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die Kategorie der Eingriffsnormen sehr weit gefasst5. (2) Ordre-public-Vorbehalt im Forumstaat Nach Art. 21 Rom I-VO setzt der ordre public des Forumstaates der Wirkung einer Rechtswahl eine weitere Grenze. Demnach kann das angerufene Gericht eine Regelung des gewählten Rechts unbeachtet lassen, wenn deren Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit der öffentlichen Ordnung des Forumstaates unvereinbar wäre. Konkret geht es um die Beachtung der wesentlichen Grundsätze des Forumrechts, insbesondere um die Beachtung der Grundrechte. Keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public sah der BGH in der Anwendung des Rechts des ausländischen Tätigkeitsorts des Handelsvertreters, das keinen Ausgleichsanspruch kannte6. Seit die1 So Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. 2 EuGH v. 9.11.2000 – Rs. C-381/98 – Ingmar Eaton Leonhard. 3 Vgl. dazu Emde, VersR 2002, 163; Freitag/Leible, RIW 2001, 278; Jayme, IPRax 2001, 190; Kindler, BB 2001, 11; Michaels/Kamann, EWS 2001, 301. 4 EuGH v. 17.10.2013, Rs. C-184/12 Unamar. 5 Vgl. dazu Lüttringhaus, IPRax 2014, 146. 6 BGH v. 30.1.1961, NJW 1961, 1061; vgl. Ebenroth, RIW 1984, 165.
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Huber 705
101
Teil G Rz. 102
Distributionsgeschäfte
ser Entscheidung im Jahre 1961 haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Handelsvertreterverträge zwar grundlegend verändert; nunmehr ist der Anspruch auf Ausgleich bzw. Entschädigung aufgrund der Handelsvertreter-Richtlinie EWR-weit einheitlich vorgeschrieben; die europäischen Grundwerte der Niederlassungsfreiheit sowie der Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen kommen somit zum Tragen. Den entscheidenden Aspekt für deren Beachtung entgegen dem von den Parteien gewählten Recht erblickte der EuGH allerdings darin, dass der Handelsvertreter auf dem Gebiet von EU bzw. EWR tätig war (vgl. dazu Rz. 100). (3) Zwingendes ausländisches Recht 102
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ermöglicht die Berücksichtigung von Eingriffsnormen (zu deren Definition s. Rz. 99) der Rechtsordnung des Staates, in dem die vertraglichen Pflichten erfüllt wurden bzw. zu erfüllen sind1. Darüber hinaus kann bei Maßgeblichkeit deutschen Sachrechts ausländisches Recht über die Generalklausel des § 138 dtBGB Berücksichtigung finden2. Dagegen wird die Gleichsetzung ausländischer Eingriffsnormen mit gesetzlichen Verboten des deutschen Rechts i.S.v. § 134 dtBGB abgelehnt3. cc) Rechtswahl durch AGB-Einbeziehung
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Die Rom I-VO lässt Raum für eine Rechtswahl in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Ob eine solche Rechtswahlklausel wirksam in den Vertrag einbezogen wurde, bestimmt sich grundsätzlich nach dem in der Rechtswahlklausel bezeichneten Recht (vgl. Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO). Eine Ausnahme davon besteht nur in der von Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO angesprochenen Sondersituation4.
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Ob die Rechtswahlklausel bei wirksamer Einbeziehung ergänzend einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle am Maßstab des in der Rechtswahlklausel bezeichneten Rechts unterworfen wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Auf Vorlage des österreichischen OGH hat der EuGH im Juli 2016 entschieden, dass eine in einem Verbrauchervertrag enthaltene Rechtswahlkausel missbräuchlich im Sinne der europäischen Klauselrichtlinie 93/13/EWG ist, sofern sie derart irreführend angelegt ist, dass sie beim Verbraucher eine fehlerhafte Annahme über die Rechtslage hervorruft5. Bei einem Handelsvertretetervertrag ist diese Richtlinie mangels Verbrauchereigenschaft der Vertragspartner freilich nicht anwendbar; folgt man dem Ausgangspunkt des OGH, bleibt freilich immerhin denkbar eine Anwendung von Regelungen wie der des § 307 dtBGB6.
1 Näher zu dieser in vielen Punkten noch unklaren Norm Freitag in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 5.113 ff.; konkret zu ausländischen Eingriffsnormen im Bereich des Handelsvertreterrechts Emde, RIW 2016, 104 ff. 2 Vgl. BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169 – Borax; BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 – Nigerianische Masken. 3 BGH v. 29.9.1977 – II ZR 164/75, BGHZ 69, 295. 4 Umfassend zur Frage der Einbeziehung Fehrenbach in beck-online.Großkommentar (2015), § 307 BGB Rechtswahlklausel Rz. 38 ff. 5 EuGH v. 28.7.2016 – Rs. C-191/15 – Verein für Konsumenteninformation/Amazon EU Sàrl. 6 Gegen eine derartige Inhaltskontrolle mit dem Argument, dass dadurch die Wertungen der Rom I-VO unterlaufen würde Fehrenbach in beck-online.Großkommentar (2015), § 307 BGB Rechtswahlklausel Rz. 70 ff.; ebenso Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 3 Rom I-VO (2015), Rz. 13.
706 | Huber
Handelsvertretervertrag
Rz. 108 Teil G
dd) Anwendbares Recht ohne Rechtswahl (1) Niederlassung des Handelsvertreters als grundsätzliches Anknüpfungskriterium Treffen die Vertragspartner keine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl, so ist Vertragsstatut nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO1 das Recht des Staates, in dem der Handelsvertreter zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses2 seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Regel entspricht dem allgemeinen Grundgedanken, der in Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO Ausdruck gefunden hat und dem zufolge das Recht des Staates Anwendung findet, in dem die Partei, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat3.
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Art. 19 Rom I-VO konkretisiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts. Darunter ist bei einer natürlichen Person, die einen Vertrag im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schließt, der Ort der Hauptniederlassung zu verstehen. Unterhält der Handelsvertreter neben seiner Hauptniederlassung in einem anderen Staat eine Zweigniederlassung, die für die vertraglich versprochene Leistung verantwortlich ist, so gilt dieser Ort der Zweigniederlassung als Anknüpfungspunkt (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO).
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Liegen das vertraglich vereinbarte Tätigkeitsgebiet und die Niederlassung des Handelsvertreters in zwei verschiedenen Staaten, stellt sich die Frage, ob die Verbindung des Vertrags zu dem Tätigkeitsgebiet derart stark ist, dass sie im Vergleich zur Verbindung zum Niederlassungsstaat eine offensichtlich engere Verbindung i.S.v. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO darstellt. Diese Frage lässt sich nur aufgrund einer Betrachtung aller Gesamtumstände des Einzelfalls beantworten4. Verbindungsintensivierend wirkt sich aber sicherlich aus, wenn in diesem Tätigkeitsstaat der Unternehmer seine Niederlassung hat5. Ist der Handelsvertreter in mehreren Rechtsordnungen tätig, spricht die Idee der einheitlichen Behandlung des Vertrags demgegenüber dagegen, von der Grundanknüpfung an den Niederlassungsort abzuweichen6.
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(2) Renvoi und Haager Stellvertretungsübereinkommen Die Regelungen der Rom I-VO nehmen grundsätzlich nur das Sachrecht der Rechtsordnung, auf die sie verweisen, in Bezug; Art. 20 Rom I-VO schließt den renvoi in aller Regel aus. Im Bereich des Handelsvertreterrechts ergibt sich allerdings die Besonderheit, dass die EU-Mitglieder Frankreich, die Niederlande und Portugal Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über das auf die Stellvertretung anzuwendende Recht
1 Ein Handelsvertretervertrag ist bei europäisch-autonomer Qualifikation ein Dienstvertrag i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO und kein Vertriebsvertrag im Sinne Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO, weil der Handelsvertreter nicht das Risiko des abgeschlossenen Geschäfts trägt; vgl. Häuslschmidt in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 6.1496; Köhler in beck-online.Großkommentar (2015), Art. 4 Rom I-VO Rz. 120; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 140. 2 Dieser Zeitpunkt ist nicht ausdrücklich in der Rom I-VO genannt, folgt aber aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen; vgl. dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015), Rz. 2.288. 3 Vgl. dazu im Kontext der früheren Rechtslage BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, WM 1993, 1755. 4 Vgl. Martiny in MünchKomm/BGB, (2015), Art. 4 Rom I-VO Rz. 146. 5 Für diesen Fall enthält das Haager Stellvertretungsübereinkommen (dazu näher sogleich) in Art. 6 Abs. 2 sogar ganz explizit eine Sonderregelung, die zum Recht dieses Tätigkeitsstaates führt; der Text des Übereinkommens ist abrufbar unter https://www.hcch.net/de/instruments/ conventions/full-text/?cid=89. 6 Vgl. Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 109 ff.
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Teil G Rz. 109
Distributionsgeschäfte
vom 14.3.19781 sind. Dieser Staatsvertrag erfasst auch grenzüberschreitend angelegte Handelsvertreterverträge – und zwar auch solche, die dem Handelsvertreter nur Vermittlerfunktion einräumen2 – und regelt für diese die Frage des anwendbaren Rechts. Er ist im Verlaufe des Jahres 1992 in Kraft getreten und gilt seitdem auch für Argentinien3. 109
Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz sind diesem Übereinkommen demgegenüber bisher nicht beigetreten4. Bedeutung kann das Übereinkommen in diesen Ländern daher allenfalls im Wege der Rück- oder Weiterverweisung entfalten, wenn die Rom I-VO auf die Rechtsordnung eines Vertragsstaates des Haager Stellvertretungsübereinkommens verweist. Da Art. 20 Rom I-VO der Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts jedoch grundsätzlich eine Absage erteilt, ist diese Form der Berücksichtigung des Haager Stellvertretungsübereinkommens nur möglich, wenn Art. 20 Rom I-VO in den Fällen teleologisch reduziert wird, in denen das Kollisionsrecht in den EU-Mitgliedstaaten im sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO aufgrund der Bindung bestimmter Mitgliedstaaten an ein internationales Übereinkommen nicht vereinheitlicht ist5. So verhält es sich aufgrund von Art. 25 Rom I-VO im Bereich des Handelsvertreterrechts, der in Frankreich, den Niederlanden und Portugal zur Anwendung des Haager Stellvertretungsübereinkommens führt, das zwar im Ausgangspunkt dieselben Grundregeln etabliert wie die Rom I-VO, das aber in Einzelaspekten abweicht. ee) Die Öffnungsklausel des § 92c dtHGB
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Die ursprüngliche Fassung von § 92c dtHGB aus dem Jahre 1953 führte dazu, dass das gesamte Handelsvertreterrecht dispositiv war, wenn der Handelsvertreter keine Niederlassung in Deutschland hatte. Der im Übrigen zwingende Charakter von Vorschriften wie dem Ausgleichsanspruch entfiel in dieser Konstellation. Im Zuge der Umsetzung der Handelsvertreter-Richtlinie wurde diese sehr weitgehende privatautonome Gestaltungsfreiheit neu abgegrenzt: Nunmehr verfügen die Parteien über diese Freiheit, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit vertragsgemäß außerhalb des Gebietes von EU und EWR ausübt. Darüber hinaus gewährt § 92c Abs. 2 dtHGB umfassende Gestaltungsfreiheit, „wenn der Handelsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut wird, die die Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben.“
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Die Rechtsordnung Österreichs enthält keine entsprechende Vorschrift.
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§ 92c dtHGB ist keine Kollisionsvorschrift, sondern setzt die Anwendung deutschen Rechts voraus. § 92c dtHGB kann seine Wirkung also nur entfalten, wenn der Handelsvertretervertrag – sei es aufgrund einer Rechtswahl, sei es aufgrund objektiver Anknüpfung – deutschem Recht unterliegt. Dann bewirkt die Norm in den von ihr erfassten Fällen weitreichende Gestaltungsfreiheit der Parteien, indem sie sämtliche Regelun1 Der Übereinkommenstext ist abrufbar auf der Internetseite der Haager Konferenz unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/full-text/?cid=89. 2 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Übereinkommens. 3 Für Frankreich Portugal und Argentinien am 1. Mai, für die Niederlande am 1. Oktober. 4 Eine Statustabelle findet sich unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/statustable/?cid=89; Näheres zu diesem Übereinkommen bei Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1 – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 67 ff. 5 Dafür plädiert Köhler, um innerhalb der EU Entscheidungseinklang zu gewährleisten. Demnach müsste bspw. ein deutsches Gericht in dem Fall, in dem die Regelung der Rom I-VO nach Frankreich verweist, anhand des Haager Stellvertretungsübereinkommens überprüfen, ob die französische Rechtsordnung die Verweisung annimmt; näher dazu Köhler in beck-online.Großkommen tar, Art. 4 Rom I-VO Rz. 436.1.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 116 Teil G
gen des Handelsvertreterrechts dispositiv werden lässt. Somit steht es den Parteien frei, zunächst auf kollisionsrechtlicher Ebene deutsches Recht zu wählen und auf zweiter Stufe innerhalb des deutschen Rechts Abweichungen vom Handelsvertreterrecht, bspw. den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs, zu vereinbaren1. Nach der ursprünglichen Formulierung des Regierungsentwurfes zur Umsetzung der Handelsvertreter-Richtlinie sollte in § 92c dtHGB darauf abgestellt werden, dass der Handelsvertreter seine Niederlassung außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Vorläufer der heutigen EU, hat2. Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages wurde diskutiert, ob kumulativ darauf abgestellt werden sollte, dass Niederlassung und Tätigkeit außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft liegen. Letztlich setzte sich die Auffassung durch, dass ausschließlich auf den Ort der Tätigkeit abgehoben werden sollte3. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob die jetzige Formulierung des § 92c Abs. 1 dtHGB mit der Handelsvertreter-Richtlinie vereinbar ist4.
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Wird der Handelsvertreter laut Vertrag sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gebietes von EU und EWR tätig, ist keine gespaltene Behandlung des Vertrags möglich. Vielmehr entfaltet § 92c HGB für einen solchen Vertrag insgesamt keine Wirkung5.
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Besonders bedeutsam ist die Derogationsmöglichkeit im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, der in § 89b dtHGB Regelung erfahren hat. Nach dem Wortlaut von § 92c Abs. 1 dtHGB ist dieser Ausgleichsanspruch selbst dann abdingbar, wenn der Handelsvertreter nach dem Recht des Tätigkeitsortes einen funktionsäquivalenten Ausgleichsanspruch zwingend hätte. Hier stellt sich die Frage, ob § 92c Abs. 1 dtHGB einer teleologischen Reduktion bedarf. Zweck der Vorschrift ist es, den Vertragsparteien einen Gestaltungsspielraum zur Anpassung des Handelsvertretervertrages an die besonderen Verhältnisse des ausländischen Tätigkeitsortes zu geben6. Insbesondere sollen Wettbewerbsnachteile durch Anwendung der strengeren und daher auch kostenintensiveren deutschen Schutzvorschriften vermieden werden. Die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen ist nicht gegeben, wenn das Recht des Tätigkeitsorts einen vergleichbaren Schutz des Handelsvertreters zwingend vorsieht. In einem solchen Fall lässt sich daher durchaus darüber nachdenken, § 92c dtHGB nicht zur Anwendung zu bringen7. Das OLG München hat mit Urteil vom 11.1.2002 eine solche teleologische Reduktion von § 92c Abs. 1 dtHGB jedoch abgelehnt8.
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Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Internationales Privatrecht (2015), Rz. 6.1455 ff. BR-Drucks. 339/88 v. 12.8.1988, Art. 1 Nr. 8. Vgl. zu alledem BT-Drucks. 11/4559 v. 18.5.1989, S. 10. Der BGH hat diese Frage zwar bereits aufgeworfen, aber bislang offenlassen können; vgl. BGH v. 17.12.1997 – VIII ZR 235/96, WM 1998, 771; einen Richtlinienverstoß verneinen Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 92c Rz. 4; Hopt in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch (2014), § 92c Rz. 1; Staudinger, NJW 2001, 1976; einen Richtlinienverstoß bejahen Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999) S. 566 Rz. 7; Kindler, RIW 1990, 358 (363); zweifelnd Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch (2014), § 92c: vgl. dort einerseits Rz. 3, andererseits Rz. 31; für eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion von § 92c HGB spricht sich aus Heinicke, ZVertriebsR 2013, 275 (277). H.M.; vgl. bspw. Busche in Oetker, Handelsgesetzbuch (2015), § 92c Rz. 4; Thume in Thume/ Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 123; a.A. Müller, NJW 1998, 17. Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches, BTDrucks. 1/3856 v. 15.11.1952, S. 18 (freilich zur Vorgängernorm). Vgl. Kindler, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters (1987), S. 144 und RIW 1990, 358 (363 f.); ebenso im Ergebnis Hepter/Detzing, RIW 1989, 337 (344) bei Abbedingung in AGB; vgl. auch Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 121, der allerdings auf die Rechtsordnung abstellt, die ohne Rechtswahl anwendbar wäre; dies muss nicht das Recht des Tätigkeitsortes sein (vgl. zur objektiven Anknüpfung Rz. 105 ff.). OLG München v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 Abschnitt I.2.b; zustimmend Eberl, RIW 2002, 305; Emde, EWiR 2002, 485; Wauschkuhn/Meese, RIW 2002, 301.
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Teil G Rz. 117
Distributionsgeschäfte
117
Damit wäre es zulässig, wenn ein in der Schweiz tätiger schweizerischer Handelsvertreter mit einem deutschen Unternehmer deutsches Recht vereinbart und dabei gem. § 92c dtHGB den Ausgleichsanspruch vertraglich ausschließt, obwohl auch das schweizerische Recht einen zwingend ausgestalteten Ausgleichsanspruch kennt (s. dazu Rz. 52). Oder zugespitzt: Ein in Frankreich ansässiger Handelsvertreter schließt mit einem deutschen Unternehmer einen Handelsvertretervertrag, bei dem der Tätigkeitsbereich in der Schweiz liegt. Aufgrund des Sitzes des Handelsvertreters in einem EU-Staat stellt sich hier neben der nationalen Frage der teleologischen Reduktion von § 92c dtHGB überdies noch die Frage nach der Vereinbarkeit mit der HandelsvertreterRichtlinie (allgemein dazu bereits Rz. 114)1.
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Der Ausschluss des Ausgleichsanspruchs ist grundsätzlich auch in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen möglich, unterliegt dann aber der AGB-rechtlichen Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle, soweit deren Vorschriften im unternehmerischen Verkehr Anwendung finden2. Im Rahmen von § 307 BGB mag sich als besonders problematisch der Fall erweisen, in dem das Recht am Tätigkeitsort einen zwingenden Ausgleichsanspruch umfasst. Das OLG München nahm in einer solchen Konstellation aber keine Unangemessenheit der entsprechenden Klausel an3.
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Für Handelsvertreterverträge, die eine ausschließliche Tätigkeit in Staaten vorsehen, die während der Vertragslaufzeit Mitgliedstaat der EU geworden sind – zuletzt Kroatien im Juli 2013 –, stellt sich eine intertemporale Sonderproblematik. Unterliegt der Vertrag deutschem Recht und wird er nach Beitritt des Tätigkeitsstaates beendet, ist die Regelung zum Ausgleichsanspruch zwingend; § 92c HGB entfaltet keine Wirkung mehr nach dem Beitritt des Tätigkeitsstaates. Die Höhe dieses Anspruches hängt u.a. davon ab, welche Kunden der Handelsvertreter neu geworben hat (näher zur Bemessungsgrundlage des Ausgleichsanspruchs Rz. 53 ff.). In diesem Kontext ist fraglich, ob die Kunden, die der Handelsvertreter vor dem Beitritt des Tätigkeitsstaates zur EU geworben hat, für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs als Neukunden anzusehen und damit ausgleichspflichtig sind oder ob diese Kunden bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs keine Berücksichtigung erfahren, weil zu der Zeit, als die Kunden geworben wurden, der privatautonome Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 92c dtHGB wirksam war.
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Überzeugend erscheint es, der privatautonomen Vereinbarung den Raum zu geben, den die gesetzlichen Regelungen belassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Handelsvertreter-Richtlinie ab dem Stichtag, der im jeweiligen Beitrittsabkommen zwischen den bisherigen EU-Staaten und dem Beitrittsstaat vorgesehen ist, effektive Umsetzung ihrer Regelungen verlangt. Dazu gehört auch die Regelung zum Ausgleichsanspruch. Insoweit hat Deutschland die Richtlinienvorgaben zu beachten. In dieser Hinsicht ist relevant, dass sich das geschilderte intertemporale Problem nicht nur aufgrund der besonderen Regelung von § 92c dtHGB stellt, sondern dass es nach Verabschiedung der Handelsvertreter-Richtlinie in den EU-Staaten, die zuvor keinen entsprechenden Ausgleichsanspruch kannten, auftrat und bei jedem Beitritt entsprechend neu auftreten kann.
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Zur Lösung dieser Problematik vermag Art. 22 Abs. 1 HVertr-RL beizutragen: Dieser Norm zufolge mussten die Umsetzungsvorschriften spätestens ab dem 1.1.1994 auf 1 Vor diesem Hintergrund spricht sich Hopt zumindest in derartigen Fällen für eine teleologische Reduktion von § 92c dtHGB aus – richtlinienkonforme Rechtsfortbildung, in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch (2014), § 92c Rz. 6 a.E. 2 Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Vertreterrecht (2016), Kapitel XI Rz. 122. 3 OLG München v. 11.1.2002 – 23 U 4416/01, NJW-RR 2003, 471 Abschnitt I.2.c; zustimmend bspw. Emde, VersR 2003, 549 (553).
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Handelsvertretervertrag
Rz. 125 Teil G
Altverträge Anwendung finden (s. dazu Rz. 6). Angesprochen sind damit auch die Umsetzungsvorschriften zum Ausgleichsanspruch. Damals wurde es vor dem Hintergrund des Rückwirkungsverbots für überzeugend gehalten, den Ausgleichsanspruch bei Altverträgen nur auf Basis der Kunden durchzuführen, die nach dem Stichtag neu geworben wurden1. Es liegt nahe, dieses Verständnis der Richtlinienregelung auch im Falle eines späteren EU-Beitritts zugrundezulegen – und zwar sowohl im Rahmen der Rechtsordnung des Beitrittsstaates als auch im Rahmen der deutschen Rechtsordnung. Dies spricht dafür, bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs eine zeitliche Zäsur vorzunehmen und ausschließlich die danach geworbenen Kunden zu berücksichtigen2. Letztlich müsste diese Frage aber durch den EuGH geklärt werden. b) Die Lage in der Schweiz aa) Grundsätzliches Für Sachverhalte mit Auslandsbezug ist die Frage des anwendbaren Rechts in der Schweiz im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (schwIPRG) geregelt. Dieses Gesetz hat die Behandlung von Agenturverträgen (zu dieser Terminologie s. Rz. 2 und 11) mit grenzüberschreitendem Charakter grundlegend verändert. Zuvor war nach Art. 418b Abs. 2 OR a.F. auf einen Agenturvertrag, dem zufolge der Agent in der Schweiz tätig war, zwingend schweizerisches Recht anwendbar. Es gab die Tendenz diese Norm zu verallseitigen, also auf einen Agenturvertrag zwingend das Recht des vertraglichen Tätigkeitsortes des Agenten anzuwenden3. Mit Inkrafttreten des schwIPRG wurde Art. 418b Abs. 2 OR abgeschafft. Nunmehr gilt für Agenturverträge das schwIPRG. Dieses Gesetz enthält für Agenturverträge allerdings keine Spezialregel, so dass Agenturverträge nach den allgemeinen Bestimmungen des internationalen Vertragsrechts behandelt werden. Dieses findet sich in den Art. 116 ff. schwIPRG und rückt wie die Rom I-VO (dazu Rz. 91) die Parteiautonomie an die erste Stelle.
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bb) Rechtswahl Nach Art. 116 schwIPRG untersteht der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl kann sowohl in ausdrücklicher Weise als auch auf konkludentem Wege erfolgen. In letzterem Fall muss sie „sich eindeutig aus dem Vertrag oder den Umständen ergeben“4.
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Die Rechtswahlvereinbarung ist vom rechtlichen Schicksal des Hauptvertrags isoliert zu betrachten. Ob eine wirksame Einigung auf ein bestimmtes Recht vorliegt, bemisst sich nach dem in der Rechtswahlvereinbarung genannten Recht5. Außerhalb der Verbraucherverträge ist eine Rechtswahl auch in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen möglich6.
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Die Gruppe der wählbaren staatlichen Rechte ist nicht durch Sachlichkeitskriterien eingeschränkt7. Das gewählte Recht setzt sich auch über die zwingenden Regelungen
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1 S. bspw. Kindler, RIW 1990, 358 (364); a.A. bspw. Ankele, DB 1989, 2211 (2213). 2 So KG v. 4.4.2003 – 14 U 260/01, abrufbar über http://kuestner-von-manteuffel-wurdack.de/ handelsvertreterrecht/rechtsprechung/article/kg-berlin-04042003-az-14-u-26001-1/; vgl. dazu Thume in Thume/Riemer/Schürr, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band I – Handelsvertreter (2016), Kapitel XI Rz. 127; vgl. auch Emde, Vertriebsrecht (2014), § 92c HGB Rz. 23. 3 Zu alledem s. Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 117 Rz. 35. 4 Art. 116 Abs. 2 IPRG; eine Liste mit Kriterien, die für eine stillschweigende Rechtswahl sprechen findet sich bei Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 40 ff. 5 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 32 ff. 6 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 47. 7 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 12.
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Teil G Rz. 126
Distributionsgeschäfte
der Rechtsordnung hinweg, die ohne Rechtswahl zur Anwendung kämen; diese Wirkung setzt freilich einen Auslandsbezug voraus (vgl. Art. 1 schwIPRG). Eine Grenze setzt aber auch hier der in Art. 17 schwIPRG statuierte Ordre-public-Vorbehalt. Ob die Wahl nichtstaatlichen Rechts möglich ist, ist nicht abschließend geklärt1. 126
Nach Art. 116 Abs. 3 schwIPRG können die Parteien die Rechtswahl jederzeit vornehmen und abändern. Dabei kann sich die Rechtswahl auch auf einzelne in sich abgeschlossene Sachbereiche des Vertrages beschränken (Teilrechtswahl)2. Bei späterer Vereinbarung wirkt die Rechtswahlvereinbarung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück, sofern die Parteien nichts anderes bestimmen3. cc) Anwendbares Recht ohne Rechtswahl
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Nach Art. 117 schwIPRG untersteht ein Vertrag, der keiner Rechtswahlvereinbarung unterliegt, „dem Recht des Staates, mit dem er am engsten zusammenhängt.“ Dabei wird vermutet, dass die engste Verbindung zu dem Staat besteht, in dem die Partei, die die vertragscharakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Niederlassung hat. Als charakteristische Leistung gilt dabei nach Art. 117 Abs. 3 lit. c schwIPRG die Leistung des Agenten4. Somit führt die Vermutung zum Recht des Staates, in dem der Agent seine Niederlassung hat.
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Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Besteht also zu einer anderen Rechtsordnung eine derart intensive Nähebeziehung, dass ein Festhalten an der Vermutungswirkung unverhältnismäßig wäre, so findet diese andere Rechtsordnung Anwendung5.
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Eine Schranke des zur Anwendung berufenen Rechts bildet, wie im Falle der Rechtswahl, der Ordre-public-Vorbehalt nach Art. 17 schwIPRG.
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Ein renvoi ist nach Art. 13, 14, 117 schwIPRG ausgeschlossen, so dass Art. 117 schwIPRG ausschließlich das Sachrecht sowie die intertemporalen Regelungen der jeweiligen Rechtsordnung in Bezug nimmt. c) Die Lage in Liechtenstein
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Liechtenstein hat die Frage des anwendbaren Rechts für Sachverhalte mit Auslandsbezug im Gesetz vom 19.9.1996 über das internationale Privatrecht (liIPRG) geregelt. Die Rom I-VO entfaltet keine Bedeutung über die EU hinaus, auch nicht in den EWRStaaten.
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Das liechtensteinische IPR rückt im Bereich des internationalen Vertragsrechts ebenfalls die Parteiautonomie an die erste Stelle. Art. 39 liIPRG i.V.m. Art. 11 liIPRG unterwirft Schuldverhältnisse und somit auch Handelsvertreterverträge dem Recht, „das die Parteien ausdrücklich oder schlüssig bestimmen.“ Dabei steht es einer schlüssigen Bestimmung gleich, „wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Parteien eine bestimmte Rechtsordnung als massgebend angenommen haben.“
1 Das Bundesgericht hat lediglich entschieden, dass Regelwerke privater Organisationen einer kollisionsrechtlichen Wahl nicht zugänglich sind, BG v. 20.12.2005, BGE 132 III 285; im Übrigen s. Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 21. 2 Vgl. zu den Hintergründen und genauen Voraussetzungen angesichts einer fehlenden gesetzlichen Regelung Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 13. 3 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 116 Rz. 50. 4 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 117 Rz. 35. 5 Amstutz/Wang in Basler Kommentar IPR (2013), Art. 117 Rz. 13 ff.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 139 Teil G
Treffen die Parteien keine Rechtswahl, sind die Art. 40 ff. liIPRG maßgebend. Greift keine gebietsspezifische Sonderkollisionsregel, so verweist Art. 40 liIPRG auf das Recht des Staates, in dem der Handelsvertreter seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seine Niederlassung hat.
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Nach Art. 5 Abs. 1 liIPRG ist eine Weiterverweisung durch das Kollisionsrecht der in Bezug genommenen Rechtsordnung auf Rechtsordnungen anderer Staaten unbeachtlich; eine Rückverweisung auf das Recht von Liechtenstein findet demgegenüber Berücksichtigung.
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Die Anwendung eines ausländischen Rechts findet nach Art. 6 liIPRG ihre Grenze im ordre public von Liechtenstein.
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Das Handelsgesetzbuch Liechtensteins enthätl in seinem Art. 109 eine Öffnungsklausel, die § 92c dtHGB (umfassend dazu Rz. 110 ff.) entspricht. Ein Unterschied zu § 92c dtHGB besteht allerdings darin, die Öffnungsklausel auch dann nicht greift, wenn der vertragliche Tätigkeitsort des Handelsvertreters in der Schweiz liegt.
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3. Vertretungsstatut Bei Handelsvertretern ist neben der Vertragsbeziehung zum Unternehmer die Frage von Bedeutung, ob der Handelsvertreter den Unternehmer bei seiner Tätigkeit unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Diese Frage der Stellvertretung ist internationalprivatrechtlich eigenständig zu behandeln. Sie ist also von der Frage, welches Recht auf den Handelsvertretervertrag Anwendung findet (dazu Rz. 89 ff.), zu trennen. Im Unterschied zur vertragsrechtlichen Ebene hat die Frage der Stellvertretung stets Auswirkung auf Dritte. Dies bedeutet notwendigerweise gewisse Schranken bei der Gewähr von Parteiautonomie. Die Rom I-VO ist nach ihrem Art. 1 Abs. 2 lit. g auf Fragen der Vertretungsmacht nicht anwendbar. Dem Haager Übereinkommen über das auf die Stellvertretung anzuwendende Recht vom 14.3.19781 sind Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz nicht beigetreten.
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In Deutschland gibt es für Fragen der Vertretungsmacht keine geschriebene Kollisionsregel. Die Frage der Vollmacht bemisst sich hier grundsätzlich nach dem Wirkungsstatut, also nach dem Recht des Staates, in dem der Vertreter mit dem Willen des Vertrenen von der Vollmacht Gebrauch macht2. Bei Handelsvertretern spricht allerdings einiges für den Ort der Niederlassung des Handelsvertreters, sofern dieser Ort für Dritte ausreichend klar erkennbar ist3. Entscheidend ist diese Sonderanknüpfung freilich ohnehin nur, wenn der Handelsvertreter in anderen Staaten als dem seiner Niederlassung tätig wird. Eine Rechtswahl, die der Vertreter und der Unternehmer treffen, ist nur insoweit beachtlich, als dem Geschäftspartner diese Rechtswahl deutlich gemacht wird4. Ob eine einseitige Bestimmung des anwendbaren Rechts durch den Unternehmer in Form einer gegenüber dem Geschäftspartner abgegebenen Erklärung beachtlich ist, ist noch nicht abschließend geklärt5. Eine Rück- und Weiterverweisung ist unbeachtlich6.
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In Österreich bestimmt § 49 öIPRG das auf Vertretungsfragen anwendbare Recht. Die Norm lautet:
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1 Näher dazu Rz. 108 f.; der Übereinkommenstext ist abrufbar auf der Internetseite der Haager Konferenz unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions/full-text/?cid=89. 2 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015) Rz. 7.370 ff. 3 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015) Rz. 7.389 ff. 4 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015) Rz. 7.376 ff. 5 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015) Rz. 7.377. 6 Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht (2015) Rz. 7.385.
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Teil G Rz. 140
Distributionsgeschäfte
„(1) Die Voraussetzungen und die Wirkungen der gewillkürten Stellvertretung im Verhältnis des Geschäftsherrn und des Stellvertreters zum Dritten sind nach dem Recht zu beurteilen, das der Geschäftsherr in einer für den Dritten erkennbaren Weise bestimmt hat. (2) Ist das anzuwendende Recht nicht bestimmt worden, so ist das Recht des Staates maßgebend, in dem der Stellvertreter nach dem dem Dritten erkennbaren Willen des Geschäftsherrn tätig werden soll; ist der Stellvertreter für mehrere Geschäfte bestellt worden, so nach dem Recht des Staates, in dem er nach dem dem Dritten erkennbaren Willen des Geschäftsherrn regelmäßig tätig werden soll. (3) Versagt auch die im Abs. 2 vorgesehene Anknüpfung, so ist das Recht des Staates maßgebend, in dem der Stellvertreter tätig wird.“
Als Tätigkeitsort wird bei berufsmäßigen Vertretern mit festem Geschäftssitz häufig auf den Geschäftssitz abgestellt1. Eine Rück- und Weiterverweisung ist unbeachtlich2. 140
In Liechtenstein wird das auf Vollmachtsfragen anwendbare Recht über Art. 53 liIPRG bestimmt. Die Norm hat die österreichische Regelung (s. soeben Rz. 139) übernommen und lautet dementsprechend: „1) Die Voraussetzungen und die Wirkungen der gewillkürten Stellvertretung im Verhältnis des Geschäftsherrn und des Stellvertreters zum Dritten sind nach dem Recht zu beurteilen, das der Geschäftsherr in einer für den Dritten erkennbaren Weise bestimmt hat. 2) Ist das anzuwendende Recht nicht bestimmt worden, so ist das Recht des Staates massgebend, in dem der Stellvertreter nach dem dem Dritten erkennbaren Willen des Geschäftsherrn tätig werden soll; ist der Stellvertreter für mehrere Geschäfte bestellt worden, so das Recht des Staates, in dem er nach dem dem Dritten erkennbaren Willen des Geschäftsherrn regelmäßig tätig werden soll. 3) Versagt auch die im Abs. 2 vorgesehene Anknüpfung, so ist das Recht des Staates massgebend, in dem der Stellvertreter tätig wird.“
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In der Schweiz bestimmt Art. 126 schwIPRG das auf Vollmachtsfragen anwendbare Recht. Die Norm lautet: „Bei rechtsgeschäftlicher Vertretung untersteht das Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter dem auf ihren Vertrag anwendbaren Recht. Die Voraussetzungen, unter denen eine Handlung des Vertreters den Vertretenen gegenüber dem Dritten verpflichtet, unterstehen dem Recht des Staates, in dem der Vertreter seine Niederlassung hat oder, wenn eine solche fehlt oder für den Dritten nicht erkennbar ist, dem Recht des Staates, in dem der Vertreter im Einzelfall hauptsächlich handelt. […] Das nach Abs. 2 anwendbare Recht gilt auch für das Verhältnis zwischen dem nicht ermächtigten Vertreter und dem Dritten.“
Weiter- und Rückverweisungen sind nach Art. 13, 14 schwIPRG nicht zu berücksichtigen.
V. Gerichtsstand 1. Internationale Zuständigkeit 142
Kommt es im Bereich des Vertriebsrechts zu Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vertragspartnern, stellt sich die Frage, vor welchem Gericht der entsprechende Prozess stattfinden soll. Zur Klärung der internationalen Zuständigkeit wenden die Gerichte die lex fori an3. Diese umfasst in Deutschland und Österreich die in diesem Bereich 1 Verschraegen, Internationales Privatrecht (2012), Rz. 540. 2 Verschraegen, Internationales Privatrecht (2012), Rz. 540. 3 BGH v. 30.3.1976 – VI ZR 143/74, NJW 1976, 1581 und BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, NJW 1976, 1583; OLG Nürnberg v. 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 1 Rz. 8.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 146 Teil G
erlassenen EU-Regelungen, konkret die Brüssel Ia-VO1, die seit dem 10.1.2015 anwendbar ist und die Brüssel I-VO ersetzt. Für die Schweiz sind die Regelungen des revidierten Luganer Übereinkommens vom 30.10.2007 (LugÜ II), das an die Stelle des Luganer Übereinkommens vom 16.9.1988 getreten ist, zu beachten. Beide Instrumente entfalten in Liechtenstein keine Wirkung. Dort sind die Regelungen der Jurisdiktionsnorm (JN) über die örtliche Zuständigkeit heranzuziehen, aus denen aufgrund ihres doppelfunktionalen Charakters auch die internationale Zuständigkeit abgeleitet wird2. a) Gerichtsstandsvereinbarungen Gerichtsstandsvereinbarungen der Parteien sind in allen vier Rechtsordnungen grundsätzlich zulässig.
143
Die wichtigsten europäischen Vorschriften über internationale Gerichtsstandsvereinbarungen finden sich – für Deutschland und Österreich – in Art. 25 Brüssel Ia-VO sowie – für die Schweiz – in Art. 23 LugÜ II. In Liechtenstein folgt die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung aus einer doppelfunktionalen Anwendung von § 53 JN. Art. 25 Brüssel Ia-VO, der im Gegensatz zur Vorgängernorm des Art. 23 Brüssel I-VO, nicht mehr voraussetzt, dass eine der Parteien ihren Sitz innerhalb der EU hat, hat bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten Vorrang vor dem vom nationalen Gesetzgeber der einzelnen Mitgliedstaaten erlassenen Recht, verdrängt also in Deutschland auch vollständig die §§ 38, 40 ZPO (näher zu den europäischen Regelungen über Gerichtsstandsvereinbarungen in diesem Buch bei Grolimund im Kapitel P zu den verfahrensrechtlichen Fragen, Rz. 26 ff.).
144
Die genannten Normen können freilich nur einen Gerichtsstand in den hier besprochenen Staaten sowie in den anderen EU- und EWR-Staaten begründen. Als problematisch erweisen sich die Fälle, in denen der Handelsvertreter, der vertragsgemäß innerhalb der EU bzw. des EWR tätig sein soll, und der Unternehmer die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines Drittstaates, der kein Mitglied von EU und EWR ist, vereinbaren. Wählen die Parteien ergänzend das Recht dieses Drittstaates, das von Normen des europäischen Handelsvertreterrechts abweicht, die aus europäischer Perspektive als Eingriffsnormen zu charakterisieren sind – wie die Regelung zum Ausgleichsanspruch3 –, so droht die Anwendung dieser Eingriffsnormen unterlaufen zu werden, da nicht gewährleistet ist, dass das Drittstaatengericht diese berücksichtigt. In einem solchen Fall haben die deutschen Gerichte die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung angenommen und auf diesem Wege die eigene Zuständigkeit bejaht, um so letztlich der Regelung über den Ausgleichsanspruch zur Durchsetzung zu verhelfen4.
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Seit dem 1.10.2015 ist für Deutschland und Österreich in diesem Kontext das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 zu beachten5. Neben den EU-Mitgliedstaaten ist bislang allerdings nur Mexiko Vertragsstaat; überdies kennt auch dieses Übereinkommen einen Ordre-public-Vorbehalt (vgl. Art. 6 lit. c des Übereinkommens).
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1 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 351, S. 1. 2 Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, 2009, Rz. 616. 3 Zu dieser Charakterisierung als Eingriffsnorm s. Rz. 99 f. 4 OLG Stuttgart v. 16.1.2012 – 5 U 126/11; bestätigt durch BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, BB 2012, 3103, zur entsprechenden Frage der Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen s. Emde, RIW 2016, 104 ff. 5 Abrufbar unter http://www.hcch.net/index_de.php?act=conventions.text&cid=98.
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Teil G Rz. 147
Distributionsgeschäfte
b) Fehlende Vereinbarung 147
Haben die Vertragsparteien keine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, kann jede Partei vor den Gerichten des Staates verklagt werden, in dem sie ihren Wohn- bzw. Gesellschaftssitz hat. Für Deutschland und Österreich folgt dies aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO, für die Schweiz aus Art. 2 Abs. 1 LugÜ II und für Liechtenstein aus der doppelfunktionalen Anwendung von § 31 JN.
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Neben dem allgemeinen Gerichtsstand etabliert Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO einen besonderen Gerichtsstand für vertragliche Streitigkeiten am vertraglichen Erfüllungsort. Für Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen findet sich in Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO eine europäisch-autonome Definition des Erfüllungsortes: Entscheidend ist für sämtliche vertragliche Pflichten, also auch für die Zahlungspflicht, der Ort, an dem die Dienstleistung erbracht worden ist oder nach dem Vertrag hätte erbracht werden müssen. Auf diese Weise wird eine Konzentration aller Streitigkeiten aus einem Vertrag bei dem Gericht des so bestimmten einheitlichen Erfüllungsortes erreicht. Die Bestimmung des Erfüllungsortes soll dabei ohne Rückgriff auf Kollisionsrecht erfolgen1. Diese Regelung, die in Deutschland und Österreich Anwendung findet, gilt auch für Handelsvertretervertäge, die unter den europäisch-autonom auszulegenden Begriff der Dienstleistungsverträge fallen. Speziell für Handelsvertreterverträge, bei denen der Handelsvertreter vertragsgemäß in verschiedenen Staaten tätig war, hat der EuGH entschieden, dass der Erfüllungsort wie folgt zu bestimmen ist: „[Erfüllungsort ist der] Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung durch den Handelsvertreter, wie er sich aus den Bestimmungen des Vertrags oder, mangels solcher Bestimmungen, aus dessen tatsächlicher Erfüllung ergibt; kann der fragliche Ort nicht auf dieser Grundlage ermittelt werden, so ist auf den Wohnsitz2 des Handelsvertreters abzustellen3.
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Für die Schweiz findet sich in Art. 5 Nr. 1 LugÜ II eine inhaltliche Parallelvorschrift zu Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.
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Ein wenig restriktiver ist der Erfüllungsortsgerichtsstand in Liechtenstein ausgestaltet (vgl. § 43 JN). Dabei ist für ausländische Beklagte allerdings die auf dem Gegenseitigkeitsprinzip basierende Erweiterung des § 52 JN zu beachten.
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Schließlich ist für alle vier Rechtsordnungen der besondere Gerichtsstand der Niederlassung, aus deren Betrieb die Streitigkeit hervorgegangen ist, zu beachten (vgl. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, Art. 5 Nr. 5 LugÜ II, § 42 Abs. 1 JN Liechtenstein). 2. Örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit
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Die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts richtet sich jeweils nach der lex fori. In Deutschland sind daher bei einem Streitwert von über 5.000 E nach §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 dtGVG die LG zuständig. Da der selbständige Handelsvertreter kein Arbeitnehmer ist, sind die ArbG nicht zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus den §§ 12 ff. dtZPO und die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen beim LG aus den §§ 97 ff. dtGVG.
1 Näher dazu Leible in Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Band 1, 2016, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 55 f., 66. 2 Bei Gesellschaften ist der Sitz entscheidend. 3 EuGH v. 11.3.2010 – Rs. C-19/09 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger GmbH/Silva Trade SA.
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Handelsvertretervertrag
Rz. 153 Teil G
VI. Weitere prozessuale Aspekte Für alle weiteren prozessualen Aspekte, insbesondere auch die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen – hier ist im Verhältnis zu Liechtenstein die erforderliche Verbürgung der Gegenseitigkeit nicht unbedingt gewährleistet1 – wird auf den prozessrechtlichen Teil P in diesem Werk verwiesen.
VII. Checkliste für Handelsvertreterverträge – Namen und Anschriften der Vertragspartner – Vertrag mit Handelsvertretergesellschaft – Vertrag mit Einzelkaufmann – Vertriebsgegenstand – alle Produkte des Unternehmers oder nur bestimmte Produkte? – zukünftige Produkte einbeziehen oder nicht? – Vertriebsgebiet – Alleinvertretungsvereinbarung? (Rz. 15, 84) – Vereinbarung eines bestimmten Bezirks? – Beschränkung auf bestimmte Kundentypen? – Pflichten des Vertreters (Rz. 19 ff.) – Auflagen für Absatzförderung – Anzahl der Kundenbesuche – Berichterstattung – weitere Unterrichtungs- und sonstige Pflichten – Weisungsbindung – Verschwiegenheitspflicht (Geschäfts- und Vertriebsgeheimnisse) – Abschlussvollmacht – oder nur Vermittlungstätigkeit (Rz. 2) – Wettbewerbsverbote (Rz. 18 ff., 73 ff., 80 ff.) – während des Vertrages – nachvertragliches Wettbewerbsverbot (gesetzliche Begrenzungen beachten, Zahlung einer angemessenen Entschädigung) – Provisionszahlungspflicht des Unternehmers (Rz. 29 ff.) – für welche Geschäfte? – für die Dauer des Vertrages (oder auch für solche Geschäfte, die der Handelsvertreter eingeleitet hat und die erst nach Vertragsbeendigung abgeschlossen werden?) – nachvertraglichen Zeitraum begrenzen – Provisionsregelung für bezirksüberlappende Aufträge – Provisionshöhe (Differenzierung nach Preisen oder Produkten?) – Grundlage der Provision – Kaufpreis abzgl. Umsatzsteuer, Rabatte (ausgenommen Skonti), Nebenkosten wie Fracht, Verpackung etc., soweit gesondert in Rechnung gestellt 1 So hat das OLG Stuttgart die Verbürgung der Gegenseitigkeit im erbrechtlichen Kontext als nicht gegeben erachtet; OLG Stuttgart v. 28.7.2914, IPRax 2015, 444; Mankowski überträgt diese Entscheidung vom Erbrecht auf anderen Bereiche, IPRax 2015, 410 ff.
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Teil G Rz. 154
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Distributionsgeschäfte
– Abzüge für Montagen und sonstige Nebenleistungen, soweit gesondert in Rechnung gestellt – Provisionskürzung bei notwendigen Sonderpreisen – Mengenboni und sonstige Vergütungen Entstehung des Provisionsanspruches (Rz. 33)/Abrechnung und Zahlung (Rz. 37 ff.) – Entstehung wie im dispositiven Gesetzesrecht vorgesehen oder bereits mit Vertragsabschluss oder erst mit Zahlung des Kunden? – Wegfall der Provision bei Nichtausführung, die nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind (Insolvenz bzw. Nichtzahlung des Kunden), wie gesetzlich vorgesehen – Abrechnung (vierteljährlich, monatlich, zum Ende des Folgemonats) – Prüfung der Abrechnung durch Handelsvertreter (binnen sechs Wochen) – Zahlung mit Abrechnung Weitere Pflichten des Unternehmers – Unterstützung des Handelsvertreters (durch Musterpreislisten etc.) – Information über unmittelbare Verhandlung mit Kunden – Möglichkeit der Geschäftsablehnung Vertragsbeendigung (Rz. 42 ff.) – Vertrag auf Zeit (befristet) oder – Kündigungsfristen (gesetzliche Mindestfristen einhalten) – gleich lange Fristen für beide Seiten vereinbaren – außerordentliche Kündigungsgründe z.B. bei Ausscheiden des führenden maßgeblichen Gesellschafters der Handelsvertretergesellschaft oder bei Nichterreichung von vorgegebenen Umsatzzielen Anwendbares Recht (Rz. 87 ff.) Gerichtsstand (Rz. 142 ff.) Salvatorische Klausel
Kapitel 2. Franchisevertrag Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils G, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 1. Einführung 154
Franchising gilt bereits heute als die erfolgreichste Vermarktungs- bzw. Vertriebsform der Welt. Sie hat ihren Siegeszug von den USA ausgehend angetreten und sich innerhalb weniger Jahrzehnte in West- und Osteuropa, Asien, Kanada, Südamerika und Australien ausgebreitet. Die rasche Ausbreitung hat ihre Ursache u.a. darin, dass Franchising auch ein Finanzierungsinstrument ist: Franchising ermöglicht dem Franchisegeber die Expansion eines Geschäftskonzepts mit fremdem Kapital und auf überwiegend fremdes Risiko, während die vervielfältigten Betriebe seinen Filialen gleichen (Quasifilialität). Darüber hinaus ermöglicht Franchising nicht nur Vertrieb, sondern die Vervielfältigung eines Markenerlebnisses und damit eine aufwendige Vermarktung von Waren und Dienstleistungen; keine Vertriebsform, die sich selbständiger Absatzmittler bedient, ist dazu annährend vergleichbar in der Lage. Eine weitere Ursache für den Erfolg liegt darin, dass richtig verstandenes Franchising für die Franchisenehmer viele Vorteile hat. Als Netzwerk verstanden, bietet ein Franchisesystem im Idealfall einen Marktzugang unter einer einheitlichen Marke, gebündelten Einkauf mit deutli718 | Giesler
Teil G Rz. 154
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Distributionsgeschäfte
– Abzüge für Montagen und sonstige Nebenleistungen, soweit gesondert in Rechnung gestellt – Provisionskürzung bei notwendigen Sonderpreisen – Mengenboni und sonstige Vergütungen Entstehung des Provisionsanspruches (Rz. 33)/Abrechnung und Zahlung (Rz. 37 ff.) – Entstehung wie im dispositiven Gesetzesrecht vorgesehen oder bereits mit Vertragsabschluss oder erst mit Zahlung des Kunden? – Wegfall der Provision bei Nichtausführung, die nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind (Insolvenz bzw. Nichtzahlung des Kunden), wie gesetzlich vorgesehen – Abrechnung (vierteljährlich, monatlich, zum Ende des Folgemonats) – Prüfung der Abrechnung durch Handelsvertreter (binnen sechs Wochen) – Zahlung mit Abrechnung Weitere Pflichten des Unternehmers – Unterstützung des Handelsvertreters (durch Musterpreislisten etc.) – Information über unmittelbare Verhandlung mit Kunden – Möglichkeit der Geschäftsablehnung Vertragsbeendigung (Rz. 42 ff.) – Vertrag auf Zeit (befristet) oder – Kündigungsfristen (gesetzliche Mindestfristen einhalten) – gleich lange Fristen für beide Seiten vereinbaren – außerordentliche Kündigungsgründe z.B. bei Ausscheiden des führenden maßgeblichen Gesellschafters der Handelsvertretergesellschaft oder bei Nichterreichung von vorgegebenen Umsatzzielen Anwendbares Recht (Rz. 87 ff.) Gerichtsstand (Rz. 142 ff.) Salvatorische Klausel
Kapitel 2. Franchisevertrag Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils G, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 1. Einführung 154
Franchising gilt bereits heute als die erfolgreichste Vermarktungs- bzw. Vertriebsform der Welt. Sie hat ihren Siegeszug von den USA ausgehend angetreten und sich innerhalb weniger Jahrzehnte in West- und Osteuropa, Asien, Kanada, Südamerika und Australien ausgebreitet. Die rasche Ausbreitung hat ihre Ursache u.a. darin, dass Franchising auch ein Finanzierungsinstrument ist: Franchising ermöglicht dem Franchisegeber die Expansion eines Geschäftskonzepts mit fremdem Kapital und auf überwiegend fremdes Risiko, während die vervielfältigten Betriebe seinen Filialen gleichen (Quasifilialität). Darüber hinaus ermöglicht Franchising nicht nur Vertrieb, sondern die Vervielfältigung eines Markenerlebnisses und damit eine aufwendige Vermarktung von Waren und Dienstleistungen; keine Vertriebsform, die sich selbständiger Absatzmittler bedient, ist dazu annährend vergleichbar in der Lage. Eine weitere Ursache für den Erfolg liegt darin, dass richtig verstandenes Franchising für die Franchisenehmer viele Vorteile hat. Als Netzwerk verstanden, bietet ein Franchisesystem im Idealfall einen Marktzugang unter einer einheitlichen Marke, gebündelten Einkauf mit deutli718 | Giesler
Franchisevertrag
Rz. 157 Teil G
chen Kostenvorteilen und zentrale Dienstleistungen wie z.B. Marketing und Werbung, die von jungen Einzelunternehmen in der Regel schon aus Kapazitätsgründen in dieser Form nicht geleistet werden können. Es liegt in der Natur des Franchisings, dass Franchisesysteme nicht an den nationalen Grenzen Halt machen. Dennoch gibt es überraschend viele Franchisesysteme, die lediglich in einem Land anzutreffen sind und die den Schritt in das Nachbarland nicht unternommen haben. Dies hat verschiedene Ursachen. Zum einen bevorzugen einige Franchisegeber in den ersten Jahren des Systemaufbaus eine regionale Verbreitung, um die Betreuung der Franchisenehmer durch die Systemzentrale kostengünstiger organisieren zu können. Nur so ist es bspw. zu erklären, dass auch in den USA eine Vielzahl nur regional bekannter Franchisesystem besteht, deren Verbreitung sich auf einzelne Bundesstaaten oder Staatengruppen erstreckt. Allgemein wird empfohlen, bei einem Systemaufbau zunächst mit Franchisenehmern zu starten, die sich in gut erreichbarer Entfernung zur Systemzentrale befinden. Zum Zweiten erfordert die Ausbreitung in ein anderes Land für den Franchisegeber, wenn er Franchising richtig versteht, eine nicht unerhebliche Neuinvestition. Dies beginnt mit einer Marktstudie. Das Franchise- und Marketingkonzept muss den Besonderheiten des anderen Landes angepasst werden. Mitunter sind abweichende rechtliche Vorgaben für die von den Franchisenehmern vertriebenen Waren und Dienstleistungen zu beachten. Darüber hinaus müssen Betriebshandbücher und Schulungskonzepte in eine andere Sprache übersetzt und dem geänderten Franchise- und Marketingkonzept angepasst werden. Die damit verbundene Investition ist für Franchisesysteme, die ihren Ursprung in einem eher kleinen europäischen Staat haben und deshalb über keine sehr hohe Zahl von Franchisenehmern verfügen, häufig zu hoch. Dabei spielt es, soweit es um deutsche Unternehmen geht, eine nicht unerhebliche Rolle, dass viele Franchisegeber unterkapitalsiert sind; das wiederum hat seine Ursache, dass Franchising eine Anziehungskraft gerade für solche Unternehmen ausübt, die nicht über das notwendige Kapital verfügen, um selbst mehrere Filialen zu eröffnen. Diese Franchisegeber sind früher oder später zum Scheitern verurteilt.
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Gelingt einem Franchisegeber die transnationale Ausbreitung, werden Franchiseverträge nicht zwingend über die Landesgrenzen hinweg abgeschlossen (diese Methode wird teilweise als „internationales Franchising“ oder „Direct Franchising“ bezeichnet). Es gibt mehrere Möglichkeiten, einem Franchisesystem zu einer länderübergreifenden Ausbreitung zu verhelfen. Wird die Methode gewählt, für das andere Land einen Master-Franchisenehmer einzusetzen, sind allein die Vertragspartner des Master-Franchisevertrages in zwei Staaten angesiedelt. Der Master-Franchisenehmer tritt innerhalb seines Master-Gebietes hingegen als Unter-Franchisegeber auf und schließt rein nationale Franchiseverträge ab. Der Nachteil dieser Methode liegt darin, dass die Systemzentrale keinen unmittelbaren Einfluss auf die Franchisenehmer in dem anderen Land hat. Dies gilt in besonderem Maße, wenn dem Master-Franchisenehmer allein die Transformation des Systems überlassen bleibt und er über die Anpassungen entscheidet.
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Eine zweite Methode der grenzüberschreitenden Ausbreitung besteht darin, unmittelbar mit einzelnen Franchisenehmern in einem anderen Staat zu kontrahieren und diese Franchisenehmer über die Systemzentrale zu lenken („internationales Franchising“ oder „Direct Franchising“). Diese Handhabung ist allerdings nur bei Nachbarländern praktikabel, weil andernfalls eine Betreuung und Überwachung der Franchisenehmer schwer durchführbar wird1. Daher haben sich mit dieser Methode vor allem kleinere Franchisesysteme zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgebreitet, sicherlich auch, weil dort zugleich keine Sprachbarriere besteht.
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1 Giesler, Franchiseverträge, Rz. 706; Keating, § 2.09, S. 19.
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Teil G Rz. 158 158
Distributionsgeschäfte
Die dritte Methode besteht darin, in dem anderen Land eine Tochtergesellschaft oder eine Niederlassung zu errichten und den Aufbau des Franchisesystems selbst zu investieren. In diesem Fall werden überhaupt keine grenzüberschreitenden Franchiseverträge abgeschlossen, allenfalls ist zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft eine Vereinbarung zu treffen, welche die Tochtergesellschaft in die Lage versetzt, die geistigen und gewerblichen Schutzrechte der Muttergesellschaft zu nutzen. Der Einsatz einer Tochtergesellschaft scheint auf Dauer die erfolgversprechendste Methode zu sein, einen internationalen Erfolg zu erreichen. 2. Begriffsbestimmungen
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Eine normative Definition des Begriffs Franchising, aus der sich bezogen auf einen Sachverhalt eine Rechtsfolge ableiten ließe, existiert nicht. Die vorhandenen Definitionen beschreiben lediglich die in der Praxis vorgefundenen Bestandteile eines Franchisevertrages1.
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Franchising ist eine Vertriebsform für Waren, Dienstleistungen und Technologien, die sich auf eine enge und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbständigen und voneinander unabhängigen Unternehmen gründet. Der Versuch einer Definition der wichtigsten Begriffe wird in jüngerer Zeit2 wie folgt unternommen: Unter einer Franchise wird hier die Gesamtheit der Rechte verstanden, welche die erste Partei („Franchisegeber“) der zweiten Partei („Franchisenehmer“) gewährt, – und welche den Franchisenehmer berechtigen und verpflichten, gegen unmittelbare oder mittelbare finanzielle Vergütung das Geschäft des Vertriebs von Waren und/oder Dienstleistungen und/oder Technologien im Rahmen eines von dem Franchisegeber bestimmten Systems („Franchisesystem“) zu übernehmen, – welches ein geheimes Know-how und die Erbringung von Unterstützungsleistungen vorsieht, – in welchem im Wesentlichen die Art und Weise des Betriebs des Franchisenehmers („Franchisebetrieb“) vorgeschrieben ist, – in dem eine fortlaufende Betriebskontrolle durch den Franchisegeber erfolgt und – in dem der Franchisenehmer im Zusammenhang mit seinem Franchisebetrieb zur Nutzung der vom Franchisegeber vorgesehenen geistigen und gewerblichen Schutzrechte berechtigt und verpflichtet ist. Der „Franchisevertrag“ ist demnach die Vereinbarung, in welcher sich Franchisegeber und Franchisenehmer zur Vergabe und Inanspruchnahme der Franchise verpflichten. Als „Franchising“ ist demnach die Methode zu verstehen, sich der Bindung von Franchisenehmern durch Franchiseverträge zu bedienen, um den Vertrieb von Waren, Dienstleistungen und Technologien zu organisieren und ein Geschäft aufzubauen.
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Der Deutsche Franchise-Verband definiert wie folgt: „Franchising ist ein vertikal-kooperatives organisiertes Absatzsystem rechtlich selbständiger Unternehmen auf der Basis eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses. Dieses System tritt am Markt einheitlich auf und wird geprägt durch das arbeitsteilige Leistungsprogramm der Systempartner sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem eines systemkonformen Verhaltens. Das Leistungsprogramm des Franchisegebers ist das Franchisepaket. Es besteht aus einem Beschaffungs-, Absatz- und Organisationskonzept, dem Nutzungsrecht an Schutzrechten, der Ausbildung des Franchisenehmers und der Verpflichtung des Franchisegebers, den Franchisenehmer aktiv und laufend zu unterstützen und das Konzept ständig weiter zu entwickeln. Der Franchisenehmer ist im 1 Giesler, Franchiseverträge, Rz. 4. 2 Vgl. Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, Kapitel 1 Rz. 28 unter Bezugnahme auf UNIDROIT, Study LXVIII – Doc. 37, Rom Juni 2001.
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Franchisevertrag
Rz. 164 Teil G
eigenen Namen und für eigene Rechnung tätig; er hat das Recht und die Pflicht, das Franchisepaket gegen Entgelt zu nutzen. Als Leistungsbeitrag liefert er Arbeit, Kapital und Information.“
Die im Europäischen Verhaltenskodex für Franchising enthaltene Begriffsbestimmung lautet in ihrer deutschen Übersetzung:
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„Unter Franchising im Sinne dieses Kodex ist eine Form der vertraglichen Zusammenarbeit zwischen rechtlich unabhängigen Unternehmen auf der Grundlage der Gleichordnung zu verstehen, wobei auf der einen Seite ein franchisierendes Unternehmen (der Franchisegeber) und auf der anderen Seite ein oder mehrere Unternehmen (Franchisenehmer) stehen. Das franchisierende Unternehmen – der Franchisegeber – weist im Allgemeinen folgende Merkmale auf: 1) Das Unternehmen besitzt eine Firma, einen Handelsnamen, ein Wortzeichen oder ein Symbol (eventuell eine Marke) für einen Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb sowie Erfahrungswissen (Know-how) und gestattet dem Franchisenehmer deren Nutzung. 2) Das Unternehmen verfügt über eine Produktgruppe und/oder eine bestimmte Art von Dienstleistungen im Rahmen einer genau festgelegten und originellen Geschäftskonzeption, die vom Franchisenehmer in dieser Form zu übernehmen und gebrauchen ist. Diese Konzeption beruht auf spezifischen und erprobten geschäftlichen Techniken, die laufend weiterentwickelt und auf ihren Wert und ihre Effizienz hin überprüft werden. Hauptzweck eines Franchisevertrages ist es, durch das Zusammenwirken persönlichen Einsatzes und finanzieller Hilfe sowohl für Franchisegeber als auch Franchisenehmer wirtschaftliche Vorteile unter Wahrung der beiderseitigen Unabhängigkeit anzustreben. Im Franchising verpflichtet sich der Franchisenehmer in der einen oder anderen Form zur Entrichtung einer Vergütung für die Leistungen des Franchisegebers, für die Überlassung des Namens, der Geschäftskonzeption, der Technologie und des Know-how. Franchising ist demnach mehr als eine Vertriebsvereinbarung, eine Konzession oder ein Lizenzvertrag, da sich beide Vertragspartner zu Leistungen verpflichten, die über den Rahmen einer herkömmlichen Geschäftsbeziehung hinausgehen.“
3. Geschichtliche Entwicklung Die Ursprünge des modernen Franchising finden sich in den USA1. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich dort Vertriebssysteme, die dem Franchising zugeordnet werden können. 1863 baute die Nähmaschinenfabrik Singer Sewing Machine Company ein Vertriebsnetz aus angegliederten, aber finanziell selbständigen Partnern auf, indem sie von Haus zu Haus reisenden Händlern Exklusivrechte zum Verkauf ihrer Erzeugnisse einräumte2. Der Erfinder des Getränks „Coca Cola“, John S. Pemberton, vergab Ende des 19. Jahrhunderts Lizenzen an lokale Abfüllstationen, die den für die Herstellung des Getränks erforderlichen Sirup exklusiv erwerben und damit das Getränk selbst herstellen konnten3. Im Bereich der Automobilindustrie war es 1898 die Firma General Motors, die ein Vertriebssystem mit vertraglich gebundenen Händlern einführte4. Das unter dem Namen Rexall in Erscheinung tretende Netz von Drugstores wurde von Louis K. Liggett seit 1902 aufgebaut und gilt als das erste funktionstüchtige Kooperationssystem. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Systeme fast ausschließlich von Unternehmen aufgebaut wurden, die bis heute bekannt sind5.
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Die Entwicklung des Franchisings nahm in den USA immense Ausmaße an und führte zu einer Verdrängung fast aller anderen Vertriebsformen. Zunächst hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg eine erste Generation von Systemen entwickelt, die auf der als „Product Distribution Franchising“ bezeichneten Betriebsform beruhten und die
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1 Zu den Ursprüngen und zur Entwicklung ausführlich Epp, S. 4 ff.; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 462 ff.; Mack, S. 21 ff.; Höpfner, S. 5; Tietz/Mathieu, S. 5. 2 Mack, S. 21; Höpfner, S. 5. 3 Weber, JA 1983, 347; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 465. 4 Tietz/Mathieu, S. 5; Höpfner, S. 5. 5 Höpfner, S. 5.
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Teil G Rz. 165
Distributionsgeschäfte
nach heutigem Rechtsverständnis eher dem Vertrieb mittels Vertragshändlern ähnlich waren1. Ursächlich für den „Franchise-Boom“ nach dem Zweiten Weltkrieg war eine zweite Generation von Dienstleistungsfranchisen, die häufig als „Business Format Franchising“ oder als „Entire Business Franchising“ bezeichnet wird2. Diese Form entspricht der Vertriebsmethode, die heute in Europa normalerweise unter „Franchising“ verstanden wird. Diese Franchisen waren es, die dem Franchising zu seinem schnellen Aufstieg in den USA verhalfen und durch die das Franchising sein bis heute typisches Gepräge erhielt. Gegen Ende der Sechzigerjahre mündete der Franchise-Boom in den USA in eine Krise3. Die Gründungswelle ausnutzend, traten auch unseriöse Franchisegeber auf. Der Missbrauch der Idee des Franchisings führte zu einem nachhaltigen Imageverlust. Dies führte in den USA auf Bundesebene und auf der Ebene einzelner Bundesstaaten zu dem Erlass gesetzlicher Bestimmungen. 165
Nachdem die Krise überwunden war, erlebte Franchising in den USA seit etwa 1970 eine weitere Expansion4. Von 1970 bis 1977 verdoppelte sich die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Branche. Im Jahre 1988 setzten in den USA rund 3.000 Franchisegeber mit 500.000 Systembetrieben rund 640 Mrd. US-Dollar um. Das bedeutet, dass rund ein Drittel der Einzelhandels- und Dienstleistungswertschöpfung durch Unternehmen erwirtschaftet wurden, die in Franchisesystemen tätig waren5. Bis zum Jahr 2014 war die Zahl der Systembetriebe in den USA bereits auf knapp 770.000 angewachsen und jeder 10. Arbeitsplatz war in einem Unternehmen der Franchise-Wirtschaft angesiedelt. Mehr als die Hälfte dieser Systembetriebe wurde 2014 von Multi-Unit-Franchisenehmern betrieben, was einen erheblichen Unterschied zu der Situation in Deutschland darstellt, wo Multi-Unit-Franchising (auch in Form des Markenfranchise) eine deutlich geringere Rolle spielt. In den USA betrieb in 2014 der durchschnittliche Multi-Unit-Franchisenehmer fünf Systembetriebe.
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In Europa entwickelten sich Franchisesysteme zunächst in Frankreich6. Die Firma Lainière de Roubaix vertrieb seit 1928 Wolle und Strümpfe unter der Marke Pingouin Stemm im Wege eines Franchisesystems. Einige Jahre später erfolgte der Vertrieb der Marke Rodier für Damen- und Herrenbekleidung ebenfalls durch ein dem Franchising zuzuordnendes Vertriebsnetz7. Von diesen Ausnahmen abgesehen begann die Verbreitung des Franchising in Europa erst nach 1960. Seit Beginn der 70ger Jahre fassten in Europa neben den hier entstandenen Franchisesystemen zunehmend auch amerikanische Systeme Fuß und verstärkten die Entwicklung8. Führend im Franchising waren in Europa von Anfang an England und Frankreich mit einer großen Zahl von dort entstandenen Systemen9. Im Jahre 1988 waren nach Angaben der European Franchise Federation rund 1.900 Franchisesysteme mit rund 98.000 Franchisenehmern auf dem Markt vertreten, die rund 77 Mrd. DM umsetzten10.
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In Deutschland hat Franchising im Vergleich zu den meisten anderen westeuropäischen Ländern sehr spät an Bedeutung gewonnen11. Die Entwicklung begann Ende der 60ger Jahre, als sich die Vertriebssysteme Nordsee (Fischrestaurants), Ihr Platz (Drogeriemärkte) und OBI (Heimwerkermärkte) des Franchisings für eine schnelle Ex1 Höpfner, S. 6. 2 Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 4. 3 Skaupy, Franchising, S. 169 ff.; Schultheß, S. 59; Martinek, Franchising, S. 49 ff.; Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 6. 4 Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 7; Tietz/Mathieu, S. 27 f. 5 Höpfner, S. 6. 6 Höpfner, S. 6 f. 7 Tietz, S. 8. 8 Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 8. 9 Tietz/Mathieu, S. 52 f.; Martinek, Franchising, S. 70 ff. 10 Höpfner, S. 7 f. 11 Köhler, NJW 1990, 1689; Skaupy, DB 1982, 2446; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 3.
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Franchisevertrag
Rz. 170 Teil G
pansion bedienten1. Einen „Franchise-Boom“ gab es in Deutschland allerdings nicht. Die Zeit zwischen 1970 und 1985 ist eher von einem kontinuierlichen Wachstum der Branche geprägt. Die Zahl der Systeme stieg von 40 auf mehr als 200 an. Mitte der 1980ger Jahre änderte sich das Bild. Seitdem ist in Deutschland ein schnellerer Anstieg des Franchisings zu verzeichnen2. Ende der 1980ger Jahre wurden in den alten Bundesländern im Durchschnitt täglich drei Franchisebetriebe eröffnet3. Mitursächlich für die schnell steigende Zahl von Franchisenehmern war seit Anfang der 1990ger Jahre auch die deutsche Wiedervereinigung, wobei Franchising in den neuen Bundesländern anfangs auf spezifische Schwierigkeiten gestoßen ist4. In dieser Zeit sind vor allem die im Markt etablierten Systeme gewachsen, d.h. es war eine geringere Entstehung neuer Franchisesysteme zu verzeichnen. Im Jahre 1999 gab es in Deutschland nach Angaben der Bundesregierung5 720 Franchisesysteme mit rund 330.000 Mitarbeitern, die insgesamt 38 Mrd. DM umsetzten. Im Jahr 2014 waren nach den Angaben des Deutschen Franchise Verbandes (DFV) in 1.075 Franchisesystemen 72.384 Franchisenehmer tätig, die zusammengerechnet über 541.000 Arbeitsplätze geschaffen hatten.
II. Völker- und europarechtliche Regelungen 1. Modellgesetz über die Offenlegung beim Franchising Das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) hat im Jahre 2002 ein Modellgesetz über die Offenlegungspflichten beim Franchising herausgegeben (UNIDROIT Model Franchise Disclosure Law)6.
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a) Rechtlicher und wirtschaftlicher Hintergrund Diese Initiative ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es weltweit immer wieder zu einer falschen vorvertraglichen Aufklärung von Franchisenehmern kommt7. Die Gefahr unvollständiger, unrichtiger oder irreführender Angaben ist offenbar hoch. Im Regelfall steht bei der Vertragsunterzeichnung ein unerfahrener Existenzgründer einem erfahrenen Franchisegeber gegenüber. Allein der Franchisegeber ist anhand seiner bisherigen Erfahrungen in der Lage, zuverlässige Angaben über das Franchisesystem zu machen. Der Franchisenehmer muss sich deshalb bei seiner Investitionsentscheidung überwiegend auf die vorvertraglichen Angaben des Franchisegebers verlassen8.
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Der internationale Vergleich zeigt, dass vor diesem Hintergrund in einigen Ländern gesetzliche Offenbarungspflichten (Disclosure Requirements) geschaffen wurden. In Frankreich ist der Franchisegeber auf der Grundlage des sog. Loi Doubin vom 31.12. 1989 in Verbindung mit dem dazu ergangenen Aufklärungsdekret verpflichtet, demjenigen, mit dem er über die Erteilung einer Franchise verhandelt, eine sog. Offenlegungsschrift zu überreichen9. Die französische Regelung bringt beiden Vertragspart-
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Vgl. Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 9. Giesler, Franchiseverträge, Rz. 3; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 1. Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 9. Vgl. dazu Martinek in Martinek/Semler, § 18 Rz. 12 f. BT-Drucks. 14/6866, 1. UNIDROIT Model Franchise Disclosure Law, Rom 2004, abgedr. in Englisch und Französisch mit Explanatory Report in Unif. L. Rev. 2002, 1060 ff. (1076 ff.). 7 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Giesler, Franchiseverträge, Rz. 200 ff.; OLG München v. 13.11.1987 – 8 U 2207/87, BB 1988, 865 ff.; OLG München v. 16.9.1993 – 6 U 5495/92, NJW 1994, 667 ff.; OLG Hamburg v. 17.4.1996 – 5 U 137/95 unveröff.; LG München I v. 31.7.2001 – 4 0 21319, unveröff.; OLG München v. 24.4.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 ff. 8 Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 2. 9 Zu der französischen Regelung Gast/Erdmann, RIB 1997, 822 ff.; vgl. dazu auch Giesler, ZIP 1999, 2131 (2134) mit Fn. 47.
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Teil G Rz. 171
Distributionsgeschäfte
nern Vorteile. Der französische Franchisegeber hat aufgrund des Loi Doubin eine Checkliste mit den Angaben, die er fehlerfrei und unmissverständlich niederlegen muss, um seine Haftung mit hoher Sicherheit zu vermeiden1. Ähnlich ist die Rechtslage in Spanien. Dort enthält das Gesetz Nr. 2 vom 15.1.1996 eine Regelung, welche dem französischen Recht sehr ähnlich ist2. In den USA bestehen einerseits Regelungen auf der Ebene einzelner Bundesstaaten und andererseits die „Disclosure Requirements and Prohibitions concerning Franchising and Business Opportunity Ventures“ der Federal Trade Commission (FTC)3. Dieses Regelwerk gilt in den USA für alle Rechtsgeschäfte, die im zwischenstaatlichen Handel abgeschlossen werden. Regelungen für Rechtsgeschäfte innerhalb eines Bundesstaates zu schaffen ist eine Aufgabe der Gesetzgebung dieses Bundesstaates. Hiervon haben 12 der 14 Staaten, in denen Gesetze zur Ausgestaltung des Franchiserechts bestehen, Gebrauch gemacht. Die Erfahrungen mit den Disclosure Requirements sind außerordentlich gut. Allerdings ist auch festzustellen, dass ein Teil der Existenzgründer die vorvertraglichen Informationen nicht liest, nicht versteht oder wirtschaftliche Zwänge dazu führen, dass aufkommende Bedenken beiseite geschoben werden4. In Italien regelt das Gesetz vom 6.5.2004 Nr. 129 nicht nur Offenlegungspflichten, sondern auch schuldrechtliche Aspekte5. b) Geschichte des Modellgesetzes 171
Das Modellgesetz von UNIDROIT geht zurück auf einen Vorschlag der kanadischen Vertreter aus dem Jahre 1985. Die lange Entwicklungszeit ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich Franchising in Europa damals noch in einer frühen Phase befand. In späteren Jahren leisteten die Franchisegeber und ihre Interessenvertreter Widerstand gegen die Einführung einer internationalen Regelung zu den Aufklärungserfordernissen6.
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Im Jahre 1993 konnte ein Durchbruch erzielt werden, indem innerhalb von UNIDROIT eine Studiengruppe zum Thema Franchising eingerichtete wurde, die zu dem Ergebnis gelangte, dass ein Bedarf für ein Modellgesetz bestand. Das erste Ergebnis der Studiengruppe war die Veröffentlichung des UNIDROIT Guide to International Master Franchise Arrangements, welcher im Jahre 1998 erschien. In der gleichen Sitzung des Rates von UNIDROIT wurde die Schaffung des Modellgesetzes beschlossen. c) Inhalt des Modellgesetzes
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Das Modellgesetz enthält in Art. 2 verschiedene Definitionen, darunter die Begriffe „Franchise, Franchisegeber, Franchisenehmer und Masterfranchise“. Art. 3 und Art. 4 des Modellgesetzes sehen vor, dass der Franchisegeber dem zukünftigen Franchisenehmer spätestens 14 Tage vor der Unterzeichnung des Franchisevertrages oder der Zahlung einer ersten Gebühr ein schriftliches Aufklärungsdokument (disclosure document) aushändigen muss.
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Gemäß Art. 6 des Modellgesetzes hat sich die Aufklärung u.a. auf folgende Umstände zu erstrecken: – Firma, Rechtsform, Sitz und Anschrift des Franchisegebers, – Beschreibung der Geschäftserfahrung des Franchisegebers einschließlich der Zeitdauer während welcher der Franchisegeber selbst einen Betrieb nach den Vorgaben des Franchisesystems geführt hat und der Zeitdauer, während welcher der Franchisegeber bereits Franchisen dieser Art vergibt, 1 2 3 4 5 6
Haibt/Siemens, RIW 2000, 597 (599). Giesler, ZIP 1999, 2131 (2134). Vgl. dazu ausführlich Haibt/Siemens, RIW 2000, 597 (599); Stein-Wigger, S. 235 ff. Stein-Wigger, S. 244 f. Gesetz v. 6.5.2004 Nr. 129, Gazzetta Ufficiale Nr. 120 v. 24.5.2004. UNIDROIT, Model Franchise Disclosure Law, Rom 2004.
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Franchisevertrag
Rz. 178 Teil G
– alle maßgeblichen Details hinsichtlich strafrechtlicher Verurteilungen und zivilrechtlicher Haftung, die entweder mit Franchising in Verbindung stehen oder Taten wie Betrug betreffend und zwar hinsichtlich der Person des Franchisegebers, aller seiner Tochtergesellschaften, die in der Franchisebranche tätig sind sowie hinsichtlich aller Personen, die in leitender Funktion tätig sind, – die Zahl der vorhandenen Franchisenehmer, – die Namen, Geschäftsanschriften und Telefonnummern der Franchisenehmer, deren Franchisebetriebe räumlich an nächsten zu dem geplanten Outlet des zukünftigen Franchisenehmers liegen, in jedem Fall nicht mehr als 50 Adressen, – Informationen über diejenigen Franchisenehmer, die innerhalb der letzten 3 Steuerjahre (vor dem Jahr, in welchem der zukünftige Franchisenehmer den Franchisevertrag unterschreibt) aufgegeben haben mit einer Erläuterung über den Grund der Geschäftsaufgabe, – Informationen über die geistigen und gewerblichen Schutzrechte, welche der Franchise zugrunde liegen, insbesondere Marken, Patente und Urheberrechte, insbesondere Registrierung und etwaige Rechtsstreite oder andere rechtliche Auseinandersetzungen hinsichtlich dieser Schutzrechte, – Informationen über die Waren und/oder Dienstleitungen, welche der Franchisenehmer erwerben oder beziehen soll, – Finanzinformationen einschließlich einer Schätzung der notwendigen Gesamtinvestition des Franchisenehmers, von dem Franchisegeber angebotene oder vermittelte Finanzierungsmöglichkeiten und testierte oder anderweitig durch Dritte bestätigte Angaben über Gewinn und Verlust für die ersten drei Geschäftsjahre. Ebenfalls in Art. 6 des Modellgesetzes ist geregelt, dass die Finanzinformationen aus zurückliegenden Betrachtungszeiträumen oder aus Hochrechnungen und aus Prognosen stets eine sachliche Grundlage haben müssen. Es muss erkennbar sein, ob diese Informationen aus Eigenbetrieben oder aus Franchisebetrieben gewonnen wurden. Schließlich muss dargelegt werden, wie viel Prozent aller Betriebe diese Zahlen erreicht oder überschreitet.
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Art. 6 des Modellgesetzes enthält außerdem eine Aufzählung von zusätzlichen Aufklärungsbereichen, die nicht zwingend in dem Aufklärungsdokument enthalten sein müssen, sondern in dem Franchisevertrag niedergelegt sein können. In letztem Fall muss das Aufklärungsdokument allerdings auf die genaue Regelung in dem Franchisevertrag verweisen. Dies ist sinnvoll, weil diese Fragen regelmäßig in Franchiseverträgen geregelt sind und damit unnötige Wiederholungen vermieden werden.
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In Art. 5 des Modellgesetzes sind Ausnahmen von der Aufklärungspflicht enthalten. Danach ist eine Aufklärung u.a. nicht notwendig, wenn der Franchisenehmer innerhalb der letzten 6 Monate als Organ (Geschäftsführer) des Franchisegebers tätig gewesen ist oder wenn es sich um einen Fall der Übertragung einer bestehenden Franchise (Eintritt in einen laufenden Franchisevertrag) handelt. Des Weiteren enthält Art. 5 des Modellgesetzes Ausnahmen für Fälle, in denen Bestimmte Investitions- oder Gebührenschwellen nicht überschritten werden.
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d) Rechtsfolgen Art. 8 des Modellgesetzes regelt die Rechtsfolgen. Danach ist der Franchisenehmer innerhalb bestimmter Fristen zur Beendigung bzw. Kündigung (Termination) des Franchisevertrages berechtigt, wenn der Franchisegeber das Aufklärungsdokument nicht oder fehlerhaft ausstellt. Die Beendigungsfrist endet spätestens 3 Jahre nach der Handlung oder Unterlassung, welche der Aufklärungspflichtverletzung zugrunde liegt oder ein Jahr nachdem der Franchisenehmer von Umständen Kenntnis erlangt, aus denen
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178
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geschlossen werden kann, dass das Beendigungsrecht besteht oder 90 Tage nachdem der Franchisegeber diesen Verstoß schriftlich eingeräumt und zutreffende Informationen gegeben hat. 179
Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist das Modellgesetz für die Franchisenehmer nicht unproblematisch1. Mit einem bloßen Beendigungs- oder Kündigungsrecht ist einem unrichtig aufgeklärten Franchisenehmer in der Praxis nicht gedient. Vielmehr trägt das Beendigungs- oder Kündigungsrecht dazu bei, dass seine Investition „erst recht“ verloren ist. Kündigt der Franchisenehmer den Franchisevertrag vorzeitig, ist je nach der Vertragsgestaltung nicht einmal sichergestellt, dass er die Eintrittsgebühr zurückverlangen kann2. Nach einer im Franchising verbreiteten Vertragsgestaltung stellt die Eintrittsgebühr nämlich die Gegenleistung des Franchisenehmers für die Leistungen des Franchisegebers vor Betriebseröffnung dar3. Eine Beendigung des Franchisevertrages nach diesem Zeitpunkt bedeutet dann, dass der Franchisegeber die Eintrittsgebühr nicht zurückzahlen muss4. 2. Europäisches Kartellrecht a) Einleitung
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Gemäß Art. 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken (Art. 101 Abs. 1 AEUV). Die nach den vorgenannten Kriterien verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig (Art. 101 Abs. 2 AEUV). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Bestimmungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgrund einer Einzeloder Gruppenfreistellung für nicht anwendbar erklärt werden (Art. 101 Abs. 3 AEUV).
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Neben Art. 101 AEUV kann bei der Beurteilung eines Franchisevertrages nach europäischem Kartellrecht Art. 102 AEUV von Bedeutung sein. Nach dieser Vorschrift ist mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (Art. 102 Satz 1 AEUV). Der Missbrauch kann insbesondere in der Erzwingung unangemessener Preise, der Einschränkung des Absatzes zum Schaden der Verbraucher und der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen bestehen. b) Anwendbarkeit von Art. 101, 102 AEUV
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Wenn festgestellt werden soll, ob ein Franchisevertrag mit den Regeln des europäischen Kartellrechts vereinbart ist, ist in einem ersten Schritt der Anwendungsbereich der Vorschriften abzugrenzen (Zwischenstaatlichkeit). Denn eine Vereinbarung, die über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinweg geschlossen wird, führt nicht automatisch zur Anwendung des europäischen Kartellrechts. Umgekehrt können Art. 101, 102 AEUV selbst dann anwendbar sein, wenn sich die Wirkungen einer Vereinbarung 1 Vgl. dazu auch Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 63. 2 Vgl. dazu ausführlich Giesler, Franchiseverträge, Rz. 272 ff.; Giesler in dona scripta, FS Dahs, S. 405 (410 f.). 3 Vgl. die empfohlene Vertragsklausel bei Giesler, Franchiseverträge, Rz. 329. 4 Vgl. zu der entgegengesetzten Vertragsgestaltung OLG Frankfurt v. 2.11.1994 – 13 U 168/93, NJW-RR 1995, 1395 ff.
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Franchisevertrag
Rz. 183 Teil G
auf das Gebiet eines Mitgliedstaates beschränken. Mit der aus dem Wortlaut von Art. 101 Abs. 1 AEUV ablesbaren Einschränkung, dass die in Rede stehenden Vereinbarungen oder Beschlüsse den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sein müssen, greift Art. 101 Abs. 1 AEUV lediglich die dem primären Unionsrecht ohnehin zugrunde liegende Beschränkung auf, wonach das Unionsrecht nicht für rein nationale Sachverhalte gilt. Diesen Grundsatz konkretisiert die sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 101 Abs. 1 AEUV1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt, wenn eine Maßnahme unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann2. Diese verhältnismäßig breit gefasste Formulierung lässt sich in der Praxis besser handhaben, wenn man eine – im Folgenden sogleich darzustellende – zweigliedrige Prüfung vornimmt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission auch zum Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Leitlinien bekannt gemacht, die die Prüfung der Zwischenstaatlichkeitsklausel erleichtern sollen (im Folgenden: ZwischenstaatlichkeitsLeitlinien)3. Mit diesen Leitlinien versucht die Kommission u.a., die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts Erster Instanz auszuwerten und in einer Art Prüfkatalog zusammenzufassen. Unabhängig von diesen generellen Abgrenzungskriterien hat der EuGH in dem Pronuptia-Urteil4 deutlich gemacht, dass bestimmte Beschränkungen des Warenbezugs oder andere Beschränkungen nicht unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV (vormals Art. 81 Abs. 1 EGV) fallen, wenn Sie zum Schutz des Know-how, der Identität und des Namens der Vertriebsorganisation unerlässlich sind. Wenn die Vereinbarungen bestimmte materielle Kriterien erfüllen, muss die Frage einer eventuellen Freistellungsmöglichkeit nach Art. 101 Abs. 3 AEUV gar nicht mehr gestellt werden. Das Urteil ist noch vor Erlass der ersten Gruppenfreistellungsverordnung für Franchisevereinbarungen, der Franchise-GVO5, ergangen. Deswegen sind die dort aufgestellten Grundsätze auch nach Aufhebung der Franchise-GVO und nach Erlass der Vertikal-GVO weiter gültig. Streng genommen betrifft das „Pronuptia“-Urteil nur Fälle des Warenfranchisings, bei denen sich nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs der Franchisenehmer auf den Verkauf bestimmter Waren in einem Geschäft mit der Geschäftsbezeichnung des Franchisegebers beschränkt. Davon grenzt der Europäische Gerichtshof als zweiten Typus das Produktionsfranchising ab, bei dem der Franchisenehmer nach den Anweisungen des Franchisegebers selbst Waren herstellt, die er unter dessen Warenzeichen verkauft. Einen dritten Typus schließlich erkennt der Europäische Gerichtshof im Dienstleistungsfranchising, bei dem der Franchisenehmer eine Dienstleistung unter der Geschäftsbezeichnung in Wort oder Bild, dem Handelsnamen oder auch dem Warenzeichen des Franchisegebers oder in Übereinstimmung mit dessen Richtlinien anbietet.
1 Vgl. dazu Hengst in Langen/Bunte, KartR (12. Aufl.), Bd. 2, Art. 101 AEUV Rz. 288 ff. 2 EuGH, Urt. v. 13.7.1966 – Rs. 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322, 389 („Consten und Grundig“); EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-219/95 P, Slg. 1997, I-4411, 4412 („Ferrière Nord“); zum Ganzen Hengst in Langen/Bunte, KartR (12. Aufl.), Bd. 2, Art. 101 AEUV Rz. 298. 3 Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrags (2004/C 101/07), ABl. 2004 C 101, S. 81. 4 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/840, Slg. 1986, 353 = ZIP 1986, 329 ff. = NJW 1986, 1415 – Pronuptia. 5 Verordnung (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission über die Anwendung von Art. 85 Abs. 2 des Vertrages auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. 1988, L 359, S. 46.
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Teil G Rz. 184
Distributionsgeschäfte
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Bis zum Erlass der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (im Folgenden: Vertikal-GVO)1 konnte sich die Prüfung, ob eine Franchisevereinbarung nach Art. 81 EGV (heute Art. 101 AEUV) zulässig ist oder nicht, weitgehend an der Franchise-GVO2 orientieren. Die Franchise-GVO enthielt Kataloge von schwarzen, grauen und weißen Klauseln3. In diesen Klauseln spiegelte sich das vor Inkrafttreten der Franchise-GVO ergangene Pronuptia-Urteil wieder. Für die Praxis konnte man sich daher vereinfachend an den Vorgaben der Franchise-GVO orientieren. Wenn eine Franchisevereinbarung, vereinfachend gesagt, keine schwarzen Klauseln enthielt, die Bedingungen der grauen Klauseln einhielt und im Übrigen nur weiße Klauseln umfasste, dann war grundsätzlich kein Verstoß gegen den damaligen Art. 81 EGV zu befürchten. Dies wurde als „Zwangsjacken-Effekt“ bezeichnet4.
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Die heute maßgebliche Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 330/2010 (im Folgenden: Vertikal-GVO)5 verfolgt ein anderes Konzept. Sie stellt grundsätzlich alle vertikalen Vereinbarungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV frei. Im Übrigen regelt die Vertikal-GVO nur noch die Bestimmungen, die nicht unter die Gruppenfreistellung fallen. Dem Grundsatz nach folgt daher die Vertikal-GVO dem Ansatz, den betroffenen Unternehmen nur vorzugeben, welche Klauseln unzulässig sind und somit einen größeren Gestaltungsspielraum als unter der Franchise-GVO einzuräumen. Damit rückt die Prüfung, ob eine Vereinbarung überhaupt unter Art. 101 AEUV fällt, stärker in den Vordergrund.
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Wie bereits zu der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen Nr. 2790/1999 hat die Kommission nach Erlass der Vertikal-GVO sog. Leitlinien für vertikale Beschränkungen bekannt gemacht (im Folgenden: Vertikal-Leitlinien)6. Die Vertikal-Leitlinien sind umfangreich und sollen die Anwendung der Vertikal-GVO erleichtern. Unmittelbare Rechtswirkungen haben sie allerdings nicht. Sie können, wie ihr Name schon sagt, in einfach gelagerten Fällen der Prüfung dienen, ob eine Vertragsbestimmung oder ein Klauselwerk unter die Vertikal-GVO fällt oder nicht. Für die Kommission führen sie allerdings zu einer Selbstbindung, von der sie nicht ohne Angabe von Gründen abweichen darf, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind7. aa) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten
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Mit der Einschränkung, dass die in Rede stehenden Vereinbarungen oder Beschlüsse den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sein müssen, greift Art. 101 Abs. 1 AEUV lediglich die dem primären Gemeinschaftsrecht ohnehin zugrunde liegende Beschränkung auf, wonach das Gemeinschaftsrecht nicht für rein na1 Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission v. 22.12.1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, ABl. EG Nr. L 336 v. 29.12.1999, S. 21. 2 Verordnung (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission v. 30.11.1988 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EG Nr. L 359 v. 18.12.1988, S. 46. 3 Vgl. Bechtold, EWS 2001, 49; auch Bräutigam, RIW 1997, 470 (472 f.). 4 Grünbuch zur EGV Wettbewerbspolidik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM (96) 721, Tz. 37; dazu auch Bechtold, EWS 2001, 49 f.; Metzlaff, BB 2000, 1201 f. 5 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission v. 20.4.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 2010, L 102, S. 1. 6 Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1. 7 EuGH, Urt. v. 28.6.2005 – Rs. C-198/02 P u.a., Slg. 2005, I-5488, 5565 („Dansk Rørindustri/Kommission“); Bunte in Langen/Bunte, KartR (12. Aufl.), Bd. 1, Einl Rz. 136.
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Franchisevertrag
Rz. 191 Teil G
tionale Sachverhalte gilt. Diesen Grundsatz konkretisiert die sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 101 Abs. 1 AEUV1. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sind die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt, wenn eine Maßnahme unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann2. Diese Prüfung lässt sich in der Praxis besser durchführen, wenn man in zwei Schritten vorgeht. Der erste Schritt besteht in der Feststellung, ob überhaupt der Handel zwischen Mitgliedstaaten betroffen ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn die in Rede stehende Vereinbarung eine „Außenwirkung“ auf den zwischenstaatlichen Handel entfalten kann3. Eine Außenwirkung liegt in aller Regel immer vor, wenn Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten an den Vereinbarungen beteiligt sind. Es kann aber auch ausreichen, wenn die Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen ein- und desselben Mitgliedstaates geschlossen wird, sich aber auf das gesamte Gebiet des Mitgliedstaates bezieht4.
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Der zweite Schritt bei Prüfung der Zwischenstaatlichkeitsklausel liegt in der Feststellung, dass die Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten ausreicht. Notwendig und hinreichend für die Eignung ist, dass eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten festgestellt wird. Eine Gefahr besteht, wenn die Beeinträchtigung des Handels mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist5.
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bb) Bagatellbekanntmachung Eine wichtige Hilfestellung bei der Eingrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 101 Abs. 1 AEUV ist die sog. Bagatellbekanntmachung (de minimis) der Europäischen Kommission6. Die Bagatellbekanntmachung ist erarbeitet worden, um das Kriterium der „Spürbarkeit“ auszufüllen und zu konkretisieren, das der EuGH in seiner Rechtsprechung7 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zur Begrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 101 AEUV entwickelt hat (vgl. Ziff. I. 2, 3 Bagatellbekanntmachung). Der EuGH selbst hat es bisher vermieden, das von ihm entwickelte Merkmal der Spürbarkeit zu quantifizieren und feste Schwellenwerte zu nennen8. Solange der Europäische Gerichtshof der Kommission keine verbindlichen und den Festlegungen der de minimis-Bekanntmachung widersprechenden Vorgaben macht, kann davon ausgegangen werden, dass die Europäische Kommission bei im Sinne der de minimis-Bekanntmachung nicht spürbaren Beeinträchtigungen nicht einschreitet.
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Nach Ziff. II. 8 de minimis-Bekanntmachung fallen Vereinbarungen zwischen Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb auf die Erzeugung oder den Absatz von Waren oder auf
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1 Vgl. dazu Bunte in Langen/Bunte, Art. 81 Rz. 117. 2 EuGH v. 13.7.1966 – Rs. 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322, 389 – Consten und Grundig; EuGH v. 17.7.1997 – Rs. C-219/95 P, Slg. I-1997, 4411, 4412 – Ferrière Nord; zum Ganzen Bunte in Langen/ Bunte, KartR, Art. 81 Rz. 120. 3 Vgl. dazu Gleiss/Hirsch, EWG-Kartellrecht, Art. 85 Rz. 90; Epp, S. 217. 4 Vgl. dazu EuGH v. 9.7.1992 – Rs. T-66/89, Slg. 1992 II-1995, 1998 ff. Rz. 57 – Publisher’s Association. 5 Zurückhaltender jüngst EuGH v. 21.1.1999 – verb. Rs. C-215/9 und C-216/96, Slg. 1999 I-135, 161, 175 – Carlo Bagnasco. 6 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht spürbar beschränken (de minimis) (C(2014) 4136 final). 7 Vgl. bspw. EuGH v. 12.9.2000 – Verb. Rs. C-180–184/98, Slg. 2000 I-6451, Rz. 73–77 – Pavlov u.a.; EuGH v. 9.11.1983 – Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461, 3501 ff. Rz. 103 – Michelin. 8 Vgl. Bunte in Langen/Bunte, Art. 81 Rz. 124.
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Teil G Rz. 192
Distributionsgeschäfte
die Erbringung von Dienstleistungen gerichtet ist, nicht unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn die von allen beteiligten Unternehmen insgesamt gehaltenen Marktanteile auf keinem der betroffenen Märkte – eine Schwelle von 10 % überschreiten, soweit es sich um eine horizontale Vereinbarung handelt, genauer um eine Vereinbarung zwischen Wettbewerbern, – eine Schwelle von 15 % überschreiten, sofern es sich um eine vertikale Vereinbarung handelt, genauer um eine Vereinbarung zwischen Nichtwettbewerbern. Im Fall einer gemischten Vereinbarung oder bei Schwierigkeiten, die Vereinbarung einzustufen, ist die Schwelle von 10 % maßgebend. Im Hinblick auf Franchiseverträge wird in aller Regel davon auszugehen sein, dass es sich um vertikale Vereinbarungen handelt, also in der Regel um eine Vereinbarung zwischen Nichtwettbewerbern1. Beträgt in einem solchen Fall der Marktanteil aller beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt nicht mehr als 15 %, dann würde eine den Wettbewerb beeinträchtigende Vereinbarung von der Europäischen Kommission nicht als Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verfolgt (vgl. Ziff. I. 5. de minimis-Bekanntmachung). Dies kann allerdings nur als Faustregel dienen, weil speziell in Fällen von dualen Systemen nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Franchisegeber und die Franchisenehmer zumindest als potentielle Wettbewerber zu betrachten sind. In diesen Fällen gilt dann die niedrigere Schwelle von 10 %, um in den Anwendungsbereich der de minimis-Bekanntmachung zu gelangen. 192
Die grundsätzlich quantitativen Kriterien der Bagatellbekanntmachung werden in Ziff. II. 11. Bagatellbekanntmachung ihrerseits in qualitativer Hinsicht wieder eingeschränkt. Nach dieser Ziffer lässt sich die Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV nämlich selbst bei Nichterreichung der soeben genannten Marktanteilsschwellen nicht ausschließen, wenn bestimmte, besonders schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen vereinbart werden. Bei vertikalen Vereinbarungen liegt eine besonders schwere Wettbewerbsbeeinträchtigung vor, wenn eine Vereinbarung bezweckt die Wiederverkaufspreise festzusetzen oder beteiligten oder dritten Unternehmen Gebietsschutz zu gewähren. Das Vorliegen einer dieser schwer wiegenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen bedeutet jedoch nicht automatisch, dass das Spürbarkeitskriterium erfüllt ist. Es kann dann lediglich nicht anhand der quantitativen Kriterien aus der Bagatellbekanntmachung verneint werden2. Bei Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern liegt eine besonders schwere Wettbewerbsbeeinträchtigung vor, wenn eine Vereinbarung bezweckt, – die Wiederverkaufspreise festzusetzen; oder – dem Käufer Gebiets- oder Kundenkreisbeschränkungen aufzuerlegen; allerdings liegt in diesem Fall eine Kernbeschränkung nicht vor, wenn der aktive Verkauf in Gebiete oder an Kunden beschränkt wird, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Käufer zugewiesen hat, der Käufer auf der Großhandelsstufe tätig ist und er hinsichtlich des Verkaufs an Endnutzer beschränkt wird, Beschränkungen des Verkaufs an nicht zugelassene Händler im Rahmen selektiver Vertriebssysteme auferlegt werden oder die Beschränkungen Bestandteile von Erzeugnissen betreffen, die vom Käufer und Wettbewerber des Lieferanten geliefert werden sollen; oder – den aktiven oder passiven Verkauf an Endverbraucher zu beschränken, soweit diese Beschränkungen den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind, oder – Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb eines selektiven Vertriebssystems zu beschränken, oder 1 Vgl. auch Beuthien, BB 1993, 77; Bräutigam, RIW 1997, 470, 471; Metzlaff, BB 2000, 1201 (1203); Fritzemeyer, BB 2002, 1698 (1699). 2 Giesler, Franchiseverträge, Rz. 20; Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 22.
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Rz. 195 Teil G
– den Lieferanten von Bestandteilen beim Verkauf an Dritte zu beschränken, die der Käufer nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner eigenen Erzeugnisse betraut hat. Eine besondere Behandlung erfahren nach Ziff. III. Bagatellbekanntmachung kleinere oder mittlere Unternehmen (KMU), wie sie im Anhang zu der Empfehlung 96/280/EGW der Kommission1 definiert werden. Dies sind Unternehmen, die erstens weniger als 250 Personen beschäftigen und zweitens einen Jahresumsatz von höchstens 40 Mio. Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchsten 27 Mio. Euro haben. Drittens müssen die Unternehmen unabhängig im Sinne der Empfehlung sein, d.h. grundsätzlich zu weniger als 25 %, wenn überhaupt, im Besitz von anderen Unternehmen stehen. Gegen diese Unternehmen wird die Europäische Kommission nach den Aussagen in der Bagatellbekanntmachung selbst dann nicht einschreiten, wenn die Marktanteilsschwellen überschritten werden. Eine Ausnahme bilden selbstverständlich wieder die schwer wiegenden Beeinträchtigungen im Sinne von Ziff. II. 11. Bagatellbekanntmachung, bei Franchiseverträgen also die Vereinbarungen wie bspw. die Festsetzung von Wiederverkaufspreisen oder die Einräumung von Gebietsschutz.
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Zur Berechnung der Marktanteile ist der relevante Markt zu bestimmen. Auch hierzu hat die Kommission in der sog. Marktabgrenzungs-Bekanntmachung2 bestimmte Prinzipien aufgestellt. Zu unterscheiden ist der sachlich und der geografisch relevante Markt. Der sachlich relevante Markt wird vom Grundsatz her danach abgegrenzt, welche Waren oder Leistungen aus Sicht des Verbrauchers als austauschbar angesehen werden3. Der geografisch relevante Markt bestimmt sich danach, wo die beteiligten Unternehmen die gegeneinander austauschbaren Leistungen oder Waren anbieten und auf im Großen und Ganzen dieselben objektiven Wettbewerbsbedingungen stoßen4. Hinzuweisen ist auf die ebenfalls in der Rechtsprechung des EuGH entwickelte Bündeltheorie5. Die Bündeltheorie besagt, dass eine für sich genommene nicht spürbare Beeinträchtigung, die von einer Einzelvereinbarung ausgeht, gleichwohl dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfällt, wenn sie Teil eines aus einer Vielzahl vergleichbarer Einzelvereinbarungen bestehenden Vertragswerkes ist. Auf die Aussagen der Bündeltheorie ist im Rahmen von Franchisesystemen besonderes Augenmerk zu richten, wenn das Franchisesystem eine Reihe von Vertragspartnern umfasst, die mit im Großen und Ganzen vergleichbaren Verträgen oder gar Musterverträgen in das Franchisesystem eingebunden werden.
194
cc) Nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallende Klauseln Ein Konflikt der Klauseln in einem Franchisevertrag mit Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt in bestimmten Fällen nicht vor, obwohl die entsprechenden Klauseln dem ersten Anschein nach unter die Beispielstatbestände in Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Der EuGH hat in dem Pronuptia-Urteil6 zum Verhältnis zwischen Franchiseverträgen und dem damaligen Art. 81 EGV (heute Art. 101 AEUV) ausführlich Stellung genom1 ABl. EG Nr. L 107 v. 30.4.1996, S. 4. 2 Bekanntmachung der Kommission zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht, ABl. EG Nr. C 372 v. 9.12.1997, S. 5. 3 So schon EuGH v. 13.2.1979 – Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (515 ff.) – Hoffmann-La Roche, st. Praxis und Rechtsprechung. 4 So schon EuGH v. 14.2.1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (284) – United Brands, st. Praxis und Rechtsprechung. 5 Grundlegend EuGH v. 12.12.1967 – Rs. 23/67, Slg. 1967, 525 – Brasserie de Haecht; vgl. auch EuGH v. 28.2.1991 – Rs. C-234/89, Slg. 1991 I – 935 – Delimitis. 6 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 353 = ZIP 1986, 329 ff. = NJW 1986, 1415 – Pronuptia; dazu Bunte, NJW 1986, 1406; ausführlich Epp, 224 ff.
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195
Teil G Rz. 196
Distributionsgeschäfte
men. Das Urteil ist noch vor Erlass der Franchise-GVO1 ergangen. Deswegen sind die dort aufgestellten Grundsätze auch nach Erlass der Vertikal-GVO weiter gültig2. 196
Das Pronuptia-Urteil betrifft formal nur Fälle des Warenfranchisings3. Die Regeln dürften allerdings auch auf das Dienstleistungsfranchising übertragbar sein4.
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Nach dem Pronuptia-Urteil kann ein Franchisevertrag nicht abstrakt, sondern nur aufgrund der einzelnen Vertragsbestimmungen auf seine Vereinbarkeit mit Art 101 AEUV (damals Art. 81 Abs. 1 EGV) beurteilt werden5.
198
Der EuGH hat klargestellt, dass ein Franchisevertrag, der auf die wirtschaftliche Verwertung eines Wissensschatzes ohne Einsatz von eigenem Kapital gerichtet ist, zwei Gruppen von Klauseln enthalten kann, die von vornherein keine Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen6: Die erste Gruppe stellen Bestimmungen dar, die unerlässlich sind, um der Gefahr zu begegnen, dass das Knowhow des Franchisegebers und die für die Anwendung seiner Methoden erforderliche Unterstützung unmittelbar oder mittelbar Konkurrenten zugutekommen. Die zweite Gruppe besteht aus allen Bestimmungen, die unerlässlich sind, um zu kontrollieren, dass Identität und Namen der durch die Geschäftsbezeichnung symbolisierten Vertriebsorganisation geschützt werden.
199
Keine Wettbewerbsbeschränkung i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV stellen nach dieser Rechtsprechung die folgenden Bestimmungen dar7: – Die Verpflichtung des Franchisenehmers, die vom Franchisegeber entwickelten Geschäftsmethoden anzuwenden und das von diesem vermittelte Know-how einzusetzen; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, die Vertragswaren nur in dem nach den Anweisungen des Franchisegebers eingerichteten und ausgestatteten Ladengeschäft zu verkaufen, um ein einheitliches Erscheinungsbild zu gewährleisten, das bestimmten Anforderungen genügt; – das Verbot, wonach der Franchisenehmer die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag nicht ohne Zustimmung des Franchisegebers übertragen darf; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, nur Waren des Franchisegebers oder von diesem ausgewählter Lieferanten zu verkaufen, wenn sich anders nicht sicherstellen lässt, dass der Kunde bei jedem Franchisenehmer Waren in der gleichen Qualität vorfindet. Querlieferungen zwischen den Franchisenehmern dürfen allerdings nicht untersagt werden; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, für jede Werbung die Zustimmung des Franchisegebers einzuholen, soweit es dabei nur um die Art der Werbung geht.
200
Schließlich hat der EuGH klargestellt, dass der Franchisegeber den Franchisenehmern Richtpreise mitteilen darf, wenn nicht gleichzeitig zwischen dem Franchisegeber und den Franchisenehmern oder unter den Franchisenehmern eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise hinsichtlich der tatsächlichen Anwendung dieser Preise besteht8. 1 Verordnung (EWG) Nr. 4087/88 der Kommission über die Anwendung von Art. 85 Abs. 2 des Vertrages auf Gruppen von Franchisevereinbarungen, ABl. EG Nr. L 359 v. 18.12.1988, S. 46. 2 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 30. 3 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 380 f. Rz. 13 = ZIP 1986, 329 ff. = NJW 1986, 1415 – Pronuptia. 4 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 31. 5 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 381 Rz. 14. 6 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 380 f. Rz. 16 f. 7 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 380 f. Rz. 18 ff. 8 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 384 Rz. 25.
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Franchisevertrag
Rz. 204 Teil G
Demgegenüber hat der EuGH die folgenden Bestimmungen nicht als unerlässlich angesehen, mit der Folge, dass diese Bestimmungen nicht vornherein aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV heraus fallen1: Bestimmungen, welche die Märkte zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber oder unter den Franchisenehmern aufteilen und Bestimmungen, welche die Franchisenehmer daran hindern, sich einen Preiswettbewerb zu liefern.
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Die Kommission hat in den Vertikal-Leitlinien die Kriterien des Pronuptia-Urteils aufgenommen und insgesamt sieben Klauseln näher umschrieben, die sie für mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar hält2. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Klauseln: – Die Verpflichtung des Franchisenehmers, weder unmittelbar noch mittelbar in einem ähnlichen Geschäft tätig zu werden; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, keine Anteile am Kapital eines konkurrierenden Unternehmens zu erwerben, sofern dies dem Franchisenehmer ermöglichen würde, das geschäftliche Verhalten des Unternehmers zu beeinflussen; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, das vom Franchisegeber mitgeteilte Know-how nicht an Dritte weiterzugeben, solange dieses Know-how kein Gemeingut ist; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, dem Franchisegeber alle bei der Nutzung der Franchise gewonnenen Erfahrungen mitzuteilen und ihm sowie anderen Franchisenehmern die nichtausschließliche Nutzung des auf diesen Erfahrungen beruhenden Know-hows zu gestatten; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, dem Franchisegeber Verletzungen seiner Rechte an geistigem Eigentum mitzuteilen, für die er Lizenzen gewährt hat, gegen Rechtsverletzung selbst Klage zu erheben oder den Franchisegeber in einem Rechtsstreit gegen Verletzer zu unterstützen; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, das vom Franchisegeber mitgeteilte Know-how nicht für andere Zwecke als die Nutzung der Franchise zu verwenden; – die Verpflichtung des Franchisenehmers, Rechte und Pflichten aus der Franchisevereinbarung nur mit Erlaubnis des Franchisegebers auf Dritte zu übertragen.
202
Im Zusammenhang mit Vereinbarungen, die von vornherein nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, sind auch Selektivvertriebssysteme zu nennen. Denn der sog. qualitative Selektivvertrieb fällt von vornherein nicht unter das Verbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV3.
203
Zunächst ist auf die Definition des Selektivvertriebs in Art. 1 lit. d Vertikal-GVO zurückzugreifen. Nach dieser Vorschrift sind selektive Vertriebssysteme als Vertriebssysteme definiert, in denen sich der Lieferant verpflichtet, die Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die aufgrund festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich dieser Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die nicht zum Vertrieb zugelassen sind. Mischformen sind aber denkbar: So kann der Franchisegeber für eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Gebiet ein selektives Vertriebssystem aufbauen, gleichzeitig aber in einer anderen Region oder einem anderen Gebiet selbst an Endkunden verkaufen (sog. Dualdistribution)4. Insbesondere beim Vertrieb von Markenware oder bei Dienstleistungen, die unter einer
204
1 EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 161/84, Slg. 1986, 383 Rz. 23. 2 Vgl. Tz. 44 Vertikal-Leitlinien, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1. 3 Grundlegend EuGH v. 25.10.1977 – Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875 (1905 f.) Rz. 20 ff. – Metro I; auch EuGH v. 11.12.1980 – Rs. 31/80, Slg. 1980, 3775 (3790) Rz. 15 – L’Oréal; allgemein Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 20 Rz. 153 ff. 4 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 43.
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Teil G Rz. 205
Distributionsgeschäfte
bekannten Marke erbracht werden, kann mit dem Franchisevertrag ein qualitativer Selektivvertrieb verbunden sein1. Ist dies der Fall, dann verstoßen die der Erhaltung dieses Systems dienenden Klauseln des Franchisevertrages nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV. dd) Typischerweise unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallende Klauseln 205
Franchiseverträge enthalten regelmäßig eine Reihe von Klauseln, die wettbewerbsbeschränkenden Charakter haben und deswegen unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen können. Das Kartellverbot entfaltet seine Wirkung allerdings nur, soweit die betreffenden Bestimmungen nicht gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV entweder im Wege einer Gruppenfreistellung oder einer Einzelfreistellung freigestellt sind.
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Typischerweise verbunden mit einem Franchisevertrag sind Wettbewerbsbeschränkungen für den Franchisenehmer. Nach der Definition in Art. 1 lit. b Vertikal-GVO sind unter Wettbewerbsbeschränkungen (im weiteren Sinn) folgende Regelungen zu verstehen: – Alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Käufer veranlassen, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen im Wettbewerb stehen. – Alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen des Käufers, mehr als 80 % seiner auf der Grundlage des Einkaufswertes des vorherigen Kalenderjahres berechneten gesamten Einkäufe von Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen auf dem relevanten Markt vom Lieferanten oder einem anderen vom Lieferanten bezeichneten Unternehmen zu beziehen (Bezugsverpflichtungen).
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Gelegentlich anzutreffen sind darüber hinaus Wettbewerbsbeschränkungen, die dem Franchisegeber auferlegt werden. Diese Wettbewerbsbeschränkungen sind aufgrund der Definition in Art. 1 lit. d Vertikal-GVO von der Begriffsbildung nicht erfasst. Sie fallen unter die Gruppe der sonstigen vertikalen Beschränkungen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Vertikal-GVO2.
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In Franchiseverträgen häufig anzutreffen sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote3. Sie dienen dazu, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sicherzustellen, dass der Franchisenehmer das von ihm während der Laufzeit des Franchisevertrages erworbene Know-how nicht dazu nutzt, den während der Laufzeit des Franchisevertrages angeworbenen Kundenstamm nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Franchisegeber für eigene Zwecke oder für ein anderes konkurrierendes Franchisesystem zu bedienen. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann gem. Art. 5 lit. b VertikalGVO für maximal ein Jahr nach Beendigung des Franchisevertrages vereinbart werden und es darf lediglich Waren oder Dienstleistungen umfassen, die mit den Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen im Wettbewerb stehen (gegenständliche Beschränkung). Außerdem muss es sich auf die Räumlichkeiten und Grundstücke beschränken, von denen aus der Käufer während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat (räumliche Beschränkung), und darf nur diejenigen Beschränkungen umfassen, die unerlässlich sind, um ein dem Käufer übertragenes Know-how zu schützen. Es ist nach hier vertretener Ansicht davon auszugehen, dass Art. 5 lit. b Vertikal-GVO
1 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 45. 2 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 50. 3 Vgl. dazu Giesler, Franchiseverträge, Rz. 149 ff.
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Franchisevertrag
Rz. 212 Teil G
den Umfang der zulässigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbote grundsätzlich abschließend beschreibt1. Zu den typischerweise in Franchiseverträgen anzutreffenden Klauseln, die unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen können, gehören Gebietsschutzvereinbarungen. Diese Klauseln lassen sich wie folgt klassifizieren:
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– Den Franchisenehmern wird es untersagt, außerhalb des Vertragsgebietes tätig zu werden; – dem Franchisegeber wird es untersagt, innerhalb des einem bestimmten Franchisenehmer zugewiesenen Gebietes entweder selbst tätig zu werden oder einen weiteren Franchisenehmer zu ernennen. In der erstgenannten Form entspricht eine Gebietsschutzvereinbarung einem Wettbewerbsverbot im engeren Sinn, allerdings für den Franchisegeber. Auf die Einordnung einer solchen Klausel in die eine oder andere Kategorie kommt es jedoch nicht an, da sie nach den in der Vertikal-GVO geltenden allgemeinen Grundsätzen behandelt werden (Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO). Gebietsschutzvereinbarungen können auch zwischen den Franchisenehmern vereinbart werden und wären als horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zu qualifizieren. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sind nur in einigen Ausnahmefällen freistellungfähig. Zu beachten ist allerdings, dass der Franchisegeber den Franchisenehmern den aktiven Verkauf in Gebiete oder an Gruppen von Kunden verbieten kann (vgl. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO).
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Zuletzt sind Preisvereinbarungen zu erwähnen. Diese lassen sich wie folgt klassifizieren: Die für den Franchisenehmer strikteste Form einer Preisvereinbarung besteht in der Vereinbarung eines festen Wiederverkaufspreises (Festpreisvereinbarung). Dem Franchisenehmer kann aber auch ein Preis vorgeschrieben sein, den er beim Wiederverkauf nicht überschreiten dar (Höchstpreisvereinbarung). Gewissermaßen das Gegenstück zu einer Höchstpreisvereinbarung ist eine Vereinbarung, mit der dem Franchisenehmer das Unterschreiten eines bestimmten Preises beim Wiederverkauf untersagt wird (Mindestpreisvereinbarung). Die mildeste Form einer Preisvereinbarung stellt schließlich eine Klausel dar, mit der dem Franchisenehmer kein bestimmter Preis vorgeschrieben, sondern lediglich empfohlen wird (Preisempfehlung). Sämtliche hier angesprochenen Preisvereinbarungen bezwecken oder bewirken i.S.v. Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV zumindest eine mittelbare Festsetzung der Verkaufspreise, fallen also unter diese Vorschrift.
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c) Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV Die vertikalen Beschränkungen, die in Franchiseverträgen enthalten sind, können unter bestimmten Umständen einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV darstellen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV ist, dass zumindest eine der Parteien des Vertrages, entweder also der Franchisegeber oder der Franchisenehmer, auf dem relevanten Markt marktbeherrschend ist. In der Praxis sind Konstellationen, in denen der Franchisenehmer auf dem relevanten Markt marktbeherrschend ist, kaum denkbar2. Darzustellen ist daher nur der Fall, dass der Franchisegeber auf dem relevanten Markt marktbeherrschend ist. 1 Für eine strikte Begrenzung auf die in Art. 5 lit. b Vertikal-GVO genannten Fälle Liebscher/Petsche, EuZW 2000, 400 (403); für eine mögliche Ausdehnung wegen des „Angemessenheits“-Kriteriums aus der „Pronuptia“-Rechtsprechung Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, S. 32 Rz. 45. 2 Vgl. dazu auch Beuthien, BB 1993, 77; ebenso Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 60.
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Teil G Rz. 213
Distributionsgeschäfte
aa) Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung 213
Die Prüfung der Marktbeherrschung beginnt mit der Abgrenzung des relevanten Marktes, wobei grundsätzlich zwischen dem sachlich und dem geografisch (oder räumlich) relevanten Markt zu unterscheiden ist1. Der sachlich relevante Markt umfasst sämtliche Produkte, die aus Sicht des Nachfragers austauschbar sind. Zur Feststellung dieser Substituierbarkeit können Tests angewandt werden. In diesem Zusammenhang spielt die Entwicklung von Marktanteilen ebenso eine Rolle wie Preiselastizitäten der verschiedenen Produkte2. Der räumlich relevante Markt bestimmt sich danach, in welchem geografisch abgegrenzten Gebiet die Ware oder Dienstleistung von den Lieferanten aktiv, aber auch auf Nachfrage (passiv) angeboten werden.
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In Fällen, in denen eine Marktbeherrschung nahe liegt und die in einem Franchisevertrag enthaltenen Klauseln einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung bedeuten könnten, wird die Kommission, sollte sie einen Fall wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufgreifen, die Marktabgrenzung vornehmen und unter Umständen eine unabhängige Studie erstellen lassen. Gleichwohl empfiehlt es sich für Franchisegeber, die nach eigener Einschätzung den relevanten Markt beherrschen, in einer Art groben Sichtung eine eigene Marktabgrenzung vorzunehmen, um die eigenen Marktanteile zu ermitteln. Denn die Marktanteile spielen auch bei der Anwendung der Vertikal-GVO eine bedeutende Rolle. Die Gruppenfreistellung nach der Vertikal-GVO entfällt nämlich grundsätzlich, wenn der Franchisegeber auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von mehr als 30 % hält. Selbst wenn demnach die eigene Marktabgrenzung zu dem Ergebnis kommt, es liege keine Marktbeherrschung vor, kann sie Aufschluss über die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO und damit über einen möglichen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV geben.
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Die Marktanteile, die ein Unternehmen auf dem relevanten Markt hält, sind zwar nur eines von mehreren Kriterien für die Marktbeherrschung, spielen in der Praxis allerdings eine bedeutende Rolle. Obwohl das europäische Kartellrecht keine gesetzliche Monopol- oder Oligopol-Vermutung kennt, haben sich in der Praxis bestimmte Schwellen herausgebildet. – Die Rechtsprechung bejaht das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung, wenn das betreffende Unternehmen innerhalb eines gewissen Zeitraumes gleich bleibend einen Marktanteil von über 75 % innehat3. – Liegt der Marktanteil des betroffenen Unternehmens zwischen 40 und 75 %, dann kommt es darauf an, in welchem Abstand die Wettbewerber des betroffenen Unternehmens folgen4. – Marktanteile zwischen 25 und 40 % reichen in aller Regel nur dann für die Feststellung der Marktbeherrschung, wenn der Markt stark fragmentiert und mit Ausnahme des betroffenen Unternehmens von großer Fluktuation geprägt ist5. – Bei Anteilen unter 25 % liegt Marktbeherrschung in aller Regel nicht vor.
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Ein Sonderfall der Marktbeherrschung stellt die Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen dar. Das europäische Kartellrecht schließt die Möglichkeit einer Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen nicht aus. Allerdings geht der EuGH bisher nur dann von der gemeinsamen Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen aus, wenn die Unternehmen der betreffenden Gruppe so miteinander verbunden sind, dass sie auf dem 1 2 3 4 5
Vgl. dazu Marktabgrenzungsbekanntmachung, ABl. EG Nr. C 372 v. 9.12.1997, S. 5. Im Überblick dazu Dirksen in Langen/Bunte, Art. 82 Rz. 38 ff. m.w.N. Vgl. EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, 521, 526 ff. – Hoffmann-La Roche. Vgl. EuGH v. 13.12.1979 – Rs. 85/76, Slg. 1979, 461, 521, 524 – Hoffmann-La Roche. Vgl. EuGH v. 15.12.1994 – Rs. C-250/92, Slg. 1994 I-5671, 5690 – DLG.
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Franchisevertrag
Rz. 220 Teil G
Markt in gleicher Weise vorgehen können1. Die Kommission hat diese strikten Kriterien in letzter Zeit etwas gelockert und lässt es genügen, wenn das Verhalten der betreffenden Unternehmen gerade Ausdruck der Marktmacht des Oligopols ist. Auf ein in weiterem Sinne kollusives Verhalten soll es in diesem Zusammenhang nicht mehr ankommen2. Die Einzelheiten um die Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen sind aber bis heute nicht vollständig geklärt. bb) Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung Wenn feststeht, dass der Franchisegeber auf dem relevanten Markt marktbeherrschend ist, ist weiter zu prüfen, ob die Festlegungen des Franchisevertrages als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu werten sind. Die wichtigsten Beispielsfälle für ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sind in einer nicht abschließenden Liste in Art. 102 Satz 2 AEUV genannt. Danach kann der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung u.a. bei der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher vorliegen. Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, lässt sich im Bereich des Franchising nicht ausschließen3.
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Ist der Franchisegeber marktbeherrschend, wird sein Marktanteil wegen der Spruchpraxis der Europäischen Kommission und des EuGH in aller Regel über 30 % liegen. Damit wird sich wahrscheinlich die Frage erledigen, ob die Gruppenfreistellung gleichzeitig die Unanwendbarkeit von Art. 102 AEUV zur Folge hat4. Vielmehr ist die zur Feststellung des Missbrauches notwendige Abwägung der Interessen aller Beteiligten vorzunehmen. Dabei kann eine Rolle spielen, dass bestimmte Beschränkungen notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit des Franchisesystems überhaupt sicher zu stellen, insbesondere zu verhindern, dass der Franchisegeber um den Verlust seines Know-how fürchten muss.
218
d) Freistellungen nach der Vertikal-GVO In der Praxis des Franchisings werden die Freistellungen nach der Vertikal-GVO5 die bedeutsamste Rolle im Hinblick auf Franchiseverträge spielen. Anders als die inzwischen außer Kraft getretene Franchise-GVO enthält die heutige Vertikal-GVO keine Kataloge der erlaubten und verbotenen Klauseln. Vielmehr geht die Vertikal-GVO von dem Prinzip aus, dass sämtliche nicht unter die verbotenen Klauseln fallenden vertikalen Beschränkungen erlaubt sind6.
219
aa) Vertikale Beschränkung Die Vertikal-GVO stellt, getreu ihrem Namen, nur vertikale Beschränkungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV frei. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO sind vertikale Beschränkungen Wettbewerbsbeschränkungen, die in vertikalen Vereinbarungen enthalten sind. Was unter einer vertikalen Beschränkung im Sinne der Verordnung zu verstehen ist, wird in Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO definiert. Danach sind vertikale Beschränkungen Wettbewerbsbeschränkungen, die in vertikalen Vereinbarungen ent1 Vgl. EuGH v. 25.3.1999 – Rs. T-102/96, Slg. 1999 II-753, 805 Rz. 163 – Gencor; relativierend jetzt EuGH v. 16.3.2000 – Verb. Rs. C-395/96 P und C-396/96 P, Slg. 2000 I-1365, 1458 ff. Rz. 36 ff. – Compagnie maritime belge. 2 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 22.9.1999 – IV/M. 1524 („Airtours/First Choice“). 3 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 66 f. 4 Vgl. dazu Dirksen in Langen/Bunte, Art. 82 Rz. 202 m.w.N; Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 68. 5 Zur Vertikal-GVO Semler/Bauer, DB 2000, 193; Pukall, NJW 2000, 1375; Haager, DStR 2000, 387; Metzlaff, BB 2000, 1201, Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 1 ff. 6 Vgl. Bechtold, EWS 2001, 49 (51).
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220
Teil G Rz. 221
Distributionsgeschäfte
halten sind (Art. 1 lit. b Vertikal-GVO). Vertikale Vereinbarungen wiederum sind Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO). Die Definition in Art. 1 lit. a und b Vertikal-GVO machen deutlich, dass nahezu alle Wettbewerbsbeschränkungen in Franchiseverträgen unter die Definition der vertikalen Beschränkung fallen dürften. bb) Übertragung von geistigen Eigentumsrechten 221
Die Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO gilt für vertikale Vereinbarungen, die Bestimmungen enthalten, welche die Übertragung von geistigen Eigentumsrechten auf den Käufer oder die Nutzung solcher Rechte durch den Käufer betreffen, nur dann, wenn diese Bestimmungen nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind und sofern sie sich unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Käufer oder seine Kunden beziehen (Art. 2 Abs. 3 Vertikal-GVO). Im Hinblick auf Franchiseverträge bedeutet die Vorschrift keine wesentliche Einschränkung. Denn typischerweise ist zwar in Franchiseverträgen auch die Nutzung geistiger Eigentumsrechte geregelt, stellt jedoch lediglich einen Nebenzweck dar1. Der Hauptgegenstand der meisten Franchiseverträge liegt in der Regel im Vertrieb bzw. der Vermarktung der vom Franchisegeber überlassenen Waren bzw. in der Erbringung der unter der Marke des Franchisegebers lizenzierten Dienstleistung2. cc) Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern
222
Die Vertikal-GVO gilt grundsätzlich nicht, wenn eine vertikale Beschränkung zwischen Wettbewerbern vereinbart ist (Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO). Der Begriff des Wettbewerbers im Sinne der Vertikal-GVO ist in Art. 1 lit. c Vertikal-GVO definiert: Danach sind Wettbewerber tatsächliche oder potentielle Anbieter im selben Produktmarkt. Bei Franchisesystemen könnte sich die Frage nach einem Wettbewerb3 zwischen dem Franchisegeber und den Franchisenehmern allenfalls dann stellen, wenn es dem Franchisenehmer als Reaktion auf eine geringfügige, dauerhafte Erhöhung der relativen Preise möglich wäre, die Produktion der konkurrierender Waren oder Dienstleistungen selbst aufzunehmen und er die Produktion aller Wahrscheinlichkeit nach auch aufnehmen würde. Das ist selten der Fall. Dabei reicht die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts nicht aus4. Am ehesten lässt sich die Wettbewerbereigenschaft zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer in Fällen der Dualdistribution bejahen5. Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO wird im Franchising keine große Bedeutung erlangen. Sollte die Vorschrift im Einzelfall auf einen Franchisevertrag anwendbar sein, ist nach der Feststellung der Wettbewerbereigenschaft vom Franchisegeber und Franchisenehmer zu prüfen, ob die aktuellen oder potentiellen Wettbewerber eine der drei Bedingungen in Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO erfüllen. Liegt nämlich eine dieser Voraussetzungen vor, gilt die Freistellung in Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO trotz der Wettbewerbereigenschaft. Zwar sind diese bildlich gesprochenen Ausnahmen zur Ausnahme ihrerseits nur im Fall sog. nichtwechselseitiger vertikaler Vereinbarungen anwendbar. 1 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 75 f. 2 Vgl. auch Fritzemeyer, BB 2002, 1658 (1661); zu eng Flohr, DStR 2001, 710. 3 Zur Frage des Wettbewerbs im Sinne des UWG innerhalb von Franchisesystemen: Nauschütt in Giesler/Nauschütt, § 3 Rz. 157 ff. 4 Vgl. dazu Tz. 26 Vertikal-Leitlinien, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1. 5 Vgl. dazu Metzlaff, BB 2000, 1201 (1204); Nauschütt in Giesler/Nauschütt, § 3 Rz. 178.
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Franchisevertrag
Rz. 225 Teil G
Eine nichtwechselseitige Vereinbarung liegt jedoch vor, wenn die aktuellen oder potentiellen Wettbewerber nicht gleichzeitig von der jeweils anderen Partei hergestellte Waren oder Dienstleistungen vertreiben, was grundsätzlich beim Franchising der Fall ist1. Die einzelnen Ausnahmen zur Ausnahme in Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO sind im Ansatz aus sich heraus verständlich. Sie folgen dem Prinzip, dass entweder eine bestimmte Umsatzschwelle nicht erreicht wird – konkret der jährliche Gesamtumsatz des Franchisenehmers 100 Mio. Euro nicht überschreitet – oder Wettbewerb zwischen dem Franchisegeber und dem Franchisenehmer aus anderen Gründen nicht konkret besteht. dd) Marktanteilsschwellen Gemäß Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO gilt die Freistellung nur, wenn der Anteil des Lieferanten an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen verkauft, 30 % nicht überschreitet. Um festzustellen, ob der Franchisegeber auf dem relevanten Markt mehr als 30 % Marktanteile hat, muss zunächst der relevante Markt abgegrenzt und anschließend der auf diesem Markt erzielte Marktanteil ermittelt werden. Bei der Ermittlung des Marktanteils ist der Absatzwert der verkauften Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen aller auf dem relevanten Markt angebotenen Waren oder Dienstleistungen zugrunde zu legen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO). Liegen keine Angaben über den Absatzwert vor, so können zur Ermittlung des Marktanteils Schätzungen vorgenommen werden, die auf anderen verlässlichen Marktdaten unter Einschluss der Absatzmengen beruhen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Vertikal-GVO). Vom Grundsatz her also gilt in der Vertikal-GVO die wertbezogene Marktanteilsermittlung, subsidiär die mengenbezogene Marktanteilsermittlung. Im letzten Fall wird in aller Regel auf der Basis der abgesetzten Mengen der Marktpreis berechnet, um das Gesamtmarktvolumen zu ermitteln. Der Marktanteil des Franchisegebers ergibt sich dann als Verhältnis seines Absatzwertes bzw. seiner Absatzmengen zum so ermittelten Gesamtmarktvolumen. Die Vertikal-GVO geht für die Anwendung der Schwellenwerte davon aus, dass die möglicherweise betroffenen Unternehmen die Marktabgrenzung und die Ermittlung der Marktanteile selbst vornehmen. Wegen der dadurch bedingten Unsicherheiten, aber auch wegen der rein indiziellen Wirkung der Marktanteilsschwelle für eine relativ starke Marktposition, enthält Art. 7 lit. d und e Vertikal-GVO eine im Detail etwas aufwendige Regelung für die Fälle, dass die Marktanteilsschwelle von 30 % überschritten wird. Die Einzelheiten sind weitgehend aus sich heraus verständlich und müssen an dieser Stelle nicht behandelt werden. Entscheidend ist das mit der Regelung verfolgte Prinzip, den betroffenen Unternehmen mehr Flexibilität zu gewähren, als unter der alten Franchise-GVO möglich war.
223
ee) Kernbeschränkungen Der wesentliche Regelungsgegenstand der Vertikal-GVO besteht in der Festlegung sog. Kernbeschränkungen, die nicht unter die Gruppenfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV fallen, in aller Regel auch nicht einzelfreistellungsfähig sind (Art. 4 VertikalGVO)2.
224
Dem Franchisegeber ist es nach Art. 4 lit. a Vertikal-GVO untersagt, dem Franchisenehmer Fest- oder Mindestverkaufspreise vorzuschreiben. Höchstpreisfestsetzungen sind hingegen erlaubt. Seit der 7. GWB-Novelle sind aufgrund der Verweisung in § 2 Abs. 2 GWB auf die Vertikal-GVO Preisempfehlungen oder Höchstpreise auch nach deutschem Recht zulässig. Allerdings wird speziell bei der Angabe von Preisempfehlungen darauf zu achten sein, ob die vom Franchisegeber abgegebene Preisempfehlung
225
1 Vgl. zum Begriff Rz. 28 Vertikal-Leitlinien. 2 Vgl. Tz. 46 Vertikal-Leitlinien, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1.
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Giesler 739
Teil G Rz. 226
Distributionsgeschäfte
nicht im Rahmen des Vertragswerks oder anderer abgestimmter Verhaltensweisen faktisch zu einer Preisfestsetzung beim Franchisenehmer führen. 226
Verboten sind in Art. 4 lit. b Vertikal-GVO Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises, in das oder an den Käufer Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen verkaufen darf. Im Rahmen von Franchiseverträgen muss also der Franchisenehmer grundsätzlich frei wählen dürfen, an wen und wohin der die vom Franchisegeber bezogenen Waren oder Dienstleistungen verkauft1. Dieser Grundsatz erfährt in Art. 4 lit. b Vertikal-GVO allerdings einige für Franchiseverträge bedeutsame Ausnahmen: – Zulässig sind Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Franchisegeber sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Franchisenehmer zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Franchisenehmers nicht begrenzt werden. Unter aktiven Verkauf ist die aktive Ansprache individueller Kunden in einem Gebiet oder individueller Mitglieder einer Kundengruppe, das bzw. die ausschließlich einem anderen Vertriebshändler zugewiesen wurden, zu verstehen, z.B. mittels Errichtung einer Betriebsstätte, Direktversand oder persönlichem Besuch2. – Zulässig sind auch Beschränkungen des Verkaufs an Endbenutzer durch Käufer, die auf der Großhandelsstufe tätig sind. Diese Bestimmung kann in mehrstufigen Franchisesystemen zum Tragen kommen. – Innerhalb eines selektiven Vertriebssystems, das nur im Falle eines quantitativen selektiven Vertriebssystems überhaupt unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, sind Beschränkungen des Verkaufs an nicht zugelassene Händler gestattet. Soweit daher ein Franchisesystem Elemente eines selektiven Vertriebssystems aufnimmt, kann zum Schutz der zugelassenen Händler der Verkauf an nicht zugelassene Händler untersagt werden. – Zulässig sind Beschränkungen der Wiederverkaufsmöglichkeiten für Franchisenehmer von Bestandteilen, die zwecks Einfügung in andere Erzeugnisse geliefert werden (Produktionsfranchising).
227
Wenn das Franchisesystem ein selektives Vertriebssystem darstellt oder es Elemente eines selektiven Vertriebssystems enthält, dürfen den Franchisenehmern, die auf der Einzelhandelsstufe tätig sind, keine Beschränkungen des Verkaufs an Endverbraucher auferlegt werden (Art. 4 lit. c Vertikal-GVO). Zur Klarstellung ist in Art. 4 lit. c Vertikal-GVO erwähnt, dass in selektiven Vertriebssystemen den Franchisenehmern untersagt werden kann, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben. Letztlich fällt diese Art von Beschränkung aber, wie oben gezeigt, bei Franchiseverträgen schon gar nicht unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, weil sie zum Schutze des Know-hows und zur Wahrung des mit der Marke verbundenen Ansehens unerlässlich sind.
228
Die Kernbeschränkung in Art. 4 lit. d Vertikal-GVO betrifft wiederum nur selektive Vertriebssysteme. Nach dieser Vorschrift ist die Beschränkung der Möglichkeit von Querlieferungen zwischen den zugelassenen Händlern nicht gestattet. ff) Bedingte Verbote
229
In Art. 5 Vertikal-GVO sind Beschränkungen enthalten, die unter den dort genannten Voraussetzungen unwirksam sind, deren Unwirksamkeit jedoch die vertikale Vereinbarung im Übrigen unberührt lässt. 1 Vgl. zur zivilrechtlichen Konkurrenzschutzpflicht Liesegang, BB 1999, 857 ff.; Nauschütt in Giesler/Nauschütt, § 3 Rz. 172; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 428 f.; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 92 f.; Neuhaus, ZAP, Fach 4, S. 629 ff. 2 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 66 f.
740 | Giesler
Franchisevertrag
Rz. 234 Teil G
Unwirksam sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Wettbewerbsbeschränkungen, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbart werden (Art. 5 lit. a Vertikal-GVO).
230
Die Vertikal-GVO versteht unter Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur Wettbewerbsverbote im engeren (schuld- oder handelsrechtlichen) Sinn, sondern auch eine Bezugsbindung für mehr als 80 % der gesamten Einkäufe (vgl. Art. 1 lit. d Vertikal-GVO). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings die aus der Pronuptia-Rechtsprechung stammende Feststellung, dass Wettbewerbsverbote, mit denen die Qualität der vom Franchisenehmer verkauften Waren auf gleich bleibendem Niveau gehalten werden sollen, für die Dauer des Franchisevertrages (und damit gegebenenfalls über die Dauer von fünf Jahren hinaus) vereinbart werden können1.
231
Zweifelhaft kann sein, wie im Hinblick auf die Fünf-Jahres-Klausel nach der VertikalGVO der Fall einer stillschweigenden Vertragsverlängerung zu behandeln ist. Üblicherweise sehen Franchiseverträge eine feste Laufzeit vor, über die hinaus sich der Vertrag um einen weiteren, bestimmten Zeitraum verlängert, wenn er nicht von einer der Parteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet wird. Beträgt nun die Erstlaufzeit des Vertrages fünf Jahre und sieht der Vertrag eine Verlängerung um weitere fünf Jahre vor, ist fraglich, ob dem Sinn von Art. 5 lit. a Vertikal-GVO nicht Genüge getan und das Wettbewerbsverbot aus diesem Grunde freigestellt ist. Wie sich die Kommission zu Fällen dieser Art stellen wird, muss sich noch zeigen. Sinn der FünfJahres-Klausel ist an sich, dass die Parteien nach Ablauf der fünf Jahre auf jeden Fall vollständig neu verhandeln müssen. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass die automatische Verlängerung mangels Kündigung als „stillschweigende Verlängerung“ zu sehen ist2. Abzuwarten bleibt, wie sich Kommission und EuGH zu in Kettenverträgen fortgeschriebenen Wettbewerbsverboten verhalten werden3.
232
Für Franchiseverträge wird die Einschränkung Bedeutung gewinnen, dass die Fünf-Jahres-Frist nicht gilt, wenn die Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen vom Käufer in Räumlichkeiten und auf Grundstücken verkauft werden, die Eigentum des Lieferanten stehen oder durch diesen von Dritten (nicht mit dem Käufer verbundenen Unternehmen) gemietet oder gepachtet worden sind. Wenn die Geschäftsräume des Franchisenehmers im Eigentum des Franchisegebers stehen oder er sie für den Franchisenehmer angemietet hat, was in der Praxis aus verschiedenen Gründen (u.a. Standortsicherung und Vorfinanzierung im Wege der Verpachtung) häufig der Fall ist4, darf das Wettbewerbsverbot über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus auf den Zeitraum ausgedehnt werden, in welchem der Franchisenehmer die Räumlichkeiten und Grundstücke nutzt.
233
Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann gem. Art. 5 lit. b Vertikal-GVO für maximal ein Jahr nach Beendigung des Franchisevertrages vereinbart werden und es darf lediglich Waren oder Dienstleistungen umfassen, die mit den Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen im Wettbewerb stehen (gegenständliche Beschränkung). Außerdem muss es sich auf die Räumlichkeiten und Grundstücke beschränken, von denen aus der Käufer während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat (räumliche Beschränkung), und darf nur diejenigen Beschränkungen umfassen, die unerlässlich sind, um ein dem Käufer übertragenes Know-how zu schützen. Es ist davon aus-
234
1 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 94; vgl. auch Tz. 200 Vertikal-Leitlinien, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1. 2 Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 94 m.w.N. 3 Es wird vermutet, dass die Fälle von Kettenfranchiseverträgen zunehmen werden, vgl. Flohr, ZAP Nr. 23 v. 6.12.2000, Fach 6, S. 347; Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 96; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 28. 4 Vgl. Giesler, NZM 2001, 658 ff.
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Giesler 741
Teil G Rz. 235
Distributionsgeschäfte
zugehen, dass Art. 5 lit. b Vertikal-GVO den Umfang der zulässigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbote grundsätzlich abschließend beschreibt1. 235
Allerdings darf nach Europäischem Kartellrecht die Nutzung und Offenlegung von nicht allgemein bekannt gewordenem Know-how einem zeitlich unbegrenzten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterworfen werden.
236
Nach Art. 5 lit. c Vertikal-GVO kann es den zugelassenen Händlern eines selektiven Vertriebssystems nicht untersagt werden, die Waren oder Dienstleistungen von einem konkurrierenden Lieferanten zu beziehen. Dieses Verbot betrifft nicht ein dem Händler auferlegtes Wettbewerbsverbot. Die Ausschlussbestimmung regelt im Unterschied zu Art. 5 lit. a Vertikal-GVO für selektive Vertriebssysteme nur den besonderen Fall eines kollektiven Lieferantenboykotts. Denn nach Art. 5 lit. a Vertikal-GVO könnte der Lieferant seinen Käufern für fünf Jahre die Pflicht auferlegen, 100 % der von ihnen verkauften Waren vom Lieferanten oder einem anderen von ihm bezeichneten Unternehmen zu beziehen2.
III. Internationales Privatrecht 237
Die Fragestellungen, die sich im Rahmen grenzüberschreitender, internationaler Franchiseverträge ergeben, unterscheiden sich im Kern nicht von den Problemen, die bei rein nationalen Franchiseverträgen auftreten können3. Im Gegensatz zu nationalen Franchiseverträgen ist jedoch bei internationalen Sachverhalten stets die Vorfrage zu klären, welches materielle Recht auf den Franchisevertrag anzuwenden ist. Im Mittelpunkt des deutschen internationalen Vertragsrechts standen bis zum 16.12.2009 (bis zum Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates, sog. „Rom I-VO“) Art. 27 bis 37 dtEGBGB, die mit geringen Änderungen dem Römischen EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.19804 entnommen sind. Seit dem 17.12.2009 maßgeblich sind die Art. 3 ff. der Rom-I-VO, die aus deutscher Sicht inhaltlich wenig Neuerungen gebracht haben.
238
Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Rom-I-VO unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht (subjektive Anknüpfung). Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.. Sollte eine solche ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl nicht ermittelt werden können, ist gem. Art. 4 Abs. 1 lit. e) der Rom I-VO auf das Recht des Staates abzustellen, in dem der Franchisenehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (objektive Anknüpfung). Damit ist aus deutscher Sicht klargestellt worden, was zuvor von der herrschenden Meinung unter Geltung der Art. 27 ff. dtEGBGB bereits angenommen worden war.
239
Weitere internationale Abkommen, auf denen sich eine Bestimmung über das auf den Franchisevertrag anwendbare Recht ergeben könnte, existieren nicht. Zu denken wäre allenfalls an das UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11.4.19805. In der Praxis wird sich die Frage nach der Anwendbarkeit des CISG für Franchiseverträge häufig bereits deshalb nicht stellen, weil im Regelfall 1 Für eine strikte Begrenzung auf die in Art. 5 lit. b Vertikal-GVO genannten Fälle Gerstner in Giesler/Nauschütt, § 2 Rz. 99 m.w.N.; für eine mögliche Ausdehnung wegen des Angemessenheits-Kriteriums aus der Pronuptia-Rechtsprechung Bauer/de Bronett, S. 32 Rz. 45. 2 Undeutlich ist hier Tz. 61 Vertikal-Leitlinien, ABl. EG Nr. C 291 v. 13.10.2000, S. 1. 3 Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 13. 4 BGBl. 1986 II, 810. 5 BGBl. 1989 II, 588; BGBl. 1990 II, 1699.
742 | Giesler
Franchisevertrag
Rz. 241 Teil G
eine Rechtswahlklausel vorgesehen wird, die auf ein nationales Recht verweist und dabei zugleich die Anwendbarkeit des CISG ausschließt. Zu beachten ist jedoch, dass das CISG anwendbar ist und bleibt, wenn die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Anwendung des Rechts eines Staates führen, der zu den Vertragsstaaten des Abkommens gehört1. Die Vertragsparteien müssen also ausdrücklich vereinbaren, dass sie lediglich das nationale Recht angewandt wissen wollen und nicht auch die Vorschriften des CISG2. Selbst wenn – in Ermangelung eines vertraglichen Ausschlusses des Abkommens – ausnahmsweise eine Anwendbarkeit des CISG in Betracht zu ziehen wäre, ist im Ergebnis seine Bedeutung für Franchiseverhältnisse gering. Franchiseverträge sind nach herrschender Meinung zwar Misch- und Typenkombinationsverträge3, die auch Elemente des Kaufvertrages beinhalten (vgl. Rz. 247). Dies gilt insbesondere im Bereich des Warenfranchisings, wo der Franchisevertrag häufig den Rahmenvertrag für die im Rahmen seiner Durchführung abzuschließenden Einzelkaufverträge bildet und sogar ausdrücklich kaufrechtliche Regelungen enthält (z.B. eine Bezugsbindung und eine Liste der Vertragswaren). Die Einzelkaufverträge, auf die das CISG dann tatsächlich anwendbar sein mag, werden jedoch außerhalb des eigentlichen Franchisevertrages abgeschlossen. Der Franchisevertrag selbst ist, trotz seiner kaufrechtlichen Bestandteile, kein Kaufvertrag im Sinne des CISG4. Bei der Ermittlung des anwendbaren nationalen Rechts ist demnach von der subjektiven Anknüpfung auszugehen. Ausgangspunkt ist das in Art. 3 Abs. 1 der Rom I-VO normierte Prinzip der Privatautonomie. Hiernach steht es den Parteien frei, zu entscheiden, welche Rechtsordnung auf ihre vertraglichen Beziehungen anwendbar sein soll. Die auf diesem Weise getroffene Rechtswahl ist ein vom Hauptvertrag eigenständiger Verweisungsvertrag, für den gem. Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 der Rom I-VO das Recht, das im Falle der Wirksamkeit der Verweisung maßgeblich ist.
240
Die Aufnahme einer ausdrücklichen Rechtswahlklausel in einem Franchisevertrag, der für einen grenzüberschreitenden Abschluss vorgesehen ist, ist dringend zu empfehlen. Wenn die Parteien darauf verzichtet haben, bleibt zu prüfen, ob trotz der fehlenden Vertragsklausel von einer konkludenten Rechtswahl ausgegangen werden kann (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Rom I-VO). Dies wird gerade bei Franchiseverträgen allgemein als schwierig bezeichnet5. Grundsätzlich kann auf den realen Parteiwillen, die Vertragsbestimmungen oder auf Indizien der Fallumstände abgestellt werden. Einen guten Anhaltpunkt gegen die Vertragsbestimmungen. Bei Franchiseverträgen finden sich häufig Klauseln, die ihren Hintergrund im Verbraucherschutzrecht finden und deshalb eine Verbindung zu einer nationalen Rechtsordnung nahe legen. Hier ist insbesondere an die gem. §§ 355, 510, 513 BGB möglicherweise erforderliche Widerrufsbelehrung zu denken. Diese Frage ist jedoch umstritten. Die noch zu Art. 27 ff. dtEGBGB entwickelte Gegenansicht6 weist darauf hin, dass gem. Art. 34 dtEGBGB das Verbraucherkreditrecht als zwingende Vorschrift auch dann anwendbar bleibt, wenn wirksam eine ausländische Rechtsordnung vereinbart worden ist, so dass die Aufnahme einer Widerrufsbelehrung gegenüber einem deutschen Franchisenehmer stets sachgerecht sei und insoweit nicht als Indiz für die Rechtswahl dienen könne. Weitere Indizien, die un-
241
1 Benicke, Teil B Rz. 163 ff. 2 Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 15; Herber in v. Caemmerer/Schlechtriem, Art. 6 Rz. 8. 3 OLG Frankfurt v. 27.9.1994 – 11 U (Kart.) 30/94, WiB 1996, 640 (641) – Pronuptia III; OLG Hamm v. 13.3.2000 – 8 U 113/99, NZG 2001 1169 ff.; LG Karlsruhe v. 16.9.1988 – 4 O 214/88, NJW-RR 1989, 822; Schmidt, Handelsrecht, § 28 II 3 c (S. 766); Mack, S. 106; Palandt/Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 581 Rz. 22 f.; Herrfeld, S. 183; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 496; Enghusen, S. 169; Weber, JA 1985, 347 (351); Skaupy, Franchising, S. 11 f. 4 Ebenso Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 14 f. 5 Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 16. 6 Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 17.
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Giesler 743
Teil G Rz. 242
Distributionsgeschäfte
streitig herangezogen werden können, ist die Vereinbarung eines Gerichtsstandes oder Schiedsortes, die Verweisung auf einen verbundenen Vertrag, in dem eine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wurde oder die Vertragssprache. 242
Wenn es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Rechtswahl fehlt, wird der Franchisevertrag gem. Art. 4 Abs. 1 lit. e) der Rom I-VO an das Recht des Staates anzuknüpfen sein, in dem der Franchisenehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (objektive Rechtswahl). In der Zeit vor Inkrafttreten der Rom I-VO war der Vermutungstatbestand des Art. 28 Abs. 2 dtEGBGB heranzuziehen. Danach wurde vermutet, dass der Franchisevertrag die engsten Verbindungen zu derjenigen Rechtsordnung aufweist, in dem die Partei ihren gewöhnlichen Sitz hat, welche die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Die Bestimmung der vertragscharakteristischen Leistung nach der Vertragstypenlehre1 unterlag beim Franchising zwar Schwierigkeiten, weil bereits die Rechtsnatur des Franchisevertrages umstritten ist (vgl. dazu Abschnitt III 4 a). Gleichwohl kam man mit der herrschenden Meinung zu dem gleichen Ergebnis, das heute unter der Geltung von Art. 4 Abs. 1 lit. e) der Rom I-VO erreicht wird.
243
Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der vertragscharakteristischen Leistungen waren ein wesentlicher Grund dafür, weshalb die Frage der objektiven Rechtswahl bei Franchiseverträgen seit langem umstritten war. Die vorzugswürdige herrschende Lehre geht davon aus, dass die vertragscharakteristische Leistung grundsätzlich am Sitz des Franchisenehmers erbracht wird und verweist dazu auf die Rechtsprechung zu den anderen Absatzmittlungsverhältnissen2. Martinek3 will zwischen den (bereits für sich genommen zweifelhaften und sehr umstrittenen4 Kriterien des) „Subordinations- und Partnerschaftsfranchising“ differenzieren und kommt für das sog. „Subordinationsfranchising“ zu dem gleichen Ergebnis wie die herrschende Lehre. Eine weitere Literaturmeinung5 sieht die vertragscharakteristischen Leistungen sowohl beim Franchisegeber (Lizenzvergabe, Know-how Transfer, Dienst- und Geschäftsbesorgungsleistungen) als auch beim Franchisenehmer (Absatzförderung) und gelangte deshalb früher unter der Geltung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 dtEGBGB zu einer Trennung der Vertragsteile. Diese Ansicht will für die Absatzförderungsvertragteile an das Recht am Sitz des Franchisenehmers anknüpfen und für den verbleibenden Restvertrag an den Sitz des Franchisegebers.
244
Vorzugswürdig war und ist die herrschende Meinung. Alle anderen Auffassungen leisten einer – angesichts der hohen wirtschaftlichen Bedeutung von Franchiseverträgen für Franchisegeber und Franchisenehmer – nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit Vorschub. Eine Differenzierung zwischen „Subordinations- und Partnerschaftsfranchising“ verbietet außerdem sich bereits deshalb, weil diese Einteilung selbst an unscharfen Abgrenzungen und an einer Zirkelschlussdefinition leidet6.
245
Eine Anwendung des Art. 6 der Rom I-VO scheidet aus, weil der Franchisenehmer kein Verbraucher im Sinne dieser Vorschriften ist. Bei der Beurteilung dieser Rechtsfrage ist zunächst ein Vergleich zu anderen Rechtsgebieten geboten. Dieser Vergleich fördert ein differenziertes Bild zutage: Für das deutsche HGB ist anerkannt, dass Vorberei1 Vgl. Hiestand, RIW 1993, 173 (174). 2 Reimann/Wagner in Münchener Vertragshandbuch, IV. 1, Anm. 65 S. 561 f.; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 704; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 226. 3 Martinek, Franchising, S. 660. 4 Die herrschende Meinung lehnt die Unterscheidung zwischen Subordinations- und Partnerschaftsfranchising ab. Vgl. ausführlich Giesler/Nauschütt, § 1 Rz. 51 ff. Die Unterscheidung wird z.B. abgelehnt von Skaupy, NJW 1992, 1785; Liesegang, NJW 1990, 1525 (1526); Bräutigam, WM 1994, 1189 (1191); Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 493; Höpfner, S. 42 ff.; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 12. 5 Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 274. 6 Vgl. die Einzelheiten bei Giesler/Nauschütt, § 1 Rz. 56.
744 | Giesler
Franchisevertrag
Rz. 245 Teil G
tungsgeschäfte zur Gründung des Unternehmens bereits als „Handelsgeschäfte“ i.S.v. § 343 ff. HGB anzusehen sind1. Dagegen wird jedoch ein Existenzgründer trotz Unterzeichnung des Franchisevertrages von einer nach wie vor gewichtigen Meinung2 nicht als „Kaufmann“ i.S.v. § 38 Abs. 1 dtZPO angesehen, so dass Gerichtsstandsvereinbarungen in Franchiseverträgen unwirksam sind. Die Frage der fehlenden Kaufmannseigenschaft ist allerdings auch für § 38 Abs. 1 ZPO umstritten und die schnell im Vordringen befindliche Gegenauffassung (d.h. Gerichtsstandsvereinbarung mit einem Existenzgründer wirksam) wird inzwischen von mehreren OLG3, von zunehmend mehr Instanzgerichten4 und einer mittlerweile wohl herrschenden Literaturmeinung5 vertreten. Die Entscheidung des BGH6 zur Unternehmereigenschaft von Existenzgründern hat hier erkennbar einen Meinungsumschwung bewirkt7 und es ist davon auszugehen, dass zukünftig mehr und mehr Gerichte bei Existenzgründer-Sachverhalten von der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarungen in Franchiseverträgen ausgehen. Für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen in Franchiseverträgen mit Existenzgründern spricht vor allem auch, dass die handelsrechtliche Literatur einhellig davon ausgeht8, dass ein Handelsgewerbe nicht erst i.S.d. § 1 Abs. 1 HGB „betrieben“ wird, wenn der Geschäftsbetrieb aufgenommen worden ist, sondern bereits mit der Vorbereitung durch Geschäfte nach außen9. Als solche Vorbereitungshandlungen werden gerade die Abschlüsse von Verträgen in Bezug auf das Handelsgewerbe gesehen, also z.B. Pachtverträge oder Arbeitsverträge. Von besonderen Interesse bei dem Vergleich ist das Recht der Verbraucherverträge (§§ 355 ff., §§ 491 bis 513 BGB). Beide Rechtsgebiete legen nämlich den gleichen Verbraucher- und Unternehmerbegriff zugrunde, der auch für das EGBGB maßgeblich ist (§§ 13, 14 BGB). Für das AGB-Recht sieht die herrschende Meinung sieht den Franchisenehmer als Unternehmer an10. Der Franchisenehmer erlangt die Unternehmereigenschaft im Moment der Unterzeichnung des Franchisevertrages. Im Gegensatz dazu war für das Verbraucherkreditrecht unter der Geltung des VerbrKrG anerkannt, dass der Franchisenehmer als Ver-
1 OLG Oldenburg v. 12.11.2001 – 9 SchH 12/01, BB 2001, 2499 f. m.w.N. 2 OLG Köln v. 21.11.1991 – 18 U 113/91, NJW-RR 1992, 571 – Pachtvertrag; BayObLG v. 28.9. 1978 – Allg.Reg. 37/78, BB 1978, 1685 – Gesellschaftsvertrag; OLG Karlsruhe, MDR 2002, 1269 (Zugehörigkeit zu dieser Meinungsgruppe kann bezweifelt werden); LG Bielefeld, Beschl. v. 31.10.2005 – 11 O 81/04 (Franchisevertrag, n.v.); AG Bielefeld, Beschl. v. 3.1.2004 – 41 C 961/04 (Franchisevertrag, n.v.); Liesegang, S. 43; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, § 38 Rz. 17; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rz. 9; Musielak/Heinrich, ZPO, § 38 Rz. 11; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 38 Rz. 19; Diederichsen, BB 1974, 379; Klunzinger, JR 1974, 272; früher auch Giesler, Franchiseverträge, 2. Aufl. 2002, Rz. 710 (daran wird seit der 2. Aufl. des vorliegenden Werkes nicht mehr festgehalten). 3 OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.1.1998 – 16 U 182/96, NJW 1998, 2978 ff. (das Urteil betraf übrigens das Eismann Franchisesystem); OLG Schleswig, Urt. v. 12.11.2009 – 16 U 30/09, n.v.; in diesem Sinne zum AGB-Recht kürzlich auch OLG Jena, Urt. v. 19.9.2013 – 1 U 194/13, n.v. 4 LG Chemnitz, Urt. v. 16.3.2012 – 5 O 976/11, n.v. („Subway“); LG Köln, Urt. v. 26.4.2012 – 29 O 234/11, n.v. („Subway“). 5 Stein/Jonas/Borg, ZPO, § 38 Rz. 15; Flohr, Franchise-Vertrag, 3. Aufl., S. 265 (ebenfalls Abkehr von früherer Auffassung). 6 BGH, Beschl. v. 24.2.2005 – III ZB 36/04, NJW 2005, 1273 ff. 7 Vgl. z.B. LG Chemnitz, Urt. v. 16.3.2012 – 5 O 976/11, n.v. („Subway“); LG Köln, Urt. v. 26.4. 2012 – 29 O 234/11, n.v. („Subway“); LG Köln, Urt. v. 4.6.2012 – 22 O 478/11, n.v.; LG Mainz, Urt. v. 23.7.2012 – 12 KH O 62/11 Kart, n.v., unter Bezugnahme auf den Verfasser. 8 Vgl. z.B. Schmidt, in Münchener Kommentar zum HGB, § 1 Rz. 7; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 51, jew. m.w.N. 9 OLG Schleswig, Urt. v. 12.11.2009 – 16 U 30/09, n.v. 10 OLG Oldenburg v. 27.4.1989 – 1 U 256/88, NJW-RR 1989, 1081 f.; OLG Oldenburg v. 12.11.2001 – 9 SchH 12/01, BB 2001, 2499 f.; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. zu §§ 9–11 Rz. 361; Erdmann, BB 1992, 795 (796); Liesegang, BB 1991, 2381 f.; Ekkenga, S. 43 f. Basedow in MünchKomm/BGB, § 24 AGBG Rz. 3; Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 30 ff.
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Giesler 745
Teil G Rz. 246
Distributionsgeschäfte
braucher anzusehen ist1. Diese Differenzierung ist seit der Schuldrechtsreform im Hinblick auf den heutigen aus § 513 BGB nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Vorschrift bestimmt ausdrücklich, dass § 510 BGB auf Existenzgründungen anwendbar sein soll. Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn der Franchisenehmer als Verbraucher anzusehen wäre; die §§ 491 ff. BGB wären dann anwendbar, ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 513 BGB ankäme. Daraus ergibt sich zugleich, dass im AGB-Recht und im Bereich des EGBGB der Franchisenehmer ebenfalls kein „Verbraucher“ im Sinne des Gesetzes ist2. 246
Ebenso wenig ist Art. 8 der Rom I-VO anwendbar, weil es sich bei einem Franchisenehmer nicht um einen Arbeitnehmer handelt. Allerdings kann ausnahmsweise eine zu weitreichende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit des Franchisenehmers dazu führen, dass Sozialversicherungsrecht (Scheinselbständigkeit), formelles Arbeitsrecht (Rechtsweg zu den ArbG)3 oder gar materielles Arbeitsrecht4 auf den Franchisevertrag zur Anwendung kommt5.
IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten 1. Rechtsnatur des Franchiseverhältnisses 247
Die Rechtsnatur des Franchisevertrages ist umstritten. Für die herrschende Meinung ist er ist ein Mischvertrag6, bestehend aus Elementen verschiedener Vertragstypen des Besonderen Schuldrechts. Hierzu gehören etwa Kauf (§§ 433 ff. BGB), Miete (§§ 535 ff. BGB), Pacht (§§ 581 ff. BGB). Besondere Bedeutung haben Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) und Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Darüber hinaus enthält der Franchisevertrag Elemente des ebenfalls nicht spezialgesetzlich geregelten Lizenzvertrages. Die Gewichtung dieser Elemente der verschiedenen Vertragstypen ist bei jedem Franchisevertrag unterschiedlich7. Immerhin lässt sich sagen, dass im Vordergrund häufig Dienstleistung und Geschäftsbesorgung mit fallweise wechselnden Elementen der anderen Vertragstypen stehen8. Innerhalb der Gruppe der Mischverträge handelt es sich bei dem Franchisevertrag um einen Typenkombinationsvertrag. 1 BGH v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, ZIP 1995, 105 (107 f.) – Ceiling Doctor; KG v. 11.2.1993 – 2 W 706/93 (nicht veröffentlicht); LG Berlin v. 29.11.1999 – 99 O 63/99 (nicht veröffentlicht); bemerkenswert auch OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 1224 ff. – Rent the Trend; Pfeiffer/Dauck, NJW 1997, 30 f.; Herrfeld, S. 187 f.; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 106; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9–11 Rz. 348. 2 Ebenso für das neue Schuldrecht: Reif, Internationale Franchiseverträge, S. 58 f.; vgl. auch Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 30 ff., 107 ff. 3 Vgl. BAG v. 16.7.1997 – 5 AZB 29/96, ZIP 1997, 1714 ff. = WiB 1997, 1197 – Eismann I; BGH v. 4.11.1998 – VIII ZB 12/98, BGHZ, 140, 11 (19) = ZIP 1998, 2104 f. = NJW 1999, 218 ff. – Eismann II. 4 Vgl. BAG v. 24.4.1980 – 3 ARZ 911/77, AP Nr. 1 zu § 84 HGB = ZIP 1980, 777 f. = BB 1980, 1471 – Manpower; LAG Düsseldorf v. 20.10.1987, NJW 1988, 725 ff. = DB 1988, 293 ff. – Jacques’ Weindepot I; BAG v. 21.2.1990 – 5 AZR 162/98, AP Nr. 57 zu § 611 BGB Abhängigkeit – Jacques’ Weindepot II; ArbG Düsseldorf v. 20.5.1988 – 4 Ca 5858/87, AiB 1989, 128 ff. – Kurierfahrer I. 5 Vgl. grundlegend und ausführlich: Giesler in Giesler/Nauschütt, § 10 Rz. 1 ff.; Höpfner in Giesler/Nauschütt, § 11 Rz. 1 ff. 6 OLG Frankfurt v. 27.9.1994 – 11 U (Kart.) 30/94, WiB 1996, 640 f. – Pronuptia III; OLG Hamm v. 13.3.2000 – 8 U 113/99, NZG 2001, 1169 ff.; LG Karlsruhe v. 16.9.1988 – 4 O 214/88, NJW-RR 1989, 822; Schmidt, Handelsrecht, § 28 II 3 c, S. 766; Mack, S. 106; Palandt/Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 581 Rz. 22 f.; Herrfeld, S. 183; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 496; Enghusen, S. 169; Vortmann, S. 11; Weber, JA 1985, 347 (351); Skaupy, Franchising, S. 11 f. 7 Teilweise wird die Bedeutung der Rechtspacht besonders hervorgehoben. Vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, Einf. v. § 581 Rz. 22 f. Kroll, S. 41 zweifelt daran, dass sich Franchising überhaupt mit den Kategorien des bürgerlich-rechtlichen Vertragstypus erfassen lässt, kommt allerdings zur Anwendung pachtvertraglicher Vorschriften. In bestimmten Fälle will auch Ekkenga, S. 68 (72 ff.) das Pachtvertragsrecht in den Vordergrund stellen. 8 Martinek in Martinek/Semler, § 19 Rz. 53.
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Franchisevertrag
Rz. 250 Teil G
Andere Autoren sehen en Franchisevertrag als reinen Lizenzvertrag an, wobei sich die Lizenz auf eine Geschäftsidee, ein Geschäftsformat, eine Vertriebsidee oder auf Knowhow erstrecken soll1. Dabei wird verkannt, dass der Gegenstand eines Franchisekonzepts ist in weiten Teilen nicht lizenzfähig ist2. Gegen die rein lizenzvertragliche Sichtweise spricht vor allem, dass der gefestigte Begriff des Lizenzvertrages zu den umfangreichen Leistungspflichten im Franchising in einem unauflösbaren Widerspruch steht3. Eine weitere Mindermeinung möchte den Franchisevertrag insgesamt dem Typus des Geschäftsbesorgungsvertrages zuordnen4. Auch die von Martinek5 entwickelte Differenzierung zwischen Subordinations- und Partnerschaftsfranchising führt hinsichtlich einiger dieser Franchisetypen zu einer abweichenden Beurteilung des Rechtscharakters. Nach dieser Ansicht ist beim „Koalitionsfranchising“ das Rechtsverhältnis als BGB-Gesellschaft zu qualifizieren. Bei „Konföderationsfranchising“ nimmt Martinek einen ungeschriebenen „multilateralen Systemvertrag“ an, der dem Recht der BGB-Gesellschaft unterfallen soll6. Ein Teil der Lehre7 bejaht die Anwendbarkeit des Gesellschaftsrechts unabhängig von der Differenzierung in Franchisetypen. Die herrschende Meinung lehnt hingegen die Anwendbarkeit gesellschaftsrechtlicher Regeln zu Recht ab, wobei sich dies auch mit der Kritik an der Differenzierung von Martinek vermischt8. Franchising und Gesellschaftsrecht sind wesensverschieden9. Das Ziel, Umsatz und Gewinn zu machen, verfolgt jeder Partner für sich, weshalb nicht von der Erreichung eines gemeinsamen Zwecks (§ 705 BGB) gesprochen werden kann. Der Franchisenehmer erzielt Umsatz durch Warenabsatz und Dienstleistungen an den Endkunden, während der Franchisegeber seine Umsätze erzielt, indem er von den Franchisenehmern Gebühren erhebt. Vor allem lässt sich der Franchisegeber seine Leistungen vergüten, die er gegenüber dem Franchisenehmer erbringt10. Das OLG Hamm11 hast diese herrschende Meinung bestätigt.
248
2. Leistungsverweigerung bei Nachinvestitionen und Investitionsschutz Die Einwendung des § 275 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB werden womöglich zukünftig Franchisenehmer geltend machen, wenn die Änderung der Systemvorgaben im laufenden Franchiseverhältnis zu einer unverhältnismäßig hohen Investition zwingt. Die Norm ist restriktiv auszulegen und sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen sich die Investition nicht mehr amortisieren kann oder dazu führt, dass auf absehbare Zeit keine Gewinne mehr erzielt werden können12.
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Die herrschende Lehre hat stets unter vergleichbaren Billigkeitsgesichtspunkten (allerdings mit einer anderen Zielrichtung)13 einen Investitionsschutz bei der Beendigung
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1 Skaupy, NJW 1992, 1785 (1789); Lenzen, RIW 1984, 586 ff.; Finger, GRUR 1970, 3 ff.; Forkel, ZHR 153 (1989), S. 511 ff.; Ullmann, CR 1991, 193 f. 2 Martinek in Martinek/Semler, § 4 Rz. 40; Martinek, Moderne Vertragstypen, S. 46 f. 3 Kroll, S. 38 m.w.N. 4 Ebenroth, S. 68 ff.; vgl. auch die Hinweise bei Martinek, Moderne Vertragstypen, S. 69. Zur Kritik vgl. Ekkenga, S. 73; Kroll, S. 29 ff. 5 Martinek, Franchising, S. 147 ff. 6 Martinek, Franchising, S. 252, (410 ff., 583 ff.); Martinek in Martinek/Semler, § 4 Rz. 73. 7 Baumgarten, S. 136; vgl. dazu in jüngerer Zeit Zwecker, JA 1999, 159 ff. 8 Vgl. Enghusen, S. 173 ff.; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, in Gernhuber, S. 493; Blaurock, S. 35; Schulthess, S. 142; Höpfner, S. 71; Weber, JA 1983, 347 (351); Mack, S. 99; Kroll, S. 14. 9 Vgl. ausführlich Pasderski in Giesler/Nauschütt, § 8 Rz. 1 ff. 10 A.A. Ekkenga, S. 81 f. 11 OLG Hamm v. 13.3.2000 – 8 U 113/99, NZG 2001, 1169 ff. 12 Giesler, ZIP 2002, 420 (424, 426 f.); Giesler, Franchiseverträge, Rz. 91. 13 Aus § 242 BGB sollen sich entweder (auch wahlweise, vgl. Ebenroth, S. 184 ff. (191 ff.); Foth, BB 1987, 1270) Kündigungsschranke, Auslaufschutz oder Ersatzanspruch ergeben.
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Teil G Rz. 251
Distributionsgeschäfte
des Franchiseverhältnisses gem. § 242 BGB1 oder analog §§ 675, 670 BGB2 befürwortet. Grundsätzlich ist allerdings dem Interesse des Franchisegebers an einer Umsetzung der Systemvorgaben Vorrang einzuräumen. 3. Die Behandlung von Leistungsstörungen in Franchiseverhältnissen 251
Das Bestehen von Gewährleistungsrechten in Franchiseverhältnissen ist mehrere Jahrzehnte nicht diskutiert worden3. In der Praxis stellt sich die Frage nach der Behandlung von Leistungsstörungen überwiegend aus Sicht der Franchisenehmer. Ein Franchisegeber kann der Nicht- oder Schlechtleistung eines Franchisenehmers entweder durch die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes (je nach der vertraglichen Ausgestaltung4 des Synallagma gem. § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB oder gem. § 273 Abs. 1 BGB) oder auf dem Umweg über die Androhung einer außerordentlichen Kündigung begegnen. Ein Blick auf die Rechtsprechung5 zeigt, dass die Franchisegeber als Sanktion auf eine Nichtoder Schlechtleistung im Bereich der Umsetzung des Systemkonzeptes oder im Bereich der Gebührenzahlung die Kündigung des Franchisevertrages in Betracht ziehen.
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Die Schwierigkeiten beginnen damit, dass die Rechtsnatur des Franchisevertrages umstritten ist (vgl. dazu oben Rz. 207). Auch wenn der BGH6 und das OLG Hamm7 die Frage nach der Rechtsnatur offen gelassen haben, so ist festzustellen, dass die meisten Franchiseverträge Elemente des Dienstvertrags-, Geschäftsbesorgungsvertrags-, Pachtund Kaufrechts enthalten. Die nächste Schwierigkeit liegt dann in der Ermittlung der Rechtsfolgen. Die Leistungsstörung muss einem bestimmten Vertragstyp zugeordnet werden, während sich die Gegenleistung auch auf andere Typenelemente bezieht, die möglicherweise ordnungsgemäß erfüllt werden. Zu der Bewältigung dieser Schwierigkeit sind kaum Kriterien entwickelt worden8. Folgt man der herrschenden Lehre, sind als Lösungsinstrumente die Kombinationstheorie und die Theorie der analogen Rechtsanwendung zur Anwendung zu bringen9. Danach sind die Regeln der im ge1 Grundlegend Ebenroth, S. 172 ff.; Martinek, Franchising, S. 334 ff.; Foth, BB 1987, 1270 (1272); Giesler, Franchiseverträge, Rz. 234; a.A. Joerges, AG 1991, 325 (340); Ekkenga, S. 171. 2 Streitig. Für eine Analogie: Höpfner, S. 182 ff.; Giesler, WM 2001, 658 ff. Dagegen Flohr, ZAP, Fach 6, S. 362 v. 6.12.2000. 3 Grundlegend Giesler, ZIP 2000, 2098 ff.; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 71 ff. Hinweise finden sich bei Vortmann, S. 25 f.; Martinek in Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 19 Rz. 53; Flohr, WiB 1997, 481. 4 In den meisten Franchiseverhältnissen stehen einer Vielzahl von einzelnen Systemeingliederungs- und Betriebsförderungspflichten des Franchisegebers (Lizenzvergabe, Know-how Transfer, Beratung, Unterstützung, Entwicklung von neuen Produkten, Marktbeobachtung, Training) die Absatzförderungs-, Betriebsführungs- und Gebührenzahlungspflichten des Franchisenehmers gegenüber. Je nach Franchisevertrag ist das Synallagma unterschiedlich ausgestaltet. Häufig sehen Franchiseverträge vor, dass die vom Franchisenehmer gezahlte Eintrittsgebühr die Gegenleistung für die Teilhabe an dem System in dem Vertragszeitraum darstellt. Die laufenden Franchisegebühren stellen dann regelmäßig die Gegenleistung für die Geschäftsbesorgungsund Dienstleistungen des Franchisegebers dar. Das Gegenmodell beruht auf den Erkenntnissen aus einem Urteil des LG Frankfurt/M. (Urt. v. 2.11.1994 – 13 U 168/93, NJW-RR 1995, 1395). 5 BGH v. 3.10.1984 – VIII ZR 118/83, NJW 1985, 1894 f. = ZIP 1984, 1494 ff. – Mc Donald’s; KG v. 21.11.1997 – 5 U 5398/97, BB 1998, 607 f. – Burger King. 6 BGH v. 13.1.2000 – III ZR 342/98, WM 2000, 783 ff. = MDR 2000, 510 f. = NJW-RR 2000, 1159 ff.; vgl. dazu Becker, DStR 2000, 1618. 7 OLG Hamm v. 13.3.2000 – 8 U 113/99, NZG 2001, 1169 ff. mit dem Hinweis, es handele sich bei einem Franchisevertrag um einen Mischvertrag. 8 Vgl. die Kritik von Stein-Wigger, S. 125; ähnlich Ekkenga, S. 15. Der Rechtsanwender wird von der Literatur auf „die Interessenlage des konkreten Einzelfalls“ (vgl. Mack, S. 105; Weber, JA 1983, 347 [351]) oder auf den „Gesamtcharakter des Franchisevertrages“ verwiesen (vgl. Emmerich, JuS 1995, 761 [763]). 9 Kombinations- oder Kumulationstheorie, vgl. OLG Hamburg v. 12.8.1976 – 6 U 58/76, VersR 1977, 567 m.w.N.; OLG Frankfurt v. 27.9.1994 – 11 U (Kart.) 30/94, WiB 1996, 640 (641) – Pronuptia III; Larenz/Canaris, § 63 II 2 a, S. 48.
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Franchisevertrag
Rz. 254 Teil G
mischten Vertrag vertreten Typen auf den jeweils entsprechenden Teil der Vereinbarung anzuwenden. Für die Verletzung der Einzelpflichten durch den Franchisegeber ist dann eine Gesamtsanktion zu ermitteln1, die sich an dem eingreifenden Typenelement orientiert. Dazu dient die 4-Stufen-Methode2, so dass im Ergebnis eine einheitliche Rechtsfolge festgestellt wird. Von der Nicht- oder Schlechtleistung aufseiten des Franchisegebers sind häufig die Elemente des Dienst- und Geschäftsbesorgungsvertrages betroffen. Nach altem Schuldrecht stand dem Franchisenehmer nach einer Literaturansicht3 und nach der Rechtsprechung4 ein „Minderungsrecht“ (verhältnismäßige Herabsetzung der Gegenleistung) gem. § 325 Abs. 1, Satz 3, § 323 Abs. 1 Halbs. 2 BGB a.F. zu. Die Vorschriften galten sowohl für die Fälle der Nichterfüllung als auch für die Fälle der Schlechterfüllung, die sich in manchen Fällen als qualitative Teilunmöglichkeit darstellte5. Die Bestimmungen sind durch die Schuldrechtsreform entfallen. Für die Nichtleistung gelten seit der Schuldrechtsreform die § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Halbs. 1 BGB. Das „Minderungsrecht“ des Franchisenehmers lässt sich bei einer Schlechtleistung aus den § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Halbs. 2, § 441 Abs. 3 BGB (Teilunmöglichkeit) entnehmen. Voraussetzung ist in beiden Fällen das Vorliegen des Tatbestandes der Unmöglichkeit, § 275 Abs. 1 BGB. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor. Der überwiegende Teil der Leistungen des Franchisegebers hat den Charakter eines absoluten Fixgeschäftes. Eine vollständig nicht erbrachte oder verzögerte Leistung kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nachgeholt werden (sog. Unmöglichkeit der Zeit nach)6. Nach dem heutigen Schuldrecht muss für die Anwendung des § 326 BGB nicht mehr zwischen Haupt- und Nebenleistungen unterschieden werden. Voraussetzung ist, dass die Gegenleistung, die von dem vollständigen Wegfall oder der Minderung betroffen ist, im Synallagma mit der unmöglich gewordenen Leistung steht. Das Synallagma ist anhand der 4-Stufen-Methode zu ermitteln. Außerdem ist zu beachten, dass gem. § 441 Abs. 3 BGB eine Schätzung des Minderungsbetrages möglich ist7.
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Ein anderer, von einer Mindermeinung vertretener, Lösungsansatz besteht in der analogen Anwendung der Gewährleistungsvorschriften aus dem Pachtrecht (§§ 581 Abs. 2, 537 BGB)8. Für den Bereich der Typenelemente des Dienst-, Geschäftsbesorgungs- und Kaufvertrages kommt eine Analogie angesichts der Regelung in §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Halbs. 2, 441 Abs. 3 BGB nicht in Betracht. Das Recht zur Minderung analog §§ 581 Abs. 2, 537 BGB ist jedoch bei mangelhaften Know-how Transfer anzuwenden. Dies betrifft die Überlassung von ungeeignetem oder unzureichendem Know-how. Ein mangelhaftes Franchisehandbuch stellt sich als Unterfall dieser Fallgruppe dar. Werden hingegen Schulungsleistungen mangelhaft erbracht, liegt ein Fall der Teilunmöglichkeit vor, so dass gem. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Halbs. 2, 441 Abs. 3 BGB zu mindern ist9. Daneben besteht in allen Fällen das Zurückbehaltungsrecht gem.
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1 2 3 4
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Vgl. Martinek in Martinek/Semler, § 19 Rz. 53 f. Vgl. Giesler, ZIP 2000, 2098 f.; Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 176. Giesler, Franchiseverträge, Rz. 529, Fn. 145; Giesler, ZIP 2000, 2098 (2100). OLG Frankfurt v. 27.9.1994 – 11 U (Kart.) 30/94, WiB 1996, 640 ff. – Pronuptia III. Die Entscheidung ist missverständlich. Das Gericht hat § 323 Abs. 1 Halbs. 2 BGB a.F. angewandt und nur aus Sachverhaltsgründen verneint, während zugleich festgestellt wurde, dass dem Dienstvertragsrecht zuzuordnende Leistungspflichten keiner Gewährleistung unterworfen seien. Emmerich in MünchKomm/BGB, § 325 Rz. 57 m.w.N. Vgl. zur Anwendbarkeit der §§ 276, 225 Abs. 1 S. 3, 223 Abs. 1 Halbs. 2 BGB a.F. auf vergleichbare Konstellationen im Dienstvertragsrecht: BGH v. 22.5.1990 – IX ZR 208/89, LM § 611 Nr. 91 = NJW 1990, 2549. Vgl. Giesler, ZIP 2000, 2098 (2100); Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 177. Unter der Geltung des alten Schuldrechts war eine Schätzung gem. § 287 ZPO nicht möglich, vgl. Giesler, ZIP 2000, 2198 (2100). Vgl. zu einem Fall der Schlechterfüllung hinsichtlich des Know-how-Transfers, LG Hamburg v. 10.4.2001 – 313 O 182/99 n.v.; LG Hamburg v. 10.4.2001 – 313 O 184/99 (n.v.); Kroll, S. 86. Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 195 f.
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Giesler 749
Teil G Rz. 255
Distributionsgeschäfte
§ 320 Abs. 1 BGB. Dies gilt insbesondere, wenn hinsichtlich des Know-how-Transfers eine Nichtleistung vorliegt. Nach der Ansicht von Kroll soll der Franchisegeber nach den pachtrechtlichen Vorschriften (§§ 581 Abs. 2, 537 BGB) außerdem Gewähr dafür leisten, dass das Marketingkonzept zur Erreichung des Zwecks geeignet ist1. Als „Zweck“ wird dabei angesehen, dass das Marketingkonzept tatsächlich zu einem erfolgreichen Absatz führen kann. Diese Ansicht ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass den Franchisegeber die Hauptpflicht2 trifft, dem Franchisenehmer eine wirtschaftliche Existenzgrundlage für dessen Franchisebetrieb zu verschaffen3 und ihn vor geschäftlichen Fehlinvestitionen zu bewahren4. 255
Im Falle der Nicht- oder Schlechtleistung steht den Vertragspartnern außerdem ein Schadenersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB zu. Allerdings wird der Franchisenehmer wegen einer Schlechtleistung des Franchisegebers meist keinen ersatzfähigen Schaden darlegen und beweisen können5. 4. Verbundene Verträge und einheitliche Rechtsgeschäfte
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Häufig schließen die Partner weitere Verträge ab, z.B. Mietverträge über Geschäftsräume oder Fahrzeuge, Darlehensverträge und Softwarelizenzverträge, die mit dem Franchisevertrag in einem wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhang stehen.
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Wenn für den Franchisevertrag ein Schriftformerfordernis gilt, was etwa gem. § 510 Abs. 1 BGB) der Fall sein kann, ist der Grundsatz der Urkundeneinheitlichkeit zu beachten. Selbst wenn nach heute allgemeiner Meinung keine feste Verbindung der Verträge mehr notwendig ist, so müssen nach der noch zu § 34 dtGWB 1990 ergangenen „Kölsch“-Entscheidung des BGH6 der Franchisevertrag und die mit ihm in einem Zusammenhang stehenden Verträge als einheitliche Vertragsurkunde erscheinen. Das kann z.B. dadurch erreicht werden, dass in der Fußzeile des gesamten Dokumentes und sämtlicher Anlagen klargestellt wird, zu welchem Vertrag die einzelnen Blätter gehören.
258
Die Anfechtung der einen Willenserklärung führt im Regelfall auch zur Nichtigkeit des anderen Vertrages. Gleiches gilt für die anfängliche Nichtigkeit eines Vertrages. Dies ergibt sich aus §§ 139 BGB7. Dabei steht nicht der Begriff der „verbundenen Verträge“ zur Rede, sondern die Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Franchise- und Mietvertrag reicht nicht aus, um ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S.v. § 139 BGB zu begründen. Maßgeblich hierfür ist der Einheitlichkeitswille8 der Vertragspartner. Deren Willen muss zu entnehmen sein, dass die Rechtsgeschäfte miteinander stehen und fallen sollen9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Kroll, S. 109 ff. A.A. Höpfner, S. 66. Flohr, Franchise-Vertrag, S. 92; Höpfner, S. 66; Mack, S. 55. BAG v. 24.4.1980 – 3 AZR 911/77, ZIP 1980, 777 f. = BB 1980, 1471; Flohr, ZAP Nr. 23 v. 6.12. 2000, Fach 6, S. 362. Vgl. dazu den in der Entscheidung OLG Frankfurt v. 27.9.1994 – 11 U (Kart.) 30/94, WiB 1996, 640 ff. – Pronuptia III gewählten Lösungsansatz. Vgl. BGH v. 14.1.1997 – KZR 36/95, WiB 1997, 882 – Kölsch. Die Vermutung des § 139 BGB gilt auch für die Nichtigkeit nach Anfechtung, wenn die Anfechtungserklärung lediglich einen Teil eines verbundenen Rechtsgeschäfts betrifft; vgl. BGH v. 27.6. 1969 – V ZR 74/66, NJW 1969, 1759; Palandt/Ellenberger, BGB, § 139 Rz. 2. BGH v. 23.2.1968 – V ZR 188/64, BGHZ 50, 8 (13); BGH v. 25.3.1987 – VIII ZR 43/86, NJW 1987, 2004 (2007) m.w.N.; Palandt/Ellenberger, BGB, § 139 Rz. 5. Dagegen will Mayer-Maly in MünchKomm/BGB, § 139 Rz. 12 auf den objektiven Sinnzusammenhang abstellen. BGH v. 23.2.1968 – V ZR 188/64, BGHZ 50, 8 (13); BGH v. 25.5.1983 – VIII ZR 51/82, NJW 1983, 2026 (2028); BGH v. 25.3.1987 – VIII ZR 43/86, NJW 1987, 2004 (2007); BGH v. 8.10.1990 – VIII ZR 176/89, BGHZ 112, 288 (293).
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Franchisevertrag
Rz. 262 Teil G
Lediglich auf den ersten Blick komplizierter sind die Folgen bei Widerruf nach Verbraucherkreditrecht (§§ 513, 510, 355 BGB). Der Widerruf wirkt nach der „Ceiling Doctor“-Entscheidung des BGH1 nur auf die kreditrechtlichen Teile des Franchisevertrages, aus denen sich die Anwendbarkeit des Verbraucherkreditrechts ergibt. Nach der Gegenansicht2 ist stets von einer Gesamtunwirksamkeit auszugehen, weil die auf den Abschluss des Vertrages gerichtete, einheitliche Willenserklärung nicht „aufgeteilt“ werden kann. Beide Ansichten gelangen, jedenfalls was die Wirkung auf verbundene Rechtsgeschäfte angeht, am Ende zur Anwendung des § 139 BGB. Der BGH3 hat die Gesamtnichtigkeit mehrfach bejaht, bspw. für das Verhältnis von Franchisevertrag und Kaufvertrag für die Warenerstausstattung. Zu dem gleichen Ergebnis gelangen das OLG Nürnberg und die wohl herrschende Lehre4.
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Bei verbundenen Verträgen führt die Kündigung des einen Vertrages auch zur Beendigung des anderen5. Dies ergibt sich meist bei einer Auslegung der Verträge (§§ 157, 133 BGB). Bei außerordentlicher Kündigung durch den Franchisenehmer, die durch den Franchisegeber verschuldet ist, kann man unter Berücksichtigung von Investitionsschutz und Treu und Glauben über eine andere Lösung nachdenken6.
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Im Verhältnis von Franchisevertrag und Mietvertrag werden Zurückbehaltungsrechte des Franchisenehmers an der Mietsache diskutiert. § 273 Abs. 1 BGB scheidet meist wegen §§ 556 Abs. 2, 580 BGB aus7. Allerdings ist § 556 Abs. 2 BGB ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn der Mietvertrag nichtig oder wirksam angefochten8 ist oder wenn die Ansprüche des Mieters auf einem vorsätzlichen Verhalten des Vermieters beruhen9. Bei einer auf den Mietvertrag durchschlagenden Anfechtung des Franchisevertrages kann sich für den Franchisenehmer demnach ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB ergeben10. Daneben kann der Franchisenehmer dem Herausgabeanspruch des Franchisegebers in bestimmten Ausnahmefällen die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB entgegen halten11. § 556 Abs. 2 BGB ist dann nicht anwendbar.
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5. Verbraucherschutzrecht a) Verbraucherkreditrecht Im Zuge der Schuldrechtsreform ist das Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) in das BGB integriert worden. Vorläufer des VerbrKrG war das Abzahlungsgesetz (AbzG). Be1 BGH v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, ZIP 1995, 105 (107 f.) = NJW 1995, 722 f. – Ceiling Doctor; vgl. auch BGH v. 16.4.1986 – VIII ZR 79/85, ZIP 1986, 781 (783 f.); missverständlich Palandt/ Putzo, BGB, § 7 VerbrKrG Rz. 5. 2 OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 1224 (1226) – Rent the Trend m.w.N.; Giesler in dona scripta, S. 405 (408); Giesler, WM 2001, 1441 ff. 3 BGH v. 8.10.1990 – VIII ZR 176/89, BGHZ 112, 288 (293); BGH v. 5.11.1997 – VIII ZR 351/96, WM 1998, 126. 4 OLG Nürnberg v. 3.2.1998 – 3 U 3361/96 (n.v.); Flohr, ZAP Nr. 23 v. 6.12.2000, Fach 6, S. 358; Giesler, WM 2001, 658 ff. 5 Vgl. Giesler in dona scripta, S. 405 (408); vgl. dazu auch OLG Düsseldorf v. 15.1.1987 – 6 U 149/86, WM 1987, 599 ff. – Nichtigkeit; BGH v. 8.10.1990 – VIII ZR 176/89, BGHZ 112, 288, 293 – Franchisevertrag und Kaufvertrag. 6 Vgl. zur Abwägung Giesler in Giesler/Nauschütt, § 5 Rz. 229. 7 OLG Hamburg v. 17.10.1996 – 4 W 56/96, WiB 1997, 480 f. 8 Dies hat seinen Grund darin, dass in diesen Fällen der Herausgabeanspruch nur auf §§ 985, 812 BGB gestützt werden kann; h.M., vgl. BGH v. 20.5.1964 – VIII ZR 56/63, BGHZ 41, 341 (347); Voelskow in MünchKomm/BGB, § 556 Rz. 23. 9 Voelskow in MünchKomm/BGB, § 556 Rz. 22. 10 Die Regelung des § 273 Abs. 2 BGB ist für Herausgabeansprüche nicht abschließend, BGH v. 17.3.1975 – VIII ZR 245/73, BGHZ 64, 122 (125). Im Übrigen gilt das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht gem. § 369 Abs. 1 HGB nur für bewegliche Sachen. 11 Vgl. erstmals Flohr, WiB 1997, 481; ausführlich Giesler, NZM 2001, 658 ff.
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Teil G Rz. 263
Distributionsgeschäfte
reits unter der Geltung des AbzG stand fest1, dass sich ein Franchisevertrag als Abzahlungsgeschäft darstellen konnte und der Franchisenehmer in diesem Fall über sein Widerrufsrecht gem. § 1b AbzG zu belehren war. 263
Das Recht der Verbraucherverträge ist im BGB an verschiedenen Stellen geregelt (§§ 13, 14, 355 ff., 491 bis 513 BGB). Für Franchiseverträge maßgeblich sind die Bestimmungen über Ratenlieferungsvertrag und Widerrufsrecht gem. §§ 513, 510 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 355 BGB. Voraussetzung für die Anwendbarkeit scheint nur auf den ersten Blick zu sein, dass der Franchisenehmer als Verbraucher anzusehen ist (§§ 510, 13, 14 BGB). Weil der Franchisenehmer indes unstreitig kein Verbraucher ist – es liegt bei dem Abschluss des Franchisevertrages bereits Unternehmerhandeln vor – ergibt sich die Lösung auf den zweiten Blick zwanglos aus § 513 BGB. Dort ist bestimmt, dass § 510 BGB auch auf Existenzgründungen anwendbar ist (der Ratenlieferungsvertrag kann „für die Aufnahme“ einer selbständigen Tätigkeit bestimmt sein). Unter der alten Rechtslage galt Vergleichbares2.
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Problematisch ist seit der Schuldrechtsreform die Wertgrenze für Existenzgründungsfinanzierungen (§ 513 BGB). Die Vorschrift hatte zwar nach altem Recht eine Entsprechung in § 3 Abs. 1 Nr. 2 dtVerbrKrG. Der ganz herrschenden Meinung zufolge fand jedoch die Vorschrift keine Anwendung auf § 2 Nr. 3 dtVerbrKrG3. Anlass für den Ausnahmetatbestand war das Bestreben, die gewerblichen Großkredite in Verbindung mit der Gründung von Handelsgesellschaften auszuschließen4. Dieser Gedanke ist bereits bei Schaffung des VerbrKrG umstritten gewesen, weil die generelle Ausnahme für Großkredite nicht nur die Gründung von Handelsgesellschaften, sondern auch die Kleingewerbetreibenden betrifft. Der Kreditbedarf bei der Existenzgründung von Einzelunternehmern übersteigt nämlich regelmäßig ebenfalls einen Betrag von 75.000 E, ohne dass diese Personengruppe weniger schutzwürdig ist5. Die herrschende Lehre zum VerbrKrG nahm daher an, dass die mit § 513 BGB vergleichbare Bestimmung einer teleologischen Reduktion zu unterziehen ist6. Anwendbar ist die Ausnahme daher nur auf Großkredite, die für die Gründung von Handelsgesellschaften bestimmt sind. Fraglich ist, ob § 513 BGB im Bereich des Franchisings weiterhin einer teleologischen Reduktion unterzogen werden muss. Die Frage ist umstritten. Ein Teil der Lehre lehnt die teleologische Reduktion der Vorschrift allgemein ab oder wendet § 513 BGB beim Franchising einfach unkritisch an7. Dagegen hat sich eine von dem Verfasser begründete Literaturmeinung gebildet, die eine teleologische Reduktion der Bestimmung
1 BGH v. 24.4.1985 – VIII ZR 73/84, ZIP 1985, 807 = NJW 1985, 1544; OLG Düsseldorf v. 15.1.1987 – 6 U 149/86, WM 1987, 599 ff.; OLG Schleswig v. 28.7.1988 – 2 U 28/87, NJW 1988, 3024. 2 BGH v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, ZIP 1995, 105 (107 f.) – Ceiling Doctor; KG v. 11.2.1993 – 2 W 706/93 (n.v.); LG Berlin v. 29.11.1999 – 99 O 63/99, n.v.; OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 1224 ff. – Rent the Trend; Pfeiffer/Dauck, NJW 1997, 30 f.; Herrfeld, S. 187 f.; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9–11 Rz. 348. 3 BGH v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, BGHZ 128, 156 (160) = WM 1995, 284 = NJW 1995, 722 = ZIP 1995, 105 (107 f.) – Ceiling Doctor; OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 1224 ff. – Rent the Trend; vgl. dazu auch: BGH v. 24.4.1985 – VIII ZR 73/84, ZIP 1985, 807 f. = NJW 1544 f.; OLG Düsseldorf v. 15.1.1987 – 6 U 149/86, WM 1987, 599 ff.; OLG Schleswig v. 28.7.1988 – 2 U 28/87, NJW 1988, 3024. 4 Vgl. die Begründung zur Empfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 11/8274, 20 f. (24 f.). 5 Kessal-Wulf in Staudinger/BGB, § 3 VerbrKrG Rz. 9; Reinking/Nießen, ZIP 1991, 79 ff. 6 Kessal-Wulf in Staudinger/BGB, § 3 VerbrKrG Rz. 9; Reinking/Nießen, ZIP 1991, 79 ff.; Vortmann, § 3 VerbrKrG, Rz. 5. Eine Gegenstellungnahme ist nicht ersichtlich. 7 Zum Franchising Flohr, Franchise-Vertrag, 3. Aufl., S. 253; Dombrowski, S. 39 ff.; allgemein gegen eine telelogische Reduktion der Bestimmung Habersack in MünchKomm/BGB, § 507 Rz. 7; eher unkritisch wohl auch d’Avis, in Gedächtnisschrift für Skaupy, S. 34; unkritisch (trotz der Verwendung des Wortes „problematisch“ in diesem Zusammenhang) auch Möller in BeckOK/ BGB, § 512 Rz. 8.
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Franchisevertrag
Rz. 265 Teil G
bei Franchisenehmer-Existenzgründungen annimmt1. oder die Anwendung des § 513 BGB in diesen Fällen zumindest als problematisch ansieht2. Gegenwärtig ist nicht erkennbar, dass sich die Auffassung, die für eine teleologische Reduktion streitet, einen Niederschlag in der Rechtsprechung findet. Deshalb ist unbedingt zu empfehlen, Franchiseverträgen eine Widerrufsbelehrung beizufügen. Dies gilt vor allem in den Fällen, in denen nicht von Anfang an „feststeht“, dass die Bezugsverpflichtung des Franchisenehmers den Wert von 75.000 E übersteigen wird. Der Begriff „Barzahlungspreis“ in § 513 BGB mag bereits aufgrund der verwendeten Wortbestandteile seltsam erscheinen (weshalb „Bar-“ bzw. „Barzahlungs-“?) und führt beim Franchising zu erheblicher Ungewissheit3. Der Begriff ist aus der Vorstellung des Gesetzgebers entsprungen, dass die Ratenlieferung aus Kreditgewährungsgründen vereinbart wird (z.B. Teilzahlungsgeschäft als Finanzierungshilfe, vgl. die Informationspflicht zum Barzahlungspreis Art. 247 § 12 Abs. 1 Nr. 1 dtEGBGB sowie §§ 506 Abs. 4 Satz 2, 507 Abs. 1 Satz 2 BGB), was indes typischerweise nichts mit der Wirklichkeit des Franchisings zu tun hat. Ein Franchisevertrag sieht normalerweise nicht deshalb eine Ratenlieferung vor, weil dem Franchisenehmer eine Finanzierungshilfe gewährt werden soll, sondern weil es sich um ein jahre- oder jahrzehntelanges Dauerschuldverhältnis handelt, in dessen Verlauf der Franchisenehmer – insbesondere wenn er Einzelhändler, Gastronom oder Handwerker ist – wiederkehrend Ware bestellt, um damit seine Kunden zu beliefern und weil Bezug und Weiterveräußerung von Ware der Gegenstand seines Unternehmens sind. Abgesehen davon, dass eine Mindermeinung sogar die Eintrittsgebühr als den Anknüpfungspunkt für den „Barzahlungspreis“ ansehen will, obwohl die Eintrittsgebühr normalerweise wirklich rein gar nichts mit der Ratenlieferung zu tun hat, passt der Begriff „Barzahlungspreis“ nicht zu einem Franchisevertrag. Geht man von der Anwendbarkeit der Wertgrenze aus, treten unbekannte Probleme auf. Diese hängen damit zusammen, dass ein Gesamtabnahmewert für den Warenbezug im Franchising selten vereinbart wird. Daher steht nicht fest, welchen Warenwert („Barzahlungspreis“) der Verpflichtung des Franchisenehmers zum wiederkehrenden Erwerb verkörpert. Es besteht also die Notwendigkeit, eine unbestimmte Verpflichtung zu bestimmen. Hierfür ist letztlich eine Prognose notwendig. Folgende Regeln gelten4: Maßgeblich für die Ermittlung des Wertumfangs der Verpflichtung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses5. Von dem Vertragsschluss ausgehend muss eine Verpflichtungsprognose aufgestellt werden. Dieser von dem Verfasser begründeten Auffassung haben sich inzwischen einige Instanzgerichte angeschlossen6. Maßgeblich für die Berechnung im Rahmen der Verpflichtungsprognose ist die Laufzeit des Franchisevertrages7. Die Verpflichtungsprognose für Abnahmemengen in der Zukunft bringt eine Anwendungsunsicherheit mit sich. Wenn annähernd 100 % der Franchisenehmer beim Warenbezug die Wertgrenze überschritten haben, wird man in jedem Fall annehmen können, dass die Verpflichtung eines neuen Franchisenehmers einen Wertumfang über 75.000 E hat. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Überschreitung der Wertgrenze trägt der Franchisegeber. Bei der Verpflichtungsprognose außer Betracht zu blei1 Erstmals Giesler, ZIP 2002, 420 f.; ders. in Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, C 25 Rz. 45 ff.; Plassmeier in Klauselbuch Schuldrecht, § 10 Rz. 30; Giesler/Güntzel, in Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rz. 408. 2 Palandt/Weidenkaff, BGB, § 512 Rz. 5 sowie in den Vorauflagen Palandt/Putzo, BGB, § 507 Rz. 7 („problematisch bei Franchisevertrag“); Schürnbrand in MünchKomm/BGB, § 512 Rz. 8 (vgl. dort Fn. 30). 3 Kritsch zu dem Begriff auch Blomeyer/Schünemann, JZ 2010, 1156. 4 Vgl. ausführlich Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 116 ff. 5 Ebenso Kessal-Wulf in Staudinger/BGB, § 3 VerbrKrG Rz. 9. 6 Vgl. LG Mainz, Urt. v. 25.4.2012 – 9 O 233/11, n.v.; LG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.2012 – 14c O 275/11, n.v.; LG Düsseldorf, Urt. v. 7.2.2013 – 14c O 225/12; ausdrücklich wie hier LG Kiel, Urt. v. 9.11.2012 – 14 O 138/11 Kart, n.v. 7 Vgl. Ulmer in MünchKomm/BGB, § 3 VerbrKrG Rz. 11 – für Liefer- und Bezugsverträge.
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Teil G Rz. 266
Distributionsgeschäfte
ben hat der Wert der Erstausstattung, es sei denn, diese wäre in Teilleistungen zu liefern (dann läge ein Fall des § 510 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor). 266
Die Anwendbarkeit Verbraucherkreditrechts auf Franchiseverträge kann sich nur aufgrund einer Bezugsverpflichtung i.S.v. § 510 Abs. 1 Nr. 3 BGB ergeben („wiederkehrender Erwerb oder Bezug von Sachen“). Vom Sonderfall des beschaffungsoffenen Franchising abgesehen, enthalten im Bereich des Warenfranchisings die meisten Franchiseverträge eine Bezugsbindung. Es ist ausreichend, wenn sich die Verpflichtung aus dem Franchisevertrag mittelbar ergibt1. Anbieter der zu beziehenden Ware kann ein Dritter (Systemlieferant) sein2. Das Verbraucherkreditrecht kann im Bereich des Dienstleistungsfranchising anwendbar sein, z.B. wenn der Franchisenehmer verpflichtet ist, seinen Betrieb nach den Vorgabe des Franchisegebers zu gestalten, da durch eine Änderung der Vorgaben eine Bezugsverpflichtung ausgelöst wird3.
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In der Praxis spielt die Frage eine große Rolle, ob ein Widerrufsrecht gem. §§ 510 Abs. 2, 355 BGB trotz des Nichtvorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 510 Abs. 1 Satz 1 BGB bestehen kann, wenn der Franchisegeber den Franchisenehmer freiwillig – gemeint ist in praktischer Hinsicht: irrtümlich oder versehentlich – über ein Widerrufsrecht belehrt. Diese Sachverhalte werden meist unter dem Stichwort der irrtümlichen, freiwilligen, versehentlichen oder unnötigen4 Widerrufsbelehrung zusammengefasst. Zu einer irrtümlichen Belehrung kann es kommen, wenn sich der Franchisegeber über das Nichtvorliegen der Existenzgründereigenschaft des Franchisenehmers irrt oder wenn er irrtümlich annimmt, die Wertgrenze sei nicht überschritten. Angesichts der vielen Unklarheiten im Zusammenhang mit den §§ 513 und 510 BGB empfiehlt die Literatur ohnehin, im Zweifel jeden Franchisenehmer über sein Widerrufsrecht zu belehren5. Wenn ein Franchisegeber dieser Empfehlung folgt, wäre seine Handlungsweise am ehesten mit dem Attribut der „Freiwilligkeit“ zu versehen. In der Realität ist es allerdings vielfach so, dass die bei einem Franchisegeber für den Abschluss von neuen Franchiseverträgen zuständigen Mitarbeiter im Hinblick auf das Widerrufsrecht „gar nichts denken“ und das Muster verwenden, dass der Rechtsanwalt des Franchisegebers erstellt hat. „Freiwillig“ ist dies eher nicht, stattdessen kann man von „versehentlich“ sprechen. Nachfolgend soll verkürzend von der „unnötigen“ Widerrufsbelehrung gesprochen werden, die sämtliche der vorstehend dargestellten Sachverhalte umfasst. Hinsichtlich der rechtlichen Behandlung von unnötigen Widerrufsbelehrungen besteht Streit. Auf diesen Streit kommt es in der Praxis maßgeblich meist nur dann an, wenn ein Franchisenehmer das Widerrufsrecht unter Hinweis auf eine angeblich „nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung“ nach dem Ablauf der 14-TagesFrist des § 355 Abs. 2 BGB ausüben möchte. Der erste Streit dreht sich um die Frage, ob die unnötige Widerrufsbelehrung zugunsten des Franchisenehmers ein 14-tägiges Widerrufsrecht begründen kann. Die herrschende Meinung6 geht davon aus, dass in der 1 Vgl. zum VerbrKrG: BGH v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, ZIP 1995, 105 (107 f.) – Ceiling Doctor; OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 1224 ff. – Rent the Trend; BGH v. 24.4.1985 – VIII ZR 73/84, ZIP 1985, 807 f.; OLG Düsseldorf v. 15.1.1987 – 6 U 149/86, WM 1987, 599 ff.; Herrfeld, S. 187 f. 2 OLG Hamm v. 28.7.1992 – 19 U 193/92, ZIP 1992, 12 (24 ff.) – Rent the trend; Giesler in Giesler/ Nauschütt, § 9 Rz. 127. 3 OLG Frankfurt v. 18.4.1997 – 18 O 115/96 (n.v.); Flohr, Franchise-Vertrag, S. 218; Höpfner in Giesler/Nauschütt, § 12 Rz. 73; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 136. 4 Vgl. Ebnet, NJW 2010, 1029 ff. 5 Vgl. z.B. Flohr, Franchise-Vertrag, 2. Aufl., S. 218. 6 BGH, Urt. v. 30.6.1982 – VIII ZR 115/81, NJW 1982, 2313; OLG Hamm, Urt. v. 4.2.2010 – 27 U 14/09, BeckRS 2010, 13096; OLG Köln, Urt. v. 22.7.2009 – 27 U 5/09, n.v.; OLG Naumburg, Beschl. v. 24.10.2008 – 1 W 11/08, BeckRS 2008, 25865; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.7.2013 – VI U (Kart) 1/13, BeckRS 2014, 12436; LG Zwickau, Urt. v. 25.2.2000 – 2 O 1198/99 zu § 7 VerbrKrG; BGH, NJW-RR 2009, 709; LG Dortmund, Urt. v. 30.3.2012 – 3 O 31/11, BeckRS 2013, 06590; LG Duisburg, Urt. v. 9.12.2010 – 5 S 51/10, BeckRS 2010, 30167; AG Paderborn, Urt. v.
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Franchisevertrag
Rz. 267 Teil G
unnötigen Widerrufsbelehrung eine zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer abgeschlossene freie Widerrufsvereinbarung bzw. die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts erblickt werden kann. Man kann auch mit dem Grundsatz des venire contra factum proprium zu dem gleichen Ergebnis gelangen und annehmen, dass sich der Franchisegeber jedenfalls an einer von ihm unnötig erteilten Widerrufsbelehrung festhalten lassen muss1. Eine Mindermeinung lehnt die Umdeutung einer unnötigen Widerrufsbelehrung in eine freiwillige Widerrufs- oder Rücktrittsvereinbarung von vornherein ab2. Dies wird von der Mindermeinung vor allem damit begründet, dass eine Widerrufsbelehrung keine Willenserklärung sei, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Zuzugeben ist, dass der Franchisegeber mit einer Widerrufsbelehrung keine Willenserklärung abgeben möchte, sondern meint, lediglich eine rechtliche Obliegenheit3 erfüllen. Das Problem sollte unter Anwendung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit gelöst werden. Daraus ergibt sich im ersten Schritt die Erkenntnis, dass die Vertragspartner selbstverständlich ein vertragliches Widerrufsrecht vereinbaren können, wenn sie das möchten. Im zweiten Schritt ist zu beachten, dass es sich – was in der Regel der Fall ist – bei dem Franchisevertrag um einen Formularvertrag handelt. Deshalb gehen im dritten Schritt die Zweifel zu Lasten des Franchisegebers, § 305c Abs. 2 BGB. Der Text der Widerrufsbelehrung ist Teil des Textes des Franchisevertrages und ist, jedenfalls wenn eine gesetzliche Obliegenheit zur Belehrung über ein Widerrufsrecht nicht besteht, der AGB-Kontrolle zu unterziehen4. Es ist deshalb im vierten Schritt denkbar, dass der Franchisenehmer den Umstand, dass von einem Widerrufsrecht die Rede ist, dahingehend fehlinterpretiert, dass ihm eine 14-tägige Widerrufsmöglichkeit eingeräumt werden soll. Das ist, wie gesagt, denkbar. Aber es ist nicht zwingend. Ob also tatsächlich eine zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer abgeschlossene freie Widerrufs- oder Rücktrittsvereinbarung vorliegt, ist demnach eine Frage des Einzelfalls. Die Gestaltung des Franchisevertrages ist entscheidend. Eine Fehlinterpretation des Franchisenehmers im Hinblick auf den Text der Widerrufsbelehrung kann z.B. dadurch vermieden werden, dass der Franchisevertrag an anderer Stelle – also nicht im Rahmen der Widerrufsbelehrung – erläutert, dass sich die Belehrung auf ein gesetzliches Widerrufsrecht bezieht, das nur besteht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Irrtum kann auch vermieden werden, wenn der Franchisevertrag bei seinem Verweis auf den Text der anliegenden Widerrufsbelehrung von einem „etwaigen gesetzlichen Widerrufsrecht“ spricht. Aus dem gleichen Grund ist es möglich – und auch formularwirkam zu vereinbaren –, dass die Vertragspartner den Abschluss einer Widerrufs- oder Rücktrittsvereinbarung sogar ausdrücklich ausschließen und sich stattdessen darüber verständigen, dass der Franchisenehmer nur in demjenigen Fall zum Widerruf berechtigt sein soll, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen tatsächlich vorliegen5. Es handelt sich dabei um eine Auslegungsvereinbarung. Eine Bezugnahme auf die gesetzlichen Voraussetzungen oder auf ein „gesetzliches Widerrufsrecht“ ist im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern nicht intransparent, weil von einem Unternehmer erwartet werden kann, dass er die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen kennt oder in Erfahrung bringt. Mehr noch: Eine solche Vertragsbestimmung ist vor allem deshalb unproblematisch, weil letztlich nur verein-
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5.7.2010 – 59 C 478/09, BeckRS 2010, 27605; LG Essen, Urt. v. 2.10.2008 – 6 O 491/07, BeckRS 2008, 22401; AG Hamburg-Wandsbek, Urt. v. 20.10.2006 – 716 c C 135/06, BeckRS 2007, 10582; Palandt/Grüneberg, BGB, § 355 Rz. 16; Masuch in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 355 Rz. 58; Ebnet, NJW 2010, 1029 (1030 f.); speziell zum Franchising Flohr, Franchise-Vertrag, S. 264; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 136. BGH, Urt. v. 30.6.1982 – VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027 = NJW 1982, 2313, 2314; so auch Kollmann in AnwaltKommentar, § 305c Rz. 38. Bülow in Bülow/Arzt, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl. 2016, § 495 Rz. 91; Corzelius, EWiR 2009, 243. Vgl. Häublein, NJW 2006, 1553 ff. BGH, Beschl. v. 15.12.2009 – XI ZR 141/09, BeckRS 2010, 01712. Ebenso Güntzel in Giesler/Güntzel, Vermarktungs- und Vertriebsverträge, S. 279.
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Teil G Rz. 268
Distributionsgeschäfte
bart wird, wie die Widerrufsbelehrung nicht zu verstehen ist. Das trägt zu mehr Transparenz bei und vermeidet die Unklarheiten, die sich aus dem unpassenden (und für diesen Zweck nicht vorgesehenen) Text der Widerrufsbelehrung zwangsläufig ergeben müssen. Denn wenn eine gesetzlich nicht gebotene Widerrufsbelehrung als „freiwillige Vereinbarung eines Widerrufs- oder Rücktrittsrechts“ angesehen wird, handelt es sich bei dem unnötig zum Bestandteil eines Formularvertrages gewordenen Text ebenfalls um AGB. Die Auslegung von AGB-Klauseln erfolgt auf die gleiche Art und Weise wie die Auslegung von Verträgen im Allgemeinen (§§ 133, 157 BGB)1. Wenn der Inhalt einer Formularklausel am Maßstab des §§ 307 Abs. 1 BGB gemessen werden soll, ist es erforderlich, zunächst ihrem Inhalt zu ermitteln. Aus diesem Grund geht die Auslegung von Formularklauseln der Inhaltskontrolle logisch zwingend vor2. Eine Auslegungsvereinbarung ist dabei nur hilfreich. Wenn die Vertragspartner deutlich machen, dass die Beifügung einer Widerrufsbelehrung keine Vereinbarung zwischen ihnen darstellt, ist dieser Umstand angesichts des erklärten eindeutigen Willens nicht mehr auslegungsbedürftig. 268
Die Anwendbarkeit des Verbraucherkreditrechts hat folgende Bedeutung: Aus der Anwendbarkeit der §§ 513, 510 Abs. 1, Abs. 2, 355 BGB ergibt sich zunächst das Recht des Franchisenehmers, seine auf den Abschluss des Franchisevertrages gerichtete Willenserklärung innerhalb einer Frist von 14 Tagen zu widerrufen § 355 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Die Frist von 14 Tagen gilt auch dann, wenn dem Franchisenehmer erst nachträglich eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt wird (anders noch § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F.). Die aus der bis zum 13.6.2014 geltenden Gesetzesfassung bekannte Monatsfrist existiert nur noch in dem Sonderfall des Verbraucherdarlehens. Potentiell problematisch geworden sind seit dem 13.6.2014 der Fristbeginn und damit auch die daran geknüpfte Frage der ordnungsgemäßen Gestaltung der Widerrufsbelehrung, die von einer Differenzierung im Gesetz abhängig ist. Die Frist zum Widerruf beginnt grundsätzlich „mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist“ (§ 355 Abs. 2 Satz 2 BGB). Für Ratenlieferungsverträge – das heißt auch für diejenigen Franchiseverträge mit Ratenlieferungselement, die vom Verbraucherkreditrecht betroffen sind – sind in §§ 356 und 356c BGB Ausnahmen bestimmt. Im Verhältnis zu § 355 BGB sind die §§ 356 und 356c BGB lex specialis für sämtliche Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden bzw. für Ratenlieferungsverträge, die innerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden3. Die Bestimmung des § 356c BGB erfasst solche Ratenlieferungsverträge, die weder im Fernabsatz noch außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, mithin, nach der Vorstellung des Gesetzgebers, vor allem Ratenlieferungsverträge im Bereich des stationären Handels. Die Vorschrift ergänzt § 356 BGB, der die Voraussetzungen des Widerrufs für sämtliche Verträge festlegt, die außerhalb von Geschäftsräumen (oder im Wege des Fernabsatzes) abgeschlossen werden, darunter folgerichtig auch Ratenlieferungsverträge, die diese Voraussetzungen erfüllen4. Nach der Intention des Gesetzgebers5 soll für alle Ratenlieferungsverträge ein möglichst einheitliches Regelungsregime gelten. Deshalb ist § 356c BGB geschaffen worden. Weil der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang aber erkennbar die Sachverhaltskonstellationen nicht bedacht hat, die sich aus der Anwendbarkeit der Vorschriften auf bestimmte Existenzgründer (§ 513 BGB) ergeben, muss man sich zukünftig mit dem Umstand anfreunden, dass die in den §§ 356 und 356c BGB vorgenommene Unterscheidung nicht mit der Lebenswirklichkeit des Franchising übereinstimmt. Man wird demnach auf Franchiseverträge mit Ratenlieferungselement, die in Geschäftsräumen abgeschlossen werden § 356c BGB anwenden müs1 2 3 4 5
Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2014, Auslegung, Rz. 1. Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 2014, Auslegung, Rz. 2. Müller-Christmann in BeckOK/BGB, 2014, § 365 Rz. 1. Müller-Christmann in BeckOK/BGB, 2014, § 365c Rz. 1. RegE, BT Drucks. 17/12637, S. 62.
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Franchisevertrag
Rz. 269 Teil G
sen. Auf Franchiseverträge mit Ratenlieferungselement, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, ist § 356 BGB anwendbar. Die Beweislast für den Fristbeginn trägt der Franchisegeber, vgl. § 361 Abs. 3 BGB. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung zur Umkehr der Beweislast. Der Franchisenehmer ist unter Beachtung von § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB über dieses Widerrufsrecht zu belehren. Unter der Geltung der gesetzlichen Bestimmungen, die weiterhin auf Vertragsabschlüsse vor dem 13.6.2014 anwendbar sind, konnte die nicht-ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung dazu führen, dass der Franchisenehmer die Möglichkeit hatte, den Franchisevertrag zeitlich unbegrenzt zu widerrufen. Die für Vertragsabschlüsse ab dem 13.6.2014 maßgebliche Rechtslage ist für den Franchisegeber zumindest in diesem einen Punkt günstiger. Die Höchstfrist für das Widerrufsrecht wird die Bedeutung des Widerrufs von Franchiseverträgen in der Praxis maßgeblich reduzieren. Damit wird zumindest halbwegs kompensiert, dass es keine auf Existenzgründer-Ratenlieferungsverträge passende Muster-Widerrufsbelehrung gibt und die Franchisewirtschaft nicht mehr in den Genuss der Gesetzlichkeitsfiktion kommen kann. Bei Franchiseverträgen mit Ratenlieferungselement, die in Geschäftsräumen abgeschlossen werden, erlischt gemäß das Widerrufsrecht gem. § 356c Abs. 2 Satz 2 BGB spätestens zwölf Monate und 14 Tage, nachdem der Franchisenehmer i.S.v. § 356c Abs. 1 BGB belehrt worden ist. Gleichwohl kommt es im Ergebnis auf die Durchführung einer Belehrung nicht an, weil die Höchstfrist auch bei vollständig unterbliebener Belehrung gelten soll und dann wohl ab dem in § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Zeitpunkt berechnet wird1. Bei Franchiseverträgen mit Ratenlieferungselement, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen werden, ergibt sich aus § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB, dass das Widerrufsrecht spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Zeitpunkt erlischt (die in § 356 Abs. 3 Satz 2 enthaltene Ausnahme für Verträge i.S.v. § 356 Abs. 2 spielt beim Franchising keine Rolle). Das heißt, anders formuliert, dass das Widerrufsrecht spätestens zwölf Monate nach Ablauf der gesetzlichen Widerrufsfrist erlischt. Die Wirkung ist in demnach in beiden Fallkonstellationen gleich, auch wenn der Beginn der Frist für das Erlöschen des Widerrufsrechts nach seinem Wortlaut jeweils unterschiedlich geregelt ist. Anders als nach dem vor dem 13.6.2014 maßgeblichen Recht (vgl. § 355 Abs. 4 Satz 3 BGB a.F.) gilt heute sowohl für § 356 BGB als auch für § 356c BGB, dass das Erlöschen des Widerrufrechts gleichermaßen in den Fällen unterbliebener und in den Fällen nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung eintritt. Es kommt für das Erlöschen nicht darauf an, ob der Franchisegeber den Franchisenehmer ordnungsgemäß informiert hat2. b) Allgemeine Geschäftsbedingungen Franchiseverträge sind in der Regel Formularverträge3. Es handelt sich um eine für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB. Dass ein Franchisevertrag grundsätzlich für eine bestimmte oder unbestimmte Vielzahl von Fällen vorformuliert wurde, ergibt sich aus der einheitlichen Ausgestaltung von Franchisesystemen, die aus einer großen Zahl von Schuldverhältnissen zwischen einem Franchisegeber und mehreren Franchisenehmern bestehen. Problematisch kann es sein, wenn der Franchisevertrag von vornherein nur für die Verwendung bei einer kleinen und bestimmten Vielzahl von Fällen vorgesehen ist. Bedeutsam kann dies bei Master-Franchisen sein, deren Zahl durch große Vertragsgebiete begrenzt ist. Die herr1 Schulze in Schulze u.a., BGB Kommentar, § 356c Rz. 4. 2 Vgl. Müller-Christmann, in BeckOK/BGB, 2014, § 356 Rz. 12 und 365c Rz. 4; Palandt/Grüneberg, BGB, § 356c Rz. 4; Stürner, in Prütting/Wegen/Weinreich, § 356c. Rz. 8); Schulze in Schulze u.a., BGB Kommentar, § 356 Rz. 7 und § 356c Rz. 4. 3 Ebenso Liesegang, BB 1991, 2381; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 25. Vgl. zur Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Formularverträge Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, § 1 Rz. 66 mit dem Beispiel der Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträge.
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Distributionsgeschäfte
schende Meinungsströmung will eine Verwendung in drei Fällen1, in drei bis vier Fällen2, von drei bis fünf Fällen3 oder von jedenfalls fünf Fällen4 ausreichen lassen. Da nach dem Ende einer Laufzeit auch die Master-Franchise neu vergeben muss, kommt im Regelfall das AGB-Recht zum Tragen5. 270
Hinsichtlich der „Einbeziehung“ des Franchisevertrages bestehen normalerweise keine Probleme. Anzunehmen ist auch die Einbeziehung der Franchisehandbücher und Richtlinien außerhalb des Formularvertrages, soweit nicht einzelne Regelungen überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB sind6. Um eine Einbeziehung der Franchisehandbücher zu gewährleisten, muss dem Franchisenehmer vor Abschluss des Vertrages die Gelegenheit gegeben werden, in zumutbarer Weise davon Kenntnis zu erlangen7. Eine Aushändigung vor Vertragsschluss verbietet sich im Hinblick auf den Schutz des Know-how. Daher wird empfohlen, bis zum Ablauf einer Widerrufsfrist gem. § 505 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 355 BGB nur Einsichtnahme zu gewähren. Konsequenz der Anwendbarkeit des AGB-Rechts ist, dass auch Franchisehandbuch und Richtlinien einer Inhaltskontrolle unterzogen werden müssen8.
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Gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegen AGB nicht vor, wenn und soweit Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt sind (Vorbehalt der Individualabrede)9. Für ein Aushandeln ist nach der herrschenden Meinungsströmung mehr notwendig, als eine (nicht geäußerte) Änderungsbereitschaft. Aushandeln erfordert eine Kommunikation zwischen den Vertragspartnern mit selbstverantwortlicher Prüfung, Abwägung und möglicher Einflussnahme. Diese Voraussetzungen müssen real gegeben sein. Als ein Indiz kann eine geäußerte ernsthafte Abänderungsbereitschaft anzusehen sein10. Ein Aushandeln muss für jede einzelne Klausel festgestellt werden. Es können z.B. nur einzelne Punkte als Individualabrede anzusehen sein (punktuelles Aushandeln)11.
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Gemäß § 310 Abs. 1 BGB finden die §§ 308 und 309 BGB keine Anwendung, wenn der Franchisenehmer bereits Unternehmer ist (§ 14 BGB). Problematisch ist der Fall, dass die Unternehmereigenschaft in dem Moment (und allein dadurch) begründet werden soll, dass der Existenzgründer den Franchisevertrag unterschreibt. Diese Frage war lange sehr umstritten. Auch die Rechtsprechung ist – teilweise bis heute – gespalten, wobei eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 200412 einen Umschwung bewirkt hat. Die herrschende Meinung13 nimmt an, dass die Unternehmereigenschaft in dem Mo1 BGH v. 15.4.1998 – VIII ZR 377/96, NJW 1998, 2286 f.; LG Konstanz v. 19.12.1980 – 3 O 170/80, BB 1981, 1420. 2 BGH v. 11.10.1984 – VIII ZR 248/83, WM 1984, 1610 f. 3 Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, § 1 Rz. 25. 4 BGH v. 29.6.1981 – VII ZR 259/80, WM 1981, 944 (946) = NJW 1981, 2343 f.; Braun, BB 1979, 692. 5 Vgl. Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 9. 6 BGH v. 3.10.1984 – VIII ZR 118/83, NJW 1985, 1894 f. – Mc Donald’s; Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9–11 Rz. 360. 7 Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9–11 Rz. 360. 8 Vgl. Martinek, Franchising, S. 305; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 9 Rz. F 111; Liesegang, BB 1991, 2381 f.; vgl. auch Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. §§ 9–11 Rz. 360. 9 Vgl. wegen der Einzelheiten Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 12. 10 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 1 Rz. 36. 11 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 1 Rz. 37 – Maklerprovision. 12 BGH, Beschl. v. 24.2.2005 – III ZB 36/04, NJW 2005, 1273 ff.; ebenso inzwischen u.a. OLG Jena, Urt. v. 19.9.2013 – 1 U 194/13, n.v. 13 BGH, Beschl. v. 24.2.2005 – III ZB 36/04, NJW 2005, 1273 ff.; OLG Oldenburg, Urt. v. 27.4.1989 – 1 U 256/88, NJW-RR 1989, 1081 f.; OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.11.2001 – 9 SchH 12/01, BB 2001, 2499 f.; OLG, Jena Urt. v. 19.9.2013 – 1 U 194/13, n.v.; LG Chemnitz, Urt. v. 16.3.2012 – 5 O 976/11, n.v. („Subway“); LG Köln, Urt. v. 26.4.2012 – 29 O 234/11, n. Veröff. („Subway“); LG Köln, Urt. v. 4.6.2012 – 22 O 478/11, n.v.; LG Mainz, Urt. v. 23.7.2012 – 12 KH O 62/11 Kart, n.v., unter Bezugnahme auf den Verfasser; Erman/Roloff, BGB, § 310 Rz. 5; Erdmann, BB 1992, 795 (796); Liesegang, BB 1991, 2381 (2381 f.); Ekkenga, S. 43 f.; Giesler, Franchiseverträge, Rz. 96; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 252; unschlüssig ist sich Herrfeld, S. 203.
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Franchisevertrag
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ment dadurch begründet wird, dass ein Existenzgründer den Franchisevertrag unterzeichnet. Danach reicht es für die Annahme der Unternehmereigenschaft aus, wenn der Franchisevertrag erst dazu diente, die unternehmerische Tätigkeit aufzunehmen. Die Gegenauffassung, die immerhin bis in die 1990er Jahre von dem OLG Koblenz und dem OLG Düsseldorf vertreten wurde, will den Franchisevertrag in diesem Fall der erweiterten Inhaltskontrolle gem. §§ 308 und 309 BGB unterwerfen1. Für das AGBRecht ist der herrschenden Auffassung zu folgen. Danach ist der Franchisenehmer, auch wenn er Existenzgründer ist, bei Unterzeichnung des Franchisevertrages kein Verbraucher mehr, sondern handelt bereits als Unternehmer i.S.v. § 14 BGB. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu dem Recht der Verbraucherverträge (§§ 355 ff., §§ 491 bis 513 BGB). Dort hat der Gesetzgeber mit § 513 BGB eine Ausnahmevorschrift geschaffen. Nach § 305 Abs. 3 BGB unterliegen nur solche Bestimmungen einer Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden (kontrollfreie Klauseln). „Rechtsvorschriften“ sind dabei alle Gesetzesvorschriften im materiellen Sinne (auch die Vertikal-GVO)2 sowie ungeschriebene Rechtsgrundsätze, die anstelle der AGB-Regelung gelten würden3, d.h. Treu und Glauben, die guten Sitten, Richterrecht und Handelsbrauch. Einer Inhaltskontrolle unterliegen demnach nicht
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– Bestimmungen, in denen Art und Umfang der Hauptleistungspflichten geregelt wird (Preisvereinbarungen und Leistungsbeschreibungen). Dies führt dazu, dass in der Regel die vertraglichen Hauptleistungen (die Leistungen des Franchisegebers, die Höhe der Franchisegebühren) von einer Inhaltskontrolle ausgenommen sind. Damit unterliegt auch das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung keiner Überprüfung gem. § 305 BGB (dies erfolgt über §§ 138, 242 BGB)4. Zu den Hauptleistungen des Franchisegebers gehören Systemeingliederungs- und Betriebsförderungspflichten; für den Franchisenehmer sind es Gebührenzahlungs- und Absatzförderungspflicht5. Zu beachten ist jedoch, dass die das Leistungsversprechen ausgestaltenden oder modifizierenden Regelungen einer Inhaltskontrolle unterliegen6. – Bestimmungen, die in jeder Hinsicht mit den Rechtsvorschriften übereinstimmen und deshalb keine Rechte oder Pflichten begründen, modifizieren oder ausschließen (deklaratorische Klauseln). Einer Inhaltskontrolle unterliegen bspw. Klauseln in denen Fragen der Bezugsbindung, der Gewährleistung des Franchisegebers, der Einschränkung von Leistungspflichten (Änderungsvorbehalte), der Berichtspflichten des Franchisenehmers, der Einsichtsund Kontrollrechte des Franchisegebers, der Kündigung, der Rücknahmeverpflichtungen des Franchisegebers, Nebentätigkeits- und Konkurrenzverbote und Vertragsstrafen geregelt sind7. 1 OLG Koblenz, Urt. v. 24.7.1986 – 6 U 677/85, NJW 1987, 74 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.11. 1995 – 10 U 29/95, MDR 1996, 465 (Vertragsstrafe); Martinek, Franchising, S. 306; ebenso unter der Geltung des AGBG noch Wolf/Horn/Lindacher, § 24 AGBG Rz. 7. 2 Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 19. 3 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 8 Rz. 5; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 Rz. 6. 4 Herrfeld, S. 205; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 Rz. 14; Giesler in Giesler/Nauschütt, § 9 Rz. 22 ff. 5 Vgl. Hiestand, RIW 1993, 173 (175). 6 BGH v. 24.4.1991 – VIII ZR 180/90, NJW-RR 1991, 1013 – Garantiebeschränkung; BGH v. 21.4. 1993 – IV ZR 33/92, NJW-RR 1993, 1049 – Versicherungsvertrag; OLG München v. 15.1.1987 – 29 U 4378/86, NJW-RR 1987, 661 – Beweislastregelung; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 Rz. 10; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, § 8 Rz. 12. 7 Martinek in Martinek/Semler, § 19 Rz. 35; Flohr, Franchise-Vertrag, S. 25; Herrfeld, S. 205; Liesegang, BB 1991, 2381 ff.; Ekkenga, S. 113 ff.
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Von der Inhaltskontrolle befreit sind in der Regel leistungsbeschreibende Klauseln aus den folgenden Bereichen: Gebietszuweisungen (nicht jedoch Regelungen zur Gebietsbeschränkung), Anleitungen für die Ausgestaltung des Verkaufslokals, der Warenlager und Transportmittel, Vorschriften zur Durchsetzung der Corporate Identity und Verwendung der Marke (sehr streitig1, im Ergebnis wohl von der Gestaltung der Klausel abhängig), Beschreibungen zum Einsatz von Werbemitteln und der Art und Weise der Fertigung oder der Erbringung der Dienstleistung und eine Beschreibung der Zusammensetzung des Sortiments2.
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Soweit AGB-Recht Anwendung findet, unterliegen die vorformulierten Vertragsbestimmungen einer Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1 BGB. Die Wirksamkeit beurteilt sich danach, ob durch die Regelung der Franchisenehmer unangemessen benachteiligt wird. Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, mit der Vertragsgestaltung Interessen des Franchisegebers einseitig durchgesetzt werden sollen, ohne die Interessen des Franchisenehmers von vornherein hinreichend zu berücksichtigen3. Als Leitbild gilt dabei die Rechtslage, die ohne die betreffende Klausel gelten würde. Bei der Interessenabwägung ist eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise geboten4. Erforderlich ist die Würdigung des gesamten Vertragsinhalts5. Mehrere Klauseln, die jeweils für sich genommen der Inhaltskontrolle standhalten würden, können eine Summierungswirkung entfalten6. Schließlich kann die Ausstrahlungswirkung7 der §§ 308, 309 BGB auf die Generalklausel Bedeutung haben.
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In § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist außerdem das sog. Aushöhlungsverbot geregelt. Durch den Formularvertrag sollen dem Vertragspartner keine wesentlichen Rechtspositionen weggenommen oder eingeschränkt werden, die ihm der Vertrag nach seinem Inhalt und Zweck zu gewähren hat (vertragsspezifische Gerechtigkeitserwartungen)8.
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Das von der Rechtsprechung9 entwickelte Transparenzgebot hat im Zuge der Schuldrechtsreform einen Niederschlag in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB gefunden. Das Transparenzgebot ist im Franchising von großer Bedeutung, da vor allem gesetzlich nicht normierte Vertragstypen daran zu messen sind, bei denen der Rechtsverkehr in besonderem Maße auf die vorformulierten Verträge angewiesen ist10. Schädlich sind bspw. sachlich nicht gerechtfertigte Ermessensspielräume des Franchisegebers bei der Vertragsabwicklung, die der Rechtsposition des Franchisenehmers eine vermeidbare Unsicherheit aufprägen. Änderungsvorbehalte müssen in dem Sinne transparent gestaltet 1 A.A. Flohr, Franchise-Vertrag, S. 18. 2 Ekkenga, S. 113 f.; Herrfeld, S. 205. 3 Vgl. BGH v. 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, NJW 1984, 1182 – Verkleinerung des Vertragsgebiets bei Vertragshändler; BGH v. 13.2.1985 – VIII ZR 154/84, NJW 1985, 2328 f. – Laufzeitregelung in Mietvertrag; BGH v. 5.6.1997 – VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27 (31) – Bauvertrag. 4 Vgl. BGH v. 8.10.1986 – VIII ZR 342/85, BGHZ 98, 303 = NJW 1987, 487 – Eigentumsvorbehalt; BGH v. 9.2.1990 – V ZR 200/88, BGHZ 110, 241 = NJW 1990, 1601; BGH v. 23.6.1993 – IV ZR 135/92, NJW 1993, 2369 (2371) – Krankenversicherung; BGH v. 4.7.1997 – V ZR 405/96, NJW 1997, 3022 – Laufzeitklausel; LG Köln v. 6.12.2000 – 26 O 29/00, ZIP 2000, 65 – Zinsanpassung; Brandner in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 Rz. 78. 5 BGH v. 1.12.1981 – KZR 37/80, NJW 1982, 644 – Dispositionsrecht bei Pressegroßhandel; BGH v. 27.11.1990 – X ZR 26/90, NJW 1991, 976 – Überlassung von EDV-Programmen; BGH v. 5.11. 1991 XI 26/90, NJW 1992, 180 f. – Bausparbedingungen. 6 BGH v. 18.9.1967 – VII ZR 52/65, BGHZ 48, 264 (267) – Gewährleistungsbeschränkung und Zurückbehaltungsrecht; BGH v. 6.10.1982 – VIII ZR 201/81, NJW 1983, 159 – Vielzahl unangemessener Klauseln bei Automatenaufstellung. 7 Vgl. Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. Rz. 50. 8 BGH v. 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, NJW 1985, 914 (916) – Tankschecksystem. 9 BGH v. 24.11.1988 – III ZR 188/87, BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGH v. 15.6.1989 – VII ZR 205/88, BGHZ 108, 52 (57) – Reisevertrag; BGH v. 10.7.1990 – XI ZR 275/89, BGHZ 112, 115 (117) – Zinsberechnungsklausel. 10 Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 Rz. 93.
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Franchisevertrag
Rz. 280 Teil G
werden, dass der Franchisenehmer erkennen kann, in welchem Umfang Änderungen möglich sind. 6. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters Nach Beendigung des Franchisevertrages kann für den Franchisenehmer grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch analog den Vorschriften für den Handelsvertreter in Betracht kommen. Eine Generalanalogie der Handelsvertretervorschriften verbietet sich allerdings1. Die Anwendung der Vorschriften auf andere Absatzmittlungsverhältnisse ist nur bei vergleichbarer Interessenlage möglich2. Voraussetzung ist, (a) dass der Absatzmittler vergleichbar mit einem Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers bzw. Lieferanten eingegliedert war, (b) dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang mit dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hatte und (c) verpflichtet ist, dem Hersteller bzw. Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass ich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann. Dabei muss die Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms nicht ausdrücklich und unmittelbar aus dem Vertrag zu entnehmen sein; sie kann sich auch aus anderen dem Absatzmittler auferlegten Pflichten ergeben.
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Vor diesem Hintergrund bejaht die herrschende Lehre3 den Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers zwar grundsätzlich vorbehaltlos, verneint ihn jedoch in den Praxis in beinahe sämtlichen Fällen. In Deutschland ist nämlich spätestens seit dem „Kamps“-Urteil4 des Bundesgerichts klar, dass die bloße faktische Kontinuität des Kundenstamms bei Franchiseverträgen, die im Wesentlichen ein anonymes Massengeschäft betreffen, die analoge Anwendung des § 89b HGB nicht rechtfertigt. Daran scheitert in der Praxis beinahe jeder Ausgleichsanspruch, den ein Franchisenehmer geltend machen könnte. Im Jahr 2010 hatte der BGH in seinem „Joop“-Urteil5, das allerdings lediglich einen Lizenzvertrag betraf, die analoge Anwendung des § 89b HGB bereits unter ähnlichen Erwägungen abgelehnt. Der aktuellen Rechtsprechung des BGH, die erfreuliche Klarheit für die Franchisewirtschaft mit sich bringt, ist ohne jede Einschränkung zuzustimmen. Die Auffassung ist vor allem deshalb richtig, weil der Franchisenehmer mit dem Aufbau des Kundenstamms primär sein eigenes Geschäft besorgt und in dieser Funktion mit dem Handelsvertreter nicht vergleichbar ist6. Erfreulich ist auch, dass der BGH festgestellt hat, dass auch die Pflicht des Franchisenehmers, die Geschäftsräume nach der Vertragsbeendigung herauszugeben, den Schutzbereich des § 89b HGB nicht berührt. In Österreich hat der Oberste Gerichtshof seit langem die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruchs anerkannt7; allerdings scheitert die Geltendmachung in der Praxis ebenso wie in Deutschland. Zu erwähnen ist schließlich noch, dass eine Mindermeinung die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruches auf Franchisenehmer prinzipiell ablehnt8. Die „Standardisierung der Leistung“ durch den Franchisegeber und die „verkäuferähnliche“ Tätigkeit des Franchisen-
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1 Vgl. ausführlich Höpfner in Giesler/Nauschütt, § 7 Rz. 2 ff. 2 BGH v. 12.10.1986 – I ZR 209/84, DB 1987, 1039 f. – Aquella; vgl. zu den Einzelfragen Weber, JA 1993, 347 ff.; Martinek, ZIP 1988, 1362 ff.; Ekkenga, S. 175 ff.; Schmidt, § 28 III, S. 769 ff. 3 Martinek, Franchising, S. 353 ff.; Martinek, ZIP 1988, 1362 (1378); Eckert, WM 1991, 1237 ff.; Köhler, NJW 1990, 1689 ff.; Skaupy, S. 142 ff.; Weber, JA 1983, 347 (353); Matthießen, ZIP 1988, 1089 (1095 f.). 4 BGH, Urt. v 5.2.2015 – VII ZR 109/13 („Kamps“). 5 BGH, Urt. v. 29.4.2010 – I ZR 3/09, GRUR 2010, 1107 ff. („Joop“). 6 So bereits der Giesler in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB Kommentar, 4. Aufl., Franchising, Rz. 122a. 7 OGH v. 10.4.1991 – 9 Ob A 8, 9/91, WBl 1991, 332 ff.; zur Begründung verwies der OGH auf die bereits entwickelte Rechtsprechung zum Vertragshändler, dem in Hinblick auf seine Eingliederung in die Vertriebsorganisation und die Übernahme der vertraglichen Pflichten sowie die Handelsfunktion ein Erfüllungsanspruch zugebilligt wird. 8 Höpfner, S. 152 ff.; Höpfner in Giesler/Nauschütt, § 7 Rz. 42 ff.; Liesegang, NJW 1990, 1525 f.
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Distributionsgeschäfte
ehmers soll zur Folge haben, dass es an einem Beitrag des Franchisenehmers zu Gewinnung eines Kundenstammes fehlt. 281
Die Anspruchshöhe ist, wenn ausnahmsweise ein Ausgleichsanspruch besteht, in einem zweistufigen Verfahren zu ermitteln. Zunächst wird der Rohausgleich festgestellt, der sich aus den Vorteilen des Absatzherrn, den Provisionseinbußen des Absatzmittlers und aus dem Billigkeitskriterium ergibt (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–2 dtHGB). Der Rohausgleich ist in einem zweiten Schritt an der Höchstgrenze (§ 89b Abs. 2 dtHGB) zu messen. Beim Warenfranchising kommt zur Ermittlung des Rohausgleichs ein Teil der beim Weiterverkauf andernfalls verdienten Handelsspanne in Betracht (es erfolgt eine Reduzierung anhand einer üblichen Handelsvertreterprovision bzw. unter Abzug der Erfüllungskosten)1. Beim Dienstleistungsfranchising ist der Ausgleichsanspruch gem. § 287 dtZPO anhand der in Zukunft fortwirkenden Förderleistungen des Franchisenehmers zu ermitteln2. Bei der Berechnung wirkt sich die „Sogwirkung der Marke“ nicht anspruchsmindernd aus, wenn der Franchisenehmer für die Teilhabe an den Vorteilen der Marke mit seiner (ggf. zeitanteiligen) Eintrittsgebühr bereits eine Vergütung gezahlt hat3. Außerdem muss berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Franchisenehmer regionale Werbung betrieben hat.
Kapitel 3. Vertragshändlervertrag Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils G, vor Rz. 1.
I. Einleitung 282
Der Vertragshändlervertrag gehört zu den Vertragstypen, mit welchen der Vertrieb von Waren und Dienstleistungen geregelt wird. Er spielt für den internationalen Vertrieb von Produkten eine herausragende Rolle.
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Das Vertragshändlerrecht ist – mit Ausnahme von Belgien – in keinem europäischen Land gesetzlich geregelt.
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Der Vertragshändlervertrag ist rechtlich dadurch gekennzeichnet, dass sich der eine Teil (Eigen- oder Vertragshändler) in einem auf Dauer ausgerichteten Rahmenvertrag verpflichtet, Produkte des anderen Teils (Hersteller, Lieferant) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben und der Händler dadurch in die Vertriebsorganisation des Lieferanten eingegliedert wird4. Der Vertragshändler ist zwar ein selbständiges Absatzorgan und steht auf einer anderen Stufe als sein Vertragspartner. Dennoch ist der Vertragshändler in die Absatzorganisation seines Vertragspartners eingegliedert. Deshalb ist bei diesem Typus des Absatzmittlers ein bereits relativ hoher Integrationsgrad erreicht; die Position des Vertragshändlers entspricht der eines „verlängerten Armes“ seines Vertragspartners5. In der Rechtsprechung und Literatur werden anstelle des Begriffes „Vertragshändler“ synonym auch Begriffe wie „Eigenhändler“, „Händler“, „Al1 Die Ermittlung der Abzüge ist umstritten, vgl. einerseits Stein-Wigger, S. 208; Eckert, WM 1991, 1237 (1246); andererseits Köhler, NJW 1990, 1694; Herrfeld, S. 276. 2 Köhler, NJW 1990, 1694; Herrfeld, S. 276; Martinek, Franchising, S. 370; Bodewick, BB 1997, 637 (642) befürwortet, sich an dem Handelsvertreter zu orientieren. 3 Vgl. erstmals Bodewick, BB 1997, 637 (643); Flohr, DStR 1998, 572 (574); Zu prüfen ist, ob die Eintrittsgebühr als Gegenleistung für die Teilhabe am Franchisesystem vereinbart wurde. 4 Vgl. nur BGH v. 21.10.1970, BGHZ 54, 338 = BB 1970, 1458; Thume in Küstner/Thume, S. 171 f. Rz. 3 ff.; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 1 ff. Ähnlich die Umschreibung für das Schweizer Recht vgl. etwa Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff., Rz. 112 ff. 5 Vgl. nur Martinek in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 5; § 3 Rz. 7.
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Distributionsgeschäfte
ehmers soll zur Folge haben, dass es an einem Beitrag des Franchisenehmers zu Gewinnung eines Kundenstammes fehlt. 281
Die Anspruchshöhe ist, wenn ausnahmsweise ein Ausgleichsanspruch besteht, in einem zweistufigen Verfahren zu ermitteln. Zunächst wird der Rohausgleich festgestellt, der sich aus den Vorteilen des Absatzherrn, den Provisionseinbußen des Absatzmittlers und aus dem Billigkeitskriterium ergibt (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–2 dtHGB). Der Rohausgleich ist in einem zweiten Schritt an der Höchstgrenze (§ 89b Abs. 2 dtHGB) zu messen. Beim Warenfranchising kommt zur Ermittlung des Rohausgleichs ein Teil der beim Weiterverkauf andernfalls verdienten Handelsspanne in Betracht (es erfolgt eine Reduzierung anhand einer üblichen Handelsvertreterprovision bzw. unter Abzug der Erfüllungskosten)1. Beim Dienstleistungsfranchising ist der Ausgleichsanspruch gem. § 287 dtZPO anhand der in Zukunft fortwirkenden Förderleistungen des Franchisenehmers zu ermitteln2. Bei der Berechnung wirkt sich die „Sogwirkung der Marke“ nicht anspruchsmindernd aus, wenn der Franchisenehmer für die Teilhabe an den Vorteilen der Marke mit seiner (ggf. zeitanteiligen) Eintrittsgebühr bereits eine Vergütung gezahlt hat3. Außerdem muss berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Franchisenehmer regionale Werbung betrieben hat.
Kapitel 3. Vertragshändlervertrag Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils G, vor Rz. 1.
I. Einleitung 282
Der Vertragshändlervertrag gehört zu den Vertragstypen, mit welchen der Vertrieb von Waren und Dienstleistungen geregelt wird. Er spielt für den internationalen Vertrieb von Produkten eine herausragende Rolle.
283
Das Vertragshändlerrecht ist – mit Ausnahme von Belgien – in keinem europäischen Land gesetzlich geregelt.
284
Der Vertragshändlervertrag ist rechtlich dadurch gekennzeichnet, dass sich der eine Teil (Eigen- oder Vertragshändler) in einem auf Dauer ausgerichteten Rahmenvertrag verpflichtet, Produkte des anderen Teils (Hersteller, Lieferant) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben und der Händler dadurch in die Vertriebsorganisation des Lieferanten eingegliedert wird4. Der Vertragshändler ist zwar ein selbständiges Absatzorgan und steht auf einer anderen Stufe als sein Vertragspartner. Dennoch ist der Vertragshändler in die Absatzorganisation seines Vertragspartners eingegliedert. Deshalb ist bei diesem Typus des Absatzmittlers ein bereits relativ hoher Integrationsgrad erreicht; die Position des Vertragshändlers entspricht der eines „verlängerten Armes“ seines Vertragspartners5. In der Rechtsprechung und Literatur werden anstelle des Begriffes „Vertragshändler“ synonym auch Begriffe wie „Eigenhändler“, „Händler“, „Al1 Die Ermittlung der Abzüge ist umstritten, vgl. einerseits Stein-Wigger, S. 208; Eckert, WM 1991, 1237 (1246); andererseits Köhler, NJW 1990, 1694; Herrfeld, S. 276. 2 Köhler, NJW 1990, 1694; Herrfeld, S. 276; Martinek, Franchising, S. 370; Bodewick, BB 1997, 637 (642) befürwortet, sich an dem Handelsvertreter zu orientieren. 3 Vgl. erstmals Bodewick, BB 1997, 637 (643); Flohr, DStR 1998, 572 (574); Zu prüfen ist, ob die Eintrittsgebühr als Gegenleistung für die Teilhabe am Franchisesystem vereinbart wurde. 4 Vgl. nur BGH v. 21.10.1970, BGHZ 54, 338 = BB 1970, 1458; Thume in Küstner/Thume, S. 171 f. Rz. 3 ff.; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 1 ff. Ähnlich die Umschreibung für das Schweizer Recht vgl. etwa Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff., Rz. 112 ff. 5 Vgl. nur Martinek in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 5; § 3 Rz. 7.
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Vertragshändlervertrag
Rz. 287 Teil G
leinvertreter“, „Generalvertreter“ etc. verwendet1. Für den Vertragspartner werden demgegenüber i.d.R. die Begriffe „Hersteller“ oder „Lieferant“ gebraucht. Da ein Vertragshändlervertrag nicht notwendigerweise voraussetzt, dass der Hersteller des Produktes Vertragspartei ist, werden im Folgenden die Parteien des Vertragshändlervertrages als „Händler“ und „Lieferant“ bezeichnet. Die rechtliche Bindung zwischen dem Lieferanten und dem Händler erfolgt in zwei Stufen: Die Parteien schließen zunächst den Vertragshändlervertrag als Rahmenvertrag. Dieser Rahmenvertrag wird durch einzelne Kaufverträge ergänzt, mit denen der Vertragshändler die Produkte des Lieferanten einkauft und sie anschließend an Dritte weiter verkauft. Die Grundbedingungen dieser Einzelgeschäfte sind zwar in aller Regel schon im Rahmenvertrag enthalten. Dieser kann jedoch auch lediglich die grundsätzlichen Abläufe der Geschäftsbeziehungen der Parteien regeln. Der einzelne Kaufvertrag kommt erst zusätzlich durch den jeweiligen Einzelabschluss zustande. Im Unterschied zum Sukzessivlieferungsvertrag sehen Vertragshändlerverträge als bloße Rahmenverträge i.d.R. nur allgemeine Pflichten vor. Selbst wenn sie in Teilen die späteren Lieferbedingungen und Zahlungsmodalitäten festlegen, begründen die Vertragshändlerverträge (im Unterschied zum Sukzessivlieferungsvertrag) noch keine Liefer- und Zahlungspflichten2.
285
Art und Umfang des Vertragshändlervertrages können im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Insbesondere der Grad der Integration des Händlers in das Vertriebssystem des Lieferanten kann stark variieren. Bei Abschluss eines Vertragshändlervertrages sollten sich die Parteien insbesondere darüber einigen, ob dem Händler ein bestimmtes Gebiet oder ein bestimmter Kundenkreis zugewiesen werden soll oder nicht. Sodann ist zu klären, ob der Vertragshändler in diesem Gebiet oder für diesen Kundenkreis ein alleiniges (exklusives) Vertriebsrecht erhält (Alleinvertriebsvertrag)3 und wie dieses geschützt wird. Im Weiteren ist für die Vertragspartner von besonderer Bedeutung, ob der Händler zum Exklusivbezug der Vertragsprodukte beim Lieferanten verpflichtet ist (sog. Alleinbezugspflichten) und ob er bestimmten Vertriebsbindungen unterliegt. Schließlich kann der Händler in ein Vertriebssystem eingebunden sein, in welchem die Händler nicht für bestimmte Gebiete, sondern nach bestimmten Kriterien bestimmt werden (sog. selektives Vertriebssystem, Rz. 317 ff., vgl. auch die Checkliste Rz. 429).
286
II. Europäisches Kartellrecht 1. Einleitung Gemäss Art. 101 Abs. 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, welche geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten4 spürbar5 zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, 1 In der Schweiz ist häufig nur vom „Alleinvertriebsvertrag“ als Spezialfall des Vertragshändlervertrages die Rede. 2 Vgl. nur Martinek in Martinek/Semler/Habermeier, § 4 Rz. 3 f. 3 Vgl. nur Manderla in Martinek/Semler/Habermeier, § 18 Rz. 19; Detzer/Ullrich 2000, Rz. 515 ff., die zu Recht darauf hinweisen, dass im Vertrag auch geregelt werden sollte, ob dem Lieferanten das Recht bleibt, im Vertragsgebiet Direktgeschäfte zu tätigen. 4 Sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel; rein nationale Sachverhalte, welche den Wettbewerb beeinträchtigen, unterstehen der Regelungshoheit der einzelnen Mitgliedstaaten. 5 Beim Erfordernis der Spürbarkeit handelt es sich um ein im Vertragstext nicht enthaltenes, vom EuGH entwickeltes Tatbestandsmerkmal. Der EuGH hat keine allgemeinen Marktanteilswerte als quantitative Schwellenwerte zur Spürbarkeit festgelegt; er stellt auf die Umstände des Einzelfalles ab (Hengst in Langen/Bunte, Art. 101 AEUV Rz. 236); die Kommission dagegen legte sich in ihrer de-minimis-Bekanntmachung auf quantitative Kriterien bezüglich der Spürbarkeit fest: Demnach ist eine Vereinbarung spürbar, wenn der Marktanteil der an ihr beteiligten Unterneh-
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Killias/Marzorati 763
287
Teil G Rz. 288
Distributionsgeschäfte
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bewirken. Die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 AEUV hat die Nichtigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung oder Beschlüsse zur Folge (Art. 101 Abs. 2 AEUV). 288
Spätestens seit dem grundlegenden Urteil des EuGH in der Rechtssache Consten/ Grundig von 19661 steht fest, dass das Verbot von Art. 101 AEUV auch Vertikalvereinbarungen erfasst, d.h. Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen tätig sind.
289
Gemäss Art. 101 Abs. 3 AEUV kann die Kommission einzelne Vereinbarungen auf Antrag durch Entscheidung (Einzelfreistellung) oder ganze Gruppen von Verträgen durch Verordnung „freistellen“, d.h. erklären, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht auf die angemeldete Vereinbarung oder diese Gruppe von Vereinbarungen anwendbar ist. Die Kommission hat bereits verschiedene Freistellungsverordnungen für Vertikalvereinbarungen erlassen (sogleich Rz. 291 und 331).
290
Ein Vertragshändlervertrag kann jedoch nicht nur Art. 101 Abs. 1 AEUV verletzen, sondern unter Umständen auch gegen Art. 102 AEUV verstossen. Denn vertikale Beschränkungen in Vertragshändlerverträgen können unter bestimmten Voraussetzungen den Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV erfüllen2. 2. Freistellung von Vertragshändlervereinbarungen nach der Vertikal-GVO a) Allgemeines
291
Am 1.6.2010 ist die Verordnung 330/2010 der Kommission vom 20.4.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen („Vertikal-GVO“)3 in Kraft getreten und löste die Verordnung 2790/1999 vom 22.12.1999 ab („Vertikal-GVO 1999“). Gemäss Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO gilt die Verordnung nicht für vertikale Abreden, die in den Geltungsbereich einer anderen Gruppenfreistellungsverordnung – wie etwa die Kfz-GVO (unten Rz. 331)4 – fallen5.
1 2
3 4
5
men in einem räumlich relevanten Markt über 10 % bei horizontalen Vereinbarungen bzw. 15 % bei vertikalen Verbindungen beträgt (vgl. De-Minimis-Bekanntmachung ABl. 2001, Nr. C 368, S. 13). Ausführlicher zur De-Minimis-Bekanntmachung hiervor Giesler zum Franchisevertrag, Rz. 190 ff. EuGH v. 13.7.1966, Consten/Grundig, Slg. 1966, Rz. 321 (Rz. 387 ff.). Vgl. Habermeier in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 36 Rz. 85, wonach Art. 102 AEUV etwa auch dann anwendbar sein kann, wenn ein Hersteller seine marktbeherrschende Stellung dadurch auszubauen versucht, dass er Abnehmern eine ausschließliche Bezugspflicht auferlegt. Vgl. auch Bulst in Langen/Bunte, Art. 102 AEUV Rz. 328. Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission v. 20.4.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. EU Nr. L 102 v. 23.4.2010, S. 1. Verordnung (EU) 461/2010 v. 27.5.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. EU Nr. L 129, 52 v. 28.5. 2010 (Kfz-GVO). Im Einzelnen: Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen („VertikalLeitlinien“), ABl. EU C 130, S. 1 v. 19.5.2010, Tz. 46; Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 6; Ausführlich zum Verhältnis der Gruppenfreistellungsverordnungen untereinander Saria in Liebscher/Flohr/Petscher, § 3, S. 85 ff.
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Vertragshändlervertrag
Rz. 298 Teil G
Die Kommission hat sog. „Leitlinien für vertikale Beschränkungen“ („Vertikal-Leitlinien“)1 bekanntgegeben, mit welchen die Grundsätze für die Beurteilung vertikaler Vereinbarungen nach Art. 101 AEUV dargelegt werden. Die Leitlinien, welche keine unmittelbaren Rechtswirkungen haben, sollen den Unternehmen erleichtern, vertikale Vereinbarungen nach Massgabe der EG-Wettbewerbsregeln selbst zu beurteilen2.
292
Die Kommission geht in ihrer Vertikal-GVO davon aus, dass vertikale Vereinbarungen grundsätzlich die wirtschaftliche Effizienz innerhalb einer Produktions- und Vertriebskette erhöhen, weil sie eine bessere Koordinierung zwischen den beteiligten Unternehmen ermöglichen. Solche Vereinbarungen können insbesondere die Transaktions- und Distributionskosten der Beteiligten verringern sowie deren Umsätze und Investitionen optimieren (Erw. 6 der Vertikal-GVO)3.
293
Frühere GVO folgten noch dem Prinzip, dass die wettbewerbsbeschränkenden Regelungen ausdrücklich erlaubt sein mussten, um freigestellt werden. Demgegenüber wird seit der Vertikal-GVO 1999 vom Grundsatz ausgegangen, dass vertikale Vereinbarungen zwischen Vertragsparteien, die nicht Wettbewerber sind, freigestellt sind und lediglich bestimmte Abreden unzulässig sind (Art. 2 Vertikal-GVO).
294
Vertragshändlerverträge sind jedoch nur dann nach Art. 3 Vertikal-GVO freigestellt, wenn der Marktschwellenwert von 30 % nicht überschritten wird. Im Unterschied zur Vertikal-GVO 1999 muss dieser Marktschwellenwert nicht nur vom Lieferanten, sondern auch vom Händler eingehalten werden (unten Rz. 302). Falls die Marktanteilsschwelle von 30 % überschritten wird, führt die Kommission eine vollständige wettbewerbsrechtliche Untersuchung durch. Kommt die Kommission zum Schluss, dass die vertikale Abrede unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt4, wird in einem zweiten Schritt untersucht, ob die vertikale Vereinbarung die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt5.
295
Die Vertikal-GVO enthält in Art. 4 eine Auflistung von vertragstypenunabhängigen Kernbeschränkungen, für die unter keinen Umständen eine Freistellung gewährt wird. Die Vereinbarung einer Kernbeschränkung führt dazu, dass der Vertrag insgesamt den Genuss einer gruppenweisen Freistellung verliert (Rz. 309 ff.)6.
296
Art. 5 Vertikal-GVO erfasst bestimmte Regelungen, die ebenfalls verboten sind. Diese sonstigen Beschränkungen sind als kartellrechtlich nicht freigestellte Bestimmungen vom Rest der Vereinbarung abtrennbar und führen nicht zum Verlust der Freistellung für die Vereinbarung als Gesamtes (Rz. 325 ff.)7.
297
Vertikale Vereinbarungen, die nicht unter die GVO fallen, sind nicht automatisch rechtswidrig. Denn solche wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen haben nicht zwangsläufig nur negative Wirkungen; sondern können häufig auch positive Effekte
298
1 Vgl. Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen („Vertikal-Leitlinien“), ABl. EU C 130, S. 1 v. 19.5.2010. 2 Vertikal-Leitlinien, Tz. 3. 3 Ausführlicher zu den positiven und negativen Aspekten vertikaler Abreden, vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 100 ff. Trotz der grundsätzlichen Freistellung von Vertikalvereinbarungen sind Abreden oder Verhaltensweisen denkbar, bei welchen im Ergebnis die negativen die positiven Wirkungen überwiegen. 4 Zu den relevanten Faktoren vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 111 ff. 5 Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 110; zur Beurteilung des Alleinvertriebs und des selektiven Vertriebs im Rahmen einer Einzelfallprüfung vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 151 ff. und 174 ff. und Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. EU C 101 v. 27.4.2004, S. 97. 6 Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 47 ff. 7 Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 65 ff.
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Teil G Rz. 299
Distributionsgeschäfte
zeitigen1. Sie kommen nur nicht in den Genuss der gruppenweisen Freistellung, sondern müssen gegebenenfalls auf Antrag der Parteien im Einzelfreistellungsverfahren vor der Kommission geprüft werden2. Diese Bewertung der Vereinbarung kann mit Hilfe der Leitlinien vorgenommen werden. b) Grundsätzliche Freistellung von Vertragshändlerverträgen im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO 299
Nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO sind grundsätzlich sämtliche Vertragshändlerverträge oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen3, die auf unterschiedlichen Produktions- und Vertriebsstufen tätig sind, freigestellt4. Da die Kommission Einkaufsorganisationen kleiner und mittlerer Unternehmen privilegieren will, stellt die Vertikal-GVO darüber hinaus die vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmensvereinigungen und ihren Mitgliedern oder zwischen einer solchen Vereinigung und ihren Lieferanten frei, wenn alle Mitglieder der Vereinigung Wareneinzelhändler sind und keines ihrer Mitglieder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen einen jährlichen Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro erzielt (vgl. Art. 2 Abs. 2 Vertikal-GVO).
300
Die Vertikal-GVO erfasst Vereinbarungen zwischen Unternehmungen, die nicht miteinander im Wettbewerb stehen. Die Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO ist somit dann nicht anwendbar, wenn die Vereinbarung zwischen Wettbewerbern5 erfolgt. Diese Regel gilt nicht ausnahmslos. Eine Freistellung für eine Vereinbarung zwischen Wettbewerbern ist dann möglich, wenn die Parteien eine nichtwechselseitige Vereinbarung6 getroffen haben und zusätzlich eine der drei Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 4 lit. a–c Vertikal-GVO erfüllt ist7.
301
Von der Vertikal-GVO freigestellt sind auch Fälle der Dualdistribution oder des zweigleisigen Vertriebs, also wenn der Hersteller seine Waren oder Dienstleistungen im Wettbewerb zu seinen Händlern selbst vertreibt. c) Quantitative Schranken, insb. Art. 3 Vertikal-GVO
302
Der Marktanteil spielt bei der Beurteilung von vertikalen Vereinbarungen eine zentrale Rolle. Die Vertikal-GVO schafft eine Rechtmässigkeitsvermutung für vertikale Abreden, in denen die Marktanteilsschwellen von 30 % nicht überschritten werden8. Die Marktanteile von Käufern und Lieferanten auf dem relevanten Markt, auf welchem sie die Vertragsware oder -dienstleistungen verkaufen bzw. beziehen, darf 30 % nicht überschreiten (Art. 3 Abs. 2 Vertikal-GVO). Oberhalb dieser Grenze besteht keine Vermutung mehr dafür, dass die Vorteile vertikaler Beschränkung deren Nachteile für den
1 Hierzu ausführlicher Vertikal-Leitlinien, Tz. 106 ff. 2 Vertikal-Leitlinien Tz. 96 ff. 3 Vereinbarungen (bzw. aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen) mit nichtgewerblichen Endverbrauchern fallen nicht unter Art. 101 AEUV und müssen daher auch nicht freigestellt werden. 4 Vgl. Definition der vertikalen Vereinbarung in Art. 1 (1) lit. a Vertikal-GVO. 5 Der Begriff „Wettbewerber“ ist in Art. 1 (1) lit. c Vertikal-GVO definiert. Vertragshändlerverträge zwischen Wettbewerbern, also Vertragspartnern, die beide Hersteller oder beide Händler von Produkten im selben Produktemarkt (vgl. Art. 1 lit. a Vertikal-GVO) sind, dürften in der Praxis wohl eher die Ausnahme bilden. 6 Eine solche liegt etwa dann vor, wenn ein Hersteller den Vertrieb der Produkte eines anderen Herstellers übernimmt, dieser aber nicht den Vertrieb des erstgenannten Herstellers, vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 28. 7 Im Einzelnen Vertikal-Leitlinien, Tz. 28 ff.; Schultze/Pautke/Wagener, Art. 2 Abs. 4 Rz. 432 ff. 8 Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 24.
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Vertragshändlervertrag
Rz. 307 Teil G
Wettbewerb aufwiegen1. Seit Inkrafttreten der aktuellen Vertikal-GVO gilt diese Schwelle nicht mehr nur für den Lieferanten, sondern auch für den Käufer2. Diese Neuerung bedeutet, dass der Lieferant bei Vertragsschluss den Marktanteil seines Kunden abschätzen muss, was in der Praxis wohl erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Indes sollte mit der Neuregelung verhindert werden, dass nachfragestarke Abnehmer – ungeachtet ihrer Marktstärke – praktisch unbegrenzt mit Lieferanten Vertriebsverträge abschließen und dabei in den Genuss der Gruppenfreistellung kommen3.
303
Art. 7 Vertikal-GVO enthält Regeln für die Ermittlung der Marktanteilsschwelle i.S.v. Art. 3 Vertikal-GVO. Die Schwierigkeit hierbei bildet die Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Markts im Einzelfall4. Hierbei kann auch auf die VertikalLeitlinien zurückgegriffen werden5.
304
Wie bereits ausgeführt, setzt die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV und damit auch der Vertikal-GVO voraus, dass die Vereinbarung überhaupt geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen6. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit wird in der De-Minimis-Bekanntmachung (auch Bagatellbekanntmachung) der Kommission quantifiziert7. Diese Bekanntmachung bleibt durch die Vertikal-GVO und Vertikal-Leitlinien unberührt8. Nach der aktuell gültigen De-Minimis-Bekanntmachung fallen vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen mangels Spürbarkeit der Beschränkungen nicht unter das Kartellverbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn der von jedem beteiligten Unternehmen gehaltene Marktanteil auf keinem von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkte 15 % überschreitet9.
305
Die Kommission weist in ihren Leitlinien allerdings darauf hin, dass bei Vorliegen von Kernbeschränkungen i.S.d. De-Minimis-Bekanntmachung das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV unter Umständen auch für Vereinbarung zwischen Unternehmen gelten kann, deren Marktanteile die Marktanteilsschwelle der De-Minimis-Bekanntmachung nicht erreichen, sofern gegen Kernbeschränkungen verstossen wird10.
306
Im Weiteren ist die KMU-Empfehlung der Kommission zu beachten11. Vereinbarungen zwischen KMU12 sind nach Ansicht der Kommission „selten geeignet“, den Handel i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV spürbar zu beeinträchtigen13.
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Vgl. Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 37. Ausführlicher zur Neuerung vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, N 370. Vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 387. Vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 373. Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 87 ff. Vgl. Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 28. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 Abs. 1 EGV [neu Art. 101 Abs. 1 AEUV] nicht spürbar beschränken („De Minimis-Bekanntmachung“), ABl. EG C 368 v. 22.12.2001, S. 13. De-Minimis-Bekanntmachung, Fn. 2; ausführlicher zu dieser Bekanntmachung etwa Rinne/ Boos in Liebscher/Flohr/Petsche, § 16 S. 565 ff. Vgl. Art. 7 De-Minimis-Bekanntmachung; zwischen potentiellen Wettbewerbern liegt die Grenze bereits bei 10 %; Rinne/Boos in Liebscher/Flohr/Petsche, § 16 Rz. 9 ff. Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 10 f. Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. EU Nr. L 124 v. 20.5.2003, S. 36 („KMUEmpfehlung“). KMU sind Unternehmen, die weniger als 250 Beschäftigte haben, einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder eine Jahresbilanzsumme von maximal 43 Mio. Euro; für weitere Einzelheiten vgl. KMU-Empfehlung. Vertikal-Leitlinien, Tz. 11.
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Teil G Rz. 308 308
Distributionsgeschäfte
Vertragshändlerverträge, mit welchen die Marktanteilsschwelle von 30 % überschritten wird, sind nicht automatisch rechtswidrig bzw. unzulässig und es besteht auch keine derartige gesetzliche Vermutung1. In solchen Fällen haben die Beteiligten vielmehr selbst zu untersuchen, ob die vertikale Vereinbarung zu einer spürbaren Beschränkung des Wettbewerbs i.S. Art. 101 Abs. 1 AEUV führt oder ob die Freistellungsvoraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen2. Unter Umständen nimmt die Kommission bei Überschreiten der Marktanteilsschwelle von 30 % indes eine Einzelüberprüfung vor. Hierbei obliegt der Kommission der Nachweis, dass die Vereinbarung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstösst, demgegenüber trägt die Partei, welche sich auf eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV beruft, die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Absatzes3. Dabei werden folgende Faktoren berücksichtigt: Marktstellung des Lieferanten, des Käufers (Händler) und der Wettbewerber, Marktzutrittsschranken, Marktreife, Handelsstufe sowie die Beschaffenheit des Produktes4. Ein hoher Marktanteil des Lieferanten ist üblicherweise ein Indiz für Marktmacht; dies gilt jedoch dann nicht, wenn nur sehr geringe Zutrittsschranken bestehen. Das Gewicht jedes einzelnen Faktoren lässt sich daher nicht im Voraus festlegen5. d) Verbotsklauseln nach Art. 4 Vertikal-GVO
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Art. 4 Vertikal-GVO enthält Klauseln, welche eine gruppenweise Freistellung nach der Vertikal-GVO ausschließen, und zwar unabhängig davon, ob die in Art. 3 VertikalGVO stipulierten Schwellenwerte erreicht sind oder nicht (Erw. 10 der Vertikal-GVO). Liegt eine sog. „schwarze Klausel“6 nach Art. 4 Vertikal-GVO vor, führt dies zu einem Verlust der Freistellung für die gesamte Vereinbarung, da diese Beschränkungen nicht abtrennbar sind7. Wurde eine Kernbeschränkung i.S.v. Art. 4 Vertikal-GVO vereinbart, ist davon auszugehen, dass die Kommission auch keine Einzelfreistellung erteilen wird8. Trotzdem wäre eine solche theoretisch möglich, falls es dem Unternehmen gelingt, substantiiert vorzutragen, dass sich aus der Kernbeschränkung Effizienzgewinne ergeben und diese somit eine wettbewerbsfördernde Wirkung haben, welche die negativen Auswirkungen überwiegen und somit die Voraussetzung für eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV trotzdem erfüllt sind9. aa) Preisfestsetzungen
310
Unzulässig sind gem. Art. 4 lit. a Vertikal-GVO vertikale Preisbindungen, d.h. Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die unmittelbar oder mittelbar die Festsetzung des Wiederverkaufspreises bezwecken (Preisbindungen zweiter Hand). Der Händler eines Vertragshändlervertrages muss seinen Wiederverkaufspreis selbst festsetzten können10. Der Lieferant darf jedoch Höchstverkaufspreise festsetzen und Preis-
1 Vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 374. 2 Vertikal-Leitlinien, Tz. 96 und 110 ff.; ausführlicher zu den Kriterien Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche § 7 Rz. 145 ff.; Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 37. 3 Vertikal-Leitlinien, Tz. 96. 4 Vertikal-Leitlinien, Tz. 111. 5 Vertikal-Leitlinien, Tz. 112. 6 Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 44. 7 Vertikal-Leitlinien, Tz. 70. 8 Vertikal-Leitlinien, Tz. 47; Schultze/Pautke/Wagener, Art. 4 Rz. 516. 9 Vertikal-Leitlinien, Tz. 47; Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 92. 10 Zulässig sind jedoch sog. Up-stream-Preisbindungen, die den Lieferanten in den Preisgestaltungsmöglichkeiten beschränken, sofern auch die übrigen Voraussetzungen der Vertikal-GVO vorliegen, vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 414.
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Rz. 314 Teil G
Vertragshändlervertrag
empfehlungen abgeben, sofern diese nicht – als Folge von Druckausübung oder Gewährung von Anreizen durch eine der Vertragsparteien – wie Fest- oder Mindestverkaufspreise wirken1. Vertikale Preisbindungen galten in der Vergangenheit immer als Kernbeschränkungen mit besonders wettbewerbsschädlicher Wirkung, welche vom deutschen BKartA relativ streng beurteilt wurden. Umso mehr lässt aufhorchen, dass die aktuellen VertikalLeitlinien die möglichen positiven Effekte von Preisbindungen kommentieren2. Die Leitlinien führen zusammengefasst aus, dass vertikale Beschränkungen (wie z.B. Preisbindungen) u.U. geeignet sind, Effizienzgewinne zu erzielen oder neue Märkte zu erschließen, da die Einführung neuer komplexer Produkte erleichtert werden kann oder vertragsspezifische Investitionen geschützt werden3. Die neuen Leitlinien geben den Unternehmen neue Argumente, trotz Preisbindung in den Genuss einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu gelangen.
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bb) Gebietsbeschränkungen oder Beschränkungen des Kundenkreises Nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO sind sowohl direkte4 als auch indirekte5 Beschränkungen des Vertragsgebiets oder des Kundenkreises, in das bzw. an den der Händler verkaufen darf, grundsätzlich verboten. Dieses Verbot gilt jedoch nicht ausnahmslos6:
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Zunächst sind Beschränkungen des aktiven Verkaufs an bestimmte Gruppen von Kunden oder in bestimmte Gebiete dann zulässig, wenn sich der Lieferant dies für sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Händler zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Händlers nicht begrenzt werden (vgl. Art. 4 lit. b (i) Vertikal-GVO). Unter aktivem Verkauf ist die aktive Ansprache individueller Kunden in einem Gebiet oder individueller Mitglieder einer Kundengruppe, d.h. alle speziell auf diese Kunden abgestimmten Akquisitionsmaßnahmen, zu verstehen. Als passiver Verkauf, der mit Ausnahme des Selektivvertriebs (vgl. Rz. 317 ff.) nicht eingeschränkt werden darf, gilt die Erfüllung unaufgeforderter Bestellungen von individuellen Kunden7.
313
Die aktuellen Vertikal-Leitlinien führen nun aus, unter welchen Voraussetzungen eine Beschränkung im Bereich des Online-Handels vom Verbot der Beeinträchtigung der Passivverkäufe erfasst wird8. Zusammengefasst stellen folgende Verpflichtungen des Abnehmers eine Kernbeschränkung dar: – Seine Homepage so einzurichten, dass Kunden außerhalb seines Vertragsgebiets die Homepage nicht anzeigen können; – eine automatische Weiterleitung auf die Homepage des Lieferanten oder des Vertragshändlers des „zuständigen“ jeweiligen Vertragsgebiets einzurichten; – die Bezahlung mit Kreditkarten zu verunmöglichen, welche einen Berechtigten außerhalb seines Vertragsgebiets erkennen lassen;
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1 2 3 4 5 6 7
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Vertikal-Leitlinien, Tz. 48; Petsche in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 96 f. Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 106 ff. Vertikal-Leitlinien, Tz. 108. Bspw. direkte Verpflichtung des Händlers, nicht an Kunden außerhalb seines Vertragsgebietes zu verkaufen. Wie bspw. durch Verweigerung oder Reduzierung von Prämien oder Nachlässen, Verweigerung der Lieferung oder Verringerung der Liefermenge im Falle des Verkaufs außerhalb des Vertragsgebietes. Ausführlicher Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 53 ff. Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 51 ff. Der Umstand, dass passive Verkäufe nicht unterbunden werden dürfen, bedeutet nicht, dass ein Händler auch verpflichtet wäre, Kunden auf Anfrage zu beliefern. Hierzu und zu der in der Praxis schwierigen Unterscheidungen zwischen aktivem und passivem Verkauf: Rahlmeyer in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 37 Rz. 53 ff. Vertikal-Leitlinien, Tz. 52 ff.
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Killias/Marzorati 769
Teil G Rz. 315
Distributionsgeschäfte
– die über das Internet abgewickelten Verkäufe quantitativ zu begrenzen; – für Produkte, die der Abnehmer online verkaufen will, einen höheren Preis zu bezahlen als für diejenigen Produkte, die er auf herkömmlichen Kanälen absetzen wird. 315
Zulässig sind im Weiteren auch Beschränkungen des Verkaufs an Endnutzer in mehrstufigen Vertriebssystemen (sog. „Sprunglieferungsverbot“); somit darf etwa dem auf Großhandelsstufe tätigen Händler verboten werden, direkt an Endverbraucher zu verkaufen (Art. 4 lit. b (ii) Vertikal-GVO).
316
Schließlich darf dem Händler vorgeschrieben werden, keine Bestandteile, die zur Einfügung in andere Erzeugnisse geliefert werden, an solche Kunden zu verkaufen, welche diese Bestandteile für die Herstellung derselben Art von Erzeugnissen verwenden würden, wie sie der Lieferant herstellt (Art. 4 lit. b (iv) Vertikal-GVO) cc) Beschränkungen in selektiven Vertriebssystemen
317
Die Vertikal-GVO regelt auch die Zulässigkeit des selektiven Vertriebs1. Bei einem selektiven Vertriebssystem verpflichtet sich der Lieferant, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler verkaufen, die aufgrund festgelegter Merkmale ausgewählt werden. Gleichzeitig verpflichten sich diese Händler, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die nicht zum Vertrieb zugelassen sind (Art. 1 lit. e Vertikal-GVO). Die selektive Vertriebsvereinbarung unterscheidet sich vom Alleinvertrieb dadurch, dass die Händler nicht für bestimmte Gebiete eingesetzt werden, sondern die Händler nach Auswahlkriterien ausgesucht werden, die in erster Linie mit der Beschaffenheit des Produktes zusammenhängen.
318
Gemäss Art. 4 lit. b (iii) bildet die Beschränkung des Verkaufs an nicht zugelassene Händler durch die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems eine weitere zulässige Ausnahme zum grundsätzlichen Verbot der Beschränkung von Gebiet und/oder Kundenkreisen (unter Rz. 312 ff.). Vereinbarungen, die einen rein qualitativen Selektivvertrieb zum Gegenstand haben, fallen deshalb grundsätzlich nicht unter das Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV2. Bei einem rein qualitativen Selektivvertrieb werden die Händler ausschließlich nach objektiven, qualitativen Kriterien ausgewählt, die sich nach den Anforderungen des betreffenden Produktes richten (wie Verkäuferschulung, Service in der Verkaufslokalität oder bestimmtes Spektrum der angebotenen Produkte). Denn mit solchen Zulassungskriterien wird die Zahl der Händler zumindest nicht unmittelbar begrenzt. Ein qualitativer Selektivvertrieb setzt zunächst voraus, dass die Gewährleistung der Qualität und des richtigen Gebrauchs des betreffenden Produktes überhaupt einen selektiven Vertrieb erfordern. Zudem müssen die Händler aufgrund objektiver Kriterien qualitativer Art ausgewählt werden, die einheitlich festzulegen und unterschiedslos anzuwenden sind. Und schließlich dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das hinausgehen, was für die Zweckerreichung erforderlich ist3.
319
Ein selektives Vertriebssystem, welches nach quantitativen Kriterien organisiert ist, fällt demgegenüber in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV. Als quantitative Selektionskriterien gelten insbesondere die zahlenmässige Auswahl und Be1 Vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 515; hierzu etwa Schultze/Pautke/Wagener, Art. 1 Abs. 1 lit. e, Rz. 210 ff. 2 Vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 175; kritisch etwa Beutelmann, S. 86 ff. m.w.H., für den die Art des Selektionskriteriums nicht zentral ist. 3 Vgl. EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31/80 L’Oréal, Slg. 1980, 3775, Rz. 15 f.; EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 Metro/SABA I, Slg. 1977, 1875, Rz. 20 f.; EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/82 AEG, Slg. 1983, 3151, Rz. 35.
770 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 324 Teil G
schränkung von Händlern, die Festsetzung von Mindest- oder Höchstumsätzen oder etwa das Verbot, Konkurrenzmarken zu führen. Ein quantitatives Vertriebssystem wird nur freigestellt, wenn es den Regelungen der Vertikal-GVO entspricht, namentlich darf ein quantitativer Selektivvertrieb die Marktanteilsschwellen von 30 % gem. Art. 3 Vertikal-GVO nicht überschreiten1. Zudem dürfen die Verträge keine Bestimmungen enthalten, die gegen Art. 4 VertikalGVO verstossen. Unzulässig sind somit Preisfestsetzungen sowie Gebiets- und Kundenbeschränkungen. Immerhin darf vereinbart werden, dass die Vertragswaren nur an zugelassene Selektivvertriebshändler verkauft werden dürfen (Art. 4 lit. b (iii) Vertikal-GVO), weil diese Beschränkung ja das Wesen des Selektivvertriebs bildet.
320
Nicht zulässig sind jedoch Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines (quantitativen) selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind. Auf dieser Stufe ist daher weder ein Gebiets- noch ein Kundenschutz zulässig (Art. 4 lit. c Vertikal-GVO)2. Allerdings ist es möglich, in einem selektiven Vertriebssystem zu verbieten, aus nicht zugelassenen Niederlassungen heraus zu vertreiben (Art. 4 lit. c 2. Satz Vertikal-GVO).
321
Selektivhändler sollen die Vertragsprodukte stets auch von anderen zugelassenen Händlern beziehen können. Denn es muss den ausgewählten Händlern freistehen, die Vertragsprodukte von anderen Vertragshändlern zu kaufen, die auf derselben oder einer anderen Handelsstufe tätig sind (Art. 4 lit. d Vertikal-GVO). Damit ist der Vertrieb von Einzelhändler an Grosshändler und umgekehrt auch in mehrstufigen selektiven Vertriebssystemen nicht beschränkbar. Denn der Selektivvertrieb darf nicht mit vertikalen Beschränkungen kombiniert werden, die den Selektivvertriebshändler – wie z.B. beim Alleinbezug – zwingen, die Vertragsprodukte ausschließlich von einer bestimmten Quelle zu beziehen. Deshalb kann zugelassenen Grosshändlern nicht wirksam verboten werden, Produkte an zugelassene Einzelhändler zu verkaufen3.
322
Nach den Leitlinien darf der selektive Vertrieb mit dem Alleinvertrieb grundsätzlich nicht verknüpft werden, ausser der aktive und passive Verkauf wird in keiner Weise eingeschränkt4. Der Lieferant kann sich somit wirksam verpflichten, nur einen Händler oder eine begrenzte Anzahl von Händlern in dem Gebiet zu beliefern, in welchem das selektive Vertriebssystem betrieben wird5.
323
dd) Beschränkungen des Vertriebs von Ersatzteilen Art. 4 lit. e Vertikal-GVO verbietet Beschränkungen mit Bezug auf Bestandteile, die vom Käufer (sog. Erstausrüster) in seine Produkte eingebaut werden, sofern sie den Lieferanten (Hersteller der Originalersatzteile, Zulieferer) daran hindern, diese Bestandteile als Ersatzteile an Endverbraucher, an Reparaturwerkstätten oder andere Dienstleistungserbringer zu verkaufen. Diese Beschränkung gilt selbst für den Fall, dass der Käufer (Erstausrüster) diese Dienstleistungserbringer nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner eigenen Erzeugnisse betraut hat. Der Zulieferer darf deshalb mit Bezug auf das Ersatzteilgeschäft im freien Ersatzteilmarkt weder unmittelbar noch mittelbar eingeschränkt werden. Hingegen darf der Käufer (Erstausrüster) von den Mitgliedern 1 Vertikal-Leitlinie, Tz. 176; zu den Sonderproblemen bei der Ermittlung der Marktanteilsschwelle bei selektiven Vertriebsverträgen vgl. Beutelmann, S. 100 f. 2 Deshalb muss auch beim selektiven Vertrieb der Händler die Freiheit haben, im Internet zu werben und seine Produkte über das Internet zu vertreiben, vgl. Vertikal-Leitlinien, Tz. 56. 3 Vertikal-Leitlinien, Tz. 58; vgl. Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV Rz. 539 ff.; Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 110. 4 Vertikal-Leitlinien, Tz. 57. 5 Vertikal-Leitlinien, Tz. 57.
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Killias/Marzorati 771
324
Teil G Rz. 325
Distributionsgeschäfte
seines eigenen Reparatur- und Kundendienstnetzes verlangen, dass die Ersatzteile von ihm bezogen werden1. e) Verbotene Regelung nach Art. 5 Vertikal-GVO 325
Art. 5 Vertikal-GVO regelt Wettbewerbsverbote in vertikalen Vereinbarungen. Als Wettbewerbsverbote gelten (1) alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Händler veranlassen, keine Produkte herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren im Wettbewerb stehen sowie (2) alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen des Händlers, mehr als 80 % seiner gesamten Einkäufe von Vertragswaren sowie ihrer Substitute auf dem relevanten Markt vom Lieferanten (oder von einem vom Lieferanten bezeichneten Unternehmen) zu beziehen (vgl. Art. 1 lit. d Vertikal-GVO). Solche Wettbewerbsverbote können den Marktzugang erschweren und zu Marktabsprachen führen, weshalb sie nicht unbeschränkt zulässig sind.
326
Die Vertikal-GVO unterscheidet zwischen Wettbewerbsverboten, die sich auf die Dauer der Vertragsbeziehung beschränken, und solchen, die auch nach Vertragsbeendigung wirken sollen.
327
Unzulässig sind zunächst unmittelbare oder mittelbare Wettbewerbsverbote, welche für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbart wurden2. Solche Wettbewerbsverbote werden nur für die Dauer von fünf Jahren freigestellt3. Wettbewerbsverbote, deren Dauer sich über den Zeitraum von fünf Jahren stillschweigend verlängern, gelten als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen (Art. 5 Abs. 1 2. Teil Vertikal-GVO)4. Es ist somit zulässig, den Händler etwa zu verpflichten, für die ersten fünf Jahre sämtliche Vertragsprodukte vom Lieferanten zu beziehen. Nach dem fünften Vertragsjahr muss dem Händler jedoch die Möglichkeit eingeräumt werden, zumindest 20 % seiner Vertragswaren von einem Dritten zu beziehen5. Die fünfjährige Begrenzung gilt nicht, wenn der Lieferant dem Händler jene Geschäftsräumlichkeiten vermietet oder verpachtet, in welchen dieser seine Geschäfte betreibt. Denn dem Lieferanten kann in der Regel nicht zugemutet werden, dass er den Verkauf konkurrierender Produkte in „seinen“ Räumlichkeiten dulden muss. In diesem Fall kann das Wettbewerbsverbot für die gesamte Nutzungszeit der Geschäftsräumlichkeiten vereinbart werden (vgl. Art. 5 Abs. 2 Vertikal-GVO).
328
Nachvertragliche (un- oder mittelbare) Wettbewerbsverbote sind nach Art. 5 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO lediglich unter bestimmten, engen (kumulativen) Voraussetzungen zulässig. So ist ein solches nur freigestellt, wenn es sich auf Produkte bezieht, die mit den Vertragswaren im Wettbewerb stehen, sich auf Räumlichkeiten und Grundstücke beschränkt, von denen aus der Händler während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat und wenn das Wettbewerbsverbot unerlässlich ist, um vom Lieferanten an den Händler übertragenes Know-how gem. Art. 1 lit. g Vertikal-GVO 1 Vertikal-Leitlinien, Tz. 59; Beutelmann, S. 124. 2 Ausführlicher Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV Rz. 573 ff. 3 Die Frist von fünf Jahren bezieht sich nur auf das Wettbewerbsverbot, nicht jedoch auf die zugrunde liegenden Liefervereinbarungen; diese sind auch für eine Dauer von länger als fünf Jahren zulässig, vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Art. 5 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 Rz. 852; Beutelmann, S. 140. 4 „Im Allgemeinen gilt die Freistellung für Wettbewerbsverbote, die für fünf Jahre oder einen kürzeren Zeitraum vereinbart werden, wenn nichts vorliegt, was den Abnehmer daran hindert, das Wettbewerbsverbot nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums tatsächlich zu beenden“, vgl. VertikalLeitlinien, Tz. 66. 5 Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 129; sofern eine über fünf Jahre hinausgehende Vertragsdauer beabsichtigt ist, können theoretisch Wettbewerbsverbot und Vertragsdauer voneinander entkoppelt werden, Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 130.
772 | Killias/Marzorati
Rz. 332 Teil G
Vertragshändlervertrag
zu schützen. Zusätzlich dürfen diese nachvertraglichen Wettbewerbsverbote lediglich für die Dauer von höchstens einem Jahr nach Vertragsbeendigung vereinbart werden (Art. 5 Abs. 3 Vertikal-GVO)1. Art. 5 lit. c Vertikal-GVO regelt schließlich den Verkauf konkurrierender Waren in einem selektiven Vertriebssystem. Nach der Vertikal-GVO kann einem Händler grundsätzlich untersagt werden, Waren konkurrierender Marken zu verkaufen. Nicht freigestellt ist dagegen eine Vereinbarung, wonach die Händler daran gehindert werden, Produkte zum Zweck des Weiterverkaufs von bestimmten konkurrierenden Lieferanten (der gleichen Marke) zu beziehen. Es soll verhindert werden, dass mehrere Anbieter, welche dieselben Verkaufsstätten eines selektiven Vertriebsnetzes nutzen, einen bestimmten Wettbewerber davon abhalten, beim Vertrieb ihrer Produkte auf diese Verkaufsstätten zurückzugreifen2.
329
Vertriebsvereinbarungen, die Art. 5 Vertikal-GVO verletzen, sind unter den genannten Voraussetzungen unwirksam, und zwar auch, wenn die einschlägige Marktanteilsschwelle nicht überschritten wird3. Die Freistellung gilt jedoch weiterhin für den übrigen Teil des Vertragshändlervertrages, sofern sich die fragliche Verpflichtung abtrennen lässt. Anders als im Falle einer Verletzung von Art. 4 Vertikal-GVO führt ein Verstoß gegen Art. 5 Vertikal-GVO nicht dazu, dass die gesamte Vereinbarung aus dem Freistellungsbereich von Art. 2 Vertikal-GVO herausfällt4.
330
3. Die Gruppenfreistellungsverordnung für Kfz-Händler (Kfz-GVO) Am 1.6.2010 ist die neue Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 461/2010 (KfzGVO)5 in Kraft getreten. Sie ersetzte ihre Vorgängerverordnung Nr. 1400/20026, welche über zahlreiche branchenspezifische Sonderbestimmungen enthielt, welche im Vergleich zur allgemeinen Vertikal-GVO die Privatautonomie der Vertragsparteien erheblich stärker beeinträchtigten. Die Kommission kam indes zum Schluss, dass beim Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge ein genügend starker inter-brand Wettbewerb herrsche, weshalb diesbezüglich keine branchenspezifische Sonderregelung mehr notwendig sei7. Stattdessen gilt gem. Art. 3 Kfz-GVO für den Handel mit Neufahrzeugen die Vertikal-GVO.
331
Für die Freistellung vertikaler Vereinbarungen in Bezug auf den Kfz-Anschlussmarkt gelten weiterhin einige zusätzliche Sondervoraussetzungen von Art. 4 ff. der Kfz-GVO, welche die Vertikal-GVO ergänzen. Unter die Kfz-Anschlussmärkte fallen insbesondere Werkstatts-, Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen und der Ersatzteilevertrieb. Für diese Bereiche sieht die Kfz-GVO in Art. 5 zusätzliche Kernbeschränkungen vor, deren Vorliegen zum Ausschluss der Gruppenfreistellung führt.
332
1 Vertikal-Leitlinien, Tz. 68; Petsche/Lager in Liebscher/Flohr/Petsche, § 7 Rz. 214; Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV Rz. 586 ff. 2 Vertikal-Leitlinien, Tz. 69; Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 589 ff. 3 Vertikal-Leitlinien, Tz. 65. 4 Vertikal-Leitlinien, Tz. 65 und 71. 5 Vgl. Fn. 11 zur Kfz-GVO. 6 Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission v. 31.7.2002 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. EG Nr. L 203, S. 30 v. 31.7.2002. 7 Nolte in Langen/Bunte, Nach Art. 101 AEUV, Rz. 896 ff.
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Killias/Marzorati 773
Teil G Rz. 333
Distributionsgeschäfte
III. Internationales Privatrecht 1. Einleitung 333
Im Unterschied zum Handelsvertreterrecht ist das Vertragshändlerrecht auf europäischer Ebene auch nicht in Teilbereichen vereinheitlicht. Es kann deshalb im Einzelfall entscheidend sein, welches Sachrecht auf den Vertragshändlervertrag anwendbar ist.
334
Im Zusammenhang mit den Bestimmungen des anwendbaren Rechts ist zu berücksichtigen, dass beim Vertragshändlervertrag zwischen dem Rahmen- und den Einzelverträgen unterschieden wird. Deshalb können – müssen aber nicht – der Rahmenvertrag und die einzelnen Kaufverträge verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen. 2. Rechtswahl
335
Die Parteien eines (internationalen) Vertragshändlervertrages können das anwendbare Recht frei wählen (vgl. Art. 3 Abs. 1 euROM I1; Art. 116 schwIPRG). Eine besondere Form ist für die Rechtswahl von Vertragshändlerverträgen grundsätzlich nicht erforderlich (Art. 116 Abs. 1 schwIPRG)2; die Rechtswahl ist letztlich dann formgültig geschlossen, wenn sie entweder dem gewählten Recht (lex causae)3 oder dem Recht am Abschlussort entspricht (Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 euROM I).
336
Die Rechtswahlklausel kann sich in einem Formular- oder einem Individualvertrag befinden. Bei einer Rechtswahlklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen („AGB“) stellt sich die Frage, ob die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung vom Vertragspartner des Verwenders der AGB hinzunehmen ist oder nicht. Problematisch ist in diesen Fällen i.d.R. nur die Berufung auf eine Rechtsordnung, die für den Vertragspartner des Verwenders von AGB nachteilig ist und zum Rechtsverhältnis keinen sachlichen Bezug aufweist. Dieser Aspekt wird in der euROM I und im schweizerischen IPRG jedoch abschließend geregelt4, so dass es auf eine eigene Bewertung am Maßstab von spezialgesetzlichen Inhaltskontrollvorschriften für AGB nicht ankommt5.
337
Die Rechtswahl kann auch stillschweigend erfolgen, wenn sich der Parteiwille eindeutig aus dem Vertrag oder aus den Umständen ergibt (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 euROM I; Art. 116 Abs. 2 schwIPRG).
338
Im Zusammenhang mit Vertragshändlerverträgen ist jedoch zusätzlich das Zusammenspiel von Rahmenvertrag mit den Einzelkaufverträgen zu berücksichtigen. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: – Haben die Parteien zwar für den Rahmenvertrag, nicht aber auch für die Einzelverträge eine ausdrückliche Rechtswahl vereinbart, gilt die Rechtswahlklausel grund1 Verordnung (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) v. 17.6.2008, ABl. EU Nr. L 177, S. 6. Diese Verordnung ersetzt seit dem 17.12.2009 die aufgehobenen Art. 27–37 dtEGBGB, welche zuvor das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht geregelt hatten. 2 Amstutz/Wang in Basler Komm/IPRG, Art. 116 N 36. 3 Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Komm/IPRG, Art. 116 N 38. 4 So sehen die euROM I und IPRG spezielle Bestimmungen für Rechtswahlklauseln etwa bei Verbraucher-, Versicherungs- oder Arbeitsverträgen vor. Zu den Grenzen der Rechtswahl nach dem deutschen IPR vgl. Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 3 Rz. 4; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 3 Rom I-VO Rz. 9 ff. Zu den Grenzen nach schweizerischem IPRG vgl. nur Amstutz/Wang in Basler Komm/IPRG, Art. 116 Rz. 29 f. 5 Für das deutsche Recht vgl. nur Spellenberg in MünchKomm/BGB IPR, Art. 10 Rom I-VO, Rz. 161; Thume in Küstner/Thume, S. 542 Rz. 33; Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/ Flohr, § 55 Rz. 15. Nach schwIPRG wird die Rechtswahl nur durch die in diesem Gesetz aufgestellten Schranken eingeschränkt; eine spezielle Inhaltskontrolle für Rechtswahlklauseln in AGB besteht nicht.
774 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 341 Teil G
sätzlich auch für die Einzelverträge. Denn in einem solchen Fall kann die Rechtswahl im Rahmenvertrag ein Indiz1 dafür bilden, dass nach dem Willen der Parteien dieses Sachrecht auch für die Einzelverträge maßgeblich sein soll, weil die Einzelverträge der „Ausfüllung des Rahmenvertrages“ dienen2. – Ebenso kann die Rechtswahlklausel in den Einzelverträgen als Indiz dafür gelten, dass das für die Einzelverträge gewählte Recht auch für den Rahmenvertrag maßgeblich sein soll. Denn wenn die Einzelverträge eine ausdrückliche Wahl des gleichen Sachrechts enthalten, kann darin konkludent der Wille der Parteien zum Ausdruck kommen, dass die gewählte Rechtsordnung auch auf den Rahmenvertrag anwendbar sein soll3. Auf den Rahmenvertrag nicht anwendbar ist jedoch das CISG, weil der Rahmenvertrag nur die allgemeinen Verpflichtungen des Absatzmittlers regelt. Eine Gerichtsstandsvereinbarung bildet ebenfalls nur ein Indiz dafür, dass die Parteien damit stillschweigend das Sachrecht am Sitz des vereinbarten Gerichts gewählt haben4; dies gilt erst recht für Schiedsklauseln5.
339
Der Rahmenvertrag und der Einzelvertrag müssen nicht zwangsläufig dem gleichen Sachrecht unterstehen; es ist den Parteien somit freigestellt, den Rahmen- und die Einzelverträge unterschiedlichen Rechtsordnungen zu unterstellen6. Mit Bezug auf die Rechtswahl in Einzelverträgen kann grundsätzlich auf das oben Gesagte verwiesen werden.
340
3. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht Fehlt eine Rechtswahl, unterliegt der Vertragshändlervertrag dem Recht des Staates, zu dem er die engsten Verbindungen aufweist. Es wird vermutet, der engste Zusammenhang bestehe mit dem Staat, in welchem diejenige Partei ihre Niederlassung hat, welche die charakteristische Leistung erbringen soll (vgl. Art. 4 Abs. 2 euROM I; Art. 117 Abs. 1 und 2 schwIPRG; § 35 Abs. 2 öIPRG)7. 1 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Einzellieferungsverträge zwar auf dem Rahmenvertrag aufbauen. Ein genügend enger Zusammenhang besteht jedoch nur, wenn der Rahmenvertrag bereits den Inhalt des Einzellieferungsvertrages vorgibt. In den anderen Fällen ist die Interessen- und Risikolage in den beiden Verträgen unterschiedlich, Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152; Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/ Flohr, § 55 Rz. 20. 2 Noch zum dtEGBGB vgl. OLG Hamburg v. 5.10.1998, IPRspr. 1998 Nr. 34, OLG Koblenz v. 17.9. 1993, RIW 1993, 934; OLG Düsseldorf v. 11.7.1996, NJW-RR 1997, 882; Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 4, Rz. 29; Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2294; Thume in Küstner/Thume, S. 543 Rz. 36. Aus der Wahl eines bestimmten Sachrechts im Rahmenvertrag kann jedoch noch nicht der Ausschluss des CISG für den Einzelvertrag abgeleitet werden, OLG Koblenz v. 17.9. 1993, RIW 1993, 934; Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2294. Bei Anwendbarkeit des schwIPRG: Meyer, S. 384. 3 Für das deutsche Recht vgl. OLG Hamm v. 18.10.1982, NJW 1983, 523; OLG Hamburg v. 20.12. 1985, RIW 1986, 462; Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2295; Dau in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 1031; a.A. Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 55 Rz. 20, welcher in der Rechtswahl im Einzelvertrag kein Indiz für eine konkludente Rechtswahl im Rahmenvertrag sieht, insbesondere wenn diese zeitlich weit auseinander liegen. 4 So mit Bezug auf das schwIPRG Amstutz/Wang in Basler Komm/IPRG, Art. 116 Rz. 40, wobei das Bundesgericht in BGE 131 III 289, S. 292 ausdrücklich festhielt, dass aus dem blossen Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht auf eine Rechtswahl geschlossen werden dürfe. 5 Mit Bezug auf eine Rechtswahl nach euROM I vgl. Martiny in MünchKomm/IPR, Art. 3 Rom I-VO, Rz. 48 ff. und speziell für Vertriebsverträge: Sturm in FS Wahl, 1973, S. 207 (229). Mit Bezug auf die Rechtswahl nach schwIPRG vgl. nur Amstutz/Wang in Basler Komm/IPRG, Art. 116 Rz. 41. 6 Mit Bezug auf das schwIPRG vgl. nur Meyer, S. 385 f.; mit Bezug auf die euROM I vgl. Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152. 7 Das auf Schuldverträge anwendbare Recht beurteilt sich auch in Österreich nach der euROM I. Bloss wenn diese nicht zur Anwendung kommt, greift § 35 öIPRG.
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Teil G Rz. 342 342
Distributionsgeschäfte
Mit Bezug auf die Bestimmung der charakteristischen Leistung ist zwischen dem Rahmenvertrag einerseits und den Einzellieferverträgen andererseits zu unterscheiden: a) Rahmenvertrag
343
Nach dem früher diesbezüglich noch Schwankungen in Lehre und Rechtsprechung zu vernehmen waren, ist heute allgemein anerkannt und mit Bezug auf Vertriebsverträge in Art. 4 Abs. 1 lit. f euROM I auch gesetzlich statuiert, dass im Rahmen eines Vertragshändlervertrages im Regelfall der Händler die charakteristische Leistung (wie Absatz, Marktbearbeitung, Lagerhaltung, Kundendienst) erbringt1. Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, unterliegt der Rahmenvertrag somit vermutungsweise dem Recht am Ort der Niederlassung des Vertragshändlers2. Hingegen möchte eine abweichende Meinung auf das Tätigkeitsgebiet des Vertragshändlers abstellen3. Die Anknüpfung an die Niederlassung gewährleistet jedoch die Anwendung ein und derselben Rechtsordnung, auch wenn sich das Tätigkeitsgebiet des Händlers auf mehrere Staaten erstreckt4.
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Diese Anknüpfung am Sitz des Vertragshändlers gründet auf einer Vermutung. Die so ermittelte Rechtsordnung ist ausnahmsweise nicht anwendbar, wenn nach den gesamten Umständen offensichtlich ist, dass der Sachverhalt mit einer anderen Rechtsordnung in viel engerem Zusammenhang steht (Art. 4 Abs. 3 euROM I5; Art. 15 Abs. 1 schwIPRG).
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Hat der Händler mehrere Niederlassungen in verschiedenen Staaten und wird die vertraglich vorgesehene Leistung von verschiedenen Niederlassungen aus vorgenommen, ist grundsätzlich an das Recht am Ort der Hauptniederlassung des Vertragshändlers anzuknüpfen (Art. 4 Abs. 1 lit. f i.V.m. Art. 19 Abs. 1 euROM I)6. Als Hauptniederlassung gilt die Geschäftsstelle, die umsatz- und organisationsmäßig den Mittelpunkt des die verschiedenen Staaten umfassenden Vertriebsnetzes bildet7. Eine nach Ver-
1 Für das deutsche Recht: OLG Düsseldorf v. 4.6.1993, RIW 1993, 761; OLG Koblenz v. 16.1.1992, RIW 1992, 1019; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 151 m.w.H.; Thume in Küstner/Thume, S. 544 Rz. 42; Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2299; vgl. Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 55 Rz. 23 ff. Für das österreichische Recht: § 35 Abs. 2 öIPRG; Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 51. Für das Schweizer Recht vgl. etwa Vischer/Huber/Oser, Rz. 667; Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Komm/IPRG, Art. 117 Rz. 190; Amstutz/Vogt/Wang in Basler Komm/IPRG, Art. 117 Rz. 61; vgl. auch BGE 100 II 451 f.; bestätigt in Urteil 4A_613/2009 vom 2.7.2010, E. 3; Handelsgericht des Kantons Zürich v. 14.7.1997, ZR 98 (1999) 137. 2 Für das deutsche Recht vgl. BGH v. 21.1.1993, NJW-RR 1993, 742; OLG Düsseldorf v. 4.6.1993, RIW 1993, 762; Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 55 Rz. 23; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 151. 3 OLG Hamburg v. 9.7.1976, IPRspr. 1976 Nr. 1256. Für das österreichische Recht vgl. Schima, S. 125; OGH v. 20.1.1999 in RDW 1999, 412 f. Diese Auffassung ließ in der Schweiz auch das Bundesgericht in BGE 124 III 192 durchblicken. 4 Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2300; Thume in Küstner/Thume, S. 546 Rz. 49 ff.; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 146 (allerdings mit Bezug auf den Handelsvertretervertrag); für das Schweizer Recht vgl. Urteil 4A_613/2009 des Bundesgerichts vom 2.7.2010, E. 3 a.E.; Vischer/Huber/Oser, Rz. 668; 5 Speziell mit Bezug auf Vertriebsverträge Lakkis in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 55 Rz. 22. 6 Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2301; Thume in Küstner/Thume, S. 546 Rz. 52; wohl auch Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 19 Rom I-VO Rz. 10 a.E.; a.A. Lakkis in Martinek/ Semler/Habermeier/Flohr, § 55 Rz. 24, der bei mehreren Niederlassungen auf die jeweilige Niederlassung abstellen will, von welcher aus die Absatzmittlung betrieben wird. 7 Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2301; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 19 Rom I-VO Rz. 11.
776 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 350 Teil G
tragsschluss vollzogene Verlegung der Hauptniederlassung lässt das Vertragsstatut grundsätzlich unberührt1. Für den Fall jedoch, dass die geschäftlichen Aktivitäten alleine von einer anderen Niederlassung (als der Hauptniederlassung) aus erbracht werden, gilt der Ort dieser Zweigniederlassung als Anknüpfungspunkt (Art. 19 Abs. 2 euROM I). Damit soll vermieden werden, dass Verträge dem Recht der Hauptniederlassung unterworfen werden, obwohl die geschäftliche Aktivität an einem anderen Ort erfolgt2.
346
b) Einzelliefervertrag Der Einzelliefervertrag ist bei fehlender Rechtswahl grundsätzlich selbständig und nicht akzessorisch an das Statut des Rahmenvertrages anzuknüpfen (zur Anknüpfung bei Vorliegen einer Rechtswahlklausel im Rahmenvertrag vgl. vorstehend Rz. 338 ff.). Zwar baut der Einzellieferungsvertrag auf dem Vertriebshändlervertrag als gesonderten Rahmenvertrag auf. Dennoch sind die Interessen- und Risikolagen der beiden Verträge unterschiedlich und es ist eine getrennte Abwicklung möglich. Im Unterschied zum Rahmenvertrag, der auf das Recht am Ort des Händlers (=Käufer) abstellt, wird beim einzelnen Kaufvertrag an das Recht am Ort des Verkäufers (=Lieferant) angeknüpft (Art. 4 Abs. 1 lit. a euROM-I; Art. 118 Abs. 1 schwIPRG i.V.m. Art. 3 des Haager Übereinkommens über den Kauf beweglicher Sachen vom 15.6.1955)3. Zudem ist bei internationalen Warenkäufen in der Regel primär das CISG maßgeblich, außer es sei durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung ausgeschlossen worden (vgl. Art. 6 CISG)4. Demgegenüber ist der Vertriebsvertrag als Rahmenvertrag i.d.R. dem CISG nicht unterstellt, es sei denn, der Rahmenvertrag begründe spezifische kaufvertragliche Pflichten und den anderen Vertragselementen komme nur untergeordnete Bedeutung zu5.
347
Falls der Rahmen- und der Einzelliefervertrag gesondert angeknüpft werden, kommt es zur Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen: Während für den Rahmenvertrag das Recht am Sitz des Händlers (Käufers) maßgeblich ist (s. Rz. 341 ff.), ist für den Einzelliefervertrag neben dem CISG das Recht am Sitz des Verkäufers (Lieferant) anwendbar.
348
4. Anwendung zwingender in- oder ausländischer Normen Soweit die lex causae zwingende Vorschriften enthält, sind auch diese berufen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt oder nicht6. Auf den Vertragshändlervertrag sind zudem unter Umständen nicht nur die Vorschriften des Vertragsstatuts anwendbar, sondern möglicherweise auch Bestimmungen des Forumstaates (sogleich Rz. 350 f.) oder gar eines Drittstaates (s. Rz. 352 ff.).
349
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass unabhängig vom Vertragsstatut in jedem Fall die zwingenden Bestimmungen des Forumstaates vorbehalten bleiben, worunter einer-
350
1 Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2302. 2 Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2296; Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 19 Rom I-VO Rz. 15; Thume in Küstner/Thume, S. 546 Rz. 48; vgl. auch OLG Nürnberg v. 18.1. 1993, IPRspr. 1993 Nr. 31. 3 Vgl. zur euROM I nur Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152 m.w.H.; zum schweizerischen IPR vgl. Keller/Kren Kostkiewicz in Zürcher Komm/IPRG, Art. 118 Rz. 35 ff. m.w.H. 4 Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152. 5 Vischer/Huber/Oser, Rz. 669; vgl. auch Obergericht des Kantons Luzern v. 8.1.1997, SJZ 94 (1998), 516. 6 Vgl. Art. 13 schwIPRG; § 3 öIPRG; dasselbe gilt kraft ungeschriebenen Rechts auch in Deutschland.
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Killias/Marzorati 777
Teil G Rz. 351
Distributionsgeschäfte
seits die Vorschriften des ordre public fallen (Art. 21 euROM I), andererseits die Eingriffsnormen nach Art. 9 euROM I. Während Letztere ungeachtet des Vertragsstatuts zur Anwendung kommen, sobald der Vertrag in den Anwendungsbereich der zwingenden Eingriffsnorm eines bestimmten Staates fällt (sog. positiver ordre public oder lois d’application immédiate; vgl. auch Art. 18 schwIPRG), schreibt der sog. negative ordre public gem. Art. 21 euROM-I nicht die Anwendung bestimmter Normen vor, sondern will „lediglich“ ein nicht akzeptables Ergebnis korrigieren, indem bestimmte Vorschriften durch die Gerichte des angerufenen Staates nicht angewendet werden müssen (vgl. Art. 17 schwIPRG). 351
Zu den Eingriffsnormen gehören insbesondere die für Vertriebsverträge bedeutsamen Kartellbestimmungen. Ein deutsches Gericht wird somit die Bestimmungen des europäischen Wettbewerbsrechts – sofern anwendbar – berücksichtigen, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Parteien das Recht eines Drittstaates gewählt haben. Umgekehrt würde ein schweizerisches Gericht die Bestimmungen des schweizerischen Kartellgesetzes anwenden, sofern sich die kartellistischen und ähnlichen Bindungen oder Verhaltensweisen unmittelbar in der Schweiz auswirken, und zwar unabhängig vom Recht, dem der Vertragshändlervertrag untersteht1. Vgl. Rz. 391 ff. zur Berücksichtigung des Ausgleichsanspruchs nach der lex fori.
352
Umstritten ist, ob neben dem Vertragsstatut und den zwingenden Bestimmungen der lex fori (Rz. 350 f.) auch das international zwingende Recht eines dritten Staates berücksichtigt werden kann (sog. drittstaatliche Eingriffsnormen):
353
Art. 19 des schwIPRG sieht vor: „(1) Anstelle des Rechts, das durch dieses Gesetz bezeichnet wird, kann die Bestimmung eines anderen Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. (2) Ob eine solche Bestimmung zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nach ihrem Zweck und den daraus sich ergebenden Folgen für eine nach schweizerischer Rechtsauffassung sachgerechte Entscheidung.“
354
Das schweizerische IPRG (vgl. Art. 137 schwIPRG) geht wie die Rechtsordnungen Deutschlands und Österreichs vom Marktauswirkungsprinzip aus. Dies bedeutet, dass ein Schweizer Gericht die zivilrechtlichen Konsequenzen eines Vertragshändlervertrages, der sich auf den Markt von Mitgliedstaaten der EU auswirkt, auf Grund von Art. 19 schwIPRG (auch) nach dem EG-Kartellrecht beurteilen kann, und zwar unabhängig davon, ob das schweizerische Recht als lex causae auf den Vertrag zur Anwendung kommt2. Mit anderen Worten: Ein Schweizer Gericht wird die zivilrechtlichen Bestimmungen des EU-Wettbewerbsrechts berücksichtigen, wenn sich der Vertragshändlervertrag etwa auf dem deutschen und österreichischen Markt auswirkt, und zwar selbst wenn die Parteien Schweizer Recht gewählt haben sollten.
355
Nach schweizerischem Kollisionsrecht gehören jedoch weder ausländische Bestimmungen, welche den Inhalt von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kontrollieren, noch Vorschriften, welche einen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers vorsehen3 (hierzu Rz. 391 ff.), zu den drittstaatlichen Eingriffsnormen i.S.v. Art. 19 schwIPRG. 1 Vischer in Zürcher Komm/IPRG, Art. 137 Rz. 1 ff., Art. 18 Rz. 24. 2 Vgl. Bundesgericht v. 7.5.2001 – 4C.32/2001, SZIER 2003, 296 ff. mit Anm. v. Schwander, das einen Alleinvertriebsvertrag zu beurteilen hatte, der Schweizer Recht unterstellt war. Der Schweizer Hersteller räumte einem holländischen Händler das alleinige Recht zum Vertrieb von Sonnenschutzrollos in den Benelux-Staaten ein. Das BGer hat gem. Art. 19 schwIPRG geprüft, ob EU-Wettbewerbsrecht verletzt wurde. Vgl. auch Vischer in Zürcher Komm/IPRG, Art. 19 Rz. 21. 3 Art. 19 schwIPRG setzt u.a. voraus, dass die drittstaatliche Norm international zwingend angewandt sein will. Weder die Inhaltskontrolle von AGB noch der Ausgleichsanspruch gehören nach deutschem Recht zu den Normen, die in jedem Fall auch international zwingend angewandt sein wollen; vgl. Rz. 319, Rz. 362 ff.
778 | Killias/Marzorati
Rz. 359 Teil G
Vertragshändlervertrag
Nachdem das deutsche Recht früher keine Vorschrift enthielt, wonach drittstaatlichen Eingriffsnormen Geltung verliehen werden sollte1, können diese nun gem. Art. 9 Abs. 3 euROM I berücksichtigt werden. Erste Voraussetzung ist, dass in dem fraglichen Drittstaat vertraglich begründete Verpflichtungen zu erfüllen sind; im Unterschied zum schweizerischen Recht genügt also nicht der blosse enge Zusammenhang, sondern der fragliche Staat muss ein vertraglicher Erfüllungsort sein2. Zweitens ist erforderlich, dass diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrages unrechtmässig werden lassen. Nicht ausreichend wäre, wenn die fragliche Rechtsordnung die Verpflichtung bloss in irgendeiner Weise missbilligt. Vielmehr muss sich aus der Eingriffsnorm effektiv die Rechtswidrigkeit der Erfüllung ergeben, beispielsweise wenn als Rechtsfolge Unwirksamkeit oder Nichtigkeit vorgesehen ist3.
356
IV. Materiell-rechtliche Besonderheiten 1. Vorbemerkungen Das Vertragshändlerrecht ist – etwa im Unterschied zum Handelsvertreterrecht – auf europäischer Ebene auch nicht in Teilbereichen vereinheitlicht. Das Vertragshändlerrecht ist in den hier interessierenden Rechtsordnungen nicht einmal auf nationaler Ebene gesetzlich kodifiziert. Deshalb kann die rechtliche Beurteilung je nach anwendbarer Rechtsordnung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
357
Der Vertragshändlervertrag setzt sich – wie ausgeführt – aus einem Rahmenvertrag und den einzelnen Lieferverträgen zusammen, auf welche unterschiedliche Rechtsordnungen anwendbar sein können (Rz. 340). Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf einzelne materiell-rechtliche Besonderheiten des Vertragshändlervertrages in den hier dargestellten Rechtsordnungen; die kaufrechtlichen Aspekte der Einzellieferverträge werden nicht behandelt.
358
2. AGB-Kontrolle von internationalen Vertragshändlerverträgen? a) Allgemeines In der Regel beabsichtigt ein Lieferant, seine Produkte nach einheitlichen Grundsätzen zu vertreiben und seine Absatzpolitik auf der nachfolgenden Vertriebsstufe durchzusetzen. Ein Unternehmen, das seinen Vertrieb mit mehreren Vertragshändlern gestalten will, wird folglich im Allgemeinen für alle Händler möglichst gleichartige Verträge anstreben, um diese in einheitlicher Weise in seine Absatzorganisation einzugliedern. Vertragshändlervereinbarungen werden deshalb häufig als Formularverträge geschlossen, weil der Lieferant auf diese Weise seinen Einfluss auf die nachgeordnete Vertriebsstufe sichern und zugleich die Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Vertragshändlern vereinheitlichen kann4.
1 Deutschland hatte die diesbezügliche Regelung in dem früher geltenden Art. 7 Abs. 1 EVÜ mittels Vorbehalt für unanwendbar erklärt. Allerdings ist der heute auch für Deutschland geltende Art. 9 Abs. 3 euROM-I betreffend die Berücksichtigung drittstattlicher Eingriffsnormen wesentlich restriktiver als es noch Art. 7 EVÜ war. 2 Vgl. Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 9 Rom I-VO, Rz. 116, wobei er insbesondere auf die noch offene Bestimmung des Erfüllungsort eingeht. 3 Vgl. Martiny in MünchKomm/BGB, IPR, Art. 9 Rom I-VO, Rz. 117. 4 Vgl. nur Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 44; Thume in Küstner/Thume, S. 179 Rz. 8.
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359
Teil G Rz. 360 360
Distributionsgeschäfte
Der vertragliche Gestaltungsspielraum kann jedoch bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unter Umständen durch AGB-Gesetzgebung eingeschränkt werden (sogleich Rz. 361 ff.). b) AGB-Kontrolle nach deutschem Recht
361
Nach deutschem IPR entscheidet das Vertragsstatut, in welchem Maße AGB inhaltlich zu kontrollieren und gegebenenfalls welche Klauseln unzulässig sind (sog. Inhaltskontrolle). Für den Fall, in welchem auf den Vertragshändlervertrag ausländisches Recht anwendbar ist, sind folglich die entsprechenden ausländischen Vorschriften zu beachten1. Die im deutschen Sachrecht geregelte Inhaltskontrolle von AGB (sogleich Rz. 362 ff.) gehört wohl nicht zum Bestand der international zwingenden Eingriffsnormen (lois d’application immédiate), weshalb die Anwendbarkeit dieser Vorschriften mit der Wahl einer ausländischen Rechtsordnung „ausgeschaltet“ werden kann2.
362
Ist auf die Vereinbarung deutsches Sachrecht anwendbar, sind die AGB einer Vertragshändlervereinbarung bei Anwendbarkeit von §§ 305 ff. BGB am Maßstab der Inhaltskontrolle von § 307 BGB zu prüfen, der die §§ 8 und 9 des aufgehobenen dtAGB-Gesetzes im Kern unverändert übernommen hat. Die Inhaltskontrolle von AGB gilt grundsätzlich nicht nur für rein nationale Vereinbarungen, sondern auch für Vertriebsverträge mit Auslandsberührung, auf welche deutsches Recht anwendbar ist3. Zur Wirksamkeit von Rechtswahlklauseln in AGB, Rz. 336.
363
Nach § 307 BGB sind vorformulierte Klauseln unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders von AGB „unangemessen benachteiligen“. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Klausel „unangemessen, in welcher der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen“4.
364
Eine „unangemessene Benachteiligung“ wird im Zweifel angenommen, wenn eine Bestimmung „mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist“ oder „wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist“ (§ 307 Abs. 2 BGB). Nach § 307 Abs. 3 BGB unterliegen nur solche Bestimmungen einer Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften (wie etwa die Vertikal-GVO) abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Demgemäß unterliegen einer Inhaltskontrolle etwa Klauseln über die Einschränkung von Leistungspflichten (Änderungsvorbehalte)5, die Kündigung6, die Rücknahmeverpflichtung des Lieferanten oder Konkurrenzverbote7.
365
Die deutschen Gerichte hatten in den letzten Jahren in zahlreichen Fällen auch die Angemessenheit von AGB in Vertragshändlerverträgen zu beurteilen, insbesondere im Bereich des Automobilvertriebs8. Nach der Rechtsprechung sind etwa solche Klauseln 1 Statt aller Spellenberg in MünchKomm/BGB IPR, Art. 10 Rom I-VO, Rz. 138 ff. und 145 und Art. 12 Rom I-VO, Rz. 37 ff. 2 Spellenberg in MünchKomm/BGB IPR, Art. 10 Rom I-VO, Rz. 139; Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 294. 3 Palandt/Heinrichs, BGB, § 305 Rz. 58; Hau in Wolf/Horn/Lindacher, IntGV Rz. 1. 4 BGH v. 21.6.1990, BB 1990, 1932 ff. 5 Zur Zulässigkeit der Änderung der Modellpolitik oder zu Preisänderungsvorbehalten bei Vertragshändlerverträgen vgl. Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 47 f. 6 Vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 3. 7 Vgl. Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 46 ff. 8 Vgl. Auflistung der Rechtsprechung von Flohr in Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, § 307N 50 f.; ausführlicher Thume in Küstner/Thume, S. 181 Rz. 16 mit Verweisen auf die Rechtsprechung des BGH; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 46 ff.
780 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 368 Teil G
unzulässig, die dem Lieferanten ohne Vorliegen schwerwiegender Gründe das Recht einräumen, den Marktverantwortungsbereich des Vertragshändlers einseitig zu verkleinern, sofern diesem ein bestimmtes Gebiet zur alleinigen Betreuung übertragen wurde1. Unzulässig ist es auch, in AGB vorzusehen, dass der Hersteller berechtigt sei, Direktgeschäfte in das Verkaufsgebiet des Händlers, der ein Alleinvertriebsrecht hat, vorzunehmen2, falls der Vertragshändler in die Absatzorganisation des Lieferanten eingebunden ist. Zu Kündigungsklauseln in AGB und zum Ausgleichsanspruch in AGB vgl. Rz. 377 bzw. 404. Im Rahmen einer Inhaltskontrolle von AGB-Bestimmungen sind nicht nur die maßgeblichen Normen des BGB und des dtHGB zu beachten, sondern auch die einschlägigen EG-Gruppenfreistellungsverordnungen, sofern sie überhaupt anwendbar sind3. Bei der Bewertung von AGB im internationalen Handelsverkehr am Maßstab deutschen Sachrechts ist zudem der Charakter des Auslandsgeschäfts zu berücksichtigen, weshalb AGB-Klauseln in internationalen Vertriebsverträgen nur zurückhaltend verworfen werden sollten4.
366
c) AGB-Kontrolle nach österreichischem Recht Nach § 879 Abs. 3 ABGB ist eine in AGB enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, dann nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt. Diese Bestimmung erlaubt eine Inhaltskontrolle5. Soweit ersichtlich, besteht keine Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Bestimmungen in AGB von Vertragshändlerverträgen den § 879 Abs. 3 ABGB verletzen.
367
d) AGB-Kontrolle nach schweizerischem Recht Im Unterschied zum deutschen Recht ist in der Schweiz die AGB-Kontrolle nicht einheitlich im Obligationenrecht geregelt, sondern es herrscht ein Dualismus von (äusserst rudimentären) vertragsrechtlichen Regelungen zur Geltungs-6 und Auslegungskontrolle7, während sich im Wettbewerbsrecht mit Art. 8 UWG eine Inhaltskontrolle findet8. Dieser Art. 8 UWG wurde mit Wirkung auf den 1.7.2012 revidiert, wobei eine verstärkte Inhaltskontrolle verankert wurde9. Von Art. 8 UWG abgesehen, hat das 1 BGH v. 21.12.1983, BGHZ 89, 206; BGH v. 26.11.1984, NJW 1985, 623 (628 f.); Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 49. 2 Vgl. BGH v. 12.1.1994, BB 1994, 2399; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 50 m.w.H. 3 Detzer/Ullrich 2000, Rz. 528; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 45; Thume in Küstner/Thume, S. 179 Rz. 15. 4 Vgl. Hau in Wolf/Horn/Lindacher, IntGV, Rz. 56 ff. 5 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 40. 6 Wurden die AGB überhaupt Bestandteil des Vertrags; heikel sind diesbezüglich namentlich ungewöhnliche Klauseln, falls die AGB bloss global übernommen worden sind, statt dass die Gegenpartei die Klauseln im Einzelnen zur Kenntnis genommen hat. 7 Gemäss der Unklarheitenregel hat der Verfasser der AGB die für ihn ungünstigere Auslegungsvariante gegen sich gelten zu lassen, falls der Inhalt der Klausel nicht anderweitig eruiert werden kann (vgl. Bundesgericht, Urt. v. 12.7.2005 – 5C.271/2005, E. 2). 8 Vgl. zu diesem ungewöhnlichen Dualismus im Schweizer Recht Florent Thouvenin in Basler Komm/UWG, Art. 8 N 47 ff. 9 Voraussetzung für einen Eingriff war, dass der Verwender der AGB diese in irreführender Weise zum Nachteil einer Partei verwendet, was nur sehr schwer nachgewiesen werden konnte. Auf dieses Erfordernis wird im revidierten Art. 8 UWG verzichtet, der jetzt lautet: „Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.“
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368
Teil G Rz. 369
Distributionsgeschäfte
Bundesgericht – trotz Kritik in der Lehre – von einer offenen Inhaltskontrolle bei AGB stets abgesehen1. Der revidierte Art. 8 UWG bezieht sich nur auf Konsumentenverträge und wird somit auf Vertragshändlerverträge keine Anwendung finden. Die kritischen Stimmen aus der Lehre wurden mit der Revision von Art. 8 UWG immerhin mit Blick auf Konsumentenverträge wenigstens teilweise befriedigt und damit dürfte auch der Ruf nach einer Praxisänderung diesbezüglich verstummen. Deshalb wird die inhaltliche Kontrolle von AGB bei Vertragshändlerverträgen wohl auch weiterhin keine Rolle spielen. 3. Absatzförderungspflicht des Händlers und Lieferpflicht des Lieferanten 369
Eine Besonderheit des Vertragshändlervertrages bildet die Einbindung des Händlers in die Absatzorganisation des Lieferanten. Der Vertragshändlervertrag ist nämlich wesentlich durch die Absatzförderungspflicht des Händlers charakterisiert2. Denn der Händler hat dem Lieferanten die Produkte nicht einfach nur abzunehmen, sondern ist verpflichtet, sich nachhaltig für den Absatz der Vertragsprodukte einzusetzen3. Dies führt zu einer Bindung und Interessenverknüpfung der Parteien, die über eine bloße ständige Lieferantenbeziehung hinausgeht4.
370
Oftmals werden gewisse Absatzförderungspflichten im (schriftlichen) Rahmenvertrag konkretisiert, in dem die Warenverkaufspräsentation, die Gestaltung der Verkaufsräume, die Herausstellung des Markenzeichens, die Einhaltung qualitativer Standards oder etwa die Werbeverpflichtungen im engeren Sinn geregelt werden5. Zur Interessenwahrungspflicht des Händlers im weiteren Sinn gehört auch die Beobachtungs- und Erkundigungspflicht bezüglich der Marktsituation und der Kundenbedürfnisse sowie primär bei technischen Produkten eine Kundendienstleistungs- und Ersatzteilelieferpflicht6. Die allgemeine Absatzförderungspflicht ist jedoch Folge der im Vertragshändlervertrag enthaltenen Treue- und Interessenwahrungspflicht und gilt auch ohne ausdrückliche Abrede7.
371
Nicht selten werden auch Mindestabnahmepflichten vereinbart, weil sie aus Sicht des Lieferanten als geeignetes Mittel zur Absatzförderung angesehen werden. Im Unterschied zur allgemeinen Absatzförderungspflicht müssen Mindestabnahmepflichten jedoch ausdrücklich vereinbart werden8.
372
Mit der Pflicht des Vertragshändlers zur Abnahme der Vertragsprodukte und deren Absatzförderung korrespondiert die Lieferpflicht des Unternehmers9. Wird eine solche 1 In jüngeren Entscheiden ließ das Bundesgericht die Frage offen: BGE 135 III 1, S. 13 und Urt. v. 7.11.2007 – 4A_54/2009; dazu Hinweise bei Thouvenin in Basler Komm/UWG, Art. 8 N 59. 2 Nach Emde, Vor § 84 Rz. 334 liegt dann kein Vertragshändlervertrag vor, wenn der Händler keine Absatzförderungspflicht trifft. 3 Weske/Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 359. 4 Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 13. 5 Vgl. die Auflistung typischer Merkmale der Eingliederung in die Absatzorganisation in Weske/ Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 359. 6 Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22N 13 f. 7 Vgl. mit Bezug auf das deutsche Recht implizit Thume in Küstner/Thume, S. 226 Rz. 30 ff. Für das Schweizer Recht vgl. nur Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 17; weniger deutlich Amstutz/ Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff., Rz. 119. 8 Zu den möglichen Varianten von Mindestabnahmepflichten und den Sanktionen bei Nichterreichen vgl. Thume in Küstner/Thume, S. 228 Rz. 39; Detzer/Ullrich 2011, S. 33 f.; Dau in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 182 ff. Mindestabnahmepflichten sind i.d.R. mit einem Alleinvertriebsrecht des Händlers gekoppelt; dabei sollte auch geregelt werden, ob der Lieferant Direktgeschäfte tätigen darf und ob dies an die Mindestabnahmepflichten angerechnet werden, vgl. Detzer/Ullrich 2011, S. 33 Fn. 74. 9 Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22N 15; für das Schweizer Recht vgl. nur Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff., Rz. 118 m.w.H.
782 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 376 Teil G
nicht ausdrücklich im Vertrag statuiert, besteht eine Lieferpflicht nur, wenn dem Vertragshändler eine Mindestabnahmepflicht und ein Konkurrenzverbot auferlegt worden ist1. Sofern keine Lieferpflicht besteht oder vereinbart wurde, ist der Lieferant berechtigt, seine Produktion aus unternehmerischen Gründen umzustellen oder gar einzustellen. Dabei muss er jedoch auf die berechtigten Belange des Vertragspartners Rücksicht nehmen und er darf Bestellungen nicht ohne vertretbare Gründe ablehnen. Falls der Lieferant aufgrund von Produktionsschwierigkeiten oder wegen unerwartet hoher Nachfrage nicht in der Lage ist, alle Bestellungen seiner Vertragshändler zu erfüllen, wird der einzelne Händler nur eine anteilsmäßige Belieferung erwarten und verlangen können. Dies erfordert der Gleichbehandlungsgrundsatz, den der Lieferant einzuhalten hat2.
373
4. Beendigung des Vertragshändlervertrages a) Allgemeines Die Vertragshändlervereinbarung ist – wie erwähnt – auch dadurch gekennzeichnet, dass sie sich aus einem Rahmenvertrag und den einzelnen Kaufverträgen zusammensetzt (vgl. Rz. 285). Die Kündigung des Rahmenvertrages wirkt deshalb ausschließlich für die Zukunft und lässt insbesondere die noch nicht erfüllten Einzellieferverträge unberührt.
374
Die Parteien werden in der Regel entweder einen Vertrag auf unbestimmte Dauer mit einer Kündigungsfrist vorsehen (sogleich Rz. 376) oder den Vertrag für einen bestimmten Zeitraum abschließen (sog. echte befristete Verträge)3. Bei befristeten Vertragshändlerverträgen können die Laufzeiten unterschiedlich sein. Dabei sind die allgemeinen Vorschriften, welche Verletzungen gegen die guten Sitten regeln, zu beachten. Im Hinblick auf die Investitionen und Aufwendungen des Vertragshändlers sind zudem unter Umständen Mindestvertragslaufzeiten einzuhalten4.
375
b) Ordentliche Kündigung aa) Vertragliche Regelung Die Parteien werden i.d.R. eine Frist für die ordentliche Beendigung des Vertrages vereinbaren. Sie sind bei der Festlegung der Kündigungsfristen weitgehend frei5. Die Par-
1 Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22N 15 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BGH; a.A. Emde, Vor § 84 Rz. 346, welcher eine allgemeine Lieferpflicht aus Treu und Glauben ableitet. 2 Vgl. zum Ganzen Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22N 15 m.w.H. 3 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 10 ff. Demgegenüber spricht man von einem unecht befristeten Vertrag, wenn dieser für einen bestimmten Zeitraum geschlossen wurde und sich nach Ablauf dieser Zeit automatisch – z.B. um ein Jahr – verlängert. In einem solchen Fall ist die Befristung „unecht“, weil bei Vertragsschluss nicht voraussehbar ist, wann das Vertragsverhältnis endgültig enden soll. 4 Mit der neuen Kfz-GVO ist die in der Vorgängerverordnung noch vorgesehene Mindestlaufzeit von fünf Jahren für Kfz-Vertragshändlerverträge entfallen. 5 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 2. In Ausnahmefällen kann nach deutschem Recht die Berechtigung zur ordentlichen Kündigung vom Vorliegen besonderer (nicht wichtiger) Gründe abhängig sein, vgl. BGH v. 21.2.1995, BB 1995, 1657 (1659); Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 26.
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Killias/Marzorati 783
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Teil G Rz. 377
Distributionsgeschäfte
teien können das Recht zur ordentlichen Kündigung im Rahmen von Treu und Glauben vertraglich einschränken1. 377
Immerhin ist zu beachten, dass bei der Regelung von Kündigungsfristen in AGB eine Inhaltskontrolle greifen kann. So sind nach deutschem Recht vorformulierte Kündigungsfristen in AGB dann unzulässig, wenn sie etwa das Recht zur ordentlichen Kündigung absolut ausschließen2 oder den Vertragshändler nach Treu und Glauben unangemessen benachteiligen3. Bei der Beurteilung der Angemessenheit können die Kündigungsfristen in § 89 dtHGB nicht analog herangezogen werden, weil diese relativ kurzen Fristen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Händlers zuwenig berücksichtigen4. Bei Verwendung von AGB wird je nach Branche und Dauer des Vertrags unterschiedlich lange oder auch eine gestaffelte Kündigungsfrist für angemessen und damit im Sinne des AGB-Gesetzes für zulässig erklärt, wobei eine Frist von insgesamt zwei Jahren in der Regel nicht überschritten werden sollte5. Unzulässig ist dagegen eine Kündigungsklausel von drei Monaten zum Jahresende6.
378
Mangels einer wirksamen Inhaltskontrolle von AGB ist bei Maßgeblichkeit des schweizerischen Rechts davon auszugehen, dass der Verwender von AGB wohl weitgehend frei ist bei der Festlegung von Kündigungsfristen und nur das allgemeine Verbot der übermäßigen Bindung zu beachten ist. bb) Bei Fehlen einer vertraglichen Regelung
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Für den Fall, dass die Parteien keine vertragliche Vereinbarung mit Bezug auf die ordentliche Kündigung vorgesehen haben, halten die verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Regelungen bereit.
380
Bei Maßgeblichkeit des deutschen Rechts stellt sich die Frage, ob die für den Handelsvertreter geltenden Fristen des § 89 dtHGB für den Vertragshändler analog anwendbar sind oder nicht. Das Handelsvertreterrecht sieht in § 89 Abs. 1 dtHGB für auf unbestimmte Zeit eingegangene Verträge für das erste Vertragsjahr eine Kündigungsfrist von einem Monat, für das zweite Jahr eine Frist von zwei Monaten etc. vor. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren kann das Vertragsverhältnis mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden.
381
Nach der wohl h.L. kann die analoge Anwendung von § 89 dtHGB bei einer kurzen Vertragslaufzeit zu unbilligen Ergebnissen führen, weil die Kündigungsfristen des § 89 Abs. 1 dtHGB relativ kurz sind. Denn gerade zu Beginn der Vertragshändlerbeziehung ist die wirtschaftliche Belastung für den Händler am größten. Die gesetzliche Re-
1 BGH v. 7.5.1975, BGHZ 74, 288; BGH v. 25.5.1993, NJW-RR 1993, 1460; BGH v. 26.4.1995, BB 1995, 1257. Immerhin ist der Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot der übermäßigen Bindung zu beachten; vgl. für das deutsche Recht van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 2 und 40. Dasselbe gilt im Rahmen von Art. 2/27 ZGB, Art. 19/20 OR auch bei Maßgeblichkeit des Schweizer Rechts. 2 Vgl. Thume in Küstner/Thume, S. 255 Rz. 15. 3 Spenner in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 619 f. 4 Vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 35 ff.; a.A. Emde, Vor § 84 Rz. 360. 5 BGH v. 21.2.1995, BB 1995, 1657; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 42; Thume in Küstner/Thume, S. 254 Rz. 12. 6 Vgl. OLG Stuttgart v. 15.9.1989, BB 1990, 1015; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 37; gilt auch im österreichischen Recht, vgl. Riedler in Schwimann/Kodek, § 879 S. 409.
784 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 384 Teil G
gelung in § 89 dtHGB trägt diesen wirtschaftlichen Verhältnissen keine Rechnung1. Deshalb fehlt nach dieser Ansicht eine gesetzliche Kündigungsvorschrift, welche die speziellen wirtschaftlichen Verhältnisse eines Vertragshändlervertrages berücksichtigt. Daher muss die bestehende Rechtslücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung über die §§ 133, 157 BGB geschlossen werden2. Dabei ist ein objektiv-generalisierender Maßstab anzulegen, der auf den Willen und die Interessen der typischerweise bei derartigen Verträgen beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Vertragshändler seinen Betrieb i.d.R. auf die Interessen des Lieferanten ausrichten muss. Zudem ist die Geschäftsbeziehung auf Dauer angelegt und es ist für den Händler in der Regel nicht einfach, einen kurzfristigen Ersatz für den weggefallenen Lieferanten zu finden. Die Rechtsprechung geht deshalb im Kfz-Bereich überwiegend von Kündigungsfristen von einem Jahr zum Monatsende aus3. Immerhin können je nach Branche und Dauer des Vertragshändlervertrages kürzere oder evtl. auch längere Fristen von bis zu zwei Jahren, gegebenenfalls auch zeitlich gestaffelt, in Frage kommen4. Ob bei fehlender vertraglicher Regelung im Anwendungsbereich des österreichischen Rechts die Kündigungsfristen gem. § 21 HVertrG auf Vertragshändlerverträge analog anwendbar sind, ist unklar. Nach § 21 HVertrG beträgt die Kündigungsfrist im ersten Vertragsjahr einen Monat, im zweiten Jahr zwei Monate etc. Die Kündigungsfrist erhöht sich entsprechend der Anzahl der angefangenen Vertragsjahre auf maximal sechs Monate5.
382
Bei Maßgeblichkeit des schweizerischen Rechts wird für unterjährige Vertragshändlerverhältnisse die agenturrechtliche Regel des Art. 418q Abs. 1 OR analog angewendet. Demnach kann der Vertrag beiderseits auf das Ende des der Kündigung folgenden Kalendermonats gekündigt werden6. Hat demgegenüber der Vertrag im Zeitpunkt der Kündigung ein Jahr oder mehr gedauert, so ist die gesellschaftsrechtliche Kündigungsfrist von sechs Monaten (Art. 546 Abs. 1 OR) sachgerecht7.
383
c) Außerordentliche Kündigung Aus wichtigen Gründen kann ein Vertragshändlervertrag von jeder Partei grundsätzlich jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung gekündigt 1 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 25; Küstner/Thume, S. 253. Ein Teil der Lehre will für „normale“ (d.h. nicht besonders schutzbedürftige) Vertragshändlerverträge auf die analoge Anwendung von § 89 dtHGB abstellen, Emde, Vor § 84 Rz. 360; Detzer/Ullrich 2011, dann aber differenzierend Detzer/Ullrich 2014 S. 222 ff.; vgl. auch Spenner in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 605 ff.; zur Selbstregulierung der deutschen Kfz-Vertragshändler vgl. Vogels in Giesler/Güntzel, S. 127 f. 2 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 25; Thume in Küstner/Thume, S. 254 Rz. 11 m.w.H. Vgl. auch OLG Stuttgart v. 15.9.1989, BB 1990, 1015. 3 BGH v. 21.2.1995, BB 1995, 1657; BGH v. 7.3.1989, ZIP 1989, 939. Es ist zu beachten, dass sich fast alle Gerichtsurteile auf Kündigungsfristen für Vertragshändlerverträge in der inländischen Automobilindustrie beziehen, bei welchen der Vertragshändler als besonders schützenswert gilt, vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 26; Detzer/Ullrich 2011, S. 14. Demgegenüber will Emde, Vor § 84 Rz. 360, auf die Fristen nach § 89 dtHGB abstellen. 4 Vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 26; Thume in Küstner/ Thume, S. 254 Rz. 12. 5 Für einen Kfz-Händlervertrag hat der OGH, WBl 1998, 363 (369 f.), jedoch entschieden, dass eine dreimonatige Kündigungsfrist § 879 Abs. 3 ABGB verletzt und vielmehr eine einjährige Kündigungsfrist angemessen sei. 6 Vgl. nur Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 31; Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 123 m.w.H.; vgl. auch BGE 107 II 217 ff. 7 Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 123; Meyer, S. 271 f.; a.A. Cour de justice civile de Genève, SJ 1975, 528.
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Killias/Marzorati 785
384
Teil G Rz. 385
Distributionsgeschäfte
werden, und zwar unabhängig davon, ob der Vertrag befristet oder unbefristet ist1. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn es für den Kündigenden aufgrund objektiver Tatsachen unzumutbar ist, den Vertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bzw. bis zum Ende der vereinbarten Vertragsdauer fortzusetzen2. 385
Die „wichtigen Gründe“ können vertraglich vereinbart werden3. Diesfalls ist bei Vorliegen eines solchen Kündigungsgrundes der Vertrag ohne Prüfung der Zumutbarkeit und ohne Interessenabwägung mit Bezug auf die Fortsetzung des Vertrages sofort kündbar.
386
Da das deutsche Recht für Formularverträge eine Inhaltskontrolle kennt, muss sich bei Anwendbarkeit deutschen Rechts die entsprechende Kündigungsklausel an den §§ 307 ff. BGB messen lassen. Die in AGB enthaltenen Kündigungsgründe müssen deshalb objektiv so erheblich sein, dass sie eine fristlose Kündigung als angemessen erscheinen lassen. Es ist nicht zulässig, relativ geringfügige Anlässe, die im Normalfall keineswegs einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen würden, durch AGB auch dann zum wichtigen Kündigungsgrund zu erheben, wenn die Interessen des Verwenders durch den Anlass letztlich kaum berührt werden4.
387
Bei längerfristigen und bislang korrekt abgewickelten Vertragsverhältnissen ist im Falle einer außerordentlichen Kündigung eine vorherige Abmahnung erforderlich5. Dasselbe gilt bei der Verletzung von einzelnen, nicht sehr gravierenden Leistungspflichten6. Fehlt die erforderliche Abmahnung, kann die fristlose Kündigung unwirksam sein. Keiner Abmahnung bedürfen ernsthafte Störungen im Vertrauensbereich des Kündigenden.
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Der Kündigende darf mit einer außerordentlichen Kündigung nicht unbegrenzt zuwarten; er muss sie vielmehr innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis des „wichtigen Grundes“ aussprechen. Wird die außerordentliche Kündigung des Vertragsverhältnisses erst nach Ablauf der angemessenen Frist ausgesprochen, ist der Kündigungsgrund verwirkt. Eine Frist von zwei Monaten ist i.d.R. nicht mehr als angemessen zu betrachten7. Die lediglich zweiwöchige Frist nach § 626 BGB findet indes ge-
1 Für die außerordentliche oder fristlose Kündigung ist im deutschen Recht § 89a dtHGB analog anwendbar, vgl. zuletzt BGH v. 15.12.1993, BB 1994, 815; vgl. auch van der Moolen in Martinek/ Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 27 und 41 ff.; Emde, Vor § 84 Rz. 361 f. Dies folgt nach Schweizer Recht bereits aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, weshalb es keines Rückgriffs auf eine analoge Anwendung von Art. 418r Abs. 1 OR bedarf, so Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 124 m.w.H. Nach österreichischem Recht ist eine außerordentliche Beendigung des Vertrages aus wichtigen Gründen – auch bei einem vertraglichen Ausschluss – möglich, vgl. Graf in Kletecka/Schauer, § 879 Rz. 91; Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier, § 64 Rz. 43. 2 Vgl. nur van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 41; Thume in Küstner/ Thume, S. 259 Rz. 27 ff. Zu möglichen Beispielen von außerordentlichen Kündigungsgründen vgl. etwa van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 43 f.; Spenner in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 631. Zu den wichtigen Gründen nach Schweizer Recht Meyer, S. 274; ähnlich für das österreichische Recht Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/ Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 19 und 43. 3 Vgl. BGH v. 12.3.1992, BB 1992, 1162; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 45 f. 4 Vgl. BGH v. 26.11.1984, BGHZ 93, 29 ff.; Flohr in Flohr/Wauschkuhn, § 89a HGB Rz. 37; eingehend Spenner in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 640 ff.; vgl. auch van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 19 Rz. 45; Thume in Küstner/Thume, S. 260 Rz. 33. 5 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier, § 23 Rz. 57. 6 Vgl. Flohr in Flohr/Wauschkuhn, § 89a HGB Rz. 15f. 7 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 56; für Spenner in Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 656, ist eine Frist von einem Monat angemessen.
786 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 393 Teil G
mäß BGH keine Anwendung auf den Handelsvertretervertrag (und damit wohl auch nicht auf den Vertragshändlervertrag)1. Neben dem Vorliegen wichtiger Gründe können u.U. auch der Konkurs oder der Tod einer Vertragspartei zur „außerordentlichen“ Beendigung des Vertragshändlervertrages führen2.
389
Die rechtswirksam ausgesprochene außerordentliche Kündigung hat die sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses zur Folge3.
390
5. Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers? a) Einleitung Die Beendigung des Vertragshändlervertrages führt i.d.R. dazu, dass der Händler – im Unterschied zum Lieferanten – die Vorteile aus der von ihm geschaffenen Kundenbeziehungen nicht mehr nutzen kann. Die Frage, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen eine zusätzliche Vergütung dafür geschuldet ist, dass der Vertragshändler diese Kundenbeziehungen künftig nicht mehr nutzen kann, wird in den hier dargestellten Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet.
391
Im Unterschied zum Vertragshändlervertrag ist das Recht des Handelsvertreters (Agent) in vielen Rechtsordnungen gesetzlich detailliert geregelt und enthält oft zwingende Schutzbestimmungen zugunsten des Handelsvertreters. Zudem hat die Richtlinie 86/653/EWG4 das Recht der Handelsvertreter innerhalb der EU weitgehend harmonisiert. Mit Bezug auf die wichtige Regelung des Ausgleichsanspruchs nach Vertragsbeendigung können die Mitgliedstaaten zwischen zwei Modellen wählen, dem sog. Ausgleichsmodell (Art. 17 Abs. 2 Richtlinie) und dem Entschädigungsmodell (Art. 17 Abs. 3 Richtlinie).5 Innerstaatlich handelt es sich bei beiden Modellen insofern um zwingendes Recht, als davon vor Ablauf des Vertrages nicht zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden darf (Art. 19 Richtlinie).
392
Beim Absatz mittels Handelsvertreter und Vertragshändler handelt es sich zumindest um vergleichbare Formen der Organisation des Vertriebs durch Dritte. Die beiden Absatzformen unterscheiden sich formell danach, ob der Dritte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung als Vertragshändler oder im Namen und auf Rechnung des Unternehmers als Handelsvertreter handelt. Daraus resultiert auch ein wichtiger wirtschaftlicher Unterschied bezüglich des Waren- und Insolvenzrisikos des Kunden sowie bei
393
1 BGH, Urt. v. 29.6.2011 in Zeitschrift für Vertriebsrecht 2012, 50; vgl. Flohr in Flohr/Wauschkuhn, § 89a HGB Rz. 15 f. 2 Gerät der Lieferant (Hersteller) in Insolvenz, erlischt der Vertragshändlervertrag nach deutschem Recht mit der Insolvenzeröffnung automatisch (§ 116 InsO); demgegenüber führt die Insolvenz des Vertragshändlers nicht automatisch zur Vertragsbeendigung. Die Insolvenz des Händlers berechtigt aber den Lieferanten zur außerordentlichen Kündigung des Vertragshändlervertrages, vgl. nur van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 28 f. Der Tod des Vertragshändlers führt im Zweifel zur Beendigung des Vertragsverhältnisses, nicht jedoch der Tod des Lieferanten vgl. §§ 672 f., 675 BGB, van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 67. Nach Schweizer Recht führt der Tod des Händlers ebenfalls zur Beendigung des Vertragsverhältnisses ex nunc; demgegenüber ist der Tod des Lieferanten nur ausnahmsweise ein Beendigungsgrund. Der Konkurs einer Vertragspartei bewirkt ebenfalls die Auflösung des Vertrages ex nunc, vgl. Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 124; Handelsgericht des Kantons Zürich v. 31.5.1977, SJZ 74 (1978), 110. Neuerdings kann im Nachlassverfahren der Sachwalter gemäß dem neuen Art. 297a SchKG Dauerschuldverhältnisse vorzeitig kündigen, falls der Vertrag die Sanierung gefährdet. 3 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 23 Rz. 58. 4 ABl. EG 1986 Nr. L 382, S. 17. 5 Eingehender zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreter hiervor Huber zum Handelsvertretervertrag, Rz. 45 ff.
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Killias/Marzorati 787
Teil G Rz. 394
Distributionsgeschäfte
der Verantwortlichkeit für Reklamationen und die Durchführung der Lieferung an den Kunden. Während der Vertragshändler für alle diese Punkte selber verantwortlich ist, ist das beim Handelsvertreter nicht der Fall. Auf der anderen Seite kann ein Vertragshändler derart in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert sein, dass die Aufgaben, die er zu erfüllen hat, mit denen eines Handelsvertreters vergleichbar sind und sich nicht in einer bloßen Verkäufer-Käufer-Beziehung erschöpfen. 394
Der Vertragshändlervertrag ist – wie mehrfach erwähnt – in den vorliegend interessierenden Rechtsordnungen gesetzlich nicht geregelt. Deshalb stellt sich die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen das Recht des Handelsvertreters auch für den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers maßgeblich ist. b) Ausgleichsanspruch nach deutschem Recht
395
Das deutsche Handelsvertreterrecht sieht in § 89b dtHGB einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters vor.
396
Aufgrund der Rechtsprechung steht fest, dass die Vorschrift von § 89b dtHGB unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Vertragshändlerverträge analog anwendbar ist. Die analoge Anwendung von § 89b dtHGB wird heute weniger mit der Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers begründet als mit dessen vergleichbarer Eingliederung in die Vertriebsorganisation des Unternehmers (Lieferanten)1. Der Ausgleichsanspruch wird deshalb tendenziell als Vergütung für die dem Unternehmer zugeführten Vorteile und nicht als Schutzmechanismus zugunsten der schwächeren Vertragspartei verstanden2.
397
Nach ganz überwiegender Meinung ist der Ausgleichsanspruch nach § 89b dtHGB auf den Vertragshändler analog anwendbar, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss der Vertragshändler ähnlich einem Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Lieferanten eingegliedert sein3. Dies bedeutet jedoch nicht, dass beim Händler sämtliche typischen Merkmale eines Handelsvertreters vorliegen müssten; es reicht vielmehr aus, wenn diejenigen Kriterien gegeben sind, die dazu führen, dass der Vertragshändler eine dem Handelsvertreter vergleichbare Stellung einnimmt4. Der Vertragshändler muss also einem Handelsvertreter vergleichbare wirtschaftliche Aufgaben übernehmen, die sich nicht allein in einer bloßen „Kaufbeziehung“ erschöpfen. Im Weiteren setzt die analoge Anwendung von § 89b dtHGB voraus, dass eine Vertragspflicht zur Überlassung des Kundenstammes besteht, so dass der Lieferant die Vorteile des Kundenstammes sofort und ohne weiteres nutzen kann. Dabei ist unerheblich, wie und wann die Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes entsteht und ob sie erst im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung oder schon während der Geschäftsbeziehung durch eine ständige Unterrichtung des Lieferanten über die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsabschlüsse zu erfüllen ist5. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt an das Kriterium der vertraglichen Verpflichtung zur 1 Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 29; zum geringeren Schutzbedürfnis Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 358 f. 2 Ausführlicher Emde, Vor § 84 Rz. 366 ff., der konsequenterweise von einer „Ausgleichsvergütung“ spricht. 3 Vgl. BGH v. 6.10.2010, besprochen in NJW 2011, 848 Rz. 17; BGH v. 17.4.1996, BB 1996, 1458; BGH v. 1.12.1993, BB 1994, 241; OLG München v. 8.1.1997, BB 1997, 595. Ausführlicher hierzu Genzow, Rz. 146. Zu den handelsvertreterähnlichen Funktionen des Vertragshändlers vgl. Emde, Vor § 84 Rz. 338. 4 Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 361; zu den Kriterien im Einzelnen vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 8 ff. 5 BGH v. 26.2.1997, BB 1997, 241; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 14 ff.; Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 365.
788 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 401 Teil G
Überlassung des Kundenstammes jedoch nur geringe Anforderungen1 und vernachlässigt insbesondere den Umstand, dass der Händler – im Unterschied zum Handelsvertreter – die Verträge mit den Kunden eigenständig abwickelt und deshalb die Weitergabe von Kundeninformationen an den Lieferanten für die Vertragserfüllung nicht erforderlich ist. Für die analoge Anwendung von § 89b dtHGB reicht jedenfalls aus, wenn der Lieferant die Kunden kennt und er diese Kenntnis nutzen kann2. Die vertragliche Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes ist in der Literatur sehr umstritten, wird vom BGH aber in ständiger Rechtsprechung gefordert, wenn auch oft mit geringen Anforderungen3. Liegen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 89b dtHGB vor, ist weiter zu prüfen, ob auch der Ausgleichsanspruch dem Grunde und der Höhe nach besteht. Ein Ausgleichsanspruch gestützt auf die analoge Anwendung von § 89b Abs. 1 dtHGB ist nur geschuldet, wenn (i) das Vertragsverhältnis beendet wurde, (ii) der Lieferant aus der Geschäftsverbindung mit neu geworbenen Kunden auch nach Vertragsbeendigung erhebliche Vorteile hat, (iii) dem Vertragshändler Einnahmen entgehen, die er bei Fortsetzung seines Vertrages aus den Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden erzielt hätte, und (iv) der Ausgleich unter Berücksichtigung aller Umstände billig ist.
398
Die Hauptschwierigkeit bei der analogen Anwendung von § 89b dtHGB besteht darin, wie der dem Vertragshändler zustehende Ausgleichsanspruch im Einzelnen berechnet wird. Denn die Vergütungssysteme bei Handelsvertretern einerseits und Vertragshändlern andererseits unterscheiden sich grundlegend. Während der Handelsvertreter in der Regel eine Provision erhält, wird dem Vertragshändler für seine Leistungen ein Rabatt (auf den Kaufpreis) gewährt. Der BGH hat schon früh entschieden, dass für die Berechnung des Ausgleichsanspruches nur der Teil des Rabattes (sog. Rabattkern) zugrunde gelegt werden könne, der für Leistungen gewährt werde, wie sie vom Handelsvertreter üblicherweise erbracht würden4. Bei der Bestimmung des Rabattkerns geht es i.d.R. darum, den Rabatt um sog. händlerspezifische Risiken wie Absatz-, Investitions-, Betriebs- und Lagerrisiken etc. zu kürzen. Sind diese fiktiven Provisionsverluste ermittelt, erfolgt anschließend eine Überprüfung unter Billigkeitsgesichtspunkten nach § 89b Abs. 1 Nr. 3 dtHGB5.
399
Der Ausgleichsanspruch ist der Höhe nach begrenzt. In analoger Anwendung von § 89b Abs. 2 dtHGB beläuft sich der Maximalbetrag des Ausgleichsanspruchs auf eine Jahresdurchschnittsvergütung; bezogen auf die Tätigkeit des Vertragshändlers in den letzten fünf Jahren vor Vertragsbeendigung; bei kürzerer Vertragsdauer auf diesen kürzeren Zeitraum.
400
§ 89b Abs. 3 dtHGB nennt schließlich besondere Umstände, bei deren Vorliegen ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen ist. Diese Bestimmung ist auf Vertragshändlerverträge analog anwendbar6. So ist etwa dann kein Ausgleichsanspruch geschuldet, wenn
401
1 Es braucht keine ausdrückliche Verpflichtung zur Übergabe der Kundendaten, sondern eine solche muss sich lediglich mittelbar aus den vertraglichen Vereinbarungen ergeben, Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 364. 2 OLG Nürnberg, v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, BeckRS 2011, 04747; Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 366; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 20 ff. 3 Emde, Vor § 84 Rz. 366 f.; zur Niederschwelligkeit der Annahme einer vertraglichen Verpflichtung vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 14 ff. 4 Vgl. BGH v. 13.1.2010 – VIII ZR 25/08, NJW-RR 2010, 1263 Rz. 28; BGH v. 11.12.1958, BB 1959, 7; Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 381. 5 Zu den Berechnungsgrundlagen im Einzelnen vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 67 ff. und das Rechenbeispiel bei Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 403 ff. 6 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 96 f.
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Killias/Marzorati 789
Teil G Rz. 402
Distributionsgeschäfte
der Vertragshändler den Vertrag ordentlich gekündigt und der Lieferant keinen begründeten Anlass zur Kündigung gegeben hat (§ 89b Abs. 3 Ziff. 1 dtHGB). Im umgekehrten Fall der Kündigung durch den Lieferanten entfällt der Ausgleichsanspruch nur, wenn ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Vertragshändlers vorliegt (vgl. § 89b Abs. 3 Ziff. 2 dtHGB)1. Eine einvernehmliche Aufhebung des Vertragshändlervertrages führt ebenfalls nicht zur Aufhebung des Ausgleichsanspruches (vgl. § 89b Abs. 3 Ziff. 3 dtHGB)2. 402
Der Lieferant hat regelmäßig ein Interesse daran, einen allfälligen Ausgleichsanspruch vertraglich im Voraus auszuschließen. Für diese Frage ist zunächst danach zu unterscheiden, ob der Vertragshändler in Deutschland oder im Ausland tätig ist:
403
– Ist bei einem internationalen Vertragsverhältnis der Händler in Deutschland tätig und ist auf den Vertrag deutsches Recht anwendbar, ist der im Voraus getroffene vertragliche Ausschluss des Ausgleichsanspruchs unwirksam. Dies ergibt sich aus der analogen Anwendung von § 89b Abs. 4 dtHGB, wonach der Ausgleichsanspruch im Voraus nicht ausgeschlossen werden kann3. Immerhin sind die Parteien frei, in einem solchen Fall ein ausländisches Recht zu wählen (i.d.R. das Recht am Ort der Niederlassung des ausländischen Lieferanten), das keinen Ausgleichsanspruch kennt. Durch die Wahl einer solchen ausländischen Rechtsordnung kann die analoge Anwendung von § 89b Abs. 4 dtHGB „umgangen“ werden. Dies ist zulässig, weil § 89b Abs. 4 dtHGB nicht zu den international zwingenden Eingriffsnormen (lois d’application immédiate) gehört (vgl. Rz. 352)4. – Wie ist zu entscheiden, wenn der Vertragshändler außerhalb Deutschlands tätig ist? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien auch in einem solchen Fall frei sind, eine ausländische Rechtsordnung (i.d.R. das Recht am Ort der Niederlassung des ausländischen Händlers) zu wählen, die keinen Ausgleichsanspruch des Händlers vorsieht oder welche die vertragliche Abwahl eines solchen Anspruchs zulässt. Bei Anwendbarkeit deutschen Rechts5 stellt sich die Frage, ob und inwiefern § 92c dtHGB analog auf Vertragshändlerverträge anwendbar ist. Nach dieser Bestimmung können die Parteien den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters vertraglich im Voraus abbedingen, falls der Handelsvertreter außerhalb eines Mitgliedstaates des EWR tätig ist. Die wohl h.L. geht jedoch davon aus, dass der Ausgleichsanspruch nicht nur bei Vertragshändlern außerhalb des EWR, sondern bei allen im Ausland tätigen Vertragshändlern ausgeschlossen werden kann6. Denn wie erwähnt, stellen die Bestimmungen über den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers keine international zwingende Eingriffsnormen dar. Einen europäischen Grundsatz dieses Inhalts kann man auch nicht in Anlehnung an die Ingmar-Entscheidung des EuGH7 herleiten, weil das Vertragshändlerrecht überhaupt nicht europäisch vereinheitlicht ist und der Vertragshändler in vielen Mitgliedstaaten kei1 Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 89b HGB Rz. 250 ff. 2 BGH v. 7.11.1991 – I ZR 51/90, Rz. 27, NJW-RR 1992, 421; ausführlicher zu den verschiedenen Möglichkeiten der Beendigung vgl. Emde, § 89b Rz. 59. 3 BGH v. 12.3.1992, BB 1992, 1162; BGH v. 6.12.1985, BB 1985, 1084; van der Moolen in Martinek/ Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 60 ff. 4 Vgl. BGH v. 30.1.1961, NJW 1961, 1062; ausführlich Martiny in MünchKomm/BGB IPR, Art. 9 Rom I-VO, Rz. 29; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 63 ff. 5 Diese Konstellation setzt i.d.R. die Wahl des deutschen Rechts voraus; denn bei Fehlen einer Rechtswahl wird grundsätzlich an das Recht am (ausländischen) Niederlassungsort des Händlers angeknüpft, vgl. Rz. 302 ff. 6 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 65; Thume in Küstner/Thume, S. 315 Rz. 107 i.V.m. S. 197 Rz. 73; Spenner in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 1004; Detzer/Ullrich 2011, S. 17; bestätigend Detzer/Ullrich 2014, S. 240. 7 EuGH v. 9.11.2000 – Rs. C-381/98 – Ingmar GB Ltd./Eaton Leonard Technologies Inc., NJW 2001, 2007 f.
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Vertragshändlervertrag
Rz. 407 Teil G
nen gesetzlichen Ausgleichsanspruch hat1. Deshalb ist eben auch die Abwahl des deutschen Rechts der Niederlassung des Händlers bei internationalen Sachverhalten zulässig. Der Ausgleichsanspruch kann somit bei allen im Ausland tätigen Händlern vertraglich ausgeschlossen werden, und zwar auch bei Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts. Umstritten ist schließlich die weitere Frage, ob der vorgängige Ausschluss des Ausgleichanspruchs mit einem ausländischen Vertragshändler auch formularmäßig zulässig ist. Ist deutsches Sachrecht maßgeblich, stellt sich die Frage, ob der Ausgleichsanspruch in AGB für den Fall ausgeschlossen werden kann, dass der Händler seine Niederlassung außerhalb Deutschlands hat. Der formularmäßige Ausschluss hält der nach § 307 BGB gebotenen Inhaltskontrolle stand, wenn das (ausländische) Recht des Niederlassungsstaates des Händlers überhaupt keinen, keinen eindeutigen oder zumindest keinen zwingenden Ausgleichsanspruch kennt. Der formularmäßige Ausschluss des Ausgleichsanspruchs ist dagegen nach § 307 BGB dann unwirksam, wenn das Recht des Niederlassungsstaates einen Ausgleichsanspruch zwingend vorsieht2. Demgegenüber entschied das OLG München, dass ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs mittels AGB auch in diesem Fall möglich sei3.
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c) Ausgleichsanspruch nach österreichischem Recht Bei Maßgeblichkeit des österreichischen Rechts stellt sich die Frage, ob § 24 des Handelsvertretergesetzes (öHVertrG) auf Vertragshändlerverträge analog anwendbar ist.
405
Nach gefestigter Rechtsprechung ist der in § 24 öHVertrG geregelte Ausgleichsanspruch auf einen Vertragshändler dann analog anwendbar, wenn die Vereinbarung im Innenverhältnis den wesentlichen Merkmalen des Handelsvertretervertrages derart angenähert ist, dass dessen Elemente überwiegen und die Verweigerung des Ausgleichsanspruches den Zielsetzungen des Gesetzes zuwiderlaufen würde4. Zudem muss der Vertragshändler verpflichtet sein, dem Lieferanten bei Vertragsbeendigung seinen Kundenstamm zu überlassen, so dass diesem tatsächlich ermöglicht wird, den Kundenstamm zu nutzen. Ein wesentliches Kriterium ist, inwieweit der Zuwachs an Kunden bereits durch die Handelsspanne des Händlers abgegolten wurde5.
406
Liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von § 24 öHVertrG vor, ist die Gewährung des Ausgleichsanspruches auch beim Vertragshändlervertrag zwingend6.
407
1 Vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 65; Thume in Küstner/ Thume, S. 197 Rz. 72 f.; Kocher, RIW 2003, 515. 2 So Thume in Küstner/Thume, S. 197 Rz. 74; Häuslschmid in Reithmann/Martiny, Rz. 2263. Ebenso Detzer/Ullrich 2011, S. 17, die jedoch die Zulässigkeit auf die Fälle einschränken wollen, in welchen die Staaten zwingend einen Ausgleichsanspruch vorsehen (dies ist in Europa aber nur in Belgien der Fall). 3 OLG München RIW 2002, 319 (betraf einen Handelsvertreter, muss indes auch für Vertragshändler gelten). Zustimmend van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 24 Rz. 63 f. 4 Vgl. OGH WBl 1997, 171, OGH v. 25.8,1999, RdW 1999, 786; OGH v. 29.11.1989, WBl 1990, 152; OGH v. 11.10.1990, WBl 1991, 67; kritisch Jabornegg, S. 69, für den eine analoge Anwendung nur dann in Frage kommt, wenn ein Vertragshändler aufgrund „besonderer Umstände ausnahmsweise als arbeitnehmerähnlich angesehen werden kann“. Das Inkrafttreten der neuen Regelung des HVertrG von 1993 hat eine noch weitgehendere Anpassung an das deutsche Recht gebracht, so Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 44. 5 Zum Ganzen Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 44; Kocher, RIW 2003, 515. 6 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 46. Dies dürfte wie im deutschen Recht (vgl. oben Rz. 362) wohl nur für den Fall gelten, dass der Händler in Österreich tätig ist und auf den Vertrag österreichisches Recht anwendbar ist.
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Killias/Marzorati 791
Teil G Rz. 408
Distributionsgeschäfte
408
Unter diesen Voraussetzungen ist der Vertragshändler nach Beendigung des Vertragsverhältnisses berechtigt, einen angemessenen Ausgleichsanspruch zu fordern, sofern (i) der Händler dem Lieferanten neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, (ii) zu erwarten ist, dass der Lieferant auch noch nach Auflösung des Vertrages erhebliche Vorteile hat und (iii) die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht1.
409
Nach § 24 Abs. 4 öHVertrG entspricht die gesamte durchschnittliche Jahresvergütung des Handelsvertreters der Höchstgrenze für den Ausgleichsanspruch. Anstelle der Provision ist beim Vertragshändler jedoch von der Handelsspanne auszugehen; davon sind aber jene Vergütungen abzuziehen, die der Händler für Leistungen erhält, welche der Handelsvertreter typischerweise nicht erbringt. Zudem ist auch die Sogwirkung der Marke und das Abwanderungsrisiko der zugeführten Kundschaft mindernd zu berücksichtigen2.
410
Kein Ausgleichsanspruch besteht jedoch in den in § 24 Abs. 3 öHVertrG aufgezählten Fällen. d) Ausgleichsanspruch nach schweizerischem Recht
411
Auch im schweizerischen Recht ist lediglich der Ausgleichsanspruch des Agenten (Handelsvertreters) gesetzlich geregelt.
412
Art. 418u OR sieht eine Entschädigung vor, wenn der Agent durch seine Tätigkeit den Kundenkreis des Auftraggebers wesentlich erweitert hat und dem Auftraggeber aus der Geschäftsverbindung mit der geworbenen Kundschaft auch nach Auflösung des Agenturverhältnisses erhebliche Vorteile erwachsen. In einem solchen Fall hat der Agent, soweit es nicht unbillig ist, einen unabdingbaren Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, die höchstens einem Nettojahresverdienst3 aus diesem Vertragsverhältnis entspricht. Dieser berechnet sich nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre, oder wenn das Verhältnis nicht so lange gedauert hat, nach demjenigen der ganzen Vertragsdauer. Der Agent hat jedoch dann keinen Anspruch, wenn das Agenturverhältnis aus einem Grund aufgelöst wurde, den der Agent zu vertreten hat4.
413
Der Agent kann auf die Entschädigung weder im Voraus noch während der Dauer des Agenturverhältnisses verzichten. Hingegen können Kriterien für die Bemessung der Kundschaftsentschädigung im Voraus vereinbart werden5. Bei bzw. nach Auflösung des Vertragsverhältnisses ist ein Verzicht auf Kundschaftsentschädigung generell zulässig, ebenso abweichende Regelungen zugunsten des Agenten6.
414
Das BGer hat bei der Zusprechung und Bemessung der Entschädigung für den Agenten eine generell restriktive Haltung eingenommen7. Zudem ist die Regelung in Art. 418u 1 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 21 ff. 2 OGH RdW 1998, 269; Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 26. 3 Als Nettoverdienst gilt, was nach Abzug sämtlicher Unkosten, die im Interesse des Auftraggebers ausgeführt wurden, noch verbleibt, hierzu Bühler in Zürcher Komm/Agenturvertrag, Art. 418u Rz. 55 ff. Mit der Beschränkung auf den Nettojahresverdienst unterscheidet sich die Regelung im Schweizer Recht von den übrigen europäischen Gesetzgebungen und der Regelung in der EG-Richtlinie, die von der Bruttojahresprovision als Entschädigungsprovision ausgehen, Bühler in Zürcher Komm/Agenturvertrag, Art. 418u Rz. 58. 4 Demgegenüber verliert der Handelsvertreter den Ausgleichsanspruch nach der EG-Richtlinie nur dann, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters, welches eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt, auflöst, Bühler in Zürcher Komm/Agenturvertrag, Art. 418u Rz. 59. 5 Vgl. Wettenschwiler in Basler Komm/OR I, Art. 418u Rz. 16. 6 BGE 85 II 118; Wettenschwiler in Basler Komm/OR I, Art. 418u Rz. 16. 7 Wettenschwiler in Basler Komm/OR I, Art. 418u Rz. 1.
792 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 417 Teil G
OR für den Agenten ohnehin weniger vorteilhaft als die entsprechende Regelung im deutschen Handelsvertreterrecht (§ 89b dtHGB)1. Die Frage, ob dem Vertragshändler in Analogie zu Art. 418u OR ein Anspruch auf Kundschaftsentschädigung einzuräumen sei, ist von den Gerichten bislang abgelehnt worden2. Mit dem Entscheid BGE 134 III 497 hat das Bundesgericht die von der Lehre geforderte Praxisänderung diesbezüglich vollzogen und ließ die analoge Anwendung von Art. 418u OR zu, sofern sich die Situation des fraglichen Vertragshändlers derjenigen des Agenten annähert3. Dies erfordert ein mit dem Agenten vergleichbares Mass an Integration des Vertragshändlers in das Vertriebssystems des Lieferanten4. Offen ließ das Bundesgericht, ob auf die Anspruch vertraglich verzichtet werden kann5.
415
6. Rückgabe von Vertragswaren und Ersatzteilen Ein Merkmal des Vertragshändlervertrages besteht darin, dass der Händler die Vertragsware6 vom Lieferanten kauft und damit das Absatzrisiko übernimmt. Nach Beendigung des Vertragshändlervertrages hat der Händler i.d.R. ein Interesse daran, die Waren und Ersatzteile zurückzugeben, die er nicht mehr nutzen und verwerten kann. Auf der anderen Seite kann der Lieferant u.U. daran interessiert sein, das Warenlager des Händlers zurückzukaufen, da er vielfach die Möglichkeit hat, die Vertragsware einem anderen Händler zu überlassen7. Zudem besteht die Gefahr, dass der Vertragshändler die Ware zu Billigpreisen verhökert und damit den Markt verdirbt8.
416
In keiner der hier dargestellten Rechtsordnungen wird die Rücknahme von Vertragswaren und Ersatzteilen, die der Händler zu Eigentum erworben hat9, gesetzlich geregelt. Ohne vertragliche Vereinbarung besteht somit für den Händler grundsätzlich zwar kein generelles Rückgaberecht, doch anerkennt die deutsche Rechtsprechung auch bei fehlender vertraglicher Regelung eine Rücknahmepflicht des Lieferanten aufgrund der nachvertraglichen Treuepflicht, wenn vom Vertragshändler eine bestimmte Lagerhaltung verlangt wurde10. Zudem kann sich die Pflicht zum Rückkauf aus einem
417
1 Wettenschwiler in Basler Komm/OR I, Art. 418u Rz. 1 und 17. 2 BGE 88 II 169 ff.; KGer SG SJZ 1958, 187; Cour de Justice civile GE SJ 1970, 40 f. 3 BGE 134 III 497 v. 22.5.2008, E. 4.3. Übersetzung des Entscheids in Pra 2009, Nr. 19, S. 105. Noch weiter gehen Wildhaber/Kull, S. 84 f., welche von einer analogen Anwendung auf alle Vertriebsverträge sprechen. 4 Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 126. Eingehender zu den Konsequenzen von BGE 134 III 497 vgl. Fountoulakis, S. 221. Kritisch zu den aufgestellten Kriterien s. Berni, S. 9 ff. 5 Vgl. generell zur Thematik: Berni, S. 23. 6 Davon zu unterscheiden sind die für die Ausführung des Auftrages erhaltenen Unterlagen wie Werbematerial, Prospekte, Kundenlisten etc. Für diese Unterlagen besteht eine Rückgabepflicht nach Beendigung des Vertrages, vgl. für das deutsche Recht etwa van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 21 Rz. 6; Wauschkuhn in Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rz. 700. 7 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier, § 25 Rz. 5. 8 Detzer/Ullrich 2011, S. 18. 9 Wurde die Vertragsware als Konsignationsware übergeben, ist der Lieferant als Eigentümer der Ware zur Rücknahme berechtigt und verpflichtet, vgl. van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 25 Rz. 5; Detzer/Ullrich 2000, Rz. 633; Thume in Küstner/Thume, S. 269 Rz. 8. 10 Für das deutsche Recht vgl. nur Vogels in Giesler/Güntzel, S. 108; van der Moolen in Martinek/ Semler/Habermeier, § 25 Rz. 7; Emde, Vor § 84 Rz. 379 f.; Thume in Küstner/Thume, S. 269 Rz. 9. Für das Schweizer Recht vgl. Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 32.
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Killias/Marzorati 793
Teil G Rz. 418
Distributionsgeschäfte
Schadenersatzanspruch des Vertragshändlers ergeben, wenn der Vertrag aus einem wichtigen, vom Lieferanten zu vertretenden Grund aufgelöst wurde1. 418
Die Rechtslage in der Schweiz dürfte ähnlich sein2.
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Die Lieferanten versuchen nicht selten, in AGB das Rückgaberecht des Händlers einzuschränken. Klauseln, die eine Rücknahmepflicht auch und sogar für den Fall ausschließen, dass den Vertragshändler keine Verantwortlichkeit für die Vertragsbeendigung trifft, verletzen § 307 BGB und sind unwirksam3. Die deutsche Rechtsprechung akzeptiert Einschränkungen der Pflicht zum Rückkauf in AGB nur in geringem Maße4, wobei in diesen Urteilen Sachverhalte der (inländischen) Kfz-Branche zu beurteilen waren. Es ist zweifelhaft, ob die Erwägungen ohne weiteres auf Auslandsverträge aus anderen Branchen übertragbar sind5.
420
Soweit ersichtlich, hat sich in den übrigen Rechtsordnungen keine entsprechende Rechtsprechung entwickelt. Mangels einer wirksamen Inhaltskontrolle ist immerhin davon auszugehen, dass zumindest nach Schweizer Recht Rücknahmepflichten in AGB weitgehend eingeschränkt werden können.
421
Bei der Rückgabe von Vertragswaren spielt der Rücknahmepreis eine wesentliche Rolle. Für den Fall, dass die Parteien keine Vereinbarung über den Rücknahmepreis getroffen haben, ist vom Verkehrswert zum Zeitpunkt der Rückgabe der Ware auszugehen. Dieser Verkehrswert wird i.d.R. tiefer als der Einkaufspreis sein. Darüber hinaus kann der Lieferant einen Pauschalabzug für einen zu erwartenden Verwertungsverlust und für Bearbeitungsaufwendungen vornehmen. Ein Abschlag von 10 % wurde von der deutschen Rechtsprechung als zulässig, ein (in AGB vorgesehener) Abzug von 25 % hingegen als unangemessen erklärt6. 7. Wettbewerbsverbot
422
Die Frage, ob ein Händler auch für ein Konkurrenzunternehmen tätig sein darf, ist von großer praktischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist zwischen einem Wettbewerbsverbot während der Vertragsdauer und einem Wettbewerbsverbot nach Vertragsbeendigung zu unterscheiden.
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Gerade nachvertragliche Wettbewerbsverbote können problematisch sein, weil sie zu einer Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. maßgeblichen (nationalen und internationalen) Kartellvorschriften führen können. Im Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts sind insbesondere die entsprechenden Bestimmungen der Gruppenfreistellungsverordnungen zu beachten (Rz. 291 ff.). 1 Vgl. zum Ganzen BGH v. 23.11.1994, BB 1995, 113 f.; van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 25 Rz. 7 f.; Emde, Vor § 84 Rz. 380; Detzer/Ullrich 2000, Rz. 633; Thume in Küstner/Thume, S. 270 Rz. 11 m.w.H.; Wauschkuhn in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 711 f. 2 Vgl. Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 32. 3 Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 23.11.1994, BB 1995, 113 f., ausdrücklich klargestellt, dass in der ordentlichen Kündigung eines Vertragshändlervertrages keine Vertragsuntreue liege, sondern nur die Ausübung eines vertraglichen Rechts. Vgl. auch OLG München v. 24.7.1996, BB 1996, 1685. 4 Vgl. im Einzelnen van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 25 Rz. 12 ff.; Wauschkuhn in Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rz. 715 ff.; Thume in Küstner/Thume, S. 271 Rz. 17 ff. 5 BGH v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04, in: ZIP 2005, 1785; BGH v. 23.11.1994, BB 1995, 113; vgl. Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 22 Rz. 55; zum Rücknahmeanspruch des Lieferanten, vgl. Genzow, Rz. 134. 6 Vgl. BGH 23.11.1994, BB 1995, 113; Manderla in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 18 Rz. 55; Thume in Küstner/Thume, S. 273 Rz. 21.
794 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
Rz. 426 Teil G
a) Deutsches Recht Während früher ein Wettbewerbsverbot während der Laufzeit aus der Interessenswahrungspflicht und ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot aus analoger Anwendung von § 90a dtHGB hergeleitet wurde, lässt die am 1.7.2005 in Kraft getretene 7. GWBNovelle kaum mehr Raum für nationale Besonderheiten bei der Regelung von Wettbewerbsverboten, da § 2 Abs. 2 dtGWB vorschreibt, dass die europäischen Gruppenfreistellungsverordnungen im nationalen Recht eine entsprechende Geltung besitzen1. Ausserhalb dem Geltungsbereich der Kfz-GVO kann heute während der Vertragslaufzeit ein Wettbewerbsverbot mit der Höchstdauer von fünf Jahren vereinbart werden (Rz. 327). Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind nur noch unter den restriktiven Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO zulässig (Rz. 328). Sofern die wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann in analoger Anwendung von § 90a dtHGB ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werden, sofern der Vertragshändler in mit dem Handelsvertreter vergleichbarer Weise in die Absatzorganisation des Lieferanten integriert ist2.
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b) Österreichisches Recht Die Rechtslage mit Bezug auf vertragliche und nachvertragliche Wettbewerbsverbote in Vertragshändlerverträgen ist unklar; Judikatur besteht – soweit ersichtlich – keine. Es wird in diesem Zusammenhang für den Franchisevertrag die Ansicht vertreten, dass im Unterschied zum Handelsvertreterrecht ohne ausdrückliche Vertragsabrede kein Wettbewerbsverbot bestehe3. Bei einer starken Einbindung des Händlers in die Absatzorganisation des Lieferanten sei allerdings auch die analoge Anwendung von § 25 öHVertrG vertretbar4. Dies hätte aber zur Folge, dass ein Wettbewerbsverbot lediglich für die Zeit bis zur Beendigung des Vertragshändlervertrages vereinbart werden könnte, weil nach § 25 öHVertrG die Vereinbarung eines Konkurrenzverbotes für die Zeit nach der Vertragsbeendigung unzulässig ist5.
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c) Schweizer Recht Nach Schweizer Recht ist umstritten, ob den Händler bereits während der Vertragsdauer ein gesetzliches Konkurrenzverbot (Wettbewerbsverbot) trifft6. Die wohl h.L. will auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abstellen. Bei einer starken Integration des Händlers in das Absatznetz des Lieferanten wird diesfalls eine (agenturähnliche) Treuepflicht bejaht; dies führe zu einem „zumindest beschränkten“ Konkurrenzverbot. Ist dagegen der Alleinvertreter wirtschaftlich selbständig und unabhängig, wird das Bestehen einer Treuepflicht bezweifelt7.
1 van der Moolen in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 25 Rz. 30 f.; ähnlich Thume in Küstner/Thume, S. 235 Rz. 52 ff. 2 Wauschkuhn in Flohr/Wauschkuhn, § 90a HGB Rz. 54. 3 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 63. 4 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 44 i.V.m. 16, wobei sich die Autoren bloss auf die analoge Anwendung von Art. 24 öHVertrG beziehen. 5 Hochedlinger/Huber in Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, § 64 Rz. 44. 6 Kuhn, S. 201, bejaht dies unter Hinweis auf die agenturrechtliche Treuepflicht gem. Art. 418c Abs. 1 OR. So bestimmt Art. 418c Abs. 1 OR, dass der Agent die Interessen des Auftraggebers mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu wahren hat. Ein T.d.L. lehnt jedoch ein gesetzliches Konkurrenzverbot für den Agenten (während oder nach Beendigung des Vertrages) ab, so Gautschi in Berner Komm/Agenturvertrag, Art. 418c Rz. 3b, Art. 418d Rz. 4; Bühler in Zürcher Komm/Agenturvertrag, Art. 418c Rz. 6 m.w.H.; Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 28. 7 Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 127, wobei offen bleibt, inwiefern das Konkurrenzverbot „beschränkt“ ist;
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Killias/Marzorati 795
426
Teil G Rz. 427
Distributionsgeschäfte
427
Ein Wettbewerbsverbot für die Zeit nach Vertragsbeendigung ist wohl nur dann maßgeblich, wenn es ausdrücklich vereinbart wurde und sinngemäß den Anforderungen der agenturrechtlichen Vorschrift von Art. 418d Abs. 2 OR und der arbeitsrechtlichen Bestimmung von Art. 340 f. OR entspricht1. Das Konkurrenzverbot muss somit schriftlich vereinbart worden sein; es muss zudem nach „Ort, Zeit und Gegenstand angemessen“ begrenzt sein, so dass eine „unbillige Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens“ des Vertragshändlers ausgeschlossen ist. Das Konkurrenzverbot darf schließlich nur unter besonderen Umständen drei Jahre überschreiten. Ein „übermäßiges“ Konkurrenzverbot kann unter Würdigung aller Umstände eingeschränkt werden (vgl. Art. 340 Abs. 1, Art. 340a OR). Diese arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind jedoch auf den Vertragshändlervertrag nur sinngemäß anwendbar.
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Nach Art. 418d Abs. 2 OR hat der Agent zwar einen unabdingbaren Anspruch auf eine angemessene Entschädigung2 für seinen Verzicht auf eine nachvertragliche Konkurrenztätigkeit. Die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Vertragshändlervereinbarungen wird jedoch abgelehnt3. Ohne ausdrückliche Vereinbarung ist somit keine Entschädigung für die Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots geschuldet.
V. Checkliste 429
– Vertragsparteien4 – Name und Adresse des Lieferanten/Herstellers und des Händlers (Hinweis auf die Rechtsstellung des Vertragshändlers) – Vertragsgegenstand/Vertragsgebiet – Bezeichnung der Produkte bzw. Produktgruppen – alle Produkte oder nur bestimmte Produkte des Lieferanten? – zukünftige Produkte einbeziehen? – Bestimmung des Vertragsgebiets/Vertragskunden – Alleinvertrieb/Mitvertrieb? – Alleinvertrieb für bestimmte Kunden/Kundengruppen? – Hauptpflichten des Händlers – allgemeine Verkaufsförderungspflicht – Werbung und evtl. Kostenbeteiligung des Lieferanten – Umfang der Verkaufseinrichtungen/Qualifikation und Schulung des Personals – Kunden-/Messebesuche – Umfang der Kundendienstpflichten – Serviceeinrichtungen und Werkzeuge – Durchführung von Gewährleistung und Garantie 1 Vgl. Gautschi in Berner Komm/Agenturvertrag, Art. 418d Rz. 4d; Amstutz/Morin in Basler Komm/OR I, Einl. vor Art. 184 ff. Rz. 127; eher kritisch Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 28 f. Diese Autoren vertreten auch die Ansicht, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot wegfällt, wenn der Lieferant kein erhebliches Interesse mehr daran hat oder wenn der Vertrag vom Lieferanten ohne begründeten Anlass des Vertragshändlers gekündigt wird. Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat am 14.6.2001, ZR 102 (2003) 49 f., mit Bezug auf einen Franchisevertrag ebenfalls die analoge Anwendung von Art. 418d Abs. 2 OR i.V.m. Art. 340 ff. OR angenommen. 2 Zur Höhe der Karenzentschädigung nach Agenturrecht vgl. Wettenschwiler in Basler Komm/OR I, Art. 418d Rz. 7 ff. Nach BGE 95 II 153 hat der Richter einen weiten Ermessensspielraum; so ist etwa dem Agenten der dank seiner neuen Tätigkeit erzielte Verdienst auf den Ausfall anzurechnen und ebenso ein ihm zumutbarer, aber versäumter Ersatzverdienst. 3 So mit ausführlicher Begründung Obergericht des Kantons Zürich, v. 26.4.1978, SJZ 1981, 213 ff.; Bühler in Zürcher Komm/Agenturvertrag, Art. 418d Rz. 51. 4 Vgl. insb. Detzer/Ullrich 2011, S. 23 ff.; Hartmann/Egli/Meyer-Hauser, S. 86 ff.; Thume in Küstner/Thume, S. 200 f.
796 | Killias/Marzorati
Vertragshändlervertrag
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Rz. 429 Teil G
– Berichterstattungspflicht/Abgabe von Prognosen – Pflicht zur Weiterleitung der Daten der Kunden, an die Vertragsprodukte geliefert werden – Regelung des Gebrauchs der Schutzrechte des Lieferanten – Unterstützung bei der Durchsetzung von Schutzrechten des Lieferanten – Lager des Vertragshändlers oder Konsignationslager des Lieferanten – Ersatzteilbevorratung – Recht zum Einsatz von Unter-Vertragshändlern, Handelsvertretern etc. – Wahrung von Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnissen (auch nach Vertragsende) Hauptpflichten des Lieferanten – allgemeine Unterstützungspflicht des Lieferanten beim Vertrieb – Überlassung von Preislisten, Prospekten, Werbematerial etc. – Schulung von Personal des Händlers? – laufende Information über wesentliche Umstände der Vertragsprodukte – Einhaltung von Mindestlieferungen und Mindestlieferfristen? – Gewährung von Herstellergarantien gegenüber dem Endverbraucher mit etwaiger Erfüllung durch Händler gegen Entschädigung – Wahrung von Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnissen (auch nach Vertragsende) Verkaufsbeschränkungen für Vertragshändler – (Beschränkungen sind nur im Rahmen der maßgeblichen Wettbewerbsregeln, insb. EG-Kartellrechts, zulässig) Wettbewerbsverbot; andere Vertretungen des Vertragshändlers – Regelung des Vertriebs von Waren, die zu Vertragsprodukten in Konkurrenz stehen; während und nach Vertragsende (Beschränkungen sind nur im Rahmen der maßgeblichen Wettbewerbsregeln, insb. EG-Kartellrecht, zulässig) – Regelung der Übernahme von neuen Vertretungen durch Händler Verkäufe zwischen Lieferant und Händler – Rabatt auf Listenpreis oder Einigung über Preise? – Zahlungs- und Lieferbedingungen; Zahlungsort – Mengenbonus? – Mindestabnahmepflicht? Folgen der Verletzung der Mindestabnahmepflicht? (Vertragsstrafe, Kündigungsrecht?) – Gewährleistungs- und Garantieregelungen samt Behandlung von Mängelrügen – Eigentumsvorbehalt Direktgeschäfte des Lieferanten? – Provisionsanspruch des Händlers? – Entstehung, Abrechnung und Zahlung der Provision? Werden Direktverkäufe des Lieferanten in Vertragsgebiet/an Vertragskunden an Mindestabnahmepflicht angerechnet? Vertragsdauer – ordentliche Kündigung – Kündigungsfrist; Form der Kündigung – außerordentliche Kündigung – allgemeine außerordentliche Kündigungsgründe – besondere außerordentliche Kündigungsgründe? Abwicklung der Geschäftsbeziehungen nach Kündigung – Behandlung von Bestellungen? – Rückgabe von Unterlagen des Lieferanten – Rückgabe von Vertragswaren, Preis?
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Killias/Marzorati 797
Teil G Rz. 429
Distributionsgeschäfte
– Regelung betr. Erfüllung von vertraglichen und nachvertraglichen Garantie- und Serviceleistungen gegenüber Endkunden? – Ausgleichsanspruch des Händlers? – Investitionsersatzanspruch? – Weitere Bestimmungen – Vertraulichkeit/Geheimhaltung – Aufrechnung (Verrechnung) und Zurückbehaltungsrechte (Retentionsrechte) – Haftung – Übertragbarkeit von Rechten – Leistungs- und Erfüllungsort – Schriftform – salvatorische Klausel – Rechtswahlklausel – Gerichtsstand/Schiedsklausel – Anlagen
798 | Killias/Marzorati
Teil H. Finanzierung Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen I. Internationale Abkommen, Richtlinien internationaler Organisationen, Mustertexte internationaler Organisationen . . . . . . . . . . 1. Unidroit-Übereinkommen über Internationales Factoring 1988 vom 28.5.1988. . . . . . . . . . . 2. Unidroit-Übereinkommen über Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (Kapstadt) . . . . . . . . . . . . . 3. Unidroit-Übereinkommen über das Internationale Finanzierungsleasing (Ottawa 1988) . . . 4. Richtlinien internationaler Organisationen . . . . . . . . . . 5. Interamerikanisches Modellgesetz für Mobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mustertexte für Finanzierungen internationaler Vereinigungen . . III. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Finanzierungsmodelle I. Kurz- bis mittelfristige Finanzierungsinstrumente 1. Akzeptkredit/Rembourskredit a) Vorbemerkung . . . . . . . . . b) Akzeptkredit . . . . . . . . . . c) Rembourskredit aa) Wirtschaftliche Einordnung und Durchführung (1) Rembours ohne Akkreditiv (a) Tratte des Verkäufers (b) Tratte des Käufers . . (2) Rembours mit Akkreditiv . . . . . . . . . . . . . . bb) Kosten des Rembourskredites . . . . . . . . . . cc) Anwendbares Recht . . . (1) Rechtsverhältnis Verkäufer/Käufer . . . . . . . (2) Rechtsverhältnis Käufer/ Akkreditivbank . . . . . . (3) Rechtsverhältnis Verkäufer/Akkreditivbank . (4) Akkreditivstellung unter Einbeziehung einer weiteren Bank . . . . . . . . . d) Risikobetrachtung . . . . . . e) Checkliste . . . . . . . . . . .
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2. Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung (Deferred Payment Akkreditiv) a) Definition und wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . 27 b) Anwendbares Recht . . . . . 29 c) Ausgestaltung der Akkreditivklausel . . . . . . . . . . . . 30 d) Systematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . 33 e) Leistung der Akkreditivsumme bei hinausgeschobener Zahlung . . . . . . . . . . 34 f) Risikoabgrenzung . . . . . . . 38 aa) Position des Verkäufers 39 bb) Position des Käufers . . . 42 g) Checkliste . . . . . . . . . . . 43 3. Forfaitierung a) Allgemeines und Bankaufsichtsrecht . . . . . . . . . . . 44 b) Internationales Privatrecht . 48 c) Materiell-rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . 50 d) Checkliste . . . . . . . . . . . 55 e) Steuerrechtliche und bilanzielle Hinweise . . . . . . . . 56 4. Factoring a) Allgemeines . . . . . . . . . . 59 aa) Auslandsfactoring: Export- und Importfactoring . . . . . . . . . . 70 bb) Direkt Importfactoring . 72 cc) Inhouse-Factoring . . . . 73 b) Internationales Privatrecht 74 c) Materiell rechtliche Besonderheiten aa) Zivilrechtliche Übertragung von Forderungen und Refinanzierungsregister . . . . . . . . . . . 75 bb) Forderungsabtretung und Sicherungsrechte (1) Eigentumsvorbehalt . . . 77 (2) Globalabtretung . . . . . 79 (3) Verlängerter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . 81 (4) Forderungen aus Kontokorrentverhältnissen . 89 (5) Abtretungsverbote . . . . 91 cc) Stellung des Factors in der Insolvenz des Factoringkunden . . . . . . . . 95 dd) UNIDROIT-Übereinkommen zum internationalen Factoring (Ottawa-Konvention) . . . . . . 101
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Teil H ee) UNCITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung im internationalen Handel . . . . d) Checkliste . . . . . . . . . . . e) Steuerrechtliche Hinweise . aa) Haftung für Umsatzsteuer nach § 13c UStG . bb) Echtes Factoring als wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. 6. EU-Richtlinie über die Harmonisierung der Mehrwertsteuer . . . 5. Leasing a) Merkmale des Finanzierungsleasinggeschäfts aa) Allgemeines . . . . . . . . bb) Grenzüberschreitende Leasingverträge (CrossBorder-Leasing) . . . . . . cc) Sonderform: Big-TicketLeasing . . . . . . . . . . . dd) Drei- und Zweiparteiengeschäfte . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlagen aa) Einheitsprivatrecht . . . bb) EU-Recht . . . . . . . . . cc) Nationales Recht . . . . . c) Kollisionsrecht – Vertragsrecht aa) Allgemeines . . . . . . . . bb) Rechtswahl . . . . . . . . cc) Objektive Anknüpfung . d) Sachenrecht aa) Fragestellung . . . . . . . bb) Einheitsprivatrecht . . . cc) Nationales Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . e) Insolvenzrecht . . . . . . . . . II. Mittel- bis langfristige Finanzierungsinstrumente 1. Finanzierungsformen a) Allgemeines . . . . . . . . . . aa) Erscheinungsformen und Abgrenzung . . . . . . . . bb) Sicherheiten . . . . . . . . cc) Anbieter . . . . . . . . . . dd) Grundstrukturen mittelund langfristiger Finanzierungsinstrumente (1) Liefervertragskredit . . . (2) Lieferantenkredit . . . . . (3) Bestellerkredit . . . . . . b) Internationales Privatrecht . aa) Liefervertrag (1) Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . (2) Zinsregelungen . . . . . . bb) Lieferantenkredit (1) Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . . . . . . .
800
Finanzierung
104 106 107 111
112
116 118 120 122 126 132 133 135 139 140 144 146 147 149
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158 159 162 163 164 165 166
(2) Sicherungszession . . . . (a) Zessionsverpflichtung . . . . . . . . . . (b) Übertragungsvorgang . . . . . . . . . . (c) Keine Sonderanknüpfungen für die Sicherungszession, Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO . . . (d) Übergang von Nebenrechten . . . . (e) Einziehungsermächtigung . . . . . . . . . cc) Bestellerkredit . . . . . . c) Materiell-rechtliche Besonderheiten bei der Sicherungsabtretung . . . . . . . . . aa) Deutschland . . . . . . . . bb) Schweiz . . . . . . . . . . cc) Österreich . . . . . . . . . dd) Liechtenstein . . . . . . . d) Steuerrechtlicher Hinweis . . e) Checkliste . . . . . . . . . . . 2. Ausfuhrversicherungen a) Allgemeines aa) „Duales System“ . . . . . bb) Versicherbare Risiken und Deckungsformen (1) Private Ausfuhrkreditversicherung . . . . . . . (2) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen . . . . cc) Rechtliche Grundlagen (1) Private Ausfuhrkreditversicherung . . . . . . . (2) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen (a) Deutschland . . . . . (b) Österreich . . . . . . . (c) Schweiz . . . . . . . . b) Internationales Privatrecht aa) Reichweite des IPR . . . bb) Art. 7 Rom I-VO . . . . . cc) Grundsatz der Parteiautonomie . . . . . . . . . dd) Objektive Anknüpfung . ee) International zwingende Bestimmungen . . . . . . c) Materiell-rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . aa) AEUV . . . . . . . . . . . bb) WTO . . . . . . . . . . . . cc) OECD . . . . . . . . . . . dd) Berner Union . . . . . . . d) Steuerrechtliche Hinweise . e) Checkliste . . . . . . . . . . . aa) Private Ausfuhrkreditversicherungen . . . . . . bb) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen . . . .
167 168 169
174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185
186 188 190 191 192 193 194 195 198 200 201 204 205 207 208 209 210 211 212 213
Teil H
Übersicht 3. Auslandskreditverträge a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätze der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . c) Die Bestimmungen über Gelddarlehen im BGB (§§ 488–490). . . . . . . . . . . d) Mindestanforderungen (MaRisk) . . . . . . . . . . . . e) § 18 Abs. 1 KWG . . . . . . . f) Konsensualvertrag . . . . . . g) Betrag, Währung, Ziehungen h) Laufzeit . . . . . . . . . . . . . i) Zinsen, Zinsanpassung, Verzugszinsen aa) Zinsen . . . . . . . . . . . bb) Zinsanpassungen . . . . . cc) Verzugszinsen . . . . . . j) Bearbeitungsentgelte . . . . . k) Nebenpflichten des Kreditgebers . . . . . . . . . . . . . . l) Vorzeitige Beendigung . . . . m) Zahlungsklauseln . . . . . . . n) Steuern, Kosten . . . . . . . . o) Abtretung . . . . . . . . . . . . p) Anwendbares Recht . . . . . q) Gerichtsstand . . . . . . . . . 4. Roll-over Kredite (Revolving Facilities) a) Begriff und Besonderheiten des roll-over Kreditvertrags aa) Roll-over Kredit und Eurogeldmarkt . . . . . . bb) Besonderheiten des rollover Kredits . . . . . . . . (1) Ausrichtung an der anglo-amerikanischen Vertragspraxis . . . . . . . (2) Englische Rechtssprache . . . . . . . . . . . (3) Anzuwendendes Recht . . . . . . . . . . . . (4) Musterverträge . . . . . . b) Vertragswährung . . . . . . . c) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . d) Allgemeine Vertragsklauseln aa) Definitions . . . . . . . . bb) Commitment . . . . . . . cc) Cancellation . . . . . . . dd) Payment, Prepayment . . ee) Events of default . . . . . ff) Representations and warrenties . . . . . . . . . gg) General Undertakings . . hh) Costs . . . . . . . . . . . . ii) Anzuwendendes Recht . jj) Gerichtsstand . . . . . . . e) Besondere Standardklauseln in roll-over Verträgen aa) Illegality . . . . . . . . . . bb) Non-availibility . . . . .
214 215 217 218 219 221 222 224 225 228 231 232 234 235 236 237 240 241 244
245 246 247 248 249 253 254 256 258 259 260 261 262 264 266 267 268 269 271 272
cc) Increased costs . . . . . . dd) Tax grossing-up . . . . . . ee) Negative pledge, pari passu . . . . . . . . . . . . ff) Cross default . . . . . . . gg) Material adverse change . . . . . . . . . . . hh) Sharing . . . . . . . . . . . ii) Changes to the Lenders . jj) Currency indemnity . . . III. Spezialfinanzierungen 1. Projektfinanzierungen a) Allgemeines aa) Typenmerkmale . . . . . bb) Einsatzbereiche . . . . . . cc) Projektbeteiligte . . . . . dd) Organisationsformen . . (1) Joint Ventures . . . . . . (2) Betreibermodelle . . . . . (3) Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . ee) Vertragsgestaltung (1) Going-Project-Prinzip . . (2) Gründung der Projektgesellschaft . . . . . . . . (3) Darlehensvertrag . . . . . (4) Syndizierung des Darlehens . . . . . . . . . . . . . (5) A/B-loan-Struktur . . . . (6) Kreditsicherung . . . . . . (7) Anlagenverträge . . . . . (8) Zuliefer- und Abnahmeverträge . . . . . . . . . . (9) Versicherungen . . . . . . b) Internationales Privatrecht aa) Grundsatz der freien Rechtswahl . . . . . . . . bb) Qualifikationsfragen . . . cc) Reichweite des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . dd) Stabilisierungsklauseln ee) Schranken der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . (1) Devisenrecht . . . . . . . (a) Materielles Devisenrecht . . . . . . . . . . (b) Kollisionsrechtliche Berufung ausländischen Devisenrechts (i) Völkervertragsrechtliches Kollisionsrecht . . . . . . . . . . (ii) Autonomes Kollisionsrecht . . . . . . . (c) Kollisionsrechtliche Berufung inländischen Devisenrechts (2) § 1136 BGB . . . . . . . . (3) § 489 Abs. 4 S. 1 BGB . .
273 274 276 278 279 280 281 282
283 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307
308 309 310 311 312
801
Teil H
Finanzierung ff) (1) (2) (3)
Objektive Anknüpfung Kreditvertrag . . . . . . . Konsortialverhältnis . . . Netzwerke komplexer Langzeitverträge . . . . . gg) Floating Charge . . . . . . hh) Sicherungsabtretung und Übergang akzessorischer Nebenrechten . . . . . . . ii) Knebelung durch Financial Covenants und Ordre public . . . . . . . . jj) Internationales Insolvenzrecht . . . . . . . . . kk) Internationales Bilanzrecht . . . . . . . . . . . . c) Materiell-rechtliche Besonderheiten aa) Neuverhandlungsklauseln . . . . . . . . . . bb) Direktverträge . . . . . . d) Steuerrechtlicher Hinweis . . e) Checkliste . . . . . . . . . . . 2. Securitisation a) Asset Backed Securities . . . aa) Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Besonderheiten (1) Dokumentation . . . . . (2) Datenschutz und Bankgeheimnis, Abtretungsverbot und anderes . . . . (3) Regulatorische Aspekte . . . . . . . . . . (4) Bilanzielle Besonderheiten . . . . . . . . . . . (a) Bilanzierung nach HGB . . . . . . . . . . (b) Bilanzierung nach International Accounting Standards (IAS) . . . . . . . . . . (c) Konsolidierungsfragen . . . . . . . . . (5) Insolvenzrechtliche Fragestellungen . . . . . . (6) Steuerliche Aspekte . . . (a) Haftung für Umsatzsteuer nach § 13c dtUStG . . . . . . . . . (b) Umsatzsteuerliche Aspekte . . . . . . . . (c) Steuerpflicht des SPV . . . . . . . . . . . b) Synthetische Verbriefungsstrukturen . . . . . . . . . . . c) ABS-Checkliste . . . . . . . . IV. Avalgeschäfte 1. Bürgschaft a) Sicherungszweck . . . . . . .
802
313 314 315 316 317 318 319 320
321 322 323 324 329 346 347 356 365 387 389
393 404 408 416 417 421 423 428 432 433
b) Arten der Bürgschaft . . . . . c) Schriftformerfordernis . . . . d) Grundsatz der Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geltendmachung von Rechten des Hauptschuldners durch den Bürgen . . . . . . . f) Besondere Bürgeneinreden . . g) Rechtsverfolgung und Rückgabe der Bürgschaftsurkunde h) Bürgen Inanspruchnahme und Zeitbürgschaft . . . . . . i) Gesetzlicher Forderungsübergang . . . . . . . . . . . . j) Rechte des Bürgen gegen Hauptschuldner . . . . . . . . k) Verbot der Freigabe von Sicherheiten durch Gläubiger . l) Widerrufs- und Kündigungsrechte des Bürgen . . . . . . . m) Abbedingung von Bürgenrechten . . . . . . . . . . . . . n) Bürgschaften von dem Hauptschuldner nahe stehenden Personen . . . . . . . 2. Garantie a) Unterschiede zwischen Garantie und Bürgschaft . . . b) Bankgarantie . . . . . . . . . . c) Anwendbares Recht . . . . . aa) Bürgschaftsstatut . . . . . bb) Garantiestatut . . . . . . d) Checkliste für Bürgschaften und Garantien aa) Allgemeine Fragen . . . . bb) Sicherheiten . . . . . . . . cc) Inanspruchnahme der Bürgschaft oder Garantie dd) Rückgriff auf Schuldner durch Bürgen oder Garanten . . . . . . . . . . . ee) Forderungsübergang . . . ff) Mitwirkungs-, Gerichtsstands-, Rechtswahl-, Kosten-, Steuer-, Vollständigkeits- und Schriftformklauseln . . . Kapitel 3. Finanzmanagement (Derivate) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Aufsichtsrecht 1. Die Regulierung der OTC-Derivatemärkte durch die G20 . . . 2. Die OTC-Derivateregulierung der EU a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . b) Geltungsbereich aa) Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . .
434 436 437 439 441 442 445 448 449 451 452 454 460 461 467 470 471 473 475 476 477 478 479
480
482 487 490 492
Teil H
Übersicht bb) Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . cc) Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . c) Clearingpflicht für standardisierte OTC-Derivate . . . . d) Risikominderungspflichten für nicht standardisierte OTC-Derivate . . . . . . . . . e) Meldepflichten . . . . . . . . f) Plattformhandelspflichten . . g) Anerkennung von Drittlandsinfrastrukturen und -regulierungen . . . . . . . . . 3. Eigenkapitalunterlegung (inkl. Netting) . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufsichtsrechtliche Beschränkungen der Befugnis zum Abschluss von Derivategeschäften a) Versicherungen, Pfandbriefbanken, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Investmentaktiengesellschaften . . b) Landesbanken, Sparkassen und öffentlich-rechtliche Kreditinstitute . . . . . . . . . 5. Risikomanagement . . . . . . . 6. Die Derivateregulierung der Schweiz . . . . . . . . . . . . III. Materielles Vertragsrecht 1. Standardisierung durch Rahmenverträge a) Begriff und Bedeutung . . . . b) Wichtige Rahmenverträge . . c) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungen der Wirksamkeit von Derivategeschäften . . a) Privatrechtliche Unternehmen und Privatpersonen . . . b) Bund, Länder und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . c) Landesbanken, Sparkassen und sonstige öffentlichrechtliche Organismen . . . . 3. Eingriffe in vertragliche Kündigungs- und Beendigungsrechte a) Internationale Standards und Umsetzung in der EU . . . . b) Vertragliche Gestaltung (ISDA 2014 Resolution Stay Protocol) . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Verpflichtung zu bestimmter vertraglicher Gestaltung in Deutschland . IV. Internationales Zivilverfahrensrecht 1. Gerichtsstand . . . . . . . . . . 2. Schiedsgerichte . . . . . . . . . .
493 494 498 503 509 510 511 518
522 532 534 536
538 540 543 547 548 555 557
560 567 570 572 579
V. Internationales Privatrecht . . . . 1. Nicht zentral abgerechnete OTC-Derivate a) Rechtswahl aa) Zulässigkeit und Modalitäten . . . . . . . . . . . bb) Kombination von Rechtswahlklauseln verschiedener Rahmenverträge . . . . . . . . . . b) Objektive Anknüpfung (fehlende Rechtswahl) aa) Bedeutung . . . . . . . . bb) Anwendbare Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . cc) Fallgruppen (1) Überblick . . . . . . . . . (2) Swapgeschäfte . . . . . . (3) Zinsbegrenzungsgeschäfte . . . . . . . . . . (4) Terminsatzgeschäfte (Forward Rate Agreements, FRAs) . . . . . . . (5) Devisengeschäfte . . . . . (6) Wertpapierderivate . . . . (7) Optionen . . . . . . . . . . (8) Kreditderivate . . . . . . . 2. Zentral abgerechnete OTCDerivate . . . . . . . . . . . . . . 3. Börsengehandelte Derivate . . VI. Insolvenzrecht 1. Internationales Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausländische Vertragspartner (aus EU-Staaten außer Dänemark) und deutsche insolvente Schuldner (keine Kreditinstitute, keine Versicherungsunternehmen) . . . . . . b) Ausländische Vertragspartner (Dänemark und alle Nicht-EU-Staaten) und deutsche insolvente Schuldner (Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen) . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausländische Vertragspartner (aus allen Staaten) und deutsche insolvente Schuldner (Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Behandlung von OTC-Derivaten in der Insolvenz nach nationalem Recht a) Deutschland . . . . . . . . . . b) Österreich . . . . . . . . . . . c) Schweiz . . . . . . . . . . . . .
583
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588 595 597 602 605 608 614 615 616 617 619 625 630 631
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646 648 649
803
Teil H Kapitel 4. Sicherheiten I. Völker- und europarechtlicher Rahmen 1. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . a) Persönliche Sicherheiten . . aa) UN-Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by-Letters of Credit . . . . . . . . . . . . bb) ICC-Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien von 2010 . . . . . . . . . . . . b) Mobiliarsicherheiten . . . . . aa) Konvention über die internationale Anerkennung von Rechten an Luftfahrzeugen (Genf, 1948) . . . . . . . . . . . . bb) UNIDROIT-Konvention über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung . . (1) „International interest“ und Registersystem . . . (2) Rechte des Gläubigers . . (3) Parteiautonomie und Prorogation . . . . . . . . (4) Die Protokolle . . . . . . c) Modellgesetze für Secured Transactions . . . . . . . . . . 2. Europarecht . . . . . . . . . . . . a) Finanzsicherheitenrichtlinie b) EuInsVO . . . . . . . . . . . . c) Finalitätsrichtlinie . . . . . . d) Vorarbeiten zu einem einheitlichen europäischen Kreditsicherungsrecht . . . . . . II. Persönliche Sicherheiten 1. Allgemeines a) Typen persönlicher Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung von Bürgschaft und Garantie . . . . . . . . . . c) Patronatserklärung aa) Erscheinungsformen . . . bb) Rechtsnatur . . . . . . . . d) Schuldbeitritt . . . . . . . . . e) Sonstige Verpflichtungserklärungen . . . . . . . . . . 2. Internationales Privatrecht a) Bürgschaft aa) Anknüpfungsgrundsätze bb) Reichweite des Bürgschaftsstatuts . . . . . . . cc) Einzelfragen (1) Gesetzlicher Forderungsübergang . . . . . . . . . .
804
Finanzierung
652 653
654
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660 661 662 663 664 665 666 667 668 669 670
671 672 673 674 675 676 678 679 680
(2) Verhältnis Bürge – Hauptschuldner . . . . . (3) Form . . . . . . . . . . . . (4) Geschäftsfähigkeit . . . . (5) Zustimmungserfordernisse des Ehegatten . . . (6) Mehrere Bürgen . . . . . b) Garantie aa) Anknüpfungsgrundsätze bb) Reichweite des Garantiestatuts . . . . . . . . . . cc) Einzelfragen (1) „Garantiesprache“ . . . . (2) Erfüllungsort . . . . . . . c) Patronatserklärung aa) Anknüpfungsgrundsätze (1) Qualifikation . . . . . . . (2) Rechtswahl und objektive Anknüpfung . . . . . bb) Reichweite des Patronatsstatuts . . . . . . . . . d) Schuldbeitritt aa) Anknüpfungsgrundsätze bb) Statut der Hauptschuld cc) Kausalverhältnis des Schuldbeitritts . . . . . . dd) Vollzug des Schuldbeitritts . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Erklärungen mit Sicherungsfunktion aa) Erklärungen des Kreditnehmers selbst . . . . . . bb) Erklärungen Dritter (1) Finanzierungsbestätigungen . . . . . . . . . . . (2) Sonstige Erklärungen . . 3. Materiell-rechtliche Besonderheiten a) Formerfordernisse von Gerichtsstandsvereinbarungen in Bürgschaft und Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . b) Rechtsmissbräuchliche Garantieanforderung aa) Deutschland . . . . . . . . bb) Österreich . . . . . . . . . cc) Schweiz . . . . . . . . . . c) Ausländische einstweilige Verfügung gegen Garantieauszahlung . . . . . . . . . . . d) Patronatserklärung in der Klauselkontrolle . . . . . . . . e) Entwertung einer Patronatserklärung durch Vermögensverschiebung . . . . . . . . . . f) Patronatserklärung im US-amerikanischen Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . 4. Steuerrechtlicher Hinweis . . . 5. Checkliste . . . . . . . . . . . . .
681 682 683 684 685 686 688 689 690 691 693 694 695 696 697 698
699 700 701
702 705 706 707 708 709 710 711 712 713
Teil H
Literatur III. Mobiliarsicherungsrechte 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zentrale Kollisionsnormen – Deutschland . . . . . . . . . . . . 3. Zentrale Kollisionsnormen – Schweiz, Österreich . . . . . . . 4. Welches Recht findet Anwendung? a) Sicherungsrechte an beweglichen Sachen . . . . . b) Besonderheiten für bestimmte Sicherungsgüter . . c) Sicherungsrechte an Rechten 5. Mehrere Rechtsordnungen: Statutenwechsel und Handeln unter falschem Recht . . . . . .
714 715 718
720 725 728 743
6. Bestellung von Sicherungsrechten nach dem falschen Recht 7. Sonderfrage: Trusts an Sicherungsgegenständen . . . . . . . . 8. Materiell-rechtliche Besonderheiten a) Bestimmtheits- und Bestimmbarkeitsgrundsatz . b) Akzessorietät . . . . . . . . . c) Kreditbesicherung im Konzern . . . . . . . . . . . . . aa) GmbH, GmbH & Co. KG bb) AG . . . . . . . . . . . . . 9. Steuerrechtliche Hinweise . . . 10. Checkliste für das Bestehen eines wirksamen Sicherungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . .
750 752
754 758 759 760 763 764 765
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Teil H
Finanzierung
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Literatur
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811
Teil H
Finanzierung
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Rz. 3 Teil H
Völker- und europarechtlicher Rahmen
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Kapitel 1. Völker- und europarechtlicher Rahmen Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Internationale Abkommen, Richtlinien internationaler Organisationen, Mustertexte internationaler Organisationen Internationales Einheitsrecht für Finanzierungs- oder Bankverträge gibt es nicht. Materielles Einheitsrecht wurde aber für Einzelbereiche geschaffen, wobei den UnidroitÜbereinkommen besondere Bedeutung zukommt. Unidroit ist eine internationale Organisation mit Sitz in Rom, die 1926 auf Grund Beschlusses des Völkerbunds gegründet wurde mit dem Ziel der Vereinheitlichung des Zivilrechts und des Handelsrecht. Hier sind’insbesondere die Unidroit Principles of International Commercial Contracts1 zu nennen. Auf die Finanzierung beziehen sich hingegen nachfolgende Übereinkommen:
1
1. Unidroit-Übereinkommen über Internationales Factoring 1988 vom 28.5.1988. Das Abkommen2 gilt seit 1998 in Deutschland und wurde ebenso von Belgien, Frankreich, Italien, Lettland, Nigeria und Ungarn ratifiziert. Zu beachten bleibt, dass die Konvention bei Vorliegen ihrer Anwendungsvoraussetzungen zwingende Geltung hat, solange sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden ist (Art. 3)3. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich nach Art. 2 Abs. 1 auf das internationale Factoring, also die Abtretung von Forderungen an einen Factor, wenn der Exporteur (Verkäufer, Lieferant) und der Importeur (Käufer, Schuldner) ihren Sitz in verschiedenen Ländern haben. Die Konvention gilt nur dann, wenn die Abtretung an den Schuldner angezeigt wurde (Art. 1 c) und der Factor mindestens zwei der folgenden Leistungen erbringt: Finanzierung für den Lieferanten, Führung der Buchhaltung bezüglich der Forderungen, Einziehung von Forderungen, Schutz gegen Nichtzahlung oder verspätete Zahlung durch den Schuldner (Art. 1b). Einzelheiten unten Rz. 101 ff.
2
2. Unidroit-Übereinkommen über Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (Kapstadt) Zu dem Abkommen gehören drei Protokolle: – Protocol on matters specific to aircraft equipment vom 16.11.2001 – Protocol on matters specific to railway rolling stock vom 23.11.2007 – Protocol on matters specific to space assets vom 9.3.2012.
3
Das Übereinkommen von Kapstadt von 2001 und die Protokolle von Kapstadt (2001), Luxemburg (2007) und Berlin (2012) stellen sicher, dass Gläubiger Sicherungsrechte an 1 Hierzu Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 2; Kronke, International Uniform commercial law, advantages, disadvantages, criteria for choice, Unif.L.Rev.5 (2000), 13 ff. 2 Zum Text nebst umfassender Kommentierung Ferrari in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, S. 1845 ff. 3 Dazu Ferrari in MünchKomm/HGB, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 3, Rz. 7.
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Schefold 813
Teil H Rz. 4
Finanzierung
den betreffenden Sicherungsgütern erlangen können, die in ein zu diesem Zweck eingerichtetes internationales Register eingetragen werden können. Den Gläubigern bleibt eröffnet, das in Umlauf gebrachte Sicherungsgut in jedem Staat, das das Übereinkommen unterzeichnet hat, pfänden zu lassen. Einzelheiten unten Rz. 660 ff. 3. Unidroit-Übereinkommen über das Internationale Finanzierungsleasing (Ottawa 1988) 4
Das Übereinkommen enthält keine abschließende Regelung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Deshalb sind, soweit das Abkommen selbst keine Regelungen enthält, die Sachnormen des anzuwendenden Rechts massgeblich1. Einzelheiten unten Rz. 127. 4. Richtlinien internationaler Organisationen
5
Für den Bereich der Handelsfinanzierung sind die von der Internationalen Handelskammer etablierten Standards und Texte für die Rechtspraxis von grosser Bedeutung, da sie sich weltweit durchgesetzt haben2. a) Die ICC Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive (ERA 6oo) anwendbar in der ab 1.7.2007 geltenden Fassung3 stellen nach wohl zutreffender Auffassung internationalen Handelsbrauch dar4. Einzelheiten Teil I Rz. 224 ff. b) Gleichfalls als internationaler Handelsbrauch haben sich die Einheitlichen Richtlinien für Inkassi durchgesetzt. Einzelheiten Teil I Rz. 267 ff. Zu beiden Richtlinien bestehen umfangreiche Kommentierungen (s. näher Literaturübersicht). 5. Interamerikanisches Modellgesetz für Mobiliarsicherheiten
6
Im weiteren Sinne ist als zum Finanzierungsbereich auf das von der VI. Interamerikanischen Spezialkonferenz für Internationales Privatrecht geschaffene Modellgesetz für Mobiliarsicherheiten vom 6.2.20025 zu verweisen, das sich aber als nicht durchsetzungsfähig erwiesen hat.
II. Mustertexte für Finanzierungen internationaler Vereinigungen 7
1. Mit der Erarbeitung von einheitlichen Standards für international syndizierte Kredite in der Form von Revolving Facilities befasst sich seit 1996 die London Market Association (LMA). Die von der LMA erarbeiteten Mustertexte6 werden ständig aktualisiert7. Die Vertragsdokumentation entspricht der anglo-amerikanischen Vertragspraxis und hat das englische Recht zur Rechtsgrundlage. 1 Zum Übereinkommen Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, S. 607 ff. 2 Vgl. Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Rz. 1255. 3 Der Text ist abgedruckt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, S. 1149. 4 Zahn/Ehrlich/Neumann, Zahlung und Zahlungssicherung im Aussenhandel, 7. Aufl. 2001, Rz. 1/15. Für AGB hingegen Nielsen in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 118 Rz. 4. 5 Dazu Fernández Arroyo/Kleinheisterkamp, IPRax 2002, 349 ff. 6 Es handelt sich insbesondere um das Investment Grade Agreement und das Leveraged Facilities Agreement. 7 Zuletzt im Zuge der Libor Reform die Einbeziehung einer neuen Screen Rate Definition für ICE Libor.
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Finanzierungsmodelle
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2. Als Pendant zur LMA befasst sich die New Yorker Loan Syndications and Trading Association (LSTA) mit der Erstellung von Mustertexten standardisierter Loan Agreements und Dokumente des Sekundärmarktes. 3. Die ISDA befasst sich seit 1996 mit der Erstellung von Mustertexten im Zusammenhang mit over the counter (OTC) Derivaten. Weltweit durchgesetzt haben sich dabei die ISDA- Rahmenverträge (Master Agreement)1.
III. Europarecht Der Europagesetzgeber hat sich im Hinblick auf den Bereich der Finanzierungen insbesondere zum Verbraucherrecht und Dienstleistungen für Verbraucher befasst, auf das hier nicht einzugehen ist.
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Schon früh hat der Gesetzgeber aber eine gemeinschaftsrechtliche Regelung in Form einer Richtlinie für die Bereitstellung von Wertpapieren und Barguthaben als Sicherheit in Form eines beschränkt dinglichen Sicherheitsrechts geschaffen2. Einzelheiten unten Teil L Rz. 197 ff., 291, 339, 372.
Kapitel 2. Finanzierungsmodelle Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Kurz- bis mittelfristige Finanzierungsinstrumente 1. Akzeptkredit/Rembourskredit a) Vorbemerkung Im Rahmen der kurzfristigen Fremdfinanzierung kommt dem Wechsel eine besondere Bedeutung zu. Die Vorteile dieses Finanzierungsinstruments, das als Schöpfung der Praxis ab der Mitte des 12. Jahrhunderts von den oberitalienischen Handelsstädten entwickelt wurde3, liegen im Wesentlichen darin, dass der Bezogene den Wechselbetrag – Sichtwechsel ausgenommen – nicht schon bei der Begebung, sondern erst bei dessen Fälligkeit zahlen muss und sich der Inhaber des Wechsels durch Weitergabe des Abschnittes refinanzieren kann.
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Die Wechselfinanzierung wird zum großen Teil über Kreditinstitute abgewickelt. Als Hauptformen des bankmäßigen Wechselkredites haben sich der Diskontkredit, der Akzeptkredit und der Rembourskredit herausgebildet. Nachfolgend werden die beiden zuletzt genannten Kreditarten näher beschrieben. b) Akzeptkredit Das Wesen des Akzeptkredites besteht darin, dass eine Bank einem Kunden, an dessen Bonität kein Zweifel besteht, das Recht einräumt, einen Wechsel auf sie zu ziehen, den 1 Dazu Jahn in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 114 Rz. 61, ebenso zu weiteren ausländischen Rahmenverträgen Rz. 62 ff. 2 Hierzu Löber, Der Entwurf einer Richtlinie über Finanzsicherheiten, BKR 2001, 118f.; Einsele, Die internationalprivatrechtlichen Regelungen der Finalitätsrichtlinie und ihre Umsetzung in der Europäischen Union, WM 2001, 2415 ff.; Keller, Die Wertpapiersicherheiten im Gemeinschaftsrecht, BKR 2002, 347 ff.; Schefold, Kollisionsrechtliche Lösungsansätze im Recht des grenzüberschreitenden Effektengiroverkehrs – die Anknüpfungsregelungen der Sicherheitenrichtlinie EG und der Haager Konvention über das auf zwischenverwahrte Wertpapiere anwendbare Recht, FS Jayme, 2005, S. 805 ff. 3 Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, Einl. WG Rz. 1.
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2. Als Pendant zur LMA befasst sich die New Yorker Loan Syndications and Trading Association (LSTA) mit der Erstellung von Mustertexten standardisierter Loan Agreements und Dokumente des Sekundärmarktes. 3. Die ISDA befasst sich seit 1996 mit der Erstellung von Mustertexten im Zusammenhang mit over the counter (OTC) Derivaten. Weltweit durchgesetzt haben sich dabei die ISDA- Rahmenverträge (Master Agreement)1.
III. Europarecht Der Europagesetzgeber hat sich im Hinblick auf den Bereich der Finanzierungen insbesondere zum Verbraucherrecht und Dienstleistungen für Verbraucher befasst, auf das hier nicht einzugehen ist.
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Schon früh hat der Gesetzgeber aber eine gemeinschaftsrechtliche Regelung in Form einer Richtlinie für die Bereitstellung von Wertpapieren und Barguthaben als Sicherheit in Form eines beschränkt dinglichen Sicherheitsrechts geschaffen2. Einzelheiten unten Teil L Rz. 197 ff., 291, 339, 372.
Kapitel 2. Finanzierungsmodelle Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Kurz- bis mittelfristige Finanzierungsinstrumente 1. Akzeptkredit/Rembourskredit a) Vorbemerkung Im Rahmen der kurzfristigen Fremdfinanzierung kommt dem Wechsel eine besondere Bedeutung zu. Die Vorteile dieses Finanzierungsinstruments, das als Schöpfung der Praxis ab der Mitte des 12. Jahrhunderts von den oberitalienischen Handelsstädten entwickelt wurde3, liegen im Wesentlichen darin, dass der Bezogene den Wechselbetrag – Sichtwechsel ausgenommen – nicht schon bei der Begebung, sondern erst bei dessen Fälligkeit zahlen muss und sich der Inhaber des Wechsels durch Weitergabe des Abschnittes refinanzieren kann.
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Die Wechselfinanzierung wird zum großen Teil über Kreditinstitute abgewickelt. Als Hauptformen des bankmäßigen Wechselkredites haben sich der Diskontkredit, der Akzeptkredit und der Rembourskredit herausgebildet. Nachfolgend werden die beiden zuletzt genannten Kreditarten näher beschrieben. b) Akzeptkredit Das Wesen des Akzeptkredites besteht darin, dass eine Bank einem Kunden, an dessen Bonität kein Zweifel besteht, das Recht einräumt, einen Wechsel auf sie zu ziehen, den 1 Dazu Jahn in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 114 Rz. 61, ebenso zu weiteren ausländischen Rahmenverträgen Rz. 62 ff. 2 Hierzu Löber, Der Entwurf einer Richtlinie über Finanzsicherheiten, BKR 2001, 118f.; Einsele, Die internationalprivatrechtlichen Regelungen der Finalitätsrichtlinie und ihre Umsetzung in der Europäischen Union, WM 2001, 2415 ff.; Keller, Die Wertpapiersicherheiten im Gemeinschaftsrecht, BKR 2002, 347 ff.; Schefold, Kollisionsrechtliche Lösungsansätze im Recht des grenzüberschreitenden Effektengiroverkehrs – die Anknüpfungsregelungen der Sicherheitenrichtlinie EG und der Haager Konvention über das auf zwischenverwahrte Wertpapiere anwendbare Recht, FS Jayme, 2005, S. 805 ff. 3 Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, Einl. WG Rz. 1.
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Finanzierung
sie hiernach akzeptiert. Da die Bank in diesem Fall dem Kunden kein Bargeld, sondern ihren guten Namen zur Verfügung stellt, handelt es sich bei dem Akzeptkredit um einen Haftungskredit1. 11
Nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur stellt der Akzeptkreditvertrag einen Geschäftsbesorgungsvertrag gem. §§ 675, 631 BGB dar2. BGH v. 16.12.1955, BGHZ 19, 282, 291 Akzeptiert die Bank einen Wechsel für Rechnung des Kunden und gibt dieser hiernach den Wechsel zum Diskont, liegt regelmäßig ein Geschäftsbesorgungsvertrag vor.
OLG Hamburg v. 24.9.1958, WM 1959, 300 f. Nach den getroffenen Vereinbarungen stellte die Akzeptbank – jedenfalls zunächst – Akzepte zur Verfügung in der Erwartung, bei Fälligkeit der Wechsel keine eigenen Mittel zur Verfügung stellen zu müssen. In einem solchen Fall ist das Rechtsverhältnis nicht als ein Darlehensvertrag, sondern als ein Geschäftsbesorgungsvertrag anzusehen.
Hiernach ist die Bank verpflichtet, ein ordnungsgemäßes Akzept zu erteilen und dieses dem Kreditnehmer auszuhändigen, sofern dieser die weitere Abwicklung des Geschäftes selbst übernimmt. Demgegenüber ist der Kreditnehmer verpflichtet, den erforderlichen Wechselbetrag rechtzeitig vor Fälligkeit des Abschnittes bei der akzeptierenden Bank anzuschaffen sowie die vereinbarte – ersatzweise die nach § 354 HGB übliche – Provision zu zahlen3. 12
In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Kreditnehmer von seinem Anspruch auf Aushändigung des Wechsels keinen Gebrauch macht, sondern die akzeptierende Bank beauftragt, entweder den Abschnitt an einen Dritten weiterzuleiten oder den Wechsel selbst zu diskontieren, um liquide Mittel zu erhalten. In beiden Fällen wird neben dem vorerwähnten Akzeptkreditvertrag zusätzlich ein weiteres Rechtsverhältnis begründet, das bei der zuerst genannten Ausgestaltung als Geschäftsbesorgungsvertrag, bei Vorliegen der zweiten Variante (Eigendiskontierung) als Darlehen i.S.d. §§ 488 ff. BGB einzuordnen ist4. c) Rembourskredit aa) Wirtschaftliche Einordnung und Durchführung
13
Der Rembourskredit kann als ein klassisches Instrument der Außenhandelsfinanzierung bezeichnet werden. Es handelt sich hierbei um eine Sonderform des Akzeptkredites, dem ein grenzüberschreitendes Warengeschäft zugrunde liegt5. Zur Sicherung des Kaufpreisanspruchs des Verkäufers einer Ware akzeptiert die Remboursbank für Rechnung des Käufers oder für Rechnung des Verkäufers einen regelmäßig vom Verkäufer ausgestellten und auf sie gezogenen Wechsel, der dem Verkäufer Zug um Zug gegen die Übergabe genau bestimmter Transportdokumente ausgehändigt wird. Durch die sich anschließende Diskontierung des Akzeptes steht dem Verkäufer der Gegenwert der Ware sofort zur Verfügung, während der Käufer bis zur Fälligkeit des Wechsels die Möglichkeit zum Weiterverkauf der Ware nutzen kann. Die Remboursbank muss nicht im Importland liegen; aus Konditionsgründen kann auch eine in einem anderen Land domizilierende Bank in Betracht kommen. 1 Peters in Bankrechts-Handbuch, § 65 Rz. 17 a.E. 2 K.P. Berger in MünchKomm/BGB, Vor § 488 Rz. 42; Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, Einl. WG Rz. 83 m.w.N. 3 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1610. 4 Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1603; Peters in Bankrechts-Handbuch, § 65 Rz. 17 ff.; Früh/Müller-Arends in BuB, Rz. 3/328. 5 Peters in Bankrechts-Handbuch, § 65 Rz. 21; Früh/Müller-Arends in BuB, Rz. 3/327a und b; K.P. Berger in MünchKomm/BGB, Vor § 488 Rz. 43.
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Finanzierungsmodelle
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Teil H
Regelmäßig wird das Akzept im Auftrag des Verkäufers der Ware durch eine Bank seiner Wahl diskontiert; dies kann auch die Remboursbank sein. Zuweilen wird die Diskontierung des Wechsels auch von dem Käufer der Ware besorgt. In diesem Fall ist der Verkäufer an dem Diskontgeschäft, das nicht einen Teil des Rembourskredites darstellt, sondern sich daran anschließt, nicht beteiligt1.
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In der Praxis haben sich verschiedene Varianten des Rembourskredites herausgebildet, denen im Wesentlichen weitere zwei Fallgestaltungen zugrunde liegen2:
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(1) Rembours ohne Akkreditiv (a) Tratte des Verkäufers Das Remboursgeschäft wird ohne Einbeziehung eines Akkreditivs abgewickelt. Der Verkäufer zieht einen Wechsel auf die Remboursbank, sendet diesen zusammen mit den vereinbarten Dokumenten an die Remboursbank, die den Wechsel nach entsprechender Prüfung akzeptiert, die Dokumente – gegebenenfalls unter Einschaltung einer weiteren Bank – an den Käufer der Ware verschickt und das Akzept dem Verkäufer zur Diskontierung überlässst. Bei Fälligkeit des Wechsels zahlt die Remboursbank die Wechselsumme an den legitimierten Wechselinhaber, nachdem sie sich zuvor bei der Bank des Käufers, der sog. Remboursstelle, eingedeckt hat. Der Bereitstellung des Wechselbetrages durch die Bank des Käufers liegt ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde, der zwischen dieser und dem Käufer geschlossen wird und der mit einer Kreditvereinbarung verbunden sein kann3.
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(b) Tratte des Käufers Wie bereits erwähnt, besteht auch die Möglichkeit, dass der Käufer einer Ware den Wechsel ausstellt, diesen über seine Hausbank oder direkt der Remboursbank zur Akzeptierung vorlegt, die hiernach den Wechsel dem Verkäufer Zug um Zug gegen Einreichung der vereinbarten Dokumente zur Diskontierung überlässt4. Sofern die Diskontierung durch den Käufer besorgt wird, tritt der Diskonterlös an die Stelle des Akzeptes. Im Übrigen ändert sich an den vorgeschilderten kreditmäßigen Verhältnissen nichts mit Ausnahme der wechselmäßigen Ausstellerhaftung, in die der Käufer eintritt.
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(2) Rembours mit Akkreditiv Häufig wird in der Praxis der Rembourskredit mit dem Akkreditivgeschäft verbunden (vgl. Art. 9 lit. a ERA). In diesem Fall werden die Normen über den Akzeptkredit von den Bestimmungen des Akkreditivrechts überlagert5. Im Auftrag des Käufers einer Ware eröffnet dessen Bank bei der Remboursbank zugunsten des Verkäufers ein unwiderrufliches Akkreditiv. Die Remboursbank unterrichtet die Bank des Verkäufers von der Eröffnung des Akkreditivs, die ihrerseits als avisierende Bank den Verkäufer hiervon informiert. In bestimmten Fällen kann die Bank des Verkäufers auch als bestätigende Bank fungieren. Auf der Grundlage des Akkreditivs reicht der Verkäufer eine auf die Remboursbank gezogene Tratte zusammen mit den vereinbarten Dokumenten bei der avisierenden Bank zur Weiterleitung an die Remboursbank ein. Die Remboursbank akzeptiert den Wechsel unter dem Obligo der Akkreditivbank und gibt das Akzept oder – falls sie den Wechsel sofort diskontiert – den Diskonterlös über die avisierende Bank 1 2 3 4 5
Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 5/8. von Bernstorff, Rechtsprobleme des Auslandsgeschäfts, S. 39 f. Wunderlich in Bankrechts-Handbuch, § 75 Rz. 48 ff. Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, Einl. WG Rz. 84. Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 1086; vgl. auch Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht, Rz. 1/89 f.
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an den Verkäufer zurück. Weiter stellt die Remboursbank die Dokumente der Akkreditivbank zur Verfügung, die sie dem Käufer aushändigt. Kurz vor Fälligkeit des Wechsels lässt sich die Remboursbank die Wechselsumme von der Akkreditivbank zu Lasten des Käufers der Ware anschaffen. bb) Kosten des Rembourskredites 19
Bei dem Einsatz von Rembourskrediten zur Finanzierung von Außenhandelsgeschäften dürfen die hierbei anfallenden Zinsen und Kosten nicht außer Acht gelassen werden. Es empfiehlt sich, klare Vereinbarungen zu treffen, ob und inwieweit der Verkäufer oder der Käufer einer Ware diese Positionen zu tragen hat. Die Art und die Höhe der entstehenden Kosten hängen von der Verwendung des Akzeptes ab und werden von den jeweiligen Refinanzierungskosten der diskontierenden Bank mitbestimmt. An erster Stelle ist die Akzeptprovision zu nennen, die dem Wechselaussteller von der Remboursbank in Rechnung gestellt wird. Diese Provision beinhaltet das Entgelt für das von der Remboursbank übernommene wechselrechtliche Risiko, das sich nicht nach dem aktuellen Zinsniveau richtet, sondern an der Kreditwürdigkeit des Wechselausstellers gemessen wird, der bei Fälligkeit des Akzeptes den Wechselbetrag anzuschaffen hat1. Darüber hinaus fallen im Zusammenhang mit der Diskontierung des Akzeptes Diskontzinsen und Spesen an, deren Höhe von der aktuellen Geld- und Kreditmarktsituation beeinflusst wird. Sofern die Akzeptbank zugleich als Diskontbank fungiert, wird zuweilen die Akzeptprovision nicht gesondert erhoben. Weiter berechnen Remboursbanken, bei denen das Akzept auch zahlbar gestellt ist, eine gesonderte Domizilprovision. Ob diese Provision bereits durch die Bezahlung der Akzeptprovision und der Diskontzinsen als abgegolten angesehen werden kann, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Schließlich sind wechselrechtliche Besonderheiten des jeweiligen Landes, in dem der Wechsel ausgestellt ist, zu berücksichtigen. Hierzu gehören etwa die Entrichtung einer – in der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 1.1.1992 aufgehobenen – Wechselsteuer, die Erhebung sonstiger Gebühren und die Beachtung devisenrechtlicher Bestimmungen. cc) Anwendbares Recht
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Im Hinblick darauf, dass die an der Abwicklung eines Rembourskredites beteiligten Parteien den Rechtskreisen verschiedener Staaten angehören, stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht. Den nachfolgenden Ausführungen liegt die in der Praxis typische Konstellation der Verbindung eines Rembourskredites mit einem Akkreditiv zugrunde. Aus der Sicht des Internationalen Privatrechts sind folgende differenzierende Überlegungen maßgebend: (1) Rechtsverhältnis Verkäufer/Käufer
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Den Ausgangspunkt bildet das zwischen dem Verkäufer und dem Käufer abgeschlossene Warengeschäft, das in Bezug auf den Kaufpreis die Akkreditivabrede enthält und ein erfüllungshalber bereitzustellendes Bankakzept vorsieht. Dieses Grundgeschäft kann eine ausdrückliche Rechtswahlklausel enthalten oder Anhaltspunkte für eine stillschweigende Rechtswahl bieten (Art. 3 Rom I-VO, Art. 116 Abs. 1 und 2 schwIPRG; Art. 11, 39 Abs. 1 liIPRG). Falls sich insoweit kein realer Parteiwille feststellen lässt, können andere Umstände wie etwa der Sitz der Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 117 schwIPRG; Art. 39 Abs. 2, 40 ff. liIPRG), bestimmend sein2. 1 Häberle, Einführung in die Exportfinanzierung, S. 653. 2 Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 153 ff.; Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 1/35 f.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 24
Teil H
(2) Rechtsverhältnis Käufer/Akkreditivbank In Erfüllung der zwischen dem Verkäufer und dem Käufer getroffenen Akkreditivabrede schließt der Käufer mit der akkreditiveröffnenden Bank einen Geschäftsbesorgungsvertrag ab, der unter Berücksichtigung der Remboursvereinbarung zusätzlich zu dem Auftrag zur Akkreditiveröffnung die Weisung enthält, in mittelbarer Stellvertretung für den Käufer die Remboursbank zu beauftragen, dem Verkäufer das vereinbarte Bankakzept zu erteilen, das Letzterer – entweder direkt oder über die avisierende Bank – zusammen mit den übrigen Dokumenten bei der Remboursbank eingereicht hat. Aus deutschrechtlicher Sicht lässt sich dieser Vorgang als Kreditauftrag gem. § 778 BGB einordnen, wobei im Verhältnis der akkreditiveröffnenden Bank zu dem Käufer die dem Sinn des Remboursgeschäfts Rechnung tragende Besonderheit gilt, dass von dem Käufer kein Vorschuss für künftige Aufwendungen verlangt (§§ 675, 670, 669 BGB), sondern der Aufwendungsersatz erst dann gefordert werden kann, wenn das Akzept bei Fälligkeit aufgenommen worden ist1.
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Eine derartige Qualifikation würde, vorbehaltlich anders lautender Vereinbarungen der Parteien (Art. 3 Rom I-VO, Art. 116 schwIPRG) und einer anderen objektiven Anknüpfung, wiederum zur Anwendbarkeit des Rechts der die charakteristische Leistung erbringenden Partei führen, also des Rechts der Bank (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 117 schwIPRG). (3) Rechtsverhältnis Verkäufer/Akkreditivbank Das Rechtsverhältnis zwischen der akkreditiveröffnenden Bank und dem Verkäufer weist gegenüber dem üblichen Akkreditivgeschäft die Besonderheit auf, dass seitens der Akkreditivbank nicht die Bezahlung des Kaufpreises geschuldet wird, sondern für die Erteilung des Bankakzeptes Sorge getragen werden muss. Ob die Remboursfunktion von der Akkreditivbank selbst oder von einer Drittbank – dies kann auch die avisierende Bank sein – übernommen wird, hängt von den im Einzelfall getroffenen Vereinbarungen ab. Für den Verkäufer wird es günstig sein, ein aus seiner Sicht inländisches Akzept zu erhalten, das zur inländischen Diskontierung eingesetzt werden kann.
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Im Verhältnis zum Begünstigten ist es wiederum das Recht der Bank, das als das Recht des charakteristisch Leistenden regelmäßig zur Anwendung kommt2. (4) Akkreditivstellung unter Einbeziehung einer weiteren Bank Schließlich können zusätzliche schuldrechtliche Rechtsbeziehungen in Betracht kommen, sofern neben der akkreditiveröffnenden Bank eine weitere Bank eingeschaltet ist, die das Akkreditiv gegenüber dem Verkäufer nicht nur avisiert, sondern bestätigt und damit ein eigenes abstraktes Schuldversprechen gem. § 780 BGB abgibt. Darüber hinaus spielen in der Praxis wechselrechtliche Anspruchsgrundlagen keine besondere Rolle, da letztlich die akkreditiveröffnende Bank im Auftrag des Käufers der Ware für die Revalierung des Wechsels einzustehen hat3. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Remboursbank etwa infolge einer Zahlungsunfähigkeit oder bei Transferschwierigkeiten das Akzept bei Fälligkeit nicht einlöst. In diesem Fall kann sich der Verkäufer, der von dem legitimierten Inhaber des Wechsels als Aussteller in Anspruch genommen wird, bei der akkreditiveröffnenden Bank oder der bestätigenden Bank erholen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass dieser Sachverhalt trotz der Ähnlichkeit der Abläufe von der Eröffnung eines Akkreditivs gegen Akzept zu unterscheiden ist. Wäh1 Peters in Bankrechts-Handbuch, § 65 Rz. 25. 2 OLG Frankfurt v. 12.11.1991, WM 1992, 569 = WuB I H 2.–1.92 zust. Anm. Nielsen (ungeachtet des Firmensitzes des Begünstigten gilt das Recht am Geschäftssitz der eröffnenden Bank). 3 BGH v. 6.5.1965, WM 1965, 901 (903); Peters in Bankrechts-Handbuch, § 65 Rz. 28.
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Teil H Rz. 25
Finanzierung
rend sich die Remboursbank durch das Akzept zur Zahlung der Wechselsumme verpflichtet, hat die Akkreditivbank bei dem Akkreditiv gegen Akzept nur das Akzept einzuholen; allerdings besteht die Verpflichtung zur späteren Einlösung des Akzepts nach Art. 9 lit. a, iii) ERA1. Das selbständige Schuldversprechen ist in diesen Fällen die charakteristische Leistung. Deshalb ist im Verhältnis zwischen dem Begünstigten und der Zweitbank das Recht Letzterer maßgebend2. d) Risikobetrachtung 25
Der Entscheidung, ob ein Außenhandelsgeschäft von einem Akzept-/Rembourskredit begleitet werden soll, wird eine Risikoanalyse vorausgehen. Aus der Sicht des Verkäufers einer Ware besteht der Vorteil der Vereinbarung eines Zahlungszieles und der Bereitstellung eines Bankakzeptes im Wesentlichen darin, dass die Akzeptbank unabhängig von der Zahlungsfähigkeit des Käufers für die Einlösung des Wechsels bei Fälligkeit einsteht (Sicherungsfunktion). Zudem kann das Bankakzept zur zinsgünstigen Finanzierung eingesetzt werden (Liquiditätsfunktion) mit der Folge, dass sich die Inanspruchnahme zinsungünstigerer Kontokorrentlinien vermeiden lässt3. Sofern der Wechsel auf eine Fremdwährung lautet, wird außerdem das Wechselkursrisiko auf die diskontierende Bank übergewälzt. Das Bankakzept kann auch zahlungshalber an einen Vorlieferanten des Verkäufers weitergegeben werden. Demgegenüber können sich eine etwaige Zahlungsunfähigkeit der Remboursbank sowie Transferschwierigkeiten oder sonstige außergewöhnliche, vom Domizilland der Remboursbank ausgehende politische Risiken für den Verkäufer nachteilig auswirken. Der wechselrechtlichen Ausstellerhaftung des Verkäufers kann durch die Kombination des Rembourskredites mit einem Akkreditivgeschäft begegnet werden. Für den Käufer einer Ware bietet die Remboursabrede im Kaufvertrag den Vorteil, dass der Zeitraum zwischen dem Erhalt der Ware und der Fälligkeit des Bankakzeptes zum Weiterverkauf der Ware genutzt werden kann. Falls, wie aufgezeigt, der Käufer als Aussteller fungiert, gelten die vorstehenden Überlegungen entsprechend. Schließlich ist zu bedenken, dass die Diskontbank die Einräumung einer Diskontkreditlinie von der Stellung zusätzlicher Sicherheiten abhängig macht. Häufig wird sich die Diskontbank mit der Haftung der aus dem Wechsel Verpflichteten begnügen. e) Checkliste
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Die nachfolgenden Hinweise, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, können bei der Entscheidung, ob im Zuge der Abwicklung eines Exportgeschäftes ein Akzept-/Rembourskredit in die Überlegungen einbezogen werden soll, eine Orientierungshilfe bieten. Jeder einzelne Punkt ist im Lichte des auf ihn anwendbaren Zivil-, Handels- (Bilanz-) sowie Währungs- und Devisenrechts zu prüfen. – Zinsgünstige, gegenüber den Kosten für einen Kontokorrentkredit billigere Liquiditätsbeschaffung; – Haftung der Akzeptbank unabhängig von der Haftung des jeweiligen Wechselausstellers; – Weiterreichung des Wechsels an einen Gläubiger des Inhabers zahlungshalber möglich; – Verwendung des Wechsels im Rahmen eines Dokumenteninkasso (Dokumente gegen Akzept); 1 Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 2/388. 2 Schütze, WM 1982, 228; von Bar, ZHR 152 (1988), 53; Schefold, IPRax 1990, 21 ff. 3 Jahrmann, Außenhandel, S. 438 (441 f.).
820 | Ehrlich
Finanzierungsmodelle
Rz. 30
Teil H
– Entlastung der Bilanz des Wechselinhabers (Indossamentenverbindlichkeiten müssen nur unter dem Strich der Bilanz ausgewiesen werden); – Fremdwährungsrisiko (Wechselkursrisiko); Devisentermingeschäft; – Zuordnung der Akzeptprovisionen und Diskontzinsen; – Zahlungsfähigkeit der Akzeptbank; – Devisenbeschaffung im Domizilland der Akzeptbank. 2. Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung (Deferred Payment Akkreditiv) Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1. Ergänzend wird auf die Literaturangaben zum Dokumentenakkreditiv verwiesen, Teil I, vor Rz. 1.
a) Definition und wirtschaftliche Bedeutung Eine Definition für das unwiderrufliche Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung – dessen Entstehung auf Devisenvorschriften zurückgeht – findet sich erstmals in Art. 9a (ii) ERA der seit 1.1.1994 in Kraft getretenen 5. Revision der ERA (ERA 500)1. Danach wird hierdurch eine feststehende Verpflichtung der eröffnenden Bank begründet, nach Vorlage der vorgeschriebenen Dokumente und Erfüllung der Akkreditiv-Bedingungen „an dem (den) nach den Bestimmungen des Akkreditivs bestimmbaren Datum (Daten) zu zahlen“. Eine Aufspaltung der Zahlungsverpflichtung der akkreditiveröffnenden Bank in Teilbeträge, die zu verschiedenen Terminen fällig werden, ist möglich. Darüber hinaus wird das Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung an verschiedenen Stellen der ERA erwähnt2.
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Mit dem Deferred-Payment-Akkreditiv erlangt der Verkäufer einer Ware in der Regel und nach Maßgabe des anwendbaren Rechts einen nach Vorlage der vereinbarten Dokumente entstehenden Zahlungsanspruch, der von der Akkreditivbank oder von einer ermächtigten Zweitbank, die zugleich bestätigende Bank sein kann, erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden muss. In den nachfolgenden Ausführungen wird die hinausgeschobene Zahlung als Zahlungsvereinbarung des Akkreditivs behandelt. Daraus folgt, dass das Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung widerruflich oder unwiderruflich, avisiert oder bestätigt und übertragbar ausgestaltet sein kann. Ergänzend wird insoweit auf die Ausführungen zum Dokumentenakkreditiv verwiesen (Teil I, Rz. 240 ff.).
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b) Anwendbares Recht Soweit in den nachfolgenden Abschnitten Ausführungen zu den materiell-rechtlichen Rechten und Pflichten der Beteiligten gemacht werden, sind dies Anhaltspunkte. Eine exakte Prüfung des nach Maßgabe des Internationalen Privatrechts jeweils anwendbaren Rechts ist unerlässlich. Auch wegen des Kollisionsrechts wird auf die Ausführungen zum Dokumentenakkreditiv verwiesen (Teil I, Rz. 222 ff.).
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c) Ausgestaltung der Akkreditivklausel Den Ausgangspunkt bildet die Akkreditivklausel im Kaufvertrag, in der die hinausgeschobene Auszahlung des Akkreditivbetrages an den Begünstigten festgelegt wird. Dabei ist auf eine zweifelsfreie Definition des Fälligkeitstermins der Zahlung zu achten. Dieses Ziel kann dadurch erreicht werden, dass die Frist in Tagen oder in Monaten angegeben und der Beginn der Nachsichtfrist genau festgelegt wird. In der Praxis werden Formulierungen wie etwa „zahlbar … Tage (Monate) nach dem Rechnungsdatum“ 1 ICC-Publikation Nr. 500. 2 Vgl. etwa Art. 2, Art. 6b, Art. 7a, Art. 7b, Art. 8a, Art. 8b, Art. 12b ERA.
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Ehrlich 821
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Teil H Rz. 31
Finanzierung
oder „zahlbar … Tage (Monate) nach Präsentation der Dokumente bei der als Zahlstelle eingesetzten Bank“ verwendet. In dem zuletzt genannten Fall muss auch die Zahlstelle exakt bestimmt werden können. 31
Die Frage nach der Dauer der Nachfrist wird von unterschiedlichen Interessen beeinflusst. Während der Verkäufer einer Ware bestrebt sein wird, gegenüber seinem Vertragspartner einen möglichst kurzen Fälligkeitstermin für die Kaufpreiszahlung durchzusetzen, ist dem Käufer daran gelegen, ein längeres Zahlungsziel zu vereinbaren, um auf diese Weise etwaige eigene Kreditkosten zu sparen und die für die Bedienung des Akkreditivs erforderliche Liquidität durch den Weiterverkauf der Ware zu erlangen. Diesen Vorteil kann der Käufer und Akkreditvauftraggeber allerdings dann nicht nutzen, wenn die akkreditiveröffnende Bank etwa aus Bonitätsgründen das Konto des Käufers bereits bei Eröffnung des Akkreditivs mit dem Gegenwert belastet oder zu diesem Zeitpunkt einen Bareinschuss fordert. Sofern der Verkäufer einer Ware den regresslosenVerkauf der Exportforderung unter einem Nachsichtakkreditiv in Betracht zieht, müssen bei der Bestimmung des Fälligkeitstermins der Zahlung die vom Markt vorgegebenen Laufzeiten berücksichtigt werden. In devisenschwachen Ländern kann zudem eine Hinterlegung des Akkreditivbetrages bei der Nationalbank zum Zeitpunkt der Akkreditiveröffnung in Betracht kommen1.
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Die hinausgeschobene Fälligkeit kann auch in der Weise ausgestaltet sein, dass der Begünstigte anstelle der Barzahlung einen Sichtwechsel mit der Auflage erhält, diesen erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit, nachdem der Auftraggeber die Warendokumente erhalten hat, in Umlauf zu bringen (deferred sight credit). Zudem ist denkbar, dass keine zeitversetzte Barzahlung, sondern zu einem späteren Termin die Begebung eines Zielwechsels vereinbart wird (deferred acceptance credit). Diese Fallgestaltung sollte aus Risikogründen vermieden werden2. d) Systematische Betrachtung
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Eine systematische Einordnung des Akkreditivs mit hinausgeschobener Zahlung kann in unterschiedlicher Weise erfolgen. Zusammen mit den Akzeptakkreditiven, bei denen die hinausgeschobene Zahlung auf der Fälligkeit des in die Absprachen einbezogenen Wechsels beruht, lässt sich das Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung der Gruppe der Nachsichtakkreditive zuordnen. Stellt man dagegen die Zahlungsverpflichtung der Akkreditivbank bzw. der Zahlstelle in den Vordergrund, gehören Akkreditive mit hinausgeschobener Zahlung in Abgrenzung zu den Akzeptakkreditiven den Zahlungsakkreditiven an. Allerdings ist zu beachten, dass auch das Akzeptakkreditiv letztlich auf eine Zahlungsverpflichtung hinausläuft, die im Exportgeschäft als Remboursakkreditiv (Rz. 20) ausgestaltet sein kann. e) Leistung der Akkreditivsumme bei hinausgeschobener Zahlung
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Mit der Einreichung akkreditivkonformer Dokumente erhält der Begünstigte von der Akkreditivbank eine Bescheinigung über die Dokumentenaufnahme und die Fälligkeit seines Zahlungsanspruchs, der sich gegen die Akkreditivbank richtet und bei der Einschaltung einer Zweitbank von einem weiteren gesamtschuldnerischen Zahlungsanspruch begleitet wird, wenn die Zweitbank das Akkreditiv bestätigt. In allen anderen Fällen begründet die vorerwähnte Fälligkeitsbescheinigung keinen selbständigen Anspruch gegen die Zweitbank, die insoweit nur im Namen und für Rechnung der Ak1 Häberle, Handbuch der Außenhandelsfinanzierung, S. 435. 2 Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 2/125.
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kreditivbank handelt1. Damit müssen die Risiken, die sich etwa aus politischen Ereignissen im Land der Akkreditivbank oder aus einer etwaigen Zahlungsschwierigkeit der Akkreditivbank ergeben können, von dem Begünstigten getragen werden. Dieser Problematik kann aus der Sicht des Begünstigten dadurch begegnet werden, dass dieser seinen hinausgeschobenen Zahlungsanspruch à forfait verkauft und damit die genannten Risiken auf den Forfaiteur verlagert. Der Umfang der eingeschätzten Risiken schlägt sich in der Höhe der Risikoprämie nieder. Im Übrigen kann eine bei Vorlage der akkreditivkonformen Dokumente zugestandene Bevorschussung des Deferred-Payment-Akkreditivs Probleme mit sich bringen, falls in dem Zeitraum bis zur Zahlungsfälligkeit nach Maßgabe der Akkreditivbedingungen Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Begünstigten in das Akkreditiv ausgebracht werden oder dieser insolvent wird. Mit Urteil vom 16.3.19872 hat der BGH entschieden, dass es sich bei der Bevorschussung nicht um eine vorzeitige Erfüllung des befristeten Anspruchs des Begünstigten aus dem Akkreditiv, sondern um einen Finanzkredit handelt, der den Anspruch aus dem Akkreditiv weiterhin der Zwangsvollstreckung zugänglich macht. Demnach handelt die bevorschussende Bank auf eigenes Risiko.
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Diese Situation ändert sich durch die Einführung neuer Bestimmungen in die ERA 600 grundlegend. So sind gem. Art. 7a (iii) ERA und Art. 8a (i) c ERA die eröffnende und die bestätigende Bank verpflichtet, bei Nichtzahlung der benannten Bank das Akkreditiv zu honorieren. Nach Art. 7c, Art. 8 c ERA muss die eröffende Bank erst bei Fälligkeit remboursieren, unabhängig davon, ob die benannte Bank vor Fälligkeit gezahlt oder angekauft hat3. Aus Art. 12b ERA ergibt sich, dass die verpflichtete Bank ermächtigt ist, ihre Verpflichtung im Voraus zu begleichen. Ob die aus Art. 7c, Art. 8c und Art. 12b ERA ersichtliche – von der ICC in Kenntnis der gegenteiligen nationalen und internationalen Rechtsprechung gewollte4 – Neuregelung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten5.
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Für den Käufer einer Ware und Auftraggeber des Akkreditivs besteht der Vorteil eines Akkreditivs mit hinausgeschobener Zahlung darin, dass er die vereinbarten Dokumente ausgehändigt erhält, ohne Zug um Zug mit dem Akkreditivbetrag belastet zu werden (vgl. aber die Hinweise in Rz. 42 a.E.). Damit wird für ihn die Möglichkeit eröffnet, die Ware in Empfang zu nehmen, zu besichtigen und bei Feststellung etwaiger Mängel zu versuchen, die Akkreditivbank von der Zahlung unter dem Akkreditiv abzuhalten. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, diese Abwicklungsform nur vorsichtig einzusetzen und – falls eine Finanzierung des Akkreditivauftraggebers erwogen wird – die Übergabe der Dokumente von der Bereitstellung eines Bankakzeptes abhängig zu machen6.
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f) Risikoabgrenzung Ein Vergleich der Positionen des Verkäufers und des Käufers bei dem Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung ergibt folgendes Bild: 1 Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 2/124. 2 BGH v. 16.3.1987, WM 1987, 977 mit Anm. Eberding WuB I H 2.–2.87; zust. Schütze, Das Dokumentenakkreditiv im Internationalen Handelsverkehr, Rz. 65, 439, insb. m.w.N. gerichtlicher Entscheidungen in der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland. 3 Baumbach/Hopt, HGB, V. BankGesch 3 Einl ERA (11), Rz. 3. 4 Nielsen in MünchKomm/HGB, ZahlungsV, Rz. H 103. 5 Vgl. hierzu Nielsen in MünchKomm/HGB, ZahlungsV, Rz. H 103; Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 2/123, 2/386 ff., jeweils unter Hinweis auf die nationale und internationale Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten der ERA 600. 6 Zahn/Ehrlich/Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, Rz. 2/123; vgl. auch Rz. 20.
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aa) Position des Verkäufers 39
Aus der Sicht des Verkäufers wirkt sich vorteilhaft aus, dass der gegenüber dem Käufer bestehende Kaufpreisanspruch durch das Zahlungsversprechen der Akkreditivbank, deren Einstehen allein von den Akkreditivbedingungen, insbesondere von der Einreichung akkreditivkonformer Dokumente abhängig ist, begründet wird. Dieser Anspruch wird von der Beschaffenheit der Ware nicht tangiert. Die hinausgeschobene Fälligkeit des Zahlungsanspruchs vermag hieran nichts zu ändern, weil auch insoweit der Grundsatz der Akkreditivstrenge gilt. Zudem kann es im Interesse des Verkäufers liegen, seinem Vertragspartner ein Zahlungsziel zu gewähren, um dessen wirtschaftlichen Handlungsspielraum zu erweitern.
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Demgegenüber dürften die Nachteile für den Verkäufer einer Ware, der ein Akkreditiv mit hinausgeschobener Zahlung akzeptiert, dominieren. Wie bereits erwähnt, kann der Käufer vor Fälligkeit des Kaufpreises die Ware unter Einsatz der Dokumente in Besitz nehmen und bei etwaigen Mängeln danach trachten, die Akkreditivbank durch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von der Zahlung bei Fälligkeit abzuhalten1. Hierin liegen für den Verkäufer möglicherweise handelsrechtlich geprägte Restrisiken, die dieser Akkreditivart immanent sind.
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Weiter muss der Verkäufer während der Laufzeit der Zahlungsfrist auf die Liquidität verzichten, die ihm bei einem Sichtakkreditiv durch die Aushändigung der Dokumente Zug um Zug gegen Zahlung der Akkreditivsumme sofort zur Verfügung stehen würde. Außerdem hat der Verkäufer bei unbestätigten Akkreditiven mit hinausgeschobener Zahlung das Bonitätsrisiko in Bezug auf die Akkreditivbank und das politische Risiko hinsichtlich des Domizillandes der Akkreditivbank zu tragen, das mit der Ausweitung der Zahlungsfrist zunimmt2. Entsprechende Überlegungen gelten bei Fremdwährungsakkreditiven mit hinausgeschobener Zahlung, die zu einem erhöhten Wechselkursrisiko führen können. Ob diese Risiken von dem Verkäufer durch die Forfaitierung seiner Akkreditivforderung oder durch die Bestätigung des Akkreditivs mit hinausgeschobener Zahlung minimiert werden können, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Hierbei werden spezifische Länderrisiken eine maßgebende Rolle spielen. In allen Fällen wird dieses Verfahren erhöhte Kosten mit sich bringen3. bb) Position des Käufers
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Die aufgezeigten Nachteile des Verkäufers einer Ware führen spiegelbildlich zu Vorteilen des Käufers, die dieser insbesondere durch die Einräumung des Zahlungszieles nutzen kann. Der Weiterverkauf der Ware und der Erhalt des Verkaufserlöses innerhalb des Zeitraums der hinausgeschobenen Zahlung versetzt den Käufer in die Lage, die Verpflichtungen aus dem Akkreditivauftrag ohne Finanzierungsaufwand zu erfüllen. Demgegenüber kann es sich für den Käufer negativ auswirken, dass das Akkreditiv auch dann bedient werden muss, wenn sich innerhalb der vereinbarten hinausgeschobenen Fälligkeit Mängel an der Ware herausstellen sollten. Zudem darf – entsprechend der Situation bei dem Verkäufer – bei einer hinausgeschobenen Zahlungsverpflichtung auch für den Käufer einer Ware das Wechselkursrisiko nicht übersehen werden.
1 Kümpel-Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 13.196; Schütze, Das Dokumentenakkreditiv im Internationalen Handelsverkehr, Rz. 63, 427 ff.; Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht, Rz. 2/72. 2 Häberle, Handbuch der Außenhandelsfinanzierung, S. 429. 3 von Bernstorff, Rechtsprobleme im Auslandsgeschäft, S. 231.
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g) Checkliste Die nachfolgenden Hinweise sind als Anregungen zu verstehen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ergänzend wird auf die Checkliste zum Dokumentenakkreditiv verwiesen (Teil I, Rz. 264). – Seriosität des Vertragspartners; – Bestimmung der hinausgeschobenen Zahlung; – Beginn der Nachsichtfrist; – Dauer der Nachsichtfrist; – Wirtschaftliche Überlegungen des Verkäufers; – Akkreditivmäßige Absicherung der Kaufpreisforderung; – Retardierende Liquidität; – Politisches Risiko; – Wechselkursrisiko; – Bevorschussung des Akkreditivanspruchs; – Forfaitierung des Akkreditivanspruchs; – Wirtschaftliche Überlegungen des Käufers; – Zahlungsziel nach Maßgabe der Nachsichtfrist; – Geringere Finanzierungskosten; – Wechselkursrisiko.
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3. Forfaitierung Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Allgemeines und Bankaufsichtsrecht Unter dem Begriff Forfaitierung ist der Verkauf und die Übertragung von später fällig werdenden Forderungen unter Verzicht des Forderungskäufers (Forfaiteur) auf einen Regress gegenüber dem Forderungsverkäufer (Forfaitist) für den Fall der Insolvenz des Forderungsschuldners zu verstehen1 (sog. echtes Forfaitierungsgeschäft).
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Wirtschaftliches Ziel einer solchen Forfaitierung ist die Vorfinanzierung durch Veräußerung von abdiskontierten Einzelforderungen bei gleichzeitiger Übertragung des Ausfallrisikos auf den Forderungskäufer. Käufer (Forfaiteur) ist meist ein Kreditinstitut oder einen Spezialfinanzierer2. Typischerweise ist Gegenstand von Forfaitierungsgeschäften der Ankauf von Exportforderungen. Der Forfaiteur kauft dabei i.d.R. nicht die einfache Warenforderung, sondern Solawechsel (promissing notes) der ausländischen Abnehmer des Forfaitisten3. Häufig wird diese Forderung durch die Garantie oder das Aval einer Auslandsbank besichert. Eine besondere Bedeutung kommt der Forfaiterung von Exportforderungen mit Versicherungsschutz (z.B. eines Warenkreditversicherers oder Hermes-Deckung) zu4. Das Forfaitierungsgeschäft ähnelt dem Factoringgeschäft. Im Gegensatz zum Factoringgeschäft kauft der Forfaiteur in der Regel
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1 Vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 288; Jährig/Rösler, Handbuch des Kreditgeschäftes, S. 248 f.; s. Muster-Forfaitierungsvertrag (mit Einzelforderungskaufvertrag) bei Scharff in Vertragsund Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, IV.O.2., Forfaitierung, S. 1737 ff. 2 Vgl. Parmentier in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 1 Rz. 324 ff.; Scharff in Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, IV.O.2. S. 1743. 3 Vgl. Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, Rz. 19.129. 4 Dazu Bauer/Seeger in Kümpel/Wittig, Rz. 13.276 ff. und Rz. 13.251 ff. speziell zur Hermes-Deckung.
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aber nur die Einzelforderung an, ohne dem Forfaitisten weitere Dienstleistungen (z.B. Forderungseinzug oder Forderungsverwaltung) anzubieten1. Beim unechten Forfaitierungsgeschäft, haftet der Verkäufer weiter für die Erfüllung der verkauften Forderungen2. Hier steht die reine Vorfinanzierung ohne Übertragung des Ausfallrisikos im Vordergrund des Geschäftes. 46
Nach § 1 Abs. 1a Nr. 9 dtKWG unterliegen Unternehmen, die das Forfaitierungsgeschäft betreiben, ebenso wie Unternehmen, die das Factoringgeschäft betreiben, als sog. Finanzdienstleistungsinstitute seit dem 25.12.2008 der Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wenn der Tatbestand des „laufenden Ankaufs von Forderungen auf der Grundlage von Rahmenverträgen mit oder ohne Rückgriff“ erfüllt wird, was von dem dtKWG als Factoring definiert wird3. Das gilt auch für die Forfaitierung, wenn die aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen des Factorings erfüllt sind. Es reicht der wiederholte Ankauf von einzelnen Forderungen, jedoch ist der erste Ankauf nur dann eine Finanzdienstleistung, wenn weitere Ankäufe von Anfang an geplant sind. Erforderlich ist also eine laufende Geschäftsverbindung zwischen Forderungskäufer (Forfaiteur oder Factor) und Forderungsverkäufer. Dabei ist zu beachten, dass mit Einführung des § 1 Abs. 1a Nr. 9 dtKWG klargestellt wurde, dass es sich beim unechten Forfaitierungs- und Factoringgeschäft eigentlich um ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft handelt, dass durch die Regelung in § 1 Abs. 1a Nr. 9 dtKWG aufgrund der Besonderheiten des Geschäfts lediglich einer erleichterten Bankaufsicht unterstellt ist4. Erleichert deshalb, weil bestimmte Befreiungen von den aufsichtsrechtlichen Solvenz-, Liquiditäts-, Großkredit- und Organkreditvorschriften sowie § 18 KWG gelten (§ 1a Abs. 3, § 2 Abs. 7a dtKWG). Allerdings müssen auch Fortaitierungsunternehmen (wie Factoringunternehmen) nach § 25a dtKWG ein angemessenes und wirksames Risikomanagementsystem einrichten und die Mindestanforderungen an das Riskomanagement (MaRisk) beachten5. Zweifelsfälle sind mit der BaFin abzustimmen (§ 4 dtKWG)6. Mit der bankaufsichtsrechtlichen Genehmigung ist gem. § 24a Abs. 3 und Abs. 3c dtKWG die Berechtigung verbunden, nach einer entsprechenden Anzeige gegenüber der BaFin das Forfaitierungs- oder Factoringgeschäft im gesamten EWR-Raum zu betreiben (sog. Europapass). Zu beachten ist, dass der Ankauf von bereits fälligen Forderungen (sog. Fälligkeitsfactoring oder Fälligkeitsforfaitierung) dann, wenn der Ankauf regresslos erfolgt, aufsichtsrechtlich nicht unter § 1 Abs. 1a Nr. 9 dtKWG fällt und daher keiner aufsichtsrechtlichen Genehmigung bedarf7. Anders dagegen, wenn der Forderungsankauf mit Rückgriff auf den Verkäufer erfolgt, da dann die Finanzierungsfunktion wieder im Vordergrund steht. In diesem Fall fällt auch das Fälligkeitsfactoring unter die Erlaubinspflicht nach § 1 Abs. 1a Nr. 9 dtKWG. Fällt der Forderungsankauf im Einzelfall nicht unter § 1 Abs. 1a Nr. 9 KWG, ist zu prüfen, ob ein Finanzunternehmen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 dtKWG vorliegt8. Das sog. Reverse-Factoring, d.h. hier wird der Forderungsankauf vom Schuldner der verkauften Forderung veranlasst, fällt ebenfalls unter § 1a Nr. 9 dtKWG9.
1 Vgl. Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, Rz. 19.129; BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris. 2 Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. zum vergleichbaren unechten Factoring. 3 Dazu Weber/Seifert in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 1, KWG und CCR, § 1 Rz. 74; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 1 KWG, Rz. 150a ff.; Moseschus/Wessels/Schuck, FLF 2009, 109 (113 ff.); BaFin, Merkblatt-Hinweise zum Tatbestand des Factorings, Stand 1/2009. 4 Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG-Kommentar, § 1 KWG Rz. 150c. 5 Weber/Seifert in Luz/Neus/Schaber u.a., KWG und CRR, KWG § 1 Rz. 73. 6 BaFin, Merkblatt-Hinweise zum Tatbestand des Factorings, Stand 1/2009, S. 1. 7 Weber/Seifert, § 1 Rz. 74. 8 Dazu Weber/Seifert, § 1 Rz. 85, 88. 9 Schäfer, a.a.O., § 1 KWG, Rz. 150b.
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Auch wenn die Erlaubnis zum Betreiben des Factoringgeschäfts vorliegt, ist immer zu prüfen, ob durch das einzelne Geschäft nicht gleichzeitg auch ein Bankgeschäft begründet werden könnte, für das eine Erlaubnis nach § 32 dtKWG erforderlich ist. Das soll z.B. dann der Fall sein, wenn Ansprüche aus Lebensversicherungen gewerbsmäßig zur sofortigen Kündigung und Einziehung des Rückkaufwertes bei zeitlich verzögerter Auszahlung des mit dem Abtretenden vereinbarten Kaufpreises angekauft werden. In der zeitlich verzögerten, d.h. erst eine gewisse Zeit nach Erhalt der Rückkaufswerte erfolgenden Zahlung des Kaufpreise wird das Betreiben von Einlagengeschäfte nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 dtKWG gesehen1.
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b) Internationales Privatrecht Für Deutschland und Österreich gilt der Grundsatz der freien Rechtswahl (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO)2. Das Rechtsverhältnis zwischen Forfaiteur und Forfaitist bestimmt sich bei Fehlen einer Rechtswahl durch objektive Anknüpfung nach dem Niederlassungsort des Forfaiteurs, da dieser mit der Risikoübernahme und der Kreditierung der angekauften, noch nicht fälligen Forderung die für den Forfaitierungsvertrag charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO)3. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Forderung z.B. durch einen Wechsel besichert ist4. Grundgedanke dieser Regelung ist, dass bei der Forfaitierung nicht die Forderungsabtretung (wie sonst beim Rechtskauf)5, sondern die Risikoübernahme (Versicherung) und die Kreditierung der noch nicht fälligen Forderung sowie der Einzug der angekauften Forderungen und damit die damit verbundenen Dienstleistungen im Vordergrund des Geschäfts stehen6 Daran ändert sich nichts, wenn die angekaufte Forderung besichert ist (z.B. durch Wechsel oder Bankgarantie), da sich dadurch die charakteristische Leistung des Forfaiteurs nicht verändert7. Zu beachten ist jedoch, dass sich über Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ein anderes Vertragsstatut ergeben kann, wenn im konkreten Einzelfall z.B. die Besicherung dazu führen sollte, dass sich dadurch nach der Gesamtheit der Umstände eine engere Verbindung zum Staat des Sicherungsgebers ergibt. Das insoweit geltende Vertragsstatut ist also bei einer fehlenden Rechtswahlvereinbarung (Art. 3 Rom I-VO) selbständig nach Art. 4 Rom I-VO zu ermitteln. Um Überraschungen bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts nach Art. 4 Rom I-VO zu vermeiden, sollte bei Verträgen mit Auslandsbezug immer auf eine ausdrücklich vereinbarte Rechtswahl (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO) geachtet werden. Derartige Rechtswahlvereinbarungen sind in den Grenzen des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO selbst mit Verbrauchern als Vertragspartner möglich, obwohl Forfaitierungsverträge in der Praxis kaum mit Verbrauchern i.S.d. Rom I-VO vorkommen dürften. Für die sog. unechte Forfaitierung gilt das Gleiche, da hier analog einem Darlehensvertrag die Kreditgewährung als charakteristische Leistung im Vordergrund steht, so dass sich die Ermittlung des anzu1 OLG Nürnberg, WM 2015, 1674 ff. 2 Die Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) v. 17.6.2008 (ABl. EU v. 4.7.2008, Nr. L 177, S. 6; Berichtigung v. 24.11.2009 ABl. EU, Nr. L 309, S. 87) hat die früher geltenden Regelungen der §§ 27–37 dtEGBGB ersetzt; dazu was die Forderungsabtretung (auch zu Sicherungszwecken) oder deren Verpfändung angeht s. Kieninger in Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO, Art. 14 Rz. 1 ff. 3 Freitag in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 6.621; Kieninger in Ferrari/ Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO, Art. 14 Rz. 6 (Achtung, bei einer Sicherungsabtretung soll die Anknüpfung über den Sicherungsgeber erfolgen), sowie ebd. Ferrari, Rom I-VO, Art. 19 Rz. 6 ff.; a.A. Palandt/Thorn, BGB, Rom I 4 (IPR), Rz. 13 m.w.N.; zur vergleichbaren alten Rechtslage: Hakenberg, RIW 1998, 909. 4 Freitag, Rz. 6.621. 5 Palandt/Thorn, BGB, Rom I-VO 4 (IPR), Rz. 23. 6 Freitag, Rz. 6.621. 7 Freitag, Rz. 6.621.
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knüpfenden Rechts endweder aus Art. 4 Abs. 1b Rom I-VO1 oder Art. 4 Abs. 2 Rom IVO ergibt. Hingegen ist das Verhältnis des Forfaitisten zum Schuldner und damit die Voraussetzungen und die Wirkungen der Übertragung der forfaitierten Forderung im Verhältnis zum Schuldner aus Gründen des Schuldnerschutzes zwingend selbständig nach dem Forderungsstatut festzustellen (Art. 14 Rom I-VO)2. Das gilt auch für die unechte Forfaitierung (Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO). Bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen gilt mangels Rechtswahlvereinbarung das Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. I 4 Abs. 1 Nr. a, Rom I-VO). Für Unternehmen ist das der Ort der Hauptverwaltung (Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO). Ist beim Kaufvertrag über bewegliche Sachen, aus der die verkaufte Forderung stammt, der Käufer ein Verbraucher und der Verkäufer ein Unternehmer, dann gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO). Diese Regelungen reflektieren einen allgemeinen Grundsatz, der bereits vor der Geltung der Rom I-VO in den meisten europäischen Rechtsordnungen zu finden war3. Zu beachtern ist, dass Art. 14 Rom I-VO das Verhältnis zu Dritten (z.B. Gläubiger der Parteien, Rang verschiedener Forderungsinhaber bei Doppelabtretungen) nicht regelt. Deshalb sollen der Zedent und der Zessionar, wenn auch nur auf ihr Innenverhältnis bezogen, vereinbaren können, welches Recht auf die Feststellung der Wirkung der Abtretung inter pares anzuwenden ist und dies nach Möglichkeit vorsorglich auch tun4. In Außenverhältnis gegenüber dem Schuldner der abgetretenen Forderung bleibt es bei der Anwendung des Forderungsstatuts, wenn es z.B. um Fragen der Priorität von Abtretungen, etwaigen Publizitätserfordernissen hinsichtlich der Abtretungsanzeige, Wirksamkeit von Abtretungverboten oder des Schuldnerschutzes geht (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO)5. 49
Für die Forfaitierung gibt es Bestrebungen der International Trade and Forfaiting Association (IFATA) um aufgrund der hier regelmäßigen Auslandsberührung international zu einheitlichen Standarts zu kommen. Die IFATA hat dazu einige Publikationen veröffentlich6. In Kooperation mit der International Chamber of Commerce (ICC) wurden deshalb die Uniform Rules for Forfaiting (URF 800) für den „primary and the scondary market“ verfasst, die am 1.1.2013 in Kraft getreten sind. Die URF 800 werden nur Bestandteil eines Forfaitierungsvertrages, wenn diese ausdücklich einbezogen werden (Art. 1 URF 800). Darüber hinaus wurde am 5.2.2014 eine Kooperation zwischen der IFATA und der International Factors Group (IFG) vereinbart, um in der internationalen Handelsfinanzierung zu einheitlichen Regelungen für die Forfaiterung und das Factoring zu kommen. Da Forfaiterung und Factoring sich stark überscheiden, macht es Sinn, in der Praxis zu einheitlichen internationalen Standards zu kommen. c) Materiell-rechtliche Besonderheiten
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In rechtlicher Hinsicht stellt eine (echte)7 Forfaitierung einen Rechtskauf mit Übertragung des Rechtes auf einen Dritten dar (§§ 453, 433 i.V.m. § 398 BGB)8. Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, wie die Rechtsstellung des Forfaiteurs nach Übertragung der For1 So Freitag in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 6.621; a.A. Palandt/Thorn, BGB, Rom I 4 (IPR) Rz. 8, wonach Kreditverträge entgegen BGH RIW 12, 566 nicht unter den europäischen Dienstleistungsbegriff fallen. 2 Palandt/Thorn, BGB, Rom I 14 (IPR) Rz. 13, zum alten Recht vgl. Kegel/Schurig, S. 654. 3 Vgl. Kaiser, S. 106 ff.; Apathy in Hadding, S. 534 f. 4 Kieninger in Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO, Art. 14 Rz. 1; a.A. Palandt/Thorn, BGB, Rom I 14 (IPR), Rz. 6. 5 Kieninger, Rom I-VO, Art. 14 Rz. 1, 8; Palandt/Thorn, BGB, Rom I 14 (IPR) Rz. 6 (str.). 6 Bauer/Saeger in Kümpel/Witting, Rz. 13.275 mit weiteren Hinweisen auf Publikationen. 7 Im Gegensatz zu einer unechten Forfaitierung, die als besichertes Darlehen anzusehen ist. 8 Vgl. Lutter/Scheffler/Schneider, Rz. 19.132; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 28; Bauer/Seeger in Kümpel/Witting Rz. 13.271; Brink, WM 2003, 1353.
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derung ausgestaltet ist. Handelt es sich um eine Forfaitierung mit Delkredereübernahme (d.h. Erwerb der Forderung ohne Rückgriff auf den Forfaitisten im Falle einer Insolvenz des Schuldners), ist es für den Forfaiteur wirtschaftlich von erheblicher Bedeutung, in die Rechtsposition des Forfaitisten einzurücken, um einen möglichst vollständigen Zugriff auf das Vermögen des Schuldners zu erlangen. Diese Zugriffsmöglichkeit ist nur gegeben, sofern die Voraussetzungen für eine Rechtsübertragung nach dem jeweils geltenden Forderungsstatut erfüllt sind1. Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob für eine wirksame Abtretung der Forderung an den Forfaiteur nach dem jeweils geltenden Schuldstatut eine Anzeige an den Schuldner und wenn ja in welcher Form notwendig ist. Die Geltung des nach dem Schuldstatut anwendbaren Rechts ist von Bedeutung für (i) das Verhältnis zwischen Schuldner und dem neuen Gläubiger, insbesondere die Einreden und Einwendungen, die der Schuldner gegenüber dem neuen Gläubiger geltend machen kann, (ii) die Voraussetzungen, unter denen der neue Gläubiger die Forderung vom alten Gläubiger erwirbt und der Rang der Forderungsabtretung gegenüber anderen mutmaßlichen Gläubigern bei Mehrfachabtretungen, sowie (iii) die schuldbefreiende Wirkung von Leistungen des Schuldners an den alten Gläubiger gegenüber dem neuen Gläubiger2.
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Nach deutschem Recht ist die Abtretung einer Forderung gegenwärtiger und zukünftiger Forderungen durch formlosen Vertrag möglich, sofern die Bestimmtheit oder eindeutige Bestimmbarkeit der Forderung gegeben ist3. Das ist auch in den internationalten Übereinkommen der UN und von UNIDROIT anerkannt4. Der Erwerber der Forderung tritt mit der Abtretung der Forderung in die Rechte und Pflichten des Forfaitisten ein, kann also nicht mehr Rechte erwerben, als der Forfaitist vorher selbst hatte5. Einer Anzeige der Abtretung gegenüber dem Schuldner oder dessen Zustimmung bedarf es nach deutschem Recht nicht6. Der Schuldner ist jedoch berechtigt, seine Leistung an den alten Gläubiger zu erbringen, solange ihm die Abtretung nicht angezeigt wurde (§ 407 Abs. 1 dtBGB)7.
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Darüber hinaus kann er die ihm gegenüber dem Altgläubiger zum Zeitpunkt der Abtretung zustehenden Einwendungen auch dem neuen Gläubiger entgegenhalten, § 404 dtBGB8. Erwirbt der Schuldner nach dem Zeitpunkt der Abtretung eine Forderung gegen den alten Gläubiger, kann er damit auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen, wenn der Schuldner (i) bei Erwerb der Forderung gegen den alten Gläubiger keine Kenntnis von der Abtretung der gegen ihn gerichteten Forderung des alten Gläubiger an den neuen Gläubiger hatte oder (ii) sich aus der bei Kenntniserlangung bestehenden Rechtslage ohne die Abtretung bis zur Fälligkeit der abgetretenen Forderung eine Aufrechnungslage entwickelt hätte (§ 406 dtBGB). Eine vor Kenntniserlangung von der Abtretung bestehende mögliche Aufrechnungslage des Schuldners ist also geschützt. Die Rechtslage nach österreichischem Recht ist hiermit vergleichbar9. Demnach kann eine Forderung ebenfalls durch formlosen Vertrag abgetreten werden, § 1392 Allgemei1 Vgl. Parmentier in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 1 Rz. 329. 2 Art. 14 Rom I-VO dazu Palandt/Thorn, BGB, IPR Rom I 14 Rz. 4 ff.; noch zum alten Recht Bette, WM 1997, 797 (800). 3 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 11, 14; Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 63, 64; Larenz, Schuldrecht-AT (Bd. I); BGHZ 19, 16; 26, 188; 30, 151. 4 Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 63. 5 Vgl. Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 81 ff.; Larenz, Schuldrecht-AT, S. 575 f.; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 18 ff.; im österreichischen Recht ist das ausdrücklich geregelt in § 1394 öAGBGB; dazu Neumayr in ABGB Kurzkommentar § 1394 Rz. 1 ff. 6 Vgl. Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 23, 24; Larenz, (a.a.O.), S. 575. 7 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 4; Larenz, Schuldrecht-AT, S. 588. 8 Vgl. Larenz, Schuldrecht-AT, S. 587. 9 Vgl. Neumayr in ABGB-Kurzkommentar, § 1392 Rz. 1, 4; Apathy in Hadding, S. 516; Honsell/ Heidinger in Praxiskommentar zum ABGB, §§ 1392 ff.
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Teil H Rz. 54
Finanzierung
nes Bürgerliches Gesetzbuch (öABGB). Dies gilt auch für künftige Forderungen (§ 1393 öABGB1. Einer Anzeige der Abtretung gegenüber dem Schuldner bedarf es hier ebenfalls nicht2. Der Schuldner kann nur solange mit befreiender Wirkung an den alten Gläubiger leisten, wie ihm die Abtretung nicht angezeigt wurde (§§ 1395, 1396 öABGB3. Das zwischen dem Schuldner und dem Altgläubiger begründete Schuldverhältnis bleibt damit auch nach einem Gläubigerwechsel in seiner Ausgestaltung erhalten4. Nach § 1396 öABGB kann der Schuldner dem Neugläubiger alle Einwendungen entgegenhalten, die ihm auch gegen den Zedenten zustanden5. Zu beachten ist, dass die Abtretbarkeit durch die Vereinbarung eines Abtretungsverbotes zwischen dem Schuldner und dem ersten Gläubiger ausgeschlossen werden kann (vgl. § 1396a öABGB zur Wirksamkeit von Zessionsverboten)6. Zu beachten ist, dass nach österreichischem Recht der Abtretende dann, wenn die Abtretung entgeltlich erfolgt ist, zwar für die Richitgkeit und die Einbringlichkeit der abgetretenen Forderung haftet, jedoch beschränkt auf das, was er vom Übernehmer erhalten hat (§ 1397 öABGB). Für die Haftung ist auf den Zeitpunkt der Zession abzustellen, bei künftigen oder noch nicht fälligen Forderungen auf den Zeitpunkt der Fälligkeit7. Bei Mehrfachabtretungen gilt der Grundsatz der Priorität, d.h. nur die erste Abtretung ist wirksam. Ein gutgläubiger Erwerb des zweiten Abtretungsempfängers ist nicht möglich8. Zu beachten ist jedoch, dass bei Sicherungsabtretungen die Publizitätsbestimmungen einzuhalten sind, die bei Pfandrechtsbestellungen (§ 452 öAGBGB) gelten, wie z.B. Vermerk in den Geschäftsbüchern des Zessionars oder einer sog. Drittschuldnerverständigung9. Bei Mehrfachabtretungen ist die Zession wirksam, bei der alle Publizitätsvorschriften vorliegen10. Wenn die Gefahr einer Umqualifizierung des Forderungsankaufs in eine Sicherungsabtretung besteht, sollten vorsorglich die für eine Sicherungszession geltenden Anforderungen eingehalten werden. 54
Das Schweizer Recht lässt die Abtretung von Forderungen nur durch schriftlichen Vertrag zu (Art. 165 Abs. 1 OR)11. Die einfache Schriftform genügt auch dann, wenn die Entstehung der abgetretenen Forderung einer strengeren Form bedarf. Die Verpflichtung zum Abschluss eines Abtretungsvertrages hingegen kann formlos abgeschlossen werden (Art. 165 Abs. 2 OR). Die Abtretung bedarf auch hier zu ihrer Wirksamkeit weder der Zustimmung des Schuldners noch einer Anzeige an diesen (vgl. Art. 167 OR). Ebenfalls kann der Schuldner vor Erhalt einer Anzeige der Abtretung mit schuldbefreiender Wirkung an den alten Gläubiger leisten (vgl. Art. 167 OR). Einreden und Aufrechnungsrechte entfallen durch die Übertragung der Forderung nicht (vgl. Art. 169 OR). Gegenstand der Abtretung können neben bereits existierenden Forderungen auch zukünftige Forderungen sein, solange diese hinreichend bestimmbar sind12. Auch nach Schweizer Recht gilt der Grundsatz der Priorität, d.h. der Zessionar muss im Zeitpunkt der Forderungsabtretung noch verfügungsbefugt gewesen sein (Art. 164 Abs. 1 OR)13. Ist die Frage, wem die Forderung zusteht streitig, kann der Schuldner die 1 Vgl. Neumayr in ABGB-Kurzkommentar, § 1393 Rz. 1; Honsell/Heiding (a.a.O.), § 1393 Rz. 27 f. 2 Neumayr in ABGB-Kurzkommentar § 1392 Rz. 2; vgl. auch Apathy in Hadding, Die Forderungsabtretung, S. 515. 3 Dazu Neumayr, §§ 1395–1396 Rz. 1 ff. 4 Vgl. Neumayr, §§ 1395–1396 Rz. 4; Apathy in Hadding, S. 520. 5 Neumayr, §§ 1395–1396 Rz. 4. 6 Neumayr, § 1392 Rz. 2 und § 1396a Rz. 1. 7 Neumayr, §§ 1397–1399 Rz. 2, 6. 8 Neumayr, § 1392 Rz. 4. 9 Neumayr, § 1392 Rz. 7. 10 Neumayr, § 1392 Rz. 7. 11 Vgl. Lardelli in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 164 Rz. 1; Stauder/Stauder-Bilicki in Hadding, S. 773. 12 Lardelli (a.a.O.), Art. 164 Rz. 16; Rayroux/Kühni in Global Securitisation and Structured Finance 2003, S. 327–331 (328); Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, S. 248. 13 Lardelli (a.a.O.), Art. 164 Rz. 11.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 58
Teil H
Zahlung verweigern oder sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien (Art. 168 Abs. 1 OR). Da es sich bei Forfaitierungen grundsätzlich um einzelne größere Forderungen handelt, kann es im Hinblick auf eine Zahlungsunfähigkeit oder mögliche Gegenrechte des Forfaitisten ratsam sein, den Schuldner von Anfang an von der Abtretung in Kenntnis zu setzen, um somit die Gefahr einer schuldbefreienden Leistung an den alten Schuldner zu minimieren. d) Checkliste – Welches Recht ist auf die abgetretenen Forderungen anwendbar und wonach bestimmt sich das für die Übertragung maßgebende Recht? – Bedarf die Abtretung nach dem anwendbaren Recht einer besonderen Form? – Verweist das Forderungsstatut auf gesetzliche oder vertragliche Abtretungsverbote? – Welche Gegenrechte kann der Schuldner der abgetretenen Forderung dem neuen Gläubiger gegenüber geltend machen? – Ist es angesichts der Bonität des Forfaitisten sinnvoll, eine Offenlegung der Abtretung schon mit Abschluss des Forfaitierungsvertrages vorzunehmen, um sonst mögliche befreiende Zahlungen des Schuldners an den alten Gläubiger oder den möglichen Erwerb von nachträglichen Gegenrechten durch den Schuldner aus dessen Rechtsverhältnis zu dem alten Gläubiger zu verhindern? – Werden durch Verkauf und Abtretung der Forderung Steuertatbestände ausgelöst? – Welche Voraussetzungen müssen für eine gerichtliche Durchsetzung der Forderung und deren spätere Zwangsvollstreckung vorliegen?
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e) Steuerrechtliche und bilanzielle Hinweise Grundsätzlich muss geprüft werden, ob die entgeltliche Übertragung von Forderungen zu einer Auslösung von Gewinnrealisierungstatbeständen und damit zu einer Besteuerung beim Veräußerer oder Erwerber der Forderung führt. Zu dem ist zu prüfen, ob durch die Abtretung bestimmte Gebühren ausgelöst werden (z.B. Österreich: Gebühr nach § 33 GebG Tarif der Gebühren für Rechtsgeschäfte Tarifpost 21, 19 Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 2 GebG i.H.v. 0,8 % des Kaufpreises für die erworbene Forderung). Darüber hinaus kann die Veräußerung von Forderungen an Steuerausländer eine Steuerpflicht im Inland (z.B. beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c aa) EStG bei grundpfandrechtlich besicherten Darlehen) auslösen oder es können für den Verkäufer bestehende Steuerbefreiungstatbestände (z.B. nach dem anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen) entfallen.
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Bei Erwerb von Auslandsforderungen ist zudem zu prüfen, ob durch den Erwerb und den späteren Forderungseinzug oder die Verwertung von für die Forderungen bestellten Sicherheiten eine Steuerpflicht in dem Land begründet wird, in dem die Forderungen entstanden sind oder der Schuldner seinen Sitz hat oder die für die Forderung bestellten Sicherheiten belegen sind. Daher ist es in jedem Fall ratsam, die mit einem Forderungserwerb verbundenen möglichen steuerlichen Fragestellungen zuvor detailliert zu untersuchen.
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Bilanziell hängt die Frage, wer die verkaufte Forderung zu aktivieren und damit zu bilanzieren hat, davon ab, ob es sich bei der Forfaitierung um einen sog. regresslosen Verkauf handelt, also der Forderungsverkäufer dem Forderungskäufer nach dem Verkauf nur noch für den rechtlichen Bestand der verkauften Forderung, nicht aber mehr für deren Einbringlichkeit und damit die Bonität des Schuldners haftet1. Das Bonitäts-
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1 Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 5 Rz. 270 „Forfaitierung“; Schubert/Röscher in Bilanzkommentar, § 247 Rz. 112.
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Teil H Rz. 59
Finanzierung
risiko muss vollständig auf den Forfaiteur übergegangen sein. Von einem regresslosen Verkauf kann dann nicht gesprochen werden, wenn der Forfaitist dem Forfaiteur nach dem Verkauf zwar nicht für die Bonität des Schuldners, aber für die Werthaltigkeit von für die Forderung bestellten Sicherheiten einzustehen hat. Die Grundsätze der Bilanzierung bei der Forfaitierung entsprechen denen, die für das Factoring gelten1. 4. Factoring Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Allgemeines 59
Unter Factoring versteht man den laufenden Ankauf und die Übertragung von Forderungen eines Forderungsverkäufers (Factoringkunde), welche dieser gegen seine Kunden (Debitoren) hat, an einen Forderungskäufer (Factor)2. Im Gegensatz zum Forfaitierungsgeschäft handelt es sich beim Factoring um den Erwerb einer Vielzahl von zumeist kurzfristigen Forderungen des Factorkunden gegen seine Debitoren3. Dies erfolgt zumeist aufgrund eines Rahmenvertrages. Dem Factoring liegt demnach regelmäßig eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung zwischen Forderungsverkäufer und Factoring- Unternehmen zugrunde4. Bei den, dem Factoring zugrunde liegenden Einzelverträgen handelt es sich um Forderungsankäufe i.S.d. §§ 433, 453 dtBGB5. Nach der gesetzlichen Regelung des § 453 dtBGB (Rechtskauf) ist der Factoringkunde zur Übertragung der verkauften Forderung durch Abtretung (§ 398 dtBGB) verpflichtet und der Factor zur Bezahlung des vereinbarten Kaufpreises. Der Vekäufer haftet nur für die Verität der Forderung, also deren Bestand und nicht für deren Einbringlichkeit. Die Veritätshaftung des Forderungsverkäufers wird aus §§ 311a Abs. 2 Satz 1, 435, 453 dtBGB abgeleitet. Danach sind Forderungen frei von Rechtsmängeln, wenn nur nach dem Vertrag, dem die angekauften Forderungen entstammen, begründete Rechte vom Schuldner oder von Dritten geltend gemacht werden können und der Geltendmachung der Forderung keine Rechte des Schuldners oder Dritter (z.B. Anfechtungs- oder Aufrechungsrechte) entgegenstehen6. Der Forderungsverkäufer haftet dem Forderungskäufer für die Übertragbarkeit der Forderung, also auch dafür, dass keine vertraglichen oder gesetzlichen Abtretungsverbote der Abtretung entgegenstehen7.
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Beim Standardfactoring8 erfolgt die Veräußerung im Wege des regresslosen Forderungsverkaufes und der Abtretung, d.h. ohne Möglichkeit eines Rückgriffes auf den Facto1 Schubert/Röscher (a.a.O.), § 247 Rz. 112 ff.; Parmentier in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AGFinanzierung, Kapitel 1 Rz. 330 i.V.m. Rz. 322 f. 2 Vgl. Eichwald/Pehle, Die Kreditarten, in Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen, S. 787 f., s. auch Koch/Schade, FLF 2015, 136, wo der kombinierte Einsatz von Factoring, Reverse Factoring und dem sog. Finetrading dargestellt wird; s. Muster-Factoringvertrag bei Scharff in Hopt (Hrsg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, IV.O.1., Factoring, S. 1721 ff. mit Anwendungshinweisen. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris; Bauer/Seeger in Kümpel/Wittig, Rz. 13.272; Larenz/ Canaris, Schuldrecht-BT, S. 85 f.; Neumayr in ABGB Kurzkommentar, § 1392 Rz. 12. 4 Vgl. Roth/Kieninger in MünchKomm/BGB, § 398 Rz. 159; Parmentier in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung Kapitel 1 Rz. 310; Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel in Factoringhandbuch S. 5 ff. 5 BGHZ 69, 254; BGHZ 100, 353; BGH NJW 2014, 2358, OLG Frankfurt, NJW 1997, 906; Palandt/ Grünberg, BGB, § 398 Rz. 39. 6 Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 17 ff., 28; Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel, Factoring-Handbuch S. 55; Brink, WM 2003, 1353. 7 Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 20. 8 Vgl. Brink in Hagenmüller/Sommer/Brink, Handbuch des Factoring, S. 15; Hartmann-Wendels/ Moseschus/Wessel, Factoring-Handbuch, S. 7; das Standard-Factoring umfasst regelmäßig auch die Übernahme des Debitorenmanagements und ist daher regelmäßig mit einem vollumfänglichen Service des Factors verbunden. Es wird in dieser Ausstattung auch Full-Service-Factoring genannt.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 62
Teil H
ringkunden im Falle der Insolvenz eines Debitors, der damit auch bei einem Ausfall der angekauften Forderungen den gezahlten Kaufpreis endgültig behalten darf (Delkrederefunktion; echtes Factoring)1. Dem echten Factoring liegt also das gesetzliche Leitbild des § 453 dtBGB zugrunde. Der Verkäufer haftet damit nur für die Verität der verkauften Forderungen und nicht für deren Einbringlichkeit und kann den Forderungskaufpreis auch dann endgültig behalten, wenn die angekauften Forderungen ganz oder teilweise ausfallen. Factoring ohne Übernahme des Delkredererisikos (unechtes Factoring), d.h. mit der Möglichkeit der Haftung des Factoringkunden für die Einbringlichkeit der Forderung, spielt in der Praxis des deutschen Rechtsraumes eine geringere Rolle2. Beim sog. unechten Factoring steht die Finanzierungsfunktion im Vordergrund. Es fehlt an der für das echte Factoring wesentlichen Übernahme des Delkredererisikos durch den Factor. Deshalb werden die jeweiligen Einzelverträge hier regelmäßig als Kreditgeschäfte i.S.d. § 488 Abs. 1 dtBGB eingeordnet3. Da auch dem echten Factoring eine Finanzierungsfunktion zukommt, ist die Übernahme des Delkredererisikos und damit des Risikos der wirtschaftlichen Einbringlichkeit der Forderung (Bonitätsrisiko) für die Abgrenzung maßgeblich. Ob das der Fall ist, ist auf der Grundlage des jeweiligen Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung der vertraglichen Bestimmungen zu beurteilen.
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Factoringverträge zeichnen sich häufig dadurch aus, dass der Factorkunde sich verpflichtet, dem Factor während der Dauer des Factoringvertrages auch seine künftigen Forderungen jeweils nach deren Enstehen zum Kauf anzubieten, während der Factor nur unter den vereinbarten Bedingungen zum Ankauf verpflichtet ist. Die Abtretung erfolgt je nach Vertragsgestaltung bereits mit Abschluss des Factoringvertrages entweder aufschiebend bedingt durch den Ankauf oder auflösend bedingt durch den Nichtankauf. Ein solche bedingte Abtretung hat den Vorteil, das der Factor dann gegen anderweitige Verfügungen des Forderungsverkäufers geschützt ist (§ 161 Abs. 1 dtBGB).Teilweise ist auch eine Globalabtretung aller genwärtigen und künftigen Forderungen vorgesehen mit der Verpflichtung des Factors zur Rückabtretung der Forderungen, die nicht angekauft werden4. Wird dem Anschlusskunden (Forderungsverkäufer) das Recht eingeräumt, vom Factor die Zahlung von Kaufpreisvorschusszahlungen verlangen zu können, wenn die Fälligkeit des Kaufpreises an die Fälligkeit der Forderungen geknüpft ist, führt dies aufgrund des freien Leistungsbestimungsrechtes nach § 271 dtBGB nicht dazu, dass das Factoring dann in ein Kreditgeschäft und einen echten Forderungsankauf aufzuspalten ist5. Es bleibt bei einem einheitlichen Factoringgeschäft.
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Die Abtretung der Forderung wird beim Factoring grundsätzlich dem Debitor angezeigt. Auf die Anzeige wird nur dann verzichtet, wenn es sich bei dem Factoringkunden um ein Unternehmen mit zweifelsfreier Bonität und einem gut funktionierenden Forderungs- und Debitorenmanagement handelt6. 1 Vgl. BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris; Larenz/Canaris, S. 85; Rossbach in Kümpel/Wittig, Rz. 11.304. 2 Rossbach in Kümpel/Wittig, Rz. 11.305; Jährig/Schuck/Rösler/Woite, Handbuch des Kreditgeschäfts, S. 250. 3 BGHZ 100, 353; BGH NJW 1982, 164; Palandt/Grünberg, BGB, § 398 Rz. 40; a.A. Rossbach, Rz. 11.330. 4 Rossbach, Rz. 11.318; Busche in Staudinger/BGB, Einl zu §§ 398 ff. Rz. 157, 158; vgl. auch BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris; zu beachten ist jedoch, dass der Vorrang vor möglichen Rechten der Eigentumsvorbehaltslieferanten des Forderungsverkäufers an den verkauften Forderungen aufgrund verlängerter Eigentumsvorbehaltsrechte der sog. dingliche Rechtsverzicht hinsichtlich einer solchen zur Absicherung vorgenommenen Abtretung bei Nichtankauf erforderlich ist, s. dazu Rz. 86). 5 BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris. 6 Vgl. Brink in Hagenmüller/Sommer/Brink, (a.a.O.), S. 206; Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 167.
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Teil H Rz. 63
Finanzierung
63
Neben der durch Auszahlung des Forderungskaufpreises gegebenen Finanzierungsfunktion und der Delkrederefunktion, wird regelmäßig auch das Servicing der Forderungen übernommen1. Hierunter ist das Debitoren- und Forderungsmanagement sowie die Abwicklung der ausstehenden Forderungen einschließlich Mahnwesen zu verstehen2. Die Übernahme der Servicing-Funktionen ist vor allem für kleinere und stark expandierende Unternehmen attraktiv, die auf diese Weise Ressourcen für Aufbau und Betrieb eines eigenen Debitoren- und Forderungsmanagements einsparen können. Factoringverträge enthalten damit regelmäßig auch Geschäftsbesorgungselemente i.S.v. § 675 dtBGB, so dass auftretende rechtliche Probleme, je nachdem welche Ursachen sie haben, entweder nach Kaufrecht oder den für Geschäftsbesorgungen geltenden Bestimmungen zu lösen sind.
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Durch den Verkauf der Forderungen erhält der Factoringkunde sofort Liquidität für sämtliche verkauften Forderungen. Er wird damit wirtschaftlich so gestellt, als hätten alle Debitoren ihre ausstehenden Zahlungen geleistet. Der Ankauf der Forderungen erfolgt zwar diskontiert auf den Zeitwert der Forderung sowie mit einem Risikoabschlag von oft 10 bis 20 % des jeweiligen Forderungswertes für das der jeweiligen Forderung anhaftende Bonitätsrisiko3. Jedoch werden die Sicherheitsabschläge nach Eingang der jeweiligen Forderung an den Factoringkunden ausgekehrt. In Verbindung mit neuen Forderungsankäufen führt diese Ausschüttung zu dem Effekt, dass dem Factoringkunden für neu hinzukommende Forderungen bei Nichteintritt von Ausfällen fast der vollständige Forderungswert als Liquidität zur Verfügung gestellt werden kann.
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Dieser Liquiditätseffekt ist für Unternehmen ein wesentlicher Beweggrund zum Abschluss eines Factoringgeschäftes. Mit einem Betriebsmittelkredit durch eine Bank, der durch eine Global- oder Mantelzession der ausstehenden Forderungen besichert wäre, könnte eine derart hohe Liquidität für ein Unternehmen nicht bereitgestellt werden.
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Ursache für die unterschiedliche Bewertung von abgetretenen Forderungen als Sicherheit für einen Kredit und als Deckung für den an den Factoringkunden gezahlten Kaufpreis der Forderungen ist die tatsächlich und rechtlich vorteilhaftere Position des Factors. Dieser führt im Gegensatz zu einer Bank auch das Debitoren- und Forderungsmanagement durch und kennt somit ohne zeitlichen Verzug aus eigener Anschauung die Entwicklung des Forderungsbestandes und dessen Einbringlichkeit. Darüber hinaus ist der Factor als Vollrechtsinhaber hinsichtlich der erworbenen Forderung in der Lage, diese nicht nur sicherungshalber im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zu verwerten, sondern diese im eigenen Namen in seinem normalen Geschäftsgang einzuziehen. Eine kreditgebende Bank hat zudem das Risiko, dass Debitoren an den Kreditnehmer leisten und dieser die geleisteten Zahlungen für andere Zwecke als zur Rückzahlung des von der Bank gewährten Kredites verwendet. Da beim Standardfactoring grundsätzlich die Übertragung der Forderung gegenüber dem Debitor angezeigt wird, wird dieses Verwendungsrisiko für den Factor erheblich reduziert.
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Das Factoring hat sich im englisch/nordamerikanischen Handel des 19. Jahrhunderts in der Texilindustrie entwickelt4. Heute findet das Factoringgeschäft in Deutschland und den europäischen Staaten seit seiner Verbreitung in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf Forderungen in nahezu allen Bereichen von Produktion und Dienstleistung Anwendung5. 1 Vgl. Busche (a.a.O.), Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 143; Larenz/Canaris, Schuldrecht-BT, S. 85. 2 Vgl. Brink in Hagenmüller/Sommer/Brink, (a.a.O.), S. 15; Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 166. 3 Vgl. Bette, Factoring, 2001, S. 71; Busche (a.a.O.), Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 166. 4 Vgl. Rossbach in Kümpel/Wittig, Rz. 11.302. 5 Vgl. Bette, Factoring, S. 42 f.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 71
Teil H
Seit Dezember 2008 unterliegen Unternehmen, die das Factoringgeschäft betreiben, den Erlaubnisvorbehalt durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und deren Aufsicht (§ 1 Abs. 1a Nr. 9 KWG i.V.m. § 32 Abs. 1 dtKWG), wenn Geschäftsgegenstand der laufende Ankauf von Forderungen auf der Grundlage von Rahmenverträgen mit oder ohne Rückgriff ist, was das KWG als Factoring definiert1. Alle Factoringgesellschaftern, die Factoringgeschäft i.S.v. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 9 dtKWG betreiben, sind daher erlaubnis- und aufsichtspflichtig. Wer das Factoringsgeschäft trotz Erlaubnispflicht ohne Erlaubnis nach dem KWG in Deutschland betreibt, macht sich nach § 54 dtKWG stafbar. Die Aufsicht wird von der BaFin und der Deutschen Bundesbank ausgeübt. Factoringunternehmen unterliegen damit auch bestimmten Melde- und Anzeigepflichten. Darüber hinaus müssen die Anforderungen des Geldwäschegesetzes (dtGWG) und des dtKWG zur Geldwäscheprävention beachtet werden.
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Als Finanzdienstleistungsinstitute können Factoringgesellschaften im gesamten EWR Raum tätig werden, wenn sie die grenzüberschreitende Tätigkeit der BaFin anzeigen (§ 24a Abs. 3 KWG)2. Sie können sich auf den sog. Europäischen Pass berufen und können dann in jedem Lande des EWR sogar Filialen gründen. Umgekehrt dürfen CRRKreditinstitute, die in Deutschland das aufsichtsrechtliche Factoringgeschäft betreiben wollen, aufgrund einer entsprechenden Anzeige bei ihren Aufsichtsbehörden, die dies wiederumg der BaFin in Deutschland anzeigt, ohne Genemigung durch die Bafin tätig werden (§ 53b KWG)3. Für Factoringgesellschaften eröffnet das strategische Möglichkeiten, zumal viele Länder diese Tätigkeit als Bankgeschäfte ansehen. Alle andern ausländischen Unternehmen bedürfen für das Factoringgeschäft, wenn dieses in Deutschland betrieben werden soll, einer Erlaubins der BaFin (§ 32 Abs. 1 KWG).
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Weitere Einzelheiten zum Bankaufsichtsrecht für Factoringsgesellschaften vorstehend unter Forfaitierung Rz. 46, 47. aa) Auslandsfactoring: Export- und Importfactoring Diese Struktur dient dazu, Forderungen aus Exportgeschäften, deren Debitoren im Ausland ansässig sind, einem Forderungsverkauf zuzuführen. Beim Export-Factoring veräußert der Factoringkunde, der Forderungen gegenüber Debitoren mit Sitz im Ausland hat, seine Forderungen an einen im Inland ansässigen Factor (Export-Factor), der auch das Delkredere übernimmt4. Wesentlich für den Erfolg dieses Geschäfts ist die Kenntnis der Bonität des ausländischen Drittschuldners und die Beachtung des dort anwendbaren regelmäßig ausländischen Zessions- und Einzugrechts. In der Praxis tritt der ExportFactor deshalb häufig seinerseits die ihm übertragenen Forderungen an einen im Land des Debitors ansässigen Factor (Import-Factor) ab, der wiederum im Verhältnis zum Export-Factor das Delkredererisiko übernimmt. Der Import-Factor führt dann den Einzug der Forderungen durch und leitet die eingezogenen Beträge an den Export- Factor weiter5.
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Das Import-Factoring ist die spiegelbildliche Erscheinungsform des Export-Factoring. Hier übernimmt das deutsche Export-Unternehmen von einem ausländischen Korrespondenz-Factor Forderungen eines ausländischen Exporteurs gegen einen deutschen Importeur6.
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1 Moseschus/Wessels/Schuck, FLF 2009, 109, 113 ff.; Weber/Seifert in Luz/Neus/Schaber u.a., KWG und CRR, Bd. 1, § 1 KWG, Rz. 74 sowie BaFin Merkblatt – Hinweise zum Tatbestand des Factoring, Stand 1/2009; Schäfer (a.a.O.) KWG Kommentar, § 1 KWG Rz. 150a ff. 2 Leistikow in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 1, KWG und CRR, § 24a KWG Rz. 5; zum alten Recht Rossbach in Kümpel/Wittig, Rz. 11.316; Braun in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, § 24a KWG Rz. 6. 3 Rossbach, Rz. 11.316; wegen der Einzelheiten Leistikow, KWG § 53b Rz. 6 ff. 4 Vgl. Rossbach, Rz. 11.307. 5 Rossbach, Rz. 11.309. 6 Vgl. Rossbach, Rz. 11.310.
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Teil H Rz. 72
Finanzierung
Der Vorteil dieser Korrespondenz-Struktur liegt darin, dass der Import-Factor die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Land des Debitors regelmäßig besser kennt als der Export-Factor oder der Factorkunde. Insbesondere das Mahnwesen und eine gerichtliche Geltendmachung der Forderungen sind auf diese Weise effizienter durchzuführen. Die Kooperation im Korrenspondenz-Factor-System kann durch Unterschiede bei den Zinsen und Wechselkursen in den beteiligten Ländern zudem zu Vorteilen bei der Refinanzierung des Factorkunden führen. Für den Factoringkunden wird es regelmäßig ratsam sein, damit verbundene Zins- und Währungsrisiken durch eine entsprechende Absicherung (z.B. Zins-Swap) abzusichern. bb) Direkt Importfactoring 72
Hierbei lässt sich der im Land des Factorkunden ansässige Factor die aus einem Exportgeschäft des Factorkunden stammenden im Ausland belegenen Forderungen übertragen, ohne im Ausland einen weiteren Factor einzuschalten. Er übernimmt dabei selbst den Einzug der Forderungen im Ausland. Bei einer Delkredereübernahme verzichtet der Factor damit auf die weitere Absicherung seines Risikos durch einen Import-Factor (zur Anwendbarkeit der Ottawa-Konvention s. Rz. 101 ff.)1. cc) Inhouse-Factoring
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Sofern der Factorkunde für den Einzug der Forderungen nicht auf die Servicefunktion des Factors (d.h. den Einzug der Forderungen durch den Factor) zurückgreift, spricht man von Inhouse-Factoring2. Da der Factor die Forderungen nicht selbst verwaltet und einzieht, sondern vorrangig neben der Übernahme des Ausfallrisikos eine Finanzierungsfunktion übernimmt, ist er bei der Auswahl der zum Erwerb angebotenen Forderungen und deren Einzug auf die Forderungsdaten des Factoringkunden angewiesen. Ein solches Vorgehen ist für den Factor risikotechnisch nur zu handhaben, wenn es sich bei dem Factoringkunden um ein Unternehmen mit einwandfreier Bonität und einem gut funktionierenden Forderungs- und Debitorenmanagement handelt. Darüber hinaus sollte sich der Factor ausreichende Kontrollrechte ausbedingen und jederzeit zur Übernahme des Forderungseinzuges in der Lage sein. b) Internationales Privatrecht
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Das Rechtsverhältnis zwischen Factoringkunde und Factor3 bestimmt sich bei Fehlen einer Rechtswahlvereinbarung durch objektive Anknüpfung nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Das ist bei Unternehmen der Ort, an dem der Factor seine Hauptverwaltung oder, wenn der Factoringvertrag von einer Niederlassung des Factors abgeschlossen wird, dort wo sich die Niederlassung befindet, da dieser mit dem Einzug und die Finanzierungsübernahme die vertragscharakteristische Dienstleistung (vgl. Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO, s. Rz. 48)4. Das gilt im Ergebnis auch für das unechte Factoring und würde selbst dann gelten, wenn man auf die Dienstleistungen des Factors abgestellen würde (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit.b Rom I-VO)5. Hingegen wird das Verhältnis zwischen Factor und Debitor regelmäßig von dem Recht bestimmt, dem der Vertrag unterliegt, aus dem die abgetretene Forderung entstanden 1 Vgl. Ferrari in MünchKomm/HGB, Art. 2 FactÜ Rz. 14; Hartmann-Wessels/Moseschus/Wessel, S. 7. 2 Vgl. Erne in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 5 Rz. 93; Hartmann-Wessels/Moseschus/Wessel, S. 7. 3 Vgl. grundsätzlich dazu Ferrari in MünchKomm/HGB, Bd. 6, FactÜ, S. 1845 ff. 4 Freitag in Reithmann/Martiny Rz. 6.626. 5 Freitag in Reithmann/Martiny Rz. 6.627.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 76
Teil H
ist (Art. 14 Rom I-VO, sog. Forderungsstatut). Sollte die Ottawa-Konvention auf den Factoringvertrag Anwendung finden1, dann gehen diese Regelungen den Regelungen der Rom I-VO im Range vor, da es sich hierbei um sog. Einheitsprivatrecht handelt (zum UNCITRAL-Abkommen s. nachfolgend Rz. 104 f.). Die Bestimmung des anwendbaren Rechts hat dann nach den Regelungen des UNCITRAL-Abkommens zu erfolgen. c) Materiell rechtliche Besonderheiten aa) Zivilrechtliche Übertragung von Forderungen und Refinanzierungsregister Die Möglichkeit zu einer praktikablen und schnellen Übertragbarkeit der Forderung ist Voraussetzung des Factoring. Vor allem aufwendige Benachrichtigungspflichten, Eintragungen in ein öffentliches Register oder vergleichbare Hemmnisse für die freie Übertragbarkeit von Forderungen stehen einer wirtschaftlich sinnvollen Anwendung dieses Finanzierungsinstrumentes entgegen. Auch wenn das deutsche, österreichische und schweizerische Recht grundsätzlich keine Notwenigkeit der Einbindung des Schuldners der verkauften Forderung in den Forderungsverkauf und die Übertragung der Forderung auf den Factor verlangt, ist diese Frage nach etwa zu beachtenden formellen Anforderungen immer wieder für jedes Recht zu prüfen. So sieht das schweizerische Recht vor, dass die Abtretung schriftlich zu erfolgen hat (Art. 165 Abs. 1 OR). Da Factoringverträge grundsätzlich sowieso schriftlich abgeschlossen werden, ist das jedoch kein Problem für die Praxis. Etwas anders gilt bei gesetzlichen oder vertraglichen Abtretungsverboten2 oder dann, wenn der Forderungsankauf ein unechtes Factoring darstellen und damit als Kreditgeschäft angesehen werden könnte, wenn dadurch für die Abtretung besondere Formvorschriften anwendbar werden3. Beim unechten Factoring geht es dann auch um die Frage der Wirksamkeit der Abtretung und die Stellung des Factors in der Insolvenz des Forderungsverkäufers. Nach deutschem Recht sind Forderungen, die nicht pfändbar sind, auch nicht abtretbar (§ 400 dtBGB). Darüber hinaus kann die Abtretung vertraglich ausgeschlossen werden (§ 399 dtBGB).
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Mit der Einführung des Refinanzierungsregisters (§§ 22a–22o dtKWG) kann sich der Factor, wenn dieser ein Kreditinstitut ist (Refinanzierungsmittler), durch Eintragung der angekauften Forderungen und etwa dafür bestellter Grundpfandrechte in ein für den Forderungsverkäufer (Refinanzierungsunternehmen) geführtes Refinanzierungsregister eine zusätzliche Rechtssicherheit verschaffen. Eintragungsfähig sind nur Forderungen, die das Refinanzierungsunternehmen bereits besitzt, die also bereits entstanden sind (§ 22a Abs. 1 dtKWG). Refinanzierungsunternehmen kann jedes Unternehmen sein, das Forderungen an Kreditinstitute, Versicherungen und Pensionsfonds oder Pensionskassen verkauft (§ 1 Abs. 24 dtKWG). Eine Eintragung in das Refinanzierungsregister ist jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Forderungsabtretung oder Sicherungsübertragung. Mit der Eintragung der verkauften Forderungen und der dafür bestellten Grundpfandrechte in das Refinanzierungsregister kann der Forderungskäufer die verkauften Forderungen und die für die angekauften Forderungen
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1 UNIDROIT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Factoring v. 28.5.1988 BGBl. II 1998, 172, Text online abrufbar unter: http://www.unidroit.org/english/conventions/1988fac toring/main.htm; Parmentier in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung Kapitel 1 Rz. 321. 2 Das Gesetz sieht in bestimmten Fällen Abtretungsverbote vor, wenn es um den besonderen Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger geht, so z.B. für Honorarforderungen von Anwälten in § 49b Abs. 4 dtBRAO; bei ärztlichen Honorarforderungen verstößt die Abtretung ohne Einwilligung der Patienten gegen die ärztliche Schweigepflicht gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1 dtStGB und ist deshalb nach § 134 BGB nichtig, dazu BGH v. 10.7.1991 – VIII ZR 296/90, BGHZ 115, 123. 3 Vgl. z.B. zum österreichischen Recht, das in diesem Fall die Formvorschriften der Pfandrechtbestellung auch auf die Abtretung anwendet, dazu Neumayr in ABGB Kurzkommentar, § 1392 Rz. 7.
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bestellten Grundpfandrechte auch dann im Verhältnis zum Forderungsverkäufer und dessen Gläubiger insolvenzfest erwerben, wenn die Forderungen wegen mündlicher oder konkludenter Abtretungsausschlüsse eigentlich gem. § 399 dtBGB nicht abtrebar sind (§ 22d Abs. 4 dtKWG)1. Bei der Übertragung von Buchgrundpfandrechten hat die Eintragung der Forderungsabtretung mit der Übertragung der dafür bestellten Buchgrundpfandrechte den zusätzlichen Vorteil, dass die für den rechtswirksamen Übergang von Buchgrundpfandrechten sonst erforderliche Umschreibung im Grundbuch nicht erforderlich ist. Damit sollte die Refinanzierung von Kreditinstituten erleichtert werden, die eine Vielzahl von Buchgrundpfandrechten in den Büchern haben und diese z.B. aus Kostengründen oder weil die Grundpfandrechte noch andere Forderungen sichern, auf den Forderungskäufer nicht übertragen können oder wollen. Ohne Eintragung in das Refinanzierungsregister, hätte der Forderungskäufer bis zur Überragnung des Buchgrundpfandrechtes nur einen schuldrechtlichen Übertragunganspruch, der in der Insolvenz des Forderungsverkäufers nur eine einfache Insolvenzforderung begründen würde. Gegenstände, die ordnunggemäß im Refinanzierungsregister eingetragen wurden, können dagegen nach § 47 dtInsO ausgesondert werden (§ 22j Abs. 1 dtKWG)2. Das gleiche gilt für Gegenstände, die an die Stelle der eingetragenen Gegenstände treten (§ 22j Abs. 1 Satz 2 dtKWG). Zu beachten ist, dass dies nur insoweit gilt, wie deutsches Insolvenzrecht Anwendung findet. Der Übertragungsberechtigte kann zudem gegen Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung von Dritten, die seine eingetragenen Rechte beeinträchtigen, im Wege der Drittwiderspruchsklage (§ 771 dtZPO) vorgehen und so seine Rechte schützen (§ 22j Abs. 1 Satz 3 dtKWG). Der Übertragungsverpflichtete kann gegen den Übertragungsanspruch des Übertragungsberechtigten keine Aufrechnungs- oder Zurückbehaltngsrechte geltend machen, sondern wird so behandelt, als ob die Übertragung bereits mit Eintragung in das Refinanzierungsregister wirksam erfolgt wäre (§ 22j Abs. 3 dtKWG). Es können auch ausländische Forderungen eingetragen und dem Schutz des Refinanzierungsregisters unterstellt werden3. Die Registereintragung schützt den Forderungskäufer jedoch nicht vor vertragswidrigen Verfügungen des Forderungsverkäufers, da dieser bis zur tatsächlichen Rechtsübertragung als Rechtsinhaber weiter verfügungsberechtigt bleibt (vgl. § 137 dtBGB)4. Deshalb kommt die Eintragung ins Refinanzierungsregister in der Praxis vor allem dann in Betracht, wenn es sich bei den Forderungsverkäufern um Kreditinstitute oder Unternehmen handelt, die über eine sehr gute Bonität oder hohe Vertrauenswürdigkeit verfügen. Durch die Registrierung werden Einreden und Einwendungen Dritter gegen die eingetragenen Forderungen und Rechte grundsätzlich nicht eingeschränkt (§ 22j Abs. 2 dtKWG). Darüber hinaus bleiben Anfechtungsrechte nach dem Anfechtungsgesetz oder §§ 129 bis 147 dtInsO erhalten (§ 22j Abs. 3 Satz 2 dtKWG). bb) Forderungsabtretung und Sicherungsrechte (1) Eigentumsvorbehalt 77
Vor allem in Deutschland werden bewegliche Sachen regelmäßig unter Eigentumsvorbehalt verkauft, d.h. der Verkäufer einer beweglichen Sache behält sich das Eigentum daran bis zur vollständigen Zahlung des vereinbarten Kaufpreises vor. In diesem Fall erfolgt der Eigentumsübergang auf den Käufer aufschiebend bedingt erst durch die vollständige Kaufpreiszahlung (§ 449 Abs. 1 dtBGB, sog. einfacher Eigentumsvorbehalt). In 1 Brandt in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 1, KWG und CRR, §§ 22a–22o KWG Rz. 12; Tollmann in KWG Kommentar, § 22d KWG Rz. 24 ff. zur Eintragungsfähigkeit trotz vertraglichem Abtretungsverbot; zu beachten ist, dass sonstige Abtretungsausschlüsse nach §§ 399, 400 dtBGB einer Eintragung entgegenstehen. 2 Brandt, §§ 22a–22o KWG Rz. 8ff; Tollmann, § 22j KWG Rz. 13 ff. 3 Tollmann in Kreditwesengesetz Kommentar, § 22a KWG Rz. 5. 4 Tollmann, § 22j Rz. 1 a.E.
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der Praxis gibt es in den Grenzen von § 449 Abs. 3 dtBGB (Verbot des sog. Konzernvorbehaltes) verschiedene Erweiterungsformen, die den Eigentumsübergang z.B. von der Zahlung aller Forderungen des Verkäufers abhängig machen1. Soweit Forderungen aus dem Verkauf von beweglichen Sachen durch den Factor angekauft werden, sollte der Factor daher darauf achten, dass dieser neben dem Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufpreises auch die zu dessen Absicherung bestehenden Eigentumsvorbehaltsrechte mitübertragen erhält. Voraussetzung für den Übergang des Vorbehaltseigentums auf den Erwerber der Forderung ist, dass der Veräußerer der Forderung hinsichtlich der von ihm gelieferten Kaufgegenstände nach § 449 BGB (oder den entsprechenden Vorschriften eines anderen anwendbaren Rechts) einen Eigentumsvorbehalt wirksam vereinbart hat. Die Übertragung sollte ausdrücklich schriftlich erfolgen, um spätere Streitigkeiten darüber zu vermeiden, ob die Rechte mit übergehen sollten. Dies ist sinnvoll, da der gesetzliche Übergang der mit der verkauften Forderung bestehenden Neben- und Sicherungsrechte nach § 401Abs. 1 dtBGB nur für die darin genannten akzessorischen Sicherungsrechte gilt2. Rechte aus dem Eigentumsvorbehalt fallen nicht darunter, da es sich hierbei nicht um akzessorische Sicherungsrechte i.S.v. § 401 Abs. 1 dtBGB handelt. Angesichts der Gefahr von Verfügungen über diese Rechte durch den Forderungsverkäufer, der Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger des Verkäufers auf diese Rechte oder der Anfechtungsfristen in der Insolvenz des Forderungsverkäufers, reicht es nicht aus, dass der Verkäufer schuldrechtlich zur Übertragung der für die verkauften Forderungen bestellten nicht akzessorischen Neben- und Sicherungsrechte auf den Forderungskäufer analog § 401 dtBGB verpflichtet ist3. Der Forderungskäufer ist erst dann gegen nachteilige Verfügungen geschützt, wenn die von ihm benötigten Neben- und Sicherungsrechte, die nicht kraft Gesetzes automatisch mit der Forderungsabtretung auf ihn übergehen, tatsächlich wirksam auf den Forderungskäufer übertragen wurden. Die Vollziehung der Übertragung der Rechte aus einem vom Verkäufer (Forderungsverkäufer) mit dem Käufer (Schuldner) vereinbarten Eigentumsvorbehalt hat nach dem auf den zu übertragenden Gegenstand (Sache, Forderung) anwendbaren Recht zu erfolgen. Zu übertragende Rechte sind (a) das dem mit dem Erwerbsrecht des Käufers belastete Eigentumsrecht des Forderungsverkäufers an der verkauften beweglichen Sache und (b) die für die verkaufte Forderung bestehenden Sicherheiten aus einem verlängerten Eigentumsvorbehalt. Da der Verkäufer die verkaufte Sache aufgrund des Eigentumsvorbehaltes vom Käufer nur herausverlangen kann, wenn er vom Kaufvertrag zurückgetreten ist (§ 449 Abs. 2 dtBGB), sollte sich der Forderungskäufer auch die Gestaltungsrechte und die damit verbundenen sonstigen Rechte (insbesondere Rücktrittsrechte und Schadensersatzrechte) aus dem Kaufvertrag mit abtreten lassen, damit er bei Zahlungsverzug nach erfolgloser Fristsetzung das Rücktrittsrecht selbst ausüben und die verkaufte Sache zur eigenen Verwertung herausverlangen oder, wenn das nicht möglich ist, Wertersatz verlangen kann (§§ 449 Abs. 2, 323, 346 dtBGB). Die Übertragung des Eigentumsrechts an der verkauften Sache hat nach den Vorschriften zu erfolgen, die für die Übertragung des Eigentums an beweglichen Sachen gelten (§§ 929, 931 ff. dtBGB). Nach deutschem Recht unterliegen Rechte an einer Sache grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet (Art. 43 Abs. 1 dtEGBGB, lex rei sitae). Soweit sich also die Sachen, an denen die mit zu übertragenden Eigentumsvorbehaltsrechte bestehen, im Inland befinden gilt deutsches Recht. Werden diese später ins Ausland geliefert, so ist das dann zur Anwendung kommende ausländische Recht zu beachten, da nach deutschem Recht in diesem 1 Zu den verschiedenen Formen des Eigentumsvorbehaltes s. Palandt/Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 16 ff. 2 Palandt/Grünberg, BGB, § 401 Rz. 5. 3 Zur Verpflichtung des Forderungsverkäufers analog § 401 BGB auch nicht akzessorische Sicherheiten auf den Forderungskäufer zu übertragen s. BGH NJW 1981, 1554; BGH NJW 1990, 903; Palandt/Grünberg, BGB, § 401 Rz. 5.
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Finanzierung
Fall Rechte an der Sache nicht im Widerspruch zum ausländischen Recht ausgeübt werden können (Art. 43 Abs. 2 dtEGBGB)1. Auf der anderen Seite gelten im Ausland vorgenommene Rechtshandlungen in Deutschland wie in Deutschland vorgenommen, wenn die Sache vom Ausland nach Deutschland verbracht wird (Art. 43 Abs. 3 dtEGBGB)2. Einzelheiten des IPR der Mobiliarsicherungsrechte unten Rz. 714 ff. 78
Bei einer Kollision mit ausländischem Recht (z.B. durch die Verbringung der durch den Factorkunden an ausländische Debitoren verkauften Gegenstände ins Ausland), kann sich die Frage ergeben, ob die im Kaufvertrag vereinbarten Eigentumsvorbehaltsrechte nach dem jeweils zur Anwendung kommenden Recht der Belegenheit der Sache wirksam bestellt und damit das Eigentum wirksam auf den Forderungskäufer übertragen wurde oder ob durch die Verbringung ins Ausland das Eigentum wieder erloschen ist. Das richtet sich dann nach dem im internationalen Sachenrecht allgemein geltenden Grundsatz der Maßgeblichkeit der lex rei sitae nach dem Recht des Staates, in dem die Sache belegen ist, zumal in diesem Staat ja auch die Rechte auszuüben sind3. Der Forderungsschuldner ist, besonders wenn er als Zwischenhändler fungiert, häufig im Wege der Genehmigung nach § 185 Abs. 1 dtBGB durch den Forderungsveräußerer berechtigt, das Eigentum an den Kaufgegenständen wirksam zu übertragen, sofern der Erlös aus einem Weiterverkauf dem ursprünglichen Eigentümer zufließt. Fehlt die Genehmigung zur Weiterübertragung des Eigentums durch den Forderungsveräußerer, etwa weil der Verkaufserlös aus der Weiterveräußerung der Kaufgegenstände nicht zur Bezahlung des Kaufpreises an den Forderungsverkäufer verwendet wurde, so besteht dennoch die Gefahr, dass der Forderungsschuldner durch Verfügung über den Kaufgegenstand einen gutgläubigen Erwerb nach § 932 dtBGB durch einen Dritten herbeiführt4. Mit einem solchen gutgläubigen Erwerb entfallen sämtliche Sicherungsrechte des neuen Forderungsinhabers an den Kaufgegenständen. Sind andere Rechtsordnungen anwendbar, sind entsprechende Prüfungen vorzunehmen5. (2) Globalabtretung
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Für den Fall, dass der Forderungsverkäufer die angekauften Forderungen zu Finanzierungszwecken bereits rechtswirksam an Dritte (z.B. an eine Bank als Kreditsicherheit) einzeln oder global abgetreten hat, kann ein potentieller Factor die Forderungen nicht mehr rechtswirksam erwerben6. Es gilt hier der Grundsatz der Priorität, wonach derjenige, zu dessen Gunsten zuerst eine Abtretung der Forderung erfolgt, auch rechtswirksam Inhaber der Forderung wird7. Damit sind alle zeitlich später erfolgenden Abtretungen des alten Forderungsinhabers hinsichtlich dieser Forderung unwirksam. Eine Ausnahme besteht nur insoweit, als Unwirksamkeitsgründe bei der Erstabtretung vorliegen8 (z.B. Sittenwidrigkeit nach § 138 dtBGB wegen Übersicherung oder unangemessener Benachteiligung des Zedenten nach § 307 Abs. 2 dtBGB). 1 Zum vergleichbaren österreichischen Recht vgl. § 31 öIPRG und dazu Neumayr in ABGB Kurzkommentar, § 31 IPRG Rz. 3 ff. 2 Dazu Palandt/Thorn, BGB, EGBGB Art. 43 (IPR) Rz. 1 ff. sowie Rz. 8 speziell zum Eigentumsvorbehalt beim internationalen Versendungskauf. 3 Dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.146; vgl. auch Art. 43 Abs. 2 dtEGBGB. 4 Vgl. Palandt/Bassenge, BGB, § 932 Rz. 12: u.U. im Einzelfall mangelnde Gutgläubigkeit; es ist mit dem üblicherweise vereinbarten Eigentumsvorbehalt (des Vorlieferanten) zu rechnen. 5 Eine Länderübersicht ist zu finden bei Martiny in Reithmann/Martiny, vor Rz. 6.138. 6 Wolff in Klang, VI 288; Apathy in Hadding, Die Forderungsabtretung, S. 517; Grüneberg (a.a.O.), § 398 Rz. 27, 39. 7 Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 13; Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 32BGHZ 75, 394 ff.; 30, 149, 151; 32, 360 (363). 8 Apathy in Hadding, S. 517; s. aber Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 185, wonach der Vorbehaltsverkäufer auch im Fall einer zur Veräußerung an enen Factor berechtigt sein soll und ein von der Bank verlangtes Abtretungsverbot gegen § 307 dtBGB verstoßen soll, zumindest bei regresslosem Forderungsverkauf.
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Es muss daher bei einem Forderungsverkauf sichergestellt sein, dass keine Globalabtretung oder sonstige Abtretung zugunsten Dritter (z.B. Banken) besteht. Sollte eine Globalzession zugunsten einer Bank bestehen, hat diese den Verkäufer ausdrücklich zum Verkauf und zur Abtretung der Forderungen zu ermächtigen oder die Globalzession freizugeben. Entsprechendes gilt für Einzelabtretungen zugunsten eines Dritten. Zwar wird vertreten, dass die Abtretung an den Factor wirksam ist, wenn der Anschlusskunde (Kreditnehmer) als Gegenleistung den ungeschmälerten Gegenwert der Forderung bezogen auf den Zeitpunkt der Abtretung erhalten hat1. In einem solchen Fall soll die Einzugsermächtigung des Geldkreditgebers (Bank) dahingehend auszulegen sein, dass der Geldkreditgeber nur gegen die Schmälerung der Sicherungssubstanz, nicht aber gegen die Änderung der Zusammensetzung geschützt sein will und soll2. Eine derartige Auslegung scheidet aber aus, wenn der Zessionar (Bank) in der Globalabtretung ausdrücklich eine Weiterabtretung ausgeschlossen hat. Darüber hinaus ist unklar, wie hoch die erlaubten Abzüge für Zinsen, Risikoprämie und Kosten sein dürfen3. Zur Vermeidung von späteren Streitigkeiten, sollte sich der Factor die Erlaubnis des Anschlusskunden zum Forderungsverkauf daher schriftlich vom Inhaber einer zeitlich vorgehenden Abtretung bestätigen lassen. Der Factor sollte es jedoch vermeiden, mit der Bank zu vereinbaren, den Kaufpreis für die angekauften und von der Bank aus der Globalzession entlassenen Froderungen an die Bank oder auf das Kreditkonto des Forderungsverkäufers bei der Bank zur Kreditrückzahlung zu überweisen, da dies dazu führt, dass der Factor dadurch den Vorrang gegenüber den Vorbehaltslieferanten der Forderungsverkäufers verliert4.
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(3) Verlängerter Eigentumsvorbehalt Wurden die von dem Factor erworbenen Forderungen vom Factoringkunden bereits vorher an einen Lieferanten im Wege des verlängerten Eigentumsvorbehaltes wirksam abgetreten, ist zwar prinzipiell ebenfalls vom Grundsatz der Priorität auszugehen5. Aufgrund der in den Eigentumsvorbehaltsbedingungen regelmäßig zugunsten des Vorbehaltskäufers/Forderungsverkäufers vereinbarten Einzugsermächtigung soll die zeitlich spätere Abtretung an den Forderungskäufer bei einem regresslosen Forderungsverkauf gegenüber Abtretungen im Rahmen eines sog.verlängerten Eigentumsvorbehaltes jedoch wirksam sein. Eine solche Abtretung soll durch das dem Vorbehaltskäufer vom Vorbehaltsverkäufer eingeräumte Verfügungsrecht über den Vorbehaltsgegenstand und das Recht zum Einzug des Gegenwertes (Kaufpreis) gedeckt sein6. Der Vorbehaltsverkäufer steht in diesem Fall wirtschaftlich nicht wesentlich schlechter als beim Barverkauf dar7. Bei Bestehen einer Einzugsermächtigung des Forderungsverkäufers (§ 185 Abs. 1 dtBGB) nach der Weiterveräußerung der Vorbehaltsware, besteht für den Vorbehaltslieferanten ebenfalls das Verwendungsrisiko hinsichtlich der eingezogenen Beträge8. Aufgrund der 1 BGH NJW 1982, 571; a.A. Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39 mit Verweis auf BGH NJW 1980, 772 (Grundsatz der Priorität). 2 Vgl. Busche (a.a.O.), § 398 Rz. 32 zur Möglichkeit der Genehmigung durch den ersten Zessionar nach § 185 dtBGB. 3 Vgl. BGH, NJW 1980, 772, wo ein Abzug von 16,5 % als zu hoch angesehen wurde. 4 Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39. 5 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht-BT, S. 97; BGHZ 88, 205 (206); Rossbach in Kümpel/Wittig Rz. 11.333; zum österreichischen Recht Neumayr in ABGB-Kurzkommentar, § 1393 Rz. 12,8. 6 Die Einzugsermächtigung kann vom Vorbehaltslieferanten nicht ohne Grund widerrufen werden, dazu Roth/Kieninger in MünchKomm/BGB, § 398 Rz. 18; a.A. wohl BGH, NJW 1982, 572. 7 „Barkauftheorie“, Erne in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 5 Rz. 97; Busche in Staudinger/ BGB, Einl. zu §§ 398 Rz. 172; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39. 8 Vgl. BGHZ 69, 254 (258); 72, 15 (20); 82, 283 (288); BGH, Urt. v. 30.10.1990, WM 1991, 554 (556); Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39. Jud in Kreji, Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, S. 515; Apathy in Hadding, S. 520; Erne (a.a.O.), § 5 Rz. 97; zur Weiterveräußerung- und Einziehungsermächtigung des Vorbehaltskäufers s. Palandt/Ellenberger, BGB, § 185 Rz. 9.
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Teil H Rz. 82
Finanzierung
gleichen Interessenlage sollte dies jedoch beim echten Factoring zugunsten des Factors auch für zeitlich vorgehende andere Abtretungen gelten (z.B. im Rahmen einer Globalzession), wobei jedoch auch in diesen Fällen darauf zu achten ist, dass der Factor die Interessen der anderen Gläubiger gleich den Interessen des Vorbehaltslieferanten für den Fall des Nichtankaufs durch eine sog. dingliche Verzichtskausel angemessen berücksichtigt1. Damit ist es erforderlich, dass der Forderungsverkäufer einen angemessenen Kaufpreis erhält, wobei ein angemessener Sicherheitseinbehalt als zulässig anzusehen ist2. Der Kaufpreis sollte zudem über der gesicherten Forderung des Vorbehaltsverkäufers liegen, um später mögliche Einwände eines zu niederigen Kaufpreises zu vermeiden3. 82
Voraussetzung ist weiterhin, dass der für den Kauf der Forderung gezahlte Kaufpreis an den Forderungsverkäufer gezahlt wird und der Forderungskäufer über den Forderungskaufpreis frei verfügen kann4. Problematisch wäre es, wenn der Kaufpreis auf Weisung des Forderungsverkäufers mit Kenntnis des Forderungskäufers an einen Dritten (z.B. kreditgebende Bank des Forderungsverkäufers zur Schuldentilgung) gezahlt würde. Der Forderungskäufer kann, um seinen Vorrang zu behalten, sogar verpflichtet sein, Schutzmaßnahmen zugunsten des Vorbehaltslieferanten zu ergreifen (z.B. Zahlung auf Sperrkonto), wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass der Forderungsverkäufer seinen Pflichten diesem gegenüber nicht nachkommt5.
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Im Übrigen muss es sich tatsächlich um ein echtes Factoring handeln. Dies ist dann der Fall, wenn der Forderungskäufer das Risiko der Einbringlichkeit der Forderung übernimmt6. Es dürfen deshalb keine Abreden erfolgen, die eine Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos der Einbringlichkeit der Forderung vom Forderungskäufer auf den Forderungsverkäufer zur Folge haben. Mit einer derartigen Risikoverlagerung würde wirtschaftlich lediglich ein unechtes Factoring erzielt, das wirtschaftlich und rechtlich letztlich als ein besicherter Kredit anzusehen wäre7. Deshalb sind Abtretungen im Rahmen eines unechten Factorings grundsätzlich unwirksam gegenüber einer Abtretung des Forderungsverkäufers gegenüber seinen Vorbehaltslieferanten im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes8.
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Das Risiko der Einbringlichkeit der Forderung liegt beim Käufer, wenn der Verkäufer den Kaufpreis der Forderungen endgültig behalten darf, auch wenn die Forderung durch den Schuldner nicht bezahlt wird. In der Praxis anzutreffende Kaufpreisabschläge, die zu späteren Zuzahlungen an den Verkäufer führen, sofern die Forderungen durch die Schuldner vollständig bezahlt wurden, ändern nichts am Übergang des Ausfallrisikos. Der Käufer hat den Kaufpreis (nebst einer etwaigen Zuzahlung) aus seinem eigenen 1 Rossbach in Kümpel/Wittig Rz. 11.335; vgl. auch Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 28 zur erforderlichen Ausgestaltung einer Globalzession im Konflikt zu den Rechten des Vorbehaltslieferanten beim verlängerten Eigentumsvorbehalt; diese Anforderungen gelten auch für eine Globalzession zugunsten eines Factors für die nicht regresslos angekauften Forderungen. 2 Vgl. kritisch Roth/Kieninger in MünchKomm/BGB, § 398 Rz. 164; BGHZ 82, 283. 3 Vgl. BGHZ 82, 283; Roth/Kieninger, § 398 Rz. 164. 4 Vgl. Roth/Kieninger, § 398 Rz. 176; BGHZ 100, 360; OLG Frankfurt, BB 1988, 233 ff. 5 Vgl. Roth/Kieninger, § 398 Rz. 176. 6 BGHZ 69, 254 (257); 72, 20; Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., Bd. II, § 102 Rz. 19; Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 146; Schäfer in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, § 1 KWG Rz. 51. 7 Vgl. BGHZ 82, 50 (61); OLG Koblenz, Urt. v. 10.11.1987, WM 1988, 45. Martinek (a.a.O.) Rz. 19 f.; Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 151. 8 BGH NJW 1982, 164; Palandt/Grünberg, BGB, § 398 Rz. 40 dort auch zur ausnahmsweisen Wirksamkeit einer auflösend bedingten Globalabtretung an den Factor; a.A. Busche in Staudinger/ BGB, Einl. Zu §§ 398 ff. Rz. 185, der auch eine Abtretung im Rahmen des unechten Factorings erlauben will, wenn der Forderungsverkäufer zum Forderungseinzug berechtigt ist und er den Kaufpreis erhält, da es auch in diesem Fall um das Verwendungsrisiko geht, das der Vorbehaltslieferant auch bei Einzug durch den Forderungsverkäufer zu tragen hat; kritisch auch Roth/Kieninger (a.a.O.), § 398 Rz. 170 ff.
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Rz. 86
Teil H
Vermögen bezahlt. Der Kaufpreis ist damit auch endgültig in das Vermögen des Forderungsverkäufers übergegangen1. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zur Finanzierung, da bei dieser der Kreditnehmer mit seinem gesamten Vermögen für die Rückzahlung des vom Kreditgeber erhaltenen Betrages haftet. Auch wenn es sich um ein echtes Factoring handelt, ist darüber hinaus zu prüfen, ob die Abtretbarkeit im Rahmen des echten Factoring durch entsprechende Klauseln im Zusammenhang mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt durch den Vorbehaltslieferanten eingeschränkt wurde. Rechtlich soll es zum Schutz des Vorbehaltslieferanten möglich sein, die Berechtigung des Vorbehaltskäufers/Forderungsverkäufers zum Forderungsverkauf an bestimmte Bedingungen (z.B. Offenlegung der Abtretung gegenüber Vorbehaltslieferanten, Mindesthöhe des frei verfügbaren Verkaufserlöses) zu knüpfen2. Werden diese Bedingungen nicht eingehalten, kann die Übertragung der dem verlängerten Eigentumsvorbehalt unterfallenden Forderungen auf den Forderungskäufer unwirksam sein3. Der § 354a dtHGB ist hier nicht anwendbar, da eine solche Vereinbarung nicht mit dem Schuldner der davon betroffenen Forderung, sondern dem alten und dem neuen Gläubiger getroffen wird4. Es geht also nicht um die Abtretbarkeit der Forderung an sich, sondern um deren erneute Abtretung durch den alten Gläubiger.
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Ein weiteres Risiko ergibt sich aus dem Widerruf der Einziehungsermächtigung des Forderungsverkäufers durch den Vorbehaltslieferanten vor Abtretung der ausstehenden Forderungen an den Forderungskäufer. In diesem Fall würde der Prioritätsgrundsatz gelten, da der Vorbehaltslieferant mit dem Widerruf der Einzugsermächtigung gerade das Verwendungsrisiko durch den Forderungsverkäufer ausschließen wollte und er mit der Übertragung der Forderung auf den Forderungskäufer dieses Risiko ungewollt wieder tragen müsste5. Selbst wenn die Abtretung an den Forderungskäufer (z.B. aufgrund einer bedingten Globalzession) dem verlängerten Eigentumsvorbehalt vorgehen sollte, kann die Abtretung an den Forderungskäufer nach der Vertragsbruchtheorie unwirksam sein, wenn sie aufgrund einer Globalabtretung erfolgte6. Deshalb hat der Factor darauf zu achten, dass die Globalabtretung zugunsten des Factors bis zur Zahlung des Forderungskaufpreises den gleichen dinglichen Teilverzicht zugunsten des Vorbehaltslieferanten enthält, der auch für Globalzessionen für Banken gilt7. Beim unechten Factoring finden die Grund1 Deshalb ist auch die Auffassung unter Hinweis auf IDW RS HFA 8 (Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen oder ähnlichen securitisation-Transaktionen, WPg 2002, 1151 ff., Heft-Nr. 21/2002; WPg 2004, 138, Heft-Nr. 4/2004) falsch, welche die Anerkennung eines regresslosen Forderungsverkaufes vom Übergang des wirtschaftlichen Eigentums i.S.d. des Handelsbilanzrechts abhängig machen will. 2 Vgl. Peters/Wiedmann, NJW 1985, 2932 (2932 f.); Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39; kritisch Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 185. 3 Vgl. Apathy in Hadding, S. 524. Martinek in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., Bd. II, § 102 Rz. 101 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 40. 4 Zum Anwendungsbereich des § 354a dtHGB s. Hopt, Handelsgesetzbuch, § 345a Rz. 1; da der Schuldner nach § 354a dtHGB jedoch auch bei Kenntnis der Abtretung weiter befreiend an den alten Gläubiger leisten darf, soll er auch berechtigt sein, trotz Kenntnis der Abtretung bis zur Erfüllung mit nach der Abtretung gegen den alten Gläubiger erworbenen Forderungen gegenüber dem alten (bei Leistung an diesen) und den neuen Gläubigern die Aufrechnung zu erklären (keine Geltung des § 406 dtBGB im Anwendungsbereich des § 354a dtHGB) so BGH NJW-RR 2005, 624; Grüneberg (a.a.O.), 406 Rz. 3; Hopt (a.a.O.), § 354a Rz. 2; a.A. Wagner WM 2010, 202, da durch die Nichtanwendung des § 406 dtBGB die Forderungsabtretung als Sicherungsmittel stark entwertet und damit der Zweck des § 354a dtHGB, die Finanzierung mittelständischer Unternehmen zu verbessern, nicht voll erreicht werden kann. 5 Vgl. Roth/Kieninger in MünchKomm/BGB, § 398 Rz. 179 f. 6 Vgl. BGH, Urt. v. 18.4.1991, NJW 1991, 2144 (2147); BGH, Urt. v. 8.12.1998, JZ 1999, 404; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 27, 28. 7 BGH NJW 1977, 2207; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 39; zum dinglichen Teilverzicht Grüneberg (a.a.O.), § 398 Rz. 28.
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Teil H Rz. 87
Finanzierung
sätze Anwendung, die für die Globalabtretung gelten, da das unechte Fctoring dem Kreditgeschäft gleichgestellt wird1. Anders als beim echten Factoring erhält der Factoringkunde hier den Kaufpreis aufgrund der weiter bestehenden Bonitätshaftung nicht endgültig, solange die verkaufte Forderung noch nicht voll eingezogen worden ist. 87
Verlängerte Eigentumsvorbehalte können auch durch allgemeine Geschäftsbedingungen des Vorbehaltsverkäufers gegenüber dem Forderungsverkäufer entstehen. Allerdings ist fraglich, ob etwaige Abwehrklauseln (z.B. „… für den Vertrag gelten ausschließlich unsere AGB …“; „… andere Bedingungen werden nicht Vertragsinhalt, auch wenn ihnen nicht ausdrücklich widersprochen wird …“) des Forderungsverkäufers zur Unwirksamkeit von Klauseln zur Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes zugunsten des Vorbehaltsverkäufers führen. Grundsätzlich führen derartige Klauseln zu einem Ausschluss der gegnerischen AGB im geschäftlichen Verkehr2. Jedoch kann ein einfacher Eigentumsvorbehalt (§ 449 BGB) als ein im geschäftlichen Verkehr wesentliches Sicherungsmittel für bewegliche Sachen nicht zu Lasten des Vorbehaltsverkäufers formularmäßig abbedungen werden, wenn dieser einen solchen nach seinen AGB vorsieht3. Daher setzen sich einfache Eigentumsvorbehalte gegenüber Abwehrklauseln grundsätzlich durch. Hinsichtlich eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes als das demgegenüber weiter gehende und speziellere Sicherungsmittel, führen die vorgenannten Abwehrklauseln jedoch dazu, dass ein verlängerter Eigentumsvorbehalt des Vorbehaltsverkäufers nicht Vertragsinhalt wird4. In diesem Fall hat der Vorbehaltskäufer jedoch bis zur Bezahlung der Ware kein Recht zur Weiterveräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware5.
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Es ist daher grundsätzlich vor Abschluss eines Factoringvertrages zu prüfen, ob verlängerte Eigentumsvorbehaltsrechte bestehen, die einer Abtretung der angekauften Forderungen entgegenstehen und ob vorstehend genannte Voraussetzungen vorliegen. Daher sollte der Factoringkunde im Ankaufvertrag gegenüber dem Factor u.a. ausdrücklich gewährleisten, dass (i) die oben aufgeführten Voraussetzungen eingehalten werden, (ii) er über den Kaufpreis frei verfügen kann, (iii) seine Verkaufs- und Einzugsberechtigung vom Vorbehaltslieferanten im Zeitpunkt des Forderungsverkaufs nicht widerrufen wurde und (iv) er den Käufer nach einem solchen Widerruf unverzüglich unter Beendigung des Verkaufes der davon betroffenen Forderungen unterrichten wird. Zur Minderung dieser Gewährleistungsrisiken sollte angestrebt werden, dass der Verkäufer zumindest von seinen größten Lieferanten die schriftliche Zustimmung zum Verkauf einholt, die nur gegenüber dem Käufer der Forderungen widerrufen werden kann. Als Alternative sollte der Verkäufer gewährleisten, Abwehrklauseln in seine allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen, die einen verlängerten Eigentumsvorbehalt ausschließen. Das stößt in der Praxis häufig auf Vorbehalte, da der Vorbehaltsverkäufer bis zur Bezahlung des Kaufpreises nicht zum Verkauf der Vorbehaltsware berechtigt sein soll6. Darüber hinaus empfiehlt es sich, den Factoringvertrag mit einer Globalzession zu unterlegen, um nachträgliche Verfügungen des Verkäufers zu Lasten des Factors zu verhindern. Die Globalzession muss die Anforderungen zum Schutz der 1 BGH WM 1987, 775 (776); Rossbach in Kümpel/Witting Rz. 11.338. 2 Vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1985, NJW 1985, 1838, 1839; BGH, Urt. v. 23.1.1991, NJW 1991, 1604 (1606); Palandt/Weidenkaff, BGB, §§ 449 Rz. 5 (auch zur Wirksamkeit von sog. Abwehrklauseln). 3 Vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 5; Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 85f., § 305 Rz. 55. 4 Vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1985, NJW 1985, 1838 (1839); Palandt/Grüneberg, BGB, § 305 Rz. 55; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 5. 5 BGH NJW-RR 1986, 1378; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 5. 6 Palandt/Weidenkaff, BGB, § 449 Rz. 5.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 90
Teil H
Vorbehaltslieferanten erfüllen, um wirksam zu sein, die für die Globalzession vom Banken gelten1. Sofern die für einen regresslosen Verkauf in Betracht kommenden Forderungen nicht dem deutschen Recht unterliegen, müssen diese Fragen nach dem jeweils anwendbaren lokalen Recht oder etwa anwendbaren internationalen Abkommen untersucht werden2. (4) Forderungen aus Kontokorrentverhältnissen Bankkonten werden regelmäßig als Kontokorrentkonten gem. § 355 Abs. 1 dtHGB geführt und auch bei Handelsforderungen liegen häufig Kontokorrentverhältnisse zwischen Forderungsverkäufer (Unternehmen/Lieferant) und Abnehmer (Schuldner der verkauften und abgetretenen Forderungen) vor. Fraglich ist daher, in welchem Umfang Forderungen aus Kontokorrentverhältnissen im Wege der Abtretung übertragen werden können.
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Die dem Kontokorrentverhältnis zugrunde liegende Abrede hat zur Folge, dass für die Dauer des Bestehens des Kontokorrentverhältnisses alle gegenseitigen Ansprüche zu verrechnen sind und nicht separat geltend gemacht werden können. Lediglich der Kontokorrentsaldo soll jeweils ausgeglichen werden3. Die Saldoziehung kann nach Zeitabschnitten oder für den Fall der Beendigung des Kontokorrents vorgenommen werden. Die Kontokorrentbindung führt jedoch nicht zum Untergang der darin eingestellten Forderungen, sondern nur zum Ausschluss der Geltendmachung4. Erst mit Saldoziehung und Saldoanerkenntnis findet eine Ersetzung der Einzelansprüche durch den Kontokorrentsaldo (Novation) statt5. Daher ist lediglich der positive Saldo aus dem Kontokorrent bei Periodenabschluss und damit wegen des sofortigen Vortrags des Saldos in die neue Abrechnungsperiode letztlich erst der sich bei Beendigung des Kontokorrentverhältnisses ergebende Saldo abtretbar6. Endet das Kontokorrentverhältnis (z.B. durch Kündigung) während einer Abrechnungsperiode, bestehen die letzte anerkannte Saldoforderung und die danach in das Kontokorrentverhältnis eingestellten Forderungen als Einzelforderungen fort, da diese mangels Kontokorrentabschluss nicht mehr im Wege der Novation in einem Kontokorrentsaldo untergegangen sind7. Das ist bei der Formulierung der Abtretung zu beachten.
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Für die Praxis bedeutet dies, dass kontokorrentgebundene Forderungen dem Risiko des Erlöschens durch Verrechnung im Kontokorrent unterfallen. Daher sollte der Ankaufvertrag regelmäßig eine Vereinbarung enthalten, die für den Fall der Kontokorrentgebundenheit der angekauften Forderungen zusätzlich das Recht für den Factor enhält, die Übertragung eines zugunsten des Forderungsverkäufers bestehenden positiven Kontokorrentsaldos verlangen zu können. Erlischt die Forderung durch Verrechnung, besteht neben dem Anspruch auf Übertragung eines positiven Saldos lediglich ein Gewährleistungsanspruch gegen den Verkäufer für die Verität der Forderung.
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Dazu Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 28. Dazu Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 83 ff. Vgl. Hopt in Handelsgesetzbuch, § 355 Rz. 7. Hopt, § 355 Rz. 7; Busche, § 398 Rz. 55. Vgl. Hopt, § 355 Rz. 7 m.w.N.; a.A. neue Lehre, wonach Einzelansprüche bis zum Saldoausgleich zwar undurchsetzbar (also kontokorrentgebunden) aber ohne Novation fortbestehen. 6 Vgl. Hopt, § 355 Rz. 13, 21, 22, 23. 7 Hopt, § 355 Rz. 24.
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Teil H Rz. 91
Finanzierung
(5) Abtretungsverbote 91
Vertragliche Vereinbarungen, die eine Abtretung ausschließen oder an die Zustimmung des Schuldners knüpfen, sind grundsätzlich zulässig1. Eine Abtretung durch den Gläubiger, die gegen eine solche Vereinbarung verstößt, ist nach § 399 dtBGB unwirksam.
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Soweit es sich bei den in Rede stehenden Forderungen um Handelsforderungen unter Kaufleuten nach deutschem Recht handelt, greift als Spezialvorschrift § 354a dtHGB ein, der eine Abtretbarkeit von Handelsforderungen auch bei einem ausdrücklich vereinbarten Abtretungsverbot ermöglicht2. Der Forderungsschuldner ist in diesem Fall allerdings weiterhin berechtigt, schuldbefreiend an den alten Gläubiger zu leisten (§ 354a Abs. 1 Satz 2 dtHGB)3. § 354a dtHGB ist nicht abdingbar und führt nach § 354a Abs. 1 Satz 3 dtHGB zur Unwirksamkeit anderslautender Vereinbarungen oder AGB4. Da der Schuldner in diesem Fall jedoch weiter an den alten Gläubiger trotz Kenntnis der Abtretung befreiend leisten kann (§ 354a Abs. 1 Satz 2 dtHGB)5, also auch nach Offenlegung der Abtretung nicht an den neuen Gläubiger zahlen muss, ist für den Insolvenzfall sicherzustellen, dass der alte Gläubiger die vom Schuldner erhaltenen, dem Factor zustehenden Forderungsbeträge an den Factor insolvenzsicher im Wege der Ersatzaussonderung (§ 48 dtInsO)6 auskehren kann. Dazu sollten die Forderungseinzugsbeträge über ein gesondertes, dem Forderungskäufer verpfändetes Bankkonto eingezogen werden, das nur dem Forderungseinzug dient. Problematisch für den Factor ist, dass sich der Schuldner im Fall eines mit dem alten Gläubiger vereinbarten Abtretungsverbotes von einer Leistungspflicht durch Aufrechnung auch dann befreien können soll, wenn die Aufrechnung mit einer Forderung erklärt wird, die der Schuldner est nach der Kenntins von der Abtretung erworben hat. Der neue Gläubiger soll im Fall eines Abtretungsverbots aufgrund der Ausgestaltung des § 354a dtHGB also nicht den Schutz des § 406 dtBGB haben7. In der Praxis lässt sich dieses Risiko nur durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Schuldner der angekauften Forderungen vermeiden.
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Zu beachten ist, dass § 354a dtHGB nicht für Darlehensforderungen gilt, wenn der Kreditgeber ein Kreditinstitut ist (§ 354a Abs. 2 dtHGB). Im Zusammenhang mit Darlehensforderungen gelten damit zwischen der Bank und dem Darlehensnehmer verein1 Vgl. OGH, JBl 1984, 311; Holzner, JBl 1998, 495; s. OLG Düsseldorf, ZIP 2015, 1289, wonach ein vertragliches Abtretungsverbot einem Forderungsübergang im Rahmen einer Verschmelzung nicht entgegensteht. 2 Dazu Hopt, § 354a Rz. 1; demgegenüber führen Abtretungsverbote unter österreichischem Recht zur absoluten Unwirksamkeit der Abtretung, soweit die Abtretung nicht nach § 1396a öABGB wirksam ist, was dann der Fall ist, wenn es sich bei dem abgetretenen Forderungen um Geldforderungen zwischen Unternehmen handelt, dazu Neumayr in ABGB Kurzkommentar § 1396a Rz. 1; nach dem schweizerischen Recht sind Abtretungsverbote grundsätzlich zu beachten dazu Lardelli in BaslerKomm/OR Art. 164 Rz. 20 ff., 26; zu Abtretungsverboten in ausländischen Rechtsordnungen vgl. Kieninger/Schütze, ZIP 2003, 2181 ff. und Danielewsky/Lehmann, WM 2003, 221 ff. 3 Vgl. Hagenmüller/Sommer/Brink, S. 185; Hopt, § 354a Rz. 2. 4 Hopt, § 354a Rz. 3, der Schuldner kann im Nachhinein jedoch auf den Schutz des § 354a dtHGB verzichten; so kann z.B. nach der Abtretung und der Forderungsentstehung mit dem Schuldner wirksam vereinbart werden, dass dieser an den Forderungskäufer zahlt, s. BGH NJW 2009, 438; BGB WM 2009, 369. 5 Zur Berechtigung des Schuldners weiter an den alten Gläubiger zu zahlen s. Hopt, § 354a Rz. 2. 6 Zu den Voraussetzungen für eine Ersatzaussonderung, u.a. das Erfordernis, dass die eingezogenen Gelder noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse vorhanden sein müssen Thole in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 48 Rz. 4 ff. 7 Dazu BGH NJW-RR 2005, 624; Palandt/Grüneberg, BGB, § 406 Rz. 3; Hopt, § 354a Rz. 2; a.A. Wagner, WM 2010, 202, da durch die Nichtanwendung des § 406 dtBGB die Forderungsabtretung als Sicherungsmittel stark entwertet und damit der Zweck des § 354a dtHGB, die Finanzierung mittelständischer Unternehmen zu verbessern, nicht voll erreicht werden kann.
846 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 96
Teil H
barte Abtretungsverbote auch gegenüber dem Forderungserwerber1. Die Vereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Inzwischen ist aber anerkannt, dass sich allein aus dem Bankgeheimnis kein konkludent vereinbartes Abtretungsverbot ableiten lässt2. Aufgrund ihrer dinglichen Wirkung müssen Abtretungsverbote grundsätzlich eindeutig vereinbart werden und können nur aufgrund einer besonderen Interessenslage des Schuldners als stillschweigend vereinbart angenommen werden. Es ist nicht davon auszugehen ist, dass der Gläubiger ohne ausdrückliche Vereinbarung ein Interesse an einer Reduzierung seiner Rechte hat. Auch die konkludente Vereinbarung bedarf, wie jede vertragliche Vereinbarung, einer übereinstimmenden Willenserklärung der Parteien. Abtretungsverbote können sich aber auch ergeben, wenn mit der Abtretung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen würde3. Abtretungen, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen sind nichtig (§ 134 dtBGB). Daher können z.B. solche Forderungen nicht abgetreten werden, die mit einer gesetzlichen Schweigepflicht (z.B. gem. § 203 dtStGB) verbunden sind4 (z.B. Honorarforderungen von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Forderungen aus ärztlichen Leistungen) es sei denn, der Schuldner hat einer solchen Abtretung ausdrücklich zugestimmt. Nicht abtretbar sind zudem Forderungen, die nicht pfändbar sind (§ 400 BGB). Darüber hinaus sind, da diese ähnlich wie gesetzliche Abtretungsverbote wirken, gesetzliche Abtretungserfordernisse zu beachten, wie diese z.B. für die Abtretung für Steuererstattungsansprüche gelten (§ 46 dtAO). Steuererstattungsansprüche sowie andere Ansprüche gegen die Steuerverwaltung sind grundsätzlich abtretbar. Abtretungen derartigere Ansprüche werden jedoch erst wirksam, wenn die Abtretung in der dafür gesetzlich vorgesehenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs vom Gläubiger angezeigt wird (§ 46 Abs. 2 dtAO).
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cc) Stellung des Factors in der Insolvenz des Factoringkunden Ein wesentlicher Vorteil des echten Factoring mit Übernahme des Delkredererisikos (echtes Factoring) gegenüber dem unechten Factoring oder einer Kreditausreichung mit Globalzession besteht in der bevorrechtigten Stellung des Factors als Aussonderungsberechtigter nach § 47 InsO bei einer Insolvenz des Factoringkunden. Dies bedeutet, dass er die Forderungen auch bei Insolvenz des Factoringkunden außerhalb eines Insolvenzverfahrens direkt gegenüber den Debitoren geltend machen kann, da die Forderungen nicht Teil der Insolvenzmasse werden und einer Verwaltung und Verwertung durch den Insolvenzverwalter nach § 166 InsO entzogen sind5.
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Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Factor neben dem Erwerb des vollständigen zivilrechtlichen Eigentums auch insolvenzrechtlich anerkannter wirtschaftlicher Eigentümer der Forderung wird und die Übertragung wirtschaftlich nicht nur als siche-
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1 Vgl. zur Wirksamkeit einer Abtretung von Darlehensforderungen trotz vereinbartem Abtretungsverbot bei Eintragung der Abtretung in ein Refinanzierungsregister § 22d Abs. 4 dtKWG und hierzu Tollmann in Kreditwesengesetz, § 22d KWG Rz. 25. 2 BGH WM 2007, 643; BVerfG WM 2007, 1694ff; Tollmann, § 22d KWG Rz. 26; Palandt/Grüneberg, BGB, § 399 Rz. 8; a.A. OLG Frankfurt, WM 2004, 1386. 3 Vgl. § 134 BGB; § 49b Abs. 4 dtBRAO, § 203 dtStGB; Palandt/Ellenberger, BGB, § 134 Rz. 16, 24; Apathy in Hadding, S. 524, m.w.N. 4 Vgl. BGH, Urt. v. 10.9.1991, NJW 1991, 2955; OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.1994, NJW 1994, 2421; Gruber, RdW 1994, 38 ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, § 134 Rz. 22a; ähnlich das österreichische Recht s. Neumayr in ABGB Kurzkommentar, § 1393 Rz. 9; zum schweizerischen Recht s. Art. 164 Abs. 1 OR. 5 Vgl. Lohmann in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 Rz. 15; Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, § 47 Rz. 8 und § 166 Rz. 12; Bäuerle in Braun, InsO, § 47 Rz. 56; Dithmar in Braun, InsO, § 166 Rz. 23; zur Sicherungsabtretung im Konkurs nach Recht der Schweiz vgl. Stauder/Stauder-Bilicki in Hadding, S. 786 f.
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Teil H Rz. 97
Finanzierung
rungshalber vorgenommen angesehen wird1. Ansonsten besteht die Gefahr einer Umqualifizierung des Forderungsverkaufes als besichertes Darlehensgeschäft (unechtes Factoring) durch den Insolvenzverwalter2. 97
Sofern beim Factoring neben einer endgültigen Diskontierung auch variable Abschläge für das Risiko der Uneinbringlichkeit der Forderung vereinbart werden, die an den Verkäufer als Kaufpreiszuzahlungen oder Erfolgsprämien für den Fall gezahlt werden, dass die Ausfälle geringer als die vereinbarten Abschläge sind, stellt sich die Frage, ob mit Blick auf die variablen Abschläge das wirtschaftliche Risiko der Forderung auf den Factor tatsächlich übergegangen ist3. Das ist der Fall, wenn die variablen Bestandteile marktüblich sind und eine angemessene Absicherung nicht überschreiten. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Globalsicherheiten, wonach von einer allgemein anerkannten Deckungsgrenze von 110 % der gesicherten Forderungen nach Berücksichtigung der Kosten der Bewertung und Verwaltung der Sicherheiten bezogen auf den realisierbaren Wert der abgetretenen Forderungen ausgegangen werden kann4, kann sich der Factor bei einem regresslosen Forderungsankauf wohl bis zu dieser Höhe auch gegen den Forderungsausfall durch variable Kaufpreisbestandteile absichern, ohne dass aus dem regresslosen Forderungsankauf zivilrechtlich ein unechter Forderungsankauf wird. Da sich der realisierbare Wert der angekauften Forderung jedoch nur schwer feststellen lässt, sollte es bei der Frage, wann insolvenzrechtlich ein echter Forderungsverkauf vorliegt, möglich sein, auf den Rechtsgedanken des § 237 BGB abzustellen. Nach der Rechtsprechung besteht bei Globalabtretungen ein gesetzlicher Freigabeanspruch i.d.R. bei 150 % des Nominalwertes der als Sicherheit haftenden Forderungen bezogen auf die gesicherten Forderungen5. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung zum Problem der Übersicherung im Rahmen der Kreditsicherung herausgestellt, dass regelmäßig ein Abschlag von 25 % auf unbesicherte Forderungen vereinbart werden kann, der bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall sogar 50 % erreichen darf, ohne dass eine Übersicherung des Sicherungsnehmers vorliegt6. Wenn auch eine Absicherung des Factors beim echten Factoring bis zu dieser Höhe pauschal nicht möglich ist, sollte diese Rechtsprechung dennoch genutzt werden, um darauf Lösungen für die Abgrenzung des echten vom unechten Factoring zu finden. Letztlich wird es aber immer eine Frage des Einzelfalles und der gesamten Vertragsausgestaltung sein, wenn es darum geht festzustellen, ob das Delkredererisiko auf den Factor übergegangen ist, um die Abrenzung des echten zum unechten Factoring und damit zur Kreditfinanzierung darstellen zu können. Beim echten Factoring sind die Abschläge daher Ausdruck der Endgültigkeit der Kaufpreise7. Eine Haftung des Verkäufers mit eigenen Vermögenswerten für die Einbringlichkeit der Forderungen wird so ausgeschlossen. Der Forderungsverkäufer darf die erhaltenen Kaufpreise endgültig behalten und der Käufer hat nur die erworbene Forderung, um sein investiertes Vermögen zurückzuerhalten. Die Endgültigkeit des Kaufpreises reflektiert somit das Risiko des Forderungserwerbers, nur einen erheblich niedrigeren Forderungserlös erzielen zu können. 1 Vgl. Lohmann (a.a.O.), § 47 Rz. 9, 15; Thole in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 47 Rz. 51. 2 Leithaus in InsO, § 47 Rz. 8. 3 Vgl. IDW RS HFA 8 Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen oder ähnlichen securitisation-Transaktionen, WPg 2002, 1151 ff., Heft-Nr. 21/2002; WPg 2004, 138, Heft-Nr. 4/2004. 4 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 133; Busche in Staudinger/BGB, Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 85. 5 Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 133; Wurmnest in MünchKomm/BGB, § 307 Rz. 237; Busche in Staudinger Einl. zu §§ 398 ff. Rz. 89. 6 Vgl. BGHZ 137, 212 (236); 98, 303 (317), 109, 240 (246); 120, 300 (304); rechnerisch kommt man auf 150 %, wenn die 10 % pauschal erlaubte Übersicherung zur Abdeckung von Verwertungskosten den bei Forderungen erlaubten 25 % pauschalen Risikoabschlag hinzugerechnet werden. 7 Vgl. Sack in Staudinger/BGB, § 138 Rz. 268.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 99
Teil H
Deshalb liegt ein zivilrechtlich wirksamer Forderungskauf beim echten Factoring mit dem Recht zur Aussonderung in der Insolvenz des Forderungsveräußerers auch dann vor, wenn die Abschläge über den bilanziell für einen Übergang von Forderungen auf einen Erwerber1 anerkannten Grenzen liegen2. Es ist von einer Risikoübertragung auf den Factor i.S. eines echten Factoring auszugehen, solange und soweit der Factor sich durch die Vereinbarung eines überhöhten Abschlages im Vergleich zu einem besicherten Kredit nicht als übersichert betrachten lassen muss. Erst dann ist eine Umqualifizierung des Forderungsverkaufs in eine Finanzierung gerechtfertigt. Der Forderungskäufer übernimmt das Risiko, dass die vereinbarten Forderungsabschläge die Forderungsverluste nicht abdecken, der Forderungsveräußerer den vereinnahmten Kaufpreis für die Forderungen aber dennoch behalten darf. Damit liegt gerade kein Darlehen i.S.v. § 488 BGB vor. Es fehlt an der für ein Darlehen typischen Rückzahlungsverpflichtung (§ 488 Abs. 1 Satz 2 dtBGB). Wird nur eine Forderung angekauft und sichern die variablen Kaufpreisanteile nur die angekaufte Forderung, liegt immer ein echtes Factoring vor, da das Ausfallrisiko für diese Forderung 100 % ist. Anders dagegen, wenn die variablen Kaufpresiabschläge auch noch Ausfallrisiken mit anderen angekauften Forderungen absichern sollen und insolvenzrechtlich im Rahmen der Beurteilung, ob das Delkrederersiko auf den Forderungskäufer übergegangen ist, als „Vermögenswerte“ des Forderungsverkäufers angesehen werden. Problematisch ist auch, wenn der Forderungsverkäufer dem Factor zur Absicherung des Forderungsausfalles zusätzliche Sicherheiten aus seinem sonstigen Vermögen zu bestellen hat. In diesem Fall liegt kein echter Forderungsverkauf vor, da der Forderungsverkäufer hier wirtschaftlich den Kaufpreis nicht endgültig behalten darf, sondern über die Sicherheiten weiter das Delkredererisiko trägt. Sofern daher die Übertragungen mit Abschlägen innerhalb der beschriebenen Grenzen erfolgen, sollte der Factor Vollrechtsinhaber der abgetretenen Forderung im Rahmen eines echten Factorings werden. Er kann im Fall der Insolvenz des Factoringkunden die angekauften Forderungen aussondern und selbst verwerten, ohne dass der Forderungsverkauf nachträglich in eine Finanzierung (unechtes Factoring) umqualifiziert werden kann.
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Liegt ein sog. unechtes Factoring vor, ist die Forderungsabtretung als Besicherung für eine Finanzierung anzusehen. In diesem Fall steht dem Factor lediglich ein Absonderungsrecht nach §§ 50, 51 Nr. 1 i.V.m. § 166 Abs. 2 dtInsO zu3. Der Insolvenzverwalter ist dann berechtigt, eine Quote i.H.v. insgesamt 9 % als Kosten für die Feststellung (4 %) und Verwertung (5 %) der zur Sicherung bestellten Forderungen zu verlangen4. Ebenfalls von Bedeutung in einer Insolvenz5 ist die Frage, ob und wann eine insolvenzrechtliche Anfechtung (§§ 129 ff. dtInsO) des Verkaufs oder der Abtretung der Forderungen durch den Insolvenzverwalter möglich ist. Eine Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Verkauf und der Abtretung der Forderung um ein Bargeschäft handelt. Ein Bargeschäft liegt nach § 142 dtInsO beim Austausch wirtschaftlich gleichwertiger Leistungen vor, durch das dem Vermögen des Gemeinschuld1 Vgl. BFH/NV 2011, 143; IDW RS HFA 8 Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen oder ähnlichen securitisation-Transaktionen, WPg 2002, 1151 ff., HeftNr. 21/2002; WPg 2004, 138, Heft-Nr. 4/2004; Schubert/Roscher in Bilanzkommentar, § 247 Rz. 120. 2 Vgl. ebenda IDW RS HFA 8 Ziff. 3.1.2.3 f. 3 Vgl. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, S. 1557, Rz. 7.97; Sinz in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 166 Rz. 19. 4 §§ 170 Abs. 1, 171 InsO; vgl. Obermüller, S. 1321, Rz. 6.772; Leithaus in Leithaus/Andres, InsO, § 171 Rz. 6; zu beachten ist, dass die Kosten der Verwertung je nach den tatsächlich anfallenden Kosten über oder unter den im Gesetz genannten 9 % liegen können (§ 171 Abs. 2 dtInsO). 5 Eine gute Übersicht zu den insolvenzrechtlichen Themen beim Factoring ist zu finden bei Hartmann-Wendel/Moseschus/Wessel, Factoring-Handbuch S. 119 ff.
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Wagenknecht 849
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Teil H Rz. 100
Finanzierung
ners unmittelbar ein entsprechender wirtschaftlicher Gegenwert zufließt1. Da beim Factoring die Forderung Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises abgetreten wird, erhält der Factoringkunde unmittelbar eine Gegenleistung für seine Forderung. Damit liegt jedenfalls beim echten Factoring mit einer angemessenen Preisgestaltung ein typisches Bargeschäft vor, das mit Ausnahme der in § 133 dtInsO genannten Fälle keiner Anfechtung ausgesetzt ist2. Werden unterschiedliche Kaufpreisraten oder Bonifikationszahlungen vereinbart, die an den Forderungsverkäufer in Abhängigkeit von künftigen Forderungsausfällen gezahlt werden sollen, dann ist dies nicht nur Bestandteil der Gleichwertigkeitsprüfung i.S.v. § 142 dtInsO zur Vermeidung einer Insolvenzanfechtung, sondern begründet möglicherweise auch ein Wahlrecht des Insolvenzverwalteres nach § 103 dtInsO. Danach kann der Insolvenzverwalter bei einem von keiner Partei bei Insolvenzeröffnung vollständig erfüllten Vertrag wählen, ob er an dem Vertrag festhalten will oder nicht. Wählt der Insolvenzverwalter Nichterfüllung, sind die sich daraus ergebenden Schadensersatzforderungen des Factors nur einfache Insolvenzforderungen. Der Factor kann jedoch die Rückabtretung der angekauften Forderungen von der Rückzahlung des dafür gezahlten Kaufpreises abhängig machen oder gegen die Auskehrungspflicht von bereits eingezogenen Forderungsbeträgen die Aufrechnung erklären3. Wird über das Vermögen des Forderungsverkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet und wählt der Insolvenzverwalter nach § 103 dtInsO gegenüber dem Schuldner der verkauften Forderung Erfüllung des der verkauften Forderung zugrunde liegenden Vertrages, dann verliert die Abtretung an den Factor ihre Wirksamkeit und der Insolvenzverwalter erwirbt die Forderung für die Masse4. 100
Sollte Geld auf abgetretene Forderungen vor der Insolvenzeröffnung an den Forderungsverkäufer vom Schuldner (z.B. in Unkenntnis der Abtretung) gezahlt worden sein, ist die Möglicheit der Ersatzaussonderung (§ 48 InsO) zu prüfen5. Angesichts der Anforderungen an eine Ersatzaussonderung, bietet es sich beim sog. stillen Factoring an, den Forderungseinzug durch den Forderungsverkäufer ausschließlich über ein dem Forderungskäufer verpfändetes Bankkonto zuzulassen. Über dieses Konto sollten dann auch nur Gelder eingezogen werden, die im Zusammenhang mit an den Forderungskäufer verkauften Forderungen stehen, um spätere Abgrenzungsprobleme zu vermeiden6. dd) UNIDROIT-Übereinkommen zum internationalen Factoring (Ottawa-Konvention)
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Das Internationale Institut zur Harmonisierung des Privatrechts (UNIDROIT) hat 1988 in Ottawa in Zusammenarbeit mit 59 Staaten eine Konvention zum Factoring verabschiedet7, die am 1.5.1995 in Kraft getreten ist8. Ziel des Abkommens ist neben der Rechtsvereinheitlichung vor allem die Frage der Wirksamkeit der Forderungsabtretung9 1 Vgl. für Österreich OGH, JBL 1980, 595; Kreft in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 142 Rz. 3 ff.; Ganter/Weinland in K. Schmidt, Insolvenzordung, § 142 Rz. 12 ff., insbesondere Rz. 44 zu den Anforderungen an eine „gleichwertige Leistung“ i.S.v. § 142 dtInsO. 2 Vgl. Bette, Factoring, S. 52; Riggert in Braun, InsO, § 142 Rz. 3, 8. 3 Andres in Andres/Leithaus, InsO, § 103 Rz. 33. 4 Kroth in Braun, InsO, § 103 Rz. 50. 5 Zur Problematik von Geldeingängen auf Kontokorrentkonten und Unterscheidbarkeit s. Bäuerle in Braun, InsO, § 48 Rz. 29. 6 Vgl. Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel, S. 126. 7 Vgl. hierzu ausführlich: Ferrari in MünchKomm/HGB, Bd. 6, FactÜ; Mankowski in Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Kommentierung zum FactÜ S. 1261 ff. 8 In Deutschland seit 1998 in Kraft s. deutsches BGBl. II 1998, 172; abgedruckt auch in Hagenmüller/Sommer, Handbuch des nationalen und internationalen Factoring, S. 438 ff.; Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 6.545; Ferrari in MünchKomm/HGB, FactÜ Einleitung, Rz. 6. 9 Vgl. Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 6.625; Ferrari in MünchKomm/HGB, FactÜ Einleitung, Rz. 23: z.B. Art. 6 Wirksamkeit des Abtretungsverbots, Art. 7 Übergang von Nebenrechten, Art. 8 Auswirkung einer Abtretungsanzeige auf die Zahlungspflicht des Schuldners, Art. 9 Einwendungen des Schuldners.
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Rz. 104 Teil H
Finanzierungsmodelle
und das Verhältnis zwischen Factor und Debitor. In die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Factor und dem Factoringkunden soll das Abkommen nicht eingreifen1. Damit die Konvention nationales Recht wird, bedarf sie der Transformation und Ratifizierung durch die Einzelstaaten des Abkommens. Durch die Ratifizierung wird die Konvention integraler Bestandteil der Rechtsordnung des ratifizierenden Staates. Bislang wurde eine Ratifizierung nur von 7 Staaten2, u.a. der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1998, vorgenommen3. Das Übereinkommen kann unmittelbar ohne Rechtswahlvereinbarung zur Anwendung gelangen, sofern die Debitoren von abgetretenen Forderungen in einem Land ihren Sitz haben und Factor sowie Factoringkunde in einem anderen Land4. Beide Länder müssen zur unmittelbaren Anwendung das Abkommen in nationales Recht umgesetzt haben. Darüber hinaus kann das Abkommen zur Anwendung gelangen, wenn das dem Rechtsstreit zugrunde zu liegende Recht die Konvention in seine Rechtsordnung mittels Ratifizierung aufgenommen hat; also auch, wenn von einem Staat der Parteien die Konvention noch nicht ratifiziert wurde5. Das Abkommen ist in diesem Fall vorrangig anzuwendendes Recht6, es sei denn die Parteien sind übereingekommen, die Geltung der Konvention auszuschließen. Zu einer Anwendung der UNIDROIT-Regeln kann es auch kommen, sofern es sich bei den in einer Factoring-Transaktion beteiligten Parteien nicht um Mitgliedstaten des Abkommens handelt, jedoch sowohl der einer Forderung zugrunde liegende Dienstoder Warenvertrag als auch der Factoringvertrag durch Rechtswahl dem Recht eines Vertragsstaates unterliegt7. Damit ein Factoringvertrag im Sinne des Übereinkommens vorliegt und das Übereinkommen anwendbar ist, müssen bei einem Forderungsverkauf zwei der folgenden vier Voraussetzungen gegeben sein: – Der Verkauf dient der Finanzierung der Forderungen; – Der Factor übernimmt das Delkredererisiko; – Das Forderungs- und Debitorenmanagement wird vom Factor übernommen, oder – Die Beitreibung der Forderungen obliegt dem Factor8.
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Soweit das Ottawa-Abkommen anwendbar ist, geht es nicht nur Regelungen des deutschen Internationalen Privatrechts, sondern auch der Rom I-VO und damit den Regelungen des europäischen Internationalen Privatrechts (IPR) vor9.
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Die Ottawa-Konvention regelt u.a. vertragliche Abtretungsverbote (Art. 6 des Übereinkommens), Rechte des Debitors (Art. 8 des Übereinkommens) und Mehrfachabtretungen (Art. 11 ff. des Übereinkommens). ee) UNCITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung im internationalen Handel Im Juli 2001 hat die United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) der UN Generalversammlung den Konventionsentwurf eines Übereinkommens über die Forderungsabtretung im internationalen Handel10 (UNCITRAL-Konvention) 1 Vgl. Hagenmüller/Sommer/Brink, S. 273. 2 Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Nigeria, Ungarn und Ukraine. Zum aktuellen Stand: www.unidroit.org. 3 Ferrari in MünchKomm/HGB, FactÜ Einleitung Rz. 6; Freitag, Rz. 6.545. 4 Vgl. Bette, WM 1997, 797 (802 ff.). 5 Vgl. Bette, WM 1997, 797 (804). 6 Vgl. Art. 3 Abs. 2 dtEGBGB. 7 Vgl. Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 6.625. 8 Vgl. Bette, Factoring, S. 125. 9 Freitag in Reithmann/Martiny, Rz. 6.625; Palandt/Thorn, BGB (IPR), Art. 3 EGBGB Rz. 12. 10 Abrufbar unter: www.uncitral.org. Text abgedr. in Unif. L. Rev./Rev.dr.unif. 2002, 220 ff. Vgl. dazu die Erläuterungen von Bazinas, Unif. L. Rev. 2002, 49 ff.
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Teil H Rz. 105
Finanzierung
zur Annahme empfohlen und am 31.1.2002 verabschiedet1. Bisher haben vier2 Staaten die Konvention unterzeichnet, aber nur ein Staat (Liberia) hat sie auch ratifiziert3. Zur Gültigkeit bedarf es der Ratifizierung durch fünf Staaten(Art. 45 der Konvention). 105
Zur Förderung des internationalen Handels bezweckt das UNCITRAL-4 Übereinkommen eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Forderungsfinanzierung zu schaffen, die über das Regelwerk des UNIDROIT-Übereinkommens für das internationale Factoring hinausgehen und alle Arten von Abtretungen im Rahmen von B2B-Forderungen erfassen soll. Das UNIDROIT-Abkommen beschränkt sich auf ausgewählte Einzelgesichtspunkte; während die UNCITRAL-Konvention sowohl die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Abtretung als auch die Rechtsfolgen umfassender regelt. Zudem greift die UNIDROIT-Konvention nicht bei der stillen Zession5. Deshalb wird das UNCITRALÜbereinkommen das UNIDROIT-Übereinkommen wohl zurückdrängen. Das UNICITRAL-Übereinkommen erkennt jedoch das Ottawa-Abkommen als lex specialis an, wenn deren Anwendungsvoraussetzungen vorliegen6. Daher ist das Ottawa-Abkommen ausdrücklich auszuschließen, wenn die Anwendung des UNITRAL-Abkommens sichergestellt werden soll. d) Checkliste
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(ausführliche Checkliste findet sich wegen vergleichbarer Fragestellungen am Ende des Abschnittes Securitisation Rz. 432) – Liegen Anhaltspunkte für eine wirksame Abtretung des Forderungsbestandes an einen Dritten (z.B. Vorbehaltslieferanten, Banken, Factoringgesellschaften vor? – Sind die Forderungen kontokorrentgebunden? – Handelt es sich bei beim Forderungsverkauf um einen echten Verkauf oder lediglich um eine besicherte Finanzierung (unechtes Factoring)? – Bestehen Abtretungsverbote? – Welche Gegenrechte kann der Schuldner nach der Abtretung gegen den neuen Gläubiger geltend machen? – Welche formalen Voraussetzungen müssen erfüllt werden, damit der Factor Vollrechtsinhaber der Forderung auch gegenüber einem im Ausland ansässigen Debitor wird? – Wurde die Geltung internationaler Abkommen oder Weiterverweisungen zu anderen Rechtsordnungen ausgeschlossen oder ist deren Geltung oder eine mögliche Weiterverweisung gewollt? – Enthält der Factoringvertrag Einsichtsrechte des Factors in das Rechnungswesen des Verkäufers und entsprechende Kontrollrechte zur Prüfung des Forderungsbestandes und der ordnungsmeäßen Bestandsverwaltung? e) Steuerrechtliche Hinweise
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Vor einem Forderungsverkauf ist grundsätzlich zu prüfen, ob damit steuerliche Haftungstatbestände erfüllt werden, der Forderungserwerber also überraschend für Steuer1 Vgl. UNCITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung im internationalen Handel, IWB Fach 10 Gruppe 8 S. 277 ff.; dazu Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel, Factoring-Handbuch, S. 78. 2 Luxembourg, Madagaskar, USA, Liberia. 3 S. www.uncitral.org. 4 United Nations Convention on the Assignment of Receivables in International Trade. 5 Vgl. Ferrari in MünchKomm/HGB, FactÜ Art. 6 Rz. 35 ff. 6 Bette in Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, Rz. 18; Ferrari in MünchKomm/HGB, FactÜ Einleitung Rz. 31; Mankowski in Ferrari/Kieninger/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Vorbemerkung UNIDROIT Übereinkommen über Internationales Factoring (Ottawa 1988) – FactÜ Rz. 2; Busche in Staudinger/BGB, § 398 Rz. 87.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 109 Teil H
schulden des Verkäufers aufzukommen hat, die mit den verkauften Forderungen zusammenhängen. Zu prüfen sind aber auch etwaige steuerliche Folgen des Forderungsverkaufs beim Forderungsverkäufer oder Forderungskäufer. Dazu gehört die 25 %ige Hinzurechnung bei Feststellung des gewerbesteuerlichen Gewinns (§ 7 dtGewSt) im Rahmen der Gewerbesteuerfeststellung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a dtGewStG. Der Hinzurechnung unterliegen beim Forderungsverkäufer grundsätzlich auch Abschläge aus dem Verkauf von Forderungen, soweit diese mit Finanzierungskosten (Entgelte für Schulden) gleichzusetzten sind, worunter z.B. nicht die Kosten für die Risikoübernahme (beim echten Factoring) und die Kosten der Wertermittlung fallen1. Hinzugerechnet werden nur Beträge, die bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind, also nicht die Zinsanteile, die aufgrund der Zinsschranke nicht absetzbar waren, also zu keiner Gewinnminderung geführt haben. Da gilt für das echte und das unechte Factoring gleichermaßen sowie entsprechend auch für die Forfaitierung2. Um zu vermeiden, dass der Forderungsverkäufer auf der einen Seite die auf das Factoring entfallenden Finanzierungskosten gewerbesteuerrechtlich als Zinsaufwand teilweise seinem gewerbesteuerlichen Ertrag wieder hinzurechnen muss, während der Factor auf der anderen Seite gleichzeitig die daraus resultierenden Erträge bei sich der Gewerbesteuer unterziehen muss, wurden Factoringunternehmen seit dem 25.12.2008 der Aufsicht durch das BaFin unterstellt und gewerbesteuerrechtlich den Kreditinstiuten faktisch gleichgestellt, um eine doppelte Gewerbesteuerbelastung zu vermeiden (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 9 KWG; § 19 Abs. 4 GewStDV). Zu beachten ist, dass dies nur für Factoringunternehmen gilt, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 9 KWG (laufender Ankauf von Forderungen aufgrund von Rahmenverträgen) erfüllen und damit der Bankaufsicht unterliegen. Dazu müssen jedoch mindestens 50 % der Gesamtumsätze der Facctoringgesellschaft auf Finanzdienstleistungen und damit den Erwerb von Forderungen im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Factorings entfallen (§ 19 Abs. 4 Satz 2 GewStDV)3.
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Ein anderes Thema ist die sog. Zinsschranke (§ 4h dtEstG), die nach § 8a Abs. 1 dt.KStG entsprechend auch für Kapitalgesellschaften gilt. Dabei handelt es sich um eine Gewinnermittlungsvorschrift, die den Betriebsausgabenabzug für Zinsaufwendungen eines Betriebes steuerlich beschränken soll4. Beim unechten Factoring liegt steuerrechtlich eine Fremdkapitalfinanzierung des Forderungsverkäufers (Anschlusskunden) vor, so dass beim Factor Zinsertrag und beim Forderungsverkäufer Zinsaufwand im Sinne der Zinsschranke anfallen. Anders beim echten Factoring. Aufgrund
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1 BMF v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 730 Rz. 17,23; BFH – I R 104/10, BFH/NV 2011, 2107; Güroff in GewStG, § 8 Nr. 1a Rz. 77; Hahne, BB 2008, 2546; Ritzer, DStR 2008, 1613; Moseschus/Wessels/ Schuck, Das Factoring-Geschäft nach der Unternehmenssteuerreform 2008, FLF 2009, 109, 111 f.; zur steuerlichen Abgrenzung von echtem und unechtem Factoring und Behandlung im Rahmen des Gewerbesteuerrechts s. BFH, Urt. v. 6.6.2013 – IV R 28/10, juris; s. auch gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 2.7.2012, BStBl. I 2012, 654 zu Anwendungsfragen zur Hinzurechnung von Finanzieurungsanteilen nach § 8 Nr. 1 GewStG mit anschaulichen Beispielen und der Klarstellung, dass die Finanzverwaltung grundsätzlich der Aufteilung durch die Vertragsparteien folgt (Rz. 20). Deshalb sollte auf eine klare Zuordnung im Factoringvertrag geachtet werden; zur Besonderheit von durch Grundpfandrechte gesicherte verkaufte Forderungen s. BFH – XI R 6/98, BStBL II 1999, 735. 2 Güroff in GewStG, § 8 Nr. 1a Rz. 77 und 80. 3 Dazu Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel (a.a.O.), S. 69; Moseschus/Wessels/Schuck, FLF 2009, 109 (117 f.); die Umsätze aus mit den begünstigten Umsätzen zusammenhängenden Hilfsund Nebengeschäften zählen mit zu den begünstigten Umsätzen vgl. Koordinierter Ländererlass v. 27.11.2009, BStBl. I 2009, 1595. 4 BMF-Schreiben v. 4.7.2008, Zinsschranke § 4h EStG; § 8a KStG), GZ – IV C7 – S 2742 – a/07/10001, S. 1; Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel (a.a.O.), S. 65 ff.; Moseschus/Wessels/ Schuck, FLF 2009, 109 ff.
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Teil H Rz. 110
Finanzierung
der Delkredereübernahme liegt hier keine Finanzierung vor, so dass steuerlich auch keine Zinserträge- und Zinsaufwendungen anfallen. Im Rahmen der Zinsschrankenberechnung sind Zinsaufwendungen jedoch bis zur Höhe der Zinserträge voll absetzbar. Der die Zinserträge übersteigende Teil ist jedoch nur bis zur Höhe von 30 % des sog „verrechnenbaren EBITDA“ (§ 4h Abs. 1 Satz 1 dtEstG)1 als Betriebsausgaben absetzbar, kann also nicht voll gegen die steuerpflichtigen Erträge der Gesellschaft verrechnet werden. Für kleinere Unternehmen ist vorteilhaft, dass die Zinsschranke erst greift, wenn der die Zinserträge übersteigende Betrag der Zinsaufwendungen E 3 Millionen oder mehr beträgt (§ 4h Abs. 2 lit. a dtEstG)2. Bei größeren Gesellschaften führt diese Regelung zu einer Benachteiligung des Factors beim echten Factoring, da dieser dann seinen Refinanzierungsaufwendungen keine entsprechenden Zinserträge aus dem echten Factoringgeschäft gegenüberstellen kann, während der Anschlusskunde gerade bei kleineren Unternehmen häufig keine Zinsaufwendungen hat, die die Freigrenze von E 3 Millionen überschreiten. Steuerlich gibt es deshalb die Möglichkeit, dass der Factor und der Anschlusskunde beim zuständigen Finanzamt übereinstimmend beantragen, dass das echte Factoring steuerlich i.S.v. § 4h EstG als Überlassung von Fremdkapital behandelt wird3. Angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen, sollten Factor und Anschlusskunde immer auch prüfen, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen. 110
Da Factoringgesellschaften aufsichtsrechtlich Finanzdienstleistungsunternehmen sind, müssen diese die Vorschriften über den Kapitalertragsabzug beachten. Diese verlangen von Banken und Finanzdienstleistern den Einbehalt von Kapitalertragssteuer auf gezahlte Zinsen (§ 43 Abs. 1 Nr. 7b EStG). Das kann z.B. erforderlich sein, wenn Guthabenzinsen auf Sicherheitsleistungen an Anschlusskunden gezahlt werden oder bei Zinszahlungen auf aufgenommene Darlehen, die nicht von inländischen Kreditinstituten oder inländischen Finanzdienstleistungsinstituten gewährt wurden (dazu § 43 Abs. 2 EStG)4. aa) Haftung für Umsatzsteuer nach § 13c UStG
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In Deutschland besteht für den Factor nach § 13c UStG ein Haftungsrisiko für die vom Steuerschuldner (in der Regel der ursprüngliche Forderungsinhaber) nicht oder nicht vollständig abgeführte in der abgetretenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer5. Die Haftung besteht, soweit die abgetretene Forderung „vereinnahmt“ wurde6. Fraglich ist jedoch, ob und wenn ja in welcher Höhe der Factor eine Haftung für mit den Forderungen verbundene und vom Forderungsverkäufer nicht entrichtete Umsatzsteuer zu übernehmen hat, wenn an den Verkäufer der vereinbarte Kaufpreis ganz oder teilweise bezahlt wurde, wie also der Tatbestand „Vereinnahmung“ zu verstehen ist (zur Frage der Haftung für nicht entrichtete Umsatzsteuer s. auch Abschnitt Securitisation zu § 13c UStG unter Rz. 421 f.). 1 Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 10. 2 Zu den weiteren Ausnahmen der Anwendbarkeit der Zinsschrankenregelung gem. § 4h Abs. 2 lit. b) und c) EStG, z.B. keine Konzernzugehörigkeit oder bei Konzernzugehörigkeit eine höhere Eigenkapitalquote als der Konzern, s. Loschelder in Schmidt, EStG, § 4h Rz. 16 und 17. 3 BMF-Schreiben v. 4.7.2008, Zinsschranke § 4h EStG; § 8a KStG, GZ – IV C7 – S 2742 – a/07/10001, S. 3f; Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel, S. 66/67. 4 Moseschus/Wessels/Schuck, FLF 2009, 109 (118); vgl. auch Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 43 Rz. 34 ff. 5 Zur Zulässigkeit, Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht und zur Anwendung: BFH, Urt. v. 20.3. 2013 – XI R 11/12, BFH/NV 2013, 1361; Hartmann-Wendels/Moseschus/Wessel, S. 71. 6 Vereinnahmung i.S.d. § 13c UmStG meint nicht nur die Zahlung durch den Schuldner, sondern erfasst nach Auffassung der Finanzverwaltung auch die Weiterabtretung so UStAE 13c.1 Ziff. 30; eine stille Sicherungsabtretung ist dafür nicht ausreichend, solange der Sicherungsnehmer die Forderung nicht selbst einzieht (UStAE 13c.1 Abs. 27, 19); ausführlich zur „Vereinnahmung“ UStAE 13c.1 Abs. 30 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 112 Teil H
Soweit der vereinbarte Kaufpreis gezahlt wurde, ist beim echten Factoring der für die Forderung geleistete Kaufpreis dem veräußernden Unternehmers endgültig zur freien Verfügung zugeflossen. Dieser ist damit in der Lage, die anfallende Umsatzsteuer abzuführen. Eine Haftung des Factors bei Übernahme des Delkredererisikos erscheint daher unbillig. Entsprechendes gilt für das unechte Factoring. Auch wenn der Forderungsverkäufer hier noch für die Einbringlichkeit der Forderung haftet, hat er doch in Höhe des gezahlten Kaufpreises vom Factor einen Gegenwert für die verkaufte Forderung erhalten. Deshalb ist zumindest in dieser Höhe die Forderung i.S.v. § 13c UStG als vom Forderungsverkäufer vereinnahmt anzusehen. Dieser Auffassung hat sich auch das Bundesministerium der Finanzen für das echte Factoring weitgehend angeschlossen1. Problematisch ist nur, dass die Finanzverwaltung die Haftung nur verneint, „soweit“ der Forderungsverkäufer für die verkauften Forderungen eine Gegenleistung in Geld bekommen hat2. Angesichts der üblichen Forderungsabschläge stellt sich damit die Frage, ob diesbezüglich noch eine Haftung besteht oder ob das Wort „soweit“ im Gesetztestext auf die endgültige Zahlung des Kaufpreises abstellt. Aufgrund der zweifachen Begrenzung der Haftung beschränkt sich das Haftungsrisiko auf die auf den Forderungsabschlag entfallende nicht abgeführte Umsatzsteuer, also nicht auf die gesamte auf die angekaufte Forderung entfallende Umsatzsteuer, begrenzt auf den Forderungsabschlag3. Der Factor kann die Haftung nach § 13c Abs. 2 Satz 4 dtUmStG vermeiden, wenn er als Dritter die in der angekauften Forderung enthaltende Umsatzsteuer nach § 48 dtAO an das Finanzamt abführt4. In der Praxis scheitert dies jedoch regelmäßig an den von der Finanzverwaltung dafür geforderten Voraussetzungen. bb) Echtes Factoring als wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. 6. EU-Richtlinie über die Harmonisierung der Mehrwertsteuer In seiner Entscheidung vom 26.6.20035 in der Sache MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH befasste sich der EuGH (und in deren Folge der BFH durch Entscheidung v. 4.9.2003)6 mit der Frage, wie das echte Factoring für Zwecke der 6. Richtlinie über die Harmonisierung der Mehrwertsteuer (77/388/EG) zu behandeln ist. Nach Auffassung des BFH und der deutschen Finanzverwaltung vor der EuGH-Entscheidung war die Tätigkeit des echten Factors nicht als unternehmerisch im umsatzsteuerlichen Sinn zu qualifizieren7. Der EuGH entschied, dass auch der Factor, der echtes Factoring betreibt, eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 4 Abs. 2 der 6. Richtlinie erbringe und deshalb als Steuerpflichtiger i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der 6. Richtlinie anzusehen sei. Dabei sah der EuGH das Factoring als im Wesentlichen durch die Einziehung und Beitreibung von Forderungen geprägt an und leitete allein hieraus die Umsatzsteuerpflicht ab. Als Entgelt für die Leistung ist hierbei die Differenz zwischen dem Nennwert der Forderung und dem vom Factor an den Kunden gezahlten Betrag anzusehen. Dieser Auffassung hat sich die Finanzverwaltung weitgehend angeschlossen8. 1 Vgl. BMF, Schr. v. 24.5.2004 – IV B 7-S 7279a – 17/04: Umsatzsteuer; Haftung bei Abtretung, Verpfändung oder Pfändung von Forderungen (13c UStG) sowie Haftung bei Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 13d UStG), Ziff. 20; Umsatzsteuer-Anwendungserlass v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (Stand 4.11.2015) Abschn. 13c.1. Abs. 27. 2 UStAE 13c.1 Abs. 27; Leonard in Bunjes, UStG, § 13c Rz. 18. 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (Stand 4.11.2015) Absch. 13c.1 UmStG Abs. 41. 4 Umsatzsteuer-Anwendungserlass v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (Stand 4.11.2015) Absch. 13c.1 UmStG Abs. 42, 43; Leonard in Bunjes, UStG, § 13c Rz. 47, 48. 5 EuGH v. 26.6.2003 – Rs. C-305/01 – MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH; weiterführend EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C-93/10. 6 BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 34/99. 7 Vgl. Philipp/Keller, DStR 2003, 1286 f. 8 BMF, Schr. v. 3.6.2004 – IV B 7 – S7104 – 18/04, Umsatzsteuer beim Forderungskauf und Forderungseinzug; Umsatzsteuer-Anwendungserlass v. 1.10.2010, BStBl. I, 846 – aktuelle Version (Stand 4.11.2015) (UStAE) 2.4 Abs. 1 und 6.
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Teil H Rz. 113 113
Finanzierung
Das echte und das unechte Factoring sind hinsichtlich ihrer Umsatzsteuerbarkeit gleichgestellt und unterliegen der Umsatzsteuer nur, wenn der Forderungseinzug durch den Factor erfolgt. Nur soweit der Factor im Rahmen des Forderungskaufes auch den Einzug der Forderung übernimmt, ist dies als wirtschaftliche Tätigkeit eine der Umsatzsteuer unterfallende Leistung. In den Fällen des echten und des unechten Factoring, in denen der Forderungserwerber den Einzug der Forderungen nicht vornimmt, sondern der Forderungseinzug weiter durch den Forderungsverkäufer (Anschlusskunden) erfolgt, liegt keine Factoringleistung im Sinne der genannten Entscheidungen und damit keine Umsatzsteuerpflicht vor1. In Zweifelsfällen sollten verbindliche Auskünfte2 bei der Finanzverwaltung eingeholt werden, um steuerliche Risiken zu vermeiden.
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Da das echte und unechte Factoring umsatzsteuerrechtlich wie eine Kreditgewährung gegen Forderungsabtretung gem. § 4 Nr. 8 lit. a und c UStG behandelt wird, besteht die Möglichkeit zur Umsatzsteuerpflichtigkeit zu optieren (§ 9 Abs. 1 UmStG). Das kann sinnvoll sein, wenn sich der Factor dadurch die Berechtigung zum Vorsteuerabzug verschaffen oder die Vorsteuerabzugsbasis dadurch vergrößern will. Sollte die verkaufte Forderung nach dem Forderungsverkauf ausfallen, so ist ausschließlich der Forderungsverkäufer weiter zur Anpassung der Umsatzsteuer im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuererklärungen berechtigt3. Will der Factor auf entsprechende Umsatzsteuererstattungen zugreifen, da er diese ja dem Forderungsverkäufer mit dem Kaufpreis „bezahlt“ hat, muss im Factoringvertrag ausdrücklich eine entsprechende Auskehrungsverpflichtung vereinbart werden. Da der Factor regelmäßig den Forderungseinzug mit der Folge übernimmt, dass das Factoring umsatzsteuerpflichtig wird, sollte im Factoringvertrag genau geregelt werden, welche Leistungsentgelte für welche Leistungen (Kreditgewährung, Übernahme des Ausfallrisikos, Forderungseinzug und Forderungsverwaltung) zwischen den Parteien vereinbart werden, wie sich also der Kaufpreis zusammensetzt. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, umsatzsteuerpflichtige von umsatzsteuerfreien (z.B. soweit diese auf die Kreditgewährung entfallen) Leistungen leichter gegenüber der Finanzverwaltung abzugrenzen4. Bemessungsgrundlage für die Fctoringleistung ist grundsätzlich die Differenz zwischen dem Nennwert der dem Factor abgetretenen Forderungen und dem Kaufpreis abzgl. darauf entfallender Umsatzsteuer, den der Factor dafür bezahlt (§ 10 dtUmStG). Sofern der mit dem Factoring verbundenen Kreditgewährung eine eigene wirtschaftliche Bedeutung zu kommt, kann diese neben der Factoringleistung, verstanden als Forderungsverwaltung und Forderungseinzug, eine separat zu bewertende umsatzsteuerfreie Hauptleistung darstellen, die umsatzsteuerrechtlich selbständig zu bewerten ist5. Dann gehören die Entgelte für die Kreditgewährzung nicht zur umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage, da die Kreditgewährung selbst umsatzsteuerfrei ist (§ 4 Nr. 8 lit. a) UStG). Die Finanzverwaltung verlangt dafür jedoch dann den gesonderten Ausweis der Kreditgewährung und der dafür verein1 UStAE 2.4 Abs. 1; vgl. auch BMF, Schr. v. 3.6.2004 – IV B 7 – S 7104 – 18/04, Umsatzsteuer beim Forderungskauf und Forderungseinzug. 2 Vgl. zu Auskunft mit Bindungswirkung, BMF, Schr. v. 29.12.2003 – IV A 4 – S 0430 – 7/03. 3 Zur Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 1 UStG s. Abs. 17.1 Abs. 5 UStAE zu § 17 UmStG. 4 Dafür spricht die Entscheidung des EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C-93/10 für den Ankauf zahlungsgestörter durch Grundpfandrechte gesicherte Forderungen. 5 Zur Voraussetzung, wann eine Kreditgewährung, die Bestandteil des Factorings ist, nach Auffassung der Finanzverwaltung ausnahmsweise separat bewertet werden kann UStAE 2.4 Abs. 4 Satz 6; dazu Korn in Bunjes, UStG, § 2 Rz. 7, der darauf hinweist, dass aus der Entscheidung des BFH – XI R 28/10, DStR 2012, 1746 für das steuerbare echte Factoring nicht abgeleitet werden kann, dass keine Aufteilung in Factoringleistung (Forderungseinzug) und Kreditgewährung vorgenommen werden könne; zur Bemessungsrundlage und Abgrenzung UStAE 2.4 Abs. 6.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 117 Teil H
barten Entgelte, Angabe des Jahreszins für die Kreditgewährung und getrennte Abrechnung der beiden Entgelte1. Beim Ankauf zahlungsgestörter Forderungen im Rahmen des echten Factorings steht dagegen der Forderungskauf und die Factoringleistung (Übernahme des Forderungseinzuges und der -verwaltung) im Fordergrund des Geschäftes. Der Kaufpreis wird hier in erster Linie nach dem Ausfallrisiko und den Refnanzierungskosten des Factors bis zum erwarteten Forderungseinzug kalkuliert. Deshalb liegt in diesen Fällen keine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit vor, sondern nur ein umsatzsteuerrechtlich nicht steuerbarer Forderungsverkauf gem. § 4 Nr. 8 lit. c) dtUStG2. Das Gleiche sollte dann aber auch für das echte Factoring mit endgültigen Kaufpreisen ohne variablen Forderungabschlägen gelten, wenn damit also das reine Umsatzgeschäft und damit der Forderungskauf im Vordergrund der Transaktion liegt. Auch hier kann keine eindeutige Zuordnung einer steuerbaren Gegenleistung für die Übernahme des Forderungseinzuges vorgenommen werden, zumal der Forderungskäufer hier mangels weiteren Interesses des Verkäufers, die angekauften Forderungen aufgrund der vollen Risko- und Chancenübernahme nur noch für sich einziehen will und soll.
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5. Leasing Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Merkmale des Finanzierungsleasinggeschäfts aa) Allgemeines Mangels einer umfassenden gesetzlichen Regelung in den deutschsprachigen Ländern fehlt es bis heute an einer verbindlichen Legaldefinition des Finanzierungsleasing. In der Praxis findet sich eine bunte Vielfalt an Erscheinungsformen. Der gemeinsame Kerngehalt typischer nationaler und internationaler Finanzierungsleasinggeschäfte besteht darin, dass die Leasinggesellschaft (Leasinggeberin), die nicht gleichzeitig Lieferantin ist, dem Leasingnehmer die Sache während einer im Voraus bestimmten Mindestvertragsdauer gegen Bezahlung von periodischen Raten zum Gebrauch überlässt. Die unkündbare Laufzeit des Vertrages ist dabei so berechnet, dass die Leasinggesellschaft ihre Aufwendungen aus dem Erwerb des Leasingobjektes während der Vertragsdauer vom Leasingnehmer zurückerhält, einschließlich eines auf dem eingesetzten Kapital errechneten Zinses sowie in der Regel eines Gewinnes. Diese Vollamortisation kann bei mittelfristigen oder vorzeitig kündbaren Verträgen ebenfalls erreicht werden, wenn der Leasingnehmer im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung eine Abschlusszahlung im Umfang der Aufwendungen der Leasinggesellschaft zu leisten hat oder wenn der Leasingnehmer eine sog. Restwertgarantie übernimmt, d.h. eine Garantie für die Wiederverkäuflichkeit oder Weiternutzung zu einem bestimmten Preis.
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Die Leasinggesellschaft übernimmt im typischen Fall eine Finanzierungsfunktion. Sie erwirbt zwar das Leasingobjekt, das im Regelfall vom Leasingnehmer spezifiziert wird, von einem Lieferanten zu Eigentum. Sie ist aber bestrebt, dem Leasingnehmer während der Dauer des Vertrags die Pflichten eines Eigentümers zu überbinden und trotzdem ein dingliches Recht am Leasingobjekt zu behalten, das geltend zu machen sie sich für den Fall von Leistungsstörungen vorbehält. Aus der Sicht der Leasinggesellschaft handelt es sich bei solchen Geschäften somit nicht um eine eigene (direkte) Investition, denn wirtschaftlich betrachtet finanziert sie bloß Wirtschaftsgüter, die (zu-
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1 UStAE.3.11 Abs. 1 und 2; vgl. auch UStAE 2.4 Abs. 6 Satz 2: s. auch Korn in Bunjes UStG § 2 Rz. 71 a.E. 2 Korn in Bunjes, UStG, § 2 Rz. 71, unter Hinweis auf EuGH – Rs. C-93/10, DStR 2011, 2093; BFH – V R 18/08, BStBl. II 2010, 654; a.A. die deutsche Finanzverwaltung in USTAE 2.4. Abs. 7 und 8.
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Girsberger 857
Teil H Rz. 118
Finanzierung
mindest während der meist längeren Vertragsdauer) ausschließlich der Nutzungssphäre des Leasingnehmers zuzurechnen sind. bb) Grenzüberschreitende Leasingverträge (Cross-Border-Leasing) 118
Von grenzüberschreitendem Leasing oder Cross-Border-Leasing spricht man dann, wenn die Vertragsparteien (Leasinggeber, Leasingnehmer und gegebenenfalls auch der Lieferant des Leasingobjekts) ihren Sitz oder ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben. Dies ist das charakteristische Merkmal wie auch die besondere rechtliche Problematik des Cross-Border-Leasing. Für die kollisionsrechtliche Behandlung eines Leasinggeschäftes ist von Bedeutung, ob die Lieferung des Leasingobjektes eine Grenze überschritten hat oder überschreiten soll, und ob die Parteien des Leasingvertrages (d.h. Leasinggeber und Leasingnehmer) der Hoheit verschiedener Staaten unterstehen1.
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Die wirtschaftliche Bedeutung von grenzüberschreitenden Leasingtransaktionen innerhalb des deutschsprachigen Raumes ist verhältnismäßig gering. Die Gründe dafür liegen insbesondere in den unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften (namentlich vertraglichen und sachenrechtlichen Form- und Publizitätsvorschriften, nationalem Steuerrecht oder Insolvenzrecht), welche in der Regel zu erhöhten Transaktionskosten führen. Grenzüberschreitende Leasingtransaktionen mit vergleichsweise kleinem Investitionsvolumen werden daher von den Leasinggesellschaften vorzugsweise entweder durch im Ausland domizilierte Tochtergesellschaften als rein nationale Transaktionen durchgeführt, oder das Geschäft wird im Rahmen internationaler „Leaseclubs“ (Multilease, International Finance and Leasing Association, u.a.) an ausländische Gesellschaften vermittelt. cc) Sonderform: Big-Ticket-Leasing
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Eine Ausnahme und die wirtschaftlich bedeutendste Variante des grenzüberschreitenden Leasings bildet die internationale Finanzierung mittels Leasing von sehr großen Investitionsgütern wie Flugzeugen, Eisenbahn-Rollmaterial, Fabrikanlagen, Satelliten, Ölplattformen oder Schiffen (sog. Big-Ticket-Leasing). Die Motive für den Abschluss solcher Big-Ticket-Leasingverträge können vielfältiger Natur sein2. Das primäre Motiv zum Abschluss solcher Finanzierungsgeschäfte besteht regelmäßig darin, die Steuervorteile ausländischer Rechtsordnungen nutzbar zu machen mit dem Ziel, auf diesem Wege die Gesamtinvestitionskosten zu senken (sog. Tax-driven Financial Leasing)3.
121
Big-Ticket-Leasingtransaktionen sind in der Regel sehr komplexe, auf den Einzelfall zugeschnittene Vertragskonstruktionen4. Neben dem Lieferanten, dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer sind oft auch Vierte beteiligt, sei es, um die Refinanzierung der Transaktion zu sichern, oder sei es, um die Risiken im Zusammenhang mit dem Leasingverhältnis zusätzlich aufzuteilen. dd) Drei- und Zweiparteiengeschäfte
122
Stark vereinfacht lassen sich auch komplexe internationale Finanzleasinggeschäfte im Kern regelmäßig auf Zwei- oder höchstens Dreiparteiengeschäfte reduzieren: 1 Girsberger, Rz. 29. 2 Girsberger, Rz. 31. 3 Frick, Finanzleasinggeschäfte am Beispiel von Aircraft Finance-Transaktionen – Strukturen, Vorteile und Risiken, SZW 2000, S. 242 ff. Bis 2004 waren insbesondere Leasingkonstruktionen unter Einbezug der USA sehr beliebt (US crossborder leasing); diese sind durch den American Jobs Creation Act 2004 (Public Law 108–357 – Oct. 22 2004, 26 USC 1) im Wesentlichen unterbunden worden. 4 Girsberger, Rz. 31 f.
858 | Girsberger
Finanzierungsmodelle
Rz. 127 Teil H
Ein Dreiparteiengeschäft liegt beim klassischen Finanzierungsleasing vor, bei dem der Leasinggeber das Leasingobjekt vom Hersteller oder Lieferanten erwirbt, und es dem Leasingnehmer verleast. Der Lieferant und der Leasingnehmer stehen zueinander zwar in keinem direkten vertraglichen Verhältnis. Die Dreiecksbeziehung zwischen den drei Beteiligten begründet sich jedoch aus dem Sachzusammenhang zwischen dem Kaufvertrag und dem Leasingvertrag, aufgrund dessen der Leasinggeber dem Leasingnehmer in der Regel die kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüche gegen den Hersteller oder Lieferanten abtritt. Während sich das Leasingobjekt nach dem Willen der Parteien regelmäßig während der ganzen wirtschaftlichen Lebensdauer im Besitz des Leasingnehmers befindet, steht das rechtliche Eigentum nach der vertraglichen Regelung dem Leasinggeber zu.
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Demgegenüber lassen sich steuerlich motivierte grenzüberschreitende Leasinggeschäfte im Kern oft auch auf Zweiparteiengeschäfte zurückführen: Exemplarisch dafür sind etwa Sale-and-Lease-back- oder Lease-in-Lease-out-Transaktionen. Im ersten Fall verkauft der inländische Eigentümer das Leasinggut an einen ausländischen Leasinggeber und least es anschließend wieder zurück. Das rechtliche Eigentum am Leasinggut soll dann beim ausländischen Leasinggeber liegen. Im zweiten Fall verleast der inländische Eigentümer das Leasinggut an einen ausländischen Leasinggeber (sog. Head-Lease) und least es anschließend wieder zurück (Sub-Lease), mit der Konsequenz, dass das rechtliche Eigentum beim inländischen Nutzer des Investitionsgutes verbleiben soll. Im Unterschied zum klassischen Finanzierungsleasing fehlt bei solchen Konstellationen die Beteiligung eines Lieferanten, weil das Leasingobjekt bereits vor Abschluss der Transaktion im Eigentum des späteren Leasingnehmers steht. Dennoch ist unverkennbar, dass auch solche Transaktionen aus der Sicht beider Vertragsparteien Finanzierungscharakter aufweisen.
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Die Unterscheidung in Dreiparteien- oder Zweiparteiengeschäfte kann für die kollisionsrechtliche Beurteilung internationaler Finanzleasingverträge wichtig sein. So ist etwa die UNIDROIT-Leasingkonvention (s. Rz. 129) nur auf das klassische Finanzierungsleasing, also auf Dreiparteiengeschäfte, anwendbar.
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b) Rechtsgrundlagen aa) Einheitsprivatrecht Das Recht des Finanzierungsleasing ist durch zwei Instrumente international harmonisiert worden, nämlich einerseits das Ottawa-Übereinkommen vom 28.5.1988 über das internationale Finanzierungsleasing (Leasingübereinkommen)1 und anderseits das Kapstadt-Übereinkommen vom 16.11.2001 über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (Kapstadt-Übereinkommen)2. Daneben hat UNIDROIT am 13.11.2008 auch ein Modellgesetz über Leasing verabschiedet, das sich jedoch in erster Linie an Entwicklungsländer richtet3.
126
Das am 1.5.1995 in Kraft getretene Leasingübereinkommen gilt inzwischen in zehn Staaten, darunter Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland sowie in Russland, Weissrussland und der Ukraine4. Es regelt in erster Linie die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien des Liefer- und des Leasingvertrages (Lieferant, Leasinggesellschaft und Leasingnehmer), einschließlich Unterleasingnehmern (vgl. Art. 8 ff. Leasingübereinkommen)5.
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1 Text und Status unter www.unidroit.org/instruments/leasing/convention-leasing; deutsche Übersetzung bei Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 615 Rz. 1131. 2 Deutsche Übersetzung unter www.unidroit.org/othersi-conv-2/autre-conv-6. 3 Wortlaut unter www.unidroit.org/instruments/leasing/model-law. 4 Status unter http://www.unidroit.org/status-leasing-conv-1988. 5 Ausführlich zum Regelungsgehalt des Übereinkommens Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 610 ff. Rz. 1117 ff.
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Girsberger 859
Teil H Rz. 128
Finanzierung
Das Leasingübereinkommen regelt das Leasingvertragsrecht allerdings nicht umfassend, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Haftung der Vertragsparteien und die Wirkungen von Leistungsstörungen der Leasinggesellschaft und des Leasingnehmers. Demgegenüber fehlen etwa eine Beschreibung der Haupt- und Nebenpflichten der Vertragsparteien sowie eine Regelung über den Vertragsabschluss oder die Vertragsbeendigung. Neben Aspekten des Leasingvertragsrechts schreibt Art. 7 auch die Vollstreckungsfestigkeit des Eigentumsrechts des Leasinggebers am Leasingobjekt in der Insolvenz des Leasingnehmers bzw. der Zwangsvollstreckung gegenüber dem Leasingnehmer fest (Art. 7 Abs. 1). Ferner umfasst das Übereinkommen Kollisionsnormen zur Publizität dinglicher Rechte (Art. 7 Abs. 2 und 3) sowie zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Leasingobjekt Bestandteil eines Grundstücks wird (Art. 4 Abs. 2). Schließlich findet sich in dem Übereinkommen auch eine Legaldefinition des Finanzierungsleasings (Art. 1 Abs. 2: Dreiparteiengeschäft über Investitionsgüter (keine Konsumgüter), die der Leasinggeber zum Zwecke der Überlassung der Nutzung durch den Leasingnehmer beim Lieferanten erwirbt, und das eine Vergütung beinhaltet (Amortisationselement)). 128
Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Leasingübereinkommens, der sich an Art. 1 CISG orientiert, ist allerdings denkbar eng1. Vorausgesetzt ist zunächst einmal die Internationalität des Leasingverhältnisses; diese ist gegeben, wenn Leasingnehmer und Leasinggeber in verschiedenen Staaten ansässig sind (Art. 3 Abs. 1). Darüber hinaus ist eine Beziehung zu einem Vertragsstaat erforderlich. Diese besteht entweder dann, wenn neben dem Leasingnehmer und dem Leasinggeber auch der Lieferant Sitz in einem Vertragsstaat hat (Art. 3 Abs. 1 lit. a) oder wenn das Recht eines Vertragsstaates sowohl auf den Leasing- als auch den Kaufvertrag anwendbar ist (Art. 3 Abs. 1 lit. b). Wird das Recht eines Vertragsstaates (z.B. Frankreich oder Italien) gewählt, so ist das Leasingsübereinkommen auch dann anwendbar, wenn keine der Parteien in einem Vertragsstaat ansässig ist2. Zu beachten ist, dass eine Abwahl des ganzen Übereinkommens eine dreiseitige Erklärung aller am Leasinggeschäft beteiligten Parteien erfordert (Art. 5); eine entsprechende Erklärung in einer zweiseitigen Rechtswahlklausel führt nur zur Nichtanwendbarkeit der dispositiven Bestimmungen des Übereinkommens3.
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Praktisch bedeutsamer ist das Kapstadt-Übereinkommen, das u.a. auch Leasinggeschäfte mit Luftfahrzeugen sowie künftig möglicherweise mit Eisenbahnrollmaterial und Weltraumfahrzeugen erfasst (Art. 2 Abs. 3)4. Es besteht aus einem Hauptabkommen und ausrüstungsspezifischen Protokollen. Das Hauptabkommen ist bisher von 68 Staaten sowie der EU ratifiziert worden; das Luftfahrzeugprotokoll von 59 Staaten und der EU5. Die EU hat dabei für alle ihre Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark gehandelt6; das Übereinkommen gilt somit für sämtliche Mitgliedstaaten der EU(außer Dänemark). Die Schweiz hat das Kapstadt-Übereinkommen zwar gezeichnet und auch die Absicht geäussert, es zu ratifizieren, doch sind entsprechende Schritte bisher nicht erfolgt. 1 Kronke, Unif. L. Rev. 2011, S. 23, 31: ausführlich dazu Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 609 ff. Rz. 1116 ff. 2 Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 610 Rz. 1116. 3 Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 610 Rz. 1116, 1130. 4 Auf Leasinggeschäfte wird dabei auch in der Präambel Bezug genommen: „… in der Überzeugung, dass diese Regeln die Grundsätze der durch Vermögenswerte gesicherten Finanzierung und des Leasings widerspiegeln und die für diese Rechtsgeschäfte erforderliche Vertragsfreiheit der Parteien fördern müssen …“ 5 Status unter http://www.unidroit.org/status-2001capetown. Die Protokolle für Eisenbahnrollmaterial und Raumfahrzeuge sind bisher noch nicht in Kraft getreten. 6 Vgl. Beschluss des Rates v. 6.4.2009 zur Genehmigung des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zu dem Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung und zu dem zugehörigen Protokoll über Luftfahrzeugausrüstung, die gemeinsam am 16.11.2001 in Kapstadt angenommen wurden (2009/370/EG), ABl. Nr. L 121 v. 15.5.2009, S. 3.
860 | Girsberger
Finanzierungsmodelle
Rz. 133 Teil H
Das Kapstadt-Übereinkommen hat ein internationales Sicherungsrecht sui generis geschaffen, das auch das Recht des Leasinggebers an einem Leasingobjekt umfasst (Art. 2 Abs. 2 lit. c Kapstadt-Übereinkommen). Voraussetzung für die Drittwirkung des Sicherungsrechts ist die Eintragung in einem der ausrüstungsspezifischen Register, die auf der Grundlage der Zusatzprotokolle geschaffen werden1. Auch die Vorschriften zur Durchsetzung von Sicherungsrechten sind ausrüstungsspezifisch2. Das Übereinkommen sieht ebenfalls einen verstärkten Schutz der dinglichen Rechte des Leasinggebers in der Insolvenz des Leasingnehmers vor3. Schließlich findet sich auch hier eine Legaldefinition des Leasingvertrags (Art. 1 lit. q: „Leasingvertrag bedeutet eine Vereinbarung, mit der eine Person (der Leasinggeber) einer anderen Person (dem Leasingnehmer) gegen einen Leasingzins oder eine Zahlung anderer Art ein Besitz- oder Verfügungsrecht an einem Gegenstand (mit oder ohne Kaufoption) einräumt“).
130
Das Modellgesetz über Leasing, das UNIDROIT am 13.11.2008 verabschiedet hat, regelt den Leasingvertrag umfassender als das Leasing-Übereinkommen. Es findet nicht nur auf das Finanzierungsleasing, sondern auch auf Mietverhältnisse Anwendung (Art. 2), nicht aber auf Leasinggeschäfte, denen Sicherungscharakter zukommt (Art. 3 Abs. 1). Es richtet sich in erster Linie an Entwicklungsländer, hat aber bspw. auch in Litauen als Vorbild für eine Leasinggesetzgebung gedient4.
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bb) EU-Recht EU-Recht regelt das Leasingprivatrecht bisher nicht, mit Ausnahme von Teilaspekten von Verbraucherleasinggeschäften, für welche die Verbraucherkreditrichtlinie5 Anwendung findet. Für die Bestimmung des auf die vertraglichen Verhältnisse anwendbaren Rechts ist die Rom-I-Verordnung6 einschlägig. Für die Insolvenzfestigkeit der Eigentumsrechte des Leasinggebers in der Insolvenz des Leasingnehmers ist die Insolvenzverordnung7 zu beachten (v.a. Art. 5)8.
132
cc) Nationales Recht Trotz einer teilweisen Harmonisierung des Leasingvertragsrechts bleibt damit nationales Recht auf breiter Front anwendbar. Das gilt selbst dann, wenn das UNIDROITLeasingübereinkommen grundsätzlich anwendbar ist.
1 2 3 4 5
Kronke, Unif. L. Rev. 2011, S. 23 (36). Kronke, Unif. L. Rev. 2011, S. 23 (37). Kronke, Unif. L. Rev. 2011, S. 23 (37). Kronke, Unif. L. Rev. 2011, S. 23 (41 f.). Vgl. Richtlinie 2008/48/EG v. 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. Nr. L 133 v. 22.5.2008, S. 66); Erwägungsgrund 35. Die Richtlinie wurde in Deutschland durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht (BGBl. I 2009, 2355) und in Österreich durch das Verbraucherkreditgesetz (VKrG; BGBl. I Nr. 28/2010) umgesetzt. Als EWR-Mitgliedstaat musste auch Liechtenstein die Verbraucherkreditrichtlinie umsetzen; dies ist durch das Konsumkreditgesetz (KKG) v. 24.11.2011 (LGBl. 2012 Nr. 1) erfolgt. Die Schweiz hatte Regelungen zum Verbraucherleasing bereits im Konsumkreditgesetz v. 23.3. 2001 (SR 221.214.1) vorgesehen; vgl. Art. 11, 17 f., 21, 29 KKG. 6 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. Nr. L 177, v. 4.7.2008, S. 6. 7 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. Nr. L 160 v. 30.6. 2000, S. 1. 8 Zur Regelung des Finanzierungsleasing im Draft Common Frame of Reference vgl. Fötschl, Financial Leasing unter der UNIDROIT-Convention on International Financial Leasing und dem Draft Common Frame of Reference: Eine vergleichende Analyse, 17 Europ. Rev. Priv. Law 659–673, 560 ff. (2009).
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Teil H Rz. 134 134
Finanzierung
Hierbei ist zu beachten, dass der Leasingvertrag bis jetzt im deutschsprachigen nationalen Privatrecht keine umfassende positivrechtliche Regelung erfahren hat1. Zivilrechtlich werden die typischen Finanzierungs-Leasingverträge, insbesondere in Abgrenzung zum Kauf- oder zum Darlehensvertrag, überwiegend als Gebrauchsüberlassungsverträge sui generis angesehen, die in ihren wesentlichen Merkmalen einem Mietverhältnis entsprechen, und auf die demzufolge primär Mietvertragsrecht anzuwenden sei2. Für das Bilanzierungsrecht und das Vollstreckungsrecht (Ab- und Aussonderung im Vollstreckungs- und Konkursverfahren) lässt sich im Sinne einer – allerdings ungenauen – Faustregel festhalten, dass diese Rechtsbereiche den zivilrechtlichen Ansätzen im Wesentlichen folgen. Das Steuerrecht nicht weniger Staaten hingegen weicht je nach konkreter zivilrechtlicher Ausgestaltung der Verträge von den Intentionen des Privatrechts häufig ab und folgt einer eigenen, sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise. c) Kollisionsrecht – Vertragsrecht aa) Allgemeines
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Für die kollisionsrechtliche Behandlung eines Leasinggeschäftes ist von Bedeutung, ob die Lieferung des Leasingobjektes eine Grenze überschreiten soll und ob die Parteien des Leasingvertrages (Leasinggesellschaft und Leasingnehmer) ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben. Nur die letztgenannte Konstellation wird in der internationalen Rechtspraxis als grenzüberschreitendes Leasing (Cross-Border-Leasing) im engeren Sinne bezeichnet3. Wegen der engen Verknüpfung zwischen Liefer- und Leasingvertrag sind aber auch internationale Lieferverträge von Bedeutung, die mittels eines nationalen Leasingvertrages finanziert werden. Auch auf diese wird daher im Folgenden eingegangen.
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Liegt ein grenzüberschreitendes Leasinggeschäft vor, so ist vorab stets die Anwendbarkeit des UNIDROIT-Leasingübereinkommens (Rz. 127 f.) bzw. des Kapstadt-Übereinkommens (beim Leasing von Luftfahrzeugen, Rz. 129 f.) zu prüfen. Für das Verhältnis zum Lieferanten des Leasingobjekts kann das Wiener Kaufrechtsübereinkommen anwendbar sein.
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Ist kein Einheitsrechtsübereinkommen anwendbar, so bestimmt sich das auf Leasingverträge anwendbare materielle Recht aus Sicht der EU-Mitgliedstaaten (ausser Dänemark4) nach den Regeln der Rom I-Verordnung. Eine Ausnahme gilt für den Kaufvertrag mit dem Lieferanten, für den das anwendbare Recht nach dem Haager Kaufrechtsübereinkommen5 von 1955 zu bestimmen ist, soweit dessen Mitgliedstaaten (Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Norwegen Schweden, Schweiz) für die Beurteilung dieses Vertrages zuständig sind6. Aus schweizerischer Sicht bestimmt sich das anwendbare Recht nach Art. 116 ff. schwIPRG, wobei auch hier das Haager Kaufrechtsübereinkommen vorgeht (s. Art. 118 schwIPRG). Für Liechtenstein, das ebenfalls nicht Mitgliedstaat der Rom I-Verordnung ist, gilt Art. 39 ff. flIPRG. 1 Vgl. dazu Girsberger, Rz. 24 ff. 2 Überblick über Meinungsstand und Rechtsprechung zum deutschen Recht in von Westphalen, Rz. 52 ff.; Büschgen, S. 65 ff.; für das österreichische Recht Krejci, S. 27 ff., 46 ff., für das schweizerische Recht Girsberger, Rz. 237 m.w.H. in Fn. 34. 3 Knebel, S. 22. 4 Krümmel, S. 2520 Rz. 373. Dänemark ist nicht Mitgliedstaat i.S.v. Art. 1 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO. Dänische Gerichte wenden deshalb weiterhin das EVÜ an; während die Gerichte anderer Mitgliedstaaten die Rom-I-Verordnung auch im Verhältnis zu Dänemark anwenden dürften; vgl. dazu Martiny, in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 39 sowie Rz. 77. 5 Haager Übereinkommen v. 15.6.1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht. 6 Das Haager Kaufrecht hat auch für die EU-Mitgliedstaaten Vorrang; vgl. Art. 25 Rom I-VO; dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 78.
862 | Girsberger
Finanzierungsmodelle
Rz. 142 Teil H
Nach ganz h.M. sind der Leasingvertrag (zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber) und der Liefervertrag (zwischen Leasinggeber/Besteller und Lieferant/Hersteller) gesondert anzuknüpfen1. Das wird in erster Linie damit gerechtfertigt, dass das Leasingverhältnis aus zwei selbständigen Verträgen besteht, wobei sich ein klarer Schwerpunkt nicht feststellen lässt. Auch der Schutz des Leasingnehmers gebietet keine einheitliche Anknüpfung2.
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bb) Rechtswahl Treffen alle Beteiligten eines Leasinggeschäftes eine Rechtswahl gem. Art. 3 Rom I-Verordnung, Art. 116 schwIPRG, die sich auf das ganze Dreiecksverhältnis (Lieferant, Leasinggesellschaft und Leasingnehmer) erstreckt, so lassen sich schwierige Abgrenzungsfragen im Grenzbereich zwischen Leasingvertragsstatut und Liefervertragsstatut vermeiden. Fehlt eine umfassende Rechtswahl, hat eine Rechtswahl zwischen den Parteien des einen Vertrages grundsätzlich keine Wirkung auf die Anknüpfung des anderen Vertrages (Rz. 138). Eine Rechtswahl für einen Vertrag kann im Verhältnis zu der nicht an diesem Vertrag beteiligten Partei nur dann Wirkungen entfalten, wenn diese Partei der Rechtswahl zugestimmt hat. Die Kenntnis des Inhaltes des anderen Vertrages ist, abgesehen vom Vorliegen besonderer Indizien, nicht als Zustimmung zu einer Rechtswahl zu werten, die sich auf den anderen Vertrag bezieht.
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cc) Objektive Anknüpfung Für die Anknüpfung des Vertragsverhältnisses zwischen Leasinggesellschaft (Leasinggeber) und Leasingnehmer ist grundsätzlich der Sitz oder die Niederlassung des die charakteristische Leistung erbringenden Leasinggebers maßgebend (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 117 Abs. 2, 3 lit. b schwIPRG). In besonders komplexen Verhältnissen wird der engste räumliche Zusammenhang des Leasingvertrages jedoch oft gem. Art. 4 Abs. 5, 1 Rom I-VO, Art. 117 Abs. 1 schwIPRG individuell zu ermitteln sein.
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Der Liefervertrag zwischen Lieferant und Leasinggeber ist gesondert anzuknüpfen. In der Regel handelt es sich um ein Kaufgeschäft. Ist weder einheitliches materielles Kaufrecht (CISG) noch einheitliches Kollisionsrecht (HKaufRÜ, Rz. 137) anwendbar, so ist das anwendbare Recht aufgrund des Vertragskollisionsrechts des Forums zu bestimmen (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO; Art. 117 Abs. 3 lit. a schwIPRG; Art. 40 flIPRG). Alle diese Kollisionsregeln führen im Regelfall zur Anwendung des Rechts des Verkäufers.
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Bezirksgericht Zürich v. 1.2.1984, SchwJZ 1987, 184 Leasingvertrag über eine EDV-Anlage zwischen einer schweizerischen Leasinggesellschaft und einem deutschen Zahnarzt. Klage auf Schadenersatz aus Nichterfüllung des Leasingvertrags durch den Leasingnehmer. Das Gericht beurteilte die Forderung aufgrund einer wirksamen Rechtswahl nach schweizerischem Recht, kam jedoch zum Schluss, dass schweizerisches Recht auch bei objektiver Anknüpfung zur Anwendung gelangt wäre. Beim Leasingvertrag handle es sich um einen Gebrauchsüberlassungsvertrag sui generis, die dem Recht der Partei unterstehen, welche die typische Leistung erbringt (E. 2). Ferner stellte das Gericht fest, dass es sich beim Leasingvertrag und beim Kaufvertrag um rechtlich selbständige Abreden in Form einer Vertragskoppelung und nicht um eine juristische Einheit handle, so dass jeder Vertrag ein eigenes rechtliches Schicksal aufweise (E. 1 b).
Generell gilt für Fragen, die sich im Dreiecksverhältnis stellen, der folgende Grundsatz: Stellen sie sich im Verhältnis zwischen den Parteien des Leasingvertrages, richten sie sich nach dem Leasingvertragsstatut; stellen sie sich im Verhältnis zwischen Lea1 Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 620 Rz. 1132 m. Hinw. auf die teilweise abweichende französische Auffassung; so auch Krümmel, S. 2520 Rz. 374; Ackermann, § 83 Rz. 19 ff.; Koch, Rz. 156. 2 Dageförde in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 620 Rz. 1132.
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Teil H Rz. 143
Finanzierung
singgesellschaft und Lieferant, richten sie sich nach dem Liefervertragsstatut. Eine einheitliche objektive Anknüpfung von Leasing- und Liefervertrag ist nur bei Zweiparteiengeschäften geboten wie etwa bei Lease-back-Geschäften und beim Herstellerleasing und kann über Art. 4 Abs. 5, 1 Rom I-VO und Art. 117 Abs. 1 schwIPRG erreicht werden. 143
Im Rahmen der einzelnen Vertragsverhältnisse zwischen den Parteien des Leasinggeschäfts (Leasinggeber – Leasingnehmer einerseits; Lieferant – Leasinggeber andererseits) kann die Anwendung eines unliebsamen Rechts oder einer unliebsamen Rechtsfolge häufig durch eine vertragliche Risikoverteilung, durch eine Gerichtsstandvereinbarung, die zur Anwendung des gewünschten Kollisionsrechts führt, und durch eine Rechtswahl im Voraus ausgeschlossen werden. Nicht vermeiden lassen sich faktische Eingriffe in die Vertragserfüllung, wenn ein Staat seine Herrschaftsgewalt durch Zugriff auf eine Partei des Leasingvertrages oder auf deren Vermögen, namentlich auf das Leasingobjekt, durchsetzen kann. In einem grenzüberschreitenden Leasingvertrag kann aber in aller Regel wirksam bestimmt werden, wer für die so entstehenden Risiken und Kosten verantwortlich ist. d) Sachenrecht aa) Fragestellung
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Die Frage, welche Wirkungen das vertraglich vereinbarte Recht der Leasinggesellschaft und des Leasingnehmers am Leasingobjekt gegenüber Dritten hat, die nicht an der Finanzierungsleasing-Transaktion beteiligt sind, ist sachenrechtlicher Natur. Weil das Recht der Leasinggeberin am Leasingobjekt in vielen Fällen wirtschaftlich eine ähnliche Funktion erfüllt wie das Sicherungseigentum oder ein Pfandrecht, ist diese Frage in den Gesamtzusammenhang des Kreditsicherungsrechts zu stellen. Die Leasinggesellschaft als Sicherungsgläubigerin gelangt in aller Regel nicht in den Besitz des Leasingobjekts, so dass sich das Problem ergeben kann, ob nicht ihr dingliches Recht am Leasingobjekt ähnlichen Voraussetzungen unterliegen und ähnliche Rechtswirkungen entfalten soll wie das Recht eines Eigentumsvorbehaltsverkäufers. Dieser Forderung sind nur wenige Rechtsordnungen nachgekommen, und die Gerichte der einzelnen Staaten haben nur punktuell entsprechend entschieden. Stattdessen wird die Leasinggesellschaft in der Regel wie eine Vermieterin und damit als (Voll-)Eigentümerin behandelt, was zwar der wirtschaftlichen Funktion des Vorbehaltes des dinglichen Rechtes am Leasingobjekt entspricht, den Besonderheiten des Leasinggeschäftes im Vergleich zu anderen Kreditsicherheiten aber nicht immer genügend Rechnung trägt1.
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Soweit Sicherungsgeschäfte anderen Voraussetzungen oder Rechtswirkungen unterliegen als „reine“ Gebrauchsüberlassungs- oder Veräußerungsgeschäfte, bedarf es genauer Abgrenzungskriterien, um ein Leasinggeschäft als eines mit Sicherungscharakter oder eines mit überwiegendem Gebrauchsüberlassungscharakter zu qualifizieren. Von dieser Qualifikation hängt in vielen Rechtsordnungen ab, welche Voraussetzungen und Wirkungen in Bezug auf das dingliche Recht einer Finanzierungs-Leasinggesellschaft am Leasingobjekt gelten2. bb) Einheitsprivatrecht
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Das internationale Leasing-Sachenrecht ist nur hinsichtlich weniger Einzelfragen vereinheitlicht. Das UNIDROIT-Leasingübereinkommen verlangt, dass das Eigentumsrecht des Leasinggebers am Leasingobjekt in der Insolvenz des bzw. der Zwangsvollstreckung gegen den Leasingnehmer anerkannt wird (Art. 7 Abs. 1, s. Rz. 127). Das 1 Girsberger, S. 190 ff.; Girsberger, Finanzierungsleasing als Kreditsicherheit in Koller (Hrsg.), Leasingrecht – Ausgewählte Fragen, Bern 2007, 5 ff. 2 Girsberger, S. 213 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 151 Teil H
Übereinkommen regelt aber weder die Voraussetzungen des Erwerbs und des Verlustes des dinglichen Rechts am Leasingobjekt noch dessen gutgläubigen Erwerb noch die Rangfolge gegenüber anderen Sicherungsrechten oder die Frage, wie die Leasinggesellschaft ihr dingliches Recht in einem Einzel- oder Gesamtvollstreckungsverfahren auszuüben hat. Diese Fragen richten sich nach wie vor nach dem nationalen Sachen- und Kollisionsrecht. Das Kapstadt-Übereinkommen schafft demgegenüber insofern eine abschließende Ordnung, als es die Begründung, die Drittwirksamkeit sowie die übrigen Wirkungen des internationalen Sicherungsrechts (das bei Leasinggeschäften das dingliche Recht des Leasinggebers mit umfasst, Rz. 129) grundsätzlich abschließend regelt (s. Art. 2 Abs. 1 Kapstadt-Ü). cc) Nationales Kollisionsrecht Ist kein Einheitsprivatrechtsübereinkommen anwendbar, so bestimmt sich das auf die sachenrechtlichen Aspekte anwendbare Recht nach nationalem Kollisionsrecht. Für dingliche Rechte am Leasingobjekt gilt nach der traditionellen und weltweit verbreiteten lex sitae-Regel das Recht am Lageort des Leasinggegenstandes, und zwar sowohl für die Anknüpfung der Entstehung und des Verlustes der Eigentumsverhältnisse als auch für den Inhalt des dinglichen Rechtes (Art. 43 dtEGBGB, § 31 öIPRG, Art. 100 schwIPRG, Art. 34 ff. flIPRG). Wegen der unterschiedlichen Anknüpfungszeitpunkte ist dennoch zwischen der Frage des Erwerbs und des Verlustes und der Frage des Inhaltes und der Ausübung des Rechtes zu unterscheiden. Wichtig ist vor allem die Frage der Publizität, also etwa, ob das Recht am Leasingobjekt nach dem anwendbaren Recht registriert werden muss, um wirksam zu sein.
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Generell ist für die Anknüpfung der dinglichen Rechte der Beteiligten ein Entscheid darüber notwendig, ob das Recht der Leasinggesellschaft am Leasingobjekt als Eigentumsrecht oder als beschränktes dingliches Recht anzusehen ist. Dabei kommt es nach der noch vorherrschenden Praxis auf die Unterschiede zwischen Volleigentum, Sicherungseigentum und beschränkten dinglichen Rechten an, sofern sie unterschiedlich angeknüpft werden.
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e) Insolvenzrecht Wie im Vertrags- und im Sachenrecht ist im materiellen Insolvenzrecht vieler Staaten eine Zuordnung des konkreten Finanzierungsleasingvertrags zu einem spezifischen Vertragstyp notwendig, um die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf den Vertrag und auf das dingliche Recht am Leasingobjekt zu ermitteln.
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Enthält eine Rechtsordnung unterschiedliche Regeln für vertragliche Mobiliarsicherheiten, Abzahlungskäufe unter Eigentumsvorbehalt und für Miet-, Pacht- oder andere Nutzungsverträge, so ist zu entscheiden, in welchem Umfang solche Regeln und in welchem Umfang besondere, der Natur des Finanzierungsleasing angepasste Regeln Anwendung finden. Von der insolvenzrechtlichen Zuordnung des Finanzierungsleasing hängen zahlreiche Fragen ab: Die Frage der Fortführung oder der Beendigung des Leasingvertrages; die Frage des Umfangs der gegenseitigen Ansprüche der Vertragsparteien, namentlich, in welchem Maße Vorschriften des Schuld- oder des Insolvenzrechts zwingend in die Vertragsfreiheit der Parteien eingreifen und so den Umfang einer vereinbarten Entschädigung korrigieren; die Frage der Art der Liquidation des Leasingvertrages und die Frage nach dem Umfang des Anrechnungswertes des Leasingobjektes.
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Eines der Hauptprobleme außerhalb und innerhalb des grenzüberschreitenden LeasingInsolvenzrechts besteht darin, dass für die Beurteilung der vertraglichen Rechte und Pflichten und für die Beurteilung des dinglichen Rechts am Leasingobjekt unterschiedliche Kollisionsregeln gelten, obwohl zwischen den vertraglichen Verpflichtungen der
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Girsberger 865
Teil H Rz. 152
Finanzierung
Parteien des Leasinggeschäfts und den dinglichen Rechten am Leasingobjekt ein enger Zusammenhang besteht. Im Insolvenzverfahren werden grundsätzlich alle Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf materiell-rechtliche Verhältnisse dem Recht am Ort des Insolvenzverfahrens (der lex fori concursus) entnommen, unabhängig davon, ob es sich um Wirkungen auf die gegenseitigen Ansprüche der Vertragsparteien oder um Wirkungen auf das dingliche Recht am Leasingobjekt handelt. Zum internationalen Insolvenzrecht unten Teil O. 152
Die Frage, inwiefern die Leasinggesellschaft zur Anrechnung oder Ablieferung eines im Ausland erlangten Leasingobjekts oder Verwertungserlöses verpflichtet ist, richtet sich ebenfalls nach der lex fori concursus, wobei zusätzlich zwischen dem Recht am Ort des Hauptverfahrens (lex fori concursus principalis) und dem Recht am Ort eines örtlich beschränkten Partikulärverfahrens (lex fori concursus particularis) zu unterscheiden ist.
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Bei der Frage der Zuständigkeit ist zwischen der Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und derjenigen für die Beurteilung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf die vertraglichen und die dinglichen Rechte der Leasinggesellschaft zu unterscheiden.
II. Mittel- bis langfristige Finanzierungsinstrumente 1. Finanzierungsformen Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Allgemeines 154
Die Exportfinanzierung betrifft die Frage, wie der Exporteur die Zeit bis zum Zahlungseingang aus dem Exportgeschäft finanziert. Dabei ist betriebswirtschaftlich zu unterscheiden zwischen der Exportvorfinanzierung – Geldmittel für die zum Export bestimmten Waren bzw. Vorprodukten einschließlich Produktion und Lagerhaltung – sowie der Exportanschlussfinanzierung – Geldmittel im Zeitraum von der Vorlage der für die Übertragung des Eigentums erforderlichen Außenhandelsdokumente bis zum Zahlungseingang1. Finanzierungsinstrumente mit einem Zeithorizont von 6 Monaten bis zu einem Jahr gelten in Anlehnung an bankaufsichtsrechtliche Vorgaben als kurzfristig2. Insbesondere der Investitionsgüter- und Anlagenexport vollzieht sich nach diesen Maßstäben über mittel- bis langfristige Zeithorizonte und muss sich deswegen entsprechender Finanzierungsmittel bedienen3. aa) Erscheinungsformen und Abgrenzung
155
Ausgangspunkt der mittel- bis langfristigen Exportfinanzierung bildet die Vereinbarung der Zahlungsmodalitäten im Exportvertrag4 (zum Recht des internationalen Warenhandels, Teil B; zum Recht der internationalen Dienst- und Werkleistung Teil C). Gewährt der Exporteur kein Zahlungsziel, kommen nur kurzfristige Zahlungssicherungs- und Finanzierungsinstrumente5 wie das Dokumentenakkreditiv 1 2 3 4
Büter, Außenhandel, S. 323. Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 691. Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 686; Kuttner, Exportfinanzierung, S. 1. M. Weller, Außenhandelsfinanzierung, Rz. 2 ff.; Jäger, Sicherungsverträge, Rz. 1; Piltz, RIW 1999, 897. 5 Zur Finanzierungsfunktion des Dokumentenakkreditivs und des Dokumenteninkassos durch Bevorschussung der Dokumente z.B. Lehr, Optimierung des Exportgeschäfts, S. 166; v. Westphalen, Exportfinanzierung, S. 206 u. 225.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 158 Teil H
(hierzu Teil I Rz. 222 ff.; speziell zum Nach-Sicht-Akkreditiv Teil H Rz. 245) und das Dokumenteninkasso (Teil I Rz. 265 ff.) einschließlich entsprechender Sicherungen – insbesondere dokumentengestützte Sicherungsübereignungen des Exportgutes1 (zum internationalen Recht der Mobiliarsicherheiten Teil H Rz. 658) – in Frage2. Bei mittelbis langfristig zu finanzierenden Exportverträgen kommen für die Refinanzierung des vom Exporteur selbst in Gestalt eines Zahlungsziels gewährten Export- oder Liefervertragskredits der von Banken dem Exporteur gestellte Lieferantenkredit und der dem Importeur gestellte Bestellerkredit hinzu3. Die folgenden Ausführungen betreffen ausschließlich die letztgenannten mittel- und langfristigen Finanzierungsinstrumente. bb) Sicherheiten In aller Regel verlangen die Anbieter für eine Exportfinanzierung – häufig kumulativ – Sicherheiten wie etwa die Sicherungsabtretung des Zahlungsanspruchs des Exporteurs sowie Bürgschaften und Garantien des Importeurs bzw. seiner Bank4. Voraussetzung für eine Finanzierung ist darüber hinaus fast immer eine Ausfuhrkreditversicherung. Für letztere wird auf Teil H Rz. 185, verwiesen, für das internationale Aval- oder Garantiegeschäft der Banken mit Bürgschaften und Garantien nach § 1 S. 2 Nr. 8 KWG auf Teil H Rz. 433, für persönliche Sicherheiten von Nichtbanken auf Teil H Rz. 671. Die folgenden Ausführungen beschränken sich deswegen auf die Sicherung mittel- bis langfristiger Exportfinanzierungen durch Abtretung des Gegenleistungsanspruchs des Exporteurs an die finanzierende Bank.
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cc) Anbieter Anbieter für Lieferanten- und Bestellerkredite sind zunächst Geschäftsbanken und öffentlich-rechtliche Institute, außerdem – als Spezialinstitute für Geschäfte deutscher Exporteure – die Ausfuhrkreditgesellschaft mbH (AKA), Frankfurt/M., getragen von 19 deutschen Banken als Gesellschafter, sowie – allerdings nur für Bestellerkredite5 – die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Grundkapital von Bund und Ländern gehalten wird.
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dd) Grundstrukturen mittel- und langfristiger Finanzierungsinstrumente (1) Liefervertragskredit Mit einem Liefervertragskredit gewährt der Exporteur dem Importeur – regelmäßig als Bestandteil eines Vertrags über die Lieferung eines Exportgutes – ein Zahlungsziel. Für den Zeitraum bis zum Zahlungsziel wird zugleich ein – variabler oder fester – Liefervertragszinssatz vereinbart6. Der Exporteur lässt sich dann seinen gestundeten Anspruch auf die Gegenleistung regelmäßig durch Übernahme eines Avals einer Bank des Importeurs und über Ausfuhrkreditversicherungen absichern und refinanziert Auf1 Hierzu M. Weller, Außenhandelsfinanzierung, Rz. 26 ff.; Jäger, Sicherungsverträge, Rz. 9; Nielsen, WM 1994, 2221 u. 2261. 2 Zahn/Ehrlich/Neumann, Zahlungssicherung, S. 31 ff. und 275 ff.; von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 206. 3 Typischer Kern einer Zahlungszielvereinbarung in den allgemeinen Lieferbedingungen eines Exporteurs z.B. bei v. Westphalen, Exportfinanzierung, S. 175: „10 % Anzahlung zahlbar innerhalb von 15 Tagen nach Vertragsschluss; 10 % zahlbar pro rata aus einem unwiderruflichen, von einer erstklassigen deutschen Bank bestätigten Akkreditiv gegen Vorlage folgender Dokumente: (…); 80 % zahlbar in zehn gleichen Halbjahresraten, beginnend mit Abnahme der Maschine“. 4 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 693, 706; zu praktischen Einzelheiten vgl. auch AKAAusfuhrkreditgesellschaft mbH, https://www.akabank.de/deutsch/produkte/lieferantenkredite/ index.html (25.7.2015). 5 KfW, Merkblatt KfW/ERP-Exportfinanzierungsprogramm (Stand 2/2012), S. 1. 6 Kuttner, Exportfinanzierung, S. 10.
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Teil H Rz. 159
Finanzierung
wendungen während der Produktionszeit sowie das gewährte Zahlungsziel über einen Lieferantenkredit1. (2) Lieferantenkredit 159
Der Lieferantenkredit ist ein Bankkredit an den Exporteur zur Refinanzierung seines Liefervertragskredits2. Kredithöhe und Laufzeit ergeben sich aus den Aufwendungen während der Produktionszeit und den vereinbarten Zahlungszielen3. Je nach Geschäftsanfall und -volumen kann der Exporteur mit einem einzelnen Lieferantenkredit entweder einen isolierten Exportauftrag oder eine Vielzahl von Exportgeschäften – dann durch Lieferantenkredit in Gestalt eines Globalkredits – finanzieren.
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Soll zur Finanzierung die AKA in Anspruch genommen werden, muss der Exporteur den Kreditantrag über eine Gesellschafterbank der AKA stellen. Als Avalgeber kommen bei Beteiligung der AKA auch ausländische öffentliche, exportfördernde Institutionen in Frage, mit denen die AKA zum Teil Grund- bzw. Rahmenverträge geschlossen hat4. Ebenso wie bei der Exportfinanzierung über die Hausbank verlangt auch die AKA die Sicherungsabtretung der Forderung aus dem Liefervertrag einschließlich aller Nebenforderungen. Offene Zession ist möglich, in der Regel bleibt die Sicherungsabtretung aber still5, solange die Kreditrückzahlung nicht gefährdet erscheint.
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Der Lieferantenkredit belastet die Bilanz des Exporteurs und kann infolge häufig dünner Kapitaldecken des exportierenden Mittelstandes die Gewährung anderer Kredite – seien es Kredite für weitere Exportgeschäfte, seien es Betriebsmittelkredite – in Frage stellen6. Als Bilanz entlastende Alternativen kommen die Forfaitierung (Teil H Rz. 44) oder Bestellerkredite in Frage. (3) Bestellerkredit
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Beim Bestellerkredit oder auch gebundenen Finanzkredit7 gewährt die Bank des Exporteurs dem Importeur einen Kredit, sei es – selten – unmittelbar (Bestellerkredit im engeren Sinne), sei es mittelbar über die Bank des Importeurs, die dann ihrerseits dem Importeur einen entsprechenden Kredit gewährt (Bank-zu-Bank-Kredit)8. Den Kreditantrag stellt hier allerdings nicht der darlehensnehmende Importeur, sondern der deutsche Exporteur bei seiner Bank. Die Kreditsicherung erfolgt wiederum regelmäßig durch Avalgeber des Importeurs und Ausfuhrkreditversicherungen. Hinzu kommt die sog. Exporteurgarantie in Gestalt von Verpflichtungserklärungen vielfältigen Inhalts des Exporteurs gegenüber der finanzierenden Bank. Es handelt sich bei der Exporteurgarantie also nicht um eine Übernahme des Ausfallrisikos9, sondern um flankierende Regelungen wie die Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts der Euler HermesDeckung, die Verpflichtung zur Übernahme von Zinsdifferenzen zwischen dem Zinssatz für den Importeur und demjenigen der Bank für den zu gewährenden Kredit und gegebenenfalls um die Übernahme verbleibender Restrisiken des Ausfallrisikos. Der Begriff der Exporteurgarantie ist daher untechnisch zu verstehen. Die Auszahlung 1 2 3 4
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von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 455. von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 455. Einzelheiten bei Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 705. Derzeit bestehen solche Verträge mit Angola; Armenien; Aserbaidschan; Bulgarien; Georgien; Israel; Kasachstan; Kuba; Mongolei; Russland; Südafrika; Turkmenistan; Ukraine; Usbekistan; Weißrussland, vgl. im Einzelnen https://www.akabank.de/deutsch/produkte/ecafinanzierungen/ grund_und_rahmen/merkblaetter.html (25.7.2015). Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 737. Kuttner, Exportfinanzierung, S. 2. Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 693. Fehr, RIW 2004, 440 (441). Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 712.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 164 Teil H
des Kredits erfolgt unmittelbar an den Exporteur entsprechend der von ihm erbrachten Lieferungen oder entsprechend des innerbetrieblichen Produktionsfortschritts (progress payment)1. Der Importeur wiederum überweist bei Fälligkeit die jeweilige Tilgungsrate über seine Bank an die kreditgebende Bank des Exporteurs. b) Internationales Privatrecht Kollisionsrechtlich stellen sich beim Einsatz mittel- und langfristiger Finanzierungsinstrumente zur Refinanzierung von Zahlungszielen in Exportverträgen nach der oben (Rz. 154 und 155) vorgenommenen Abschichtung von andernorts behandelten Bereichen – folgende Fragen: Reichweite des Vertragsstatuts des Exportvertrags gegenüber finanzierungsrelevanten Sonderanknüpfungen (a); Anknüpfung der Abtretungen des Exporteurs zur Sicherung seines Lieferantenkredits (b); Vertragsstatut des Bestellerkredits für den ausländischen Importeur und Anknüpfung der zu seiner Sicherung vorzunehmenden Abtretungen (c).
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aa) Liefervertrag (1) Anknüpfungsgrundsätze In aller Regel wählen die Parteien das auf den Exportvertrag anwendbare Recht2, wobei der Exporteur häufig die Wahl des Rechts an seinem Sitzort durchsetzen kann3. Typischerweise geschieht dies über Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Exporteurs („Lieferbedingungen“). Zustandekommen und Wirksamkeit einer derartigen – wie jeder anderen – Rechtswahl beurteilen sich nach dem Recht, das gelten würde, wenn die Rechtswahlvereinbarung wirksam wäre4. Beruft sich der Abnehmer seinerseits auf Allgemeine Geschäftsbedingungen („Einkaufsbedingungen“) und enthalten diese eine nach dem von ihnen berufenen Recht wirksame, aber mit der Rechtswahlklausel des Exporteurs kollidierende Rechtswahlklausel, so ist dieser Konflikt nach den Grundsätzen der battle of forms zu lösen: weder die Bestimmungen des Vertrags noch die Umstände des Falles ergeben eine den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO entsprechende „eindeutige“ Sicherheit über das von den Parteien gewollte Recht, so dass eine Rechtswahl nicht zustande kommt5. In Abwesenheit einer (wirksamen) Rechtswahl gilt Art. 4 Rom I-VO, Art. 117 Abs. 2 schwzIPRG bzw. Art. 40 lieIPRG, wonach – vorbehaltlich einer engeren Verbindung – an den Sitz der Partei anzuknüpfen ist, die die charakteristische Leistung erbringt. Dies ist der Exporteur. Insofern wird im Ergebnis in der Regel dessen Recht das Vertragsstatut des Liefervertrags stellen6. Art. 4 Rom I-VO enthält einen Katalog an Konkretisierungen der engsten Verbindung. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO ist in der Tat für Kaufverträge über bewegliche Sachen an das Recht des Staates anzuknüpfen, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Entsprechendes regelt Art. 17 Abs. 3 lit. a schwzIPRG. 1 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 713. 2 Für die Mitgliedstaaten der EU und damit für Deutschland und Österreich nach Art. 3 Rom I-VO; Schweiz: Art. 116 schwzIPRG; Liechtenstein: Art. 39 i.V.m. Art. 11 lieIPRG. 3 Jäger, Sicherungsverträge, Rz. 53. 4 Deutschland und Österreich: Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO i.V.m. Art. 10 Rom I-VO, Palandt/Thorn, BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 9 m.w.N.; Schweiz: Art. 116 Abs. 2 S. 2 IPRG, z.B. Vischer/Huber/ Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 154; das entsprechende Ergebnis, die Maßgeblichkeit des gewählten Rechts – allerdings ohne Rückgriff auf Art. 116 Abs. 2 IPRG – erzielen auch Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 116 IPRG Rz. 47. 5 Palandt/Thorn, BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 9; Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347 (348); Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 155. 6 Nielsen, WM 1994, 2262 u. 2265.
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Teil H Rz. 165
Finanzierung
(2) Zinsregelungen 165
Die Vereinbarung eines Liefervertragskredits in Gestalt eines Zahlungsziels als Bestandteil des Liefervertrags untersteht damit dem Vertragsstatut des Liefervertrags. Bei der Ausgestaltung des Zahlungsziels können Zinsregelungen für den Zeitraum der Finanzierung durch Stundung eine Rolle spielen1. Zinsverbote und feste Zinshöchstsätze sind dabei ebenso wie Zinseszinsverbote2 gegebenenfalls dem Vertragsstatut zu entnehmen3. Das deutsche Zinseszinsverbot in § 248 Abs. 1 BGB gilt dabei weder als Eingriffsnorm noch als Bestandteil des deutschen ordre public4. Gleiches gilt für Beschränkung von Zinseszinsen und Zinshöchstsätze des schweizerischen Rechts im Unternehmerverkehr5. Je nach zugrunde liegendem Normtelos kann aus Sicht der ausländischen Rechtsordnung anderes gelten, so beispielsweise für manche Bundesstaaten der USA6. Solange die Parteien eines dieser Rechte nicht gewählt haben, kann sich allerdings eine ergebnisrelevante, das Vertragsstatut modifizierende Sonderanknüpfung praktisch nur bei Klagen vor dortigen Gerichten ergeben. Überschreitet die unter ausländischem Vertragsstatut vereinbarte Zinshöhe hingegen nach inländischer Vorstellung die Schwelle zur Sittenwidrigkeit, liegt bei hinreichendem Inlandsbezug ein Ordre-public-Verstoß nahe7. Bei Fremdwährungsdarlehen wird im schweizerischen Schrifttum vertreten, dass für den Ordre-public-Verstoß zusätzlich das Zinsniveau der Fremdwährung in – wohl nach dem Maßstab der lex fori – sittenwidriger Weise überschritten sein muss8. Eine Teilrechtswahl des Zinsstatuts ist nach Art. 3 Abs. 1 S. 3, 2. Alt Rom I-VO in den allgemeinen Grenzen der Parteiautonomie zulässig9. Eventuelle Kündigungsrechte des Importeurs hinsichtlich des verzinslichen Liefervertragskredits unterstehen ebenfalls dem Vertragsstatut und zählen – zumindest gilt dies für § 489 Abs. 2 BGB – ebenfalls nicht zum Bestand des international zwingenden Rechts10. bb) Lieferantenkredit (1) Anknüpfungsgrundsätze
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Der Kreditvertrag zwischen Exporteur und seiner Bank untersteht regelmäßig dem Recht des Sitzortes der Bank – sei es kraft Rechtswahl, sei es kraft objektiver Anknüpfung an das Recht des Sitzortes des Darlehensgebers als dem Erbringer der charakteristischen Leistung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b („Dienstvertrag“11) i.V.m. Art. 19 Rom I-VO
1 Von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 456. 2 Z.B. Deutschland: § 248 Abs. 1 BGB; Schweiz: Art. 314 Abs. 3 OR; in Liechtenstein und Österreich bestehen hingegen keine Zinseszinsverbote, vgl. § 1000 Abs. 2 S. 1 ABGB Liechtenstein bzw. die Aufhebung von § 1000 ABGB Österreich durch § 6 des Gesetzes RGBl 1868/62, vgl. Nachweise bei Dittrich/Tades, ABGB, 23. Aufl. 2011, § 1000 ABGB, Unterabs. 1. 3 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 632 Rz. 1166; Schärer/Maurenbrecher in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht, 5. Aufl. 2011, Art. 313 OR Rz. 17; zum Zinseszinsverbot nach § 248 Abs. 1 BGB Bezzenberger, WM 2002, 1617. 4 Von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 458. 5 Bundesgesetz über den Konsumkredit v. 23.3.2001, vgl. Schärer/Maurenbrecher in Honsell/ Vogt/Wiegand, Obligationenrecht 5. Aufl. 2011, Art. 313 OR Rz. 18. 6 Nachweise bei Schnelle, Die objektive Anknüpfung von Darlehensverträgen im deutschen und US-amerikanischen IPR, Baden-Baden 1992, zugl. Diss. 1991, S. 102 ff. 7 Schärer/Maurenbrecher in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht 5. Aufl. 2011, Art. 313 OR Rz. 18. 8 Schärer/Maurenbrecher in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht 5. Aufl. 2011, Art. 313 OR Rz. 18. 9 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 106. 10 Von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 457. 11 Leible, NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 131.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 168 Teil H
bzw. Art. 117 Abs. 2, 3 lit. c schwzIPRG, Art. 42 Abs. 1 lieIPRG1. Da Exporteur und finanzierende Bank typischerweise in demselben Staat sitzen und der Zusammenhang des Lieferantenkredits mit dem Exportgeschäft die einzige Verbindung des Sachverhalts zum Recht eines anderen Staates i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO bzw. die einzige Berührung mit dem Ausland nach Art. 1 lieIPRG und das einzige internationale Verhältnis i.S.v. Art. 1 schwzIPRG darstellt, verzichten die Klauselwerke in der Praxis nicht selten auf eine Rechtswahlklausel, weil die objektive Anknüpfung evident zum gewünschten Sitzortrecht der Parteien führt. (2) Sicherungszession Die Anknüpfung der mit der Sicherung des Lieferantenkredits durch Sicherungsabtretung der Forderung des Exporteurs einhergehenden Rechtsverhältnisse folgt demgegenüber jeweils eigenständigen, teilweise umstrittenen Kollisionsregeln:
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(a) Zessionsverpflichtung Die Zessionsverpflichtung aus dem Kausalgeschäft über die Zession unterliegt gem. Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich dem Abtretungsstatut (früher auch „Verpflichtungsstatut“)2. Dieses Recht regelt alle Fragen der Beziehung Zedent – Zessionar, beispielsweise die Haftung des Zedenten für die gescheiterte Abtretung infolge mangelnder Abtretbarkeit3 oder die Grenzen zulässiger (Über-) Sicherung4, aber nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO auch die dinglichen Aspekte des Verhältnisses zwischen Zedent und Zessionar5, mithin die Verfügungswirkung der Abtretung und deswegen nunmehr in Abgrenzung zu Art. 12 EVÜ (Art. 33 Abs. 1 EGBGB a.F.) eher „Abtretungsstatut“ als „Verpflichtungsstatut“ genannt6. Das Abtretungsstatut ist dabei nach wie vor das Recht des Rechtsverhältnisses, dem die Verpflichtung zur Abtretung entspringt, hier also der Darlehensvertrag (Lieferantenkredit) bzw. die Sicherungsabrede7 zwischen Exporteur und kreditgebender Bank8. Soweit das Abtretungsstatut nicht durch Rechts1 Deutschland: z.B. OLG Düsseldorf v. 7.4.2000 – 7 U 273/98, FamRZ 2001, 1102; Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 13; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 631 Rz. 1164; Schweiz: z.B. BG v. 10.6.1952, BGE 78 II (190) 191; Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 Rz. 30 m.w.N.; Österreich: Mänhardt/Posch, IPR, S. 83 Fn. 205 (noch zum EVÜ); Liechtenstein: wie der frühere § 38 östIPRG sieht Art. 42 Abs. 1 lieIPRG eine Sonderregel zur objektiven Anknüpfung von Bankgeschäften an das Recht am Sitz der Bank vor. 2 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 296 Rz. 385; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 35; Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; das schweizerische Schrifttum spricht demgegenüber hier eher vom Zessionsgrundstatut, Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1046. Das Zessionsgrundstatut bezeichnet nach deutscher Terminologie wiederum eher das Recht des Rechtsverhältnisses, das den Grund für eine Legalzession i.S.d. Art. 15 Rom I-VO bildet, vgl. Kegel/Schurig, IPR, S. 758 f. (noch zu Art. 33 Abs. 3 EGBGB a.F.); Spickhoff in BeckOK/BGB, Art. 15 Rom I-VO Rz. 1. Die jeweilige Terminologie schwankt allerdings. 3 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 295 f. Rz. 385 f.; Erman/ Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 483 Rz. 1048. 4 Hierzu speziell zu Sicherungsverträgen der Import- und Exportfinanzierung aus Sicht des deutschen Sachrechts Nielsen, WM 1994, 2221 u. 2261. 5 Erw.-Gr. 38 Rom I-VO, dort auch zu Grenzen des Abtretungsstatuts. 6 Hierzu sogleich noch genauer unten bei der Anknüpfung des Übertragungsvorgangs Rz. 169; im Übrigen Doehner in NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 296 Rz. 388. 7 Spickhoff in BeckOK/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 4. 8 Deutschland und Österreich: Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO; Schweiz: Art. 145 Abs. 4 IPRG; Liechtenstein: das IPRG enthält keine spezielle Regelung zum Zessionsgrundstatut, es gelten daher die allgemeinen Regeln zur Anknüpfung von Schuldverhältnissen, insbesondere also Art. 39 IPRG (Rechtswahl) und Art. 42 Abs. 1 IPRG (objektive Anknüpfung von Bankgeschäften an das Sitzortrecht der Bank).
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Weller 871
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Teil H Rz. 169
Finanzierung
wahl bestimmt ist, erfolgt die Anknüpfung objektiv nach Art. 4 Abs. 1 lit. b („Dienstleistung“) oder 2 Rom I-VO bzw. nach Art. 117 Abs. 2, Abs. 3 lit. c schwzIPRG an das Sitzortrecht des Darlehensgebers1. Im IPR Liechtensteins allerdings dürfte bei der Anknüpfung der Sicherungsabrede in Ermangelung einer gesonderten Anknüpfungsregel für die Forderungsabtretung die für das österreichische IPR vor Inkrafttreten der Rom I-VO entwickelte Auslegung von § 45 östIPRG a.F. für den wortgleichen Art. 49 lieIPRG von Bedeutung bleiben: Nach dieser Vorschrift ist ein Rechtsgeschäft, dessen Wirkungen begrifflich von einer bestehenden Verbindlichkeit abhängen, nach den Sachnormen des Staates zu beurteilen, dessen Sachnormen für die Verbindlichkeit maßgebend sind. Bei der Sicherungszession wird eine Abhängigkeit der Sicherungsabrede von zwei Verbindlichkeiten gesehen, nämlich von der zu sichernden Forderung und der als Sicherungsmittel abzutretenden Forderung2, wobei die stärkere Beziehung die Rechtsanwendungsfrage entscheiden soll3. Im Zweifel soll dies die Verbindung zum Recht des Sicherungsmittels sein4. Es kommt also bei der Sicherungsabtretung zu einer akzessorischen Anknüpfung des Zessionsgrundstatuts an das Forderungsstatut5. Erfasst die Sicherungszession Forderungen unterschiedlicher Statuten, unterliegt die Sicherungsabrede also einer je unterschiedlichen Rechtsordnung6. (b) Übertragungsvorgang 169
Während Art. 33 Abs. 1 EGBGB a.F. (bzw. Art. 12 Abs. 1 EVÜ) lediglich das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft erfasste („Verpflichtungen zwischen Zedent und Zessionar“) ist Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO auch auf das dingliche Verfügungsgeschäft anzuwenden („Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar aus der Übertragung einer Forderung“)7. Konsequenz dieser Neuregelung ist eine Abkehr von der bisherigen herrschenden Meinung, die den dinglichen Übertragungsvorgang für Deutschland und Österreich als nicht von Art. 33 Abs. 1 EGBGB a.F. (bzw. Art. 12 Abs. 1 EVÜ) erfasst ansah und daher gem. Abs. 2 dem Forderungsstatut unterstellte8. Nach Art. 14 Rom I-VO ist dagegen davon auszugehen, dass die Reichweite des Abtretungsstatuts erweitert und die des Forderungsstatuts verringert wurde9. Während das Abtretungsstatut demnach für das Rechtsverhältnis zwischen Zedent und Zessionar einschließlich der Übertragung gilt, ist das Forderungsstatut nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO nur noch für Wirkungen gegenüber dem Schuldner maßgeblich10. Ungeklärt geblieben ist auch in der Rom I-VO allerdings die schon zuvor umstrittene Frage, nach welchem Recht sich die Wirkung der Übertragung gegenüber Dritten bestimmt und wie insbesondere mit 1 Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 13; Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG. 3. Aufl. 2013, Art. 117 IPRG Rz. 30. 2 Schwimann, RIW 1984, 854 (856). 3 Schwimann, a.a.O. 4 OGH, v. 13.10.1983 – 6 Ob 788/82, JBl. 1984, 320 m. Anm. Schwimann = ZfRV 1985, 62 m. Anm. Hoyer. 5 OGH, v. 13.10.1983 – 6 Ob 788/82, JBl. 1984, 320 m. Anm. Schwimann = ZfRV 1985, 62 m. Anm. Hoyer. 6 Deshalb ablehnend und an das Statut der zu sichernden Forderung anknüpfend Koziol, DZWiR 1993, 353 (357). 7 ErwGr. 38. 8 Vgl. BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, sub II 1 b, NJW 1999, 940; BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, sub I 2 a, NJW 1990, 637, 638; BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, sub II 2, NJW-RR 2005, 206, 208; hierzu Freitag, RIW 2005, 25, 28 ff. m.w.N. 9 Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 297 Rz. 386; Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 30; OGH, v. 29.4.2013 – 8Ob33/13f, JBl 2013,574, Tz. 2.2; Einsele, WM 2009, 289, 297; kritisch, da nicht weitgehend genug Mankowski, IHR 2008, 133, 150; Flessner, IPRax 2009, 35 (37). 10 Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Doehner in NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 15; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 540.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 172 Teil H
Mehrfachabtretungen zu verfahren ist1. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls genau zu prüfen, welches Rechtsverhältnis betroffen ist, um entscheiden zu können, ob das Abtretungsstatut gem. Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO oder aber das Forderungsstatut gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO maßgeblich ist. Letzteres ist vor allem im Hinblick auf dem Schuldnerschutz zu beachten2. Unterliegt das für die Abtretung maßgebliche Recht kraft unmittelbarer Rechtswahl dem CISG, das selbst keine Abtretungsregeln enthält, muss das Abtretungsstatut ergänzend nach allgemeinen Kollisionsregeln bestimmt werden3. Rechtsgeschäftlich vereinbarte Abtretungsverbote, die in Exportverträgen nicht selten vorkommen, ohne dass sich die Parteien immer über die Gefahr des Scheiterns der Refinanzierung als Konsequenz im Klaren sind4, unterliegen nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO dem Forderungsstatut5. Bei gesetzlichen Abtretungsverboten ist zwischen solchen, die ausschließlich im Gläubigerinteresse stehen (dann Abtretungsstatut) und solchen, die (zumindest auch) dem Schuldnerschutz dienen, zu unterscheiden. Nur bei letzteren ist das Forderungsstatut maßgeblich6. Dies wird z.B. bei Regelungen zur Globalabtretung, die nur dem Zedenten und seinen Gläubigern dienen, abzulehnen sein7.
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Benachrichtigungserfordernisse und die Voraussetzungen der befreienden Wirkung der Leistung des Schuldners unterstehen als Schuldnerschutzvorschriften gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO dem Forderungsstatut8. Dies gilt nach überwiegender Auffassung auch für die Frage nach dem Rangverhältnis der Zessionare bei Mehrfachabtretung9. Nach dem Forderungsstatut richtet sich weiterhin bei vereinbarter Abtretbarkeit unter Zustimmungsvorbehalt, inwieweit der Schuldner seine Zustimmung verweigern darf. Unsicherheiten insoweit vermeidet die ausdrückliche Regelung im Liefervertrag, dass der Exporteur zu Zwecken der Refinanzierung abtreten darf10. Das Forderungsstatut bestimmt ferner, ob bedingte oder künftige Forderungen übertragbar sind und inwieweit sie bestimmt oder bestimmbar bezeichnet werden müssen11.
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In der Schweiz untersteht die Abtretung einer Forderung durch Vertrag nach Art. 145 Abs. 1 schwzIPRG dem von den Parteien für diesen Vertrag gewählten Recht („Zessionsgrundstatut“) oder, wenn ein solches fehlt, dem auf die Forderung anzuwendenden Recht („Forderungsstatut“). Die Rechtswahl bedarf allerdings der Zustimmung durch
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1 Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 1 ff. m.w.N. 2 Flessner, IPRax 2009, 35 (42). 3 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 296 Rz. 385; Flessner, IPRax 2009, 35 (41); Unberath, IPRax 2005, 308 (310) (noch zum EGBGB). 4 von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 462. 5 Palandt/Thorn, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 28; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 298 Rz. 388; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 44; Flessner, IPRax 2009, 35, 42. 6 Palandt/Thorn, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 45; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29; a.A. Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 17; Flessner, IPRax 2009, 35, 42. 7 Palandt/Thorn, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5; Flessner, IPRax 2009, 35, 42; Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 17. 8 Bereits OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, RIW 1997, 153; Palandt/Thorn, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34 f.; Spickhoff, in BeckOK/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 9; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 300 Rz. 391; Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7a; Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 21; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 49 und 51. 9 Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7b; Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 24; Spickhoff, in BeckOK/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11; a.A. Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 72 ff. m.w.N.; zum alten Recht vgl. BGH, v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376; OGH, v. 11.7.1990 – 1 Ob 648/90, IPRax 1992, 47 m. Anm. Posch (51). 10 von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 462. 11 Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7; a.A. Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 46; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 487 Rz. 1058 ff.
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Teil H Rz. 173
Finanzierung
den Schuldner, Art. 145 Abs. 1 S. 2 schwzIPRG. Die Form der Abtretung untersteht dabei ausschließlich dem auf den Abtretungsvertrag anwendbaren Recht, Art. 145 Abs. 3 schwzIPRG. Fragen, die nur das Verhältnis zwischen den Parteien des Abtretungsvertrages betreffen, unterstehen schließlich in jedem Fall dem Recht, welches auf das der Abtretung zugrunde liegende Rechtsverhältnis anwendbar ist, Art. 145 Abs. 5 schwzIPRG. 173
Art. 49 S. 1 lieIPRG sieht demgegenüber für Liechtenstein – wie bereits oben angedeutet – vor, dass ein Rechtsgeschäft, dessen Wirkungen begrifflich von einer bestehenden Verbindlichkeit abhängen, nach den Sachnormen des Staates zu beurteilen sind, dessen Sachnormen für die Verbindlichkeit maßgebend sind. Nach Art. 49 S. 2 lieIPRG gilt dies insbesondere für Rechtsgeschäfte, die die Sicherung oder Umänderung einer Verbindlichkeit zum Gegenstand haben. Die Abtretung vollzieht sich nach liechtensteinischem Sachrecht durch Umänderung, vgl. § 1392 lieABGB. Insofern knüpft Art. 49 S. 2 i.V.m. S. 1 lieIPRG die Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung an das Forderungsstatut. Ausnahme hiervon bildet nach Art. 49 S. 3 lieIPRG das Bankgeschäft, für das Art. 42 Abs. 1 lieIPRG unberührt bleibt. Handelt es sich also bei den von Art. 49 lieIPRG erfassten „abhängigen Rechtsgeschäften“ um ein Bankgeschäft, untersteht dieses dem Sitzortrecht der Bank. Dies ist bei der in Rede stehenden Abtretung des kreditnehmenden Exporteurs jedoch selbst unter Berücksichtigung ihres Sicherungszwecks nicht der Fall, da die Abtretung nicht begrifflich vom Bestehen der Sicherungsabrede, sondern vom Bestand der abzutretenden Forderung aus dem Exportgeschäft abhängt. Letzteres ist aber gerade kein Bankgeschäft. Insofern gelangt auch das liechtensteinische IPR bei der Anknüpfung der Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung zum Forderungsstatut1. (c) Keine Sonderanknüpfungen für die Sicherungszession, Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO
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Unter dem EVÜ stellte sich die Frage, ob die Sicherungszession einer Sonderanknüpfung unterliegt. Dabei standen vor allem Regelungsanliegen außerhalb des Schuldnerschutzes – dieser unterliegt sowohl nach Art. 12 Abs. 2 EVÜ (Art. 33 Abs. 2 EGBGB a.F.) als auch nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO dem Recht der abzutretenden Forderung – zur Diskussion. Vorgeschlagen wurde insbesondere eine Anknüpfung der Sicherungsabtretung zukünftiger Forderungen, also bei Abtretung der Ansprüche aus einem verlängerten Eigentumsvorbehalt und bei Globalzessionen, an das Sitzortrecht des Zedenten2. Diese Konstellation kann im Kontext der Exportfinanzierung bei Globalzession der Zahlungsansprüche aus dem Exportgeschäft zur Sicherung des Lieferantenkredits und gleichzeitiger verlängerter Eigentumsvorbehalte der Zulieferer des Exporteurs entstehen. Für eine Sonderanknüpfung sprach hier, dass das andernfalls maßgebliche Statut im Zeitpunkt der Abtretung beim verlängerten Eigentumsvorbehalt und bei der Globalzession häufig noch nicht feststehen, weil der Abnehmer des Exporteurs das unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Exportgut im Zeitpunkt der Abtretung noch nicht verkauft bzw. der Exporteur das Exportgut im Zeitpunkt der Globalzession zur Sicherung des Lieferantenkredits noch gar nicht produziert hat. Die Anknüpfung an das Sitzortrecht des Zedenten steht demgegenüber im Zeitpunkt der Abtretung fest und sollte daher zu einer einheitlichen Beurteilung aller Sicherungszessionen des Sicherungs1 So jedenfalls zum alten österreichischen Recht OGH, v. 13.10.1983 – 6 Ob 788/82, JBl. 1984, 320 m. Anm. Schwimann = ZfRV 1985, 62 m. Anm. Hoyer; ferner Iro in Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht, Rz. I/171; Koziol, DZWiR 1993, 353 (357); Zweifel an der Anwendbarkeit von § 45 östIPRG a.F. auf das Verfügungsgeschäft der Abtretung mangels „begrifflicher“ Abhängigkeit von einer bestehenden Verbindlichkeit haben – mit Verweis auf § 1397 S. 2 ABGB (Veritätshaftung des Zedenten) – allerdings Schwimann, RIW 1984, 854 (856), Hoyer, a.a.O., S. 67. 2 LG Hamburg v. 20.11.1980 – 5 O 521/79, IPRspr. 1980 Nr. 53: Frage der Wirksamkeit eines verlängerten Eigentumsvorbehalts richtet sich nicht nach dem Statut der abgetretenen Forderung, sondern nach dem Recht der Niederlassung des Vorbehaltskäufers; Kieninger, JZ 1999, 405 (406); Kieninger, RabelsZ 1998, 678 (702 ff.).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 176 Teil H
gebers führen. Überdies sollte so auch die Gefahr eingedämmt werden, dass der Sicherungsgeber die Vorausabtretung seines künftigen Anspruchs auf Gegenleistung durch die Wahl eines die Sicherungsabtretung nicht zulassenden Rechts für den Weiterverkauf unterläuft. Außerdem sollten durch die Anknüpfung an das Sitzortrecht des Sicherungsgebers infolge des dann regelmäßig zu erwartenden Gleichlaufs mit dem Insolvenzstatut Spannungen mit einem fremden Forderungsstatut bei der Frage nach der Insolvenzfestigkeit der Sicherung verhindert werden. Den BGH hatten diese Argumente nicht überzeugt1. Die Interessen der Zessionsparteien seien nicht so gewichtig, dass sie eine Sonderanknüpfung für Sicherungszessionen rechtfertigten. Sie könnten insbesondere nicht den Nachteil aufwiegen, dass die Sonderanknüpfung zu einer Aufsplitterung der auf die Forderung anzuwendenden Rechtsordnungen führt, nämlich Forderungsstatut für allgemeine Abtretbarkeit und Schuldnerschutz, Sitzortrecht des Sicherungsgebers für besondere Voraussetzungen der Sicherungsabtretung andererseits. In Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO ist allerdings nunmehr klargestellt, dass der Begriff der Übertragung aus Abs. 1 auch die Sicherungszession sowie die Übertragung von Pfandrechten und anderen Sicherungsrechten an Forderungen erfasst2. Hieraus folgt, dass auch für diese Fälle grundsätzlich das Abtretungsstatut maßgeblich ist3. Hierdurch kann auch – anders als bei Anknüpfung an das noch unbekannte Forderungsstatut – dem Rechtsschutzinteresse des Sicherungsnehmers entsprochen werden, da bereits im Zeitpunkt der (Voraus-) Abtretung das anwendbare Recht bestimmbar ist4. (d) Übergang von Nebenrechten Der Übergang von Nebenrechten unterliegt als Frage der Reichweite der Zessionsverpflichtung nach der Rom I-VO grundsätzlich dem Abtretungsstatut5. Zum Schutz der die Nebenrechte begründenden Sicherungsgeber müssen kumulativ die Voraussetzungen des Statuts des Nebenrechts (z.B. Bürgschaftsstatut) für den Übergang erfüllt sein6. Das schweizerische Schrifttum ist insoweit gespalten7.
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(e) Einziehungsermächtigung Die Einziehungsermächtigung ist unbeschadet ihrer dogmatischen Einordnung im internen deutschen Recht internationalprivatrechtlich als Abtretung mit der Folge zu qualifizieren, dass sie in Fällen mit Auslandsberührung nach den für die Abtretung maßgebenden Kollisionsregeln zu beurteilen ist8. Vor Erlass der Rom I-VO wurde von der h.M. zu Art. 12 Abs. 2 EVÜ (bzw. Art. 33 Abs. 2 EGBGB a.F.) hieraus auf die Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts geschlossen9. Nach der neuen Rechtslage ist 1 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, sub II 1 b, NJW 1999, 940; BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, sub I 2 c, NJW 1991, 637, 638 = IPRax 1991, 248 m. abl. Anm. Stoll (223); zustimmend z.B. v. Hoffmann, Forderungsübertragung, S. 14. 2 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 293 Rz. 383; Einsele, WM 2009, 289 (297); Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 487 Rz. 1060; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, 78. 3 Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 10; Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 88; Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13; Flessner, IPRax 2009, 35, 42; Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 14 Rz. 41 ff. Besonderheiten gelten für die – hier nicht interessierenden – Grundpfandrechte, hierzu Doehner, NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 26. 4 Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 89. 5 Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36; v. Hoffmann, Forderungsübertragung, S. 7. 6 Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36. 7 Vgl. Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1063: Verpflichtungsstatut; a.A. Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 145 IPRG Rz. 7 i.V.m. Rz. 17: Forderungsstatut. 8 BGH, v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, sub III 2 d aa, NJW 1994, 2549 (2550). 9 Vgl. BGH, v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, sub III 2 d aa, NJW 1994, 2549 (2550); BGH, v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, sub 5, NJW-RR 1990, 248 (250).
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Teil H Rz. 177
Finanzierung
nunmehr auf das Abtretungsstatut nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO abzustellen1. Die Frage nach einer eventuellen Pflicht zur Erteilung der Einzugsermächtigung in Vollzug einer stillen Sicherungszession untersteht ebenfalls dem Abtretungsstatut. Die Frage nach der Rechtsmacht zur wirksamen Erteilung der Einziehungsermächtigung durch einen anderen als den Forderungsinhaber untersteht dem nach den Anknüpfungsregeln der Stellvertretung berufenen Recht2. Geht es um die Rechtsmacht eines Insolvenzverwalters, entscheidet das Insolvenzstatut3. cc) Bestellerkredit 177
Kreditnehmer des gebundenen Finanzkredits ist der ausländische Importeur (Bestellerkredit im engeren Sinne) oder seine Bank (Bank-zu-Bank-Kredit). Da der Bestellerkredit regelmäßig vom inländischen Exporteur über seine Hausbank vermittelt wird4, ist mit der Geltung des Sitzortrechts des Exporteurs als Vertragsstatut des Kreditvertrags zu rechnen – sei es, wie regelmäßig, kraft Rechtswahl, sei es kraft objektiver Anknüpfung an die charakteristische Leistung der darlehensgebenden Bank (vgl. schon Rz. 166). Als Sicherheit verlangen sowohl AKA als auch KfW5 in der Regel Garantien der Bank des Importeurs. Bei Exporten in Entwicklungsländer beschränkt sich die KfW auf Ausfuhrkreditversicherungen und Exporteurgarantien als Sicherungsmittel6. Für das Recht der internationalen Bankgarantie wird auf Teil H Rz. 467, für die Ausfuhrkreditversicherung auf Teil H Rz. 185 verwiesen. Zur Exporteurgarantie oben Rz. 162). Zum internationalen Privatrecht der Sicherungszession s. Rz. 167–174. c) Materiell-rechtliche Besonderheiten bei der Sicherungsabtretung
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Noch immer liegt ein Grundproblem der Forderungsabtretung im „internationalen Geschäft“7 darin, dass es kein einheitliches Recht der Forderungsabtretung gibt. Die United Nations Convention on the Assignment of Receivables in International Trade vom 12.12.2001 wurde erst von einem Staat ratifiziert und drei Staaten gezeichnet8. Notwendig für das Inkrafttreten ist aber nach Art. 45 der Konvention die Ratifikation von fünf Staaten. Und das UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring vom 28.5.1988 von Ottawa trat zwar für Deutschland am 1.12.1998 in Kraft9. Jedoch gilt es nur im Verhältnis zu Frankreich, Italien, Lettland, Nigeria, Ungarn und der Ukraine. Insofern kommt es nach wie vor auf die materiellen Besonderheiten der einzelnen Rechtsordnungen an: aa) Deutschland
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Nach § 398 BGB ist die Abtretung ein vom schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft zu trennendes Verfügungsgeschäft. Mängel des Kausalgeschäfts lassen die Wirksamkeit der Abtretung unberührt (Abstraktion). Die Abtretung ist formfrei. Künftige und 1 Doehner in NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13; Hausmann in Staudinger/BBG, Art. 14 Rom I-VO Rz. 91; Erman/Hohloch, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 10 c; a.A. Spickhoff, in BeckOK/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 10 (Forderungsstatut nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO analog, da keine Übertragung einer Forderung); Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 47. 2 Zur Stellvertretung Hausmann in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 1636 ff. Rz. 5421 ff. 3 BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, sub III 2 d dd, NJW 1994, 2549. 4 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 744 und 758. 5 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 760. 6 Merkblatt KfW/ERP-Exportfinanzierungsprogramm 2/2012. 7 von Bernstorff, RIW 1994, 542. 8 Liberia hat ratifiziert, Luxemburg, Madagaskar und USA haben bisher (lediglich) gezeichnet, vgl. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/security/2001Convention_receivables_sta tus.html (21.7.2015). 9 BGBl. II 1998, 172. Hierzu z.B. M. Weller, RIW 1999, 161 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 181 Teil H
bedingte Forderungen sind abtretbar, soweit bestimmbar1. Mitwirkungserfordernisse oder Anzeige gegenüber dem Schuldner sind keine Wirksamkeitsvoraussetzungen. Letztere hat aber Bedeutung für den Schuldnerschutz nach § 407 BGB. Einwendungen des Zedenten, die im Zeitpunkt der Abtretung begründet waren, kann der Schuldner dem Zessionar nach § 404 BGB entgegenhalten. Die ebenfalls formfreie Sicherungszession wird als fiduziarisches Rechtsverhältnis unter Vollrechtsübertragung mit schuldrechtlicher Ausübungsbeschränkung konstruiert2. bb) Schweiz Nach Art. 164 OR ist die Abtretung ebenfalls ein Vertrag und zugleich vom Kausalgeschäft zu trennendes Verfügungsgeschäft3. Die frühere Rechtsprechung tendierte überdies zur Abstraktion4. Seit einiger Zeit lässt das schweizerische Bundesgericht diese Frage wieder offen5, so dass der Streit im Schrifttum wieder an Leben gewinnt6. Nach Art. 165 Abs. 1 OR bedarf die Abtretung zu ihrer Gültigkeit der Schriftform. Die Zessionsurkunde muss den wesentlichen Inhalt der Abtretungsvereinbarung enthalten7. Eine wegen Formmangels nichtige Abtretung kann in eine Anweisung nach Artt. 466 ff. OR umdeutbar sein8. Das Zessionsversprechen ist formfrei, Art. 164 Abs. 2 OR. Künftige und bedingte Forderungen sind abtretbar, soweit hinreichend bestimmbar9. Eine Mitwirkung des Schuldners bei der Abtretung ist ebenso wenig erforderlich wie eine Anzeige ihm gegenüber. Letztere hat aber Bedeutung für den Schuldnerschutz, da nach Notifikation in Gestalt einer empfangsbedürftigen, formfreien, rechtsgestaltenden Willenserklärung nur noch die Leistung an den Zessionar befreit, Art. 167 OR10. Einreden (erfasst sind auch Einwendungen)11 des Zedenten kann der Schuldner nach Art. 169 Abs. 1 OR geltend machen, wenn sie im Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Abtretung vorhanden waren. Die Sicherungsabtretung vollzieht sich durch Vollrechtsübertragung und schuldrechtlicher Vereinbarung („pactum fiduciae“) über dessen Ausübung („Vollrechtstheorie“)12.
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cc) Österreich Nach § 1393 ABGB ist die Abtretung wiederum ein Vertrag zwischen Zedent und Zessionar. Die Abtretung ist zwar als Verfügungsgeschäft vom Grundgeschäft zu trennen. Nach der in Österreich geltenden Lehre von titulus und modus adquirendi ist sie aber nicht abstrakt13. Weder die Mitwirkung des Schuldners noch eine Anzeige der Abtretung ihm gegenüber sind Wirksamkeitsvoraussetzungen14. Die Abtretung ist formfrei. Künftige und bedingte Forderungen sind abtretbar, soweit bestimmbar15. Die Erhaltung der Einreden des Schuldners richtet sich nach § 1394 ABGB. Zugleich folgt aus 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Z.B. BGH v. 12.10.1999 – XI ZR 24/99, sub III, NJW 2000, 276. Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 23 ff. Girsberger in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, Art. 164 OR Rz. 15. BG v. 1.7.1941, BGE 67 II 123 (127). BG v. 13.3.1958, BGE 84 II 355 (363). Vgl. etwa Girsberger in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, Art. 164 OR Rz. 15: Abtretung kausal, und Stauder/Stauder-Bilicki, Forderungsabtretung, S. 770; Spirig, Zur Kausalität der Abtretung, SJZ 2000, 7; von der Crone, Zession: kausal oder abstrakt?, SJZ 1997, 249. Stauder/Stauder-Bilicki, Forderungsabtretung, S. 773. Stauder/Stauder-Bilicki, Forderungsabtretung, S. 775. BG, v. 13.3.1958, BGE 84 II 355 (366). Girsberger in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, Art. 167 OR Rz. 8; Stauder/Stauder-Bilicki, Forderungsabtretung, S. 776. Girsberger in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 5. Aufl. 2011, Art. 169 OR Rz. 3. Stauder/Stauder-Bilicki, Forderungsabtretung, S. 779. Dittrich/Tades, ABGB, 23. Aufl. 2011, § 1392, Unterabs. 7; Apathy, Forderungsabtretung, S. 511. OGH v. 22.2.1995 – 3 Ob 522/95, JBl 1995, 721; Apathy, Forderungsabtretung, S. 513. Apathy, Forderungsabtretung, S. 517.
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Teil H Rz. 182
Finanzierung
dieser Vorschrift, dass der gutgläubige Erwerb nicht möglich ist1. Dem Schuldnerschutz dient ferner § 1395 S. 2 ABGB: der Schuldner kann mit befreiender Wirkung an den Zedenten leisten, solange ihm der Zessionar nicht bekannt ist. Für die Sicherungsabtretung – die Sicherungsabrede ist eine taugliche causa der Abtretung2 – gelten die Publizitätserfordernisse der Pfandrechtsbegründung3. Diese lässt die einschlägige Vorschrift des § 452 ABGB allerdings im ungenauen: erforderlich ist danach, „sich solcher Zeichen zu bedienen, woraus jedermann die Verpfändung leicht erfahren kann“. Empfohlen wird die Benachrichtigung des Schuldners4. Ob dies immer und allein ausreicht, wird bezweifelt5. Wirksam wird die Abtretung jedenfalls erst mit Setzung des erforderlichen Publizitätsakts6. dd) Liechtenstein 182
Das liechtensteinische ABGB entspricht in den hier relevanten Vorschriften der §§ 1393 ff. wörtlich dem österreichischen Vorbild7. Infolgedessen wird auf die oben Rz. 181 skizzierten Grundsätze verwiesen. d) Steuerrechtlicher Hinweis
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Einstweilen frei. e) Checkliste
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I. Mittel- bis langfristige Finanzierungsinstrumente 1. Liefervertragskredit = Zahlungsaufschub des Exporteurs 2. Lieferantenkredit = Refinanzierung des Zahlungsaufschubs durch Bank des Exporteurs 3. Bestellerkredit (meist Bank-zu-Bank-Kredit) = Refinanzierung des Zahlungsaufschubs durch Bank des Exporteurs, wobei – unter Einschaltung seiner Bank – Kreditnehmer der Besteller ist II. Häufig (kumulativ) eingesetzte Sicherungsmittel mit je eigenen Anknüpfungsregeln 1. Sicherungsabtretung Faustregel 1: Zessionsverpflichtung unterliegen dem Recht des Kreditvertrags (Ausnahme: Liechtenstein). Faustregel 2: Übertragungsvorgang unterliegt nach Art. 14 Rom I-VO grundsätzlich dem Recht des Verhältnisses zwischen Zedent und Zessionar, in der Schweiz bei objektiver Anknüpfung dem Forderungsstatut (mit verschiedenen Modifikationen); anders Liechtenstein. 2. Bürgschaften und Garantien von Banken Faustregel: Diese Sicherungsmittel sind selbständig anzuknüpfen und unterliegen dem Recht des Sicherungsgebers 3. Ausfuhrversicherungen Faustregel 1: Privatwirtschaftliche Ausfuhrkreditversicherungen folgen den Anknüpfungsregeln für Versicherungsverträge Faustregel 2: Staatliche Ausfuhrgewährleistungen müssen mit Subventionsund Beihilferecht vereinbar sein. 1 2 3 4 5 6 7
Dittrich/Tades, 23. Aufl. 2011, § 1394 ABGB, Unterabs. 4; von Bernstorff, RIW 1994, 542 (547). Apathy, Forderungsabtretung, S. 517. OGH v. 22.2.1995 – 3 Ob 522/95, JBl 1995, 721. von Bernstorff, RIW 1994, 542 (546). Apathy, Forderungsabtretung, S. 518 mit Verweis auf OGH JBl. 1998, 105. Apathy, Forderungsabtretung, S. 519. Vgl. zu den Hintergründen Marxer, ZEuP 2004, 477 (489).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 185 Teil H
2. Ausfuhrversicherungen Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Allgemeines aa) „Duales System“ Zur Absicherung der Finanzierung von Exporten verlangen Kreditgeber Ausfuhrversicherungen1. Exporteure können Ausfuhrversicherungen als privatwirtschaftliche Ausfuhrkreditversicherungen abschließen oder staatliche Ausfuhrgewährleistungen („Hermes-Bürgschaften“) in Anspruch nehmen2. Letztere fallen als Ausfuhrbeihilfen unter Art. 107 AEUV3 und sind damit nur zur Sicherung nicht versicherungsmarktfähiger Risiken zulässig4. In Reaktion auf das EU-Beihilfenrecht ordnen die Richtlinien der Bundesrepublik Deutschland für die Übernahme von Exportgarantien5 in Ziff. 1.2 deshalb einen Grundsatz der Subsidiarität6 dahingehend an, dass Ausfuhrdeckungen, die auf dem privaten Versicherungsmarkt allgemein in derselben Art und in demselben Umfang angeboten werden, nicht als staatliche Ausfuhrgewährleistungen übernommen werden sollen7. Insoweit besteht ein „duales System“ der Ausfuhrversicherung in Deutschland. Gleiches gilt für Österreich und – unabhängig von EU-rechtlichen Vorgaben – für die Schweiz: Das Marktangebot privater Exportkreditversicherungsgesellschaften ergänzen subsidiär folgende Gesellschaften als Mandatare der öffentlichen Hand8 bzw. öffentlich-rechtliche Sondervermögen: in Deutschland die EulerHermes Kreditversicherungs-AG9, in Österreich die Österreichische Kontrollbank 1 Zur Rolle von Ausfuhrversicherungen z.B. bei Lieferanten- und Bestellerkrediten Teil H Rz. 185. Andere, kurzfristige Exportfinanzierungsformen, beispielsweise Akkreditive, werden ebenfalls regelmäßig mit Ausfuhrversicherungen kombiniert, Teil I Rz. 222 ff.; ferner z.B. Büter, Außenhandel, S. 393 ff.; Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 1 ff.; Fehr, RIW 2004, 440 (441). 2 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 937. 3 Vgl. im Einzelnen auch Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten zur Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf die kurzfristige Exportkreditversicherung, ABl. EU 2012 Nr. C 392, 1, in Kraft getreten am 1.1.2013, Geltungsdauer bis 31.12.2018, ersetzt die Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten zur Änderung der Mitteilung nach Art. 93 Abs. 1 EG-Vertrag zur Anwendung von Art. 92 und 93 EG-Vertrag auf die kurzfristige Exportkreditversicherung, ABl. EG 1997 Nr. C 281, 4, die wiederholt verlängert worden war. hierzu z.B. Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 16 u. 141; Koch, ZBB 1998, 393 (394); 4 Kliemann in von der Groeben/Schwarze, AEUV, 7. Aufl. 2015, Art. 107 Rz. 189. 5 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erließ im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Auswärtigen Amt aufgrund von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) v. 20.12.2012, BGBl. I, 2757), das zuletzt durch Art. 1 und 2 des Gesetzes v. 15.7.2013 (BGBl. I, 2404) geändert worden ist, die Richtlinien für die Übernahme von Exportgarantien, die die Richtlinien für die Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen (zuletzt geändert am 22.2.2008) ersetzen. 6 Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 16. 7 Vgl. auch Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums v. 17.9.1997 in der Fassung v. 2.8. 2001. 8 Zu den vergaberechtlichen Defiziten der bisherigen Mandatierungspraxis Koch, ZBB 1998, 393 (397). 9 www.exportkreditgarantien.de (25.3.2015). Nach Ziff. 3.5 der Richtlinien der Bundesrepublik Deutschland für die Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen (Fn. 4) überträgt der Bund die Geschäftsführung bezüglich seiner Ausfuhrgewährleistungen auf der Grundlage von „Mandatarverträgen“ einem Konsortium von Mandataren bestehend aus der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG (Die Aktivitäten der beiden zur Allianz-Gruppe gehörenden Kreditversicherer Euler, Paris, und Hermes, Hamburg, wurden 2002 in der neu gegründeten Holding Euler & Hermes S.A. mit Sitz in Paris zusammengefasst und anschließend entsprechend umbenannt – federführend bei Exportkreditgarantien) und der PwC Deutsche Revision Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (federführend bei Investitionskreditgarantien und Garantien für ungebundene Finanzkredite).
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Teil H Rz. 186
Finanzierung
Aktiengesellschaft1 und in der Schweiz die Schweizerische Exportrisikoversicherung SERV2. Liechtenstein tritt demgegenüber im Marktsegment der Ausfuhrversicherung nicht erkennbar in Erscheinung3. Sämtliche staatlichen Ausfuhrgewährleistungen müssen den Anforderungen internationaler Vereinbarungen entsprechen. Insbesondere die Regelungen der WTO zur Abwehr von Subventionen setzen hier Grenzen (Rz. 207). Hinzu treten Regelwerke aus Selbstverpflichtungen im Rahmen der Mitgliedschaften in internationalen Organisationen wie der OECD (Rz. 208) und Absprachen in Verbänden wie der Berne Union (Rz. 209). bb) Versicherbare Risiken und Deckungsformen (1) Private Ausfuhrkreditversicherung 186
Privatwirtschaftliche Ausfuhrkreditversicherungen decken in erster Linie das Forderungsausfallrisiko des Exporteurs gegenüber seinem ausländischen Abnehmer (Delkredereversicherung)4. Hinzu treten kann die Versicherung des Zahlungsverzugs- (protracted default)5 und – bei aufwendigen Spezialanfertigungen sinnvoll – des Fabrikationsrisikos6. Form und Zuschnitt der Deckung im Hinblick auf bestimmte Forderungs-, Länder- oder Kundengruppen sowie Anbietungsgrenzen, Höchsthaftungsgrenzen und Prämienhöhe werden weitgehend individuell vereinbart7.
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Politische Risiken lassen sich demgegenüber privatwirtschaftlich bisher, wenn überhaupt, nur eingeschränkt versichern8. Gleiches gilt für Wechselkursrisiken und langfristige Risiken9. Dies manifestiert sich darin, dass Forderungen gegenüber Importeuren in bestimmten Staaten oder Staatengruppen wie etwa Entwicklungs- und Schwel1 www.oekb.at (25.3.2015). Die OeKB ist auf der Grundlage von § 5 des Bundesgesetz v. 8.4.1981 betreffend die Übernahme von Haftungen für Rechtsgeschäfte und Rechte, Ausfuhrförderungsgesetz 1981, BGBl. Nr. 215/1981, vom Bund kraft Bevollmächtigungsvertrag nach §§ 1002 ff. östABGB dazu beauftragt, die banktechnische Behandlung (bankkaufmännische Beurteilung durch Bonitätsprüfung und Bearbeitung) der Ansuchen um Haftungsübernahme, die Ausfertigung der Haftungsverträge sowie die Geltendmachung der Rechte des Bundes aus Haftungsverträgen, ausgenommen deren gerichtliche Geltendmachung, wahrzunehmen. 2 www.serv-ch.com (5.11.2014). Rechtsgrundlagen der SERV finden sich im Bundesgesetz über die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Exportrisikoversicherungsgesetz, SERV-G) v. 16.12. 2005 und der Verordnung über die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV-V) v. 25.10. 2006. Nach Art. 5 SERV-V versichert die SERV marktfähige Risiken nur subsidiär zum bestehenden Marktangebot. 3 Die Berne Union, der internationale Verband staatlicher und nichtstaatlicher (Export-) Kreditversicherer, verzeichnet jedenfalls kein Mitglied aus Liechtenstein, www.berneunion.org/aboutthe-berne-union/berne-union-members/(25.3.2015). Staatliche Exportförderung in Gestalt von Ausfuhrgewährleistungen ist nicht ersichtlich. Der versicherungsaufsichtsrechtliche Rahmen für das Geschäft mit Ausfuhrkreditversicherung besteht allerdings, Art. 11 Nr. 8 Gesetz v. 6.12.1995 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz; lieVersAG) i.V.m. Anhang 3 lit. a i.V.m. Anhang 1 Ziff. 14, Spiegelstrich 2 („Ausfuhrkredit“), lieLGBl. Nr. 23 v. 6.12.1995. 4 Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 5; Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 937; Eistert, RIW 1996, 805. 5 Versicherungsrechtstechnisch wird dieser Schutz dadurch erreicht, dass der Versicherungsfall der Zahlungsunfähigkeit unter erleichterten Voraussetzungen, nämlich schon nach fruchtlosem Ablauf einer bestimmten Frist für die Erbringung der Gegenleistung als gegeben fingiert wird, Eistert, RIW 1996, 805. 6 Das Fabrikationsrisiko betrifft die Gefahr, dass ein Exportgeschäft vor Ausfuhr und damit vor Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung Not leidend wird, z.B. Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 937; Eisters, RIW 1996, 805; Voigt/Müller, Exportfinanzierung, S. 78. 7 Eistert, RIW 1996, 805 (806); Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 25. 8 Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 42; Häberle, Ausfuhrkreditversicherung, S. 938; Eisters, RIW 1996, 805; vgl. aber, a.a.O., S. 806, die Verweise auf englische und französische Kreditversicherer, die politische Risiken versichern. 9 Schnoor, ZBB 1998, 393, 394; Eisters, RIW 1996, 805; Stewing, EWS 1993, 237 (238).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 190 Teil H
lenländer von vornherein nicht versichert werden und damit das ihnen anhaftende Risiko nicht versicherungsmarktfähig ist. (2) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen Auf diese Marktstruktur reagiert die Europäische Kommission, indem sie sich im Bereich der staatlichen Exportversicherung nicht marktfähiger Risiken der Beihilfenkontrolle enthält, während Vorteilsgewährungen bei der Versicherung marktfähiger Risiken in aller Regel als nicht genehmigungsfähige Exportbeihilfe einzustufen sind1. Als marktfähig definiert die Kommission dabei wirtschaftliche und politische Risiken für öffentliche und nichtöffentliche Käufer, die in einem der im Anhang der Kommissions-Mitteilung angeführten Staaten niedergelassen sind, sofern die Höchstlaufzeit (Fabrikationsdauer zzgl. Kreditlaufzeit, berechnet nach den Vorgaben der Berner Union) weniger als zwei Jahre beträgt2. Diese Staaten sind die EU-Mitgliedstaaten, ferner Australien, Kanada, Island, Japan, Neuseeland, Norwegen, Schweiz sowie die USA. Nicht in diesem Sinne marktfähig sind damit Versicherungen mit längerer Laufzeit sowie Versicherungen bei Export in nicht gelistete Staaten. Hinsichtlich dieser nicht marktfähigen Risiken sind die Mitgliedstaaten durch das EU-Beihilferecht nicht beschränkt. Beschränkungen können allerdings immer noch nach den Regeln der OECD bestehen. Im Übrigen regelt die Kommissionsmitteilung, wann ein kurzfristiges Risiko ausnahmsweise bzw. vorübergehend nicht marktfähig ist bzw. zu einem nicht marktfähigen Risiko erklärt werden kann (so z.B. nach Art. 5.2. der Mitteilung im Falle Griechenlands)3.
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Als Deckungsformen4 bietet etwa die Bundesrepublik Deutschland bei kurzfristigen Exportgeschäften bis zu 12 Monaten die Einzeldeckung, die revolvierende Deckung bei wiederholten Exporten an Abnehmer in einem bestimmten Land und Ausfuhr-Pauschal-Gewährleistungen unterschiedlichen Zuschnitts bei wiederholten Exporten an Abnehmer verschiedener Ländern mit ausgewogener Risikomischung5. Für mittelbis langfristige Risiken, also über einen Zeitraum von 1–12 Jahren, stehen hingegen nur Einzeldeckungen zur Verfügung6. Ähnlich strukturiert Österreich seine staatlichen Ausfuhrgewährleistungen7. Die Schweiz sieht demgegenüber von einer Typenbildung ab und gewährt ihre Exportrisikogarantien nach individuellem Zuschnitt8.
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cc) Rechtliche Grundlagen (1) Private Ausfuhrkreditversicherung Rechtliche Grundlage der privatwirtschaftlichen Ausfuhrkreditversicherung bildet der Versicherungsvertrag9. Verträge für Ausfuhrkreditversicherungen werden weitgehend individuell ausgehandelt10. Für Ausfuhrkreditversicherungen als eine spezielle Er1 Ziff. 4.2 der Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten zur Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf die kurzfristige Exportkreditversicherung, ABl. EU Nr. C 392 v. 19.12.2012, S. 4, Rz. 19. 2 A.a.O., Ziffer 2.2. 3 A.a.O., Ziffer 4.2. 4 Zu Deckungsformen im Einzelnen Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 58 ff. 5 Publikation der Euler Hermes Kreditversicherung AG „Hermesdeckungen spezial – Grundzüge“, März 2012, S. 4 ff. 6 Publikation der Euler Hermes Kreditversicherung AG „Hermesdeckungen spezial – Grundzüge“, März 2012, S. 4 ff. 7 Vgl. im Einzelnen http://www.oekb.at/de/exportservice/absichern/exportgarantien (24.7.2015). 8 http://www.serv-ch.com/fileadmin/Files/PDF/online-schalter/geschaeftsbericht/SERV_Ge schaeftsbericht_2014_d.pdf (15.4.2015). 9 Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 7. 10 Eistert, RIW 1996, 805 (806); Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 939; Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 25.
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Teil H Rz. 191
Finanzierung
scheinungsform von Kreditversicherungen entbindet § 210 des deutschen VVG (Vertragsfreiheit bei Großrisiken) i.V.m. Nr. 14b der Anlage Teil A zum VAG (Definition von Großrisiken) bzw. § 187 des österreichischen VVG unmittelbar von den Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch Vorschriften des VVG. Das schweizerische VVG enthält keine speziellen Vorschriften zur Kreditversicherung, so dass vollständig auf die allgemeinen Regeln der Schadensversicherung zurückzugreifen ist1. Ergänzend gelten in Deutschland die AVB Ausfuhrkreditversicherung 20042. Teilweise, insbesondere zur Sicherung kleinerer Forderungen aus Exportgeschäften, werden die Risiken der Ausfuhrkreditversicherung auch in die AVB der Warenkreditversicherung einbezogen und diese einem einheitlichen Versicherungsvertrag zugrunde gelegt3. Forderungen des Exporteurs gegen den Exportversicherer stehen wiederum als Gegenstand für eine Sicherungsabtretung zugunsten der den Export finanzierenden Bank zur Verfügung4. (2) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen (a) Deutschland 191
Rechtliche Grundlage der staatlichen Ausfuhrgewährleistungen in Deutschland bildet zunächst Art. 115 GG, wonach die Übernahme von Bürgschaften und sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz bedürfen. Dies geschieht durch das jeweilige Haushaltsgesetz5. Verfahren und Grundsätze für konkrete Entscheidungen regeln die Richtlinien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für die Übernahme von Exportgarantien, zuletzt vom 4.6. 2014 („Hermesdeckungen“)6. Hinzu treten die Maßgaben aus dem OECD-Konsensus für öffentlich unterstützte Exportkredite7. Kraft Mandatarvertrags ist die Euler Hermes Kreditversicherung AG zur Geschäftsführung bezüglich der Ausfuhrgewährleistungen beauftragt und nach Maßgabe der §§ 164 ff. BGB ermächtigt, alle erforderlichen Willenserklärungen in Vertretung des Bundes abzugeben bzw. entgegenzunehmen8. Die Deckungsentscheidung selbst trifft allerdings der „Interministerieller Ausschuss für Ausfuhrgarantien und Ausfuhrbürgschaften“ unter Beteiligung des Bundeswirtschafts-, Bundesfinanz- und Bundesaußenministeriums sowie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit9. Diese erste Stufe der Deckungsentscheidung ist ein Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG10. Rechtsschutz gegen unterbliebenen bzw. ablehnenden Bescheid des Antrags auf Ausfuhrgewährleistung muss deshalb im Wege der Verpflichtungsklage bzw. zur rechtzeitigen Durchführung des geplanten Exportgeschäfts durch einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO vor den VG gesucht werden11. Örtlich zuständig ist das VG Berlin, da dort das Bundeswirtschaftsministerium als erlassende Behörde sitzt12. Zunächst besteht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entschei1 Dementsprechend weit ist Art. 48 VVG Schweiz gefasst, wonach Gegenstand der Schadensversicherung jedes wirtschaftliche Interesse am Ausbleiben eines befürchteten Ereignisses sein kann. 2 Entnommen bei Langen in v. Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, § 20 Rz. 141. 3 Pörschke, Private Ausfuhrkreditversicherung, S. 7. 4 Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 942. 5 Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 10; Bödeker, Staatliche Exportkreditversicherungssysteme, S. 15; vgl. z.B. zuletzt § 3 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015), BGBl. I 2014, 2442. 6 http://www.agaportal.de/pdf/formulare/richtlinien_ekg.pdf (25.7.2015). 7 http://www.oecd.org/tad/xcred/arrangement.htm (25.7.2015). 8 Büter, Außenhandel, S. 393 ff.; Schnoor, RIW 1997, 733 (734). 9 Büter, Außenhandel, S. 394; Sellner/Külpmann, RIW 2003, 410 (411); Schnoor, RIW 1997, 733 (734). 10 Sellner/Külpmann, RIW 2003, 410 (415); Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 25. 11 Sellner/Külpmann, RIW 2003, 410 (415). 12 § 52 Nr. 2 VwGO; Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 28.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 193 Teil H
dung. Der Anspruch auf positive Bescheidung kann sich aber aus den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung bzw. bei Reduktion des Ermessens auf Null ergeben1. Der positive Bescheid begründet dann einen Anspruch auf Abschluss eines „Gewährleistungsvertrags“ zwischen Bund und Exporteur2. Die Ausgestaltung dieses öffentlichrechtlichen Leistungsverhältnisses unterliegt auf der zweiten Stufe dem Privatrecht3. Ob es sich bei dem zugrunde liegenden Vertrag um den Vertragstyp des Versicherungsvertrags4, der Bürgschaft5 oder um einen (atypischen) Garantievertrag handelt6, bleibt materiell-rechtlich ohne praktische Konsequenz7. Denn der Inhalt des Vertrags wird vollständig von den jeweiligen vom Bundeswirtschaftsministerium im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium auf der Basis von Ziff. 5.3 der Richtlinien aufgestellten „Allgemeinen Bedingungen“8 determiniert9. Diese unterliegen allerdings als privatrechtliche allgemeine Geschäftsbedingungen dem Klauselrecht der §§ 305 ff. BGB10. Für die privatrechtlichen Streitigkeiten aus dem Gewährleistungsvertrag sind nach den in den Allgemeinen Bedingungen enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarungen die ordentlichen Gerichte in Hamburg zuständig11. Für Rückforderungsansprüche des Bundes ist ebenfalls der ordentliche Rechtsweg eröffnet12. (b) Österreich Rechtliche Grundlagen der österreichischen Exportgarantie bilden das Ausfuhrförderungsgesetz 198113 und die auf ihm beruhende Ausfuhrförderungsverordnung 198114. Bei diesen Exportgarantien dürfte es sich wie in Deutschland um privatrechtliche Verträge handeln15.
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(c) Schweiz Rechtliche Grundlagen der schweizerischen Exportgarantie bilden das Bundesgesetz über die Schweizerische Exportrisikoversicherung vom 16.12.200516 und die Verord1 2 3 4 5 6 7
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Sellner/Külpmann, RIW 2003, 410 (415). Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 26. Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 26. So Horn, Hermes-Deckungen, Rz. 578; Graf von Kageneck, Hermes-Deckungen, S. 50. So wiederum Horn, Hermes-Deckungen, Rz. 578: Doppelnatur. Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 35. Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 30; Graf von Kageneck, Hermes-Deckungen, S. 50. Ohne Bedeutung für die rechtliche Qualifikation sind die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gewählten und von der Euler-Hermes Kreditversicherung AG zur Unterscheidung zwischen Ausfuhrgewährleistungen bei Geschäften mit staatlichen bzw. privaten Abnehmern verwendeten Bezeichnungen „Bürgschaft“ bzw. „Garantie“, vgl. z.B. Häberle, Außenhandelsfinanzierung, S. 955. http://www.agaportal.de/pages/aga/downloads/bedingungen.html (25.7.2015): AB AusfuhrPauschal-Gewährleistungen, AB Ausfuhr-Gewährleistungen-light, AB Fabrikationsrisikodeckungen, AB Deckungen für gebundene Finanzkredite, Leistungsdeckungen, Lieferantenkreditdeckungen. Graf von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 402. Zu den Einzelheiten Graf v. Kageneck, Hermes-Deckungen, S. 56 ff. Vgl. etwa § 21 AB Ausfuhr-Pauschal-Gewährleistungen i.d.F. v. Februar 2014. BGH, v. 9.11.1996 – IX ZB 15/96, WM 1996, 2299 = EWiR 1997, 307 m. Anm. Bork = WiB 1997, 276 m. Anm. Mankowski. Bundesgesetz v. 8.4.1981 betreffend die Übernahme von Haftungen für Rechtsgeschäfte und Rechte, BGBl. Nr. 215/1981 i.d.F. BGBl. I Nr. 121/2012, tritt nach dessen § 10 Abs. 2 mit Ablauf des 31.12.2017 außer Kraft. Verordnung des Bundesministers für Finanzen v. 30.4.1981 betreffend die Richtlinien für die Übernahme von Haftungen des Bundes nach dem Ausfuhrförderungsgesetz 1981, BGBl. Nr. 257/1981 i.d.F. BGBl. II Nr. 90/1999. Diese Verordnung setzt ausweislich ihres § 18 die RL 98/29/EG um. Vgl. § 5 Abs. 1 Ausfuhrförderungsverordnung: „abzuschließende Haftungsverträge“. Bundesgesetz über die Schweizerische Exportrisikoversicherung (Exportrisikoversicherungsgesetz, SERVG), vom 16.12.2005 i.d.F. v. 1.1.2013, AS 2005, 1801.
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Teil H Rz. 194
Finanzierung
nung über die Schweizerische Exportrisikoversicherung vom 25.10.20061. Terminologie und Systematik der SERV-V deuten ebenfalls auf eine privatrechtliche Ausgestaltung hin2. b) Internationales Privatrecht aa) Reichweite des IPR 194
Klassisch internationalprivatrechtliche Probleme stellen sich in erster Linie bei privaten Ausfuhrkreditversicherungen. Bei privatrechtlich ausgestalteten staatlichen Ausfuhrgewährleistungen verhindert häufig die in den Richtlinien bzw. Verordnungen zur Übernahme von Exportrisiken enthaltene Maßgabe, nur inländische Exporteure zu unterstützen, dass der zu beurteilende Sachverhalt relevante Auslandsverknüpfungen aufweist. Soweit dies anders ist, etwa bei Einbeziehung ausländischer Vertriebsgesellschaften als Erfüllungsgehilfen oder auswärtigen Produktionsgesellschaften als Mitversicherte, gelten infolge der privatrechtlichen Ausgestaltung der staatlichen Ausfuhrgewährleistung bei Qualifikation als atypische Bürgschaft oder Garantievertrag (Rz. 191) auch die internationalprivatrechtlichen Anknüpfungsgrundsätze für privatrechtliche Bürgschaften und Garantien (hierzu Teil H Rz. 677). Bei Qualifikation als Versicherungsvertrag gelten die sogleich unter Rz. 195 ff. zu entwickelnden Grundsätze des internationalen Versicherungsvertragsrechts. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf das internationale Versicherungsvertragsrecht. bb) Art. 7 Rom I-VO
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Von der Einführung der Rom I-VO erhofften sich viele ein Ende der zuvor komplexen, durch „Metakollisionsregeln“ mit Anknüpfung an den Belegenheitsort des Risikos sowie durch versicherungsrechtliche Sekundärrechtsakte geprägten kollisionsrechtlichen Rechtslage3. Tatsächlich wird Art. 7 Rom I-VO in Art. 23 Rom I-VO vom Vorrang speziellerer Gemeinschaftsrechtsakte ausgenommen, um ein einheitliches Regelungsmodell zu ermöglichen4. Gleichwohl bleibt die Rechtslage komplex. Zwar sind bei Art. 7 Rom I-VO beispielsweise im Hinblick auf die Ausweitung der Rechtswahlmöglichkeit Verbesserungen festzustellen5. Jedoch ändert auch Art. 7 Rom I-VO an der Rechtszersplitterung insoweit nichts, als einerseits nur Direktversicherungen über innerhalb des EWR belegene Massenrisiken von Art. 7 Rom I-VO erfasst werden, während andererseits bei Direktversicherungen über Massenrisiken, die außerhalb der EWR belegen sind, ebenso wie für sämtliche Rückversicherungsverträge auf Art. 3 ff. Rom I-VO zurückzugreifen ist6.
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Im Verhältnis zu ERW-Staaten bleibt das Kollisionsrecht in besonderem Maße komplex und unübersichtlich, zugleich teleologisch fragwürdig. Dies kann hier nur angedeutet werden7: Grundsätzlich sind nur die EU-Mitgliedstaaten an die Rom I-VO gebunden, nicht also EWR-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen). Art. 4 und 36 EWR-Abkommen verbieten allerdings jede Diskriminierung aus Gründen der 1 Verordnung über die Schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV-V) vom 25.10.2006 i.d.F. v. 1.1.2013, AS 2006, 4403. 2 Z.B. Art. 10 SERV-V: „Zustandekommen des Versicherungsvertrags“. 3 Zu Einzelheiten in der Vorauflage. 4 Spickhoff in BeckOK/BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 1. 5 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 1. 6 Armbrüster in Staudinger/BGB, Vorbm. Art. 7 RomI-VO, Rz. 2; Leible in NK-BGB, Art. 7 Rom I-VO Rz. 2; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (538); kritisch auch Mankowski, IHR 2008, 134 (144). 7 Weiterführend etwa Richters, Dienstleistungsfreiheit als Schranke des Internationalen Privatversicherungsrechts, S. 85 f.; Armbrüster in Staudinger/GB, Vorbm. Art. 7 Rom I-VO, Rz. 1 ff.; Leible in NK-BGB, Art. 7 Rom I-VO Rz. 28.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 199 Teil H
Staatsangehörigkeit und garantieren den freien Dienstleistungsverkehr. Damit sind die genannten EWR-Staaten durch EU-mitgliedstaatliche Gerichte für die Zwecke von Art. 7 Rom I-VO wie Mitgliedstaaten zu behandeln1. Liechtenstein selbst wandte zunächst seine Umsetzungsvorschriften zum alten Richtlinienrecht an2. Art. 178 der Solvabilität II-Richtlinie3 verlangte freilich für Direktversicherungen in ihrer ursprünglichen Fassung die Anwendung von Art. 7 Rom I-VO (auch) durch die (EWR-) Mitgliedstaaten. Durch Beschluss des gemeinsamen EWR-Ausschusses4 wurde dies allerdings in Anhang IX des ERW-Abkommens geändert. Nunmehr werden insgesamt Artt. 3, 7, 10, 11, 13 Rom I-VO in Bezug genommen. Die autonome schweizerische Metakollisionsregel grenzt zwischen speziellem Versicherungsvertragskollisionsrecht und allgemeinen internationalen Vertragsrecht wie folgt ab: nach Art. 101a schwzVVG gelten die den sekundärrechtlichen Vorgaben angepassten Kollisionsregeln der Artt. 101b und 101c schwzVVG, solange ein völkerrechtliches Abkommen in Kraft ist, das die Anerkennung aufsichtsrechtlicher Anforderungen und Maßnahmen vorsieht sowie sicherstellt, dass im betreffenden Staat gleichwertige Regelungen wie in der Schweiz zur Anwendung kommen. Ein derartiges Abkommen besteht etwa mit Liechtenstein5. Staatsverträge mit der EU und anderen Staaten sind angestrebt6. Anknüpfungspunkt der Abgrenzung ist ebenfalls die Belegenheit des Risikos, welche Art. 101b Abs. 5 schwzVVG definiert. Liegt danach das versicherte Risiko in einem Staat, mit dem ein derartiges völkerrechtliches Abkommen besteht, gelten die Kollisionsregeln des VVG, ansonsten Artt. 116 ff. schwzIPRG7.
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cc) Grundsatz der Parteiautonomie Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO räumt für Versicherungsverträge mit beruflich tätigen Versicherungsnehmern über Großrisiken, zu denen nach Art. 5 lit. d RL 73/238/EWG (Art. 13 Nr. 27 lit. b RL 2009/138/EG8) i.V.m. Nr. 14 Anhang A zur RL 73/238/EWG (Nr. 14 Spiegelstrich 2 Anhang I zur RL 2009/138/EG) auch Ausfuhrkredite gehören, umfassende, von den Restriktionen des Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO auf bestimmte Rechtsordnungen entbindende und damit Art. 3 Rom I-VO entsprechende Rechtswahlfreiheit ein.
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Umfassende Rechtswahlfreiheit gewährt auch Art. 101b lit. f schwzVVG für Versicherungsverträge im Geltungsbereich von Art. 101a schwzVVG über Großrisiken, zu denen nach Art. 101b Abs. 6 b schwzVVG auch Kreditversicherungen zählen, so dass die Einschränkungen der Rechtswahlfreiheit auf sachnahe Rechtsordnungen in Art. 101b lit. a–e schwzVVG nicht greifen. Die Modalitäten der Rechtswahl sind eigenständig in Art. 101b lit. h schwzVVG geregelt. Abweichend von Art. 116 schwzIPRG kann sich damit eine stillschweigende Rechtswahl nicht erst bei Eindeutigkeit der Umstände, sondern schon bei hinreichender Sicherheit ergeben. Der Wortlaut von Art. 101b lit. h S. 1 schwzVVG entspricht insoweit Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO. Eine ausdrückliche
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1 Armbrüster in Staudinger/BGB, Art. 7 RomI-VO, Rz. 3; a.A. wohl Schnyder, in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 4724. 2 Leible, NK-BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 28. 3 RL 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit („Solvabilität II“), ABl. EU Nr. L 335 v. 17.12.2009, S. 1 ff. 4 EWR-Beschluss Nr. 78/2011 v. 1.7.2011, ABl. EU Nr. L 262 v. 6.10.2011, S. 45 ff. 5 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend die Direktversicherung v. 19.12.1996, BBl. 1997 II 224, in Kraft seit 1.1.1997. 6 Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 550. 7 A.a.O., Rz. 547. 8 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. Nr. L 335 S. 1, ber. 2014 Nr. L 219 S. 66.
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Teil H Rz. 200
Finanzierung
Regelung der depec¸age nach dem Vorbild von Art. 3 Abs. 1 S. 3, 2. Alt Rom I-VO fehlt hingegen, dürfte aber als Ausübungsmodalität der grundsätzlich und weitgehend gewährten Parteiautonomie zulässig sein1. dd) Objektive Anknüpfung 200
Liegt ein Großrisikovertrag vor, bei dem keine Rechtswahl getroffen wurde, ist gem. Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO objektiv an das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherers („Betriebsstatut“2) anzuknüpfen3. Nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO ist dabei für juristische Personen auf die Hauptverwaltung abzustellen. Abweichendes gilt nach Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO, wenn der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung geschlossen oder verwaltet wird4. Nach Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 Rom I-VO kommt ein abweichende Anknüpfung in Betracht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Bei Exportkreditsversicherungen könnte damit an eine akzessorische Anknüpfung zum gesicherten Exportvertrag zu denken sein. ee) International zwingende Bestimmungen
201
Art. 9 Rom I-VO gilt auch für Versicherungsverträge i.S.v. Art. 7 Rom I-VO5. Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann auch den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Der Wortlaut spricht dafür, dass Eingriffsnormen, die die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht erfüllen, auch auf materiell-rechtlicher Ebene nicht berücksichtigt werden können6.
202
Eine andere Lösung wählt der liechtensteinische Gesetzgeber. Nach Art. 8 Abs. 1 lieVersVG kann durch Rechtswahl nicht zu Lasten eines Versicherungsnehmers von zwingenden inländischen Bestimmungen abgewichen werden, wenn der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seine Hauptverwaltung im Inland hat. Von diesem aus Artt. 6, 8 Rom I-VO bekannten Günstigkeitsprinzip zum kollisionsrechtlichen Schutz des Schwächeren befreit Art. 8 Abs. 2 lieVersVG unter den Voraussetzungen, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit abschließt und sich der Vertrag auf ein Großrisiko bezieht. Zu diesen gehört in Liechtenstein das Risiko aus Kreditversicherungen7. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift scheidet damit die Sonderanknüpfung international zwingenden Rechts des Forums für die hier interessierenden Versicherungsverträge über Ausfuhrkreditversicherungen aus. Die Fremdrechtsanwendung unterliegt damit nur noch der allgemeinen ordre public-Kontrolle.
203
Nach Art. 101b Abs. 2 schwzVVG i.V.m. Art. 18 schwzIPRG bleibt die Sonderanknüpfung international zwingender Vorschriften der lex fori vorbehalten, nach Abs. 3 der Vorschrift i.V.m. Art. 19 IPRG international zwingende Vorschriften des Staates, in dem das Risiko belegen ist. 1 2 3 4 5 6 7
Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 569. Armbrüster in Staudinger/BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 8. Leible in NK-BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 32. Armbrüster in Staudinger/BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 8. Armbrüster in Staudinger/BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 32. Vgl. zum Streitstand Leible in NK-BGB, Art. 7 Rom I-VO, Rz. 79, Fn. 235 m.w.N. Art. 11 Nr. 8 Gesetz v. 6.12.1995 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz; lieVersAG) i.V.m. Anhang 3 lit. a i.V.m. Anhang 1 Ziff. 14, Spiegelstrich 2 („Ausfuhrkredit“).
886 | Weller
Finanzierungsmodelle
Rz. 207 Teil H
c) Materiell-rechtliche Besonderheiten Staatliche Ausfuhrgewährleistungen unterliegen als Beihilfen und Subventionen materiell(öffentlich)rechtlichen Besonderheiten europarechtlicher und sonstiger völkerrechtlicher Provenienz:
204
aa) AEUV Art. 132 EG sprach „die Systeme der von den Mitgliedstaaten für die Ausfuhr nach dritten Ländern gewährten Beihilfen“ unmittelbar an und sah deren schrittweise Vereinheitlichung vor. Im Verhältnis zu Art. 133 EG konkretisierte Art. 132 EG damit einen zentralen Bereich der europarechtlichen Gemeinsamen Handelspolitik unter Titel IX des EG-Vertrags1. Aus Art. 133 EG ergab sich deswegen auch eine Kompetenz der EG zur Harmonisierungsgesetzgebung für staatliche Ausfuhrgewährleistungen2. Da sich Art. 132 EG aber auch hierauf beschränkte und nicht etwa eine Ausnahmevorschrift i.S.v. Art. 87 EG Abs. 1 EG („Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist …“), mussten staatliche Ausfuhrgewährleistungen schon nach früherem Rechtsstand dem EG-Beihilfenrecht entsprechen3.
205
Im AEUV hat Art. 132 EG keine unmittelbare Entsprechung mehr: Die Vorschrift wurde für obsolet gehalten, weil nach Art. 3 des WTO-Übereinkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen Exportsubventionen ohnehin weitestgehend unzulässig sind. Eine Ausnahme hiervon gilt freilich für Exportkredite4. Eine gemeinsame Handelspolitik zur Koordinierung nationaler Exportsubventionsregelungen erschien deswegen als nicht mehr erforderlich5. Die auf Art. 132 EG beruhenden Sekundärrechtsakte konnten auf die allgemeine Kompetenz in Art. 207 AEUV zur Gestaltung der Gemeinsamen Handelspolitik gestützt werden, zu der auch die Exportfinanzierung zählt. Im Übrigen unterliegen Ausfuhrbeihilfen und Beihilfen im Bereich von Exportkreditversicherungen den allgemeinen beihilferechtlichen Maßgaben6. Zu beachten ist dabei insbesondere die bereits oben einleitend erwähnte Kommissionsmitteilung zur Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf die kurzfristige Exportkreditversicherung7.
206
bb) WTO Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Vertragsparteien des WTO-Abkommens8. Nach Art. XVI GATT 1994 i.V.m. Anhang I lit. j des soeben bereits erwähnten Abkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen9 gilt die staatliche Ex1 EuGH, Gutachten 1/75, v. 11.11.1975, EuGHE 1975, 1355, Tz. 2. 2 Vgl. inbes. RL 98/29/EG des Rates v. 7.5.1998 zur Harmonisierung der wichtigsten Bestimmungen über die Exportkreditversicherung zur Deckung mittel- und langfristiger Geschäfte, ABl. EG Nr. L 148 v. 19.5.1998, S. 22, geändert durch die VO 806/2003/EG des Rates v. 14.4.2003, ABl. EG Nr. L 122 v. 16.5.2003, S. 1, vgl. hierzu schon Rz. 188. 3 EuGH, v. 21.3.1990 – Rs. C-142/87, EuGHE 1990 I-959, Tz. 32 – Belgien/Kommission; Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten nach Art. 93 Abs. 1 EGV zur Anwendung der Art. 92 und 93 EGV auf die kurzfristige Exportkreditversicherung, ABl. EG Nr. C 281 v. 17.9. 1997; ferner Entscheidung 87/418/EWG der Kommission v. 4.2.1987 über eine von der belgischen Regierung gewährte Beihilfe zugunsten eines Unternehmens der Stahlröhrenindustrie, ABl. EG Nr. L 227 v. 14.8.1987, S. 45. 4 WTO-Abkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, Anhang I, lit. j, k. 5 Weiß, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV (43. Erg.-Lfg. 2011), Art. 206, Rz. 3. 6 Vgl. hierzu im Überblick Rz. 185 und im Einzelnen z.B. bei Kliemann in von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 107 AEUV, z. 185 ff. 7 ABl. EU 2012 Nr. C 392, 1 ff. 8 Zum völkerrechtlichen Rahmen, den WTO bzw. GATT setzen, vgl. Teil B Rz. 20 f., sowie Teil M Rz. 5 ff. 9 Siehe Rz. 206.
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207
Teil H Rz. 208
Finanzierung
portkreditversicherung dann als unzulässige Subvention, wenn die Höhe der Versicherungsprämien bzw. erhobenen Gebühren langfristig nicht kostendeckend ist (Grundsatz der Selbsttragung). Dass beispielsweise das deutsche Ausfuhrgewährleistungssystem dieser Anforderung entspricht, wurde in der Vergangenheit bezweifelt1. Denn grundsätzlich kann sich ein Ausfuhrgewährleistungssystem nur dann tragen, wenn es für seine Leistungen annähernd marktmäßige Gegenleistungen verlangt. Die von den staatlichen Ausfuhrgewährleistungssystemen gewährten Leistungen betreffen aber gerade die nicht marktfähigen politischen und Langzeitrisiken von Exporten (oben Rz. 185 ff.). Insofern spricht der Umstand, dass ein Versicherungsmarkt für derartige Risiken fehlt, zunächst dafür, dass eine Subvention i.S.v. Art. XVI GATT 1994 vorliegt2. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Entgelte für Ausfuhrgewährleistungen der Bundesrepublik in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind und die Bewertung der ausstehenden Forderungen unklar ist, so dass die Schwelle zur GATT-widrigen Subvention wohl nicht überschritten ist3. cc) OECD 208
Die OECD erarbeitet seit dem 1976 erstmals vereinbarten „Konsens“ über Mindeststandards für Exportkredite laufend Leitlinien zu staatlichen Ausfuhrgewährleistungen4. Diese „Arrangements“ bezeichnen sich selbst als „Gentlemen’s Agreement among the Participants“ und stellen überdies klar, dass es sich nicht um rechtlich bindende Beschlüsse der OECD handelt5. Eine Bindungswirkung ist also von den Parteien nicht gewünscht. Trotzdem ist die Staatenpraxis im Rahmen der Arrangements schon deswegen völkerrechtlich nicht irrelevant, weil Anhang I lit. k Abs. 2 des im Rahmen des GATT geschlossenen Abkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (s. Rz. 207) vorsieht, dass Ausfuhrgewährleistungen – unter bestimmten weiteren Voraussetzungen – keine unzulässigen Subventionen sind, wenn sich ein Staat an die Praxis gemeinsamer Absprachen (undertakings) hält, wie sie beispielsweise in den Arrangements getroffen wurden6. dd) Berner Union
209
Die Berner Union ist ein privatrechtlich organisierter Verband von Ausfuhrkreditversicherern7. Ihre Verlautbarungen entfalten weder für die EU noch für die Mitgliedstaaten formell Bindungswirkung. Da allerdings die meisten Verbandsmitglieder staatliche oder doch zumindest halbstaatliche Einrichtungen sind, ist ihrer Mitwirkung bei Beschlüssen der Berne Union zu einem gewissen Maße eine völkerrechtsrelevante Staatenpraxis zu entnehmen8. d) Steuerrechtliche Hinweise
210
Derzeit keine.
1 2 3 4
5 6 7 8
Z.B. Stewing, EWS 1993, 237 (240). Stewing, EWS 1993, 237 (240); a.A. Graf von Kageneck, Hermes-Deckungen, S. 41. Janus, Exportkreditgarantien, Rz. 18 ff. Vgl. z.B. zuletzt OECD, Trade and Agriculture Directorate, Export Credit Working Group, Arrangement on Officially Supported Export Credits, 15 January 2015, TAD/PG(2015)1; OECD, Information note on the recently agreed changes to the rules on minium premium for officially supported export credits, 3 June 2010, TD/PG(2010)10. Ziff. 2 Arrangement on Officially Supported Export Credits 2015. Hahn in Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 207 AEUV Rz. 50. Berne Union, Yearbook 2014, S. 7 ff. Cottier/Trinberg in von der Groeben/SchwarzeHatje, Vorbm. Artt. 206–207 AEUV Rz. 7.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 214 Teil H
e) Checkliste Zu unterscheiden sind private Ausfuhrkreditversicherungen und staatliche Ausfuhrgewährleistungen:
211
aa) Private Ausfuhrkreditversicherungen – Rechtsgrundlage: Versicherungsvertragsrecht – Kollisionsrechtliche Anknüpfungsgrundsätze: – Deutschland, Österreich, (über ERW mit Modifikationen) Liechtenstein: Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO – Rechtswahl, Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 3 Rom I-VO – Objektive Anknüpfung, Art. 7 Abs. 2, Unterabs. 2 S. 1: gewöhnlicher Aufenthalt des Versicherers – Ausweichklausel, Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2; evtl. akzessorische Anknüpfung an Exportvertrag – Schweiz: Unterscheidung – spezielles Versicherungsvertragskollisionsrecht (Art. 101a ff. schwzVVG) und – allgemeines internationales Vertragsrecht
212
bb) Staatliche Ausfuhrgewährleistungen 213
– öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage der Deckungsentscheidung – privatrechtliche Ausgestaltung der Durchführung – Vereinbarkeit mit: – EU-Beihilfenrecht? – GATT 1994 i.V.m. Subventionsabkommen? 3. Auslandskreditverträge Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Begriff Der Auslandskreditvertrag wird im Folgenden von roll-over Krediten (Revolving Facilities) abgegrenzt1. Während es sich bei roll-over Krediten am Euromarkt vornehmlich um standardisierte Kredite in den wichtigsten Währungen handelt, die der anglo-amerikanischen Praxis folgen und dem englischen oder US-amerikanischen Recht unterstellt sind, werden als Auslandskredite nachfolgend Kreditverträge deutscher Kreditgeber vornehmlich in Euro behandelt, für die das deutsche Recht vereinbart wird. Diese Auslandskredite können reine Finanzkredite sein oder auch projektbezogene Kredite, insbesondere im Zusammenhang mit Exportfinanzierungen. Bei grösseren Volumina handelt es sich in der Regel um Konsortialkredite2, bei denen sich das Konsortium aus in- und ausländischen Kreditgebern bzw. Banken zusammensetzen kann. Auslandskreditverträge deutscher Kreditgeber sind meistens auf den Einzelfall zugeschnitten und können strukturell voneinander abweichen. Roll-over-Kredite (Revolving Facilities) am Euromarkt folgen regelmäßig den in der anglo-merikanischen Vertragspra1 Zur Abgrenzung auch Welter in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2001, § 118 Rz. 4. Nicht überzeugend dagegen Walgenbach in Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2015, 16. Kap. Fn. 2. 2 Auf die Besonderheiten von Konsortialkrediten wird hier nicht eingegangen. Siehe hierzu Brandt/Sonnenhol, WM 2001, 2329 ff. Ein Vertragsmuster findet sich in WM 2001, 2355 ff.: zu Rechtsproblemen der Organisation Vetter, ZIP 2000, 2041 ff.
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Schefold 889
214
Teil H Rz. 215
Finanzierung
xis entwickelten Mustern, die großenteils Standardklauseln aufweisen, die sich weithin durchgesetzt haben und die vielfach den Vertragstexten folgen, die von der London Market Association (LMA) etabliert wurden1 und laufend den jeweiligen Entwicklungen angepasst werden. Vertragstexte sind von der LMA auch unter französischem bzw. deutschem Recht2 entwickelt worden, haben sich in der deutschen Vertragspraxis aber nicht durchgesetzt, ebenso wie Verträge, die unter englischem Recht am Finanzplatz London mit Gerichtsstand London abgeschlossen werden. Wichtige für die LMA Loan Dokumentation entwickelte Standards sind aber auch regelmäßig Bestandteil der von deutschen Kreditgebern verwendeten Mustern für Auslandskreditverträge. Zu diesen Standards rechnen insbesondere die Klauseln über Referenzzinssätze bei variablem Zinssatz (Euribor, ICE Libor), Zusicherungen und Bestätigungen (representations and warrenties), die Kostenerhöhungsklausel (increased costs), die Steuererhöhungsklausel (tax grossing-up) und die negative pledge/pari passu-Klausel. b) Grundsätze der Vertragsgestaltung 215
Die Absicherung gegen und die Steuerung von Risiken, die mit der Abfassung eines Auslandskreditvertrags verbunden sind, ist für die Vertragsgestaltung entscheidend. Um Risiken in rechtlicher Hinsicht auszuschalten, sind vor allem die nationalen Vorschriften mitzubeachten3, insbesondere solche, die auch nicht durch Wahl eines fremden Rechts umgangen werden können.
216
Neben einer Rechtswahlklausel kommt vor allem dem vereinbarten Gerichtsstand Bedeutung zu. Im Hinblick auf streitige Verfahren vor deutschen Gerichten können einzelne der anglo-amerikanischen Vertragspraxis entsprechende Klauseln Probleme aufwerfen, wenn diese nicht mit dem deutschen Recht in Einklang stehen, so dass sich empfiehlt, sie nicht unbesehen zu übernehmen. Hinzukommt, dass die Mustertexte der LMA bei Kreditgebern auf Widerstand stossen, weil sie Regelungen vorsehen, die nicht auf den Einzellfall zugeschnitten und aus Sicht eines Kreditnehmers als zu weitschweifig (overload) angesehen werden. c) Die Bestimmungen über Gelddarlehen im BGB (§§ 488–490)
217
Das durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Jahre 2002 neu geregelte Darlehensrecht gilt auch für die Abfassung deutscher Auslandskreditverträge unter deutschem Recht und stellt daher eine wichtige Grundlage dar. Ausgespart können die besonderen Bestimmungen über Verbraucherdarlehen (§§ 491–507 BGB) bleiben, da davon auszugehen ist, dass es sich bei den Kreditnehmern im Ausland nicht um Verbraucher, sondern Unternehmen bzw.Banken handelt. d) Mindestanforderungen (MaRisk)
218
Handelt es sich um Finanzdienstleister oder Kreditinstitute, die auf der Kreditgeberseite auftreten, sind bei der Vergabe von Auslandskrediten die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen als Aufsichtsbehörde festgeschriebenen Prozesse und Verfahren für die Kreditgewährung, die Bearbeitung und Betreuung einschließlich der Risikovorsorge4 zu beachten. 1 Vgl. die Loan Documentation for Investment Grade Borrowers der LMA, April 2013 nebst Supplement v. Juni 2014. Der Vertragstext ist Gegenstand umfangreicher Kommentierungen. Siehe insbesondere Wright, The Handbook of International Loan Documentation, 2. Aufl. 2014. 2 LMA-Ger Multicurreny Term and Revolving Facility Agreement, German Law. 3 Biedermann, NJW 2012, 977. 4 Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen 10/2012 v. 14.12.2012 unter BTO 1 Kreditgeschäft.
890 | Schefold
Finanzierungsmodelle
Rz. 222 Teil H
e) § 18 Abs. 1 KWG Nach § 18 Abs. 1 KWG sind Kreditinstitute verpflichtet, sich vor Abschluss eines Kreditvertrages, der insgesamt 750 000 E oder 10 vom Hundert des anrechenbaren Eigenkapitals1 überschreitet, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offen legen zu lassen. Das Kreditinstitut kann weitere Unterlagen verlangen (z.B.Vermögensaufstellungen, Steuerunterlagen), um sich ein abschließendes Bild über das Adressenausfallrisiko zu machen. Die Prüfung bezieht sich auch auf die Zeit nach Ausreichung des Kredits.
219
Deshalb ist im Rahmen des Vertrags vorzusehen, dass der Kreditnehmer zur Vorlage von neuesten Bilanzen, Geschäftsberichten und sonstiger Unterlagen, die für die laufende Überwachung erforderlich sind, verpflichtet ist. Das Kreditinstitut kann von der Verpflichtung nur dann absehen, wenn das Verlangen nach Offenlegung im Hinblick auf die gestellten Sicherheiten oder auf die Mitverpflichteten unbegründet wäre. Bei Nichteinhaltung der Vorschrift des § 18 Abs. 1 KWG kann eine vollziehbare Anordnung der Aufsichtsbehörde ergehen; ein Verstoß gegen § 18 Abs. 1 KWG stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 56 Abs. 2 Ziff. 5 KWG).
220
f) Konsensualvertrag Der Wortlaut des § 488 BGB weist daraufhin, dass der Kreditvertrag ein Konsensualvertrag ist2. Es handelt sich um einen gegenseitigen entgeltlichen3 Vertrag.
221
Der Pflicht des Darlehensgebers, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen, steht die Verpflichtung des Darlehensnehmers gegenüber, den geschuldeten Zins zu zahlen und das Darlehen bei Fälligkeit zurückzuzahlen. Die Nichtabnahme des Darlehens durch den Darlehensnehmer führt zum Abnahmeverzug. Der Darlehensnehmer schuldet dem Darlehensgeber für diesen Fall als Schadenersatz eine Nichtabnahmeentschädigung4. Die Auszahlung des Kreditbetrages hat nach Maßgabe der im Kreditvertrag vereinbarten Auszahlungsbedingungen zu erfolgen. Ist Auszahlung an Dritte vereinbart (in der Regel an den inländischen Exporteur in der Exportfinanzierung), so gilt eine Auszahlung an den Dritten als Erfüllung5. Bei Lieferantenkrediten ist der Kreditvertrag in der Regel von dem zugrunde liegenden Liefergeschäft unabhängig. Dies sollte in einer eigenen Bestimmung im Kreditvertrag klargestellt werden. Ebenso kann aber auch eine Verbindung mit dem Grundgeschäft im Kreditvertrag hergestellt werden6. g) Betrag, Währung, Ziehungen Im Kreditvertrag sind die Höhe des Kreditbetrags und der Auszahlungszeitpunkt festzulegen. Vertraglich kann auch ein Höchst- und Mindestbetrag festgelegt werden mit der Massgabe, dass dem Kreditnehmer das Recht eingeräumt wird, durch ein- oder mehrmalige Ziehungen Beträge bis zum Höchstbetrag zu ziehen, in jedem Fall aber eine Abnahmepflicht in Höhe des vereinbarten Mindestbetrags besteht. Hinsichtlich der Ziehungen ist im Vertrag die Anzahl sowie der Zeitpunkt und die Höhe einer Ziehung festzulegen. Daneben bedarf es einer Regelung über die Frist binnen der Ziehungen möglich sind (commitment period). Bedeutsam ist auch eine Regelung darüber, welche Auszahlungsvoraussetzungen vom Kreditnehmer erfüllt sein müssen damit 1 2 3 4 5 6
Nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 71 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 anrechenbares Eigenkapital. Mülbert, WM 2002, 466 f.; Wittig/Wittig, WM 2002, 150. Zum Begriff der Entgeltlichkeit BGH, BKR 2015, 33 ff. (unter Ziff. 17). Bruchner in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 80 Rz. 11 ff. BGH, WM 1997, 1658. BGH, NJW 2000, 3065.
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Schefold 891
222
Teil H Rz. 223
Finanzierung
eine Ziehung erfolgen kann. Schließlich bedarf es einer Regelung, dass Kreditbeträge die während der Ziehungsperiode nicht gezogen wurden, verfallen. Für die Bereitstellung des Kreditbetrags während der Ziehungsperiode ist die Vereinbarung von Bereitstellungszinsen üblich (s. auch i)). Bei den Auszahlungsbedingungen (conditions precedent) handelt es sich gegebenenfalls um dem Kreditgeber zur Verfügung zu stellende Dokumente (z.B. Geschäftsberichte, Rechnungen, legal opinions, affidavits), aber auch um Bestätigungen des Kreditnehmers, dass die Bestimmungen des Kreditvertrags wirksam und bindend sind und die hieraus resultierenden Rechte nach Massgabe des Vertrags gegen ihn eingeklagt werden können. Eine legal opinion1 ist in der Regel durch einen Rechtsanwalt im Lande des Kreditnehmers zu erstellen. Wichtiger Bestandteil einer legal opinion sind dabei auch Aussagen darüber, dass Zahlungen des Kreditnehmers in der vereinbarten Währung keine devisenrechtlichen Hindernisse entgegenstehen und diese deshalb zum vereinbarten Zeitpunkt an den Kreditgeber geleistet werden können. 223
Die Währung in Kreditverträgen deutscher Kreditgeber wird in der Regel Euro sein. Als Vertragswährung kann aber auch eine andere Währung (z.B. US $) vereinbart werden. Die Vertragswährung ist von der Zahlungswährung zu unterscheiden, d.h. der Währung in welcher der Kreditnehmer Zahlungen vorzunehmen hat. Vertrags- und Zahlungswährung werden vereinbarungsgemäß in der Regel identisch sein2. Die Festlegung auf eine fremde Währung sollte eindeutig im Vertrag geregelt sein, so dass sich eine Auslegung erübrigt, und bei Vereinbarung einer fremden Währung von einer effektiven Fremdwährungsschuld, die effektiv in der vereinbarten fremden Währung zu zahlen ist, ausgegangen werden kann. Seltener sind in Auslandskreditverträgen deutscher Kreditgeber Währungswahlklauseln3 anzutreffen, nach denen mehrere Vertragswährungen dem Kreditnehmer zur Wahl stehen. Multinationale Unternehmen machen hiervon Gebrauch, indem sie Währungen vereinbaren, die am Sitze einer Tochtergesellschaft Heimwährung sind, wenn der Kreditbetrag Tochtergesellschaften eines Konzerns zur Verfügung gestellt werden soll. Rechtlich können Währungswahlklauseln als Wahlschuld i.S.d. §§ 262 ff. BGB oder als Ersetzungsbefugnis vereinbart sein4. Deshalb muss eine Währungswahlklausel eindeutig im Vertrag formuliert sein (zu multi-currency clauses in roll-overKreditverträgen s. unten unter Rz. 254, 255). h) Laufzeit
224
Im Kreditvertrag wird regelmäßig die Laufzeit und der Zeitpunkt festgelegt, zu dem der ausgereichte Kreditbetrag zurückzuzahlen ist. Denkbar sind auch sog. b.a.w Kredite („bis auf weiteres“), bei denen die Laufzeit durch den Kreditgeber festgelegt wird. § 488 Abs. 2 BGB bestimmt, dass wenn eine Fälligkeit nicht bestimmt wurde, die Fälligkeit davon abhängt, dass der Darlehensgeber kündigt, wobei die gesetzliche Kündigungsfrist drei Monate beträgt (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB). i) Zinsen, Zinsanpassung, Verzugszinsen aa) Zinsen
225
Für die vereinbarte Laufzeit kann ein Festzinssatz bestimmt werden. Ebenso kann ein variabler Zinssatz vereinbart werden (z.B. für 3, 6 oder 12 Monatsperioden). Als varia1 Dazu Gruson/Hutter/Butschera, Legal Opinions in International Transactions, 4. Aufl. 2003. Zur Haftung Schneider, ZHR 163 (1999), 246 ff. und Gruson, RIW 2002, 596 ff. 2 Dazu Schefold in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 116 Rz. 417 ff. 3 Schefold in Schimansky/Bunte/Llowski, 4. Aufl. 2011, § 116 Rz. 431. 4 RGZ 136, 127 ff. (129).
892 | Schefold
Finanzierungsmodelle
Rz. 231 Teil H
bler Satz für Euro kann entweder der Euribor1 oder der ICE Libor2 vereinbart werden. Der ICE Libor wird zu wählen sein, wenn es sich um einen Kredit in fremder Währung handelt insbesondere bei US $, Yen, Pound Sterling oder Schweizer Franken3. Der jeweilige Euribor Satz stellt sich als der Satz dar, der von der Banking Federation der EU nach den Indikationen von panel banks ermittelt und als Reuters Screen Rate täglich veröffentlicht wird. Der ICE Libor wird nach der Neuregelung seit 1.2.2014 auf Grund der Indikationen von contributor banks von der ICE Benchmark Administration, London für 11.45 Uhr Londoner Zeit ermittelt und auf der Reuters Screen Rate veröffentlicht. Bei Krediten für die ein Euribor oder ICE Libor Satz vereinbart ist, ergibt dieser zzgl. der im Kreditvertrag vereinbarten Marge den Zinsbetrag für eine jeweilige Zinsperiode.
226
Die Wahl des Zinssatzes hat Bedeutung im Hinblick auf die im BGB bestimmten Kündigungsrechte. Danach kann ein Darlehensnehmer einen Vertrag mit variablen Zinssätzen jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten kündigen (§ 489 Abs. 2 BGB). Für Festzinssatzkredite sieht § 489 Abs. 1 Satz 2 BGB die Möglichkeit der Kündigung nach Ablauf von 10 Jahren seit Auszahlung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist vor. Die Fristen sind zwingend und können durch Parteivereinbarung oder Wahl eines fremden Rechts nicht abgeändert werden (§ 489 Abs. 4 Satz 1 BGB).
227
bb) Zinsanpassungen Zinsanpassungsregelungen in Kreditverträgen unterliegen nach der Rechtsprechung einer scharfen Kontrolle. Als Leitlinie gilt, dass diese grundsätzlich zulässig sind.
228
Es wird jedoch gefordert, dass die Anpassung sich an Parametern ausrichtet, die die Voraussetzungen eindeutig umschreiben und gewährleistet ist, dass die Anpassung in beiden Richtungen (Erhöhung bzw. Ermässigung) in gleicher Weise anzuwenden ist. Anlass und Voraussetzungen einer Zinsanpassung müssen sich aus einer Regelung im Vertrag ergeben4.
229
Eine Zinsanpassung, die sich an Durchschnittssätzen von Referenzbanken für eine bestimmte Zinsperiode ausrichtet, ist danach nicht zu beanstanden, da der Referenzzinssatz aussagekräftig ist und dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit entspricht5. Als entscheidend wird auch angesehen, dass das ob und wie einer Zinsanpassung keinen diskretionären Spielraum für den Kreditgeber eröffnet6. Soweit für den Kreditgeber ein Ermessensspielraum besteht, kann eine Zinsanpassungsklausel ausnahmsweise nur dann zulässig sein, wenn eine eindeutige Bestimmung von Richtlinien für die Ermessensausübung besteht sowie eine Höchstgrenze festgelegt ist7.
230
cc) Verzugszinsen Bei der Vertragsgestaltung von Verträgen nach deutschem Recht ist § 288 BGB zubeachten. Nach § 288 Abs. 1 BGB beträgt der gesetzliche Zinssatz für gewerbliche Kredite 9 % über dem Basiszinssatz. Ausserdem steht bei Verzug dem Darlehensgeber nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB eine pauschale Entschädigung i.H.v. 40 E zu. Eine pau1 2 3 4
Euro Interbank Offered Rate. London Interbank Offered Rate. Der ICE Libor besteht nur für die genannten Währungen neben Euro. Zu Zinsanpassungen Bruchner in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 78 Rz. 67 ff. 5 BGH, BKR 2010, 300 ff. 6 Langenbucher, BKR 2005, 142. 7 Langenbucher, BKR 2005, 142.
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Schefold 893
231
Teil H Rz. 232
Finanzierung
schalierte Regelung der Verzugszinsen wie sie in Verträgen nach englischem Recht häufig anzutreffen ist, ist angesichts der gesetzlichen Regelungen im BGB nicht möglich1. Die Geltendmachung eines höheren Schadens als ihn das Gesetz vorsieht, ist aber nicht ausgeschlossen (§ 288 Abs. 4 BGB). Die Geltendmachung setzt aber voraus, dass der Darlehensgeber konkret nachweisen kann, dass ihm ein höherer Schaden entstanden ist2. Im übrigen endet mit Fälligstellung des Kredits die Verpflichtung des Kreditschuldners zur Zahlung der vereinbarten reguläten Zinsen3. j) Bearbeitungsentgelte 232
Bei der Preisgestaltung ist der Kreditgeber im Grundsatz frei4. Er kann Entgelte in mehrere Bestandteile aufteilen. Dennoch ist die Rechtslage nicht zweifelsfrei, welche Entgelte im einzelnen zulässigerweise erhoben werden dürfen5. § 488 BGB bietet keine Anspruchsgrundlage. Laufzeitabhängige Entgelte, die sich als Entgelt für die Möglichkeit der Kapitalnutzung darstellen, sind jedoch zulässig6. Ebenso erkennt die Rechtsprechung an, dass für gewerbliche Darlehensverträge andere Grundsätze zu gelten haben, als bei Verbraucherdarlehen7.
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Nicht zu beanstanden ist deshalb die Vereinbarung einer Bereitstellungprovision (commitment fee), die sich an der Ziehungsperiode ausrichtet. Entgelte für Tätigkeiten, die nicht im Kundeninteresse erfolgen, werden jedoch als kritisch anzusehen sein. Deshalb ist fraglich, ob ein Entgelt für eine Sicherheitenprüfung, die im Interesse des Darlehensgebers liegt, vom Schuldner verlangt werden kann. Entscheidend ist nach allem, dass bei der Entgeltregelung das Leistungsäquivalent eindeutig beschrieben wird8. k) Nebenpflichten des Kreditgebers
234
Den Kreditgeber trifft außerhalb eines speziellen Beratungsvertrages grundsätzlich keine Aufklärungs- oder Informationspflicht gegenüber dem Kreditnehmer9. Insbesondere bestehen auch keine Warnpflichten in Bezug auf die Kreditaufnahme und etwaige damit für den Kreditnehmer verbundenen Risiken10. Dem deutschen Recht ist eine generelle Aufklärungspflicht fremd. Es ist jedermanns eigene Pflicht, sich über alle vertragsrelevanten Umstände und die sich ergebenden Chancen und Risiken selbst zu informieren. Hiervon unberührt ist, dass dem Kreditgeber nach § 18 Abs. 2 deutsches KWG obliegt, die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers vor Abschluss eines Kreditvertrags zu prüfen. l) Vorzeitige Beendigung
235
Ordentliche Kündigungsgründe regelt das Gesetz in § 489 BGB. Darüberhinaus können im Wege der Vereinbarung Tatbestände in den Vertrag aufgenommen werden, bei deren Eintritt ein Recht zur Kündigung für den Kreditgeber begründet wird. Neben dem Eintritt von Verzug wegen Nichtzahlung bei Fälligkeit kann die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten oder eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage einen Grund zur Kündigung begründen. Im übrigen sieht § 490 Abs. 1 BGB für 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Dazu Wittig, WM 2002, 154. Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2015, § 288 Rz. 12 ff. BGHZ 104, 341und BGH, NJW 2000, 1408. BGH, WM 2011, 263 ff. Zuletzt Kropff/Habl, BKR 2014, 145 ff., Strube, BKR 2014, 133 ff. Bruchner/Krepold in Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 78 Rz. 116. LG Braunschweig, BKR 2016, 77 ff. BGH, NJW 2002, 2674 ff. BGH, BKR 2006, 405 ff.; OLG Stuttgart, WM 2000, 1190. Buck-Heeb, BKR 2014, 226.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 240 Teil H
den Fall der Kreditgefährdung wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, insbesondere wenn die Rückzahlung gefährdet ist, ein ausserordentliches Kündigungsrecht vor1. Eine unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit stellt ebenso einen Grund für eine ausserordentliche Kündigung dar2. Im Hinblick auf den Darlehensnehmer kann eine vorzeitige Rückzahlung bei Vorliegen berechtigter Interessen auch außerhalb der gesetzlichen Vorschriften zulässig sein3, verpflichtet ihn aber zur Entschädigung (Vorfälligkeitsentschädigung4). m) Zahlungsklauseln Durch Zahlungsklauseln wird die Art und Weise der Zahlung, der Zeitpunkt und der Ort, an dem Zahlung zu erfolgen hat, abschließend geregelt. Auf diese Weise kann festgestellt werden, ob eine erfüllungsgerechte Zahlung erfolgt ist. Dabei ist wesentlich, dass über die auf ein festgelegtes Konto des Kreditgebers überwiesenen Beträge uneingeschränkt verfügt werden kann. Ist die Währung Euro vereinbart, ist sicherzustellen, dass der Kreditnehmer nur in Euro seiner Pflicht zur Erfüllung ordnungsgemäß nachkommt. Bei einem auf US $ lautenden Vertrag werden Dollarbeträge regelmäßig über das New York Clearing House Interbank Payment System (Chips) zu zahlen sein.
236
n) Steuern, Kosten Von Bedeutung ist, dass bei einem Auslandskreditvertrag sichergestellt ist, dass der Kreditgeber alle nach dem Vertrag zu zahlenden Beträge ohne Einbehalte oder Abzüge erhält, so dass im Ergebnis immer die vollen vereinbarten Beträge dem Kreditgeber zur Verfügung stehen. Diese Folge ist durch eine in den Vertrag aufzunehmende Steuerklausel sicherzustellen.
237
Falls im Lande, aus dem heraus Zahlungen des Kreditnehmers erfolgen, Abzüge an der Quelle oder Einbehalte auf Grund nationaler Steuern vorgenommen werden, sind vom Kreditnehmer diejenigen Beträge zusätzlich zu zahlen, die erforderlich sind, damit die vereinbarten Zahlungen vom Kreditgeber erhalten werden. Diesem Zweck dient eine in den Kreditvertrag aufzunehmende Auffüllklausel. Erhält der Kreditgeber tax credits, die er bei seiner eigenen Steuerveranlagung verwerten kann, kann sich die Frage stellen, ob der Kreditgeber zur Auskehrung verpflichtet werden kann, was in jedem Einzelfall besonderer Prüfung bedarf.
238
Fallen Steuern oder Abgaben im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kreditvertrages an, bedarf es einer Regelung, welche Partei hierfür aufzukommen hat. Daneben bedarf es einer allgemeinen Kostenklausel, die regelt, welche Partei für anfallende Kosten aufzukommen hat. Im Vordergrund der Regelung stehen die dem Kreditgeber in der Regel entstehenden Rechtsanwaltsgebühren, etwaige Gerichtskosten, sowie Kosten der Vollstreckung.
239
o) Abtretung Sind Abtretungen der Kreditforderung beabsichtigt, bedürfen diese einer vorherigen Zustimmung des Kreditnehmers. Deshalb empfiehlt sich dieZustimmung und die Umstände, unter denen eine Abtretung erfolgen darf, bereits im Kreditvertrag abschließend zu regeln. Dies gilt entsprechend für Fälle der Einräumung einer Unterbeteiligung. Auch die Übernahme des Kreditrisikos durch einen Dritten, der anstelle des 1 2 3 4
Dazu Freitag, WM 2001, 2370, OLG Frankfurt, BKR 2003, 870. BGH, NJW 2002, 2674 ff. BGH, WM 1997, 747. Siehe Wimmer, BKR 2002, 479 ff. Eingehend Krepold in Schimansky/Bunte/Llowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 79 Rz. 67 ff.
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240
Teil H Rz. 241
Finanzierung
Kreditnehmers Zahlungen vorzunehmen hat, kann im Kreditvertrag geregelt werden. Im Hinblick auf Abtretungen hat sich derBGH1 für die freie Abtretbarkeit ausgesprochen. Der Abtretung stehen Gründe des Bankgeheimnisses oder Datenschutzbestimmungen nicht entgegen2. p) Anwendbares Recht 241
Auslandskreditverträge enthalten regelmäßig ausdrücklich eine Rechtswahlklausel. Denkbar, aber mit Risiken behaftet, ist auch eine stillschweigende Rechtswahl; sie muss sich in diesem Fall nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-Verordnung aber eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder den Umständen ergeben. Der BGH3 hat in einem Darlehensfall vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung entschieden, dass wenn deutsche Vertragsparteien in deutscher Sprache ein vor einem deutschen Notar beurkundetes Darlehen beschließen, wobei im Vertrag auf Bestimmungen des BGB verwiesen wurde, auch bei Fehlen einer Rechtswahlklausel das deutsche Recht zur Anwendung gelangt4. Die Festlegung der Parteien auf eine bestimmte Währung allein oder die Verwendung der deutschen Sprache wird jedoch nicht ausreichend sein, um auf eine stillschweigende Wahl zu schließen, sofern nicht weitere Indikatoren feststellbar sind. Zu dem früher geltenden Art. 28 Abs. 2 EGBGB wurde aber vertreten, dass als Anhaltspunkte für eine Anknüpfung neben Sprache, Beurkundung durch Anwälte, auch die vereinbarte Währung als weiterer Anhaltspunkt herangezogen werden kann5.
242
Bereits vor Inkrafttreten der Rom I-Verordnung entschied der BGH6, dass eine Darlehensgewährung eine Dienstleistung im Sinne des gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegenden Art. 5 Nr. 1 Buchst. b) 2. Spiegelstrich EuGVVO7 darstellt und für die Erbringung der Dienstleistung als Erfüllungsort der Ort der vertragscharakteristischen Leistung gilt.
243
Nach Inkraftreten der Rom I-Verordnung ist nunmehr bei Fehlen einer Rechtswahl in Auslandskreditverträgen auf Art. 4 Abs. 1 b) Rom I Verordnung abzustellen. Danach unterliegen Dienstleistungsverträge dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. In einem Grundsatzurteil hat inzwischen der BGH8 bestätigt, dass Kreditverträge zu den Finanzdienstleistungen rechnen und dass der Begriff Dienstleistung in Art. 4 Abs. 1b grundsätzlich autonom und weit auszulegen ist. Massgebend für die Gleichbehandlung des Kredits als Dienstleistung in der genannten Vorschrift ist vor allem auch, dass der Gesetzgeber der Rom I-Verordnung in den Erwägungsgründen festgeschrieben hat, dass der Begriff Dienstleistung in der Rom I-Verordnung im gleichen Sinne wie in Art. 5 Nr. 1 Buchst b 2. Spiegelstrich EuGVVO9 zu interpretieren ist. Der BGH verweist für seine Auffassung auch auf das EG-Primärrecht, wo der Begriff Dienstleistung wesentlich weiter als in den Rechten der Mitgliedstaaten gefasst ist10. Der Kritik, dass 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH, NJW 2011, 3024 ff. Siehe noch Heer, BKR 2012, 45. BGH, WM 2004, 2066. Ferner Martiny in MünchKomm/BGB, Bd. 10, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2015, Art. 3 Rom I-VO Rz. 57. Martiny in MünchKomm/BGB, Bd. 10, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2015, Art. 4 Rom I-VO Rz. 335. BGH, NJW 2012, 1817 ff., bestätigt durch BGH, BKR 2015, 35 ff. (unter Ziff. 33). Die Vorschrift entspricht nunmehr Art. 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich EuGVVO 2012. BGH, BKR 2012, 199 ff. = NJW 2012, 1817 ff. Die Vorschrift ist nunmehr Art. 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich EuGVVO. Siehe Art. 57 Abs. 1 AEUV (Dienstleistungsfreiheit). In der Entscheidung C-452/04 (Fidium Finanz AG) v. 3.10.2006, Slg. 2006, S. 1 – 09521 hatte der EuGH in Nr. 43 bemerkt, dass die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe grundsätzlich mit der Dienstleistungsfreiheit in Beziehung stehe. In der Rechtssache Falco hat der EuGH am 27.1.2009 – Rs. C-533/07 = NJW 2009,
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Finanzierungsmodelle
Rz. 246 Teil H
mit dem Begriff der Finanzdienstleistung zwar Leistungen in Zusammenhang mit einer Kreditgewährung erfasst sein könnten, dass daraus aber nicht zwingend folge, dass die Kreditgewährung selbst eine Finanzdienstleistung darstelle1, ist entgegenzuhalten, dass dabei verkannt wird, dass der Begriff Finanzdienstleistung inzwischen im europäischen Recht eine feste Ausprägung erfahren hat2. Der Europagesetzgeber geht konsequent deshalb davon aus, dass auch Bankkredite unter den weit und autonom auszulegenden Begriff Dienstleistung in Art. 4 1b) Rom I-Verordnung fallen3. q) Gerichtsstand Bei einer Gerichtsstandsklausel wird vor allem als Gerichtsstand der Ort, an dem der Kreditgeber seinen Sitz hat, in Betracht kommen. Daneben kann alternativ als weiterer Gerichtstand ein Ort gewählt werden, an dem der Kreditnehmer Vermögen hält. Von Bedeutung ist die Regelung, welcher vereinbarte Gerichtsstand als ausschließlicher gelten soll. Dabei kann die Ausschließlichkeit auch nur einseitig für Klagen gegen den Kreditgeber vereinbart werden, womit sich erreichen lässt, dass dieser nur vor Gerichten an seinem Sitz verklagt werden kann. Zu beachten ist Art. 25 Abs. 1 EuGVVO. Haben Parteien, von denen eine in einem Mitgliedstaat der EU ihren Sitz hat, vereinbart, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats über Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, ist dieses Gericht ausschließlich zuständig, sofern nichts anderes vereinbart wurde. Einzelheiten zum IZPR unten Teil P Kapitel 1.
244
4. Roll-over Kredite (Revolving Facilities) Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Begriff und Besonderheiten des roll-over Kreditvertrags aa) Roll-over Kredit und Eurogeldmarkt Der roll-over Kredit verdankt seine Entstehung dem Eurogeldmarkt. Die am Euromarkt gehandelten Devisen4 weisen die Besonderheit auf, dass es sich um Gelder handelt, die außerhalb des Landes der Währung angelegt und gehandelt werden. Wesentliches Merkmal einer Eurodevise ist, dass es sich bei den Guthaben, die am Euromarkt unterhalten werden, um effektive Fremdwährungsschulden handelt, bei denen Zahlungswährung und Schuldwährung zusammenfallen5.
245
bb) Besonderheiten des roll-over Kredits Kennzeichnend ist, dass am Euromarkt oder anderen Finanzplätzen gehandelte Währungen zur Refinanzierung kurzfristig aufgenommen und mit der Massgabe an Kreditnehmer ausgereicht werden, dass zum Ablauf einer Zinsperiode eine neue Zinsfestsetzung erfolgt, die sich an den Screen Rates ausrichtet, welche die Sätze wiederspiegeln,
1 2 3 4 5
1865 ff. für einen Lizenzvertrag eine Dienstleistung vorallem deshalb verneint, weil der Lizenzgeber mit der Lizenzerteilung keine aktive Tätigkeit ausüben (Rz. 243). Dies wird hingegen in Bezug auf einen Kreditvertrag sich nicht behaupten lassen, so dass allein ein Bezug auf die Entscheidung nicht beweiskräftig ist. Neuerdings Wais, Der europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2013, 123 f. Ebenso Palandt/Thorn, BGB, 74. Aufl. 2015, (IPR) Rom I-VO Art. 4 Rz. 8. Richtlinie EG 2006/123 v. 12.12.2006, ABl. EU Nr. L 376, S. 36. Siehe Art. 6 Abs. 3 lit. a Finanzdienstleistungsfernabsatzrichtlinie, in dem eine Kreditgewährung als Dienstleistung benannt wird. Martiny in MünchKomm/BGB, Internationales Privatrecht, Bd. 10, 6. Aufl. 2015, Anh. I Art. 34 Rz. 28 f. Martiny, Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rz. 29.
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Teil H Rz. 247
Finanzierung
die für angebotene Gelder im Interbankenverkehr an einem Finanzplatz bestehen (zur Euribor und ICE Libor Ermittlung unter Rz. 225). (1) Ausrichtung an der anglo-amerikanischen Vertragspraxis 247
Typisch für den roll-over Kreditvertrag ist die Ausrichtung am anglo-amerikanischen Recht und die Einführung von Rechtsbegriffen, die außerhalb der anglo-amerikanischen Vertragspraxis nicht in gleicher Weise anzutreffen sind. Aus Sicht eines anderen Rechts können sie deshalb Fragen aufwerfen, welche Bedeutung den Begriffen aus Sicht dieses Rechts zukommen1 bzw. wie diese auszulegen sind. (2) Englische Rechtssprache
248
Im Hinblick auf die Ausrichtung auf das anglo-amerikanische Recht sehen die Verträge regelmäßig das englische oder US-amerikanische Recht vor. Genauso werden roll-over Kredite aber auch in anderen Sprachen abgefasst (z.B. deutsch, französisch) und sehen dann regelmäßig ein anderes Recht als anwendbares Recht vor. (3) Anzuwendendes Recht
249
Roll-over Kreditverträge ohne Rechtswahlklausel kommen in der Vertragspraxis so gut wie nicht vor. Aus Sicht des internationalen Privatrechts ergeben sich bei fehlender Rechtswahl keine Besonderheiten, da jeweils auf das Recht am Ort der kreditgewährenden Bank abgestellt wird2.
250
Nach Art. 4 Abs. 1 b) Rom I-VO ist für Dienstleistungsverträge bestimmt, dass für sie das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Dienstleisters maßgebend ist. Der Begriff der Dienstleistung ist weit und autonom auszulegen. Nach der deutschen Rechtsprechung wird der Kreditvertrag aus international-privatrechtlicher Sicht als Finanzdienstleistung i.S.v. Art. 4 Abs. 1b Rom I-VO behandelt3. Demgegenüber gibt es Stimmen in der Literatur, die diese Einstufung nicht teilen4. Verkannt wird dabei, dass der Begriff Finanzdienstleistung eine feste Ausprägung im europäischen Primärrecht erfahren hat und der Europagesetzgeber Kredite dem Dienstleistungsbegriff unterwirft5 (s. näher Rz. 243).
251
Bedeutung kommt in der Vertragspraxis der Wahl des anzuwendenden Rechts zu. Kreditgeber weichen regelmäßig nicht auf ein fremdes Recht aus, sondern bevorzugen ihr heimisches Recht. Im Hinblick auf die Vereinbarung anglo-amerikanischen Rechts in roll-over Kreditverträgen deutscher Kreditgeber sind allerdings Vorschriften des deutschen Rechts zu beachten, deren Anwendung nicht durch Vereinbarung eines fremden Rechts umgangen werden dürfen.
252
Nach § 489 Abs. 2 BGB kann ein Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag mit veränderlichem Zinssatz jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten kündigen. Eine Abweichung durch Parteivereinbarung ist nach § 489 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. § 489 Abs. 1 BGB ist als zwingende Vorschrift anzusehen. Eine Vereinbarung über einen pauschalierten Verzugszinssatz ist im Hinblick auf § 288 BGB nicht zulässig. Nach § 288 Abs. 2 BGB beträgt der Verzugszinssatz bei gewerblichen Krediten 9 Prozentpunkte über dem Basszinssatz. Daneben sieht § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB 1 2 3 4
Zum Begriff Representations and Warrenties aus deutscher Sicht Wittig, WM 1999, 985 ff. Statt vieler Martiny in Martiny/Reithmann, Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rz. 1164. BGH, BKR 2012, 199 ff. Palandt/Thorn, BGB, 74. Aufl. 2015, Rom I 4 (IPR), Rz. 8; Wais, Der europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 123 f. 5 Siehe hierzu Rz. 241, 242, 243.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 255 Teil H
eine Pauschale i.H.v. 40 E vor. Diese Regelung stellt sich als Mindestschadensregel dar, die dem Kreditgeber unabhängig davon zusteht, ob ihm in dieser Höhe tatsächlich ein Schaden entstanden ist1. Der Kreditgeber kann nach § 288 Abs. 4 BGB einen höheren Schaden nach § 288 Abs. 4 BGB geltend machen. Gefordert wird aber der Nachweis eines Schadens in dieser Höhe2. Schließlich bleibt im Hinblick auf Zinsklauseln in anglo-amerikanischen Verträgen zu beachten, dass Regelungen, die bedingen, dass fällige Zinsen wieder Zinsen tragen (Zinseszinsen), nach § 289 BGB nicht statthaft sind. (4) Musterverträge Für roll-over Kreditverträge bestehen seit langer Zeit Musterverträge, die am Londoner Markt für Einzel- oder syndizierte Konsortialverträge bzw. für Revolving Facilities von der Londoner Market Association (LMA) entwickelt wurden3. Diese Muster werden fortlaufend von der LMA den jeweiligen Bedürfnissen angepasst und weiterentwickelt. Die Mustertexte der LMA sind Gegenstand von Kommentierungen4. Die in den Mustertexten der LMA enthaltenen Standards haben sich weithin durchgesetzt, da sie eine gängige Marktpraxis wiederspiegeln. Andererseits wird von der LMA zu Recht darauf verwiesen, dass den Texten keine Bindungswirkung zukommt, sondern dass die Muster in jedem Einzelfall der Verhandlung bedürften5. Zu den Standards zählen neben den Zinsklauseln für Euribor und ICE Libor insbesondere die Klausel über Zusicherungen und Bestätigungen (Representations and warranties), die Rechtswidrigkeitsklausel (illegality), die Kostenerhöhungsklausel (increased cost clause), die Steuerklausel (tax grossing-up clause) und die negative pledge und pari passu Klausel.
253
b) Vertragswährung Die Vertragswährung ist, sofern nicht eine multi-currency Facility vereinbart wird, auf eine bestimmte Währung im Vertrag im Zusammenhang mit dem Commitment, zu dem sich der Kreditgeber verpflichtet, beschränkt. Die Vertragswährung ist regelmäßig die Währung, in der Rückzahlungen, Zinsen und Kosten zu erfolgen haben. Besonderheiten bestehen im Falle, dass dem Kreditnehmer das Recht eingeräumt wird, den eingeräumten Kredit anstelle der vereinbarten ursprünglichen Währung in einer anderen Währung (optional currency) zu ziehen, wobei definiert sein muss, um welche Währung bzw. Währungen es sich handeln kann6. Die Ziehung in einer optional currency kann bereits für die erste Ziehungsperiode vereinbart werden bzw. für jede andere Ziehungsperiode. Im Hinblick auf den revolvierenden Charakter wird der Kredit in der gezogenen Währung weiterlaufen, wenn nicht rechtzeitig vor Ende einer Zinsperiode eine Nachricht erfolgt, dass der Kredit in einer anderen optional currency in der nächsten Zinsperiode fortgeführt werden soll.
254
Bedeutung hat, wie der Wechsel von einer in die andere Währung sich bei Beginn einer Zinsperiode vollzieht. Bei vereinbartem Währungswechsel wird der Kreditnehmer verpflichtet, den Kreditbetrag in der alten Währung zum Ende der Zinsperiode zurückzuzahlen7. Der neue Kreditbetrag in der gewählten optional currency ergibt sich
255
1 BGH, NJW 2011, 3648. 2 Mankowski, WM 2009, 921 ff. 3 Vgl. insbesondere die LMA Loan Documentation for Investment Grade Borrower. Musrertexte gibt es auch für ein Leveraged Facilities Agreement, ein real-Estate Finance Facility Agreement, und ein Pre-export Finance Facility Agreement. 4 Slaughter and May, The Act (Association of Corporate Treasurers) Borrower’s Guide to Investment Grade Borrowers, April 2013 mit einem Supplement, June 2014; Wright, The Handbook of International Loan Documentation, 2. Aufl. 2014. 5 Hierzu Slaughter and May, The Act Borrowers Guide, S. 7. 6 Siehe clause 6.1 LMA Muster. 7 Siehe clause 6.4 LMA Muster.
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Teil H Rz. 256
Finanzierung
dann durch Umrechnung des zurückgezahlten Betrags in die neue Währung zum vereinbarten Umrechnungskurs (spot rate of exchange for the purchase of the relevant optional currency with the base currency in the London foreign exchange market at or about 11.00 a.m. on a particular day). Wird der Vertrag in einer optional currency über mehr als einer Ziehungsperiode fortgesetzt, erfolgt regelmäßig zum Ende jeder Zinsperiode eine Kalkulation inwieweit der Kreditbetrag nach Umrechnung noch dem Betrag in der Ursprungswährung entspricht mit der Folge, dass bei Höherbewertung der entsprechende Mehrbetrag in der optional currency vom Kreditgeber für die nächste Zinsperiode zusätzlich zur Verfügung zu stellen ist und bei Niederbewertung der entsprechende Kreditteil in der optional currency zum Ende der Zinsperiode zurückzuzahlen ist. c) Zinsen 256
Der Zinssatz ist bei einem roll-over Kredit für jede Zinsperiode neu zu bestimmen. Er wird zwei Business Days vor Ablauf einer Zinsperiode für eine neue Zinsperiode ermittelt (quotation day). Zinssatz und vereinbarte Marge ergeben die Höhe der Zinsen während einer Zinsperiode. Massgebend für die Bestimmung des Zinssatzes sind die jeweiligen Screen Rates, die im Kreditvertrag benannt werden (z.B. Reuters Screen Rate). Bei Vereinbarung des Euribor (Euro interbank offered rate) basiert der Satz auf der offiziellen Rate der Banking Federation der EU, die von einem breiten panel von Referenzbanken als Durchschnittssatz ermittelt wird. Bei dem neuen seit 1.2.2014 zur Anwendung gelangenden ICF Libor1 (Intercontinental Exchange London Interbank Offered Rate) wird auf einen Durchschnittssatz von 18 Libor contributor Banken abgestellt, zu dem diese unbesicherte Gelder im Londoner Interbank Markt für eine Zinsperiode in der betreffenden Währung erlangen können2.
257
Durch die Libor Reform3 erfolgte nunmehr eine Beschränkung des ICF Libor auf nur noch 5 Währungen (CHF Schweizer Franken, EUR Euro, GBP Pound Sterling, JPY Japanese Yen und US Dollar). Die Quotierung des ICE Libor erfolgt um 11.45 a.m. Londoner Zeit. d) Allgemeine Vertragsklauseln aa) Definitions
258
Typisch für roll-over Kreditverträge4 ist die sich am Anfang eines Vertrags befindlichen Definitions für Begriffe, die im Vertrag verwendet werden (z.B. Availibilty period, Business Day, Euribor, Financial Indebtedness, Interest Payment Date, ICE Libor, Margin, Screen Rate, Utilisation etc). bb) Commitment
259
Damit wird der Betrag in der entsprechenden Währung bezeichnet, zu dessen Ausreichung sich der Kreditgeber verpflichtet hat5. Bei mehreren gleichzeitig unter dem Vertrag auftretenden Kreditgebern wird der Betrag und die Währung zusammen mit dem Namen des einzelnen Kreditgebers aufgeführt. 1 Hierzu Veröffentlichung der ICE Benchmark Administration (IBA) zum ICE Libor. Ferner Briefing Note der Leading Treasury Professionals, Libor Administration Change to ICR Benchmark from BBA Libor, Januar 2014. 2 Briefing Note Clifford Chance, Interest benchmark reform: current issues fort he loan market. 3 ICE Benchmark Administration Limited ist für die Verwaltung des ICE Libor (vormals BBA Libor Ltd) zuständig. 4 Siehe clause 1.1 LMA Muster. 5 Siehe clause 2 LMA Muster.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 265 Teil H
cc) Cancellation Ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen dem Kreditnehmer ein Recht eingeräumt wird, zu erklären, dass er keine Ziehung unter dem Kreditvertrag mehr vornimmt bzw. ausgereichte Beträge am Ende der laufenden Zinsperiode zurückzuzahlen und nicht mehr in Anspruch zu nehmen, hängt vom Einzelfall ab1. Ein solches Recht kann dem Kreditnehmer eingeräumt werden, falls er verpflichtet ist, zusätzliche Beträge an den Kreditgeber zu zahlen, weil Abzugs- oder Quellensteuern im Lande des Kreditnehmers erhoben werden.
260
dd) Payment, Prepayment Die Rückzahlung des Kreditbetrags hat nach Ablauf der vereinbarten Kreditlaufzeit zum Ende einer Zinsperiode zu erfolgen2. Denkbar sind Vereinbarungen, dass Tilgungen in Teilbeträgen (instalments) erfolgen können. Dem Kreditnehmer kann auch ein Recht eingeräumt werden, vorzeitig ganz oder teilweise Tilgungen vorzunehmen. Kommt es zu prepayments3 während einer Zinsperiode, hat er regelmäßig den Kreditgeber für alle diesem daraus entstehende Schäden (Wiederanlage zu ungünstigeren Konditionen) zu entschädigen4.
261
ee) Events of default Mit einer notice kann der Kreditgeber den Kredit kündigen, wenn einer der vereinbarten events of default eingetreten ist. Der Kreditnehmer hat dann alle geschuldeten Beträge (Kapital, Zinsen, Kosten) unverzüglich zurückzuzahlen, sofern der Kreditnehmer nicht eine ihm nach dem Kreditvertrag eingeräumte Frist (grace period) nutzt und die zur Kündigung führenden Umstände heilt5.
262
Die Kündigungsgründe können von Fall zu Fall variieren6. Die Nichtzahlung von fälligen Beträgen stellt einen üblichen Kündigungsgrund dar. Ebenso kann die Verletzung wichtiger Vertragspflichten ein Kündigungsgrund sein, so wenn unrichtige representations oder warrenties abgegeben wurden.Vermögensgefährdung oder wesentliche Vermögensverschlechterung bzw. Insolvenz des Kreditschuldners führen in der Regel dazu, dass der Kreditgeber unverzüglich den Kredit kündigen und alle geschuldeten Beträge fällig stellen kann.
263
ff) Representations and warrenties Unter den conditions precedent, die vorzuliegen haben, damit eine Auszahlung des Kredits erfolgen kann, findet sich in der Regel, dass der Schuldner alle vereinbarten Bestätigungen und Zusicherungen für den Zeitpunkt der Auszahlung abgegeben hat. Dabei handelt es sich um wirtschaftliche und rechtliche Verpflichtungen nach Maßgabe der im Kreditvertrag erfolgten Vereinbarungen.
264
Zu den rechtlichen Verpflichtungen gehört insbesondere die Erklärung, dass der Kreditvertrag und die daraus resultierenden Verpflichtungen für den Kreditnehmer legally valid, binding and enforceable sind. Ebenso ist eine Bestätigung darüber üblich, dass keine Rechtsstreite gegen den Kreditnehmer wegen finanzieller Verpflichtungen vor-
265
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Siehe clauses 8.3–8.6 LMA Muster. Siehe clause 7 LMA Muster. Siehe clauses 8.4 und 8.5 LMA Muster. Siehe clause 11.4 LMA Muster. Vgl. Slaughter and May, The Act Borrowers Guide, S. 115 f. Siehe clause 23.1 LMA Muster („This clause kists the events which qualify as Events of Default“).
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Schefold 901
Teil H Rz. 266
Finanzierung
liegen. Die Representations und warranties sind nicht nur auf den Zeitpunkt des Vetragsschlusses hin abzugeben, sondern sind zu den jeweiligen Zinsterminen der laufenden roll- over periods zu wiederholen bzw. zu aktualisieren. gg) General Undertakings 266
Hierunter fallen Financial statements1 des Kreditnehmers und die Verpflichtung, den Kreditgeber laufend über seinen finanziellen Status zu informieren, Geschäftsberichte, testierte Jahresabschlüsse, Vierteljahresberichte und andere vereinbarte Unterlagen auszuhändigen. hh) Costs
267
Eine Erstattung von Kosten, die dem Kreditnehmer im Zuge der preparation des Vertrags, der Ausführung (execution) und Durchsetzung (enforcement) entstehen, sieht die Kostenklausel2 vor. Sie bezieht insbesondere legal fees ein, die für Anwälte oder Gerichte ein. ii) Anzuwendendes Recht
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Eine Rechtswahlklausel findet sich regelmäßig in einem roll-over Vertrag (z.B. „this agreement is governed by English law“). Im übrigen wird auf die Ausführungen zum anwendbaren Recht unter „Auslandskreditverträge“ (s. Rz. 241, 242, 243) verwiesen. jj) Gerichtsstand
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Bei der Abfassung einer Gerichtsstandklausel ist zuvorderst das vereinbarte Recht zu bedenken. Der Praxis entspricht, einen Gerichtsstand im Lande des Kreditgebers vorzusehen. Aus Sicht des Kreditgebers wird bei der Gerichtstandsvereinbarung auch zu berücksichtigen sein, wo der Schuldner über Vermögen verfügt und ob gegebenenfalls dort in das Vermögen vollstreckt werden kann. Deshalb wird regelmäßig als Gerichtsstand auch der Sitz des Kreditnehmers in Betracht kommen. Dabei sind Gerichtstandsvereinbarungen häufig, in denen bestimmt ist, dass für Klagen gegen den Kreditgeber der vereinbarte Gerichtsstand im Lande des Kreditgebers ausschließlich ist3, dass neben einer Klage im Land des Kreditgebers auch eine Klage am Sitz des Kreditnehmers zulässig ist. Als weitere Gerichtsstände können Gerichtstände am Ort des Schuldnervermögens in Betracht kommen.
270
In roll-over Kreditverträgen finden sich Schiedsgerichtsvereinbarungen so gut wie nie. Damit gilt auch für roll-over Kredite die für Finanzierungsverträg bestehende Regel, Rechtsstreite vor ordentlichen Gerichten auszutragen. Im Falle von Staaten als Kreditnehmer bleibt aber zu prüfen, ob diese nach ihrem Recht vor Prozessgerichten ihres Landes verklagt werden können4.
1 Siehe clause 19.11. LMA Muster. 2 Siehe clause 17 LMA Muster. 3 Zur Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Hausmann in Martiny/Reithmann, Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rz. 6. 481 ff. 4 So können bestimmte Staaten auf Grund ihrer Gesetzgebung nur vor ordentlichen Gerichten verklagt werden.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 275 Teil H
e) Besondere Standardklauseln in roll-over Verträgen aa) Illegality Mit der illegality-Klausel will sich ein Kreditgeber dagegen absichern, dass er nach Abschluss des Kreditvertrags auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Regelungen daran gehindert ist, den Kredit auszureichen bzw. weiter aufrechtzuerhalten1. Denkbar sind auch schwerwiegende politische Störungen, die einen ordnungsgemäße Aufrechterhaltung des Kapitalverkehrs unmöglich erscheinen lassen. Erlassene Devisenvorschriften im Lande des Kreditgebers können die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen unmöglich machen. Tritt ein Fall von illegality ein, ist als Folge regelmäßig vorgesehen, dass der Schuldner vorzeitig zurückzahlen muss und das der Kreditgeber von seinen Verpflichtungen frei wird.
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bb) Non-availibility Mit dieser Klausel soll Vorsorge getroffen werden, dass ei Kreditgeber nicht zur Ausreichung einer bestimmten Währung (optional currency) verpflichtet ist, wenn eine solche nicht mehr erhältlich ist (readily available). Meistens wird für einen solchen Ausnahmefall vorgesehen, dass der Vertrag in der Ursprungswährung weitergeführt wird2.
272
cc) Increased costs Die increased cost-Klausel zielt darauf ab, den Ertrag für die Dauer des Vertrags für den Kreditgeber sicherzustellen, wenn es nachträglich zu unvorhergesehenen Kostenerhöhungen kommt3. Die Definition umfasst neben costs in der Regel auch neu eingeführte duties oder andere charges. Eine besondere Bedeutung kommt auch den durch die Basel III Regelung eingeführten Maßnahmen zu4, durch welche die Kosten für die von Banken gehaltenen loan assets neu bestimmt wurden. Bei den increased costs handelt es sich aber nicht um Margenverkürzungen im Zusammenhang mit im Lande des Kreditnehmers erhobenen Abzugs- oder Quellensteuern, die durch die grossing up-Klausel geregelt werden.
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dd) Tax grossing-up Große praktische Bedeutung kommt der grossing-up-Klausel zu, die eine Regelung vorsieht, wenn es bei den Zahlungen des Kreditnehmers auf Grund bestehender oder eingeführter Abzugs-oder Quellensteuern zu Abzügen oder Einbehalten kommt, die zu einer Margenverkürzung führen. Erfasst werden mit der Klausel Einbehalte oder Abzüge auf Zinszahlungen des Kreditnehmers, die aus dem Lande des Kreditnehmers oder Drittländern erfolgen5. Zweck der Klausel ist sicherzustellen, dass der Kreditgeber auch bei Einbehalten oder Abzügen im Ergebnis die nach dem Vertrag geschuldeten Zinsen in voller Höhe erhält. Dies soll durch ein grossing-up erreicht werden, das den Kreditnehmer zu zusätzlichen Zahlungen verpflichtet. Die Klausel ist auch auf solche Beträge zu erweitern, die im Falle eines grossing-up abzuziehen oder einzubehalten sind.
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Im Rahmen der Klausel ist darauf zu achten, dass der Kreditnehmer im Falle vonAbzugs- oder Einbehaltssteuern verpflichtet wird, diese abzuführen6 und dem Kredit-
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1 2 3 4
Siehe clause 8.1 LMA Muster. Siehe clause 6.2 LMA Muster. Siehe clause 14.1 LMA Muster. Hierzu näher Slaughter and May, June 2014 Supplement, The Act Borrowers Guide to LMA Loan Documentation for Investment Grade Borrowers, S. 77 ff. 5 Siehe clause 13.2 LMA Muster. 6 Siehe clause 13 2c LMA Muster.
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Schefold 903
Teil H Rz. 276
Finanzierung
geber hierüber Bescheinigungen zukommen zu lassen. Eine andere Frage stellt dar, ob Abzüge oder Einbehalte im Kreditnehmerland für den Kreditgeber zu Steuergutschriften in seinem Lande führen können. Auch insoweit bedarf es einer Regelung, ob diese dem Kreditgeber verbleiben können. ee) Negative pledge, pari passu 276
Mit der negative pledge-Klausel will sich die Kreditgeberseite davor schützen, dass bei späteren Kreditaufnahmen des Kreditschuldners anderen Kreditgeber vorzugsweise Sicherheiten bestellt werden, ohne dass der Kreditgeber gleichrangig und anteilsmäßig an diesen Sicherheiten partizipiert. Die bei einer Klausel zu berücksichtigenden Umstände verlangen eine umfassende Definition des Begriffs Sicherheiten. Daneben bedarf es einer Klarstellung, welche späteren Kreditaufnahmen von der Klausel erfasst werden und welche finanziellen Verpflichtungen (financial indebtedness1) mit Sicherstellung davon unberührt bleiben.
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Pari passu-Klauseln bezwecken, dass der Kreditgeber rangmässig genauso behandelt wird wie alle anderen unbesicherten nachrangigen Forderungsgläubiger, soweit es sich nicht um vom Gesetz begünstigte Forderungsgläubiger handelt2. Mit der Kündigungsklausel wird in den Kreditverträgen regelmäßig eine Verbindung hergestellt, indem als Kündigungsgrund auch eine Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus einer negative pledge bzw. pari passu Klausel aufgenommen wird. ff) Cross default
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Die Möglichkeit den Kreditvertrag im Falle des Verzugs des Kreditnehmers gegenüber anderen Gläubigern zu kündigen (cross default) soll eine cross default Klausel schaffen. Die Gefährlichkeit für den Kreditnehmer liegt darin, dass gegebenenfalls allein das Vorliegen eines Verzugs ausreicht, um eine Kündigung auszulösen. Noch gefährlicher wirkt sich die Klausel aus, wenn ein Verzug des Kreditnehmers unter anderen Verträgen zu einer automatischen Kündigung des Kredits führen soll. Auch im Zusammenhang mit einer cross default Klausel ist von Bedeutung, welche anderen Verträge im einzelnen von der Klausel berührt werden und welche nicht. Dabei ist insbesondere die Beschränkung auf finanzielle Verpflichtungen (financial indebtedness) massgebend, um den Kreditnehmer davor zu schützen, dass ein Verzug unter anderen laufenden Verpflichtungen zum cross default Fall werden kann. Bei Konzerngesellschaften wird im weiteren jeweils zu klären sein, ob auch ein Verzug einer Konzerngesellschaft ausreichen soll, um einen cross default herbeizuführen3. gg) Material adverse change
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Die Klausel soll bei Vorliegen eines wichtigen Grundes insbesondere in Krisenfällen den Kreditgeber in die Lage versetzen zu kündigen4. Zu bedenken bleibt, dass im Allgemeinen wichtige Kündigungsgründe bereits enumerativ in der Kündigungsklausel (events of default) aufgeführt sind, so dass eine zusätzliche Klausel entbehrlich erscheint. Nicht unproblematisch erscheint auch in einer material adverse change Klausel, wenn es dem Kreditgeber zufallen soll („in the reasonable opinion of the creditor“), darüber zu befinden, ob ein wichtiger Grund im Einzelfall vorliegt, der zur Kündigung berechtigen soll. 1 Zur Definition s. clause 22.3 LMA Muster. 2 Siehe clause 19.12 LMA Muster. 3 Zu cross default clause 23.5 LMA Muster. Dazu Slaughter and May, The Act Borrowers Guide to LMA Loan Documentation for Investment Grade Borrowers, April 2013, S. 118 ff. 4 BuchheitIFRL 1994, 31 f.
904 | Schefold
Finanzierungsmodelle
Rz. 283 Teil H
hh) Sharing Eine sharing Klausel empfiehlt sich dann in einen Vertrag aufzunehmen, wenn mehrere Parteien als Kreditgeber unter einem Vertrag fungieren. Mit der Klausel soll dem Falle Rechnung getragen werden, dass Zahlungen des Kreditnehmers an eine einzelne Partei geleistet werden ohne dass die Möglichkeit gegeben ist, dass alle Kreditgeber anteilmässig partizipieren. so dass im Interesse einer Gleichbehandlung eine Auskehrungspflicht begründet werden muss.
280
ii) Changes to the Lenders Im Hinblick darauf, dass zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss des Kreditvertrags andere Parteien auf der Kreditgeberseite Abtretungen (assignments), oder Übertragungen (transfers) stattfinden sollen oder Unterbeteiligungen gewährt werden können, werden in der Regel in der Klausel das Verfahren und die Bedingungen festgeschrieben, die gegebenenfalls einzuhalten sind1.
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jj) Currency indemnity Bei ausländischen Gerichtsständen muss jeweils berücksichtigt werden, ob Klagen in fremder Währung zulässig sind oder Ansprüche nur in der jeweiligen Währung am Ort des Gerichts zugesprochen werden2. Von Bedeutung kann auch sein, wie in einem Einzelfall Umrechnungen von einer Währung in eine andere vorgenommen werden. Dabei kommt es auch darauf an, ob Umrechnungen zum Zeitpunkt des Urteils oder in Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung zu erfolgen haben. Diese Fragen erfahren deshalb eine Regelung in einer currency indemnity Klausel3.
282
III. Spezialfinanzierungen Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
1. Projektfinanzierungen a) Allgemeines aa) Typenmerkmale „Jede Projektfinanzierung ist anders“4. Sie kommt also nicht von der Stange, sondern gilt als die „Haute Couture im Kreditgeschäft“5, als Herausforderung für kunstvolles „Financial Engineering“6. Trotzdem lassen sich bestimmte Typenmerkmale identifizieren, die die Projektfinanzierung (project financing) von sonstigen Formen der Unternehmensfinanzierung (corporate finance) unterscheidet7: 1 2 3 4
Siehe clauses 24, 24.1–24.9 LMA Muster. Hanisch, ZIP 1988, 342 ff. Näher Black, Foreign Currency Claims in the Conflict of Laws, 2012. Lenz/Zinell, Projektträger, S. 68; vgl. ferner Dorner, BOT-Projekte, S. 75; rechtsvergleichend Pohl, ZfRV 2010, 92 (USA); Gemmel/Schmidt, RIW 2011, 508 (Russische Föderation); Sester, RIW 2010, 269 (Brasilien). 5 Albrecht Schmidt, Grußwort, in Historische Erfahrungen mit Projektfinanzierungen, Bankhistorisches Archiv, Beiheft 3, 1998, S. 8. 6 Backhaus/Werthschulte, Projektfinanzierung, S. 2. 7 Sester, Projektfinanzierung, S. 10; Becker/Ossang, Kreditwesen 2003, 12; Tytko, Grundlagen der Projektfinanzierung, S. 14 ff.; Rey, BKR 2001, 29 (30); Röver, Projektfinanzierung, S. 157 Rz. 1 ff.; Kiethe, DStR 1996, 977; ähnlich schon Heintzeler, Kreditwesen 1983, 601.
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Weller 905
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Teil H Rz. 284
Finanzierung
– Gründung einer Projektgesellschaft (special purpose vehicle) durch die am Eigenkapital beteiligten Projektsponsoren; die Projektgesellschaft fungiert als Kreditnehmerin; – dadurch kein Rückgriff auf das Vermögen der Projektsponsoren nach Projektfertigstellung (non-recourse financing)1; teilweise wird ein Rückgriff auf präzise definiertes und beschränktes Vermögen der Sponsoren eröffnet (limited recourse)2; – dadurch keine Pflicht zur Konsolidierung der Projektgesellschaft im Konzernjahresabschluss der Projektsponsoren (off balance sheet financing); – Bedienung der Finanzierungsdarlehen über den aus dem Betrieb des Projekts zu erwartenden cash flow (self-liquidating project) und deswegen Finanzierungsentscheidung primär auf der Basis dieser Kennziffer (cash flow related lending) und der mit ihrer Erstellung einhergehenden, umfassenden Risikoanalysen und Machbarkeitsstudien (feasability study); – differenzierte Risikoverteilung (risk sharing) durch Vertragsgestaltung3. 284
Die Übergänge zur herkömmlichen Unternehmensfinanzierung sind dabei mittlerweile fließend: das in der Projektfinanzierung ausgereifte Instrument der Cash-Flow-Analyse einschließlich umfassender Risikoabschätzung kommt heute auch bei der Finanzierung von Großprojekten eines Unternehmens zum Einsatz, ohne dass notwendig eine eigens gegründete Projektgesellschaft in Erscheinung tritt. Die klassische Unternehmensfinanzierung wusste also von den Methoden der Projektfinanzierung zu lernen4. Trotzdem zeichnet sich die traditionelle Unternehmensfinanzierung nach wie vor dadurch aus, dass sie primär die Bonität des Projektsponsors in den Blick nimmt, während die Projektfinanzierung primär auf der Bonität des Projekts selbst beruht5. bb) Einsatzbereiche
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Gemeinsamkeit fast aller aufgezeigten Typenmerkmale ist ein zu ihrer Verwirklichung einher gehender, hoher Planungs- und Beratungsaufwand. Die Projektfinanzierung kommt daher erst ab einem Volumen von mindestens 100 Millionen Euro in Betracht6 und überschreitet häufig die Milliardenschwelle. Typische Einsatzbereiche sind Infrastrukturprojekte in den Bereichen Energieversorgung, Verkehr, Telekommunikation, Wasser- und Abwasserversorgung, aber auch Freizeitanlagen, Bildungsund Forschungseinrichtungen sowie das Gesundheitswesen7. Hinzu treten zunehmend Umweltschutzprojekte, die allerdings weitgehend in den Bereich der Energieversorgung fallen wie etwa Windkraftanlagen8. Alle Vorhaben verbindet die Erwartung, dass mit dem eingesammelten Kapital ein Projekt initiiert werden kann, das sich selbst trägt und den Kapitalgebern hinreichend Rendite erwirtschaftet9. Grundsätzlich geeignet für die Projektfinanzierung ist daher theoretisch jedes Unternehmen, das hinrei1 Kircher, Langzeitverträge, S. 95. 2 Sester, Projektfinanzierung, S. 52. 3 Typische Risiken sind das Konstruktionsrisiko, das verfahrenstechnische Risiko, das Fertigstellungsrisiko, das Betriebsrisiko, das Absatzrisiko, das Finanzierungsrisiko, das Zinsrisiko, das Wechselkursrisiko, das politische Risiko, das Länderrisiko (allgemeine Kreditwürdigkeit eines gegebenenfalls beteiligten Staates), das politische Risiko (Änderung des Rechtsrahmens im Staat, in dem das Projekt belegen ist), das Risiko höherer Gewalt, und schließlich gegebenenfalls das Reserve- oder geologische Risiko, soweit das Projekt die Gewinnung von Rohstoffen betrifft (etwa die Erschließung von Erdölfeldern). 4 Backhaus/Werthschulte, Projektfinanzierung, S. 6; Rey, BKR 2001, 29 (32) m.w.N.; zur Projektfinanzierung über den Kapitalmarkt Reuter, WM 2009, 2057. 5 Sester, Projektfinanzierung, S. 1. 6 Sester, Projektfinanzierung, S. 1. 7 Klemm, Projekttypen, S. 25. 8 Rey, BKR 2001, 29 (33). 9 Sester, ZBB 2004, 283; Kiethe, DStR 1996, 977 (978).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 289 Teil H
chenden cash flow erzeugt, wie dies etwa bei Industrie- oder Hotelanlagen ab einer bestimmten Größe der Fall sein kann1. cc) Projektbeteiligte Im Zentrum des komplexen Vertragsnetzes einer Projektfinanzierung steht der in der Regel als Kapitalgesellschaft verfasste Projektträger, der zugleich als Kreditnehmer, Auftraggeber der Projektersteller, also der Anlagenbau-, Bau- und Zulieferunternehmen (contractors), und als Vertragspartner der Abnehmer der Projektleistung fungiert2. Häufig werden Betreiber- oder Managementgesellschaften (operators) für den Betrieb der Anlage eingesetzt. Der Betreiber kann dabei gleichzeitig als Projektsponsor auftreten. Letztere gehören als Initiatoren des gesamten Projekts ebenso zum Kernbereich der Beteiligten wie – hinsichtlich der hier besonders interessierenden Finanzierung – Banken und andere Fremdkapitalgeber. Hinzu treten öffentliche Institutionen wie Exportbanken und Ausfuhrversicherer. Staaten (bzw. ihre Behörden) spielen eine entscheidende Rolle insbesondere als Konzessionsgeber und Genehmigungsinstanz, aber auch als Gesetzgeber und politische Akteure3. Schließlich übernehmen private Versicherer bestimmte Risiken4.
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dd) Organisationsformen Der Erfolg einer Projektfinanzierung hängt entscheidend von der effizienten Koordination der in aller Regel zahlreichen Beteiligten ab. Bei der internationalen Projektfinanzierung haben sich hierfür bestimmte Organisationsformen bewährt, nämlich Joint Ventures, und, als spezielle Ausprägung eines Joint Ventures, Betreibermodelle5. Beide Organisationsformen können auch als Public Private Partnership (PPP) konstruiert werden.
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(1) Joint Ventures Joint Venture ist ein Sammelbegriff für Unternehmenskooperationen, in denen die Beteiligten ihre rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit vollständig wahren und zur Projektdurchführung ein Unternehmen unter gemeinsamer Geschäftsführung gründen6, und zwar in Gestalt eines Mehrheits-, Minderheits- oder paritätischen Joint Venture7. Die mit der Offenheit dieser Struktur einhergehende Flexibilität erlaubt es, gerade ausländische Partner, wie immer diese auch selbst verfasst sein mögen (Einzelperson, Privatunternehmen, staatlich getragenes Unternehmen, Staat), problemlos in das gemeinsame Unternehmen zu integrieren und sich gegebenenfalls zugleich an den lokalen Rechtsrahmen am ausländischen Sitz des gemeinsamen Unternehmens anzupassen. Das Joint Venture gilt deswegen als Grundmuster für die Organisation internationaler Projektfinanzierungen8.
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(2) Betreibermodelle Soweit das Projekt Bereiche staatlicher Daseinsvorsorge betrifft, setzt die wirtschaftliche Tätigkeit der Projektsponsoren eine staatliche Konzession voraus. Diese nutzen die Projektsponsoren häufig in Betreibermodellen. Hier trifft die Projektgesellschaft 1 2 3 4 5 6
Kiethe, DStR 1996, 977 (978). Lenz/Zinell, Projektträger, S. 70 ff.; Tytko, Projektfinanzierung, S. 22 ff. Scheibel, RIW 1996, 373 (375 ff.). Cadez, NZBau 2003, 10. Tytko, Projektfinanzierung, S. 173. Zu spezifisch internationalgesellschaftsrechtlichen Aspekten des Joint Venture vgl. Teil K Rz. 197. 7 Tytko, Projektfinanzierung, S. 173. 8 Tytko, Projektfinanzierung, S. 173.
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Teil H Rz. 290
Finanzierung
nicht nur die Pflicht, die Investitionsanlage betriebsfertig zu stellen und mit staatlicher Konzession zu betreiben und zu warten, sondern auch zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Verwertung der Anlage im Rahmen der Konzession an den Auftrags- und Konzessionsgeber zu übereignen (build, operate, transfer; BOT)1. Zur Fertigstellung bedient sie sich der Projektersteller, insbesondere Anlagenlieferanten, die sich entweder als Generalunternehmer oder als Anbietergemeinschaft verpflichten2. Betreibermodelle können aber auch rein privatwirtschaftlichen Investitionen zugrunde liegen wie etwa bei der Errichtung von Industrieanlagen oder Hotels und Bürokomplexen3. Die Praxis hat eine Vielzahl unterschiedlicher Erscheinungsformen hervorgebracht, die jeweils verschieden weit reichende Pflichtenprogramme der Projektgesellschaft zusammenstellen und zum Teil Elemente des Leasings enthalten4. Für Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern wählen die Parteien nicht selten ein BOO-Modell als Organisationsform, in denen der ausländische Staat eine zeitlich unbefristete Konzession vergibt und auf die spätere Übereignung verzichtet, um die Projektgesellschaft einschließlich ihres Know-how dauerhaft zu binden und zu fortwährenden Investitionen zu motivieren5. In jedem Fall beruhen insbesondere Betreibermodelle auf einem Netzwerk komplexer Langzeitverträge6. Aus diesem Umstand ergeben sich zum Teil materiell-rechtliche Besonderheiten7. (3) Public Private Partnership 290
Public Private Partnership (PPP) ist wiederum ein Sammelbegriff und bezeichnet jede Form der projektbezogenen Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit Privaten8. Spezifisch finanzierungstechnischen Gehalt gewinnt die PPP insoweit, als sie für eine alternative Finanzierung öffentlicher Aufgaben steht: anstatt Leistungen der Daseinsvorsorge selbst anzubieten und unmittelbar über das Steueraufkommen zu finanzieren, vergibt die öffentliche Hand Konzessionen an Private. Letztere refinanzieren sich wiederum über Nutzungsentgelte9. Öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften können aber auch als Gesellschafter der Projektgesellschaft auftreten. Dann allerdings kann der Projektträger den jeweils geltenden Maßgaben des Vergaberechts (procurement rules) unterliegen, was die Flexibilität des Projektträgers beschneidet und einen hohen Verwaltungsaufwand nach sich zieht10. Die privaten Partner einer PPP streben daher insbesondere bei internationalen Kooperationen mit der öffentlichen Hand eine Gestaltung an, die die Projektgesellschaft vom Vergaberecht ausnimmt11. Allerdings unterliegen auch rein private Auftraggeber in Bereichen der Daseinsvorsorge oftmals dem Vergaberecht12. Bei Vergabeverfahren im Ausland finden die Regelungen des Staates Anwendung, in denen das ausgeschriebene Projekt belegen ist. Bei der Gestaltung des vergaberechtlichen Rechtsrahmens profitierten nicht wenige Staaten vom UNCI1 2 3 4
5 6 7 8 9 10 11 12
Tytko, Projektfinanzierung, S. 174. Tytko, Grundlagen der Projektfinanzierung, S. 24. Tytko, Projektfinanzierung, S. 177. Vgl. etwa die Übersichten bei Tytko, Projektfinanzierung, S. 177, und Dorner, BOT-Projekte, S. 76: BOTT (build, operate, train, transfer); BLOT (build, lease, operate, transfer); BOD (build, operate, deliver); BOL (build, operate, lease); BOO (build, own, operate); BOOST (build, own, operate, subsidise, transfer); BRT (build, rent, transfer); BTO (build, transfer, operate); DBOM (design, build, operate, maintain), DBOT (design, build, operate, transfer); FBOOT (finance, build, own, operate, transfer). Tytko, Projektfinanzierung, S. 178. Nicklisch, Verknüpfte Verträge, S. 5. Z.B. Kircher, Langzeitverträge, S. 95 ff.; Sester, Projektfinanzierung, S. 234 ff. Becker, ZRP 2003, 303; Tytko, Projektfinanzierung, S. 207. Sester, ZBB 2004, 283; Lenz/Zinell, Projektträger, S. 103. Lenz/Zinell, Projektträger, S. 103. Lenz/Zinell, Projektträger, S. 103. Kirchhoff/Wiehen, Ausschreibungen und Vergabeverfahren, S. 108 m.w.N.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 293 Teil H
TRAL Model Law on Public Procurement von 20111. Auf völkerrechtlicher Ebene ist das General Procurement Agreement der WTO zu beachten sowie gegebenenfalls bilaterale Beschaffungsübereinkommen2. Im Rahmen der Entwicklungshilfe gelten in der Regel die Beschaffungsregeln der jeweils finanzierenden Institution (Weltbank, regionale Entwicklungsbanken wie etwa die KfW, EU)3. ee) Vertragsgestaltung (1) Going-Project-Prinzip „Die Kunst der Projektfinanzierung besteht nun darin, alle Projektbeteiligten derart in ein Vertragsnetz einzubinden, dass die Bedienung des zur Finanzierung aufgenommenen Fremdkapitals mit hoher Wahrscheinlichkeit sichergestellt werden kann“4. Dies gelingt nur, wenn das begonnene Projekt ungeachtet eventueller Krisen weiterläuft, weil nur ein laufendes Projekt den für die Bedienung der Kredite allein zur Verfügung stehenden cash flow generiert (Going-Project-Prinzip). Bei Verwertung der Sicherheiten unter Zerschlagung des Projekts drohen demgegenüber außergewöhnlich hohe Verluste, da die einzelnen Vermögensgegenstände in der Regel auf das jeweilige Projekt zugeschnitten und damit kaum marktfähig sind5.
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(2) Gründung der Projektgesellschaft Im Regelfall wählen die Sponsoren die Rechtsform der Kapitalgesellschaft nach Maßgabe des Sitzortrechts6. Um das Ziel der Bilanzneutralität der Projektfinanzierung für die Sponsoren zu erreichen, muss die gesellschaftsrechtliche Gestaltung die jeweils anwendbaren Maßgaben des Bilanzrechts, insbesondere die Voraussetzungen einer Pflicht zur Konzernkonsolidierung beachten7. Ergänzende Rechtsträger, in der Regel mit Sitz außerhalb des Projektsstaates, können zur Bündelung einer Vielzahl von Beteiligten, aus steuerlichen Gründen oder zum verstärkten Schutz vor einer Durchgriffshaftung zwischengeschaltet werden8. Die Rechtsbeziehung zwischen den Sponsoren und der Projektgesellschaft ist damit primär gesellschaftsrechtlicher Natur. Im Gesellschaftsvertrag muss die Projektgesellschaft auf ihren präzisen Zweck, die Projektrealisierung, verpflichtet werden9. In diesem gesellschaftsrechtlichen Rechtsrahmen fungieren die Projektsponsoren zugleich als Eigenkapitalgeber.
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(3) Darlehensvertrag Der Darlehensvertrag mit der Projektgesellschaft (loan agreement) bildet das Kernstück jeder Vertragsgestaltung zur Projektfinanzierung: dies manifestiert sich etwa darin, dass zur Risikostrukturierung als aufschiebende Bedingung (conditions precedent) das Zustandekommen bzw. als Nebenpflicht (affirmative covenant) der Abschluss der anderen Verträge vereinbart wird10. Der cash flow-basierten Kreditvergabe wird dadurch Rechnung getragen, dass der Darlehensnehmer zahlreiche Berichtspflichten übernimmt so1 Ersetzt das UNCITRAL Model Law on Procurement of Goods, Construction and Services 1994. 2 Eingehend vor dem Hintergrund des Wiederaufbaus im Irak Puth, EuZW 2004, 395 ff.; ferner Odendahl, EuZW 2004, 647 (648); Kirchhoff/Wiehen, Ausschreibungen und Vergabeverfahren, S. 132 m.w.N.; Scheibel, RIW 1996, 373 (374); für die Schweiz vgl. Stöckli, NZBau 2002, 7 ff. 3 Kirchhoff/Wiehen, Ausschreibungen und Vergabeverfahren, S. 108. 4 Lenz/Zinell, Projektträger, S. 70 Rz. 4. 5 Sester, ZBB 2004, 283 (284). 6 Lenz/Zinell, Projektträger, S. 101 Rz. 110. 7 Gundert, DStR 2000, 125 (131); Kiethe/Hektor, DStR 1996, 977 (980). 8 Kiethe/Hektor, DStR 1996, 977 (980). 9 Sester, Projektfinanzierung, S. 10. 10 Sester, Projektfinanzierung, S. 50; Röver, Projektfinanzierung, S. 188 Rz. 50.
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Weller 909
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Teil H Rz. 294
Finanzierung
wie die Einhaltung bestimmter Finanzkennziffern zusagt, um dem Darlehensgeber die Kontrolle des cash flow zu ermöglichen. Hinzu treten Sicherungsabtretungen der künftigen Forderungen gegenüber Abnehmern der Projektleistungen sowie – inspiriert von der dominierenden anglo-amerikanischen Vertragspraxis – vielfältige, den Vertragszweck und die Kontrollmöglichkeiten der Sponsoren flankierende Verpflichtungen (financial covenants)1 sowie Vereinbarungen von Gründen für die außerordentliche Kündigung bei Leistungsstörung (default rules), Force-Majeur-2 und schließlich Rechtswahl- und Streitbeilegungsklauseln3. Für die zur Risikosteuerung angestrebte Interdependenz der einzelnen Verträge im Netzwerk sorgen beispielsweise cross defaultKlauseln, nach denen gravierende Leistungsstörungen in einem der Verträge zu Kündigungsgründen für alle anderen und insbesondere des Darlehensvertrags führen4. (4) Syndizierung des Darlehens 294
Als Fremdkapitalgeber fungieren in Projektfinanzierungen neben Banken und institutionellen Anlegern staatliche Institutionen wie etwa Export- und Investitionsbanken. Bei größeren Projekten engagieren sich regelmäßig mehrere Fremdkapitalgeber. Das Darlehen wird dann als syndizierter Kredit (syndicated loan agreement) strukturiert, und zwar entweder durch die Bildung eines – echten oder unechten5 – Kreditkonsortiums6 oder durch Unterbeteiligung (sub-participation) einer oder mehrerer nachgeschalteter Banken am Darlehen der Hauptbank7. Mit dem Unterbeteiligungsvertrag schließen sich die Parteien bei Geltung deutschen Rechts z.B. zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff. BGB zusammen. Die dispositiven Regelungen des Gesetzes werden allerdings durch den Gesellschaftsvertrag in der Regel weitgehend abbedungen8. Vertragsbeziehungen der nachgelagerten Banken zur darlehensnehmenden Projektgesellschaft bestehen nicht. (5) A/B-loan-Struktur
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Tritt als Hauptbank und alleiniger Vertragspartner der Projektgesellschaft eine multilaterale Finanzinstitution auf (etwa die International Finance Corporation [IFC]9 oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung [EBWE]) und genießt diese aufgrund völkerrechtlicher Verträge den Status eines preferred creditor, schirmt diese Strukturierung (A/B-loan) Privatbanken vor politischen Risiken in Entwicklungsländern weitgehend ab10. Dem Erfolg dieser Strukturierung Rechnung tragend gründete die IFC 1998 ihre b-loan management division, die mittlerweile b-loans im Volumen von mehr als USD 15 Milliarden von über 150 Banken verwaltet11. Vor dem Ausfallrisiko schützt diese Strukturierung allerdings nicht. Soweit das Ausfallrisiko politi1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Sester, Projektfinanzierung, S. 45. Sester, Projektfinanzierung, S. 75. Übersicht bei Röver, Projektfinanzierung, S. 188 Rz. 52 ff. Sester, Projektfinanzierung, S. 72. Beim echten Konsortialkredit vergibt allein die Konsortialführerin (lead bank) den Kredit und fordert dann im Innenverhältnis die jeweils vereinbarte Quote ein. Beim unechten oder Parallelkredit besteht ein Darlehensvertrag mit jeder der Konsortialbanken. Hierzu eingehend de Meo, Bankenkonsortien, S. 14 ff. Röver, Projektfinanzierung, S. 230 Rz. 135. Röver, Projektfinanzierung, S. 230 Rz. 134. Die IFC gehört der Weltbank an und hat sich auf die Beteiligung privatwirtschaftlicher Fremdkapitalgeber an Finanzierungen spezialisiert, vgl. Rey, BKR 2001, 29 (31). Rey, BKR 2001, 29 (31); Röver, Projektfinanzierung, S. 232 Rz. 135; Russland bediente während seiner Finanzkrise 1998 beispielsweise ausschließlich die A-loans der IFC, vgl. Rey, a.a.O.; zum Investitionsschutz generell Kapitel J III. http://www.ifc.org/wps/wcm/connect/Topics_Ext_Content/IFC_External_Corporate_Site/ IFC+Syndications/Overview_Benefits_Structure/Syndicated+Loan+Management/B+Loans/ (27.7.2015).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 298 Teil H
scher Natur ist oder auf dem privaten Markt nicht versicherbar ist, können jedoch staatliche Ausfuhrversicherungen das Engagement absichern1. (6) Kreditsicherung Im Rahmen von Projektfinanzierungen verlangen die Kredit gebenden Banken verschiedene Sicherheiten2, nämlich in der Regel Grundschulden an den Betriebsgrundstücken der Projektgesellschaft, die Sicherungsabtretung (assignemt) der künftigen Forderungen der Projektgesellschaft gegenüber den Abnehmern der Projektleistung, künftiger Versicherungsansprüche, Pfandrechte an den Projektkonten Pfandrechte (share pledge) an den Geschäftsanteilen der Projektgesellschaft sowie persönliche Sicherheiten3 Dritter wie Ausfuhrversicherungen und Garantien multilateraler Finanzinstitutionen und schließlich – ausnahmsweise und auch nur in begrenztem Umfang – der Sponsoren wie etwa Fertigstellungsgarantien4. Denn Grundregel der Projektfinanzierung bleibt, dass als Sicherungsgeber primär die Projektgesellschaft und der von ihr erzeugte cash flow zur Verfügung stehen5.
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Dem Going-Project-Prinzip Rechnung tragend und deswegen spezifisches Sicherungsinstrument der Projektfinanzierung sind schließlich Verpflichtungen der Projektgesellschaft, mit Dritten nur Verträge abzuschließen, in denen beide Teile antizipiert zur Vertragsübernahme durch die Bank unter bestimmten, in der Regel mit denen der cross default-Klauseln abgestimmten Voraussetzungen zustimmen (Direktverträge [direct agreements]; step in-Rechte)6. Nur dies ermöglicht es dem Kreditgeber selbst in Krisen weit möglichst das Projekt am Laufen zu halten und den für den Schuldendienst erforderlichen cash flow zu generieren. Zugleich dient diese Vertragsgestaltung der Kontrolle des Projektträgers7. Dies ist auch deswegen sinnvoll, weil in der Projektfinanzierung der Fremdkapitalanteil besonders hoch, der Rück- und Durchgriff auf Vermögen der Sponsoren besonders beschränkt ist und damit die Gefahr, dass die Projektgesellschaft riskante Geschäftspolitik zu Lasten Dritter betreibt (moral hazard), entsprechend steigt – eine Tendenz, die die Institutionen- und Transaktionsökonomik als Principal-Agent-Problem kennt und auf die die Fremdkapitalgeber mit entsprechenden Steuerungsanreizen wie eben dem „Feuerstuhl“ einer step-in-Vereinbarung zugunsten der Bank reagiert8.
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(7) Anlagenverträge Anlagenverträge betreffen die Errichtung der Projektanlage. Vertragsparteien sind die Projektgesellschaft als Auftraggeber und (Bau-) Unternehmen als Auftragnehmer. Spezielle Ausprägung von Anlagenverträgen sind turn-key-Verträge, in denen sich ein einzelner Auftragnehmer als Generalunternehmer dazu verpflichtet, die Anlage schlüsselfertig zu erstellen und sich zur Erfüllung seiner Pflichten Subunternehmer bedient. Für die Einzelheiten zum Anlagenvertrag wird auf Teil C IV verwiesen9. 1 Zur Ausfuhrversicherung Teil H Rz. 185; vgl. ferner die von der ebenfalls der Weltbank angehörenden International Development Association (IDA) entwickelte Partial Risk Guarantee, hierzu Rey, BKR 2001, 29 (31). 2 Überblick bei zu Löwenstein, Garantien und Sicherungsrechte, S. 251 ff.; von Hagemeister/Bültmann, WM 1997, 549 ff. 3 Hierzu auch Teil H Rz. 433 – Avalgeschäft. 4 Hierzu auch Teil H Rz. 671 – Persönliche Sicherheiten. 5 Sester, Projektfinanzierung, S. 77. 6 Sester, Projektfinanzierung, S. 78 u. 89; Sester, ZBB 2004, 283 (285). 7 Zu insolvenzrechtlichen Implikationen von Direktverträge noch unten Rz. 319. 8 Sester, Projektfinanzierung, S. 138. 9 Aus Sicht der Projektfinanzierung vgl. z.B. Tytko, Projektfinanzierung, S. 80 ff.; ferner Nicklisch (Hrsg.), Komplexe Langzeitverträge für neue Technologien; Nicklisch (Hrsg.), Netzwerke komplexer Langzeitverträge.
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Weller 911
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Teil H Rz. 299
Finanzierung
(8) Zuliefer- und Abnahmeverträge 299
Wiederum dem Going-Project-Prinzip Rechnung tragend strebt die Projektgesellschaft den Abschluss möglichst langfristiger Verträge an, um Störungen der Produktion bzw. Abnahme und damit des cash flow vorzubeugen1. Bei der Preisgestaltung gewährt die Projektgesellschaft den Zulieferern tendenziell weitgehende Rechte zur Preisanpassung, um Vertragsbrüche zu vermeiden. Für den Fall, dass trotz aller kautelarjuristischer Vorkehrungen doch Leistungsstörungen eintreten, sehen die Vertragswerke dann aber in der Regel möglichst harte Sanktionen vor. (9) Versicherungen
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Ein wichtiges Instrument zur Risikosteuerung sind schließlich Versicherungen2, bei internationaler Projektfinanzierung insbesondere Ausfuhrversicherungen3. Bei Großprojekten müssen die Erstversicherer und damit auch die Projektbeteiligten allerdings auf die Maßgaben der internationalen Rückversicherungspraxis Rücksicht nehmen4. b) Internationales Privatrecht aa) Grundsatz der freien Rechtswahl
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Bei der Gestaltung der Finanzierungsverträge unter den Beteiligten einer internationalen Projektfinanzierung besteht weitgehend Rechtswahlfreiheit5, die die Parteien auch regelmäßig nutzen, und zwar insbesondere zugunsten anglo-amerikanischer Rechtsordnungen (Enlgand, New York)6 wegen der ihnen zugeschriebenen Flexibilität und Praxisorientierung7. Das europäische Kollisionsrecht stellt dabei ausdrücklich – nicht zuletzt im Hinblick auf komplexe Langzeitverträge mit Auslandsberührung8 – das Instrument der Teilrechtswahl (depec¸age) in Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO bzw. zuvor schon in Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ zur Verfügung9. Die Praxis bedient sich aber wohl nur selten und allenfalls dann dieser Technik, wenn dies für eine „ausgeglichene Optik“ des Vertrags förderlich erscheint, etwa bei grundsätzlicher Wahl englischen Recht, wobei im Ausgleich und zugunsten des nichtenglischen Vertragspartners dann aber – wohl weniger zentrale – Teile des Vertrags dessen Rechtsordnung unterstellt10. 1 Tytko, Projektfinanzierung, S. 67. 2 Übersicht bei Sigulla, Versicherungsrechtliche Fragen, S. 511 ff. 3 Vgl. schon oben Rz. 296; eingehend Teil H Rz. 185; ferner Busch, Typische Schnittstellen bei „hermesgedeckten“ Projektfinanzierungen, Teil I und II, NZBau 2014, 477 ff. und 543 ff. 4 Rohde-Liebenau, Risikobegrenzung, S. 92 ff. 5 Deutschland und Österreich: Art. 3 Rom I-VO; Schweiz: Art. 116 IPRG; Liechtenstein: Art. 39 Abs. 1 IPRG. 6 Röver, Projektfinanzierung, S. 226 Rz. 123; Unteregge, Internationale Kreditverträge, S. 23. 7 Selbst die KfW wählt regelmäßig das Recht von New York, Sester, Projektfinanzierung, S. 278; gleiches gilt für Akteure im französischen Rechtsraum, Jacquet/Delebecque, Droit du commerce international (1997), S. 199 Nr. 311; Unteregge, Internationale Kreditverträge, S. 24. 8 Jayme, IPRax 1987, 63 (64). 9 Im IPR der Schweiz und Liechtensteins fehlt eine Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO entsprechende Klarstellung. Als Teilaspekt der grundsätzlich auch in diesen Rechtsordnungen gewährten kollisionsrechtlichen Parteiautonomie dürfte die depec¸age aber auch ohne Klarstellung zulässig sein; für die Schweiz – unter Ablehnung überkommener Bedenken (Missbrauchsgefahr, deswegen nur materiell-rechtliche Wirkung) – z.B. Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 51 Rz. 95; Amstutz/Wang in Vogt/Honsell/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 116 IPRG, Rz. 13; im Rahmen von Art. 39 lieIPRG spricht im Übrigen bereits der Wortlaut von Abs. 2 der Vorschrift für die Zulässigkeit der depec¸age: „Soweit eine Rechtswahl nicht getroffen (…) ist [Hervorh. hinzugef.]“, kommt es zur objektiven Anknüpfung nach Maßgabe der Artt. 40 ff. lieIPRG. 10 Jayme, IPRax 1987, 63 (64).
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Finanzierungsmodelle
Rz. 304 Teil H
bb) Qualifikationsfragen Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO stellt klar, dass bei Qualifikation eines Rechtsverhältnisses als gesellschaftsrechtlich nicht die Kollisionsregeln der Rom I-VO anwendbar sind1. Stattdessen finden diejenigen des internationalen Gesellschaftsrechts Anwendung. Hierzu gehört auch das Konzernrecht, so dass etwa die Frage, ob die Gestaltung einer Projektfinanzierung zu einer konzernrechtlichen Beherrschung der Projektgesellschaft durch die Sponsoren führt und welche Konsequenzen sich hieraus ergeben, dem Gesellschaftsstatut der betroffenen (Projekt-) Gesellschaft unterliegt2.
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cc) Reichweite des Vertragsstatuts Das Vertragsstatut erfasst zunächst sämtliche Fragen im Kernbereich des Vertragsrechts, also etwa Zustandekommens und materielle Wirksamkeit, Vertragsauslegung, Erfüllung3. Anderes gilt hingegen für die hier besonders interessierenden Devisenkontrollbestimmungen4. Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO können Eingriffsnormen jenseits der lex fori nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um solche desjenigen Staates handelt, in dem die Verpflichtungen zu erfüllen sind und nach diesen Eingriffsnormen die Erfüllung unrechtmäßig ist. Zumindest nach dem Wortlaut ergibt sich damit, dass Eingriffsnormen aus der Rechtsordnung des Vertragsstatuts keinerlei Vorrang genießen („Schuldstatutslehre“5) oder überhaupt noch berücksichtigt werden könnten („Sonderanknüpfungslehre“6)7. Selbst wenn also deutsches Recht das Schuldstatut eines Kreditvertrags im Zusammenhang mit einer internationalen Projektfinanzierung stellt, folgt unmittelbar hieraus noch nicht, dass etwa deutsches Devisenrecht Anwendung findet. Dies ist vielmehr nach den eigenständigen Kollisionsregeln des deutschen internationalen Devisenrechts zu beurteilen8. Für die Schweiz gilt dies analog im Hinblick auf Artt. 18, 19 schwIPRG einerseits, Artt. 116 ff. schwIPRG andererseits9.
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dd) Stabilisierungsklauseln Bei Beteiligung von Staaten in der Projektfinanzierung, insbesondere als Konzessionsgeber, wollen sich ausländische Investoren gegen Rechtsänderungen im anwendbaren Recht, die der beteiligte Staat als Gesetzgeber herbeiführen könnte, schützen. Hierzu wird bei der Gestaltung des Konzessionsvertrags häufig auf das Instrument der Stabilisierungsklausel zurückgegriffen, mit der der Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gleichsam versteinert werden soll. Dogmatische Konstruktion und Reich1 Zu Einzelheiten z.B. M. Weller in Calliess (Hrsg.), Rome Regulations, 2. Aufl. 2015, Art. 1 Rome I Regulation, Rz. 35 ff. 2 Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 681; so zuvor schon Großfeld in Staudinger/BGB13 (1998), Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 556. 3 Deutschland: eingehend z.B. Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 193 ff. Rz. 261 ff.; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 418 Rz. 905. 4 Vgl. sogleich Rz. 307. 5 So die ältere Rechtsprechung, z.B. BGH v. 21.10.1992 – XII ZR 118/91, WM 1993, 120; BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, WM 1997, 560. 6 So wohl tendenziell zuletzt die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung zum alten deutschen Kollisionsrecht, BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, NJW 2003, 683; ferner BGH v. 7.12. 2000 – VII ZR 404/99, NJW 2001. 7 Z.B. (kritisch) Freitag in Reithmann/Martiny, Internationales Privatrecht, S. 410 Rz. 646; a.A. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 9 Rom I-VO, Rz. 137 (Berücksichtigung von Eingriffsnormen des Vertragsstatuts, die den allgemeinen Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO entsprechen und weder die Grenzen des Eingriffsrechts noch des Order public der lex fori überschreiten. 8 Vgl. sogleich Rz. 307. 9 Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 418 Rz. 906 unter Anlehnung an die in der französischen Lehre entfalteten Begrifflichkeiten.
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Teil H Rz. 305
Finanzierung
weite ihrer Wirkungen sind allerdings im Einzelnen umstritten1. In internationalen Kreditverträgen kommen Versteinerungsklauseln wohl kaum vor2, so dass sie in diesem Abschnitt außer Betracht bleiben können3. ee) Schranken der Rechtswahl 305
Im internationalen Rechtsverkehr zwischen Unternehmern, wie er für die Projektfinanzierung prägend ist, ergeben sich Rechtswahlschranken in erster Linie aus Eingriffsnormen. Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Rom I-VO erlaubt den vertragsstaatlichen Gerichten, ungeachtet des an sich nach den Artt. 3 ff. Rom I-VO anzuwendenden Schuldstatuts bestimmte zwingende Vorschriften des eigenen Rechts anzuwenden. Eingriffsnormen anderer Rechtsordnungen können hingegen nur noch nach den engen Maßgaben von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO berücksichtigt werden (vgl. hierzu bereits Rz. 303). Art. 18 schwzIPRG entspricht im Wesentlichen Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 19 schwIPRG geht hingegen über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO insofern hinaus, als die gegebenenfalls zu berücksichtigenden Eingriffsnormen aus allen Rechtsordnungen stammen können, nicht nur aus dem Recht am Erfüllungsort. Das liechtensteinische IPR enthält demgegenüber keine derartigen Entsprechungen. Die Anwendung eigener, international zwingender Vorschriften ist aber als Ausprägung einer positiven Funktion des ordre public im Rahmen von Art. 6 lieIPRG zu erwarten, zumal dies dem Stand des früheren deutschen4 wie auch dem früheren österreichischen IPRG entspricht5, dem das lieIPRG weitgehend gleicht. Entscheidend ist damit ungeachtet gewisser Nuancen kollisionsrechtlicher Normdogmatik, welche Vorschriften konkret als Eingriffsnormen im Bereich der internationalen Projektfinanzierung in Frage kommen. (1) Devisenrecht
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Aus Zahlungsverpflichtungen in internationalen Kreditverträgen ergeben sich Berührungspunkte mit dem Devisenrecht6: Die Aufnahme eines Kredits durch einen („Devisen-“) Inländer kann der formalen Genehmigung seines Sitzstaates bedürfen7. Der Sitzstaat des Empfängers der Darlehensvaluta kann die Hinterlegung von 30 % der Valuta in einem Bardepot verlangen8. Die grenzüberschreitende Auszahlung der Darlehensvaluta in einer bestimmten Währung an den Projektträger kann ebenso sonstige devisenrechtliche Tatbestände auslösen wie grenzüberschreitende Zins- und Tilgungsleistungen. 1 Deutschland: kollisionsrechtliche Wirkung überwiegend abgelehnt, wohl aber materiell-rechtliche Verweisung: das alte Recht ist in den Grenzen des international zwingenden neuen Rechts durch die Klausel gewählt, vgl. Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 108 Rz. 106 ff.; Magnus in Staudinger, BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50 ff. Schweiz: Stabilisierungsklausel hat den Charakter einer Garantie des staatlichen Vertragspartners, für nachteilige Gesetzesänderungen zu haften, Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 74 Rz. 134; vgl. ferner Institut de Droit International, Session Athen 1979, Art. 3 der Resolution, in Bezug auf State Contracts: „Les parties peuvent convenir que des dispositions d’un droit interne auxquelles elles se réfèrent dans un contrat doivent être entendues dans leur teneur au moment de la conclusion de ce contrat“; Institut de Droit International, Session Bales 1991: Wirkung lediglich einer materiell-rechtlichen Inkorporation; vgl. zum Ganzen eingehend z.B. Fiedler, Stabilisierungsklauseln; Merkt, Investitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln. 2 So jedenfalls Bosch, Internationales Bankgeschäft, S. 124 f. 3 Vgl. aber Teil C Rz. 416 ff. 4 Z.B. BGH v. 30.1.1961 – VII ZR 180/60, NJW 1961, 1061. 5 Dittrich/Tades, ABGB, 23. Aufl. 2011, Art. 1 IPRG Rz. 8. 6 Röver, Projektfinanzierung, S. 227; Unteregge, Internationale Kreditverträge, S. 23 ff.; Ebenroth/ Neiss, RIW 1991, 617 ff.; zum Internationalen Devisenrecht allgemein vgl. auch Teil I Rz. 38 ff. 7 OLG München v. 25.1.1989 – 15 U 4470/87, NJW-RR 1989, 1139, zu § 14 östDevG a.F. 8 BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, NJW-RR 1997, 686.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 308 Teil H
(a) Materielles Devisenrecht Die Bedeutung des materiellen Devisenrechts ist allerdings in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon deswegen stark zurückgegangen1, weil Art. 63 AEUV (exArt 56 ff. EGV), ausgestattet mit Anwendungsvorrang, den Grundsatz der Zahlungsund Kapitalverkehrsfreiheit als Grundfreiheit des Binnenmarktes primärrechtlich verankert. Mitgliedstaatliche Beschränkungen des Zahlungs- und Kapitalverkehrs im Binnenmarkt sind nur noch zum Schutz wichtiger Allgemeininteressen zu rechtfertigen. Zugleich folgt aber auch das autonome deutsche Devisenrecht dem Grundsatz der Freiheit des internationalen Zahlungs- und Kapitalverkehrs sowie der freien Konvertierbarkeit der deutschen Währung2: Von den Ermächtigungen in §§ 5, 6 AWG zu allgemeinen Beschränkungen von Rechtsgeschäften und Handlungen im Außenwirtschaftsverkehr wird derzeit keinen Gebrauch gemacht. § 6a AWG a.F. sowie die Ermächtigungsgrundlagen speziell zur Beschränkung des Kapitalverkehrs der §§ 22–24 AWG a.F. wurden aufgehoben. Ähnlichen Leitlinien folgt auch das österreichische Devisengesetz3. Anderes kann natürlich gelten für die Devisenkontrollbestimmungen anderer, insbesondere Entwicklungsstaaten.
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(b) Kollisionsrechtliche Berufung ausländischen Devisenrechts (i) Völkervertragsrechtliches Kollisionsrecht Soweit die völkervertragsrechtliche und in innerstaatliches Recht transformierte Kollisionsregel des Art. VIII Abschnitt 2(b) S. 1 IWFÜ4 sachlich auf die in Frage stehende Transaktion Anwendung findet, verdrängt sie die devisenrechtlichen Kollisionsregeln des autonomen Rechts5. Dann müssen die Gerichte von Vertragsstaaten Vorschriften des materiellen Devisenkontrollrechts anderer Vertragsstaaten anwenden, anstatt, wie sonst, die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen lediglich in Erwägung zu ziehen. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. VIII Abschnitt 2(b) S. 1 IWFÜ ist allerdings – insbesondere im Bereich internationaler Kreditverträge – umstritten. Anders als die anglo-amerikanische Rechtsprechung neigt die deutsche grundsätzlich dazu, das Tatbestandsmerkmal „exchange contract“ weit auszulegen6. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der BGH allerdings den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Zahlungen für laufende internationale Transaktionen beschränkt und „Kapitalübertragun-
1 Schefold, Devisenrecht, Rz. 18; Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO Rz. 2. 2 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 Außenwirtschaftsgesetz v. 28.4.1961, BGBl. I 1961, 481, 495, 1555, zuletzt geändert durch Art. 1 G v. 6.6.2013, I 1482; Schefold, Devisenrecht, Rz. 11 ff.; Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. Rom I-VO Rz. 2. 3 § 2 Devisengesetz 2004, in Kraft getreten am 1.1.2004, zuletzt geändert am 13.1.2015, östBGBl. I Nr. 4/2015. Anders als noch das vorausgehende Devisengesetz (Bundesgesetz v. 25.7.1946 über die Devisenbewirtschaftung, östBGBl. Nr. 162/1946), enthält das Devisengesetz 2004 keine ausdrückliche Selbstaussage mehr über die Qualifikation als Eingriffsnorm. 4 Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds v. 1./22.7.1944 (IWFÜ); Deutschland: BGBl. 1952 II, 638, neu gefasst durch Änderung v. 30.4.1976, in Kraft seit 1.4.1978, BGBl. 1978 II, 838; Schweiz: BBl 1991 II, 1264 ff.; Art. VIII Abschnitt 2(b) S. 1 IWFÜ lautet in der verbindlichen, englischen Originalfassung: „Exchange contracts which involve the currency of any member and which are contrary to the exchange control regulations of that member maintained or imposed consistently with this Agreement shall be unenforceable in the territories of any member“. 5 Deuschland: So ausdrücklich Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB; Thode in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 422 Rz. 672: Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO, Rz. 4; Schweiz: Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 147 IPRG Rz. 27. 6 Deutschland: Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 202 ff. m.w.N.; Schweiz: Dasser in Honsell/ Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 147 Rz. 26.
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Teil H Rz. 309
Finanzierung
gen“ wie etwa Kommanditeinlagen ausgenommen1. Damit stellt sich aber nun die Aufgabe, zwischen Geschäften des internationalen Kapitalverkehrs und Geschäften des laufenden Zahlungsverkehrs abzugrenzen2. Anhaltspunkte hierfür liefert Art. XXX (d) IWFÜ mit seiner Aufzählung von Beispielen. Erfasst werden danach u.a. Zahlungen im Zusammenhang mit Kreditzinsen und Kredittilgungen3. Andererseits sind „Kreditverträge im internationalen Kapitaltransfer“ ausgeschlossen4. Damit hat sich die deutsche Rechtsprechung in einem für die internationale Projektfinanzierung bedeutsamen Punkt an die Auslegung von Art. VIII Abschnitt. 2(b) S. 1 IWFÜ durch die angloamerikanische Rechtsprechung angeglichen. Die Position der schweizerischen Rechtsprechung ist noch offen5. Trotz aller Annäherung verbleibt es bei einer in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung noch immer ungleich stärker ausgeprägten Tendenz zur weitgehenden Beschneidung des Anwendungsbereichs von Art. VIII Abschnitt. 2(b) S. 1 IWFÜ, um entsprechend weitgehend das eigene, einheimischen Kreditgebern typischerweise günstigere internationale Devisenrecht anwenden zu können6. Da nach anglo-amerikanischem Kollisionsrecht die Anwendung ausländischen Devisenrechts außerhalb des Schuldstatuts ohne den völkervertragsrechtlichen Zwang hierzu unter Art. VIII Abschnitt. 2(b) S. 1 IWFÜ anders als nach Art. 9 Abs. 3 EVÜ für nicht zulässig gehalten wird, verbleibt es bei einer starken Motivation der in Projektfinanzierungen beteiligten Akteure, die ausschließliche Zuständigkeit anglo-amerikanischer Gerichte durch Gerichtsstandsvereinbarung sicherzustellen7. Dieser Gestaltung kann allerdings aus Sicht der lex fori des derogierten Forums Wirksamkeitsgrenzen gesetzt sein8. (ii) Autonomes Kollisionsrecht 309
Ist der Anwendungsbereich der völkervertraglichen Kollisionsregel zur Anknüpfung ausländischen Devisenkontrollrechts nicht eröffnet, gelten die allgemeinen Grund1 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, sub II, NJW 1994, 390 – Bulgarien-Entscheidung: Kl. verlangt als Konkursverwalter über deutsche GmbH & Co. KG von der Bekl., einer Bank in der Rechtsform einer AG bulgarischen Rechts mit Sitz in Sofia die Einzahlung noch ausstehender Kommanditeinlagen. Bekl. wendet u.a. die Unklagbarkeit des Anspruchs als Rechtsfolge des Verstoßes der Zahlung gegen bulgarische Devisenbestimmungen, anzuwenden durch deutsche Gerichte nach Art. VIII Abschnitt 2(b) IWFÜ ein: „Kapitalübertragungen sind nicht als Devisenkontrakte i.S.d. Art. VIII Abschnitt 2(b) IWFÜ zu begreifen und mithin stehen entgegenstehende Devisenkontrollbestimmungen der Klagbarkeit solcher Verpflichtungen nicht entgegen“. 2 Thode in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 425 Rz. 677; Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO, Rz. 27. 3 Art. XXX(d)(2) IWFÜ: „Payments for current transactions means payments which are not for the purpose of transferring capital, and includes, without limitation: payments due as interest on loans and as net income from other investments“; Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 89 ff. 4 BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, sub II 1 a bb, NJW-RR 1997, 686: Einwand der Unklagbarkeit der erhobenen Ansprüche einer deutschen Hypothekenbank gegen einen deutschen Bürgen und Vertragsstrafeverpflichteten unter deutschem Vertragsstatut wegen Verstoßes gegen die spanischen Devisenbestimmungen im Zusammenhang mit einem Darlehensvertrag zurückgewiesen: „Auf die Unklarbarkeit von Devisenkontrakten nach dem Bretton-Woods-Abkommen (IWFÜ) kann sich der Bekl. schon deshalb nicht berufen, weil Art. VIII Abschn. 2(b) S. 1 IWFÜ nur Geschäfte des laufenden Zahlungsverkehrs, nicht aber Kreditverträge im internationalen Kapitaltransfer erfasst“. 5 Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 147 Rz. 28; Vischer/Huber/ Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1001, erwarten, dass sich die schweizerischen Gerichte dem internationalen Trend zur engen Auslegung anschließen werden. 6 Ebke in Staudinger/BGB (2011), Anh. Art. 34 Rom I-VO Rz. 23. 7 Unteregge, Internationale Kreditverträge, S. 25, der in diesem Umstand den eigentlichen Grund für die Dominanz des anglo-amerikanischen Rechts bei der Gestaltung internationaler Kreditverträge sieht. Soweit die dort in Fn. 6 zitierte englische Rechtsprechung in den Anwendungsbereich von Art. 9 Rom I-VO fällt, ergibt sich natürlich insoweit ein anderes Bild. 8 M. Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 55 ff. und 141 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 311 Teil H
sätze des Forums zur Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts1. Dies kann außer in den bereits skizzierten Schranken des sachlichen Anwendungsbereichs auch dann der Fall sein, wenn es um die Frage der Anwendung devisenrechtlicher Beschränkungen von Nichtvertragsstaaten vor den Gerichten eines Vertragsstaates geht2. Drittstaaten und ihre Gerichte sind an das IWFÜ selbst dann nicht gebunden, wenn es um die Frage nach der Anwendung von Devisenkontrollbestimmungen eines Vertragsstaates geht3. (c) Kollisionsrechtliche Berufung inländischen Devisenrechts Auf die eigenen Devisenkontrollbestimmungen findet Art. VIII Abschnitt 2(b) S. 1 IWFÜ keine Anwendung4. Soweit die lex fori Devisenkontrollvorschriften enthält und diese überdies mit den unionsrechtlichen Grundfreiheit des Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sind, sind sie als Eingriffsnormen zu berücksichtigen5: Das inländische Gericht muss sie immer anwenden, unabhängig davon, welchem Schuldstatut der Kreditvertrag unterliegt6.
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(2) § 1136 BGB Soweit das Darlehen ausländischem Recht unterliegt, der Kreditvertrag aber, wie häufig, financial covenants zur weiteren schuldrechtlichen Sicherung des Kreditgebers enthält7, kann sich die Frage stellen, ob § 1136 BGB als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist. Dies ist durch Sachnormauslegung zu beantworten. Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Schutz der wirtschaftlichen Freiheit des Grundstückseigentümers8. Der Eigentümer soll nämlich in der Lage bleiben, das Rückzahlungskapital durch Verwertung des belasteten Grundstücks aufzubringen. Zumindest soll ihn der Sicherungsnehmer durch schuldrechtliche Abreden insoweit nicht einengen können. Damit erweist sich der Normtelos im Kern als besondere Ausprägung des allgemeinen Knebelungsverbots nach § 138 BGB. Inländische Wertungen im Bereich der Sittenwidrigkeit sind im Rahmen der einzelfallbezogenen Ordre-public-Kontrolle nach Art. 6 EGBGB zu berücksichtigen, soweit sie zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts zu zählen sind9. 1 Deutschland: Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 9 Rom I-VO Anh. II Rz. 48; Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO Rz. 5; Schweiz: Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 147 Rz. 28. 2 Martiny in MünchKomm/BGB, Art. 9 Rom I-VO Anh. II Rz. 48; Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO – Internationales Devisenrecht Rz. 5. 3 Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. Rom I-VO Rz. 6; Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 259 mit Verweis auf Obergericht Zürich v. 29.4.1983, BIZRpsr. 1984 Nr. 14, hierzu Weber, IPRax 1985, 57 ff. 4 Deutschland: Ebke in Staudinger/BGB, 2011, Anh. Art. 9 Rom I-VO Rz. 2, 17; Österreich: östOGH v. 30.9.1992, ÖBA 1994, 641, 644 (Schurig 645). 5 Deutschland: Freitag, in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrechts, S. 390 Rz. 588; Österreich: Musger in Koziol/Bydlinski/Bollenberg, ABGB, 4. Aufl. 2014, Art. 9, Rom I-VO Rz. 2; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 458 Rz. 989; Mächler-Erne in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 18 Rz. 16. 6 Deutschland und Österreich: Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO; Schweiz: Art. 18 IPRG; aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich allerdings nur, dass dem Durchschlagen der Eingriffsnorm der lex fori ungeachtet des Vertragsstatus keine Hindernisse entgegenstehen. Ob eine Norm als international zwingende Vorschrift durchschlägt und mithin als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist, muss durch die Auslegung der Sachnorm ermittelt werden, es sei denn, eine Vorschrift enthält ausnahmsweise einmal selbst eine Aussage darüber, ob sie durchschlagen soll. Bei Bestimmungen des Devisenrechts wird dies aber allgemein angenommen, vgl. vorige Fußnote. 7 Etwa Negativklauseln, die im Extremfall jegliche Besicherung künftiger Gläubiger verbieten oder vertragliche Verfügungsbeschränkungen zur Solvenz- und Liquiditätserhaltung des Schuldners, vgl. z.B. Fleischer, ZIP 1998, 313 (314). 8 Eickmann in MünchKomm/BGB, § 1136 Rz. 1. 9 Zu financial covenants und ordre public noch genauer Rz. 318.
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Teil H Rz. 312
Finanzierung
(3) § 489 Abs. 4 S. 1 BGB 312
Dieselbe Fragestellung ergibt sich bei Vereinbarung von Kündigungserschwernissen unter ausländischem Vertragsstatut im Darlehensvertrag und § 489 Abs. 4 S. 1 BGB, wonach das Recht des Darlehensnehmers zur ordentlichen Kündigung nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder erschwert werden kann. Die fast wörtlich § 609a BGB a.F. entsprechende Vorschrift des § 489 bezweckt insgesamt – ebenso wie § 1136 BGB – im Kern einen Interessenausgleich der Parteien des Darlehensvertrags: Einerseits soll der Darlehensnehmer vor der Bindung an nicht mehr marktgerechte Konditionen geschützt werden, um Umschuldungsmaßnahmen nicht zu blockieren, andererseits die Bank bei der Refinanzierung nicht übermäßig mit dem Risiko der Zinssatzänderung belastet sein1. Es handelt sich damit wiederum um eine Ausprägung des Verbotes sittenwidriger Knebelung, allerdings in einem derart speziellen Fall und mit derart dezisionistischer Wertung, dass eine Rückwirkung auf die Konkretisierung des ordre public kaum mehr anzunehmen ist. Vielmehr ist § 489 Abs. 4 S. 1 BGB aus kollisionsrechtlicher Sicht als einfach zwingende Vorschrift einzustufen, die der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie grundsätzlich nicht entzogen ist. ff) Objektive Anknüpfung (1) Kreditvertrag
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Die charakteristische Leistung eines Kredits ist die Darlehenshingabe2. Fehlt also eine Rechtswahl, ist an das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. an den Sitzort des Kreditgebers anzuknüpfen3. Entscheidend ist dabei der Ort der Niederlassung, die die charakteristische Leistung erbringt4. Ist Kreditgeber ein Bankenkonsortium, wird an die Niederlassung des Konsortialführers angeknüpft5. Bei Realkrediten kann sich aus der Belegenheit des sichernden Grundstücks eine die Anknüpfung an das Sitzortrecht des Kreditgebers verdrängende, engere Beziehung des Kreditvertrags ergeben6. Ausgeschlossen ist dies allerdings, wenn mehrere Grundstücke in verschiedenen Staaten als Sicherheiten dienen, weil es dann an einer identifizierbaren „engeren“ Beziehung gegenüber derjenigen zum Sitz des Erbringers der charakteristischen Leistung fehlt. Das sich aus der Realsicherheit ergebende dingliche Recht unterliegt dabei aus1 Rohe in BeckOK/BGB, § 489 Rz. 1. 2 Deutschland: Magnus in Staudinger/BGB, 2011, Art. 4 Rom I-VO Rz. 282; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 431; Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 Rz. 30. 3 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, vgl. Leible NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 146; Schweiz: Art. 117 Abs. 1, 2 IPRG; Liechtenstein: Art. 40 IPRG; bei Bankdarlehen greift die spezielle Kollisionsnorm für Bankgeschäfte des Art. 42 Abs. 1 IPRG: Anknüpfung an das Recht am Niederlassungsort der Bank. 4 Deutschland und Österreich: Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO; Schweiz: Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG 3. Aufl. 2013, Art. 117 Rz. 22; Liechtenstein: Art. 40 S. 2 bzw. Art. 42 Abs. 1, HS. 1 IPRG. 5 Leible in NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 148; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 631 Rz. 1163; zum früheren Kollisionsrecht Schücking, WM 1996, 281 (283); Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 617; König, Anknüpfung von Syndicated Loan Agreements, S. 27 ff. 6 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, Leible in NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 147; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 636 Rz. 1171 ff.; Schweiz: Art. 119 Abs. 1 IPRG: Verträge über den Gebrauch von Grundstücken unterstehen der lex rei sitae Dabei gilt Art. 119 IPRG als lex specialis zu Art. 117 IPRG, Pannatier Kessler in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 119 Rz. 17; a.A: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, S. 211 Rz. 433: nur Verträge mit dem unmittelbaren Vertragsgegenstand „Grundstück“ erfasst, engere Verbindung kraft Belegenheit des sichernden Grundstücks i.S.v. Art. 117 Abs. 1 IPRG wegen „zu starker Gewichtung der Verwertung der Sicherheiten“ ebenfalls abgelehnt. Es bleibt dann bei der objektiven Anknüpfung an das Sitzortrecht des Erbringers der charakteristischen Leistung.
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Rz. 315 Teil H
schließlich der lex rei sitae. Die schuldrechtliche Sicherungsabrede folgt demgegenüber dem Recht, das auf das Darlehen anwendbar ist1. Darlehen und Realsicherheiten können also unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen2. (2) Konsortialverhältnis Rechtsbeziehungen von Bankenkonsortien mit Außenstehenden (Außenverhältnis) unter Auslandsberührungen unterliegen keinen kollisionsrechtlichen Besonderheiten3. Anderes gilt für das Innenverhältnis: Haben die Konsorten eine Rechtswahl für den Kreditvertrag, nicht aber – wie eigentlich üblich4 – für ihr Verhältnis untereinander getroffen, kommt eine Anknüpfung an das Sitzortrecht des Konsortialführers5, alternativ akzessorisch an den Kreditvertrag in Betracht6. Sobald allerdings die Konsorten – wie überwiegend7 – eine gesellschaftsrechtliche Kooperationsform wählen, bestimmen die Kollisionsregeln des internationalen Gesellschaftsrechts das auf ihr Verhältnis untereinander anwendbare Recht8. Gesellschaften ohne eigene Organisation (Innengesellschaften; contractual joint venture)9, deren Struktur einzelne obligatorische Rechten und Pflichten prägen, unterliegen demgegenüber den Regeln des Internationalen Vertragsrechts10. Für die Anknüpfung – der atypischen – Personengesellschaften, in denen sich Banken zu einem Konsortium verfassen, wurde allerdings auch bei Außengesellschaften für eine vertragliche Qualifikation plädiert11.
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(3) Netzwerke komplexer Langzeitverträge Projektfinanzierungen betreffen regelmäßig Großprojekte, deren Realisierung die Gestaltung von Netzwerken komplexer Langzeitverträge verlangt12. Soweit die Verträge keine13 – oder keine eindeutigen14 – Rechtswahlklauseln enthalten, sollte eine akzessorische Anknüpfung angestrebt werden, um ein einheitliches Statut im Netzwerk zu erreichen (Konsistenzinteresse)15. Hierzu kommt die Anknüpfung an einen zentralen Vertrag im Netzwerk in Frage, bei BOT-Projekten z.B. an den des Konzessionärs mit dem Anlagenbauer16. Die konkreten Umstände des Projekts können aber zu einer abweichenden Bewertung führen, wenn etwa die Rechtswahl des Konzessionsvertrags durch den staatlichen Teil erzwungen wurde17. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17
BGH, Urt. v. 23.10.1980 – III ZR 70/79, sub III, IPRspr. 1980 Nr. 3 (zum alten Kollisionsrecht). BGH, Urt. v. 26.1.1961 – V ZR 43/50, sub II, BGHZ 1, 109, 113 (zum alten Kollisionsrecht). Schücking, WM 1996, 281 (283). Schücking, WM 1996, 281 (285). Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Privatrecht, S. 631 Rz. 1163; Magnus in Staudinger/BGB, 2011, Art. 4 Rom I-VO Rz. 285; König, Syndicated Loan Agreements, S. 27 ff., 51 ff. Hierfür etwa nach altem österreichischen Recht Horn, JBl. 1987, 410 (412). De Meo, Bankenkonsortien, S. 33 ff.; Schücking, WM 1996, 281 (286). Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 289 ff.; Großfeld in Staudinger/BGB13 (2002), Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 777. Horn, JBl. 1987, 410 (412). Deutschland: BGH v. 16.3.1998 – II ZR 323/96, NZG 1998, 500 (zum alten Kollisionsrecht); Kindler in MünchKomm/BGB, IntGesR, Rz. 293; Großfeld in Staudinger/BGB, 13. Aufl. 2002, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 772; Schweiz: Art. 150 Abs. 2 IPRG: „Für einfache Gesellschaften, die sich keine Organisation gegeben haben, gilt das auf Verträge anwendbare Recht“. Schücking, WM 1996, 281 (289). Z.B. Nicklisch, Verknüpfte Verträge, S. 9 ff. Z.B. BGH v. 11.3.1982 – VII ZR 357/80, BGHZ 83, 197. Vgl. nur z.B. Channel Tunnel Group Ltd. V. Balfour Beatty Construction Ltd., [1993] 2 W.L.R. 262, 271, Klausel 68. Jayme/Geckler, IPRax 1993, 274 (275); von der Seipen, Akzessorische Anknüpfung, S. 276; Jayme, IPRax 1987, 63 (64). Jayme/Geckler, IPRax 1993, 274 (275). Jayme, IPRax 1987, 63 (64).
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Teil H Rz. 316
Finanzierung
gg) Floating Charge 316
Die in der Projektgesellschaft konzentrierten Vermögensgegenstände eignen sich grundsätzlich für die Bestellung von Unternehmenspfandrechten1. Während allerdings das deutsche Recht dieses Sicherungsrecht so nicht kennt und stattdessen die Verpfändung von Geschäftsanteilen (share pledge) oder einzelner konkreter Vermögensgegenstände anbietet, ist im englischen und französischen Recht das Unternehmenspfandrecht anerkannt (floating charge; nantissement du fonds du commerce)2. Bei der in der internationalen Projektfinanzierung insbesondere interessierenden floating charge handelt es sich um eine Belastung aller gegenwärtigen und zukünftigen Vermögensgegenstände der Gesellschaft, die nicht bereits Gegenstand einer fixed charge (auf einzelne Vermögensgegenstände bezogenes Pfandrecht) sind, durch ein Sicherungsrecht, das den jeweiligen Stand an (bei Beschränkung: einer bestimmten Kategorie von) Sachen und Rechten, insbesondere Forderungen, des Sicherungsgebers erfasst (a class of assets of a company present and future), ohne die Verfügungsfreiheit des Sicherungsgebers einzuschränken, und sich im Sicherungsfall auf das in diesem Zeitpunkt vorhandene Vermögen konkretisiert (crystallisation)3. Das ältere Schrifttum in Deutschland steht der floating charge skeptisch gegenüber: jedenfalls die Durchführung des zur Konkretisierung führenden Verfahrens wird in Deutschland infolge wesenseigener Unzuständigkeit für unmöglich gehalten und daraus das „Ruhen“ der floating charge insgesamt für Sachen gefolgert, die nach Deutschland gelangen4. Nach Konkretisierung (crystallisation) steht aus Sicht des neueren Schrifttums der Anerkennung der Wirkungen demgegenüber nichts im Wege, soweit die floating charge in Bezug auf konkrete Vermögensgegenstände in Sicherungsrechte nach deutschem Recht transponiert werden kann5. Dieser Ansatz ist grundsätzlich auch für die Wirkungen vor Konkretisierung anzuwenden, wenn auch größere Schwierigkeiten bei der Transposition auftreten bzw. zum Teil die Transposition scheitern kann6, etwa in Bezug auf nicht in England belegene, bewegliche Sachen des Unternehmens7. Soweit Forderungen des Unternehmens englischem Recht unterstehen, ist die Wirkung einer floating charge im Inland grundsätzlich anzuerkennen, weil sich die Wirksamkeit der Belastung einer Forderung nach dem Forderungsstatut richtet8 und die Substitution durch ein Pfandrecht an der Forderung grundsätzlich möglich erscheint9. Eine rangwahrende Wirkung der floating charge vor ihrer Konkretisierung gegenüber späteren gutgläubigen Sicherungsnehmern ist aber wohl nicht anzuerkennen10. Das Verhältnis zwischen einem deutschen Pfändungspfandrecht und der Belastung durch eine konkretisierte floating charge ist gleichermaßen zweifelhaft. Diese Frage kann entweder dem Forderungsstatut oder der lex fori un1 Kiethe/Hektor, DStR 1996, 977 (979). 2 Vgl. Schall, IPRax 2009, 209 ff.; Schlegel, MünchKomm/InsO, 2. Aufl. 2008, England und Wales, Rz. 19; Meyer, EuZW 2004, 389 (391); Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (627). 3 Vgl. etwa Lange, WM 1990, 701. 4 Von Bar, Internationales Privatrecht II, S. 554 Rz. 761. 5 Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (653). 6 Vgl. im Einzelnen Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (656). 7 Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (664): „dinglich-rechtlich ein Nullum“. 8 Deutschland und Österreich: Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 297 Rz. 387; Liechtenstein: Art. 49 S. 1 IPRG; soweit floating charge als Pfandrecht zu qualifizieren ist, anders Schweiz: Art. 105 Abs. 1 IPRG: Rechtwahlfreiheit für Verpfändung von Forderungen; Art. 105 Abs. 2 IPRG: objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Pfandgläubigers; dem Schuldner kann aber nur das Recht des Forderungsstatuts entgegen gehalten werden, Art. 105 Abs. 3 IPRG. 9 Deutschland: §§ 1273 ff. BGB; Österreich: §§ 447 ABGB: Sachen im Sinne dieser Vorschriften sind auch Rechte, Dittrich/Tades, ABGB23 (2011), § 448 ABGB Anm. 1 m.w.N. aus der östRSpr.; Liechtenstein: Art. 384 Abs. 1 lie Sachenrechtsgesetz vom 31.12.1922 (§§ 447 bis 471 ABGB aufgehoben durch LGBl. 1923 Nr. 4); Schweiz: Art. 899 ff. ZGB, ferner Art. 105 Abs. 1 IPRG. 10 Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (666).
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Rz. 318 Teil H
terstellt werden, wobei gute Gründe für das Forderungsstatut sprechen, da dieses jedenfalls Rangkollisionen bei Mehrfachabtretung entscheidet1. Die Frage kann aber von mitgliedstaatlichen Gerichten nicht im Hinblick auf eine eventuelle Rückverweisung des englischen Rechts auf den Belegenheitsort der Forderung im Gerichtsstaat offengelassen werden2, da es sich nach Art. 20 Rom I-VO (wie schon zuvor unter dem EVÜ) auch beim Kollisionsrecht zur Übertragung von Forderungen um Sachnormverweisungen handelt. hh) Sicherungsabtretung und Übergang akzessorischer Nebenrechten Grundsätzlich unterliegt nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO „das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar aus der Übertragung einer Forderung“ dem Recht, das nach der Rom I-VO auf den Vertrag zwischen Zedent und Zessionar anzuwenden ist. Erw.-Gr. 38 erklärt, dass dieses Verhältnis „auch die dinglichen Aspekte des Vertrags“ umfasst, wenn eine Rechtsordnung schuldrechtliche und dingliche Aspekte trennt. Zessionsverpflichtung und vollziehende Übertragung unterliegen damit einheitlich dem Recht aus dem schuldrechtlichen Vertrag über die Zession („Abtretungsstatut“), und zwar unabhängig davon, ob die Forderung durch Bürgschaft, Pfandrecht oder Hypothek oder andere akzessorische Sicherungsrechte gesichert ist3. Der Übergang solcher akzessorischen Nebenrechte nach sachrechtlichen Vorschriften wie § 401 BGB unterliegt nach der Rom I-VO grundsätzlich wohl ebenso dem Abtretungsstatut wie etwaige Auskunftspflichten des Zedenten gegenüber dem Zessionar nach Art von § 402 BGB4. Zum Schutz des Sicherungsgebers wird allerdings zum Teil generell verlangt, dass kumulativ die Voraussetzungen für einen Übergang auch nach dem Statut des Nebenrechts (Bürgschaftsstatut; bei dinglichen Sicherheiten: lex rei sitae des Sicherungsobjekts) vorliegen5. Für dingliche Sicherheiten ist dies Konsens6.
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ii) Knebelung durch Financial Covenants und Ordre public Die in der vertraglichen Gestaltung von Projektfinanzierungen üblicherweise zahlreichen und weitgehenden financial covenants können theoretisch auch bei ausländischem und insoweit großzügigem Vertragsstatut unter dem Aspekt der Knebelung des Schuldners Grenzen in den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts finden7. Zwar ist § 138 BGB nicht als solcher Bestandteil des ordre public, wohl aber wirken die mit ihm angesprochenen Wertungen auch bei der Konkretisierung der kollisi1 BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 393 m.w.N. 2 A.A. Wenckstern, RabelsZ 56 (1992), 624 (671). 3 Deutschland und Österreich: Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO; anders Liechtenstein: Art. 49 S. 1, 2 IPRG (Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts); Schweiz: Art. 145 Abs. 1, 1. und Alt. 2 IPRG (Rechtswahl, sonst Forderungsstatut), teilweise werden die Voraussetzungen des Forderungsübergangs allerdings als „Fragen, die nur das Verhältnis zwischen den Parteien des Abtretungsvertrags betreffen“ i.S.v. Art. 145 Abs. 4 IPRG qualifiziert, der wie Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO das Recht des der Abtretung zugrunde liegenden Kausalverhältnisses („Kausalstatut“) beruft, so etwa Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1049 ff. m.w.N.; a.A. Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 145 Rz. 23 m.w.N. 4 Deutschland: Hausmann in Staudinger/BGB, 2011, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36; Schweiz: Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1063: Verpflichtungsstatut; Dasser in Honsell/ Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 145 IPRG Rz. 7 i.V.m. Rz. 17: Forderungsstatut. 5 Hausmann in Staudinger/BGB, 2011, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36; v. Hoffmann, Forderungsübertragung, S. 7; speziell für dingliche Sicherheiten auch Doehner in NK-BGB, Art. 14 Rom I-VO, Rz. 26. 6 Z.B. Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, S. 306 Rz. 398 ff.; Dasser in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 145 IPRG Rz. 7. 7 Sester, Projektfinanzierung, S. 297; Westermann, FS Brandner, 1996, S. 597; Liechtenstein: Art. 49 S. 1 und 2 i.V.m. § 1392 lie ABGB.
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Teil H Rz. 319
Finanzierung
onsrechtlichen Vorbehaltsklausel in Art. 21 Rom I-VO (Art. 6 EGBGB) – allerdings bei zunehmendem Auslandsbezug des Rechtsverhältnisses mit abnehmendem Gewicht1. Angesichts der wirtschaftlichen und rechtlichen Versiertheit der Beteiligten und des mit jeder Projektfinanzierung verbundenen hohen Risikos, dessen Steuerung die financial covenants dienen, ist allerdings Zurückhaltung geboten2. jj) Internationales Insolvenzrecht 319
Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO n.F.) sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO n.F.) bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Die Möglichkeit zum Beweis des Gegenteils eröffnet Missbrauchspotential für das Management des gesellschaftlich verfassten Schuldners wie etwa eine Projektgesellschaft3. Dem sollen häufig financial covenants vorbeugen, mit denen die Projektgesellschaft bestätigt, dass ihre hauptsächlichen Interessen im Sitzstaat liegen, und sich verpflichtet, den Schwerpunkt dieser Interessen nicht zu verschieben. Eine derartige Klausel mag als – schwaches – Indiz im Rahmen der Beweisführung Prüfung von Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO n.F.) von Bedeutung sein. Der parteiautonomen Verfügung durch Zuständigkeitsvereinbarung ist die internationale Insolvenzzuständigkeit hingegen nicht zugänglich4. Inwieweit die auf Verbesserungen auch und insbesondere von Art. 3 der EuInsVO zielende Neufassung insoweit tatsächlich Fortschritte bewirkt, bleibt abzuwarten5. Jedenfalls gilt die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO n.F. nach Art. 3 Abs. 1 S. 4 EuInsVO n.F. nicht, wenn der Sitz in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt wurde. Zu Grundlagen des internationalen Insolvenzrechts unten Teil O. kk) Internationales Bilanzrecht
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Projektfinanzierung soll für die Projektsponsoren bilanzneutral bleiben, um deren Finanzierungsspielräume für andere Zwecke zu schonen6. Unter anderem deswegen bedienen sich die Sponsoren regelmäßig einer Projektgesellschaft (spezial purpose vehicle). Die Frage nach dem auf die Projektgesellschaft anwendbaren Bilanzrecht, 1 Deutschland: Blumenwitz in Staudinger/BGB, 13. Aufl. 2003, Art. 6 EGBGB Rz. 138; insoweit unklar Westermann, FS Brandner, 1996, S. 599 f.; Österreich: Art. 21 Rom I-VO, § 6 IPRG; Dittrich/Tades, ABGB23 (2011), § 6 IPRG, Rz. 1; Schweiz: Art. 17 IPRG, Mächler-Erne in Honsell/ Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 17 Rz. 6; Liechtenstein: Art. 6 IPRG. 2 Sester, Projektfinanzierung, S. 316 ff., dort allerdings in Berufung auf einen europäischen ordre public unter Bezugnahme auf eine ökonomische Analyse der einschlägigen Rechtsvorschriften. 3 Zu Konkretisierungen des COMI, insbesondere bei Konzerninsolvenzen, in der Rechtsprechung des EuGH und mitgliedstaatlichen Gerichten vgl. etwa Lüer in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rz. 12 ff. 4 Schadensersatzansprüche aus Verletzung der eingegangenen Pflicht, den Interessenschwerpunkt nicht zu verlagern, sind denkbar, praktisch aber angesichts der Insolvenz des Ersatzpflichtigen wenig weiterführend. 5 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU Nr. L 141 v. 5.6.2015, S. 19 ff., anzuwenden nach Art. 84 Abs. 1 der Verordnung für nach dem 26.6.2017 eröffnete Insolvenzverfahren. Zu Zielen der Reform vgl. etwa Thole, Reform der Europäischen Insolvenzverordnung, ZEuP 2014, 39; Vallender, Europaparlament gibt den Weg frei für eine neue Europäische Insolvenzverordnung, ZIP 2015, 1513; Wimmer, Übersicht zur Neufassung der EuInsVO, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 6 Reuter, WM 2004, 610; Reuter, Off-Balance-Sheet-Projektfinanzierung, S. 103.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 322 Teil H
das – kollisionsrechtlich gesprochen: „internationale Bilanzrecht“1 – ist ein Teilaspekt des Internationalen Unternehmensrecht2. Das Unternehmens- oder Gesellschaftsstatut bestimmt daher grundsätzlich auch über das auf die Projektgesellschaft anzuwendende Bilanzrecht3. Hinzu treten können Vereinbarungen von Rechnungslegungspflichten, die über das nach Gesellschaftsstatut angeordnete, zwingende Mindestmaß hinausgehen4. Die sich hieraus ergebenden Ansprüche unterliegen dem jeweiligen Vertragsstatut. Projektfinanzierende Banken verlangen in aller Regel die Vorlage von Informationen, die internationalen Standards (IAS/IFRS bzw. US-GAAP) für Kapitalgesellschaften entsprechen5. Teilweise enthalten die internationalen Regelungswerke allerdings gegenüber dem HGB in erhöhtem Maße unbestimmte und damit der Interpretation offene Rechtsbegriffe, was zentrale Ziele der Projektfinanzierung gefährden kann, so kann beispielsweise bei allzu vorsichtig weiter Auslegung des Grundsatzes 27 der IAS i.V.m. SIC 12 die Konzernkonsolidierung der Projektgesellschaft mit den Sponsoren trotz fehlender gesellschaftlicher Beteiligung erzwungen werden6, obwohl das off-balance sheet financing (s. Rz. 1) zu den Typenmerkmalen der Projektfinanzierung gehört und den Beteiligten wichtig ist. c) Materiell-rechtliche Besonderheiten aa) Neuverhandlungsklauseln Die erfolgreiche Finanzierung eines Großprojekts hängt entscheidend vom cash flow ab, den das Projekt generiert. Die Störungsanfälligkeit steigt entsprechend mit dem Zeitrahmen, der für die Finanzierung veranschlagt wird, und mit der Höhe der Investitionen, bevor erstmals ein cash flow erzeugt werden kann7. Hinzu kommt, dass nicht selten die Sitzstaaten der Projektgesellschaft ihre starke Position ausnutzen, sobald die Anfangsinvestitionen getätigt und Investoren wie Kreditgeber auf den cash flow zwingend angewiesen sind8. Neuverhandlungsklauseln können dieses Risiko bis zu einem gewissen Grad steuern9.
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bb) Direktverträge Die Umsetzung des going project-Prinzips verlangt nicht nur die umfassende dingliche Sicherung der Kreditgeber an den Vermögenswerten der Projektgesellschaft zur Abwehr von Vollstreckungszugriffen Dritter. Um das Weiterlaufen des Projekts in der Krise bestmöglich sicherzustellen, müssen die Kreditgeber vielmehr zusätzlich dafür Sorge tragen, dass das Netz der ineinander greifenden Schuldverträge auch bei Stö1 Die betriebswirtschaftlichen Begriffsbildung beschreibt mit „Internationalem Bilanzrecht“ allerdings diejenigen materiell-rechtlichen Vorschriften, die für internationale Sachverhalte Anwendung finden, vgl. etwa Gundert, Rechnungslegung und Bilanzierung, S. 453 Rz. 87; in der kollisionsrechtlichen Terminologie handelt es sich dabei um spezielle Rechtsanwendungsnormen einer Rechtsordnung (special substantive rules), das eine Kollisionsnorm zunächst einmal zur Anwendung berufen muss. 2 Großfeld, AG 1998, 433 (434). 3 Mäsch in BeckOK/BGB, Art. 12 EGBGB Rz. 43; Großfeld, AG 1997, 433 (435). 4 Gundert, Rechnungslegung und Bilanzierung, S. 438 Rz. 2; Gundert, DStR 2000, 125 ff. 5 Reuter, BB 2006, 1322; Reuter, WM 2004, 610; Gundert, Rechnungslegung und Bilanzierung, S. 454 Rz. 88; Lüdicke, Steuerliche Überlegungen bei der internationalen Projektfinanzierung, S. 897. 6 Lüdicke, Steuerliche Überlegungen bei der internationalen Projektfinanzierung, S. 897, der zugleich darauf hinweist, dass nach der Finanzmarktkrise die Neigung zur übergroßen Vorsicht zugenommen habe. 7 Berger, 36 Vand.J.TRansnat’l L. 1347, 1348 (2003). 8 Berger, 36 Vand.J.TRansnat’l L. 1347, 1348 (2003). 9 Zu Neuverhandlungsklauseln in Projektfinanzierungsverträgen am Beispiel Stuttgart 21 vgl. auch Thole, WM 2013, 1005 ff.
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Teil H Rz. 322
Finanzierung
rung oder Ausfall eines Vertragspartners intakt bleibt1. Denn dieses Netz mit der allein ihm innewohnenden Chance, einen zur Kredittilgung belastbaren cash flow zu generieren, repräsentiert während der Startphase des Projekts mit ihren hohen Anfangsinvestitionen den einzigen wirtschaftlichen Wert des Projekts2. Ziel schuldrechtlicher Sicherungsvorkehrungen ist es daher, die Projektverträge im Notfall insgesamt auf eine neuen Projektträger (work-out vehicle) übertragen zu können, sobald sich Schwierigkeiten mit der Projektgesellschaft ergeben, und im Übrigen jeden Vertragspartner im Netz ersetzbar zu machen3. Dies geschieht mit sog. Direktverträgen, mit denen sich die Vertragspartner der Projektgesellschaft gegenüber den Kreditgebern verpflichten, in bestimmten Krisensituationen identische Projektverträge mit einer von den Kreditgebern zu benennenden neuen Projektgesellschaft abzuschließen4. Soweit deutsches Insolvenzrecht gilt, ist damit zugleich eine Reaktionsmöglichkeit der Kreditgeber auf eine Kündigung der Projektverträge nach § 103 Abs. 1 InsO im Fall der Insolvenz der Projektgesellschaft geschaffen, die die bloße Abtretung der Ansprüche aus den Projektverträgen und Verpfändung der Anteile an der Projektgesellschaft nicht bieten könnten5. Denn anders als die Projektverträge unterliegen die Direktverträge nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters6. Und die Verwertung des Pfandrechts am Geschäftsanteil einer deutschen GmbH unterliegt nach § 1277 BGB den für die Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften, führt also zur gerichtlich angeordneten Veräußerung, § 857 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 844 ZPO7. Dingliche Sicherheiten allein können also den Fortgang des Projekts in der Krise nicht gewährleisten, so dass schuldrechtlich flankiert werden muss. Rechtstechnisch bedienen sich die Parteien zur Gestaltung der hierfür erforderlichen Direktverträgen unter deutschem Recht aufschiebender Bedingungen des Eintritts von näher definierten step in-Ereignissen oder der unwiderruflichen Befreiung des Konsortialführers (agent) vom Verbot des Insichgeschäfts nach § 181 BGB zum Abschluss eines inhaltsgleichen Vertrags8. Teilweise wird der Abschluss von Direktverträgen unter deutschem Recht für entbehrlich gehalten und auf § 328 BGB verwiesen9. In der Tat hat die Gestaltungsfigur der Direktverträge ihre Wurzel in der englischen Gestaltungspraxis, der lange Zeit wegen der doctrine of privity – bis zum Inkrafttreten des Contracts (Rights to Third Party) Act 199910 – das Rechtsinstitut des Vertrags zugunsten Dritter nicht zur Verfügung stand. Nach anderer Auffassung ist aber auch unter deutschem Recht dem Direktvertrag der Vorzug zu geben, denn der Vertrag zugunsten Dritter ermögliche nicht, wie eigentlich angestrebt, den problematischen Vertragspartner im Vertragsnetz vollständig auszutauschen11. In der Tat kann er weiterhin Gestaltungsrechte ausüben, wenn auch nur regelmäßig (sobald das Recht des Dritten unentziehbar begründet ist)12 mit Zustimmung des begünstigten Dritten. Eine abweichende Vertragsgestaltung – die den Vertrag als Ganzen betreffenden Rechte sollen dem Dritten zustehen – ist allerdings zulässig und soll bereits im Wege der Vertragsauslegung erreichbar sein13. Außerdem erlaube § 334 BGB dem Versprechenden, dem Dritten im Vollzugsverhältnis Einwendungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Sester, ZBB 2004, 283 (285). Sester, ZBB 2004, 283 (285). Sester, ZBB 2004, 283 (285). Sester, Projektfinanzierung, S. 91, Muster bei Sester, Projektfinanzierung, S. 89; Röver, Projektfinanzierung, S. 160 Rz. 7. Sester, Projektfinanzierung, S. 91. Röver, Projektfinanzierung, S. 160 Rz. 7. Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG18 (2012), § 15 Rz. 83; Sester, ZBB 2004, 283 (286) empfiehlt deswegen zum Austausch der Projektgesellschaft einen asset deal. Sester, Projektfinanzierung, S. 91. Röver, Projektfinanzierung, S. 161 Rz. 7. Hierzu z.B. Müller, RabelsZ 67 (2003), 140 ff. Sester, ZBB 2004, 283 (286). Palandt/Grüneberg, BGB (2015), § 328 Rz. 6. Palandt/Grüneberg, BGB, 2015, § 328 Rz. 6.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 325 Teil H
aus dem Deckungsverhältnis entgegenzuhalten1. Diese Vorschrift könnte natürlich auch abbedungen werden2. Grundsätzlich erscheint daher auch der Weg über § 328 BGB offen. In jedem Fall bedarf die Gestaltung von Möglichkeiten für den Austausch der Projektgesellschaft sowie einzelner Vertragspartner im Vertragsnetz der Beachtung einer Vielzahl von weiteren rechtlichen Gesichtspunkten, sollen diese schuldrechtlichen Maßnahmen der Risikosteuerung erfolgreich greifen3. d) Steuerrechtlicher Hinweis Der wirtschaftliche Erfolg einer Projektfinanzierung hängt nicht zuletzt entscheidend von der Besteuerung ab. Verschiedene Schwerpunkte lassen sich identifizieren: Besteuerung der Projektgesellschaft, Besteuerung der Projektträger, Besteuerung der Kreditgeber und schließlich der Lieferanten4. Bei der Steuerplanung für internationale Projektfinanzierungen sind Grundentscheidungen zu treffen (etwa Ausreichung von Eigenkapital im Geber- oder Empfängerstaat; bei Investition im Empfängerstaat Rechtsformwahl des Empfängerunternehmens) und eine Fülle von Einzelfragen zu beantworten. Hierfür kann an dieser Stelle nur auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen werden5.
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e) Checkliste aa. Lokalisierung des Rechtsverhältnisses im Vertragsnetzwerk der Projektfinanzierung: – Projektgesellschaft – Projektsponsoren – Projektgesellschaft – Kreditgeber – Kreditgeber – Kreditgeber (Syndizierung) – Projektgesellschaft – Zulieferer – Projektgesellschaft – Abnehmer – Projektgesellschaft – Versicherer
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bb. Qualifikation der betreffenden Rechtsfrage – Projektgesellschaft – Projektsponsoren: – Faustregel: Gesellschaftsrecht – Projektgesellschaft – Kreditgeber: – Schuldrecht; bei dinglichen Sicherheiten Sachenrecht – Kreditgeber – Kreditgeber (Syndizierung): – in der Regel Gesellschaftsrecht, eventuell Schuldrecht (Innengesellschaft) – Projektgesellschaft – Zulieferer – Schuldrecht – Projektgesellschaft – Abnehmer – Schuldrecht – Projektgesellschaft – Versicherer – Schuldrecht (Internationales Versicherungsrecht)
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1 Sester, ZBB 2004, 283 (286). 2 BGH v. 10.11.1994 – III ZR 50/94, BGHZ 127, 385. 3 Vgl. im Einzelnen Sester, ZBB 2004, 283 (286 ff.); Sester, Projektfinanzierung, S. 91 ff. mit Mustern. 4 Eingehend Schmidt, Steuerfragen bei der Projektfinanzierung, S. 392 ff. Rz. 6 ff. 5 Z.B. Lüdicke, Steuerliche Überlegungen bei internationalen Projektfinanzierungen, S. 889 ff.; Reuter, BB 2003, 18.
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Teil H Rz. 326
Finanzierung
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cc. Anknüpfung der betreffenden Rechtsfrage (1) Schuldrechtliche Fragen: Internationales Vertragsrecht (Artt. 3 ff. Rom I-VO, 116 ff. schwzIPRG, 39 ff. lieIPRG): Grundsatz der Rechtswahlfreiheit; Schranken durch Eingriffsnormen, insbesondere Devisenkontrollbestimmungen; Schranken durch Übermaß an financial covenants unter dem Aspekt der sittenwidrigen Knebelung denkbar (2) Dingliche Sicherheiten: lex rei sitae (3) Problem: Floating Charge; Lösung: Transposition in verwandte inländische Sicherungsrechte nach Konkretisierung (crystallization) bezüglich einzelner Sachen, soweit möglich (4) Gesellschaftsrechtliche Fragen: Internationales Gesellschaftsrecht (weitgehend unkodifiziert; Anknüpfung an das Gründungsrecht [Gründungstheorie] oder an das Recht am Sitz der tatsächlichen Hauptverwaltung [Sitztheorie]); gegebenenfalls Überlagerung durch die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit
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dd. Materiell-rechtliche Problemkreise bei der Vertragsgestaltung (1) Grundprinzip: Das Projekt muss auch in der Krise weiterlaufen (going projectPrinzip) (2) Gründung der Projektgesellschaft als Zentrum des Vertragsnetzwerks, um Rückgriff auf Projektsponsoren auszuschließen; (3) Kreditsicherung: Umsetzung des going project-Prinzip durch umfassende Kontroll- und Sicherungsrechte (financial covenants) sowie Sicherheiten, die den Vollstreckungszugriff von Dritten und damit die Zerschlagung des Projekts verhindern (4) Ergänzung durch Direktverträge in Reaktion auf das die Integrität des Vertragsnetzwerkes gefährdende Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 Abs. 1 InsO
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ee. Steuer- und bilanzrechtliche Beurteilung (1) Umfassende steuerrechtliche Beurteilung vor Strukturierung der Projektfinanzierung erforderlich (2) Anwendbares Bilanzrecht muss off balance sheet financing erlauben; Kreditgeber verlangen unabhängig vom anwendbaren Bilanzrecht in aller Regel IAS/ IFRS oder US-GAAP 2. Securitisation Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
a) Asset Backed Securities 329
Unter Asset Backed Securities (ABS) sind an Kapitalmarktinvestoren ausgegebene und regelmäßig von internationalen Ratingagenturen bewertete Schuldverschreibungen oder Commercial Papers zu verstehen („Securities,“ „Wertpapiere“ oder „Finanzinstrumente“), die Zahlungsansprüche gegen eine ausschließlich für Zwecke der ABSGestaltung gegründete in- oder ausländische Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle, SPV) zum Gegenstand haben1. 1 Vgl. Rundschreiben 4/97 BaFin „Veräußerung von Kundenforderungen im Rahmen von AssetBacked Securities-Transaktionen durch deutsche Kreditinstitute“; vgl. Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 214 ff.; Rinze/Klüwer, BB 1998, 1697; Geiger in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Rz. 6; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 1.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 332 Teil H
Dieses SPV ist grundsätzlich weder personell, wirtschaftlich noch gesellschaftsrechtlich mit dem Forderungsverkäufer verbunden. Die Separierung vom Forderungsverkäufer dient dem Zweck, eine möglichst große Insolvenzferne der Zweckgesellschaft im Fall einer Insolvenz des Forderungsverkäufers, aber auch der Insolvenz einer anderen an einer ABS-Transaktion beteiligten Parteien zu erreichen, was eine der Hauptvoraussetzungen für die Kapitalmarktfähigkeit der von der Zweckgesellschaft zu emittierenden Finanzinstrumente ist1. Insolvenzferne bedeutet nicht nur die Sicherstellung des Fortbestandes der Zweckgesellschaft in der Insolvenz des Forderungsverkäufers oder einer anderen an der Verbriefung beteiligten Partei, sondern auch die Verhinderung einer Insolvenz durch fällige Forderungen von Gläubigern der Zweckgesellschaft durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit diesen. Dazu gehört z.B. die Vereinbarung aller Gläubiger der Zweckgesellschaft, diese erst nach Ablauf einer gewissen Frist nach Tilgung des letzten von dieser ausgegebenen Wertpapiers wegen fälliger Ansprüche zu verklagen (sog. Klageverzicht oder sog. Non Petition-Vereinbarung), die Vereinbarung mit allen Beteiligten und den Anleihe-Gläubigern, dass die Erfüllung der Verbindlichkeiten der Zweckgesellschaft (a) in Abhängigkeit vom Vermögen und der Liquidität der Zweckgesellschaft (sog. Limited Recourse- und No-Liability-Vereinbarungen) und (b) in einer bestimmten Rangigkeit und damit Reihenfolge erfolgt sowie die Vereinbarung aller Gläubiger, dass alle Vermögensgegenstände der Zweckgesellschaft von dieser auf einen Treuhänder (Security Agent) zu übertragen sind, der diese für alle Gläubiger gemeinsam hält, verwaltet und bei Bedarf auch verwertet und den dabei erzielten Verwertungserlös nach der vereinbarten Rangfolge (sog. Wasserfall) unter den Gläubigern verteilt (sog. Sicherheitentreuhändervertrag oder „Security Ageny Agreement“). Den Gläubigern, die nicht vertraglich eingebunden sind, wie z.B. die Finanzverwaltung in den Ländern, in denen die Zweckgesellschaft tätig ist, wird regelmäßig im Wasserfall der Vorrang eingeräumt, soweit deren Ansprüche begründet sind, um eine Insolvenz der Zweckgesellschaft zu verhindern. Deshalb ist darauf zu achten, dass derartige Ansprüche nicht entstehen oder im Rahmen der Strukturierung angemessen berücksichtigt werden. Die Kosten der Dienstleister haben in der Regel den 2. Rang, da das SPV und die Investoren auf deren Dienstleistungen angewiesen sind. Das gilt auch für die Ansprüche aus Zins- und Währungsabsicherungsgeschäften.
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Bei den verbrieften Forderungen kann es sich sowohl um Forderungen von Kreditinstituten aus dem Kreditgeschäft als auch von Nichtbanken aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, aber auch aus Leasing- und Mietverträgen handeln, bei deren Verbriefung regelmäßig Kreditinstitute als Arrangeure (Arranger) auftreten2.
331
Die Zweckgesellschaft emittiert diese Wertpapiere zumeist nicht selbst, sondern refinanziert sich in einer zweistufigen Gestaltung durch eine weitere Zweckgesellschaft (Conduit), deren Funktion darin besteht, Securities zur Refinanzierung eines Zahlungsanspruchs gegen eine Zweckgesellschaft auszugeben3. Die Zahlungsansprüche der Kapitalmarktinvestoren werden durch einen größeren Bestand unverbriefter oder verbriefter, besicherter oder unbesicherter Forderungen („Poolforderungen“, „Forderungsportfolio“, „Assets“) gesichert (backed). Die Poolforderungen werden einmalig oder in mehreren Tranchen von einem oder mehreren Unternehmen („Verkäufer“, „Originator“) mit oder ohne Zwischenschaltung einer oder mehrerer weiterer Zweckgesellschaften an das SPV verkauft und mit oder ohne ihre Sicherheiten abgetreten.
1 Vgl. Gögler, Asset-Backed-Securities, S. 21; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 14. 2 Vgl. Turwitt, Asset-backed Finanzierungen und handelsbilanzielle Zuordnung, S. 11 ff. 3 Vgl. Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 231.
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332
Teil H Rz. 333
Finanzierung
333
Der Verkauf ist regresslos gegenüber dem Verkäufer. Eine Haftung des Verkäufers für die Einbringlichkeit der Forderungen ist damit ausgeschlossen (True Sale)1. Auch wenn variable Forderungsabschläge vereinbart wurden mit der Maßgabe, dass das SPV die darauf entfallenden eingegangenen Forderungsbeträge zur Abdeckung von Forderungsausfällen verwenden kann, nicht verbrauchte Forderungseingänge aber an den Forderungsverkäufer auszuschütten hat, dann ändert das nichts daran, dass der Forderungsverkäufer die gezahlten Kaufpreise endgültig auch dann behalten darf, wenn die tatsächlichen Forderungsausfälle größer als die erwarteten Ausfälle sind.
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Der Ankauf der Forderungen durch die Zweckgesellschaft erfolgt grundsätzlich mit einem Abschlag vom Nennwert, der sich an den tatsächlichen historischen Ausfallraten orientiert2. Der Abschlag wird verwendet, um eine Ausfallreserve (Cash Reserve) aufzubauen, die erstrangig mit eintretenden Verlusten verrechnet wird. Nicht zur Verlustabdeckung verwendete Abschläge werden bei erfolgreichem Forderungseinzug durch den Originator an diesen entweder als 2. Kaufpreisrate, als Service-Entgelt für den Forderungseinzug oder als Zuzahlungen bei neuen Forderungsankäufen ausgekehrt. Bei derartigen Vereinbarungen ist darauf zu achten, dass diese so gestaltet sind, dass dadurch der True Sale nicht gefährdet wird.
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Eine weitere strukturelle Risikominderung in ABS-Transaktionen findet sich zumeist in einem zweiten Abschlag für Gewährleistungs- und Verwendungsrisiken und damit im Zusammenhang mit der Veritätshaftung des Originators3. Da der Forderungsverkäufer auch bei einem True Sale für den Bestand der verkauften Forderungen (Veritätshaftung) haftet (§§ 553, 432 dtBGB)4, kann er zur Absicherung dieses Riskos auch Sicherheiten bestellen, ohne dadurch den True Sale zu gefährden. Voraussetzung ist, dass die Zweckgesellschaft als Forderungskäufer diese Sicherheiten zweckgebunden erhält, also nicht zur Abdeckung von Forderungsausfallrisiken verwenden und dadurch das von ihr übernommene Delkredererisiko wieder auf den Forderungsverkäufer zurückverlagern kann.
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Die Zweckgesellschaft bezahlt den Kaufpreis für die Poolforderungen bei Abschluss des Kauf- und Abtretungsvertrages aus ihren Kreditlinien, die in der Regel von Banken zur Verfügung gestellt werden, oder aus der Ausgabe von Schuldverschreibungen, die am Kapitalmarkt begeben und von Investoren gekauft werden. Durch die rechtliche und wirtschaftliche Übertragung der Poolforderungen auf die Zweckgesellschaft werden die Poolforderungen zur alleinigen Haftungsmasse für die kreditgebenden Banken und Kapitalmarktinvestoren, welche die Zweckgesellschaft finanzieren. Die Zweckgesellschaft erfüllt ihre Tilgungs- und Zinspflichten gegenüber ihren Kreditgebern aus ihren Geldzuflüssen, die aus den Poolforderungen stammen5. Da die Zweckgesellschaften üblicherweise mit wenig Eigenkapital ausgestattet sind, fällt die Haftung des Eigenkapitals nicht ins Gewicht. Aus insolvenzrechtlichen Gründen müssen sich die Investoren regelmäßig sogar ausdrücklich verpflichten, Befriedigung ihrer Ansprüche 1 Vgl. Turwitt, S. 24 ff.; Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 (93); Gehring, Asset-Backed-Securities im amerikanischen und deutschen Recht, 1999, S. 143 f.; Weller/Kronat in Handbuch der AGFinanzierung, Kapitel 11, Rz. 13 ff. (S. 1003); die Anforderungen an den True Sale entsprechen denen an das echte Factoring, so dass diesbezüglich ergänzend auf die Ausführungen dazu unter „Factoring“ (Rz. 60 ff.) verwiesen wird. 2 Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 (96). 3 Vgl. Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 (97); Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 220. 4 Zur Veritätshaftung: Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 21; zum schw. Recht, dass das Kaufrecht für Sachen auch entsprechend anwendet, wenn sich aus Art. 184 OR i.V.m. den Abtretungsvorschriften nichts anderes ergibt s. Kikinis in OR Obligationenrecht Art. 184 50 ff.; nach österreichischem Recht ist das Kaufrecht (§§ 1053 ff. öAGBGB) ebenfalls auf den Forderungskauf anzuwenden dazu Apathy in ABGB Kurzkommentar, § 1053 Rz. 1 und § 1054 Rz. 3. 5 Vgl. Gögler, Asset-Backed-Securities, S. 22.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 338 Teil H
nur aus dem von der Zweckgesellschaft erworbenen Vermögen zu suchen, ohne auf die Eigenmittel der Zweckgesellschaft zugreifen zu können. Die Verwaltung, Einziehung, und Durchsetzung der Forderungen (Servicing) kann die Zweckgesellschaft aufgrund der Anforderungen der Rating Agenturen nicht selbst übernehmen, da sie, abgesehen von ihrer Geschäftsleitung, über kein eigenes Personal verfügen darf. Darüber hinaus möchte der Verkäufer der verbrieften Forderungen zum Schutz der Kundenbeziehungen das Servicing der Forderungen regelmäßig selbst weiter behalten. Das Servicing verbleibt bei ABS-Gestaltungen deswegen im Regelfall beim Verkäufer1 und hängt eng mit der Abtretung der Poolforderungen im Sinne einer wirtschaftlichen Ergänzung zusammen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Verkäufer über eine ausreichende Zuverlässigkeit und Bonität verfügt, die im Regelfall mindestens Investmentgrade sein sollte. Ist das nicht der Fall, muss über strukturelle Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass die Forderungen zugunsten der Zweckgesellschaft eingezogen und die eingezogenen Beträge auch im Fall einer Insolvenz des Forderungsverkäufers an die Zweckgesellschaft ausgekehrt werden. In der Praxis geschieht das über die Verpfändung eines speziell für den Forderungseinzug vom Forderungsverkäufer einzurichtenden Bankkontos, das ausschließlich für Zwecke des Einzuges der von der Zweckgesellschaft angekauften Forderungen verwandt werden darf. Weiter kann vorgesehen werden, dass der Forderungseinzug jederzeit von einem Beauftragten der Zweckgesellschaft für diese übernommen werden kann (sog. Ersatz-Servicer). Das kann z.B. ein Inkassounternehmen sein. Zum Teil erhält der Verkäufer für das Servicing eine gesonderte Vergütung, andernfalls ist die Durchführung des Servicing durch den Verkäufer ein Faktor der Konditionsgestaltung des Ankaufs2. Hierin ist ein struktureller Unterschied zum echten Factoring zu sehen, bei dem das Servicing der Forderungen gerade zu den vom Forderungsverkäufer zusätzlich zur Finanzierung erworbenen Dienstleistungen des Factors gehört3. Darüber hinaus wird die Abtretung der Forderungen beim echten Factoring regelmäßig gegenüber den Schuldnern der verkauften Forderungen offen gelegt. In den Fällen wo das sog. Inhouse-Factoring oder stille Factoring betrieben wird, sind die rechtlichen Risiken des Factors (Zahlung der Schuldner an den alten Gläubiger, nachträgliche Vereinbarungen der Schuldner mit dem alten Gläubiger zu Lasten des Forderungskäufers, Möglichkeit der Schuldner nach Abtretung bis zur Kenntnis davon weiter Rechte gegen den Forderungsverkäufer erwerben zu können, die dann auch dem Forderungskäufer über die Geltendmachung von Aufrechnungs- oder Zürückbehaltungsrechte entgegengehalten werden können) mit denen vergleichbar, die bei einer ABS-Transaktion zu beachten sind, solange der Forderungsankauf nicht gegenüber den Schuldnern der angekauften Forderungen offen gelegt ist und der Forderungseinzug von Dienstleistern des SPV übernommen wird (vgl. §§ 404, 406, 407 dt.BGB).
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Der Verkäufer schließt ABS-Gestaltungen ab, um sich mit dem Verkauf beziehungsweise dem Risikotransfer Liquidität zu verschaffen. Mit den so vereinnahmten Geldmitteln wird der Erhalt und Ausbau des eigenen Geschäftsbetriebs finanziert. ABS-Gestaltungen sind deshalb ein wichtiger Baustein der Unternehmensfinanzierung für große und größere mittelständische Unternehmen4. Die Refinanzierung von Unternehmen über ABS-Strukturen kann günstiger sein als Bankdarlehen, weil sie durch das Rating und ein aus Sicht von Investoren transparenteres Risikoprofil dem zu finanzierenden Unternehmen einen mittelbaren Zugang zum Kapitalmarkt eröffnen. Das Zinsniveau dort liegt normalerweise unterhalb desjenigen, das vom verbriefenden Unternehmen für vergleichbare Bankkredite oder Factoring-Finanzierungen zu zahlen wäre5.
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1 Gögler, S. 22; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 6. 2 Gögler, S. 22. 3 Vgl. Bär, Asset Securitisation, S. 21; Bette, Factoring, S. 55; Turwitt, Asset-backed Finanzierungen, S. 10. 4 Vgl. Bär, Asset Securitisation, S. 21; Bette, Factoring, S. 32. 5 Vgl. Rinze/Klüwer, BB 1998, 1697 f.; Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 (91).
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Teil H Rz. 339
Finanzierung
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Der Kostenvorteil bei der Refinanzierung verringert sich in Niedrigzinsphasen oder geht sogar ganz verloren aufgrund der Kosten, die mit der Implementierung und der Durchführung von ABS-Transaktionen verbunden sind. Für die Investoren, die einer regulatorischen Aufsicht unterliegen (z.B. Banken und Versicherungen) ist darüber hinaus ein entscheidener Kostenfaktor die Frage, wie Investments in ABS-Transaktionen im Vergleich zum Direktkredit regulatorisch mit Eigenkapital zu unterlegen sind. Darüber hinaus werden Verbriefungen von Unternehmen zur Bilanzentlastung und damit zur Verbesserung der Unternehmenskennzahlen (z.B. Eigenkapitalausstattung und Verschuldungsgrad) genutzt1. Durch die geänderten steuerlichen Rahmenbedingungen wird die Verbriefung zumindest in Deutschland dagegen kaum noch aus steuerlichen Gründen genutzt2.
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Neben dem primären Zweck der Refinanzierung sowie bilanziellen und steuerlichen Gründen ist bei Kreditinstituten häufig der Aspekt der regulatorischen Eigenkapitalentlastung oder der Verbesserung der Liquiditätskennzahlen durch Übertragung von Risikoaktiva ausschlaggebend für die Durchführung von ABS-Transaktionen3.
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Aufgrund der nach der Finanzkrise für Kreditinstitute als Originatoren (Forderungsverkäufer) oder Investoren verschärften Verbriefungsvorschriften (z.B. geänderte Kapitalunterlegungsvorschriften, Zurückbehaltungspflichten des Originators bei Verbriefungen, wenn es Kreditinstituten (sowie aufgrund der vergleichbaren Anlagevorschriften Versicherungen) erlaubt sein soll, in die Transaktionen zu investieren) dürfte das Ziel der Kapitalentlastung über die klassische True Sale Verbriefung bei Banken künftig häufig in den Hintergrund treten. Das gilt insbesondere dann, wenn der Liquidätsgesichtspunkt im Vordergrund steht und daher ein liquider Markt für Investoren sicherzustellen ist. Dazu ist es erforderlich, dass auch Kreditinstitute und Versicherungen die begebenen ABS-Anleihen kaufen dürfen. Gleichwohl sind Verbriefungen auch für Kreditinstitute weiter interessant. Im Rahmen eines aktiven Portfoliomanagements können die unterschiedlichen Verbriefungsinstrumente und deren flexiblen Nutzungsmöglichkeiten gezielt zur Verbesserung der Liquiditätskennzahlen durch Forderungsverkäufe oder die Weiterreichung von nicht gewollten Ausfallrisiken genutzt werden. Je mehr Anleihen aus Verbriefungen (ABS-Anleihen) von der EZB als beleihungsfähige Wertpapiere anerkannt werden oder von dieser auch gekauft werden, also über die EZB kurzfristig zur Liquiditätsbeschaffung genutzt werden können, desto interessanter wird die Verbriefung von Forderungen. Kreditinstitute konnen sich dadurch einen Vorrat an gerateten ABS-Anleihen schaffen, die von der EZB jederzeit beliehen werden. Da die EZB grundsätzlich nur die erstrangigen Tranchen als Sicherheiten akzeptiert und ein Mindestrating voraussetzt, können die nicht beleihbaren ABSAnleihen im Rahmen des Liquiditäts- und Risikomanagements bei Bedarf kurzfristig an Investoren verkauft oder die damit verbundenen Risiken über synthetische Verbriefungselemente ausplatziert werden4. Unternehmen können ihre Handels-, Miet-, 1 Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 7. 2 Früher wurden Verbriefungstransaktionen in Deutschland auch genutzt, um Gewerbesteuern zu sparen; mit der seit 2008 geltenden Änderung des § 8 Nr. 1a GewStG ist das nicht mehr möglich, da jetzt gewerbesteuerrechtlich als Entgelte für Schulden nicht nur Zinsaufwendungen, sondern auch „Diskontbeträge bei der Veräußerung von Geldforderungen“ gelten; dazu Güroff in GewStG Kommentar, § 8 Nr. 1a Rz. 30 ff. zur a.F. 3 Vgl. Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 213 ff.; s. unten Rz. 342 ff.; Häuselmann, DStR 1998, 826; daran hat sich auch unter den neuen in der CRR umgesetzten Basel III Regeln nichts geändert. 4 Vgl. Koch in Finanznachrichten v. 10.8.2015, wonach die Zentralbanken des Eurosystems seit März 2015 monatlich Wertpapiere (öffentliche Anleihen, Covered Bonds und Kreditverbriefungen (ABS) von monatlich rund 60 Mrd. Euro ankaufen und bei einer Gesamtanlage von 259.698 Mrd. Euro bereits 889 Mrd. Euro in ABS investiert haben; die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die EZB ABS-Anleihen ankauft oder beleiht ergeben sich aus den „Leitlinien über die Durchführung der Geldpolitik des Eurosystems EZB 2014/60 v. 20.2.2015, die ab
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Finanzierungsmodelle
Rz. 343 Teil H
Pacht- Leasing-, Lizenz- oder Werkvertrags- und Dienstleistungsforderungen verbriefen, um sich neue Refinanzierungsquellen und Liquidität zu verschaffen oder ihren Finanzierungspielraum durch die Reduzierung ihrer Bankkreditlinien erweitern. Im Rahmen des Portfoliomanagements können zudem Risiken an Dritte weitergeben oder die Bilanzkennzahlen (z.B. Verschuldungsgrad. Eigenkapitalkennzahl) positiv beeinflusst werden. Die Verbriefung ist damit als wesentlicher Baustein eines aktiven und erfolgreichen Portfoliomanagements zur Risiko- und Liquiditätssteuerung sowohl für Banken als auch Unternehmen nutzbar und damit attraktiv. Während beim Factoring wesentlich auf die Kreditprüfung des einzelnen Debitors einer abgetretenen Forderung und die Festlegung eines Limits für diesen abgestellt wird, findet bei einer Verbriefung hinsichtlich des Bonitätsrisikos der Forderungen eine Bewertung der hierfür in Betracht kommenden Forderungen nach dem Portfolioansatz auf Basis historischer Ausfallwerte statt1. Neben den historischen Ausfallraten ist die Verteilung der Debitoren auf Branchen und Regionen sowie der Anteil einzelner Großdebitoren und die erwarteten Geschäftsaussichten wichtig für die Analyse des dem Forderungsportfolio inhärenten Risikos. Das statistische Risiko von Ausfällen ist dann am günstigsten, wenn sich das Forderungsportfolio aus einer möglichst großen Zahl kleiner Forderungen, breit gestreut über Debitoren, Regionen und Branchen zusammensetzt2. Voraussetzung für die Strukturierung einer ABS-Transaktion ist daher das Vorliegen einer aussagekräftigen mehrjährigen Datenhistorie (regelmäßig mindestens drei Jahre beim Verkäufer) hinsichtlich der Verteilung, Entwicklung und Einbringlichkeit des Forderungspools beim Verkäufer. Liegt diese nicht vor, kann an die Einbindung einer Kreditversicherung gedacht und die Transaktion so ermöglicht werden. Banken haben neben ihrer Rolle als Arranger von ABS-Transaktionen eine weitere wichtige Funktion als Liquiditätsgeber durch die Übernahme von sog. Liquiditätsfazilitäten im Rahmen von ABS-Strukturen3. Hierbei werden dem SPV Liquiditätslinien bereitgestellt, die bei revolvierenden Forderungsankäufen im Falle von Laufzeitinkongruenzen zwischen den vom SPV angekauften Forderungen und den zur Kaufpreiszahlung dagegen emittierten kurzfristigen Schuldverschreibungen (sog. Commercial Papers oder CP’s) oder bei Marktverwerfungen, wenn keine neuen CP’s platziert werden können, zur Rückzahlung fälliger CP’s beziehungsweise für den Ankauf weiterer Forderungen bestimmt sind. Bei einer Insolvenz des Forderungsverkäufers und Beendigung einer Transaktion wird durch die Ziehung der Liquiditätslinien regelmäßig sichergestellt, dass die Investoren der vom SPV begebenen Schuldverschreibungen (CP’s oder Asset Backed Securities) am Fälligkeitstag sofort durch die Liquidität bezahlt werden können und somit das Risiko eines gestörten Forderungseinzuges oder einer langwierigen Verwertung der Sicherheiten nicht zu Lasten der Investoren in kurzfristige Asset Backed Securities geht (zu den regulatorischen Anforderungen an Liquiditätslinien bei Bankverbriefungen s. Rz. 381).
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Neben diesen Liquiditätshilfen, die jedoch nicht zur Absicherung von Kreditausfallrisiken vorgesehen sein dürfen, können weitere Elemente der Kreditsicherung (Credit Enhancement) in eine Struktur einbezogen werden4. Hierzu kommen, vor allem bei der Verbriefung von Forderungen aus Lieferung und Leistung, Warenkreditversiche-
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dem 1.5.2015 gelten (z.B. mind. A-Rating von mind. zwei anerkannten Rating Agenturen, nur Kredit- und Leasingforderungen). Vgl. Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 214, Bette, Factoring, S. 146. Baums, WM 1993, 1, 4. Gabler, Bank-Lexikon, S. 80. Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung Kapitel 11 Rz. 49; Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 (98); Häuselmann, DStR 1998, 826; Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 232.
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Teil H Rz. 344
Finanzierung
rungen zur Besicherung des Ausfallrisikos bestimmter Debitorenklassen oder Forderungslimiten in Betracht. Zudem wird häufig im Anfangsstadium einer Transaktion ein Teil des Ausfallrisikos bis zur Auffüllung der zur Absicherung von Ausfallrisiken vorgesehenen, aus den Forderungsabschlägen aufzubauenden Cash Reserve durch Stellung einer Letter of Credit-Fazilität oder vergleichbarer Sicherungsinstrumente aufgefangen. 344
Zur Reduzierung von Währungs- und Zinsänderungsrisiken fordern die Rating-Agenturen bei ABS-Transaktionen regelmäßig, dass die Zweckgesellschaft alle Währungs- und Zinsänderungsrisiken im Zusammenhang mit den angekauften Forderungen und der Refinanzierung der Zweckgesellschaft absichert, damit diese sich nicht nachteilig auf das Risiko der Investoren und damit das Rating der von der Zweckgesellschaft begebenen Securities auswirken können. Die Absicherung erfolgt wiederum im Regelfall über Banken oder Versicherungen („Hedge Counterparties“) durch den Abschluss von sog. Währungs- und Zinsswap-Verträgen. Im Einzelfall kann auf die sofortige Absicherung verzichtet werden, wenn die Zweckgesellschaft sich im Gegenzug dazu verpflichtet, derartige Absicherungsgeschäfte sofort vorzunehmen, wenn bestimmte Bedingungen („Covenants“ oder „Trigger Events“) eingetreten sind. Das können z.B. bestimmte Änderungen des Wechselkurses zwischen den abzusichernden Währungen sein. Gleichzeitig ist über entsprechende Maßnahmen (z.B. die Einrichtung von Bardepots (sog. „Cash Deposits“)) dafür Sorge zu tragen, dass die Zweckgesellschaft ausreichend Geld hat, um die dann abzuschließenden Absicherungsgeschäfte tatsächlich abschließen oder erwerben zu können. Auch sollte sich eine Bank von Anfang an bereits verpflichtet haben, die Absicherungsgeschäfte mit der Zweckgesellschaft bei Bedarf auch abzuschließen. Da das Rating einer Bank oder Versicherung unmittelbar Auswirkung auf deren Einsetzbarkeit als Liquiditätsgeber, Ausfallrisikoversicherer oder Hedge Counterparty innerhalb einer typisch gestalteten ABS-Transaktion hat, muss das Rating der beteiligten Banken und Versicherungen mindestens dem Rating der Transaktion entsprechen1. Daher können Änderungen im Rating einer Bank oder Versicherung zu einer Herabstufung des Ratings der Transaktion („Down Rating“ oder „Down Grading“) und damit der darunter begebenen gerateten ABS-Anleihen („Securities“) führen. Dies gilt auch, wenn es sich bei den durch eine Bank übernommen Funktionen um Kontoführung oder Sicherheitenverwaltung handelt. Um das Risiko eines Down Ratings zu vermeiden, sehen ABS-Transaktion regelmäßig Vereinbarungen vor, die den Austausch der Vertragsparteien (Replacement) innerhalb einer gewissen Frist vorsehen, wenn diese nicht mehr über das für die Verbriefungstransaktion und damit das für die am besten geratete ausstehende ABS-Anleihe erforderliche Rating verfügt. Gelingt das nicht hat, die Partei, die nicht mehr das erforderliche Rating hat, regelmäßig Sicherheiten zu bestellen, um ein Down Rating der ABS-Transaktion zu vermeiden. Weil bei dem für eine ABS-Transaktion unabdingbaren True Sale der Originator nicht für die Einbringlichkeit der Forderungen haften darf, kann die Stellung von Bonitätshilfen grundsätzlich nicht oder nur begrenzt (z.B. über Forderungsabschläge) durch den Forderungsverkäufer erfolgen. Deshalb müssen darüber hinaus für das Raiting notwendige Bonitätsshilfen durch Dritte (z.B. Banken oder Versicherungen über Garan1 Die für die Dienstleister des SPV erforderlichen Ratings werden von den Rating Agenturen vorgegeben und hängen vom Rating der am besten gerateten ausstehenden ABS-Anleihe ab; die Rating Agenturen haben sich mit ihren Anforderungen den schlechteren Ratings der europäischen Banken und Versicherungen angepasst und geben sich selbst für AAA-ABS-Anleihen mit ShortTerm Ratings von „A-1“ oder „P-1“ bzw. Long-Term Ratings von „A“ oder „A2“ der Dienstleister des SPV (insbesondere der die Konten führenden Banken und der Hedge-Counterparties) zufrieden, vgl. Offering Circular der Private Driver 2014-4 Verbriefungstransaktion des VW-Konzerns; abrufbar unter www.true-sale-international.de.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 346 Teil H
tien, Letter of Credits, Kreditversicherungen, Währungs-und Zinsswaps sowie Liquiditätskreditlinien) oder durch strukturelle Maßnahmen (z.B. Wasserfall, aufzubauende Cash Deposits) erfolgen1. 345
Beispiel für True Sale Struktur:
aa) Internationales Privatrecht Für die Struktur einer ABS-Transaktion ist die wirksame zivilrechtliche Übertragung der Forderungen wesentliche Voraussetzung. Diese erlangt besondere Bedeutung, wenn die Forderungen im Ausland belegen sind, da das Verhältnis zwischen Erwerber der Forderung und dem Debitor regelmäßig von dem jeweiligen lokalen Recht des Debitors bestimmt wird; zu den rechtlichen Besonderheiten der Abtretung s. oben Abschnitte Forfaitierung Rz. 51 f. und Factoring Rz. 75, 91 ff.2.
1 Vgl. Fahrholz, Neuen Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 232; zum Problem der Bestellung einer Ausfallgarantie durch den Seller s. Rz. 390. 2 Vgl. für Deutschland und Österreich Art. 14 Rom I-VO (Anwendbares Recht auf Forderungsübertragung); für die Schweiz gilt das schw. IPRG; danach untersteht die Abtretung einer Forderung durch Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht oder, wenn eine Rechtswahl fehlt, dem auf die Forderung anwendbaren Recht (Art. 145 Abs. 1 Satz 1 schwIPRG); auch in der Schweiz gilt der Grundsatz, dass durch die Abtretung ohne Zustimmung des Schuldners sich dessen Rechtsstellung nicht verschlechtern darf. Deshalb bedarf die Rechtswahl der Zustimmung des Schuldners (vgl. Art. 145 Abs. 1 Satz 2 schwIPRG); die der Abtretbarkeit unterliegt dem Forderungsstatut, während sich die Abtretung selbst nach dem auf die Abtretung anwendbaren Recht richten soll (Art. 145 Abs. 3 schwIPRG).
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346
Teil H Rz. 347
Finanzierung
Da alle Verträge der Zweckgesellschaft eine Rechtswahlvereinbarung enthalten (das gilt auch für die Securities), gilt für die von dem SPV abgeschlossenen Verträge grundsätzlich das nach der Rechtswahlvereinbarung gewählte Recht1. bb) Rechtliche Besonderheiten (1) Dokumentation 347
Kernstück einer True Sale ABS-Struktur ist der Rahmenvertrag über den Ankauf von Forderungen. Bei der Verbriefung von kurzfristigen Forderungen (z.B. Handelsforderungen) erfolgt die Verbriefung meist revolvierend, d.h. getilgte Forderungen werden laufend durch den Verkauf von neuen Forderungen ersetzt. Die Einzelheiten des Ankaufmechanismus werden in einem Rahmenvertrag über den Ankauf von Forderungen geregelt. Darin wird zwischen dem SPV und dem Originator vereinbart, dass der Originator innerhalb der Bandbreite eines minimalen und eines maximalen Ankaufbetrages verpflichtet ist, Forderungen, die den vertraglich festgelegten Auswahlkriterien entsprechen, dem SPV zum Kauf anzudienen. Das SPV ist verpflichtet, diese Forderungen anzukaufen, wobei die Ankaufverpflichtung strukturabhängig unter den Vorbehalt der Möglichkeit der eigenen Refinanzierung des SPV gestellt wird. Die für den Ankauf vorgesehenen Forderungen müssen dabei durch den Rahmenvertrag zum Zweck der Bestimmbarkeit hinreichend genau erfasst sein. Darüber hinaus enthält der Rahmenvertrag Regelungen zur technischen Abwicklung des bei kurz- und mittelfristigen Forderungen zumeist revolvierenden Ankaufs.
348
In der Praxis der Vertragsgestaltung haben sich als rechtliche Besonderheit bei den Rahmenverträgen sowie den übrigen umfangreichen Transaktionsdokumenten einige typische Klauseln als Standard entwickelt. Insbesondere die sog. Non-Petition, No Liability und Limited Recourse Klauseln sind hier zu nennen. Darunter sind vertragliche Haftungsbeschränkungen zu verstehen, die als Konsequenz der insolvenzfernen Struktur von ABS-Transaktionen entstanden sind. Inhaltlich umfassen sie zumeist einen Klageverzicht gegen das SPV und die Direktoren des SPV sowie einen Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit und einen Ausschluss von Einwendungen und Aufrechnungen gegen Ansprüche des SPV. Die Beeinträchtigungen der Investoren und der sonstigen Vertragspartner des SPV sind dabei befristet beziehungsweise an die Bezahlung der letzten ausstehenden Securities einer Transaktion geknüpft.
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Fraglich ist, ob derartige Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) inhaltlichen Beschränkungen unterliegen. Nach § 305 Abs. 1 dtBGB sind AGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Partei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt2. Da für Verbriefungen typische Klauseln sowohl innerhalb einer ABS-Transaktion mit einer Vielzahl von Vertragsparteien als auch seriell in verschiedenen Transaktionen verwendet werden, muss von einer Anwendbarkeit der Regeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. dtBGB ausgegangen werden. Das gilt immer dann, wenn deutsches Recht anwendbar ist oder ein deutscher Gerichtsstand besteht, das SPV also in Deutschland verklagt werden kann, oder das zur Entscheidung angerufene Gericht aufgrund des Bezuges zu Deutschland deutsches Recht anwendet. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass 1 Vgl. für Deutschland und Österreich Art. 3 Rom I-VO (Grundsatz der freien Rechtswahl); zu den Grenzen Art. 6 (Verbraucherverträge), Art. 9 (Beachtung von Eingriffsnormen, d.h. zwingenden Vorschriften des ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts, des Rechts der lex fori und des Rechts des Erfüllungsortes), Art. 11 (Form) und Art. 21 Rom I-VO (öffentliche Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts). Darüber hinaus regelt Art. 23 Rom I-VO das Verhältnis des gewählten Rechts zu Gemeinschaftsakten und Art. 25 Rom I-VO das Verhältnis zu bestehenden internationalen Abkommen, denen bei Drittstaatenbezug der Vorrang eingeräumt wird. 2 Dazu Palandt/Grüneberg, BGB, § 305 Rz. 9.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 351 Teil H
nach § 310 Abs. 1 dtBGB die Klauselverbote der §§ 308 (mit Ausnahme des Klauselverbotes nach § 308 Nr. 1a dtBGB) und § 309dt BGB dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn es sich bei der anderen Vertragspartei um einen Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt. Erst wenn ein solcher Vertragspartner hierdurch entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt würde, könnte nach § 307 Abs. 1 dtBGB eine derartige Vertragsbedingung unwirksam sein. Eine unangemessene Benachteiligung ist gem. § 307 Abs. 2 dtBGB im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Nach § 310 Abs. 1 Satz 2 dtBGB ist bei der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die Gewohnheiten und Gebräuche des Handelsverkehrs angemessen Rücksicht zu nehmen. Damit ist ein Ausschluss von Einwendungen und Aufrechnungen gegenüber dem SPV und als dessen Konsequenz eines Klageverzichts nicht unwirksam, solange dies nicht zu einer „unangemessenen Benachteiligung“ für den Vertragspartner führen würde. Bei der Prüfung, ob eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners vorliegt1, muss das Prinzip der „Waffengleichheit“ zwischen den Vertragsparteien beachtet werden. Bei einer ABS-Transaktion stehen auf Seiten des Originators zumeist größere Unternehmen oder internationale Konzerne, die über erhebliche Ressourcen hinsichtlich Kapital, Personal und Infrastruktur verfügen. Werden die von der Zweckgesellschaft begebenen Securites von Privatpersonen erworben, so ist zu beachten, dass die Klauseln letztlich zum Schutz aller Investoren vereinbart werden und einen angemessenen Chancen- und Risikoausgleich zwischen den verschiedenen Investorengruppen sicherstellen sollen.
350
Demgegenüber steht eine Einzweckgesellschaft, die im Prinzip kein anderes Vermögen als die angekauften Forderungen besitzt und weder personell noch infrastrukturell über vergleichbare Mittel wie ein großes Unternehmen verfügt. Daher müssen vertragliche Regelungen, die eine Einschränkung der Rechte des Originators bezwecken, bei der Beurteilung ihrer Angemessenheit diesem Unterschied der Vertragsparteien Rechnung tragen. Zudem sind solche Klauseln in allen ABS-Transaktionen üblich und wesentliche Voraussetzung für das erforderliche Rating der Transaktion, ohne das eine Platzierung der begebenen Wertpapiere nicht möglich ist. Darüber hinaus sind die an einer ABS-Transaktion teilnehmenden Vertragspartner Marktteilnehmer, denen die Klauseln und deren Zweck bekannt sind. Eine unangemessene Benachteiligung lässt sich auch nicht darin sehen, dass den Gläubigern innerhalb einer Verbriefungsstruktur (z.B. Liquiditätsbanken, Warenkreditversicherungen) der direkte Zugriff auf die Sicherheiten durch eine Limited-Recourse Vereinbarung beschränkt wird. Bei diesen Gläubigern handelt es sich um Vertragsparteien, welche die Risiken einer ABS-Transaktion identifizieren und bewerten können. Daher reicht es aus, wenn zunächst bei objektiver Betrachtung die vorhandenen Sicherheiten zu deren Befriedigung ausreichen. Das Risiko eines späteren Wertverfalles dieser Sicherheiten ist für einen solchen Vertragspartner berechenbar und daher keine im Vertrag von Anfang an angelegte unangemessene Benachteiligung. Eine Non-Petition Vereinbarung ist, insbesondere wenn sie angemessen zeitlich begrenzt ist, nicht als einseitige und treuwidrige Benachteiligung, sondern gerade im Interesse aller Gläubiger als strukturelle Notwendigkeit und generelle Voraussetzung für die Insolvenzferne von Verbriefungstransaktionen anzusehen. 1 Zum Prüfungsschema vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 310 Rz. 2 ff.; § 307 Rz. 10 ff.
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Wagenknecht 935
351
Teil H Rz. 352
Finanzierung
352
Nach § 308 Nr. 1a dtBGB sind Bestimmungen, durch die sich der Verwender in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine unangemessen lange Zeit für die Erfüllung einer Entgeltforderung vorbehält, unwirksam, wobei das Gesetz bereits Fristen von mehr als 30 Tagen im Zweifel für unangemessen hält1. Entgeltforderungen sind nicht nur die Vergütungen für die Dienstleister, die für die Zweckgesellschaft tätig sind (z.B. Sicherheitentreuhänder, Wirtschaftsprüfer, Anwälte, Inkassounterhnehmen und Kreditinstitute), sondern auch die Zinszahlungen für die Verbindlichkeiten als Entgelt für die Kapitalüberlassung2. Damit stellt sich die Frage, ob „Non-Petition“- und „Limited Recourse“-Vereinbarungen, aber auch der sog. Wasserfall, der Zinsen von nachrangigen Anleihen einer nachrangigen Befriedigung zuordnet, gegen § 308 Nr. 1a dtBGB verstoßen und unwirksam sind. Da diese Klauseln im Interesse aller Gläubiger vereinbart werden und die Vertragsdokumentation bei ABS-Transaktionen immer eine zügige Bedienung fälliger Forderungen nach Maßgabe des Wasserfalles vorsieht, kann darin keine unangemessen lange Zahlungsfrist gesehen werden, die gegen § 308 Nr. 1a dtBGB verstößt. Vielmehr wird durch derartige Klauseln gerade sichergestellt, dass alle Gläubiger das bekommen, was diesen zusteht. Die Regelung des § 308 Nr. 1a dtBGB ist im Zusammenhang mit § 271a Abs. 1 dtBGB zu sehen. Danach müssen Vereinbarungen, die vorsehen, dass eine Entgeltforderung erst mehr als 60 Tage nach Empfang der Gegenleistung gezahlt werden muss, ausdrücklich vereinbart werden und dürfen darüber hinaus nicht grob unbillig sein. Da die Klauseln dem Schutz aller Gläubiger und der Sicherstellung der von allen Gläubigern gewünschten Befriedigung gemäß dem vereinbarten Wasserfall und daher dem gemeinsamen vertragsgemäßen Interessenausgleich aller Gläubiger dient, ohne eine Insolvenz der Zweckgesellschaft befürchten zu müssen, können darin keine grob unbillige Vereinbarungen gesehen werden, die einer Wirksamkeit der Klauseln entgegenstehen3.
353
Neben den genannten Haftungsausschlüssen werden in nahezu allen Rahmenverträgen umfangreiche Gewährleistungspflichten des Originators aufgenommen. Diese betreffen vor allem die Einhaltung von Finanzkennzahlen und der für den Forderungsankauf aufgestellten Auswahlkriterien (Eligibilitätskriterien) sowie die Aufrechterhaltung eines sorgfältigen Forderungseinzuges. Darüber hinaus hat der Verkäufer die Haftung für die Verität der Forderungen zu übernehmen. Der Originator gewährleistet dabei, dass die verkauften Forderungen bis zu Ihrer vollständigen Abwicklung in voller Höhe bestehen und frei von Einwendungen oder Aufrechnungen sind. Damit ist auch die Frage obsolet, wie weit beim Rechtskauf die gesetzliche Veritätshaftung geht und ob sich diese nur auf den Zeitpunkt der Übertragung der Forderung oder deren gesamte Laufzeit erstreckt4.
354
Bei der Dokumentation und damit der Vertragsgestaltung sollte darauf geachtet werden, dass künftige Änderungen, wie z.B. das Entstehen von negativen Zinsen, wie dies in der aktuellen Niedrigzinsphase der Fall ist5, oder Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für Verbraucherdarlehen und hier speziell den Verbraucherimmobiliendarlehen6, später berücksichtigt werden können, da sich dadurch die rechtliche und wirtschaftliche Grundlage für die Verbriefungstransaktion wesentlich ändern können. So ist es nach deutschem Recht wohl nicht möglich, negative Zinsen rechtlich wirksam zu vereinbaren. Zins wird in der Rechtsprechung und Lehre als Ver1 Dazu Palandt/Grüneberg, BGB, § 305 Rz. 11. 2 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 271a Rz. 2, § 286 Rz. 27. 3 Zum Beurteilungsmaßstab nach den Kriterien der §§ 138, 307 ff. dtBGB s. Palandt/Grüneberg, BGB, § 271a Rz. 4. 4 Dazu Palandt/Weidenkaff, BGB, § 453 Rz. 17 ff., 29. 5 Wadewitz/Langen, Negative Zinsen beeinflussen den Kapitalmarkt, Börsenzeitung v. 8.8.2014, Seite 9. 6 Dazu Schalast/Walter, Finanzkrise an der Wurzel gepackt: Die Wohnimmobilienkreditrichtline und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, Betriebs-Berater v. 27.4.2014, S. 1.
936 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 355 Teil H
gütung für die Kapialüberlassung definiert1. Negative Zinsen stellen wirtschaftlich keine „Kapitalüberlassung zur Nutzung gegen Entgelt“ sondern „eine Kapitalüberlassung zur Aufbewahrung gegen Entgelt“ dar und kommen damit eher einem Verwahrvertrag gleich. Einen Verwahrvertrag haben die Parteien jedoch ausdrücklich nicht gewollt, so dass im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 dtBGB) wohl allenfalls ein Zinssatz von „0“ angenommen werden kann, nicht aber eine Umqualifizierung in einen Verwahrvertrag mit negativem Zins (§§ 688, 689 dtBGB). Eine weitere Frage ist, ob die Marge des Keditgebers oder Anleihegläubigers bei der Zinsberechnung gekürzt werden darf, wenn der Referenzzins negativ ist, bis der zu zahlende Zins „0“ ist. Da die Vertragsparteien dies bei alten Verträgen nicht bedacht haben, dürfte eine ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 dtBGB) wohl zu dem Ergebnis kommen, dass negative Zinsen nicht gewollt waren und der Kreditgeber oder Anleihegläubiger zumindest die vereinbarte Marge erhalten soll2. Etwas anders gilt für neu abgeschlossene Verträge während der Niedrigzinsphase, nachdem bereits die Entwicklung hin zu Negativzinsen absehbar war; hier kann der Kreditgeber oder Anleihegläubiger auch die Marge verlieren. Sofern negative Zinsen sicher möglich sein sollen, muss für die Finanzierungsverträge eine Rechtsordung gewählt werden (Art. 3 Rom I-VO), die dies zulässt. Da nicht davon auszugehen ist, dass die durch eine solche Rechtwahl zulässigen negativen Zinsen gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts i.S.v. Art. 21 Rom I-VO (ordre public) verstoßen, weil bei Verwahrverträgen ja wirtschaftlich auch „negative Zinsen“ durch entsprechende Verwahrkosten verlangt werden könnten, müsste eine derartige Rechtswahl in Deutschland anerkannt werden. Darüber hinaus stellen sich aufgrund sich ändender Informationsanforderungen der Investoren verstärkt strukturelle Anforderungen an den Inhalt der Dokumentation beterffend der mit dem Forderungsverkäufer zu vereinbarenden Informationspflichten, da das SPV den Investoren nur die Informationen geben kann, die das SPV vom Forderungsverkäufer vertragsmäßig verlangen kann und dann auch tatsächlich erhält. Das gilt sowohl für die aus regulatorischer Sicht bestehenden Informationsanforderungen als auch für die Informationsanforderungen der EZB, damit diese ABS-Anleihen beleiht oder selbst ankauft3. Weitere Themen sind gesteigerte Anforderungen des Börsenlistings und an den Vertrieb der ABS-Anleihen, was die Information und Aufklärung der Investoren angeht4. Dazu gehört u.a., dass das verbriefte Portfolio des SPV nur aus Forderungen bestehen darf, die von der EZB ausdrücklich zugelassen wurden, dass die verbrieften Forderungen nicht aus anderen Verbriefungen stammen dürfen, dass die verbrieften Forderungen dem Recht eines Staates der Europäischen Union unterliegen müssen und dass das SPV seinen Sitz in einem EWR-Staat haben muss. Hinzu kommen in der Dokumentation einzuräumende Prüfrechte der EZB5. Da die immer weiter steigenden strukturellen Anforderungen Verbriefungen immer komplexer und die Dokumentation immer aufwendiger machten, steht dies im klaren Gegensatz zu der von der 1 Palandt/Grüneberg, BGB, § 246 Rz. 2; ähnlich das östereichische Recht dazu Griss in ABBGBKurzkommentar, § 1000 Rz. 2; zum ähnlichen schweizerischen Rechts. Schwaibold in OR Obligationenrecht, Art. 313 Rz. 6, wobei das Schweizer Recht regelt, dass im gewöhnlichen Verkehr Darlehen, bei denen keine Zinsvereinbarung getroffen wurden, zinslos sind. 2 So auch Wadewitz/Langen, Negative Zinsen beeinflussen den Kapitalmarkt, Börsenzeitung v. 8.9.2014, S. 9. 3 Vgl. Art. 72 ff. der Guideline (EU) of the European Central Bank of 19 December 2014 on the implementation of the Eurosystem monetary policy framework (ECB/2014/60)in der aktuellen Version, wo die eligibility criteria for asset-backed securities festgelegt sind: sowie die Ausführungen dazu im Block der TSI unter www.true-sale-international.de. 4 Vgl. Artikel Kapitalmarktunion gewinnt Konturen, Börsen-Zeitung Nr. 19 2015 Seite 3. 5 S. Art. 76 und 79 der Guideline (EU) 2015/510 of the European Central Bank of 19 December 2014 on the implementation of the Eurosystem monetary policy framework und Guideline (ECB/2014/60 v. 20 February 2015.
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Wagenknecht 937
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Teil H Rz. 356
Finanzierung
Aufsicht geforderten „einfachen“ Verbriefungsstrukturen. Gleichzeitig steigen die Strukturierungskosten und die späteren Überwachungskosten. Das aber lässt Verbriefungstransaktionen gerade vor dem Hintergrund des heutigen Niedrigzinsumfeldes für mittelständische Unternehmen nicht nur als sehr kompliziert, sondern auch als wirschaftlich nicht besonders attraktiv erscheinen. Gespannt werden die finale Umsetzung der Vorschläge aus Brüssel zu den geplanten Änderungen der BörsenprospektRichtlinie und den geplanten europäischen Rechtsrahmen für Verbriefungen sowie die aufsichtsrechtlichen Vorgaben für STR-Verbriefungen (Simple, Transparent and Standart) erwartet1. Es darf aber bereits heute bezweifelt werden, ob dadurch das erklärte Ziel erreicht werden kann, den Markt für sichere, simple und hochwertige Verbriefungen zu beleben. Gleichwohl wäre das ein lohnendes Ziel. (2) Datenschutz und Bankgeheimnis, Abtretungsverbot und anderes 356
Verbriefungstransaktionen müssen den Anforderungen des Datenschutzes genügen, da ansonsten die Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Forderungsabtretungen drohen kann2. Insbesondere ist die Erhebung und Weitergabe von personenbezogenen Daten gesetzlich limitiert3. Die Erhebung von personenbezogenen Daten ist grundsätzlich nur mit der Zustimmung des Betroffenen zulässig4. Soweit jedoch dem Schutzinteresse des Betroffenen überwiegende, berechtigte Interessen der verantwortlichen Stelle gegenüberstehen, kann eine Nutzung personenbezogener Daten zu geschäftlichen Zwecken auch ohne Zustimmung und Benachrichtigung des Betroffenen erfolgen5. Das gilt auch für die Forderungsabtretung, da die vom Gesetzgeber gewollte freie Übertragbarkeit von Forderungen (§ 398 dtBGB) mit der Verpflichtung des Abtretenden, dem neuen Gläubiger alle zur Geltendmachung der abgetretenen Forderderungen nötigen Auskünfte zu geben (§ 402 dtBGB), sonst nicht möglich wäre, wenn die Abtretung nach § 134 dtBGB aufgrund der Informationsweitergabe wegen Verstoß gegen die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) nichtig wäre6. Verstöße gegen das BDSG können als Ordnungswidrigkeit (§ 43 dtBDSG) oder sogar in bestimmten Fällen als Straftat (§ 44 dtBDSG) verfolgt werden.
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Zur Einhaltung der Anforderugnen des Datenschutzes ist es bei ABS-Transaktionen Standard, die geschützten Daten von Debitoren im Wege einer Datentreuhänderlösung weiterzugeben7. Dabei werden die vollständigen Forderungs- und Debitorendaten an einen Datentreuhänder weitergeleitet. Das SPV erhält Daten über die zum Ankauf vorgesehenen Forderungen und Debitoren ausschließlich in anonymisierter Form und verzichtet vollständig auf eine Übermittlung von debitorenbezogenen Daten direkt an sich. Eine Zuordnung der Forderungen zu den jeweiligen Debitoren ist nur mit Hilfe des die vollständigen beziehungsweise komplementären Daten bereithaltenden Datentreuhänders möglich. Dieser darf die Daten wiederum nur in den vertraglich festgelegten Fällen, z.B. bei einer Insolvenz des Forderungsverkäufers oder Verzug/Ausfall des Debitors an einen Ersatzservicer (Inkassounternehmen oder Kreditinstitut) weiter1 Am 30.11.2015 hat der Europäische Rat seine Stellungnahme für eine STS-Verbriefungsregulierung sowie die entsprechenden CRR-Änderungen veröffentlicht – 2015/0226 (COD) – und für CRR-Änderungen 2015/0225 (COD). 2 Vgl. John Deacon, Global Securitisation and CDO’s, S. 377 (zu Schweiz); Bär, Asset Securitisation, 3. Aufl. 2000, S. 344 f.; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 96 ff. 3 Vgl. §§ 14 ff. dtBDSG. 4 Vgl. §§ 4 Abs. 1, 4a dtBDSG. 5 Vgl. §§ 28 Abs. 1 Nr. 2, 33Abs. 2 Nr. 2 dtBDSG. 6 BGH, WM 2007, 643 (646); BerfG WM 2007, 1694; Weller/Kronat, Kapitel 11 Rz. 99; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 134 Rz. 16; Nobbe, ZIP 2008, 97; Hopt in Baumbach/Duden, Handelsgesetzbuch, Bankgesch. Rz. A/9. 7 Vgl. Bär, Asset Securitisation, S. 346.
938 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 360 Teil H
geben. Die Interessen des Forderungsinhabers an einer Erfüllung der Forderung und damit dem Erhalt der Debitorendaten als Voraussetzung für den Forderungseinzug überwiegen dabei ein etwaiges Schutzinteresse des Debitors. Derartige Datentreuhänderlösungen sind von der Bankenaufsicht anerkannt1. Im Zusammenhang mit der Weitergabe von debitorenbezogenen Daten ist bei der Verbriefung von Bankforderungen nunmehr geklärt, dass sich aus dem Bankgeheimnis allein kein Abtretungsverbot ergibt2 und ein Verstoß dagegen weder als Geheimnisbruch nach § 203 Abs. 2 Satz 1 dtStGB strafbar ist3 noch einen Verstoß gegn § 32 dtKWG darstellt4. Die Einhaltung des Bankgeheimnisses und damit die Verpflichtung der Bank zum Schutz der Vertraulichkeit der Kundendaten ist zwar eine Nebenpflicht aus der Geschäftsbeziehung zwischen Bank und Kunde, welche die Bank im Fall der Verletzung nach § 280 dtBGB schadensersatzpflichtig machen kann. Aus der Verpflichtung zur Einhaltung des Bankgeheimnis allein kann jedoch angesichts der Interessen der Kreditinstitute an der Möglichkeit, ihre Forderungen zu Refinanzierungszwecken verkaufen oder als Sicherheiten einsetzen zu können, kein vereinbartes Abtretungsverbot abgeleitet werden. Das gilt auch, wenn sich die Pflicht zur Vertraulichkeit aus vertraglichen Abreden (z.B. durch AGB) ergibt5. Ein Abtretungsverbot ist vielmehr ausdrücklich zu vereinbaren, da es nicht dem Interesse des Gläubigers entspricht. Nur dann steht es einer Abtretung nach § 399 dtBGB und einer Datenweitergabe entgegen, da die Annahme eines konkludent vereinbarten Abtretungsverbotes regelmäßig aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage der Beteiligten ausscheidet6. Die sich aus dem Bankgeheimnis gegenüber dem Kreditnehmer ergebende Verpflichtung der verbriefenden Bank zur Vertraulichkeit wird dadurch sichergestellt, dass Verbriefungen in der Regel unter Nutzung der von der Bankenaufsicht anerkannten Datentreuhänderstrukturen erfolgen. Damit ist eine Verletzung des Bankgeheimnisses nicht zu befürchten, weil mit der Weitergabe der Schuldnerdaten an den Datentreuhänder bankgeheimnisrelevante Informationen dem potentiellen Zugriff eines Geschäftsbesorgers (z.B. anderes Kreditinstitut, Sicherheitentreuhänder) des Forderungskäufers erst unterliegen, wenn die Forderung notleidend wird oder es das Interesse der Zweckgesellschaft an einem geordneten Forderungseinzug erfordert.
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Handelt es sich bei dem zugrunde liegenden Darlehensvertrag für beide Seiten um ein Handelsgeschäft, greift nach deutschem Recht zwar regelmäßig § 354a Abs. 1 dtHGB ein, der einen Abtretungsausschluss unwirksam werden lässt7. Das gilt jedoch nicht für Abtretungsverbote, die im Zusammenhang mit Darlehensverträgen vereinbart wurden, deren Gläubiger ein Kreditinstitut ist (§ 354a Abs. 2 dtHGB). Vereinbart also ein Kreditnehmer mit seiner Bank ausdrücklich einen Abtretungsausschluss oder ein Zustimmungserfordernis des Kreditnehmers, dann kann die davon betroffene Forderung ohne Zustimmung des Kreditnehmers auch dann nicht wirksam abgetreten werden, wenn der Darlehensnehmer ein Unternehmen oder Kaufmann ist (§§ 399 dtBGB, 354a Abs. 2 dtHGB).
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Bei einer Obliegenheitsverletzung des Kreditnehmers zum Zeitpunkt der Abtretung ist anerkannt, dass zur Restrukturierung beziehungsweise Abwicklung des Engagements
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1 Vgl. BAFin Rundschreiben 4/97. 2 BGH WM 2007, 643; BVerfG WM 2007, 1694; Tollmann in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 22d KWG Rz. 26; Palandt/Grüneberg, BGB, § 399 Rz. 8; Nobbe, WM 2005, 1537 (1545); a.A. OLG Frankfurt, WM 2004, 1386. 3 BGH, NJW 2010, 361; Hopt in Handelsgesetzbuch, Bankgesch., Rz. A/9. 4 BGH, WM 2011, 1168; Hopt, Bankgesch. Rz A/9 und A75. 5 Vgl. Hopt, BankGesch A/9. 6 BGH WM 2007, 643; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 96 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, § 399 Rz. 8. 7 Vgl. Hopt, § 354a Rz. 4.
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Wagenknecht 939
Teil H Rz. 361
Finanzierung
dem Bankgeheimnis unterfallende Daten weitergegeben werden können1. Fraglich ist, ob ausdrücklich vereinbarte Abtretungsverbote zwischen Bank und Kreditnehmer aufgrund der Interessenlage auch dahingehend ausgelegt werden können, dass diese nur solange gelten sollen, solange der Kreditnehmer seine Verpflichtungen gegenüber der Bank erfüllt. Aufgrund der absoluten Wirkung von Abtretungsverboten dürfte eine dahingehende Auslegung jedoch kaum möglich sein2. Die bei ABS-Transaktionen entwickelten und von der Bankenaufsicht anerkannten Datentreuhänderlösungen zeigen, dass dem im Zusammenhang mit einer wirksamen Abtretung zu beachtenden Bestimmbarkeitsgebot3 auch durch die Bezeichnung der Forderung über anonyme, gleichwohl aber eindeutige Daten genügt werden kann, wenn über den Datentreuhänder eine eindeutige Identifikation der abgetretenen Forderungen jederzeit möglich ist4. 361
Die unberechtigte Weiterleitung von Informationen, die dem Bankgeheimnis unterliegen, kann im Einzelfall eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Bankkunden darstellen und kann unter Umständen Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 dtBGB begründen, wenn die berechtigten Datenschutzinteressen des Kreditnehmers nicht ausreichend beachtet werden5. Auch aus diesem Grund bietet es sich an, bei ABSTransaktionen die Datentreuhänderlösung vorzusehen. Trotz der Abtretbarkeit ist zu prüfen, ob besondere gesetzliche Schutzvorschriften zugunsten der Schuldner bestehen, die von der Zweckgesellschaft zu beachten sind6. Dazu gehört z.B., dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kein Vertragspartnerwechsel wirksam vereinbart werden kann (§ 309 Nr. 10 dtBGB). Erfüllt der Forderungsverkäufer die Informationspflichten nach § 493 dtBGB nicht, müssen diese vom Forderungskäufer und damit dem SPV erfüllt werden (§ 493 Abs. 3 dtBGB). Im Fall der Abtretung von Ansprüchen aus Darlehensverträgen ist der Darlehensnehmer darüber unverzüglich zu unterrichten, wenn der alte Gläubiger mit dem Forderungskäufer nicht vereinbart hat, dass er weiter allein gegenüber dem Schuldner auftritt, also z.B. die Forderungen weiter einzieht (§ 496 Abs. 3 dtBGB). Verletzungen dieser Pflichten machen die Abtretung zwar nicht unwirksam, können aber zu Schadensersatzansprüchen des Kreditnehmers führen (§ 280 Abs. 1 dtBGB).
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Bei grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen ist der Sicherungsgeber gegen eine unberechtigte Inanspruchnahme des Forderungserwerbers dadurch geschützt, dass er diesem nicht nur bei einer Hypothek (§ 1157 dtBGB), sondern auch bei einer Grundschuld alle Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann, die er gegenüber dem die Forderung verkaufenden Gläubiger ohne den Verkauf hätte geltend machen können (§ 1192 Abs. 2 dtBGB). Der Forderungserwerber kann daher die Grundschuld nicht gutgläubig erwerben7. Das bedeutet bei der Verbriefung von Immobiliendarlehen, dass vor dem Forderungsankauf sicherzustellen ist, dass die Grundschulden, die die angekauften Forderungen sichern sollen, diese auch tatsächlich sichern und dass den Sicherungsgebern keine Einreden oder Einwendungen im Fall einer Verwertung zustehen. 1 Vgl. OLG Celle, WM 2004, 1384; Jahn in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., Bd. I, § 114a Rz. 18 f. 2 Vgl. Rinze/Heda, Non-Performing Loan und Verbriefungs-Transaktionen: Bankgeheimnis, Datenschutz, 203 StGB und Abtretung, WM 2004, 1557 (1559). 3 BGH, NJW 2000, 276; BGH, NJW 2011, 2713; Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 14. 4 Vgl. BAFin Rundschreiben 4/97; Cahn, Bankgeheimnis und Forderungsverwertung, WM 2004, 2041 (2047). 5 Vgl. BGH, WM 2007, 644; Cahn, Bankgeheimnis und Forderungsverwertung, WM 2004, 2041 f.; Rinze/Heda, WM 2004, 1557; Hofmann/Walter, WM 2004, 1566 (1572); eine Schadensersatzverpflichtung scheidet dagegen bei der Abtretung notleidender Kreditforderungen regelmäßig aus, s. Hopt, Bankgesch. Rz. A/9; Nobbe, WM 2005, 1537 (1545); kritisch Vorwerk, NJW 2009, 1777. 6 Hopt, Bankgesch. Rz. G/5a. 7 Vgl. dazu Palandt/Bassenge, BGB, § 1192 Rz. 3.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 366 Teil H
Selbst wenn im Einzelfall einmal ein Abtretungsverbot mündlich oder konkludent vereinbart worden sein sollte, wären die davon betroffenen Forderungen trotz § 399 dtBGB abtretbar, wenn die Forderungen vor der Abtretung in ein Refinanzierungsregister (§§ 22a dtKWG) eingetragen wurden (§ 22d Abs. 4 dtKWG)1. Diese Erleichterung gilt jedoch nicht für schriftlich vereinbarte Abtretungsausschlüsse und die gesetzlichen Abtretungsverbote2. Abtretungen, die dagegen verstoßen, sind auch im Fall der Eintragung der davon betroffenen Forderungen im Refinanzierungsregister unwirksam (§§ 134, 399 BGB), soweit sich deren Wirksamkeit nicht aus § 354a Abs. 1 HGB ergibt.
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Im Zusammenhang mit Forderungsankäufen und deren Einzug stellt sich die Frage, wer die Forderungen rechtlich einziehen darf und welche Genehmigungen dazu erforderlich sind. In Deutschland stellt der Forderungseinzug für Dritte, d.h. die Erbringung von Inkassodienstleistungen, eine Rechtsdienstleistung dar, die grundsätzlich der Erlaubnis bedarf (§ 2 Abs. 2, § 10 Abs. 1 dtRDG)3. Das Gesetz stellt jedoch auch klar, dass abgetretene Forderungen für den bisherigen Gläubiger nicht als fremd gelten und daher von diesem für das SPV eingezogen werden können (§ 2 Abs. 2 Satz 2 RDG). Damit ist der Forderungseinzug durch den Forderungsverkäufer erlaubnisfrei auch nach dem Verkauf an das SPV weiter möglich. Ebenso sind Rechtsdienstleistungen erlaubt, wenn diese als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören (§ 5 Abs. 1 dtRDG). Da die SPV in Verbriefungstransaktionen grundsätzlich über keine eigenen Mitarbeiter verfügt, ist darauf zu achten, dass die mit dem Inkasso beauftragten Dienstleister in Deutschland über die für den Forderungseinzug nach dem deutschen Rechtsberatungsdienstleistungsgesetz (RDG) erforderliche Erlaubnis verfügen.
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(3) Regulatorische Aspekte Die erst mit Wirkung zum 31.12.2010 eingeführten Verbriefungsregelungen (s. §§ 1b, 18a und 18b dtKWG a.F.) wurden durch die als EU-Verordnung unmittelbar geltende Capital Requirements Regulation (CRR)4 sowie die durch das CRD-IV-Umsetzungsgesetz in das deutsches Recht umgesetzte EU-Richtlinie CRD IV (Capital Requirements Directive IV)5 mit Wirkung ab dem 1.1.2014 ersetzt (sog. Basel III-Regeln). Mit Inkrafttreten der CRR und der CRD IV wurde auch die bis zum 31.12.2014 geltende Solvabilitätsverordnung (SolvV) weitgehend abgelöst. Seit dem 1.1.2014 regelt die SolvV nur noch Verfahrensbestimmungen sowie einige durch die CRD IV vorgegebene in das deutsche Recht umzusetzende Vorgaben. Die ergänzenden technischen Regelungen, die teilweise auch Verbriefungsfragen betreffen, werden in rund 100 verbindliche technische Standards verlagert, die durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (European Banking Authority) teilweise immer noch erarbeitet und von der Europäischen Kommision im Rahmen von weiteren unmittelbar geltenden EU-Verordnungen noch erlassen werden müssen. Die Regelungen der CRR und die dazu erlassenen technischen Standartds sind als EU-Verordnungen EU-weit einheitlich und verbindlich.
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Auf das deutsche Bankaufsichtsrecht bezogen hatte dies zur Folge, dass das deutsche Kreditwesengesetz (dtKWG) in wesenlichen Regelungsbereichen durch das EU-Recht aufgehoben und entsprechend an das EU-Recht angepasst werden musste. So wurde das KWG um alle Regelungen bereinigt, die in der CRR enthalten sind, sowie um Verfahrens- und sonstige Regelungen ergänzt, die für die praktische Anwendung der CRR not-
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1 Dazu Brandt in KWG und CRR, Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 1, § 22 a–o KWG Rz. 12. 2 Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 12 Rz. 103. 3 OLG Nürnberg, WM 2015, 1674 (1676); Brink in FLF Heft 5/2015, 201, der sich in seinem Aufsatz ausführlich mit den rechtlichen Aspekten des Factorings und des Rechtsdienstleistungsgesetztes auseinandersetzt. 4 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013. 5 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013.
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Teil H Rz. 367
Finanzierung
wendig sind. Gleichzeitig wurden die Regelungen für die Umsetzung der CRD IV im KWG verankert. 367
Vor dem Hintergrund der Kapitalmarktkrise, die durch die Verbriefung von Immobilienkrediten in den USA nicht unwesentlich mit ausgelöst wurde, verwundert es nicht, dass die CRR eine Vielzahl von Regelungen enthält, die sich mit Verbriefungstransaktionen und den damit verbundenden Fragestellungen beschäftigt.
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Die CRR unterscheidet mit der Praxis zwischen der traditionellen Verbriefung (Art. 243 CRR) und der synthetischen Verbriefung (Art. 244 CRR). Begriffe im Zusammenhang mit Verbriefungen sind in der CRR definiert, was die Anwendung erleichtert und für ein einheitliches Verständnis sorgt (Art. 4 Abs. 1 Nr. 61 bis 67 und Art. 242 CRR). Die Definition von Verbriefung setzt nicht an den Vertragsbeteiligten, sondern an der Tranchierung an (Art. 4 Abs. 1 Nr. 61 CRR). Entscheidend ist das Vorliegen eines Pools von Risikopositionen, der in mehrere Tranchen unterteilt wird, wobei die Zahlungen an die Beteiligten von der Wertentwicklung des Pools abhängen und die Rangfolge der Tranchen über die Verlustzuordnung entscheidet. Das macht auch Sinn angesichts der unterschiedlichen Gestaltung von Verbriefungstransaktionen. Auch der Begriff „Verbriefungszweckgesellschaft“ ist definiert (Art. 4 Abs. 1 Nr. 66 CRR). Eine Verbriefungszweckgesellschaft darf kein Institut sein, kann aber für ein oder mehrere Verbriefungen errichtet werden. Die Tätigkeit muss auf das zu diesem Zweck notwendige berschränkt sein. Die Verbriefungszweckgesellschaft muss darüber hinaus ihre mit der Verbriefungstransaktion erworbenen Rechte uneingeschränkt an ihre Gläubiger verpfänden und veräußern können. Diese Anforderungen entsprechen der Verbriefungspraxis.
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Mit den in der CRR enthaltenen Verbriefungsregelungen soll erreicht werden, dass bei Verbriefungen nicht nur die Interessen der Kreditinstitute, die Kredite in handelbare Wertpapiere und andere Finanzinstrumente „umverpacken“ (Originatoren oder Sponsoren), sondern auch die Interessen der Kreditinstitute und der anderen Investoren (Investoren und Anleger), die in diese Wertpapiere oder Instrumente investieren, angemessen berücksichtigt werden. Dabei sollen sowohl Verbriefungstransaktionen verhindert werden, die vor allem dem Gewinnstreben einzelner Originatoren und Sponsoren mit dem Ziel eines einseitigen intransparenten Risikotransfers auf die Investoren dienen (Stichwort: Origination for Distribution) als auch solche, die vor allem dazu genutzt werden, um eine regulatorische Kapitalarbitrage zu betreiben. Das soll u.a. dadurch erreicht werden, dass der Originator oder Sponsor auch nach der Verbriefung über einen angemessenen Selbstbehalt ein siginifikantes Interesse an der Performance der verbrieften Aktiva behalten muss, wenn auch Kreditinstitute die ABS-Wertpapiere erwerben können sollen (s. Ziff. 57 Vorbemerkung CRR). Da die Möglichkeit, dass Kreditinstitue diese Wertpapiere erwerben können, Voraussetzung für die Handelbarkeit und damit die Liquidität dieser Papiere im Zweitmarkt ist, ist die Einhaltung dieser Anforderung eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Platzierung von ABSAnleihen. Darüber hinaus wird Wert auf Transparenz und eine ausreichende Anlegerinformation gelegt (s. Ziff. 59, 64 Vorbemerkung CRR). Was die Eigenkapitalunterlegung von Verbriefungspositionen angeht, soll eine Arbritrage dadurch verhindert werden, dass interne Modelle zur Berechnung der Kapitalunterlegung bei Verbriefungspositionen nur noch für Handelsbuchpositionen zulässig sind und darüber hinaus nur noch aufgrund einer standardisierten Eigenmittelunterlegung erlaubt werden (vgl. Ziff. 70 Vorbemerkung CRR). Die Begriffe Originator, Sponsor, Verbriefung, Verbriefungsposition, Wiederverbriefung, Wiederverbriefungsposition, Bonitätsverbesserung, Verbriefungszweckgesellschaft oder Tranche werden in der CRR definiert (Art. 4 Nr. 61 ff. CRR). Weitere Definitionen wie Excess Spread, Clean Up Call option, Liquiditätsfazilität oder ABCP-Programm sind in Kapitel 5 der CRR unter Verbriefung zu finden (Art. 242 CRR). 942 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 369 Teil H
Die CRR verbietet die aufsichtsrechtliche Anerkennung eines Anstiegs der Eigenmittel durch bei der Verbriefung von Aktiva erzielte Verkaufsgewinne (Art. 32 CRR). Das ist nach der Konzeption der CRR verständlich, sofern es sich dabei um noch nicht tatsächlich realisierte, dem verbriefenden Institut tatsächlich zugeflossene endgültig zustehende Gewinne handelt1. Darüber hinaus sind Verbriefungspositionen, denen ein Risikogewicht von 1250 % zuzuordnen ist, vom Kernkapital abzuziehen (Art. 36 Abs. 1 k) ii) CRR). Die Risikogewichtung und damit die Festlegung des Umrechnungsfaktors für die Eigenmittelunterlegung kann entweder nach dem Standardansatz oder dem IRB-Ansatz erfolgen (Art. 108 Abs. 1 CRR). Die Einzelheiten dazu werden in der CRR vorgegeben. Zur leichteren Überprüfung von Eigenmittelanforderungen für Kreditausfallrisiken im Zusammenhang mit Verbriefungen haben Kreditinstitute derartige Risiken einer gesonderten Risikopositionklasse zuzuordnen (Art. 112m CRR), wobei die Berechnung nach Art. 113 Abs. 4 CRR i.V.m. Art. 130 CRR nach den Art. 242 ff. CRR zu erfolgen hat. Unbeurteilte Liquiditätsfazilitäten (also solche ohne Rating einer anerkannten RatingAgentur, Art. 242 Nr. 7 CRR), die vor allem im Zusammenhang mit sog. ABCP-Programmen von der Sponsor-Bank gestellt werden, sind in Höhe des ausstehenden nicht in Anspruch genommenen zugesagten Betrages als außerbilanzielle Verbriefungspositionen mit 100 % zu gewichten (Art. 246 Abs. 1c CRR). Etwas anderes gilt nur, wenn sie die für eine 50 % Gewichtung erforderlichen zusätzlichen Bedingungen gemäß Art 255 Abs. 1 CRR erfüllen. Eine „0“-Gewichtung kommt dagegen nur noch für Liquiditätsfazilitäten in Betracht, die die Voraussetzungen für eine 50 % Gewichtung erfüllen und darüber hinaus vom Institut jederzeit unangekündigt und bedingungslos gekündigt werden können. Darüber hinaus müssen die Ansprüche der Bank den Vorrang vor allen anderen Gläubigern der Zweckgesellschaft haben (Art. 255 Abs. 2 CRR). Dadurch soll verhindert werden, dass derartige Kreditlinien als versteckte Ausfallrisikoabsicherungsinstrumente für Investoren dienen, ohne von der die Kreditlinie stellenden Bank mit ausreichendem Eigenkapital unterlegt zu werden2. Bei der Strukturierung von Liquiditätsfazilitäten für ABCP-Programme ist das zu beachten. Zu beachten ist auch, das Investoren sich bei Investitionen in Verbriefungstransaktionen nicht auf die geringere Risikogewichtung für Risikopositionen aus dem Mengengeschäft von 75 % berufen können. Das gilt selbst dann, wenn das verbriefte Portfolio nur Kreditforderungen an natürliche Personen oder kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) enthält, da sie bei Verbriefungen nicht die Forderungen gegen diese, sondern dadurch gesicherte Wertpapiere erwerben (Art. 123 CRR). Aufgrund der Struktur von Verbriefungstransaktionen, die ausschließlich derartige Mittelstandskredite enthalten, ist das nicht interessengerecht und widerspricht der vom Gesetzgeber gewollten Förderung der Mittelstandsfinanzierung. Die Bedeutung von externen Ratings und damit externer Ratingagenturen ist unter Basel III und damit unter der CRR weiter ungebrochen. Die CRR sieht für bestimmte Bonistätsstufen (1–6) jeweils bestimmte Risikogewichtungen vor (0 %–150 %). Die Institute, die den Standardansatz verwenden, haben sich bei der Bestimmung ihrer Kapitalunterlegungsanforderungen nach den vorliegenden öffentlichen Ratings zu richten. Voraussetzung ist, dass das Rating von einer der von der EBA und damit den Aufsichtsbehörden anerkannten Rating-Agenturen (sog. ECAI) stammt oder von einer solchen bestätigt wurde (Art. 135 Abs. 1 CCR). Ratings (Bonitätseinschätzungen) von nicht von der EBA zugelassenen Rating-Agenturen dürfen nicht verwandt werden. Die EBA veröffentlicht ein Verzeichnis der anerkannten ECAI. Für die Nutzung der Ratings durch die Kreditinstitute gibt die CRR bestimmte Rahmenbedingungen vor, um eine Ratingarbitrage zu verhindern (Art. 138 ff. CRR). 1 Dazu Schaber in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 2, KWG und CRR, Art. 26–35 CRR Rz. 69 f, der auch auf das von der EBA bereits hierzu ausgearbeitete Konzept hinweist. 2 Zur Kritik der Praxis an den Anforderungen für Liquiditätsfazilitäten bei Verbriefungstransaktionen Marinova/Mägerle in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 2, KWG und CRR, Art. 255 CRR Rz. 7.
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Teil H Rz. 370 370
Finanzierung
Da die Ratingstufen der ECAI nicht ohne Anpassung auf die Bonitätsstufen der CRR passen, ist eine Anpassung im Rahmen der Verabschiedung eines dafür geltenden sog. technischen Standarts vorgesehen (Art. 136 CRR). Nach den bis zum Vorliegen der technischen Standards aktuell geltenden Regelungen ist für Verbriefungen ein von den anderen Fällen abweichendes Mapping vorgesehen. So werden im StandardAnsatz der Bonitätsstufe 1 die Ratings AAA (high) bis AA (low), der Bonitätsstufe 2 die Ratings A (high) bis A (low), der Bonitätsstufe 3 die Ratings BBB (high) bis BBB (low), der Bonitätssufe 4 die Ratings BB (high) bis BB (low) und der Bonitätsstufe 5 die Ratings B (high) bis B (low) zugeordnet1. Allen Verbriefungspositionen mit Bonitätsstufe schlechter 4 wird eine Risikogewichtung von 1250 % zugeordnet, was Kapitalabzug bedeutet, während die Risikogewichtung bei Erstverbriefungen in der Bonitätstufe 1 20 %, in der Bonitätsstufe 2 50 % und in der Bonitätsstufe 3 100 % beträgt (Art. 251 CRR). Positiv ist, dass die CRR geratete Verbriefungspositionen als zulässige Sicherheiten zur Kreditrisikominderung anerkennt, sofern diese mindestens der Bonitätsstufe 3 zugerechnet werden können und keine Wiederverbriefungspositionen beinhalten oder darstellen (Art. 197 Abs. 1 h) CRR).
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Durch einen regulatorisch anerkannten True Sale ihrer Forderungen aus Darlehensverträgen können Kreditinstitute im Rahmen von Verbriefungen ihre Risikoaktiva verringern und dafür gebundenes regulatorisches Eigenkapital freisetzen (Art. 243 Abs. 1 CRR, sog. traditionelle Verbriefung)2. Die Anerkennung eines regulatorischen True Sale ist von der Einhaltung bestimmter operationeller und rechtlicher Mindestanforderungen abhängig (Art. 243 Abs. 1 Satz 1 und 5 CRR)3. Obwohl die Anforderungen für einen zivilrechtlichen und bilanziell wirksamen True Sale (s. Rz. 389 ff.) mit denen eines aufsichtsrechtlich anerkannten Forderungsabganges weitgehend parallel laufen, handelt es sich bei den Voraussetzungen für Letzteren um ein eigenständiges aufsichtsrechtliches Regelwerk. Die aufsichtsrechtliche Anerkennung eines True Sale ist daher nur möglich, sofern die spezifischen Kriterien für eine regulatorische Eigenkapitalentlastung gegeben sind. Dazu muss entweder ein „signifikantes Kreditrisiko“ übertragen werden oder das verbriefende Kreditinstitut als Originator setzt für alle Verbriefungspositionen, die es weiter an der Verbriefungstransaktion hält, ein Risikogewicht von 1250 % an oder zieht diese Verbriefungspositionen vom harten Kapital ab (Art. 243 Abs. 1a und b CRR). Das gilt auch für Verbriefungen im Rahmen von ABCP-Verbriefungsprogrammen, wenn die dafür erforderlichen Liquiditätsfazilitäten von der verbriefenden Bank gestellt werden. Damit geht es um die Frage, wann ein „signifikantes Kreditrisiko“ übertragen wird. Zuerst einmal ist festzuhalten, dass es für die Kreditrisikomessung nicht auf das erwartete Ausfallrisiko ankommt, das über die im Kreditzins kalkulatorisch enthaltene Kre1 Zur Fortgeltung bis zur Verabschiedung verbindlicher technischer Standards durch die EBA s. Rundschreiben 5/2014 (BA)-Anwendung von Aussage zum Grundsatz I, zur SolvV-alt und zur GroMiKV-alt auf CRD IV und CRR der BaFin v. 10.7.2014 i.V.m. der „Liste der für die bankaufsichtliche Risikogewichtung anerkannten Ratingagenturen samt Mapping der BaFin v. 9.5.2011; für Österreich hat die FMA im Rahmen einer im Oktober 2013 veröffentlichen Verordnung über die Zuordnung von Ratings anerkannter Rating-Agenturen zu Bonitätsstufen (CRR-Mappingverordnung – CRR-MappingV) ebenso wie die BaFin Vorgaben erlassen. 2 Vgl. zur alten Rechtslage BAFin Rundschreiben 4/97; Gögler, Asset-Backed-Securities, S. 96 f.; ausführlich zu ABS nach Basel II und BAKred-Rundschreiben 3/97, 13/98 und 10/00: Litten/Cristea, WM 2003, 213 (215 ff.). 3 Vgl. BaFin Rundschreiben 4/97; International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards („Basel II“), First Pillar, IV Credit Risk-Securitization Framework, S. 129 ff.; hierzu auch: Litten/Cristea, WM 2003, 213 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 372 Teil H
ditrisikomarge mit dem Kreditzins abgedeckt ist. Entscheidend ist das unerwartete und damit in Verbriefungsportfolien regelmäßig in den sog. Mezzanine-Tranchen abgebildete Ausfallrisiko. Deshalb verwundert es nicht, dass ein signifikanter Kreditrisikotransfer nur vorliegen soll, wenn das verbriefende Kreditinstitut nicht mehr als 50 % der gewichteten Risikopositonen aller mezzaninen Verbriefungspositionen hält (Art. 243 Abs. 2a CRR). Unter mezzaninen Verbriefungspositionen versteht die CRR aufsichtsrechlich alle Risikopositionen zwischen der ungerateten Erstverlusttranche (sog. First Loss) bzw. Tranche mit einem Risikogewicht von 1250 % und der – bei Anwendung des Standartansatzes (KSA) der ersten mit einem Rating einer anerkannten Rating Agentur mit mindestens der Bonitätssufe 1 versehenen Tranche (Art. 243 Abs. 3 CRR)1. Fehlt eine mezzaine Verbriefungsposition, dann kann das Kreditinstitut nachweisen, dass die zurückbehaltenen Verbriefungspositionen mit einem Eigenkapital belegt werden, das erheblich über dem erwarteten Verlust der verbrieften Risikopositionen liegt (Art. 243 Abs. 2b CRR). Um die damit eröffneten Gestaltungsspielräume im Griff zu behalten, ist vorgesehen, dass die zuständige Bankaufsicht im Rahmen einer Einzelwürdigung bei nicht gerechtfertigten Ergebnissen einen signifikanten Risikotransfer ablehnen kann (Art. 243 Abs. 2 Satz 2 CRR). Auf der anderen Seite wurde auch die Möglichkeit geschaffen, abweichend vom Art 243 Abs. 1 und Abs. 2 CRR der zuständigen Aufsicht nachzuweisen, dass die mit der Verbriefung bezweckte Entlastung der Eigenmittelanforderungen gerechtfertigt ist (Art. 243 Abs. 4 CRR). Das schafft Kreditinstituten die erforderlichen Spielräume, nun über die Verbriefung die Eigenmittelanforderungen wirtschaftlich angemessen steuern zu können. Das verbriefende Kreditinstitut kann dann, wenn es die Verbriefung nur zu Liquiditätsverschaffungszwecken nutzen will, entweder von Anfang an auf die Entlastung bei den Eigenmittelanforderungen verzichten oder sich auf den Grundsatz berufen, dass die Kapitalbelastung nach der Verbriefung nicht höher sein darf als ohne Verbriefung (Art. 252, 260 CRR). Dies gilt auch für die für revolvierende Verbriefungen geltenden höheren Kapitalanforderungen (vgl. Art. 256 CRR). Bei jeder traditionellen Verbriefung müssen jedoch immer die Anforderungen nach § 243 Abs. 5 CRR erfüllt sein, um dadurch eine Entlastung bei den Eigenmittelanforderungen zu erreichen. Dazu müssen die übertragenen Risikoforderungen vom Originator rechtlich isoliert werden (s. oben zur zivilrechtlichen Übertragung von Forderungen Rz. 346). Das erfordert, dass im Falle der Insolvenz des Originators weder dieser noch dessen Gläubiger Zugriff auf die auf die Zweckgesellschaft übertragenen Forderung haben (Art. 243 Abs. 5b CRR). Der Nachweis hat durch ein entsprechendes Rechtsgutachten (Legal Opinion) zu erfolgen. Einer Übernahme des Bonitätsrisikos steht ein pauschaler Forderungsabschlag nicht entgegen, solange dieser bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise das Bonitätsrisiko beim Forderungserwerber belässt. In der Insolvenz muss der Zweckgesellschaft als Forderungsinhaber ein Recht zur Befriedigung außerhalb eines Insolvenzverfahrens zustehen. Weder der Originator noch dessen Gläubiger oder der Insolvenzverwalter dürfen in diesem Fall ein Recht zur Verwertung oder Inbesitznahme der Forderungen und der dafür bestellten mit übertragenen Sicherheiten haben. Haften die mit übertragenen Sicherheiten auch noch für andere nicht übertragene Forderungen des Originators, dann muss durch insolvenzfeste eindeutige Vereinbarungen sichergestellt sein, dass die Verwertungserlöse unter Beachtung der Vereinbarungen mit dem Sicherungsgeber angemessen aufgeteilt werden. Fehlt dies, könnte darin eine indirekte Rücknahme des Ausfallrisikos durch den Originator gesehen werden mit der Folge, dass dann kein signifikanter Risikotransfer vorliegt, so dass eine mit der Verbriefung gewünschte Kaptialentlastung nicht möglich oder sogar der gesamte True Sale gefährdet ist. 1 Zur Definition der mezzaninen Verbriefungspositionen, die für Kreditinstitute unterschiedlich ist, je nach dem ob es sich um eine KSA oder IRB-Bank handelt, s. Marinova/Mägerle, Art. 243, 244 CRR Rz. 9, 13; Bonitätsstufe 1 entspricht einem AAA-Rating.
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Teil H Rz. 373 373
Finanzierung
Bei einer traditionellen Verbriefung werden die zu verbriefenden Forderungen auf eine Verbriefungszweckgesellschaft (SPV) übertragen, die nur dem Zweck dient, diese Forderungen zu halten (Art. 242 Ziff. 10 und Art. 4 Nr. 66 CRR). In der Praxis wird zudem darauf geachtet, dass die SPV weder personell noch wirtschaftlich mit dem Originator verbunden ist. Der Forderungserwerber muss rechtlich und tatsächlich befugt sein, zum Schutz eigener Interessen eine Verpfändung oder Veräußerung der angekauften Forderungen zum fairen Marktpreis vornehmen zu dürfen. Der Originator darf also nicht die effektive oder indirekte Kontrolle über die verbrieften Forderungen behalten (Art. 243 Abs. 5d CRR). Daher dürfen keine Verpflichtungen des SPV begründet werden, die indirekt oder direkt eine solche Kontrolle ermöglichen. Zu denken ist hier insbesondere an vertragliche Beherrschungsverhältnisse, wie z.B. die Möglichkeit, die Direktoren des SPV mit bestimmen zu können, oder das Recht des Originators, Assets frei zurückkaufen zu dürfen. Der Originator kann jedoch die verbrieften Forderungen weiter für das SPV verwalten und einziehen (Art. 243 Abs. 5d CRR). Das gilt jedenfalls, solange er sich vertragskonform verhält und sichergestellt ist, dass die eingezogenen Forderungsbeträge an das SPV abgeführt werden. Erlaubt ist auch die Verpflichtung des Originators, bei Nichteinhaltung von vereinbarten Eligibilitätskriterien vertragswidrig verkaufte Forderungen zurückzunehmen, da es sich hierbei um eine gesetzliche Gewährleistungsverpflichtung handelt. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass z.B. durch die Art der übernommenen Gewährleistungen keine Rücknahme von Kreditrisiken erfolgt, die dem Erfordernis des signifikanten Risikotransfers entgegenstehen. Nicht erlaubt ist die Verpflichtung zum Rückkauf bei drohender oder eingetretener Uneinbringlichkeit von Forderungen, da der Originator dann durch die Verbriefung mangels signifikanten Risikotransfer keine regulatorische Kapitalentlastung erreichen kann (Art. 243 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5 e) i) CRR). Darüber hinaus würde dann auch kein True Sale und damit keine Insolvenzfestigkeit des Forderungsverkaufs vorliegen. Ein Rückkauf darf zudem nur zum Marktwert der Forderungen, bezogen auf den Zeitpunkt des Rückerwerbes erfolgen und muss darüber hinaus auf begründete, in der Vertragsdokumentation klar vereinbarte Ausnahmen beschränkt bleiben (Art. 243 Abs. 5e) iii) CRR)1. Sieht die Verbriefungstransaktion vor, dass der Originator das Recht haben soll, die Transaktion durch Rückkauf der verbrieften Forderungen beenden zu können, dann darf ein solcher Rückkauf nicht mehr als 10 % des Wertes des ursprünglich verkauften Forderungsportfolios erfassen (sog. Clean Up Call). Das ist unbedenklich, sofern der Clean Up Call zur Beendigung der Transaktion aus wirtschaftlichen Gründen und zum Marktpreis erfolgt und seine Ausübung im freien Ermessen des Originators liegt und der Clean Up Call struktuell nicht zu einer Bonitätsverbesserung zugunsten der Investoren führt (Art. 243 Abs. 5f CRR)2. Zu beachten ist, dass Rückkaufoptionen nur dann erlaubt sind, wenn diese erst ausgeübt werden können, wenn 10 % oder weniger des ursprünglichen Wertes der verbrieften Risikopositionen ungetilgt sind (Art. 243 Abs. 5f (ii) CRR). Bei revolvierenden Verbriefungen stellt sich die Frage, welcher Wert maßgeblich ist (Maximaler Ankaufbetrag, maximal tatsächlich angekaufter Betrag, Ankaufsbetrag beim letzten Ankauf oder sogar Summe aller angekauften Forderungen). Ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift, sollte der Gesamtbetrag der nach dem letzten Ankauf ausstehenden angekauften Forderungen maßgebend sein, da der Clean up Call ja nur den Zweck haben soll, die Transaktion beenden zu können, wenn sich diese aufgrund der mit der Verbriefung verbundenen laufenden Kosten nicht mehr wirtschaftlich betreiben lässt. Das entspricht zudem dem Verbot der außervertraglichen Kreditunterstützung (Art. 248 Abs. 1 CRR). Danach ist es dem Originator 1 Zu den aufsichtsrechtlichen Vorgaben einer traditionellen Verbriefung nach Art 243 CRR s. Marinova/Mägerle, Art. 243, 244 CRR, Rz. 17 ff. 2 Zum Clean up Call Marinaova/Mägerle, Art. 243, 244 CRR Rz. 20.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 376 Teil H
oder Sponsor untersagt, der im Zusammenhang mit der Verbriefungstransaktion eine Erleichterung bei der Eingenmittelausstattung in Anspruch genommen hat, diese über seine vertrglichen Verpflichtungen hinaus durch marktunübliche Geschäfte zu unterstützen1. Sehen Verbriefungstransaktionen zugunsten des Originators Kündigungsrechte vor, die zu einer vorzeitigen Beendigung der Verbriefungstransaktion führen, dürften diese auch vor dem Hintergrund der Regelungen in Art. 243 CRR unbedenklich sein, sofern sie sich auf wesentliche nachträgliche Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, Leistungsstörungen im Verhältnis der Transaktionsbeteiligten untereinander oder eben den regulatorisch zulässigen Clean up Call beziehen2. Solange die im Einzelfall geltend gemachten Kündigungsgründe auch ohne Vereinbarung eine Kündigung aus wichtigem Grund oder eine Kündigung wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage rechtfertigen, ist das aufsichtsrechtlich nicht zu beanstanden, da derartige Kündigungsgründe so wesentlich sind, dass diese vertraglich nicht ausgeschlossen werden können. Hier geht es um den vom Gesetzgeber zivilrechtlich anerkannten und damit auch aufsichtsrechtlich anzuerkennenden Schutz des Forderungsverkäufers als Vertragspartner bei Vertragsverletzungen oder wesentlichen Änderungen der Geschäftsgrundlage. Werden dagegen auch andere Kündigungsgründe vereinbart, die nicht nur den Stopp von weiteren Forderungsverkäufen ermöglichen, sondern dem Forderungsverkäufer auch ermöglichen, bereits verkaufte Forderungen zurückzuerwerben, dann kann darin eine Möglichkeit der Rücknahme von Ausfallrisiken gesehen werden, die aufsichtsrechtlich schädlich wäre. Aus Transparenzgründen muss aus der Verbriefungsdokumentation die wirtschaftliche Substanz der Transaktion hervorgehen (Art. 243 Abs. 5a CRR). Was das genau heißt, muss durch die EBA in Leitlinien (Art. 243 Abs. 6 CRR) geklärt werden. Bereits heute enthalten die Verbriefungsdokumentationen Transaktionsbeschreibungen, so dass die künftige Diskussion vor allem darauf abzielen wird, wie ausführlich die Beschreibung zu sein hat und wie umfangreich der Begriff „wirtschaftliche Substanz“ auszulegen ist, was also alles dazu gehört.
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Da die im Rahmen von Verbriefungstransaktionen herausgegebenen Wertpapiere zumindest bei True Sale Verbriefungen von dem SPV begeben werden, haftet der Originator nicht für deren Rückzahlung. Nach der CRR darf er das auch nicht (Art. 243 Abs. 5c CRR)3. Für die Rückzahlung und die Verzinsung der von dem SPV ausgegebenen Wertpapiere steht den Investoren allein das Vermögen des SPV und die dafür bestellten Sicherheiten sowie die von dem SPV abgeschlossenen Absicherungsgeschäfte zur Verfügung. Problematisch sind deshalb Verbriefungstransaktionen, bei denen der Originator die Liquiditätsfazilität stellt, wenn dadurch sichergestellt werden soll, dass ausstehende Wertpapiere (insbesonder CPs) bei Fälligkeit zurückgezahlt werden, wenn das SPV keine neuen begeben kann. Das ist dann auch der Grund, warum die Ausgestaltung von Liquiditätsfazilitäten von der Aufsicht so kritisch gesehen wird.
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In der Praxis nutzen Kreditinstitute Verbriefungen zur Entlastung der Eigenmittelanforderungen (Kapitalentlastung), der Bilanzentlastung und damit Steuerung der eigenen Finanzkennzahlen, zur Liquiditätsteuerung und damit zu Finanzierungszwecken oder in Kombination der verschiedenen Zwecke. Auf der anderen Seite investieren Kreditinstitute aber auch in Verbriefungstransaktionen zur Risikodiversifikation, Ertragssteigerung oder zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen im Rahmen der Risikound Liquiditätssteuerung. Die Verwendungsmöglichkeiten von Verbriefungen sind also vielschichtig. Das gilt entsprechend auch für Unternehmen und Versicherungen,
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1 Dazu Marinova/Mägerle, Art. 248 CRR Rz. 2 mit Beispielen. 2 Dazu Marinova/Mägerle, Art. 243, 244 CRR Rz. 31. 3 Das Erfordernis, dass der Originator nicht für die Rückzahlung von im Zusammenhang mit der Verbriefung begebenen Wertpapiere haften darf, gilt auch für funded synthetische Verbriefungen s. Art. 244 Abs. 5 CRR.
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Teil H Rz. 377
Finanzierung
wobei Versicherungen die für sie hierfür geltenden versicherungsaufsichtsrechtlichen Anforderungen zu beachten haben. 377
Die Entlastung der Eigenmittel kann auch über sythetische Verbriefungen erfolgen. Die Anforderungen an synthetische Verbriefungen, die zu Zwecken der regulatorischen Kapitalentlastung vorgenommen werden, lehnen sich weitgehend an die Anforderungen einer traditionellen Verbriefung an, soweit Abweichungen nicht dadurch bedingt sind, dass es sich nicht um einen Forderungsverkauf, sondern lediglich um eine Absicherungstransaktion ohne Assetverkauf handelt (Art. 244 CRR)1. Da der Risikotransfer hier über Kreditderivate oder Garantien (Art. 242 Nr. 11 CRR) erfolgt, bedarf es zusätzlicher Anforderungen an die Ausgestaltung dieser Risikotransferinstrumente (Art. 244 Abs. 5b und c CRR). Anders als bei True Sale-Verbriefungen besteht hier immer ein zusätzliches Kontrahendenrisiko, wenn sich der Originator das Erfüllungsrisiko nicht zusätzlich absichern lässt. Dies ist bei der Eigenmittelentlastung mit zu berücksichtigen (Art. 247 Abs. 1 CRR). Stellt der Sicherungsgeber keine nach der CRR anerkannte Finanzsicherheit, muss dieser grundsätzlich über ein Rating mit mindestens der Bonitätsstufe 2 verfügen, das während der Laufzeit nicht unter die Bonitätsstufe 3 fallen darf (Art. 247 Abs. 3 CRR). Zulässig sind synthetische Verbriefungsstrukturen unter Einschaltung von Verbriefungszweckgesellschaften, wenn diese über als Finanzsicherheiten anerkannte Vermögenswerte verfügen, die dem Originator als Sicherheit zur Verfügung gestellt werden (Art. 247 Abs. 4 CRR)2. Um dem Originator einen dirketen Zugriff auf die Absicherungsinstrumente zu ermöglichen, dürfen diese weder wesentliche Erheblichkeitsschwellen festlegen, die vor einer Inanspruchnahmemöglichkeit überschritten sein müssen, noch Kündigungsrechte oder Kostenerhöhungsklauseln bei nachträglicher Risikoerhöhung vorsehen (Art. 244 Abs. 5c CRR). Bei der Berechung der Eigenmittelanforderungen kann der Originator auch bei syntheischen Verbriefungen die verbrieften, d.h. synthetisch übertragenen Risikopositionen entsprechend den für traditionelle Verbriefungen geltenden Regelungen aus seiner Kapitalunterlegung herausnehmen (Art. 245 Abs. 1b i.V.m. Art. 249, 250 CRR). Die Berechung der Eigenmittelanforderungen hinsichtlich der zurückbehaltenen, nicht besicherten Verbriefungspositionen erfolgt wie bei den traditionellen Verbriefungen (Art. 245 Abs. 2 und 3, Art. 246, Art. 251 ff. CRR).
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Revolvierenden Verbriefungen (§ 242 Nr. 13 CRR), d.h. Verbriefungen, bei denen laufend bis zu einer vereinbarten Höhe Risikopositionen verbrieft werden können, sind auch unter der CRR möglich. Bei der Verbriefung revolvierender Risikopositionen (Art. 242 Nr. 12 CRR), d.h. z.B. bei der Verbriefung von Kreditinanspruchnahmen aus Rahmenkreditzusagen, sind zusätzliche Kapitalanforderungen zu beachten, wenn die Verbriefungstransaktion vorzeitig ganz oder teilweise beendet werden kann und dadurch zusätzliche mit Eigenmitteln zu unterlegende Risiken beim Originator entstehen können (Art. 256 Abs. 1 CRR). Dies ist bei der Strukturierung zu beachten3. Der Originator soll also das Risiko der Neuinanspruchnahmen von Kreditlinien, deren Inanspruchnahmen von ihm verbrieft wurden, solange mit Eigenmitteln unterlegen müssen, solange er dieses Risiko zu tragen hat, also in diesem Fall nicht besser als ohne Verbriefung darstehen (s. Art. 256 Abs. 3 CRR). Kreditinstitute sollen über eine Verbriefung nicht die Eigenmittelunterlegung für das laufende Inanspruchnahmerisiko bei zugesagten Kreditlinien (Art. 111 CRR) umgehen können.
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Aus regulatorischer Sicht wird bei der Strukturierung von Verbriefungstransaktionen für Kreditinstitute künftig darauf zu achten sein, dass neben der sog. First LossTranche regelmäßig zusätzlich mindestens eine Mezzanine-Tranche vorhanden ist, 1 Marinova/Mägerle, Art. 243, 244 CRR Rz. 1 ff. 2 Dazu Marinova/Mägerle, Art. 247 CRR Rz. 6. 3 Zu den Hintergründen Marinova/Mägerle in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 2, KWG und CRR, Art. 256 CRR Rz. 2.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 382 Teil H
die den Zweitverlust trägt, um den Anforderungen der Art. 243 und 244 CRR besser gerecht zu werden. Für die verbriefende Bank bietet sich dadurch die Möglichkeit, über das Zurückbehalten von Verbriefungspositionen ihr eigenes Kapital-, Risikound Liquiditätsmanagement besser optimieren zu können. Die CRR stellen klar, dass es keine Verpflichtung zur Anwendung der Verbriefungsregeln gibt, wenn der Originator auf eine Kapitalentlastung verzichtet (Art. 245 Abs. 2 CRR). Der verbriefenden Bank steht es also frei zu entscheiden, ob sie durch die Verbriefungstransaktion unter Beachtung der Anforderungen der CRR eine Entlastung bei den Eigenmittelanforderungen erreichen will oder die verbrieften Risikopositionen weiter mit Eigenmitteln unterlegen will, wie sie es ohne die Verbriefung hätte tun müssen. Das ist vor dem Hinterrgrund zu sehen, dass Kreditinstitute die Verbriefung auch allein zu Liquiditätssteuerung und -beschaffung nutzen können sollen. Die Verbriefung ist für Kreditinstitute in der Krise oder bei schlechtem Eigenrating oft die einzige Möglicheit, sich wettbewerbsfähig finanzieren zu können. Vor dem Hintergrund des Ankaufprogramms der EZB für ABS-Anleihen sowie der Möglichkeit, SeniorTranchen von Verbriefungen durch die EZB beleihen lassen zu können, wird die Verbriefung so immer attraktiver.
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Die Anforderungen an Liquiditätslinien in regulatorisch motivierten Transaktionen, die regelmäßig über kein Rating verfügen (sog. unbeurteilte Liquiditätsfazilitäten), werden in der CRR ausführlich geregelt (Art. 255 CRR). Die Anforderungen sind einzuhalten, wenn die in der CRR für Liquiditätslinen vorgesehenen günstigeren Kapitalunterlegungsanforderungen (z.B. 50 % Risikogewichtung nach Art. 255 Abs. 1 CRR oder gar eine Risikogewichtung von „0“ % nach Art. 255 Abs. 2 CRR) sichergestellt und ein Kapitalabzug (Art. 243 Abs. 1 b CRR) vermieden werden sollen. So darf die Stellung der Kreditlinie nicht zu einer impliziten Hereinnahme der ausplatzierten Risiken führen (Art. 255 Abs. 1b CRR). Die Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Liquiditätslinien sind daher vertraglich klar festzulegen und zu dokumentieren. Insbesondere sind Laufzeit, Höhe, Verwendung sowie Rückzahlung und Zinsen detailliert in der Transaktionsdokumentation festzulegen. Dabei muss ausgeschlossen werden, dass die Liquiditätslinie zum Zeitpunkt der Ziehung als Bonitätshilfe für bereits eingetretene Verluste bei den zugrunde liegenden Forderungen dient (Art. 255 Abs. 1e CRR)1. Inanspruchnahmen müssen zu einer Reduzierung des abrufbaren Betrages unter der Liquiditätsfazilität führen. Deshalb ist ein Test für die Qualität der verbrieften Forderungen vorzusehen, um eine Inanspruchnahme für ausgefallene Kredite auszuschließen. Eine Inanspruchnahme darf zudem nicht erfolgen, wenn alle transaktionsspezifischen und programmweiten Credit Enhancements, von denen die Liquiditätsfazilität profitiert, aufgebraucht sind (Art. 255 Abs. 1e CRR). Üblicherweise beträgt die Laufzeit von Liquiditätslinien nicht mehr als ein Jahr, obwohl diese Anforderung in der Definiton für Liquiditätsfazilitäten in der CRR nicht enthalten ist (Art. 242 Abs. 1 Nr. 3 CRR).
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Kreditinstitute, die in Verbriefungstransaktionen investieren wollen, müssen die Anforderungen der Art. 404 ff. CRR beachten. Danach müssen sich, damit Institute in Verbriefungspositionen investieren können, der Origintaor, der Sponsor oder der ursprüngliche Kreditgeber gegenüber den investierenden Instituten verpflichtet haben, kontinuierlich einen materiellen Nettoanteil von mindestens 5 % zu halten2. Das ist nur dann der Fall, wenn mindestens 5 % am Nominalwert einer jeden an die Anleger verkauften oder übertragenen Tranche oder bei revolvierenden Verbriefungen mindestens 5 % des Nominalwertes der verbrieften Risikopositionen gehalten werden (Art. 405 Abs. 1 Satz 2a) und b) CRR). Der Selbstbehalt kann aber auch durch die Ver-
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1 Vgl. zur alten Rechtslage BAFin Rundschreiben 4/97; International Convergence of Capital Measurement and Capital Standards („Basel II“), First Pillar, IV Credit Risk-Securitization Framework, S. 129 ff. 2 Der bis 31.12.2103 geltende deutsche Mindestselbstbehalt hat 10 % betragen (§ 18a dtKWG a.F.).
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Teil H Rz. 383
Finanzierung
pflichtung erfüllt werden, einen Anteil an Forderungen i.H.v. 5 % des Nominalwertes der verbrieften Risikopositionen zu halten, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden (Art. 405 Abs. 1 Satz 2 CRR). Möglich ist auch das Halten einer Erstverlustranche von 5 % und, sofern erforderlich, weiterer nicht an die Anleger verkaufter Tranchen, die nicht vor den Tranchen der Anleger fällig werden, so dass der insgesamt gehaltene Anteil mindestens 5 % des Nominalwertes der verbrieften Risikopositionen entspricht (Art. 205 Abs. 1 Satz 2d CRR). In Abhängigkeit von den Zielen des Originators kann dieser diese Verpflichtung auch durch das Halten von 5 % Erstverlustranche an jeder verbrieften Risikoposition (Art. 405 Abs. 1 Satz 2e CRR) erfüllen, um so die für ihn optimale Kapitalentlastung oder Risikodiversifikation zu erreichen. Diese Vielzahl von Möglichkeiten erfordert vom Investor, dass er bei der eigenen Risikoeinschätzung genau prüft, wie der Selbstbehalt in der Verbriefungstransaktion strukturiert wurde. Auf der anderen Seite ermöglicht dies dem Originator, die Verbriefungstransaktion entsprechend seinen Risikomanagementanforderungen flexibel nach seinen Bedürfnissen gestalten zu können, auch wenn er sich für eine der vorgegebenen Möglichkeiten entscheiden muss (Art. 405 Abs. 1 Satz 5 CRR). 383
Das verbriefende Institut darf die Risiken in Höhe des erforderlichen Selbstbehaltes nicht absichern oder verkaufen (Art. 405 Abs. 1 Satz 4 CRR). Der Selbstbehalt wird bei der Origination berechnet und ist für die Dauer der Transaktion aufrechtzuerhalten. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Originator bei Aufbrauch der Erstverlustranche diese wieder auffüllen muss, was er auch nicht darf (s. Art. 243 Abs. 5d CRR). Institute dürfen zudem in Verbriefungen nur investieren, wenn sie der zuständigen Aufsichtsbehörde nachgewiesen haben, dass sie hinsichtlich jeder einzelnen Verbriefungsposition über umfassende und gründliche Kenntnisse verfügen und Verfahren eingeführt haben, um alle für die Risikoanalyse erforderlichen Information zu erhalten und analysieren, bewerten und sogar eigenen Stresstests unterziehen zu können (Art. 406 Abs. 1 CRR). Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen vorliegen, das Risko der Verbriefungspositionen, in die investiert wurde, laufend datailiert überwachen zu können (Art. 406 Abs. 2 CRR). Die Nichterfüllung dieser Anforderungen führt zu erhöhten Kapitalanforderungen bis zum Kapitalabzug (Art. 407 CRR). Im Gegenzug werden die Originatoren, Sponsoren und ursprünglichen Kreditgeber verpflichtet, (a) für Risikopisitionen, die verbrieft werden sollen, die gleichen Sorgfaltsanforderungen und Kreditvergabekriterien anzuwenden, die für nicht verbriefte Risikopositionen gelten (Art. 408 CRR) sowie (b) den Anlegern alle Informationen zur Höhe des Selbstbehaltes zu geben sowie alle Daten und Informationen zur Verfügung zustellen, die für die eigene Risikobeurteilung und eigene „umfassende und fundierte“ Stresstests in Bezug auf Zahlungsströme und Sicherheitenwerte notwendig sind (Art. 409 CRR)1. Der geforderte Umfang der Daten und die Informationsweitergabe war und ist ein bleibender Diskussionspunkt, da dadurch z.B. bei der Verbriefung von Kreditforderungen die Kreditvergabepraxis (u.a. Kundenanforderungen und Konditionen) und die Geschäftsstrategie des verbriefenden Institutes offen gelegt werden könnte. Die Offenlegungsanforderungen erstrecken sich zwar nicht auf die Namen der Kreditnehmer. Sie erstrecken sich aber auf detaillierte Daten und Informationen zu Kreditqualität, Wertentwicklung und Sicherheiten der verbrieften Risikopositionen und zwar auf Einzel- und Portfolioebene sowie die dazugehörenden Zahlungsströme. Daher kann sich daraus doch ein sehr gutes Bild über die Geschäftspraxis der verbriefenden Bank ergeben. Das gilt umso mehr, je mehr die Bank verbrieft. Die Offenlegungsanforderungen werden zudem zusätzlich von den immer wichtiger werdenden Offenlegungsverpflichtungen der Rating-Agenturen (vgl. Art. 268 Satz 1b) CRR) und den Informationsanforderungen der EZB für die Beleihung von Verbriefungsanlei1 Dies entspricht § 18b Abs. 5 dtKWG a.F., dazu Gerth in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, § 18b KWG Rz. 13 ff.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 386 Teil H
hen1 mitbestimmt. Auch hierzu wird die EBA technische Regulierungstandards erlassen (Art. 410 Abs. 2 CRR), die dann von der Kommission als verbindliche Verordnungen erlassen werden. Vor dem Hintergrund, dass Verbriefungstranchen, die durch die EZB beliehen werden können, als liquide Aktiva im Rahmen der Liquiditätssteuerung gelten (Art. 416 Abs. 3d) CRR), werden Banken auch in Zukunft bei Verbriefungen darauf achten, dass die oberen Tranchen die Anforderungen für eine Beleihung durch die EZB erfüllen. Damit werden die Vorgaben der EZB an die inhaltliche Ausgestaltung von beleihbaren Verbriefungstransaktionen, und hier insbesondere die Informations- und ReportingAnforderungen einen wesentlichen Einfluss auf die Verbriefungspraxis haben. Deshalb ist zu hoffen, dass die von der EBA zu setzenden Standards zu einheitlichen Informationsstandarts führen werden, an die sich auch die EZB hält.
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Trotz der weniger guten Erfahrungen mit den Ratings der drei großen externen Rating Agenturen (S&P, Fitch und Moody’s) in der sog. Sub-Prime-Krise im Verbriefungsbereich, gehen der Gesetzgeber und die Bankaufsicht (wohl auch mangels Alternative) davon aus, dass die neuen gesetzlichen Regelungen für Rating Agenturen und deren Überwachung es ermöglichen, diesen wieder das notwendige Vertrauen entgegenbringen zu können2. Der ratingbasierte Ansatz (Rating Based Approach – RBA) steht an erster Stelle der Ansatzhierachie sowohl im IRB als auch in Standartansatz bei der Ermittlung der Eigenmittelunterlegung im Zusammenhang mit Verbriefungen (Art. 251 und 261 CRR).
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Zur Sicherstellung der Marktdisziplin und der Tranzparenz sieht die CRR für verbriefende Insitute zusätzlich detailierte und umfangreiche Offenlegungspflichten vor (Art. 449 CRR). Dazu gehören u.a. die Darlegung der mit den Verbriefungsaktiviäten verfolgten Ziele, Beschreibung der genutzten Verbriefungszweckgesellschaften, die Art der damit verbundenen Risiken und der Umfang der verbrieften Risikopositionen sowie nach Art. 248 Abs. 1 CRR untersagte Unterstützungsmaßnahmen und deren Auswirkung auf die Eigenmittel (s. Art. 248 Abs. 3 CRR)3. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die CRR die Verbriefung von Kreditinstituten nicht nur als Originator oder Sponsor oder ursprünglicher Kreditgeber, sondern auch als Investor in Verbriefungstransaktionen detailliert regelt. Gleichzeitig wurde ein eigentlich auch aus Sicht der Kreditinstitute sehr flexibel handbares Regelungswerk geschaffen, da sich die Verbriefung zu unterschiedlichen Zwecken nutzen lässt. Sie lässt sich aber ebenso in unterschiedlichen Kombinationen nutzen, da für gehaltene Verbriefungspositionen auch Absicherungen erworben und anerkannt werden können (Art. 257 CRR; Grenze für den Originator Art. 405 CRR). Da die EBA den Auftrag hat, dazu zusätzlich detailierte technische Standards und Leitlinien herauszugeben, wird sich der Detailierungsgrad der Regelungen weiter erhöhen und den Anwendern mehr Sicherheit geben. In diesem Zusammenhang kann dann auch versucht werden unangemessene Regelungen zu ändern. Trotz der aufsichtsrechtlichen Regelungen, die ohne Zweifel auf die Strukturierung und die Dokumentation von Verbriefungstransaktionen wesentliche Auswirkungen haben, wird es für das Verhältnis des Originators zum SPV und des SPV zu den Investoren weiter maßgeblich auf die mit der Verbriefungstransaktion verfolgten Zwecke und die in den Verträgen und Anleihebedin1 Vgl. Art. 72 ff. der Guideline (EU) of the European Central Bank of 19 December 2014 on the implementation of the Eurosystem monetary policy framework in der aktuellen Version, zum Umfang der Informationspflichten s. Art. 78 der Guideline i.V.m. Annex VIII der Guideline. 2 Heute unterliegen die zugelassenen Rating Agenturen nach Maßgbe der EU-Rating-VO der Aufsicht der ESMA (European Securities and Markets Authority) – Einzelheiten dazu sind auf der BaFin – Seite „Ratingagenturen unter ESMA-Aufsicht“ unter www.bafin.de zu finden. 3 Zu den Einzelheiten Krautheuser in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 2, KWG und CRR, Art. 431–455 CRR Rz. 42 ff.
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Teil H Rz. 387
Finanzierung
gungen getroffenen Vereinbarungen ankommen. Deshalb ist hierauf auch künftig eine besondere Sorgfalt von allen Beteiligten zu verwenden. (4) Bilanzielle Besonderheiten 387
Mit einem regresslosen Verkauf von Forderungen streben Unternehmen neben einer Finanzierung oder dem damit bezweckten Risikotransfer bisweilen gleichzeitig eine Verkürzung der Bilanz und somit eine Verbesserung ihrer Eigenkapitalquote an1.
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Mit dieser Verbesserung der Bilanzkennzahlen sind für einen Originator jedoch kaum noch Ersparnisse bei der Gewerbesteuer möglich, wenn mit der durch den Aktivtausch (Forderungen gegen Kaufpreiszahlung) erhaltenen Liquidität ein Abbau von Verbindlichkeiten vorgenommen wird. Durch den Abbau von Passiva und die damit einhergehende Verringerung der Zinsen für Dauerschulden wird die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage mit Blick auf die zurückgeführten Verbindlichkeiten verringert, das führt im Ergebnis jedoch nicht zwingend zu einer Verkleinerung der Gewerbesteuerlast, da auch die in den Forderungsabschlägen enthaltenen Finanzierungsanteile nach § 8 Abs. 1 Buchst. a dtGewStG der Hinzurechnung unterliegen2. Der Abgang aus der Bilanz hängt von der Erfüllung der einschlägigen Vorgaben nach den jeweiligen Bilanzierungs-Standards des Unternehmens (z.B. HGB oder IAS/IFRS) ab. Hierbei ist zu beachten, dass ebenso wie beim regulatorischen oder steuerlichen True Sale, die Frage des bilanziellen Forderungsabganges einer eigenen Betrachtung unterliegt. Daher kann ein zivil- und insolvenzrechtlich wirksamer True Sale unter bilanziellen Gesichtspunkten als Forderungsabgang zu verneinen sein. Hinsichtlich der Beurteilung eines Bilanzabganges werden bei einem Forderungsverkauf nach den jeweiligen Standards unterschiedliche Ansätze verfolgt, die es jeweils zu beachten gilt. (a) Bilanzierung nach HGB
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Entscheidend ist hier der Übergang des Bonitätsrisikos und damit des Ausfallrisikos auf den Erwerber der Forderung. Bei Verbriefungstransaktionen (Asset Backed Securities)3 gelten für die Frage der Forderungsausbuchung beim Originator (Forderungsverkäufer) grundsätzlich die gleichen Regeln wie beim Factoring4. Dabei dürfen Kaufpreisabschläge, die zur Abdeckung von Bonitätsrisiken dienen, nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden, ohne den wirtschaftlichen Übergang der Forderungen zu gefährden5. Dies ist der Fall, wenn der Veräußerer zwar einen unter Umständen sehr hohen Kaufpreisabschlag hinnimmt, jedoch von einem etwaigen Mehrerlös bei positiv verlaufendem Einzug nicht durch zusätzliche Zahlungen profitiert. Der Abschlag in einem solchen Fall ist mithin definitiv. Die bilanzielle Betrachtung, d.h. die Beurteilung der Frage, wann bei einem Forderungsverkauf ein handelsbilanzieller Forderungsabgang angenommen und damit die verkaufte Forderung in der Bilanz des Forderungsverkäufers ausgebucht werden kann, baut auf der zivilrechtlichen und steuerrechtlichen Abgrenzug zwischem echtem (echter Verkauf/True Sale) und unechtem Factoring (Finanzierung) auf6. Damit ist es für den Forderungsabgang beim Forde1 Vgl. Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 216; Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2033, 91; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 4, 7. 2 Siehe dazu Güroff in GewStG Kommentar, § 8 Nr. 1a Rz. 77, 80 i.V.m. Rz. 15, 16; zur alten bis zum 31.12.2007 geltenden Rechtslage: Fahrholz, Neue Formen der Unternehmensfinanzierung, S. 228. 3 Zum Begriff: Noodt in Haufe/HGB, § 246 Rz. 63 ff. 4 Noodt in Haufe/HGB § 246 Rz. 49 ff. 5 Vgl. hierzu ausführlich: Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 ff. zu IDW RS HFA 8; IDW RS HFA 8 Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen oder ähnlichen securitisation-Transaktionen, WPg 2002, 1151 ff., Heft-Nr. 21/2002; WPg 2004, 138, Heft-Nr. 4/2004. 6 Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 149; Noodt in Haufe HGB § 246 Rz. 50, 51.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 390 Teil H
rungsverkäufer (Ausbuchung) und dem Zugang beim Forderungskäufer (Einbuchung der angekauften Forderung) erforderlich, dass die mit der verkauften Forderung verbundenen Ausfallrisiken auf den Forderungskäufer übergehen. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass das für die bilanzielle Betrachtung maßgebende wirtschaftliche Eigentum (vgl. § 39 dtAO) neben dem zivirechtlichen Eigentum (Abtretung gemäß § 398 dtBGB) auch mit auf den Forderungskäufer übergegangen ist. Ist das nicht der Fall, dann hat der Forderungsverkäufer die Forderung trotz des Verkaufs weiterhin in seiner Bilanz auszuweisen und den dafür erhaltenen Kaufpreis als Darlehensverbindlichkeit einzubuchen sowie die Differenz zwischen Kaufpreis und Nominalwert als Rechnungsabgrenzungsposten auszuweisen. Der Rechnungsabgrenzungsposten ist dann über die Laufzeit der verkauften Forderung erfolgswirksam aufzulösen. Konsequenterweise kann das SPV dann (zumindest nach dtHGB) die angekaufte Forderung nicht als Forderung einbuchen. Das SPV hat den gezahlten Kaufpreis dann als Darlehensforderung gegen den Forderungsverkäufer einzubuchen, besichert mit den angekauften Forderungen1. Da sich die Haftung des Forderungsverkäufers auf die abgetretende Forderung beschränkt, erfolgt die Abtretung gleichzeitig erfüllungshalber2. Kommt es zu Forderungsausfällen, reduzieren diese die Weiterleitungsverpflichtungen der Forderungsverkäufers, was bei dem SPV bilanziell zu einer Verringerung der Forderungen gegen den Forderungsverkäufer und damit zu einer erfolgswirksamen Abschreibung führt. Voraussetzung für die Ausbuchung einer verkauften Forderung ist somit die Übernahme des Risikos der Zahlungsfähigkeit und der Zahlungswilligkeit (Delcredere) durch den Forderungskäufer, während beim unechten Factoring, wo die Übernahme des Delkredere-Risikos fehlt, bilanziell von einer Kreditgewährung ausgegangen wird3. Weiter sind die zivilrechtlich wirksame Übertragung der Forderung (Abtretung gem. § 398 BGB) und das Recht des SPV als Forderungskäufer erforderlich, über die angekaufte Forderung auch tatsächlich verfügen zu können. Soweit variable Kaufpreisabschläge oder Absicherungen aus dem Vermögen des Forderungsverkäufers vereinbart werden oder Drittsicherheiten von diesem zu bestellen sind, die zur Absicherung des Delcredere-Risikos gestellt werden, müssen diese in die Beurteilung, ob die Forderungsabschläge marktgerecht sind, mit einbezogen werden4. Vereinbarungen, wonach der Forderungsverkäufer, solange er seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Forderungskäufer nachkommt, die verkauften Forderungen weiter einziehen und verwalten darf, stehen der Annahme eines True Sales nicht entgegen. Das gilt auch für Rückkaufvereinbarungen, wenn der Rückkauf nur zum Zeitwert zu erfolgen hat, also keine versteckte Risikorücknahme darstellt5. In der Praxis spielen bei True-Sale-Verbriefungstransaktionen vor allem Gestaltungen eine Rolle, bei denen aus den einbehaltenen sog. variablen Abschlägen ein verzinsliches Reservekonto zur Abdeckung von Bonitätsrisiken aufgebaut wird. Bei erfolgreichem Einzug der Forderungen werden am Ende einer Transaktion nicht für Verluste verbrauchte Abschläge an den Originator ausgezahlt. Hier ist ein Forderungsabschlag nur dann ohne Gefahr für den bilanziellen True Sale, wenn sich dessen Höhe im Rahmen angemessener und damit marktgerechter Delkredereabschläge für die erwarteten 1 Noodt in Haufe/HGB § 246 Rz. 64. 2 Erfüllungshalber bedeutet, dass der Gläubiger bei Weiterbestehen der bisherigen Forderung (hier Darlehensforderung) eine andere Befriedigungsmöglichkeit (angekaufte Forderung) erhält, vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 364 Rz. 7. 3 Grundlage für die Abgrenzung ist die Stellungnahme des Hauptfachausschusses (HFA) des Institutes für Wirtschaftsprüfer (IdW) IDW-RS-HFA-8 zur Rechnungslegung betreffend Zweifelsfragen der Bilanzierung von ABS-Gestaltungen und ähnlichen Transaktion v. 1.10.2002 mit Änderung durch HFA v. 9.12.2003, Wpg 2004, 138f; kritisch dazu Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91, 93 f. 4 Zu den weiteren Einzelheiten vgl. Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 150. 5 Noodt in Haufe/HGB § 246 Rz. 68.
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Wagenknecht 953
390
Teil H Rz. 390
Finanzierung
tatsächlichen Forderungsausfälle des veräußerten Portfolios bewegt, die einer Annahme der Übernahme des Delcredere-Risikos durch das SPV nicht entgegenstehen1. Auch wenn die Höhe der Abschläge bezogen auf die einzelne Forderung oder das zuerst angekaufte Forderungsportfolio angemessen ist, ist bei revolvierenden Forderungsankäufen zusätzlich zu betrachten, was mit den aus früher angekauften Forderungen eingezogenen Beträgen passiert, die auf die vereinbarten Abschläge früher angekaufter Forderungen entfallen. Damit geht es um die Frage, wann und unter welchen Bedingungen diese an den Forderungsverkäufer wieder ausgeschüttet werden. Das gilt insbesondere dann, wenn das SPV diese Beträge unbegrenzt zur Abdeckung von Verlusten für neu angekaufte Forderungen verwenden kann. Als Maßstab dürfen nicht die in derartigen Strukturen geforderten Sicherheitsabschläge der Ratingagenturen für die mit Investmentgrade und besser gerateten ABS-Anleihen herangezogen werden. Es geht um die Einhaltung einer marktgerechten Absicherung gegen das Delcredere-Risko, also um Abschläge, wie sie im Factoringgeschäft üblich sind oder wie sie aus den historischen Ausfällen des Forderungsverkäufers ermittelt werden. Im Ergebnis kann wohl gesagt werden, dass die Forderungsabschläge und die daraus angesammelten Barunterlegungen sowie sonstige vom Forderungsverkäufer zur Absicherung von Delcredere-Risiken gestellten Sicherheiten die historischen Ausfallraten nicht wesentlich überschreiten dürfen. Was wesentlich ist, hängt dann wieder vom Einzelfall ab, wie z.B. eine abweichende Zusammensetzung des verkauften Forderungsportfolios, geänderte Geschäftsstrategie des Forderungsverkäufers oder erwartete Bonitätsverschlechterungen der Schuldner2. Auch müssen die sog. versteckten Credit Enhancements mit berücksichtigt werden, wie z.B. kostenloser Forderungseinzug durch den Verkäufer, obwohl Forderungseinzugskosten mit kalkuliert wurden, stehen gelassener erstattungsfähiger Excess Spread3, nicht marktgerechte Zins- und Währungsswaps oder die Zahlung der Versicherungsprämie für die Kreditversicherung des SPV durch den Verkäufer. Daher kann es keine verlässliche standartisierte Obergrenze geben, auch wenn die Praxis eine Überschreitung in Höhe des 2fachen der gewichteten historischen Ausfallrate des Forderungsverkäufers oder von mehr als 50 % des ermittelten unerwarteten Verlustes (Unexpected Loss) vermeidet4. Revolvierende Verbriefungstransaktionen erfordern, dass aus Abschlägen angesammelte Bardepots von der SPV regelmäßig an den Verkäufter ausgeschüttet werden, wenn diese zusammen mit den vereinbarten Abschlägen, die auf den angekauften ausstehenden Forderungen lasten, einen gewissen Prozentsatz des jeweils angekauften ausstehenden Gesamtportfolios übesteigen. Um dennoch die für das gewünschte Rating der ABS-Anleihen erforderliche Besicherung zu erhalten, muss gegebenenfalls auf andere Instrumente des Credit Enhancement zurückgegriffen werden, die sicherstellen, dass die Sicherung von Dritten und nicht dem Forderungsverkäufer gestellt wird (z.B. das Vorsehen von nicht oder schlechter als BBB gerateten Tranchen oder die Einbindung einer Kreditversicherung). Die Kosten dafür hat das SPV zu tragen, das die Kosten der Versicherung bei der Kalkulation des dem Forderungsverkäufer in Rechnung gestellten Abzinsungssatzes als Teil des endgültigen Forderungsabschlages mit berücksichtigt.
1 Vgl. Dreyer/Schmid/Kronat, BB 2003, 91 ff. zur IDW RS HFA 8 Stellungnahme. 2 Anhaltspunkte für die Höhe der zulässigen Forderungsabschläge gibt die Rechtsprechung wie z.B. BFH, Urt. v. 26.8.2010, BB 2011, 109 f. (variable Kaufpreisabschläge, 40fache Übersicherung des erwarteten Forderungsausfalles; kein True Sale) sowie die Vorinstanz FG Münster, Urt. v. 2.12.2008, EFG 2009, 624 f.; dazu Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 151, 152; kritisch Schmid, DStR 2011, 794 f. 3 Zur Definition Art. 242 Nr. 1 CRR. 4 Nach IDW RS HFA 8, Tz. 23 kann wohl gesagt werden, dass der auf Basis historischer Forderungsausfälle ermittelte erwartete Verlust (expected loss) plus ein angemessener Risikozuschlag für die Unsicherheit künftiger Veränderungen des Ausfallrisikos als Abschlag zur Abdeckung von Ausfallrisiken zulässig ist.
954 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 392 Teil H
Gesonderte Abschläge für Gewährleistungsrisiken und Verkäuferrisiken sind hingegen unschädlich, solange strukturell sichergestellt ist, dass diese nicht zur Abdeckung von Ausfallrisiken herangezogen werden können1.
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Anstelle von Abschlägen sollen auch solche Strukturen für einen bilanziellen Abgang der Forderungen unschädlich sein, bei denen anstelle eines Abschlages eine Garantie für Ausfälle im Forderungsportfolio durch den Verkäufer gestellt wird2. Die Höhe der Absicherung durch die Garantie darf dabei aber unter Berfücksichtigung der andern zur Absicherung des Delcredere-Risikos vom Verkäufer gestellten Sicherheiten betraglich nicht über derjenigen für einen Bilanzabgang unschädlichen Abschlägen liegen. Der Vorteil einer solchen Struktur liegt für den Verkäufer darin, dass der Verkauf der Forderungen aufwandsneutraler in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) abgebildet werden kann, während Abschläge zunächst als Aufwand die GuV des Forderungsverkäufers belasten.
392
Garantien des Verkäufers für die Einbringlichkeit der Forderungen sind für einen regresslosen Forderungsverkauf jedoch zivil- und insolvenzrechtlich grundsätzlich problematisch. Qualitativ ist die rechtsgeschäftliche Bestellung einer Ausfallgewährleistung durch den Forderungsveräußerer etwas anderes als der Erhalt eines um einen Abschlag verminderten Kaufpreises für die Forderungen mit anschließender Ausschüttung nicht verbrauchter Abschläge durch Zuzahlungen an den Forderungsverkäufer. Während ein aus der Differenz von eingezogenen Beträgen und gezahltem Kaufpreis aufgebautes Bardepot bei Eintritt von Verlusten letztlich nur zu einem niedrigeren Kaufpreis führt, muss der Forderungsverkäufer bei dieser Gestaltungsalternative, wenn auch begrenzt auf die für den Bilanzabgang unschädliche Haftungshöhe der Garantie, mit seinem gesamten Vermögen weiter für die Einbringlichkeit der Forderung haften. Der vom Käufer entrichtete Kaufpreis ist damit zumindest zeitweise weiter in der Haftung für etwaige Forderungsausfälle und damit insoweit nicht endgültig gezahlt worden. Trotz betragsmäßiger Limitierung bedeutet dies rechtlich, dass der Verkäufer weiterhin unmittelbar am Schicksal der von ihm verkauften Forderungen beteiligt ist. Zudem darf die rechtliche Indizwirkung nicht unterschätzt werden, die der Begriff Garantie besitzt. Im Zweifelsfall müsste begründet werden, weshalb gerade eine Garantie des Forderungsverkäufers unschädlich für einen regresslosen Verkauf sein soll. Es ist daher nicht auszuschließen, dass für eine solche Struktur eine Risikoübertragung nach den bisher bekannten Prinzipien zivilrechtlich (und dann auch insolvenzrechtlich) in Frage gestellt werden könnte. Vor allem bei einer Insolvenz des Forderungsverkäufers kann sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Möglichkeit einer Umqualifizierung des Forderungsverkaufes in ein besichertes Darlehen vergrößern. Die in Rede stehende Gestaltungsalternative sollte daher aus Risikosicht des SPV und der Investoren nur dort in Betracht kommen, wo aufgrund des Ratings des Forderungsverkäufers ein zivilrechtlicher True Sale nicht ausschlaggebend ist. Grundsätzlich ist jede ABS-Gestaltung trotz standardisierter Strukturelemente als Einzelfallgestaltung zu sehen und unterliegt daher auch einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall. Somit können unter Umständen einzeln zulässige Strukturelemente in ihrer Summe im konkreten Einzelfall zu einer Verhinderung des Überganges des wirtschaftlichen Risikos der Forderungen und damit Nichtanerkennung des erwünschten bilanziellen Abganges führen. 1 Forschle/Ries in Beck’scher Bilanzkommentar, § 246 Rz. 32. 2 IDW RS HFA 8 Zweifelsfragen der Bilanzierung von asset backed securities-Gestaltungen oder ähnlichen securitisation-Transaktionen, WPg 2002, 1151 ff., Heft-Nr. 21/2002; WPg 2004, 138, Heft-Nr. 4/2004, Tz. 39a; Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 150.
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Wagenknecht 955
Teil H Rz. 393
Finanzierung
(b) Bilanzierung nach International Accounting Standards (IAS) 393
Die Beurteilung der Frage eines Bilanzabganges und damit der Ausbuchung (Derecognition) von veräußerten Forderungen richtet sich nach den sehr komplexen Vorschriften der IAS 39.15 bis 23 nebst den dazugehörenden Anhängen1. Der Abgang von Forderungen erfordert entweder die Übertragung der Forderung auf den Forderungskäufer (IAS 39.15a) oder die Verpflichtung des Forderungsverkäufers zur Auskehrung der damit vereinnahmten Forderungsbeträge (Cash Flows) an den Forderungserwerber (IAS 39.15b). An einer Forderungsübertragung i.S.v. IAS 39 fehlt es z.B., wenn der Forderungsverkäufer die angekauften Forderungen weiter einzieht und der Forderungskäufer den Forderungseinzug nicht jederzeit frei übernehmen und die Abtretung nicht gegenüber den Schuldnern offen legen kann. Da dies bei Verbriefungstransaktionen die Regel ist, müssen hier regelmäßig zusätzliche Voraussetzungen für einen Forderungsabgang vorliegen (IAS 39.18). Dazu gehören z.B. die Verpflichtung des Forderungsverkäufers, über die Forderung nicht zu verfügen außer zur Absicherung seiner Verpflichtungen gegenüber dem Forderungserwerber sowie die Verpflichtung des Forderungsverkäufers, alle auf die verkauften Forderungen eingegangenen Geldbeträge ohne wesentliche Verzögerung (Pass Through) an den Forderungserwerber weiterzuleiten (IAS 39.19). Erlaubt sind kurzfristige Vorauszahlungen zum Marktzins oder eine kurzfristige Anlage der eingezogenen weiterzuleitenden Gelder in Bar- und Sichteinlagen bei Kreditinstituten. Sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, ist zu prüfen, ob (a) so gut wie alle mit der übertragenen Forderung verbundenen Risiken und Chancen (substantilly all the risk and rewards) übertragen wurden (dann Ausbuchung und Einbuchung der bei der Übertragung entstandenen und behaltenen Rechte und Verpflichtungen) oder (b) alle mit der übertragenen Forderung verbundenen Risiken und Chancen behalten wurden (dann keine Ausbuchung und bilanzielle Behandlung als Finanzierung) oder (c) Risiken und Chancen in einem Umfang dazwischen übertragen wurden, ohne dass sich der Forderungsverkäufer das Verfügungsrecht über die auszubuchende Forderung behalten hat (dann Ausbuchung und Einbuchung der damit verbundenen Verpflichtungen und zurückbehaltenen Rechte); in allen anderen Fällen erfolgt ebenfalls keine Ausbuchung (IAS 39.20)2. Die im Fall einer Ausbuchung einzubuchenden Rechte und Verbindlichkeiten sind mit dem Zeitwert einzubuchen (IAS 39.25 und 30). Das gilt auch für die Bewertung der vom Forderungsverkäufer zu erbringenden Forderungsverwaltungs- und Inkassodienstleistungen. In der Verbriefungspraxis ist es häufig schwer, die Pass Through Anforderungen des IAS 39.20 c zu erfüllen. Das gilt gerade bei revolvierenden Verbriefungstransaktionen. Hier ist regelmäßig schon zur Reduzierung der Komplexität eine Verrechnung der eingezogenen Forderungsbeträge mit künftigen Kaufpreisansprüchen vertraglich vorgesehen. Je nachdem wie eng IAS 39.20 c) ausgelegt wird, könnten auch Pflichten des Forderungsverkäufers, die über den reinen Forderungseinzug und deren Verwaltung hinausgehen, gegen einen Abgang nach IAS 39.20 c sprechen3. Auf Basis der im IAS vorherrschenden wirtschaftlichen Betrachtung, sollte man jedoch im Zusammenhang mit den Pass Through-An1 Vgl. International Accounting Standards Board, International Financial Reporting Standards (IFRSs) including International Accounting Standards (IASs) and Interpretations Stand 1.10.2014, IAS 39; zu beachten ist, dass der am 24.7.2014 in der finalen Version veröffentlichte IFRS 9 ab dem 1.1.2018 den jetzt geltenden IAS 39 ablöst, wobei für die Länder der Europäischen Union noch eine Anerkennung durch die EU erforderlich ist. Die Ein- und Ausbuchungsregeln im Zusammenhang mit Forderungsverkäufen werden unter dem IFRS 9 jedoch nicht wesentlich geändert. 2 Zur Bewertung IAS 39.21 bis 23, wobei es nach IAS wesentlich auf die möglichen künftigen Barwertabweichungen des Cash Flows bei der Frage ankommt, ob für den Abgang ausreichend Chancen und Risiken abgegeben wurden; letztlich ist der deutsche HGB-Ansatz ähnlich, vgl. BFH, Urt. v. 26.8.2010 – I R 17/09, juris. 3 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS Kommentar, § 28 Rz. 68; Kuhn/Hachmeister, Rechnungslegung, S. 210 f., wo die Voraussetzungen an eine anerkennungsfähige Durchleitungsvereinbarung an Beispielen erläutert wird.
956 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 394 Teil H
forderungen keine gekünstelten Zwischenschritte mit entsprechenden wirtschaftlich unsinnigen Hin- und Herzahlungen verlangen, sondern die Verrechung von Zahlungseingängen mit Kaufpreisansprüchen aus weiteren Forderungsverkäufen zulassen1. Das sollte jedenfalls dann gelten, wenn, wie bei Verbriefungen gerade in Deutschland aus insolvenzrechtlichen Gründen sinnvoll, die Forderungen über ein dem Forderungskäufer verpfändetes Bankkonto eingezogen und die Verrechnungen monatlich vorgenommen werden, da dies wirtschaftlich einer Barmittelübertragung entspricht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass IAS 7.7 für Zahlungsmitteläquivalente sogar eine Restlaufzeit von bis zu 3 Monaten erlaubt2. Eine stille Abtretung steht einer offenen Abtretung bei der Beurteilung der Abgangsfrage gleich, wenn der Forderungskäufer das Recht hat, die Abtretung bei Vertragsverletzungen durch den Forderungsverkäufer offen zu legen3. Ist dass der Fall, ist eine Ausbuchung möglich, wenn gleichzeitig die Chancen und Risiken der Forderung ganz oder in wesentlichen Teilen auf den Forderungskäufer übertragen wurden, also die für eine Ausbuchung erforderliche rechtlichen und wirtschaftlichen Komponenten erfüllt sind. Hat der Forderungsverkäufer mit dem Forderungsverkauf nicht wesentlich alle Chancen und Risiken behalten, aber auch nicht übertragen, dann liegt eine nach IAS 39.20 (c) anzuerkennende Risikoteilung vor. Behält der Forderungsverkäufer bei einer Risikoteilung nach IAS 39.20 (c) die Verfügungsmacht über die verkauften Forderungen i.S.d. IAS zurück, dann hat der Forderungsverkäufer die verkaufte Forderung in dem Maße fortzuführen, wie er weiter risikomäßig involviert ist (Continuing Involvement)4. Diese Regelung hat den Vorteil, dass es dann kein Alles oder Nichts Prinzip gibt, sondern der Forderungsverkäufer in Höhe der übertrgenen Chancen und Risiken zumindest eine teilweise Forderungsausbuchung erreichen kann. Der weitere Forderungseinzug und die weitere Forderungsverwaltung durch den Forderungsverkäufer hindern nicht den Forderungsabgang, erfordern aber die Einbuchung einer Verbindlichkeit, wenn der Forderungsverkäufer dafür kein angemessenes Entgelt erhält bzw. die Einbuchung einer Forderung, wenn er überbezahlt wird (IAS 39.24). Bei einem Verkauf von kreditversicherten Forderungen, bei denen der Forderungsverkäufer die Versicherung abgeschlossen und die Versicherungsprämien gezahlt hat und künftig weiter zahlt, während er die von der Versicherung gezahlten Entschädigungen an den Forderungskäufer auszukehren hat, werden im Regelfall über den vom Forderungskäufer übernommenen Selbstbehalt hinaus keine Kreditrisiken übertragen. Die SPV übernimmt hier nur das Kreditrisiko der Versicherung, was im Regelfall zu vernachlässigen sein wird, während die Übernahme des Krditrisikos durch die Versicherung weiter vom Forderungsverkäufer bezahlt wird. Dies ist im Rahmen der Chancen und Risikobewertung entsprechend nachteilig für den Verkäufer, was die bilanzentlastung angeht, mit zu berücksichtigen5. Wenn der Forderungsverkäufer zudem die Forderungsausfälle in Höhe des mit der Kreditversicherung vereinbarten Selbstbehaltes selbst tragen soll, wird es schwer, eine nicht nur unwesentliche Risikoübertragung feststellen zu können. Dagegen bleibt eine Kreditversicherung bei dieser Bewertung außer Betracht, wenn diese vom Forderungskäufer abgeschlossen wird und das SPV die Präminen aus den endgültig vereinnahmten Zahlungen des Forderungsverkäufers bezahlt6. Deshalb sollte in der Praxis vorsorglich darauf geachtet werden, dass die For1 IDW RS HTA 9, Tz. 124, danach können sogar unvermeindliche Zahlungsverzögerungen bis zu 3 Monaten unschädlich sein. 2 So auch Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS Kommentar, § 28 Rz. 68; anders die wohl h.M. vgl. Kuhn/Hachmeister, Rechnungslegung, S. 212 Rz. 56 unter Hinweis auf IAS 39 BC. 3 IDW RS HFA 9 Tz. 120; Lüdenbach/Hoffman/Freiberg, § 28 Rz. 70. 4 Ausführliche Beispiele bei Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, § 28 Rz. 70 ff.; Kuhn/Hachmeister, S. 232 f. Rz. 106 ff. 5 Kuhn/Hachmeister, S. 206, Beispiel D4. 6 Kuhn/Hachmeister, S. 210 Rz. 69.
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394
Teil H Rz. 395
Finanzierung
derungen ohne Kreditversicherung des Forderungsverkäufers verkauft werden und das SPV dafür selbst eine neue Kreditvesicherung abschließt und die dafür zu zahlenden Prämien selbst bezahlt. 395
Im Zusammenhang mit der bilanziellen Behandlung von Verbriefungen geht es jedoch nicht nur um die Fragen der Ausbuchung der verkauften Forderungen analog der Regelungen zum Factoring. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der bilanziellen Finanzskandale geht es auch um die Frage, unter welchen Umständen es einem Forderungsverkäufer erlaubt werden soll, Vermögenswerte über Zweckgesellschaften zur Verkürzung seiner Bilanz ausbuchen zu können.
396
Der bilanzielle Abgang wird nach einem mehrstufigen Prüfungsschema beurteilt. Zunächst ist die Frage des Blickwinkels, mit dem die Ausbuchung geprüft werden soll, festzulegen, also ob auf Ebene der Einzelbilanz oder Konzernbilanz. Geht es um die Konzernbilanz, ist zunächst der Konsolidierungskreis festzulegen und damit zu fragen, ob die Verbriefungsgesellschaft beim Verkäufer mit zu konsolidieren ist1. Erst wenn feststeht, welche Tochter- und Zweckgesellschaften zu konsolidieren sind, beginnt die Prüfung, ob durch die Verbriefungstransaktion ein Bilanzabgang auch auf Konzernebene erreicht werden konnte. Die Konsolidierung richtet sich nach IFRS 10 (dazu nachfolgend Rz. 405). Im Ergebnis lässt sich die Konsolidierung eines SPV nur vermeiden, wenn (a) die mit dem von der Zweckgesellschaft angekauften Portfolio verbundenen Chancen und Risikien unter den Beteiligen der Verbriefungstransaktion so verteilt werden, dass keiner bei wirtschaftlicher Betrachtung mehrheitlich die eigentümerähnlichen Chancen und Risiken des SPV übernommen hat oder (b) mehrere Portfolien in ein SPV so verkauft werden, dass alle Portfolien den Investoren gegenüber als ein Portfolio haften, um eine sog. Silobildung zu vermeiden, bei der dann jedes einzelne Silo separt als Konsolidierungsobjekt zu betrachten ist2.
397
Bei der Beurteilung der Chancen und der Risiken eines Portfolios ist neben dem Ausfallrisiko des Forderungskaufes auch das Risiko der Refinanzierung zu betrachten. Wegen des typischen Fehlens von eigentümerähnlichen Chancen und Risiken im Zusammenhang mit der Refinanzierung aufgrund der festen Kosten- und Zinsstrukturen, kommt den damit verbundenen Risiken, zumindest für die Konsolidierungsfrage im Regelfall nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Etwas anderes kann für die Tragung von Währungs- und Zinsabsicherungsrisiken gelten. Das gilt insbesondere dann, wenn daraus für die Vertragspartner des SPV eigentümerähnliche variable Vergütungen entstehen können. Die besondere Bedeutung der Abschläge für die Einbringlichkeit der Forderungen für die Konsolidierungsfrage ergibt sich daraus, dasss diese aufgrund ihrer Abhängigkeit von den künftigen Forderungsausfällen zu variablen Einkünften des Forderungsverkäufers führen, wenn die nicht durch Forderungsausfälle verbrauchte Abschläge an den Verkäufer auszukehren sind. Ohne diese Auskehrungsverpflichtung würde der tatsächliche Forderungsausfall sich direkt auf den Ertrag und damit den Verlust oder Gewinn des SPV auswirken. Darüber hinaus müsste das SPV einen Ersatz der variablen Abschläge regelmäßig mit Eigenkapital oder einer dem Eigenkapital ähnlichen Finanzierung ersetzten. Wurde das SPV nur gegründet, um Forderungen eines Originators anzukaufen, besteht die Gefahr, dass die Gründung als nur für diesen Originator erfolgt angesehen wird, da dieser dann faktisch von Anfang an Hauptvorteilsnehmer des SPV ist. Das SPV wäre dann vom Forderungsverkäufer nach IFRS 10 Tz. 7 zu konsolidieren. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser darüber hinaus variable Forderungsabschläge mit dem SPV ver1 Kuhn/Hachmeister, S. 199 ff. 2 Dazu IFRS B 76 ff. und Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg IFRS Kommentar, § 28 Rz. 80 und § 32 Rz. 78.
958 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 400 Teil H
einbart hat und alle Zins- und Kostenänderungsrisiken trägt. In der Praxis führt das dazu, dass das SPV in den typischen ABS-Strukturen regelmäßig von dem Originator zu konsolidieren ist. Das gilt besonders dann, wenn der Forderungsverkäufer wesentliche Inhalte der Transaktionsdokumentation bestimmt, variablen Einkünften und damit wesentlichen Chancen und Risiken über die Forderungsabschläge ausgesetzt ist und das Recht hat, die Transaktion nach seinen Wünschen vorzeitig zu beenden oder bei revolvierenden Transaktion entscheiden kann, in welchem Umfang er Forderungen an das SPV verkauft. Die Fragen, wer die Anteile an dem SPV hält oder wer die Stimmrechte hat, sind dagegen bei Zweckgesellschaften ohne besondere Bedeutung, da das SPV in den üblichen Verbriefungstransaktionen im wesentlichen nur Verwaltungsaufgaben wahrnimmt1. Zur Vermeidung von Risiken wird in der Verbriefungsdokumentation auf Verlangen der Rating-Agenturen genau geregelt, was die Direktoren oder Dienstleister des SPV dürfen und wie sich diese in bestimmten Fällen zu verhalten haben, um die Interessen der Investoren zu sichern (sog. Autopilot-Transaktionen). Eine Konsolidierug des SPV hat zur Konsequenz, dass der Forderungsverkäufer die mit der Ausbuchung der Forderungen verbundene Bilanzentlastung nur auf der Einzelbilanzebene des Forderungsverkäufers erreicht, nicht aber auf der Konzernebene2. Darüber hinaus sind bei der Nutzung von strukturierten Gesellschaften besondere Angabenvorschriften für die Konzernbilanz und dessen Anhang zu beachten, um den Adressanten der Bilanzen ein klares und transparentes Bild über die Verbriefung, deren Zweck, das SPV und die damit verbundenen Risiken zu geben (IFRS 12).
398
Handelt es sich um ein nicht zu konsolidierendes SPV, kann nach IAS 39.17 (a) die Forderung ausgebucht werden, wenn nach IAS 39 die Voraussetzungen für eine Ausbuchung oder ein Continuing Involvement vorliegen. Wurde festgestellt, dass das SPV zu konsolidieren ist und die cash flows aus den Forderungen nicht oder nur teilweise übertragen wurden, kann ein bilanzieller Abgang (IAS 39.18 (b)) nur erzielt werden, wenn die Voraussetzungen des pass through-Ansatzes nach IAS 39.19 erfüllt sind3. Danach dürfen Zahlungen nur dann an Investoren weitergeleitet werden, wenn auch tatsächlich Zahlungen eingehen. Das SPV darf die Forderungen nicht für andere Zwecke als die in der Verbriefungstransaktion zugunsten der Investoren und sonstigen Vertragsbeteiligten vereinbarten nutzen, weiterveräußern oder verpfänden dürfen. Damit kommt eine Weiterveräußerung der angekauften Forderungen nur dann in Betracht, wenn dies im Rahmen der Sicherheitenverwertung zugunsten der Investoren erforderlich ist. Die Zahlungen aus den Forderungen müssen ohne wesentliche Verzögerung weitergeleitet werden. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die revolvierende Refinanzierung von Forderungen, da eine zins- und fristenkongruente Deckung der cash flow Ein- und Ausgänge hier kaum praktikabel ist und zu wirtschafltich sinnlosen Hin- und Herzahlungen führt, wenn keine Verrechnungen erlaubt sind.
399
Auch innerhalb einer pass through-Struktur (aber auch einer Vollabtretungsstruktur mit Übertragung des Forderungseinzuges auf die Zweckgesellschaft) stellt sich die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang nach dem „Risk and Reward“-Ansatz des IAS 39.20 die Chancen und Risiken der verkauften Forderungen beim Verkäufer
400
1 IFRS 10 B 51 und IFRS 10 B 11 sowie Kuhn/Hachmeister, Rechnungslegung, S. 202 Rz. 18 ff. 2 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, Haufe IFRS Kommentar, § 28 Rz. 79; anders Löw/Schildbach, Financial Instruments – Änderungen von IAS 39 aufgrund des Amendmends Project des IASB, BB 2004, 875 (878). 3 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg IFRS Kommentar, 13. Aufl. 2015, § 32 Rz. 68, der auf die Problematik von stillen Abtretungen mit Rückbehalt eines Teilrisikos durch den Forderungsverkäufer hinweist.
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Wagenknecht 959
Teil H Rz. 401
Finanzierung
bzw. bei einer Konsolidierung zusätzlich der SPV verblieben sind1. Bei der Bestimmung der Risiken, insbesondere des Ausfall- und Zinsrisikos, ist auf einen Vergleich der Variabilität des Gegenwartswertes der cash flows vor und nach der Übertragung der Forderungen abzustellen. Auswirkungen für die Risikoübertragung hat daher auch hier die Höhe der Abschläge für Forderungsausfälle, wenn diese nicht endültig sind, sondern zu variablen Einkünften führen können. Ebenso ist der Rückkauf von Tranchen (z.B. bei einem Clean-up call) nur dann unschädlich für die Risikoübertragung, wenn dieser zum fairen Preis der Forderungen (also Zeit- oder Marktwert) am Tag des Rückkaufes erfolgt. 401
Im Fall einer Konsolidierung des SPV in der Konzernbilanz des Forderungsverkäufers können die verkauften Forderungen aus der Konzernbilanz nur ausgebucht werden, wenn der Forderungsverkäufer und das SPV so gut wie alle Chancen und Risiken aus den vom SPV angekaufen Forderungen auf Dritte (Investoren, Kreditversicherungen, Swap-Counterparties) übertragen haben (IAS 39.20 (a)). Wurden dagegen vom Forderungsverkäufer und der SPV so gut wie alle Chancen und Risiken behalten, ist keine Ausbuchung in der Konzernbilanz möglich (IAS 39.20 b). Wurden schließlich weder so gut wie alle Chancen und Risiken übertragen, noch so gut wie alle Chancen und Risiken behalten, dann findet eine Ausbuchung auch in der Konzernbilanz statt, wenn die Verfügungsgewalt über die verlauften Forderung mit übertragen wurde. Hier ist dann zu prüfen, ob die Übertragung der angekauften Forderungen mit den dafür bestellten Sicherheiten auf einen Sicherheitentreuhänder, der diese vorrangig für die Investoren und die anderen Gläubiger halten soll, die Voraussetzungen erfüllt, die vorliegen müssen, damit nach IAS 39 eine Aufgabe der Verfügungsmacht über die verbrieften Forderungen angenommen werden kann. In der Konzernbilanz sind dann jedoch alle mit der Verbriefung entstandenen Rechte und Pflichten als Vermögenswerte oder Verpflichtugnen gesondert auszuweisen (IAS 39.20(c)(i)).
402
Für den pass-through Ansatz und damit dem Erfordernis der Aufgabe der Verfügungsgewalt über die verkauften Forderungen darf weder das SPV noch der Originator nach dem Verkauf der Forderungen eine Möglichkeit haben, weiterhin frei über die Forderung zu verfügen. Dem kann u.a. entgegenstehen, dass der Forderungseinzug einschließlich der Möglichkeit von Forderungserlassen, gerichtlicher Geltendmachung etc. weiter vom Originator vorgenommen wird und somit de facto die Kontrolle über die Forderung besteht. Auch können Abschläge für Bonitätsrisiken einem Kontrollverlust entgegenstehen, wenn das SPV als pass through-Erwerber der Forderungen diese nicht ohne Restriktion weiterveräußern kann.
403
Wurde die Verfügungsgewalt zurückbehalten oder wurden die Voraussetzungen des pass through nicht erfüllt, was in der Praxis häufig der Fall ist, sind die verbrieften Forderungen nach Maßgabe des anhaltenden Engagement nach IAS 30 in der Konzernbilanz weiter zu erfassen (IAS 20 (c)(ii) (sog. Continuing Involvement). Da die Forderungen jedoch nur noch in Höhe des anhaltenden Engagements in der Konzernbilanz auszuweisen sind, kann hierdurch auch ohne Erfüllung der klassischen Abgangsvoraussetzungen eine erhebliche Bilanzentlastung erreicht werden. (c) Konsolidierungsfragen
404
Die Frage, ob die Verbriefungszweckgesellschaft beim Forderungsverkäufer zu konsolidieren ist, richtet sich in Deutschland nach §§ 290 ff. dtHGB. Es gilt das sog. Control Konzept. Bei Verbriefungstransaktionen ist aufgrund der üblichen Strukturen für die Beantwortung der Konsolidierungsfrage regelmäßig nur die Frage von praktischer Rele1 Löw/Schildbach, Financial Instruments – Änderungen von IAS 39 aufgrund des Amendmends Project des IASB, BB 2004, 875 (878).
960 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 405 Teil H
vanz, wer bei wirtschaftlicher Betrachtung die Mehrheit der Chancen und Risiken trägt (§ 290 Abs. 2 Nr. 4 dtHGB)1. Dabei muss es sich um die absolute Mehreit handeln. Eine relative Mehrheit reicht nicht aus2. Es geht um eine wirtschtlich und nicht eine rechtlich geprägte Beherrschung. Damit geht es darum, wer mehrheitlich an den variablen Ergebnissen des SPV beteiligt ist, so dass der Höhe der variablen Forderungsausfallabschläge eine besondere Bedeutung zukommt. Bei der Abwägung ist aber auch zu berücksichtigen, für wen das SPV gegründet wurde und auf wessen Geschäftsbedürfnisse es ausgerichtet ist. Weitere Gesichtspunkte sind, ob das SPV aufgrund einer Auto-PilotStruktur auf die Bedürfnisse eines Beteiligten (z.B. des Forderungsverkäufers) zugeschnitten wurde oder ob ein Beteiligter dafür, dass er die Mehrheit der Nutzen aus dem SPV bezieht und auch besonderen Risiken aus dessen Geschäftstätigkeit ausgesetzt ist3. Aufgrund der strukturellen Ausgestaltung von Verbriefungstransaktionen (AutoPilot-Struktur) hat der Forderungsverkäufer zwar keinen Einfluss auf das Vermögen oder die Geschäftsführung der Zweckgesellschaft. Dennoch soll er bei Verbriefungstransaktionen nicht vom Konsolidierungswahlrecht nach § 296 Abs. 1 Nr. 1 dtHGB Gebrauch machen können4. Danach besteht ein Konsolidierungswahlrecht, wenn erhebliche und andauernde Beschränkungen die Ausübung der Rechte des Mutterunternehmens in Bezug auf das Vermögen oder die Geschäftsführung des möglichen Tochterunternehmens (hier das SPV) nachhaltig beeinträchtigen. Begründet wird dies mit dem Zweck des § 290 Abs. 2 Nr. 4 dtHGB, da dadurch aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise gerade eine Konsolidierung bei demjenigen erfolgen soll, der die Mehrheit der Chancen und Risiken hat. Dieser Wille des Gesetzgebers soll durch das Wahlrecht nach § 296 Abs. 1 Nr. 1 dtHGB nicht wieder aufgehoben werden können. Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften nach den International Financial Reporting Standarts (IFRS) richtet sich nach IFRS 105. Maßgebend für eine Konsolidierung der Zweckgesellschaft beim Forderungsverkäufer (Originator) sind folgende Prüfungsschritte: (a) besteht die Möglichkeit, aufgrund von bestehenden Rechten die relevanten Aktivitäten der Zweckgesellschaft entweder am Anfang oder während der Dauer der Verbriefungstransakton zu bestimmen (Entscheidungsgewalt bzw. power), (b) besteht die Möglichkeit, variable Rückflüsse aus der Zusammenarbeit mit der Zweckgesellschaft zu erhalten (Ergebnisvariabilität bzw. variability in returns) und (c) besteht eine Verbindung zwischen Entscheidungsgewalt und Ergebnisvariabilität (IFRS 10 Tz. 7). Eine am Anfang nicht gegebene Konsolidierungspflicht kann sich bei später ändernden Umständen ergeben (IFRS 10 Tz. 8). Bei Verbriefungszweckgesellschaften werden die relevanten Aktivitäten regelmäßig durch die Vertragsdokumentation bestimmt (sog. Autopilot-Strukturen)6. Die Stimmrechte sind daher bei Zweckgesellschaften auch unter IFRS von weniger praktischer Bedeutung für die Frage, wer Power hat. Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung, die unter Beachtung des Zwecks und der Struktur der Zweckgesellschaft, die praktischen Einflussnahmemöglichkeiten der Beteiligten bewertet, die relevanten Aktivitäten der Zweckgesellschaft 1 Dazu Merkt in Baumbauch/Hopt, Handelsgesetzbuch, 36. Aufl. 2014, § 290 Rz. 12; Müller in Haufe HGB § 290 Rz. 45 ff.; zu den Konsolidierungsfragen siehe auch den Deutschen Rechnungslegungsstandard Nr. 19 Pflicht zur Konzernrechnungslegung und Abgrenzung des Konsolidierungskreises v. 29.12.2010 vom Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e.V. (DRS) und hier DRS 50ff zur Frage, wie die Mehrheit der Chancen und Risiken zu ermitteln ist. 2 DRS 19 Tz. 54; zur Bewertung Müller in Haufe HGB, § 290 Rz. 51. 3 Grottel/Kreher in Beck‘scher Bilanzkommentar, § 290 Rz. 76. 4 Müller in Haufe HGB § 296 Rz. 27; Förschle/Deubert in Beck’scher Bilanzkommentar, § 296 Rz. 12; umgekehrt darf jedoch der Anteilsinhaber des SPV von einer Konsolidierung des SPV trotz der Stimmrechte absehen. 5 Der aktuell geltende IFRS 10 ist am 1.1.2014 in der jetzigen Fassung in Kraft getreten. 6 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS Kommentar, § 32 Rz. 7.
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Wagenknecht 961
405
Teil H Rz. 406
Finanzierung
(insbesondere die Forderungsankäufe, den Forderungseinzug und die Forderungsverwaltung sowie die Entscheidungen über einen Verkauf oder die Weiterabtretung der angekauften Forderungen und die Verwertung der Sicherheiten) zu bestimmen. Da die wesentlichen Tätigkeiten des SPV und die Art und Weise der Forderungsankäufe und deren Refinanzierung sowie die Sicherheitenverwertung weitgehend vorab in der Verbriefungsdokumentation für die gesamte Dauer der Verbriefungstransaktion festgelegt werden, wird sich allein aus der Frage, wer die relevanten Aktivitäten des SPV berstimmt, im Regelfall keine klare Anwort ergeben, wer das SPV zu konsolidieren hat. Damit kommt der Frage, in welchem Umfang die einzelnen Beteiligten an den variablen und damit in erster Line vom Forderungsausfallrisiko abhängigen Ergebnissen der Zweckgesellschaft beteiligt sind, eine besondere Bedeutung zu (IFRS 10.B 16 ff.)1. Zwar gilt nicht mehr der Ansatz automatisch, dass derjenige, der die Mehrheit der Chancen und Risiken trägt, die Zweckgesellschaft auch zu konsolidieren hat. Gleichwohl wird die Mehrheit der Chancen und Risiken, wenn diese über variable Abschläge zur Abdeckung von Ausfallrisiken beim Originator liegt, wohl auch weiterhin ein starkes Indiz dafür sein, dass der Originator als Forderungsverkäufer das SPV zu konsolidieren hat. Etwas anderes kann gelten, wenn besondere Zins- oder Währungsrisiken mit den Forderungen auf das SPV mit übertragen und von anderen Beteiligten übernommen wurden oder die vom Originator beim Forderungsankauf akzeptierten variablen Risikoabschläge, die wirtschaftlich zu einer späteren Kaufpreisanpassung führen, im Verhältnis zu den, von den andere Beteiligten (z.B. Kreditiversicherung oder Garanten) übernommenen Ausfallrisiken als unter 50 % erscheinen lassen. Maßgebend ist die Gesamtberuteilung im Einzelfall2. 406
Kommt es zu einer Konsolidierung der Verbriefungsgesellschaft beim Forderungsverkäufer, dann hat zwar ein Abgang der Forderungen im Einzelabschluss stattgefunden, wenn die Voraussetzunge des IAS 39 erfüllt sind. In der Konzernbilanz sind die Forderungen bei einer Konsolidierung der Verbriefungsgesellschaft jedoch wieder enthalten, so dass eine mit der Verbriefung bezweckte Verbesserung der Finanzkennzahlen auf Konzernebene nicht erreicht wird3. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Abgangsvoraussetzungen nach IAS 39 auch auf der Ebene der Konzernbilanz und damit für den Forderungsverkäufer und das SPV zusammen vorliegen oder ein Continuing Involvement gebucht werden kann.
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Konsolidierungsfragen richten sich immer nach dem auf das jeweilige Unternehmen anwendbare Bilanzierungsrecht. Das auf das bilanzierende Unternehmen anwendbare Bilanzierungsrecht hat die Frage zu beantworten, ob es eine Konzernbilanz aufzustellen und die Verbriefungszweckgesellschaft in der Konzernbilanz zu konsolidieren hat. Da die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen können, kann es sein, dass zwei Unternehmen die Zweckgesellschaft zu konsolidieren haben oder eine gemeinsame Beherrschung und damit eine anteilige Konsolidierungspflicht vorliegen kann4. (5) Insolvenzrechtliche Fragestellungen
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Eine der Grundvoraussetzungen bei ABS-Transaktionen ist die Möglichkeit der insolvenzfesten Übertragung von Forderungen. Darauf bauen die Cah Flow Modelle der Rating Agenturen und der Investoren auf, aus denen die Rückzahlungswahrscheinlichkeit der ABS-Anleihen und damit die unterschiedlichen Ratings abgeleitet werden. 1 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, § 32 Rz. 53 ff. 2 Kuhn/Hachmeister, Rechnungslegung S. 204f mit anschaulichen Beispielen für die erforderliche Gesamtbetrachtung und Abwägung. 3 Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, § 32 Rz. 56. 4 Vgl. IFRS 10.9.
962 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 409 Teil H
Sollte sich später in der Insolvenz des Originatiors (Forderungverkäufers) herausstellen, dass die Forderungsabtretungen nicht insovenzfest waren und damit vom Insolvenzverwalter angefochten werden können (§§ 129 ff. dtInsO), dann hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Vermögenssituation des SPV und damit der Fähigkeit des SPV, die ausstehenden ABS-Anleihen zurückzuzahlen. Das wäre auch der Fall, wenn der der Verbriefungstransaktion zugrunde gelegte True Sale insolvenzrechtlich in eine Finanzierung umgedeutet werden könnte und der Insolvenzverwalter dadurch das Recht zur Verwertung der verkauften Forderungen und der dafür von Schuldener bestellten Sicherheiten erwerben würde (§ 166 Abs. 2 BGB). Der Insolvenzverwalter des Originators ist nicht an die Verträge des Originators mit dem SPV gebunden und damit auch nicht an den vereinbarten Wasserfall oder die zugunsten der Gläubiger des SPV vereinbarte Sicherheitenstruktur. Die insolvenzrechtliche Umqualifizierung des True Sale in eine Finanzierung hätte zur Folge, dass die Forderungsankäufe entsprechend dem unechten Factoring als Darlehensgewährungen gegen Sicherungsabtretung der angekauften Forderungen angesehen werden könnten. Das hätte zur Folge, dass der Insolvenzverwalter des Originators die angekauften Forderungen und die dafür bestellten Sicherheiten einziehen und damit verwerten dürfte (§ 166 dtInsO) und sich die bei Sicherheitenverwertung zu zahlende Insolvenzverwaltervergütung (§ 171 dtInsO) vom Verwertungserlös abziehen könnte (§ 170 Abs. 1 dtInsO)1. Das Umqualifizierungsrisiko für True-Sale-Transaktionen in eine besicherte Finanzierung ist deshalb immer zu prüfen, sollte aber bei entsprechender Vorsicht beherrschbar sein (s. Rz. 96 ff.). In den typischen ABS-Transaktionen geht es dabei vor allem um die Höhe der Abschläge für Bonitätsrisiken und die dadurch aufgrund der laufenden Forderungseinzüge aufgebauten Barreserven, die erst zeitverzögert an den Originator ausgekehrt werden. Unangemessen hohe Forderungsabschläge oder die Art und Weise des Aufbaus und der Nutzung von Barreserven zur Abdeckung von Forderungsausfällen aber auch etwaige Rückkaufverpflichtungen des Originators lassen die Frage aufkommen, ob mit den Forderungsverkäufen insolvenzrechtlich ein regresssolser Forderungsverkauf (True Sale) tatsächlich erfolgt ist. Maßgebend für die insolvenzrechtliche Behandlung ist die zivilrechtliche Bewertung des Geschäftes als Forderungsverkauf nach §§ 453, 398 dtBGB entsprechenden darfür für das echte Factoring dargestellten Regelungen2. Die Parteien wollten gerade keine Finanzierung, sondern einen Forderungsverkauf. Anders als bei einem Kredit soll der Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis unabhängig von der Einbringlichkeit der verkauften Forderung behalten dürfen und kann dies auch. Deshalb ist die eher bilanziell geprägte Auffassung über den Risikotransfer3 für die insolvenzrechtliche Beurteilung nicht maßgeblich (s. Rz. 388 ff.). Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich dann, wenn die Forderungen zu den beim Factoring üblichen Abschlägen von dem SPV angekauft und unmittelbar mit oder kurzfristig nach dem Ankauf von dem SPV als Forderungskäufer bezahlt werden, auch bei einer Verbriefung um die Zahlung eines fairen und damit gleichwertigen Gegenwertes für die Forderungen im Sinne eines echten Factoring handelt. Damit liegt ein insolvenzrechtlich nicht anfechtbares Bargeschäft (§ 142 InsO) vor4. 1 Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 68; die Insolvenzverwalterkosten betragen 4 % pauschal für die Feststellung der Sicherungsrechte und 5 % für die Verwertung, die aber an die tatsächlichen Kosten angepasst werden können (§ 171 Abs. 1 und 2 dtInsO), was natürlich einen erheblichen Liquiditätsabfluss bedeutet, wenn dieser in der Cash Flow Rechnung des SPV nicht zugunsten des Insolvenzverwalters und damit zum Nachteil der Investoren der SPV mit berücksichtigt wurde. 2 Vgl. auch Fleckner, ZIP 2004, 585 (592 ff.). 3 Geiger in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, S. 494 Rz. 29. 4 Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 69; zu den Anforderungen an ein insolvenzrechtlich nicht anfechtbares Bargeschäft s. Riggert in Braun, InsO, § 142 Rz. 3 ff.
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Maßgebend können dagegen nicht die vom Kapitalmarkt für gute Ratings verlangten Forderungsabschläge sein, da es bei diesen nicht um die Bestimmung eines fairen Kaufpreises, sondern um die Bestimmung einer möglichst geringen Ausfallwahrscheinlichkeit für die dadurch bewertete ABS-Anleihe geht. Die für einen True Sale oder die Annahme eines Bargeschäftes erlaubte Höhe der Abschläge zur Absicherung von Ausfallrisiken ist auch bei Verbriefungstransaktionen entweder (a) auf der Grundlagen der historischen Ausfallraten des Forderungsverkäufers und damit auf Basis des erwarteten Verlustes zzgl. eines angemessenen Sicherheitszuschlages zu bestimmen oder (b) anhand der für vergleichbare Factoringtransaktionen vom Markt geforderten üblichen Abschlägen festzusetzten. Ist der Abschlag bezogen auf die einzelne Forderung angemessen und wird er auf Basis der Einzelforderungen bei der Kaufpreisrechung berechnet, dann werden die einzelnen Forderungen regresslos i.S.v. §§ 453, 398 dtBGB gegen Zahlung des dafür vereinbarten Kaufpreises verkauft. Den gezahlten Kaufpreis kann der Verkäufer endgültig behalten. Darüber kann er frei verfügen. Auf spätere Zuzahlungen hat der Verkäufer nur dann einen Anspruch, wenn die daraus eingezogenen Beträge nicht zur Abdeckung von Forderungsausfällen verwandt werden. Da der Originator bei Verbriefungstransaktionen die Forderungen weiter einzieht und bei revolvierenden Forderungsverkäufen weiter Forderungen im Rahmen seines Geschäftsbetriebes generiert, haben das SPV und die dahinterstehenden Banken und Investoren ein Intersse daran, das der Originator ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Forderungseinzug hat. Deshalb muss es möglich sein, dass das SPV dem Forderungsverkäufer einen Teil der sonst zusätzlich zur Absicherung von Forderungseinzugsrisiken benötigten Risikomarge in Form von variablen Forderungsabschlägen wieder zurückgibt, bedingt dadurch, dass die tatsächlichen Forderungsausfälle unter den erwarteten dadurch abgesicherten Ausfällen liegen. Zieht der Originator die Forderungen nicht mehr ein, braucht das SPV die nicht ausgekehrten Abschläge zur Absicherung des dann bestehenden erhöhten Einzugsrisikos. Diese Handhabung entspricht den erfolgsgebundenen Provisonsregelungen mit Inkassounternehmen. Die gesetzliche Regelung des Rechtskaufs verbietet nicht, dass der Verkäufer später über den fest vereinbarten Kaufpreis hinaus noch variable Zahlungen erbringt, die mit dem erfolgreichen Forderungseinzug zusammenhängen. Zivil- und insovenzrechtlich geht es um die einzelne übertragene Forderung und nicht um eine Poolbetrachtung. Liegen die Voraussetzungen für einen echten Forderungskauf auf Ebene des einzelnen Forderungsverkaufs vor, hat also der Forderungsverkäufer für jede verkaufte Froderung einen angemessenen Kaufpreis erhalten, dann wurde diese Forderung auch insolvenzrechtlich rechtwirksam übertragen, ohne später insolvenzrechtlich in eine Finanzierung umqualifiziert werden zu können. Damit liegen bei zeitnaher Kaufpreiszahlung auf der Ebene des Ankaufs der einzelnen Forderung auch die Voraussetzungen eines Bargeschäfts (§ 142 dtInsO; unmittelbarer Erhalt einer gleichwertigen Gegenleistung) vor. Damit können die einzelnen Forderungsankäufe nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 dtInsO (Absicht des Originators mit den Forderungsverkäufen seine Gläubiger zu benachteiligen und positive Kenntnis davon beim Forderungsankauf durch das SPV) vom Insolvenzverwalter des Originators angefochten werden. Hat das SPV an den Originator für die einzelne Forderung einen angemessenen Kaufpreis gezahlt, liegt eine gleichwertige Gegenleistung vor. Deshalb kann bei den genannten Kaufpreisabschlägen nicht allein deshalb von einer Beeinträchtigung des insolvenzsicheren True Sale ausgegangen werden, wenn diese zu zusätzlichen Zahlungen an den Forderungsverkäufer aus nicht zur Abdeckung von Forderungsausfällen benötigten Forderungseingängen auf vereinbarte Forderungsabschläge führen, die zur Abdeckung von Ausfallrisiken vereinbart wurden. Diese Zahlungen stammen insolvenzrechtlich aus dem Vermögen des SPV als Forderungskäufer, die aus den vom SPV rechtswirksam erworbenen Forderungen resultieren. Es geht hier nicht um die Zurechnung von Eigentum an den Forderungen aufgrund der für das Steuerrecht geltenden wirtschaftlichen Sichtweise (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 dtAO, sog. wirtschaftliches Eigentum), sondern um die Anwendung zivilrechtlicher 964 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 413 Teil H
und insolvenzrechtlicher Normen, die auf die Angemessenheit des Kaufpreises sowie die rechtswirksame Übertragung der Forderung und des Delkredererisikos auf den Forderungskäufer abstellen1. Bei Verbriefungstransaktionen hat die Ankaufgesellschaft (SPV) ihren Sitz regelmäßig im Ausland. Deshalb sind die insolvenzrechtlichen Fragen, welche die Insolvenz der SPV betreffen, grundsätzlich nach dem am Sitz der SPV geltenden Insolvenzrecht zu beurteilen (vgl. § 3 dtInsO). Das gilt für die Fragen, wann ein Insolvenzantrag zu stellen ist und wer das kann sowie für die Fragen, wie die insolvenzrechtliche Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung oder die Insolvenzfestigkeit von Zahlungen an die Investoren und die anderen Transaktionsbeteiligten zu beurteilen ist. Dabei ist für Deutschland zu untescheiden, ob das SPV seinen Sitz in einem Mitgliedsstat der Europäischen Union (EU) oder außerhalb davon hat, da für grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU (Ausnahme Dänemark) die Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO) gilt. Sofern das SPV seinen Sitz außerhalb der EU hat und nach deutschem internationalen Insolvenzrecht für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das gesamte Vermögen des SPV die internationale Zuständigkeit dort liegt, würde ein dort eröffnetes ausländisches Insolvenzverfahren in Deutschland grundsätzlich anerkannt werden (§ 343 Abs. 1 dtInsO). Das gilt auch für etwaige vom dortigen ausländischen Insolvenzgericht angeordnete Sicherungsmaßnahmen (§ 343 Abs. 2 dt.InsO)2.
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Nach § 3 Abs. 1 dtInsO richtet sich die Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte zwar grundsätzlich nach dem allgemeinen Gerichtstand und damit dem Sitz des SPV (§ 3 Abs. 1 Satz 1 dtInsO i.V.m. §§ 12, 17 dtZPO), wenn es um die Eröffnung des Isolvenzverfahrens über das gesamte Vermögen des SPV geht. Die Beantragung der Eröffnung eines umfassenden Insolvenzverfahrens unter Berufung auf den besonderen Gerichtstand der Niederlassung (§ 21 dtZPO) oder des Vermögens (§ 23 dtZPO) ist daher nach deutschem Insolvenzrecht (bei inlandischen oder Außer-EU-Sachverhalten) nicht möglich ist. Das deutsche Insolvenzrecht sieht jedoch dann die deutsche Zuständigkeit vor, wenn ein Vergleich der Aktivitäten des SPV in Deutschland mit denen an seinem Sitz ergibt, dass der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeiten des SPV nicht am Sitz des SPV, sondern in Deutschland anzunehmen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO)3. Deshalb empfielt es sich bei der Strukturierung darauf zu achten, dass nicht nur alle wesentlichen Entscheidungen am Sitz des SPV getroffen werden, sondern dort auch wirtschaftliche Aktivitäten und Vermögensgegenstände, wie z.B. die Bankkonten angesiedelt werden. Einzelheiten zum europäischen und autonomen internationalen Insolzenzrecht unten Teil O.
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Nach § 354 Abs. 1 dtInsO gibt es zudem auf Antrag die Möglichkeit, ein auf das Vermögen in Deutschland begrenztes Insolvenzverfahren durchzuführen, wenn die Zu-
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1 Deshalb ist das Urteil des BFH v. 26.8.2010 – I R 17/09 nicht vollumfänglich auf die zivil- und insolvenzrechtliche Betrachtungsweise zu übertragen, da das Zivil- und Insolvenzrecht keine allgemeine wirtschaftliche Betrachtungsweise kennt, die zivlilrechtliche Vereinbarungen einfach aufheben können. Der BFH verkennt, dass der BGH auf den jeweiligen Forderungskauf sowie darauf abstellt, ob der Forderungsverkäufer den gezahlten Kaufpreis endgültig behalten darf und ob der für die einzelne angekaufte Forderung gezahlte Kaufpreis angemessen gewesen ist. Ist das der Fall, geht die Forderung im Rahmen des regresslosen Forderungsverkaufs auf den Käufer über, der dann darüber nach Belieben verfahren kann; wie hier Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 73. 2 Vgl. Brinkmann in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 343 Rz. 6 ff.; hat das SPV seinen Sitz in der EU, ist vorrangig die EuInsVO zu beachten. Das gilt für Luxemburg, Irrland und Österreich als Sitzstaat des SPV; zur weiteren Geltung vom Staatsverträgen (z.B. mit der Schweiz) zum Konkursrecht siehe Liersch in Braun, InsO, Vor §§ 335–358 Rz. 26. 3 Dazu K. Schmidt in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 3 InsO Rz. 16 und Brinkmann in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 343 InsO Rz. 11, Andres in Andres/Leihaus, InsO Insolvenzordnung, Kommentar, 3. Aufl. 2014; § 3 Rz. 17 und Dahl in Andres/Leihaus, InsO Insolvenzordnung, Kommentar, 3. Aufl. 2014, § 342 Rz. 12.
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ständikgeit eines deutschen Gerichtes über das gesamte Vermögen des Schuldners nicht gegeben ist und der Schuldner über eine Niederlassung oder Vermögen in Deutschland verfügt. Besteht keine Niederlassung, dann bedarf es dazu eines besonderen Interesses des den Antrag stellenden Gläubigers. Bei Forderungen kommt es auf den Wohnsitz oder Sitz des Schuldners der vom SPV angekauften Forderungen an, wenn zu bestimmen, wo das Vermögen (z.B. die angekauften Forderungen oder Bankkonten des SPV) belegen ist1. Ein solches Verfahren kann auch dann eröffnet werden, wenn im Ausland bereits ein Hauptverfahren eröffnet wurde (§ 356 Abs. 1 dtInsO)2. Werden daher Forderungen mit Schuldnern in Deutschland verbrieft, kann die Anwendung des deutschen Insolvenzrechts nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist das deutsche Insolvenzrecht in diesen Fällen bei der Strukturierung und der Risikoeinschätzung von Verbriefungstransaktionen immer mit zu berücksichtigen. 414
Hat das SPV seinen Sitz in der EU (z.B. Luxemburg), dann ist für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dem das SPV den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO). Wenn auch gesetzlich vermutet wird, dass das der Sitz des SPV ist, bis das Gegenteil bewiesen wird (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO), besteht gerade bei Verbriefungstransaktionen die Gefahr, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des SPV in dem Land angenommen wird, in dem die Forderungsankäufe abgewickelt werden3. Das gilt insbesondere dann, wenn in diesem Land auch alle wesentlichen Tätigkeiten, wenn auch von Dienstleistern, für das SPV ausgeführt und alle wesentlichen Bankkonten und Vermögenmswerte des SPV dort unterhalten werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob das SPV dort, wo die Forderungskäufe abgewickelt werden, eine Niederlassung unterhält, da dies auch eine insolvenzrechtliche Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaates begründet (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO). Ein solches Verfahren würde sich auf das in diesem Mitgliedstaat belegene Vermögen beschränken. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen sowohl in dem Staat, indem das SPV seinen Sitz hat, wie auch in dem Staat, indem der Forderungsankauf abgewickelt wird oder wo die Schuldner der angekauften Forderungen ihren Sitz haben, vor Abschluss der Verbriefungstransaktion zu prüfen sind.
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Werden die Forderungen revolvierend angekauft, dann erlischt der Forderungsankaufvertrag wie auch die Forderungseinzugsverpflichtung des Originators mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Originators (§§ 116, 115 dtInsO). Etwaige Ansprüche der SPV gegen die Originator sind als einfache Insolvenzforderungen geltend zu machen. In der Praxis sieht die Verbriefungsdokumentation für diesen Fall den sofortigen Übertrag des Forderungseinzuges auf einen sog. Ersatzservicer vor. (6) Steuerliche Aspekte
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Steuerliche Aspekte spielen bei Verbriefungstransaktionen eine wichtige Rolle, da alle Steuern auf der Ebene des SPV zu vermeiden sind, die nicht im Rahmen der Strukturierung mit berücksichtigt wurden. Steueransprüche müssen von dem SPV als Steuerschuldner vor allen anderen Ansprüchen bedient werden, da das SPV kein Insolvenzri1 Brinkmann in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 354 Rz. 7. 2 Dazu Delzan in Braun, InsO § 356 Rz. 2, 13, der darauf hinweist dass das europäische Recht auch derartige Sekundärininsolvenzverfahren zulässt unter Hinweis auf österreichische Gerichtsentscheidungen. Zur Widerlegung der Vermutung s. Brinkmann in K. Schmidt, Insolvenzordnung, Art. 3 EuInsVO Rz. 12, wonach dies bei sog. Briefkastengesellschaften stets leicht der Fall sein soll. 3 Dazu Ringstmeier in K. Schmidt, Insolvenzordnung, § 116 InsO Rz. 32; sollte das SPV insolvent werden, wären die Ansprüche des Originators auf Entgeltzahlung für den Forderungseinzug ebenfalls nur einfache Insolvenzforderungen.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 418 Teil H
siko eingehen darf, zumal die Finanzverwaltungen ihre Ansprüche regelmäßig selbst festsetzen und vollstrecken können ohne an dagegenstehende Vereinbarungen mit dem SPV gebunden zu sein1. Die Rating-Agenturen und die Investoren verlangen daher für etwa bestehende Steuerrisiken zusätzliche Absicherungen, die die Verbriefungstransaktion zusätzlich verteuern und damit möglicherweise unwirtschaftlich machen2. Deshalb ist in der Praxis eine Steuerpflicht des SPV in Ländern zu vermeiden, wo die Steuern zu einer Erhöhung der Transaktionskosten führen. Das ist immer dann der Fall, wenn nicht nur die geplanten körperschaftsteuerlichen Erträge des SPV besteuert werden, die mit oder ohne Besteuerung dem Gesellschafter des SPV sowieso zustehen würden. (a) Haftung für Umsatzsteuer nach § 13c dtUStG § 13c Abs. 1 dtUStG3 begründet nach seinem Wortlaut einen verschuldensunabhängigen Haftungstatbestand für die Fälle, in denen ein Unternehmer seinen Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerbaren Umsatz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 dtUStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und der abtretende Unternehmer seine gegen ihn festgesetzte Umsatzsteuer, bei deren Berechnung der dem abgetretenen Gegenleistungsanspruch zugrunde liegende Umsatz zu berücksichtigen war, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig an das Finanzamt entrichtet hat. Der Abtretungsempfänger kann als Haftungsschuldner im Wege eines Haftungsbescheids nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 dtUStG in Anspruch genommen werden. Mit der Festsetzung wird ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. § 44 dtAO begründet. Voraussetzung ist, dass der Forderungserwerber die abgetretene Forderung ganz oder teilweise vereinnahmt hat4. Hat der Forderungskäufer die Forderung ganz oder teilweise auf einen Dritten übertragen, gilt das als Vereinnahmung, d.h. der Forderungskäufer kann für den in der weiter übertragenen Forderung enthaltenen Umsatzsteueranteil in Anspruch genommen werden, wenn der Forderungsverkäufer diesen nicht an das Finanzamt abführt5. Die Haftung hängt nicht vom Umfang der Gegenleistung für die Weiterübertragung ab. Die Haftung kann auch nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass nur die Nettoforderung ohne Umsatzsteuer abgetreten wird6 oder das der Forderungsverkäufer im Rahmen seiner Steueranmeldungen dann, wenn er zur Abdeckung der gesamten Steuerschuld nicht ausreichende Zahlungen leistet, die geleisteten Zahlungen speziell der Umsatzsteuerzahllast im Zusammenhang mit den veräußerten Forderungen zuordnet7.
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Der Forderungskäufer kann sich der Haftung nur entziehen, wenn er als Dritter in Höhe der in den angekauften Forderungen enthaltenden Umsatzsteueranteile Zahlungen i.S.v. § 48 AO zugunsten des Steuerschuldners (also des Forderungsverkäufers) an das zuständige Finanzamt bewirkt, also bei Fälligkeit direkt selbst an das Finanzamt abführt (§ 13c Abs. 2 Satz 4 UStG)8 oder sicherstellt, dass die jeweils fällige Umsatzsteuer vom Forderungsverkäufer auch tatsächlich fristgemäß bezahlt wird.
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1 Vgl. für das deutsche Recht z.B. §§ 309, 314 dtAO, danach kann die zuständige Finanzbehörde als Vollstreckungsbehörde Geldforderungen wegen Steueransprüche ohne Gerichtsurteil selbst pfänden und sich zur Einziehung überweisen. 2 Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 169. 3 Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645; zur Zulässigkeit, Vereinbarkeit mit Unionsrecht und zur Anwendung vgl. BFH, Urt. v. 20.3.2013 – XI R 11/12, BFH/NV 2013, 1361 und BFH, Urt. v. 21.11.2013 – V R 21/12, BFH/NV 2014, 646. 4 Zur Frage, wann eine Forderung als vereinnahmt gilt s. Abschn. 13c.1 Abs. 18 ff. UStAE. 5 Das gilt nicht für die Sicherungsabtretung solange diese nicht offen gelegt ist und vom Sicherungsnehmer selbst eingezogen wird oder er sonst von seinem Verwertungsrecht Gebrauch macht s. UStAE 13c.1 Abs. 19. 6 UStAE 13c.1 Abs. 7. 7 UStAE 13c.1 Abs. 16. 8 UStAE 13.1 Abs. 42f.
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Finanzierung
Fraglich ist, inwieweit ein SPV innerhalb einer Verbriefungsstruktur die Haftung für vom Forderungsverkäufer nicht entrichtete Umsatzsteuer zu übernehmen hat. Die Regelung des § 13c Abs. 1 Satz 1 dtUStG macht keinen Unterschied zwischen einer Forderungsübertragung mit und ohne Übernahme des Delkredererisikos1. Für das SPV besteht als Forderungskäufer damit die Gefahr, für nicht vom Forderungsverkäufer entrichtete in den angekauften Forderungen enthaltene Umsatzsteueranteile nach § 13c dtUStG zu haften. Hintergrund der gesetzlichen Regelung war ein Bericht des Bundesrechnungshofes, in dem der Ausfall von Umsatzsteuer im Zusammenhang mit Globalzessionen, also zur Sicherung abgetretener Forderungen, beanstandet wird2. Die Vorschrift wird jedoch im Hinblick auf die durch den Bundesrechnungshof gemachten Beanstandungen nach ihrem Zweck nicht einschränkend ausgelegt3. Bei einem True Sale ist regelmäßig der für die Forderung geleistete Kaufpreis in das Vermögen des die Forderung veräußernden Unternehmers übergegangen. Es liegt nicht in der Einflusssphäre des Forderungserwerbers, wenn der Verkäufer seine Steuerschuld nicht mit dem für die Forderung erhaltenen Kaufpreis begleicht. Das Risiko des Finanzamtes entspricht daher dem Risiko, welches das Finanzamt bei Einzug der Forderung durch den Forderungsverkäufer ohne Forderungsverkauf hat. Warum hier zusätzlich ein Dritter haften soll, der den Gegenwert der angekauften Forderung gezahlt hat, ist nicht nachvollziehbar. 419
Einer entsprechend einschränkenden Auslegung des § 13c dtUStG hat sich auch das BMF angeschlossen und die Haftung für nicht entrichtete Umsatzsteuer bei ABSTransaktionen eingeschränkt4. Anknüpfungspunkt für die Haftung des Forderungserwerbers ist die Vereinnahmung der abgetretenen Forderung. Eine Forderung wird demnach nicht mehr durch diesen als vereinnahmt angesehen, „soweit der leistende Unternehmer für die Abtretung der Forderung eine Gegenleistung in Geld vereinnahmt“. Dies ist gegeben, wenn der Kaufpreis für die abgetretene Forderung tatsächlich in den Verfügungsbereich des Forderungsverkäufers gelangt, er also frei über den Kaufpreis verfügen kann5. Damit ist aus Gründen der Vermeidung einer Haftung nach § 13c dtUmStG darauf zu achten, dass der Kaufpreis in die freie Verfügungsmacht des Forderungsverkäufers gelangt, also z.B. nicht auf ein zugunsten eines Dritten gesperrtes Konto gezahlt wird6. Dies entspricht den Anforderungen, die der Forderungskäufer beim echten Factoring zu beachten hat, wenn er den Vorrang vor den Vorbehaltslieferanten im Fall des verlängerten Eigentumsvorbehaltes sicherstellen will (s. Rz. 81 ff.).
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Damit wird eine Haftung des SPV für nicht entrichtete Umsatzsteuer des Forderungsverkäufers bei ABS-Transaktionen grundsätzlich vermieden. Nicht geklärt ist jedoch7, ob hinsichtlich der in True-Sale-Strukturen typischen Abschläge auf den Nominalwert der Forderungen und daraus resultierenden verringerten Forderungskaufpreisen eine Vereinnahmung der Forderung durch den Forderungserwerber für den Teil vorliegt, der aufgrund der variablen Forderungsabschläge in Höhe der Abschläge umsatzsteuerrechtlich ohne sofortige Gegenleistung in Geld auf den Forderungskäufer übertragen 1 Dazu UStAE 13c.1 Abs. 9. 2 Bericht des Bundesrechnungshofes nach § 99 BHO v. 3.9.2003, zu finden: http://www.bundes rechnungshof.de/veroeffentlichung/brh_frame_veroeffentlichung.html. 3 Dazu Leonard in Bunjes, UStG, § 13c Rz. 11; für eine einschränkende Auslegung. Hahne, DStR 2004, 210 (212). 4 UStAE 13.1 Abs. 27; vgl. auch BMF, Schr. v. 24.5.2004 – IV B 7-S 7279a – 17/04: Umsatzsteuer; Haftung bei Abtretung, Verpfändung oder Pfändung von Forderungen (13c dtUStG) sowie Haftung bei Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 13d UStG), Ziff. 20. 5 Vgl. ebenda. 6 UStAE 13.1 Abs. 27. 7 Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 176.
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Rz. 421 Teil H
wurde. Da regresslose Forderungsverkäufe offensichtlich aus dem Anwendungsbereich des § 13c UmStG zur Ermöglichung von Asset-Backed Security Transaktionen ausgenommen werden sollten, sollten übliche Forderungsabschläge, die einen rechtlichen True Sale und damit einen echten Forderungsverkauf nicht beeinträchtigen, nicht zur Anwendung des § 13c dtUmStG führen. In diesem Fall hat der Forderungsverkäufer einen angemessenen Kaufpreis erhalten. Er sollte daher auch die Forderung i.S.v. § 13c UStG voll vereinnahmt haben. Deshalb sollte es hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen gezahltem Kaufpreis und Nominalwert der verkauften Forderung eine anteilige Haftung für durch den Forderungsverkäufer nicht entrichtete Umsatzsteuer bei einem regresslosen Forderungsverkauf nicht geben. Solange jedoch keine Klarstellung durch die Finanzverwaltung erfolgt ist, sollte vorsorglich von einer möglichen Haftung in Höhe der in den auf die Abschläge entfallenden Forderungsanteile anteilig enthaltenen Umsatzsatzsteuer nach § 13c UStG auch bei True-Sale ABS-Transaktionen ausgegangen werden. Bis zur Klarstellung durch die Finanzverwaltung lassen sich Zweifelsfälle nur durch eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung (§ 89 Abs. 2 dtAO) klären. Ist eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung nicht zu bekommen, bleibt nur der Weg durch entsprechende Vereinbarungen mit dem Forderungsverkäufer sicherzustellen, dass dieser die auf die verkauften Forderungen entfallenden Umsatzsteuerbeträge in den jeweiligen Vorsteueranmeldungen erfasst und bei Fälligkeit auch tatsächlich an das Finanzamt abführt, wenn eine Direktzahlung nach § 48 dtAO aufgrund des damit verbundenen Aufwandes aussscheidet. Die Abführungen an das Finanzamt mit den jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen sollten dann auch kontrolliert werden. Die Praxis sieht hierfür regelmäßige Bestätigungen des Wirtschaftsprüfers oder des steuerlichen Beraters des Forderungsverkäufers vor. Soweit das SPV dem Forderungskäufer die auf die Abschläge entfallenen eingezogenen Forderungsbeträge auskehrt, entfällt die Haftung für die darin enthaltenen anteiligen Umsatzsteuerbeträge1. (b) Umsatzsteuerliche Aspekte Auch durch den Forderungsankauf ohne Übernahme des tatsächlichen Forderungseinzuges übt die SPV eine unternehmerische Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 dtUStG aus2. In der Bereitstellung der Ankaufsstruktur und der Übernahme des Bonitätsrisikos liegt eine sonstige Leistung i.S.v. § 3 Abs. 9 dtUmStG. Soweit darin eine einer Kreditgewährung umsatzsteuerrechtlich vergleichbare Leistung gesehen wird, wäre dies zwar eine umsatzsteuerbare (§ 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 6 dtUmStG), aber umsatzsteuerbefreite sonstige Leistung (§ 4 Nr. 8 lit. a) dtUmStG)3. Stellt man auf den Forderungskauf ab, ergibt sich das gleiche Ergebnis (§ 4 Nr. 8 lit. c dtUmStG)4. Das gilt für umsatzsteuerliche Zwecke unabhängig davon, ob es sich um einen echten oder unechten Forderungsverkauf handelt. Soweit in Deutschland ansässige Dienstleister für das SPV Dienstleistungen (z.B. Forderungsverwaltung und Forderungseinziehung) erbringen, stellt sich die Frage, ob deren Leistungen an das SPV mit deutscher Umsatzsteuer belastet sind. Der Einzug einer fremden Forderung fällt nicht unter den Anwendungsbereich der Factoringrechtsprechung des EuGH5. Soweit es sich dabei um sonstige Leistungen i.S.v. § 3a Abs. 2 i.V.m. 1 UStAE 13c.1 Abs. 29 s UStAE 13.1 Abs. 27 z 1. 2 Dazu UStAE 2.4 Abs. 2; Heidner in Bunjes UStG § 4 Nr. 8 Rz. 19; Bermel in Handbuch der AGFinanzierung Kapitel 11 Rz. 173, der zu Recht darauf hinweist, dass sich die Unternehmereigenschaft im umsatzsteuerlichen Sinn nach dem Sitzstaat richtet, es sei denn, es wird eine inländische Betriebsstätte angenommen, die der inländischen Steuerpflicht unterliegt. 3 BMF v. 3.6.2004 – IV B7 – S 7104 – 18/04. 4 Heidner in Bunjes, UStG, § 4 Nr. 8 Rz. 19; Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 172, der auch zu der Frage der Auswirkung auf die Vorsteuerabzugsfähigkeit eingeht. 5 DtUStAE 2.4 Abs. 2 a.E.
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Teil H Rz. 422
Finanzierung
Abs. 4 dtUStG handelt, liegt der Ort der Leistung umsatzsteuerrechtlich dort, wo die SPV ihren Sitz hat, also regelmäßig im Ausland. Das gilt für die Forderungsverwaltung und den Forderungseinzug. Damit wären diese Leistungen in Deutschland trotz eigentlicher Umsatzsteuerbarkeit dann, wenn das SPV den Sitz im Steuerausland hat, in Deutschland nicht steuerbar. Konsequent ist dann zu prüfen, ob diese am Sitz der SPV umsatzsteuerrechtlich steuerbar sind1. 422
Hinsichtlich der Frage, ob nach den Entscheidungen des EuGH2 und des BFH3 zum Factoring der Einzug von regresslos verkauften Forderungen innerhalb einer ABSStruktur als unternehmerische Tätigkeit anzusehen ist und damit der Umsatzsteuer unterfällt, gilt das zum Factoring ausgeführte entsprechend (s. Rz. 111). Demnach sind reine Forderungsabtretungen innerhalb von Verbriefungen, bei denen der Originator die Forderungen weiter einzieht, grundsätzlich umsatzsteuerrechtlich nicht als unternehmerische Tätigkeit anzusehen und unterliegt nicht der Umsatzsteuer4. Das gilt für das echte und unechte Factoring gleichermaßen. Allerdings gilt dies nur, soweit der Forderungseinzug auch nach dem Forderungsankauf vom Forderungsverkäufer durchgeführt wird, was bei ABS-Transaktionen während des ungestörten Transaktionsverlaufes der Fall ist. Etwas anderes ergibt sich jedoch, sobald der Forderungseinzug vom SPV selbst oder für das SPV durch einen Dritten (Ersatzservicer) vorgenommen wird, da in diesem Fall eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, die grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht unterliegt5. Der umsatzsteuerfreie Forderungsankauf sollte nicht umsatzsteuerpflichtig werden, wenn das SPV oder ein vom SPV beauftragter Dritter (sog. Ersatzservicer) den Forderungseinzug im eigenen Interesse des SPV aufgurnd vorbehaltenem Recht übernimmt. In diesem Fall liegt ein Verwertungsfall vor mit der Folge, dass dann in dem Forderungseinzug kein Forderungseizug vergleichbar einer Factoringleistung des SPV an den Verkäufer mehr gesehen werden kann6. Beim Ankauf von leistungsgestörten Forderungen besteht keine Umsatzsteuerpflicht bezogen auf die Einzugsleistung des SPV, wenn das SPV die angekauften Forderungen selbst einzieht, da hier der Ankauf der Forderungen zum wirtschaftlichen Wert der Forderungen und damit der regresslose Verkauf (also das Umsatzgeschäft) im Vordergrund steht und nicht die Einzugsleistung und die Forderungsverwaltung durch den Forderungskäufer, so dass die zusätzliche Einzugsleistung nicht selbständig steuerbar ist7. Das sollte entsprechend auch dann gelten, wenn das SPV den Forderungseinzug im Verwertungsfall selbst übernimmt oder durch Dritte übernehmen lässt. (c) Steuerpflicht des SPV
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Neben dem Problem einer Haftung des SPV für Umsatzsteuer des Originators für dessen mit den verkauften Forderungen zusammenhängende und nicht entrichtete Um1 Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 174, 175, der auch zu der Frage Stellung nimmt, wie der Ankauf von zahlungsgestörten Forderungen mit Übernahme des Forderungseinzuges umsatzsteuerrechtlich zu behandeln ist. 2 EuGH v. 26.6.2003 – Rs. C-305/01 – MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH, BStBl. II 2004, 688. 3 BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 34/99. 4 BMF, Schr. v. 3.6.2004 – IV B 7 – S7104 – 18/04, Umsatzsteuer beim Forderungskauf und Forderungseinzug; Heidner in Bunjes UStG § 4 Nr. 8 Rz. 19. 5 So wohl EuGH v. 26.6.2003 – Rs. C-305/01, BStBl. II 2004, 688; BFH, V R 34/99, BStBl. II 2004, 667, wobei die Entscheidung aber nicht den Verwertungsfall zu entscheiden hatte; vgl. Heidner in Bunjes, UStG, § 4 Nr. 8 Rz. 21. 6 Das ergibt sich aus UStAE 2.4 Abs. 3 Satz 6, da danach die Umsatzsteuerpflicht entfallen soll, wenn der Factor die angekauften Forderungen aufgrund eines vorbehaltenen Rechts im eigenen Interesse einzieht, also der Verwertungsfall vorliegt; gleichwohl ist dies nicht eindeutig, solange sich die Finanzverwaltung dazu nicht verbindlich geäußert hat. 7 EuGH, GFKL Financial Services AG, DStR 2011, 2093; BFH – V R 18/08, BStBl. II 2010, 654; Korn in Bunjes UStG § 2 Rz. 71; Heidner in Bunjes, UStG § 4 Nr. 8 Rz. 22; vgl. auch BFH – V R 8/10 DStR 2013, 1995; BFH – IX R 28/10, DStR 2012, 1746; anders teilweise dtUStAE 2.4 Abs. 7 und 8.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 424 Teil H
satzsteuer stellt sich die Frage, ob die Gefahr besteht, dass das im Ausland gegründete SPV in Deutschland unbeschränkt oder gegenständlich beschränkt steuerpflichtig ist und wie dies vermieden werden kann. Dabei geht es vor allem um die Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer. Eine Gewerbsteuerpflicht des SPV in Deutschland hätte die Folge, dass die zur Finanzierung des Forderungsankaufs emittierten Schuldtitel der im Inland angenommenen Betriebsstätte zugeordnet werden könnten. Das hätte zur Folge, dass die hierauf entfallenden, von dem SPV an die Investoren zu zahlenden Zinsen als Dauerschuldentgelte (§ 8 Nr. 1 GewStG) angesehen und dem gewerbesteuerlichen Ertrag einer etwa vorhandenen SPV-Betriebsstätte in Deutschland bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Gewerbsteuer wieder hinzugerechnet werden könnten1. Voraussetzung einer Gewerbesteuerpflicht ist eine Betriebsstätte im Inland (§ 2 Abs. 1 dtGewStG i.V.m. § 12 dtAO). In den meisten Fällen kann eine Betriebsstätte schon deswegen nicht angenommen werden, da das SPV regelmäßig keine Räumlichkeiten oder andere Geschäftseinrichtungen im Inland unterhält und meist auch keine Verfügungsrechte an den Geschäftseinrichtungen des inländischen Originators besitzt2. Eine Betriebstätte könnte auch anzunehmen sein, wenn betriebsleitende Entscheidungen des SPV im Inland getroffen würden, so dass in Deutschland für das SPV der „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ angenommen werden kann (§ 12 Satz 1 Nr. 1 dtAO Geschäftsleitungsbetriebsstätte i.V.m. § 10 dtAO). Sofern bereits in dem Einzug der Forderungen im Namen des SPV durch den Originator oder eines Inkassounternehmens die Begründung einer Betriebsstätte im Inland zu sehen wäre, würde dies zu einer Gewerbesteuerpflicht des SPV in Deutschland führen. In der Rechtsprechung ist jedoch bereits anerkannt worden, dass die Verlagerung einzelner Geschäftsführungsaufgaben auf Dritte nicht zu einer Verlagerung des tatsächlichen Orts der Geschäftsleitung führt3. Gegen eine solche Sichtweise spricht ferner die übliche rechtliche Ausgestaltung der Serviceleistung durch den Originator oder anderer Dienstleister. Diese treffen keine geschäftsleitenden Entscheidungen für das SPV über den Ankauf und die Einziehung der Forderungen, sondern erfüllen im eigenen Interesse lediglich ihre gegenüber dem SPV bestehenden vertraglichen Pflichten. Deshalb betreibt der Originator den Einzug der Forderungen weiter auch als eigenes Geschäft im Rahmen der durch die stille Abtretung der Forderungen nicht beeinträchtigten Beziehung zu seinen Kunden4. Das SPV hat daher keine geschäftsleitenden Funktionen im Inland, wenn sichergestellt ist, dass alle wesentlichen Entscheidungen des SPV (z.B. Vertragsänderungen, Kündigungen von Verträgen, Auswechslung von Vertragspartnern etc.) an dessen Sitz von den dort ansässigen Direktoren des SPV getroffen werden5. Weisungsrechte des Originators oder sonstiger in Deutschland ansässiger Personen gegenüber dem SPV sind deshalb zu vermeiden. Darüber hinaus sollte dafür gesorgt werden, dass das SPV an seinem Sitz über ausreichend Substanz verfügt, also z.B. dort eigene nicht in die ABS-Transaktion eingebundene Bankkonten für sein freies Vermögen unterhält oder zumindest den Nachweis erbringen kann, dass das SPV zur Nutzung von Räumen und büromäßiger Infrastruktur durch seine Direktoren berechtigt ist6. Dadurch, dass in Deutschland 1 Dazu Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 167, 168; das gilt jedoch nur, soweit nicht die Befreiungsvorschrift für Factoring- oder Zweckgesellschaften nach § 19 Abs. 3 Nr. 2 GewStDV anwendbar ist dazu Güroff in GewStG, § 8 Nr. 1a Rz. 93a. 2 Schmid/Dammer, IStR 2001, 1 (4); Güroff in GewStG, § 2 Rz. 613 ff.; BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365. 3 BFH v. 19.1.2000 – I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; FG Hamburg v. 24.10.1986 – I 170/83, EFG 1987, 413; Güroff in GewStG § 2 Rz. 627. 4 Vgl. Schmid/Dammer, IStR 2001, 1 (3); Berger/Quack, NWB Nr. 48 v. 24.11.2003, Fach 2, 3747 f.; die Finanzverwaltung in Deutschland sieht das ebenso vgl. Bundesministerium der Finanzen, Finanznachrichten 22/2001, S. 5. 5 Häuselmann/Hechler, IStR 1999 S. 34–35; Schmid/Dammer, IStR 2001, 2–4. 6 Zu den Substanzanforderungen Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 180 ff.
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424
Teil H Rz. 425
Finanzierung
keine wesentlichen Entscheidungen für das SPV getroffen werden, kann auch die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte (§ 13 AO) vermieden werden, da diese voraussetzt, dass für das SPV in Deutschland eine Person ständig tätig ist und nachhaltig die Geschäfte des SPV besorgt, für dieses also Verträge vermittelt oder abschließt oder ändert1. Es geht darum, alle Umstände (z.B. Büromitbenutzung für das SPV in Deutschland) zu vermeiden, die möglicherweise zu einer Betriebstätte in Deutschland führen können. Folglich kann bei einer sorgfältigen Gestaltung eine Gewerbesteuerpflicht des SPV in Deutschland vermieden werden. 425
Hinsichtlich des Verkaufs von Forderungen aus Krediten und Kreditrisiken aus Bankgeschäften, die also von Kreditinstituten eingegangen wurden, an eine in Deutschland ansässige Zweckgesellschaft ist durch § 19 GewStDVO das sog. „gewerbesteuerliche Bankenprivileg“ auf Verbriefungsgesellschaften ausgedehnt worden, obwohl diese nicht Kreditinstitute sind2. Hierunter sind in Deutschland ansässige Zweckgesellschaften für den Erwerb von Bankforderungen erfasst. Voraussetzung ist, dass die Zweckgesellschaft ausschließlich und unmittelbar oder mittelbar Kreditforderungen aus Bankgeschäften ankauft und sich über die Vergabe von Schuldverschreibungen oder die Aufnahme von Krediten refinanziert (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GewStDV)3. Möglich ist auch, dass eine Zweckgesellschaft die begünstigten Forderungen aus Bankgeschäften ankauft und sich über eine zweite Zweckgesellschaft refinanziert, die dann die Schuldverschreibungen begibt(§ 19 Abs. 3 Nr. 2 GewStDV). Die Refinanzierung über Darlehen oder Schuldverschreibungen ist in beiden Fällen unschädlich. Leider konnte sich der deutsche Gesetzgeber trotz guter Argumente der Praxis nicht davon überzeugen lassen, dass das Gewerbesteuerprvilieg auch auf SPVs ausgeweitet wird, die andere Forderungen (z.B. Leasing- oder Handelsforderungen) verbriefen, um den Finanzplatz Deutschland zu stärken und zu verhindern, dass ein SPV dann, wenn es andere Forderungsarten (z.B. Handels- und Leasingforderungen) verbrieft, schon aus wirtschaftlichen Gründen aufgrund der deutschen Gewerbesteuer nicht in Deutschland ihren Sitz haben kann. Die deutsche Gewerbesteuer wird nämlich nicht nur auf den körperschaftsteuerlichen Gewinn der SPV berechnet. Vielmehr wird für Zwecke der Berechnung der Gewerbesteuer ein Teil der Finanzierungskosten (§ 8 Nr. 1a dtGewStG) dem gewerbesteuerlichen Ertrag hinzurechnet. Dadurch wird der gewerbesteuerrechtlich maßgebende Gewinn erhöht, was die Verbriefungstransaktionen in Detuschland erheblich teurer als z.B. in Luxemburg macht. Das stellt aus Kostengründen einen so erheblichen Wettbewerbsnachteil dar, dass es unmöglich ist, Verbriefungstransaktionen trotz der anderen Vorteile in Deutschland (z.B. Kundennähe, keine Sprachprobleme) mit einer in Deutschland ansässigen SPV umzusetzen. Das gilt insbesondere in dem heutigen Niedrigzinsumfeld.
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Dagegen ist die Körperschaftsteuer, solange diese nur die tatsächlich der SPV zur Ausschüttung an ihre Gesellschafter zustehenden Gewinne besteuert, jenseits der damit verbundenen steuerlichen Pflichten (z.B. Einreichung von Steuerklärungen) grundsätzlich kein Problem. Die im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuer bestehenden Fragestellungen (z.B. Verlustvortrag und Verlustrücktrag, Möglichkeit i.H.v. zur Verlustabdeckung aufgebauter Barunterlegungen aus Forderungsabschlägen zur Gewinnvermeidung entsprechende Verbindlichkeiten oder Rückstellungen aufbauen zu können) lassen sich lösen, wie die in Deutschland zur Verbriefung von Bankkrediten gegründeten Verbriefungsgesellschaften zeigen. 1 Vgl. Güroff in GewStG Rz. 626. 2 Vgl. Berger/Quack, NWB Nr. 48 v. 24.11.2003, 3747 (3749); Weller/Kronat in Handbuch der AGFinanzierung, Kapitel 11 Rz. 104; Güroff in GewStG § 8 Nr. 1a Rz. 93a. 3 Damit ist eine Anwendung des § 19 Abs. 2 GewStDV auf Zweckgesellschaften nicht möglich; so auch Güroff in GewStG § 8 Nr. 1a Rz. 93a a.E.; auf der anderen Seite ist anerkannt, dass mit den begünstigten Geschäften verbundene Hilfsgeschäfte nicht schädlich für die Befreiung sind; dazu Güroff in GewStG § 8 Abs. 1 Nr. 1a Rz. 93a Ziff. 3.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 427 Teil H
Die Körperschaftsteuerpflicht eines SPV in Deutschland, das in Deutschland keinen Sitz und keine Geschäftsleitung hat (vgl. § 1 Abs. 1 dtKStG), setzt das Vorhandensein einer Betriebsstätte (§ 12 dtAO) oder eines ständigen Vertreters (§ 13 dtAO, Vertreterbertriebsstätte) voraus (§§ 1, 2 dtKStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2a) EStG). Deshalb gelten zur Vermeidung einer Körperschaftsteuerpflicht die gleichen Ausführungen wie zur Gewerbsteuerpflicht1. Das gilt auch für eine etwa bestehende Verpflichtung zum Abzug der deutschen Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Nr. 7 dtEStG). Auch eine beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) dtEStG mit den gewerblichen Einkünften der SPV, wenn die Tätigkeit der SPV als gewerblich eingestuft werden sollte, setzt eine inländische Betriebsstätte (§ 12 dtAO) oder einen ständigen Vertreter (§ 13 dtAO) voraus. Zu beachten ist jedoch, dass eine beschränkte Steuerpflicht des SPV dann in Betracht kommt, wenn die angekauften Forderungen mit Grundpfandrechten an in Deutschland belegenen Grundstücken besichert sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c) aa) dtEStG). Die Steuerpflicht des SPV sollte mangels Betriebsstätte oder ständigem Vertreter auch nicht aus § 42 dtAO (rechtsmissbräuchliche Gestaltung) hergeleitet werden können2, da für die Verbriefung über ein SPV wesentliche wirtschaftliche und rechtliche Gründe sprechen und diese im Ausland eigene wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet. Das gilt insbesondere dann, wenn das SPV an seinem Sitz über ausreichend Substanz und eine tatsächliche Geschäftstätigkeit verfügt3. Ein zusätzlicher Schutz wird gewährt, wenn es zwischen dem Staat, in dem das SPV seinen Sitz hat, und Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gibt, da dann zusätzlich die dortigen Regelungen zur Besteuerung von Kapitalgesellschaften mit zu beachten sind. Das gilt insbesondere für die Annahmen von Betriebsstätten und die Zuordnung des Besteuerungsrechtes für bestimmte Einkommens- und Ertragsarten zwischen den am DBA beteiligten Staaten. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, warum Verbriefungsgesellschaften aus deutscher Sicht häufig in Luxemburg oder Irland gegründet werden, da Deutschland mit diesen Ländern ein Doppelbesteuerungsakommen hat. Verbriefungszweckgesellschaften (§ 1 Abs. 19 Nr. 36 dtKAGB) sind ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des dtKAGB ausgenommen (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 KAGB)4. Damit unterliegen Verbriefungszweckgesellschaften, die diese Anforderungen erfüllen, nicht dem dtInvStG5. Zwar besteht die Möglichkeit, steuerliche Fragen vorab durch eine sog. verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung (§ 89 Abs. 2 dtAO) vor dem Transaktionsbeginn verbindlich klären zu lassen. In der Praxis scheitert dies jedoch häufig an der damit verbundenen Zeitverzögerung und den bestehenden Unsicherheiten, wenn sich bis zur Umsetzung der Transaktion der der Finanzverwaltung vorgestellte Sachverhalt doch noch ändern sollte. Darüber hinaus tut sich die Finanzverwaltung schwer, verbindliche Auskünfte im Zusammenhang mit SPVs zu geben, die ihren Sitz nicht in der Europäi1 Dazu Streck/Binnewies in Streck, KStG, Beratungs-ABC Stichwort „Abschirmende ausländische juristische Person“ Rz. 2 sowie Streck in Streck, KStG, § 2 Rz. 6. 2 Das Stichwort ist hier „Basisgesellschaft“, also die Zwischenschaltung einer substanzlosen Gesellschaft im niedrig besteuerten Ausland ohne beachtliche wirtschaftliche oder sonstige Gründe, dazu BFH v. 20.3.2002 – IStR 2002, 568 (569 m.w.N.); Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 178. 3 Vgl. BFH, BStBl. II 2001, 222; BFH, BStBl. II 1986, 744. 4 Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB Kommentar, § 1 KAGB Rz. 109 f.; Haisch/Helios, BB 2013, 1690. 5 Mann in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB Kommentar, AIFM-StAnpG KAGB Rz. 59, 68, 69; Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 190; das gilt sowohl für True Sale wie für auch synthetische Verbriefungen.
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427
Teil H Rz. 428
Finanzierung
schen Union haben. Antragsteller wäre das SPV. Zuständig wäre das Bundeszentralamt für Steuern, wenn das SPV seinen Sitz im Ausland hat1. Werden die von einer ausländischen Verbriefungsgesellschaft begebenen Anleihen von einem in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Investor erworben, richtet sich die Steuerbarkeit der dadurch erzielten Kapitalerträge nach dem deutschen Steuerrecht2. b) Synthetische Verbriefungsstrukturen 428
Synthetische Strukturen dienen vorrangig der Übertragung von Risiken im Rahmen einer Absicherungsstruktur. Dabei werden nicht die Bilanzaktiva selbst abgetreten, sondern nur das Kreditrisiko der Forderungen mittels Garantien oder eines Kreditderivats auf einen Dritten übertragen (Art. 242 Nr. 11 CRR). Vor allem Kreditinstitute nutzen synthetische Strukturen zur Übertragung von Kreditrisiken zu aufsichtsrechtlichen Zwecken und können so eine Freisetzung von vorzuhaltendem regulatorischen Eigenkapital erreichen (Art. 244 Abs. 1 CRR). Synthetische Verbriefungen können einem Originator mitunter größere Flexibilität bei der Strukturierung als traditionelle True-Sale-Transaktionen bieten, da sie auch eine gezielte Weitergabe von Teilen des Kreditrisikos ermöglichen, ohne die damit verbundenen Kreditforderungen oder sonstigen Riskoaktiva übertragen zu müssen3. Die zumeist eingesetzten Garantien oder Kreditderivate (z.B. Credit Default Swaps oder Credit Linked Notes), sind in ihrer Wertentwicklung an das Forderungsportfolio (Referenzportfolio) gekoppelt (linked)4. Da hierbei die Risikoaktiva (z.B. Forderungen aus Darlehensverhältnissen) auf der Bilanz des Originators verbleiben, spricht man von einem synthetischen Verkauf des Forderungs-Pools. Der Originator übernimmt dabei die Rolle des Sicherungsnehmers (Protection Buyer), da er mit Kreditderivaten das Kreditrisiko aus dem Referenzportfolio absichert. Der Originator zahlt für diese Absicherung eine Prämie an den Kontrahenten im Kreditderivat. Der Kreditrisikotransfer erfolgt in Abhängigkeit des Eintretens von definierten Kreditereignissen (Credit Events)5. In Betracht kommen hier z.B. Konkurs, Zahlungsausfall, Zahlungsverzug und Umschuldung bei den Schuldnern der Referenzforderungen6. Der Kontrahent des Kreditderivates (Sicherungsgeber) muss beim Eintritt dieser vertraglich definierten Ereignisse die in dem verbrieften Portfolio auftretenden Verluste tragen. Synthetische Verbriefungen sind in Hinblick auf die zum Risikotransfer eingesetzten Instrumente folgendermaßen zu unterscheiden: Werden Kreditrisiken mittels Credit Default Swaps7 bzw. Total Return Swaps abgesichert, so handelt es sich um eine „unfunded“ Transaktion, da der Originator bei dieser Art der synthetischen Verbriefung keine Liquiditätszufuhr durch den Forderungsverkauf erzielt. Je nach Art der synthetischen Verbriefung kann der Originator aber auch einen (begrenzten) Liquiditätseffekt aus der Transaktion erzielen. 1 Siehe dazu die Broschüre „Verbindliche Auskünfte durch das Bundeszentralamt für Steuern“ des Bundeszentralamtes für Steuern, Stand 2012. 2 Dazu Bermel in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 193, 194. 3 Vgl. Bund, Asset Securitisation, S. 240–247; Litten/Cristea, WM 2003, 213 f.; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 24. 4 Vgl. Brandt, BKR 2002, 243; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 21, 22. 5 Brandt, BKR 2002, 243. 6 Brandt, BKR 2002, 243 (246). 7 Vgl. Bund, Asset Securitisation, S. 244; Weller/Kronat in Handbuch der AG-Finanzierung, Kapitel 11 Rz. 21.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 430 Teil H
Im Gegensatz dazu spricht man deshalb bei Einsatz von Credit Linked Notes von „funded“ Transaktionen, welche eine Liquiditätszufuhr beim Originator bzw. beim SPV zur Folge haben1. Bei kombiniertem Einsatz dieser Instrumente und nicht vollständiger Refinanzierung des Referenzportfolios spricht man hingegen von einer „partially funded“ Verbriefungstransaktion. Bei einer typischen synthetischen Struktur (s. Abbildung Rz. 431) übernimmt der Investor durch den Kauf der vom SPV emittierten ABS/MBS-Anleihen das Kreditrisiko des Referenzportfolios. Kommt es zu einem der vertraglich festgelegten Kreditereignisse, wird die Verpflichtung gegenüber dem Sicherungsnehmer aus dem Verkaufserlös oder durch Lieferung von Teilen des Collateral beglichen. Für die Investoren bedeutet dies wiederum eine um den Ausfallbetrag reduzierte Tilgung der jeweils nachrangigsten ABS/MBS-Anleihe.
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Das SPV emittiert Wertpapiere in Höhe des Nominalvolumens des Referenzportfolios bzw. dann, wenn dies nicht voll abgesichert werden soll, in Höhe des vereinbarten Absicherungsbetrages. Im Gegensatz zu einer traditionellen Verbriefung enthält die Bilanz des SPV auf der Aktivseite statt des Forderungspools hier Kapitalmarktanleihen (Collateral), welche aus den Emissionserlösen erworben werden. In der Regel sehen die Anlagebedingungen als „Eligible Investments“für das Collateral ausschließlich Wertpapiere höchster Bonität und Liquidität (insb. qualifizierte Staatsanleihen oder Pfandbriefe) vor. Die Zinsen und Tilgung der emittierten ABS-Anleihen werden aus den Prämieneinnahmen und aus den Collateral Cash Flow erwirtschaftet. Die ABS/ MBS-Anleihen werden bei Fälligkeit vollständig aus dem Verkauf des Collateral zurückgezahlt, falls während der Laufzeit keine Ausfälle oder sonstige Kreditereignisse im Referenzportfolio auftreten. Zunehmend werden synthetische Verbriefungen auch ohne Zwischenschaltung eines SPV strukturiert. Durch die direkte Emission der Anleihen durch den Originator beziehungsweise den Abschluss von Kreditderivaten mit diesem, besteht eine direkte Vertragsbeziehung des Originators zu den Investoren. Welche Art von synthetischer Struktur gewählt wird hängt bei Kreditinstituten, die als Originator (Protection Buyer) eine synthetische Struktur nutzen, von der Anerkennung der Absicherung zur Reduzierung der Eigenmittelanforderungen und damit der Erfüllung der Vorgaben des Art. 244 Abs. 5b i.V.m. Art. 247 CRR ab. Am sichersten sind „funded“ Strukturen, bei denen der Originator eine als Finanzsicherheit nach Art. 194, 197 CRR anerkannte Besicherung erhält. Das können Bareinlagen oder verpfändete geratete Wertpapiere sein, sofern der Originator darauf im Sicherungsfall rechtswirksam auch in der Insolvenz der Sicherungsgebers zugreifen, diese also bei Bedarf auch durchsetzen kann2. Bei Wertpapieren als Sicherheit entscheidet das Rating des als Sicherheit dienenden Wertpapiers über den Umfang der Entlastung bei der Eigenmittelunterlegung der dadurch besicherten Risikoaktiva (Art. 193 CRR). Wenn das SPV dem Originator aufgrund dessen Rating und damit Bonitätsrisikos den über die vom SPV emittierten ABS-Anleihen eingeworbenen Absicherungsbetrag nicht direkt geben kann, wird das SPV entsprechend den begebenen Anleihen geratete Wertpapiere entweder am Markt oder vom Originator kaufen und diesem als Sicherheit verpfänden, damit dieser diese aufsichtsrechtlich als Sicherheiten zur Kapitalfreisetzung verwenden kann. Bei den sog. „unfunded“ und damit regelmäßig ohne Sicherheitsleistung durchgeführten synthetischen Transaktionen kommt eine Risikominderung als Voraussetzung für die mit der Tranksaktion vom Originator gewollten Kapitalentlastung nur in Betracht, wenn der Vertragspartner (Protection Seller) als Sicherungsgeber nach Art. 201 oder 202 CRR anerkannt ist 1 Vgl. Bund, Asset Securitisation, S. 244; Weller/Kronat, Kapitel 11 Rz. 22. 2 Zu den Anforderungen der CRR an die Rechtswirksamkeit und Durchsetzbarkeit von Sicherheiten Weber/Seifert/Schmid in Luz/Neus/Schaber u.a., Bd. 2, KWG und CRR, Art. 194 CRR Rz. 2 ff.
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Teil H Rz. 431
Finanzierung
(Art. 194 Abs. 5 CRR) und es sich bei der Sicherungsvereinbarung um eine nach Art. 203 und 204 Abs. 1 CRR anerkannte Absicherungsvereinbarung handelt1. Bei einem anderen Institut angelegte Bareinlagen können als Sicherheit verpfändet werden (Art. 200a) CRR). Aufsichtsrechtlich wird dies wie eine Garantiegewährung des die Einlage haltenden Instituts angesehen, wobei die Verpfändung bestimmten Anforderungen entsprechen muss, um aufsichtsrechtlich als Sicherheit anerkannt zu werden2. Bei jeder Absicherung ist auf die Laufzeitkongruenz zu achten, da es sonst zu einer Reduzierung oder gar Aberkennung der Kapitalentlastung kommen kann (Art. 237 CRR). Immer dann, wenn das vom SPV unter der von ihm begebenen Anleihen eingeworbene Geld beim Originator oder einem Drittinstitut angelegt werden, geht es zumindest aus Sicht der Investoren und der Rating-Agenturen um das Bonitäts- und damit Ausfallrisiko und somit das Rating dieses Instituts. Aus Sicht der Rating-Agenturen muss dieses dem Rating der von dem SPV begebenen Anleihen entsprechen. Da nur noch wenige Originatoren über ein Rating von AA oder besser verfügen, sehen funded SPV-Strukturen im Regelfall verpfändete Wertpapiere (z.B. Bundesanleihen oder Pfandbriefe) als Sicherheit zur Absicherung ihrer Absicherungsinstrumente (z.B. CDS oder Garantie) vor, wie in dem nachfolgenden Beispiel dargestellt. Das gilt jedenfalls dann, wenn das SPV sich auf AAA-Basis refinanzieren können soll. 431
Typische Struktur einer synthetischen Verbriefung
c) ABS-Checkliste 432
– Allgemeine Informationen – Welche Rechtsform hat das verbriefende Unternehmen und welcher Rechtsordnung untersteht es? – Wie sind die Beteiligungsverhältnisse (z.B. Gesellschafterstrukturen)? – Welche Untergesellschaften bestehen (Beteiligungsverhältnisse, ggf. anhand beizufügenden Diagramms)? – Von welchen Untergesellschaften sollen Forderungen in ein ABS-Programm einbezogen werden? – Welche Verflechtungen bestehen innerhalb der Gruppe? Existieren gemeinsames Cash Management/Cashflow Management, Gewinnabführungsverträge oder Beherrschungsverträge etc.? 1 Dazu Weber/Seifert/Schmid in KWG und CRR, Art. 194 CRR Rz. 21 ff. 2 Gemäß Art. 232 Abs. 1 CRR können Einlagen bei Drittinstituten wie eine Garantie des Drittinstituts behandelt werden, sofern die Voraussetzungen des Art. 212 Abs. 1 CRR erfüllt sind; letztlich tritt dann das Riskogewicht des Sicherungsgebers an die Stelle des Riskogewichtes der durch die Garantie oder das Kreditderivate abgesicherten Risikoaktiva (Art. 233, 235 CRR).
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Rz. 432 Teil H
Finanzierungsmodelle
– Welche Auswirkungen kann die Insolvenz eines Gruppenunternehmens auf die anderen Gruppenunternehmen haben? – Welche Produkte/Dienstleistungen bietet das verbriefende Unternehmen an? – Welche Arten von Forderungen sollen in ein ABS-Programm einbezogen werden? – In welchen Ländern ist das verbriefende Unternehmen aktiv? – Überlassung des aktuellen sowie den vorausgegangenen Geschäftsberichtes/Jahresabschlusses. – Stehen ein oder mehrere öffentliche Ratings aus? Wenn ja, von welchen Agenturen? – Mit welchem Rating rechnet das verbriefende Unternehmen? – Finanzierung – Momentane Finanzierung des verbriefenden Unternehmens: – Finanzierungsart (z.B. Kapitalmarkt, Gesellschafterdarlehen, Kredite) – Höhe – Laufzeit – Konditionen Bestehen in dem verbriefenden Unternehmen bereits Erfahrungen mit Ja –
ABS Strukturen
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Factoring
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Forfaitierung
–
Corporate Bonds
–
syndizierten Krediten
–
strukturierten Finanzierungen
Nein
– Eckdaten der geplanten Transaktion – Welche Ziele verfolgt das verbriefende Unternehmen mit der ABS-Transaktion (z.B. Bilanzentlastung, Verbesserung Firmenkunden-Rating, Erweiterung der Finanzierungsquellen, Entlastung der Banklinien)? – Wer soll im Rahmen der ABS-Tranksaktion als Verkäufer auftreten (z.B. Holding oder die einzelnen Tochtergesellschaften)? – Wie hoch ist das gewünschte Volumen der ABS-Transaktion? – Bestehen besondere Anforderungen an die Umsetzung der ABS-Transaktion bezüglich: – Einhaltung von Finanzkennzahlen? Wenn ja, welche? Selber vorgegebene oder aus Kreditverträgen? Bitte in Tabelle eintragen. Kennzahl
Definition
minimaler Wert
maximaler Wert
selber vorgegeben
aus Kreditvertrag
– Bilanzierung nach IAS, und/oder HGB? Gibt es sonstige zu beachtenden Bilanzierungsvorschriften? – der Möglichkeit zur Einbeziehung weiterer Banken ohne zusätzlichen administrativen Aufwand? – der Möglichkeit einer kombinierten CP- und Bond-Refinanzierung? – Ist die Publikumswirksamkeit der Transaktion erwünscht?
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Teil H Rz. 432
Finanzierung
– Forderungsbestand – Welche Arten von Forderungen werden in dem verbriefenden Unternehmen generiert? (z.B. Handels-/Leasingforderungen) – Anzahl der Konten, auf denen Zahlungen auf ausstehende Forderungen derzeit eingehen. – Handelt es sich um Bank- oder Kundenkonten? Namen der Banken? – Wie erfolgen die Kundenzahlungen (Überweisung, Scheck, Lastschrifteinzug etc.) und in welchem prozentualen Bestandteil zueinander? – Wie wird eine Einzelforderung bestimmt (z.B. durch eine Rechnungsnummer o.Ä.)? – Gibt es saisonale Schwankungen bei Anzahl bzw. Volumen der Forderungen? – Gibt es Rabatte, Boni, Skonti, Retouren und dergleichen, die nachträglich den Wert der Forderung mindern könnten? – Wenn ja, wie hoch können diese im Einzelfall sein? Gibt es saisonale Schwankungen? – Sind derartige Wertminderungen in bestimmten Segmenten häufiger anzutreffen (z.B. bei bestimmten Produkten, Vertragsarten, Kundengruppen oder Regionen)?- Erfolgt der Verkauf der Waren durch den Forderungsverkäufer unter Eigentumsvorbehalt? – Welchem Recht unterfallen bestehende Eigentumsvorbehaltsrechte? – Wie werden die Eigentumsvorbehaltsrechte vereinbart? – Gibt es sog. Abwehrklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Forderungsverkäufers oder dessen Abnehmer und wie sind diese ausgestaltet? – Wenn ja, welche Arten von Eigentumsvorbehalt werden vereinbart? – Bestehen einfache, verlängerte oder erweiterte Eigentumsvorbehalte seitens der Lieferanten? – Bestehen Abtretungsverbote, die mit Debitoren vereinbart wurden? – Gibt es Zessionen zugunsten Dritter (z.B. Global- oder Mantelzession gegenüber Banken)? – Gibt es von Ihnen mit Dritten (z.B. Banken, Lieferanten, Versicherungen) vereinbarte Verbote oder Einschränkungen hinsichtlich der Stellung von Sicherheiten (z.B. negative pledge, pari passu Bestimmungen)? – Wann und wie oft werden Rechnungen erstellt beziehungsweise an den Kunden versandt (vor/mit/nach Versendung der Ware)? – Umsatzentwicklung Umsatz der letzten drei Jahre in tEUR zum Bilanzstichtag Jahr
Inlandsumsatz
Auslandsumsatz
Umsatz total*
Forderungen L+L*
akt. Jahr t-1 t-2 t-3
* ggf. Erläuterungen (Konzernumsatz, Forderungen brutto oder nach Pauschalwertberichtigung etc.) 978 | Wagenknecht
Rz. 432 Teil H
Finanzierungsmodelle
– Inkasso Zahlungsmethoden der Debitoren Zahlungsart
% (Schätzung)
Überweisung Scheck Lastschrifteinzug Bar Sonstige
– Einzugskonten – Bei welchen Banken bestehen Einzugskonten für Forderungen? – Können die kontoführenden Banken eigene Rechte an den Einzugskonten und den darauf vorhandenen Guthaben geltend machen? Wenn ja, welche? – Bestehen AGB-Pfandrechte? – Werden die Konten als Kontokorrentkonto geführt? – Bestehen zu den Konten Cash Management-Vereinbarungen? – Werden über die Einzugskonten auch allgemeine Aufwendungen des Unternehmens bezahlt? – Können die Konten auch ins Soll gehen? – Inkassobeauftragte – Werden Dritte in das Forderungsinkasso eingeschaltet (z.B. Inkassounternehmen)? – Welche Rechte können diese an den eingezogenen Beträgen aus den einzuziehenden Forderungen geltend machen? – Bestehen Kontokorrentvereinbarungen mit diesen? – Wertberichtigungen, Rückstellungen und Abschreibungen (in tEUR der letzten drei Jahre) Definition/Stichtag
t-3
t-2
t-1
akt. Jahr
Wertberichtigungen (Anfangsbestand) Zunahme Abschreibungen Eingänge auf abgeschriebene Forderungen Wertberichtigungen (Jahresendbestand) Rückstellungen
(Mit der Bitte um Angabe von Erläuterungen zur Ermittlung von Wertberichtigungen (PWB/EWB), Rückstellungen und Abschreibungen) – Handelt es sich bei diesen historischen Verlustraten um Brutto- oder Nettozahlen? – Werden zurückgenommene Waren bei der Verlustfeststellung berücksichtigt? Wenn ja, wie? – Ist der mit den ausgefallenen Forderungen ausgefallene Umsatzsteueranteil in den Verlustzahlen enthalten oder nicht? – Wie werden die Rücknahmepreise für bereits ausgelieferte Ware bei Zahlungsverzug des Debitors festgelegt? Wer prüft die sachgerechte Festsetzung?
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Wagenknecht 979
Teil H Rz. 432
Finanzierung
– Nachträgliche Reduzierung der Forderungshöhe (in tEUR) – Bestehen Gutschriften (aufgrund von Mängeln, Widerspruch oder Warenumtausch), Rabatte, Skonti, Kautionen und andere nachträgliche Vereinbarungen über die Höhe der Forderungen? – Wie erfolgt die Ausschüttung an Debitoren (Verrechnung bei neuer Bestellung, Gutschrift, Überweisung, Kontokorrent)? – Wann beziehungsweise in welchem Turnus erfolgen derartige Zahlungen (Boni, Rabatte etc.) an die Debitoren (monatlich/viertelj./halbj./jährl.)? Art der Reduzierung der Forderungshöhe/Stichtag
t-3
t-2
t-1
akt. Jahr
Gutschriften Kautionen Rabatte/Skonti andere Nachlässe* Insgesamt
* Art der Nachlässe bitte erläutern – Fragen zu Mahnwesen/Forderungsmanagement/Kreditpolitik – Wie definieren Sie die Fälligkeit der Forderungen? – Wie viele Tage nach Fälligkeit gilt eine Forderung als „in Verzug/zweifelhaft“? Wie wird diese Forderung buchhalterisch behandelt? – Wie viele Tage nach Fälligkeit gilt eine Forderung als ausgefallen? Wie wird eine ausgefallene Forderung buchhalterisch behandelt? – Wie ist das Mahnwesen aufgebaut? Wann erfolgt die erste Mahnung und wie wird bei Zahlungsrückständen verfahren? – Ist das Forderungsmanagement zentralisiert (falls mehrere Gesellschaften beteiligt sind)? Wenn ja, wer ist dafür verantwortlich? – Falls dezentralisiert, auf wie viele Beteiligungsgesellschaften ist das Forderungsmanagement aufgeteilt? – Ist für säumige Debitoren eine besondere Abteilung zuständig? – Planen Sie eine Ausgliederung des Forderungsmanagements? – Existiert eine einheitliche Kredit- und Inkassopolitik? Wenn ja, ist diese dokumentiert? – Wie werden Kreditentscheidungen getroffen? – Ab wann ist eine Bonitätsprüfung bei Debitoren notwendig und wie wird diese vorgenommen? – Wie und gegebenenfalls wie oft werden Bestandskunden geprüft? – Ziehen Sie externe Informationsquellen zur Bonitätsprüfung heran? Wenn ja, welche? – Wie verteilen sich Genehmigungen und Ablehnungen bei Neukunden prozentual? – Welche Maßnahmen der Kreditprüfung gibt es für Neukunden? – Welche internen Prüfungsempfehlungen sind in der Vergangenheit ausgesprochen worden? – Schalten Sie Inkassounternehmen oder Anwälte ein? Wenn ja, wann und welche? – Wann erfolgt der gerichtliche Einzugbeziehungsweise nach wie vielen Tagen wird der Mahnbescheid versendet? – Wie werden säumige Debitoren identifiziert? Wie werden diese von weiteren Geschäften ausgeschlossen? 980 | Wagenknecht
Rz. 432 Teil H
Finanzierungsmodelle
– Wird mit Debitoren, bei denen es in der Vergangenheit zu einem Ausfall kam beziehungsweise deren Konten Überfälligkeiten aufweisen, weiterhin Geschäfte getätigt? – Fallen Debitoren, die um Ratenzahlung in möglichst kleinen Raten nachfragen, häufiger aus als andere? – In welchen Ländern wird der Forderungseinzug wie betrieben? – Kann der Einzug der verkauften Forderungen über eine Bankkonto erfolgen, dass dem SPV verpfändet wird und über das ausschließlich die verkauften Forderungen eingezogen werden? – Warenkreditversicherung – Bestehen Warenkreditversicherungen? – Wenn ja, mit welcher Versicherungsgesellschaft? – Wie hoch ist eine etwaige Selbstbeteiligung? – Wie hoch ist die Andienungsgrenze? – Sind Ausschlusskunden vereinbart? Wenn ja, welche? – Wie hoch ist der Anteil der versicherten Forderungen am Gesamtportfolio? – Wie hoch sind die Absicherungskosten? – Wie hoch waren die Versicherungsfälle in den letzten 3 Jahren (a) betraglich und (b) Anzahl der betroffenen Forderungen (getrennt nach Jahren)? – Wie hoch war die gezahlte Entschädigungssumme? – Wer versichert und zahlt die Prämie für die Warenkreditversicherung für die an das SPV verkauften Forderungen? – Kann das SPV die Warenkreditversicherung für die angekauften Forderungen selbst abschließen oder übernehmen? – Rechtliche Grundlagen der Forderungen – Welchem Recht unterliegen die zum Verkauf vorgesehenen Forderungen? – gegebenenfalls Aufteilung nach maßgebender Rechtsordnung in %? Rechtsgebiet
Anteil am Gesamtportfolio in %
– Bestehen Rechtswahl- und Gerichtsstandvereinbarungen (Falls ja, überlassen Sie uns bitte entsprechende Abreden)? – Bestehen für alle Forderungen schriftliche Kauf-/Liefer-/Dienstverträge? – Werden Verträge ausschließlich schriftlich oder auch telefonisch beziehungsweise per E-Mail geschlossen? – Bestehen standardisierte Einkaufsbedingungen mit Lieferanten? Wenn ja, welche? Und werden diese mit allen Lieferanten vereinbart? – Gibt es AGB, die Ihr Unternehmen gegenüber Debitoren verwendet (Bitte überlassen Sie uns eine Kopie)? – Wenn ja, gelten diese gegenüber allen Debitoren? – Sind die Zahlungsbedingungen für alle Debitoren gleich? Wenn nicht, beschreiben Sie bitte die verschiedenen Schuldnerklassen. – Sind bei der gegenwärtigen Kreditpolitik der verbriefenden Firma/Gruppe längere Zahlungsziele möglich, falls ein Debitor eine bestimmte Bonitätsstufe erreicht? – Enthalten die AGB des verbriefenden Unternehmens Abwehrklauseln hinsichtlich verlängerter Eigentumsvorbehalte seiner Lieferanten? – Welche Arten von Eigentumsvorbehaltsrechten haben die Lieferanten des verbriefenden Unternehmens vereinbart? – Können und wenn ja in welchem Umfang, nicht bezahlte Waren aufgrund des Eigentumsvorbehalts zurückgenommen werden? In welchem Umfang geschieht dies tatsächlich?
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Wagenknecht 981
Teil H Rz. 432
Finanzierung
– In welcher Höhe werden diesbezüglich Gutschriften erteilt? – Welche Sicherheiten werden für die Forderungen bestellt? – Falls vorhanden, sind diese Forderungen im EDV-System mit speziellen Schlüsseln hinterlegt? – Unterfallen die Forderungen oder Teile von diesen besonderen datenschutzrechtlichen Bestimmungen? – Bestehen Kontokorrentabreden mit Debitoren und/oder Lieferanten? – Tätigt das verbriefende Unternehmen mit seinen Lieferanten auch andere Geschäfte? Wenn ja, welche? – Bestehen Serviceverträge mit den Debitoren? Wenn ja, sind diese in den uns übermittelten Forderungsdaten berücksichtigt? – Ist Lieferstopp bei Gegenrechten der Debitoren zu erwarten? – Wenn ja, in welcher Höhe? Wenn nein, weshalb nicht? – Wie hoch sind die durchschnittlichen Wareneinstandsquoten der letzten 3 Jahre (Wareneinstand/Verkaufspreis)? Jahr
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akt. Jahr
Quote in %
– Steuerliche Fragestellungen – Werden bei Auslandsforderungen bestimmte Steuerbegünstigungen oder Steuerbefreiungen in Anspruch genommen? – Wie erfolgen die Umsatzsteuerzahlungen durch den Forderungsverkäufer? – Wie kann der Nachweis der Zahlung der in den verkauften, von dem SPV angekauften Forderungen enthaltenen Umsatzsteueranteilen kontrolliert und nachgewiesen werden, um eine Haftung nach § 13c dtUStG zu vermeiden? – Sonstiges, EDV – Welches EDV-System wird in der Debitorenbuchhaltung des verbriefenden Unternehmens verwendet? – Wie viele Personen wären regelmäßig mit der ABS-Transaktion aus Sicht der EDV eingebunden? – Hardware: Welchen Mainframe benutzt das verbriefende Unternehmen? Wo befinden sich die Server? – Software: Welche Software benützen Sie für das Finanz- und Rechnungswesen? Sind Erweiterungen oder neue Systeme geplant? – Sind die Systeme immer in der Lage, die für die Transaktion notwendigen Informationen zu liefern? – Waren die Systeme je für einen längeren Zeitraum ausgefallen (länger als 12 Stunden)? – Können Forderungslisten nach verschiedenen Kriterien wie z.B. Kunden-Nr., Rechnungs-Nr., Zahlungsziel und Zahlungseingang erstellt werden? – Gibt es ein EDV-Sicherungssysteme zur Verhinderung von Datenverlusten? Beschreiben Sie diese. – Wann wurde der letzte Sicherheitstest durchgeführt? – Wie oft werden Backup-Läufe durchgeführt? – Kann eine Kopie des Forderungsbestandes auf CD (oder einem anderen Datenträger) erstellt werden? – Für welchen Zeitraum stehen EDV-technische Aufzeichnungen über historische Ausfallraten und deren Berechnung zur Verfügung? 982 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 433 Teil H
IV. Avalgeschäfte Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
1. Bürgschaft a) Sicherungszweck Mit Abschluss des Bürgschaftsvertrages verpflichtet sich der Bürge gegenüber seinem Vertragspartner (Gläubiger) für die Verbindlichkeiten eines Dritten (Hauptschuldner) mit seinem gesamten Vermögen einzustehen (§ 765 Abs. 1 dtBGB)1. Der Bürge haftet für die dem Gläubiger durch die Kündigung und Rechtsverfolgung der verbürgten Forderungen entstehenden Kosten (§ 767 Abs. 2 dtBGB). Auf vertragliche Nebenansprüche (z.B. Zinsen und Gebühren) erstreckt sich die Bürgschaft dagegen nur, wenn dies ausdrücklich oder konkludent zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen vereinbart wurde2. Die Bürgschaft kann für eine oder auch mehrere, künftige oder bedingte Forderungen übernommen werden (§ 765 Abs. 2 dtBGB). Es gilt der Bestimmtheitsgrundsatz, d.h. die verbürgte Forderung sowie die Person des Hauptschuldners und des Gläubigers müssen in dem Bürgschaftsvertrag zumindest in hinlänglich klaren Umrissen bezeichnet und dadurch eindeutig bestimmbar sein3. Die Bürgschaftsurkunde muss zudem den Willen des Bürgen enthalten, für eine fremde Schuld haften zu wollen. Die Vereinbarung eines sog. weiten Sicherungszecks, d.h. die Haftung des Bürgen für alle gegenwärtigen und künftigen Ansprüche, wird von der Rechtsprechung selbst dann kritisch gesehen, wenn die Haftung des Bürgen auf Ansprüche aus einer bestehenden Geschäftsverbindung beschränkt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn die Bürgschaft aus Anlass einer bestimmten Kreditgewährung übernommen werden soll oder es sich bei dem Bürgen um einen Verbraucher handelt, der keinen direkten Einfluss auf die Entstehung der verbürgten künftigen Forderungen hat. Daran ändert auch die Vereinbarung einer Höchstbetragsbürgschaft grundsätzlich nichts4. Die Bürgschaft kann formularmäßig die Absicherung von Bereicherungsansprüchen für den Fall der Unwirksamkeit des Darlehens vorsehen5. Eine formularmäßig übernommene Bürgschaftserklärung unterliegt der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. dtBGB6. Bürgschaftserklärungen unterliegen zudem der Auslegung (§§ 133, 157 dtBGB). Deshalb können Unklarheiten bis zu einem gewissen Grad (Grenze: Schutzzweck des Schriftformerfordernisses des § 766 dtBGB) über die Auslegung der Bürgschaftserklärung beseitigt werden. Zu beachten ist, dass im Fall von formularmäßig übernommenen Bürgschaften Auslegungszweifel zu Lasten des Verwenders der Bürgschaftsurkunde gehen (§ 305c Abs. 2 dtBGB)7.
1 Muster für die unterschiedlichsten Bürgschaften zu finden bei Siegmund in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, IV.L.21, S. 1694 ff. mit Musterschreiben und -vereinbarungen zur Bürgschaftsabwicklung und zu Sonderfällen. 2 Palandt/Sprau, BGB § 765 Rz. 24; ausführlich Schlosser in Staudinger/BGB, 2013, § 305c Rz. 39. 3 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rz. 6, § 766 Rz. 4. 4 Dazu Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rz. 20; Schmidt in AGB-Recht, Anh. Zu § 310 Klausel (B) Rz. B 361. 5 BGH, NJW 1992, 1234 (1235); Schlosser in Staudinger/BGB, 2013, § 305c Rz. 39; a.A. Schmidt in AGB-Recht, Anh. Zu § 310 Klausel (B) Rz. B 360. 6 Zur Inhaltskontrolle vom Bürgschaftsverträgen ausführlich Schmidt in AGB-Recht, Anhang zu § 310 Klausel (B) Rz. B 351 ff. 7 Das österreichische Recht sieht in § 1353 OR als gesetzliche Auslegungsregel vor, dass für die Bürgschaft nur das gilt, was der Bürge ausdrücklich erklärt hat; dazu P. Bydlinkski, § 1353 Rz. 1 ff. und § 1346 Rz. 4 zu den Auslegungsgrundsätzen.
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Wagenknecht 983
433
Teil H Rz. 434
Finanzierung
b) Arten der Bürgschaft 434
Es gibt unterschiedliche Arten von Bürgschaften1 die teilweise auf die Rechtstellung des Bürgen (z.B. selbstschuldnerische Bürgschaft gem. § 773 Nr. 1 dtBGB, Mitbürgschaft gem. § 769 dtBGB oder Zeitbürgschaft gem. § 777 dtBGB) oder den Umfang der Bürgenhaftung (z.B. Teilbürgschaft, d.h. der Bürge haftet hier nur für einen in der Bürgschaftsurkunde klar zu definierenden Teil einer einheitlichen Forderung), Höchstbetragsbürgschaft (hier ist die maximale Haftung des Bürgen betraglich begrenzt, die Haftung selbst bezieht sich aber auf die Gesamtheit der verbürgten Forderungen). Die verschiedenen Arten können auch in unterschiedlichen Kombinationen vorkommen (z.B. Höchstbetragsbürgschaft als selbstschuldnerische Zeitbürgschaft)2. Von der Zeitbürgschaft ist die sog. gegenständlich zeitlich begrenzte Bürgschaft zu unterscheiden. Bei dieser Bürgschaft verbürgt sich der Bürge für Forderungen, die bis zum vereinbarten Fristablauf entstehen. Was gemeint ist, ist bei Zweifeln durch Auslegung (§§ 133, 157 dtBGB) zu ermitteln.
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Eine besondere Form der Bürgschaft ist die Bürgschaft auf erstes Anfordern. Diese priviligiert den Gläubiger und ist für den Bürgen daher besonders riskant, da der Gläubiger hier regelmäßig durch die Abgabe einer einfachen Erklärung vom Bürgen die Zahlung des Bürgschaftsbetrages verlangen kann. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Gläubiger bei Eintritt des Bürgschaftsfalles (Nichtzahlung des Hauptschuldners trotz Fälligkeit) sein Geld schnell bekommt und Streitigkeiten über die Berechtigung des Gläubigers in den Rückforderungsprozess nach § 812 BGB verlagert werden3. Deshalb muss der Bürge hier zahlen, wenn (a) eine formal wirksame Inanspruchnahmeerklärung (wie in der Bürgschaftsurkunde vereinbart) vorliegt und (b) etwa bestehende Gegenrechte des Bürgen nicht offentsichltlich bestehen oder vom Bürge nicht liquide beweisen werden können4. Derarige Bürgschaften können daher regelmäßig nur von Unternehmen wirksam übernommen werden, zu deren Geschäftszweck die Übernahme derartiger Bürgschaften gehört (z.B. Kreditinstitute und Versicherungen). Das gilt jedenfalls dann, wenn solche Bürgschaften formularmäßig übernommen werden sollen, da sie sonst einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. dtBGB nicht standhalten würden5. Im Fall der Abtretung der gesicherten Forderung, geht auch die Bürgschaft auf erstes Anfordern auf den neuen Gläubiger über (§ 401 dtBGB). Das soll dann grundsätzlich auch für das Recht der Inanspruchnahme der Bürgschaft gelten6. Wenn es daher auf die Erklärung oder Bestätigung des ursprünglichen Gläubigers ankommt, dann ist dies in der Bürgschaftsurkunde ausdrücklich vorzusehen. c) Schriftformerfordernis
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Die Übernahme einer Haftung für einen Dritten ist ein risikoreiches Geschäft. Das Gesetz schreibt deshalb für die Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die Schriftform vor (§ 766 Satz 1 dtBGB)7. Das bedeutet, das der Bürge die Bürgschaftsurkunde eigenhändig 1 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 6 ff.; zum Schweizer Recht Ernst/Zelger in Kurzkomm Obligationenrecht, Vor Art. 492–512 Rz. 4. 2 Zur Einordnung der verschiedenen Bürgschaftsarten (Ausfallbürgschaft, Rück- und Entschädigungsbürgschaft, Bürgesbürge, Mitbürgschaft, Wechselbürgschaft und Ausgleichsbürge) nach österreichischem Recht: Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29 Bürgschaft Anm. III. 3 ff., S. 266 f. 3 BGH, NJW 1999, 2361; NJW 2003, 2231: im Rückforderungsprozess gelten dann aber wieder die allgemeinen Beweislastregeln, d.h. der Gläubiger muss dann die Berechtigung der Inanspruchnahme der Bürgschaft beweisen. 4 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 14, 14a. 5 Schmidt in AGB-Recht Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 366. 6 BGH, NJW 1987, 1987; Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 366. 7 Das österreichische Gesetz sieht ebenfalls Schriftform für die Bürgschaftserklärung vor, § 1346 Abs. 2 öABGB; ein Bevollmächtigter benötigt schriftliche Vollmacht, § 1008 öABGB; das
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Finanzierungsmodelle
Rz. 438 Teil H
durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigtem Handzeichen zu unterzeichnen hat (§ 126 Abs. 1 dtBGB). Die Übernahme der Bürgschaft in elektronischer Form ist nicht möglich (§ 766 Satz 2 dtBGB). Nebenabsprachen und Änderungen sind ebenfalls formbedürftig, wenn diese den Bürgen belasten. Wird die Bürgschaft durch einen Vertreter übernommen, muss dieser aufgrund einer vom Bürgen erteilten schriftlichen Vollmacht handeln, die der Form des § 766 dtBGB genügt1. Ausnahmen vom Schriftformerfordernis bestehen für Kaufleute, wenn die Bürgschaftsübernahme für diese ein Handelsgeschäft darstellt (§§ 350, 344 Abs. 1, 343 Abs. 1 dtHGB). Eine Bürgschaft, die nicht das gesetzliche Schriftformerfordernis erfüllt ist nichtig (§ 125 dtBGB). Erfüllt der Bürge die Bürgschaftsverbindlichkeit, wird der Mangel der Form geheilt (§ 766 Satz 2 dtBGB)2. Neben dem Schriftformerfordernis kann es noch andere formale Anforderungen geben, wie z.B. das Erfordernis der Zustimmung des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners3. d) Grundsatz der Akzessorietät Der Bürge begründet durch die Übernahme der Bürgschaft eine eigene Zahlungsverpflichtung4. Diese ist vom Entstehen, dem Bestand, der Durchsetzbarkeit (damit auch Fälligkeit) sowie dem Umfang der verbürgten Schuld (Hauptschuld) dauerhaft abhängig (Grundsatz der Akzessorietät, § 767 dtBGB). Wird der Grundsatz der Akzessorietät aufgehoben, liegt keine Bürgschaft vor5. Es ist dann zu prüfen, ob ein anderes Rechtsverhältnis (z.B. Schuldmitübernahme, Gewährleistung oder Garantie) vorliegt6. Auch andere Rechtsordnungen gehen vom Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft aus7. Aufgrund der Akzessorietät kann die Forderung gegen den Bürgen nicht ohne die verbürgte Hauptschuld abgetreten werden. Wird eine verbürgte Forderung in ein Kontokorrentverhältnis (§ 355 dtHGB) eingestellt, dann erstreckt sich die Bürgschaft auf die späteren Saldoforderungen (§ 356 Abs. 1 dtHGB). Zum Schutz des Bürgen besteht die dadurch begründete Haftung jedoch nur bis zum Betrag der eingestellten verbürgten Forderung und begrenzt auf den niedrigsten späteren Zwischensaldo8.
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Eine Abbedingung der Akzessorität, d.h. die dauerhafte Abhängigkeit der Bürgenhaftung vom Bestand der verbürgten Forderung, ist formularmäßig nicht möglich9. Das Gesetz kennt jedoch einige Durchbrechnungen vom Grundsatz der Akzessorietät, die auch bei der Inhaltskontrolle zu beachten sind (z.B. § 768 Abs. 1 Satz 2 dt BGB, §§ 254 Abs. 2, 301 Abs. 2 dtInsO). Der Gläubiger soll nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Bürgschaft die Absicherung durch die Bürgschaft nicht verlieren, wenn der Schuldner oder dessen Rechtsnachfolger aus wirtschaftlichen Gründen ausfallen10.
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Schweizer Recht verlangt nach Art. 493 Abs. 2 OR zusätzlich zur Schriftform die öffentliche Beurkundung, wenn der Bürge eine natürliche Person ist und die Bürgschaftssumme 2.000 Franken übersteigt, dazu Ernst/Ziegler in OR Obligationenrecht, Art. 493 Rz. 3. Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rz. 4 und § 766 Rz. 2. So auch § 1432 ABGB für österreichisches Recht; vgl. dazu Gamerith in Rummel, § 1346 Rz. 8. So für das Schweizer Recht Art. 494 OR; dazu Ernst/Ziegler in OR Obligationenrecht Art. 494 Rz. 1 ff. BGH v. 8.3.2001 – IX ZR 236/00, NJW 2001, 1857. Zum insoweit vergleichbaren österreichischen Recht: Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29 Bürgschaft Teil V. Akzessorietät, S. 270 f.; bei Verbürgung für beschränkt geschäftsfähige oder geschäftsunfähige Personen sieht § 1352 öABGB eine Ausnahme von der Akzessorietät vor, dazu P. Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1352 Rz. 1. BGH v. 19.11.1965, WM 1966, 124. Vgl. § 1346 Abs. 1 öABGB zum österreichischen Recht; Gamerith in Rummel, Bd. 2 § 1346 Rz. 1; P. Bydinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1345 Rz. 2. Hopt in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, § 356 Rz. 2. BGH, NJW 2009, 3422. Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 364; zum österreichischen Recht vgl. Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1346 Rz. 2.
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Wagenknecht 985
Teil H Rz. 439
Finanzierung
e) Geltendmachung von Rechten des Hauptschuldners durch den Bürgen 439
Der Zweck der Bürgschaft ist die Absicherung der verbürgten Forderung des Gläubigers gegen die Zahlungsunfähigkeit oder die Zahlungsunwilligkeit des Hauptschuldners. Deshalb haftet der Bürge auch, wenn die verbürgte Forderung sich durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners nachträglich ändert (§ 767 Abs. 1 Satz 2 dtBGB). Der Gläubiger kann vom Bürgen jedoch nur das verlangen, was der Hauptschuldner ihm im Zusammenhang mit der verbürgten Forderung schuldet. Nach der gesetzlichen Regelung soll der Gläubiger durch die Bürgschaft nicht besser gestellt werden, also nur dasjenige erhalten, was er auch vom Hauptschuldner erhalten hätte.
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Der Bürge kann dem Gläubiger deshalb im Fall einer Inanspruchnahme alle dem Hauptschuldner zustehenden Einreden (z.B. Zurückbehaltungsrecht, § 273 dtBGB; Einrede des nichterfüllten Vertrages, § 320 dtBGB; Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung1; Stundung (§ 271 dtBGB), alle Mängeleinreden und die Verjährungseinrede2 entgegenhalten (§ 768 Abs. 1 dtBGB)3. Das gilt selbst dann, wenn der Hauptschuldner darauf gegenüber dem Gläubiger nach Übernahme der Bürgschaft verzichtet hat (§ 768 Abs. 2 dtBGB). Der Gläubiger und der Hauptschuldner sollen nachträglich nicht die Haftung des Bürgen durch Vereinbarung, Verzicht oder Nichttätigkeit des Schuldners erhöhen können (§ 767 Abs. 1 Satz 3 dtBGB)4. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Haftungserhöhung ihre Ursache in der Nichterfüllung der verbürgten Forderung durch den Schuldner hat (z.B. Haftung für Verzugschäden, § 767 Abs. 1 dtBGB). f) Besondere Bürgeneinreden
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Nach der gesetzlichen Regelung kann der Gläubiger den Bürgen solange nicht in Anspruch nehmen, wie dem Hauptschuldner das Recht zusteht, das der verbürgten Hauptschuld zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten (sog. Einrede der Anfechtbarkeit, § 770 Abs. 1 dt BGB) oder der Gläubiger sich durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann (sog. Einrede der Aufrechnung, § 770 Abs. 2 dtBGB). Die Regelung des § 770 dtBGB soll analog für durch den Hauptschuldner noch nicht ausgeübte sonstige Gestaltungsrechte gelten, soweit der Bürge nicht auf die Einreden aus § 770 dtBGB verzichtet hat5. Der Bürge hat damit ein Leistungsverweigerungsrecht, solange dem Hauptschuldner noch rechtsgestaltende Rechte zustehen, welche die Haftung des Bürgen ermäßigen oder entfallen lassen können6. Die Rechte aus § 770 Abs. 1 dtBGB können grundsätzlich abbedungen werden7. Das gilt jedoch nur mit Einschränkungen für die Rechte aus § 770 Abs. 2 dtBGB8.
1 BGH v. 20.4.1989 – IX ZR 212/88, BGHZ 107, 210. 2 Wer sich in Kenntnis der Verjährung für eine verjährte Forderung verbürgt, soll auf die Einrede der Verjährung verzichten, so Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29. V. 1. Akzessorietät, S. 270. 3 Zur Unwirksamkeit der Abbedingung der Rechte aus § 768 dtBGB s. Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 80; zum abweichenden österreichischen Recht Bydlinski (a.a.O.) § 1352 Rz. 2. 4 Fallgruppen z.B., Versäumnisurteil: BGH v. 12.3.1980 – VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222; Schuldanerkenntnis: OLG Düsseldorf v. 20.6.1975, MDR 1975, 1019; vgl. zum österreichischen Recht, was in diesem Punkt wohl anders ist Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1352 Rz. 3; Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29. 5 OLG Frankfurt v. 20.12.1994, WM 1995, 794; Palandt/Sprau, BGB, § 770 Rz. 4. 6 Zum österreichischen Recht Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29 V. 2, S. 270 f. m.w.N., strittig. 7 BGHZ 95, 350; Palandt/Grüneberg, BGB § 307 Rz. 79; a.A. Schmidt in AGB-Recht, Anh. Zu § 310 Klausel (B) Rz. B 365. 8 BGH, NJW 2003, 1521; Schmidt (a.a.O.), Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 365.
986 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 445 Teil H
g) Rechtsverfolgung und Rückgabe der Bürgschaftsurkunde Das Gesetz sieht die Haftung des Bürgen für die dem Gläubiger vom Hauptschuldner zu ersetzenden Kosten der Kündigung und Rechtsverfolgung vor (§ 767 Abs. 2 dtBGB).
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Fehlt der Sicherungszweck der Bürgschaft oder ist dieser weggefallen (z.B. durch Erfüllung der Hauptschuld oder Fristablauf der Bürgschaft), kann der Bürge (§ 371 dtBGB) oder der Hauptschuldner für den Bürgen die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde an den Bürgen verlangen1. Der Gläubiger kann in diesen Fällen kein Zurückbehaltungsrecht an der Bürgschaftsurkunde geltend machen2. Bei der Rechtsverfolgung ist zu beachten, dass der Anspruch des Gläubigers gegen den Bürgen einen von der verbürgten Forderung unabhängigen Erfüllungsort hat. Dies ist regelmäßig der Wohnsitz oder Sitz bzw. die Niederlassung des Bürgen bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages (§ 269 dtBGB)3. Die Zahlung des Bürgen hat auf Gefahr des Bürgen an den Gläubiger zu erfolgen (§ 270 dtBGB). Gerichtsstand für Klagen gegen den Bürgen ist ebenfalls der Wohnsitz (§ 13 dtZPO) oder der Sitz (§ 17 dtZPO) bzw. die Niederlassung (§ 21 dtZPO) des Bürgen (§ 12 dtZPO).
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Die Bürgschaft verjährt selbständig mit einer Frist von 3 Jahren (§ 195 dtBGB), d.h. unabhängig von der Verjährung der verbürgten Hauptforderung. Der Bürgschaftsanspruch entsteht grundsätzlich mit der Fälligkeit der verbürgten Schuld und ist für jede verbürgte Forderung gesondert zu bestimmen (§ 199 Abs. 1 dtBGB)4. Einreden gegen die verbürgte Forderung verhindern weder das Entstehen der Bürgschaftsforderung noch hindern diese den Lauf der Verjährung der Bürgschaftsforderung5. Die sich daraus für den Gläubiger ergebenden Probleme (Bürgschaftsforderung kann vor der verbürgten Forderung verjähren) können und sollten in der Praxis durch Vereinbarungen zur Fälligkeit des Bürgschaftsanspruchs vermieden werden6. Aus Gläubigersicht ist zu beachten, dass der Bürge die Einrede der Verjährung der verbürgten Forderung (§ 768 Abs. 1 dtBGB) grundsätzlich auch dann noch gegegnüber dem Gläubiger geltend machen kann, wenn diese erst nach der Klageerhebung verjährt7. Deshalb muss der Gläubiger eine Verjährung der verbürgten Forderung vermeiden, wenn die Bürgschaftsurkunde keinen wirksamen Ausschluss der Bürgenrechte nach § 768 BGB enthält8. Der Hauptschuldner kann nicht zu Lasten des Bürgen auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich der verbürgten Forderungen verzichten (§ 768 Abs. 2 dtBGB). Ein formularmäßiger Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Verjährung ist grundsätzlich unwirksam9.
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h) Bürgen Inanspruchnahme und Zeitbürgschaft Die Inanspruchnahme des Bürgen setzt die Fälligkeit der verbürgten Forderung voraus. Nach dem Gesetz steht dem Bürgen zudem die Einrede der Vorausklage zu (§ 771 dtBGB)10. Danach kann der Bürge die Inanspruchnahme verweigern, solange der Gläu1 BGH, NJW 1989, 1482; BGH, NJW 2009, 281; BGH, NJW-RR 2014, 1172; Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 4a. 2 BGH, NJW 2001, 3329; BGH, NJW 2003, 2605; zur Anwendung des § 371 dtBGB auf die Bürgschaft: BGH, NJW 1997, 1779. 3 BGH, NJW 1995, 1545. 4 BGH, NJW 2008, 1729; BGH, NJW 2009, 587; Sienz/Vogel, NJW 2010, 2703 (2704). 5 BGH, NJW 2013, 1228. 6 BGH, NJW 2013, 1803; zu Fragen der Verjährung: Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rz. 26. 7 Dazu Palandt/Sprau, BGB, § 768 Rz. 6. 8 Zur Problematik des formularmäßigen Ausschlusses der Bürgenrechte nach § 768 BGB: Palandt/ Sprau, BGB, § 768 Rz. 7. 9 Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 364; Palandt/Sprau, BGB, § 768 Rz. 8; Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 80. 10 Das österreichische Recht sieht eine subsidiäre Haftung des Bürgen vor (§§ 1346 Abs. 1, 1355 öABGB). Anders als im deutschen Recht ist hier jedoch nur die außergerichtliche Vorausmahnung erforderlich. Wer sich als „Bürge und Zahler“ verpflichtet hat, haftet dagegen primär und
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Teil H Rz. 446
Finanzierung
biger nicht gegen den Hauptschuldner erfolglos die Zwangsvollstreckung betrieben hat. Erhebt der Bürge die Einrede der Vorausklage ist die Verjährung des Bürgschaftsanspruches gegen den Bürgen solange gehemmt (§ 771 Satz 2 dtBGB). In der Praxis wird die Einrede der Vorausklage in den Bürgschaftsverträgen regelmäßig abbedungen. Das Gesetz sieht den Ausschluss u.a. dann vor, wenn sich der Bürge als Selbstschuldner verbürgt hat (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 dtBGB), über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (§ 773 Abs. 1 Nr. 3 dtBGB) oder wenn anzunehmen ist, dass die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner nicht zur Befriedigung des Gläubiges führen würde (§ 773 Abs. 1 Nr. 4 dtBGB). Der gestzliche Ausschluss der Einrede der Vorausklage nimmt dem Bürgen jedoch nicht das Recht, den Gläubiger anzuhalten, vorher andere für die verbürgte Schuld an beweglichen Sachen bestellte Sicherheiten zu verwerten (§§ 773 Abs. 2 i.V.m. 772 Abs. 2 dtBGB)1. Stellt die Übernahme der Bürgschaft für den Bürgen ein Handelsgeschäft dar, steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage nicht zu (§ 349 Satz 1 dtHGB)2. 446
Hat der Bürge sich nur für eine bestimmte Zeit verbürgt, müssen alle Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Hauptschuldners vor Ablauf der Befristung vorliegen, damit der Gläubiger die Einziehung der verbürgten Forderung unverzüglich betreiben und dem Bürgen unverzüglich nach Abschluss des Beitreibungsverfahrens die Inanspruchnahme anzeigen kann (§ 777 Abs. 1 Satz 1 dtBGB). Steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage nicht zu (was in der Praxis der Regelfall ist), muss der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme des Bürgen unverzüglich nach Ablauf der Befristung anzeigen (§ 777 Abs. 1 Satz 2 dtBGB)3.
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Bei der vertraglichen Ausgestaltung ist bei Bürgschaften mit zeitlichen Befristungen auf eindeutige Formulierungen zu achten, damit später Streitigkeiten über die Bedeutung der Befristung vermieden werden. Das Gesetz enthält in § 771 dtBGB insoweit nur eine Auslegungsregel. Nimmt der Gläubiger den Bürgen abredewidrig in Anspruch, dann macht er sich gegenüber dem Hauptschuldner schadensersatzpflichtig nach § 280 dtBGB.785b Dennoch sollte der Bürge nach Möglichkeit nicht ohne vorherige Abstimmung mit dem Hauptschuldner Zahlung unter der Bürgschaft leisten. Sollte er dies nämlich tun, obwohl der Hauptschuldner ebenfalls geleistet hat, dann läuft der Bürge Gefahr, seinen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Hauptschuldner zu verlieren. Er kann dann auch nicht aus der übergegangenen Forderung gegen den Hauptschuldner vorgehen, da dieser dem Bürgen die bereits erfolgte Zahlung nach §§ 412, 407 dtBGB entgegen halten kann. Sollte der Hauptschuldner vor dem Bürgen geleistet haben, wäre die verbürgte Forderung durch Erfüllung erloschen und könnte gar nicht erst auf den Bürgen übergehen. nicht subsidiär (§ 1357 öABGB); anders das schweizerische Recht, das den Gläubiger ebenfalls anhält, zuerst Befriedigung beim Schuldner zu suchen (Art. 495 OR); dazu Ernst/Zegler in OR Obligationenrecht Art. 495 Rz. 1 f. 1 Dazu Palandt/Sprau, BGB, § 773 Rz. 3; das schweizerische Recht kennt auch die subsidiäre Haftung des sog. einfachen Bürgen (Art. 495 Abs. 1 OR); zu beachten ist, dass nach schweizerischem Recht der Gläubiger auch bei einer sog. Solidarbürgschaft den Schuldner vor Inanspruchnahme des Bürgen erfolglos gemahnt haben oder dessen Zahlungsunfähigkeit offenkundig sein muss (Art. 496 Abs. 1 OR); dazu Ernst/Zelger in OR Obligationenrecht, Art. 495 Rz. 1 ff.; zur Pflicht des Gläubigers, andere Sicherheiten vorab zu verwerten s. Art. 495 Abs. 2 OR und Art. 496 Abs. 2 OR, wobei dies unter Beachtung der für die Bürgschaft geltenden Form abbedungen werden kann (Art. 495 Abs. 4 OR; für die Solidarbürgschaft Ernst/Zelger, Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 495 Rz. 9. 2 Das gilt auch für das österreichische Recht nach §§ 349, 351, 344 Abs. 1 öHGB. 3 Bei einer Zeitbürgschaft ist die formularmäßige Abbedingung der Verpflichtung des Gläubigers dem Bürgen die Inanspruchnahme nach § 771 Abs. 1 Satz 2 dtBGB anzuzeigen überraschend nach § 305c dtBGB s. Schlosser in Staudinger/BGB, 2013, § 305c Rz. 39; Palandt/Sprau, BGB, § 777 Rz. 2; vgl. auch BGH, NJW 2003, 352.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 450 Teil H
i) Gesetzlicher Forderungsübergang Der Bürge leistet auf seine eigene Bürgschaftsschuld und nicht auf die verbürgte Hauptschuld. Die verbürgte Forderung geht deshalb mit der Bürgenzahlung nicht unter. Das Gesetz sieht vielmehr den gesetzlichen Übergang der verbürgten Forderung auf den Bürgen vor, soweit der Bürge den Gläubiger befriedigt (§ 774 Abs. 1 Satz 1 dtBGB)1. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden (§ 774 Abs. 1 Satz 2 dtBGB). Deshalb kommt es in der Praxis immer wieder zu Streitigkeiten über den Umfang des Vorranges zwischen dem Bürgen, der sich beim Hauptschuldner oder aus den für die verbürgten Forderungen bestellten Sicherheiten befriedigen will und dem Gläubiger, der auch nicht verbürgte Forderungen gegen den Hauptschuldner hat2. Mit der verbürgten Forderung gehen nämlich auch die dafür bestellten akzessorischen Sicherheiten (Pfandrecht, Bürgschaft und Hypothek) kraft Gesetzes auf den leistenden Bürgen über (§ 774 Abs. 1 i.V.m. §§ 412, 401 dtBGB). Selbständige Sicherungsrechte (Sicherungsabtretung, Sicherungsübereignung, Garantie und Grundschuld) gehen zwar nicht kraft Gesetzes über. Der Gläubiger ist jedoch mangels abweichender Vereinbarung analog §§ 774, 401 dtBGB verpflichtet, diese auf den Bürgen zu übertragen3. Das gilt auch, soweit die Sicherheiten von Dritten bestellt wurden. Zu beachten ist, dass der gesetzliche Forderungsübergang in der Praxis in den Bürgschafturkunden regelmäßig abbedungen oder stark im Interesse des Gläubigers eingeschränkt wird4.
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j) Rechte des Bürgen gegen Hauptschuldner Im Regelfall wird der Bürge die Bürgschaft im Auftrag des Hauptschuldners übernehmen. Ist der Bürge eine Bank, wird regelmäßig ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) vorliegen. Dem Bürgen steht dann ein Aufwendungsersatzanspruch (§§ 675, 670 dtBGB) gegen den Schuldner zu, wenn er aus seiner Bürgschaft vom Gläubiger in Anspruch genommen wurde. Im Einzelfall kann auch eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. dtBGB) vorliegen, wenn die Bürgschaftsübernahme im Interesse des Hauptschuldners war. Liegen die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag vor, hat der Bürge nach Maßgabe des § 683 dtBGB einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Hauptschuldner. Wurde die Bürgschaft dagegen allein auf Wunsch des Gläubigers übernommen, ohne dass dies der Interessenlage des Schuldners entsprochen hat, kann sich der Bürge an den Hauptschuldner nur im Rahmen der auf ihn übergegangenen (verbürgten) Forderungen des Gläubigers (§ 774 dtBGB) halten. Gegen die übergegangenen Forderungen kann der Hauptschuldner dann nicht nur seine gegenüber dem Bürgen bestehenden Einwendungen (§ 774 Abs. 1 Satz 3 dtBGB), sondern auch alle Einwendungen geltend machen, die dem Hauptschuldner im Zusammenhang mit den übergegangenen Forderungen zustehen, die er auch gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger hätte geltend machen können (§§ 404 ff., 412 dtBGB)5.
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Beim Aufwendungsersatzanspruch und den übergegangenen verbürgten Forderungen (§ 774 dtBGB) handelt es sich um zwei getrennte und deshalb auch selbständig durchsetzbare Rückgriffsmöglichkeiten, zwischen denen der Bürge die Wahl hat6. Sieht das
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1 § 1358 öABGB (Österreich) sieht auch den gesetzlichen Forderungsübergang vor (cessio legis); dazu Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1358 Rz. 1. 2 Vgl. Wagenknecht in Hellner/Steuer, Rz. 4/1090. 3 Palandt/Sprau, BGB, § 774 Rz. 9 mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung. 4 Zur Zulässigkeit und den Grenzen: Palandt/Sprau, BGB, § 774 Rz. 5; zum abweichenden Schweizer Recht, das eine Abbedingung des auch dort vorgesehenen gesetzlichen Forderungsüberganges nicht zulässt, s. Zelger in Kurzkomm Obligationenrecht, § 507 Rz. 9. 5 Zum Schweizer Recht, das weitgehend gleich ist (vgl. Art. 502 Abs. 3 OR) s. Zelger, Kurzkomm Obligationenrecht, § 502 Rz. 5; § 507 Rz. 1 ff.; zu beachten ist, dass nach Schweizer Recht dann, wenn der Bürger die Haftung für eine verjährte Forderung im Auftrag des Hauptschuldners übernommen hat, dieser Aufwendungsersatz nach Auftragsrecht verlangen kann (§ 507 Abs. 6 OR). 6 Palandt/Sprau, BGB, § 774 Rz. 4.
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Teil H Rz. 451
Finanzierung
Auftragsverhältnis einen geringeren Regress vor, als der Bürge durch Geltendmachung der übergegangenen verbürgten Forderung erlangen könnte, geht das Innenverhältnis vor1. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Bürge, welcher die Bürgschaft im Auftrag oder zumindest im Interesse des Schuldners übernommen hat, schon vor einer Inanspruchnahme der Bürgschaft vom Schuldner Befreiung von der Bürgschaft verlangen (§ 775 Abs. 1 dtBGB). Dies ist z.B. bei einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögenslage des Schuldners (§ 775 Abs. 1 Nr. 1 dtBGB) oder dann der Fall, wenn der Schuldner sich mit der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten in Verzug befindet (§ 775 Abs. 1 Nr. 3 dtBGB)2. Ist die Hauptschuld noch nicht fällig, kann der Schuldner dem Bürgen auch Sicherheit leisten (§ 775 Abs. 2 dtBGB). Leistet der Bürge dagegen ohne Rechtsgrund (z.B. bei fehlender Einstandspflicht), dann hat er keinen Aufwendungsersatzanspruch aus dem Auftragsverhältnis mit dem Hauptschuldner. In diesem Fall steht dem Bürgen (und nicht dem Auftraggeber) jedoch ein Bereicherungsanspruch (§ 812 Abs. 1 Satz 1 dtBGB) gegen den Gläubiger zu3. k) Verbot der Freigabe von Sicherheiten durch Gläubiger 451
Das Gesetz schützt den Bürgen vor einer vorsätzlichen Freigabe von Sicherheiten durch den Gläubiger (§ 776 dtBGB). Eine fahrlässige Verschlechterung oder Vernichtung von Sicherheiten genügt dagegen grundsätzlich nicht4. Die Freigabe von Sicherheiten (z.B. Hypothek, Grundschuld, Sicherungsübereignung, Sicherungsabtretung, Pfandrecht oder Ansprüche gegen Mitbürgen oder andere Mithaftende), auf die der Bürge im Fall seiner Inanspruchnahme hätte zugreifen können, befreit den Bürgen in Höhe des ohne eine solche Freigabe möglichen Rückgriffes von seiner Bürgenhaftung5. Das gilt selbst dann, wenn die Sicherheit, aus der sich der Bürge hätte befriedigen können, erst nach Übernahme der Bürgschaft bestellt wurde (§ 776 Satz 2 BGB)6. l) Widerrufs- und Kündigungsrechte des Bürgen
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Ob die Bürgschaft ein Verbrauchervertrag ist, ist streitig7. Ist die Bürgschaft jedoch ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 dtBGB), wofür einiges spricht, wenn der Bürge ein Verbraucher (§ 13 dtBGB) ist, dann hat der Bürge ein Widerrufsrecht nach § 312g dtBGB, wenn die Voraussetzungen der §§ 312b (Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen) oder 312c dtBG (Fernabsatz) vorliegen8. Die Widerrufsrechte und formellen Anforderungen für Verbraucherdarlehen nach §§ 491 ff. dtBGB finden dagegen auf Bürgschaften keine Anwendung9.
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Der Bürge kann die Bürgschaft für bestimmte Forderungen ohne vereinbarte Kündigungsrechte grundsätzlich nicht kündigen. Die Haftung des Bürgen besteht für die gesamte Laufzeit der verbürgten Forderung, sofern mit dem Gläubiger keine zeitliche Be1 Vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach österreichischem Recht Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29.VI.1, S. 273; Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1358 Rz. 8; zur ebenfalls vergleichbaren schweizerischen Rechtslage Zelger in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 507 Rz. 6. 2 Der Anspruch aus § 775 dtBGB ist dispositiv: Palandt/Sprau, BGB, § 775 Rz. 1. 3 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 4 und § 812 Rz. 83; Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 364. 4 Palandt/Sprau, BGB, § 776 Rz. 4. 5 BGH, NJW 2013, 2508; Müller, WM 2014, 869; zur Unwirksamkeit der formularmäßigen Abbedingung des § 776 BGB s. Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 370. 6 Ähnlich § 1360 öABGB für österreichisches Recht und Art. 503 OR. 7 Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rz. 1. 8 BGH, NJW 2007, 2106 zu § 312 dtBGB a.F. 9 Palandt/Sprau, BGB, § 776 Rz. 4.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 456 Teil H
grenzung der Haftung vereinbart wurde1. Hat der Bürge sich für Schulden aus einem Dauerschuldverhältnis oder für alle künftigen Verbindlichkeiten aus einer Geschäftsverbindung verbürgt, besteht ein berechtigtes Bedürfnis des Bürgen, seine Haftung zumindest für die Zukunft begrenzen zu können, d.h. nicht mehr für Forderungen haften zu müssen, die nach Kündigung der Bürgschaft entstanden sind2. In bestimmten Fällen (z.B. nachträgliche Vermögensverschlechterung des Hauptschuldners bei Nichtdurchsetzbarkeit des Befreiungsanspruchs des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner nach § 775 dtBGB) kann eine Kündigung der Bürgschaft aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein3. Anders als das Schweizer Recht4, kennt das deutsche Recht keine gesetzliche maximale Gültigkeitsdauer einer Bürgschaft. m) Abbedingung von Bürgenrechten In der Praxis wird in den Bürgschaftsverträgen sowie den entsprechenden Auftragsvereinbarungen zur Übernahme derartiger Haftungserklärungen regelmäßig von der gesetzlichen Regelung (z.B. durch die Abbedingung von Bürgenrechten, Vereinbarung von Zugangsfiktionen, Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen oder Beweiserleichterungen) zugunsten des Gläubigers oder des Bürgen abgewichen. Da die Verträge regelmäßig formularmäßig geschlossen werden, ist jeweils zu prüfen, ob die vorgenommenen Abweichungen rechtswirksam sind, d.h. einer Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. dtBGB) standhalten5.
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Nach § 307 Abs. 1 dtBGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen6 unwirksam, wenn sie die Vertragspartei des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung soll im Zweifel bei einer mit einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbarenden Abweichung oder dann vorliegen, wenn wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, durch die Regelung so eingeschränkt werden, dass dadurch die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 2 dtBGB). Da eine zur Unwirksamkeit führende Benachteiligung sich bereits daraus ergeben kann, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 dtBGB), ist auf eine eindeutige Formulierung der Vertragsabsprachen zu achten.
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Das Gesetz sieht zudem Klauselverbote mit (§ 308dt BGB) und ohne (§ 309 dtBGB) Wertungsmöglichkeiten vor, d.h. Regelungen, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden können. Dazu gehören z.B. die Vereinbarung von unangemessen langen Annahme- und Leistungsfristen (§ 308 Nr. 1 dtBGB), von Zugangsfiktionen (§ 308 Nr. 6 dtBGB), von Aufrechnungsverboten, sofern davon auch Forderungen erfasst werden, die unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sind (§ 309
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1 Nach Schweizer Recht hat der Gläubiger bei einer Bürgschaft auf unbestimmte Zeit dem Hauptschuldner die verbürgte Forderung zu kündigen, wenn der Bürge dies 1 Jahr nach Übernahme der Bürgschaft verlangt und diese kündbar ist (Art. 511 Abs. 2 OR); unterlässt er dies, wird der Bürge frei (Art. 511 Abs. 3 OR). 2 Zum österreichischen Recht, nach dem bei einer unbefristeten Bürgschaft in einem solchen Fall ein Kündigungsrecht bestehen soll vgl. Gschnitzer, Österreichisches Schuldrecht, § 29 VII. 2 h, S. 274. 3 Palandt/Grüneberg, BGB, § 314 Rz. 2, 5. 4 Nach Art. 509 OR hat jede Bürgschaft einer natürlichen Person maximal eine Laufzeit von 20 Jahren mit einmaliger Verlängerungsoption für weitere 10 Jahre. 5 Zu den Grundsätzen der AGB-Inhaltskontrolle s. Palandt/Grüneberg, BGB, Vorb. § 307 Rz. 1 ff.; speziell zur Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen: Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. 351 ff.; zum Schweizer Recht, wonach die gesetzlichen Bürgschaftsvorschriften weitgehend gem. Art. 492 Abs. 4 OR zwingend sind, s. Zelger in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 492 Rz. 5. 6 Zur Definition des Begriffs „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ vgl. § 305 Abs. 1 dtBGB.
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Teil H Rz. 457
Finanzierung
Nr. 3 dtBGB), von Haftungsausschlüssen für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 309 Nr. 7 dtBGB) oder bestimmte Beweislastklauseln (§ 309 Nr. 12 dtBGB). 457
Für die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Kaufleuten sieht das Gesetz eine abgeschwächte Inhaltskontrolle vor (§ 310 dtBGB). Die Inhaltskontrolle ist hier nämlich unter angemessener Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche vorzunehmen (§ 310 Abs. 1 Satz 2 dtBGB). Verbraucher (§ 13 dtBGB) als Bürgen werden beim Abschluss von Bürgschaftsverträgen mit Unternehmen (§ 14 dtBGB) dadurch geschützt, dass sich die Inhaltskontrolle hier im Ergebnis auf alle vom Gläubiger dem Bürgen oder Garanten vorgegebenen Vertragstexte (auch Einmalbedingungen) bezieht (§ 310 Abs. 3 dtBGB).
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Zu beachten ist, dass Individualabreden immer den Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben (§ 305b dtBGB). Daran können Schriftformklauseln, also Klauseln, welche die Wirksamkeit einer Vereinbarung von der Schriftform abhängig machen, nichts ändern1. In der Praxis wird deshalb häufig mit schriftlichen Bestätigungsvorbehalten oder Vollständigkeitsklausen gearbeitet, die im Streitfall jedoch nur als Beweislastregelung gelten2. Darüber hinaus dürfen Vereinbarungen (z.B. die Ausweitung des Sicherungszweckes der Bürgschaft auf alle Forderungen des Gläubigers aus der gegenwärtigen und künftigen Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner) nicht überraschend sein (§ 305c dtBGB)3.
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Halten bestimmte Vereinbarungen der gesetzlichen Inhaltskontrolle nicht stand, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Bürgschaft oder des Auftrages zur Übernahme der Bürgschaft (§ 306 Abs. 1 dtBGB). Diese bleiben vielmehr im Übrigen wirksam. Hinsichtlich der unwirksamen Bestimmung gelten die gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 dtBGB). Entstehende Lücken können durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden4. Nur soweit wie das Festhalten an dem so angepassten Vertrag zu einer unzumutbaren Härte für die andere Vertragspartei führt, sieht das Gesetz die Unwirksamkeit der Bürgschaft oder des Auftrages zur Übernahme der Bürgschaft vor (§ 306 Abs. 3 dtBGB). Vor dem Hintergrund der obigen Grundsätze hat sich in der Praxis eine umfangreiche Rechtsprechung zur Rechtswirksamkeit von Bürgschafts- und Garantiebedingungen oder Auftragsbindungen (z.B. für Avalaufträge im Bankgeschäft) herausgebildet, die bei der Burteilung der Wirksamkeit solcher Verträge zu beachten ist. Dabei ist die Tendenz zu erkennen, die Haftung des Bürgen, wenn dieser ein Verbraucher ist, grundsätzlich auf den Anlass der Bürgschaft zu begrenzen und diesen von überraschenden Erweiterungen oder unangemessenen Abbedingungen von gesetzlichen Bürgenrechten zu schützen. Das gilt insbesondere dann, wenn es dafür keinen nachvollziehbaren Grund für den Gläubiger gibt5. n) Bürgschaften von dem Hauptschuldner nahe stehenden Personen
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Dem Hauptschuldner nahe stehende Personen (Eltern, Ehegatten, Lebenspartner und Kinder) befinden sich häufig in einer persönlichen und teilweise auch wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Hauptschuldner, wenn diese von diesem gebeten oder vom Gläubiger aufgefordert werden, für den Hauptschuldner eine Bürgschaft zu übernehmen. Die sich aus dieser strukturellen Unterlegenheit ergebende Schutzbedürftigkeit dieses Per1 Vgl. BGH v. 15.5.1986, NJW 1986, 3132; BGH v. 20.10.1994, NJW-RR 1995, 179. 2 Dazu Palandt/Grüneberg, BGB, § 305b Rz. 5; hier ist aber die Wirksamkeit nach § 307 BGB zu prüfen. 3 Dazu Schmidt in AGB-Recht, Anh. zu § 310 Klausel (B) Rz. B 360. 4 Palandt/Grüneberg, BGB, § 306 Rz. 13. 5 Das Schweizer Recht sieht in § 492 Abs. 4 OR vor, dass der Bürge auf seine gesetzlichen Bürgenrechte nicht im Voraus verzichten kann, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht.
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Finanzierungsmodelle
Rz. 461 Teil H
sonenkreises hat die Rechtsprechung zum Anlass genommen, Kriterien zu entwickeln, die zu beachten sind, wenn Bürgschaften von dem Hauptschuldner nahe stehenden Personen ohne Verstoß gegen § 138 BGB wirksam übernommen werden sollen1. Der Bürge soll bei einer für den Gläubiger erkennbaren emotionalen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Hauptschuldner davor geschützt werden, finanzielle Verpflichtungen zu übernehmen, die diesen krass überfordern, also außerhalb seiner finanziellen Leistungsfähigkeit liegen, ohne dadurch einen direkten eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu haben2. Das soll z.B. der Fall sein, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen für die verbürgte Schuld aufbringen kann3. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme.. Die Möglichkeit nach der Insolvenzordnung eine Restschuldbefreiung zu erlangen, ändert nichts an der Sittenwidrigkeit einer solchen Bürgschaft4. Für Bürgschaften der Gesellschafter für ihre Gesellschaft gelten die Regelungen für Bürgschaften von nahe stehenden Personen nicht. Auch die Geschäftsführerbürgschaft ist grundsätzlich wirksam5. Zu Beachten ist, dass die Rechtsprechung sehr Fall bezogen ist. Deshalb kommt es immer auf die Besonderheiten des Einzelfalles an. So kann die Hereinnahme einer Bürgschaft zur Absicherung des Gläubigers gegen Vermögensverschiebungen im Familienkreis auch bei einer Überforderung wirksam sein, wenn die Haftung des Bürgen ausdrücklich auf diesen Sachverhalt beschränkt ist6. 2. Garantie a) Unterschiede zwischen Garantie und Bürgschaft In der Garantie übernimmt der Garant (Verpflichteter aus der Garantie) gegenüber dem Gläubiger (Begünstigter der Garantie) die Verpflichtung, bei Eintritt des Garantiefalles (z.B. Nichterfüllung der garantierten Forderung) bestimmte Beträge zu zahlen (Einstandsverpflichtung). Die Zulässigkeit einer derartigen Verpflichtung ergibt sich nicht nur aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, sondern auch aus § 443 dtBGB und § 276 Abs. 1 dtBGB7. Der Garant haftet unabhängig von einem Verschulden des Schuldners der garantierten Forderung. Die gesetzlichen Regelungen der Bürgschaft sind auf die Garantie nicht anwendbar8. Garantien können grundsätzlich formfrei übernommen werden9. Die Garantie ist zudem anders als die Bürgschaft nicht akzessorisch, d.h. 1 BVerfG v. 19.10.1993, NJW 1994, 36; BGH v. 24.2.1994 – IX ZR 93/93, BGHZ 125, 206; BGH v. 14.11.2000, NJW 2001, 815; Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 37 ff. m.w.N.; Schmidt in AGBRecht, Anh. zu § 310 BGB Klausel (B) Rz. B 355 ff. 2 Vgl. BGH v. 10.10.1996, NJW 1997, 52, ein indirekter Vorteil (z.B. höherer Unterhalt) reicht nicht aus; BGH v. 14.11.2000, NJW 2001, 815; BGH v. 28.5.2002 – XI ZR 205/01, NJW 2002, 2705. 3 BGH, NJW 2013, 1534; Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 38b. 4 OLG Frankfurt v. 24.3.2004, NJW 2004, 2392. 5 Zur Wirksamkeit von Gesellschafter- und Geschäftsführerbürgschaften s. Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 38g. 6 BGH, NJW 2002, 2228; Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 38d. 7 Dammann in AGB-Recht, Anh. zu § 310 BGB Klausel (G) Rz. 1, 3, der auch ausführlich zur Inhaltskontrolle vom Garantieverträgen Stellung nimmt; dagegen ist der Garantievertrag nach Schweizer Recht in Art. 111 OR geregelt, dazu Lardi/Massimo in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 111 Rz. 1; zum österreichischen Recht § 880a ABGB und dazu P. Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 880a 1 ff.; Muster für Garantien sind zu finden bei Siegmund in Hopt, Vertragsund Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, IV.L.7. Garantiemuster (ohne URDG 758) S. 1677 ff. mit Mustern für Schreiben und Bestätigungen im Zusammenhang mit der Garantieabwicklung und zu Sonderfällen. 8 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 16. 9 BGH v. 15.11.1963, WM 1964, 62; zur Einschränkung s. Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 16; das gilt auch für das Schweizer Recht s. Lardi/Massimo in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 111 Rz. 7; anders das österreichische Recht, wonach das Schriftformgebot der Bürgschaft analog aufgrund des gleichen Schutzbedürfnisses des Garanten auch für die Garantie gelten soll vgl. Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 880a Rz. 3 m.w.N.
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Wagenknecht 993
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Teil H Rz. 462
Finanzierung
nicht vom Bestand einer Forderung abhängig1. Die Einsatzmöglichkeiten einer Garantie sind daher weiter als die einer Bürgschaft. 462
In der Praxis kann es zu Abgrenzungsschwierigkeiten mit der Bürgschaft kommen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Garantie zur Absicherung eines bestimmten Anspruches übernommen wurde. Fehlt eine eindeutige Regelung in der Garantieurkunde ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein selbständiges Schuldversprechen (dann Garantie) oder eine vom Bestand der gesicherten Forderung abhängige (dann Bürgschaft) Schuld begründet werden sollte. Nach der Rechsprechung ist im Zweifel eine Bürgschaft anzunehmen2. Deshalb ist auf eine eindeutige Regelung in der Garantieurkunde zu achten, um spätere Streitigkeiten mit dem Garanten zu vermeiden, für den im Fall einer Inanspruchnahme das Bürgschaftsrecht mit seinen Schutzvorschriften vorteilhafter ist.
463
Der Inhalt der Garantie richtet sich grundsätzlich nach den getroffenen Vereinbarungen. Obwohl Garantien nach deutschem Recht formlos übernommen werden können, werden diese in der Praxis schon aus Beweisgründen regelmäßig schriftlich übernommen. In der Garantieurkunde ist zu vereinbaren, für was der Garant welcher Partei gegenüber einstehen und über welchen Zeitraum und in welcher Höhe er betraglich haften soll3. Soweit nichts Anderes ausdrücklich vereinbart wurde, bestimmt sich der Umfang der Haftung des Garanten auf der Grundlage des Schadensersatzrechtes. Der Garant hat den Gläubiger damit so zu stellen, wie dieser gestanden hätte, wenn der garantierte Erfolg eingetreten oder nicht eingetreten (je nachdem was garantiert wurde) wäre4. Bei einer Forderungsgarantie hat der Garant dem Gläubiger den Schaden zu ersetzen, den dieser aufgrund der Nicht- oder verspäteten Zahlung durch den Schuldner hat5. Der Gläubiger soll durch die Garantie in aller Regel aber auch nicht besser gestellt werden. Nach dem Parteiwillen wird er deshalb grundsätzlich vom Garanten nur das erhalten sollen, was der Gläubiger bei Eintritt oder nicht Eintritt des garantierten Ereignisses oder Erfolges erhalten oder als Schaden vermieden hätte. Nachtägliche Ermäßigungen des Risikos sind deshalb zugunsten des Garanten ebenso zu berücksichtigen, wie die Schadensminderungspflicht gem. § 254 dtBGB6. Besteht der Zweck der Garantie in der Absicherung einer Forderung, kann der Garant vom Begünstigten (Gläubiger) verlangen, dass dieser die Garantie nicht in Anspruch nimmt und auf die Rechte daraus verzichtet, wenn die Forderung nicht entstanden ist oder später wegfällt und der Gläubiger ohne die Garantie nichts vom Schuldner erhalten hätte7. Dies ist Folge des mutmaßlichen Vertragswillens der Parteien des Garantievertrages, der auch ohne Geltung des bei der Bürgschaft geltenden Akzessorietätsgrundsatzes Vorrang vor einer vollständigen Abstraktheit der Garantie hat. Die Abstraktheit der Garantie ist damit hier eher eine Frage der Beweislastverteilung. Eine Inanspruchnahme der Garantie wäre in diesem Fall rechtsmissbräuchlich (Verstoß gegen § 242 dtBGB)8.
464
Eine Garantie hat eindeutig zu regeln, was garantiert wird und wann der Garant zahlen soll (Garantiefall), wer (z.B. nur Begünstigter) die Garantie in Anspruch nehmen kön1 BGH v. 7.12.1983 – IVa ZR 52/82, BB 1984, 564; BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569; s. aber auch BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 199/00, NJW 2003, 2235; zur vergleichbaren Rechtslage nach österreichischem Recht s. Bydlinski in ABGB Kurzkommentar, § 1344 Rz. 2 und zum schweizerischen Recht Lardi/Massimo in Kurzkomm Obligationenrecht, Art. 111 Rz. 7. 2 BGH v. 19.9.1985, WM 1985, 1417; zum österreichischen Recht, wonach die Abgrenzung auch durch Auslegung zu erfolgen hat Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 1344 Rz. 2. 3 Dazu Hoffmann in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Kap. 29 D Rz. 1 ff.; weitere Regelungsinhalte einer Garantie ergeben sich aus der nachstehenden Checkliste. 4 BGH v. 10.2.1999 – VIII ZR 70/98, NJW 1999, 1542; BGH NJW 2006, 999. 5 BGH v. 16.12.1960, WM 1961, 204. 6 BGH v. 25.10.1990, NJW-RR 1991, 219; Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 18. 7 BGH v. 11.12.1986, WM 1987, 367; BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, NJW 1984, 2037, jeweils als Anspruch des Auftraggebers gegen den Begünstigten. 8 Dazu BGH, NJW 1984, 2030; 1988, 2610; 2001, 282.
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Rz. 466 Teil H
nen soll und wie die Garantie (z.B. durch Vorlage von Dokumenten oder bestimmten Erklärungen des Begünstigten) in Anspruch zu nehmen ist und ob die Ansprüche aus der Garantie frei abtretbar sein sollen. Für den Fall einer Abtretung ist zu regeln, inwieweit der neue Gläubiger die Garantie allein ohne Mitwirkung des alten Gläubigers in Anspruch nehmen können soll. Mit der Zahlung erwirbt der Garant (z.B. Bank) einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Auftraggeber (§ 670 dtBGB). Bei einer erkennbaren rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Garantie darf der Garant die Garantiesumme nicht an den Gläubiger auszahlen, da er sonst seinen Aufwendungsersatzanspruch verliert1. Das gilt auch bei einer Garantie auf erstes Anfordern. Der Auftraggeber hat jedoch kein Recht, dem Garanten (z.B. der Garantiebank) die Zahlung unter der Garantie zu untersagen, da dieser bei unberechtigter Zahlung auf eigenes Risiko leistet2. Leistet der Garant unberechtigt und daher ohne Aufwendungsersatzanspruch gegen den Auftraggeber, dann muss er seine Leistung vom Begünstigten der Garantie kondizieren, der diese dann ja vom Garanten zu Unrecht verlangt und erhalten hat (§ 812 dtBGB)3.
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Ist die Garantie befristet, ist klar zu regeln, welche Bedeutung eine derartige Befristung hat. Fehlt es an einer klaren Regelung, ist der Inhalt der Vereinbarung durch Auslegung zu ermitteln. Auch wenn § 777 dtBGB auf die Garantie keine Anwendung findet, kann die Auslegung auch bei der Garantie ergeben, dass die Fristbestimmung wie bei der Bürgschaft zu verstehen ist, die Inanspruchnahme des Garanten also noch unverzüglich nach Fristablauf erfolgen können soll. Die Befristung könnte aber auch so verstanden werden, dass nur der Garantiefall innerhalb der Befristung eingetreten sein muss, die Inanspruchnahme aber noch später innerhalb der Verjährungsfrist erfolgen kann4. Aus Sicht des Garanten, der klar wissen will, wann seine Haftung erloschen ist, müssen der Garantiefall und die Inanspruchnahme innerhalb der Befristung vorliegen. Dies sollte auch bei der Auslegung maßgebend sein, da dieses Intersse für den Begünstigten im Regelfall erkennbar ist. Dennoch kann dem Garanten nur geraten werden, dies in der Garantieurkunde eindeutig zu regeln.
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Der Vorschussanspruch des Auftragnehmers nach § 669 dtBGB passt nicht für die Garantie, da der Schuldner als Auftraggeber, dann ja gleich die garantierte Forderung erfüllen oder den dafür erforderlichen Betrag dem Gläubiger hinterlgen könnte. Deshalb wird im Regelfall davon auszugehen sein, dass dieser Anspruch bei einer Garantie konkludent abbedungen wird5. Auch deshalb wird eine Bank eine Garantie für einen Kunden nur im Rahmen eines Kreditverhältnisses mit dem Kunden als Auftraggeber übernehmen und sich entsprechende Sicherungsrechte für den Fall der drohenden Inanspruchnahme aus der Garantie oder der Vermögensverschlechterung des Auftraggebers im Auftrag zur Übernahme der Garantie ausdrücklich einräumen lassen.. Die aus einem Garantievertrag folgenden Ansprüche verjähren regelmäßig in 3 Jahren (§ 195 dtBGB). Durch allgemeine Geschäftsbedingungen soll die Frist nicht auf weniger als 1 Jahr verkürzt werden können6.
1 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 24. 2 OLG Frankfurt v. 27.4.1987, WM 1988, 1480; Edelmann, DB 1998, 2453; a.A. OLG Saarbrücken v. 23.1.1981, WM 1981, 278 (288); Graf v. Westphalen, WM 1981, 293. 3 Hoffmann in Langenbucher/Bliesener/Spindler, 29. Kap. D. Garantie Rz. 13. 4 Dazu Grützer/Schmidt, NJW 2007, 3610. 5 Hoffmann in Langenbucher/Bliesener/Spindler, 29. Kap. D. Garantie Rz. 13. 6 Dammann in AGB-Recht, Anh. zu § 310 BGB Klausel (G) Rz. G 37; s. auch Palandt/Ellenberger, BGB, § 202 Rz. 12 ff.; nach österreichischem Recht verjähren Ansprüche aus einer Garantie gem. § 1489 auch in 3 Jahren; die Frist beginnt mit der ersten Möglichkeit der Inanspruchnahme ohne Rechtsmissbrauch dazu Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 880a Rz. 6.
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Teil H Rz. 467
Finanzierung
b) Bankgarantie 467
Bei der Bankgarantie übernimmt ein Kreditinstitut die Garantie zugunsten eines Dritten (Gläubiger) im Auftrag eines ihrer Kunden (Aval- oder Garantieauftraggeber) auf der Grundlage eines Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 dtBGB). Die Bankgarantie dient häufig der Absicherung von Verbindlichkeiten des Kunden gegenüber dem Gläubiger der Garantie. Wie bei der Bürgschaft ist auch hier das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Bank (Auftragsverhältnis) auf der einen und Bank als Garantieübernehmer sowie dem Gläubiger als Begünstigter der Garantie (eigentlicher Garantievertrag) auf der anderen Seite zu unterscheiden1. Der Garantieauftrag wird in der Bankpraxis regelmäßig auf Basis von Formularverträgen hereingenommen. Darin beauftragt der Kunde die Bank mit der Übernahme der Garantie zu den im Garantieauftrag genannten Bedingungen. Der Garantieauftrag kann auch den Text der Garantie vorgeben. Dies ist zumeist der Fall, wenn dieser vom Begünstigten der Garantie vorgegeben ist. Da diese Texte häufig nicht klar formuliert sind oder dem Begünstigten weitgehende Rechte einräumen, sollte sich der Garant diesbezüglich von allen Risiken durch den Garantieauftraggeber freistellen lassen oder für eine eindeutige Regelung sorgen.
468
Bankgarantien enthalten regelmäßig die Verpflichtung zur Zahlung auf erstes Anfordern2. Für die Inanspruchnahme der Garantie reicht es dann aus, wenn die formalen Voraussetzungen, so wie in der Garantieurkunde vorgegeben, durch die Inanspruchnahme erfüllt sind3. Die Bank kann dann eine Zahlung nur mit Ansprüchen gegen den Begünstigten aus dem Garantieverhältnis oder aus der sonstigen Geschäftsbeziehung mit diesem vermeiden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, sofern eine sog. rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der sog. „formellen Garantiestrenge“ durch den Begünstigten vorliegt (§ 242 BGB). Dies ist Fall, wenn offensichtlich oder liquide beweisbar ist, dass der Garantiefall trotz Behauptung des Gläubigers nicht eingetreten ist oder nicht mehr eintreten kann. Bloße Zweifel genügen dafür jedoch nicht4. Die Beweislast liegt beim Garanten. Auch dann, wenn die gesicherte Forderung bei Inanspruchnahme nicht bestanden haben oder noch nicht fällig gewesen sein sollte, muss der Garant bei einer Garantie auf erstes Anfordern zahlen.Nur dann, wenn der Garant oder der Auftraggeber diese oder andere Einwendungen rechtzeitig vor der Zahlung des vom Begünstigten geforderten Garantiebetrages liquide nachweisen können oder es offensichtlich ist, dass die Inanspruchnahme der Garantie zu Unrecht erfolgt und daher rechtsmissbräuchlich ist, kann der Garant die Zahlung verweigern. Der Bereicherungsausgleich (§ 812 dtBGB) hat bei einer rechtsmissbräuchlichen, jedoch nicht rechtzeitig nachweisbaren zu Unrecht erfolgten Inanspruchnahme zwischen dem Garantieauftraggeber und dem Begünstigten der Garantie zu erfolgen, weil der Garant bei einer Garantie auf erstes Anfordern mit Rechtsgrund gezahlt hat, wenn der Rechtsmissbrauch vor Zahlung nicht liquide bewiesen werden konnte oder offensichtlich vorgelegen hat5. 1 Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 22 f.; zur Zulässigkeit OLG Stuttgart, WM 2011, 691; Schulz/Mettke, WM 2014, 54; Muster für Bankgarantien sind zu finden bei Siegmund in Hopt (Hrsg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, IV.L.7. Garantiegeschäft S. 1641 ff. mit Mustern für Schreiben und Bestätigungen im Zusammenhang mit der Garantieabwicklung und zu Sonderfällen. 2 Zur Zulässigkeit Graf v. Westphalen, ZIP 2004, 1433; für das österreichische Recht, dass auch die Zulässigkeit einer Bankgarantie auf erstes Anfordern kennt Bydlinski in ABGB-Kurzkommentar, § 880a Rz. 4. 3 BGH v. 10.11.1998, BGHZ 140, 49; BGH v. 20.10.2000, BGHZ 145, 286 (293); s. auch P. Bydlinski in ABGB Kurzkommentar, § 880a Rz. 4, der aber auch ausführt, dass die vereinbarten Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Auslegung unterliegen. 4 Überblick hierzu bei Palandt/Sprau, BGB, Einf. v. § 765 Rz. 24, 25. 5 Str., wie hier BGH, NJW 1999, 570; Palandt/Sprau, BGB, § 812 Rz. 83; Hoffmann in Langenbucher/Bliesener/Spindler, 29. Kap. D. Garantie Rz. 11; anders bei Bürgschaft, da hier aufgrund der Akzessorietät eine Direktkondition für den Bürgen gegeben ist.
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Rz. 471 Teil H
Im Zusammenhang mit Bankgarantien ist auf die Einheitlichen Richlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien (URDG 758)1 zu verweisen, deren Anwendung jedoch eine ausdrückliche Vereinbarung in der Garantie erfordern (Art. 1a URDG). Mit den URDG 758 sollen die insbesondere im internationalen Bankgeschäft anzutreffende Praxis für Garantien auf erstes Anfordern (First Demand Payment Obligations oder Demand Guarantees) einheitlich geregelt werden. Für den Garanten sehen die URDG 758 erhebliche Hinweispflichten im Fall der Nichtzahlung vor, die bei einer Verletzung dazu führen können, dass der Garant gegenüber dem Begünstigten trotz nicht-konformer Inanspruchnmahme der Garantie zur Zahlung verpflichtet ist (Art. 24d bis f URDG 758). Deshalb wird der Garant sich vorher genau überlegen, ob der die URDG 758 für anwendbar erklären will. Auf der anderen Seite regeln die URDG 758 sehr ausführlich die gegenseitigen Rechte und Pflichte der Parteien und damit auch die Voraussetzungen einer vertragskonformen Inanspruchnahme der Garantie und die dadurch ausgelösten Zahlungspflichten des Garanten.
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c) Anwendbares Recht Bei Bürgschaften und Garantien mit Auslandsberührung (z.B. Garant oder Begünstigter haben ihren Sitz oder Wohnsitz im Ausland oder die gesicherte Forderung unterliegt einer ausländischen Rechtsordnung) stellt sich das Problem, nach welcher Rechtsordnung einzelne hiermit einhergehende Fragestellungen (z.B. Wirksamkeitsvoraussetzungen, Schutzvorschriften für den Bürgen sowie Rückgriff auf den Schuldner der besicherten Forderung, Rechte und Pflichten des Bürgen oder Garanten gegenüber Gläubiger und Auftraggeber) zu beantworten sind.
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aa) Bürgschaftsstatut Das auf die Bürgschaft anwendbare Recht ist selbständig und zwar unabhängig von dem auf die gesicherte Forderung anwendbaren Recht zu ermitteln2. Maßgebend ist in erster Linie der Wille der Parteien des Bürgschaftsvertrages (Art. 3 Rom I-VO). Fehlt eine Rechtswahlvereinbarung3 ist in der Regel das Recht des Bürgen maßgebend, da er die für das Rechtsgeschäft Bürgschaft charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO4. Das Recht des Bürgen bestimmt sich nach dem Ort, wo dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO). Wird die Bürgschaft im Rahmen einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit übernommen, gilt das Recht am Ort der die Bürgschaft übernehmenden Niederlassung (Art. 4 i.V.m. Art. 19 Rom I-VO). Maßgebend für die Bestimmung ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Art. 19 Abs. 3 1 Die aktuellen ICC Uniform Rules for Demand Guarantees (URDG 758) wurden von der ICC erlassen, um die internationale Bankgarantiepraxis wiederzugeben und zu vereinheitlichen und die unterschiedlichen Interessen der involvierten Parteien auszugleichen. Die ICC hat zu den URDG 758 einen Leitfaden herauszugeben, um deren Anwendung zu erleichtern und Hilfe zur Klärung von Fragen zu geben (URDG Master); Einzelheiten bei Siegmund in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, IV.L.7. Garantiegeschäft S. 1663 ff. mit Abdruck der URDG 758 auf S. 1646 ff. 2 Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 4 (IPR) Rz. 27; Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.474; Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 4 Rz. 118; df; für Deutschland und Österreich gelten die Vorschriften der Verordnung 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO); für die Schweiz gelten die Art. 116 (Rechtswahl), Art. 117 (objektive Anknüpfung mit Vermutung gem. Art. 117 Abs. 3) sowie Artt. 18, 19 IPRG (zwingende Eingriffsnormen). 3 Zur Möglichkeit einer stillschweigenden konkludenten Rechtswahlvereinbarung, die auch nach Rom I weiter möglich ist, wenn sie sich eindeutig ermitteln lässt s. Ferrari in Ferrari/Kieninger/ Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 3 Rz. 26; Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 3 (IPR) Rz. 6. 4 Vgl. BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, NJW 1993, 1126; Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 4 Rz. 118; Martiny in Reithmann/Martiny Rz. 6.475.
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Teil H Rz. 472
Finanzierung
Rom I-VO). Im Einzelfall kann sich aus der Gesamtheit der Umstände des Sachverhaltes jedoch ergeben, dass der Vertrag so enge Beziehungen zu einer anderen Rechtsordnung (z.B. bei engem Zusammenhang mit anderen Verträgen) aufweist, dass das Recht des Bürgen zurücktreten muss (Art. 4 Abs. 3 und 4 Rom I-VO)1. Deshalb sollte in der Bürgschaftsurkunde eine eindeutige Rechtswahlvereinbarung getroffen werden2. Ist der Bürge eine natürliche Person und kann die Bürgschaft nicht der beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeit des Bürgen zugerechnet werden (Bürgschaft eines Verbrauchers), dann ist auf die Bürgschaft grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Bürge seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn nicht die Einschränkungen in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO vorliegen oder wirksam eine Rechtswahlvereinbarung nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO getroffen wurde (Art. 6 Rom I-VO). Darüber hinaus ist zu beachten, dass sog. Eingriffsnormen, also zwingende Vorschriften, von denen im öffentlichen Interesse des Staates nicht abgewichen werden kann, in dem das zur Entscheidung angerufene Gericht seinen Sitz hat, von dem zur Entscheidung angerufenen Gericht unabhängig vom anwendbaren Recht zu beachten sind (Art. 9 Rom I-VO)3. 472
Das Bürgschaftsstatut entscheidet vor allem darüber, was der Bürge zu leisten hat, also Art und der Umfang der Haftung (z.B. Haftung für Zinsen und Vertragsstrafen), ob er die Einrede der Vorausklage hat, auf welche gesetzlichen Bürgenrechte (z.B. Forderungsübergang, Verbot der Sicherheitenfreigabe) er sich berufen kann sowie die Auswirkung der Tilgung oder eines sonstigen Wegfalles der Hauptschuld auf seine Haftung und die Auslegung des Bürgschaftsvertrages (Art. 12 Rom I-VO)4. Die Frage der Rückgabe der Bürgschaftsurkunde an den Bürgen nach Erledigung der verbürgten Hauptschuld richtet sich jedoch nach dem Recht, dem die Hauptschuld unterfällt5. Die einzuhaltenden Formvorschriften bestimmen sich jedoch nicht nur nach dem Bürgschaftsstatut, sondern im Anwendungsbereich der Rom I-VO nach Art. 11 Rom I-VO, während in der Schweiz das Bürgschaftsstatut je nach Schutzzweck der Norm u.U. vorrangig maßgebend ist6. Nach der Rom I-VO richtet sich die Form grundsätzlich nach dem nach den Regelungen der Rom I-VO anwendbaren Recht oder den Formerfordernissen des Rechtes des Staates, in dem der Vertrag geschlossen wurde, wenn sich beide Vertragsparteien bei Vertragsabschluss im gleichen Staat aufgehalten haben. Befinden sich die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss in verschiedenen Staaten, kann es ausreichen, wenn die am Ort der jeweiligen Geschäftsvornahme geltenden Formvorschriften eingehalten werden (Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO). Zu beachten ist, dass zusätzlich zum Bürgschaftsstatut weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen aus anderen anwendbaren Statuten (z.B. Zustimmungspflicht des Ehegatten aus Ehe- oder Güterstatut) hinzutreten können7. Auch ausländische Rechtsordnungen
1 Martiny in Reithmann/Martiny Rz. 6.476; zum vergleichbaren Schweizer Recht s. Art. 15 schwIPRG. 2 Zu den Grenzen der Rechtswahl s. Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 3 (IPR) Rz. 5; Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 3 Rz. 49 ff. (fehlender Auslandsbezug) und Rz. 60 ff. (fehlender Drittstaatenbezug). 3 Dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.480. 4 Dazu Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 4 (IPR) Rz. 27 und Art. 12 (IPR) Rz. 4 ff.; ausführlich zu einzelnen Fragestellungen Martiny in Reithmann/Martiny. Rz. 6.478 ff.; zum vergleichbaren Schweizer Recht s. Art. 13 schwIPRG. 5 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.488. 6 Art. 124 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 schwIPRG; die Formvorschrift des Art. 493 OR ist jedoch nicht Teil des schweizerischen ordre public; vgl. Ernst/Zelger in Kurzkomm Obligationenrecht, Vor Art. 492–512 Rz. 9. 7 Ferrari in Ferrari/Kieniger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 4 Rz. 118, dort auch zum Streit gespaltener Anknüpfung für Interzessionsverbote; Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 3 (IPR) Rz. 5.
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Rz. 475 Teil H
(z.B. Schweiz) betrachten die Leistung des Bürgen als die charakteristische und stellen auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt ab1. bb) Garantiestatut Für die Ermittlung des auf die Garantie anwendbaren Rechtes gelten die zum Bürgschaftsstatut gemachten Ausführungen entsprechend2. Die Ermittlung erfolgt auch hier nach Rom I Art. 4, so dass ein Garanitevertrag mangels Rechtswahl dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Garanten unterliegt3.
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Für die Bankgarantie gilt nach Art. 4 Rom I-VO mangels Rechtswahlvereinbarung das Recht am Ort der die Garantie übernehmenden Niederlassung der Bank4. Das auf den Garantieauftrag anwendbare Recht ist selbständig zu bestimmen und ist mangels Rechtswahlvereinbarung in der Regel das Recht des Garanten5. In der Bankpraxis findet sich in den Garantieurkunden regelmäßig eine ausdrückliche Rechtswahlvereinbarung. Zur Vermeidung von späteren Streitigkeiten ist bei Auslandsbezug (eine Partei oder die besicherte Forderung hat einen Auslandsbezug) eine ausdrückliche schriftliche Rechtswahlvereinbarung immer zu empfehlen. Kennt das zur Anwendung kommende ausländische Recht keinen Schutz des Garanten vor einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme, kann der deutsche ordre public (Art. 21 Rom I-VO) eingreifen6. Das ist jedenfalls dann der Fall sein, wenn ohne Rechtswahlvereinbarung deutsches Recht anwendbar ist oder der Streit vor einem deutschen Gericht ausgetragen wird. Darüber hinaus ist zu beachten, ob eines der im Interesse der Rechtsvereinheitlichung von der UN7 oder der internationalen Handelskammer (ICC)8 verabschiedeten Abkommen bzw. Soft-law-Regelwerke Anwendung findet, vereinbart wurde oder aus anderen Gründen gilt.
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d) Checkliste für Bürgschaften und Garantien aa) Allgemeine Fragen – Um welche Art der Haftungsübernahme soll es sich nach dem Willen der Vertragsparteien handeln (Bürgschaft, Garantie, Schuldbeitritt, Schuldübernahme mit Schuldnerwechsel, Schuldanerkenntnis oder sonstiges)? – Ist dies eindeutig vertraglich geregelt? – Ist im Auftrag zur Haftungsübernahme (z.B. Avalauftrag) klar geregelt, welche Haftung für wen, für welchen Zeitraum, mit welchen Risiken und Sicherheiten sowie zu welchen Konditionen übernommen werden soll? – Wurde bei entgeltlicher Haftungsübernahme die Vergütung des Garanten geregelt? 1 Art. 117 Abs. 3 lit. e, schwIPRG. 2 Hoffmann in Langenbucher/Bleisener/Spindler, 29. Kap. Rz. 17. 3 Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 4 Rz. 132; Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.494. 4 Ferrari, Internationales Vertragsrecht, Rom I-VO Art. 4 Rz. 132: Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.493; Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 4 (IPR) Rz. 25; zum alten Recht vgl. BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569; Mäsch, NJW 1996, 1455. 5 Martiny in Reithmann/Martiny. Rz. 6.492; Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 21 (IPR) Rz. 2. 6 Palandt/Thorn, BGB, Rom I Art. 21 (IPR) Rz. 5. 7 UN-Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by Letters of Credit v. 11.12.1995, die von UNCITRAL entwickelt wurde und seit 1.1.2000 in Kraft ist; dazu Martiny in Reithmann/ Martiny, Rz. 6.489 ff. m.w.N. 8 Einheitliche Richtlinien für Vertragsgarantien (Nr. 325) der IHK Paris aus dem Jahr 1978 (Revision 2010), deren Geltung die Parteien vereinbaren können; dazu Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 6.490 m.w.N.
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475
Teil H Rz. 475
Finanzierung
– Ist der Bürge oder Garant eine Privatperson oder Kaufmann beziehungsweise ein Unternehmen? – Welches Recht findet auf die Bürgschaft oder Garantie Anwendung? – Besteht eine Rechtswahlklausel? – Kann das Recht der verbürgten oder garantierten Forderungen Auswirkungen auf die Bürgschaft oder Garantie haben und wenn ja welche (z.B. auf das anwendbare Recht, Übergang der dafür bestellten Sicherheiten, Rechtsübergang, Durchsetzung der übergegangenen Forderung, Verjährung)? Welches Recht gilt dafür? – Welche Formvorschriften müssen nach dem anwendbaren Recht beachtet werden (z.B. Schriftform für Bürgschaften von Privatleuten, § 766 dtBGB; notarielle Beurkundung z.B. bei Bürgschaften im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften; Zustimmung des Ehegatten, § 1365 dtBGB)? – Ist die besicherte Schuld eindeutig und damit bestimmt genug in der Bürgschaftsoder Garantieurkunde bezeichnet (Bezeichnung des Schuldners, des Gläubigers, Art der Schuld)? Soll die Bürgschaft oder Garantie auch etwaige Bereicherungsansprüche des Gläubigers im Zusammenhang mit der dadurch gesicherten Forderung absichern? Wenn das gewollt ist, wurde dies in der Urkunde ausdrücklich klargestellt? – Ist der Abschluss einer betraglich unbeschränkten Bürgschaft oder Garantie rechtlich zulässig? – Diese Frage stellt sich insbesondere bei sog. Kreditbürgschaften, d.h. der Verbürgung von gegenwärtigen und künftigen Forderungen aus der Geschäftsverbindung zwischen Gläubiger und Schuldner. – Wurden die Voraussetzungen beachtet, die erfüllt sein müssen, damit eine Bürgschaft oder Garantie mit weitem Sicherungszweck (Haftung für alle gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Gläubigers gegen den Schuldner aus der beiderseitigen Geschäftsverbindung) wirksam vom Bürgen oder Garanten übernommen werden kann? – Sollte die Haftung nach dem Willen der Parteien auf bestimmte in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde genau zu bezeichnende Forderungen beschränkt werden? – Wurden die Anforderungen für die Haftungsübernahme von Personen, die dem Schuldner nahe stehen (z.B. Eltern, Ehegatten und Kinder) beachtet? – Bei Gesellschafterbürgschaften können Besonderheiten bestehen (z.B. Sonderregelungen für den Ausgleich unter den Gesellschaftern im Fall der Inanspruchnahme, Sicherheitsleistung oder Freistellung von der Haftung bei Ausscheiden eines Gesellschafterbürgen, Beschränkung der Haftung bei Kreditbürgschaften hinsichtlich künftig entstehender Forderungen des Gläubigers). – Wurden diese in der Bürgschaftsurkunde ausreichend geregelt? – Soll die Haftung des Bürgen oder Garanten bei Auswechslung des Schuldners (z.B. gesetzliche Rechtsnachfolge oder vertraglicher Schuldnerwechsel) oder Gläubigers (Abtretung oder vertraglicher Gläubigerwechsel) fortbestehen? – Wenn von den gesetzlichen Regelungen abgewichen werden soll, enthält die Bürgschafts- oder Garantieurkunde entsprechende Vereinbarungen? – Was soll gelten, wenn die gesicherte Forderung dem Gläubiger bereits im Zeitpunkt der Haftungsübernahme (z.B. aufgrund eines verlängerten Eigentumsvorbehaltes oder einer Globalzession zugunsten seiner Bank) nicht zusteht? – Soll der Fall besonders geregelt werden? – Wenn es sich um eine Kontokorrentbürgschaft handelt oder die verbürgte oder garantierte Forderung nachträglich in ein Kontokorrentverhältnis eingestellt werden 1000 | Wagenknecht
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Rz. 477 Teil H
kann, wurden die Besonderheiten einer solchen Bürgschaft (z.B. § 356 dtHGB) beachtet? – Gibt es entsprechende Regelungen nach einer möglicherweise zur Anwendung kommenden ausländischen Rechtsordnung? – Soweit es sich um besondere Garantie- oder Bürgschaftsarten handelt (z.B. Prozessbürgschaften (§ 108 dtZPO), Bürgschaften oder Garantien als Sicherheitsleistung (§ 232 Abs. 2, § 239 dtBGB), Mietbürgschaften (§§ 551, 554a Abs. 2 und 3, § 566a dtBGB)) können besondere Anforderungen zu beachten sein. Wurden diese berücksichtigt? – Braucht der Bürge oder Garant für die Bürgschafts- oder Garantieübernahme nach der für den Bürgen oder Garanten geltenden Rechtsordnung oder nach dem auf den Bürgschafts- oder Garantievertrag anwendbaren Recht besondere Genehmigungen oder Lizenzen (z.B. Banklizenz, wenn ein Bankgeschäft vorliegt oder Erlaubnis zum Betreiben von Versicherungsgeschäften, wenn es sich aufgrund der besonderen Ausgestaltung nach der anwendbaren Rechtsordnung um ein Versicherungsgeschäft handelt)? bb) Sicherheiten – Soll der Bürge oder Garant auf Sicherheiten zugreifen können, die der Schuldner dem Gläubiger für die verbürgten oder garantierten Forderungen bestellt hat? – Hat der Bürge oder Garant nach dem zur Anwendung kommenden Recht einen Anspruch auf die dem Gläubiger für die verbürgten oder garantierten Forderungen bestellten Sicherheiten (z.B. der Bürge nach § 774 Abs. 1 i.V.m. §§ 412, 401 dtBGB)? – Können Sicherheiten vom Gläubiger ohne Zustimmung des Bürgen beziehungsweise Garanten freigegeben werden? – Regelt der Bürgschafts- oder Garantievertrag die Beteiligung des Bürgen oder Garanten an Sicherheiten, die dem Gläubiger für besicherte Forderungen bestellt wurden? – Ist ein vereinbarter Ausschluss oder die Beschränkung der Beteiligung des Bürgen oder Garanten an den für die verbürgten oder garantierten Forderungen bestellten Sicherheiten wirksam? – Sind bei dem anwendbaren ausländischen Recht Besonderheiten zu beachten, die sich auf den Übergang der Sicherheiten oder die Bürgschaft oder Garantie auswirken?
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cc) Inanspruchnahme der Bürgschaft oder Garantie – Kann der Gläubiger alle Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Bürgen oder Garanten allein erfüllen oder ist er dabei auf die Mitwirkung Dritter angewiesen? – Kann der Bürgschafts- oder Garantieanspruch vor der verbürgten oder garantierten Forderung verjähren? Welche Folgen hat das auf die Bürgschaft oder Garantie? – Sollten in die Bürgschafts- oder Garantieurkunde Vereinbarungen zur Fälligkeit der Bürgschaft mit aufgenommen werden, damit diese nicht vor der gesicherten Forderung verjähren kann? – Handelt es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft oder muss der Gläubiger nach Fälligkeit der verbürgten Forderung zuerst den Schuldner auf Zahlung in Anspruch nehmen? – Wie ist das bei der Garantie geregelt? – Gibt es für die Inanspruchnahme des Bürgen oder Garanten in der Bürgschaftsoder Garantieurkunde besondere Vereinbarungen? – Kann der Bürge oder Garant eine Bürgschaft oder Garantie auf erstes Anfordern wirksam übernehmen?
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Wagenknecht 1001
477
Teil H Rz. 478
Finanzierung
– Sofern die Bürgschaft oder Garantie befristet ist, – ist das mit der Befristung gewollte, eindeutig in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde geregelt worden? – können Bürgschaft oder Garantie angesichts der Befristung vom Gläubiger rechtzeitig in Anspruch genommen werden? – ist der Gläubiger bei Inanspruchnahme des Bürgen oder Garanten auf die Mithilfe Dritter oder bestimmte Handlungen angewiesen, die von Voraussetzungen abhängen, auf die er keinen Einfluss hat? – Wurden die Voraussetzungen der Inanspruchnahme der Bürgschaft oder Garantie in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde (z.B. Nachweis des Bestands der gesicherten Forderung, etwaiger Sicherheiten, des Zahlungsverzuges des Schuldners sowie des lastenfreien Überganges der gesicherten Forderung) sowie die Fälligkeit der Bürgenoder Garantenzahlung und der Zahlungsweg klar geregelt? – Besteht die Gefahr der Doppelzahlung für Bürgen oder Garanten bei nachträglichem Gläubigerwechsel? – Ist dies nach der anwendbaren Rechtsordnung geprüft worden? – Sieht der Bürgschafts- oder Garantievertrag Vereinbarungen (z.B. Inanspruchnahme nur über den Gläubiger oder mit dessen Bestätigung hinsichtlich des Forderungsüberganges, Vorlage von Dokumenten) vor, die den Bürgen oder Garanten vor einer unberechtigten Inanspruchnahme schützen? – Soll der Aval- oder Garantieauftraggeber vor einer unberechtigten Inanspruchnahme geschützt werden? – Ist bei Auslandsbezug oder möglichem Auslandsbezug (z.B. durch Abtretung oder gesetzlichem Forderungsübergang mit der gesicherten Hauptschuld) klar geregelt, in welcher Sprache die Bürgschaft oder Garantie in Anspruch zu nehmen ist? dd) Rückgriff auf Schuldner durch Bürgen oder Garanten 478
– Hat der Schuldner den Bürgen oder Garanten zur Übernahme der Haftung beauftragt? – Ist der Auftrag schriftlich erfolgt und regelt er die Einzelheiten der Haftungsübernahme (z.B. Entgelt und Rückgriff auf Auftraggeber im Fall der Inanspruchnahme, Anspruch auf Sicherheitsleistung bei Vermögensverschlechterung des Schuldners, Befreiung von der Haftung bei Kündigung des Auftragsverhältnisses) eindeutig? – Soll der Bürge oder Garant auf den Schuldner nach Inanspruchnahme auch dann Rückgriff nehmen können, wenn dies den Gläubiger benachteiligt (z.B. geringere Insolvenzquote oder durch Insolvenzeröffnung beim Schuldner)? – Ist das in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde ausreichend klar geregelt? – Was soll gelten, sofern nur Teile der Forderungen des Gläubigers besichert sind? – Soll der Gläubiger hier auch nach der Zahlung des Bürgen oder Garanten alle Zahlungen des Schuldners auf die verbürgten Forderungen vorrangig erhalten? – Sollen diese anteilig aufgeteilt werden oder soll der Bürge oder Garant seine Ansprüche gegen den Schuldner (aus übergegangener abgesicherter Forderung, der dafür bestellten Sicherheiten oder dem Auftragsverhältnis betreffend Haftungsübernahme) frei durchsetzen können? – Wenn dies nicht beabsichtigt war, ist das in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde hinreichend klar geregelt? – Gibt es hierzu eindeutige Regelungen in der Bürgschafts- oder Garantieurkunde? – Sind diese wirksam? 1002 | Wagenknecht
Finanzierungsmodelle
Rz. 480 Teil H
ee) Forderungsübergang – Bei der Bürgschaft ist zu prüfen, ob die anwendbare Rechtsordnung im Fall der Bürgeninanspruchnahme einen gesetzlichen Forderungsübergang vorsieht. Auch wenn das der Fall ist, muss zusätzlich geprüft werden, ob das auf die übergehende Forderung anwendbare Recht einen solchen gesetzlichen Forderungsübergang mit Wirkung gegenüber Dritten ohne weitere Handlungen (z.B. Zustimmung der Debitoren bei Abtretungsverboten, Offenlegung gegenüber Debitoren oder Registrierung) anerkennt. – Bei Garantien muss der Forderungsübergang ausdrücklich in der Garantieurkunde vorgesehen sein. Auch hier ist zu prüfen, ob ein Forderungsübergang möglich ist und wenn ja, ob die für eine wirksame Forderungsübertragung nach dem für die zu übertragenden Forderung anwendbaren Recht erforderlichen Voraussetzungen eingehalten wurden oder nach Inanspruchnahme der Garantie weitere Handlungen (Offenlegung des Forderungsüberganges oder Registrierung) erforderlich sind. – Hat sich der Bürge oder Garant gegen etwaige Zugriffe der Gläubiger des Gläubigers (z.B. aufgrund einer Pfändung) auf die verbürgte oder garantierte Forderung oder vertragswidrige Verfügungen des Gläubigers (z.B. Abtretung) ausdrücklich geschützt, wenn diese auf den Bürgen oder Garanten nach Zahlung lastenfrei übergehen soll? – Wurden die bei Kontokorrentbürgschaften geltenden Besonderheiten (z.B. §§ 355, 356, 357 dtHGB) beachtet? – Gibt es entsprechende Regelungen nach etwa zur Anwendung kommenden ausländischen Rechtsordnungen? Sind besondere Anforderungen für den wirksamen Forderungsübergang zu beachten?
479
ff) Mitwirkungs-, Gerichtsstands-, Rechtswahl-, Kosten-, Steuer-, Vollständigkeits- und Schriftformklauseln – Enthalten die Bürgschafts- oder Garantieurkunde sowie der Auftrag zur Übernahme der Haftung Vereinbarungen betreffend – Verpflichtung des Schuldners zur Unterstützung des Bürgen oder Garanten bei der Abwehr unberechtigter Ansprüche, – der Geltendmachung dem Schuldner gegenüber dem Gläubiger zustehenden Rechten sowie – der Bestellung von vereinbarten Sicherheiten durch Herausgabe von Informationen und Urkunden sowie – zur Vornahme aller Handlungen in dem vom Bürgen oder Garanten für erforderlich gehaltenen Umfang zum Schutz und zur Durchsetzung der dem Bürgen oder Garanten gegen den Gläubiger zustehenden Ansprüche (Mitwirkungspflicht); – Möglichkeit einer Klageerhebung gegen Bürgen oder Garanten oder Auftraggeber an einem dem Gläubiger oder Auftraggeber günstigen Gerichtsstand. Dies gilt insbesondere, wenn eine Partei im Ausland ansässig ist (Gerichtsstandsvereinbarung)1; – des anwendbaren Rechtes, wenn die Parteien des Vertrages in unterschiedlichen Staaten ansässig sind oder der Vertrag eine Beziehung zu verschiedenen Rechtsordnungen aufweist (Rechtswahlklausel)2; Bei grenzüberschreitenden Verträgen 1 Gerichtstandsvereinbarungen im nichtkaufmännischen Verkehr sind nach deutschem Recht grundsätzlich wegen Verstoßes gegen §§ 38, 689 Abs. 2 dtZPO unwirksam, während im Verkehr zwischen Kaufleuten bestimmte Anforderungen zu beachten sind; s. dazu Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 93 m.w.N. Zum IZPR unten Teil P Rz. 26 ff., 150 ff. 2 Bei grenzüberschreitenden Verträgen mit Verbrauchern ist Art. 6 Rom I-VO zu beachten. In der Schweiz ist Rechtswahl in Verbraucherverträgen unzulässig, Art. 120 Abs. 2 IPRG.
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Wagenknecht 1003
480
Teil H Rz. 481
Finanzierung
mit Verbrauchern ist für die Zulässigkeit der Rechtswahl Art. 29 dtEGBGB zu beachten; – Übernahme der Kosten des Vertragsabschlusses und der Haftungsübernahme, der Abwehr von unberechtigten Ansprüchen, der Verwertung von Sicherheiten oder der Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Schuldner im Fall der Inanspruchnahme durch Schuldner (Kostentragungsklausel)1; – Tragung von mit der Übernahme der Bürgschaft oder Garantie etwa anfallender Steuern (z.B. Umsatzsteuer auf Entgelt für Haftungsübernahme) und Unterstützung bei etwaigen Steuererklärungen; – Vereinbarung, dass die Bürgschafts- oder Garantieurkunde oder der Auftrag zur Übernahme alle zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen vollständig wiedergeben und keine mündlichen oder sonstige Nebenvereinbarungen bestehen sowie vollständig Ersetzung etwa vor Vertragsabschluss bestehender Vereinbarungen durch die neuen Vereinbarungen ersetzt werden und keine Gültigkeit mehr haben sollen (Vollständigkeitsklausel)2; – Vereinbarung, dass sämtliche Änderungen der Schriftform bedürfen, auch für die Aufhebung der Schriftformvereinbarung (Schriftformklausel)3. – Falls der Bürge oder der Garant nicht zahlt, kann gegen diesen dann gerichtlich vorgegangen werden und wenn ja wo und wie muss das geschehen? Kann dann auch gegen den Bürgen oder Garanten die Zwangsvollstreckung betrieben werden und welche Voraussetzungen sind dabei zu beachten? 481
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist nach Maßgabe der jeweils zur Anwendung kommenden Rechtsordnung in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang derartige Klauseln wirksam vereinbart werden können und alle damit zusammenhängenden Rechtsfragen bedacht und der Sachverhalt richtig erfasst wurden. Die Checkliste und die vorstehenden Ausführungen sind daher nicht vollständig und haben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Kapitel 3. Finanzmanagement (Derivate) Zu seinen Ausführungen hat der Verfasser wertvolle Hilfe von Herrn Dr. Hans Kuhn erhalten; ihm sei an dieser Stelle erneut herzlich gedankt. Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 482
Derivate haben eine ständig wachsende Bedeutung für das Finanzmanagement von Kreditinstituten und Wirtschaftsunternehmen, aber auch von Gebietskörperschaften und vermögenden Privatpersonen erlangt4. Vor allem Zins-, Wechselkurs- und Aktienpreisschwankungen haben im Zuge der Liberalisierung und Globalisierung der Märkte die Risiken in einem erheblichen Maße anschwellen lassen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Verwendung von Derivaten ist die Absicherung (hedging) gegenüber diesen Risiken. Daneben bieten sich im Handel mit Derivaten neue Geschäftsmöglichkeiten, insbesondere für Kredit- und Finanzinstitute und Fonds. Besteht keinerlei Beziehung zu einem Grundgeschäft oder einem Kundengeschäft, können Derivategeschäfte rein spekulativ getätigt werden. Die damit verbundenen Risiken sind in 1 Zum Problem der Wirksamkeit von Kostenklauseln, s. Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 64. 2 Zur Wirksamkeit von Vollständigkeitsklauseln Palandt/Grüneberg, BGB, § 305b Rz. 5. 3 Zur Unwirksamkeit von Schriftformklauseln: Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 132 und § 305b Rz. 5. 4 Vgl. Böhm, S. 21; Erne, S. 10, 11; Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 1.
1004 | Jahn
Teil H Rz. 481
Finanzierung
mit Verbrauchern ist für die Zulässigkeit der Rechtswahl Art. 29 dtEGBGB zu beachten; – Übernahme der Kosten des Vertragsabschlusses und der Haftungsübernahme, der Abwehr von unberechtigten Ansprüchen, der Verwertung von Sicherheiten oder der Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Schuldner im Fall der Inanspruchnahme durch Schuldner (Kostentragungsklausel)1; – Tragung von mit der Übernahme der Bürgschaft oder Garantie etwa anfallender Steuern (z.B. Umsatzsteuer auf Entgelt für Haftungsübernahme) und Unterstützung bei etwaigen Steuererklärungen; – Vereinbarung, dass die Bürgschafts- oder Garantieurkunde oder der Auftrag zur Übernahme alle zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen vollständig wiedergeben und keine mündlichen oder sonstige Nebenvereinbarungen bestehen sowie vollständig Ersetzung etwa vor Vertragsabschluss bestehender Vereinbarungen durch die neuen Vereinbarungen ersetzt werden und keine Gültigkeit mehr haben sollen (Vollständigkeitsklausel)2; – Vereinbarung, dass sämtliche Änderungen der Schriftform bedürfen, auch für die Aufhebung der Schriftformvereinbarung (Schriftformklausel)3. – Falls der Bürge oder der Garant nicht zahlt, kann gegen diesen dann gerichtlich vorgegangen werden und wenn ja wo und wie muss das geschehen? Kann dann auch gegen den Bürgen oder Garanten die Zwangsvollstreckung betrieben werden und welche Voraussetzungen sind dabei zu beachten? 481
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist nach Maßgabe der jeweils zur Anwendung kommenden Rechtsordnung in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang derartige Klauseln wirksam vereinbart werden können und alle damit zusammenhängenden Rechtsfragen bedacht und der Sachverhalt richtig erfasst wurden. Die Checkliste und die vorstehenden Ausführungen sind daher nicht vollständig und haben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Kapitel 3. Finanzmanagement (Derivate) Zu seinen Ausführungen hat der Verfasser wertvolle Hilfe von Herrn Dr. Hans Kuhn erhalten; ihm sei an dieser Stelle erneut herzlich gedankt. Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Allgemeines 482
Derivate haben eine ständig wachsende Bedeutung für das Finanzmanagement von Kreditinstituten und Wirtschaftsunternehmen, aber auch von Gebietskörperschaften und vermögenden Privatpersonen erlangt4. Vor allem Zins-, Wechselkurs- und Aktienpreisschwankungen haben im Zuge der Liberalisierung und Globalisierung der Märkte die Risiken in einem erheblichen Maße anschwellen lassen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Verwendung von Derivaten ist die Absicherung (hedging) gegenüber diesen Risiken. Daneben bieten sich im Handel mit Derivaten neue Geschäftsmöglichkeiten, insbesondere für Kredit- und Finanzinstitute und Fonds. Besteht keinerlei Beziehung zu einem Grundgeschäft oder einem Kundengeschäft, können Derivategeschäfte rein spekulativ getätigt werden. Die damit verbundenen Risiken sind in 1 Zum Problem der Wirksamkeit von Kostenklauseln, s. Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 64. 2 Zur Wirksamkeit von Vollständigkeitsklauseln Palandt/Grüneberg, BGB, § 305b Rz. 5. 3 Zur Unwirksamkeit von Schriftformklauseln: Palandt/Grüneberg, BGB, § 307 Rz. 132 und § 305b Rz. 5. 4 Vgl. Böhm, S. 21; Erne, S. 10, 11; Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 1.
1004 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 485 Teil H
der Vergangenheit oft unterschätzt worden und haben zu Schadensfällen und einer Reaktion der Gesetzgeber1 und der Politik2 geführt. Derivate werden an Terminbörsen (z.B. an der Eurex) oder außerbörslich gehandelt. Von besonderer Bedeutung sind die außerbörslich vereinbarten Derivate (OTC/over the counter Derivate), deren Umfang und Inhalt bisher nicht transparent waren. OTCDerivate werden in der Regel auf die jeweiligen Bedürfnisse der Vertragsparteien maßgeschneidert, unterliegen aber inzwischen einer gewissen Standardisierung durch weitgehend vereinheitlichte Rahmenverträge und Sonderbedingungen für einzelne Geschäftsarten. Wenn ein Derivatgeschäft der konkreten Absicherung z.B. einer anderen Derivateposition, eines Darlehens oder einer Wertpapieremission dient, geschieht dies in aller Regel ohne dies der anderen Vertragspartei mitzuteilen und ohne eine vertragliche Klammer mit dem zu besichernden Geschäft. Daraus folgt, dass die Verpflichtungen aus dem Derivatgeschäft unabhängig von dem zu besichernden Geschäft sind und auch dann erfüllt werden müssen, wenn das zu besichernde Geschäft aufgelöst, vorzeitig beendet, angefochten oder gekündigt wird3. Eine solche Unabhängigkeit ist Voraussetzung für die Verbindung eines Derivatgeschäfts mit anderen Derivatgeschäften in einem standardisierten Rahmenvertrag. Soll dagegen das Derivatgeschäft völlig parallel zu einem abzusichernden Darlehen geschaltet werden, müssen u.a. die Kündigungsklauseln des Derivatgeschäfts und des Darlehensvertrages vollständig aufeinander abgestimmt sein. Bei einer vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens würde auch das Derivatgeschäft vorzeitig beendet werden. Da es für derartige spezielle Einzel-Derivatgeschäfte keine allgemeinen Bedingungen gibt, hat die Kautelarpraxis folgenden Ausweg gefunden: Die Parteien des Derivatgeschäfts schließen einen Standard-Rahmenvertrag und beziehen nur dieses eine Derivatgeschäft ein und ändern die Kündigungsklauseln des Standard-Rahmenvertrages entsprechend den Bedingungen des Darlehensvertrages ab4.
483
Eine einheitliche gesetzliche Begriffsbestimmung der Derivate fehlt im deutschen Recht. „Derivate“ werden im Kreditwesengesetz (KWG)5 und im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)6 gesetzlich definiert; auch in der Insolvenzordnung (InsO)7 und im Handelsgesetzbuch (HGB)8 finden sich Regelungen zu Finanzleistungen oder Finanztermingeschäften, die zugleich Derivate sind.
484
Die EU-Verordnung Nr. 648/2012 über OTC-Derivate9 (im Folgenden „EMIR“) definiert in ihrem Art. 2 Nr. 5 als „Derivate“ die in Anhang 1 Abschnitt C Nr. 4 bis 10 MiFID genannten Finanzinstrumente (s. auch Art. 38, 39 MiFID-Durchführungsver-
485
1 Vgl. Sachsen, s. Rz. 556. 2 Beschlüsse der G20, s. Rz. 487 ff. 3 So bei einem Cap-Kredit, wenn der Kredit vorzeitig zurückgezahlt wird, s. Jahn in BankrechtsHandbuch, § 114 Rz. 9. 4 Der Rahmenvertrag wird dann im Bankenjargon als „stand-alone master agreement“ bezeichnet. 5 Das KWG regelt Derivate als Untergruppe der Finanzinstrumente in § 1 Abs. 11. Eine sehr weite und über die KWG-Definition hinausgehende Definition des Derivats (bzw. Swap agreement) findet sich in Title II des (US) Gramm-Leach-Bliley Act v. 15.12.2000 in Sec. 206A. Hier wird auf den Austausch von Zahlungen abgestellt, die sich auf den Wert oder die Höhe gründen von Zinssätzen, Währungen, Waren, Wertpapieren, Indizes, Mengenmaßen oder anderen finanziellen oder wirtschaftlichen Rechten im weitesten Sinne, durch welche das finanzielle Risiko von einer Partei auf die andere übertragen wird. 6 § 2 (2) Finanztermingeschäfte im Sinne des Satzes 1 und der §§ 37g und 37h sind die Derivate i.S.d. § 2 Abs. 2 und Optionsscheine. 7 § 104 Abs. 2. 8 § 340b Abs. 6. 9 Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister („EMIR“ – European Market Infrastructure Regulation), in Kraft getreten am 16.8.2012.
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Jahn 1005
Teil H Rz. 486
Finanzierung
ordnung). „OTC-Derivate“ sind nach Art. 2 Nr. 7 MiFID solche „Derivatekontrakte, deren Ausführung nicht auf einem geregelten Markt i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 MiFID oder auf einem Markt in Drittstaaten, der gem. Art. 19 Abs. 6 MiFID als einem geregelten Markt gleichwertig angesehen wird, erfolgt“. 486
Zinsderivate haben die wohl größte Bedeutung nach dem Umfang der getätigten Geschäfte, gefolgt von Währungs- und Aktienderivaten sowie Kreditderivaten1, die einen Schutz gegen Bonitätsverschlechterungen (insbesondere Zahlungsausfall oder Insolvenz) eines Schuldners bieten. Weitere gebräuchliche Arten von Derivaten sichern Preisrisiken von Rohwaren (commodities) oder Energie ab oder schützen vor finanziellen Nachteilen aufgrund von Wetterlagen2, Steueränderungen, Inflationsentwicklungen oder Frachtraten.
II. Aufsichtsrecht 1. Die Regulierung der OTC-Derivatemärkte durch die G20 487
OTC-Derivatemärkte waren bis zur Finanzkrise nur schwach reguliert. Wegen der Finanzkrise, die 2008 ihren Höhepunkt erreichte, verständigten sich die Staats- und Regierungsschefs der 20 grössten Volkswirtschaften (G20) am Pittsburgh-Gipfel vom September 2009 auf ein umfangreiches Regulierungsprogramm, das auch eine einschneidende Regulierung der OTC-Derivatemärkte umfasste3. Derivate waren zwar nicht Ursache der Finanzkrise und haben auch nicht zur Verbreitung und Verschärfung der Krise beigetragen; nach einer weit verbreiteten Auffassung soll die Krise aber strukturelle Schwächen der OTC-Derivatemärkte offengelegt haben, die zum Aufbau von systemischen Risiken beitrugen4.
488
Das Regulierungsprogramm der G20 für die OTC-Derivatemärkte beruht auf drei Säulen: Zur Kontrolle von Gegenparteirisiken müssen standardisierte OTC-Derivate einerseits über zentrale Gegenparteien abgerechnet werden (sog. Clearingpflicht). Sind Derivate aufgrund ungenügender Standardisierung für eine Abwicklung über eine zentrale Gegenpartei nicht geeignet, so greifen Besicherungs- und andere Risikominderungspflichten. Umfassende Offenlegungspflichten für Derivategeschäfte sollen die Transparenz aller Derivategeschäfte ermöglichen, standardisierte Derivate sind über eine Börse oder eine andere Handelsplattform zu handeln (sog. Plattformhandelspflicht).
489
Das Programm zur Regulierung der OTC-Derivatemärkte wird entscheidend durch den Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB) vorangetrieben, der dazu halbjähr1 Auch Kreditsicherungs-Swaps, Kreditausfall-Swaps genannt (engl. credit default swaps, „CDS“). 2 In seinem Geschäftsbericht 2001 definierte das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen (jetzt Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin) Wetterderivate als „Finanzprodukte, die es […] Unternehmen erlauben, sich gegen Klimarisiken abzusichern“. Wetterderivate werden von der BaFin nicht als Finanzinstrumente im Sinne des KWG behandelt. 3 Der Wortlaut der Schlusserklärung von Pittsburgh ist abgedruckt in der Financial Times, 25.9. 2009. An den Gipfeln von Toronto (Juni 2010) und Cannes (November 2011) bekräftigten die G20 diese Absichten und ergänzten das Programm zugleich um die Pflicht zur Besicherung von Derivategeschäften, die nicht über zentrale Gegenparteien abgewickelt werden. Ferner verpflichteten sie sich dazu, das Regulierungsprogramm in einer international konsistenten und nicht diskriminierenden Weise umzusetzen. Vgl. Cannes Summit Final Declaration, Ziff. 24, abrufbar unter http://www.g20.utoronto.ca/2011/2011-cannes-declaration-111104-en.html; Schlusserklärung des Gipfels von Toronto, Ziff. 19, abrufbar unter www.g20.utoronto.ca/2010/g20_decla ration_en.pdf. 4 FSB, Implementing OTC Derivatives Market Reforms (25.10.2010, zit. OTC Derivatives Market Reform), S. 1; Vgl. zur Vorgeschichte und den Hintergründen der Derivateregulierung auch Kuhn, GesKR 2014, 161, 162 ff.
1006 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 492 Teil H
liche Fortschrittsberichte veröffentlicht1. Während bis Mitte 2015 praktisch alle G20-Staaten Offenlegungs- und Eigenkapitalvorschriften umgesetzt hatten, waren Rechtsgrundlagen für die Clearingpflicht und die Risikominderungspflichten für nicht standardisierte Derivate nur in einer Minderheit dieser Staaten in Kraft2. Auch die Umsetzung der Plattformhandelspflicht war noch nicht weit vorangeschritten3. 2. Die OTC-Derivateregulierung der EU a) Rechtsgrundlagen Die Europäische Union hat das Pittsburgh-Programm 2012 mit der Europäischen Marktinfrastrukturverordnung (EMIR) umgesetzt; die Rechtsgrundlage für die Plattformhandelspflicht findet sich in der Verordnung über Finanzinstrumente (MiFIR). EMIR und MiFIR sind als Verordnungen in den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar und direkt anwendbar; eine Umsetzungsgesetzgebung war insofern nicht erforderlich. Beide Verordnungen gelten auch als EWR-relevant, sind aber bis Mitte 2016 noch nicht in den Anhang zum EWR-Abkommen übernommen worden und waren daher in den EWR-Staaten noch nicht unmittelbar anwendbar (s. Rz. 495).
490
Eine Vielzahl von Einzelheiten wird durch Ausführungsverordnungen (delegierte Verordnungen und technische Regulierungsstandards) geregelt, die erst zum Teil vorliegen4. Zu erwähnen ist insbesondere die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 149/20135, welche Einzelheiten der Clearing- und Meldepflichten, des Zugangs zu Handelsplätzen sowie zu den Risikominderungstechniken für nicht zentral abgerechnete Derivate festlegt. Auch die Derivatekategorien, für welche die Clearingpflicht gilt, sind in Delegierten Verordnungen festgelegt6.
491
b) Geltungsbereich aa) Sachlicher Geltungsbereich EMIR legt Clearing- und Risikomanagementanforderungen für OTC-Derivate fest. Derivate sind die in den Nr. 4 bis 10 von Anhang I Abschnitt C der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID I) genannten Finanzinstrumente (Art. 2 Nr. 5 EMIR). OTC-Derivate sind nach Art. 2 Nr. 7 EMIR solche „Derivatekontrakte, 1 Vgl. zuletzt Financial Stability Board, Tenth Progress Report on Implementation of OTC Derivatives Market Reforms (Basle, 4 November 2015). 2 FSB, Progress Report (zit. FSB Progess Report), S. 5 ff. 3 FSB, Progress Report, S. 18 ff. 4 Vgl. dazu Fried in Zerey § 16 Rz. 2; Köhling, BKR 2013, 491 [492]; Überblick auf http://ec.euro pa.eu/finance/financial-markets/derivatives/index_de.htm. 5 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 149/2013 der Kommission v. 19.12.2012 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards für indirekte Clearingvereinbarungen, die Clearingpflicht, das öffentliche Register, den Zugang zu einem Handelsplatz, nichtfinanzielle Gegenparteien und Risikominderungstechniken für nicht durch eine CCP abgewickelte OTC-Derivatekontrakte, ABl. Nr. L 52 v. 23.2.2013, S. 11–24. 6 Vgl. z.B. für Zinsderivate die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission v. 1.12. 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Clearingpflicht, (ABl L 314/13; vgl. dazu auch den Bericht der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA, Final Report, Draft technical standards on the Clearing Obligation – Interest Rate OTC Derivatives, v. 1.10.2014, ESMA/ 2014/1184). Ein weiterer Bericht der ESMA liegt vor zu Kreditderivaten (Final Report Draft technical standards on the Clearing Obligation – Credit Derivatives, 1.10.2015, ESMA/2015/1481). Am 10.6.2016 hat die Europäische Kommission den finalen Entwurf einer RTS für Zinsderivate in zusätzlichen Währungen veröffentlicht.
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Jahn 1007
492
Teil H Rz. 493
Finanzierung
deren Ausführung nicht auf einem geregelten Markt … oder auf einem Markt in Drittstaaten, der … als einem geregelten Markt gleichwertig angesehen wird, erfolgt“. bb) Persönlicher Geltungsbereich 493
EMIR stellt zur Umschreibung des persönlichen Geltungsbereichs auf den Systembegriff Gegenpartei ab und unterscheidet zwischen Finanziellen Gegenparteien (FC) und Nichtfinanziellen Gegenparteien (NFC) (Art. 1 Abs. 2 EMIR). Finanzielle Gegenparteien sind Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, OGAW und alternative Investmentfonds (AIF) sowie Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (Art. 2 Nr. 8 EMIR). Nichtfinanzielle Gegenparteien sind alle Teilnehmer an Derivategeschäften, die nicht Finanzielle Gegenparteien sind (Art. 2 Nr. 9 EMIR). Die Nichtfinanziellen Gegenparteien1 werden darüber hinaus in grosse (NFC+) und kleine (NFC-) unterteilt, wobei das Bruttovolumen an ausstehenden Derivategeschäften massgebend ist (Art. 10 Abs. 1, 3 EMIR). Der Schwellenwert liegt dabei bei einem Bruttonominalwert von E 1 Mrd. für Kredit- und Wertpapierderivate und von E 3 Mrd. für die übrigen Derivatekategorien (Art. 11 Del. VO 149/2013). Verkompliziert wird der persönliche Anwendungsbereich durch Befreiungen und Ausnahmen, insbesondere für gruppeninterne Geschäfte (Art. 3 EMIR) und öffentliche Einrichtungen (Art. 1 Abs. 4 und 5 EMIR). Für NFC+ gelten nach EMIR weitgehend dieselben Voraussetzungen wie für FCs; in Deutschland unterliegen NFC+ nach § 20 WpHG zusätzlichen Prüfungspflichten2. cc) Räumlicher Geltungsbereich
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EMIR ist ohne weiteres und unmittelbar anwendbar, wenn ein Derivategeschäft ausschließlich einen oder mehrere Mitgliedstaaten der EU berührt3.
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EMIR ist EWR-relevant und tritt für die Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) in Kraft, sobald die Verordnung durch Beschluss des Gemeinsamen Ausschusses in den Anhang zum EWR-Abkommen übernommen wurde. Der Prozess zur Übernahme der EU-Finanzmarktregulierung hat sich aufgrund von institutionellen Problemen vor allem von Norwegen und Island, die mit der Verordnung als solcher nichts zu tun haben, um mehrere Jahre verzögert4; im Frühjahr 2016 war nicht absehbar, wann die Übernahme erfolgt. Liechtenstein hat im April 2016 jedoch vorsorglich ein Ausführungsgesetz mit organisatorischen Vorschriften erlassen, das zusammen mit dem Übernahmebeschluss des Gemeinsamen Ausschusses in Kraft treten wird5. Die EMIR-Verordnung selber wird nach der Übernahme in den Mitgliedsstaaten des EWR unmittelbar gelten (Art. 104 EWR-Abk.).
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Im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz gelten die Clearingpflicht (Art. 4 EMIR) sowie die Risikominderungspflichten (Art. 11 EMIR) darüber hinaus immer dann, wenn wenigstens eine der Gegenparteien in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR niedergelassen ist (Art. 4(1)(a)(iv) EMIR)6. Schließlich erfasst EMIR auch Deri1 In der Praxis oft als „Unternehmen der Realwirtschaft“ bezeichnet, vgl. Wulff/Kloka, WM 5/2015, 215. 2 § 20 WpHG wurde aufgrund des deutschen Ausführungsgesetzes zu EMIR, BGBl. 2013, I Nr. 6, S. 174 geändert. 3 Dazu einlässlich Kuhn, SZW 2014, 362 (369 ff.). 4 Die Liste des EFTA-Sekretariats mit den zu übernehmenden EU-Rechtsakten umfasste per 2.5. 2016 fasst 500 Positionen; vgl. http://www.efta.int/media/documents/legal-texts/eea/other-le gal-documents/list-eu-acquis-marked-or-considered-eea-relevant/weekly_list.pdf (zuletzt abgerufen 19.5.2016). 5 Vgl. Gesetz vom 2.3.2016 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, LGBl. 28.4.2016 Nr. 156. 6 Kuhn, SZW 2014, 362, 369 ff.
1008 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 498 Teil H
vategeschäfte zwischen Gegenparteien, die beide in einem Drittstaat ansässig sind (Art. 4(1)(a)(v); Art. 11(12) EMIR; Art. 24 Abs. 2 MiFIR). Weil es an einem personalen Anknüpfungspunkt an das Territorium eines Mitgliedstaates hier vollständig fehlt, ist in diesem Fall vorausgesetzt, dass das betreffende Derivategeschäft entweder „unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen innerhalb der Union“ hat (Auswirkungsprinzip) oder dass die Unterstellung unter EMIR „notwendig und zweckmässig“ ist, „um die Umgehung von Vorschriften dieser Verordnung zu verhindern“ (Umgehungsverbot; Art. 4(1)(a)(v); Art. 11(12) EMIR; Art. 24 Abs. 2 MiFIR). Die Kommission hat in der Delegierten Verordnung 285/20141 die Umstände konkretisiert, unter denen ein Derivategeschäft zwischen Gegenparteien in Drittstaaten so enge Beziehungen zur Union aufweist, dass eine Anwendung der Verordnung geboten erscheint. Eine „direkte, massgebliche und vorhersehbare Wirkung innerhalb der Union“ liegt demnach einerseits vor, wenn eine in der Union niedergelassene Einrichtung Verbindlichkeiten aus Derivategeschäften von Gegenparteien in Drittstaaten garantiert (Art. 2(1) Del. VO 285/2014). Anderseits soll EMIR dann auf Drittstaatengeschäfte anwendbar sein, wenn zwei Gegenparteien in einem Drittstaat Derivategeschäfte über ihre Zweigniederlassungen in einen Mitgliedstaat der EU abschließen (Art. 2(2) Del. VO 285/2014). Ein Umgehungstatbestand soll nach Art. 3 Del.VO 285/2014 vorliegen, wenn der primäre Zweck einer Geschäftsgestaltung darin besteht, die Anwendung der Verordnung zu vermeiden. Dabei wird das Geschäft in seiner Gesamtheit und unter Berücksichtigung aller Umstände bewertet. Problematisch seien rein „künstliche Geschäftsgestaltungen“, denen jede geschäftliche Rechtfertigung oder kommerzielle Substanz abgeht. Voraussetzung einer extraterritorialen Anwendung von EMIR ist dabei immer, dass Gegenparteien in Drittstaaten der Clearing-, der Risikominderungsoder der Plattformhandelspflicht unterliegen würden, wenn sie in der Union niedergelassen wären2.
497
c) Clearingpflicht für standardisierte OTC-Derivate Nach Art. 4 f. EMIR haben Gegenparteien (mit Ausnahme der kleinen Nichtfinanziellen Gegenparteien) alle Geschäfte mit standardisierten Derivaten über eine bewilligte oder anerkannte zentrale Gegenpartei abzurechnen. Als Abrechnung (Clearing) wird im Kontext von Derivategeschäften der Prozess bezeichnet, in dem die Positionen der Gegenparteien erstellt werden (vgl. Art. 2 Nr. 3 EMIR). Dazu gehören insbesondere die Berechnung der Nettoverbindlichkeiten mittels Netting sowie das Einfordern von Sicherheiten. Zentrale Gegenparteien (auch zentrale Kontrahenten; Central Counterparties [CCP]) sind Einrichtungen, welche zwischen die Gegenparteien eines Kontrakts treten, so dass die zentrale Gegenpartei Käufer für jeden Verkäufer und Verkäufer für jeden Käufer wird (Art. 2 Nr. 1 EMIR). Damit soll das Kontrahentenrisiko zwischen den Teilnehmern (Clearing Member [CM]) verringert werden. Zum Schutz der CCP bei Ausfall von Teilnehmern enthält ihr Regelwerk (Clearingbedingungen), das gegenüber den Teilnehmern gilt und bei Einbindung von Nichtteilnehmern in deren vertragliche Beziehungen zum Teilnehmer einbezogen wird3, strenge Anforderungen, insbesondere 1 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 285/2014 v. 13.2.2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards in Bezug auf unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen von Kontrakten innerhalb der Union und die Verhinderung der Umgehung von Vorschriften und Pflichten, ABl. 21.3.2014, L 85, S. 1–3. Vgl. dazu auch ESMA, Final Report, Draft technical standards under EMIR on contracts with a direct, substantial and foreseeable effect within the Union and non-evasion (15.9.2013, ESMA/2013/1657). 2 Kuhn, SZW 2014, 362 [370] m.w.H. 3 Vgl. Fried in Zerey § 16 Rz. 4.
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498
Teil H Rz. 499
Finanzierung
eine Besicherung (margining) durch Einschusszahlungen (margins)1. Das wechselnde Ausfallrisiko ist zu mindestens 99 % durch Nachschusszahlungen (variation margin) abzudecken (Art. 41 Abs. 1 EMIR). Außerdem sind von den Teilnehmern angemessene Ersteinschusszahlungen (initial margin) zu leisten2. Ferner müssen die Teilnehmer Leistungen erbringen, um der CCP angemessene Eigenmittel zu verschaffen (Art. 16 EMIR) sowie einen Ausfallfonds bilden (Art. 42 EMIR)3. 499
Die EU-Kommission hat einen Entwurf der ESAs zu Technischen Regulierungsstandards über Risikominderungstechniken4 verabschieden und dem Rat und dem Europäischen Parlament zur Beschlussfassung vorgelegt. Adressaten sind alle gem. Art. 2 (8) und Art. 10 EMIR der Clearingpflicht unterliegenden Gegenparteien. Die Technischen Regulierungsstandards regeln die Berechnung der Ersteinschuss- und Nachschusszahlungen5. Bei der Bestellung von Ersteinschusszahlungen können die Parteien einen Schwellenbetrag (threshold) (Art. 9 RTS) und einen Mindesttransferbetrag (minimum transfer amount; Art. 4 RTS) vereinbaren. Die Berechnung der Höhe der Ersteinschusszahlungen6 wirft erhebliche praktische (technische und operationelle) Fragen auf7. Das System der Verpflichtung zur Leistung von Ersteinschuss- und Nachschusszahlungen entspricht weitgehend den Besicherungsregelungen der CCPs.
500
Hervorstechendes Merkmal der Vertragsgestaltung für clearingpflichtige OTC-Derivate ist die Sicherheitenstellung durch Einschusszahlungen (margins). Zum Schutz der Teilnehmer und ihrer Kunden haben die CCPs nach Art. 39 (3) EMIR „getrennte Aufzeichnungen und Abrechnungskonten zu führen…“. Diese Kontentrennung (segregation) soll es den Teilnehmern ermöglichen, „… zwischen seinen eigenen Vermögenswerten und den im Namen seiner Kunden bei der CCP gehaltenen Vermögenswerten und Positionen zu unterscheiden“ (Art. 39 (4) EMIR)8. Art. 46 EMIR bestimmt die Anforderungen an die zu leistenden Sicherheiten. Die CCP muss „hochliquide Sicherheiten mit minimalem Kredit- und Marktrisiko“ (Abs. 1 Satz 1) anfordern. Dies sind nach Abs. 3 Buchst. a z.B. „Barmittel, Gold, Staatsanleihen sowie Unternehmensanleihen von sehr guter Bonität und gedeckte Schuldverschreibungen“.
501
Die geleisteten Sicherheiten gehen in das Vermögen der CCP über, wenn die Methode der Übertragung mit uneingeschränkter Verfügungsmacht d.h. ohne treuhänderische Bindung („full title transfer“, so üblich in OTC-Derivate-Rahmenverträgen) gewählt wird9. Dies bedeutet, dass CMs oder deren Kunden im Falle einer Insolvenz der CCP nur schuldrechtliche Ansprüche auf Ausgleich haben und nicht Eigentümer übereig1 Vorbild hierfür waren die bei Börsengeschäften üblichen Margin-Leistungen. „Margin“ wird definiert in Art. 1 Nr. 4–6 der Delegierten Verordnung Nr. 153/2013/EU v. 19.12.2012. 2 Vgl. Erwägungsgrund 65 zu EMIR. 3 Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen für den Bestand einer CCP entwickelt die EU eine Richtlinie über Restrukturierung und Abwicklung für CCPs. Mit der Veröffentlichung eines Vorschlags wird für Ende 2016 gerechnet. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in anderen G20-Staaten, z.B. in Australien. 4 Final Draft Regulatory Technical Standards on risk mitigation techniques for OTC-derivative contracts not cleared by a CCP under Article 11 (15) of Regulation (EU) No 648/2012 [EMIR]. 5 Die Berechnung des IM regeln Section 3 Art. 14 und Section 4 Art. 15; IM ist jedes Mal neu zu berechnen, wenn sich der Bestand an Derivategeschäften verändert, Art. 14 Nr. 3. Insoweit könnte die Bezeichnung „initial“ verwirren. 6 Die jeweils geschuldeten Ersteinschüsse, IM, dürfen nicht gegeneinander verrechnet werden, Art. 1 3.(a). 7 Die anwendbaren Methoden legen Art. 15 ff. fest. 8 Nach Art. 39 (7) EMIR sind zentrale Gegenparteien und ihre Clearingmitglieder verpflichtet, über das Schutzniveau der Kontentrennung und ihre Kosten aufzuklären. Die betreffenden „disclosure documents“ sind über das Internet zugänglich und stellen eine allgemeinverständliche Beschreibung der Kontentrennung und ihrer zulässigen Formen dar. 9 So gem. Nr. 1 Abs. 2 des deutschen Rahmenvertrages für Finanzermingeschäfte („DRV“). Zur Segregation und ihrer Ausgestaltung s. Decker, BKR 2014, 397 f.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 503 Teil H
neter Sachen sind1. Eine sachenrechtliche Trennung der Sicherheiten, zumindest der Ersteinschusszahlung (initial margin), wäre aus denselben Gründen, wie sie von der ESMA in ihrer Konsultation2 zur Besicherung von nicht-clearingpflichtigen OTC-Derivaten vorgeschlagen wird, zu bevorzugen3. Als Alternative zur Übertragung ohne treuhänderische Bindung (full title transfer) bietet z.B. Eurex Clearing AG bei der Leistung von Ersteinschüssen die Verpfändung von Wertpapieren an4. Die Stabilität der CCP (und deren höchstmögliche Insolvenzferne) soll durch Sondervorschriften für den Fall des Ausfalls eines CMs gesichert werden (Art. 48 EMIR). Kernbereich der Regelung sind die Abs. 5–7, in denen die Grundsätze für eine Übertragung (porting) von Vermögenswerten und Positionen des ausfallenden CMs festgelegt werden. Ziel dieser Vorschriften ist die Vermeidung einer quasi automatischen Beendigung und Liquidierung aller direkten und indirekten Derivategeschäfte des CM mit der CCP, die eine erhebliche Marktstörung oder Krise erzeugen könnte. Der Kunde eines ausfallenden CM sollte vorsorglich Vereinbarungen mit einem weiteren CM für eine Übertragung für den Fall des Ausfalls des ersten CM treffen5.
502
Art. 48 EMIR enthält keine Regelungen zur insolvenzrechtlichen Absicherung der vorgesehenen Maßnahmen6. Der Erwägungsgrund 64 (EMIR) legt allerdings fest, dass die EMIR-Vorschriften „Vorrang vor etwaigen kollidierenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten haben“ (sollten). Hierdurch sind die Mitgliedsstaaten aufgefordert, entsprechende Änderungen oder Ergänzungen ihrer nationalen Vorschriften vorzunehmen7. In Deutschland schützt Art. 102b (1) EGInsO die Durchführung der in Art. 48 EMIR vorgesehenen Maßnahmen. d) Risikominderungspflichten für nicht standardisierte OTC-Derivate Weil eine Abrechnung über eine CCP nur für standardisierte Derivate in Betracht kommt und auch in Zukunft nicht alle Derivate standardisiert werden können, sieht EMIR eine Reihe von Risikominderungspflichten für Derivate vor, die nicht zentral abgerechnet werden (Art. 11 EMIR). Insbesondere sind die Gegenparteirisiken durch das Stellen von Sicherheiten abzudecken (Art. 11 Abs. 3 EMIR). Ferner müssen Derivatepositionen laufend zu Marktpreisen bewertet werden (Art. 11 Abs. 2 EMIR) Schließlich müssen die Gegenparteien ihr Derivatgeschäft so organisieren, dass operationelle Risiken weitgehend vermieden werden (Art. 11 Abs. 1 EMIR). Insbesondere sind Vertragsabschlüsse rechtzeitig zu bestätigen (vgl. Art. 12 Del. VO 149/2013). Weiter werden die Gegenparteien verpflichtet, sich auf Streitschlichtungsmechanismen zu verständigen (vgl. auch Art. 15 DelVO 149/2013). Sie haben ferner angemessene Verfahren zur Abstimmung von Portfolios und zur Beherrschung der damit verbundenen Risiken einzuführen; das umfasst auch die Pflicht zur regelmäßigen Portfoliokompimierung (Compression; Tear-up; Art. 14 DelVO 149/2013). Portfoliokomprimierung ist eine 1 Wie bei den Sicherheitsanhängen zu Rahmenverträgen für nicht clearingpflichtige Transaktionen wird eine Übereignung ohne jegliche Einschränkung (engl. full title transfer) vorgenommen. Dies stößt im Markt hinsichtlich des Ersteinschusses (initial margin) auf Bedenken, die schon in Bezug auf Zuschläge (ISDA: independent amounts) geäußert wurden. 2 Consultation Paper, Draft regulatory technical standards on risk-mitigation techniques for OTCderivatives contracts not cleared by a CCP under Art. 11 (15) of Regulation (EU) No 648/2012 Draft RTS Chapter 4 Art. 1 SEG und Art. 1 REU (no. 1: „The collecting counterparty shall not re-hypothecate, re-pledge nor otherwise re-use the collateral collected as initial margin.“). 3 Decker, BKR 2014, 397 (400). 4 Kapitel 1, Abschnitt 2, 6.6.1 der Clearing-Bedingungen. 5 Auch um die Eigenmittelanforderungen für seine Handelsrisikopositionen aus ZGB-bezogenen Positionen nach Art. 306 CRR berechnen zu können – Art. 305 (2) b). 6 Vgl. Köhling/Adler, WM 2012, 2125 (2133); Fried in Zerey, § 16 Rz. 11. 7 Köhling/Adler, WM 2012, 2125 (2133); Fried weist darauf hin, dass „man mit den bekannten und krisengetesteten Mechanismen“ durchaus zu soliden Lösungen“ kommen kann, § 16 Rz. 11.
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Teil H Rz. 504
Finanzierung
Technik zur Eliminierung von überwiegend redundanten Verträgen. Risiken werden häufig über ganze Ketten von bilateralen Derivategeschäften weitergegeben; durch Portfoliokomprimierung können die zwischengeschalteten Gegenparteien ausgeschaltet werden. 504
Für die Gestaltung der Besicherunganhänge von Rahmenverträgen bedeutet dies, dass unterschiedliche Besicherungsformen für Ersteinschüsse1 und für Einschüsse (variation margin) zur Verfügung zu stellen sind. ISDA hat bisher nach englischem Recht alle Besicherungsleistungen (independent amount = initial margin und variation amount = variation margin) der uneingeschränkten Übertragung (full title transfer) unterstellt2. Nur für bestimmte Unternehmen wird ein Credit Support Deed (Verpfändung) angeboten, da diese Unternehmen aus rechtlichen Gründen Teile ihres Vermögens nicht uneingeschränkt übertragen dürfen. Nunmehr sollen generell zwei unterschiedliche Besicherungsanhänge entwickelt werden, ein Credit Support Annex für variation margin und ein Credit Support Deed für initial margin3. Vergleichbare Vorbereitungen werden in Deutschland von den Verbänden getroffen.
505
Am 8.3.2016 veröffentlichten die ESAs (EBA, EIOPA, ESMA) einen gemeinsamen endgültigen Entwurf einer RTS über die Besicherung (margining) von nicht clearingpflichtigen Derivatgeschäften. Die EU-Kommission änderte diesen Entwurf ab und leitete ihn den ESAs mit Schreiben v. 28.7.2016 zur Stellungnahme zu. ISDA stellte im Frühjahr vier Besicherungsdokumente vor, um die neuen Besicherungsanforderungen (Leistung von initial margin und variation margin) durch die Aufsichtsbehörden der USA und der EU zu erfüllen. Der ISDA 2016 Credit Support Annex for Variation Margin (VM) nach New Yorker Recht und ein vergleichbarer ISDA 2016 Credit. An weiteren Dokumenten für die Erfüllung der Anforderungen an die Stellung von Initial Margin wird noch gearbeitet. In Deutschland sind die Arbeiten an einer Neufassung bzw. Ergänzung des Besicherungsanhangs zum DRV noch nicht abgeschlossen.
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Die EU-weite Verbesserung der Rechtssituation bei der Bestellung und Verwertung von Finanzsicherheiten ist durch die sog. Finanzsicherheiten-Richtlinie4 erreicht worden. die bis zum 27.12.2003 umzusetzen war. Deutschland hat die FinanzsicherheitenRichtlinie mit Wirkung zum 9.4.20045 umgesetzt. Dem § 104 Abs. 2 Satz 2 InsO ist eine Nr. 6 hinzugefügt worden, in der Finanzsicherheiten i.S.d. § 1 Abs. 17 des KWG6 ebenfalls als Finanzleistungen definiert werden. Hierdurch wird die Zusammenfassung von OTC-Derivaten und der im Zusammenhang damit gegebenen Finanzsicherheiten in einem einzigen Vertrag grundsätzlich7 insolvenzfest8. 1 Diese Ersteinschüsse werden laufend an das Geschäftsvolumen angepasst. 2 Credit Support Annex. 3 Liegen Vermögenswerte, die aufgrund des Credit Support Deed zu übertragen sind, nicht in England und Wales, sondern z.B. in Belgien, Luxemburg oder einem anderen Verwahrinstitut in der EU, ist das Ortsrecht zu berücksichtigen und entweder ein entsprechender Änderungsanhang zum Credit Support Deed zu verwenden oder eine dem entsprechenden ausländischem Recht unterstellte Verpfändungserklärung. 4 Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten v. 6.6.2002, ABl. EG Nr. L 168/2002, S. 43. 5 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2002/47/EG v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten und zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes und anderer Gesetze v. 5.4.2004, BGBl. I 2004, 502. 6 Abs. 17 wurde durch das Umsetzungsgesetz in § 1 KWG eingefügt und beschränkt die Anwendbarkeit der insolvenzrechtlichen Neuregelungen auf die in Art. 1 Abs. 2 lit. a–e der Finanzsicherheiten-Richtlinie genannten Parteien. 7 Nach Maßgabe der einschlägigen Anfechtungsmöglichkeiten der InsO; allerdings ist durch Hinzufügung eines Satzes zu § 130 Abs. 1 InsO sichergestellt, dass die Anfechtung von Sicherheitsleistungen dann nicht möglich ist, wenn sie zwar in der kritischen Zeit geleistet wurden, um Änderungen im Wert der Finanzsicherheit oder im Betrag der gesicherten Verbindlichkeit Rechnung zu tragen, und auf einer nicht anfechtbaren Sicherungsvereinbarung beruhen. 8 Im Zusammenhang mit Finanzgeschäften an den Finanzmärkten, vgl. Kieper, Die Finanzsicherheiten-Richtlinie und ihre Umsetzung, ZInsO 2003, 1109 (1119); gegen eine weite Auslegung
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 511 Teil H
Eine weitere EU-rechtliche Regelung von Sicherheiten enthält die Verordnung über Wertpapierfinanzierung (Securities Financing Transaction Regulation, SFTR)1. Ihr Regelungsbereich ist weiter als derjenige der Finanzsicherheiten-Richtlinie. Nach Art. 2 (d) (2) gilt sie auch für Gegenparteien mit Sitz in einem Drittland, wenn gem. (ii) die Weiterübertragung (reuse) als Sicherheit überlassene Finanzinstrumente betrifft, die eine Gegenpartei mit Sitz in der EU gestellt hat.
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Die durch Art. 15 SFTR festgelegten Voraussetzungen einer Weiterübertragung von Finanzinstrumenten gelten allgemein, nicht nur im Zusammenhang mit dem Abschluss von Wertpapierfinanzierungsgeschäften. Damit unterliegen auch alle Finanzsicherheiten, die z.B. aufgrund von Besicherungsanhängen zu bilateralen OTC-Rahmenverträgen übertragen wurden, den Regelungen der SFTR. In welcher Form die geplante Neufassung der Standard-Besicherungsanhänge (z.B. ISDA Credit Support Annex, Besicherungsanhang zum DRV) diesen Anforderungen Rechnung tragen wird, ist derzeit noch nicht entschieden. Nicht berührt werden durch die Vorschriften der SFTR Besicherungen im Rahmen des Clearing von clearingpflichtigen Derivategeschäften.
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e) Meldepflichten Ein weiterer tragender Pfeiler der Derivatereform ist die Herstellung umfassender Transparenz über die Vorgänge und Teilnehmer an den Derivatemärkten. Zu diesem Zweck werden die Marktteilnehmer verpflichtet, den Abschluss oder die Abwicklung von Derivategeschäften sowie alle späteren Änderungen zeitnah an Transaktionsregister zu melden (Art. 9 Abs. 1 EMIR). Transaktionsregister sind eine neue Art von Finanzmarktinfrastrukturen, die eigens zur Aufzeichnung und Verwaltung von Meldungen über Derivategeschäfte geschaffen werden. Die Einzelheiten der Meldepflichten sind in der Delegierten Verordnung 148/20132 geregelt.
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f) Plattformhandelspflichten Schließlich sah bereits die Pittsburgh-Erklärung zur Reform der Derivatemärkte die Pflicht vor, Derivategeschäfte nach Möglichkeit über Börsen oder andere Handelsplattformen abzuschließen (Plattformhandelspflicht; Art. 24 Abs. 1 der Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente [MiFIR])3. Die Plattformhandelspflicht gilt gleich wie die Clearingpflicht nur für standardisierte (fungible) Derivate.
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g) Anerkennung von Drittlandsinfrastrukturen und -regulierungen Zentrales und bisher ungelöstes Problem der Derivateregulierung sind Konflikte und Gesetzeskollisionen im internationalen Verhältnis. Die Derivatemärkte sind Prototyp eines global verfassten und organisierten Marktes. Ihre Regulierung durch eine international zwar koordinierte, im Ergebnis aber dennoch national oder regional begrenzt anwendbare Gesetzgebung führt deshalb notwendigerweise zu Friktionen. Kollisionsund die Ausweitung auf Gelddarlehen zu Recht Ehricke, Nochmals: Zur Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie in das deutsche Recht, ZIP 2003, 2141 (2143); ausführlich: Kollmann, WM 2004, 1012 ff., zur Änderung der InsO: Obermüller, ZinsO 2004, 187 ff.; zu Auswirkungen auf das Clearing: Fried in Zerey § 16 Rz. 33. 1 Verordnung (EU) 2015/2365 v. 25.11.2015 über die Tranparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften (Securities Financing Transactions Regulation, SFTR), ABl. Nr. L 337 v. 23.12.2015, S. 1–34. 2 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 148/2013 der Kommission v. 19.12.2012 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister bezüglich technischer Regulierungsstandards für die Mindestangaben der Meldungen an Transaktionsregister, ABl. 23.2.2013, L 52/1. 3 Verordnung Nr. 600/2014 vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Anpassung von [EMIR], ABl. 12.6.2014, L 173/84.
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Teil H Rz. 512
Finanzierung
rechtliche Fragen der Derivatereform gehören deshalb inzwischen zu den Standardthemen der internationalen Standardsetzer, ohne dass jedoch bisher eine nachhaltige Lösung erreicht worden wäre1. Es ist zu befürchten, dass die Gesetzeskonflikte im internationalen Verhältnis zu einer Fragmentierung der Derivatemärkte entlang nationaler Grenzen führen. 512
Der europäische Gesetzgeber war sich bewusst, dass die Anwendung von EMIR auf Gegenparteien außerhalb der Union (vorne Rz. 497) zu Gesetzeskonflikten führen kann. Er hat deshalb das Verhältnis zu Staaten, die weder Mitglied der EU noch des EWR sind (Drittstaaten), einlässlich geregelt und Mechanismen zur Vermeidung von Gesetzeskollisionen vorgesehen. Diese beruhen im Kern auf einem förmlichen Anerkennungsverfahren, in dem insbesondere geprüft wird, ob der Regulierungsrahmen des Drittstaates mit EMIR gleichwertig ist2.
513
EMIR sieht solche Anerkennungsverfahren in drei Fällen vor: – EMIR finden grundsätzlich auch Anwendung auf Derivategeschäfte zwischen einer EU-Gegenpartei und einer solchen in einem Drittstaat; unter gewissen Voraussetzungen auch auf solche zwischen Gegenparteien in Drittstaaten (Rz. 496 f.). In diesem Fall gelten die gemeinschaftsrechtlichen Clearing-, Risikominderungs- und Offenlegungspflichten (Art. 4, 9, 10 und 11 EMIR) als erfüllt, wenn die Gegenparteien die entsprechenden Vorschriften des Drittstaates erfüllen (Art. 13(3) EMIR). Voraussetzung ist, dass die Kommission die Gleichwertigkeit der Rechts-, Aufsichts- und Durchsetzungsmechanismen des Drittstaats festgestellt hat (Art. 13(2) EMIR).
514
– Derivategeschäfte innerhalb eines Konzerns (gruppeninterne Geschäfte) sind unter bestimmten Bedingungen von der Clearing- und der Risikominderungspflicht freigestellt (Art. 3 i.V.m. Art. 4(2) und Art. 11(5)–(11) EMIR). Gruppengesellschaften, die in einem Drittstaat niedergelassen sind, können sich auf die Freistellung nur berufen, sofern die Derivateregulierung dieses Drittstaats als gleichwertig anerkannt worden ist (Art. 3(1) EMIR).
515
– Die Clearing-, Plattformhandels- und Meldepflichten setzen die Nutzung von Infrastruktureinrichtungen (zentrale Gegenparteien, Handelsplattformen und Transaktionsregister) voraus. EMIR geht grundsätzlich davon aus, dass diese Einrichtungen auf dem Gebiet eines Mitgliedsstaates der Union bzw. des EWR niedergelassen sind (Art. 4(3) i.V.m. Art. 14 EMIR [„… legal person established in the Union …“]; Art. 9(1) i.V.m. 77; Art. 24(1)(a)–(c) MiFIR). Einrichtungen aus Drittstaaten dürfen auf dem Gebiet der Union nur tätig werden, sofern die ESMA diese in einem förmlichen Verfahren anerkannt hat (Art. 4(3) i.V.m. Art. 25 EMIR; Art. 9(1) i.V.m. 55(2) EMIR; Art. 24(1)(d) MiFIR).
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Notwendige Bedingung der Anerkennung ist in jedem Fall, dass die Kommission in einem Durchführungsrechtsakt die Gleichwertigkeit der Rechts-, Aufsichts- und Durchsetzungsmechanismen des Drittstaats festgestellt hat (Art. 13(2); Art. 25(2)(a); Art. 75(1) EMIR; Art. 24(4) MiFIR)3. Dazu ist gefordert, dass die Derivateregulierung des Drittstaates den entsprechenden Anforderungen von EMIR genügt (Art. 13(2)(a) EMIR). Ferner muss das Recht des Drittstaates einen entsprechenden Schutz des Berufsgeheimnisses gewährleisten (Art. 13(2)(b) EMIR). Schließlich verlangt EMIR, dass die Rechts-, Aufsichts- und Durchsetzungsmechanismen des Drittstaates „wirksam angewandt und auf faire und den Wettbewerb nicht verzerrende Weise durchgesetzt werden, damit eine funktionierende Aufsicht und Rechtsdurchsetzung in diesem 1 S. Kuhn, SZW 2014, 362 m.w.H. 2 S. Kuhn, SZW 2014, 370. 3 S. Kuhn, SZW 2014, 371.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 518 Teil H
Drittstaat gewährleistet ist“ (Art. 13(2)(c) EMIR). Für die Anerkennung von zentralen Gegenparteien sowie Transaktionsregister gelten teilweise abweichende Voraussetzungen, wobei auch hier eine förmliche Feststellung der Gleichwertigkeit Bedingung einer Anerkennung ist (Art. 25(2)(a); Art. 77(2)(a) EMIR). Die Feststellung der Gleichwertigkeit erfolgt durch sog. Durchführungsrechtsakt (Art. 291 AEUV), den die Kommission auf Antrag der ESMA erlässt. Die Kommission unterliegt dabei der Aufsicht des Europäischen Wertpapierausschusses, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen setzt (Art. 86 EMIR)1. Die Kommission kann eine Durchführungsrechtsakte zur Feststellung der Gleichwertigkeit einer ausländischen Derivateregulierung nur erlassen, nachdem der Wertpapierausschuss dazu eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat2. Inzwischen sind eine Reihe von EU-Durchführungsbeschlüssen erlassen worden, zuletzt auch für CCPs, die von der US-CFTC beaufsichtigt werden3.
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3. Eigenkapitalunterlegung (inkl. Netting) Ein weiteres Element der Pittsburgh-Erklärung zur Derivateregulierung war eine Verschärfung der Eigenmittelanforderungen zur Unterlegung von Gegenparteirisiken aus bilateralen Derivategeschäfte4. Insbesondere wurden die aufsichtsrechtlichen Vorgaben für die Schätzung des erwarteten Verlusts (exposure at default, EAD) deutlich verschärft5. Zusätzlich wurde eine neue Eigenkapitalkomponente zur Abdeckung von Marktrisiken eingeführt, die sog. credit valuation adjustment (CVA). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass ein Grossteil der Verluste, die Banken während der Finanzkrise aus Derivategeschäfte zu tragen hatten, nicht aus dem Ausfall (default) der Gegenpartei erwuchsen, sondern (bloss) aus Verschlechterungen ihrer Bonität6. Die CVA-Eigenmittelanforderung wird ungefähr der bisherigen Eigenkapitalkomponente zur Abdeckung von Ausfallrisiken entsprechen, so dass sich die Eigenkapitalanforderungen für Gegenparteirisiken gegenüber Basel II ungefähr verdoppeln werden7. Die CVA-Eigenmittelanforderung gilt nicht für Derivategeschäfte, die über eine zentrale Gegenpartei abgewickelt werden8; damit werden starke Anreize für die Verlagerung der Abwicklung von Derivategeschäften auf zentrale Gegenparteien gesetzt. Drittstaaten-CCPs, deren Regulierungsrahmen durch einen EU-Durchführungsbeschluss als gleichwertig anerkannt worden ist, verschaffen die gleichen Vorteile bei der Berechnung der Eigenmittelanforderungen (s. Rz. 517). 1 Der Ausschuss wurde durch Beschluss der Kommission vom 6.6.2001 eingesetzt; vgl. ABl. 13.7. 2001, L. 191, S. 45. 2 Vgl. Art. 5 der Verordnung Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. 3 2014/752/EU v. 30.10.2014 – Japan, ABl L 311/55 v. 31.10.2014; 2014/753/EU v. 30.10.2014 – Singapur, ABl L 311/58 v. 31.10.2014; 2014/754/EU v. 30.10.2014 – Hong Kong, ABl L 311/62 v. 31.10.2014; 2014/755/EU v. 30.10.2014 – Australien, ABl L 311/66 v. 31.10.2014; 2015/2038/EU v. 13.11.2015 – Republik Korea, ABl L 298/25 v. 14.11.2015; 2015/2039/EU v. 13.11.2015 – Südafrika, ABl L 298/29 v. 14.11.2015; 2015/2040/EU v. 13.11.2015 – Kanada (nur: Alberta, British Columbia, Manitoba, Ontario und Quebec), ABl L 298/33 v. 14.11.2015; 2015/2041/EU v. 13.11.2015 – Mexiko, ABl L 2298/38 v. 14.11.2015; 2015/2042/EU v. 13.11.2015 – Schweiz, ABl L 298/42 v. 14.11.2015; USA (nur CFTC beaufsichtigte CCPs), ABl L 70/32 v. 16.3.2016. 4 Ingves, Regulatory reforms for OTC derivatives: past, present and future in Banque de France, OTC Derivatives: New Rules, New Actors, New Risks, Banque de France Financial Stability Review, April 2013, S. 22. 5 Ingves, S. 22 f. 6 Ingves, S. 23. 7 Ingves, S. 23. 8 Finma, RS-08/19 Rz. 393.
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Teil H Rz. 519
Finanzierung
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Die entsprechenden Vorgaben des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht sind in der EU durch die Verordnung Nr. 575 vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR-Verordnung)1 umgesetzt worden. Die CRRVerordnung ändert die Verordnung (EU) Nr. 646/201 ab und gilt seit dem 1.1.2014. In Deutschland ersetzt sie entsprechende Vorschriften der Solvabilitäts-Verordnung, (SolvV), und der Großkredit- und Millionenkredit-Verordnung (GroMiKV).
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Die Zusammenfassung aller OTC-Derivatgeschäfte in einem Rahmenvertrag und das damit verbundene bilaterale Liquidations-Netting2 mit der Wirkung einer erheblichen Risikoreduzierung und seine Berücksichtigung im Aufsichtsrecht wurde erst spät anerkannt3. Wegbereitend war die sog. Netting-Richtlinie vom 21.3.19964, welche die sog. Solvabilitäts-Richtlinie entsprechend abänderte. Die Netting-Richtlinie setzte der deutsche Gesetzgeber u.a. mit der Kreditbestimmungs-Verordnung (diese wurde im Januar 1998 durch die GroMiKV abgelöst) und durch Änderung des Grundsatzes I am 2.10.1996 um5.
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Voraussetzung für die Anerkennung des Liquidations-Netting nach der CRR ist u.a. dass die Parteien Rahmenverträge verwenden und das bilaterale Liquidations-Netting insolvenzfest ist, was durch ein entsprechendes aktuelles Rechtsgutachten bescheinigt wird (Art. 296 (2) CRR). Auch die anrechnungsmäßige Verrechnung von Geld- und Wertpapiersicherheiten ist anerkannt. Bei clearingpflichtigen OTC-Transaktionen wird ebenfalls ein entsprechendes Rechtsgutachten verlangt (Art. 305 (2) CRR). 4. Aufsichtsrechtliche Beschränkungen der Befugnis zum Abschluss von Derivategeschäften a) Versicherungen, Pfandbriefbanken, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Investmentaktiengesellschaften
522
Während Geschäftsbanken grundsätzlich alle OTC-Derivatgeschäfte abschließen dürfen, gibt es Beschränkungen für Sparkassen, Hypothekenbanken, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Versicherungsgesellschaften6. Die Verletzung dieser Beschränkungen führt nicht zur Nichtigkeit der abgeschlossenen Geschäfte7, sondern zu aufsichtlichen Maßnahmen.
523
Das am 1.1.2016 in Kraft getretene Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), das die Solvabilitäts-Richtlinie („Solvability II“) umsetzt, gilt für Erst- und Rückversicherungsunternehmen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Nr. 33 und 34 VAG, sog. VAG-Unternehmen). Keine Geltung besteht für Sterbekassen (§ 218 Abs. 1 VAG), Pensionskassen (§ 232 Abs. 1 VAG) oder kleine Versicherungsunternehmen (§ 211 VAG). Die VAGRegelungen gelten auch für Erst- und Rückversicherungsunternehmen gem. § 7 Nr. 22 VAG, Holding- und Zweckgesellschaften (ebenfalls „VAG-Unternehmen“). Für VAGUnternehmen gilt nach § 124 VAG den Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht, 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. Nr. L 176, 27.6.2013, S. 1 (Capital Requirement Regulation, CRR). 2 Zu Begriff und Technik Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 134. 3 Zur Entwicklung Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 144 ff.; Böhm, S. 201 ff. 4 Richtlinie 96/10/EG v. 21.3.1996 zur Änderung der Richtlinie 89/647/EWG im Hinblick auf die aufsichtsrechtliche Anerkennung von Schuldumwandlungsverträgen und Aufrechnungsvereinbarungen („vertragliches Netting“), ABl. EG Nr. L 85 v. 3.4.1996, S. 17. 5 BAnz. Nr. 193 v. 15.10.1996, 1145, in Kraft getreten am 30.10.1996. Nicht zu verwechseln ist damit der Entwurf einer weiteren Richtlinie zum Netting, welche die EU-einheitliche insolvenzrechtliche Behandlung des Netting festlegen soll, der aber noch nicht abschließend behandelt worden ist. 6 Vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 112 ff. 7 So z.B. ausdrücklich § 242 KAGB.
1016 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 532 Teil H
der acht wichtige Punkte zur Auslegung enthält. Die bisher geltende Anlageverordnung v. 20.12.2001, zuletzt geändert am 3.3.2015, ist mit Wirkung zum 1.1.2016 aufgehoben und am 18.4.2016 durch eine Neufassung, die nur für Nicht-VAG-Unternehmen gilt, ersetzt worden1. Pfandbriefbanken dürfen Derivate als Deckung verwenden (§ 4 Abs. 3 PfandBG)2. Im Einzelnen regelt § 19 Abs. 1 Nr. 4 PfandBG, dass insbesondere Zins- und Währungsswaps und andere Derivatgeschäfte i.S.d. § 1 Abs. 11 Satz 4 Nr. 1 bis 4 KWG eingesetzt werden dürfen. Folgende Voraussetzungen sind dabei zu beachten:
524
– Vertragspartner müssen „geeignete“ (d.h. mit akzeptabler Bonität versehene) Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen, eine zentrale Gegenpartei bei einer Börse, der Bund oder Bundesländer sein.
525
– Die Geschäfte müssen auf der Grundlage „standardisierter Rahmenverträge“ (d.h. z.B. dem deutschrechtlichen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte oder dem 1992/2002 ISDA Master Agreement) abgeschlossen worden sein.
526
– Es muss sichergestellt sein, dass die Ansprüche der Pfandbriefbank im Falle ihrer Insolvenz oder der anderen Deckungsmassen nicht beeinträchtigt werden können.
527
– Nicht zulässig sind Optionen und andere Derivate, wenn sie eine offene Stillhalterposition der Pfandbriefbank begründen.
528
– Derivate dürfen nicht mehr als 12 % des Gesamtdeckungswertes ausmachen.
529
Derivate sind in das Deckungsregister einzutragen, die Zustimmung des Treuhänders und des Vertragspartners zu der Eintragung sind notwendig, eine Eintragung ohne die erforderliche Zustimmung gilt als nicht erfolgt. Der Treuhänder hat Bestand und Eintragung zu überwachen. Diese Regelungen gelten für Hypothekenpfandbriefe, Öffentliche Pfandbriefe und für Schiffspfandbriefe.
530
Kapitalverwaltungsgesellschaften und Investmentaktiengesellschaften dürfen Derivatgeschäfte nur nach Maßgabe der Regelungen der Derivateverordnung („DerivateV“)3 tätigen. Im Verhältnis zu den Vorschriften des KAGB ist die Behandlung von Sicherheiten, insbesondere deren Wiederverwendung in etlichen Punkten noch ungeklärt4.
531
b) Landesbanken, Sparkassen und öffentlich-rechtliche Kreditinstitute Beschränkungen finden sich in den Sparkassengesetzen oder -verordnungen der Bundesländer. Sie sind nicht harmonisiert und weichen von Bundesland zu Bundesland ab (s. auch Rz. 558). 1 Verordnung über die Anlage des Sicherungsvermögens von Pensionskassen, Sterbekassen und kleinen Versicherungsunternehmen (Anlageverordnung – AnlV) v. 18.4.2016, BGBl. I 2016, 769 v. 21.4.2016. 2 Nach dem am 19.7.2005 in Kraft getretenen PfandBG (BGBl. I 2005, 1373) dürfen Pfandbriefe nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen von allen Banken ausgegeben werden. Bislang durften sie nur von Hypothekenbanken, wenigen privaten Banken, öffentlich-rechtlichen Instituten und den beiden deutschen Schiffsbanken gehandelt werden. Zudem dürfen Banken unter bestimmten Voraussetzungen künftig auch Hypotheken aus Märkten in Deckung nehmen, in denen sie bisher nicht im Pfandbriefgeschäft tätig waren. 3 Verordnung über Risikomanagement und Risikomessung beim Einsatz von Derivaten, Wertpapier-Darlehen und Pensionsgeschäften in Investmentvermögen nach dem Kapitalanlagegesetzbuch (Derivateverordnung – DerivateV) v. 16.7.2013, BGBl. I, 2463. Das Kapitalanlagegesetzbuch in der Fassung v. 15.7.2014 (BGBl. I 2014, 934, (KAGB), hat das Investmentgesetz ersetzt. 4 Vgl. hierzu im Einzelnen Decker, Segregation und Ausfallrisiko nach EMIR und KAGB, BKR 2014, 397.
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Jahn 1017
532
Teil H Rz. 533 533
Finanzierung
Durch einen neu eingefügten § 60a SAG1 werden Institute und gruppenangehörige Unternehmen verpflichtet: „Geschäfte in Derivaten im Sinne des § 1 Abs. 11 KWG sind nur zulässig, wenn sie über eine Terminbörse oder mit bonitätsmäßig einwandfreien Vertragspartnern jeweils mit Sitz in einem Land der Zone A gemäß § 1 Abs. 5b KWG abgeschlossen werden. Geschäfte mit inländischen Vertragspartnern sind nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Regeln und Usancen abzuschließen. Vertragspartner in Ausland dürfen nur Institute sein, wobei die Geschäfte nur auf der Basis international anerkannter Standardverträge abgeschlossen werden dürfen.“
5. Risikomanagement 534
Ausgehend von den „Richtlinien für das Risikomanagement im Derivativgeschäft“ des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht vom Juli 1994 sind in Deutschland am 23.10. 1995 durch Verlautbarung die „Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften der Kreditinstitute“ (MaH) erlassen worden. Die MaH sind durch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement („MaRisk“)2 abgelöst worden. Die MaRisk fassen die Einzelregelungen der MaH, der Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft („MaK“) und die Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der Internen Revision („MaIR“) zusammen und ergänzen diese Regelungen um Bestimmungen u.a. zum Zinsänderungsrisiko.
535
Wesentlicher Inhalt der deutschen MaRisk (BA) ist die unmittelbare Verantwortung der Geschäftsleitung für das Risikomanagement, die Einrichtung wissenschaftlich fundierter Risikomess- und Kontrollsysteme, die klare funktionale Trennung von Handel, Abwicklung und Kontrolle, Rechnungswesen und Überwachung sowie eine lückenlose unverzügliche Erfassung und Prüfung sowie Revision aller Geschäfte, ferner die Pflicht zur Erstellung und Aktualisierung von Organisationsrichtlinien, um alle anfallenden Risiken (auch Rechtsrisiken) zu beherrschen. Die vorgesehene Änderung der MaRisk („MaRisk 6.0“) wird im Rahmen des neuen Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe („AbwMechG“) in der Form einer Verordnung vorgenommen werden. Die Neufassung der MaRisk wird gegenwärtig durch ein Konsultationsverfahren (02/2016) der BaFin vorbereitet. Aufgrund der in § 25a Abs. 4 KWG n.F. enthaltenen Ermächtigung werden die neuen Mindestanforderungen in der Form einer Rechtsverordnung erlassen werden. 6. Die Derivateregulierung der Schweiz
536
Die Schweiz ist weder Mitglied der EU oder des EWR noch der G20, doch hat sich die Schweizer Regierung bereits früh auf eine Umsetzung des Pittsburgh-Programms verpflichtet3. Umgesetzt wurde die Derivateregulierung im Rahmen des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (FinfraG), das vom Schweizer Parlament am 19.6.2015 verabschiedet wurde und am 1.1.2016 in Kraft getreten ist4. Die gesetzliche Regelung in den 1 Art. 1 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz, AbwMechG). Der entsprechende Referentenentwurf hieß „SRM-Anpassungsgesetz“. 2 Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk (BA) – Rundschreiben 10/2012 (BA) der BaFin v. 14.12.2012. Die Neufassung der MaRisk wird gegenwärtig durch ein Konsultationsverfahren (02/2016) der BaFin vorbereitet. 3 Kuhn, GesKR 2014, 161 (165). 4 Bundesgesetz v. 19.6.2015 über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturgesetz, FinfraG). Die Botschaft des Bundesrats v. 3.9.2014 findet sich in BBl 2014 7483. Vgl. dazu Bahar, GesKR 2015, 479 ff.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 538 Teil H
Art. 93 bis 117 FinfraG wird ergänzt durch Verordnungen des Bundesrats1 und der Eidg. Finanzmarktaufsicht (FINMA)2. Erklärtes Ziel der Gesetzgebung ist Gleichwertigkeit mit dem EU-Recht, weshalb sich die schweizerische Derivateregulierung bis in die Einzelheiten an EMIR orientiert. Die wichtigste Abweichung zum EU-Recht besteht darin, dass das schweizerische Recht im Anschluss an die US-Regulierung auch bei den Finanziellen Gegenparteien kleine und grosse unterscheidet (FC+ und FC-, Art. 99 FinfraG)3. Dass die Schweiz die EU-Regulierung weitgehend nachvollzieht, hat seinen Grund darin, dass EMIR (ebenso wie die US-Derivategesetzgebung) teilweise extraterritorial anwendbar ist und somit auch Gegenparteien mit Sitz in der Schweiz erfassen kann (Rz. 496 f.) Darüber hinaus setzen die Derivateregulierungen der EU und der USA starke Anreize für den Erlass einer gleichwertigen Gesetzgebung (vgl. Art. 13 Abs. 1 EMIR). So können Infrastrukturanbieter aus der Schweiz in der EU nur tätig werden, wenn sie durch die EU anerkannt werden, was das Vorliegen einer EMIR-äquivalenten Derivateregulierung voraussetzt. Ferner greifen Erleichterungen für gruppeninterne Geschäfte nur dann, wenn die Schweiz über eine äquivalente Gesetzgebung verfügt (Rz. 511 ff.).
537
III. Materielles Vertragsrecht 1. Standardisierung durch Rahmenverträge a) Begriff und Bedeutung Eine Besonderheit von OTC-Derivatgeschäften („Einzelabschlüsse“) liegt in der national wie international vorgenommenen Standardisierung der Verträge. Ganz überwiegend schließen die Parteien OTC-Derivatgeschäfte auf der Grundlage eines „Rahmenvertrages“ (Master Agreement, contrat-cadre) ab4. Die Einzelabschlüsse und der sich darauf beziehende Rahmenvertrag werden zu einem „einheitlichen Vertrag“ (single agreement) zusammengefasst. Ob durch die Einbeziehung der Einzelabschlüsse5 in den Rahmenvertrag ein einheitlicher Vertrag entsteht6 oder nur eine Vertragsverbindung anzunehmen ist7, bleibt streitig. Kürzlich hat der BGH den Beginn der Verjährung von Geschäften, die unter einem Rahmenvertrag abgeschlossen wurden, jeweils auf den Zeitpunkt des Abschlusses des einzelnen Geschäfts festgelegt. Ein einheitlicher Schadensersatzanspruch wegen falscher oder unterlassener Aufklärung, dessen Verjährung erst mit Ablauf des letzten haftungsbegründenden Ereignisses beginne, lasse sich aus der Vereinbarung eines „einheitlichen Vertrages“ durch den Rahmenvertrag (Nr. 1) nicht herleiten8. 1 Verordnung v. 25.11.2015 über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturverordnung, FinfraV). 2 Vgl. Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht vom 3.12.2015 über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturverordnung-FINMA, FinfraV-FINMA). Diese Verordnung legt insbesondere die Derivatekategorien fest, die zentral abzurechnen sind; vgl. Art. 6 f. FinfraV-FINMA. 3 Vgl. Kuhn, GesKR 2014, 161 (169). 4 In einigen Bundesländern wird den Sparkassen dies sogar ausdrücklich vorgeschrieben, vgl. Reiner, sec. 3 Rz. 32. 5 Nr. 1, 2 Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte. 6 Vgl. Böhm, S. 112, 113. 7 Böhm, S. 112 m.N. 8 BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, Rz. 51 ff. = BKR 2015, 370 (376); vgl. Lehmann, der aber die Auffassung des BGH ablehnt, eine Verrechnung zwischen Ansprüchen wegen Pflichtverletzungen der Bank bei Abschluss von Geschäften und Zahlungsansprüchen der Bank aus anderen Geschäften unter demselben Rahmenvertrag, ZBB 2015, 282, 293.
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Teil H Rz. 539 539
Finanzierung
Die Zusammenfassung aller Geschäfte ermöglicht das sog. (Liquidations-) Netting und die daraus folgende Risikominimierung, die insbesondere für Banken mit Hinblick auf deren Eigenkapitalunterlegung von größter Bedeutung ist (Rz. 520 f.)1. Im Insolvenzfall einer Partei wird dadurch auch ein Schutz vor dem Wahlrecht (cherry picking) des Insolvenzverwalters erreicht. Die Verwendung derartiger standardisierter Rahmenverträge ist gelegentlich durch bankaufsichtliche Regelungen ausdrücklich vorgeschrieben2 oder Voraussetzung für die aufsichtsrechtliche Anerkennung des Netting nach der Eigenmittelverordnung (Capital Requirements Regulation, CRR)3. b) Wichtige Rahmenverträge
540
Die international üblichen, aber auch die nationalen Rahmenverträge für OTC-Derivate enthalten alle einschlägigen juristischen Klauseln. International führend ist das Master Agreement der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) von 2002. Seit 2004 steht als Alternative, die sich allerdings bislang nicht durchsetzen konnte, das europäische Master Agreement for Financial Transactions (EMA, European Master Agreement) zur Verfügung4. Überwiegend auf nationaler Ebene werden der deutschrechtliche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRV)5. der Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ nach österreichischem Recht (ÖRV) und die beiden Versionen des Schweizer Rahmenvertrags für OTC-Derivate (SMA 2013)“ nach schweizerischem Recht6 verwendet. Der Text der schriftliche Bestätigung von Einzelabschlüssen enthält in der Regel eine Einbeziehungsklausel in den Rahmenvertrag und im Übrigen nur die wirtschaftlichen Punkte des Geschäfts7.
541
Neben den von Banken entwickelten Rahmenverträgen gibt es u.a. Rahmen- oder Musterverträge der European Federation of Energy Traders (EFET), der Forward Freight Agreement Broker Association (FFABA), der London Metal Exchange (LME) für spezielle OTCDerivategeschäfte und der International Emissions Trading Association (EMTA)8.
542
Zusätzlich werden sog. Master Netting Agreements (MNA) oder Cross Product Master Agreements (CPMA)9 verwendet, welche mehrere Rahmenverträge miteinander zu 1 In Deutschland ausdrücklich Nr. 1 (2) Satz 2 des Rahmenvertrages für Finanztermingeschäfte (DRV). Österreich: § 1 (2) S. 2 ÖRV. Schweiz Art. 1.2 SMA 2013. 2 Z.B. § 4 (3) Satz 2 Pfandbriefgesetz v. 22.5.2005 (Stand 15.7.2014), § 25 (1) DerivateV v. 16.7.2013, BGBl. I 2013,. 2463. 3 V. 26.6.2013, ABl. v. 27.6.2013 L 176, S. 1, welche die Großkredit- und Millionenkreditverordnung (GroMiKV), § 6 Satz Nr. 1, insofern abgelöst hat. 4 Herausgegeben von den drei europäischen Kreditinstituts-Vereinigungen, Bankenvereinigung der Europäischen Union, Europäische Sparkassenvereinigung und Europäische Vereinigung der Genossenschaftsbanken; www.fbe.be. Der EMA wird regelmäßig von der EZB verwendet. Erst seit 2004 gibt es einen Produktanhang für Derivategeschäfte und Zusätze „Zinsderivate“, „Devisengeschäfte“ und „Optionsgeschäfte“. Das EMA hat aber nicht die erwünschte Verbreitung erfahren. 5 Vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 35. 6 Neufassung im Jahre 2013 („Swiss Master Agreement“, SMA, in zwei Fassungen). 7 Der Einzelabschluss ist auch ein Vertrag, wird aber aus rein terminologischen Gründen im DRVRahmenvertrag nicht als „Vertrag“ bezeichnet. Es gibt auch Vertragsklauseln, insbesondere in Bezug auf FX-Derivate, welche diese Geschäfte pauschal in einen bestehenden Rahmenvertrag einbeziehen, wenn die Einzelbestätigung (z.B. durch SWIFT) keine Bezugnahme auf den Rahmenvertrag enthält. Die Einbeziehung produktspezifischer Regelungen (Anhänge oder Definitions) wird durch Vereinbarung im Rahmenvertrag oder im Einzelabschluss/Einzelbestätigung) vorgenommen. 8 Es werden auch schon bitcoin-swaps gehandelt, ein standardisiertes Vertragsmuster liegt vor. TeraExchange hat von der CFTC die Zulassung zum börsenmäßigen Clearing von bitcoin-swaps erhalten, LedgerX hat eine solche Genehmigung beantragt. 9 Herausgegeben von den internationalen Finanzvereinigungen TBMA, BBA, EMTA, FX Committee; IDA, IPMA, ISDA, JSDA und LIBA. Das CPMA hat auch als Vorbild für das EFET Cross-Product-Master-Netting Agreement gedient, vgl. Fried in Zerey § 22 Rz. 2 Fn. 474.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 547 Teil H
einem neuen einheitlichen Vertrag verbinden und ein umfassenderes Netting ermöglichen1. Der EFET-MNA kann englischem oder deutschem Recht unterstellt werden. c) Allgemeine Geschäftsbedingungen Der deutschrechtliche Rahmenvertrag und seine Anhänge enthalten vorformulierte Vertragsbedingungen, die für alle nach Abschluss des Rahmenvertrages vereinbarten Derivatgeschäfte gelten sollen. Diese Vertragsbedingungen sind daher grundsätzlich Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) i.S.d. §§ 305 ff. BGB2.
543
Im Verhältnis von deutschen Kreditinstituten zueinander können diese Vertragsbedingungen nicht als „gestellt“ i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden, da sie von den Banken und ihren Verbänden entwickelt worden sind.
544
Die Regelungen der §§ 305 Abs. 2 und 3 (Einbeziehung von AGB in einen Vertrag), 308 (Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit) und 309 (Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit) BGB finden nach § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung auf solche AGB, die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden. Davon unberührt bleibt die Folge der Unwirksamkeit von AGB aufgrund mangelnder Transparenz nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB. Im Verhältnis zu allen deutschen oder ausländischen Nicht-Kreditinstituten hält Krämer daher eine Aufklärung für erforderlich3. In diese Lage kann auch ein ausländisches Kreditinstitut kommen, das den deutschen Rahmenvertrag gegenüber deutschen Unternehmen verwendet, z.B. weil diese die Unterzeichnung eines ISDA Rahmenvertrages ablehnen.
545
Die Verwendung des deutschen Rahmenvertrages durch deutsche Kreditinstitute gegenüber ausländischen Banken kommt nicht so häufig vor wie die Vereinbarung des 1992/2002 ISDA Rahmenvertrages. Immerhin gelingt es deutschen Kreditinstituten gelegentlich, den deutschen Rahmenvertrag und deutsches Recht gegenüber Banken aus benachbarten Ländern durchzusetzen. Diese Banken haben einen hohen Kenntnisstand in Bezug auf Rahmenverträge, z.B. weil ihr nationaler Rahmenvertrag sehr ähnlich formuliert ist (Österreich) oder sie selbst eine Tochtergesellschaft eines deutschen Kreditinstituts sind (Luxemburg). In diesen Fällen dürfte sich eine Aufklärung wegen bestehender Transparenz der Vertragsbestimmungen erübrigen4.
546
Problematisch aus AGB-rechtlichen Gründen ist am ehesten die Verwendung des deutschen Rahmenvertrages gegenüber Privatpersonen. Die Kreditinstitute müssen bei Erfüllung ihrer Aufklärungs- und Verhaltenspflichten nach §§ 31, 32, 37d WpHG gegenüber dem Kunden auch die Regelungen des Rahmenvertrages ausreichend erläutern. Die Regelungen selbst dürften nicht als unangemessen zu qualifizieren sein, zumal sie in den meisten Fällen wechselseitig gelten. 2. Beschränkungen der Wirksamkeit von Derivategeschäften Das mit diesen Geschäften verbundene Risiko, insbesondere bei Handelsgeschäften, die nicht unmittelbar der Absicherung eines anderen Geschäfts dienen, und die Möglichkeit, spekulativ vorzugehen5, hat bewirkt, dass gesetzliche Beschränkungen der Wirksamkeit dieser Geschäfte entgegenstehen können. Diese Regelungen stellen auf die Person des Handelnden ab. In Bezug auf Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaf1 2 3 4 5
Vgl. Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, § 104 Rz. 161; Fried in Zerey § 22 Rz. 2. Krämer, S. 449; BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13 – Rz. 26, BKR 2015, 370 (372). Krämer, S. 471. Krämer, S. 473. Berühmt-berüchtigt ist der Ausspruch des Hedge Fund-Gurus Warren Buffett, derivative Finanzinstrumente seien finanzielle Massenvernichtungswaffen, vgl. Handelsblatt v. 8.3.2004, 37.
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Teil H Rz. 548
Finanzierung
ten, Investmentaktiengesellschaften und Pfandbriefbanken bestehen besondere aufsichtliche Beschränkungen (Rz. 522 ff.). a) Privatrechtliche Unternehmen und Privatpersonen 548
Die fehlende ausdrückliche Zulassung des Abschlusses von Derivatgeschäften in der Satzung einer Gesellschaft hindert nach deutschem Gesellschaftsrecht nicht die Wirksamkeit eines von dieser Gesellschaft abgeschlossenen Derivategeschäfts1. Andererseits ist der rein spekulative Abschluss von Termingeschäften mit den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns i.S.d. § 91 Abs. 1 AktG nicht vereinbar. Kreditinstitute, die erkennbare Spekulationsgeschäfte mit einer Aktiengesellschaft abschließen, setzen sich dem Risiko aus, schadensersatzpflichtig zu werden. Nach § 91 Abs. 2 AktG ist der Vorstand verpflichtet, ein Risikofrüherkennungssystem und ein Risikoüberwachungssystem einzurichten2, auch um Zins-, Preis- und Währungsrisiken zu kontrollieren.
549
Bei Privatpersonen war von den Kreditinstituten bis zur Neuregelung verschiedener finanzmarktlicher Vorschriften durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz3 vor allem zu beachten, ob diese den Spiel- und Wetteinwand nach § 762 BGB oder den Differenzeinwand nach § 764 BGB erheben konnten. Auch nach der Neuregelung gelten die früheren Bestimmungen fort für Derivatgeschäfte, die vor Inkrafttreten des 4. Finanzmarktförderungsgesetz am 1.7.2002 abgeschlossenen wurden4.
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Das 4. Finanzmarktförderungsgesetz hat das Börsentermingeschäft abgeschafft und durch den Begriff des Finanztermingeschäfts5 ersetzt. Zugleich ist § 764 BGB (Differenzeinwand) aufgehoben worden. Den Spiel- und Wetteinwand nach § 762 BGB bei nicht erfüllten Finanztermingeschäften kann eine Privatperson gegenüber einem Kreditinstitut nicht mehr erheben6. Die Wirksamkeit des Derivategeschäfts im Geschäftsverkehr mit Kreditinstituten ist somit gesichert. Der Kunde kann Nachteile, die ihm entstanden sind, grundsätzlich nur wegen Verletzung der Aufklärungs- und Verhaltenspflichten durch das Kreditinstitut geltend machen7.
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In Österreich sind nach § 1270 ABGB Geschäfte, denen gegenüber der Einwand erhoben werden kann, dass dem Anspruch ein als Spiel oder Wette zu beurteilendes Diffe1 Karsten Schmidt, § 8 V 2, S. 214, zur Rechtslage im angloamerikanischen Rechtskreis: a.a.O. 2 Hefermehl/Spindler in MünchKomm/AktG, § 91 Rz. 14 ff. 3 BGBl. I 2002, 2010; vgl. Schlüter, Börsenhandelsrecht, Rz. 1298 ff.; Fleischer, Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, NJW 2002, 2977; Schäfer/Lang, Zur Reform des Rechts der Börsentermingeschäfte, BKR 2002, 197; Casper, Das neue Recht der Termingeschäfte, WM 2003, 161; Melzer, Zum Begriff des Finanztermingeschäfts, BKR 2003, 366. 4 Schlüter, Börsenhandelsrecht, Rz. 1259. 5 Auf eine gesetzliche Definition wurde bewusst verzichtet; zur Definition des Begriffs, der vom Börsentermingeschäft in wichtigen Punkten abweicht, Casper, WM 2003, 163 f. 6 Vgl. § 37e WpHG, der das österreichische Vorbild in § 1 Abs. 1 Nr. 7 Bankwesensgesetz aufgegriffen hat. 7 Hierzu gibt es eine große Anzahl von Gerichtsentscheidungen. Der BGH hat in seiner CMS Spread Ladder Swap-Entscheidung v. 22.3.2011 (BGHZ 189, 13) den Kreditinstituten im Verhältnis zu Kunden weitreichende Aufklärungspflichten auferlegt. Die Entscheidung hat vielfach Zustimmung und Ablehnung erfahren. Darstellung aus Sicht des entscheidenden Senats: Wiechers, Aktuelle Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH, WM 2012, 477. Abl. Nobbe, BKR 2011, 302, 303; Zeller/Koch, RdF 2011, 246; zust. Köndgen, BKR 2011, 283; Roberts DStR 2011, 1231. Auf die kommunalrechtlichen Bindungen einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft wie Stadtwerken braucht eine Bank nicht hinzuweisen, BGH, Beschl. v. 21.3.2006 – XI ZR 116/05. In zwei folgenden Entscheidungen mit unterschiedlichem Sachverhalt hat der BGH u.a. ausgeführt, dass es keiner Aufklärung über einen negativen Marktwert bedürfe, wenn die beratende Bank nicht zugleich Vertragspartnerin des Swap-Vertrages sei (v. 20.1.2015 – XI ZR 316/13) oder wenn der Swap-Vertrag der Absicherung gegenläufiger Zins- und Währungsrisiken aus konnexen Grundgeschäften diene (v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13).
1022 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 555 Teil H
renzgeschäft zugrunde liege, nicht durchsetzbar. Seit dem 1.8.1998 ist dieser Einwand nach § 1 Abs. 5 Bankwesengesetz unzulässig, sofern zumindest eine Vertragspartei zur gewerblichen Durchführung von Bankgeschäften berechtigt ist. OTC-Derivate, die nicht unter die Definition des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Bankwesengesetz fallen1, sind jedoch nach der Rechtsprechung dann durchsetzbar und keine einredebehafteten Differenzgeschäfte, wenn sie einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund haben (z.B. Absicherung gegen finanzielle Risiken).
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Auch nach schweizerischem Recht entstehen aus „Differenzgeschäften und solchen Lieferungsgeschäften über Waren- oder Börsenpapiere, die den Charakter eines Spiels oder einer Wette haben“ keine Forderungen (Art. 513 Abs. 2 OR). OTC-Derivate fallen grundsätzlich unter den Begriff der Differenzgeschäfte2. Bei Absicherungsgeschäften fehlt gerade die Spekulationsabsicht; bei dem Handel unter professionellen Marktteilnehmern dürfte das Element der Absicherung vorliegen3.
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Die Derivatgeschäfte einer Aktiengesellschaft unterliegen keinerlei direkten Verbotsnormen4. Der Verwaltungsrat ist allerdings gehalten, sich zu informieren, bevor er Entscheidungen über den Einsatz von Derivaten trifft. Entscheidungen ohne eine solche Information können zur zivilrechtlichen Haftung führen5. Die Geschäftsleitung kann auch dann spekulativ handeln und schadensersatzpflichtig6 werden, wenn sie keine Vorsorge gegenüber erkennbaren Terminrisiken trifft, z.B. keine Absicherungsgeschäfte gegen einen drohenden Kursverfall einer ausländischen Währung tätigt7.
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b) Bund, Länder und Gemeinden Die „Ultra-Vires-Lehre“ gilt bei Kapitalgesellschaften unstreitig nicht8. Der Grundsatz der unbeschränkten Vertretungsmacht wird aber beschränkt durch das Rechtsinstitut des Missbrauchs der Vertretungsmacht9. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts war es streitig, ob sie, zumindest in eingeschränkter Form, anzuwenden ist10. Der Wirkungskreis des Bundes, und der Bundesländer und der Gemeinden ist nicht beschränkt. Eine Überschreitung des zugewiesenen Wirkungskreises wird bei juristischen Personen der mittelbaren Staatsverwaltung (regionale Gebietskörperschaften u.a.) dann angenommen, wenn ein konkreter Bezug zu einem Kreditbestand fehle11, insbesondere bei reinen Spekulationsgeschäften12. In seinem Urteil vom 28.4.2015 hat sich der BGH für die Wirksamkeit der Derivategeschäfte wegen des gem. Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierten Rechts der Gemeinden zur Selbstverwaltung, das ihren Abschluss umfasse, ausgesprochen13. 1 Z.B. Wetterderivate, vgl. Rz. 486 und Fn. 8. 2 Häusler, S. 311. 3 Es wird grundsätzlich vermutet, dass ein betreffendes Termingeschäft nicht mit Spielabsicht geschlossen worden sei, Giger, S. 218. 4 Giger, S. 195, 196. 5 Giger, S. 196. 6 Nach Art. 754 OR. 7 Giger, S. 186, 187 u. Hinw. auf den Fall Brane v. Roth, 590 N.E.2d 587 (1992). 8 Vgl. Lehmann, BKR 2008, 488 (489); Reiner, sec. 3 Rz. 18. 9 Reiner, a.a.O., Rz. 19; Jahn in Bankrechtshandbuch, § 114 Rz. 97. 10 Der BGH hat in dem „Ennepetal-Fall“ die Anwendbarkeit der Ultra-Vires-Lehre verworfen, BGH – XI ZR 378/13, Leitsatz 1. Zu dem früheren Diskussionsstand: Krämer, S. 312 ff.; gegen die Anwendung der Ultra-Vires-Lehre allgemein: Lehmann, BKR 2008, 488 (489); Schmitt/Geier, WM 2014, 1902 (1903 ff.) wegen mangelnder gesetzlicher Grundlage, Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt und der Unvereinbarkeit mit der Rechtsfolgenfehlerlehre des VwVfG. 11 Reiner, Sec. 3 Rz. 26. 12 Reiner, Sec. 3 Rz. 27. 13 BGH – XI ZR 378/13 Rz. 59, S. 28.
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Jahn 1023
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Teil H Rz. 556 556
Finanzierung
Bei Spekulationsgeschäften wird wegen des allgemeinen Spekulationsverbots diskutiert, ob diese wegen Gesetzverstoßes nach § 134 BGB nichtig seien1. In dem oben genannten Urteil hat sich der BGH der Meinung angeschlossen, dass das anwendbare Gemeinderecht kein nach § 134 BGB wirksames Spekulationsverbot enthalte2. Mehrere Bundesländer haben in den letzten Jahren in ihren Haushaltsgesetzen ausdrückliche Ermächtigungen zum Abschluss neuer Finanzierungsinstrumente geschaffen. Konnexe Derivatgeschäfte, d.h. Geschäfte, die nur Absicherungszwecken dienen, sind unstreitig wirksam. Diese Grundsätze gelten auch für die Gemeinden. Für sie bestehen eine Reihe von Vorschriften („Derivate-Erlasse“)3, bei deren Beachtung der Abschluss von konnexen Derivatgeschäften wirksam ist4. Sachsen hat eine ausdrückliche Verwaltungsvorschrift zur kommunalen Haushaltswirtschaft5 erlassen, mit der spekulative Geschäfte verboten werden6. In der Regelung wird auch der Begriff „Konnexität“ definiert. In Hessen soll eine vergleichbare Regelung durch Änderung der Hessischen Gemeindeordnung eingeführt werden. c) Landesbanken, Sparkassen und sonstige öffentlich-rechtliche Organismen
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Der Wirkungskreis von Landesbanken (in der Form einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts) ergibt sich aus ihren Satzungen. Hierin wird das Betreiben von Bankgeschäften ausdrücklich genannt. Derivate sind nach deutschem Recht keine Bankgeschäfte7. Es wird jedoch allgemein angenommen, dass Landesbanken, auch ohne ausdrückliche Erwähnung in der Satzung, bankübliche Geschäfte, und damit Derivate, tätigen können8. 1 Ablehnend: Lehmann, BKR 2008, 488 (489); Schmitt/Geier, a.a.O.; Reiner, Sec. 3 Rz. 25; oder wegen Sittenwidrigkeit, vgl. Lehmann BKR 2008, 488 (490); LG Dortmund, Urt. v. 5.7.2013 – 6 O 205/12. 2 BGH – XI ZR 378/13 Rz. 67, S. 31 ff.; im vorliegenden Falle sei auch keine Nichtigkeit nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit der Geschäfte gegeben, weil die Bank es nicht von darauf angelegt hatte, den Kläger von vornherein chancenlos zu stellen, Rz. 70, 71, S. 32, 33. 3 Vgl. Jahn in Bankrechtshandbuch, § 114 Rz. 126; Bücker, S. 209, Krämer, S. 319 ff. 4 Zur Aufklärungspflicht über öffentl.-rechtl. Beschränkungen der Kommunen i.F. einer GmbH, die zu 100 % von einer Kommune gehalten wird, OLG Naumburg, ZIP 2005, 1546, und – verneinend – BGH, Beschl. v. 21.3.2006 – XI ZR 116/05. 5 VwV Kommunale Haushaltswirtschaft – VwV KommHHWi vom 9.2.2012, Sächs. Amtsblatt Nr. 9 v. 1.3.2012, S. 244. 6 Die Bestimmung trägt den Titel „Spekulative Finanzgeschäfte“ und lautet wie folgt: „Kommunale Gebietskörperschaften dürfen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen keine spekulativen Finanzgeschäfte abschließen. Spekulativ sind solche Finanzgeschäfte, die, ohne Geldanlagen i.S.d. § 89 Abs. 3 SächsGemO zu sein, objektiv auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Daher sind derivative Zinsgeschäfte, die abgeschlossen werden, um sich gegen das Zinsänderungsrisiko aus Kreditgeschäften abzusichern (Zinssicherungsgeschäfte), zulässig, soweit sich eine Unzulässigkeit nicht aus anderen Rechtsgründen ergibt. Alle anderen derivativen Zinsgeschäfte (Zinsoptimierungsgeschäfte) verstoßen gegen das Spekulationsverbot und sind daher unzulässig. Ein Zinssicherungsgeschäft liegt dann vor, wenn zwischen Grundgeschäft und Derivatgeschäft Konnexität besteht, das heißt, wenn sich aus einem oder mehreren Darlehensverträgen der Kommune deshalb ein Zinsänderungsrisiko ergibt, weil entweder variable Zinsen vereinbart wurden oder kurzfristige Darlehen aufgenommen werden, obwohl ein längerfristiger Finanzierungsbedarf besteht und das Derivatgeschäft die Kommune gegen das sich daraus ergebende Zinsänderungsrisiko, zumindest teilweise, absichert. Eine Genehmigungspflicht für derivative Zinsgeschäfte besteht nicht.“ 7 Sie werden in § 1 KWG nicht aufgeführt (anders dagegen § 1 Nr. 7 österr. BankwesenG). 8 Vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 111, a.A. Koenig, Zur Anwendbarkeit der Ultra-vires-Lehre im Falle des Überschreitens der gesetzlich begrenzten Aufgaben öffentlicher Kreditanstalten am Beispiel einer Landesbank, WM 1995, 317 (323). Diese Auffassung steht im Gegensatz zur heute herrschenden Auffassung, vgl. Reiner, Sec. 3 Rz. 29 f., der aber eine Gestaltungsmacht für „echte“ Spekulationsgeschäfte verneint, und dann zur Anwendbarkeit der Ultra-ViresLehre kommt; a.A. Schmitt/Geier, WM 2014, 1900, 1904 ff. vgl. Fn. 126. Gegen die Anwendung
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 561 Teil H
Die Sparkassengesetze der Bundesländer enthalten z.T. ausdrückliche Ermächtigungen, durch Rechtsverordnung den Sparkassen Beschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit vorzuschreiben1. Die Sparkassenverordnung von Nordrhein-Westfalen, die derartige Beschränkungen enthielt (vgl. 1. Aufl. Rz. 480), ist durch § 46 NRW SpkG v. 18.11.2008 aufgehoben worden. Die Verletzung aufsichtsrechtlicher Beschränkungen führt nicht zur Nichtigkeit der Geschäfte2.
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Andere öffentlich-rechtliche Kreditinstitute (z.B. die Bausparkassen, die Landwirtschaftliche Rentenbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau) dürfen Derivate als bankübliche oder als Hilfsgeschäfte tätigen. Die Verletzung von aufsichtsrechtlichen Beschränkungen führt nicht zur Nichtigkeit der entsprechenden Derivate3.
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3. Eingriffe in vertragliche Kündigungs- und Beendigungsrechte a) Internationale Standards und Umsetzung in der EU Die Finanzkrise 2007/2009 hat ebenfalls gezeigt, dass die Ausübung von vertraglichen Beschleunigungs-, Kündigungs- und Beendigungsrechte in Derivateverträgen die Sanierung oder ordentliche Abwicklung von Banken beeinträchtigen kann. Die vom Finanzstabilitätsrat (FSB) vorgelegten Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions4 sehen deshalb vor, dass die Eröffnung eines Sanierungs- oder Abwicklungsverfahren die Gegenpartei nicht berechtigt, vorzeitige Beendigungsrechte (early termination rights) auszuüben, sofen die Partei im Sanierungs- oder Abwicklungsverfahren ihren materiellen Verpflichtungen nach dem Derivatevertrag nachkommt (KA 4.3). Ferner soll die Abwicklungsbehörde das Recht haben, das Recht zur Ausübung von vorzeitigen Beendigungsrechten für eine kurze Zeit auszusetzen.
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Die EU hat entsprechende Regelungen in der Banken-Sanierungs- und Abwicklungsrrichtlinie (Bank Recovery and Resolution Directive; BRRD)5 vorgeschrieben. Art. 71 BRRD sieht die Befugnis zur vorübergehenden Aussetzung von Kündigungsrechten vor, und zwar ab der öffentlichen Bekanntgabe der Aussetzung bis Mitternacht des auf diese Bekanntgabe folgenden Geschäftstags in dem Mitgliedstaat, sofern die Zahlungs- und Leistungsverpflichtungen und die Stellung von Sicherheiten weiterhin erfüllt werden (Art. 71 Abs. 1 BRRD). Ein Kündigungsrecht kann vor Ablauf dieser Frist
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der Ultra-Vires-Lehre zuletzt BGH XI ZR 378/13 v. 28.4.2015, BKR 2015, 370; WM 2015, 127 s. auch Fn. 132. Im Bundesland Rheinland-Pfalz durch § 4 (1) des Sparkassengesetzes vom 1.4.1982 in der Fassung vom 17.6.2008: Das fachlich zuständige Ministerium wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem für das Kommunalrecht zuständigen Ministerium durch Rechtsverordnung (Sparkassenverordnung) zu bestimmen, dass Sparkassen bestimmte bankübliche Geschäfte nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen betreiben dürfen, sofern dies zur Beschränkung des Geschäftsrisikos erforderlich ist. Dabei können Kredite, Anlagen in Wertpapieren und Forderungen sowie Beteiligungen beschränkt werden.“ Vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 112; a.A. Reiner, Sec. 3 Rz. 31. Ein gesetzliches Verbot enthält § 72 Abs. 2 Satz 2 Sächsische Gemeindeordnung. Insoweit weicht die Lage von dem Sachverhalt des BGH-Urteils v. 28.4.2015 ab, das sich auf Swap-Geschäfte der Gemeinde Ennepetal in Nordrhein-Westfalen bezieht. In NRW enthält die Gemeindeordnung kein entsprechendes gesetzliches Verbot. Vgl. Lehmann, ZBB 2015, 282 (284). Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 113, 115, 116. „FSB-Kernelemente“, vgl. Dombret, Aktuelle Aspekte der Finanzstabilität: Neue Abwicklungsregeln für Banken, Münsteraner Bankentage 2012. Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. v. 12.6.2014 Nr. L 173, S. 190 ff.
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Jahn 1025
Teil H Rz. 562
Finanzierung
ausgeübt werden, wenn die unter den Vertrag fallenden Rechte und Verbindlichkeiten nicht auf ein anderes Unternehmen übertragen werden oder Gegenstand eines Bail-in sind (Art. 71 Abs. 1 BRRD). 562
Deutschland hat inzwischen ein entsprechendes Umsetzungsgesetz1 in Kraft gesetzt. Bereits vorher hatte Deutschland mit dem Restrukturierungsgesetz (KredReorgG)2, das am 1.1.2011 in Kraft getreten ist, auf nationaler Basis ein Sanierungsverfahren für systemrelevante Kreditinstitute eingeführt, die von einer erheblichen Krise betroffen sind. Misslingt die Sanierung oder hätte ein Sanierungsplan nur geringe Aussicht auf Erfolg, kann das Unternehmen ein sog. Reorganisierungsverfahren beantragen, das dem Insolvenzplanverfahren ähnelt3.
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Für Derivategeschäfte von Bedeutung ist § 13 KredReorgG, der ein Beendigungsverbot für Schuldverhältnisse einführt4. Das Verbot erstreckt sich sowohl auf Kündigungserklärungen als auch auf sog. automatische Beendigungen5. Ob ein solches Verbot in der Praxis Wirkungen entfaltet, hängt im Wesentlichen von der Vertragsgestaltung ab. Haben die Parteien z.B. ein ISDA Master Agreement mit der Geltung englischen Rechts und einem englischen Gerichtsstand vereinbart, ist die Regelung nach § 340 InsO vorrangig6. Im Falle einer Besicherung der Derivate-Transaktionen wird nach § 23 KredReorgG das betreffende Schuldverhältnis von dem Verbot ausgenommen7. Die Wirksamkeit von automatischen Beendigungsklauseln ist allerdings jüngst durch einer Entscheidung des BGH in Frage gestellt worden. In dem Urteil vom 9.6.2016 hat der BGH entschieden, dass eine Abrechnungsvereinbarung, die Parteien von Aktienoptionsgeschäften, die deutschem Recht unterliegen, für den Fall der Insolvenz getroffen haben und die § 104 InsO widerspricht, insoweit unwirksam ist8. Es ging im konkreten Fall um den Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRV), der in Nr. 7 Abs. 2 die automatische Beendigung im Insolvenzfall vorsieht. Der BGH kam zu dem Schluss, dass der in § 104 InsO geregelte Ausgleichsregime im Insolvenzfall gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig sei (ex § 119 InsO). Die BaFin hat nun am 1 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz), BGBl. I, 2091. 2 Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz), BGBl. 2010, Teil I, 1900 ff.; geändert durch Art. 6 des BRRD-Umsetzungsgesetzes. 3 Vgl. Schuster/Westpfahl, Neue Wege zur Bankensanierung – Ein Beitrag zum Restrukturierungsgesetz, Der Betrieb 2011, 221. 4 Vgl. Fried in Zerey, § 15 Rz. 2 ff., 10 ff. § 13 KredReorgG lautet: „Schuldverhältnisse mit dem Kreditinstitut können ab dem Tag der Anzeige nach § 7 Abs. 1 bis zum Ablauf des folgenden Geschäftstages i.S.d. § 1 Abs. 16b des Kreditwesengesetzes nicht beendet werden. Eine Kündigung gegenüber dem Kreditinstitut ist in diesem Zeitraum ausgeschlossen. Die Wirkung sonstiger in diesem Zeitraum eintretender Beendigungstatbestände ist bis zu seinem Ablauf aufgeschoben. Abweichende Vereinbarungen sind unwirksam. Dies gilt nicht für Gläubiger von Forderungen aus Schuldverhältnissen nach § 12 Abs. 2.“ 5 Nr. 7 DRV, ISDA Master agreement: „automatic early termination“, sofern von den Parteien im Schedule gewählt. 6 Vgl. Fried in Zerey, § 15 Rz. 17 ff. 7 So Fried, a.a.O., Rz. 19; Die Änderungen der Finanzsicherheiten-Richtlinie in Art. 1 (6) durch Art. 118 BRRD scheinen nach dem Wortlaut des Art. 118 nicht das Reorganisationsverfahren zu betreffen; ebenso die Regelung in Art. 117. Ob § 13 KredReorgG eine Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Rom I-VO darstellt, ist zweifelhaft, zumal die BRRD keine entsprechende Regelung wie in Art. 68 (6) enthält und das BRRD-UmsetzungsG bei Änderung des KredReorgG keine ausdrückliche Regelung in das KredReorgG aufgenommen hat. 8 BGH, Urt. v. 9.6.2016 – IX ZR 314/14.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 567 Teil H
Tage der Urteilsverkündung mittels einer Allgemeinverfügung die Rechtswirksamkeit von Nettingvereinbarungen festgestellt, um zu gewährleisten, dass die gängigen Rahmenverträge auch weiterhin im Markt un von den Aufsichtsbehörden anerkannt werden1. Das BRRD-UmsetzungsG integriert bereits vorhandenen Regelungen und setzt alle Anforderungen der bis zum 31.12.2014 umzusetzenden BRRD-Richtlinie um. Kernstück des BRRD-Umsetzungsgesetzes ist Art. 1, das Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (Sanierungs- und Abwicklungsgesetz – SAG). Die Regelungen des KredReorgG sind in Art. 6 leicht abgeändert worden. Im Kreditwesengesetz sind noch „Maßnahmen in besonderen Fällen“ verblieben, zu denen insbesondere das Moratorium gem. § 46 Abs. 1 KWG gehört. Mangels ausdrücklicher entgegenstehender gesetzlicher Regelungen bleibt die Möglichkeit bestehen, ein Moratorium als Kündigungsgrund im Sinne eines „wichtigen Grundes“ nach DRV auszulegen.
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Das SAG regelt zwei Phasen eines in eine Krise geratenen Instituts. In der Sanierungsphase sollen eine Reihe von Maßnahmen (frühzeitiges Eingreifen) das Institut erhalten. In der Abwicklungsphase soll ein geordnetes Verfahren Marktstörungen und überproportionale Verluste vermeiden helfen. Ähnlich wie im KredReorgG werden zum Schutz der Frühinterventions- und Abwicklungsmaßnahmen die Beendigungsrechte der Vertragspartner von Derivategeschäften und -rahmenverträgen eingeschränkt. § 144 SAG bestimmt in Abs. 1, dass eine Maßnahme nach SAG „nicht als Verwertungs- oder Beendigungsfall oder als Insolvenzverfahren“2 gelte, „wenn die Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag und die Pflicht zur Stellung von Sicherheiten weiterhin erfüllt werden.“3 Abs. 3 verhängt dann die sog. Kündigungssperre4.
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Die Privilegierung von Verträgen, die durch Hingabe von Finanzsicherheiten besichert werden5, entfällt aufgrund einer Änderung der Finanzsicherheitenrichtlinie (Hinzufügung eines Abs. 6 zu Art. 1) durch Art. 118 BRRD6. Die weitere Privilegierung durch § 340 Abs. 2 InsO (entstanden aus der Umsetzung des Art. 25 der RL 2001/24/EG) dürfte durch Art. 117 Nr. 3 BRRD entfallen7.
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b) Vertragliche Gestaltung (ISDA 2014 Resolution Stay Protocol) Hoheitliche Eingriffe in vertragliche Kündigungs- und Beendigungsrechte sind in ihrer Wirksamkeit zunächst einmal auf das Territorium des Staates beschränkt, der diese Eingriffe anordnet. Im Ausland bedarf eine solche Maßnahme der Anerkennung. Im Verhältnis der EU- und EWR-Mitgliedstaaten untereinander wird diese Wirkungserstreckung durch die Richtlinie 2001/24/EG8 erreicht. Diese sieht die gegenseitige Anerkennung und den Vollzug von Beschlüssen in allen Mitgliedstaaten vor, die die Sanierung und Liquidation von Instituten mit Zweigstellen in Mitgliedstaaten betref1 BaFin v. 9.9.2016, Allgemeinverfügung zu Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts. Die Allgemeinverfügung wurde auf Grundlage von § 4a WpHG erlassen. 2 Im Sinne der Richtlinie 98/26/EG (Finalitätsrichtlinie). 3 Eine Aussetzung oder Beschränkung nach §§ 82–84 SAG gilt nicht als Nichterfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflichten. 4 Nr. 1: „Kündigungs-, Aussetzungs-, Änderungs-, Zurückbehaltungs-, Verrechnungs- oder Aufrechnungsrechte“ dürfen nicht ausgeübt werden. 5 Dies ist heute im grenzüberschreitenden Verkehr überwiegend üblich und wird durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen noch verstärkt. 6 Im Einzelnen hierzu Fried in Zerey, § 15 Rz. 51. 7 So Fried in Zerey, § 15 Rz. 50. 8 Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. Nr. L 125 v. 5.5.2001, S. 15.
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Jahn 1027
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Teil H Rz. 568
Finanzierung
fen, in denen sie nicht ihren Sitz haben. Im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz fehlt es bislang an einer Rechtsgrundlage für die Durchsetzung von hoheitlichen Anordnungen, mit denen vertragliche Kündigungs- und Beendigungsrechte eingeschränkt werden. 568
Um diese Lücke zu schließen, hat ISDA auf Drängen der Aufsichts- und Abwicklungsbehörden 2014 das Resolution Stay Protocol ausgearbeitet1. Mit dem Beitritt zu diesem Protokoll können ISDA-Vertragsparteien nationale gesetzliche Regelungen in G20-Staaten über eine Kündigungssperre vertraglich vereinbaren. Die Gerichte von vertraglich vereinbarten Gerichtsständen (insbesondere England und New York) brauchen dann nur nach dem vereinbarten Vertragswortlaut zu entscheiden, und nicht auch über die Anwendbarkeit ausländischer gesetzlicher Regelungen.
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Um auch international gebräuchlichen Rahmenverträge für Wertpapierdarlehen, und Wertpapierpensionsgeschäfte und vergleichbare Rahmenverträge einbeziehen zu können, hat ISDA in enger Absprache mit dem Finanzstabilitätsrat (FSB, Financial Stability Board) ein 2015 Universal Resolution Stay Protocol entwickelt, welches das 2014 ISDA Resolution Stay Protocol ersetzt. Dem neuen, am 4.11.2015 veröffentlichten Protocol waren am 12.11.2015 bereits 199 Verwender (die 21 größten Finanzinstitute und ihre wichtigsten Tochtergesellschaften) beigetreten. Gemeinsam mit ICMA (International Capital Market Association), ISLA (International Securities Lending Association) und SIFMA (Securities Lending Industry and Financial Markets Association) ist ein spezieller SFT Annex (Securities Financing Transactions Annex) zu dem 2015 ISDA Resolution Stay Protocol entwickelt worden, um den Besonderheiten dieser Geschäfte Rechnung zu tragen. Mit einem weiteren Klauseltext, dem am 5.5.2016 vorgestellten Resolution Stay Jurisdictional Modular Protocol, ermöglicht ISDA allen Marktteilnehmern eine differenzierte Vereinbarung einer Kündigungssperre je nach dem zur Anwendung kommenden staatlichen Recht. c) Gesetzliche Verpflichtung zu bestimmter vertraglicher Gestaltung in Deutschland
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Durch einen neu eingefügten § 60a SAG2 werden Institute und gruppenangehörige Unternehmen verpflichtet: „In Finanzkontrakten, die dem Recht eines Drittstaats unterliegen oder für welche ein Gerichtsstand in einem Drittstaat besteht, vertragliche Bestimmungen aufzunehmen, durch welche die Gegenpartei anerkennt, dass die Bestimmungen zur vorübergehenden Aussetzung von Beendigungsrechten und sonstigen vertraglichen Rechten nach den §§ 82 bis 84, 144 Absatz 3 und 169 Absatz 5 Nummern 3 und 4 auf die Verbindlichkeit des Instituts oder gruppenangehörigen Unternehmens angewendet werden können und sich mit einer in Ausübung der Befugnisse nach den §§ 82 bis 84, 144 Absatz 3 und 169 Absatz 5 Nummern 3 und 4 ergehenden Aussetzung von Beendigungsrechten und sonstigen vertraglichen Rechten einverstanden erklärt.“
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Die Verpflichtung nach Abs. 2 „gilt nicht für Verbindlichkeiten, die vor dem 1.1.2016 begründet wurden, es sei denn, die betroffene Verbindlichkeit ist in eine Saldierungsvereinbarung einbezogen.“ Sie kann durch individuelle Vereinbarung oder durch Beitritt zu dem ISDA Resolution Stay Protocol erfüllt werden.
1 Vgl. dazu Schiltknecht/Billeter, SZW 2015, 108 ff. 2 Art. 1 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz, AbwMechG). Der entsprechende Referentenentwurf hieß „SRM-Anpassungsgesetz“.
1028 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 577 Teil H
IV. Internationales Zivilverfahrensrecht 1. Gerichtsstand Die meisten einschlägigen OTC-Rahmenverträge sehen in ihren Bedingungen die Vereinbarung eines nationalen Gerichtsstands vor. Prorogiert werden in aller Regel die Gerichte des Landes, dessen Recht für den Rahmenvertrag und die einbezogenen OTCGeschäfte gilt. Zum europäischen und dem nationalen Prorogations-Regelsystem unten Teil P Rz. 24 ff.
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Der deutschrechtliche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (DRV) bestimmt in Nr. 11 (3) als nicht ausschließlichen Gerichtsstand den Ort der Niederlassung der Bank, durch die der Vertrag abgeschlossen wird1. Der österreichische Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (ÖRV) enthält eine vergleichbare Klausel in § 11 Abs. 6:
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„Für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag gilt das sachlich zuständige Gericht in Wien als vereinbarter Gerichtsstand. Der Bank steht es jedoch frei, den Vertragspartner auch an jedem sonst für ihn zuständigen Gerichtsstand zu belangen.“
Im Schweizer Rahmenvertrag für Over-the-Counter (OTC)-Derivate2 heißt es in Ziff. 14.3:
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„Für Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüche aus bzw. im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder mit Transaktionen gemäss den Bestimmungen dieses Rahmenvertrages, einschliesslich solcher über Fragen ihrer Gültigkeit, Ungültigkeit, Verletzung oder Auflösung, sind die zuständigen Gerichte der Stadt Zürich ausschliesslich zuständig.“
In der Praxis ist die Frage relevant geworden, welche Auswirkung eine eventuelle Nichtigkeit des Rahmenvertrages (z.B. wegen Gesetzesverstoßes oder Überschreitung des Wirkungskreises im Falle einer Anwendung der Ultra-Vires-Lehre, s. Rz. 555) auf eine Gerichtsstandsvereinbarung oder eine Schiedsvereinbarung hätte.
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Nach Art. 25 (5) Satz 1 EuGVVO ist eine „Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags [ist], als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln“. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist unabhängig3 von der Wirksamkeit des (Rahmen-) Vertrages und bestimmt sich nach dem Recht des EU-Mitgliedstaats, in dem das vereinbarte Gericht ansässig ist4.
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Ferner ist gelegentlich von einer Partei versucht worden, entgegen einer (ausschließlichen) Gerichtsstandsvereinbarung Klagen vor einem anderen Gericht anzubringen, um Zeit zu gewinnen. Bisher musste das von der anderen Partei angerufene Gericht, das nach der Gerichtsstandsvereinbarung zuständig war, sein Verfahren aussetzen,
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1 Eine der beiden Parteien des DRV wird als „Bank“ bezeichnet, die andere Partei heißt vertragstechnisch „Vertragspartner“. Es kommt vor, dass gelegentlich Nichtbanken als „Bank“ bezeichnet werden und, falls zwei Banken den Vertrag abschließen, eine Bank als „Vertragspartner“ benannt wird. In der Regel schließt die Hauptniederlassung (Hauptverwaltung) einer Bank den Vertrag ab. Er gilt dann ohne weitere Vereinbarung für alle Niederlassungen der Bank. Allerdings kann es vorkommen, dass der Rahmenvertrag von einer Niederlassung der Bank nur für ihre Geschäfte abgeschlossen wird, dann wäre der Ort dieser Niederlassung der nicht ausschließliche Gerichtsstand. Im Falle einer Niederlassung in London würden dann Gerichtsstand und das am Ort des zuständigen Gerichts geltende Recht auseinderfallen. Um dies zu vermeiden, müsste Abs. 3 geändert werden. 2 Fassung 2.5.2003. 3 Art. 25 (5) Satz 2 EuGVVO: Die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der Vertrag nicht gültig ist. 4 So Erwägungsgrund 20 EuGVVO: Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht einschließlich des Kollisionsrechts des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind.
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Jahn 1029
Teil H Rz. 578
Finanzierung
bis das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit (oder Nicht-Zuständigkeit) entschieden hatte1. 578
Art. 31 (2) EUGVVO begründet nun eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel und gibt dem ausschließlich vereinbarten Gericht den Vorrang vor anderen Gerichten, auch wenn diese zeitlich vor ihm angerufen wurden. 2. Schiedsgerichte
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Der europäische Rahmenvertrag für Finanzgeschäfte sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, statt ein staatliches Gericht als zuständig zu bezeichnen, ein Schiedsverfahren zu vereinbaren2. Diese Wahl ist in Nr. 4 der Besonderen Bestimmungen zu treffen. Darin werden beispielhaft für eine zu wählende Schiedsordnung die Schiedsordnung der Euro Arbitration – European Center for Financial Dispute Resolution – und die Internationale Handelskammer genannt.
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Der international führende Rahmenvertrag, das ISDA Master Agreement, sieht in den Fassungen von 1992 und 2002 keine solche Wahl eines Schiedsverfahrens vor. Allerdings hat die Entwicklung, insbesondere aufgrund der Finanzkrise von 2007/2008 zu einem zunehmenden Interesse an Schiedsverfahren auch im Bereich der OTC-Derivate geführt. ISDA hat daher, nach Umfrage bei ihren Mitgliedern im Jahre 2011, im September 2013 einen „2013 ISDA Arbitration Guide“ mit mehreren Musterklauseln für eine Schiedsvereinbarung zum 2002 ISDA Master Agreement veröffentlicht3. Die Parteien haben die Wahl unter sieben verschiedenen Schiedsregeln4 und acht Schiedsorten5. Technisch werden in einem Zusatz zu dem Standard-Rahmenvertrag der ISDA neben der Wahl eines Schiedsgerichts und des auf die Wahl anwendbaren Rechts die Wahl der Schiedsordnung und des Schiedsortes vorgenommen, die Gerichtsstandsklausel gestrichen und die Klauseln über Zustellungsbevollmächtigte und den Immunitätsverzicht angepasst. Besonderes Interesse findet die Verwendung von Schiedsgerichtsklauseln in Schwellenländern und bei sehr komplexen OTC-Geschäften6. Sie ist im Übrigen geboten, wenn Urteile der New Yorker oder englischen Gerichte nicht, Schiedsgerichtsurteile aber vollstreckbar wären.
581
Die drei Musterverträge der European Federation of Energy Traders (EFET) über Gasgeschäfte7, Stromgeschäfte8 und Flüssiggasgeschäfte9 sowie das EFET Master Netting 1 Siehe Erwägungsgrund 22 EuGVVO. Vgl. Grohmann, ZIP 2015, 16 (18 f.) und Fn. 10; Alio, NJW 2014, 2395 (2399). 2 Nr. 11 (2) Streitbeilegung, Gerichtsstand, Schiedsgerichtsverfahren. Jede Partei erklärt hiermit unwiderruflich, dass für etwaige Streitigkeiten unter oder im Zusammenhang mit dem Vertrag (i) den in den Besonderen Bestimmungen angegebenen Gerichten die nicht ausschließliche Zuständigkeit zukommt oder (ii) falls in den Besonderen Bestimmungen festgelegt, eine solche Streitigkeit endgültig durch einen oder mehrere Schiedsrichter, die nach der in den Besonderen Bestimmungen bezeichneten Schiedsordnung ernannt werden und nach ihr verfahren, beigelegt wird, und dass sie die Schiedsordnung beachten wird. Mangels entsprechender Angaben liegt die nicht ausschließliche Zuständigkeit für Klagen oder sonstige Verfahren bei den Gerichten am Hauptfinanzzentrum oder, mangels eines solchen, bei denen der Hauptstadt des Landes, dessen Recht der Vertrag unterliegt und unterwirft sich jede Partei dieser Gerichtsbarkeit.“ 3 Das im Jahre 2010 für islamische Geld- und Finanzmarktgeschäfte gemeinsam mit der IIFM (International Islamic Financial Market, eine non-profit organisation) veröffentlichte „ISDA/IIFM Tahawwut Master Agreement“ enthielt bereits eine Schiedsgerichtsklausel. 4 ICC, LCIA, AAA-ICDR, HKIAC, SIAC, Swiss Rules, Prime Finance. 5 London, New York, Paris, Hong Kong, Singapur, Zürich, Genf, Den Haag. 6 Zu den Vorteilen und den künftigen Aussichten von Schiedsvereinbarungen: Freeman, The Use of Arbitration in the Financial Services Industry, Business Law International Vol. 16 No 1 January 2015 p. 77 ss. 7 § 22. 8 § 22.2. 9 § 20.1.
1030 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 587 Teil H
Agreement1 sehen ebenfalls die Möglichkeit einer Vereinbarung eines Schiedsgerichts vor. In Deutschland ist nach § 37h WpHG eine Schiedsvereinbarung über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen oder Finanztermingeschäften nur verbindlich, wenn beide Vertragsteile Kaufleute oder juristische Personen des öffentlichen Rechts sind.
582
V. Internationales Privatrecht Aus Sicht des internationalen Privatrechts sind drei Fallgruppen zu unterscheiden: (i) OTC-Derivate, die nicht über eine CCP abgerechnet werden (Rz. 584 ff.); (ii) OTC-Derivate, die über eine CCP abgerechnet werden (Rz. 625 ff.) und (iii) börsengehandelte Derivate (Rz. 630 ff.).
583
1. Nicht zentral abgerechnete OTC-Derivate a) Rechtswahl aa) Zulässigkeit und Modalitäten Alle hier betrachteten Rahmenverträge enthalten eine Rechtswahlklausel. Der deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte aus dem Jahre 1993 sieht in seiner Nr. 11 Abs. 2 die Geltung deutschen Rechts vor. Der österreichische Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte statuiert in seinem § 11 Abs. 2 die Anwendbarkeit des österreichischen Rechts. In beiden Fassungen des Schweizer Rahmenvertrag für OTCDerivate2 ist die Geltung des schweizerischen Rechts in Nr. 14 (2) bestimmt.
584
Aus deutscher und österreichischer Sicht bestimmen sich Zulässigkeit und Modalitäten der Rechtswahl nach Art. 3 Rom-I-VO. Nach Art. 3 (1) Rom I-VO haben die Parteien die freie Rechtswahl. Eine Beziehung zu dem gewählten Recht ist nicht erforderlich. Zwei inländische Parteien können die Geltung eines Rahmenvertrags nach ausländischem Recht (z.B. englischem Recht) frei vereinbaren, ohne dass es auf einen Auslandsbezug der Geschäfte ankommen würde.
585
Aus schweizerischer Sicht ist Art. 116 schwIPRG massgebend. Auch nach schweizerischem Recht ist somit die Wahl englischen Rechts oder des Rechts des Staates New York im Zusammenhang mit der Vereinbarung eines ISDA-Rahmenvertrages ohne weiteres zulässig3. Deutsches Recht kann bei der Vereinbarung des deutschrechtlichen Rahmenvertrages für Finanztermingeschäfte, österreichisches Recht bei der Vereinbarung des österreichischen Rahmenvertrages vereinbart werden. Dasselbe gilt nach Art. 39 Abs. 1 flIPRG aus liechtensteinischer Sicht.
586
Eine Rechtswahl kann auch stillschweigend (schlüssig) getroffen werden. Eine solche liegt beispielsweise vor, wenn zwar keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wurde, aber Vereinbarungen in bestehende Vertragsbeziehungen eingebettet werden (z.B. Geschäftsbeziehung mit einer Bank) oder auf Formulare Bezug genommen wurde, die einer bestimmten Rechtsordnung unterliegen4.
587
1 § 12 no. 4 (B) und (C). 2 In der Fassung v. 2.5.2003. 3 Zobl/Werlen, S. 129 m.N.; zur Frage der Vereinbarkeit der vertraglichen Schadensersatzberechnungsmethoden nach dem ISDA-Rahmenvertrag von 1992 mit schweizerischem „ordre public“ eingehend S. 130 ff. 4 Wenn z.B. ein deutsches Kreditinstitut und eine in New York ansässige Bank sich auf die Anwendung der ISDA-Bedingungen geeinigt, aber die Vereinbarung des geltenden Rechts vergessen haben, so dürfte konkludent New Yorker Recht vereinbart worden sein (die nach dem Rahmenvertrag mögliche Alternative, englisches Recht, käme hier nicht in Betracht), vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 74; so auch Böhm, S. 73 (74).
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Jahn 1031
Teil H Rz. 588
Finanzierung
bb) Kombination von Rechtswahlklauseln verschiedener Rahmenverträge 588
Bei dem Abschluss von OTC-Derivatgeschäften verwenden Parteien des deutschrechtlichen Rahmenvertrages (DRV) gelegentlich ergänzend oder zusätzlich Bestimmungen der ISDA-MA, weil die nationalen Anhänge zu dem Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte entweder einen geringeren Regelungsumfang haben1 oder es keine entsprechenden deutschrechtlichen Muster gibt oder existierende Muster nicht mehr zur Verwendung empfohlen werden2.
589
Werden ISDA-Bestimmungen3 ganz oder teilweise in den deutschrechtlichen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte einbezogen, so gilt für sie ebenfalls deutsches Recht. Dies betrifft vor allem Begriffsbestimmungen zu Zinsberechnungen (sie werden den 2000/2006 ISDA Definitions entnommen), zu gesellschaftsrechtlich bedeutenden Veränderungen (2002/2012 ISDA Equity Definitions) oder generell zu Kreditderivaten (1999/2003/2014 ISDA Credit Derivatives Definitions). Die Problematik einer solchen Einbeziehung liegt in der nunmehr gebotenen deutschrechtlichen Interpretation von Bestimmungen, die für das Recht von New York oder englisches Recht aufgestellt wurden4. Einige Teilnehmer vereinbaren daher ausdrücklich, dass solcherarts einbezogene Bestimmungen englischem oder New Yorker Recht unterstellt bleiben. Eine solche Teilrechtswahl ist grundsätzlich nach Art. 3 (1) Satz 3 Rom I-VO zulässig. Das nach dem DRV zuständige deutsche Gericht hat dann die einbezogenen ISDA-Bestimmungen nach dem gewählten ausländischen Recht auszulegen.
590
Der österreichische Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte bezieht Bestimmungen des ISDA-MA und sogar eine Ratgeber-Broschüre der ISDA5 auf folgende Weise ein (§ 11 Abs. 3):
591
„Bei der Auslegung des Vertrages und der Einzelabschlüsse sind subsidiär die Definitionen der International Swaps and Derivatives Association Inc. (ISDA) in der jeweils zum Zeitpunkt des Abschlusses der jeweiligen Transaktion gültigen Fassung und der User’s Guide to the 1992 ISDA Master Agreements heranzuziehen.“
592
Die Lücken des österreichischen Rahmenvertrages sind nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Eine umfassende Einbeziehung aller ISDAKlauselwerke wie in der deutschen Praxis (Rz. 589) liegt bei dieser Vertragsklausel jedoch nicht vor.
593
Der Schweizer Rahmenvertrag für OTC-Derivate (SMA OTC 2013) und die entsprechende ISDA-Version (SMA 2013/ISDA Version)6 unterliegen jeweils dem schweizeri1 Wie der Anhang für Rohwarengeschäfte. 2 Der Anhang für Kreditderivate wird seit Oktober 2010 vom Bundesverband deutscher Banken nicht mehr zur Verwendung empfohlen. 3 In der ISDA-Begriffswelt „Definitions“ genannt. 4 Zu dieser Problematik: Vorpeil, EWS Heft 11/2001, Die erste Seite und Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 57 m. Hinw. auf BGH NJW-RR 1992, 423 (425) (Interpretation einer „Garantie“/„guarantee“); umfassend: Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189. Zur AGB-Problematik bei der Einbeziehung in Anleihebedingen: Renner, Kreditderivate und synthetische Kreditverbriefungen: Zivil-, bank- und kapitalmarktrechtliche Aspekte, Diss. Leipzig 2013, S. 309. 5 User’s Guide to the 1992 ISDA Master Agreements. 6 Die Schweizerische Bankiervereinigung hat zwei Neufassungen des Schweizer Rahmenvertrags für OTC-Derivate von 2003 erstellt: 1. Schweizer Rahmenvertrag für OTC-Derivate SMA OTC 2013 (auch SMA 2013, Non-ISDA Version genannt) und 2. Swiss Master Agreement for OTC Derivative Instruments (SMA 2013, ISDA Version genannt). Zum SMA OTC 2013: Haeberli in Zerey § 32 Rz. 75 ff. Neben der redaktionellen Überarbeitung und Modernisierung des Vertrages besteht die Besonderheit beider Vertragsmuster in der Ersetzung der Produktanhänge des SMA 2003 durch „SMA-Definitionen“. Der SMA 2013, ISDA Version, ermöglicht den Parteien, bestimmte ISDA Definitionen in den Vertrag einzubeziehen. Die deutsche Rechtspraxis verfährt in vergleichbarer Weise, eine „ISDA Version“ des DRV ist jedoch nicht geschaffen worden.
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Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 597 Teil H
schen Recht1. Die ISDA Definitionen können nur in das SMA 2013, ISDA Version einbezogen werden. Erforderlich hierzu ist die Unterzeichnung des „Anhangs für ISDADefinitionen“. Nach SMA 2013, ISDA Version gilt gem. Nr. 3.3 das nach 14.2 gewählte Recht (schweizerisches Recht) auch für den obigen Anhang und die einbezogenen ISDA-Definitionen. Für den Fall eines eventuellen Konflikts bei der Auslegung der nach common law verfassten ISDA-Definitionen2 sieht Nr. 2.2 eine Anpassungsregel mit dem folgenden Wortlaut vor: „Sofern in den ISDA Definitionen auf ein Rechtsinstitut, das im schweizerischen Recht nicht existiert, Bezug genommen wird, soll dieser Verweis ersetzt werden durch einen Verweis auf ein im schweizerischen Recht bekanntes, möglichst ähnliches Rechtsinstitut.“
594
b) Objektive Anknüpfung (Fehlende Rechtswahl) aa) Bedeutung Wird ein Derivatgeschäft abgeschlossen, ohne dass eine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl getroffen worden ist, kann eine in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der privaten Banken3 getroffene Rechtswahl anwendbar sein. Bei Kontoverbindung zwischen einer Bank und ihrem Kunden gelten stets die AGB. Nach Nr. 6 Abs. 14 gilt für die gesamte Geschäftsverbindung, also auch für Derivatgeschäfte, zwischen dem Kunden und der Bank deutsches Recht.
595
Im Interbankengeschäft werden AGB häufig nicht vereinbart. Es stellt sich dann die Frage, an welche Bezugspunkte des Geschäfts angeknüpft werden muss. Eine fehlende Rechtswahl kommt vor allem in Zeiten hektischen Handelns vor, wenn die Parteien eine Geschäftsmöglichkeit ausnutzen wollen, ohne bereits einen Rahmenvertrag geschlossen zu haben oder in Verhandlungen über einen Rahmenvertrag stehen. Typischerweise schließen sie dann Vereinbarungen, die nur den wirtschaftlichen Inhalt des Geschäfts umfassen, ohne die juristischen Klauseln (Rechtswahl, Gerichtsstand, Kündigungsrechte, Schadensersatz usw.) zu vereinbaren. Erfahrene Parteien haben für dese Situation Vorsorge dadurch getroffen, dass sie ihre Vereinbarungen (vor allem in der schriftlichen Bestätigung, die oft die mündliche Vereinbarung erweitert) in standardisierter Weise treffen. Die Bestätigung umfasst dann neben den wirtschaftlichen Einzelheiten auch eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des ISDA-Rahmenvertrages und enthält eine Rechtswahlklausel5.
596
Gelegentlich wird die Rechtswahl vergessen oder nicht sehr erfahrene Teilnehmer verwenden das erweiterte Bestätigungsmuster nicht. bb) Anwendbare Kollisionsregeln Aus deutscher und österreichischer Sicht bestimmt sich das anwendbare Recht bei Fehlen einer ausdrücklichen oder konkludenten Rechtswahl nach der Rom I-Verord1 SMA OTC 2013, Nr. 14.2: „Dieser Rahmenvertrag und alle unter ihm abgeschlossenen Transaktionen sind nach schweizerischem Recht (unter Ausschluss der Kollisionsnormen) zu beurteilen.“ (Ebenso Nr. 14.2 SMA 2013, ISDA Version.). 2 Die zur Verwendung mit ISDA-Rahmenverträgen geschaffen worden sind, die entweder englischem Recht oder dem Recht von New York unterliegen. 3 Fassung v. 2.2014; fast identische AGB verwenden die Volksbanken und Raiffeisenbanken und die Sparkassen und Landesbanken. 4 In Verbindung mit Nr. 1 Abs. 1 Satz 1. 5 Dies ist erforderlich, weil in dem Text des ISDA-Rahmenvertrages selbst keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wird; vielmehr müssen die Parteien diese Wahl in dem Anhang zu dem ISDA-Rahmenvertrag, dem „Schedule“ treffen, der englisches Recht oder das Recht des Staates New York zur Wahl stellt. Hat man keine Zeit, über den Inhalt des „Schedule“ zu verhandeln, so muss man wenigstens die Rechtswahl in der Bestätigung treffen, weil sonst offen bleibt, ob englisches Recht oder das Recht des Staates New York anzuwenden ist.
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Jahn 1033
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Teil H Rz. 598
Finanzierung
nung. Art. 4 Rom I-VO regelt in Abs. 1 Buchst. a bis h ausdrücklich für bestimmte Vertragsarten das objektiv anwendbare Recht. Bilaterale Transaktionen unterliegen nach Art. 4 Abs. 2 „dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Charakteristisch ist die Leistung, die der Vereinbarung das Gepräge gibt. Eine Geldleistung ist in der Regel nicht charakteristisch. Berufstypische Leistungen wie z.B. Bankdienstleistungen können sich als charakteristische Leistung darstellen1, die dem Derivategeschäft das Gepräge geben. Lässt sich das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 oder Abs. 2 bestimmen, so gilt nach Abs. 4 das Recht des Staates, „zu dem [der Vertrag] die engste Verbindung aufweist.“ 598
Bei Verträgen über Finanzinstrumente (d.h. auch OTC-Derivate) innerhalb eines multilateralen Systems gilt nach Abs. 1 Bst. h das Recht des „multilateralen Systems“. Multilaterale Systeme sind Börsen, Clearingsysteme mit oder ohne Zentrale Gegenpartei2. Bilaterale Vertragsbeziehungen, auch wenn sie sich auf Standardbedingungen wie Rahmenverträge (z.B. der ISDA) beziehen, gelten nicht als „multilaterales System“3. Nach schweizerischem IPRG kommt es auf den objektiv engsten Zusammenhang an (Art. 117 Abs. 1 schwIPRG)4. Vermutet wird der engste Zusammenhang mit dem Recht eines Staates, wenn eine Partei, welche die charakteristische Leistung des Vertrages erbringt, in diesem Staat ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder den Vertrag aufgrund einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, in dem sich ihre Niederlassung befindet (Art. 117 Abs. 2 schwIPRG)5. Art. 117 Abs. 3 IPRG gibt einige Beispiele für die Erbringung der charakteristischen Leistung. So ist bei Veräußerungsverträgen nach lit. a die Leistung des Veräußerers charakteristisch. Bei Tauschverträgen versagt diese Anknüpfungsmethode6. Es muss nach herrschender Meinung dann an das Recht des Abschlussortes angeknüpft werden; fehlt er oder lässt er sich nicht nachweisen, kommt es zu einer Spaltung des Tauschstatuts7.
599
Für Liechtenstein gelten bei fehlender ausdrücklicher oder schlüssiger Rechtswahl nach Art. 39 Abs. 2 flIPRG die Art. 40–53 flIPRG. Art. 40 Satz 1 bestimmt:
600
„Gegenseitige Verträge, nach denen die eine Partei der anderen zumindest überwiegend Geld schuldet, sind nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem die andere Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“
601
Diese Regel entspricht der österreichischen Rechtslage8 und dem Römischen Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980. Es fehlt jedoch der Vorbehalt der anderweitigen engeren Beziehung des zugrunde liegenden Sachverhalt. Denkbar ist eine Rechtsspaltung, wenn die starre Regel des Art. 40 Satz 1 nicht greift9; es sei denn, man sieht in Art. 1 Abs. 2 flIPRG10 eine Lösung11. Als Sondervorschrift für Geschäfte, die eine Bank mit einer Nichtbank abschließt, bestimmt Art. 42 Abs. 1 flIRPG, dass das Recht des Landes maßgebend ist, in dem die Bank ihre Niederlassung hat. Bei Geschäften zwischen Banken gibt es eine spezielle 1 Vgl. Böhm, S. 77, 78. 2 Martiny in Reithmann/Martiny, Rz. 152; Leible in Hüßtege/Mansel, BGB, Band 6, 2014, Rz. 52 ff.; Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, § 104 Rz. 180. 3 Leible, a.a.O., Rz. 56. 4 Basler Kommentar-Amstutz/Wang, Art. 117 Rz. 2 ff. 5 Basler Kommentar-Amstutz/Wang, Art. 117 Rz. 7 ff. 6 Basler Kommentar-Amstutz/Wang, Art. 117 Rz. 26 ff. 7 Basler Kommentar-Amstutz/Wang, Art. 117 Rz. 26 ff. 8 Basedow, S. 46 ff., 51. 9 Basedow, S. 53, fordert eine Reform des IPRG. 10 Art. 1 Abs. 2 lautet: „Mangels einer Verweisungsnorm ist die Rechtsordnung maßgebend, zu der der Sachverhalt die stärkste Beziehung hat“. 11 Vgl. Greiner, S. 60.
1034 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 605 Teil H
Bestimmung für Auftragsverhältnisse. Nach Art. 42 Abs. 2 gilt das Recht des Ortes der Niederlassung der beauftragten Bank. Bei Derivatgeschäften zwischen Banken, die beide wechselseitig eine gleichartige Leistung erbringen, fehlt es an einem Auftragsverhältnis, so dass Abs. 2 nicht zu einer Lösung dieser Fälle herangezogen werden kann. cc) Fallgruppen (1) Überblick Erbringt eine Bank ein Derivategeschäft als Dienstleistung gegenüber einem sog. Endbenutzer1 (end-user), so kann man diese Dienstleistung als charakteristische Leistung der Bank ansehen. Auf die spezielle Form des Derivategeschäfts kommt es insoweit nicht an. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Banken mit im Ausland registrierten Niederlassungen Derivatgeschäfte auch durch diese ausländischen Niederlassungen abschließen lassen und die Geschäfte im Ausland verbuchen. Gewöhnlich wenden die Niederlassungen bei Abschluss von Finanzdienstleistungsgeschäften generell das Recht des Staates an, in dem sich die Niederlassung befindet, und nicht das Recht des Landes, in dem sich die Zentrale befindet.
602
Konsequenterweise wäre bei Derivatgeschäften dann eher das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet anzuwenden, wenn nicht besondere Umstände zu einer anderen Wertung führen.
603
Die meisten Derivatgeschäfte werden zwischen professionellen Derivate-Händlern (meistens Banken oder Finanzdienstleister) geschlossen. In diesen Fällen kann nicht von einer Dienstleistung einer Partei gegenüber der anderen ausgegangen werden, sondern es handelt sich um professionelle Handelsgeschäfte. Um die charakteristische Leistung zu bestimmen, ist zu prüfen, ob eine Partei, je nach Geschäftstyp, eine Nichtgeldleistung (einer Naturalleistung vergleichbar) erbringt, während die andere Seite nur eine Art Kaufpreis dafür bezahlt2. Als Indiz dafür kann auch die Bezeichnung der Parteien des Geschäfts herangezogen werden, die sich oft als „Verkäufer“ und „Käufer“ definieren3. Wird die charakteristische Leistung von beiden Parteien erbracht, soll dies nicht zu einer Vertragsspaltung führen4; vielmehr ist dann die engste Verbindung i.S.d. Art. 4 (4) zu ermitteln.
604
(2) Swapgeschäfte Bei einem Zinssatzswapgeschäft verpflichtet sich eine Partei, der anderen Partei periodisch Festbeträge zu zahlen, während diese im Austausch variable Beträge zahlt. Festbeträge sind Beträge, die durch Multiplikation eines vereinbarten Festzinssatzes mit einem vereinbarten Nominalbetrag5 berechnet werden; variable Beträge berechnen sich durch Multiplikation eines vereinbarten variablen Zinssatzes mit demselben Nominalbetrag. Bei einem solchen Austauschgeschäft6 unter professionellen Parteien erbringt keine Partei eine charakteristische Leistung7. Es müssen daher andere An1 Dem gegenüber die AGB der Bank mangels ausdrücklicher Vereinbarung nicht gelten. 2 Martiny in MünchKomm/BGB, IPR, Art. 4 Rz. 148. 3 Vgl. DRV-Anhang für Devisengeschäfte und Optionen auf Devisengeschäfte, Nr. 3 (2) „Der Käufer einer Option …“ 4 Martiny in MünchKomm/BGB, IPR Art. 4 Rz. 161; Leible, a.a.O., Rz. 66 f. 5 Dieser Nominalbetrag wird nicht als Darlehen ausgereicht, er ist lediglich eine Berechnungsgrundlage für die auszutauschenden Beträge (im englischen: „notional amount“). 6 Das nicht als Tauschvertrag angesehen wird, vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 75. 7 Ebenroth in FS für Max Keller, Zürich 1989, S. 371 (420, 421).
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Jahn 1035
605
Teil H Rz. 606
Finanzierung
knüpfungspunkte gefunden werden, um das maßgebliche Recht entsprechend Art. 4 (4) Rom I-VO zu bestimmen1. 606
Bei Zinssatz- und Währungsswapgeschäften wird mit dem periodischen Austausch von Festbeträgen und variablen Beträgen noch der Austausch von Währungsbeträgen vorgenommen2. Auch hier gilt für Geschäfte unter professionellen Parteien das oben für Zinssatzswapgeschäfte Ausgeführte.
607
Optionen auf Swapgeschäfte, auch „Swaptions“ genannt, sind Optionsgeschäfte. Für sie gilt, dass eher der Verkäufer der Option als Veräußerer die charakteristische Leistung erbringt. (3) Zinsbegrenzungsgeschäfte
608
Bei Zinsbegrenzungsgeschäften verpflichtet sich eine Partei gegen Zahlung einer Geldprämie, Ausgleichszahlungen an den Prämienzahler am Fälligkeitstag zu leisten, falls ein vereinbarter Referenzzinssatz überschritten (Höchstsatz-Vereinbarung, Cap) oder unterschritten (Mindestsatz-Vereinbarung, Floor) wird. Die Höhe des Ausgleichsbetrages bemisst sich nach dem vereinbarten Nominalbetrag, der mit der Differenz zwischen vereinbarten Referenzzinssatz und dem aktuellen Marktzinssatz multipliziert wird. Die Kombination von Höchstsatz- und Mindestsatz-Vereinbarung wird „Collar“ (Zinssatz-Collar) genannt. Hierbei ist eine Partei der „Cap-Verkäufer“, während die andere der „Floor-Verkäufer“ ist. Je nach Höhe der vereinbarten Referenzzinssätze ist eine Prämie höher als die andere, so dass nur eine Partei die Differenz der beiden Prämien, den Saldo, zu zahlen hat.
609
Ein Collar kann auch so konstruiert werden, dass keine Prämienzahlung anfällt, weil die Cap-Prämie und die Floor-Prämie sich genau entsprechen (zero-cost collar).
610
Eine weitere Form des Zinsbegrenzungsgeschäfts ist der „corridor“. Durch den gleichzeitigen Kauf und Verkauf zweier Caps oder Floors mit unterschiedlichen Zinsgrenzen3 wird die Absicherung nur innerhalb eines festgelegten Zinskorridors ermöglicht, die weniger kostet, als die volle Absicherung.
611
Obwohl alle Parteien der genannten Zinsbegrenzungsgeschäfte nur Geldleistungen zu erbringen haben, stellt sich die Leistung einer Ausgleichszahlung als die qualifizierte Form der Geldzahlung dar. Sie gibt dem Geschäft das Gepräge. Dies drückt sich auch in dem Verständnis der Parteien mit ihrer Rolle in dem Zinsbegrenzungsgeschäft aus: Der Erbringer der Ausgleichszahlung wird als „Verkäufer“ bezeichnet, während der Prämienzahler als „Käufer“ nur die typische Zahlung von Geld erbringen muss, deren Entgeltcharakter das Geschäft nicht prägt.
612
Bei dem Zinssatz-Collar sind beide Parteien jeweils Verkäufer und Käufer, so dass beide jeweils eine charakteristische Leistung und ein Entgelt zu erbringen verpflichtet sind. Hier könnte man daran anknüpfen, wer die überwiegende charakteristische Leistung erbringt und den Zahler des Saldos überwiegend als Käufer einstufen.
613
Im Falle des zero-cost collar gibt es keinen Saldo, so dass die Parteien sich hinsichtlich der Anknüpfung an eine charakteristische Leistung in einer Patt-Situation befinden wie bei dem Zinssatz-Swap. In diesem Fall sind dann die dort beschriebenen weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, um zu einer Zuordnung des Zinsbegrenzungsgeschäfts zu einer bestimmten Rechtsordnung zu kommen. 1 Welter in Bankrechts-Handbuch, § 26 Rz. 209; a.A. Böhm, S. 80, der zu einer Vertragsspaltung gelangt. 2 Zumindest am Ende der Laufzeit der Transaktion. 3 S. Basisinformationen, S. 99.
1036 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 616 Teil H
Bei der Option auf Zinsbegrenzungsgeschäfte erbringt der Options-Verkäufer die charakteristische Leistung; der Options-Käufer leistet nur das Entgelt für diese Leistung des Options-Verkäufers. (4) Terminsatzgeschäfte (Forward Rate Agreements, FRAs) Die Parteien eines FRA vereinbaren, dass eine von ihnen am Fälligkeitstag einen Ausgleichsbetrag zahlen muss, der sich aus dem Produkt der Differenz zweier Zinssätze und dem Nominalbetrag ergibt. Der FRA-Käufer gibt einen Zinssatz, den FRA-Satz, vor, den er durch das FRA-Geschäft sichern will. Am Fälligkeitstag wird der aktuelle Marktzinssatz festgestellt. In aller Regel ergibt sich eine Differenz zwischen dem FRASatz und dem aktuellen Marktzinssatz (wenn nicht, gibt es auch keine Ausgleichszahlung). Ist der FRA-Satz niedriger als der aktuelle Marktzinssatz, zahlt der FRA-Verkäufer den Ausgleichsbetrag; ist er höher, zahlt der FRA-Käufer den sich ergebenden Ausgleichsbetrag. Bietet eine Bank einem Endverwender ein FRA-Geschäft an oder sucht ein Endverwender ein FRA-Geschäft bei einer Bank nach, ist das FRA-Geschäft als Dienstleistung und banktypisches Geschäft anzusehen. Entsprechend ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem die Bank ansässig ist.
614
Schließen dagegen zwei Banken als Händler ein FRA-Geschäft, entsteht die in Rz. 613 beschriebene Patt-Situation, bei der weitere Umstände gewürdigt werden müssen, um zu der Festlegung des anwendbaren Rechts zu kommen. Für Optionen auf FRA-Geschäfte gilt sinngemäß das zu Optionen unter Rz. 617 f. Gesagte. (5) Devisengeschäfte Devisengeschäfte werden als Kassageschäft (mit einer Erfüllungszeit von zwei Tagen) oder als Termingeschäft geschlossen. Devisengeschäfte werden nach deutscher herrschender Meinung als Kaufverträge qualifiziert1. Wird statt mit der Heimatwährung Euro die fremde Währung mit einer anderen Währung „bezahlt“ (z.B. bei einem Devisentermingeschäft GBP/USD), liegt rechtlich ein Tausch vor, auf den die kaufvertraglichen Vorschriften Anwendung finden. Beim Kauf ist die Leistung des Verkäufers als charakteristische Leistung anzusehen. Beim Tausch ist es die Leistung der Vertragspartei, die wie ein Verkäufer auftritt.
615
Im professionellen Handel kann von einer Verkäufer/Käufer-Situation kaum gesprochen werden. Beide Parteien erbringen die charakteristische Leistung. Wenn der Anknüpfungspunkt der charakteristischen Leistung insoweit nicht geeignet erscheint2, kommt es auf andere Anknüpfungspunkte an3. Denkbar ist die Anknüpfung an den Geschäftssitz der Bank, die den Kurs gestellt und die Offerte abgegeben hat4. (6) Wertpapierderivate Bei Wertpapier- oder Wertpapierindex-Geschäften besteht die Leistung einer Partei entweder in der Lieferung von Wertpapieren oder in der Zahlung eines Barausgleichs (in Geld), der vereinbarungsgemäß an die Stelle einer Wertpapierlieferung tritt. Die Leistung dieser Partei ist charakteristisch für das Geschäft. Die andere Partei zahlt lediglich einen in Geld oder Fremdwährung zu erbringenden Preis. Die Zahlung eines Preises prägt das Geschäft nicht. 1 Schefold in Bankrechts-Handbuch, § 116 Rz. 205; Kümpel/Wittig-Rudolf, 19.171; nach Kleiner, Rz. 31.42 liegt ein Vertrag sui generis vor, ebenso Clouth, S. 14 ff. 2 So Kleiner, Das neue IPRG – Ein vernachlässigtes Detail, SAG 1988, 70; Schefold in BankrechtsHandbuch, § 116 Rz. 345. 3 Welter in Bankrechts-Handbuch, § 26 Rz. 207; lassen sich keinerlei Anknüpfungspunkte finden, bleibt nach Kleiner im schweizerischen IPR nur die Folge der Vertragsspaltung. Dann unterliegt jede Leistung dem Recht des Schuldners, vgl. Kleiner, SAG 1988, 71. 4 So Schefold in Bankrechts-Handbuch, § 116 Rz. 348.
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Jahn 1037
616
Teil H Rz. 617
Finanzierung
(7) Optionen 617
Optionsgeschäfte beziehen sich auf bestimmte Geschäfte und räumen einer Partei („Optionsinhaber“) das Recht, aber nicht die Pflicht zur Ausübung der Option auf Abschluss dieses Geschäfts mit der anderen Partei („Stillhalter“ genannt) ein. Typische Geschäfte, die mit einer Option verbunden werden können, oder mit ihr eine Einheit bilden1 sind die unter (1) bis (5) genannten OTC-Derivate. Die Option auf einen Swap wird „Swap-Option“ oder „Swaption“ genannt. Möglich ist auch der Abschluss einer Option auf ein Optionsgeschäft. Die charakteristische Leistung erbringt der Stillhalter2, während der Optionsinhaber lediglich Geld zahlt, einmal in Form der Optionsprämie als Preis für die Einräumung des Optionsrechts, zum anderen den Betrag für die Erbringung der Leistung des Stillhalters aus dem bezogenen Geschäft.
618
Von der Frage, ob man das Optionsgeschäft als ein einheitliches oder als ein zusammengesetztes Geschäft ansieht, hängt ab, ob man eine Anknüpfung für beide Teile vornehmen muss. Die Einräumung der Option gibt dem gesamten Geschäft das Gepräge, so dass sie in jedem Fall überwiegt. Die Anknüpfung ist danach an das Recht des Landes vorzunehmen, in dem der Stillhalter ansässig ist oder von dem er aus handelt. (8) Kreditderivate
619
Bei Kreditsicherungsswaps (credit default swaps) ist umstritten, ob man sie als Swaps (so wie sie allgemein bezeichnet werden) oder als Optionen (so die wirtschaftsrechtliche Literatur) ansieht. Nicht einheitlich ist auch die Bezeichnung der Leistung der Parteien.
620
Anfangs bezeichnete man die Partei, die Schutz insbesondere vor der Insolvenz eines Drittschuldners („Referenzschuldners“) bei der Gegenpartei suchte, als Risiko-Verkäufer. Gegenstand des Geschäft sollte das Risiko sein. Heute ist jedoch allgemeine Auffassung und Praxis (die sich in der Gestaltung der Musterbestätigungen und der Bedingungen für diese Geschäfte eindeutig niederschlägt), dass Gegenstand des Geschäfts die Einräumung von Schutz (protection) ist. Der „Risiko-Verkäufer“ ist somit ein „Schutz-Käufer“, der für die Gewährung von Schutz durch die andere Partei eine Geldleistung erbringt.
621
Allerdings ist der „Schutz-Käufer“ bei Eintritt des Risiko-Ereignisses (credit event) häufig verpflichtet, Wertpapiere des zahlungsunfähigen Referenzschuldners an den „Schutz-Verkäufer“ zu liefern. Er erscheint dadurch wie ein Wertpapier-Verkäufer. Der Schutz-Verkäufer tritt in die Position eines Käufers dieser Wertpapiere ein, die er zum Nominalbetrag bezahlen muss. Hier kommt es nun darauf an zu bestimmen, welche Leistung überwiegt. Der Verkauf von Schutz durch den Schutz-Verkäufer sollte aber als überwiegend angesehen werden. Die Lieferung von Wertpapieren wäre dann als eine untergeordnete Abwicklungshandlung zu qualifizieren, die dem Geschäft nicht das Gepräge gibt.
622
In einer zweiten Variante liefert der Schutz-Käufer keine Wertpapiere. Stattdessen leistet der Schutz-Verkäufer einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen Markt1 Zur Frage, ob zwei verbundene Verträge („Doppelvertragsthese“) geschlossen werden oder ob nur ein einheitlicher Vertrag vorliegt, vgl. Kienle in Bankrechts-Handbuch, § 106 Rz. 59 m.w.N. Der BGH sieht börsenmäßige Optionsgeschäfte als ein einheitliches Börsentermingeschäft an, vgl. BGH, WM 1984, 1598; zur Rechtsnatur des Optionsrechts s. Kümpel/Wittig-Rudolf, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 19.96. 2 So ausdrücklich im Falle von Devisenoptionen Schefold in Bankrechts-Handbuch, § 116 Rz. 352.
1038 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 627 Teil H
wert der Wertpapiere des Referenzschuldners und dem Nominalbetrag. Hier wird noch klarer, dass der Schutz-Verkäufer die charakteristische Leistung, den Schutz, erbringt. Wird das Geschäft dagegen als Optionsgeschäft angesehen, so wäre der Schutz-Käufer der Optionsinhaber und der Schutz-Verkäufer der Stillhalter. Maßgeblich ist dann das Recht des Staates, in dem Schutz-Verkäufer ansässig ist (vgl. die Ausführungen unter Rz. 617 f.).
623
Bei einem Gesamtrisiko-Swap (total return swap) sucht eine Partei Schutz gegen eine Verminderung oder das Ausbleiben von Erträgen aus Darlehen oder Wertpapieren. Sie verspricht, alle Erträge an den Schutz-Geber abzuführen; dieser zahlt oder leistet periodisch festgelegte Beträge1. Beide Parteien sind zu gleichartigen Leistungen verpflichtet. Charakteristisch dürfte aber die Gewährung des Schutzes sein, die dem Geschäft das Gepräge gibt. Dementsprechend wäre das Recht des Staates, in dem Schutz-Geber ansässig ist, maßgeblich.
624
2. Zentral abgerechnete OTC-Derivate Im Verhältnis der Zentralen Gegenpartei (CCP) zu ihren direkten Teilnehmern (Clearing Member, CM) gilt das Regelwerk der CCP und das darin bestimmte Recht. Im Falle der Eurex Clearing AG legt Nr. 17.1 der Clearing Bedingungen die Geltung materiellen deutschen Rechts fest2. Das Regelwerk der LCH.Clearnet Ltd (General Rules and Regulations, Fassung November 2014) bestimmt in Regulation 51 die Geltung englischen Rechts und die Zuständigkeit der englischen Gerichte, sofern nicht ein Schiedsgerichtsverfahren nach Regulation 33 durchgeführt wird.
625
Schließt ein direkter Teilnehmer mit einer finanziellen Gegenpartei, die nicht Clearing Member ist, clearingpflichtige OTC-Transaktionen ab (indirektes Clearing), so bezieht sie diese Transaktionen mittels eines Kundenclearing-Vertrags in einen dadurch neu gebildeten OTC-Rahmenvertrag ein. Dieser Rahmenvertrag entspricht in seiner Grundstruktur einem der international üblichen Rahmenverträge (z.B. ISDA Master Agreement oder Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte [DRV])3. Der neue Rahmenvertrag wird durch die vorrangig geltenden Bedingungen des Regelwerks der CCP geprägt, die zwischen CCP und direktem Teilnehmer gelten. Er enthält im Übrigen die zwischen dem CM und seinem Kunden notwendigen Regelungen, wie sie auch andere Rahmenverträge aufweisen.
626
Der direkte Teilnehmer kann für denselben Kunden Geschäfte abschließen, die an mehreren CCPs abzuwickeln sind. Grundsätzlich wäre dann die Vereinbarung eines weiteren CCP-bezogenen Rahmenvertrags erforderlich. Um die Dokumentation solcher Transaktionen mit indirektem Clearing über verschiedene CCPs zu vereinfachen, hat der Bundesverband deutscher Banken eine sog. CCP-neutrale4 Rahmenvereinbarung, die „Clearing-Rahmenvereinbarung“ („CRV“), entwickelt, unter die alle Transaktionen fallen können, die über eine CCP abgewickelt werden. Die CRV bezieht
627
1 Vgl. Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 26. 2 Vgl. dazu Clearing-Bedingungen i.d.F. v. 1.12.2014: 17.1 Geltendes Recht; Gerichtsstand: 17.1.1 Sofern nichts anderes angegeben ist, unterliegen die Rechte und Pflichten aus oder im Zusammenhang mit diesen Clearing-Bedingungen dem Sachrecht, mit Ausnahme des internationalen Privatrechts, der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsverbindlich ist ausschließlich die deutsche Fassung dieser Clearing-Bedingungen.; 17.1.2 Außervertragliche Rechte und Pflichten aus oder im Zusammenhang mit diesen Clearing-Bedingungen unterliegen dem Sachrecht mit Ausnahme des internationalen Privatrechts der Bundesrepublik Deutschland.; 17.1.3 Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesen Clearing-Bedingungen ist Frankfurt/M. 3 Köhling, BKR 2013, 491. 4 Manchmal auch, in Anlehnung an die im englischen Sprachraum verwendete Bezeichnung, als „CCP-agnostische“ Rahmenvereinbarung bezeichnet.
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Jahn 1039
Teil H Rz. 628
Finanzierung
die unabdingbaren Bedingungen der Regelwerke der CCPs durch spezielle CCP-Anhänge1 ein und erreicht so eine Bündelung aller indirekt zu clearenden Transaktionen eines Kunden mit einem Clearing Member2. 628
Der CRV unterliegt nach Nr. 13 (6) dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Nach Nr. 13 (7) ist nicht ausschließlicher Gerichtsstand der Sitz der Bank (d.h. des Clearing Members).
629
Für das Regelwerk der CCP, auf das im CRV Bezug genommen wird, gilt das in den Teilnahmebedingungen für anwendbar bestimmte materielle Recht. So z.B. der Anhang zu der Clearing-Rahmenvereinbarung für das Clearing von Derivaten über LCH.Clearnet Limited in seiner Nr. 2 Begriffsbestimmungen u.a., dass das Clearing Regelwerk englischem Recht unterliegt. Eine solche Teilrechtswahl ist nach Art. 3 (1) Satz 3 Rom-I-VO grundsätzlich zulässig (vgl. Rz. 589). 3. Börsengehandelte Derivate
630
Für an Terminbörsen gehandelte Derivate gelten Allgemeine Geschäftsbedingungen, welche die Geltung des nationalen Rechts des Sitzlandes der betreffenden Terminbörse vorschreiben3.
VI. Insolvenzrecht 1. Internationales Insolvenzrecht 631
International anerkannt ist der Grundsatz, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Recht des Staates maßgeblich ist, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dieser Grundsatz findet sich in Art. 4 der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO, Verordnung (EG) Nr. 1364/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren) vom 29.5.2000 und in § 335 InsO.
632
Durch die Rechtsetzung der EU für bestimmte Schuldner und für bestimmte Geschäfte oder Vertragsformen sind Sonderregelungen entstanden. Die EuInsVO betrifft nur Schuldner mit dem Mittelpunkt ihrer Interessen in den EU-Staaten (mit der Ausnahme Dänemarks)4 und soweit sie keine Kreditinstitute oder Versicherungsunternehmen sind. Für Versicherungsunternehmen gelten die von den EU-Staaten in Umsetzung der Richtlinie 2001/17/EG vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen erlassenen gesetzlichen Vorschriften, für Kreditinstitute die gesetzlichen Vorschriften, durch welche die Richtlinie 2001/24/EG vom 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten umgesetzt wurde. In Deutschland sind diese Richtlinien durch die §§ 335 ff. InsO umgesetzt worden5. Für die insolvenzrechtliche Behandlung von OTC-Finanzderivaten kommt es daher nach deutschem Recht darauf an, (i) wer OTC-Vertragspartei eines deutschen insolventen Schuldners ist und (ii) ob der deutsche insolvente Schuldner ein Kreditinstitut oder ein Versicherungsunternehmen ist.
633
Dementsprechend sind die folgenden Fallgruppen zu unterscheiden: 1 Vgl. z.B. den „Eurex-Anhang“, „LCH-Anhang“, weitere Anhänge sind in Vorbereitung. 2 Zu den Einzelheiten s. Köhling, a.a.O., Fn. 1288. 3 Nach den Clearing-Bedingungen der Eurex Clearing AG (Stand 3.8.2015) gilt nach 147.1.1 Folgendes: „Diese Vereinbarung unterliegt dem Sachrecht der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des internationalen Privatrechts der Bundesrepublik Deutschland.“ 4 Fried in Zerey § 21 Rz. 3 und Fn. 431. 5 BT-Drucks. 15/16 v. 25.10.2002, S. 14; zweifelnd, ob die Umsetzung vollständig vorgenommen wurde: Liersch, Deutsches Internationales Insolvenzrecht, NZI 2003, 302 f.; Reinhart in MünchKomm/InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 87.
1040 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 639 Teil H
a) Ausländische Vertragspartner (aus EU-Staaten außer Dänemark) und deutsche insolvente Schuldner (keine Kreditinstitute, keine Versicherungsunternehmen) Es gilt die EuInsVO. Art. 4 EuInsVO verweist auf das Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO enthält eine Sonderregelung für die Aufrechnung von Forderungen:
634
„Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.“
635
Ob mit „Aufrechnung“ auch das bilaterale Netting der OTC-Rahmenverträge gemeint ist, ergibt sich nicht ohne weiteres aus der Entstehungsgeschichte der EuInsVO1. Letztlich wird aber wegen der unterschiedlich verwendeten Begriffe „Aufrechnung“ und „Netting“ bzw. „Aufrechnungsvereinbarungen“ Art. 6 Abs. 1 EuInsVO nicht als Sondervorschrift auch für das bilaterale Netting angesehen werden können. Insbesondere in den englischsprachigen Fassungen der Richtlinie 96/10/EG vom 26.3.1996 zur Änderung der Richtlinie 89/647/EWG2 und der Richtlinie 2001/24/EG vom 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten3 wird sorgfältig zwischen Aufrechnung und Netting4 unterschieden. Nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO ist demnach deutsches materielles Insolvenzrecht (insbesondere § 104 InsO) anzuwenden (s. Rz. 639 ff.).
636
Für Teilnehmer an „Zahlungssystemen“ und „Finanzmärkten“5 i.S.d. Art. 9 EuInsVO besteht eine Sonderanknüpfung an das Recht des betreffenden Systems oder Marktes (Art. 9 Abs. 1 EuInsVO). Da Teilnehmer an den bestehenden Systemen und Finanzmärkten Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sind, wird die praktische Bedeutung der Regelung des Art. 9 EuInsVO als gering eingeschätzt6. Es liegt jedoch nahe, die Tätigkeit von Clearinghäusern als Zentrale Gegenparteien als ein eigenes System i.S.v. Art. 9 EuInsVO anzusehen7. CCPs unterstellen ihr Regelwerk einer bestimmten Rechtsordnung (vgl. Rz. 625). Dann ergibt sich eine Anwendbarkeit auf diejenigen Clearingmitglieder von CCPs, die nicht Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen sind, wie z.B. Unternehmen aus dem Energiebereich.
637
b) Ausländische Vertragspartner (Dänemark und alle Nicht-EU-Staaten) und deutsche insolvente Schuldner (Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen) Die EuInsoVO findet nicht Anwendung. Es gelten die §§ 335 ff. InsO. Nach § 335 Abs. 1 InsO ist das materielle Insolvenzrecht des Staates anzuwenden, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. § 340 Abs. 2 InsO enthält eine Sonderregelung, auf die weiter unten eingegangen wird.
638
c) Ausländische Vertragspartner (aus allen Staaten) und deutsche insolvente Schuldner (Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen) Es gelten die §§ 335 ff. InsO und die Sonderregelung des § 340 Abs. 2 InsO. Diese Bestimmung lautet wie folgt: 1 2 3 4
Vgl. Reinhart in MünchKomm/InsO, Art. 6 Rz. 4, 3. Aufl. 2016, Band 4. Die von bilateral netting spricht. Die in Art. 23 von set-off und in Art. 25 von netting agreements spricht. In der deutschen Fassung der Richtlinie heißt es in Art. 25 „Aufrechnungsvereinbarung“, um das englische „Netting“ zu vermeiden, zur Klarstellung wird dahinter der englische Begriff „netting agreements“ in Klammern gesetzt; hierdurch fehlt die scharfe Abgrenzung zur „Aufrechnung“ in Art. 23. 5 Hierzu: Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, Art. 9 EuInsVO Rz. 2 ff. 6 Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, Art. 9 EuInsVO Rz. 4a. 7 Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, Art. 9 EuInsVO Rz. 4b. und Jahn/Fried in MünchKomm/ InsO, § 104 Rz. 180h ff.
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Jahn 1041
639
Teil H Rz. 640
Finanzierung
640
„Die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Pensionsgeschäfte im Sinne des § 340b des Handelsgesetzbuchs sowie auf Schuldumwandlungsverträge1 und Aufrechnungs-vereinbarungen2 unterliegen dem Recht des Staats, das für diese Verträge maßgebend ist.“
641
Der Wortlaut des § 340 Abs. 2 InsO scheint für Geschäfte der genannten Art auf das materielle Insolvenzrecht des Staates zu verweisen, dessen materielles Zivil- und Handelsrecht in dem betreffenden Rahmenvertrag als anwendbar vereinbart worden ist3. So würde z.B. ein zwischen einer US-Bank oder US-Unternehmen und einem deutschen Unternehmen oder deutschen Kreditinstitut abgeschlossener ISDA-Rahmenvertrag, der ausdrücklich der Geltung des Rechts des Staates New York unterstellt wird4, zur Geltung und Anwendung des im Staate New York für Unternehmen oder Kreditinstitute geltenden materiellen Insolvenzrechts führen. Der deutsche Insolvenzrichter müsste in einem solchen Falle prüfen, wie deutsche Unternehmen oder Kreditinstitute nach dem Insolvenzrecht von New York qualifiziert werden würden. Anstelle der vom deutschen Gesetzgeber (und der EU) gewollten Klarstellung und Rechtssicherheit könnte es eher zu einer Rechtsunsicherheit kommen, zumal jegliche Präzedenzfälle fehlen.
642
Es wird daher diskutiert, ob im Wege der teleologischen Auslegung des § 340 Abs. 2 InsO i.V.m. Art. 25 der Richtlinie 2001/24/EG vom 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten die Respektierung der materiellen zivilrechtlichen und handelsrechtlichen Folgen einer rahmenvertraglichen Vereinbarung nach New Yorker Recht gewollt und gemeint sei. Obwohl es in den Materialien zu §§ 335 ff. InsO und zu Art. 25 der Richtlinie 2001/24/EG vom 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten hierfür keine Belege gibt, dürfte diese Auslegung dem offenbaren Wunsch des Gesetzgebers (und EU-Richtlinien-Gebers) nach größerer Rechtssicherheit als bei Anwendung des allgemeinen Grundsatzes (s. oben) eher Rechnung tragen5.
643
§ 340 Abs. 3 InsO enthält eine weitere vom Grundsatz des § 335 InsO abweichende Sonderanknüpfung. Dieses Bestimmung lautet wie folgt:
644
„Für die Teilnehmer an einem System im Sinne von § 1 Abs. 16 des Kreditwesengesetzes gilt Abs. 1 entsprechend.“
645
Abs. 1 enthält eine vom Grundsatz des § 335 InsO abweichende Sonderregelung an das Recht des Staates, das für einen „organisierten Markt“ gilt. Sie ist mit der Regelung des Art. 9 Abs. 1 EuInsVO vergleichbar. Als System i.S.d. Abs. 3 hat auch ein Clearinghaus als Zentrale Gegenpartei zu gelten6. Durch Urteil vom 9.6.2016 hat der BGH entschieden, dass eine rahmenvertragliche Abrechnungsvereinbarung (im vorliegenden Fall: Nr. 8 und Nr. 9 des DRV) bei der Insolvenz einer Rahmenvertragspartei unwirksam ist7. Stattdessen komme die gesetzliche Regelung des § 104 Abs. 3 InsO zur Anwendung. 1 Das sind sog. Novationsvereinbarungen, vgl. die Richtlinie 96/10/EG vom 26.3.1996 zur Änderung der Richtlinie 89/647/EWG Anhang II – sie sind in der Praxis selten geworden nach der Anerkennung des Liquidationsnetting („Aufrechnungsvereinbarung“). 2 Damit sind Liquidations-Netting-Vereinbarungen gemeint, Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, § 340 Rz. 6. 3 Str., zum Meinungsstand Fried in Zerey, § 21 Rz. 8. 4 Eine in der Praxis typische Vereinbarung; die andere standardmäßige Rechtswahlmöglichkeit „englisches Recht“ würde zur Anwendbarkeit des materiellen englischen Insolvenzrechts führen. 5 Fried in Zerey, § 21 Rz. 8. 6 Im Einzelnen hierzu Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, § 340 Rz. 9. 7 BGH v. 9.6.2016 – IX ZR 314/14.
1042 | Jahn
Finanzmanagement (Derivate)
Rz. 646 Teil H
Der Entscheidung lagen Aktienoptionsgeschäfte zweier in Deutschland ansässiger Parteien (Kaufleute) und einem englischen Unternehmen (Wertpapierfirma im Sinne der EuInsVO) zugrunde, für welche die Parteien jeweils einen DRV mit Geltung deutschen Rechts und der Zuständigkeit des LG Frankfurt/M. vereinbart hatten. Nach Nr. 7 Abs. 2 endeten die Verträge ohne Kündigungserklärung („automatisch“) mit Antrag des englischen Unternehmens auf Eröffnung eines englischen Insolvenzverfahrens. Diesem Antrag wurde am gleichen Tag entsprochen. Der BGH hat die Vorrangigkeit der Ausgleichsberechnung nach § 104 Abs. 3 InsO vor den vertraglichen (Netting-) Abrechnungsvereinbarungen statuiert und in Fortführung seiner Entscheidung vom 15.11.20121 mit der Regelung des § 119 InsO begründet. Danach ist eine die Anwendung des § 104 InsO im Voraus beschränkende Vereinbarung unwirksam. Der BGH widerspricht damit der bisherigen herrschenden Auffassung in der Literatur. Seine Entscheidung wirft erhebliche aufsichtsrechtliche Probleme für die Berechnung des Risikos der eingegangenen Geschäfte auf, insbesondere für die Unterlegung mit Eigenkapital sowie der Besicherung. Wenn eine Berechnung nicht mehr nach rahmenvertraglichen Regelungen möglich ist, bleibt wegen der Nichtbestimmbarkeit des Zeitpunkts der Abrechnung nach § 104 Abs. 3 InsO (d.h. des Zeitpunkts der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) offen, wie hoch das Ausfallrisiko ist. Die Zuständigkeit des LG Frankfurt/M. ergab sich aus der schriftlichen Vereinbarung der Parteien, die Anwendbarkeit des deutschen Insolvenzrechts aus §§ 335 ff. InsO. § 340 Abs. 2 InsO enthält eine entsprechende Ausnahme für rahmenvertragliche Regelungen („Aufrechnungsvereinbarungen“, damit sind Nettingvereinbarungen gemeint). Um die Rechtssicherheit von Nettingvereinbarungen sicherzustellen, hat die BaFin am gleichen Tage durch eine „Allgemeinverfügung zu Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts“2 angeordnet, dass vertragliche Nettingvereinbarungen i.S.d. Art. 295 CCR vereinbarungsgemäß abzuwickeln sind. Insbesondere ist bei dem Ausfall einer der beiden Parteien auf den Saldo der positiven und negativen Marktwerte der erfassten Einzelgeschäfte abzustellen. Die Verfügung wird gestützt auf § 4a Abs. 1 Satz 1 WpHG. In einer gleichtägigen Pressemitteilung haben das Bundesfinanzministerium und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemeinsam erklärt, dass ggf. gesetzgeberische Maßnahmen zur Klarstellung oder Präzisierung des § 104 InsO auf den Weg gebracht werden, „um zu gewährleisten, dass die gängigen Rahmenverträge auch weiterhin im Markt und von Aufsichtsbehörden anerkannt werden“. 2. Behandlung von OTC-Derivaten in der Insolvenz nach nationalem Recht a) Deutschland Die Behandlung von OTC-Derivaten in der Insolvenz wurde im Jahre 1994 reformiert. Die bislang einschlägigen §§ 17, 18 Konkursordnung wurden durch eine Neuregelung geändert. Im Vorgriff auf § 104 Insolvenzordnung (InsO), der mit den anderen Vorschriften der InsO am 1.1.1999 in Kraft trat, erlangten Art. 15 des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes3 am 1.8.1994 und Art. 105 des EGInsO4 am 19.10.1994 Gesetzeskraft. Beide Artikel sind inhaltlich gleichlautend und entsprechen dem § 104 1 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = WM 2013, 27 = ZIP 2013, 274. 2 BaFIN v. 9.6.2016, Allgemeinverfügung zu Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts – GZ: ED WA-Wp 1000-2016/0001. 3 BGBl. I 1994, 1749. 4 BGBl. I 1994, 2911.
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Jahn 1043
646
Teil H Rz. 647
Finanzierung
InsO1. Am 14.9.2016 hat die Bundesregierung einen Änderungsentwurf zu § 104 veröffentlicht, durch den das vertragliche Liquidationsnetting zugelassen wird. Finanzinstrumente nach MiFID werden als Beispiele für Finanzleistungen genannt. Die vertragliche Beendigung vor Insolvenzeröffnung wird anerkannt. Die Ausgleichsforderung bestimmt sich nach dem Markt- oder Börsenwert. 647
§ 104 InsO enthält in Abs. 2 eine Sonderregelung für sog. Finanzleistungen2. Der Begriff „Finanzleistungen“ sollte Geschäfte des Finanzmarkts umfassen3. Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei eines Finanzleistungsgeschäfts wird das Finanzleistungsgeschäft von Gesetzes wegen endgültig beendet. Dem Insolvenzverwalter steht kein Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Nach Abs. 2 Satz 3 werden mehrere OTC-Derivate (d.h. Finanzleistungsgeschäfte i.S.d. § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO), die mit einem Rahmenvertrag verbunden sind, als ein gegenseitiger Vertrag für die Zwecke der §§ 103, 104 InsO angesehen4. b) Österreich
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Nach § 20 Abs. 4 der Konkursordnung können die Parteien die automatische Beendigung eines Rahmenvertrages im Falle der Eröffnung des Konkursverfahrens vereinbaren. Im österreichischen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte wird eine solche automatische Beendigung in § 7 Abs. 3 vorgesehen, wenn (i) das Konkurs- oder ein sonstiges Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Partei eröffnet wird, (ii) eine Partei ihre Zahlungsunfähigkeit bekannt gibt, (iii) eine Partei in Liquidation tritt oder (iv) die Geschäftsaufsicht über eine Partei verhängt wird. c) Schweiz
649
Die einschlägigen insolvenzrechtlichen Bestimmungen finden sich in Art. 211 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), der durch Gesetz vom 16.12.1994 geändert wurde5. Durch Einfügung des Art. 211 Abs. 2bis Satz 1 SchKG wird das Wahlrecht der Konkursverwaltung nach Art. 211 Abs. 2 SchKG ausdrücklich ausgeschlossen in Bezug auf Fixgeschäfte (Art. 108 Ziff. 3 Obligationenrecht) sowie auf „Finanztermin-, Swap- und Optionsgeschäfte, wenn der Wert der vertraglichen Leistungen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung aufgrund von Markt- oder Börsenpreisen bestimmbar ist“. Nach Art. 211 Abs. 2bis Satz 2 haben die Konkursverwaltung und der Vertragspartner „je das Recht, die Differenz zwischen dem vereinbarten Wert der 1 Zu der doppelten Regelung kam es, weil im Gesetzgebungsverfahren befürchtet wurde, dass Art. 105 EGInsO und die Einführung der InsO scheitern würden. Die Inkraftsetzung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes galt dagegen als ungleich sicherer. Da die insolvenzrechtliche Neuregelung der Finanztermingeschäfte/OTC-Derivate nicht umstritten war, nahmen die an der Gesetzgebung Beteiligten diese Neuregelung als Art. 15 vorsorglich auch in den Text des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes auf. Kurioserweise wurden beide Reformgesetze nacheinander Gesetz mit der Folge, dass die insolvenzrechtliche Neuregelung der Finanztermingeschäfte sich nun auf zwei Gesetze gründen konnte. Diese Situation ist seit dem Inkrafttreten des § 104 InsO beendet. 2 Ursprünglich, durch ein Redaktionsversehen, enthielt die Überschrift zu § 104 InsO auch den Begriff „Finanztermingeschäfte“, ohne dass dieser Begriff in den Text des § 104 InsO aufgenommen wurde. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie durch das Gesetz v. 5.4.2004 (BGBl. I, 502) wurde der Begriff ersetzt durch „Finanzleistungen“. 3 Hierzu und zu dem vorstehenden im Einzelnen Jahn in Bankrechts-Handbuch, § 114 Rz. 137; Böhm, S. 166 ff. 4 Der Gesetzgeber entscheidet mit dieser Fiktion nicht die dogmatische Frage der Natur dieser Verbindung. 5 In Kraft getreten am 1.1.1997, vgl. dazu Hess/Wyss, Die rechtlichen Grundlagen des Netting unter besonderer Berücksichtigung des Close-out Netting (Art. 211 Abs. 2 bis SchKG, AJP/PJA 1997, 1219 (1224); s. auch Haeberli in Zerey, § 32 Rz. 16 ff.
1044 | Jahn
Sicherheiten
Rz. 653 Teil H
vertraglichen Leistungen und deren Marktwert im Zeitpunkt der Konkurseröffnung geltend zu machen“. Die in Satz 1 genannten Geschäfte werden kraft Gesetzes liquidiert und ihr Wert anhand des Markt- oder Börsenpreises abstrakt ermittelt. Die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem so ermittelten Preis ist die von einer Seite geltend zu machende Differenz. Obwohl Art. 211 Abs. 2bis SchKG den Begriff „Rahmenvertrag“ oder „Einheitsvertrag“1 nicht erwähnt, wird allgemein von der Lehre anerkannt, dass die Zusammenfassung der in Satz 1 genannten Geschäfte zu einem Vertrag und das dann vertragsgemäß vollzogene Netting von der Neuregelung geschützt wird2. Hat der Vertragspartner eine Forderung gegen die Konkursverwaltung nach erfolgtem „Netting“, kann er diese Forderung (wie nach deutschem Recht) nur als Konkursforderung geltend machen, die ggf. quotenmäßig befriedigt wird. In der Praxis verwenden die Parteien in der Regel Klauseln, die zu einer vor Eröffnung des Konkurses führenden Beendigung führen (automatische Beendigung), so dass die nicht die zwingenden Abrechnungsregeln des Art. 211 Abs. 2bis SchKG Anwendung finden, sondern die vertraglichen Bestimmungen. Der innerschweizerisch verwendete „Schweizer Rahmenvertrag für Over-the-Counter-(OTC-) Derivate3 sieht in Ziff. 5.5, wie die verwandten Rahmenverträge aus Deutschland und aus Österreich, standardmäßig eine automatische Beendigung des Rahmenvertrages vor:
650
„Wird über eine Partei der Konkurs, ein Stundungs-, ein Sanierungsverfahren oder ein anderer Akt des Insolvenzrechts mit vergleichbarer Wirkung eröffnet, so gilt der Vertrag ohne weiteres als unmittelbar zuvor aufgelöst.“
651
Kapitel 4. Sicherheiten Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Völker- und europarechtlicher Rahmen 1. Völkerrecht Im Recht der internationalen Finanzierungssicherheiten bilden erstens völkervertragliche und damit die Vertragsstaaten bindende Regelungswerke, zweitens von privaten Organisationen wie etwa der International Chamber of Commerce in Paris (ICC) erarbeitete Mustergeschäftsbedingungen und drittens rechtsvereinheitlichende Modellgesetze den völkerrechtlichen Rahmen. Hinzu tritt das Europarecht (hierzu unter Teil H Rz. 666 ff.).
652
a) Persönliche Sicherheiten Völkervertragsrechtliche Regelungen enthält die UN Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by-Letters of Credit (New York, 1995)4. Hinzu treten zwei Klauselwerke der International Chamber of Commerce (ICC), nämlich die „Einheitlichen 1 Hess/Wyss AJP/PJA 1997, S. 1221; Giger, S. 175 geht auf den Einheitsvertrag nicht ein, sondern gelangt zu demselben Ergebnis durch eine Verrechnung der einzelnen Saldi aus jedem Derivatgeschäft nach Art. 213 SchKG. 2 Haeberli in Zerey, § 32 Rz. 83 ff. 3 Fassung v. 2.5.2003. 4 Text unter http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/payments/guarantees/guarantees.pdf, (17.5.2016) abrufbar.
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Weller 1045
653
Sicherheiten
Rz. 653 Teil H
vertraglichen Leistungen und deren Marktwert im Zeitpunkt der Konkurseröffnung geltend zu machen“. Die in Satz 1 genannten Geschäfte werden kraft Gesetzes liquidiert und ihr Wert anhand des Markt- oder Börsenpreises abstrakt ermittelt. Die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem so ermittelten Preis ist die von einer Seite geltend zu machende Differenz. Obwohl Art. 211 Abs. 2bis SchKG den Begriff „Rahmenvertrag“ oder „Einheitsvertrag“1 nicht erwähnt, wird allgemein von der Lehre anerkannt, dass die Zusammenfassung der in Satz 1 genannten Geschäfte zu einem Vertrag und das dann vertragsgemäß vollzogene Netting von der Neuregelung geschützt wird2. Hat der Vertragspartner eine Forderung gegen die Konkursverwaltung nach erfolgtem „Netting“, kann er diese Forderung (wie nach deutschem Recht) nur als Konkursforderung geltend machen, die ggf. quotenmäßig befriedigt wird. In der Praxis verwenden die Parteien in der Regel Klauseln, die zu einer vor Eröffnung des Konkurses führenden Beendigung führen (automatische Beendigung), so dass die nicht die zwingenden Abrechnungsregeln des Art. 211 Abs. 2bis SchKG Anwendung finden, sondern die vertraglichen Bestimmungen. Der innerschweizerisch verwendete „Schweizer Rahmenvertrag für Over-the-Counter-(OTC-) Derivate3 sieht in Ziff. 5.5, wie die verwandten Rahmenverträge aus Deutschland und aus Österreich, standardmäßig eine automatische Beendigung des Rahmenvertrages vor:
650
„Wird über eine Partei der Konkurs, ein Stundungs-, ein Sanierungsverfahren oder ein anderer Akt des Insolvenzrechts mit vergleichbarer Wirkung eröffnet, so gilt der Vertrag ohne weiteres als unmittelbar zuvor aufgelöst.“
651
Kapitel 4. Sicherheiten Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
I. Völker- und europarechtlicher Rahmen 1. Völkerrecht Im Recht der internationalen Finanzierungssicherheiten bilden erstens völkervertragliche und damit die Vertragsstaaten bindende Regelungswerke, zweitens von privaten Organisationen wie etwa der International Chamber of Commerce in Paris (ICC) erarbeitete Mustergeschäftsbedingungen und drittens rechtsvereinheitlichende Modellgesetze den völkerrechtlichen Rahmen. Hinzu tritt das Europarecht (hierzu unter Teil H Rz. 666 ff.).
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a) Persönliche Sicherheiten Völkervertragsrechtliche Regelungen enthält die UN Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by-Letters of Credit (New York, 1995)4. Hinzu treten zwei Klauselwerke der International Chamber of Commerce (ICC), nämlich die „Einheitlichen 1 Hess/Wyss AJP/PJA 1997, S. 1221; Giger, S. 175 geht auf den Einheitsvertrag nicht ein, sondern gelangt zu demselben Ergebnis durch eine Verrechnung der einzelnen Saldi aus jedem Derivatgeschäft nach Art. 213 SchKG. 2 Haeberli in Zerey, § 32 Rz. 83 ff. 3 Fassung v. 2.5.2003. 4 Text unter http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/payments/guarantees/guarantees.pdf, (17.5.2016) abrufbar.
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Teil H Rz. 654
Finanzierung
Richtlinien für Vertragsgarantien“ von 19781 und die „Einheitlichen Richtlinien für Garantien auf erstes Anfordern“ von 19922. aa) UN-Konvention über unabhängige Garantien und Stand-by-Letters of Credit 654
Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein sind bisher nicht Vertragsstaaten des Übereinkommens3. Trotzdem kann es bereits jetzt hierzulande zur Anwendung gelangen, wenn nämlich die Kollisionsregeln des Forumstaates zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Parteien ein Vertragsstaatenrecht wählen oder – bei objektiver Anknüpfung – der Garant seinen Sitz in einem Vertragsstaat hat4. Subsidiär zu den einheitsrechtlichen Regelungen der Konvention gelten die materiellen Vorschriften des anhand der Kollisionsregeln des Forums zu bestimmenden Vertragsstatuts. In Vertragsstaaten liefert das Übereinkommen mit seinen Artt. 21, 22 die einschlägigen Kollisionsnormen selbst. Diese stimmen allerdings im Ergebnis weitgehend mit denen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und – teilweise – mit denen von Liechtenstein überein (Grundsatz der Parteiautonomie; objektive Anknüpfung an das Sitzortrecht des Garanten). In Art. 2 definiert das Übereinkommen seinen sachlichen Anwendungsbereich, nämlich „unabhängige Verpflichtungen, die in der internationalen Geschäftspraxis als unabhängige Garantie oder Stand-by-Letter of Credit bezeichnet wird und von einer Bank oder einer anderen Institution oder Person (dem Garanten oder Emittenten) übernommen wird (…)“. Erfasst werden nur unabhängige, also nichtakzessorische, und internationale Verpflichtungen i.S.d. Artt. 3, 4 UN-Konvention. Zentrale sachrechtliche Regelung des Übereinkommens ist die in Art. 19 enthaltene Vereinheitlichung der Einwendungen des Garanten gegen seine Inanspruchnahme, insbesondere bei Rechtsmissbrauch5. Um die Einheitlichkeit der Auslegung der gerade auch in Art. 19 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe zu fördern, erinnert Art. 5 an den „kategorischen Imperativ“ einer jeder Interpretation von Einheitsrecht. Gleichwohl wird der Nutzen der Konvention zum Teil skeptisch beurteilt6. In der Tat ist das zentrale Problemfeld der unberechtigten Inanspruchnahme normativ nur schwer, weil eben immer nur abstrakt-generell zu fassen. bb) ICC-Einheitliche Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien von 2010
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Die „Einheitlichen Richtlinien für auf Anfordern zahlbare Garantien“7 bzw. die Uniform Rules for Demand Guarantees URDG 7588 der Internationalen Handelskammer (ICC) sind, nunmehr zugunsten von Kohärenz der ICC-Regelwerke untereinander strukturell stärker angelehnt an die Einheitlichen Richtlinien für Bankakkreditive (ERA), zum 1. Juli verabschiedet worden und als erste Revision aus den „Uniform Rules 1 ICC, Uniform Rules for Contract Guarantees, ICC Publication No. 325. 2 ICC, Uniform Rules for Demand Guarantees, ICC Publication No. 458; vgl. hierzu Hasse, WM 1993, 1985; v. Westphalen, RIW 1992, 961; Bögl, Internationale Garantieverträge, S. 65 ff. 3 Ratifiziert haben derzeit Liberia (Inkrafttreten 1.10.2006), Gabun (Inkrafttreten 1.1.2006), Weißrussland (Inkrafttreten 1.2.2003), Equador, El Salvador, Kuwait, Panama und Tunesien (Inkrafttreten 1.1.2000). Die USA haben lediglich gezeichnet. 4 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO, vgl. Leible in NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152 (Bürgschaft), Rz. 154 (Schuldversprechen), Rz. 155 (Garantie bzw. Standby Letter of Credit), Rz. 156 (Patronsatserklärung); Schweiz: Art. 117 Abs. 3 lit. e IPRG; anders Liechtenstein: Art. 49 IPRG sieht akzessorische Anknüpfung an die gesicherte Forderung vor, für Garantien von Banken bleibt es allerdings nach Art. 49 S. 2, 42 Abs. 1 IPRG bei der Anknüpfung an das Sitzortrecht der Bank, vgl. im Einzelnen noch unten Teil H Rz. 686 ff. 5 Horn, RIW 1997, 717 (722). 6 Z.B. Nielsen/Nielsen, 5 Geo. Mason J. Int’l Com. L. 171, 186. 7 So die offizielle Übersetzung durch die ICC Germany. 8 Zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Affaki/Goode, Guide to ICC Uniform Rules for Demand Guarantees URDG 758 (2011), Vorwort, S. 1 ff.
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Sicherheiten
Rz. 658 Teil H
for Demand Guarantees“ (URDG 458) von 1992 bzw. den „Uniform Rules for Contract Guarantees, Uniform Rules for Contract Bonds“ (URCG 325) von 1978 hervorgegangen1. Geltung erlangen Rules dieser Art jedenfalls dann, wenn die Parteien in ihrem Garantievertrag auf die Richtlinien Bezug nehmen2, sie also kraft materiell-rechtlicher Verweisung in den Grenzen des zwingenden Rechts des nach allgemeinen Kollisionsregeln zu bestimmenden Vertragsstatuts inkorporieren. Soweit man die Wahl des Kollisionsrechts im Internationalen Schuldvertragsrecht zulässt3 und überdies die konkret verdrängte Kollisionsregeln des Forums nicht als zwingende einordnet, treten die mit der Inkorporation zugleich gewählten Kollisionsregeln der ICC Rules an die Stelle des Kollisionsrechts des Forums4. Art. 34 URDG 758 (zuvor bereits ebenso Art. 10 URCG 325 und Art. 27 URDG 458) stimmt allerdings mit der dort vorgesehenen Rechtswahlfreiheit und der objektiven Anknüpfung an das Sitzortrecht des Garanten bzw. seiner garantierenden Niederlassung im Ergebnis weitgehend mit den Kollisionsregeln von Deutschland, Österreich, der Schweiz und – teilweise – Liechtenstein überein5, so dass ein Konflikt zwischen dem staatlichen Kollisionsrecht der lex fori und dem über die ICC-Regelwerke gewählten Kollisionsnormen nur selten, wenn überhaupt, auftreten dürfte.
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Ob man die ICC-Richtlinien als nichtstaatliche Bestandteile einer lex mercatoria gleichsam en voie direct kollisionsrechtlich wählen kann anstatt sie lediglich materiell-rechtlich zu inkorporieren, ist umstritten. Staatliche Gerichte dürften sich allerdings der wohl überwiegenden Auffassung anschließen, dass jedenfalls Klauselwerke wie die ICC-Richtlinien nur ergänzend und im Rahmen eines gewählten staatlichen Rechts anwendbar sein können6.
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b) Mobiliarsicherheiten Völkerrechtliche Übereinkommen zu Mobiliarsicherheiten sind die UNIDROIT-Konvention über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung (Kapstadt, 2001)7 und die Konvention über die internationale Anerkennung von Rechten an Luftfahrzeugen (Genf, 1948)8. 1 Zur fehlenden Akzeptanz der 1978 Rules und den Gründen, a.a.O., S. 1. 2 Horn, RIW 1997, 717 (720); Bögl, Internationale Garantieverträge, S. 108. 3 Die Zulässigkeit der Kollisionsrechtswahl ist freilich umstritten, vgl. z.B. Hausmann in Staudinger/BGB, Art. 20 Rom I-VO Rz. 10 ff. m.w.N. Gegen die Zulässigkeit spricht Art. 20 Rom I-VO. Art. 20 Rom I-VO könnte dem Wortlaut nach freilich auch als bloße Vermutungsregel für eine ohne ausdrückliche Äußerung zur Kollisionsrechtswahl getroffene Sachrechtswahl gedeutet werden. 4 Reichweite und Schranken der Parteidisposition insgesamt richten sich allerdings allein nach der lex fori. Soweit die ICC Rules Rechtswahlfreiheit einräumen, vollziehen sie lediglich durch die lex fori vorgegebene Freiräume nach, können aber nicht darüber hinaus Freiräume eröffnen. 5 Deutschland und Österreich: Art. 3 und 4 Abs. 2 Rom I-VO; Schweiz: Art. 117 Abs. 3 lit. e IPRG; anders Liechtenstein: Art. 49 IPRG sieht akzessorische Anknüpfung an die gesicherte Forderung vor, für Garantien von Banken bleibt es allerdings nach Art. 49 S. 1, 42 Abs. 1 IPRG bei der Anknüpfung an das Sitzortrecht der Bank, vgl. im Einzelnen noch unten Teil H Rz. 686 ff. 6 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 3 Rom I-VO Rz. 59 f. m.w.N. zum Streitstand. 7 Text unter http://www.unidroit.org/instruments/security-interests/cape-town-convention (17.5.2016) abrufbar; Henrichs, IPRax 2003, 210 ff.; Kronke, Konvention von Kapstadt, S. 33 ff.; Kronke, ZLW 2002, 147; Kronke, UNIDROIT Convention on Mobile Equipment, S. 643 ff.; aktuelle Informationen auf der homepage der Aviation Working Group (AWG), http://www.awg.aero/ projects/capetownconvention (17.5.2016) sowie auf der homepage des Capetown Convention Academic Project, http://www.ctcap.org (17.5.2016). 8 BGBl. 1959 II S. 130; Inkrafttreten für Deutschland am 5.10.1959; im Verhältnis zur Schweiz gilt das Übereinkommen seit 1.1.1961; Österreich und Liechtenstein sind nicht Mitglieder.
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Teil H Rz. 659
Finanzierung
aa) Konvention über die internationale Anerkennung von Rechten an Luftfahrzeugen (Genf, 1948) 659
Die Absicherung von Forderungen eines Kreditgebers durch das alte Genfer Abkommen empfanden die beteiligten Verkehrskreise seit längerem nicht mehr als befriedigend. An seine Stelle ist seit 1.3.2006 die UNIDROIT-Konvention als Rahmenübereinkommen für internationale Sicherheiten an beweglicher Ausrüstung mit derzeit 68 Vertragsstaaten in Verbindung mit dem Protokoll zur Luftfahrtausrüstung vom 16.11.2001 getreten. Deren Vorrang in Bezug auf Luftfahrzeuge und Luftfahrzeuggegenstände gegenüber dem Genfer Übereinkommen ergibt sich für dessen Vertragsstaaten aus Art. XXIII des Protokolls zur UNIDROIT Konvention1. bb) UNIDROIT-Konvention über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung
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Das UNIDROIT-Übereinkommen schafft in seinem räumlichen Anwendungsbereich2 ein sachrechtlich eigenständiges Kreditsicherungsrecht („international interest“, Art. 2), das zur Finanzierung hochwertiger und typischerweise grenzüberschreitend beweglicher Güter wie beispielsweise Flugzeuge eingesetzt werden kann. Es regelt dessen Entstehen, die Rechtswirkungen inter partes und erga omnes, die Abtretung sowie die Rechte des Gläubigers bei Nichterfüllung und im Insolvenzfall3. Zudem wird ein sicherungsgutspezifisches internationales Registersystem mit Vorrangregeln für Inhaber von internationalen Sicherungsrechten geschaffen. Das Regelungswerk ist als einheitlicher völkerrechtlicher Vertrag zu behandeln4, besteht aber aus einer Basis-Konvention5 („allgemeiner Teil“) und kategoriespezifischen Zusatzprotokollen („Two-Instrument Approach“)6. Dabei handelt es sich um die Protokolle über Luftfahrtausrüstung7, Weltraumausrüstungsgegenstände8 und Eisenbahnrollmaterial9. Die zwei letztgenannten Protokolle treten allerdings erst in Kraft, wenn zumindest 4 bzw. 10 Ratifikationen erfolgt sind10. Ein viertes Protokoll für Landwirtschaft, Bauwesen und Bergbau befindet sich derzeit in Arbeit11. Zu beachten ist, dass die ratifizierenden Staaten gewisse Vorschriften der Konvention für sich selbst ausschließen oder erst zur Gel1 Vorrang genießt die UNIDROIT-Konvention nach Art. XXIV des nämlichen Protokolls auch für das noch ältere Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen von 1933. 2 Gemäß Art. 3 muss sich der Sicherungsgeber in einem Vertragsstaat befinden, die Transnationalität des Sachverhalts wird nicht vorausgesetzt, vgl. Kreuzer, Conflict-of-Laws Rules for Security Rights in Tangible Assets, S. 279 (303). 3 Aviation Working Group (AWG), Self-instructional materials, S. 2. 4 Kreuzer, Internationale Mobilisierungsrechte, S. 869 (883). 5 Convention on International Interests in Mobile Equipment og 16 November 2001, in Kraft getreten am 1.3.2006, derzeit 68 Vertragsstaaten und die EU. 6 Hierzu ausführlich Goode/Kronke/McKendrick, Transnational Commercial Law – Text, Cases and Materials, Rz. 12.17.; Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.12 ff. 7 Protocol to the Convention on international interests in mobile equipment on matters specific to aircraft equipment og 16 November 2001, in Kraft getreten am 1.3.2006, derzeit 59 Vertragsstaaten und die EU. 8 Protocol to the Convention on international interests in mobile equipment on matters specific to space assets (Berlin 2012), noch nicht in Kraft; derzeit haben Burkina Faso, Deutschland, Saudi-Arabien und Zimbabwe gezeichnet. 9 Protocol to the Convention on international interests in mobile equipment on matters specific to railway rolling stock (Luxembourg 2007), noch nicht in Kraft; derzeit haben Gabon, Deutschland, Italien, Luxemburg und die Schweiz gezeichnet. 10 Art. XXXVIII Abs. 1 des Protokolls über Weltraumgegenstände; Art. XXIII Abs. 1 des Protokolls über Eisenbahnrollmaterial. 11 http://www.unidroit.org/work-in-progress-studies/current-studies/mac-protocol (5.8.2015); Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.15.
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Sicherheiten
Rz. 661 Teil H
tung bringen können (sog. Opt-out und Opt-in Möglichkeiten)1. Im europäischen Raum besteht zurzeit die Problematik, dass die EU Rechtsetzungskompetenzen (nur) für das internationale Prozessrecht sowie das Insolvenzverfahren hat, während die Mitgliedsstaaten weiterhin für das materielle Insolvenzrecht zuständig sind2. Deshalb müssen – um ein alle Regelungsbereiche umfassendes Inkrafttreten des Übereinkommens zu erreichen – sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die EU das Übereinkommen ratifizieren3. Eine solche materiespezifische Teilinkraftsetzung ermöglicht Art. 48 Abs. 1. Die EU-Mitgliedsstaaten sind dabei aber in Bezug auf gewisse Opt-in und Opt-out-Möglichkeiten, die in den Kompetenzbereich der EU fallen, eingeschränkt4. Solange einzelne EU-Mitgliedsstaaten das Übereinkommen nicht ratifizieren, läuft die EU-Ratifikation für diese Staaten ins Leere5. Zurzeit deckt das Übereinkommen nach Industrieschätzungen weltweit bereits 75–80 % aller kreditfinanzierten Transaktionen zur Luftfahrtausrüstung ab. Dabei wird allein der Bedarf an Luftfahrtausrüstung von 2015 bis 2034 auf einen Wert von 4,9 Billionen US-Dollar geschätzt6, die vermutlich zu 85 % finanziert werden7. Inzwischen gibt es erste, sich ausführlicher mit der Konvention auseinander setzende Rechtsprechung8. (1) „International interest“ und Registersystem Das Sicherungsrecht entsteht also nicht nach dem Recht eines bestimmten Staates und wird deswegen auch nicht nach Grenzübertritt und Statutenwechsel (lex rei sitaeRegel für bewegliche Sachen) im neuen Staat kollisionsrechtlich – sei es durch Transposition, sei es durch Substitution – integrationsbedürftig. Vielmehr können die Parteien unter der Geltung des Übereinkommens ein „originär-internationales Sicherungsrecht“9 begründen. Erfasst werden dabei gem. Art. 2 das vorbehaltene Eigentum, das Sicherungseigentum, sowie das Eigentum des Leasinggebers10. Die Vereinbarung hierüber bedarf der Schriftform. Seine Entstehung mit Wirkung inter partes richtet sich nach Art. 7. Wirkung erga omnes entfaltet es bei – nicht konstitutiver11, aber rangwahrender (Art. 29) – Eintragung in das nach Artt. 16 ff. geschaffene, vollelektronische und jederzeit einsehbare Register. Dieses stellt nicht auf den Schuldner bzw. Sicherungsgeber, sondern auf das individuell zu bezeichnende Sicherungsobjekt ab (sog. Sicherungsgutansatz)12. Daher gibt es nicht ein einziges Register, sondern entsprechend 1 Eine Zusammenfassung aller Opt-in und Opt-out Erklärungen findet sich bei Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.269 ff. 2 Goode, Convention on International interests in Mobile Equipment and Protocol thereto on Matters Specific to Aircraft Equipment: Official Commentary, Rz. 4.311 ff., 3.118, 2.267; Zur Kompetenzproblematik innerhalb der EU, vgl. Heinrichs, IPRax 2003, 210 (216 f.); Kieninger, Das internationale Sachenrecht als Gegenstand eines Rechtsakts der EU – eine Skizze, S. 469 (473); Kreuzer, Internationale Mobiliarsicherungsrechte, S. 875 ff.; Schmalenbach/Sester, WM 2005, 301 (308). 3 Bisher haben Irland, Lettland, Luxemburg, Malta und das Vereinigte Königreich ratifiziert. Spanien hat nur die Konvention ratifiziert. 4 Unidroit Summary Report: The European Community and the Cape Town Convention, 26.11. 2009; Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.267 ff. 5 Henrichs, IPRax 2003, 210 (217). 6 Airbus Global Market Forecast 2015–2034, http://www.airbus.com/company/market/forecast (26.8.2015). 7 Linetsky, Economic Benefits of the Cape Town Treaty, S. 2. 8 High Court of India, Urt. v. 19.3.2015 – WP(C) 871/2015 und WP(C) 747/2015, Awas 39423 Ireland Ltd. & Ors. v. Directorate General Of Civil Aviation, http://indiankanoon.org/ doc/131705572 (26.8.2015). 9 Kronke, Konvention von Kapstadt, S. 33 (37). 10 Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.4. 11 Kronke, ZLW 2002, 147 (148). 12 Kreuzer, Internationale Mobilisierungsrechte, S. 869 (888).
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Teil H Rz. 662
Finanzierung
der jeweiligen Protokolle einzelne auf die spezifischen Sicherungsgegenstände bezogene Register1. Ein gem. Art. 19 in das internationale Register eingetragene Sicherungsrecht hat Vorrang vor allen später oder nicht eingetragenen Rechten, auch dann, wenn der Sicherungsnehmer Kenntnis von einer bereits bestehenden Belastung durch ein internationales Sicherungsrecht hatte2. Im Insolvenzverfahren ist nach Art. 30 I ein vor der Insolvenzeröffnung eingetragenes Sicherungsrecht wirksam. Die Vertragsstaaten können zudem mittels Deklaration jederzeit diejenigen Arten von nationalen gesetzlichen Sicherungsrechten bestimmen, die als internationales Sicherungsrecht eintragungsfähig sein sollen, sowie nationale – nicht eintragungsfähige – gesetzliche Rechte für generell vorrangig erklären3. Nationale Sicherungsrechte können somit neben dem internationalen, registrierten Sicherungsrechten entstehen und bestehen, gehen diesen aber im Rang nach, wenn sie nicht selbst mit zeitlicher Priorität in das internationale Register eingetragen worden sind4. (2) Rechte des Gläubigers 662
Die Rechte des Gläubigers richten sich nach Kapitel III der Konvention. Die Rechte des Sicherungsnehmers regeln Art. 8 und 9. Da Vorbehaltsverkäufer und Leasinggeber auf das eigene Eigentum zurückgreifen, sind deren Rechte weniger ausführlich in Art. 10 geregelt5. Der Gläubiger kann bei Nichterfüllung des Schuldners das Sicherungsgut in Besitz nehmen, der Sicherungsnehmer kann es zudem veräußern oder aber verleasen, um auf diesem Wege Erlöse aus dem Betrieb zu generieren6. Bis auf den gerichtlich anzuordnenden Verfall nach Art. 9 können alle anderen Rechte im Wege der Selbsthilfe und – selbstverständlich – gem. Art. 8 Abs. 2 und 10b auch auf gerichtlichem Wege durchgesetzt werden. Vorläufigen Rechtsschutz kann der Gläubiger nach Art. 13 erlangen. Zudem können sich weitere Rechtsbehelfe aus Parteivereinbarungen und innerstaatlichem Recht nach Art. 12 i.V.m. Art. 15 ergeben7. Die einzelnen Protokolle regeln die Rechte des Gläubigers im Insolvenzverfahren. Hier ermöglicht das Protokoll für Luftfahrtausrüstung beispielhaft in Artt. XI i.V.m. III den Vertragsstaaten drei Regelungsmöglichkeiten: Das nationale Insolvenzrecht kommt zur Anwendung, die Inbesitznahme des besicherten Gegenstandes durch den Gläubiger wird von einer vorherigen gerichtlichen Befassung abhängig gemacht oder die Inbesitznahme erfolgt nach Ablauf einer Wartefrist unmittelbar durch den Gläubiger8. Die Abtretung der gesicherten Forderung (associated rights) i.S.v. Art. 1 lit. c erfolgt nach Artt. 31 ff. Das damit verbundene internationale Sicherungsrecht sowie alle Nebenrechten gehen – sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben – auf den Zessionar über9.
1 Bisher existiert nur das Register für Luftfahrtausrüstung, https://www.internationalregistry.aero/ir-web/(28.7.2015); hierzu Atwood, 43 UCC.L.J. 2, S. 637 ff. 2 Vgl. Art. 29 II – „prior tempore prior iure“; Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.161. 3 Goode/Kronke/McKendrick/Wool, Transnational Commercial Law – International Instruments and Commentary, S. 478. 4 Kieninger, Das internationale Sachenrecht als Gegenstand eines Rechtsakts der EU – eine Skizze, S. 469 (473). 5 Kreuzer, Internationale Mobilisierungsrechte, S. 869 (886). 6 Kronke, ZLW 2002, 147 (148). 7 Zu den möglichen Rechtsbehelfen ausführlich: Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.84 ff. 8 Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 3.102 ff. 9 Goode/Kronke/McKendrick/Wool, Transnational Commercial Law – International Instruments and Commentary, S. 478.
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Sicherheiten
Rz. 665 Teil H
(3) Parteiautonomie und Prorogation Über die Vorschriften der Konvention kann nach Art. 15 durch Parteivereinbarung weitestgehend disponiert werden. Die Konvention selbst enthält keine Regelungen über die Möglichkeit einer Rechtswahl, so dass die entsprechenden IPR-Vorschriften des Forumstaates zur Anwendung kommen1. Allerdings eröffnen alle bisher erarbeiteten Protokolle die Möglichkeit einer Rechtswahl2.
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Gemäß Art. 42 ist das von den Parteien gewählte Gericht für alle sich aus der Konvention ergebenden Ansprüche international zuständig, dies unabhängig davon, ob das vereinbarte Forum eine Verbindung zum Sachverhalt hat3. (4) Die Protokolle Eine der Besonderheiten der Konvention liegt darin, dass deren Bestimmungen nur nach Maßgabe des betreffenden Protokolls in Kraft treten, Art. 49 (1) b). Soweit also die Protokolle die Konvention modifizieren, genießen sie Vorrang4. Art. III des Protokolls über Luftfahrtausrüstung erstreckt die Bestimmungen über die Registrierung und den Rang von Rechten sogar auf Veräußerungsgeschäfte5. Zudem schaffen die Artt. IX, XI und XIII zusätzliche Rechtsbehelfe des Gläubigers, die sich vor allem im einstweiligen Rechtsschutz und Insolvenzfall auswirken6. Das Protokoll über Eisenbahnrollmaterial entspricht weitgehend demjenigen über Luftfahrtausrüstung. Es lockert jedoch die Voraussetzungen über die Identifikation des Sicherungsobjekts in Art. V und findet keine Anwendung auf Veräußerungen. Auch das Weltraumprotokoll folgt demjenigen über Luftfahrtausrüstung, ist jedoch in besonderem Maße auf den Umstand zugeschnitten, dass Weltraumausrüstungsgegenstände sich – einmal im Weltraum angelangt – nicht mehr innerhalb der Grenzen eines bestimmten Staates befinden7.
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c) Modellgesetze für Secured Transactions Impulse für eine weitere weltweite Vereinheitlichung für das Recht der Kreditsicherheiten gehen aus vom Model Inter-American Law on Secured Transactions von 2002 und den Model Registry Regulations under the Model Inter-American Law on Secured Transactions von 2009 der Organization of American States (OAS)8, dem Uniform Act Organizing Securities von 1997 der Organisation de l’Harmonisation en Afrique du Droit commericial (OHADA)9 und vom Model Law on Secured Transactions von 1994 der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD). Ferner hat die Working Group VI von UNCITRAL 2007 den „Legislative Guide on Secured Trans1 Creydt, IPRax, S. 499 (502). 2 S. Art. VIII des Protokolls über Luftfahrtausrüstung, Art. VIII des Weltraumprotokolls und Art VI des Protokolls über Eisenbahnrollmaterial; s. zur Rechtswahl ausführlich Kreuzer, 2 CTCJ (2013), S. 149 ff. 3 Kronke, Konvention von Kapstadt, S. 33 (41). 4 Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 4.315. 5 Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 2.36 und 5.20 ff. 6 Goode, CTC and Aircraft Protocol: Official Commentary, Rz. 5.43 ff. 7 Vgl. zu den Besonderheiten der Protokolle ausführlich Goode/Kronke/McKendrick/Wool, Transnational Commercial Law – International Instruments and Commentary, S. 479, sowie für das Weltraumprotokoll Creydt, IPRax, S. 499 ff.; Goode, CTC and Space Protocol: Official Commentary, Rz. 3.3. 8 Organization of American States, Sixth Inter-American Specialized Conference on Private International Law (CIDIP-VI), Resolution CIDIP-VI/RES. 5/02 und Organization of American States, Seventh Inter-American Specialized Conference on Private International Law (CIDIP-VII), Resolution CIDIP-VII/RES. 1/09. 9 OHADA, Uniform Act Organizing Securities, http://www.ohada.com/actes-uniformes/458/uni form-act-organizing-securities.html (23.4.2015).
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Teil H Rz. 666
Finanzierung
actions“ erarbeitet. Schließlich ist auch das UNIDROIT Modellgesetz für Leasing zu nennen1. 2. Europarecht 666
Im europäischen Rechtsraum sind seit je her Tendenzen zur Vereinheitlichung des wirtschaftlich höchst bedeutsamen Kreditsicherungsrechts zu verzeichnen2. Frühere Anläufe der EG scheiterten allerdings3. Erst in jüngerer Zeit sind mehrere Sekundärrechtsakte mit Relevanz für das Kreditsicherungsrecht in Kraft getreten4, nämlich die Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten5, erlassen im Rahmen des Aktionsplans der Kommission für Finanzdienstleistungen6, die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO)7 und die Finalitätsrichtlinie8: a) Finanzsicherheitenrichtlinie
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Die Finanzsicherheitenrichtlinie will ausweislich ihres dritten Erwägungsgrunds eine gemeinschaftsweite Regelung für die Bereitstellung von Wertpapieren und Barguthaben als Sicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts oder im Wege der Vollrechtsübertragung, einschließlich Wertpapierpensionsgeschäften (Repos), schaffen, dies um ein einheitliches Regelsystem zur Begrenzung von Kreditrisiken für die Europäische Union zu schaffen, wenn Aktien und Bargeld als Sicherheit dienen. Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist also beschränkt. Die erfassten Sicherheiten nimmt die Richtlinie dann aber von bestimmten insolvenzrechtlichen Regelungen aus. Dies führte im deutschen Schrifttum zu Kritik9. Der deutsche und österreichische Umsetzungsgesetzgeber haben die Finanzsicherheitenrichtlinie durch ein entsprechendes Finanzsicherheitengesetz umgesetzt10. Bei der österreichischen 1 UNIDROIT Model Law on Leasing v. 13 November 2008, http://www.unidroit.org/instruments/ leasing/model-law (26.8.2015). 2 Bericht der von der EWG-Kommission eingesetzten Sachverständigengruppe zum Thema „Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts“ (Segré-Bericht), Brüssel 1966; hierzu Meyer, EuZW 2004, 389; Stöcker, Eurohypothek, S. 216 ff. 3 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entwurf eines Vorschlags einer „Richtlinie des Rates zur Angleichung des Bürgschafts- und Garantierechts“, DOK III/629/79-D; vgl. hierzu Bögl, Internationale Garantieverträge, S. 63 f. 4 Instruktiv Geibel, Europäisches Recht der Kreditsicherheiten, S. 335 ff. 5 RL 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten, ABl. EG Nr. L 168 v. 27.6.2002 S. 43, geändert durch Richtlinie 2009/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.5.2009 zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen, ABl. EU Nr. L 146 v. 10.6.2009, S. 37. 6 Mitteilung der Kommission, Finanzdienstleistungen: Umsetzung des Finanzmarktrahmens: Aktionsplan, KOM(1999)232 v. 11.5.1999. 7 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. EG Nr. L v. 30.6.2000, S. 1, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 663/2014 v. 5.6.2014 (ABl. Nr. L 179 S. 4), neugefasst durch Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU Nr. L 141 v. 5.6.2015, S. 19 ff., anwendbar nach Art. 84 Abs. 1 für nach dem 26.6.2017 eröffnete Insolvenzverfahren. 8 Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen, ABl. EG Nr. L 166 v. 11.6.1998, S. 45. 9 Übersicht bei Geibel, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 335 (363 f.); hiergegen wiederum Obermüller, ZIP 2003, 2336 ff. 10 Deutschland: Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2002/47/EG vom 6.6.2002 über Finanzsicherheiten und zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes und anderer Gesetze, BGBl. I, 502; Inkrafttreten: 9.4.2004; hierzu Kollmann, WM 2004, 1012 ff.; Obermüller, ZIP 2003, 2336 ff.; Österreich: Bundesgesetz über Sicherheiten auf den Finanzmärkten, FinSG, BGBl. I 2003/117 v. 16.12.2003; Kathrein, Das Finanzsicherheiten-Gesetz, ÖBA 2004, 1 ff.
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Sicherheiten
Rz. 670 Teil H
Umsetzung wurde zugleich das östIPRG mit § 33a IPRG1 um eine allgemeine Regel für das bei Übertragung von im Effektengiro übertragbaren Wertpapieren im grenzüberschreitenden Verkehr anwendbare Recht ergänzt2. Liechtenstein hat die Finanzsicherheitenrichtlinie ebenfalls umgesetzt3. Die Europäische Kommission hat zwischenzeitlich die Richtlinie im Wesentlichen positiv evaluiert4 und moderat fortentwickelt5. Zu Einzelheiten unten Teil L Rz. 197 ff., 291, 339, 372. b) EuInsVO Art. 7 EuInsVO (Art. 10 EuInsVO in der für diese Vorschrift im Wesentlichen unveränderten Neufassung)6 enthält eine spezielle Regelung zum Eigentumsvorbehalt, wonach die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer einer Sache die Rechte des Verkäufers aus einem Eigentumsvorbehalt unberührt lässt, wenn sich diese Sache zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem der Verfahrenseröffnung befindet7. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO betrifft die Insolvenz des Verkäufers. Zu Einzelheiten unten Teil O.
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c) Finalitätsrichtlinie Art. 9 Abs. 2 enthält eine Kollisionsregel für Sicherungsrechte an Wertpapieren, die zugunsten von Teilnehmern an Zahlungs- und Wertpapierabrechnungssystemen bestellt werden. Zu Einzelheiten unten Teil L Rz. 290 ff., 338, 372.
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d) Vorarbeiten zu einem einheitlichen europäischen Kreditsicherungsrecht Weit über die relativ speziellen Anwendungsbereiche des europäischen Richtlinienrechts hinausgehend hat schließlich das Hamburg Working Team der Study Group 1 § 33a östIPRG: (1) Die Rechtsnatur und der Inhalt dinglicher Rechte an im Effektengiro übertragbaren Wertpapieren … sowie der Erwerb dinglicher Rechte daran einschließlich des Besitzes sind nach den Sachnormen des Staates zu beurteilen, in dem das maßgebliche Konto … geführt wird. (2) Nach dem im Abs. 1 bezeichneten Recht ist zudem zu beurteilen, 1. ob das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte an im Effektengiro übertragbaren Wertpapieren durch das Eigentum oder durch sonstige dingliche Rechte eines Dritten verdrängt werden oder diesem gegenüber nachrangig sind oder ein gutgläubiger Erwerb eingetreten ist; 2. ob und welche Schritte zur Verwertung von im Effektengiro übertragbaren Wertpapieren nach Eintritt des Verwertungs- oder Beendigungsfalls (§ 3 Abs. 1 Z 12 FinSG) erforderlich sind.“ 2 Art. 2 des Bundesgesetzes, mit dem ein Bundesgesetz über Sicherheiten auf den Finanzmärkten (Finanzsicherheiten-Gesetz – FinSG) erlassen wird und das Bundesgesetz über das internationale Privatrecht geändert wird, BGBl. I 2003/117; hierzu Teil L Rz. 348. 3 Gesetz v. 23.10.2002 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (Finalitätsgesetz), LGBl. 2002 Nr. 159 v. 13.12.2002. 4 Bewertungsbericht der Kommission v. 20.12.2006 über die Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten; hierauf beruhend der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen, KOM/2008/0213 endg. 5 Richtlinie 2009/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.5.2009 zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. EU Nr. L 146 v. 10.6.2009, S. 37. 6 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. EG Nr. L v. 30.6.2000, S. 1, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 663/2014 v. 5.6.2014 (ABl. Nr. L 179 S. 4), neugefasst durch Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU Nr. L 141 v. 5.6.2015, S. 19 ff., anwendbar nach Art. 84 Abs. 1 für nach dem 26.6.2017 eröffnete Insolvenzverfahren. 7 Vgl. hierzu noch genauer in Teil H Rz. 154 ff.
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670
Teil H Rz. 671
Finanzierung
on a European Civil Code 2001 „Rules on Personal Security“ vorgelegt1. Der Vorschlag der Union International du Notariat Latin von 1987 für die Schaffung einer Eurohypothek2 basierend auf dem schweizerischen Schuldbrief wurde nicht aufgegriffen3.
II. Persönliche Sicherheiten Spezialliteratur s. Literaturübersicht zu Beginn des Teils H, vor Rz. 1.
1. Allgemeines a) Typen persönlicher Sicherheiten 671
Die in der internationalen Wirtschaft häufigsten Typen persönlicher Sicherheiten sind Bürgschaften, Garantien und Patronatserklärungen4. Hinzu kommen neben dem Schuldbeitritt atypische Kreditsicherheiten in Gestalt sonstiger Verpflichtungserklärungen, wobei zu letzteren auch Sicherungserklärungen des Kreditnehmers selbst wie etwa Positiverklärungen, Negativerklärungen, deren Kombination und Gleichstellungsverpflichtungen zählen5. Andere Nebenabreden (financial covenants) im Kreditvertrag, die keinen Bezug zu einem Anspruch des Kreditgebers auf bevorzugte Befriedigung haben6, sind keine Kreditsicherheiten im eigentlichen Sinne und bleiben deshalb hier außer Betracht. Für persönliche Sicherheiten speziell von Banken (Avalgeschäft)7 wird auf Teil H Rz. 433 verwiesen. b) Abgrenzung von Bürgschaft und Garantie
672
Soweit es bei der Abgrenzung von Bürgschaft und Garantie um die Bestimmung der einschlägigen Kollisionsnormen innerhalb einer Rechtsordnung geht, richtet sich diese Qualifikation nach der jeweiligen lex fori8. Trotzdem lässt sich als Abgrenzungskriterium verallgemeinern, dass der Sicherungsgeber bei einer Bürgschaft anders als bei einer Garantie auch Einwendungen aus dem Verhältnis Hauptschuldner – Gläubiger erheben kann9. Im schweizerischen materiellen Recht gilt außerdem eine Vermutung, dass kreditsichernde Erklärungen von Banken und Sicherungsgeschäfte über Auslandsverträge im Zweifel Garantien sind, Erklärungen von Privatpersonen hingegen im Zweifel als Bürgschaft zu qualifizieren sind10. Auf kollisionsrechtlicher Ebene wird 1 Drobnig, Study Group on a European Civil Code, Rules on Personal Security, München 2007. 2 Hierzu Wehrens, WM 1992, 557. 3 Hierzu Meyer, EuZW 2004, 389; zum europaweit einheitlichen Grundpfandrecht Wolfsteiner/ Stöcker, DNotZ 1999, 451. 4 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1181 ff.; Vischer/Huber/ Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 529 ff.; von Finckenstein, BKR 2002, 291. 5 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.572. 6 Z.B. das vertraglich vereinbarte Recht des Kreditgebers, bei Verschlechterung der finanziellen Situation des Kreditnehmers die weitere Valutierung zu verweigern und/oder den Kredit vorzeitig fällig zu stellen, vgl. z.B. Wittig, WM 1996, 1381 (1382 ff.); Thießen, ZBB 1996, 19 ff.; häufig wird dies verbunden mit der Verpflichtung zum Bericht über entsprechende Unternehmenskennzahlen, Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.592. Denkbar ist aber auch die Vereinbarung der Pflicht des Kreditnehmers, bei Unterschreitung der vereinbarten Kennzahlen die Sicherheiten zu verstärken, Wittig, WM 1996, 1381; dies ist aber nichts anderes als ein financial covenant in Gestalt einer Positiverklärung, hierzu s. Rz. 676. 7 § 1 Abs. 1 Nr. 8 KWG. 8 Z.B. Kropholler, IPR, § 16 I. 9 Deutschland: § 768 Abs. 1 BGB; z.B. Rohe in BeckOK/BGB, § 768 Rz. 2; Österreich: § 1346 ABGB; Dittrich/Tades, ABGB, 23. Aufl. 2011, § 1346 Unterabs. 5; Schweiz: Zobl, Bankgarantie, S. 31; Liechtenstein: § 1346 ABGB. 10 BG v. 17.11.1987, BGE 113 II 434 (438); Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 117 Rz. 50.
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Sicherheiten
Rz. 674 Teil H
in der Schweiz demgegenüber eine Qualifikation für entbehrlich gehalten, da die Anknüpfungsregeln für Bürgschaft und Garantie identisch seien1. c) Patronatserklärung aa) Erscheinungsformen Bei der Patronatserklärung (comfort letter) handelt es sich um die Sammelbezeichnung für Zusagen Dritter, typischerweise Konzernobergesellschaften, gegenüber einem Kreditnehmer, regelmäßig ein nachgeordnetes Konzernunternehmen (konzerninterne Patronatserklärung; Liquiditätszusage), oder gegenüber einem Kreditgeber, typischerweise der Kreditgeber der Konzernuntergesellschaft (konzernexterne Patronatserklärung), zur Kreditsicherung2. Rechtliche Verpflichtungen zur Kreditsicherung ergeben sich für den Patron allerdings erst aus „harten“ Patronatserklärungen. Liegt eine solche vor, handelt es sich – jedenfalls bei der konzernexternen Patronatserklärung – häufig um ein der Bürgschaft und Garantie ähnliches persönliches Kreditsicherungsmittel3. Zwingend ist dies allerdings nicht: die fast unbegrenzte Gestaltungsfreiheit ist gerade einer der Vorzüge der Patronatserklärung. „Weiche“ Patronatserklärungen führen regelmäßig nicht zu Verpflichtungen. Im Einzelfall können sich allerdings Unterlassungs- und Auskunftsansprüche ergeben4. Weiche Patronatserklärungen führen nicht zu einem Vermögensopfer des Patrons, so dass eine Bilanzvermerkpflicht nach §§ 251 S. 1, 268 Abs. 7 HGB nicht entsteht5. Persönliche Sicherheiten im Sinne von Kreditsicherungsmitteln sind sie aber nicht. Daher konzentrieren sich die Ausführungen zum Recht der internationalen Patronatserklärung hier auf die harte Patronatserklärung. Diese ist im Unterschied zur Bürgschaft nicht akzessorisch und verpflichtet im Unterschied zu Bürgschaft, Garantie und Schuldbeitritt nicht zu einer inhaltlich exakt bestimmten Leistungspflicht6. Vielmehr steht es dem Patron offen, das geschuldete Ergebnis, nämlich die hinreichende Ausstattung des Kreditnehmers zur Tilgung des Kredits, durch Darlehen, Kapitalerhöhung oder Zufuhr von Anlagemitteln herbeizuführen (Ausstattungsverpflichtung)7. Die Höhe der Leistungspflicht kann die Kreditsumme übersteigen. Das Weiterleitungsrisiko, also die Gefahr, dass das patronierte Unternehmen die erhaltene Ausstattung anderweitig verwendet, trägt der Patron. Im Unterschied zum Schuldbeitritt, der eine eigenständige und von den Einwendungen des Hauptschuldners unabhängige Zahlungspflicht des Beitretenden begründet, entfällt die Ausstattungspflicht, wenn der Hauptschuldner dem Rückzahlungsanspruch Einwendungen entgegenhalten kann.
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bb) Rechtsnatur In Deutschland und in der Schweiz wird die harte konzernexterne Patronatserklärung als einseitig verpflichtender, unechter Vertrag zugunsten Dritter nach dem Vorbild der Erfüllungsübernahme i.S.v. § 329 BGB konstruiert, wobei im Unterschied zur Erfül1 Qualifikation offen gelassen z.B. in BG v. 9.7.1985, BGE 111 II 276 (278); ablehnend Amstutz/ Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 Rz. 50. 2 Z.B. von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641; zu den Auswirkungen auf die Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085. 3 BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, WM 2003, 1178: „Der Patronatsgeber haftet dem Gläubiger neben dem Schuldner für dieselbe Leistung auf das Ganze. Eine solche Verpflichtung wird allgemein als ein der Bürgschaft oder Garantieerklärung vergleichbares Sicherungsmittel angesehen“; Wittig, WM 2003, 1981 (1983). 4 von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641, z.B. für die Erklärung der Konzernobergesellschaft, ihre Beteiligung an der kreditnehmenden Tochter während der Laufzeit des Kredits nicht zu reduzieren oder aufzugeben. 5 Allstadt-Schmitz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Rz. IV 673. 6 Von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641. 7 Wittig, WM 2003, 1981, 1982; von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641.
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Teil H Rz. 675
Finanzierung
lungsübernahme bei der konzernexternen Patronatserklärung nicht der Schuldner einen Anspruch erwirbt, sondern der Kreditgeber1. Die kreditnehmende Konzernuntergesellschaft ist nur Begünstigte. Umgekehrt und damit wieder der Struktur des § 329 BGB vollständig entsprechend ist die dogmatische Konstruktion bei der konzerninternen Patronatserklärung. In Österreich gilt die Patronatserklärung als einseitiges schuldbegründendes Rechtsgeschäft2. Je mehr sich die Ausgestaltung der Patronatserklärung vom Kreditsicherungsinstrument entfernt, ein Rechtsbindungswille aber erkennbar bleibt, desto eher ist aber auch nach deutschem und schweizerischem Verständnis die Patronatserklärung als garantieähnliche Erklärung sui generis zu qualifizieren3. Schwierig und entsprechend umstritten ist die dogmatische Konstruktion von Patronatserklärungen an die Allgemeinheit (ad incertas personas)4. d) Schuldbeitritt 675
Es ist zu unterscheiden zwischen der privativen und der kumulativen Schuldübernahme, also der schuldbefreienden Schuldübernahme durch Schuldnerwechsel und dem Schuldbeitritt. Nur letzterer ist Kreditsicherungsmittel im engeren Sinne5. Infolgedessen lassen die folgenden Ausführungen die privative Schuldübernahme außer Betracht. Durch Schuldbeitritt tritt ein weiterer Schuldner neben den bisherigen, und die Schuld gegenüber dem Gläubiger wird zur Gesamtschuld6. Im Gegensatz zum grundsätzlich nur subsidiär haftenden Bürgen erhält der Gläubiger also einen zusätzlichen, gleichrangig und selbständig haftenden Schuldner7. Die Pflicht zum Schuldbeitritt und der Gegenleistungsanspruch des Übernehmers ergeben sich aus seiner Vereinbarung mit dem Altschuldner – die causa für den hiervon zu trennenden Vollzug der Schuldübernahme8. e) Sonstige Verpflichtungserklärungen
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Zu unterscheiden sind Erklärungen des Kreditnehmers selbst und Erklärungen von Dritten. Erklärungen des Kreditnehmers selbst sind beispielsweise Verpflichtungen zu künftiger Sicherheitenbestellung (Positiverklärungen)9, Verpflichtungen zur Nichtveräußerung und Nichtbelastung des Sicherungsgegenstands, des Immobilienvermögens oder des gesamten Vermögens des Kreditnehmers (Negativerklärungen), deren Kombination sowie schließlich Erklärungen, wonach der Kreditgeber sicherungsmäßig – mindestens – gleichzustellen ist mit anderen künftigen gesicherten Gläubigern (Gleichstellungsklausel)10. 1 Deutschland: OLG Düsseldorf v. 26.1.1989 – 6 U 23/88, NJW-RR 1989, 1116, 1117; OLG Stuttgart v. 21.2.1985 – 7 U 202/84, WM 1985, 455; Wittig, WM 2003, 1981, 1987; von Rosenberg/ Kruse, BB 2003, 641; Etzbach, NJW 2011, 1110 (1112); Schweiz: BG v. 12.1.1996, SJ 1996, 637; Pestalozzi in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I, 5. Aufl. 2011, Art. 111 OR Rz. 35; Schnyder, SJZ 1990, 57 (61 ff.). 2 OGH v. 23.3.1988, SZ 61/73, 361 (365). 3 Schweiz: Schnyder, SJZ 1990, 57 (66). 4 Überblick bei Wolf, IPRax 2000, 477 (478). 5 Von Bar, IPRax 1991, 197 (198). 6 Deutschland: z.B. Palandt/Grüneberg, BGB, vor § 414 Rz. 2; Österreich: Dittrich/Tades, ABGB23 (2011), § 1406 ABGB Unterabs. 5; Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB4 2014, § 1406 Rz. 3; Schweiz: Tschäni in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I5 (2011), Art. 175 OR Rz. 12. 7 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.100. 8 Deutschland: §§ 414 f. BGB; Palandt/Grüneberg, BGB, vor § 414 Rz. 1; Österreich: §§ 1405 f. östABGB; Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB4 2014, § 1406 Rz. 1; Liechtenstein: §§ 1405 f. lieABGB; Schweiz: Art. 175 f. OR. 9 Vgl. insoweit aber schon die entsprechende Erklärung in Nr. 13 Abs. 2 S. 1 AGB-Banken; ferner Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.576. 10 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.590.
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Sicherheiten
Rz. 678 Teil H
Dritte, insbesondere Banken, können zur Kreditsicherung beitragen durch Finanzierungsbestätigungen1, durch Forderungsrücktritt, indem sie also von der Geltendmachung von Forderungen gegen den Kreditnehmer zurücktreten, bis der Kreditgeber befriedigt ist2, durch Insolvenz abwendenden Rangrücktritt, also mit der Zusage, Forderungen erst dann und insoweit geltend zu machen, als sie aus einem künftigen Jahresüberschuss oder aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten des Schuldners übersteigenden Vermögen oder aus einem Liquidationsüberschuss befriedigt werden können3, und durch Kommanditrevers, also durch die Zusage eines Kommanditisten, seine Einlage nicht zu vermindern, Gewinne stehen zu lassen und Gesellschafterdarlehen nicht zurückzufordern, bis der Kreditgeber befriedigt ist4. Schließlich ist an die Abkaufverpflichtung einer Muttergesellschaft gegenüber der kreditgebenden Bank zugunsten der kreditnehmenden Tochter zu denken, mit der die Verpflichtung zum Kauf der Kreditforderung übernommen wird.
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2. Internationales Privatrecht a) Bürgschaft aa) Anknüpfungsgrundsätze Das Bürgschaftsstatut ist – auch bei Akzessorietät der Bürgschaft zur gesicherten Forderung nach der lex fori5 – selbständig anzuknüpfen6. Die Wahl des Bürgschaftsstatuts steht den Parteien frei7. Die konkludente Rechtswahl ist möglich8. Fehlt eine Rechtswahl, stellt nach deutschem, österreichischem und schweizerischem IPR das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Bürgen das Bürgschaftsstatut, weil der Bürge die charakteristische Leistung erbringt9. Bei gewerblichen Bürgen ist – in Deutschland und Österreich nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO – für die charakteristische Leistung auf die jeweilige Niederlassung abzustellen10. Die Gesamtheit der Umstände können im Einzelfall nach der Ausweichklausel in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO zu einer engeren und dann ausschlaggebenden Verbindung zu einem anderen Staat führen als nach 1 OLG Naumburg v. 22.12.1999 – 2 U 94/99, WM 2001, 1334; OLG Dresden v. 14.6.2001 – 19 U 514/01, WM 2002, 2455. 2 Obermüller, Ersatzsicherheiten, S. 73 Rz. 243. 3 Obermüller, Ersatzsicherheiten, S. 72 Rz. 242. 4 Überblick bei Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 6.607 ff. 5 Deutschland: § 767 Abs. 1 S. 1 BGB; Österreich: §§ 1351, 1363 östABGB; Liechtenstein: §§ 1351, 1363 lieABGB; Schweiz: Art. 492 Abs. 2 S. 1 OR. 6 Deutschland: z.B. Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 27; Österreich: z.B. Dittrich/Tades, ABGB23 (2011), Art. 4 EVÜ Rz. 2; Schweiz: arg. ex. Art. 117 Abs. 3 lit. e IPRG; ferner z.B. Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 117 IPRG Rz. 50; Liechtenstein: arg. ex. Art. 39 Abs. 1, 2 IPRG für subjektive Anknüpfung; objektive Anknüpfung demgegenüber nach Art. 49 IPRG akzessorisch, vgl. hierzu sogleich im Haupttext. 7 Deutschland: BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, sub IV 3 a aa (1), NJW 2003, 2605. 8 Deutschland: Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO; vgl. z.B. BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, sub IV 3 a aa (1), NJW 2003, 2605: Relevante Umstände, die zur Annahme einer konkludenten Wahl deutschen Rechts führten: Text der Bürgschaftsurkunde an deutschem Recht „orientiert“, indem er „Rechtsbegriffe des deutschen Rechts“ enthält und „Regelungen des deutschen Bürgschaftsrechts“ nennt; ferner LG Waldshut-Tiengen v. 27.1.1983 – 1 O 209/82, IPRax 1984, 100 m. Anm. Jamye: deutscher Bürge setzt unter einen in niederländischer Sprache abgefassten Vertrag eine genau auf Art. 1915 niederlBW zugeschnittene Erklärung: konkludente Wahl niederländischen Rechts; Österreich: Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO; Liechtenstein: Art. 39 Abs. 1, HS. 1, Alt. 2 IPRG; Schweiz: Art. 116 Abs. 2 S. 1, Alt. 2 IPRG. 9 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO vgl. z.B. BGH, v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, sub II 1, NJW 1993, 1126; für Österreich z.B.Musger in KBB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 9; Schweiz: Art. 117 Abs. 1, 2, 3 lit. e IPRG; z.B. BG 9.7.1985, BGE 111 II 276 (278); Amstutz/ Wang in BSK IPRG Art. 117 N 51. 10 Für die Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 532.
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Teil H Rz. 679
Finanzierung
den Vermutungen in Abs. 1–2. Bei Sicherungsgeschäften ist dies näher liegend als sonst1. Unzulässig ist aber, über die Ausweichklausel den Grundsatz der selbständigen Anknüpfung der Bürgschaft zu überspielen. Es müssen daher weitere Umstände hinzutreten2. Die deutsche Rechtsprechung war hier eher zurückhaltend: BGH, Urt. v. 11.10.2010 – VII ZR 44/10, WM 2011, 282 Auf einen Vertrag mit Verbindung zu einem ausländischen Staat, durch den eine Vertragspartei der Schuld eines Dritten gegenüber der anderen Vertragspartei beitritt, ist gem. Art. 28 Abs. 2 EGBGB grundsätzlich das Recht des Niederlassungsortes des Beitretenden anzuwenden. Allein der dem Schuldbeitritt immanente Zusammenhang mit dem Recht der ursprünglichen Schuld hat regelmäßig keine ausreichend starke Indizwirkung, um eine engere Verbindung i.S.v. Art. 28 Abs. 5 EGBGB zu begründen.
LG Hamburg v. 15.10.1992 – 302 O 2/92, RIW 1993, 144 = IPRspr. 1992 Nr. 46 Dänische AG nimmt deutschen Kaufmann aus selbstschuldnerischer Bürgschaft in Anspruch, die in Dänemark zugunsten einer dänischen Gesellschaft als Hauptschuldner durch Vertrag in dänischer Sprache unter Bezugnahmen auf dänisches Recht abgegeben wurde: keine konkludente Rechtswahl, keine engere Verbindung nach Dänemark, Bürgschaft unterliegt daher deutschem Recht.
Vgl. hingegen noch OLG Oldenburg v. 5.11.1975, IPRspr. 1979 Nr. 15 Niederländische Bank nimmt deutsche Kaufleute in Anspruch, die sich bei Übernahme der Anteile einer niederländischen Gesellschaft in den Niederlanden und in niederländischer Sprache für „persönlich haftbar“ erklärt hatten: Frage, ob Bürgschaft vorliegt, unterliegt niederländischem Recht.
Demgegenüber führt nach liechtensteinischem IPR die objektive Anknüpfung zum Statut der gesicherten Forderung3. bb) Reichweite des Bürgschaftsstatuts 679
Das Bürgschaftsstatut entscheidet über Zustandekommen und Wirksamkeit der Bürgschaft sowie über ihre Rechtsfolgen, also die Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bürge zu leisten, welche Einreden er aus dem Bürgschaftsverhältnis bzw. aus dem Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger seiner Leistungspflicht entgegen halten kann4. Ungenau BGH v. 28.4.1988 – XI ZR 127/87, NJW 1988, 2173 Eine deutsche AG (Bank), die zu 85 % dem Iran gehört, kann keine Ansprüche aus der Bürgschaft eines iranischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Kanada herleiten, wenn der Iran zuvor die Anteile des Bürgen an der Hauptschuldnerin, eine iranische Gesellschaft, entschädigungslos enteignet hat. Ein anderes Ergebnis verstoße gegen den wesentlichen Grundsatz des Eigentumsschutzes im deutschen Recht und damit gegen den ordre public. Vorrangig hätte das Bürgschaftsstatut auf Einwendungen überprüft werden müssen5.
Das Bürgschaftsstatut entscheidet auch über das Ausmaß der Akzessorietät, also inwieweit der Bestand der Bürgschaft vom Bestand der gesicherten Forderung abhängt, 1 Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 495. 2 Giuliano/Lagarde, Bericht zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 53; Leible in NK-BGB, Art. 4 I Rom I-VO Rz. 152. 3 Liechtenstein: „Art. 49 IPRG: Abhängige Rechtsgeschäfte – Ein Rechtsgeschäft, dessen Wirkungen begrifflich von einer bestehenden Verbindlichkeit abhängen, ist nach den Sachnormen des Staates zu beurteilen, dessen Sachnormen für die Verbindlichkeit maßgebend sind. Das gilt besonders für Rechtsgeschäfte, die die Sicherung oder Umänderung einer Verbindlichkeit zum Gegenstand haben. Der Art. 42 Abs. 1 bleibt unberührt“; wortgleich der frühere österreichische § 45 IPRG; vgl. hierzu die Entscheidung des OGH v. 12.6.1986 – 6 Ob 561/86 Ls Nr. 5, ZfRV 1988, 126 (130): Bürgschaft als „abhängiges Rechtsgeschäft“. 4 Deutschland: Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 417; Erman/Hohloch, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 40; Schweiz: Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 117 Rz. 51. 5 Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1186; zu den internationalenteignungsrechtlichen Unzulänglichkeiten der Entscheidung Behrens, IPRax 1989, 217.
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Sicherheiten
Rz. 682 Teil H
insbesondere wie sich die Tilgung der Hauptforderung auf die Bürgschaft auswirkt1. Soweit sich nach dem Bürgschaftsstatut die akzessorische Ausgestaltung ergibt, ist dem Statut der Hauptforderung zu entnehmen, was der Bürge im Einzelnen zu leisten hat2. Legalzession, Formerfordernisse, Geschäftsfähigkeit, eventuelle eherechtliche Verpflichtungsbeschränkungen und weitere Einzelfragen unterliegen demgegenüber zum Teil Sonderanknüpfungen: cc) Einzelfragen (1) Gesetzlicher Forderungsübergang Ob der Anspruch des Gläubigers nach Leistung des Bürgen auf diesen kraft Gesetzes übergeht, entscheidet nach Art. 15 Abs. 1 Rom I-VO das Bürgschaftsstatut3. Im schweizerischen IPR finden hingegen kumulativ das Bürgschaftsstatut und das Forderungsstatut („Kumulationsstatut“) Anwendung4. Auf den Hauptschuldner kann unmittelbar nur zurückgegriffen werden, wenn beide Statuten dies vorsehen5.
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(2) Verhältnis Bürge – Hauptschuldner Das Statut des Innenverhältnisses zwischen Bürge und Hauptschuldner wird eigenständig bestimmt6. Kommt es im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses auf Bestand und Umfang der Hauptforderung an, ist diese Frage als Vorfrage selbständig anzuknüpfen. Maßgebend ist insoweit das Statut der Hauptforderung.
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(3) Form Für die Form gilt Art. 11 Rom I-VO7. Danach ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es entweder den Anforderungen des Wirkungsstatuts, also hier dem Bürgschaftsstatut, oder den Anforderungen des Rechts am Ort der Vornahme des Rechtsgeschäfts (Ortsform) entspricht. Gleiches gilt im schweizerischen IPR8. Das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung einer Bürgschaft nach schweizerischem Recht9 ist nicht Bestandteil des schweizerischen Ordre public i.S.d. Art. 124 Abs. 3 schwzIPRG10. Bei der Regelung in Art. 493 Abs. 1 schwzOR, wonach konkrete Angaben in der Bürgschafts1 Deutschland: BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, NJW 1977, 1011; Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 27; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1186; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 532; Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder, IPRG, Art. 117 Rz. 51. 2 So schon RG v. 14.4.1932 – IV 306/31, RGZ 137, 1 (11). 3 Deutschland: Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 417; Erman/Hohloch, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 40. 4 Schweiz: Art. 144 IPRG; BG 8.3.1983, BGE 109 II 65 (68). 5 Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG3 (2013), Art. 117 IPRG Rz. 51; Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 532. 6 Deutschland: Implizit AG Bremen v. 22.11.1951 – C 8842/50, IPRspr. 1950/51 Nr. 17; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1186; Spickhoff in BeckOK/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 60; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 534. 7 Deutschland: Spickhoff in BeckOK/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 60; Österreich: Schwimann, IPR, S. 100 f.; zum Verhältnis von Art. 11 Rom I-VO und Art. 11 EGBGB z.B. Spellenberg in MünchKomm/BGB, Art. 11 EGBGB Rz. 7 ff. 8 Schweiz: Art. 124 Abs. 1, 2 IPRG; BG 25.9.1991, BGE 117 II 490 (493): Verzicht auf die Durchsetzung des im schweizerischen Recht über die Form verwirklichten Schutz des Bürgen durch das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung zugunsten weniger strenger Formerfordernisse (einfache Schriftlichkeit nach deutschem Recht) nach der lex loci actus. 9 Nach Art. 493 Abs. 2 S. 1, 2, Abs. 3, 4 schwzOR bedürfen Bürgschaften natürlicher Personen für einen schwzFr. 2.000 übersteigenden Höchstbetrag der öffentlichen Beurkundung. 10 BG v. 25.9.1991, BGE 117 II 490; BG v. 31.10.1967, BGE 93 II 379 (384); Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 535.
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Teil H Rz. 683
Finanzierung
urkunde zum Höchstbetrag der Bürgenhaftung Wirksamkeitsvoraussetzung ist, handelt es sich dagegen nicht um eine Formvorschrift, sondern um die Frage des Haftungsumfangs. Sie richtet sich allein nach dem Bürgschaftsstatut. Soweit diese Vorschrift als Bestandteil des Ordre public durchgesetzt werden soll, kommt hierfür Art. 124 Abs. 3 schwzIPRG nicht in Frage. Fehlt allerdings dem Bürgen jeglicher Anhaltspunkt dafür, sich über den Umfang seiner Leistungspflicht einer ausländischem Recht unterliegenden Bürgschaft in Kenntnis zu setzen, sieht die schweizerische Rechtsprechung die Schwelle zur Ordre-public-Verletzung überschritten1. (4) Geschäftsfähigkeit 683
Die Geschäftsfähigkeit des Bürgen untersteht nach Art. 7 EGBGB ebenso wie § 12 östIPRG und Artt. 12, 10 lieIPRG dem Personalstatut. Dieses richtet sich nach der Staatsangehörigkeit2. Die Frage der speziellen Bürgschaftsfähigkeit3 qualifiziert das schweizerische IPR hingegen als Erscheinungsform der Handlungsfähigkeit i.S.v. Art. 35 schwzIPRG. Danach ist das Recht am Wohnsitz des Bürgen maßgebend. (5) Zustimmungserfordernisse des Ehegatten
684
Ob eine Zustimmung des Ehegatten erforderlich ist, soll nach einer älteren Entscheidung des BGH das Bürgschaftsstatut bestimmen4. Das deutsche Schrifttum unterstellt demgegenüber zutreffend, weil diese Vorfrage für die Wirksamkeit der Bürgschaft eigenständig anknüpfend5, dem Ehewirkungsstatut6. Dieses richtet sich im Regelfall nach dem Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit, subsidiär nach dem Recht des gemeinsamen Aufenthaltes, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EGBGB. Teilweise vertritt das Schrifttum allerdings die Anknüpfung an das Güterrechtsstatut (Art. 15 EGBGB)7. Das schweizerische IPR qualifiziert die nach Art. 494 Abs. 1 OR verlangte schriftliche Zustimmung des Ehegatten hingegen als Beschränkung der Handlungsfähigkeit des bürgenden Ehegatten, so dass die Anknüpfungsregel für die Geschäftsfähigkeit des Art. 35 schwzIPRG (vgl. Rz. 683) und damit das Recht des Wohnsitzes des bürgenden Ehegatten gilt8. Nach anderer Auffassung handelt es sich um eine Regelung des Bürgschaftsrechts, so dass das Bürgschaftsstatut entscheidet9. Vorgeschlagen wird aber auch die Anknüpfung nach Maßgabe von Art. 124 IPRG, da das Zustimmungserfordernis des Ehegatten seinem Schutzzweck nach mit Formvorschriften vergleichbar sei10. Erwogen wird schließlich auch im schweizerischen Schrifttum die Anknüpfung an das Ehewirkungsstatut11. 1 BG v. 31.10.1967, BGE 93 II 379 (386); Pestalozzi in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I5 (2011), Art. 493 Rz. 1. 2 So § 9 Abs. 1 S. 1 östIPRG und Art. 10 Abs. 1 S. 1 lieIPRG ausdrücklich. 3 Die wirksame Bürgschaft setzt natürlich auch im schweizerischen Recht zunächst die Handlungsfähigkeit nach Art. 12 schwzZGB voraus. Sobald es um Abschluss eines Bürgschaftsvertrags nach Art. 492 schwzOR geht, setzt der Gesetzgeber allerdings zahlreiche Einschränkungen, die unter dem Begriff der „Bürgschaftsfähigkeit“ zusammengefasst werden, vgl. z.B. Pestalozzi in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I5 (2011), Art. 492 Rz. 4. 4 BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, sub I 2 c, NJW 1977, 1011 (1012) m. abl. Anm. Jochem 1012; vgl. auch OLG Köln 21.3.1997, OLGReport Köln 1998, 59. 5 Kropholler, IPR, § 32 IV.; Kegel/Schurig, IPR, § 9 II 1. 6 Z.B. Magnus in Staudinger/BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 419; Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 27, jeweils m.w.N. 7 Palandt/Thorn, BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 27 m.w.N. 8 BG v. 14.12.1984, BGE 110 II 484 (486 f.) m.w.N.; zustimmend Keller/Kren-Kostkiewicz in Heini, IPRG2 2004, Art. 117 Rz. 145. 9 Amstutz//Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 IPRG Rz. 52. 10 Keller/Girsberger in Heini, IPRG, 3. Aufl. 2007, Art. 124 und 119 Abs. 3 Rz. 34. 11 Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 536.
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Sicherheiten
Rz. 688 Teil H
(6) Mehrere Bürgen Grundsätzlich sind zwei Lösungen für die objektive Anknüpfung denkbar. Entweder bestimmt man das Bürgschaftsstatut für jeden Mitbürgen gesondert oder über Ausweichklauseln ein gemeinsames Statut1. Die deutsche Rechtsprechung folgt dem ersten Ansatz2. Die jeweiligen Verpflichtungen der Bürgen gegenüber dem Gläubiger können also unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen und deswegen auch unterschiedlich hoch sein. Die Ausgleichspflicht der Bürgen untereinander unterliegt einer eigenständigen Anknüpfung des Innenverhältnisses3. Für Liechtenstein ergibt sich schon aus Art. 49 S. 1 IPRG – vorbehaltlich der Sitzortanknüpfung bei Banken als Bürgen nach Artt. 49 S. 2, 42 IPRG – eine einheitliche Anknüpfung an das Statut der gesicherten Hauptforderung.
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b) Garantie aa) Anknüpfungsgrundsätze Die Garantie ist ebenso wie der Garantievertrag selbständig anzuknüpfen4. Die Parteien können das auf die Garantie anwendbare Recht („Garantiestatut“) – auch stillschweigend – wählen5. Bei objektiver Anknüpfung ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Garantiegebers als dem Erbringer der charakteristischen Leistung zur Anwendung berufen6. Handelt es sich hierbei um eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit, gilt das Recht am Ort der Niederlassung des Garanten7.
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Das Rechtsverhältnis zwischen dem Garantieauftraggeber und dem Garanten (Deckungsverhältnis) unterliegt ebenso der eigenständigen Anknüpfung wie das Verhältnis zwischen Garantieauftraggeber und Begünstigtem (Valutaverhältnis)8.
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bb) Reichweite des Garantiestatuts Nach dem Garantiestatut bestimmt sich, unter welchen Voraussetzungen die Garantie in Anspruch genommen werden kann und welche Einwendungen dem Anspruch entgegengehalten werden können. Insbesondere die Frage, ob und wann ein Verbot der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme einer Garantie auf erstes Anfordern besteht, unterliegt dem Garantiestatut9. Deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Begünstigten infolge rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme unterliegen in akzessorischer Anknüpfung ebenfalls dem Garantiestatut10. Gewährt das Garantiestatut 1 So z.B. Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 IPRG Rz. 51. 2 BGH v. 1.2.1952 – I ZR 123/50, BGHZ 5, 36 (37). 3 AG Bremen v. 22.11.1951 – C 8842/50, IPRspr. 1950/1951 Nr. 17. 4 Deutschland: Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1195; Schweiz: Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 IPRG Rz. 54. 5 Deutschland und Österreich: Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO; Schweiz: Art. 116 IPRG; Liechtenstein: Art. 11, 39 Abs. 1 IPRG. 6 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO; vgl. auch BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, NJW 1996, 54; OLG Saarbrücken v. 6.7.2001 – 1 U 55/99, WM 2001, 2055 Schweiz: Art. 117 Abs. 3 lit. e IPRG; Amstutz/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPRG, 3. Aufl. 2013, Art. 117 IPRG Rz. 54; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 540. 7 Deutschland und Österreich: Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO; vgl. ferner Art. 27 Richtlinien der ICC von 1992 für auf erstes Anfordern zahlbare Garantien: Recht am Ort des Geschäftssitzes des Garanten, vgl. zu den ICC-Richtlinien, insbesondere zu deren Kollisionsregeln, Teil H Rz. 655. 8 Thorn in Rauscher (Hrsg.), EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 4 Rom I-VO Rz. 112. 9 Deutschland: Martiny in Reithman/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1197; Schefold, IPRax 1995, 118 (119); Heldrich, FS Kegel, 1987, S. 175 ff.; Österreich: OGH v. 11.2.1988 – 6 Ob 506/88, RdW 1988, 320. 10 Deutschland und Österreich: Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO; zum früheren Recht Schefold, IPRax 1995, 118 (123); Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 542.
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Teil H Rz. 689
Finanzierung
selbst bei stoßender Rechtsmissbräuchlichkeit der Anforderung keine Einwendung, korrigiert der kollisionsrechtliche ordre public des Forums das Ergebnis der Fremdrechtsanwendung1. cc) Einzelfragen (1) „Garantiesprache“ 689
Jedenfalls unter deutschem Garantiestatut muss der Begünstigte die Garantie in der vereinbarten, ansonsten in der Vertragssprache der Garantie anfordern. Solange allerdings die Garantiesprache nicht ausdrücklich vertraglich festgelegt ist, kann sich der Begünstigte zum wirksamen Abruf der Garantie auch jeder anderen Sprache bedienen, trägt dann aber das Sprachrisiko2, also die Gefahr, missverstanden zu werden: BGH v. 7.11.2000 – XI ZR 71/00, LS 1, NJW 2001, 2480 Englisch abgefasste Garantie ohne ausdrückliche Sprachenregelung wird auf Deutsch gegenüber Garanten mit Sitz in Deutschland und Österreich angefordert. Revision gegen die Verurteilung zur Zahlung mit der Begründung, die Inanspruchnahme der Garantie sei nicht in der Garantiesprache erfolgt, nicht angenommen.
Vgl. auch OLG Frankfurt, Urt. v. 8.2.2000 – 5 U 152/98, WM 2001, 1108 Eine in englischer Sprache abgefasste Garantie „auf erstes Anfordern“ kann, sofern nichts Abweichendes vereinbart worden ist, gegenüber einer Garantiebank mit Sitz in Deutschland auch in deutscher Sprache rechtswirksam in Anspruch genommen werden.
Diese Rechtsprechung liegt auf der Linie bisheriger Entscheidungen des BGH, nach denen die wörtliche Wiedergabe der Inanspruchnahmeklausel einer Garantie nicht erforderlich ist3. Ziff. 404 der ICC Rules of International Standby Practices ordnet demgegenüber zwingend die Inanspruchnahme in der Garantiesprache an. (2) Erfüllungsort 690
Die – nach Art. 7 Nr. 1 a) EuGVVO bzw. Art. 5 Nr. 1/LugÜ und § 29 ZPO zuständigkeitsbegründende – Bestimmung des Erfüllungsortes unterliegt dem Garantiestatut: OLG München v. 17.10.1986 – 23 U 2762/86, sub I B 1, IPRax 1987, 307 (308) Werklieferungsvertrag zwischen deutschem Besteller und italienischem Werkunternehmer mit italienischem Recht unterliegender Gewährleistungsgarantie: Keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Klage gegen Garanten nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, da nach italienischem Sachrecht Erfüllungsort der Garantiezusage am Sitz des Garanten.
c) Patronatserklärung aa) Anknüpfungsgrundsätze (1) Qualifikation 691
Patronatserklärungen werden kollisionsrechtlich überwiegend vertraglich qualifiziert4. Sie unterfallen dann den Artt. 3 ff. Rom I-VO5 bzw. Art. 116 ff. schwzIPRG. In 1 Deutschland: LG Frankfurt/M. v. 11.12.1979 – 3/10 O 123/79, WM 1981, 284 (287); LG Dortmund v. 9.6.1980 – 10 O 9/80WM 1981, 280 (282); Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1197; Goerke, Internationale Garantien, S. 124 f.; Schweiz: Vischer/Huber/ Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 542; 2 Hierzu allgemein z.B. Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formerfordernisse, IPRax 1999, 142; Maier-Reimer, Vertragssprache und Sprache des anwendbaren Rechts, NJW 2010, 2545. 3 BGH v. 10.10.2000 – XI ZR 344/99, ZIP 2000, 2156. 4 Z.B. Palandt/Thorn, BGB, Art. Rom I-VO Rz. 27; umfassende Nachw. bei Wolf, IPRax 2000, 444 Fn. 10. 5 Leible in NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO Rz. 156.
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Sicherheiten
Rz. 695 Teil H
Liechtenstein ist allerdings die spezielle Kollisionsregel für Sicherungsgeschäfte (Art. 49 lieIPRG) einschlägig. Die materiell-rechtlichen Schwierigkeiten der dogmatischen Konstruktion einer Patronatserklärung ad incertas personas1 setzen sich bei der kollisionsrechtlichen Qualifikation fort. Die Tendenz – zumindest in Deutschland – geht aber wohl auch insoweit in Richtung einer rechtsgeschäftlichen Qualifikation2. Damit gelten in Deutschland die Art. 3 ff. Rom I-VO.
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(2) Rechtswahl und objektive Anknüpfung Das Statut der Patronatserklärung können die Parteien in den allgemeinen Grenzen der kollisionsrechtlichen Rechtswahlfreiheit wählen, Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO bzw. Art. 116 schwzIPRG und Art. 39 Abs. 1, 1. HS, 11 lieIPRG3. Machen die Parteien von dieser Möglichkeit – wie häufig4 – keinen Gebrauch, führt die objektive Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO5 bzw. Art. 117 Abs. 3 lit. e schwzIPRG6 zum Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts bzw. des Sitzortrechts des Patrons als dem Erbringer der charakteristischen Leistung. Gibt der Patron seine Erklärung in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit ab, ist nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO auf die patronierende Niederlassung abzustellen. Das liechtensteinische IPR ordnet demgegenüber nach Art. 49 S. 1 lieIPRG die akzessorische Anknüpfung an die zu sichernde Forderung an.
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bb) Reichweite des Patronatsstatuts Ob aus einer Patronatserklärung eine rechtsverbindliche Verpflichtung erwächst, welchen Inhalt und welche Reichweite sie hat, bestimmt sich nach dem Recht, das auf den Patronatsvertrag bzw. das einseitig verpflichtende Rechtsgeschäft anwendbar wäre, wenn der Vertrag bzw. das Rechtsgeschäft wirksam wäre, Artt. 3 Abs. 5, 10 Rom I-VO, also nach dem hypothetischen Vertrags- bzw. Geschäftsstatut7.
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d) Schuldbeitritt aa) Anknüpfungsgrundsätze Allein das liechtensteinische IPR enthält – wiederum mit Art. 49 IPRG – eine spezielle Kollisionsnorm für „abhängige Rechtsgeschäfte“, zu denen auch die Schuldübernahme gehört8. Ein Rechtsgeschäft, dessen Wirkung begrifflich von einer bestehenden Verbindlichkeit abhängen, ist danach nach dem Recht des Staates zu beurteilen, dessen Sachnormen für die Verbindlichkeit maßgebend sind. Dies gilt nach Art. 49 S. 2 lieIPRG „besonders für Rechtsgeschäfte, die“ – wie der Schuldbeitritt – „die Sicherung einer Verbindlichkeit zum Gegenstand haben“. Eine derartige begriffliche (nicht rechtlich-dogmatische)9 Abhängigkeit ist sowohl für das Kausalverhältnis zwischen Alt1 Eingehend Wolf, IPRax 2000, 477 (481), m.w.N. 2 Wolf, IPRax 2000, 477 (481). 3 Deutschland: BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127: Wahl österreichischen Rechts; fehlerhaft daher die Begründung, weil auf deutsches Sachrecht rekurrierend. 4 Wolf, IPRax 2000, 477 (481) m.w.N. in Fn. 53; geht es den Parteien allerdings darum, eine rechtliche Bindung zu vermeiden, dann ist es nur konsequent, eine Rechtwahlklausel nicht aufzunehmen, da diese Indiz für einen Bindungswillen ist, Wolf a.a.O. 5 Leible in NK-BGB, Art. 4 Rom I-VO, Rz. 156. 6 BG v. 12.1.1996, SJ 1996, 636; Nobel, Patronatserklärungen, S. 59. 7 Wolf, IPRax 2000, 477 (481). 8 Schwimann in Rummel, ABGB II, 2. Aufl. 1992, § 45 IPRG Rz. 2 zur wortgleichen Regelung im alten, durch das EVÜ außer Kraft gesetzten Kollisionsrecht Österreichs. 9 Schwimann in Rummel, ABGB II, 2. Aufl. 1992, § 45 östIPRG a.F. Rz. 2.
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Teil H Rz. 696
Finanzierung
und Neuschuldner als auch für den Vollzug des Schuldbeitritts anzunehmen, so dass sich im liechtensteinischen IPR der Schuldbeitritt in allen seinen Aspekten akzessorisch nach dem Statut der Hauptforderung richtet1. Die Starrheit dieser Anknüpfung ist nicht ohne Kritik geblieben2. Die Rom I-VO enthält demgegenüber ebenso wenig eine spezielle Regelung zum Schuldbeitritt wie das das schwzIPRG3. Es gelten daher auch für den Schuldbeitritt die allgemeinen Kollisionsregeln zum internationalen Vertragsrecht. Danach gilt: bb) Statut der Hauptschuld 696
Das Statut der Hauptschuld bleibt vom Schuldbeitritt unberührt4. Die Anknüpfung des Statuts der Hauptschuld folgt den allgemeinen Kollisionsregeln des internationalen Vertragsrechts. Unter diesen ist natürlich möglich, dass alle drei beteiligten Parteien anlässlich des Schuldbeitritts eine Rechtswahl treffen, die gegebenenfalls – dann aber im Regelfall mit Wirkung ex tunc5 – das ursprüngliche Statut der Hauptschuld modifiziert. Solange sich indes kein entsprechender Parteiwille identifizieren lässt, bleibt das Statut der Hauptschuld durch einen Schuldbeitritt unberührt. cc) Kausalverhältnis des Schuldbeitritts
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Ebenso selbständig und nach allgemeinen Regeln anzuknüpfen ist das Statut der Vereinbarung zwischen Alt- und Neuschuldner, also des Kausalverhältnisses für die Schuldübernahme6. Mangels Rechtswahl findet nach Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO bzw. Art. 117 Abs. 1 schwzIPRG das Recht am Sitz des Neuschuldners als dem Erbringer der charakteristischen Leistung Anwendung7. dd) Vollzug des Schuldbeitritts
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Aus der Trennung von Verpflichtung zum Schuldbeitritt und dessen Vollzug folgt, dass die mit der Schuldübernahme verbundene Verfügung, also der Begründung einer eigenen, inhaltsgleichen Schuld gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, einem eigenständigen Schuldübernahmestatut unterliegt. Anders als bei der privativen Schuldübernahme ist die Rechtswahl des Schuldbeitrittsstatuts selbst dann unproblematisch, wenn der Schuldbeitritt ohne Mitwirkung des Gläubigers allein zwischen Alt- und Neuschuldner vollzogen wird8. Denn der Gläubiger erhält in Gestalt des zusätzlichen 1 Schwimann in Rummel, ABGB II2 (1992), § 45 östIPRG a.F. Rz. 2; Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1078 zu § 45 östIPRG a.F. 2 Horn, Internationales Vertragsrecht, S. 25 zu § 45 östIPRG a.F. 3 Deutschland, Österreich: zu den Gründen, diese Frage offen zu lassen Guiliano/Lagarde, Bericht EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 68 („neues Problem“, „Lösung ungewiss“); Schweiz: Tschäni in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I, 5. Aufl. 2011, Art. 175 OR Rz. 14. 4 Deutschland: RG v. 17.10.1932 – VI 225/32, IPRspr. 1932 Nr. 34; Palandt/Thorn, BGB, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 420; Schweiz: indirekt Tschäni in Honsell/Vogt/Wiegand, OR I, 5. Aufl. 2011, Art. 175 OR Rz. 14. 5 Deutschland: BGH v. 22.1.1997 – VIII ZR 339/95, WM 1997, 1713 = IPRax 1998, 479 (481) m. Anm. Spickhoff 462 (464); anders allerdings LG Essen v. 20.6.2001 – 44 O 144/00, IPRax 2002, 396 (397) m. Anm. Krapfl 380: Auslegungsfrage ohne Regelvermutung; Schweiz: Art. 116 Abs. 3 S. 2 IPRG ordnet die ex-tunc-Wirkung der nachträglichen Rechtswahl ausdrücklich an; Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 1083. 6 Deutschland: Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 418; Schweiz: Girsberger, ZvglRW 88 (1989), S. 31 (38). 7 Deutschland: Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rz. 418; Österreich: Schwimann, IPR, S. 95; Horn, Internationales Vertragsrecht, S. 24; Schweiz: Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rz. 542, 1074. 8 Zur Rechtswahl des Schuldbeitrittsstatuts vgl. für Deutschland: z.B. OLG Köln v. 21.3.1997 – 19 U 180/96, IPRspr. 1997 Nr. 36 = RIW 1998, 148; von Bar, IPRax 1991, 197 (198).
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Sicherheiten
Rz. 700 Teil H
Schuldners in jedem Fall lediglich einen Vorteil. Alt- und Neuschuldner können deswegen auch das Recht wählen, unter dem der Gläubiger gegenüber dem Neuschuldner fordern können soll1. Streng genommen liegt dann kein Schuldbeitritt mehr vor, weil sich die Inhalte der beiden Forderungen unterscheiden werden. Den kreditsicherungsrelevanten Kern einer derartigen Vereinbarung, nämlich die Verstärkung der Gläubigerstellung, lässt dies unberührt. Denkbar bleibt natürlich, dass die Wahl eines bestimmten Schuldbeitrittsstatuts oder Zweitforderungsstatuts durch Alt- und Neuschuldner einer Verpflichtung des Altschuldners gegenüber dem Gläubiger widerspricht. Die objektive Anknüpfung führt zum Sitzortrecht des Beitretenden als dem Erbringer der charakteristischen Leistung2. e) Sonstige Erklärungen mit Sicherungsfunktion aa) Erklärungen des Kreditnehmers selbst Sofern Positiverklärungen, Negativerklärungen, deren Kombination sowie Gleichstellungsverpflichtungen des Kreditnehmers Bestandteil des Kreditvertrags sind, unterliegen sie dem Vertragsstatut. Theoretisch können die Parteien für Teilfragen das anwendbare Recht gesondert wählen (depec¸age), Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO. Das schwzIPRG und das lieIPRG äußern sich zwar nicht ausdrücklich zur Zulässigkeit der depec¸age, als Ausübungsmodalität der grundsätzlich gewährten kollisionsrechtlichen Parteiautonomie ist sie aber möglich3. Bei isolierten Erklärungen des Kreditnehmers außerhalb des Kreditvertrags ohne ausdrückliche Rechtswahl liegt eine akzessorische Anknüpfung an das Statut des Kreditvertrag